Wahrheitsfindung im Strafprozeß: unter Mitwirkung psychiatrisch / psychologischer Sachverständiger [1 ed.] 9783428452583, 9783428052585


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German Pages 292 Year 1982

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Wahrheitsfindung im Strafprozeß: unter Mitwirkung psychiatrisch / psychologischer Sachverständiger [1 ed.]
 9783428452583, 9783428052585

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WOLF GANG HETZER

Wahrheitsfindung im Strafprozei

Schriften zum Strafrecht Band 49

Wahrheitsfindung im Strafproze13 unter Mitwirkung psychiatrisch I psychologischer Sachverständiger

Von

Dr. Wolfgang Hetzer

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

© 1982 Duncker

ISBN 3 428 05258 7

Vorwort Die Schrift wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes im Sommersemester 1982 als Dissertation angenommen. Herr Prof. Dr. Müller-Dietz, Universität des Saarland es, und Herr Prof. Dr. Kühne, Universität Trier, haben mir mit ihrer Geduld und ihrem Verständnis die Arbeitsbedingungen geboten, die zur Anfertigung notwendig waren. Frl. Birgit Hornung hat die umfangreichen Schreibarbeiten zuverlässig und sorgfältig erledigt. Die Universität des Saarlandes hat sich mit einem großzügigen Beitrag an den Kosten der Drucklegung beteiligt. Für alles bedanke ich mich sehr herzlich. Ich danke auch all jenen, die den Mut, die Kraft und die Leidenschaft hatten, mich ein Stück auf dem langen Weg zu begleiten, an dessen Ende dieses Werk steht. Wolfgang Hetzer

Inhaltsverzeichnis O.

Einleitung ..................................................

13

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung ....................

19

1.1. 1.2. 1.3.

19 23 33

1.5.3.

Wahrheitsflndung als Prozeßmaxime ........................ Prozeßspezifische Modiftzierungen des Wahrheitsbegriffs .... Begriff ..................................................... Erkenntnistheoretische Dimension der Wahrheitsflndung .... Zweck und Anlaß der philosophischen Wahrheitsfrage ........ Gegenstand und Problemschwerpunkt der Wahrheitsdiskussion ........................................................ Zusammenhang zwischen Wahrheit und Persönlichkeit...... Wahrheitsrelevanz der Sprache.............................. Korrespondenztheoretische Ansätze und sprachliche Bewährung ........................................................ Wissenschaftstheoretische Vorstellungen ..................... Semantische Konzeptionen .................................. Wahrheit und Evidenz...................................... Kommunikationstheoretische Positionen ..................... übereinstimmung und Abstimmung ......................... Konsens und Diskurs ........................................ Rhetorik des Schweigens .................................... Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... Grundlagen ................................................. Theorienvergleich ........................................... Sachverständiger - Richter ................................

2.

Hauptverhandlung als Kommonikationsforum ...............

75

3.

Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß ..........

79

3.1.

Psychologie subjektiver Tatbestände ........................ Zueignungsabsicht .......................................... Vorsatz..................................................... Physische Realität als Forschungsgegenstand ................ Kausalitätsprobleme ........................................

1.4. 1.4.1. 1.4.2. 1.4.3. 1.4.4. 1.4.5. 1.4.6. 1.4.7. 1.4.8. 1.4.9. 1.4.9.1. 1.4.9.2. 1.4.9.3. 1.5. 1.5.1. 1.5.2.

3.1.1.

3.1.2. 3.2. 3.2.1.

44 44 45 46 48 52 55 57 63 65 65

67 72 72 72 72 73

79 82 82 86

87

8

Inhaltsverzeichnis

3.2.2. 3.3.

Kriminaltechnik ............................................. Exkurs: Sachbeweis und freie Beweiswürdigung ............

88 89

4.

Sadlverständi,er als Beweismittel und Prozeßbeteilirter . . . . . .

96

4.1. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.3.

Geschichtliche Entwicklung des Sachverständigenbeweises .... 96 Begriff des Sachverständigen ................................ 97 Gesetzliche Anknüpfungspunkte ............................ 97 Abgrenzung zwischen Sachverständigen und Zeugen ........ 98 Sachverständiger als Richtergehilfe .......................... 100 Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... 104

5.

Einführung des Sachverständigen in den Prozeß .............. 105

5.1. 5.2. 5.3.

Beweisantragsrecht .......................................... 105 Unmittelbare Ladung ....................................... 108 Aufklärungspfticht und Beweisantizipation .................. 109

6.

Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung ......... 116

6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.1.3.1. 6.1.3.2.

Glaubwürdigkeitsuntersuchungen ............................ Kompetenz- und/oder Qualiftkationsprobleme ................ Gegenstand und Zweck aussagepsychologischer Exploration .. Beeinträchtigung für die Freiheit der Beweiswürdigung ...... Erkenntnisqualität von Glaubwürdigkeitsgutachten .......... Gefährdung von Verfahrensgarantien durch den Sachverständigen ....................................................... Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... Beurteilung der Schuldfähigkeit ............................ Juristische und psychiatrisch/psychologische Erkenntnistechniken im wissenschaftstheoretischen Systemvergleich ........ Wissenschaftstheorie und Verfahrenspraxis .................. Schuldfähigkeitsbeurteilung zwischen Wissenschaftstheorie und Verfahrenspraxis ............................................

6.1.4. 6.2. 6.2.1. 6.2.1.1. 6.2.1.2.

116 116 119 120 120 122 124 124 124 124 125

6.2.1.3.

Wissenschaftscharakter juristischer Erkenntnisse ............ 128

6.2.1.4.

Empirie und Objektivitätsanspruch psychischer Befunde .... 132

6.2.1.4.1.

Aussagekraft deskriptiv-phänomenologischer Darstellungen .. 133

6.2.1.4.2.

Realitätsgehalt psychiatrisch/psychologischer und/oder psychoanalytischer Erkenntnisse ................................... 135 6.2.1.4.2.1. Psychoanalyse und Faktenwahrheit .......................... 140

6.2.1.4.2.2. 6.2.1.4.2.3. 6.2.1.4.2.4. 6.2.1.4.2.5.

Psychoanalyse und psychologischer Sprachgebrauch .......... Konsequenzen des hermeneutischen Zirkels .................. Sprachanalytische Perspektiven ............................. Zwischenbilanz .............................................

142 144 145 149

Inhaltsverzeichnis 6.2.1.5. 6.2.2. 6.2.3. 6.2.3.1. 6.2.3.2. 6.2.3.2.1. 6.2.3.2.2. 6.2.3.2.3. 6.2.4. 6.2.5. 6.2.5.1. 6.2.5.2. 6.2.5.2.1. 6.2.5.2.2. 6.2.6. 6.2.6.1. 6.2.6.2.

Auswirkungen strafprozessualer Kommunikationsstrukturen für psychiatrisch/psychologische Erkenntnismöglichkeiten .... Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... Auswahl der Sachverständigen .............................. Verfahrenstaktische Aspekte ................................ Kompetenzstreit zwischen Psychiatern und Psychologen ...... Argumentative Grundmuster ................................ Ireflnitionswert des Krankheitsbegriffs und seine Abgrenzungsfunktion für Psychiatrie und Psychologie .............. Strafprozessualer Nutzwert ................................. Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... Funktionelle Beziehungen zwischen § 78 und § 261 Stpo .... Prozeßrechtliche Grundlagen ................................ Dialogizität der Schuldfähigkeitsbeurteilung ................ Perspektive des Beschuldigten .............................. Perspektive des Richters .................................... Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... Grundsätze zur richterlichen Leitung des Sachverständigen gemäß § 78 stpo .............................................. Zweck und Inhalt der richterlichen Leitung zur Vorbereitung von Schuldfähigkeitsbeurteilungen ..........................

9

150 157 158 158 164 164 172 187 190 193 193 201 207 210 224 224 225

7.

Bedingungen und Inhalte der 'Uberzeugungsbildung .......... 227

7.1. 7.2.

Maßstäbe der Rechtsprechung und ihre Konsequenzen ........ Historische Entwicklung des Prozeßrechtsinstituts der freien Beweiswürdigung ........................................... Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit ............ Aussagekraft des von der Rechtsprechung verwendeten Wahrscheinlichkeitsbegriffs ....................................... Wahrscheinlichkeitsbegriff und Rationalisierung der Beweiswürdigung .................................................. Wahrscheinlichkeit im erkenntnistheoretisch-psychologischen Zusammenhang der Überzeugungsbildung ................... Schlußfolgerungen und Ergebnisse .......................... Leistungskraft der Kategorie Wahrscheinlichkeit ............ Verfahrenspraktische und erkenntnistheoretische Implikationen der überzeugungs- und Konsensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . ..

7.3. 7.3.1. 7.3.2. 7.3.3. 7.4. 7.4.1. 7.4.2.

227 231 234 234 239 250 259 259 259

Literaturverzeichnis ................................................... 261

Ahkürzungsverzeichnis a.A. Abs. Abt AcP a.F. Ankrit Anm

AöR ArchKrim ARSP Art. Aufl.

Bd

BeitrgerMed BeitrSexF BGH BGHSt BGHZ bzw. CCC DAR ders. dens. d.h. Diss. iur. Diss. phil. DJT DRiZ Einl etc. ff.

FGO

FN

GA GG GVG

H.

Hrsg. hrsg. v. i. S. d. i. V.m. JBI JbRsozth JR JuS JuS-SchrR JVA

JW JZ Kap Krim KrimAbh KrimbioGegwfr KrimBull KrimGegwfr KrimJ

anderer Ansicht Absatz Abteilung Archiv für die civilistische Praxis alte Fassung Analyse und Kritik Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Kriminologie Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Auflage Band Beiträge zur gerichtlichen Medizin Beiträge zur Sexualforschung Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen beziehungsweise Constitutio Criminalis Carolina Deutsches Autorecht derselbe denselben das heißt Juristische Dissertation Philosophische Dissertation Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Einleitung et cetera fortfolgende Finanzgerichtsordnung Fußnote Goltdammer's Archiv für Strafrecht Grundgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Heft Herausgeber herausgegeben von im Sinne des in Verbindung mit Juristische Blätter Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Juristische Rundschau Juristische Schulung Schriftenreihe der Juristischen Schulung Justizvollzugsanstalt Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kriminalistik Kriminalwissenschaftliche Abhandlungen KriminalbiologiSche Gegenwartsfragen Kriminologisches Bulletin Kriminologische Gegenwartsfragen Kriminologisches Journal

12

Abkürzungsverzeichnis

Kriminologische Schriftenreihe Kriminologische Studien Kriminalistik - Wissenschaft und Praxis Kritische Justiz Landgericht Leipziger Kommentar Lindenmaier, Möhring: Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Löwe-Rosenberg L-R LZfDR Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht MedSach Der Medizinische Sachverständige MSchrKrim Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform m.w.N. mit weiteren Nachweisen NACrR Neues Archiv des Criminalrechts NHfPhil Neue Hefte für Philosophie NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-SchrR Schriftenreihe der Neuen Juristischen Wochenschrift Nr. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht RAbgO ReichsabgabenoreInung ReIn Randnummer RG Reichsgericht RGRGSpr Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts in Strafsachen RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen rSp rechte Spalte RStPO Reichsstrafprozeßordnung S. Seite, Satz SchrRth Schriften zur Rechtstheorie SchrStR Schriften zum Strafrecht SchrThPrPsych Schriftenreihe zur Theorie und Praxis der Psychotherapie SchwZfStR Schweizer Zeitschrift für Strafrecht SGG Sozialgerichtsgesetz SJZ Süddeutsche Juristenzeitung S-K Systematischer Kommentar Sp Spalte S-S Schönke-Schröder StGB Strafgesetzbuch StFO StrafprozeßoreInung SZ Süddeutsche Zeitung v. vom vgl. vergleiche Vorbem Vorbemerkung VRS Verkehrsrechts-Sammlung VwGO Verwaltungsgerichtsordnung z.B. zum Beispiel ZfallgWissth Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie ZfEntwPädPsych Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie Zeitschrift für Evangelische Ethik ZfEvEth Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und ZfLMKSR Soziologie des Rechts ZivilprozeßoreInung ZPO Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Züricher Studien zum Verfahrensrecht ZStVerfR Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZStW Zeitschrift für Zivilprozeß ZZP

KrimSchrR KrimSt KrimWP KritJ LG L-K LM

o. Einleitung Die Beteiligung von Sachverständigen an strafprozessualer Sachverhaltsaufklärung hat wie kaum ein anderes Rechtsinstitut zu einer sehr umfangreichen wissenschaftlichen Diskussion und zu engagierten Reaktionen der Öffentlichkeit Anlaß gegeben. Das böse Wort von der "Strafunrechtspflege in der Bundesrepublik"1, Presseberichte2, einge1 Arnau (1967), S. 94, der .. Unrechtssprüche" feststellt, die in der Weimarer Zeit ein sekundäres Gewohnheitsrecht bildeten. Deren Ursprung erblickt er in historischen Gebundenheiten, wozu häufig aus Minderwertigkeitskomplexen entwickelte Superioritätsgefühle der Diener der Justiz hinzuträten. In exemplarischen Fällen beschäftigt er sich überwiegend mit Fehlleistungen von Sachverständigen und Gerichten. Zur .. Vertrauenskrise": Dennemark, NJW 1970, 1960 f. und Englert, NJW 1971, 235. Z Die zahlreichen Prozeßbeobachtungen von Mauz stehen beispielhaft für eine Vielzahl von Publikationen aus jüngerer Zeit: Der Spiegel 1978, Nr. 52, 60 - 61; 1979, Nr. 21, 96 - 100; Nr. 29, 62 - 65; Nr. 34, 54 - 59; 45, 95 - 97; 1980, Nr. 112, 52 - 53; Nr. 7, 100 -101; Nr. 11, 115 -116; Nr. 14, 76 - 82; Nr. 16, 133 -136; Nr. 20, 77 - 81; 1981, Nr. 8, 74 -79; Nr. 10, 61 - 63; Nr. 11, 77 -79; Nr. 12, 130 - 132; 1982, Nr. 16, 142 - 146; Nr. 22, 125 - 128; Nr. 24, 70 - 75. Mauz kritisiert einzelne Sachverständige überaus deutlich: .. Für Professor Witter ist eine andere Meinung nicht einfach eine andere Meinung. Er schlägt einem Feind - unmerklich - die Schnauze blutig... Professor Witter kämpft für ein Weltbild, in dem alles und jedes das Ergebnis eigener Verantwortung ist, der Erfolg, der niemals auf Kosten anderer gelingt, genauso wie Mißerfolg ... Professor Witter wird als psychiatrischer Sachverständiger gehört, doch was er treibt, ist Politik" (Der Spiegel 1982, Nr. 16, 145) ...Doch immerhin gab es mal Hippokrates, doch immerhin gibt es auch ungeschriebene Regeln für den Arzt - und der Psychiater hat auch als Sachverständiger Arzt zu bleiben. Es ist nur zu verständlich, daß der Verteidiger Edgar Liebrucks in Verbitterung fiel, als er sich mit der Ablehnung des Professors Rauch nicht durchsetzte" (Der Spiegel 1982, Nr. 24, 75). Auch auf internationaler Ebene richtet sich kritisches Interesse immer wieder auf das Sachverständigenwesen. Aus seinen Beobachtungen im Prozeß gegen ReaganAttentäter John W. Hinckley zieht Mauz das Fazit: ..Die Psychiater der Vereinigten Staaten sind sehr unglücklich über ihr Image im HinckleyProzeß, wie man erfährt. Doch den Eindruck, daß die Psychiatrie und die Psychologie nach Bedarf jede Diagnose begründen können: Wer darf es der Jury verdenken, wenn sie zuletzt diesen Eindruck haben sollte; wenn sie sich an nichts anderes hält als an das Bild, das sie sich selbst gemacht hat - unabhängig von den Sachverständigen-Zeugen, von ihrem Durchsetzungswillen, ihrem Ehrgeiz, ihrer Eitelkeit und ihrer Lust an den hohen Honoraren, die sie dafür beziehen, daß sie die eine oder andere Prozeßpartei unterstützt" (Der Spiegel 1982, Nr. 22, 128). Den Freispruch Hinckleys betrachtet Mauz, Der Spiegel 1982, Nr. 26, 107, als Verurteilung der Psychiatrie. Mauz, Kursbuch 1979, Nr. 56, 157, glaubt, daß Gutachten auf einer Szene entfaltet werden, auf der nur entschieden werde, in welches von drei oder vier Mauselöchern man den Angeklagten schiebt. Symptomatisch ist das Schlagwort vom schuldigen Patienten (Naumann, Die Zeit, 1982, Nr. 20, 7). Zur ..insanity defense" in den USA Szasz (1978), S. 79 ff.

14

o. Einleitung

hende3 und zahlreiche4 wissenschaftliche Untersuchungen weisen auf einen Spannungsbogen hin, :unter dem sich eine lebhafte Auseinandersetzung entwickelt hat. Der Aufmarsch der Sachverständigen5 , die im Zuge der "Psychologisierung des Strafverfahrens"8 eine bedeutende Rolle spielen, wird einerseits als unvermeidliche und begrüßenswerte systematische Konsequenz eines spezialpräventiv ausgerichteten Strafrechts gesehen.? Andererseits wird auf die Gefahren hingewiesen, die das Verhältnis zwischen Sachverständigen und Gerichten auszeichnen. 8 Die Mitwirkung von Sachverständigen an gerichtlicher Aufklärung ist unentbehrlich. Die Zeiten, in denen eine Identität zwischen Sachverständigem und Richter möglich war, sind vorüber.' Die rasante Entwicklung der Naturwissenschaften, die hochdifferenzierten Begriffssysteme bestimmter Wissenschaftsbereiche (besonders der für die Strafrechtspflege bedeutsamen Psychologie und Psychiatrie) und nicht zuletzt der Bildungshintergrund10 zahlreicher Juristen verhindern die 3 Etwa Peters (1972), S. 117 - 186. 4 Vgl. die Literaturangaben bei L.-R.-Meyer, vor § 72. 5 Wassermann (1980), S. 31, der sich zur Erweiterung des Informationsvolumens die Beteiligung von Soziologen als Sachverständige wünscht und den Präventionszweck im Strafverfahren damit sichern möchte. Zur Abhängigkeit zwischen den Regeln des materiellen Strafrechts und der Verfahrensgestaltung Peters (1975), S. 17, 27. • Bocketmann, GA 1955, 355; Leferenz, KrimbioGegwfr 1962, 1. Richtungsweisend ist auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BHGSt 7, 82 (85), wo zwar gesagt wird, daß bei der Vernehmung eines 7jährigen Kindes nicht immer ein Sachverständiger hinzugezogen werden müsse, es aber der Erfahrung entspreche, daß dem Sachverständigen andere und bessere Erkenntnismittel zur Verfügung stehen als dem erkennenden Gericht. Zum einführenden überblick über die Aufgabenbereiche Göppinger (1972), S. 1532 ff. 7 Wassermann (1980), S. 31. 8 Kühne (1982), S. 306, Rdn 517, geht davon aus, daß die Bindung an fremden Sachverstand in Ermangelung des eigenen richterlichen zwingend sei, sieht aber hierin keinen Anlaß, eine Verletzung des Art. 92 GG zu befürchten, sondern bezeichnet es als Gefahr, daß der Richter einer scheinbar richtigen Aussage mangels eigener Kontrollkompetenz "aufsitzt". An dieser Stelle kann nur schlagwortartig auf argumentative Gesichtspunkte hingewiesen werden. Der Strafrichter befindet sich nach Arbab-Zadeh, NJW 1962, 1218, in einem Notstand, es bestehe eine Herrschaft des Sachverständigen im Strafprozeß; unter Hinweis auf Aroot, NJW 1962, 25, wird der Sachverständige als Spekulant bezeichnet, von dem der Richter eine Empfehlung dankend annehme und darauf sein Urteil baue. Jessnitzer (1980), S. 34 ff., und Peters (1981), S. 305, sprechen von einem Abhängigkeitsverhältnis des Richters. Von der Krise des Sachverständigenbeweises ist die Rede, die zu dem Schlagwort von der Prädominanz des Sachverständigen geführt habe, ein Phänomen, das die Folge einer durch die Gerichte provozierten Kompetenzüberschreitung und die sekundäre Folge einer Krise der richterlichen Urteilsbildung sei (Schewe, 1976, S. 688). • Mit Recht bemerkt Arbab-Zadeh, NJW 1962, 1214, daß dies heute als utopisch bezeichnet werden muß; ähnlich Leferenz, KrimbioGegwfr 1962, 3. 10 Vgl. die von Arbab-Zadeh, NJW 1962, 1215, genannten Wortschöpfungen: "Paragraphenmuffelitis", "Schönfeldersyndrom", "Fallsucht", "Repetitoriumsabsolvent"; WetteTich, KrimGegwfr 1976, 99.

O. Einleitung

15

originäre Aneignung von Wissensinhalten und Techniken, die für Erkenntnisleistungen im Rahmen eines Strafprozesses unentbehrlich sind. Daraus folgt, daß die Regeln des Strafprozeßrechts Kommunikationsmöglichkeiten anbieten und die Verfahrensbeteiligten, insbesondere Richter und Sachverständige, Kommunikationsfähigkeiten haben müssen, die den Austausch und schließlich die Verwertungl l einer Vielzahl von Informationen sicherstellen. 1l! Die umfassende praktische Relevanz dieses Problemkreises zeigte das Leitthema der 46. Tagung der Deutschen Gesellschaft für gerichtliche und soziale Medizin: "Der forensische Beweis ärztlicher Befunde und naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden." Das Ziel war, die Sprachschwierigkeiten zwischen Juristen und Medizinern zu verringern. l3 Jedes Sachgebiet hat eine eigene Terminologie entwickelt. Diese Sprachverschiedenheit führt zu Kommunikationsstörungen. Hinter Fachausdrücken stehen spezifische Denkweisen und Formen der Wirklichkeitserfahrung, die weder mit dem Wahrnehmungsvermögen noch mit dem Erkenntnisinteresse des Tatrichters korrelieren. 1" Insbesondere im Bereich technischer, naturwissenschaftlicher und medizinischer Erfahrungstatsachen stellt sich daher das Problem der Übersetzung in rechtswissenschaftliche Tatbestandsmerkmale. Hierin sieht Arbab-I Zadeh l5 neben der Normierung und Kategorisierung dieser Merkmale die Hauptursache der Verständigungsschwierigkeiten zwischen Richter und Sachverständigen. Es können begriffliche Barrieren entstehen, die Kommunikation als unvermittelten Verständigungsprozeß erheblich erschweren, wenn nicht gar verhindern. Fehlt eine kommunikative Beziehung zwischen dem Gericht und dem Sachverständigen, ist es fast ein kompensatorischer Reflex, wenn der Sachverständige versucht, eine 11 Kühne (1978), S. 65, der bemerkt: "Sind die Verarbeitungstechniken mangelhaft, nützt die vollständigste Materialsammlung nichts." 11 Wassermann (1980), S. 33, ist der Ansicht, daß Kommunikationsbereitschaft bei Richtern, Staatsanwälten, Sachverständigen, Zeugen und Gerichtshelfern vorausgesetzt werden könne. 13 Händel, NJW 1968, 193. Vgl. auch Erdlenbruck, DRiZ 1973, 79. 14 Ähnlich Kühne (1982), S. 303, Rdn 515, der die Forderung stellt, daß sich Richter mit der Terminologie der jeweils bestellten Sachverständigen auseinandersetzen, damit über zentrale Begriffe semantische Klarheit geschaffen wird. 15 NJW 1962, 1216; Kühne (1982), S. 304, Rdn 516, der sich mit den Folgen dieses übersetzungszwangs für den psychiatrischen Sachverständigen beschäftigt; Witter (1970), S. 137 f., der vom "Brückenschlag der Psychiatrie zum Recht" spricht; Moser (1971), S. 61, 64, wo von einem neuen - nämlich dem juristischen - Koordinatensystem die Rede ist, in das die Ergebnisse psychiatrischer Begutachtung zu übertragen seien und dem es im Blick auf Darlegungen von Bresser so scheint, als ob die Funktion des Psychiaters auf die eines übersetzers und literarischen Darstellers von abnormen Erlebniszuständen ... geschrumpft sei. Zur rechtlichen Systematik auch Rasch (1967), S.69.

16

o. Einleitung

eigenständige Subsumtion zu betreiben und zu Rechtsfragen Stellung zu nehmen. l6 Fraglich ist, ob im "Kommunikationsfeld Hauptverhandlung"l7 eine Verständigung möglich ist, welche die Gerichte befähigt, fachspezifische Begriffe in einem juristischen Verarbeitungsprozeß zu verwerten. Davon kann das für die Urteilsbildung erforderliche Tatund Täterverständnis maßgeblich abhängen. Hiermit sind nicht nur Fragen der Verfahrenspsychologie impliziert. lB Eine Untersuchung der Möglichkeiten, die das Strafverfahren als kommunikatives Gefüge für den Transport von Wissensinhalten bietet, wird sich neben der Frage, ob und in welcher Weise die vom Sachverständigen übermittelten Informationen zur richterlichen Erkenntnis beitragen können, vor allem mit dem Problem beschäftigen müssen, inwieweit sich das Verständnis für das übermittelte Datenmaterial und die entsprechenden Verwertungs- und Erkenntnisleistungen objektivieren lassen. In diesem Zusammenhang muß der Begriff der 'Überzeugung eine besondere und eigenständige Bedeutung haben. lU Zu einer anderen 11 Kühne (1982), S. 3M, Rdn 516; Wetterich, KrimGegwfr 1976, 100, 102, der eine verständliche Ausdrucksweise als Voraussetzung der Vermittlung von Sachkunde bezeichnet und feststellt, daß Sachverständige das geringe Verständnis der Richter gegenüber den Eigengesetzlichkeiten der Wissenschaften verkennen und darüber klagen, daß manche Richter die Verantwortung für die eigene Entscheidung auf die Sachverständigen abschieben. Unklar Schom, GA 1965, 300, wonach der Sachverständige dem Richter den Tatsachenstoff zu unterbreiten habe, der nur aufgrund besonders sachkundiger Beobachtungen gewonnen werden kann und dasjenige Rüstzeug zu vermitteln habe, das die sachgerechte Auswertung ermöglicht. Laufs (1978), S. 109, Rdn 206, der besonders für den medizinischen Sachverständigenbeweis die interdisziplinäre Zusammenarbeit, den selbstkritischen und geduldigen Austausch zwischen Medizinern und Juristen fordert; vgl. auch Cabanis (1972), S. 640 f., der auf eine historisch begründete Gemeinsamkeit zwischen Arzt und Jurist hinweist, die sich nicht zuletzt durch eine spezifische sozialmoralische Akzentuierung und eine daraus abgeleitete Ambivalenz aufgelöst habe. Zur Anerkennung der Wertungsdimension des Strafrechts als Voraussetzung der Sachverständigentätigkeit Witter, NJW 1975, 564. Ligges (1963), S. 79, möchte, daß der Sachverständige den Richtern die geistige Durchführung des Gutachtenthemas ermöglicht. 17 Wassermann (1980), S. 34. 18 Wassermann (1980), S. 34, stellt zwar fest, daß im Strafverfahren Herrschaft ausgeübt wird, ohne einen Begründungszusammenhang für seine nachfolgende These zu liefern, wonach es daher allein realistisch sei, eine offene, liberale Verfahrensgestaltung ins Auge zu fassen, die die Sachautorität an die Stelle kaum mehr legitimierbarer und deshalb oft überschießender Amtsautorität setzt, damit dadurch ein dialogisches Verfahren, ein Kommunikationsprozeß mit Sozialisationsfunktionen in Gang gesetzt wird. Auch die Vorstellung von partnerschaftlicher Kommunikation als Element .. kreativer Dialogizität" (Kühne, 1978, S. 107), beleuchtet nur einen Teilaspekt des Verständigungsprozesses zwischen Richtern und Sachverständigen, zumal dort die Vernehmung nicht in der gleichen Weise wie im Verhältnis Beschuldigter-Gericht eine hierarchisch strukturierte Situation verfestigt. 18 Kühne (1978), S. 214, vertritt die Ansicht, die richterliche überzeugung

O. Einleitung

17

Auffassung gelangt man nur unter der Voraussetzung, daß eine gelungene Kommunikation mit der Verständniserzeugung Erkenntnis schafft, ohne eines Durchgangsstadiums der überzeugungsbildung zu bedürfen.2o Kommunikation müßte als optimales übertragungsmedium von solchen Informationen angesehen werden, deren Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit sich aus der Natur ihres Betreffs selbst ergibt.21 Bei Informationen, die von Sachverständigen übermittelt werden sollen, fehlt oft eine objektive Evidenz.22 § 261 StPO macht deutlich, daß prozessuale Erkenntnisgewinnung nicht auf objektiv eindeutige Entscheidungen begrenzt ist.23 Andererseits verpflichtet das Prinzip materieller Wahrheit zu objektivierbaren Feststellungen. Dazu sollen die Sachverständigen beitragen. Subjektive und irrationale Einflüsse sind so keineswegs ausgeschaltet. 24 Um so dringender ist daher der Versuch, den Funktionswert der richterlichen überzeugungsbildung im Kommunikationsgefüge des Strafverfahrens zu bestimmen. Unsere Untersuchung wird sich deshalb auch mit der Frage beschäftigen müssen, ob die freie richterliche überzeugung in Anbetracht der unterschiedlichen Erfahrungsweisen von Sachverständigen und Richtern, des unterschiedlichen Erkenntnisinteresses dieser Verfahrens'beteiligten, der spezifischen Wahmehmungskompetenzen und der' prozessualen Rollenzuweisung Teil eines verfahrensrechtlichen und -praktischen Kommunikationszusammenhangs sein kann, oder ob die Freiheit der richterlichen überzeugung die Sollbruchstelle in einer werde als letzte nicht mehr hinterfragbare Instanz anerkannt, was § 261 StpO bestätige. 20 Kühne (1978), S. 213. 21 Kühne (1978), S. 213. 22 Kühne (1978), S. 213. 23 Kühne (1978), S. 213. 24 Peters (1979), S. 41, wo zu Recht darauf hingewiesen wird, daß auch naturwissenschaftliche und technische Gutachten eine Persönlichkeitsleistung darstellen und subjektive Wertungen enthalten; vgl. Breuer, SZ 1980, Nr. 174, 8, wo die Konsequenzen aus den Unschärferelationen im Bereich der Physik angedeutet werden; Rasch, NJW 1980, 1309 ff., wo für den Bereich der Psychologie von der Gefahr tautologischer Pseudo-Deftnitionen und von unendlichen Auslegungen die Rede ist, die im Resultat völlig von subjektivem Ermessen abhängen. Im Einzelfall erwarteten die Richter und Sachverständigen die erlösende Formel von der anderen Seite und man habe den Eindruck, als würden in einem kleinen Grenzverkehr Valuten ausgetauscht, über deren Wert sich der Geschäftspartner keine rechten Vorstellungen mache und auch im unklaren gelassen bleibe. Dies sei allerdings nicht lediglich das Ergebnis momentaner Verlegenheit oder linkischen Gebarens: "die häufig erwähnten Mißverständnisse bei der Diskussion zwischen psychologisch-psychiatrischen Sachverständigen und Juristen lassen sich eher aus den verkrampften Anstrengungen erklären, zwei von Grund auf verschiedene und ihrem Wesen nach inkompatible Begriffs- und Denksysteme durcheinanderschütteln zu wollen". 2 Hetzer

18

O. Einleitung

Konstruktion kommunikativer Interdependenz ist. Eine extreme Konsequenz könnte fast im Sinne objektiver Evidenz das Ende der wirksamen Beteiligung von Sachverständigen an strafprozessualer Wahrheitsermittlung sein. Dem erkennenden Gericht könnte nämlich die Möglichkeit offenstehen, sich unter dem Zeichen freier richterlicher überzeugung auf eine Position zurückzuziehen, die qua selbstgewählter oder auch konstitutioneller Beschränktheit nur einen eingeschränkten Zugang zur Wahrheit bieten würde. 25 Der Inbegriff der Hauptverhandlung nach § 261 StPO würde an eine Festung erinnern, deren Erstürmung mit dem ,trojanischen Pferd' der freien überzeugung deshalb der Vorstellung Sartres von ,passion inutile'26 nahekommen würde, weil die Tore nie weit genug geöffnet waren.

25 Nach Stein, NJW 1966, 2106, erfordert Richten in der Alltagsarbeit mehr als Intelligenz, Logik und juristischen Sachverstand. Verlangt werden: Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, Menschenbehandlung, Einfühlungsvermögen, intuitives Erfassen, Kenntnis der geistigen, politischen und sozialen Zusammenhänge, Toleranz, Mut zur Wahrheit, innere Freiheit, Distanz, Selbstkritik. - Lauter Eigenschaften und Tugenden, die man in der Berufsvorbereitung und in der Berufsausbildung in den Wind zu schlagen pflege. !G In einem Interview aus dem Jahre 1965 räumte Sartre ein, daß der Satz "Der Mensch ist eine nutzlose Passion" literarisch ist, weswegen er behalten worden sei. Die Verwendung literarischer Sätze in einem philosophischen Werk empfand er als Vertrauensbruch (Sartre, 1979, S. 105).

1. Wahrheit und Erkenntnisohjektivierung Grund, Art, Umfang und Auswirkung der Beteiligung von Sachverständigen an strafprozessualer Wahrheitsermittlung sind nur dann in angemessener Weise analytisch zu erfassen, wenn der Begriff der Wahrheit als eine der wichtigsten Zielkoordinaten für die Aktivitäten von Sachverständigen mit seinen inhaltlichen Spezifica und funktionellen Konsequenzen im Kommunikationssystem des Strafprozesses hinreichend erörtert wird. Hierzu ist es erforderlich, die Beziehungen zwischen Wahrheit und Wirklichkeit zu entwickeln. Geht man davon aus, daß der Sachverständige kraft seiner überlegenen Wahrnehmungsfähigkeiten in der Lage il?t, Umstände einer historischen oder gegenwärtigen Wirklichkeit zu erkennen, so drängt sich die Frage auf, ob die Wirklichkeit etwa eine Wahrheit niederer Form ist, die erst durch den Filter richterlicher Beweiswürdigung zu der höheren Daseinsform prozessualer Wahrheit gepreßt werden muß. Hält man eine synonyme Verwendung von Wahrheit .und Wirklichkeit für zulässig, so ist im Falle einer gelungenen Kommunikation zwischen Richter und Sachverständigen für eine Beweiswürdigung kein Raum mehr. Dies erhellt, daß der Begriff der Wahrheit und die Methode der Wahrheitssuche gerade bei dem Versuch der richterlichen Erkenntnisobjektivierung durch Sachverständige eine hervorragende Bedeutung haben müssen. 1.1. Wahrheitsfindung als Prozeßmaxime

Das Strafverfahren soll dazu dienen, zur Verwirklichung des materiellen Strafrechts festzustellen, ob gegen eine bestimmte Person ein staatlicher Strafanspr.uch entstanden ist und besteht, bejahendenfalls die Schuld ausz.usprechen und die Unrechtsfolgen festzusetz.en, verneinendenfalls den Beschuldigten aus dem Verfahren zu entlassen.! Aus diesem definitorischen Versuch zu einer globalen strafprozessualen Programmatik ergibt sich als ein Ziel des Verfahrens die Aufklärung des Sachverhalts, die Ermittlung der Wahrheit. 2 Ein weiteres Ziel muß angestrebt werden. Die Aufgabe, die die Strafprozeßordnung dem erkennenden Gericht zuweist, ist, die Wahr! 2

2'

L-R-Schäfer, Einl Kap 6, Rdn 7. L-R-Schäfer, Ein! Kap 11, Rdn 1.

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1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

heit zu erforschen und ein gerechtes Urteil z.u fällen. 3 Demgemäß wird die Verfahrensordnung als Wegweiser zur Wahrheit und Gerechtigkeit bezeichnet.4 Krauß5 stellt zwar fest, daß Rechtsfindung ohne Wahrheitsfindung nicht möglich ist, weist aber auch darauf hin, daß das Prinzip der materiellen Wahrheit, zu dem sich § 244 II StPO bekennt, nicht schrankenlos gilt. Er zeigt, daß der Schutz der Persönlichkeit des Beschuldigten' und der Grundsatz der Unschuldsvermutung Begrenzungslinien für die Wahrheitsermittlung zugunsten höherrangiger Rechtsgüter sind. 7 Dieser Umstand ist allerdings in der Prozeßrechtslehre noch nicht in genügendem Maß zum Anlaß geworden, über die Leistungsfähigkeit des Begriffs Wahrheit zu reflektieren. Während Krauß8 aus seinen Überlegungen das Ergebnis ableitet, daß das Prinzip der materiellen Wahrheit allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz nicht einmal als Ziel des Verfahrens uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann und vielmehr das auf Schuldspruch und Vergeltung zugeschnittene Programm von vornherein eine bestimmte Auswahl und Wertung der Fakten bedingt, wird in begrifflicher Vermengung von Aufgabe und Ziel des Strafverfahrens die Ermittlung der objektiven Wahrheit als Prozeßmaxime behandelt. Beweisverbote werden nur als Begrenzungen der für möglich gehaltenen Erforschung objektiver 3 L-R-Schä!er, Einl Kap 11, Rdn 1, wo auf die Selbstverständlichkeit dieser Zielsetzung hingewiesen wird, die dazu geführt habe, daß Jahrzehnte nach dem Inkrafttreten der StPO und auch nur zur Verdeutlichung die Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts in der Hauptverhandlung förmlich niedergelegt wurde. In seinem Versuch prinzipieller Beschreibung der Zielkonzeption verzichtet Kteinknecht (1981), Einl, Rdn 2, auf die Kategorie "Wahrheit": "Der Prozeß ist ein rechtlich geordneter, von Lage zu Lage sich entwickelnder Vorgang zur Gewinnung einer richterlichen Entscheidung über ein materielles Rechtsverhältnis. Sein Ziel ist nicht die überführung des Angeklagten (wie im Inquisitionsprozeß), sondern ein nüchterner Ausspruch über Schuld, Strafe oder sonstige strafrechtliche Maßnahmen." Auch für Eb. Schmidt (1967), S. 15, Rdn 4, ist es selbstverständlich, daß das Strafprozeßrecht am Ziel der Justizgewährungspflicht teilnimmt, damit ein auf Wahrheit und Gerechtigkeit beruhendes richterliches Urteil gefunden werden kann. Aus der Aufgabe, die Schuld oder Unschuld des Verdächtigen zu klären und im Falle der Schuld durch Verwirklichung der Strafandrohungen und Besserungs- und Sicherungsanordnungen des materiellen Strafrechts der Bewahrung der im Strafrecht niedergelegten Ordnung zu dienen, folgert Peters (1981), S. 15, den Grundsatz der Wahrheitsermittlung; nach Henket (1968), S. 84, ist es Aufgabe des Strafverfahrens, die Wahrheit über den Tatvorgang zu erforschen und das sachliche Recht in einem gerechten Urteilsspruch zu verwirklichen. f Henkel (1968), S. 84. 5 Krauß (1975 b), S. 411. e Zu den Konfiiktlagen, die sich unter dem Aspekt der Menschenwürde ergeben Kühne (1970), S. 51 ff. 7 Ausführlich Krauß (1971 b), S. 153 ff. Wahrheitserforschung um jeden Preis wird nicht verlangt: BGHSt 14, 358 (365). 8 Krauß (1975 b), S. 427.

1.1. Wahrheitsftndung als Prozeßmaxime

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Wahrheit angesehen.' Das Verständnis von Wahrheit erschöpft sich darin, daß sie als Ziel und Aufgabe des Strafverfahrens für selbstverständlich beansprucht wird. Die Gründe für diese Haltung sind vielschichtig. Für Kunert scheint es eine Art Kompetenzproblem zu sein. Zum Ende seiner Überlegungen stellt er fest, daß es eine "unauflösliche Strukturverschlingung von richterlichem Erkenntnisvorgang und Gegenstand der richterlichen Erkenntnis"lo gebe. Nach seiner Ansicht würde ein von ihm bemühter imaginärer Philosoph hierin einen Beweis dafür erblicken, daß menschliche Erkenntnis weitgehend nur das betrifft, was der Erkennende sich selbst produziert hat. Er entzieht sich allerdings weiteren Überlegungen, da er sich: als Jurist vor solchen Grenzüberschreitungen hutet. l l Aus diesem Blickwinkel ist der Sachverständige ein Usurpator des richterlichen Interpretationsmonopols qua exklusiver Wirklichkeitserfassung. Die Einstellung Kunerts dokumentiert eine Berührungsangst, die eine fruchtbare Mitwirkung von Sachverständigen behindert. Wenn es richtig sein soll, daß die Frage, ob im Prozeß ein Sachverständiger zugezogen wird, im pflichtgemäßen Ennessen l2 des Gerichts liegt, so muß das erkennende Gericht sogar eine "Kompetenz-Kompetenz"l8 aufweisen, die es befähigt, einen Rohentwurf von Wahrheit anzufertigen. Daher ist jede Scheu vor der von Kunert erwähnten unauflöslichen Strukturverschlingung schädlich. Andererseits wird auf die Unklarheit des Wahrheitsbegriffes hingewiesen, die es als "ein vergebliches und auch überflüssiges Unterfangen"l4 erscheinen lasse, den Begriff der Wahrheit zu definieren. Kraußl5 vertritt die Auffassung, daß der Prozeß der Rechtsfindung in der subjektiven Überzeugungsbildung des Richters auslaufe und sich daher den objektivierenden Regeln wissenschaftlicher Verläßlichkeit weitgehend entziehe. Für ihn ist dies die unangefochtene Prämisse des Verfahrens. lU Am Beispiel des psychologischen Sachverständigen wird gezeigt, daß Sachverstand in unserer sachverständigenfreundlichen Zeit im Bereich von Vorsatz, Absicht und Unrechtsbewußtsein kaum eine 9 So richtig Krauß (1975 b), S. 411. Zur Bedeutung des Beweisrechts für die Wahrheitsftndung Ven (1974), S. 463 ff. 10 Kunert, GA 1979, 413. 11 Kunert, GA 1979, 413. 12 BGHSt 3, 27 (28); 12, 18 (20) zur Sachkunde bei Kollegialgerichten und den Voraussetzungen von § 244 IV 1 StPO.

Göppinger (1972), S. 1532. u Käßer (1974), S. 10, der auf verschiedene Arten von Wahrheit verweist:

13

Seinswahrheit, Erkenntniswahrheit, absolute Wahrheit, relative Wahrheit; Schließlich spricht er von Wahrheit im Sinne der StPO. 15 18

Krauß (1975 b), S. 416. Krauß (1975 b), S. 416.

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1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

Bedeutung erlangt, weil die Dogmatik mit "eher banalen Wissens- und Wollensformeln"17 auftauchende Probleme :unterschlage. Aus den Darlegungen von Krauß läßt sich in der Tat der Vorwurf an das Strafrecht ableiten, die Realität als Grundlage eines gerechten Urteils nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen und im Prozeß der Wahrheitserforschung an der ganzen Wahrheit nicht interessiert zu sein. 18 In diesem Zusammenhang muß die Frage nach Aufgabe und Wirkungsmöglichkeiten von Sachverständigen als Beweismittel gestellt werden. In übereinstimmung mit Spendezt 9 kann ,beweisen' verstanden werden als die Begründung der Erkenntnis von einem Gegenstand durch Schlußfolgerungen oder Tatsachenfeststellungen nach einer Methode, wobei im Prozeß die Begründung der richterlichen Gewißheit (Überzeugung) von Tatsachen durch bestimmte Beweismittel nach bestimmten Gr:undsätzen gemeint ist. Daraus folgt, daß die prozessuale Sachverhaltsaufklärung als Wirklichkeitserkenntnis dem Begriff der Wahrheitsfindung untergeordnet ist.2G Dies bedeutet zum einen, daß die Beziehungen zwischen der teilweise nur mit sachverständiger Hilfe erfahrbaren Wirklichkeit und der Wahrheit offenzulegen sind. Zum anderen wird die Untersuchung über Voraussetzungen und Erscheinungsformen der dialogischen (dialektischen) prozessualen Wahrheitssuche und -erkenntnis in ihrer Förmlichkeit und möglichen Beschränkung erforderlich.ll1 Prozeßmaximen sind maßgebliche Strukturelemente für die Möglichkeiten, Inhalte und Formen der Verständigung zwischen Prozeßbeteiligten. Insbesondere der Transport von Ergebnissen sachverständiger Befunderhebungen gehört zu den Minimalia, die gegeben sein müssen, damit die Maxime der Wahrheitsfindung nicht zu einer plakativen Konstr:uktion in einem Vakuum prozessualer Scheinregeln degr{ldiert wird. Sodann kann erst der spezifische Verwertungs- und Verarbeitungsprozeß untersucht werden, dessen normative Leitlinien in den §§ 78, 261 StPO angedeutet sind. Zunächst bedarf der Begriff der Wahrheit und die instrumentale Leistungsfähigkeit strafprozessualer Normen für die Wahrheitsfindung einer Untersuchung. 17 Krauß (1975 b), S. 417. 18 Krauß (1975 b), S. 417. Er erklärt den Vorwurf der Unaufrichtigkeit mit dem Mißverständnis, daß Wahrheit als Ziel des Verfahrens die umfassende Kenntnis von vergangenem und gegenwärtigem Geschehen sei. 19 Spendet, NJW 1966, 1103. 20 Spendet, NJW 1966, 1103. Er geht zwar davon aus, daß die ganze Wahrheit zu suchen ist, bezeichnet die richterliche Tätigkeit aber nicht als völlig freie Forschung; anders Mezger (1918), S. 27, der fordert, daß die richterlichen Feststellungen der Wirklichkeit entsprechen müssen und den Straffall für den Richter nach seiner tatsächlichen Seite als ein wissenschaftliches Problem bezeichnet, das Gegenstand voraussetzungsloser Forschung sei. 21 Spendet, NJW 1966, 1103.

1.2. Prozeßspeziftsche Modiftzierungen des Wahrheitsbegriffs

23

1.2. Prozeßspezifische Modifizierungen des Wahrheitsbegriffs Die Strafverfolgung soll unter dem Zeichen der Humanität und nach anerkannten sozialethischen Gr.undvorstellungen durchgeführt werden. Es gelten Beweisthemaverbote. Bestimmte Beweismittel und -methoden sind unzulässig. 22 Wahrheitserforschung im Strafprozeß ist ein äußerst wichtiges Anliegen des Verfahrens. Wahrheit ist aber kein Ziel, das es unter allen Umständen anzustreben gilt.l!3 Der Strafprozeß kann keine ausschließlich von Logik geleitete formale Sachverhaltskenntnis mit Eindeutigkeitscharakter vermitteln.!!4 Wenn das Strafverfahren eine wirksame Form der Krisenintervention sein soll, ist es .unausweichlich, daß auch die Anforderungen betroffen werden, die man an den Begriff der Wahrheit stellen kann. 25 Der Zwang zu effektivem Verhalten in einer begrenzten Zeitspanne, also die Notwendigkeit, termingebundene und eindeutige Entscheidungen zu treffen, beeinflußt auch den Inhalt des Wahrheitsbegriffs. Die Umstände prozessualer Wahrheitssuche müssen zwar nicht zur Verfälschung des Richtigen führen. 1l6 Es darf aber nicht übersehen werden, daß der Begriff der Wahrheit von Verfahrenszwecken mitbestimmt wird. Wenn der Vorgang der Wahrheitssuche eine Teleologik hat und in einen funktionalen Zusammenhang eingepaßt ist, müßte die Wahrheit eine "Finalstruktur"27 haben. Für die Definition von Wahrheit genügt es keineswegs, die Erforschung und Feststellung der materiellen Wahrheit als "vordergründiges"28 Ziel zu erkennen. Sieht man die Wahrheitsfindung als ein Prozeßziel an, ist mit der Erkenntnis, daß der Wahrheitsbegriff des StrafVgl. im einzelnen Peters (1966), S. 163 und Kühne (1970), S. 129 f. Peters (1981), S. 279. Begrüßenswert BGHSt 14, 358 (365): "Allerdings hat diese Rechtsauffassung zur Folge, daß wichtige, unter Umständen die einzigen Mittel zur Aufklärung von Straftaten unbenutzt bleiben. Das muß jedoch hingenommen werden. co In diesen Gedankengang scheint sich Albrecht (1976), S. 174, nicht hineinversetzt zu haben, als er fand, daß es sittlich geboten sein könne, Informationen durch Folter zu erzwingen, sofern dies wirklich die einzige Möglichkeit wäre, ein namenloses Verbrechen zu verhindern. 24 Richtig Rehbein (1968), S. 75. !5 Volk (1980), S. 9, der den Richter unter den Zwang gestellt sieht, eindeutige Ja-Nein-Entscheidungen zu fassen; informativ zur Arbeitsbelastung der Richter Mauz, Der Spiegel, 1981, Nr. 15, 78. 26 So aber Volk (1980), S. 9; es handelt sich nicht um ein begriffliches Problem, sondern um die Analyse der funktionellen Zusammenhänge einzelner Elemente des Beweisrechts; dazu Arzt (1974), S. 223 ff. und Krause (1974), S. 323 ff. !7 MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971. 264. 28 L-R-Schäfer, Einl. Kap. 13, Rdn. 41; BGH in NJW 1966, 2156. Anders MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 261, der die Bezeichnung der Wahrheit als vordergründiges Ziel deshalb befürwortet, weil die Wahrheitssuche des Richters erst von der richtigen Entscheidung her ihren tieferen Sinn erhalte. 22

23

24

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

verfahrens durch das Prozeßziel bestimmt wird, nicht viel gewonnen, selbst wenn die Zielvorstellung durch den Satz "Gerechtigkeit durch Wahrheit"2D erweitert wird. Zu Recht weist Müller-DietzS° darauf hin, daß zunächst danach gefragt werden muß, ob es normspezmsche Verkürzungen der Wahrheit im Strafverfahren gibt. Damit ist nicht nur das zwangsläufig grobmaschige Raster des materiellen Rechts angesprochen, das in Verbindung mit den eingeschränkten Mitteln des Strafverfahrens möglicherweise nur eine soziale Definition von Wahrheit zuläßt.lIl Die Problembereiche würden unzweckmäßigerweise vermengt, gäbe man sich mit der lapidaren Feststellung zufrieden, daß kaum ein Urteil auf der wahren Wirklichkeit beruht. Teilwahrheiten oder gar Pseudowahrheiten können von einem Richter als taugliche Entscheidungsgrundlagen kaum verantwortet werden. S2 Es besteht sowieso schon eine Gemengelage, weil Wahrheitsfindung im Strafprozeß als Saclwerhaltsaufklärung Wirklichkeitserkenntnis und als Rechtsanwendung Rechts- und damit Werterkenntnis ist.aa Diese Situation wird durch die von EngischM entwickelte Differenzierung zwischen inhaltlicher Richtigkeit und Wahrheit nicht übersichtlicher. Die Orientierung der Wahrheitsfindung an der sinnlich wahrnehmbaren Welt .und der Bezug der Richtigkeitserkenntnis auf die der Gedanken und Vorstellungen bedeutete die Beschränkung der substantiellen Wahrheit auf das Gegenständliche, obwohl auch Werturteile einer Beurteilung nach Maßstäben der Gerechtigkeit unterliegen, mithin in der Reichweite des Wahrheitsbegriffs angesiedelt sein müssen. 35 Die Leistungsfähigkeit prozessualer Normen reicht nicht, um einen objektivierten Wahrheitsbegriff zu beschreiben, da Normen nicht 28 Vgl. MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 261; Schmidhäuser (1961), S. 512; Stock (1954), S. 433; Peters (1981), S. 77 ff. Es mag sein, daß eine Umschreibung der Wahrheit als Voraussetzung der Gerechtigkeit den Stellenwert der Wahrheit im Strafverfahren wiedergeben kann. Aber das erhellt nicht ihre begrifflichen Merkmale. 30 MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 261. 31 Volk (1980), S. 9; Krauß (1975 b), S. 418, 419, spricht von einer Aufbereitung der Realität in der Straf justiz als einer Entscheidungsfabrik von nahezu unvorstellbaren Ausmaßen durch die Gleichförmigkeit typisierender Leitbilder des sozialen Geschehens. 32 So aber Volk (1980), S. 10. 3S Spendel, JuS 1964, 466; anders Engisch (1963), S. 6, der den Begriff der Wahrheitsflndung auf die Sachverhaltsermittlung beschränken will, weil im Bereich der Rechtsanwendung das Gegenständliche, das Erfahrbare nicht mehr vorhanden sei, sondern man sich in von Werturteilen durchtränkten rechtlichen Ansichten bewege. 34 Engisch (1963), S. 4 f.; vgl. auch Engisch (1959), S. 78 und Ihering (1916), S. 339 ff. MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 258, hält die Differenzierung im Hinblick auf die Gerechtigkeitsintention von Recht für sprachlich möglich, sachlich indes keineswegs zwingend und überdies mißverständlich. 3S Zutreffend MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 258.

1.2. Prozeßspeziftsche Modifizierungen des Wahrheitsbegriffs

25

wahrheitsfähig sind, sondern nur Aussagen über die Norm.36 Die Vorschrift des § 244 II StPO ist als Definitionshilfe ungeeignet. Der Begriff der materiellen Wahrheit, der von Literatur .und Rechtsprechung hieraus abgeleitet wird, hebt die Verzahnungen zwischen den begrifflichen Voraussetzungen von Wahrheit und den strafprozessualen Ermittlungs- und Manifestationstechniken nicht auf.37 Wahrheit wird mit dieser Vorschrift nicht als übergeordnete Orientierungsmarke erkennbar, sondern bleibt verfahrensabhängige Funktionskategorie. Durch die Gleichordnung von materieller Wahrheit und materieller Gerechtigkeit könnte der Eindruck entstehen, daß beide nur als Prozeßziele .und nicht funktional, von ihrem "Voraussetzungscharakter"38 her zu verstehen sind. Die richterliche Aufklärungspflicht besteht nicht absolut. Sie muß Tatsachenforschung auf justizförmigem Weg sein. Wahrheitserforschung im Strafprozeß ist empirisch und normativ begrenzt. Wahrheitserforschung um jeden Preis gibt es in rechtlich geregelten Verfahren nicht. Auch die verfahrensspezifischen Beschränkungen der Wahrheitssuche gehören zum Prozeßziel eines gerechten Urteils. Wenn Wahrheit nicht nur Prozeßziel ist, sondern auch die Voraussetzung eines gerechten Urteils, das als "Endzweck"39 des Verfahrens den Wahrheitsbegriff prägt, so kann es auch nur eine eingeschränkte Gerechtigkeit geben. Wahrheit und Gerechtigkeit sind also deshalb gleichermaßen relativ, weil sie in einem wechselseitigen Verhältnis der Beschränkung stehen. Die Formel "Gerechtigkeit durch Wahrheit"40 ist daher nicht nur ein großes Wort:u Sie ist auch ungeeignet, die begrifflichen Dimensionen der Wahrheit abzustecken. Vielleicht rührt dies daher, daß jeder Akt der Wahrheitserforsch.ung an dem Handlungsziel des Prozesses orientiert ist, Wahrheitsbegriff und Wahrheitsforschung also durch Prozeßziele beeinflußt werden. Es grenzt aber an akrobatische Begriffsver98 ZippeHus (1974), S. 20, 29, unterscheidet bei seinen Ausführungen über das Richtmaß gerechter Entscheidungen zwischen dem psychischen Akt des Wertens und ätiologischen Erfahrungsinhalten, auf die sich ein Konsens beziehen müsse, wobei fraglich sei, ob bei nur partieller Konsensfähigkeit der Ergebnisse eines Wertempirismus ein Anspruch auf Wahrheit erhoben werden könne; vgl. auch Adomeit, JuS 1972, 632. 37 Krauß (1975 b), S. 411, 412. Henkel (196B), S. 104, meint, es liege an der Konsequenz der Instruktionsmaxime, daß das Strafverfahren der Erforschung materieller Wahrheit dient; Müller-Dietz, ZfEvEth 1971, 260, hält es für die Aufgabe des Richters, die objektive Wirklichkeit, das tatsächliche Geschehen zu ermitteln. 38 Müller-Dietz, ZfEvEth 1971, 261. 39 Müller-Dietz, ZfEvEth 1971, 264. 40 RGSt 72, 157 f.: "Das Strafverfahren dient der Rechtsfindung. Diesen Zweck kann es nur erreichen, wenn es auf der Wahrheit aufgebaut ist." 41 Müller-Dietz, ZfEvEth 1971, 264.

1.

26

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

wirrung, wenn man eigentliche Prozeßziele einführt, die den Wahrheitsbegriff und die Wahrheitsforschung zwangsläufig modifizieren sollen. 42 Zwar wird die Ansicht vertreten, daß die Aufgabe des Richters nicht in erster Linie an der Wahrheit orientiert sein könne, weil er als Dogmatiker etwas will und nicht etwas wissen will. 43 Die Notwendigkeit, im Prozeß bestimmte Sachverhalte zu regeln, also Entscheidungen zu produzieren, muß aber nicht dazu führen, daß Wahrheit im Prozeß nicht festgestellt wird und das ,für Recht erkannt' zur eleganten Fiktionsformel wird." Der Strafrichter befindet sich nicht in der glücklichen Lage, in der sich der wissenschaftliche Forscher befindet: "frei und ex vinculis forschen zu dürfen"." Allerdings sind es nicht nur die strenge Tatbestandstechnik des StrafrechfsU und die prozessualen Regeln, die zu der Aussage verleiten könnten, daß das Gesetz selbst dem Richter da und dort den Weg versperrt47 , ihn also an der Aufdeckung der objektiven und historischen Wahrheit hindert. Auch die statische Betrachtungsweise des Verfahrens hat hier eine Bedeutung. Sie führt dazu, daß die Tat einen Fixpunkt im Leben des Täters darstellt, der zwar von der Lebensgeschichte des Täters nicht völlig isoliert ist, aber doch nur eine Momentaufnahme aus seinem Leben darstellt, der Film als Ganzes also unbelichtet bleibt.4a Soll dabei die richterliche Entscheidung eine Erkenntnis sein, die kein vom Willen und Gefühl bestimmter Akt ist, sondern ein vom Denken kontrollierter und vom Verstand begründeter Wahrspruch'9, so muß fraglich sein, ob mit jeder Entscheidungsfindung eine voluntative Verfälschung objektiver Erkenntnis vorgegeben ist. 50 Bejaht man dies, so wäre die Brauchbarkeit des sogenannten empirischen Wahrheitsbegriffes betroffen.51 Die Rechtswissensch;ift kann die Kriterien exakter Wahrheitsbegriffe nur schwer erfüllen. 1i2 Ungewiß ist, ob ein pragmatischer Wahrheitsbegriff deshalb 42 43

44 45

So aber Krauß (1975 b), S. 412. Adomeit, JuS 1972,632. Kritisch Müller, Leviathan 1977, 531 f. Adomeit, JuS 1972, 632. Beting (1968), S. 1.

Müller-Dietz, ZfEvEth 1971, 266. BeUng (1968), S. 1. 48 MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 266. 49 Spendel, JuS 1964, 466. 50 Krauß (1975 b), S. 412; WiHms (1977), S. 144, meint, der Richter müsse auf die Wirklichkeit bauen, um gerecht entscheiden zu können. Müller-Dietz, ZfEvEth 1971, 264, hält es für die grundsätzliche Frage, ob der Zweck des 48

47

Verfahrens nicht zugleich auch die richterliche Erkenntnis verändert. Dies verberge im Grunde die Problematik des prozessualen Wahrheitsbegriffs, die kaum anders als von den Schranken der Erkenntnismöglichkeiten her erörtert werde. 5t Hierzu Schmidt, JuS 1973, 204 ff.

1.2. Prozeßspeziftsche Modifizierungen des Wahrheitsbegriffs

27

ein Fortschritt sein kann, weil er den Kontext der Redesituation, in der die Äußerung ,wahr' oder ,falsch' steht, als Akt gemeinsamer Problembewältigung durch verschiedene Subjekte mitberücksichtigt.63 Gehört das Wahre nicht der Seins-, sondern der Wertsphäre an, ist es also nicht, sondern gilt esM, so ist nicht nur die Differenzierung zwischen "formal Wahrem, also Richtigem" und "eigentlich Wahrem" geboten. 65 Die objektive Wahrheit, verstanden als vollständige Einsicht in vergangenes und gegenwärtiges Geschehen ist vielleicht nicht ein in allen Punkten begründbares Ereignis. Als Gegenstand von Fragen und als mögliches Ziel des Strafverfahrens muß sie denkbar sein.li6 Gerade der Wertbezug der mit prozeßspezifischen Mitteln aufgedeckten Wahrheit erfordert auch, wahre Aussagen über das Recht zu entwikkeIn. Es handelt sich um eine besonders schwierige Aufgabe. Das Gesetz verwendet in § 244 II StPO den Begriff der Wahrheit, ohne ihn normativ zu beschreiben. Wenn der materielle Wahrheitsbegriff eine übergeordnete rechtsstaatliche Funktion haben so1l61, so kann eine Definition des im Gesetz eingeführten Begriffs der Wahrheit nur gelingen, sofern man den Bereich des Normativen verläßt und aus der Distanz metanormative Beobachtungen über die Rechtsordnung notiert. Eine Distanzierung ist notwendig, weil sie dem Unterschied von Wollen und Erkennen, von theoretischer und praktischer Vernunft entspricht.S8 Es geht nicht nur darum, ob die Befolgung strafprozessualer Regeln zu einer Richtigkeit als Produkt eines einwandfreien Erkenntnisprozesses im Sinne allgemeiner Logik führt, und so der kantischen "negativen Bedingung aller Wahrheit"69 entspricht. Ist das Erkenntnisziel des Verfahrens mehr als logische oder praktische Richtigkeit, nämlich "inhaltliche Wahrheit"60, dann ist nicht einsichtig, welchen begrifflichen Erklärungswert ein funktionaler Wahrheitsbegriff haben kann. Zudem ist unklar, wie verhindert werden soll, daß die Finanlstruktur der Wahrheit selbst zum möglichen Einfallstor aller erdenklichen Manipulierungen an der Objektivität der Erkenntnis wird.~11 52 Adomeit, JuS 1972, 631, der den reizvollen Gedanken äußert, die Gesetzessammlung von Schönfelder als das wahrheitshaltigste unserer Bücher zu bezeichnen. 53 So Schmidt, JuS 1973, 206.

54 55

56 57

58 58 80 81

Spendel, JuS 1964, 465.

Zu diesen Unterscheidungen Bloch (1971), S. 19. Richtig Krauß (1975 b), S. 412. So Volk (1980), S. 17. Adomeit, JuS 1972, 632. Kant (1968), S. 103 f. Spendet, JuS 1964, 466, FN 9. Krauß (1975 b), S. 413.

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

28

Von diesen Bedenken her sind kritische Fragen an die Art der Wahrheitsermittlung im Strafprozeß angebracht. Falls man, wie Volk es tut, die Beweismittel nicht lediglich als Vermittler empirischer Verläßlichkeit ansieht62 , sondern sie als Gegenstand "moralischer Arbeit"63 des Richters bezeichnet, muß besonders der empirische Wahrheitsbegriff, letztlich das Prinzip der materiellen Wahrheit, betroffen sein. Will man richterlichen Feststellungen Wahrheit dann zusprechen, wenn sie von richterlicher überzeugung getragen sind, der Richter sich also subjektiv vergewissert hat64 , so ist das Ergebnis dieses Prozesses in der Tat nicht mit den Kriterien empirischer Wahrheitssuche erfaßbar und überprüfbar. Selbst unter der Annahme, daß der Prozeß der Rechtsfindung in der subjektiven überzeugungsbildung des Richters ausläuft und sich den objektivierenden Regeln wissenschaftlicher Verläßlichkeit weitgehend entzieht und dies wiederum die "unangefochtene Prämisse des Verfahrens"86 ist, wird die methodische Kritik, die Opp68 gegenüber der richterlichen Vernehmungstechnik geltend gemacht hat, nicht entkräftet.67 Für Krauß hat die Vernehmung keine wissenschaftliche Zielsetzung, weil sie eine andere Wahrheitsvorstellung als der Forscher habe und sie sich im Anspruch an die Richtigkeit des Ermittelten unterscheide. 68 Subjektive Gewißheit des Richters, nicht objektive Verläßlichkeit wird als das Ziel der Beweisaufnahme angesehen. Der Weg zu diesem Ziel wird als so vorgeschrieben empfunden, daß die subjektive Gewißheit als Ausnahm.e rangieret9 • Dieser Befund rechtfertigt nicht die Ablehnung des Vorschlags von Opp, Erkenntnisse soziologischer Interviewforschung für den Strafprozeß nutzbar zu machen. Das Forscb.ungsinstrument des Interviews, verstanden als "planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchspersonen durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen In82 63

Volk (1980), S. 13. Volk (1980), S. 8; Perelman (1967), S. 151, erlaubt dem Richter nicht,

nur Tatsachen (für sich) selbst sprechen zu lassen, sondern fordert eine Stellungnahme. 64 Eine von niemandem anzweifelbare Gewißheit wird nicht gefordert: BGH v. 5.12.1950 in NJW 1951, S. 81; vgl. auch RGSt 15, 151 (153); 58, 130 (161); 61, 202 (206); 66, 163 (164 f.). 65 So Krauß (1975 b), S. 416. 68 Opp, KritJ 1970, 383 ff. 87 Vgl. im einzelnen auch Krauß (1975 b), S. 413 ff. 88 Krauß (1975 b), S. 414. 68 Krauß (1975 b), S. 414; Volk (1980), S. 11, 18, läßt deutlich werden, worum

es angeblich geht: Urteile sollen autoritative Wahrsprüche, nicht Bestandsaufnahmen der Wahrscheinlichkeit sein; richterliche überzeugung sei also kein irrationales Relikt im empirischen Niemandsland zwischen Wahrscheinlichkeit und Wahrheit, sondern ein Element normativer Legitimation.

1.2. Prozeßspeziftsche Modiftzierungen des Wahrheitsbegriffs

29

formationen veranlaßt werden sollen"70, kann nach einer prozeßspezifischen Interpretation geeignete methodische Ansätze für die Sachverhaltsaufklärung liefern. Insbesondere steht § 69 StPO einer gezielten Befragung des Sachverständigen nicht entgegen. Schon die thematische Begrenzung des Gutachtenauftrags erfordert in der Hauptverhandlung eine Vernehmungstechnik, die undifferenzierte Fragestellungen vermeidet. Damit wird das Dialogprinzip der Hauptverhandlung nicht berührt. Hier ist die Kritik von Opp71 unbegründet, da die erforderliche Kommunikationsfähigkeit bei Sachverständigen unterstellt werden kann. Fordert man aber, daß Tatbestandsbeschreibungen und Wertungen verfahrensgemäß, also verhandlungsfähig sein müssen, Schuld in ihren empirischen Voraussetzungen, ethischen und sozialen Prämissen für die Beteiligten sprachlich faßbar sein muß, ist das Dialogverfahren der StPO mit der einseitigen überzeugungsbildung des Richters im Hinblick auf die Erforschung objektiver Wahrheit nicht optimal. Bessere und realisierbare Modelle sind jedoch nicht in Sicht. Die Befürchtung ist nicht ganz abwegig, daß die dogmatischen Konstruktionen des materiellen Rechts zu einer systematischen Verkürzung von Problemen führen und schwierige Fragen der Empirie definitorisch beseitigen.72 Selbst wenn z. B. die Kategorien Vorsatz, Absicht und Fahrlässigkeit als normative Raster psychologische Sachverhalte unter erheblichem Verlust der Realität modifizieren und der Prozeß diese "Retuschierungen des materiellen Rechts"73 konsequent weiterführt, so können die Bedingungen des prozessualen Dialogs trotzdem die Einsichten in das Wesen der jeweiligen Straftat bestimmen. Das Verfahrensprogramm der StPO verweist auf das materielle Strafrecht, ohne daß der einzelne Straftatbestand in seiner prozessualen Bedeutung ein "Vergleichsmaßstab der Wahrheit"74 sein muß. Maßgeblich ist, welche inhaltlichen und begrifflichen Konsequenzen der Umstand hat, daß die freie richterliche Überzeugung Grundlage des Strafurteils ist. Folgt daraus tatsächlich, daß das Ergebnis der Beweisaufnahme Verhandlungsgegenstand ist, so führt das nicht nur zu einer dem wissenschaftlichen Interesse zuwiderlaufenden Simplifizierung. 76 Sind Wahrheit, Richtigkeit und Vollständigkeit nicht die einzigen Kriterien richterlicher Tätigkeit, dann verfolgt die Konstruktion von Wahrheit in Entscheidungsvorgängen nur eine begrenzte Rationa70

71

7! 73

74 75

Scheuch (1973), S. 136.

Vgl. im einzelnen dazu Krauß (1975 b), S. 414 ff.

Krauß (1975 b), S. 419. Krauß (1975 b), S. 426. Käßer (1974), S. 3; anders Krauß (1975 b), S. 423. Krauß (1975 b), S. 419.

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

30

lität.76 Soweit juristisches Denken beansprucht, Wahrheit herzustellen, folgt aus der Strategie des konsonanten Argumentierens, daß Fakten und Normen in Richtung einer vorgegebenen Problemlösung manipuliert werden, um der Entscheidung die Basis einer scheinbaren empirischen Evidenz zu verschaffen. 77 Solche Wahrheitskonstruktionen sind möglicherweise nichts anderes als Machtausübung: "Der Entscheider als Machthaber setzt mit symbolischen Mitteln (Berufung auf Fakten und Normen) seinen Willen durch"78. Aufgrund der Formalisierung richterlicher Faktenfindung gelangen Auskunftspersonen in formalisierte Informationsrollen. Bei der Wahrheitskonstruktion kommt es darauf an, wer eine Information gibt und welche Rolle der Informant im Prozeß haU' Schopenhauer8° eignet sich aufgrund seiner ;Überlegungen zur Welt als Vorstellung .und Wille nicht zum geistigen Paten der StPO. Gerechtigkeit gründet auf Tatsachen. Wahrheit als Konstruktionsproblem, Wahrheitskonstruktion als Machtausübung, Macht als Fähigkeit, seinen Willen gegen den Widerstand anderer durchzusetzen.sl Das sind Denk- und Verhaltensschemata, die den empirisch gewonnenen Erkenntnissen eines Sachverständigen im Strafverfahren kaum eine Bedeutung zubilligen können. Es soll nicht bestritten werden, daß das auf Schuldspr.uch und Vergeltung zugeschnittene Programm des Strafverfahrens eine bestimmte Auswahl und Wertung der Fakten bedingt.82 Richtig ist, daß das Prinzip der materiellen Wahrheit allen gegenteiligen Versicherungen zum Trotz nicht einmal als Ziel des Verfahrens uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann. Entgegen der Auffassung von KraujJ83 muß aber schon zweifelhaft sein, ob Wahrheit nur in dem sehr begrenzten Rahmen einer Schuld des Angeklagten gefragt ist. Das konditionale Programm des Strafrichterg84 erfordert eine Orientierung an empirisch gewonnenen Fakten. Dies dient keineswegs dem Zweck, das umfassende Verifikationsbedürfnis von Empirikern zu befriedigen. so Es geht nicht um die Sammlung möglichst vieler Daten und 78

77 78 79

80

Lautmann (1972), S. 21. Hierzu Lautmann (1972), S. 162 ff. Lautmann (1972), S. 165. Lautmann (1972), S. 52. Schopenhauer (1949), § 1, S. 3, hält den Satz "Die Welt ist meine Vor-

stellung" für eine Wahrheit, die apriori ausgesprochen werden könne. 81 Weber (1976), Kap 1, § 16: Macht ist "jede Chance, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance be-

ruht". 82 MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 270. 83 Krauß (1975 b), S. 427. 84 Ausführlich Luhmann (1978), S. 130 ff. 85 MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 270.

1.2. Prozeßspezifische Modiftzierungen des Wahrheitsbegriffs

31

Fakten. Totale Quantitäten sind keine Garantie für Wahrheit. Sie kündigen nur Totalitäten an. Totale Persönlichkeitsanalyse führt zur Persönlichkeitsdefonnation.86 Gründet der Schuldspr.uch nicht auf objektiver oder empirischer Wahrheit, sondern auf dem Ausschluß des Zweifels vor Gericht, so würde dies die Preisgabe des Ideals objektiver Einsicht bedeuten. Das gilt auch, wenn dem Verfahrensprogramm der StPO das Bestreben unterstellt wird, den subjektiven Vorgang richterlicher überzeugungsbildung intersubjektiv nachvollziehbar zu machen und sich so mit der Prüfplakette der Rationalität einer Legitimation durch Wahrheit zu nähern.87 Das Prinzip der materiellen Wahrheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß Wirklichkeit und Wahrheit nicht deckungsgleich sind. Daraus kann kein Vorwurf an die normativ programmierte Erkenntnisweise des Gerichts abgeleitet werden. Die neuere Wissenschaftstheorie hat nämlich gezeigt, daß sich auch die empirischen Wissenschaften nicht auf Erfahrung als sichere Grundlage berufen können.88 Reine Beobachtungen gibt es nicht. Sie werden von Theorien geleitet.89 Wirklichkeit kann systematisch nur anhand von Hypothesen90 beobachtet werden. Eine voraussetzungsfreie objektive Erfassung der Wirklichkeit ist unmöglich, da wissenschaftliche Erkenntnis stets vorstrukturiert ist.9l Gleichwohl ist empirisch erfahrbare Wirklichkeit möglich. Die entsprechenden Daten beinhalten Annäherungswerte an Wahrheit. Der Funktionswert der freien Beweiswürdigung für die Wahrheitsennittlung bemißt sich danach, ob sich dieses Prinzip in die dialogische Struktur des Verfahrens einpaßt.92 Das heißt, daß die Beweiswürdigung auch einen Kommunikationswert haben muß. Anderenfalls könnte das Verfahren zu einem pathologischen Prozeß degenerieren, in dem nur MillZer-Dietz, ZfEvEth 1971, 270. Krauß (1975 b), S. 425. 88 A~bert (1972), S. 13 f. 89 Popper (1973), S. 76. uo Vgl. Schreiber, ZStW 88 (1976), 123, für den sich aus diesem Umstand kein

88 87

Grund ergibt, das relative Recht der Induktionen bei der Bildung von Hypothesen zu bestreiten. Zur Bedeutung der Hypothesen Atteslander (1974), S. 16. V1 Vgl. Albert (1972), S. 14, FN 26: "Auch unsere Alltagssprache ist durch und durch theoriegeprägt, wenn nicht durch moderne, dann eben durch frühere Theorien, die längst dem Erkenntnisfortschritt zum Opfer gefallen sein mögen." Zum normativen Bezug der objektiven Methoden Schreiber, ZStW 88 (1976), 124. Instruktiv De Giorgi (1980), S. 16 ff. 9! Hierzu Calliess (1974), S. 99 ff., der sich nach dem Eindruck von Schreiber (1976), S. 82, zwar von der Vorstellung des Strafprozesses als herrschaftsfreier Kommunikation im Sinne Rottleuthners distanziert, aber seinen Begriff von der dialogischen Struktur der Prozesse weit überzogen und in formelhafter Verwendung beinahe zu Tode geritten habe.

32

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

zerbrochene Kommunikation stattfindet." Auch für das Verhältnis zwischen den empirisch orientierten Sachverständigen und dem Gericht bedeutet das nicht, daß sich das Verfahren auf kommunikative Übereinstimmung verlassen muß.N Die Verständigung zwischen Sachverständigen und Gericht ist unter den geltenden Verfahrensregeln nicht in einer ungezwungenen Sprechgemeinschaft möglich, in der die Bedingungen vernünftigen Redens erfüllt sind. 90 Daraus folgt nicht, daß Normen ungebrochen durchgesetzt werden, was RottZeuthner als die objektive Funktion der Justiz ansieht. Durch Strafe wird nicht nur zynisch die Asymmetrie einer in antagonistischen Interessen und Strategien zerstörten und durch pathologische Rollen gewaltsam aufrechterhaltenen Interaktion verschleiert. 96 Wie Schreiber richtig ausführt, finden sich im Prozeß Beziehungen, die nicht in handlungsleitenden Normen erfaßt bzw. auch gar nicht erfaßbar sind.97 Die §§ 244 11 und 261 StPO vermögen das Verhältnis zwischen Gerichten und Sachverständigen nur .unvollkommen zu beschreiben. Aufschluß über die besonderen Beziehungen zwischen Wirklichkeit und Wahrheit, Sachverständigen und Richter könnte daher eine metanormative Betrachtung liefern. Das erfordert eine wissenschaftstheoretische Untersuchung des Wahrheitsbegriffs und der psychologischen Mechanismen der Beweiswürdigung. So könnte deutlich werden, daß Wahrheit als übereinstimmung zwischen Wirklichkeit und Vorstellung nicht identisch ist mit der Inszenierung einer Abstimmung zwischen Gericht und Sachverständigen. Ein Kompromiß der Verfahrensbeteiligten darf Wahrheitsfeststellung nicht ersetzen.

Volk glaubt, es sei pragmatisch richtig, wenn das Strafrecht als Instrument der Sozialkontrolle die von ihm als Alltagstheorie bezeichnete Korrespondenztheorie übernimmt.tB Die vorliegende Untersuchung will sich mit dieser Konzeption nicht begnügen. Das Verständnis von 93 Vgl. die Kritik von Rottleuthner, KritJ 1970, 82, 83, der das Strafverfahren für das Gegenbild einer gelungenen Kommunikation hält; nach dem Eindruck von Schreiber (1976), S. 82, ist die Alternative zu Rottleuthners Modell nicht ein rigider Normdruck, die Abweisung jeder Beteiligung des Betroffenen und eine richterliche Situationsherrschaft mit dem Ziel des Rollentodes des Angeklagten, sondern die Verbesserung der BeteiJigungschancen. U Im Verhältnis Gericht-Beschuldigter ist das schon deshalb einsichtig, weil, wie Schreiber (1976), S. 80, richtig feststellt, das Verfahren auch zu Sanktionen gegen den Willen des Angeklagten führen können muß; im Verhältnis zum Sachverständigen würde der Zwang zur übereinstimmung einem Einbruch in die richterliche Entscheidungskompetenz gleichkommen. Allgemeiner Nichterlein, DRiZ 1982, 242. 95 Hierzu Rottleuthner, KritJ 1970, 87 f. 98 So aber Rottleuthner, KritJ 1970, 83 f. 97 Schreiber, ZStW 88 (1976), 118. 98 Volk (1980), S. 7.

1.3. Begriff

33

Wahrheit als übereinstimmung zwischen Wirklichkeit und Vorstellung ist, wie Volk auch zugesteht, der beklagenswert naive Vers.uch, eine Korrespondenztheorie der Wahrheit zu etablieren. Dies trifft nicht nur aus wissenschaftstheoretischen Gründen zu, sondern ist auch nach den Maßstäben der Prozeßpraxis falsch. Naivität soll das Selbstverständnis dieser Untersuchung nicht prägen. Alltagstheorien stigmatisieren nicht unmittelbar. Hierin unterscheiden sie sich von sozialen Vorurteilen.19 Jede Art von Vorurteil begründet die Versuchung, sich die Wahrheitsfindung zu ersparen. Alle Vorurteile stören oder verhindern ein Erkenntnisverfahren. Deshalb ist das Bemühen um begriffliche Konturen der Wahrheit notwendig und eine Unters.uchung über die Tauglichkeit von Wahrheitstheorien als Prüfungsbedingungen geboten. 1.3. Begriff

Die Rechtsprechung beschäftigte sich mit den begrifflichen Elementen der Wahrheit immer im Zusammenhang mit Gegenstand und Ziel richterlicher überzeugungsbildung. Ausgangspunkt der überlegungen des Reichsgerichts war die Ansicht, daß objektive Wahrheit nur gedanklich vorstellbar sei. Ihr Nachweis durch menschliche Erforschung und Erkenntnis wurde für unmöglich gehalten, weil sie an die erkennende Person gebunden und deshalb von Natur aus subjektiv, also relativ sei. Auch dem Richter sei die Findung absoluter Wahrheit verschlossen. Er könne sich nur aufgrund der Abwägung des Für und Wider zu einer für sein richterliches Gewissen gültigen, also subjektiven oder relativen Wahrheit in Form der richterlichen überzeugung durchringen. lW Eine von niemandem anzweifelbare Gewißheit wurde nicht gefordert. Der an Gewißheit grenzende Grad von Wahrscheinlichkeit sollte ausreichen. lOI Absolut sicheres Wissen, demgegenüber das Vorliegen eines gegenteiligen Tatbestandes absolut ausgeschlossen ist, sei der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen. Eine Sicherheit so hohen Grades könne nicht verlangt werden, weil dann Rechtsprechung nahezu unmöglich werde. Der Richter habe sich mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zu begnügen, wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Mittel der Erkenntnis entsteht. 102 Die Schlußfolgerung des Reichsgerichts war: "Ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit gilt als 88

Lautmann (1972), S. 22.

RGSt 66, 163 (164 f.). RGSt 15, 151 (153); 58, 130 (161); vgl. auch BGH v. 5.12.1980 in NJW 1951, 81. 102 RGSt 61, 202 (206). 100 101

3 Hetzer

34

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

Wahrheit, und das Bewußtsein des Erkennenden von dem Vorliegen einer so ermittelten hohen Wahrscheinlichkeit als die überzeugung von der Wahrheit. "1413 Der 3. Strafsenat des Reichsgerichts ist der oben zitierten Entscheidung des 1. Strafsenats entgegengetreten. Er hielt die Kennzeichnung der an das subjektive Erkennen gebundenen relativen Wahrheit als höchstmögliche Wahrscheinlichkeit für begrifflich schief und ungenau. 104 Ohne nähere Begründung betrachtet Volk die Entscheidung des 1. Strafsenats als überwunden. Er kommt zu dem Ergebnis, daß auch hochgradige Wahrscheinlichkeit der subjektiven Gewißheit nicht gleichsteht. lOS Der Richter dürfe ein wahrscheinliches Geschehen für wahr halten, wenn ein nach der Lebenserfahrung hohes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr laut werden können. Fincke hingegen glaubt nicht, daß die Entscheidung des Reichsgerichts obsolet ist. 106 Er sieht hierin lediglich die Bekräftigung der ständigen Judikatur, wonach die Gewißheit neben der Wahrscheinlichkeit keine selbständige Kategorie darstellt. Für ihn ist Wahrheit das Verhältnis der Identität zwischen Beschuldigung und Wirklichkeit, die zwar Untersuchungsziel, aber weder prozessuale noch materiellrechtliche Voraussetzung des Schuldspruchs sei. Die Verurteilung verlange vielmehr nur überzeugung, die ein Oberbegriff für Gewißheit und Nichtbezweiflung sei. Die Möglichkeit von Z~ifeln sei impliziert, weil Gewißheit diejenige Spielbreite hohen intersubjektiven Verdachts bezeichne, die es im Sozialleben erlaube, bei wichtigen Entscheidungen von der Wahrheit der These auszugehen. Im Ergebnis hält er objektive Gewißheit für einen Teil der Wahrscheinlichkeit, weil es kein Merkmal gebe, das sie von ihr scheiden könnte. 1G7 Der BGR ist der Auffassung, daß die Entscheidung des 1. Strafsenats des Reichsgerichts den Grundsatz des § 261 StPO nicht zutreffend wiedergibt. loB In dem Urteil des 2. Strafsenats v. 9.2.1957 wird die persönliche Gewißheit für eine Verurteilung als notwendig, aber auch genügend bezeichnet. Es wird eingeräumt, daß im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müßten, verschlossen bleibt. 108 10' 105

101 107

108

RGst 61, 202 (206). RGSt 66, 163 (165). Volk, GA 1973,174. Fincke, GA 1973, 266. Fincke, GA 1973, 272. BGHSt 10, 208 (210).

1.3. Begriff

35

Die Argumentation der Rechtsprechung macht deutlich, daß Begriffsbildung nicht mit der gebotenen Trennschärfe betrieben wurde. Wahrscheinlichkeit, Wahrheit und Überzeugung stehen mit der Wirklichkeit und ihren einzelnen tatsächlichen Elementen in einem teilweise verschränkten und komplexen Verhältnis. Das vielschichtige Beziehungsgeflecht, in dem die mit prozeßspezifischen Mitteln entdeckte bzw. entwickelte Wahrheit steht, muß aufgelöst werden, damit die begrifflichen Merkmale der Wahrheit erkennbar werden. Zum einen kann Wahrscheinlichkeit nicht als Wahrheit gelten, weil damit das Unbewußte im praktischen Leben möglicherweise ausgeschaltet wäre. Zum anderen kann der notwendige hohe Wahrscheinlichkeitsgrad nicht bloß durch die höchstmögliche Erschöpfung der Erkenntnismittel bestimmt werden. Zu Recht stellt Fincke fest, daß die Argumentation des Reichsgerichts an einer unnötigen begrifflichen Provokation leidet. Auch die Position des BGH überzeugt nicht. Nach seinem Gedankengang ist die individuelle überzeugung weder positiv noch negativ an die Gewißheit im Sinne höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit gebunden. Sehr bedeutungsvoll ist dabei für den Sachverständigenbeweis, daß der Tatrichter den Grenzen des Denkens und der Erfahrung unterstellt sein soll: " ... wo eine Tatsache auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnis feststeht, ist für eine richterliche Feststellung und Überzeug.ungsbildung naturgemäß kein Raum mehr".lot Wahrheit ist keine Voraussetzung der Wahrscheinlichkeit. Die Behauptung, daß naturwissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse der richterlichen überzeugungsbildung überhaupt entzogen sein sollen, gehört im Rahmen der Gewißheit nicht zu deren Natur als Wahrscheinlichkeits-, sondern als Normalurteil. 110 Daher ist es in der Tat gerechtfertigt, extrem gut gesicherte Erkenntnisse der Beweiswürdigung wegen der Augenfälligkeit des Normalurteils zu entziehen. Dieses Ergebnis leitet sich aus der Tatsache ab, daß naturwissenschaftlich: gewonnene Erkenntnisse zwar einen hohen Bestätigungsgrad erreichen, aber nie die Kategorie der Wahrscheinlichkeit verlassen können. Zwar gilt dies nicht für grundlegende Sätze der Logik. Aber auch diese führen in Verbindung mit Indizien wiederum nur zu Wahrscheinlichkeitsschlüssen. Daher ist das Argument des BGH zur Rolle naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in der richterlichen überzeugung falsch plaziert. Die Kategorie der Wahrscheinlichkeit erklärt im Rahmen der richterlichen überzeugung nicht, warum gewisse empirische Daten nicht Gegenstand der freien Beweiswürdigung sein sollen. Immerhin konnte die Rechtsprechung andeuten, daß Wahrheit als Begriff ein komplementäres Substrat aus physischen oder auch psy100 110

BGHSt 10, 208 (211). So zutreffend Fincke, GA 1973, 257.

36

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

chischen Eigenschaften (Tatsachen) und subjektiven Wahrnehmungsergebnissen ist. Diese Formel ist weiter als der Ansatz der "adaequatio intellectus et rei". Danach soll es falsch sein, vom Seienden zu sagen, es sei nicht, und vom Nichtseienden, es sei. Wahr soll es sein, vom Seienden zu sagen, es sei, und vom Nichtseienden, es sei nicht. A ristoteles zog die Konseq.uenz: "Also wird jeder, der sagt, etwas sei, oder sagt, etwas sei nicht, entweder falsch oder wahr reden. "111 Das ist zwar schlüssig und klingt überzeugend. Es führt bei der Bestimmung der begrifflichen Merkmale von Wahrheit aber nicht weiter. Die übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit bedarf als soziale Tatsache kriterienorientierter Feststellung. Dazu bietet die These von A ristoteles aber keine Anknüpfungspunkte. Nicht wesentlich ergiebiger ist der Gedanke von Kant, wonach ein Gegenstand von anderen dadurch unterschieden werden könne, daß Wahrheit in der übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand besteht,,, ... denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstande, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, ob sie gleich etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte".112 Auch hier ist die Kategorie der übereinstimmung nicht geeignet, Aussagen über die Inhalte der Erkenntnis, bzw. deren Wahrheit oder Falschheit nach einem differenzierten Muster zu entwickeln. Anknüpfend an Wahrscheinlichkeit gelangte man zu einem qualifizierten Wahrheitsbegriff. Etwas wäre mehr oder weniger wahr bzw. falsch. Soll die richterliche überzeugung eine wirklichkeitsorientierte Erkenntnis sein, ist die übereinstimmung im Sinne von Kant kein geeigneter Maßstab dafür, ob das Urteil auf wahren, d. h. mit der Wirklichkeit identischen Feststellungen beruht. Übereinstimmung ist eine Urteilskategorie, also Fe_ststellung eines Ergebnisses, kein Kriterium. Kriterien, die den begrifflichen Umfang der Wahrheit beschreiben könnten, werden auch nicht durch eine Analyse symbolischer Sprachen auf mengen theoretischer Grundlage entwickelt, wie dies von Rödig versucht wurde. 113 Rödig bietet nicht deshalb einen "belachenswerten Anblick"114, weil die Regeln moderner Logik für die Beantwortung der Frage "Was ist Wahrheit?" keinen tauglichen Lösungsansatz bieten oder weil die Pilatusfrage zeitlos und banal zugleich ist. ll5 Die Vor111 Aristoteles (1951), M 7. Ähnlich auch Engisch (1963), S. 6: "Wahrheit ist übereinstimmung einer Aussage... mit dem Sachverhalt, der in der Aussage ausgesagt wird." 112 Kant (1968), S. 103. Zu synthetisch-apriorischen Urteilen Essler, NHfPhil. 1972,68 ff. 118 Rödig (1973), S. 134. 114 Kant (1968), A 58, B 82 f. 115 Diese Einschätzung von MüHer-Dietz, ZfEvEth 1971, 257, ist nur inso-

1.3. Begriff

37

stellung, daß ein Satz - unter der Voraussetzung einer gegebenen Interpretation - genau dann wahr sei, wenn es sich wirklich so verhält, wie er es sagt, der Satz also dann wahr sei, wenn er die Wirklichkeit so beschreibt, wie sie ist, eröffnet keine neuen oder weiterführenden Perspektiven. Zum einen drückt diese Formulierung nichts anderes aus als das scholastische Prinzip "adaequatio intellectus et rei". Zum anderen zeigt die folgende Überlegung, daß mit dieser Formel keine begriffliche Annäherung an Wahrheit möglich ist: Wenn eine Behauptung dann wahr ist, wenn es sich wirklich so verhält, so ist das definiens (Wahrheit) bis auf das Wort ,wirklich' eine Wiederholung dessen, was definiert werden sollte. 116 Das Problem wird also von der Bestimmung des Begriffs Wahrheit auf die Bestimmung des Begriffs der Wirklichkeit verschoben. Bei dem Versuch, den Begriff der Wahrheit nur in einer einzigen Sprache zu bestimmen, entsteht demzufolge eine gedankliche Kreisbewegung. Das bedeutet: Will man Wirklichkeit nicht durch sich selbst definieren, ist man genötigt, sich des Begriffs Wahrheit zu bedienen. Etwas verhält sich wirklich in einer bestimmten Weise, wenn es wahr ist, daß es sich so verhält. So wird Wahrheit durch sich selbst definiert. Daraus könnte man ableiten, daß Wahrheit nur als Eigenschaft objektsprachlicher Aussagen definiert werden kann und nicht als eine Eigenschaft der durch diese Aussagen ausgedrückten Ckdanken. Dieses Ergebnis würde lediglich den Begriff relativer Wahrheit zulassen, der nur als Element formaler Sprachen verwendbar ist. Hier kann leider nicht untersucht werden, ob etwa der Wahrheitsbegriff formalisierter Sprachen für den exakten Aufbau der Semantik logischer Kalküle und die moderne Logik insgesamt unentbehrlich ist117• Damit würde der thematische Rahmen unserer Abhandlung gesprengt. Die Verbindung der überlegungen Rödigs zu symbolischen Sprachen auf mengentheoretischer Grundlage mit Wahrheitswertfunktionen liefert jedenfalls keine begrifflichen Annäherungswerte im Grenzbereich zwischen relativer und absoluter Wahrheit. Es ist unwichtig, ob schon allein die verbale Einbeziehung der Wahrheit in den Prozeß der richterlichen überzeugungsbildung zu einem unnützen Zweck erfolgt und sie deshalb als Grenzwert der Wahrscheinlichkeit nicht die Funktion einer Bezugsgröße haben kann. 118 Entscheidend ist vielmehr, daß Wahrweit richtig, als hier der Grundsatz nicht gilt, nach dem die Art der Fragestellung die Antwort impliziert. Dazu Tenckhoff (1980), S. 95 ff. 116 Das erkennt auch Rödig (1973), S. 154. 117 Vgl. StegmüHer (1969), S. 6 ff. 118 Vgl. Ekelöf, ZZP 75 (1962), 291, 295, und die Kritik von Fincke, GA 1973, 271, FN 23. Das Reichsgericht wandte sich gegen den Begriff Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit der wegen der Subjektivität der Erkenntnis "relativ" genannten Wahrheit und betonte den Faktor der Zwei-

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1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

heitswertfunktionen, die zur Interpretation molekularer Ausdrücke im Bereich symbolischer Sprachen herangezogen werden, als Funktionsgrößen Wahrheitswerte nur in einem Bedingungszusammenhang darstellen können, der als Plattform zur Beschreibung objektiver Wahrheit nicht geeignet ist. Dem Richter kann mit Wahrheitskriterien nicht geholfen sein, die sich aus Wahrheitswertfunktionen ableiten. Diese können nur aussagefähig sein, wenn eine Definition der Zielgröße Wahrheit explizit entwickelt und vorangestellt ist. tlg Es ist keine Lösung, den Begriff der Wahrheit jeweils auf eine als Objekt betrachtete Sprache zu beziehen und ihn mit Hilfe einer Metasprache zu bestimmen. Eröffnet wäre eine endlose Reihe von Metasprachen, die jeweils die Konstruktion neuer, höherstufiger Wahrheitsbegriffe ermöglicht. HO Infolgedessen müßte aus einer unendlichen Reihe ein Wahrheitsbegriff bezeichnet werden, der die allgemeingültige begriffliche Charakterisier.ung der Wahrheit repräsentiert. Das ist nicht nur logisch unmöglich. Selbst wenn man sich mit Wahrheit als Grenzwert der Wahrscheinlichkeit begnügte, wäre damit nicht viel gewonnen, weil keine exakten Auswahlkriterien zur Verfügung stehen. Wahrnehmung muß dann numerischer Willkür gleichkommen.l!l Die begrifflich-qualifizierende Operationalisierung der Wahrheit muß .unter den Bedingungen eines normativen Systems auf zahlreiche Schwierigkeiten stoßen. Eine Ursache ist auch die "anabatische Struktur"ll!2 dynamischer Rechtsordnungen. Hierdurch kann die Lösung eines Problems durch dasselbe oder ein entsprechendes Problem erneut geprüft und bezweifelt werden. Das gilt auch für Lösungen höherer Stufe. Dabei ist nicht sicher, ob die so entstehende Lösungsstruktur einen hierarchischen Charakter hat, also von einer gegebenen Lösung aus genau eine oberste in endlich vielen Schritten erreicht werden felsüberwindung (RGSt 66, 163). Nach Meinung von Fincke, GA 1973, 270, FN 19, verkannte es dabei, daß die Gewißheit aus einem anderen Grunde Teil der Wahrscheinlichkeit ist. Die Identifizierung der Gewißheit mit Wahrscheinlichkeit wird zum Teil als Blasphemie empfunden. 119 Rödig (1973), S. 132, 133, muß gestehen, daß die Versuche, Wahrheit über Wahrheitswertfunktionen reclmerisch auszudrücken, mit einem anfänglichen Manko behaftet sind: "Ohne Ungenauigkeiten geht es allerdings bei dieser Interpretation nicht ab; sie ist u. a. mit gewissen philosophischen Problemen verbunden und wir bedienen uns, um dies vorsorglich zu bekennen, der Methode einer zwar möglicherweise abnehmenden, jedoch mit Sicherheit nicht verschwindenden Naivität." Fast sarkastisch zieht Adomeit, .JuS 1973, 207, aus der Veränderbarkeit der Rechtsauffassungen durch neue Argumente die Konsequenz: "Daran zeigt sich, wie groß die Kluft zum Wahrheitswert ist, der ja auf gutes Zureden im allgemeinen nicht reagiert... 110 Hasenjäger (1962), S. 129 ff. 121 Rödig (1973), S. 155, bezeichnet es als willkürlich, den Regreß an dieser oder jener Stelle abzubrechen. 122 Podtech (1977), S. 149 ff.

1.3. Begriff

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kann. Mathematische Methoden können bei der begrifflichen Entwicklung der Wahrheit nicht überzeugen. l23 Jede gedankliche Operation beruht in diesem Bereich aufaxiologischen Grundlagen und wertbesetzten Prämissen. Daraus folgt, daß nur eine Begriffsbildung möglich ist, mit der eine abgehobene systemimmanente SchJüssigkeit dargestellt werden kann. Durch zweckrationale Begrenzung der Begriffe auf systern spezifische Erfordernisse läßt sich kein generelles Identitätsmodell für Wirklichkeit und Wahrheit entwickeln. Ein Begriff von Wahrheit mit logischem Allgemeingültigkeitsanspruch, entwickelt aus einem Kalkül numerischer Relationen, vermengt mit probabilistischen Annahmen und axiologischen Eckdaten, ist als Ergebnis mathematischer Beweisführung nicht akzeptabel. Auch die Theorie der empirischen Wissenschaften bietet keinen Weg zu den begrifflichen Merkmalen der Wahrheit. Diese Theorie hat folgende Hypothesen: l24 -

Nicht alle theoretischen Terme einer empirischen Theorie lassen sich bedeutungsgleich in deskriptive oder operation al definierte Terme übersetzen.

-

Innerhalb einer theoretischen Theorie können theoretische Terme mit theoretischen Termen eliminiert werden (Theorem von Ramsey).

-

Zu jeder axiomatisch aufgebauten empirischen Theorie mit theoretischen Termen kann eine Theorie mit demselben empirischen Gehalt angegeben werden, die keine theoretischen Terme enthält (Theorem von Craig).

Geht man von der Annahme aus, daß eine formulierte dogmatische Theorie l25 normative Terme enthält, die eine funktionale Entspre123 Stephanitz (1970), S. 9: "Ein nur fonnallogisches Verfahren der Jurisprudenz würde unweigerlich irgendwann das Rechtsgefühl vergewaltigen. Sobald dieses protestiert und dazu zwingt, mit Billigkeitserwägungen oder einer Scheinloglik das ,fonnallogisch' gefundene Ergebnis zurechtzubiegen, ist die ,mathematische Methode' in der Jurisprudenz widerlegt... Eine Einführung in den mathematischen Gehalt solcher Versuche geben Lesczczynski, KrimSchrR 1969, 100, der sich aber nicht mit dem Beweiswert, sondern mit dem Infonnationsgehalt von Untersuchungsbefunden beschäftigt. Vgl. auch Kasper (1975), S. 120 - 122. Zur mathematischen Erfaßbarkeit der Wahrscheinlichkeit Kühne, NJW 1979, 619; Seiffert (1977, 2), S. 166, 167, zeigt, daß auch die Mathematik nonnative Geltungsanspruche erhebt. Daher werden dort Wahrheitsfragen nicht immer auf einer qualitativ anderen Ebene entschieden. 1!4 Im einzelnen Podlech (1976), S. 113 ff. 125 Der wissenschaftstheoretische Zusammenhang erlaubt den Bezug auf die dogmatische Theorie. Damit soll natürlich nicht verdeckt werden, daß die Gesamtheit des Rechts in zwei Systeme unterteilt wird. Nach Savigny (1976), S. 106, handelt es sich um das kodifizierte Recht, welches sich dadurch auszeichne, daß sein Wortlaut im Sinne einer bestimmten Buchstabenfolge innerhalb eines bestimmten ausgezeichneten Textes immun ist, und das nichtkodifizierte Recht, welches zu finden Aufgabe der Dogmatik sei.

40

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

chung I26 zu theoretischen Tennen in empirischen Theorien darstellen, so müssen bei dem Versuch, diese theoretischen Tenne auf deskriptive oder operational definierte Tenne zurückzuführen, übersetzungsprobleme auftauchen, die insbesondere Parallelen zur Problematik der Dispositionsbegriffe haben l27 • Da es die Rechtstheorie mit direkt .und indirekt rekonstruierbaren und simulierbaren Relationen im Gegenstandsbereich, nämlich mit dem Verstoß gegen etablierte Nonnen zu tun hat, muß sich eine Theoriesprache zwischen Empirie und Nonn auf die deskriptive Ebene beschränken.t28 Es ist .unerheblich, ob sich aus diesem Umstand für die Rechtstheorie bei der Konstruktion solcher Sprachen nicht die Schwierigkeiten anderer Wissenschaften stellen, wie RieseT glaubt. 129 Für die Entwicklung eines objektiven Wahrheitsbegriffs ist es vielmehr entscheidend, ob die operationale Definition eines Tenns das Postulat objektiver Nachprüfbarkeit erfüllt. Fraglich erscheint, ob ein derartiger Nachweis mit Hilfe eines Testverfahrens geführt werden kann, das mit der Konstruktion und Simulation von Sachverhalten gleichgesetzt werden müßte. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß eine Taxonomie der Sachverhalte nicht auf natürliche Weise zustandekommt, sondern aufgrund einer Konvention, die von der Einteilung der Merkmale in notwendige und hinreichende abhängt, also von der Etablierung einer Gradskala für die Zugehörigkeit zu Sachverhalten einer bestimmten Klasse. Damit ist aber nicht einsichtig, welch einen Erklärungswert eine semantisch fundierte Taxonomie von Tennen haben soll. Komplexe Begriffe wie Einbruch, Diebstahl, Täuschung, erst recht Wahrheit können als Definienda nicht durch eine Konjunktion einfacher Tenne bestimmt werden. Die Verwendung einer Beschreibungssprache im strengen Sinn, also eine im Prinzip vollständig fonnalisierbare Sprache, deren Tenne präzise und eindeutig festgelegt sind, um die Anwendung eines Systems von Rechtssätzen von einer Rechtstheorie her zu ste.uern, kann besonders im Beziehungsgeflecht zwischen Empirie und Nonn nicht zur begrifflichen Klärung führen. Gerade im Verhältnis Richter-Sachverständiger ist die entscheidende Voraussetzung nicht erfüllt, die nach einem linguistisch orientierten VennittSo PodZech (1976), S. 114. PodZech (1976), S. 114, ist der Ansicht, daß die Frage der Übersetzbarkeit einer dogmatischen Theorie in eine solche ohne normative Terme zugleich demokratische Legitimationsfragen der Verwaltung einer Rechtsordnung durch einen Berufsstand betreffe. Aus der sprachwissenschaftlichen Perspektive Hartmann (1970), S. 45 ff. 128 PodZech (1976), S. 113 m. w. N. 129 Zur Konstruktion einer idealen Sprache Rieser (1976), S. 121; Bohnen (1972), S. 175, 176, weist auf ein grundsätzliches Erfordernis hin: "Trüft es nämlich zu, daß theoretische Systeme nur durch eine Verknüpfung mit beobachtungssprachlichen Ausdrücken kognitiven Sinn erhalten, dann müssen die Begriffe und Aussagen der Beobachtungssprache bereits von sich aus sinnvoll sein, also eine eigenständige, autonome Bedeutung besitzen." 128

121

1.3. Begrüf

41

lungsansatz zwischen diesen Polen erforderlich ist. Es müßte sich jeweils um einen Subsumtions- bzw. Erkenntnisprozeß handeln, der sich der Mittel desselben Sprachtypus bedient. Der Verständigungsvorgang zwischen Gericht und Sachverständigen wird oft noch nicht einmal von den Mechanismen umgangssprachlicher Textkonstitution bestimmt. t30 Überdies sind die Konturen des Wahrheitsbegriffes keine Angelegenheit semantischer Phänomenologie, die durch Begriffskosmetik auch keine Klarheit schaffen kann. Nach einem prägnanten Satz von Adorno ist das Ganze das Unwahre. t3t Das Raster des materiellen Rechts und die Gesetzlichkeiten eines Verfahrens führen .unvermeidlich dazu, daß ein bestimmtes historisches Geschehen nicht in seiner ganzen Komplexität Verhandlungsgegenstand sein kann. Die Wahrnehmung ist auf einen gewissen Umfang begrenzt. Komplexität heißt, daß sich stets mehr Möglichkeiten bieten, als ein Mensch aktuell wahrnehmen und verarbeiten kann. 132 Auf der Basis der funktional-strukturellen Systemtheorie hat insbesondere Luhmann eine soziologische Verfahrenslehre entwickelt, in der Gerichtsverfahren als soziale Handlungssysteme besonderer Art die Reduktion dieser Komplexität leisten sollen. t33 Für Krauß ist die Reduktion von Komplexität Voraussetzung und Ergebnis des Verfahrensablaufs. t34 Fraglich ist, welche Konsequenzen sich hieraus für den Wahrheitsbegriff ergeben. Der Gedanke Luhmanns kann als heuristisches Hilfsmittel natürlich nicht zu der unsinnigen Konsequenz führen, daß ein Urteil bloß deshalb mehr Wahrheit enthält, weil es die Komplexität der Wirklichkeit stärker reduziert. Er eröffnet aber auch keine begrifflichen Perspektiven. In der Tat findet in Luhmanns Entwurf ein Bekenntnis zur Wahrheit keinen rechten Platz,!35 Wahrheit soll selbstevident sein, ihre Ausbreitung und Anerkennung verstehe sich daher auch von selbst. Luhmann will der Wahrheit ihren Wert oder ihre praktische Bedeutung für Rechtsverfahren nicht absprechen. Er versucht Wahrheit aber nicht nur als Wert, sondern als sozialen Mechanismus zu begreifen. t36 Luhmann betrachtet die Wahrheitsfindung durch ein Gerichtsverfahren aus der Froschperspektive eines resignativen131 und t30 Rieser (1976), S. 120: "Man kann annehmen, daß die in TEXiol ... , TEXion gebrauchte Sprache, von wenigen Ausnahmen (z. B. Gutachten von Sachverständigen [l]) abgesehen, die Umgangssprache, d. h. ein bestimmter Soziolekt ist, der die Funktion einer nicht theoretisch festgelegten Beschreibungssprache besitzt." 131 Adorno (1980 b), S. 57. 132 Luhmann (1970), S. 115 ff. 133 Luhmann (1978), S. 38. 134 Krauß (1975 b), S. 419. 185 So auch Krauß (1975 b), S. 422. 188 Luhmann (1978), S. 22, 23. 137 Für Abenhausen (1978), S. 60 ff., ist Luhmanns systemtheoretischer An-

42

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

systemkonformistischen Kritikers. Er sieht in der Wahrheit, was immer das ist, nur ein funktionales Äquivalent, das, ähnlich wie die Macht, andere motiviert, Entscheidungen als Verhaltensprämissen zu übernehmen, also eine Selektion aus einem Bereich möglicher Verhaltensweisen als bindend zu akzeptieren. 138 Daher kann es nicht verwundern, daß Luhmann es für unzweckmäßig erklärt, in Form rechtlich geregelter Verfahren einen Bereich unabhängiger freier Kommunikation gegen gesellschaftliche Einflüsse, Statusvorteile oder Rollenzusammenhänge sicherzustellen. Ziel rechtlich geregelter Verfahren soll es sein, die Reduktion von Komplexität intersubjektiv übertragbar zu machen, entweder mit Hilfe von Wahrheit oder durch Bildung legitimer Macht zur Entscheidung. Die fast schon zynische Beliebigkeit, mit der Luhmann Wahrheit und Macht behandelt, macht deutlich, daß er um den Begriff der Wahrheit gar nicht aufrichtig bemüht ist, sondern sich mit pseudorationalen Entlastungen auf die Position eines Systemhygienikers zurückzieht. ls9 Daher verwundert die Behauptung nicht, daß sich durch Freisetzung von Kommunikation kein Ziel erreichen lasse. l4G satz insgesamt eine Explikation des Grundkonzepts der Resignation, weil mit ihm die Vermittlung von Theorie und Praxis und das dazugehörige Geschichtskonzept aufgegeben werde. Kritisch auch Rasehorn, ZRP 1980, 10. 188 Luhmann (1978), S. 25. 130 Offenkundig geht es Luhmann nur darum, die regulativen Möglichkeiten eines sozialen Systems zu beschreiben. Er hält es für die Aufgabe des Richters, einen Verhaltensrahmen zur Verfügung zu stellen, in dem schwierige, riskante, peinliche, herzzerreißende Kommunikation möglich ist. Schlicht unglaubwürdig wirkt in dieser Verfahrenskonzeption die Aussage, daß der Mensch als Träger des Sinnes der Welt mit in Betracht kommt, weil er in Wahrheitsfragen als Subjekt engagiert sei (1978, S. 24). 140 Luhmann (1978), S. 26; möglicherweise ist diese Feststellung aber weniger in den systemspezifischen Eigenheiten strafprozessualer Interaktion begründet als in dem verengten Blickwinkel Luhmanns, der glaubt, der Jurist sei verführt, sich die Funktion seiner Entscheidung oder der Normen, die sie leiten, als eine Wirkungsweise vorzustellen, die notfalls zwangsweise bewirkt werden kann (AÖR 94, 1969, 6). Es mag dahinstehen, ob man mit Kühne (1978), S. 59 ff., dagegen die Kommunikationsoptimierung als strafprozessuales Grundprinzip behandeln kann. Jedenfalls gelingt es Luhmann mit seinem Ansatz nicht, die Ziele eines Strafverfahrens funktional einzuordnen. Zu den Zielen des Strafverfahrens grundsätzlich Schmidhäuser (1961), S. 511 ff.; Stock (1954), S. 429 ff. Scharfe Angriffe führt RotHeuthner, KritJ 1971, 87 (der erste Teil dieses Aufsatz ist abgedruckt in: KritJ 1970, 282 - 306). Um eine kritische Auseinandersetzung mit Luhmann bemühen sich auch Esser (1972), S. 212, der meint, Luhmann erkaufe sich eine soziologische Theorie als Instrument interessenblinder Institutionsdarstellung; Simitis, AcP 172 (1972), 138 ff., der die Prozeßbeteiligten in die bloße Rolle von Informationslieferanten gedrängt sieht; ZippeUus (1973), S. 298, der Luhmann vorhält, er beziehe sich auf klassische Prinzipien der Verfahrensgerechtigkeit, ohne sie als solche zu kennzeichnen; ähnlich Schreiber, ZStW 88 (1976), 139. Nach Münstermann, KritJ 1969, 326, sind aus der Neukonzeption des Verhältnisses von Gesetzgeber, Verwaltung und Gesellschaft zum positiven Recht nach der Forschungslogik Luhmanns keine gültigen Aussagen zu den wirklichen Verhältnissen zu ziehen.

1.3. Begriff

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Etwas nützlicher für die begriffliche Annäherung an die Wahrheit könnte die überlegung sein, daß nicht die Dinge selbst, die Wirklichkeiten wahr oder unwahr sind. Entweder Wirklichkeit ist oder ist nicht. Demzufolge kann mit dem Begriff Wahrheit nur eine Eigenschaft von Aussagen über die Wirklichkeit bezeichnet werden. 141 Wahrheit, verstanden als mögliche Relation zwischen dem Sein und dessen Abbildern in Form von menschlicher Vorstellung impliziert einen Widerspruch zur aristotelischen Position der "adaequatio intellectus et rei". Kann nämlich die Wirklichkeit nicht die Eigenschaft haben, wahr zu sein, so ist unklar, wie einer Vorstellung, die auch Wirklichkeit ist, Wahrheit zukommen soll. Diese Antinomie kann durch eine Umformung des aristotelischen Wahrheitsbegriffs aufgelöst werden. 142 Die Eigenschaft, wahr zu sein, wird nicht der Aussage als einer Wirklichkeit zugesprochen, sondern dem aus der Aussage zu erschließenden Bewußtseinsinhalt des Erkenntnissubjekts. Eine derartige Konstruktion muß zu einer Differenzierung zwischen dem transzendenten Erfahrungsgegenstand und dem bewußtseinsimmanenten, aber transzendenzbezogenen Erkenntnisstand führen. 143 Für unsere Untersuchung zum Wahrheitsbegriff ergibt sich aus diesen überlegungen zwingend, daß die Wahrheit der Aussage und die Wahrheit der Erkenntnis nicht einem Begriff unterfallen können, da dem Erkennen an sich weder Wahrheit noch Falschheit zukommen kann. Ein Gegenstand ist entweder erkannt oder nicht, falsches Erkennen ist begrifflich unmöglich. Für den Bereich der richterlichen Sachverhaltsfeststellung gibt es keinen Wahrheitsbegriff, der gleichermaßen auf die tatsächlichen Elemente eines historischen Geschehens, wozu auch die subjektiven psychischen Befindlichkeiten des Täters gehören, und die Urteilsfeststellung als Ergebnis eines richterlichen Erkenntnisakts anwendbar ist. Aus diesem Grund kann Wahrheit auch nicht begrifflich gleichgesetzt werden mit übereinstimmung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Demzufolg,e ist es nicht möglich, daß ein Wahrheitsbegriff die Bedingungen angibt, unter denen man einem Satz das Prädikat ,wahr' zusprechen kann. 144 Dieser Umstand muß besonders für diejenigen bedenklich sein, die die Wahrheit einer Behauptung für eine Mindestbedingung dafür halten, daß diese BehaupKäßer (1974), S. 9. Käßer (1974), S. 9. 143 Tammelo (1947), S. 14 ff. Im Grenzbereich von Wissenschaftsgläubigkeit und Tatsachenfeststellung könnte sogar der Gedanke von Bloch (1980), S. 23, über das Transzendieren ohne Transzendenz nützlich sein. Auch Mann (1967), 141

142

S. 420, weist auf einen komplexen Zusammenhang hin: "Eine theoretische Erkenntnis, die des praktischen Bezugs auf die Heilsidee des Menschen entbehrt, ist dermaßen uninteressant, daß jeder Wahrheitswert ihr abzusprechen und ihre Nichtzulassung geboten ist." 144 So aber Schmidt, JuS 1973, 205; vgl. auch Meyer, JuS 1973, 203.

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1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

tung interessant und gesellschaftlich nützlich ist. 145 Entgegen der Auffassung von Schmidt146 kann es gar keinen Wahrheitsbegriff geben, der selbst sagt, wann dieses erwünschte Ergebnis der Fall ist. Deshalb ist es im Gegensatz zu dieser Ansicht in der Analyse von ,wahr' und ,falsch' auch nicht bedeutungslos, vor welch einem Hintergrund man sich Gedanken über den Wahrheitsbegriff macht. 147 Schließlich ist es nicht möglich, mit einem Wahrheitsbegriff abstrakt über Prüfungsbedingungen zu entscheiden148, die das Verbot von Widersprüchen149 zum entscheidenden Maßstab auch für die Akzeptanz von Wahrnehmungen im Sinne ihrer Wahrhaftigkeit verwenden und damit über die wahrheitstheoretische Grundlage entscheiden. Insbesondere vor dem Hintergrund strafprozessualer Sachverhaltsaufklärung könnten umgekehrt wahrheitstheoretische Konzeptionen überhaupt erst die denkbaren Inhalte eines Wahrheitsbegriffes erschließen und methodische Hinweise zur operationalen Entwicklung eines derartigen Begriffs bieten. Deswegen ist ein kritischer Vegleich von Wahrheitstheorien unumgänglich, um hieraus Gesichtspunkte zu entwickeln, die im empirisch-normativ strukturierten Dialog zwischen Richter und Sachverständigen wenigstens Kristallisationspunkte in dem komplexen Versuch der Wahrheitsfindung sein können. 1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsfindung 1.4.1. Zweck und Anlaß der philosophischen Wahrheitsfrage

Ein Rekurs auf die philosophische Wahrheitsdiskussion ist nicht nur deshalb geboten, weil es keine normative Umschreibung der Wahrheit gibt.1 50 Er ist auch deshalb angebracht, weil Wirklichkeitserkenntnis und Wahrheitsfindung als Verständigungsproblem zwischen Richter und Sachverständigen anzusehen sind und sich insbesondere die neuere Diskussion über Wahrheit zunehmend mit einer diskursiven Konsenstheorie beschäftigt, die sich auf normative Geltungsansprüche stützt. l5l 145

148 147

148 149

Adomeit, JuS 1972, 629. Schmidt, JuS 1973, 205. So aber Schmidt, JuS 1973, 205. Anders Adomeit, JuS 1972, 629. Aristotetes (1967), S. 7 ff. Goldman (1980), S. 185, glaubte

von seinem Untersuchungsrichter, daß dieser auf der Höhe der philosophischen Dimension der Untersuchung sei: "Eine Wahrheit, die nicht darin bestand, zu erkennen, ob der Mensch war, was er war, sondern, einfacher - oder dramatischer - zu erkennen, ob ich schuldig oder unschuldig war." 151 Habermas (1973), S. 212, entwickelt die Kategorie des Geltungsanspruches am Modell des Rechtsanspruchs; er geht von vier Klassen gleich ursprünglicher Geltungsansprüche aus: Verständlichkeit, Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit. Sie sollen einen Zusammenhang darstellen, den er 150

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

45

Die kritische Würdigung der recht umfangreichen Beiträge kann nur fragmentarischen Charakter haben. Nur vereinzelt werden Argumente und Ideen der philosophischen Bemühungen für den begrenzten Rahmen des Strafprozesses Bedeutung erlangen. Immerhin sollen die grundsätzlichen strukturellen Beziehungen zwischen Wahrheit und Wirklichkeit offengelegt werden. Die Funktion der nach unterschiedlichen Prinzipien organisierten Erkenntnisleistungen von Richtern und Sachverständigen kann nur deutlich werden, wenn der kommunikative Zusammenhang zwischen diesen Beteiligten mitberücksichtigt wird. Es erscheint besonders reizvoll, das Prinzip der freien Beweiswürdigung mit den begrifflichen Mitteln und systematischen Methoden philosophischer und erkenntnistheoretischer Ansätze zu analysieren. Soweit Methode und Ergebnis übernahmefähig sind, könnten sich Orientierungshilfen für eine Einordnung dieses rechtlichen Instituts in den Prozeß der Wahrheitsfindung ergeben. Wahrheitsfindung durch Wirklichkeitserkenntnis soll als Kommunikationsleistung zwischen diesen Prozeßbeteiligten untersucht werden. Möglicherweise können Wahrheitstheorien als Prüfungsbedingungen für die Bestimmung des kommunikativen Stellenwerts der freien Beweiswürdigung Hinweise liefern. 152 1.4.2. Gegenstand und Problemschwerpunkt der Wahrheitsdiskussion

Es muß betont werden, daß die Beschäftigung mit namhaften Wahrheitstheoretikern nur Grundlagencharakter haben kann. Damit können keine spezifisch juristischen Wahrheitsmodelle entwickelt werden. Gleichwohl kann die Betrachtung von unjuristischen Verständigungsversuchen allgemeine Gesetzmäßigkeiten zeigen, die auch für die prozessuale Wahrheitsfindung Bedeutung haben. Zunächst darf nicht verschwiegen werden, daß die Frage, worum es in der philosophischen Wahrheitsdiskussion eigentlich geht, selbst im Mittelpunkt der Diskussion steht. In der Tat wird zwischen der Frage unterschieden, was man unter Wahrheit verstehen kann - es geht also um den BegriffVernünftigkeit nennt (1973, S. 220). Zu dem durch diese Begriffe gebildeten Zirkel Gerber, ZfallgWth 1976, 48. Den neuralgischen Punkt einer jeden Konsenstheorie markiert Freundlieb, ZfallgWth 1975, 92. Kritisch bemerkt Keuth, ZfallgWth 1979, 379: "Deshalb können wir selbst dann, wenn ein begründeter Konsens vorliegt, wenn also das Wahrheitskriterium erfüllt ist, nicht sicher sein, daß wir es mit einer wahren Aussage zu tun haben." nting, NHfPhil 1976, 30 ff., untersucht die ideale Sprechsituation als hinreichende Bedingung zur Herbeiführung eines rational motivierten Konsenses über kontroverse Geltungsansprüche. Für Wiehl, NHfPhil 1972, 41, ist der Dialog der ausgezeichnete ort, an dem sich Wahrheit ereignet. Zu einem dialogischen Wahrheitsbegriff auch Lorenz, NHfPhil1972, 111 ff. über den angemessenen Konsensanteil Lüderssen (1981), S. 63 f. Kritisch aber Luhmann (1971), S. 293. 152 Hier würde die Position von Adomeit nicht weiterführen., wonach der Wahrheitsbegriff über die Prüfungsbedingungen entscheidet. Erst kriterienorientierte theoretische Vorgaben können zu einem Wahrheitsbegriff führen.

46

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

und der Frage danach, was in verschiedenen Bereichen wahr ist, also der Frage nach verschiedenen Wahrheiten. Für Skirbekk ergibt sich aus dieser Differenzierung ein ganzer Fragenkatalog. Wenn nämlich die philosophische Wahrheitsfrage darauf gerichtet ist, was es heißt, daß etwas wahr ist, was ist dann dasjenige, das wahr sein kann? Die Antwort hierauf macht die Bestimmung des Verhältnisses von Konstitutions- und Geltungsfragen notwendig. Die Beziehungen zwischen Wahrheitsbegriff und Wahrheitskriterium müssen untersucht werden. Es soll geklärt werden, ob die Voraussetzungen der Wahrheit zur Wahrheitsfrage gehören, wenn sie zugleich auch Voraussetzungen der Falschheit sind. Philosophische Ansätze müssen um Nachweise darüber bemüht sein, wie die eigene Antwort mit dem eigenen Wahrheitsbegriff übereinstimmt. Wahrheitstheorien sollten also selbstreferentiell konsistent sein. 153 1.4.3. Zusammenhang zwischen Wahrheit und Persönlichkeit

Das Prozeßrecht markiert Grenzen, enthält Aufträge und gewährt Befugnisse, die von den Beteiligten unterschiedlich beachtet, realisiert und ausgeschöpft werden. 164 Da die Hauptverhandlung eben nicht nur normative Sinnbeziehung, sondern auch ein von rechtlichen Regeln bestimmtes tatsächliches Geschehen165 ist, sind persönliche Eigenschaften besonders dann beachtlich, wenn durch dieses Geschehen Rechtsbegriffe ihre inhaltlichen Dimensionen bekommen. Der Hinweis von Kube / Leineweber im Zusammenhang mit § 238 I StPO gilt für § 78 StPO erst recht. Sie erkennen, daß es vom Stil, der Dominanz, der Kooperationsbereitschaft, der Emotionalität, der Neigung zur Verhaltenskritik und dem Grad der Informiertheit des Vorsitzenden sowie von der Reaktion der Verfahrensbeteiligten abhängt, wie das tatsächliche Geschehen sich weiter entwickeln wird. 166 Da die Kommunikation ein Austausch von Informationen ist, findet damit grundsätzlich auch eine gegenseitige Beeinflussung bei der (Re-)Konstruktion der Wirklichkeit statt. 167 Gestaltet der Richter diesen Austausch möglichst effek168

164

155 150 1&7

Skirbekk (1977), S. 12. Kube / Leineweber (1980), S. 4. Luhmann (1978), S. 37. Kube I Leineweber (1980), S. 4. Boy I Lautmann (1979), S. 42 ff., befassen sich mit der Frage, ob Situa-

tionen, Positionen und Normen etwas Vorgegebenes sind oder ständig neu hervorgebracht werden müssen. Im einen Fall würde es sich um Rekonstruktionen, im anderen Fall um Konstruktionen der Wirklichkeit handeln. Geht man davon aus, daß durch Verlauf und Ergebnis eines Verfahrens immer eine neue Wirklichkeit geschaffen wird, muß man grundsätzlich von Wirklichkeitskonstruktion sprechen. Das gilt auch für Beweisaufnahmen, die ein historisches Geschehen gegenwärtig (.. unmittelbar") machen sollen. Berger I Luckmann (1972), S. 37, beschäftigen sich mit der Kraft des menschlichen Ausdrucksvermögens zu Objketivationen. Empirische Ansätze bieten Tausch / Langer, ZfEntwPädPsych 1971, 283 ff.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

47

tiv, dann ist er nicht auf eine "monologische Gewißheitsevidenz"168 angewiesen. Auch wenn nur solch eine Evidenz vorliegt, kann sie intersubjektiv bloß gelten, sofern Objektivität sich als Verbindlichkeit eines konsensuell legitimierten Geltungsanspruchs rekonstruieren läßt. Der Richter, der dem Geltungssinn von Erkenntnis gerecht werden will, muß mit jedem Erkenntnisanspruch zugleich eine Kommunikations- und Argumentationsgemeinschaft voraussetzen. Kommunikationsfreie Erkenntnis bzw, Wahrheit ist geltungslogisch nicht möglich. Das folgt schon aus der prinzipiellen Unmöglichkeit, den Sinn von Erkenntnisgegenständen ohne Kommunikation zu konstituieren. Kopperschmidt kann darin gefolgt werden, daß sich aus dem Vermittlungsversuch von Erkenntnis und Interesse sowie von Theorie und Lebenspraxis nicht nur die Bindung des jeweiligen subjektiven Erkenntnisaktes zurück an die intersubjektive Sinnverständigung der Forschenden ergibt. Wird auch die wissenschaftlich jeweils geleistete Sinnverständigung in einem vorwissenschaftlichen Erfahrungsapriori verankert, so verlängert sich dieses bis in die Erkenntnisinteressen der Wissenschaft hinein und präjudiziert die praktischen Anwendungschancen wissenschaftlichen Erkennens. Bei Richtern und Sachverständigen gibt es gleichermaßen ein vorwissenschaftliches Erfahrungsapriori. In seiner Gesamtheit verkörpert es jeweils die Rahmenbedingungen, die wiederum zu einem vorwissenschaftlich immer schon geleisteten und wirksamen Verständigtsein führen. Hierauf ist jeder wissenschaftliche und außerwissenschaftliche explizite Verständigungsversuch angewiesen. Daraus folgt die Einsicht, daß sich eine sozialwissenschaftliche Analyse an die dem Forschungsprozeß vorgängigen Regeln der alltagsweltlichen Kommunikation anpassen, also interpretativ verfahren muß. 159 Der Anwendungsnutzen, der sich aus dieser Einsicht für das Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen z. B. bei der Entwicklung von Schuldfähigkeitselementen ziehen läßt, wird nur allmählich erkennbar. Das Verständigtsein ist nämlich der allgemeinste Titel, mit dem man höchst unterschiedliche Denkrichtungen und -traditionen benennt und zu vermitteln sucht. Nach Meinung Kopperschmidts stimmen sie jedenfalls alle darin überein, den cartesianischen Zweifel als generalisierbare Methode eines voraussetzungslosen Erkenntnisbeginns zu entwerten. Sie insistieren auf der Zerstörung einer Wissensarchitektonik, die vom archimedischen Punkt absoluter Gewißheit aus die Verständlichkeit der Wirklichkeit systematisch und konstruktiv zu erschließen versucht. Vor dem

158 158

Kopperschmidt (1978), S. 85. Vgl. insgesamt Kopperschmidt (1978), S. 88, 89.

1.

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Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

Hintergrund solcher Gedanken wird deutlich, daß Wahrheitsfindung souveräne Persönlichkeiten erfordert, die zwischen objektiv gebotenen Zweifeln und subjektiven Bedrohungsgefühlen trennen können. Subjektive Erkenntnis wird unmöglich, wenn Kommunikation als Gefährdung des eigenen Status empfunden wird. Die Befugnis zur Verhandlungsleitung eröffnet nicht den Zugang zur Wahrheit, wenn sie aus Selbstsicherheitsbedürfnissen genutzt wird, um zweifelhafte Verständigung zu verhindern. 1.4.4. Wahrheitsrelevanz der Sprache

Hervorzuheben ist, daß die Rekonstruktion des Verständigtseins als Bedingung und nicht erst als Ziel aktueller Sinnverständigung quasi zur Rehabilitation des Mediums SpI'lache in seiner hermeneutischen Leistung führt. Sprache soll als ein nicht hintergehbares Medium verstanden werden, "in dem das Verständigtsein sinnhafter Lebenspraxis durch die Teilhabe an dem Bedeutungshorizont einer gemeinsamen Sprache gewährleistet ist".160 So könnte die Objektivität der Wirklichkeit bzw. der Welt ,an sich' in eine Wirklichkeit ,für uns' transformiert werden. Dieser Prozeß ist sehr vielschichtig. Er muß bei der Erkenntnis beginnen, die auch für Sartre Ausgangspunkt war: "Ich habe die Wörter nicht in mir, sie sind draußen."161 Das Wort ist also zunächst Gegenstand der Aneignung, bevor es kollektives Kommunikationsmittel sein kann. Die kommunikative Kraft der Sprache ist begrenzt. Auch Sartre erkannte, daß sie nur eine Gesamtheit von Bedeutungen ist, die eine gewisse Anzahl von Dingen draußen lassen muß. Die subjektive Entwicklungsgeschichte bedingt zudem den Gebrauch der Wörter. Jede Verwendung von Wörtern ist daher auch eine Selbstbezeichnung. Aus diesem Grund ist mit sprachlichen Mitteln keine Adäquation möglich. Dem steht Sartres überzeugung entgegen, daß nichts unausdrückbar ist, sofern nur der Ausdruck erfunden wird. 162 Für ihn war Sprache dann wahre Kommunikation, wenn die beiderseitige Situation von Gesprächspartnern in der Welt und im Verhältnis zueinander in jedem Augenblick durch die Sprache gegeben ist. Solche Anforderungen sind grundsätzlich kaum erfüllbar, geschweige denn unter forensischen Bedingungen. Sartre sah ein: "Das geschieht nie, außer eben beim Schreiben, beim Schreiben von Prosa. Die Poesie ist der Moment des Atemholens, wo man auf sich selbst zurückkommt. "163 Dennoch blieb er bei seiner Ansicht, daß es nichts gebe, was sich nicht sagen läßt. In überlegungen zum Unterschied zwischen philosophischer und 180 1&1

182 188

Kopperschmidt (1978), S. 89. Sartre (1979), S. 94. Sartre (1979), S. 99, 100. Sartre (1979), S. 108. Vgl. auch Kaufmann (1969), S. 251 ff.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsfindung

49

wissenschaftlicher Sprache deutete er die Schwierigkeiten an, die auch für das Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen akut sind: "Die wissenschaftliche Sprache ist die reine Praktik, die Handlung und Kenntnis im technischen Sinn des Ausdrucks. Das verweist nicht auf den Menschen. übrigens ist die Anthropologie meiner Meinung nach generell eine zerstörerische Wissenschaft vom Menschen, und zwar gerade, je perfekter und besser sie ihn behandelt in der Annahme, er sei ein wissenschaftlicher Gegenstand, der die Wissenschaften betreibt. Die Philosophie dagegen wendet sich an den, der die Wissenschaften betreibt, und sie kann ihn nicht mit wissenschaftlichen Worten behandeln; sie kann ihn nur mit vieldeutigen Worten behandeln."184 Ähnliches gilt auch für den Streit zwischen Philosophie und Rhetorik. Er ist im Dialog Richter / Sachverständiger relevant, weil sein Gegenstand bei den Verständigungsversuchen zwangsläufig mit erörtert wird: "Was seitens der Philosophie eher als wahrheitsindifferente Verselbständigung strategischer Sprachverwendung verklagt und was seitens der Rhetorik als Wirkungslosigkeit einer abstrakten, nämlich welt- und interessenlosen W·ahrheitsevidenz belächelt wurde, ist in Wirklichkeit die Abbildung einer prinzipiellen Auseinandersetzung über einen angemessenen Erkenntnis- und Wahrheitsbegriff."165 Das betrifft auch den Inhalt der nicht zuletzt wegen des Mündlichkeitsprinzips der Hauptverhandlung höchst bedeutsamen Redefunktionen. Aus ihnen erwächst ein Entscheidungszwang. Auf der einen Seite steht ein verständigungsunabhängiger Wahrheitsbegriff. Auf der anderen Seite findet sich die kategoriale Unterscheidung zwischen der Wahrheitsfähigkeit des Erkennens und der Instrumentalität der Sprache, verstanden als "semiotische Repräsentanz des Erkannten und Mittel seines kommunikativen Transfers".166 Nach dem Empfinden Kopperschmidts geht es bei der Differenz zwischen der Wahrheitsfähigkeit sachbezogener Rede und der Persuasivität höreradressierter Rede um die von Cicero bis Adorno beklagte Trennung zwischen Wahrheit und Wirkung, zwischen Philosophie und Rhetorik, zwischen Vernunft und Sprache. 167 Für Apel besteht daher eine konstitutive Abhängigkeit objektbezogener Erkenntnis von der vorgängigen subjektbezogenen Verständigung über die pragmati164 165 186

Sartre (1979), S. 114. Kopperschmidt (1978), S. 89. Kopperschmidt (1978), S. 90. Kopperschmidt (1978), S. 90.

167 Mit Recht weist Haft, JuS 1981, 718, darauf hin, daß die meisten Leute beim Stichwort Rhetorik fälschlicherweise an wortgewaltiges Pathos und wehende Roben denken: "Rhetorik war, richtig verstanden, nie ornamental, sondern immer funktional." Auf dieses Mißverständnis kann nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden, weil Haft (1978 b), S. 23, richtig bemerkt: "Fast alle juristischen überlegungen würden besser mündlich angestellt, und zwar im dialogischen Verfahren, weil hier Verständlichkeit, Trefflichkeit und Qualität der Argumente sofort in das Verfahren rückgekoppelt werden können."

4 Hetzer

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

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schen bzw. paradigmatischen Rahmenbedingungen möglichen Erkennens und seiner Geltung. Rhetorik wird als Refiexionsanstrengung einer persuasiven Sprachleistung angesehen. Dadurch sei die situative Aktualisierung des Verständigtseins als "eommon sense"168 möglich. Rhetorische Denktraditionen verwalten so eine wahrheitskonstitutive Funktion der Sprache. Diese besteht nicht aus der übereinstimmung zwischen einer wirklichkeitsabbildenden Aussage und dieser Wirklichkeit selbst. Sie kann nur verstanden werden als praktische Erschließung einer sinnhaft verstehbaren und bedeutungshaft geteilten Wirklichkeit. 169 Von diesem Standpunkt aus mögen die sprachanalytischen Versuche Wittgensteins als blinde Ausblendung der prinzipiellen Sprachbindung des Erkennens erscheinen. 170 Damit ist aber noch nicht die Untauglichkeit des Versuchs erwiesen, das Denken von der Verhexung durch die Mittel unserer Sprache zu befreien. l7l Selbst eine ideale Präzisionssprache kann diese Bindung nicht auflösen. Zutreffend stellt daher Kopperschmidt fest, daß solch eine Sprache diese Auflösung in dem Maß nicht bewirken kann, als letztere selbst wieder nur im Rahmen und mit den Mitteln der Umgangssprache konstruktiv zu arrangieren ist. 172 Auch im Dialog zwischen Richter und Sachverständigen ist Sprache das Instrument der Wahrheitsfindung. Natürlich sind in der Hauptverhandlung auch paralinguistische Phänomene Material der Kommunikation. Wie Kube / Leineweber bemerken, ist das Verstehen der gesprochenen Sprache mit dem Zusammenspiel verschiedener Zeichen verbunden, von 168 Bei topik.

Ape~

(1973, 1), S. 161, geht es um sprachlich erschlossene Welt-

169 Kopperschmidt (1978), S. 90, 91. Haft (1978 b), S. 20, zeigt, daß die Versuche, den Konsens der Beteiligten als Richtigkeitskriterium einer Rechtsentscheidung zu entwickeln, zu den überlegungen der griechischen Sophisten führt. Dort wurde das Wahrheitsproblem als ein Problem der Zustimmung der (demokratischen) Mehrheit angesehen. Daher war dem Redner aufgegeben, sich um diese Zustimmung zu bemühen. Grundlage dieser Forderung war die Annahme, daß es eine überindividuelle Wahrheit nicht gibt, diese vielmehr immer nur relativ zu einem wahrnehmenden Subjekt ist. Die relative Wahrheit wurde absolut und verbindlich, wenn sie eine Mehrheit fand. Mehrheit wird durch über-Redung, also Rhetorik, erreicht (Haft, 1978 b, S. 16). Für die juristischen Verhältnisse modifiziert kann Rhetorik mit Haft als Methode zur sprachlichen Bewältigung von Fällen und Rechtssätzen verstanden werden. Im Unterschied zur traditionellen juristischen Methodenlehre geht es ihr nicht nur um eine sachgerechte Entscheidung in übereinstimmung mit dem Gesetz. Spezifisch an ihr ist, "daß sie den Prozeß der Herstellung einer Entsprechung von Norm und Sachverhalt als einen rhetorischen Vorgang begreift, bei dem nichts anderes als eine methodenbewußte Sprachverwendung stattfindet" (Haft, 1978 b, S. 14, 15). Besonders bemerkenswert ist dabei, daß nicht das Wort, sondern die Produktion des Wortes in einer bestimmten Sprechsituation die kleinste Einheit der sprachlichen Verständigung ist (Haft, JuS 1981, 720). Ergänzend Lippo~d, JuS 1982, 573 ff. 170 So Kopperschmidt (1978), S. 91.

171 172

Wittgenstein (1980 b), S. 79. Kopperschmidt (1978), S. 91.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

51

denen die verbalen Zeichen nur einen Teil ausmachen. 173 Im Gespräch mit dem Sachverständigen kann der Richter aber kaum aus der Kanaldiskrepanz zwischen verbalen und non-verbalen Kommunikationsakten zusätzliche Informationen gewinnen und für den weiteren Entscheidungsprozeß festhalten. Sprache ist auch im Verhältnis dieser beiden Dialogpartner deswegen noch kein Medium zwangloser Verständigung. 174 Besonders im Bewußtsein des Richters als Entscheidungsträger muß eine kategoriale Differenzierung zwischen faktischer und wahrer Verständigung stattfinden. Anderenfalls wäre Verständigungsfortschritt unmöglich. Aus dem Unterschied zwischen präreflexiver Geltung ,an sich' und reflexiver Geltung ,für uns' folgt die Notwendigkeit, das faktische Verständigtsein gemäß seiner Legitimierbarkeit durch Konsens herzustellen bzw. zu rekonstruieren,115 Das führt zum Unterschied zwischen realer und idealer Kommunikation. 176 Kopperschmidt weist darauf hin, daß das faktische Verständigtsein noch nicht die Einlösung seiner möglichen Wahrheit ist: "In diesem ,noch nicht' meldet sich der in der Antizipation implizierte kritische Vorbehalt an, der jedes faktische Verständigtsein nach Maßgabe seiner konsensuellen Geltungslegitimation beurteilt. "177 Aus diesen Vorüberlegungen zur erkenntnistheoretischen Bedeutung der Kommunikationspraxis kann keine "Sprachverabredung"178 abgeleitet werden. Die Bemühungen, strafrechtliche Schuld zu beschreiben, machen das besonders deutlich. Das mag auch darin begründet sein, daß der sprachphilosophische Befund dafür spricht, den Schuldbegriff nicht allzu intensiv zu zerdenken. Nach dem Eindruck von Haft bekommt das dem Begriff nicht gut. Schuld sei ein Wort, das in der Alltagssprache ganz unbefangen verwendet werde und Sachverhalte bezeichne, die zu jedermanns psychologischem Erfahrungsgut gehörten,17l1 Tatsächlich 173 Kube / Leineweber (1980), S. 5, erkennen die verfahren.spraktischen Kon.sequenzen: "Man kann sich in der Hauptverhandlung nicht der Kommunikation enthalten." Leider liegen keine umfassenden, aussagekräftigen empirischen Untersuchungen über die Kommunikationsstruktur vor. Alle Aussagen können sich nur auf unsystematisches Erfahrungswissen stützen und vermögen daher nicht die Verfahren.swirklichkeit dazustellen. 174 Weiterführend Habermas (1970), S. 287. 175 176

Kopperschmidt (1978), S. 92. Es besteht nach Apet (1973, 2, S. 419 ff. [429]) eine Dialektik zwischen

dem Verständigtsein, das schon immer vorlag ("apriorisches Perfekt") und dem noch einzulösenden Verständigungsziel reflexiver Leben.spraxis ("appellatives Futur"). Die darin enthaltene Dialektik zwischen der realen und idealen Kommunikation begreift Apet als Antizipation der idealen in der realen Kommunikation. 177

178 170

Kopperschmidt (1978), S. 92. Haft (1978 a), S. 18. Haft (1978 a), S. 24.

52

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

sind scharfe Trennungen zwischen juristischer und außerjuristischer Begriffsverwendung nicht möglich. Ein von der Umgangssprache losgelöstes Begriffsinstrumentarium kann weder in der Philosophie noch in der Rechtswissenschaft entwickelt werden. 1.4.5. Korrespondenztheoretische Ansätze und sprachliche Bewährung

Nach der Auffassung von James, die er in einer Vorlesungsreihe 1907 entwickelte, ist Wahrheit eine Eigenschaft der Ideen, nämlich ihre übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Bei Wahrnehmungsinhalten betrachtet er übereinstimmung als eine Art der Abbildung. James stellt die Frage nach dem "Barwert der Wahrheit" 186, wenn sie in Erfahrungsmünze umgerechnet wird. Die Wahrheit einer Vorstellung ist für ihn nicht eine unbewegliche Eigenschaft, die ihr inhäriert. Vielmehr werde eine Vorstellung durch Ereignisse wahr gemacht. Wahrheit ist also ein tatsächliches Geschehen, ein Vorgang der Selbst-Bewahrheitung, ihre Verifikation. Die Geltung der Wahrheit ist nichts anderes als der Vorgang des Sich-Geltend-Machens. D~e Definition von Wahrheit hängt mit dem Wahrheitskriterium zusammen, da die Frage, was Wahrheit ist, und die Frage, wie Wahrheit zu erreichen ist, in einem internen Zusammenhang stehen. Das Kriterium spielt daher im Verifikationsprozeß eine Rolle. 181 Mit seinem pragmatischen Ansatz vom dynamischen Charakter der Wahrheit liefert James einen fruchtbaren Gedanken für prozeßförmiges Handeln zum Zweck der Wahrheitsfindung. Demnach ist Wahrheit nichts anderes als der Weg, auf dem wir von einem Stück der Erfahrung zu anderen Stücken hingeführt werden, und zwar zu solchen, die zu erreichen die Mühe lohnt. 182 Gleichfalls relevant für unseren Untersuchungsgegenstand ist der Gesichtspunkt, daß zwischen der Anerkennung von Wahrheit aufgrund des Vertrauens anderen gegenüber und die Anerkennung von Wahrheit aufgrund eigener Kontrolle ein Verhältnis besteht, für dessen Beschreibung eine Formulierung von James aufschlußreich ist: "Die Wahrheit lebt tatsächlich größtenteils vom Kredit."183 Für Russell waren die überlegungen von J ames Trugschlüsse und eine "Abart des subjektivistischen Wahnsinns".184 Er stellte in seinem James (1977), S. 37. Skirbekk (1977), S. 13. 18! James (1977), S. 39. 183 James (1977), S. 41. 184 RusseH (1977), S. 62; Künne, NHfPhil 1972, 33 ff., verzichtet auf ähnliche Schlagworte und untersucht differenziert RusseHs Theorie der "definite propositions" und der "logically proper names". 180 181

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsfindung

53

Wahrheitskapitel des Werkes "The Problems of Philosophy" aus dem Jahre 1912 drei Forderungen auf, der jede Theorie der Wahrheit zu genügen habe: -

Es muß Falschheit geben können. Wahrheit und Falschheit sind Eigenschaften von Glaubensüberzeugungen oder Aussagen. Die Wahrheit oder Falschheit eines Glaubens hängt immer von etwas ab, das jenseits des Glaubens liegt.

Russell versucht, den Begriff der Wahrheit auf Korrespondenz mit Fakten zurückzuführen. Er hält Urteilen, Glauben oder Meinen für eine gewisse komplexe Einheit, zu deren Konstituentien ein Bewußtsein gehöre. Die Wahrheit oder Falschheit eines Urteils und eines Glaubens hänge von dem Verhältnis zu anderen Dingen ab und nicht von internen Qualitäten wie Klarheit und Bestimmtheit. Das heißt: "Was eine Meinung wahr macht, ist eine Tatsache, und diese Tatsache hat (außer in Ausnahmefällen) nichts mit dem Bewußtsein der Person zu tun, die diese Meinung hat. "185 Nach dem Denkansatz von Russell stellt sich für die Tatsachenermittlung durch den Sachverständigen und die Verwertung dieser Tatsachen das Problem, wie die Verbindung zwischen diesen Komplexen (Tatsache - richterliche Überzeugung) beschaffen sein muß, damit im Ergebnis die Wahrheit qua richterlichem Erkenntnisakt darstellbar ist. Er meint, daß Wahrheit und Falschheit zwar Eigenschaften von Meinungen und Urteilen, aber auch äußerliche Eigenschaften seien. Dies folge daraus, daß die Bedingungen der Wahrheit einer Meinung etwas sei, das kein Glauben oder Bewußtsein überhaupt involviere, sondern nur durch die Objekte dieser Akte gegeben werde. In der Konsequenz führt der Gedanke dazu, daß das Bewußtsein Wahrheit oder Falschheit nicht erschafft. Bei den Ausführungen Russells wird nicht hinreichend deutlich, in welchem Zusammenhang Formen psychischer Aktivität wie Glauben - Meinen - Urteilen - Wahrnehmen - Vorstellen - Bewußtwerden, untereinander stehen und welche Beziehungen sie zur Außenwelt haben. Eine Bestimmung des funktionellen Stellenwertes der richterlichen überzeugung ist nicht möglich, wenn man seinen Gedanken akzeptiert, daß das Bewußtsein Urteile und Meinungen hervorbringt, die das Bewußtsein dann nicht mehr wahr oder falsch machen kann. So wird versucht, eine Zäsur zwischen Urteilsgrundlagen (Tatsachen) und Beurteilungsergebnis (Wahrheit) zu legen, obschon vorher eine Korrespondenzbeziehung konstruiert wurde. Damit kann aber nicht die Wahrheit als objektiver Begriff, erst recht nicht als Ergebnis eines prozeßspezifischen Erkenntnisvorgangs erklärt werden. Im Konzept von 185

Russell (1977), S. 71.

54

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

RusseU wird die richterliche Überzeugung, das Medium, in dem sich bewußt Wahrheit abzubilden hat, dysfunktional. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Begriff Bewußtsein durch Gewißheit ersetzt wird. Carnap traf in seinen Ausführungen aus dem Jahre 1936 eine Unterscheidung zwischen Wahrheit und Bewährung. Wahr wird als zeitunabhängiger Begriff bezeichnet, bewährt im Sinne von bestätigt oder wissenschaftlich anerkannt als zeitabhängig angesehen: "Die Sätze der Wissenschaft sind so besch,affen, daß sie niemals endgültig anerkannt oder abgelehnt werden können, sondern nur gradweise mehr oder weniger bewährt oder erschüttert werden können. "186 Gegenstand eines Verfahrens der wissenschaftlichen Nachprüfung können direkt oder indirekt nachprüfbare Sätze sein. Carnap versucht aus wissenschaftlichen Allsätzen Kontrollsätze abzuleiten und die logisch syntaktischen Beziehungen zwischen dem zu prüfenden Satz und dessen Kontrollsätzen mit zwei Operationen zu definieren:

-

Konfrontation des Kontrollsatzes mit der Beobachtung;

-

Konfrontation dieses Kontrollsatzes mit schon vorher anerkannten Sätzen.

Für die Frage, ob und wie das von einem Sachverständigen erhobene Datenmaterial durch Bewährung zum überprüfbaren Teil prozessualer Wahrheitsermittlung werden kann, sind folgende Überlegungen wichtig. Carnap versteht unter der Konfrontation zweier Gegenstände die Feststellung, ob der eine (der Satz) in einer gewissen Hinsicht zu dem zweiten (der Tatsache) paßt, ob also die Tatsache so ist, wie der Satz es besagt, d. h. ob der Satz im Hinblick auf die Tatsache wahr ist. Er warnt vor einer absolutistisch·en Auffassung, die sich aus dem Umstand ergeben könnte, daß von Fakten und Wirklichkeit die Rede ist. Es soll unzulässig sein, nach einer absoluten Wirklichkeit zu fragen, deren Beschaffenheit unabhängig von der zu ihrer Beschreibung gewählten Sprache an und für sich feststeht: "Die Antwort auf die Frage über die ,Wirklichkeit' ist jedoch nicht nur von dieser ,Wirklichkeit', von den ,Tatsachen' abhängig, sondern außerdem auch von der Struktur und dem Begriffsschatz der zur Beschreibung verwendeten Sprache. Bei einer übersetzung von einer Sprache in eine andere kann der Sachgehalt eines Tatsachensatzes nicht immer unverändert bleiben, nämlich dann nicht, wenn die Strukturen der beiden Sprachen sich in wesentlichen Sätzen unterscheiden. "187 Wenn Carnap die wirklichkeitsrelevanten Unterschiede von sprach,.. lichen Systemen schon im selben Erkenntnisbereich (klassische - moderne Physik) bejaht, sind seine überlegungen für den Datentransfer 188 187

Camap (1977), S. 90. Camap (1977), S. 93.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsflndung

55

zwischen Sachverständigen und Gericht um so bedeutungsvoller. Seine überlegungen zeigen im Ergebnis, daß Wahrheit als funktionale Bewährung kontrollierbarer Wirklichkeit oder Tatsachenerhebung nur als Produkt gelungener Verständigung herstellbar ist. 1.4.6. Wissenschaftstheoretische Vorstellungen

Hempel vertrat 1935 in seinen Darlegungen zur Wahrheitstheorie des logischen Positivismus die Ansicht, daß wissenschaftliche Aussagen niemals mit einer Realität oder mit Tatsachen verglichen werden. t88 Zur Begründung führt er an, daß niemand von denen, die sich für eine Trennung zwischen Aussagen und Realität aussprechen, präzise angeben könne, wie sich ein Vergleich zwischen Aussagen und Tatsachen durchführen läßt und wie man sich Gewißheit über die Struktur der Tatsachen verschaffen kann. Für ihn ist die Trennung von Aussage und Realität das Resultat einer verdoppelten Metaphysik und alle mit ihr verbundenen Probleme Scheinprobleme. t89 Es führt nicht weiter, die Wissenschaft als System von Aussagen nur einer Art zu behandeln. Ein erkennendes Gericht muß sehr unterschiedliche Aussagen systemimmanent kombinieren. Dabei hat es zu überprüfen, ob sich die Aussagen in einem für alle geltenden Bezugsrahmen widerspruchsfrei ergänzen. Nur so wird eine überzeugung darüber denkbar, daß die Erkenntnisse des Sachverständigen die realitätsgerechte Bestandsaufnahme eines tatsächlichen Lebensinhaltes darstellen.

In der Darstellung der Grundprobleme der Erkenntnislogik beschreibt Popper die Arbeit des wissenschaftlichen Forschers so: "Die Tätigkeit des wissenschaftlichen Forschers besteht darin, Sätze oder Systeme von Sätzen aufzustellen und systematisch zu überprüfen; in den empirischen Wissenschaften sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der Erfahrung durch Beobachtung und Experimente überprüft werden."t90 In seinen Bemerkungen über den Gebrauch der Begriffe wahr und bewährt kommt Popper einerseits zu dem Ergebnis, daß er nach dem von ihm skizzierten Aufbau der Erkenntnislogik auf den Gebrauch der Begriffe wahr und falsch verzichten könne. Andererseits werden nach der Begegnung mit Tarski die Ausdrücke Wahrheit und Falschheit ohne Zögern verwendet. Gleichwohl wird die Forderung erhoben, an die Stelle dieser Begriffe logische überlegungen über Ableitbarkeitsbeziehungen treten zu lassen. t9t Für Popper ergibt sich t88 190

(1977), S. 97. (1977), S. 98. Popper (1973), S. 3; Popper (1972), S. 30, bezeichnet es als das Ziel der

191

Popper (1973), S. 219.

Hempe~

189 Hempe~

empirischen Wissenschaften, befriedigende Erklärungen zu finden.

1.

56

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

wegen der Eliminierbarkeit dieser Begriffe kein Anlaß zu grundsätzlichen Fragestellungen. Er hält sie für außerempirische, logische Begriffe, die einen Satz ohne Rücksicht auf die Änderungen der empirischen Welt kennzeichnen und deren Gebrauch der Benutzung von Begriffen wie Tautologie, Kontradiktion oder Konjunktion, Implikation analog sei. 192 Da nur die Möglichkeit der Falsifikation wissenschaftlicher Sätze verlangt wird, ist die Frage nach der Wahrheit von Beobachtungssätzen eher von praktischer als von theoretischer Bedeutung. Wahrheit sei Korrespondenz. Eine Theorie ist also wahr, wenn und nur wenn sie mit den Tatsachen übereinstimmt.1 93 In seiner Auseinandersetzung mit dem InduktionsschJuß zeigt Popper, daß Wirklichkeitserkenntnis nur durch eine deduktive Methodik der Nachprüfung möglich ist. Eine Differenzierung zwischen Wahrheit und Wahrscheinlichkeit würde die Induktionslogik entweder zu einem unendlichen Regreß oder zum Apriorismus führen. 194 Das Induktionsprinzip wird als Mittel für den Wahrheits- oder Wahrscheinlichkeitsentscheid der Wissenschaft ausgeschlossen. Dieses Ergebnis ist konsequent, wenn man Wahrheit und Falschheit nicht für die Alternative der Wissenschaft hält. Für Popper ist es sogar zwingend, da er wissenschaftlichen Sätzen nur stetige Wahrscheinlichkeitsstufen beimißt. Wahrheit sowie Falschheit könnten nur unerreichbare Grenzen nach oben und unten sein. 195 Popper meint nämlich, daß sich die Erkenntnislogik nicht für Tatsachen interessiere, sondern nur für Geltungsfragen ("quid juris"). Für ihn handelt es sich um die Fragen, ob und wie ein Satz begründet werden kann, ob er nachprüfbar ist, ob er von gewissen anderen Sätzen logisch abhängt oder mit ihnen in Widerspruch steht. Die Schlußfolgerung ist: "Damit aber ein Satz in diesem Sinn erkenntnislogisch untersucht werden kann, muß er bereits vorliegen; jemand muß ihn formuliert, der logischen Diskussion unterbreitet haben. "198 Fraglich ist, ob die Ausschaltung des Psychologismus und die rationale Nachkonstruktion eines Erkenntnisvorgangs den Verwertungsprozeß des Materials kennzeichnen können, das durch einen Sachverständigen mit naturwissenschaftlichen Methoden erhoben wurde und dessen Ziel die Feststellung einer historischen Wirklichkeit ist. Popper selbst läßt erkennen, daß sein erkenntnislogisches Instrumentarium bei der Beschreibung der Wahrheit nur begrenzt nützlich ist. Er hat Schwierigkeiten, eine brauchbare Definition der empirischen Wissenschaften aufPopper (1973), S. 220. Skirbekk (1977), S. 18. 194 Popper (1973), S. 5; ausführlich schaften Seiffert (1980, 1), S. 133 ff. 195 Popper (1973), S. 6. m Popper (1973), S. 6. 192

193

zur Induktion in den Naturwissen-

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

57

zustellen. Dies rührt daher, daß es viele theoretische deduktive Systeme geben kann, die hinsichtlich ihrer logischen Struktur den jeweiligen empirischen Wissenschaften analog sind. Dann gibt es auch viele, vermutlich unendlich viele logisch mögliche Welten. 197 Wie dieser Umstand aber mit der Aufgabe des Systems, das empirische Wissenschaft genannt wird, vereinbar ist, bleibt unklar. Dieses System soll nämlich nur die eine wirkliche Welt, die Welt unserer Erfahrungswirklichkeit darstellen. 19B Es ist nicht möglich, aus den überlegungen Poppers einen Wahrheitsbegriff herauszufiltern, der unter den Bedingungen strafprozessualer Ermittlungstätigkeit operationalisierbar ist. Zwischen den Ergebnissen empirischer Wissenschaften und subjektiven überzeugungserlebnissen besteht kein Zusammenhang. Unterschieden wird zwischen subjektiven Überzeugungserlebnissen, die niemals Sätze begründen, sondern immer nur Objekt der wissenschaftlichen, nämlich der empirisch-psychologischen Forschung sein können, und den objektiv-logischen Zusammenhängen der wissenschaftlichen Satzsysteme.199 Demzufolge hält Popper es für erkenntnistheoretisch gleichgültig, ob überzeugungen stark oder schwach sind, ob Evidenz vorliegt, oder nur eine Vermutung. Eine systematische Bestimmung der Wahrheit im Beziehungsgeflecht zwischen Empirie und überzeugung kann so nicht geleistet werden. 1.4.7. Semantische Konzeptionen In seiner semantischen Konzeption der Wahrheit möchte Tarski, daß seine Wahrheitsdefinition den Intentionen der klassischen aristotelischen Konzeption der Wahrheit gerecht wird. Er bezieht den Begriff der Wahrheit wie den einer Aussage stets auf eine bestimmte Sprache. Es sei klar, daß derselbe Ausdruck, der in einer Sprache eine wahre Aussage ist, in einer anderen eine falsche oder sinnlose sein kann. 20o Eine allgemeine Definition der Wahrheit soll durch die logische Konjunktion all der Aussagen entstehen, die in einer Sprache denkbar sind und eine partielle Definition darstellen. Da aber eine Sprache die Konstruktion unendlich vieler Aussagen gestattet, ist auch die Anzahl der partiellen Definitionen der Wahrheit hinsichtlich dieser Aussagen unendlich. Tarski räumt selbst ein, daß er den Vorgang logischer Konjunktion von unendlich vielen Aussagen erklären müßte, um seinen Bemerkungen einen präzisen Sinn zu geben. Dies wird nicht geleistet, weil es zu weit in die technischen Probleme der modernen Logik führen würde. 201 Teil197 Musil (1978), S. 17: "Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt, und nichts wäre so verkehrt, wie das zu leugnen." 198 Popper (1973), S. 13. 199 Popper (1973), S. 18. 200 Tarski (1977), S. 142. 201 Tarski (1977), S. 145.

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

58

weise drängt sich der Eindruck auf, als ob Tarski seine Enthaltsamkeit in diesem Bereich mit seinen überlegungen zur Objektsprache und Metasprache kompensieren möchte. Wegen möglicher Antinomien will er die formale Struktur einer Sprache bestimmen. Dazu sollen die Klassen der Wörter und Ausdrücke eindeutig charakterisiert werden, die als sinnvoll betrachtet werden können. 202 Für die Entwicklung eines objektiven Wahrheitsbegriffs und die Beschreibung der Wirklichkeit unter den Bedingungen, die für eine Verständigung zwischen Richter und Sachverständigen bestehen, bieten die überlegungen interessante Anregungen. Allerdings sind sie nur von begrenzter Reichweite. In der Tat ist es fast überflüssig zu sagen, daß die Semantik nicht eine direkte Anwendung in den Naturwissenschaftenwie Physik, Biologie etc. finden kann. In keiner dieser Wissenschaften hat man es mit sprachlichen Phänomenen zu tun. Noch weniger geht es um semantische Beziehungen zwischen sprachlichen Ausdrücken und Gegenständen, auf die sich diese Ausdrücke beziehen.203• Richtig ist, daß sich die juristische Sprache von den termini technici der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unterscheidet. Dieser Unterschied könnte durch eine Art semantischer Vereinbarung bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden. Dazu müßte eine Kunstsprache entwickelt werden, die juristische und empirische Kategorien so konjugiert, daß Wahrheit nur noch ein Rechenexempel ist. Mit diesem Ansatz erreicht man aber weder objektive Kriterien der Wahrheit noch gelingt so die Bestimmung des funktionellen Stellenwertes der richterlichen Beweiswürdigung bei der Umschreibung einer historischen Wirklichkeit. Zweifellos erschweren Sprachschwierigkeiten die Zusammenarbeit des Richters mit dem naturwissenschaftlichen Sachverständigen. Aber die Definition von Wahrheit im strafprozessualen Sinn setzt nicht einen willkürlichen semantischen Bedeutungsausgleich begrifflicher Konstrukte voraus, sondern fordert vor allem eine begriffs- und denklogische Leistung: Die Verwertung von Wahrnehmungsergebnissen, die durch völlig unterschiedliche Erkenntnisweisen geprägt und nach verschiedenen erkenntnisleitenden Interessen gewonnen wurden. Daher müssen Richter und Sachverständige vor allem versuchen, sich Einblick in die Denkweise des anderen zu verschaffen. 204 Begriffskosmetik allein macht Justitia nicht attraktiv. Die Überzeugungskraft verbaler Fassaden kann Wahrheit nicht ersetzen. Zur Begründung Tarski (1977), S. 142. So auch Tarski (1977), S. 175. Mit dem Apriori-Charakter semantischer Systeme und dessen Folgen beschäftigt sich Apel (1973, 2), S. 408 ff. 204 Wuermeling (1967), S. 611, der fordernd und warnend ausführt: " ... einmal müssen sowohl der Jurist als auch der ärztliche Sachverständige einsehen, daß das Denken des anderen vom eigenen verschieden ist. Diese Verschiedenheit darf aber nicht resignierend festgestellt werden." 202

203

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

59

Ramsey vertrat 1927 in einem Artikel die Auffassung, daß in der analytischen Philosophie das Prädikat wahr überflüssig sei. Nach der von ihm mitentwickelten Redundanztheorie bringt die Formulierung "ist wahr" keine Information über das hinaus, was schon in der Behauptung von "p" liegt, da die Behauptung "es ist wahr, daß p" genauso viel bedeutet wie "p". Beispielhaft ausgedrückt besteht also zwischen den Aussagen "Es ist wahr, daß der Schnee weiß ist" und "Der Schnee ist weiß" kein Unterschied. Die Umschreibung "ist wahr" spielt nur eine stilistische Rolle, hat aber keine Bedeutung für das, was behauptet wird. Das Wahrheitsprädikat ist also redundant. 205 Demzufolge wird das Wahrheitsproblem nicht als eigenständiges Problem behandelt, sondern nur als sprachliche Frage. Es mag sein, daß die Überlegungen Ramseys zu einer größeren philologischen Präzision im Umgang mit dem Wort wahr führen könnten. Entscheidend ist aber, ob damit ein aussagekräftiges Kriterium für Wirklichkeitsbezeichnungen gegeben ist. Hier führen die Gedanken von Ramsey nicht weiter. In einem Beitrag aus dem Jahre 1950 setzte sich Austin mit dem Begriff der Wahrheit auseinander. Er formuliert prägnant: "Denn ,Wahrheit' selbst ist ein abstraktes Substantiv, also ein Kamel von einer logischen Konstruktion, das nicht einmal durch das Öhr eines Grammatikers hindurchgehen kann.''206 Für ihn ist eine Aussage dann wahr, wenn sie mit den Tatsachen übereinstimmt. Austin meint, daß die Wahrheitstheorie aus einer Reihe von Binsenwahrheiten bestehe. Aussagen sollen wahr sein, wenn sie durch Beschreibungskonventionen bezüglich der Worte (Sätze) mit dem Typus der vorgefundenen Situation, Dinge, Ereignisse verbunden und wenn die Worte (Aussagen) mit den vorgefundenen historischen Situationen verknüpft sind. Für das Zustandekommen von Kommunikation durch Sprache fordert Austin einen Bestand von Symbolen einer bestimmten Art, die ein Kommunizierender (der Sprecher) nach Belieben produzieren und ein Kommunikationsempfänger (der Hörer) wahrnehmen kann. Diese Symbole sind Wörter. Daneben besteht das, worüber mit Wörtern kommuniziert wird. Es handelt sich um Welt. Schließlich fügt Austin seinem wahrheitstheoretischen Ensemble noch zwei Gruppen von Konventionen hinzu. Gemeint sind deskriptive Konventionen, die die Wörter (= Sätze) mit den Typen von Situationen, Dingen, Geschehnissen usw. korrelieren, welche die Worte (= Aussagen) mit den historischen Situationen korrelieren, die in der Welt zu finden sind. Demzufolge soll eine Aussage dann wahr sein, wenn der historische Sachverhalt, mit dem sie durch die demonstrativen Konventionen korreliert, einem Typ zugeordnet werden muß, mit dem der Satz, durch den sie gemacht worden ist, durch die deskripti205 208

Vgl. insgesamt Ramsey (1977), S. 224 ff. Austin (1977), S. 226.

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

60

ven Konventionen korreliert. 201 Es bestehe eine Abhängigkeit der Wahrheit von Aussagen davon, daß die genutzten Wörter dem Situationstyp konventionell zugeordnet sind, dem auch die bezeichnete Situation angehört. Beim Gebrauch des Worts Tatsachen für historische Situationen, Geschehnisse und die Welt im allgemeinen werden Schwierigkeiten bemerkt: ",Tatsache' wird nämlich regelmäßig in Verbindung mit ,daß' in den Sätzen ,Die Tatsachen besagen, daß S' oder ,Es ist eine Tatsache, daß S' und in der Wendung ,die Tatsache, daß S' gebraucht, die alle implizieren, daß es wahr wäre, zu sagen, daß S."208 Austin meint, die Wendung, "die Tatsache, daß" sei zum Gebrauch in Situationen bestimmt, wo die Unterscheidung zwischen einer wahren Aussage und dem Sachverhalt, auf den sich diese Wahrheit bezieht, vernachlässigt wird, wie es im Alltag oft nützlich sei. Für die philosophische Wahrheitsdiskussion soll es erforderlich sein, die Wörter von der Welt loszulösen und sie von ihr fernzuhalten. Diese Verfahrensweise ist für die Bestimmung des Korrelationsgrades zwischen den vom Sachverständigen durch Sprache vermittelten Daten und dem Wirklichkeitsgehalt des strafgerichtlichen Wahrspruchs (Urteilsfeststellungen) unergiebig. Bedeutsam ist für den Verständigungsprozeß zwischen Gericht und Sachverständigen zum Zweck der Wahrheitsfindung jedoch die folgende Feststellung: "Je rudimentärer eine Sprache ist, desto eher trifft es sehr oft zu, daß sie tendenziell ein ,einzelnes' Wort für einen äußerst ,komplexen' Situationstyp hat. Daraus entstehen etwa solche Nachteile, daß die Sprache mühsam zu erlernen und nicht imstande ist, mit ungewöhnlichen und unvorhergesehenen Situationen, für die es vielleicht kein Wort gibt, fertigzuwerden. "209 Es kann kein Ausweg sein, die Sachverständigen zu einer weiteren Entwicklung ihrer jeweiligen Sprache zu veranlassen. Differenziertere Begriffssysteme können als Esperanto der Empirie dem Gericht keine Zugangsmöglichkeiten zu den Erkenntnissen des Sachverständigen eröffnen. Richtig weist Austin darauf hin, daß die Wahrheit der Aussagen davon abhängt, ob die benutzten Wörter dem Situationstyp konventionell zugeordnet sind, dem auch die bezeichnete Situation angehört. Das gilt gleichermaßen für sehr rudimentäre Sprachen und solche, die Eigenschaften sehr genau widerspiegeln. Bei der Wahrheitsermittlung mit Hilfe von Sachverständigen kann es nicht nur darum gehen, einen möglichst maßstabsgerechten sprachlichen Beschreibungsmodus zu entwickeln. Bereits während der Befunderhebung muß eine Verständigung über die verwendeten Ausdrücke angestrebt werden. Das sollte ge207 208

209

Austin (1977), S. 230. Austin (1977), S. 230, 231. Austin (1977), S. 233.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsfindung

61

schehen, bevor die benutzten Wörter in normative Kategorien übertragen und als Teil des Beweisergebnisses gewürdigt werden. Strawson meinte in seiner Auseinandersetzung mit Austin, es gehe darum, daß Worte wie Tatsache (bzw. Menge von Tatsachen, Situation, Sachverhalt) und Worte wie Aussage und wahr selbst schon einen bestimmten (informativen) Diskurs implizieren, der Wort und Welt korreliert. Er ist der überzeugung, daß es fruchtlos wäre, das Wesen dieses Diskurses unter Verwendung der Wörter Tatsache, Aussage und wahr zu klären, da diese Wörter das Problem enthielten und nicht die Lösung. Es sei unmöglich, irgendeines dieser Wörter mit Hilfe der anderen zu klären, sofern die Klärung dieses Wortes dabei die Klärung dieses Problems sein SOll.210 Den Gedanken Strawsons läßt sich für das Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen entnehmen, daß es bei dem Begriffspaar Wahrheit-Tatsache nicht um identische Kategorien geht, die synonym verwendet werden können. Der Gebrauch dieser Wörter setzt einen Verständigungsprozeß voraus, der einen möglichst hohen Korrelationsgrad zwischen den tatsächlichen Gegebenheiten und den sprachlichen Mitteln schafft. Die Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung darf nicht zum Aufeinanderprallen zweier komplexer, in sich ruhender Begriffswelten führen. Es können nur Trümmerstücke anfallen, aus denen Wirklichkeit lediglich mit dem Wahrheitswert eines Orakels herauszulesen wäre. Ayer betreibt die Analyse von Basissätzen, die er für etwas direkt Kontrollierbares hält. Es wird der Versuch unternommen, die Wahrheit von Aussagen mit Hilfe ihrer Beziehung zu Tatsachen zu erklären. Die Anwendungsmöglichkeiten des Begriffs ,Tatsachen' sollen durch drei Bedingungen hinreichend präzisiert sein, denen eine festgelegte Klasse von Aussagen genügen müßte. Zum einen wird direkte überprüfbarkeit gefordert. Zum anderen wird verlangt, daß Aussagen ,einfach', also nicht aus anderen Aussagen zusammengesetzt sind. Schließlich sei es notwendig, daß die Aussagen in bezug auf die Sprache, innerhalb derer sie geäußert werden, absolut spezifisch sind. Ayer erkennt, daß er mit diesen überlegungen in einen Zirkelschluß gerät: "Unser Ausgangspunkt war, daß wir die Wahrheit von Aussagen mit Hilfe ihrer Beziehung zu Tatsachen erklären wollten, am Ende aber haben wir den Begriff ,Tatsache' mit Hilfe der Wahrheit einer bestimmten Klasse von Aussagen erklärt."211 Hinsichtlich der übereinstimmung zwischen Sprache und Wirklichkeit handelt es sich um das Argument vom unüberschreitbaren Zirkel der Sprache. Ayer sucht einen Ausweg, indem er Wahrheit mit Anerkennung gleichsetzt. Pragmatisch wird also die 210 211

Strawson (1977), S. 258. Strawson (1977), S. 289.

62

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

Auffassung vertreten, daß die Wahrheit bei Beachtung wissenschaftlicher Methoden in der gemeinsamen Anerkennung einer Aussage liege. Für die Verwertung des vom Sachverständigen ermittelten Tatsachenmaterials heißt das nichts anderes, als daß bestimmte Aussagen nicht deshalb wahr sind, weil sie Wirklichkeit widerspiegeln. Vielmehr ist qua Vereinbarung ein Bedeutungsausgleich verschiedener Wörter und Aussagen nötig. Wenn es aber stimmt, daß praktisch die Frage nach der Wahrheit immer auf die Frage nach der Wahrheitsüberzeugung hinausläuft212, dann darf die freie Beweiswürdigung im Sinne des § 261 StPO nicht erst in dem Zeitpunkt einsetzen, in dem das Gutachten abgeschlossen vorliegt. Auch wenn die Wahrheitsüberzeugung letztlich das Medium ist, in dem sich Wahrheit verwirklicht, ist die Entwicklung und die inhaltliche Besetzung eines objektiven Wahrheitsbegriffes notwendig. Das ist nur praktikabel, wenn eine Zusammenarbeit zwischen Richter und Sachverständigen stattfindet, die Tatsachen und Aussagewahrheit möglichst bald in Beziehung setzt. Sellars stellte die Frage, ob es neben dem von der semantischen Theorie explizierten Sinn von korrespondieren noch eine andere Art von Korrespondenz zwischen empirischen Wahrheiten und Gegenständen oder Ereignissen in der Welt gibt. Er hält die Unterscheidung zwischen sprachlichen Äußerungen und den dadurch ausgedrückten Denkakten für ursprünglich und nicht reduzierbar. Die Vorstellung eines Denkaktes sei in gewisser Hinsicht der einer sprachlichen Äußerung analog. Demnach muß die Relation eines Denkaktes zum Gedachten in Analogie zur Relation zwischen einer Äußerung und der dadurch ausgedrückten Proposition konstruiert werden. 213 Nach Sellars unterscheiden sich wahre Aussagen voneinander dadurch, daß sie auf verschiedene Weisen eine Projektion der Welt in den Sprachsubjekten konstituieren. Seine Wahrheitsauffassung berücksichtigt also die sprachbenutzende Subjektivität.214 Daraus folgt, daß die Verbindung zwischen Tatsachen und Wahrheit nur dann hergestellt werden kann, wenn mittels ähnlich gerichteter Projektionen die Subjektivität richterlicher überzeugungsbildung objektiven Erkenntnissen angenähert wird. Rescher beschäftigte sich nicht mit einer Wahrheitsdefinition, sondern mit einer Theorie des Wahrheitskriteriums. Er räumt ein, daß man einer kriterienorientierten Wahrheitsauffassung entgegenhalten könnte, daß sie sich nicht mit dem Hauptproblem beschäftigt - was es nämlich heißt, wahr zu sein -, sondern mit der nur peripheren Frage: Was wird für wahr gehalten? Diesem Einwand wird erwidert: "Uns interessiert nicht einfach die tatsächliche Frage, was für wahr ,gehalten wird', sonStrawson (1977), S. 293. SeHars (1977), S. 303. m So Skirbekk (1977), S. 22. 212 213

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

63

dern die logisch-erkenntnistheoretische Frage, was vernünftiger- und berechtigterweise dafür gehalten werden soll. "215 Differenziert wird zwischen garantierenden und berechtigenden Kriterien. Wenn die Erfüllung eines Kriteriums das Fehlen der geforderten Merkmale logisch ausschließt, wenn also das Kriterium vollkommen über die Merkmale entscheidet, dann soll ein garantierendes Kriterium vorliegen. Ein berechtigendes Kriterium sei gegeben, wenn die Erfüllung des Kriteriums bestenfalls eine rationale Begründung für das Zusprechen eines Merkmals darstellt, ohne eine logisch unangreifbare Garantie zu bieten. Auf die Bedingungen strafprozessualer Wahrheitsermittlung übertragen stellt sich die Frage, ob im Wege freier Beweiswürdigung zu den Aussagen von Sachverständigen Kriterien entwickelt werden können, die diese Voraussetzungen erfüllen. Das ist kaum vorstellbar. Die richterliche überzeugung selbst ist als Kriterium nicht geeignet. Weitere Gutachten können auch nicht die Funktion eines Kriteriums haben. Schließlich sind Plausibilitätserfahrungen nicht als Rahmen geeignet, in dem Kriterien nach der Konzeption Resehers differenziert eingesetzt werden könnten. 1.4.8. Wahrheit und Evidenz

Naess vertritt die Ansicht, daß Nicht-Philosophen und vielleicht auch Philosophen im Alltagsleben einen Wahrheitsbegriff gebrauchen, der vollkommen unabhängig davon sei, ob man sicher ist und gute Gründe oder ein Recht zu solcher Sicherheit hat. Er wendet sich gegen eine Auffassung, wonach Gründe nur dann gut sind, wenn sie Wahrheit garantieren, so daß man das Recht hat, sicher zu sein. Betont wird, daß Gründe dann gut sind, wenn bestimmte, aber veränderliche Beweisstandards eingehalten wurden. 216 Andererseits sollen noch so viele und noch so gute Beweise doch nie die Wahrheit garantieren können. Es wird die These aufgestellt: "Wissen und Wirklichkeit können nicht auseinanderfallen."217 Das Ansehen der Naturwissenschaften sei zu hoch. Eine Abhängigkeit zwischen dem Wahrheits erfordernis und dem Beweiserfordernis bestehe nicht. 218 Dieser Ansatz ist für unsere Untersuchung unergiebig. Im Unterschied zum Wissen erfordert Gewißheit als eine Form subjektiver Wirklichkeitserfahrung eine bestimmte Beziehung zwischen den Beweisen und der dadurch angedeuteten Wirklichkeit. Naess vertritt den Standpunkt, daß Wahrheit durch Evidenzsteigerung nicht erreicht werden könne. 219 Grundsätzlich kann man 215 218 217 218

218

Rescher (1977), S. 340. Naess Naess Naess Naess

(1977), (1977), (1977), (1977),

S. S. S. S.

394. 391. 400. 398.

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

64

zwei Einwände gegen eine objektive Evidenz vorbringen. Erstens ist mit ihrer Bezeichnung als Erkenntnismittel oder als Wahrheitskriterium klar, daß es ohne ein erkennendes Subjekt nicht geht. Daraus folgt, daß die überzeugungskraft eines Urteils dann eine Leerformel ist, wenn ihr keine Subjektbereitschaft entspricht, die die überzeugung akzeptiert. Zweitens steht fest, daß es keine Kriterien der Evidenz geben kann, wenn die objektive Evidenz solche Sätze auszeichnet, die nicht weiter zurückführbar und nicht weiter begründbar sind. Objektive Evidenz verbürgt also nicht die Objektivität des Wirklichkeitsurteils, da sie soziologisch ist und nicht bewiesen werden kann. 220 Wie KäßeT zutreffend hervorhebt, beweist das Evidenzerleben, also das Bewußtsein der Wirklichkeitserkenntnis nicht, daß das geforderte analogische Verhältnis von empirischer Welt und der Vorstellung des Erkenntnissubjektes hierüber auch vorliegt. Unabweisbar ist die Schlußfolgerung, daß es so viele Wahrheiten wie Menschen gibt. Die Untauglichkeit der objektiven Evidenz als Erkenntnismittel könnte durch eine subjektive Evidenz dann belanglos werden, wenn das Evidenzgefühl nicht mehr im Sinne von irrationalem Ahnen verstanden wird. Ein erkennendes Subjekt müßte durch Begründungen das Gefühl der Realitätsnorm annähern. So kann im Wechsel von Argument und Gegenargument auch die über das Gefühl gewonnene Entscheidung plausibel werden. 221 Diesen Dimensionen der Evidenz und ihren Beziehungen zu Beweisanforderungen und Wirklichkeitserkenntnis widmet sich Naess nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit. HusseTZ bemühte sich um das Ideal der Adäquation und die Evidenz der Wahrheit. Bei ihm ist die Wahrheit als Korrelat eines identifizierenden Aktes ein Sachverhalt und als Korrelat einer denkenden Identifizierung eine Identität, also die volle übereinstimmung zwischen Gemeintem und Gegebenem als solchem. 222 Diese übereinstimmung werde in der Evidenz erlebt. Die Unterscheidung, die HusseTZ zwischen Evidenz· im laxen und strengen Sinne trifft, schafft kein Wahrheitskriterium. 223 Die Erklärung, daß Evidenz nichts anderes als das Erlebnis der Wahrheit sei, ist fast tautologisch. 224 Alleine der Hinweis auf Evidenz kann demnach die Suche nach Wahrheit nicht ersetzen. Sie wird nur erfolgreich sein, wenn der einzelne sich durch aktuelle Wahrheitserlebnisse nicht der intersubjektiven Kontrolle entziehen kann. Die Berufung auf Evidenz könnte die zur Wahrheitsfindung notwendige Verständigung So Käßer (1974), S. 19. KäßeT (1974), S. 20. m Husserl (1977), S. 407. 223 Husserl (1977), S. 406.

220 2%1

224 Patzig, NHfPhil 1972, 17, bezeichnet Husserls Aussagen in diesem Punkt als kühn und provozierend.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsfindung

65

zwischen den Wahrheitssuchenden als überflüssig erscheinen lassen. Die folgenden überlegungen zeigen, daß dies verfehlt wäre. 1.4.9. Kommunikationstheoretisme Positionen

1.4.9.1. übereinstimmung 'Und Abstimmung Kamlah und Lorenzen konzentrieren sich bei ihren Untersuchungen über Wahrheit und Wirklichkeit auf die Satzwahrheit oder Redewahrheit. Sie meinen, daß behauptete Aussagen verifiziert werden müssen. Die Zuteilung des Prädikators wahr könne nur jemand vornehmen, der das erforderliche Beurteilungsvermögen hat. Nach Einführung des Prädikators (,P'), der durch explizite oder implizite Vereinbarung zum Element einer Sprache werden kann, dürfe ein Gegenstand nur dann ,P' genannt werden, wenn auch jeder andere sachkundige Angehörige der Sprachgemeinschaft diesem Gegenstand nach geeigneter Nachprüfung den Prädikator ,P' zusprechen würde. Ein befragter Beurteiler muß also dieselbe Sprache sprechen wie der Fragende. Als Sprachkundiger 'soll er sachkundig, gutwillig und normalsinnig sein. Kurz gesagt: "Der Befragte soll dieselbe Sprache sprechen wie der Fragende, er soll sachkundig und vernünftig sein. "225 Als vernünftig wird ein Mensch bezeichnet, der dem Gesprächspartner und den besprochenen Gegenständen aufgeschlossen ist, der ferner seine Rede nicht durch bloße Emotionen und nicht durch bloße Traditionen und Gewohnheiten bestimmen läßt. Die Zustimmung eines jeden kompetenten Beurteilers zu der Zuschreibung von ,P' nach geeigneter überprüfung impliziere einen Bestätigungszwang, der zu einer interpersonalen Verifizierung führe. KamZah und Lorenzen gehen davon aus, daß die Entscheidung über die Wahrheit eines Satzes Feststellungen erfordert, die nicht die bloße Wahl des Ausdrucks, also die sprachliche Richtigkeit betreffen. Der Rekurs auf das Urteil anderer bei der Beurteilung der Wahrheit von Aussagen geschehe durch übereinstimmung zwischen dem Sprecher und seinen Gesprächspartnern, also durch Homologie im Sinne der Sokratischen Dialogik. ,Wahr' ist ein Beurteilungsprädikator. Es wird nicht an ein Urteil im Sinne traditioneller Logik angeknüpft. Im Vordergrund steht das Urteil als Gebrauchsausdruck. Mit Blick auf Gerichtsverfahren wird hervorgehoben, daß es Fälle geben kann, in denen trotz reiflicher Abwägung des Für und Wider eine Entscheidung nicht möglich sei. Die Beurteilung des Wahrheitswertes von Aussagen kann ebenso ausgeschlossen sein, ohne daß darin ein dritter Wahrheitswert liegt. Bei Beurteilungen, die sich auf gesetzte Regeln stützen, sprechen Kamlah und Lorenzen von Regelrichtigkeit und Regelwidrigkeit. Für die Verwendung der Wörter wahr und falsch als normierte Termini der wissen225

Kamlah I Lorenzen (1977), S. 485.

5 Hetzer

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

66

schaftlichen Sprache schlagen sie eine explizite Rekonstruktion dieser Prädikatoren in der natürlichen Sprache vor. Dies bedeutet, daß nicht bei irgend jemandem angefragt werden soll, der die gleiche Sprache spricht und in irgendeiner Weise als Autorität gilt, sondern nur bei einem sachkundigen und vernünftigen Beurteiler. Wenn dieser Urteil er Autorität hat, soll sich diese aus nichts anderem als seiner bewährten Vernunft und Sachkunde herleiten. Der Rekurs auf andere Glieder einer Gruppe, die dieselbe Sprache sprechen, dürfe nicht als Appell an eine fremde und autoritäre Instanz mißverstanden werden. Kamlah und Lorenzen begreifen ihre überlegungen nicht als Versuch, den Terminus wahr durch den Ausdruck Wirklichkeit zu definieren. 226 Zur Erfüllung der Forderung nach kritischer Nachprüfung durch vernünftige Sachkenner halten sie eine interpersonal normierte Sprache und die interpersonale Zugänglichkeit der besprochenen Gegenstände für erforderlich. Das bedeutet: "Miteinander redend müssen wir auch miteinander nachsehen können, wie es sich mit diesen Gegenständen jeweils verhält."227 Besonders relevant ist eine Schlußfolgerung für die Würdigung sachverständiger Äußerungen, die angesichts der Schwierigkeit gezogen wird, bestimmte Aussagen zu überprüfen: "Wir müssen jeweils wissen, ob und wie weit wir einem anderen glauben können. "228 Die interpersonale Nachprüfung empirischer Sätze mit Hilfe der geeigneten Forschungsmethode, also die empirische Begründung solcher Sätze, soll durch vernünftiges Sprechen möglich sein, ein Sprechen, das Rechenschaft gibt, das nicht bloß behauptet, sondern stets auch begründet.229 Die Anerkennung von ,pe, die dann die übereinstimmung mit der Sprachgemeinschaft bedeutet, habe nichts mit der Inszenierung einer Abstimmung zu tun, die nur blind akzeptiert werden muß. Die Konsequenz ist, daß ein Satz auch dann wahr sein kann, wenn sich (noch) niemand findet, der ihm faktisch zustimmt. 23o Für unsere Untersuchung bedeuten die überlegungen von Kamlah und Lorenzen: Die Verwertung, das heißt, auch die überprüfung empirischer Befunde von Sachverständigen ist nur durch ein vernünftiges Gespräch möglich. Zur Entwicklung einer akzeptablen Vorstellung von Wahrheit ist übereinstimmung erforderlich. Wahrheit ist auch ohne den Bezug auf die Kategorie der Wirklichkeitdefinierbar.

Vgl. insgesamt Kamlah / Lorenzen (1977), S. 486 - 491. Kamlah / Lorenzen (1977), S. 493. 228 Kamlah / Lorenzen (1977), S. 493. m Kamlah / Lorenzen (1977), S. 495. 230 Kamlah / Lorenzen (1977), S. 490. 226 227

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsftndung

67

1.4.9.2. Konsens und Diskurs Habermas bezeichnet Verständigung als einen normativen Begriff. Sie habe sich in einem wahren Konsens zu bewähren, anderenfalls könne sie keine wirkliche Verständigung sein. 2S1 Die These der ontologischen Wahrheitstheorie, nach der Aussagen dann wahr sind, wenn sie sich nach der Wirklichkeit richten, sei unbefriedigend, weil die Korrespondenz zwischen Aussagen und Wirklichkeit wiederum in Aussagen expliziert werden muß. Wirklichkeit könne demnach als Terminus keinen anderen Sinn haben als den, der in wahren Aussagen über existierende Sachverhalte impliziert wird. Einem Gegenstand dürfe nur dann ein Prädikat zugesprochen werden, wenn auch jeder andere, der in ein Gespräch eintreten könnte, demselben Gegenstand das gleiche Prädikat zusprechen würde. Es gilt also: "Die Bedingung für die Wahrheit von Aussagen ist die potentielle Zustimmung aller anderen. "232 Sachverstand soll eine Bedingung sein, die ein kompetenter Beurteiler erfüllen muß, ohne daß dafür unabhängige Kriterien angegeben werden können, wenn die Entscheidung über die Wahl dieser Kriterien von einem Diskurs abhängen soll. Deshalb darf die Kompetenz eines Beurteilers, an dessen Zustimmung das eigene Urteil kontrolliert wird, nicht von dessen Sachverstand abhängig gemacht werden, sondern davon, ob dieser vernünftig ist. 233 Habermas bemüht sich um die Entwicklung von Methoden, mit denen man einen Konsens über die Wahrheit oder Falschheit von empirischen Behauptungen erreichen könnte. Zum einen hält er Beobachtung für eine geeignete Methode. Zum anderen bezeichnet er bei intentional-sprachlich formulierten empirischen Behauptungen die Befragung als geeignet. 234 In einem Sprachspiel physikalischen Messens soll der intersubjektivitätsverbürgende Charakter der Beobachtung von einem normativen Fundament der Beobachtung abhängig sein. Gegenstände möglicher Beobachtung werden als meßbare Körper idealisiert.235 Die Überprüfung empirischer Behauptungen über die Äußerungen sprach- und handlungsfähiger Subjekte erfordere allerdings eine Idealisierung, die sich nicht nach den abstrakten Regeln physikalischen Messens richtet, sondern nach dem Modell reinen kommunikativen HandeIns: "Der Idealisierung der Natur unter 231

Habermas (1971 a), S. 123. Vgl. auch Foucault (1975), S. 9 f.; Castel

S. 54 ff.

(1979),

Habermas (1971 a), S. 124. Habermas (1971 a), S. 125; vgl. zur Kategorie der Vernunft auch Winter I Schumann (1972), S. 543, die als Ziel des Verfahrens nicht die Überführung ansehen, sondern ein vernünftiges Urteil: "Vernunft kann aber mangels objektiver materialer Kriterien nur wiederum an der Art des Verfahrens gemessen werden." 234 Habermas (1971 a), S. 126. 235 Habermas (1971 a), S. 127. 282

233

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

68

dem Gesichtspunkt der Meßbarkeit bewegter Körper entspricht die Idealisierung der Menschenwelt durch Imputation reinen kommunikativen Handeins. "236 Befragung kann eine nicht-konventionell gewählte Methode zur Überprüfung von empirischen Behauptungen und zur Erzwingung eines Konsenses über den Wahrheitswert von Aussagen sein, weil und soweit derartige Idealisierungen vorgenommen werden. Ein Konsens unter Gesprächspartnern, die die Wahrheit von Aussagen beurteilen, sei dann ein zureichendes Wahrheitskriterium, wenn die Gesprächspartner als kompetente, also vernünftige Beurteiler gelten dürfen. Vernünftig sind demnach alle die, die den nicht-konventionellen Weg der Nachprüfung von empirischen Behauptungen wählen, also zu Beobachtung und Befragung fähig sind. Hierzu ist nach dem Empfinden von Habermas Voraussetzung, daß der Gesprächspartner in der öffentlichen Welt seiner Sprachgemeinschaft lebt, kein Idiot ist und zwischen Sein und Schein unterscheiden kann. Die sachverständige Handhabung bestimmter Methoden für einen theoretisch-empirischen Diskurs über den Wahrheitsanspruch empirischer Behauptungen könne eine zureichende Bedingung sein. Es genüge aber nicht, Methoden der Beobachtung und Befragung anzugeben. Erforderlich sei vielmehr die Sicherheit darüber, daß der Beurteiler diese Methoden auch wirklich handhaben kann, also in einem ungenauen Sinn vernünftig ist. 237 Eine derartige Feststellung soll aber erst möglich sein, wenn man mit dem Betreffenden spricht und in Handlungszusammenhängen auf ihn rechnen kann.

Habermas will die Vernünftigkeit eines Sprechers an der Wahrhaftigkeit seiner Äußerungen bemessen. Als wahrhaftig bezeichnet er Äußerungen, wenn der Sprecher weder sich noch andere täuscht. Die Wahrhaftigkeit von Äußerungen liege in einer anderen Dimension als die Wahrheit von Aussagen. Der wahrhaftige Sprecher sei verpflichtet, für die Konsequenzen einzustehen, die er mit den impliziten Ernsthaftigkeitsbedingungen seiner Sprechakte auf sich genommen hat, er sollte also verläßlich sein. Es entsteht ein logisches Dilemma: "Die Frage nach der Wahrhaftigkeit von Äußerungen kann nicht durch einen Rekurs auf die Wahrheit von Aussagen entschieden werden, wenn zuvor die Frage nach der Wahrheit von Aussagen zum Rekurs auf die Wahrhaftigkeit von Äußerungen genötigt hat."238 Habermas macht den Vorschlag, Äußerungen dann wahrhaftig zu nennen, wenn der Sprecher den Regeln, die für den Vollz.ug eines Sprechaktes gelten, tatsächlich folgt, 238 237

238

Habermas (1971 a), S. 128. Habermas (1971 a), S. 129, 130. Habermas (1971 a), S. 132.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsflndung

69

also richtig handelt. Die Befolgung von Regeln heißt also in einem extensiven Sinn handeln. Mit diesem Gedanken entsteht das Problem, unter welchen Bedingungen Handlungen als regelrecht oder richtig bezeichnet werden können. Zur Lösung ist die überprüfung der Regelkompetenz eines Handelnden, also die Regelkompetenz eines Prüfers erforderlich. Voraussetzung ist, daß keine der beiden Seiten eine methodische überlegenheit gegenüber der anderen Seite, so wie ein Beobachter gegenüber seinem Objekt, geltend machen kann. Daraus folgt, daß die Frage, ob der Proband einer Regel folgt und die reziproke Frage, ob der Prüfer seinerseits imstande ist, die Rolle des Probanden zu übernehmen, nur durch einen Konsens zwischen beiden Subjekten entschieden werden kann. Dieser Konsens ergebe sich in einem eingelebten Sprachspiel wie von selbst. Im Falle der Problematisierung könne eine wirkliche Verständigung nur dadurch erreicht werden, daß die handelnden S.ubjekte aus dem Handlungszusammenhang heraustreten und einen Diskurs führen23v • Da es nicht möglich sei, die Richtigkeit einer Handlung extern zu beurteilen, müsse man sich ihrer als Teilnehmer einer Interaktion vergewissern oder unter den Teilnehmern selbst eine diskursive Verständigung herbeiführen, wenn der eingespielte Konsens zerbricht.

Habermas muß einräumen, daß er mit seinen Überlegungen das Ziel nicht erreicht hat, ein unabhängiges Kriterium für die Unterscheidung des wahren vom falschen Konsens zu entwickeln. Diese Unterscheidung kann nämlich nur mittels eines Diskurses geleistet werden, dessen Ergebnis wiederum von der Erzielung eines tragfähigen Konsenses abhängt. Das nötigt zu der Einsicht: "Die Konsensustheorie der Wahrheit bringt zu Bewußtsein, daß über die Wahrheit von Aussagen nicht ohne Bezugnahme auf die Kompetenz möglicher Beurteiler, .und über diese Kompetenz wiederum nicht ohne Bewertung der Wahrhaftigkeit ihrer Äußerungen und der Richtigkeit ihrer Handlungen entschieden werden kann."~ Die Wahrheit von Aussagen, die Wahrhaftigkeit von Äußerungen, die Richtigkeit von Handlungen sind also Dimensionen, in denen es kein Kriterium gibt, mittels dessen die Beurteilung der Kompetenz von Beurteilern möglich ist. Sie können nicht ohne einen im Diskurs erreichten Konsens festgestellt werden. Habermas findet, daß sich die Beurteilung der Beurteilungskompetenz ihrerseits an einem Konsens der Art ausweisen müßte, für dessen Bewertung Kriterien gerade gefunden werden sollten. Dieses Ziel sei deshalb nicht erreichbar, weil Diskurse nicht zu hinterfragen seien, Metadiskurse nicht geführt werden könnten. Deshalb könne nur eine ontologische Wahrheitstheorie diesen Zirkel durchbrechen. Keine dieser Theorien 239 UD

Habermas (1971 a), S. 133, 134. Habermas (1971 a), S. 134.

70

1.

Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

habe aber der bisherigen Diskussion standgehalten.24t Dennoch bemüht sich Habermas um eine Erklärung der Tatsache, daß Gespräche auf der selbstverständlichen Grundlage einer Verständigungsmöglichkeit stattfinden, der metakommunikativ schon immer akzeptierte Sinn von Rede stillschweigend vorausgesetzt wird. Gespräche würden also in dem Vertrauen darauf geführt, den wirklichen von einem trügerischen Konsens unterscheiden zu können. In jedem Diskurs werde wechselseitig eine ideale Sprechsituation unterstellt. Sie sei dadurch gekennzeichnet, daß jeder Konsens, der unter ihren Bedingungen erzielt werden kann, per se als wahrer Konsens gelten dürfe. Der Vorgriff auf die ideale Sprechsituation soll die Gewähr dafür bieten, daß mit einem faktisch erzielten Konsensus der Anspruch des wahren Konsenses verhunden werden kann. Zugleich habe er die Funktion, einen kritischen Maßstab zu liefern, an dem jeder faktisch erzielte Konsens auch in Frage gestellt und daraufhin überprüft werden kann, ob er ein zureichender Indikator für wirkliche Verständigung ist.242 Die überlegungen von Habermas sind zum Teil von erheblicher Bedeutung für unsere Fragestellung. Andeutungsweise werden die Bedingungen erkennbar, unter denen der Vermittlungsvorgang empirisch gewonnener Erkenntnisse von Sachverständigen an das Gericht zum Zweck der Wahrheitsfindung organisiert werden muß. Habermas läßt als Vertreter einer Konsensustheorie der Wahrheit die kritischen Ansätze gegenüber den semantischen Wahrheitstheorien besonders klar erkennen. Unter dem Oberbegriff "Pragmatische Wahrheitstheorie" kann dieser Ansatz so skizziert werden: Die Feststellung, ob ein Satz wahr oder falsch ist, ist eine sprachliche Leistung. Die semantischen Wahrheitstheorien stellen dem auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfenden Satz eine sprachfrei konzipierte Welt der Objekte gegenüber. Der Kontext der Redesituation wird ausgeblendet. Sprache muß aber als Konstitution jeder möglichen Erkenntnis mit einbezogen werden. Die Verknüpfung von Sprache und Wahrheit führt dazu, daß Wahrheit nicht nur Prädikat für einen rezeptiven Satz des Subjekts gegenüber der Wirklichkeit ist. Vielmehr handelt es sich um einen Akt gemeinsamer Problembewältigung durch verschiedene Subjekte, der in einer Aufhebung der Subjekt-Objekt-Trennung enden sollte. Damit wird auch das Interesse der Subjekte, das Erkenntnisinteresse, für 241 Sehr klar äußert sich HassemeT (1981 a), S. 124, 125, zu den Grenzen eines herrschaftsfreien Diskurses im Strafverfahren. Eine grundlegende These von HabeTmas (1981, 1), S. 353, verdient gerade in der Strafrechtspflege Beachtung: "Die Positivierung, Legalisierung und Formalisierung des Rechts bedeuten, daß die Rechtsgeltung nicht mehr von der selbstverständlichen Autorität sittlicher Traditionen zehren kann, sondern einer autonomen, d. h. einer nicht nur auf gegebene Zwecke relativen Begründung bedarf. ce 242 HabeTmas (1971 a), S. 136.

1.4. Erkenntnistheoretische Dimensionen der Wahrheitsfindung

71

die Zuerkennung der Prädikate wahr oder falsch relevant. 243 Die formellen Voraussetzungen und die inhaltlichen Elemente des Verständigungsprozesses zwischen Sachverständigen und Gericht werden mit dem Begriff des Diskurses nicht erlaßt. Habermas selbst weist darauf hin, daß der Vergleich des Diskurses mit einem gerichtlichen Prozeß verfehlt ist. Er betont: "Noch der Prozeß, der der Wahrheitsfindung dient, steht hier .unter den Bedingungen des kommunikativen HandeIns und nicht des Diskurses. "244 Im Diskurs wird der Anspruch einer kooperativen Wahrheitssuche erfüllt, wenn eine uneingeschränkte und zwanglose Kommunikation stattfindet, die allein dem Zweck der Verständigung dient. Als nonnativer Begriff muß Verständigung kontrafaktisch bestimmt werden. 246 Der Diskurs ist also keine Institution, sondern Gegeninstitution schlechthin, er läßt sich auch nicht als System auffassen, da er nur durchführbar ist, wenn der Zwang, funktionalen Imperativen zu gehorchen, suspendiert wird.246 Schmidt, JuS 1973, 206. Habermas (1971 b), S. 200. Die Dimension dieser Einsichten reicht weit. Vgl. nur Berger, NHfPhil 1972, 92: "Mit der Möglichkeit sprachlicher Selbst!43

244

verständigung über unmittelbare Erfahrungen ist der empiristische Anspruch, daß augenblickshafte Erfahrungsevidenzen in die Rechtfertigung empirischer Aussagen irgendwie eingehen, endgültig widerlegt" und Weinberger (1970), S. 132: "Die Kommunikation durch die Sprache setzt also nicht nur die Kenntnis der Struktur und Bedeutung der Zeichenreihen der Sprache voraus, sondern auch eine Wahrheitskonvention als Deutungsschlüssel der Mitteilung, der besagt, ob die Mitteilung als wahr oder unwahr verstanden werden soll." Zur Erläuterung der Ausdrücke Umgangssprache, Wissenschaftssprache und Dichtungssprache Habermas (1981 b), S. 342 ff. Kramm (1970), S. 83, geht den sprachlichen Gründen für die fehlende Eindeutigkeit im Recht nach. Horn, NJW 1971, 1588, beschäftigt sich mit den semantischen Aspekten der Informationswiedergewinnung; Horn (1966), S. 27, befaßt sich auch mit den Konsequenzen der Gesetzessprache. Zu Bildern in der Rechtssprache Thalmann (1956), S. 29 ff. Den Einsatz von Sprachkundigen verlangt Wolff (1952), s. I, bei der Abfassung von Gesetzen. Zur Berücksichtigung der Kommunikationssituation Seibert (1977), S. 30; ausführlich auch Perelman (1980), S. 148. Für manche gab es sogar Zeiten, in denen besonders "Rang und Ehre deutscher Sprache wieder Verständnis und Widerhall" fanden (Forsthoff, 1971, S. 4). Solchen Zeitgenossen wie Forsthoff ging es im Jahre 1940 allerdings nicht um Sprache als Kommunikationsmittel: "Von der ethischen Substanz her ergeben sich hermeneutische Mittel der Verdeutlichung, wie etwa die Tätertypenlehre im Strafrecht, welche dem Sinnvollzug aus dem sprachlichen Ausdruck unterstützend zur Seite treten" (1971, S. 10). Dort wird Sprache als Transportmittel für eine menschenverachtende Ideologie eingesetzt. Zur Kritik auch Mauz, Der Spiegel 1979, Nr. 10, 118. 2U Habermas (1971 b), S. 201. 218 Habermas (1971 b), S. 201. Obwohl sich Habermas auf eine zivilprozessuale Auseinandersetzung bezieht und den Disput als Mittel der strategischen Verwirklichung von durch Rollenverteilung definierten Zielen nicht als Diskurs bezeichnet, gelten seine Einsichten auch für den Strafprozeß. Dort ist der Richter institutionell gehalten, das Ziel der Wahrheitsftndung der Notwendigkeit unterzuordnen, termingebundene Entscheidungen zu fällen, d. h. in angemessener Frist sein Urteil zu sprechen.

72

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

1.4.9.3. Rhetorik des Schweigens Wittgenstein schließlich liefert eine Andeutung zu dem gedanklichen Rahmen, in dem auch die prozessuale Wahrheitsermittlung mit Blick auf die freie Beweiswürdigung eingespannt sein könnte. Nach Wittgenstein ist die richtige Philosophie, nichts zu sagen als was sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft. Die Erläuterung der Sätze sollte dadurch erfolgen, daß sie derjenige, der versteht, als unsinnig erkennt, wenn er durch sie, also auf ihnen, über sie hinausgestiegen ist. Bildhaft ausgedrückt: "Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist."241 Die Sätze müssen also übernommen werden, um die Welt richtig zu sehen. Bei Wittgenstein heißt die Schlußfolgerung: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen."l!48 1.5. Schlußfolgerungen und Ergebnisse 1.5.1. Grundlagen

-

Zwischen Tatsachen als Elementen einer historischen Wirklichkeit und der Wahrheit besteht nicht notwendigerweise Kongruenz.

-

Das einseitige informatorische Angebot empirisch gewonnener Daten reicht nicht aus, .um sich eine Vorstellung von der Wahrheit zu bilden.

-

Die interpersonale Verständigung durch vernünftiges, also begründendes Sprechen ist die wichtigste Voraussetzung für die Konstitution der Wahrheit. 1.5.2. Theorienvergleidl

-

Die semantischen Wahrheitstheorien führen zu einem Dilemma zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus, bzw. zwischen Freirechtslehre und Gesetzespositivismus.

247 Wittgenstein (1980 a), S. 115; vgl. auch Goldman (1980), S. 188: "Niemand kann zur Abstraktion von Begriffen gelangen, die ein Objekt in seiner Totalität erfassen, ohne vorher dessen empirisches Feld untersucht, erlebt zu haben, um sich anschließend aus ihm abzusetzen, von ihm zu abstrahieren. Die erlebte innere Erfahrung ist keine hinreichende Bedingung für die Erkenntnis ... " 248 Wittgenstein (1980 a), S. 115. Hier kann noch nicht einmal ansatzweise den Gedanken der sprachanalytsichen Philosophie von Wittgenstein nachgegangen werden. Aus der Zielrichtung unserer Untersuchung kann nur folgende Interpretation erwähnt werden: "Der zentrale Gedanke des Tractatus liegt m. E. darin, daß die logische Form der weItabbildenden Idealsprache nicht beliebig konstruierbar ist, sondern als Bedingung der Möglichkeiten aller Konstruktionen in der Umgangssprache verborgen liegt" (Apel, 1973, 2, S. 238 f.).

1.5. Schlußfolgerungen und Ergebnisse

73

-

Nach den semantischen Wahrheitstheorien ist der Weg zur reinen Dezision, also zum klassischen Positivismus, unvermeidlich. 249

-

Sollen juristische Aussagen willkürfrei sein, muß nach dem Anspruch der semantischen Wahrheitstheorie eine Wirklichkeit gefunden werden, die mit den Inhalten der Aussagen korrespondiert.

-

Die Maßstäbe der Korrespondenztheorien machen den Rekurs auf Werte erforderlich, da sonst Wahrheit oder Falschheit einer Aussage nicht überprüfbar sind.250

-

Die pragmatischen Wahrheitstheorien können durch die Verknüpfung von Sprache und Wahrheit .und der damit ermöglichten Aufhebung der Subjekt-Objekt-Trennung einen Ausweg aus der begrifflichen Sackgasse bieten, in welche die semantischen Wahrheitstheorien führen. 1.5.3. Sachverständiger - Rldlter

-

Der Sachverständige erkennt als Empiriker bestimmte Tatsachen nur, weil er sich nicht an Dogmen orientiert, sondern sich von Hypothesen leiten läßt, die nur solange verbindlich sind, wie sie sich am Problem bewähren.

-

Der Richter darf nur solche Tatsachen verwenden, die im Prozeß erörtert wurden. Er muß sie nach normativen Vorgaben bewerten. Dadurch werden der prozessuale Tatsachenbegriff und der einem Urteil zugrundeliegende Wahrheitsbegriff geprägt.251

-

Eine unmittelbare Verständigung .und übereinstimmung zwischen Sachverständigen und Gericht scheitert an der Inkongruenz zwischen empirischer und normativer Begriffsbildung.

2,g Die Literatur zum Verhältnis zwischen Richter und Gesetz ist fast unübersehbar. Die folgenden Hinweise können bloß als willkürlich ausgewählte Beispiele verstanden werden, die einführende Bemerkungen zu problematischen Schwerpunkten enthalten: Adomeit, ZRP 1970, 177; Arndt, NJW 1963, 1275; Diederichsen, NJW 1966, 701; Horn, NJW 1967, 606, 607; Kelsen, JZ 1965, 465 ff.; Kisker, NJW 1981, 890; Kübler, AcP 162 (1963), 104 (106); Larenz, NJW 1965, 2; Larenz (1979), S. 6; Obermayer, NJW 1966, 1888; Pawlowski, NJW 1958, 1562, 1563; Raiser, NJW 1964, 1203; Rasehorn, NJW 1972, 85; Redeker, NJW 1967, 2230, 2231; Redeker, NJW 1972, 410; Rupp, NJW 1973, 1773; Säcker, ZRP 1971, 145; Stern, NJW 1958, 698; Zimmermann, NJW 1956, 1262; Zippelius, NJW 1964, 1982. 250 Damit könnte ein naturrechtlicher "Wertehimmel" eröffnet sein; vgI. Schmidt, JuS 1973, 207. 251 Krauß (1971 a), S. 31, meint, es handele sich um Erfordernisse, die einen Schmelztiegel darstellen, in dem der prozessuale Tatsachenbegriff und der dem Urteil zugrundeliegende Wahrheitsbegriff geformt und gehärtet würden. VgI. auch Viehweg (1969), S. 87, zu den Inhalten einer zetetischen Theorie und deren Konsequenzen für die Unterscheidung zwischen dogmatischen und empirischen Wissenschaften.

74

1. Wahrheit und Erkenntnisobjektivierung

-

Der Sachverständige darf mit seinen Informationsangeboten nicht zum Objekt einseitiger Wahrnehmung gemacht werden, sondern er muß als Subjekt wech,selseitiger Kommunikation handeln können. 262

-

Je mehr der Verständigungsvorgang zwischen Gericht und Sachverständigen nach den Regeln begründenden Sprechens organisiert wird, desto weniger kann durch § 261 StPO der notwendige kommunikative Zusammenhang zerrissen werden.

m Krauß (1971 a), S. 32.

2. Hauptverhandlung als Kommunikationsforum Aus den §§ 155 II, 244 II StPO folgt als vornehmste Pflicht des Strafgerichts die Erforschung eines Lebenssachverhalts. Eine der sich aus dem Grundsatz der materiellen Wahrheitserforschung ergebenden Folgerungen ist, daß die Feststellung des Sachverhalts durch eine vorschriftsmäßige Beweisaufnahme unter Wahrung der mit ihr verbundenen Verfahrensgarantien zu erfolgen hat. Hervorragendste Erkenntnisquelle für die Überzeugungsbildung ist grundsätzlich die Hauptverhandlung. Wie Döhring richtig feststellt, muß der Jurist den Sachverhalt erarbeiten, auf den Rechtsnormen anzuwenden sind. 1 Rechtswissenschaft darf sich also nicht in der Deduktion erschöpfen, sondern ist weitgehend auf den Umgang mit Erfahrungswissen und die ihm zugehörige induktive Denkmethode angewiesen. In vielen Fällen hat die Feststellung des Tatbestandes für den Ausgang des Verfahrens eine größere Bedeutung als die Lösung der Rechtsfragen.2 Der Sachverständige hat bei der Erhebung des Beweises mitzuwirken (§ 244 III StPO), eine Pflicht, die nach dem Eindruck von Krauß dazu führte, daß sich der Sachverständige im Strafverfahren weitgehend als eine den Tathergang ermittelnde und die Entscheidung vorprogrammierende Institution etabliert habe.1 Dabei trage das Gesetz dafür Sorge, daß weder die Verfahrensbeteiligten noch der Sachverständige selbst vorprogrammiert werden. Es suche vielmehr, gelegentlich durchaus auf Kosten der Praktikabilität, die Hauptverhandlung als eigentliches Forum der Wahrheitsfindung zu erhalten.' Von besonderem Interesse ist die Frage, ob der Sachverständige tatsächlich die in der Hauptverhandlung angelegte Kommunikationsstruktur sprengt.1> Zweifelhaft ist, ob die Gesetzmäßigkeiten, 1 2

3 4

5

Döhring (1964), S. 1. Michalke, Krim 1971, 208. Krauß, ZStW 85 (1973), 320 ff. Krauß, zStw 85 (1973), 323. Krauß, ZStW 85 (1973), 345, 346, hält dies für eine zwangsläufige Ent-

wicklung. Er geht davon aus, daß der Strafprozeß als persönliche Auseinandersetzung auf die Formen mündlicher Kommunikation angewiesen ist. Die sozialtypische Auseinandersetzung mache es erst möglich, daß der Strafprozeß über eine verstehende Öffentlichkeit Wirkung entfaltet. Den Sachverständigen zeichne vor dem Richter aber die Tatsache aus, daß er bei der Erforschung eines bestimmten Sachverhalts durch seine Wissenschaft nicht an das Prinzip öffentlicher Erörterung gebunden ist.

2. Hauptverhandlung als Kommunikationsforum

76

die für die permanente Gesprächssituation der Verhandlung gelten (§§ 136, 136 a, 68, S. 2, 69 StPO) und die Grundsätze prozessualer Vernehmung darstellen, in dem Augenblick in Frage gestellt werden, in dem eine Aussage nicht mehr nur mit den Mitteln menschlichen Verstehens begriffen werden kann, sondern Objekt einer Untersuchung wird, die eigenen Regeln folgt. 6 Mit der Analyse eines Saclwerständigen könnte der Aussage des Beschuldigten und der Zeugen eine Dimension hinzugefügt werden, die ihr möglicherweise als in der StPO vorausgesetztes personales und soziales Ereignis nicht zukommt. 7 In der Tat kann der Gehalt einer Aussage durch den Kommentar eines Dritten derart erweitert werden, daß das Gericht von dem einen erfährt, was geschehen ist und von dem anderen, ob es so geschehen ist. Aus dieser Situation ergibt sich der neuralgischste Aspekt des Sachverständigenbeweises: die richterliche Überzeugungsbildung und Entscheidungskompetenz.8 Das Charakteristische am Strafprozeß als "handlungsartige Auseinandersetzung verschiedener Verfahrensbeteiligter'" ist die Kommunikationsstruktur. Gesetzliche Vorschriften darüber, in welcher Art diese Kommunikation stattzufinden hat, existieren nicht. Aus der Prozeßmaxime der Mündlichkeit folgt das Prinzip verbaler Kommunikation. 1o § 136 a StPO ist nur eine negative Abgrenzung, die keine inhaltlichen Aussagen über den Stil der Verständigung in der Hauptverhandlung zuläßt. In einem vielleicht zwangsläufig bestehenden normativen Vakuum gilt einigen nicht zu Unrecht die forensische Kommunikation als Zentralproblem der Humanisierung des Gerichtsverfahrens. l l Die Auffassung1!, daß die Verfahrensvorschriften auf Optimierung der Kommunikation angelegt seien, steht in einem gewissen Widerspruch zu dem Umstand, daß unterschiedliche soziale Erfahrungen, juristischer Sprachstil, Zeremonialität, einseitige Situations definition durch den Richter und unpersönlicher Umgang der Beteiligten miteinander den Prozeß , Krauß (1971 a), S. 33, spricht von der Denaturierung persönlicher Auseinandersetzung. 7 Krauß, ZStW 85 (1973), 333, 334. 8 Nach dem Eindruck von Krauß, ZStW 85 (1973), 334, 335, entpuppt sich der Richterschaft ihr sachverständiger Gehilfe als der Wasserträger des Zauberlehrlings, der mit besonderen Fähigkeiten die Stellung seines Herrn mehr oder weniger in Frage stellt. e Krauß,

zstw 85 (1973), 344.

Vgl. aber auch Kube, JZ 1976, 17, der auf die Komplexität der Informationsübertragung hinweist und die Bedeutung paralinguistischer Phänomene betont: "Handeln oder Nichthandeln, Worte oder Schweigen haben Mitteilungscharakter"; in diesem Sinne auch Watzlawiek (1974), S. 50 ff. Zu physiologischen Aspekten in der Beeck / Wuttke, NJW 1969, 684 ff. u Wassermann (1979), S. 25; weitere Nachweise bei Jung, ZRP 1981, 41, FN47. 10

12

Kühne (1978), S. 61.

2. Hauptverhandlung als Kommunikationsforum

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nicht nur im Verhältnis zwischen Richter und Beschuldigtem in eine "kommunikative Schieflage"13 bringen. Die Chancen, die eine hohe Kommunikationsdichte in der Hauptverhandlung gerade auch für das Gespräch zwischen Richter und Sachverständigen eröffnet, lassen jedenfalls den Wunsch nach mehr Verständigung höchst berechtigt erscheinen. Demgegenüber ist die Kritik an dem damit verbundenen Versuch, dem Richter mehr psychologische Sensibilität zu vermitteln, unbeachtlich. Eine kommunikative Verhandlungsführung ist keineswegs, wie Rottleuthner glaubt, die stilvolle Perfektionierung der richterlichen Kommunikationsherrscha.ft. 14 Vielmehr handelt es sich um ein im Sinne der Wahrheitsfindung zweckmäßiges Verständnis des § 238 StPO. Wie auch aus § 261 StPO erkennbar wird, ist die Hauptverhandlung das Kernstück des Verfahrens. 15 Wenn die Verfahrensmaximen der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit dazu führen, daß es sich bei der Hauptverhandlung um ein öffentliches Forum handelt, auf dem in Rede und Gegenrede eine Reproduktion der Tat entstehen. soll, die abzuurteilen ist, dann fragt sich, ob der Sachverständige tatsächlieh: in diesem Prozeß wechselseitiger Erörterung zur Klarheit über den Tathergang und die Person des Angeklagten beitragen kann. Bedenken können sich einstellen, wenn die forensische Tätigkeit des Gutachters nicht auf soziale Kommunikation angelegt ist. Unter der Annahme, daß alleine die Hauptverhandlung der Ort ist, an dem die Grundlagen der richterlichen Entscheidung erarbeitet werden, ist zu klären, wie das Primat der Hauptverhandlung 18 durchgesetzt werden kann. Gutachten über die Persönlichkeit des Angeklagten erfolgen in einer Gesprächssituation, die darauf angelegt ist, soziale Strukturen und das personale Erscheinungsbild des Gegenüber zu durchdringen, damit auch die Hintergründe einer Straftat deutlich werdenP Mit Ausnahme der Fälle des § 251 StPO gilt § 250 StpO. Der Sachverständige trägt in der Hauptverhandlung mündlich die Ergebnisse seiner Begutachtung vor. Bei Persönlichkeitsanalysen ist eine Exploration18 erforderlich, die nicht .unter den dynamischen Aspekten und 18 14

So Jung, ZRP 1981, 41.

Rottleuthner (1973), S. 166.

Eb. Schmidt (1967), S. 143, Rdn 270, bezeichnet die Hauptverhandlung als wichtigsten Prozeßabschnitt. Für Roxin (1982), S. 228, stellt die Hauptverhandlung das Kernstück des Hauptverfahrens und den Höhepunkt des gesamten Strafprozesses dar. 15

18 17

18

Kuhn (1977), S. 6. Krauß, ZStW 85 (1973), 347. Vgl. aber Mauz, Der Spiegel 1981, Nr. 7, 69, der mit einem kritischen

Blick auf die praktische Gutachtertätigkeit das Resümee zieht: "Es ist also ohne Belang, ob die Sachverständigen die zu begutachtende Person - wie lange auch immer - sprechen, ob sie gar nicht mit ihr sprechen, weil sie es in der Nase haben, oder weil ihnen ein Blick in die Zelle genügt."

2. Hauptverhandlung als Kommunikationsforum

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kommunikativen Bedingungen des Prozeßgeschehens durchgeführt wurde. Sie kann vor Gericht nicht nachgespielt werden. Zwischen Kommunikation und Diagnose können daher unüberbrückbare Gegensätze bestehen. t8 Die weitere Untersuchung soll auch zeigen, welche Bedeutung dieser Umstand für das Verhältnis Richter - Sachverständiger hat. Hierzu müssen zunächst die Ansätze deutlich werden, welche die strafrechtliche Tatbestandstypik zur Beschreibung psychischer Zustände entwickelt hat. In diesem Bereich liegt das Hauptbetätigungsfeld für die in Strafverfahren mitwirkenden Psychiater und Psychologen. Anschließend wird anhand einer Untersuchung der normativen Ausstattung des Sachverständigenbeweises zu prüfen sein, ob durch dieses Prozeßinstitut die soziale, dogmatische und rechtsstaatliche Funktion des Verfahrens beeinflußt wird.

IV

Im einzelnen Krauß (1971 a), S. 12 ff.

3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozefi 3.1. Psychologie subjektiver Tatbestände Schuld, Vorsatz, Fahrlässigkeit, Zueignungsabsicht, Bereicherungsabsicht, niedrige Beweggründe, Wille und Gesinnung sind Begriffe, die das Strafrecht in gesetzlichen Bestimmungen verwendet, um verschiedene Formen psychischer Wirklichkeit zu erfassen.! Sie deuten den Anwendungsbereich psychologischen und psychiatrischen Fachwissens an. Bereits die Feststellung des strafrechtlichen Unrechts wird maßgeblich vom Inhalt psychischer Zustände bestimmt. Die Willkürlichkeit des TäterhandeIns, subjektive Unrechts- und Rechtfertigungselemente vermitteln dem strafrechtlichen Geschehen und der Tatzurechnung eine psychologische Dimension.! Die Absichten, Ziele und Beweggründe sind neben Vorsatz und Fahrlässigkeit mögliche Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit eine rechtswidrige HandJung der Schuld eines Täters zugerechnet werden kann. Da Begriffe wie Vorsatz, Absicht, Schuld, Beweggrund, Gesinnung auf psychische Realitäten Bezug nehmen, erscheint es Raffke sachgerecht, die für die Erforschung dieser Realitäten zuständigen Wissenschaften zu konsultieren, deren Forschungsergebnisse für das Strafrecht abzurufen .und strafrechtliche Alltagstheorien gegebenenfalls durch kritisch überprüfte psychologische Theorien zu ersetzen.3 Raffke glaubt, daß mit der Integration psychologischer Erkenntnisse in das Strafrecht das Ziel verfolgt werden könne, die Strafrechtspflege auf sichere wissenschaftliche Grundlagen zu stellen und dadurch Fehlurteile zu vermeiden.' Krauß meint, daß die Strafrechtsdogmatik gerade zu psychologischem Engagement einlade, da die Inhalte der subjektiven Verbrechensmerkmale als psychologische Befunde ausgewiesen seien, die juristische Subsumtion also nach psychologischem Sachverstand verlange.li Bresser hingegen möchte es jedem Sachverständigen bewußt machen, daß der Jurist für die Beurteilung der Schuld eine Fülle von differenzierenden, qualifizierenden und privilegierenden Aspekten zur 1

I

3 4 6

Vgl. z. B. §§ 15, 20, 46, 211, 242, 263 StGB. Krauß (1978), S. 12. Haffke, GA 1978, 34. Haffke, GA 1978, 34. Krauß (1978), S. 12.

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3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

Verfügung hat, unter denen er die abstrakten, oft sehr lebensfern klingenden Rechtsbegriffe in sowohl lebensnahe als auch gerechte Urteile einbaue.i! Bresser geht davon aus, daß Juristen in Strafverfahren Entscheidungen über subjektive oder innere Tatbestandsmerkmale treffen, ohne daß dabei eine wissenschaftliche Analyse erfolgt. Lebenserfahrung und Vernunft hält er nicht nur für die rechtliche, sondern auch für die psychologische Grundlage zahlreicher Verurteilungen. 7 Für ihn ist es eine utopische Zielvorstellung, bei der Ermittlung innerer Tatbestandsmerkmale eine größere Objektivität und Wissenschaftlichkeit mit Hilfe der Psychologie anzustreben. Nach Bresser scheitern alle psychologischen Analysen der inneren Tatbestandsmerkmale an der durchgehenden Zwiespältigkeit des Menschen. Der gesunde Menschenverstand soll das einzige zur überschau fähige Organ sein.8 Letztlich muß man vermuten, daß das gesunde Volksempfinden Zugang zur Psyche des Täters bietet, eine überlegung, die einer rechtshistorischen Untersuchung Anknüpfungspunkte bieten mag, aber hier nicht weiterführt. Bresser glaubt, daß bei der Beurteilung des inneren Tatbestandes eine das aktuelle Wissen und Wollen übergreüende und eine über die Strukturprägung hinausgehende Dimension hinzukomme, die sich der psychologischen Methodik entziehe: der moralische Hintergrund des seelischen Seins, also das mehr oder weniger ausgeprägte Verantwortungsbewußtsein, die grundsätzliche Einstellung zum Leben sowie zu den Mitmenschen und alles das, was in dem Begriff Gesinnung zusammengefaßt werden könne. Er ist der überzeugung, daß eine rechtliche Würdigung des inneren Tatbestandes ohne Betrachtung dieses Bereichs nicht möglich sei. Gerade hier habe der psychologische Erkenntnisdrang und das Erkenntnisvermögen eine Grenze, da. sonst Moralpsychologie, Gesinnungsschnüffelei oder Auslotung der Weltanschauung zu gewärtigen seien. Alle Psychologisierungen erscheinen für die Beurteilung des inneren Tatbestandes in seiner ganz.en Tiefe oberflächlich, da das Werturteil mehr umfasse als den psychologischen Tatbestand. Es umgreife die Wurzeln des menschlichen Handelns im tieferen Grunde der moralischen Person.' Danach müßte man grundsätzlich davon ausgehen, daß Sachverständige außer zu Fragen der Schuldfähigkeit keinen qualifizierten Beitrag zur Erhebung psychischer Befunde leisten können. Fraglich ist gleichwohl, ob die Aufklärung des subjektiven Tatbestandes, also der psychischen Vorgänge, Bresser (1976), S. 665. Bresser (1976), S. 665. 8 Bresser (1976), S. 670 f., sieht den Richter vor das Dilemma einer psychologiegerechten Urteilsfindung gestellt, eine Situation, in der der Richter dem Sachverständigen den "Schwarzen Peter" zuspiele und diesen zum Nothelfer mache. 8 Vgl. insgesamt Bresser (1976), S. 676, 677. 8

1

3.1. Psychologie subjektiver Tatbestände

81

die nicht oder nicht nur die Schuldfähigkeit betreffen, sondern vor allem für die Subsumtion des Tatgeschehens unter einer bestimmten Strafbestimmung entscheidend sind, angesichts der subtilen Realität psychischer Prozesse nicht auch der Hilfe Sachverständiger bedarf. 10 Hinter der Meinung Bressers dürfte die Befürchtung stehen, daß der Sachverständige mit Beiträgen zur Feststellung des subjektiven Tatbestandes seine Kompetenzen überschreitet. Dabei kann es sich allerdings nicht um ein ernstzunehmendes verfahrensrechtliches Risiko handeln. Wenn das Gericht seine eigenen Kompetenzen wahrt, können Äußerungen von Sachverständigen zu Rechtsbegriffen und Rechtsnormen insofern nützlich sein, als dadurch eine wünschenswerte Abklärung und Verbreiterung der Diskussionsbasis möglich wird. Für die Feststellung des subjektiven Tatbestandes, also die Behandlung der Tatfrage, gilt, daß Bemerkungen von sachverständiger Seite dann überflüssig sind, wenn das Gericht zu eigenen Entscheidungen in der Lage ist. Das heißt aber nicht, daß es dem Gericht verboten ist, sich der Hilfe von Sachverständigen zu bedienen, sofern diese im Bereich subjektiver Tatbestandsmäßigkeit zur Aufklärung beitragen können. l l Es muß jedoch berücksichtigt werden, daß die Definition subjektiver Tatbestandsmerkmale zunächst ein Problem abstrakt-normativer Begriffsbildung ist. Hier spielen psychologische Zusammenhänge zwar eine Rolle. Die auftretenden psychologisch-psychiatrischen Fragen liegen aber nicht vornehmlich auf der Ebene des Sachverständigenbeweises, sondern im juristisch-dogmatischen BereichJ2 Es fällt also nicht in die Zuständigkeit eines Sachverständigen, dem Gericht zu erklären, ob der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Wie Kra:uß mit Recht feststellt, ist es gerade dem Angebot an psychologischer Einsicht zuzuschreiben, die von Sachverständigen in das Verfahren eingebracht wird, daß die offene Frage besteht, wie subjektiv die subjektiven Verbrechenselemente zu verstehen sind. 13 Trotzdem sind aufklärende Beiträge von Sachverständigen im Bereich subjektiver Tatbestandsmerkmale nur begrenzt möglich. 10 Schewe (1976), S. 687, weist zutreffend darauf hin, daß es unerheblich ist, ob bestimmte psychische Vorgänge außerhalb der Zurechnungsfähigkeitsfrage, mit denen ein Sachverständiger konfrontiert wird, rechtsdogmatisch als Schuldelemente, als subjektive Unrechtselemente oder etwa als Gesinnungsmerkmale qualifiziert werden. Richtig ist zudem, daß sich zwischen Fachfragen, richterlicher Beweiswürdigung und normativer Entscheidung keine scharfen Grenzen ziehen lassen. 11 Schewe (1976), S. 693, 694, sieht mit dem Ausdruck "Kompetenzüberschreitung" lediglich die Forderung impliziert, der Sachverständige möge den Richter nicht in Versuchung führen, auf eigene juristische überlegungen und eigene Beweiswürdigung zu verzichten. 12 So Schewe (1976), S. 694. Zur angeblichen Leistungsfähigkeit der Dogmatik auf psychologischem Gebiet Hadamik, GA 1951, 101. 13 Krauß (1978), S. 11 f.

6 Hetzer

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3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

Deutlich wird dies insbesondere bei der Betrachtung der Begriffe Zueignungsabsicht und Vorsatz. 3.1.1. Zuelgnungsabsidd

Teilweise wird angenommen, daß Absichten, die neben dem Vorsatz für die Annahme tatbestandsmäßigen Verhaltens (z. B. Zueignungsabsicht bei § 242 StGB, Bereicherungsabsicht bei § 263 StGB erforderlich sind, einen gesonderten psychischen Sachverhalt darstellen, der nicht vom Vorsatz umfaßt ist, sondern zusätzlich festgestellt werden muß. 14 Hier geht es nicht darum, ob der Vorwurf an die Rechtsprechung, sie habe den Begriff der Absicht als Form des direkten Vorsatzes nicht klar erkannt, berechtigt ist. 1s Wie Krauß überzeugend dargelegt hat, wird die Zueignungsabsicht im Unrecht nicht als ein ausdifferenzierter psychologischer Befund im Motivationsverlauf der Täterpsyche, sondern als Merkmal der sozial wirkenden Handlung begriffen. Sie ist ein Kriterium zur Bestimmung der Handlungsqualität. Die Zurechnung eines bestimmten HandeIns soll nach einem standardisierten Werturteil möglich sein. Es genügt, daß die objektive Tendenz der Handlung (Verletzung fremden Eigentums) in der Zielvorstellung des Täters erkennbar wird. Dies bedeutet nicht, daß die Zueignungsabsicht als Spiegelbild in der Seele des Täters die objektive Störung der Eigentumsordnung auch subjektiv als die Motivation eines Eigentumsdelinquenten zu bestätigen hat. Für die prozessuale Praxis heißt das, daß die Zueignungsabsicht als Moment der Subjektivität einer Handlung nur so weit :l.U erforschen ist, als es zur sozialen Qualifizierung und strafrechtlichen Einordnung erforderlich ist. Krauß zeigt, daß die Reduzierung objektiver und subjektiver Verhaltenselemente auf das für die Ordnung sozialer Rechtsgüter relevante Geschehen eine Konseq.uenz der Entscheidung für ein Tatstrafrecht ist: "Der subjektive Überbau wird auch nur daraufhin befragt, auf welches soziale Ziel die Handlung gerichtet ist, nicht daraufhin, was für eine Persönlichkeit hinter der Tat steht."16 3.1.2. Vorsatz

Der Begriff des Vorsatzes, dessen Elemente wegen einer fehlenden gesetzlichen Bestimmung aus dem Normzusammenhang der §§ 16, 17 StGB und aus den systemimmanenten Prinzipien der Verbrechenslehre zu entwickeln sind, ist mit persönlichkeitsbestimmten Inhalten besetzt. 14 S-S-Cramer, § 15, Rdn 25, mit dem Hinweis, daß bei der Zueignungsabsicht der Bezugspunkt von Vorsatz und Absicht gleich ist, also eine Identität zwischen dem Vorstellungs inhalt von Vorsatz und Absicht besteht. 15 Dreher / Trändle (1981), § 15 Rdn 6. lß Vgl. insgesamt Krauß (1978), S. 20, 21.

3.1. Psychologie subjektiver Tatbestände

83

Die Charakterisierung des Vorsatzes als Spiegelbild der die Tat charak,. terisierenden Merkmale im Täterbewußtsein17 führt zu zwei Problemkreisen. Zum einen handelt es sich um den psychologischen Vorgang des Erkennens der deliktstypischen Merkmale, soweit sie der Täter vorfindet. Zum anderen geht es um die Voraussicht der noch zu verwirklichenden Umstände. Dazu gehört der tatbestandsmäßige Erfolg, etwa in Gestalt eines Schadens oder einer konkreten Gefährdung, und die Kausalbeziehung zwischen dem Verhalten des Täters und dem eingetretenen Erfolg. Dies impliziert die Frage nach der Aktualität des Täterbewußtseins in ihren verschiedenen Bewußtseinsformen. Klärungsbedürftig ist also die Tiefenschärfe und Randschärfe eines als Spiegelbild des Tatbestandes verstandenen Vorsatzbegriffes. Wie Schewe 18 mit Bezug auf praktische Untersuchungen von Rasch19 zeigt, lassen sich bestimmte deliktische Verhaltensweisen mit der im juristischen Schrifttum diskutierten Vorsatzdefinition nicht erfassen.20 Daraus ergibt sich aber noch nicht, daß der Sachverständige zur Vorsatzfrage gutachtlich Stellung nehmen kann und muß. Aufgabe der Rechtsdogmatik ist es, dem Gericht eine Vorsatzdefinition zu vermitteln, die eine realitäts ge rechte Bewältigung dieser Frage ermöglicht. Dabei muß eingeräumt werden, daß sachverständige Feststellungen zur Vorgeschichte, den motivischen Hintergründen der Tat und der psychischen Verfassung zum Tatzeitpunkt jenseits von Erörterungen über die Schuldfähigkeit für die rechtliche Qualifizierung unter dem Gesichtspunkt des Vorsatzinhalts von Bedeutung sein können. Hier können Probleme entstehen, die zum Teil auf der Ebene abstrakt-normativer Begriffsbildung, aber auch im Bereich psychiatrisch-psychologischer Begutachtung liegen. Dessen ungeachtet muß die Forderung bestehen bleiben, daß die Rechtsdogmatik dem Gericht das wissenschaftliche Rüstzeug zur Verfügung zu stellen hat, um im subjektiven Tatbestand die inneren Sachverhalte zu beurteilen.21 Für Stellungnahmen eines Sachverständigen ist kein Raum, wenn der Idealzustand erreicht wäre, 17

18 19 20

S-S-Cramer, § 15 Rdn 40. Schewe (1976), S. 698. Rasch (1964), S. 67 ff. S-S-Cramer, § 15 Rdn 12, sieht die übliche Definition des Vorsatzes als

Wissen und Wollen der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden objektiven Merkmals als unzulänglich an. Zu den einzelnen Formeln, deren Aussagewert und systematischer Einordnung RGSt 58, 247 (249); 61, 242 (258); 76, 257 (258); Dreher I Tröndle (1981), § 15, Rdn 2; Engisch (1930), S. 220 - 234; Schewe (1967), S. 37 - 63; Schmidhäuser (1968), S. 14; L-K-Schröder, § 15, Rdn 2. 21 Anders ist die Aufgabe des Gerichts nicht zu lösen, die Sarstedt, NJW 1968, 181, so beschreibt: "Ehe man die Frage der Zurechnungsfähigkeit überhaupt sinnvoll erörtern kann, muß man die ,Tat' nach ihrem äußeren und inneren Tatbestand festgestellt haben. Das ist nicht Aufgabe des Psychiaters, sondern des Gerichts." Zur Aufgabenverteilung auch Schewe (1972), S. 10 ff.

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3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

in dem alles in der rechtsdogmatischen Ausbildung allgemeinverbindlicher Formeln und in der richterlichen Feststellung, Beweiswürdigung und Subsumtion unoor jene Formeln aufgehen müßte. Aus dem Umstand, daß der subjektive Gehalt von dogmatischen Vorentscheidungen bestimmt ist, folgt für Sachverständige insbesondere bei der Beurteilung von Affekttaten eine Zwangslage, da die psychologischen Befunde nicht unter die juristischen Vorsatzdefinitionen einzuordnen sind. 22 Das Gericht hat währenddessen auch Mühe, sich für die Annahme eines Vorsatzes zu entscheiden, was nach den juristischen Intentionen eher möglich erscheint als nach der Definition.23 Besonders schwierige Fragestellungen ergeben sich, die den Gutachter an die Grenzen führen, die seiner Tätigkeit überhaupt gezogen sind, wenn Unklarheiten über Absicht, Vorsatz, Willensrichtung oder Ziel des Täters bestehen.24 Der Jurist wird vergeblich nach einer Psychologie suchen, die ihm verläßliche Grundlage für die Entscheidung über Menschenschicksale sein kann. Dies mag damit zusammenhängen, daß der Gutachter zum Vorsatz deshalb keine Aussage machen kann, weil das mit dieser Frage herangetragene Begriffssystem nicht ausreicht, um die psychologische Wirklichkeit des Geschehenen zu erfassen und zu deuten. 25 Andererseits hat Schewe anhand praktischer Beispiele28 überzeugend nachgewiesen, daß bei der Feststellung des subjektiven Tatbestandes Fragen auftreten können, die über die Möglichkeiten richterlicher Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung hinausgehen und zu deren Aufklärung ein Sachverständiger, oft aber nicht immer im Rahmen der Untersuchung zur Schuldfähigkeit, etwas beitragen kann. Die damit möglicherweise verbundene Verpsychologisierung des Strafverfahrens mag zwar unerwünscht sein. Sie bietet aber Möglichkeiten, die nicht auf Kosten der Wahrheitsfindung ausgeklammert werden sollten.27 Das darf nicht zu dem Trugschluß führen, es obliege grundsätzlich dem Sachverständigen, sich zu Rechtsbegriffen zu äußern, die 22 Nach dem Eindruck von Krümpetmann (1974), S. 327, tritt die problematische, ja krisenhafte Bedeutung der Affekthandlung für zentrale Lehrsätze des Strafrechts immer stärker hervor. Zur strafrechtlichen Einordnung der Affektgenese BGHSt 11, 20 (25). 23 So auch Schewe (1976), S. 700. 24 Rasch (1967), S. 67, mit dem Hinweis, daß man in den Fällen, in denen es nicht gelingt, die innere Verfassung des Täters auf die Formel eines der geläufigen vieldeutigen Begriffe zu bringen (z. B. Eifersucht, Haß, Rache etc.), sehr schnell dazu neigt, die Zurechnungsfähigkeit des Täters in Zweifel zu ziehen, obwohl die eigentlich notwendigen überlegungen noch außerhalb der mit den §§ 20, 21 StGB verbundenen Fragen liegen und die Motivation des Täters betreffen. 25 So Rasch (1967), S. 69. 28 Schewe (1976), S. 699. 27 So richtig Schewe (1976), S. 699.

3.1. Ps~chologie subjektiver Tatbestände

85

psychiatrische oder psychologische Vorstellungen erlauben. Gerade die Untersuchung des Vorsatzbegriffes zeigt die Unsinnigkeit eines derartigen Vorgehens. Wer das Unrecht so definiert, daß der Vorsatz ein Element des Unrechtstatbestandes ist, muß den Vorsatz analog den subjektiven Unrechtsmerkmalen gemäß den Bedingungen eines am Rechtsgüterschutz orientierten Tatstrafrechts behandeln.28 Der Inhalt des Vorsatzbegriffs wird also von den Wertungskategorien sozialer Anschauungen geprägt und kann nicht durch naturwissenschaftliche Analysen der Motivationsstruktur begriffen werden. Letztlich gilt: "Die durch das Rechtsgüterdenken geprägte Tatfeststellung psychologisiert nicht. "29 Wird der Vorsatz im Schuldbereich angesiedelt, ist die psychologische Besetzung abhängig vom Verständnis der Schuld und der Strafe. Betrachtet man Strafe als Prinzip gerechter Vergeltung, müssen die Elemente der Schuld entwickelt werden.30 Dabei gelangt man zu dem Ergebnis, daß Freiheit und Verantwortlichkeit als Prämissen eines Schuldvorwurfs dogmatische Kategorien sind, die einer empirischen Untersuchung nicht zugänglich sind und mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht entwickelt werden können. 31 Die Vorstellung von Strafe als Vergeltung läßt gemeinsam mit generalpräventiven Erwägungen ein psychologisches Verständnis des Vorsatzes kaum zu. Von einem derartigen Ansatz aus interessiert nicht der psychologische Befund des Täters, sondern der normative Befund, mit dem die Strafrechtsordnung ihre Auffassung vom Wesen des freien und einsichtsfähigen Menschen fest~schrieben hat. Es kann dahinstehen, ob eine spezialpräventiv ausgerichtete Strafzwecklehre psychologische Kriterien zur inhaltlichen Bestimmung des Vorsatzbegriffes erfordert.32 Entscheidend ist, daß die psychologische Erklärung vorsätzlichen Handelns an der fehlenden sozialen Relevanz psychologischer Prozesse scheitern muß. Die strafende Gesellschaft ist an einem wichtigen Stück krimineller Entwicklung, dem Motivationsprozeß jedenfalls nicht interessiert.33 Soweit Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung ohne 28 Krauß (1978), S. 22, sieht damit für einen Unrechtsbegriff nach der finalen Handlungslehre eine Objektivierung des Vorsatzes. 2D Krauß (1978), S. 22. 30 Grundsätzlich BGHSt 2, 194 (200, 201). 31 Göppinger, NJW 1961, 243: " ... kann eine Aussage über die Schuldfähigkeit mit Hilfe psychologischer Erkenntnisquellen nicht gemacht werden. Metaphysische Fragen können empirisch nicht gelöst werden." 82 So Krauß (1978), S. 25, 26. 33 Vielleicht ist das auch auf eine Befürchtung zurückzuführen, die Witter (1976 a), S. 177, so ausdrückt: "Vor allem bedrohen diese reformistischen Eiferer das freiheitliche Fundament unserer Rechtsordnung, wenn sie das Sozialisierungsprinzip im Strafrecht verabsolutieren und die Schuldgeltung nicht nur einschränken, sondern gänzlich beseitigen wollen."

3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

86

Krankheitswert sind, bleiben solche Einsichten folgenlos. Das bedeutet ... "solange diese Umsetzung empirischer Einsichten in Werttopoi nicht geleistet werden kann ... , hat es für das Recht wenig Sinn, seine subjektiven Verbrechensmerkmale um eine psychologische Dimension zu erweitern".34 Für unsere Untersuchungen heißt dies, daß sich die Erörterungen über die Verständigungsprobleme zwischen Gericht und Sachverständigen vornehmlich auf den Bereich der Schuldfähigkeit konzentrieren müssen. Dabei muß nicht nur berücksichtigt werden, daß die Bestimmungen über den Schuldausschluß (§§ 20, 21 StGB) die psychologische Seite des Schuldsachverhalts beschreiben. Schuld und Verantwortung sind eben auch Rechtsbegriffe. Darüber hinaus sind sie Urteilskategorien, die auf dem Hintergrund der Vorstellungen über Gut und Böse, über Absicht und Zufall soziale Interaktionsformen im Alltag bestimmen. 3G Nach den Untersuchungen von Peters und Kiwit war bei 20 6 / 0 der Wiederaufnahmefälle die Feststellung der Schuldfähigkeit der entscheidende Problembereich mit der höchsten Fehlerquote.38 Der zentrale Gegenstand der forensischen Psychiatrie, aber auch der Psychologie ist die Frage nach der Anwendbarkeit der §§ 20, 21 StGB.37 Daher ist es geboten, die kommunikativen Möglichkeiten zwischen Sachverständigen und Gericht besonders im Rahmen der Schuldfeststellung zu untersuchen. 3.2. Physische Realität als Forschungsgegenstand

Die richterliche Aufklär.ungstätigkeit erschöpft sich nicht in der Feststellung psychischer Befunde beim Straftäter. Aus den §§ 155 II und 244 II StPO ergibt sich., daß das Gericht von Amts wegen, also auch ohne ausdrückliche Anträge oder Einwände der Prozeßbeteiligten berechtigt und verpflichtet ist, im Rahmen der Anklage selbständig alles aufzuklären, was zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Beweisaufnahme muß sich also auf alle Tatsachen erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Die rasante Entwicklung der Naturwissenschaften und technisch hoch differenzierte Untersuchungsmethoden eröffnen den Zugang zu einer Wirklichkeit, die in ihrer Komplexität von einem Gericht ohne sachverständige Hilfe nicht mehr zu begreifen, ja noch nicht einmal zu erkennen ist. Richterliche Forschungsfreiheit und Aufklärungspflicht müssen auch unter dem Gesichtspunkt freier Beweiswürdigung problematische Bedingungen strafprozessualer Sachverhaltsermittlung sein, weil sich der Abstand zwi34 35

3e

37

Krauß (1978), S. 28. So auch Bierbrauer I Haffke (1978), S. 132. Peters (1972), S. 118 f.; Kiwit (1965), S. 183. Ähnlich Krauß (1978), S. 13.

3.2. Physische Realität als Forschungsgegenstand

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schen dem Allgemeinwissen und dem Erfahrungsgut der Wissenschaften derart erweitert hat, daß sogar ein unabweisbarer Zwang bestehen kann, einen Sachverständigen beizuziehen. Die Zeiten, in denen, wie in den ersten Jahrhunderten n. Chr., Richter und Sachverständige identisch waren, sind lange vorüber. Damals übten Priester, die sämtliche Wissenschaften beherrschten, Richterfunktionen aus. 38 Der Stand der modernen Wissenschaften läßt die Vorstellung von einem Gericht, das sich zu allen in einem Strafprozeß auftauchenden Problemen kompetent äußern kann, zur Utopie werden. 3t Heute müssen auch Strafrichter einsehen, daß kein Mensch alles wissen kann. 40 3.2.1. Kausalitätsprobleme

Der Nachweis strafbaren Verhaltens kann oft nur mit dem Einsatz technisch äußerst ausgefeilter Mittel gelingen. Wie der in vielerlei Hinsicht exemplarische Conterganprozeß41 gezeigt hat, ist das Problem der Kausalität eines bestimmten Verhaltens für einen strafrechtlich relevanten Erfolg von erheblicher prozessualer Bedeutung. Das Landgericht Aachen war vor die Aufgabe gestellt, angesichts widersprücb:licher Gutachten eine gesetzmäßige Verknüpfung zwischen der Einnahme von Thalidomid und embryonalen Mißbildungen zu beurteilen. Da die Sachverständigen nur zu einem Teil ein entsprechendes Universalgesetz konstatierten, sah sich das Gericht veranlaßt, gemäß § 261 StPO nach seiner freien überzeugung zu entscheiden. Diese Entscheidung folgte Plausibilitätsüberlegungen. 42 Zutreffend wurde erklärt, daß der strafrechtliche Beweis gemäß der Eigenart geisteswissenschaftlichen Erkennens nicht auf einem unmittelbar einsichtigen Denken beruht, sondern auf dem Gewicht eines die Gründe abwiegenden Urteils über den Gesamtzusammenhang des Geschehens. 43 Dieser Auffassung begegnet ein kritischer Hinweis von Maiwald. Die Eigenart geisteswissenschaftlichen Erkennens und der Begriff des abwägenden Urteils dürften nicht zu dem Eindruck führen, als ob Wertungen in moralischen oder ästhetischen Kategorien erfolgen. Richtig sei vielmehr, daß es sich bei der richterlichen Abwägung um naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten handelt, deren beweiskräftige Feststellung von der Überzeugungskraft der Gründe abhängen muß, 38

Arbab-Zadeh, NJW 1970, 1214.

So auch Leferenz, KrimbioGegwfr 1962, 3. 40 Allgemeiner Peters (1981), S. 304, 305. 41 LG Aachen in JZ 1971, S. 510; Kaufmann, JZ 1971, 569 ff.; ausführlich Bruns (1972 a), S. 317 ff. und (1972 b), S. 469 ff. 42 Richtig bemerkt Maiwald (1980), S. 91, daß Plausibilität keine exakte Kategorie ist. 43 LG Aachen in JZ 1971, 510. 39

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3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

die von den Sachverständigen für .und gegen die kausale Verknüpfung zwischen Thalidomideinnahme und körperlichen Mißbildungen vorgetragen wurden." Es sei weniger wichtig, ob das Gericht im Conterganverfahren den gordischen Knoten der divergierenden Sachverständigengutachten mit dem Prinzip der freien Beweiswürdigung zu Recht durchtrennte. 45 Von Bedeutung sei vielmehr, ob der Einsatz von naturwissenschaftlichen Methoden, etwa im Bereich der Kausalitätsprüfung, der richterlichen Aufklärung einen größeren oder qualitativ anderen Bereich der Wirklichkeit eröffnet und ob er eine unentbehrliche Voraussetzung für die Wahrheitsfindung ist. Maiwald glaubt einerseits, daß die Beschäftigung mit Naturwissenschaften für Juristen deshalb klärend sein könne, weil dadurch eine Distanz zu der scheinbar selbstverständlichen Sicht der Dinge möglich werde, auf der das Alltagsverständnis beruht. 48 Selbst wenn eingeräumt werden muß, daß die Naturwissenschaften wegen ihres methodischen Vorgehens die Wirklichkeit nur insoweit erfassen können, als diese Methoden Ergebnisse liefern, sei ihre Vorgehensweise geeignet, die Vorstellung der Juristen nicht als die ganze Wahrheit erscheinen zu lassen. Andererseits rät Maiwald den Juristen, es bei der Rechtsanwendung mit der Alltagsvorstellung von Kausalität bewenden zu lassen, da auch die moderne Naturwissenschaft noch nicht dazu geführt habe, daß diese Fragen für Vorgänge des Soziallebens von Belang sind. Damit ist nicht für alle Zeiten ausgeschlossen, daß sich die richterliche Aufklärungstätigkeit auch mit einem durch physikalische Forschung veränderten Wirklichkeitsbegriff auseinandersetzen muß.47 3.2.2. Kriminaltechnik

Einen besonderen Rang bei der Verbrech.ensaufklärung haben naturwissenschaftliche Methoden und moderne technische Hilfsmittel im Bereich der Kriminaltechnik, die nicht nur zur Klärung von Kausalitätsproblemen herangezogen werden. Der Begriff der Kriminaltechnik ist nicht präzise faßbar. 48 Sachverhaltsaufklärung mit naturwissenschaftlichen Methoden erfordert Sachverstand, sei es aus den Reihen der Kriminalpolizei oder von anderer Seite. Diese Untersuchungen können durch die Entdekkung sachlicher Beweise .und Spuren zur objektiven TatsachenfeststelMaiwald (1980), S. 91. So Maiwald (1980), S. 95. 46 Maiwald (1980), S. 2. 47 Zum Einfluß von Naturwissenschaften und Mathematik auf die Rechtswissenschaft Stephanitz (1970), S. 8, 9. 48 Eine ausführliche Darstellung kriminaltechnischer Untersuchungsmethoden bietet Kasper (1975), S. 56 - 117. 44

45

3.3. Exkurs: Sachbeweis und freie Beweiswürdigung

89

lung beitragen. Die so ermittelten Erkenntnisse können aber nur Indizien für den Verlauf eines historischen Ereignisses sein. Sie sind durch Naturvorgänge entstanden, die kraft ihrer spezifischen Daseinsform kaum Täuschungs- und Irrtumsmöglichkeiten eröffnen. Wenn es gelingt, aus solchen Indizien nach logischen Maßstäben richtige Schlußfolgerungen zu ziehen, könnte damit die Möglichkeit zur Feststellung einer objektiven Wahrheit eröffnet sein. Die Vielzahl der teilweise sehr komplizierten Methoden kriminaltechnischer Untersuchungen erfordert, daß zunächst der Sachverständige Sch,lußfolgerungen zieht und die Ergebnisse seiner Unters.uchung erläutert. Schon ein kurzer überblick zeigt, wie vielschichtig das kriminalistische Erkenntnisrepertoire ist, dessen sich ein Gericht jedenfalls nicht unmittelbar bedienen kann. Man kann zwischen den Bereichen der Personenfeststellung, der Spurenauswertung, Ermittlungen im Bereich der Physik und Chemie, der Biologie und Medizin unterscheiden. Innerhalb dieser Gebiete gibt es sehr verschiedene und zahlreiche Untersuchungstechniken, die nur von hochqualifizierten Spezialisten beherrscht werden können. Die Daktyloskopie, das Stimmabdruckverfahren, morphologische Sp.urenvergleiche, die Mikroskopie, spektralphotometrische Methoden, röntgenographische Techniken, der Nachweis radioaktiver und toxischer Stoffe, die Bestimmung von Blut- und Serumgruppen, die Ermittlung der Alkoholkonzentration49 , a11 dies sind Techniken, die von Sachverständigen angewendet werden, um Erkenntnisse über die physischen Elemente eines Sachverhaltes zu gewinnen, Teile einer Wirklichkeit, die vielleicht Aufschluß über Einzelheiten eines strafwürdigen Geschehens bringen können. 3.3. Exkurs: Sachbeweis und freie Beweiswürdigung Es ist fraglich, ob die Ergebnisse moderner kriminaltechnischer Untersuchungen als Elemente der Tatsachenfeststellung und der Beweis49 Die Bedeutung der Untersuchungsergebnisse für die richterliche überzeugungsbildung beschreibt der BGH so: "Die hierfür in dem Gutachten mitgeteilten medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sind als für den Richter verbindlich hinzunehmen, da sie in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig anerkannt sind ... Das gilt auch insoweit, als er ihre'Grundlagen, was bei neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und Verfahren häufig der Fall sein wird, im einzelnen selbst nicht erschöpfend nachprüfen kann ... Ebenso ist es nicht bedeutsam, ob die gefundenen Ergebnisse auf einer Wertung ... und/oder auf Grundsätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung beruhen ... Allerdings verpflichtet die mehr oder weniger geringe Spanne, die naturwissenschaftlich unbeweisbar ist und unbewiesen bleibt, den Richter zu besonderer Sorgfalt und Vorsicht bei der überzeugungsbildung" (BGHSt 21, 157, 159); zu den Beweisproblemen und der Rolle des Sachverständigen bei Trunkenheitsdelikten gibt es sehr zahlreiche Äußerungen. Einen guten überblick geben S-K-Horn, § 316 Rdn 16 ff.; Geppert, DAR 1980, 317; Spann, DAR 1980, 313 f.

3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

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würdigung des non plus ultra darstellen. 50 Die These darf nicht unwidersprochen bleiben, daß das materielle Indizium als solches objektive Wahrheit und Wirklichkeit in einzigartiger Weise verkörpert. 51 Mit einer beträchtlichen gedanklichen Akrobatik entwickelt Kasper auf der einen Seite die Fehlerquellen eines Sachbeweises. Auf der anderen Seite meint er, daß alle Fehlermöglichkeiten und Unzulänglichkeiten die sachliche Spur und damit den Sachbeweis als solchen nicht berührten.52 Es mag sein, daß bei entsprechender Umsicht .und Sorgfalt fast alle Fehler vermieden werden können. Eine unzulässige gedankliche Trennung ist es aber, wenn zwischen der stofflichen Zusammensetzung einer bestimmten Spur als strafrechtlich relevantes, quasi im Mikrobereich maßstabgerechtes Abbild der Wirklichkeit und dem vor Gericht präsentierten Befund unterschieden wird. Die These von Meixner 63 , daß Sp.uren, also Gegenstände des Indizienbeweises, die einzigen Zeugen sind, die sich niemals täuschen oder lügen, wenn man sie nur zu deuten versteht, rechtfertigt nicht den Optimismus Kaspers: "Bei fehlerfreier, sorgfältiger Handhabung wird der wissenschaftlich geführte Sachbeweis an Objektivität .und Sicherheit von keiner anderen Beweisart übertroffen."54 Von diesem Standpunkt aus ist es kein weiter Weg mehr zum "Sonnenstaat des Doktor Herold".56 "Der Mann auf allen Abschußlisten"58, der ehemalige Präsident des Bundeskriminalamtes, glaubt, daß der Sachbeweis der präziseste und kürzeste Weg sei, vom Verdacht zur Gewißheit zu gelangen, da mit ihm das subjektive Wahrscheinlichkeitsurteil in ein objektives Werturteil verwandelt werde. Allein diese Äußerung zeigt, daß auch hervorragende Kriminalisten nicht immer die Notwendigkeit präziser Begriffsbildung beachten. Nicht richtig kann schon nach unseren erkenntnistheoretischen 'überlegungen die Ansicht sein, daß der Sachbeweis eine Vielzahl irrationaler und .unkontrollierbarer Elemente der Verdachtsbildung und der Gefahrenannahme ausschalte und die Erkenntnis naturwissenschaftlichen Gesetzen unterwerfe. Herold skizziert seine Visionen über den zukünftigen Strafprozeß so: "Ich erstrebe einen Strafprozeß, der ... frei ist von Zeugen .und Sachverständigen. Der sich ausschließlich gründet auf den wissenso

So Kasper (1975), S. 118.

Kasper (1975), S. 122. Kasper (1975), S. 124. 63 Meixner (1962), S. 49. 54 Kasper (1975), S. 124. 55 Augstein, Der Spiegel 1981, Nr. 44, 42; für Cobler, Kursbuch 1980, Nr. 61, 65, bot Herold das Bild eines verbohrten und verbissenen Funktionärs der SI

S2

Polizei. S8

Schueler, Die Zeit 1980, Nr. 50, 3; sachlicher Enzensberger, Der Spiegel,

1979, Nr. 25, 68 ff.

3.3. Exkurs: Sachbeweis und freie Beweiswürdigung

91

schaftlich nachprüfbaren, meßbaren Sachbeweis."57 Zwar sieht er ein, daß sich im Strafprozeß das ausdrückt, was ein Land an kulturellem Entwicklungsniveau erreicht hat. Gleichwohl lautet das Fazit: "Nach meiner Theorie wäre, so schrecklich das klingt, auch der Richter entbehrlich."58 Es wird nicht deutlich, ob Herold damit das für entbehrlich hält, was auch tatsächlich entbehrlich ist: Die subjektive Willkür, die in der richterlichen Üherzeugungsbildung zwischen bloßer Wahrscheinlichkeit und vermeintlicher Gewißheit liegt. Leider müssen seine Äußerungen nicht so verstanden werden. Herold bedauert dieses Fehlen jedweder Rationalität, diesen vollen Einbruch des Emotionalen auf der Richterbank. 59 Er möchte ein ehrenwertes Anliegen verfolgen: " ... in dem Bereich der Kriminaltechnik die partielle Verwirklichung eines kulturellen Anspruchs möglich machen ... den gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, zur Verobjektivierung beitragen."GO Fraglich ist, ob dieses erstrebenswerte Ziel allein mit den Mitteln der Kriminaltechnik erreicht werden kann. Auch die Ergebnisse ausgefeiltester naturwissenschaftlicher Kriminaltechnik müssen in einem subjektiv geprägten Prozeß verwertet und zugewiesen werden. Kasper weist selbst darauf hin, daß bei Schlußfolgerungen aus objektiv festgestellten Tatsachen durch den G.utachter mannigfache Fehler auftreten können. Richtig bemerkt er, daß es hier ganz entscheidend auf die Persönlichkeit des Gutachters und dessen Sachkunde ankommt.el In der Tat ist es gefährlich, Annahmen als gesicherte Ergebnisse hinzustellen, voreilige, nicht genügend durchdachte Schlüsse zu ziehen und Untersuchungen oberflächlich oder nur in bestimmte Richtungen zu führen. Richtig ist auch, daß der persönliche Ehrgeiz des Gutachters eine Fehlerquelle sein kann, wenn er seine Fähigkeiten überschätzt oder die Grenzen überschreitet, die ihm durch seinen Auftrag gesetzt sind.

Es soll nicht bestritten werden, daß empirische Untersuchungsmeth0den am ehesten geeignet sind, Informationen über die stoffliche Zusammensetzung entscheidungsrelevanter Spuren zu liefern. Teilweise wird das Zusammenwirken von Richter und technischen Sachverständigen für .unproblematisch gehalten, weil und soweit es dabei um Vermittlung und Berücksichtigung allgemein und zweifelsfrei als richtig anerkannter Lehren geht, die der Richter zu akzeptieren hat und ohne eigene Nachprüfung seinem Urteil zugrundelegen darf.6! Dahinter steht 57

58 59

80 81

6!

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Schueler, Die Zeit 1980, Nr. 50, 3. Schueler, Die Zeit 1980, Nr. 50, 3. Augstein, Der Spiegel 1981, Nr. 44, 44. Augstein, Der Spiegel 1981, Nr. 44, 44. Kasper (1975), S. 123. So Krauß, ZStw 85 (1973), 326.

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3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

das Bild von einem Empiriker, der als idealer Tatsachenlieferant ohne eigene Entscheidungsambitionen fungiert. Dieser Fall wird bei demjenigen Sachverständigen angenommen, der sich rein naturwissenschaftlicher Methoden bedient, so daß dort angeblich die wenigsten prozessualen Probleme auftauchen. 63 Man muß den Eindruck haben, als ob das Verhältnis nur deshalb als unproblematisch angesehen wird, weil schon die bloße Feststellung einer empirischen Wirklichkeit die richterliche Würdigung nach § 261 StPO ersetzen oder überflüssig machen kann. Eine fragwürdige Gleichsetzung von Wahrheit und Wirklichkeit ist die Folge. Der Ansatz von Kasper kann daran nichts ändern. Zwar geht er davon aus, daß nur einzelne Glieder, kausale Tatsachen innerhalb einer mehr oder weniger langen Beweiskette feststehen, die dank ihrer gesicherten wissenschaftlichen Untermauerung der richterlichen Beweiswürdigung entzogen seien. Ihre Verknüpfung z.um Beweisthema wird aber zur Aufgabe richterlicher Wertung gemacht. Selbst bei der Verwendung exaktester naturwissenschaftlicher Erkenntnisse bleibe stets Raum für die freie richterliche Überzeugungsbildung.ß4 Diese These wirkt nicht nur vor dem Hintergrund der Rechtsprechung66 fragwürdig, die sich für eine nahezu automatische Übernahme empirischer Erkenntnisse für die richterliche Urteilsbildung ausgesprochen hat. Wenn die Rechtsprechung gleichzeitig fordert, daß sich der Richter den Auffassungen, die ein Sachverständiger zur Schuldfähigkeit eines Angeklagten äußert, nicht "in Bausch .und Bogen anschließen soll"66, so muß sichi auch gegenüber den mit naturwissenschaftlichen Methoden gewonnenen Erkenntnissen verschärft die Frage nach dem funktionellen Stellenwert der freien Beweiswürdigung schon bei der Entdeckung der Wirklichkeit .und nicht erst bei der Wahrheitsfindung stellen. Mit pauschalen Formulierungen, wie sie Kasper verwen68

64

Krauß, ZStW 85 (1973), 336. Kasper (1975), S. 127, 128.

65 Vgl. BGHSt 5, 34 (35). BGHSt 6, 70 (72): "Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, wie ihn § 261 Stpo (ebenso wie § 286 ZPO) aufstellt, bedeutet nicht, daß der Richter nunmehr von jeder Bindung losgelöst ist. Er ist unter die Gesetze des Denkens und der Erfahrung gestellt und hat diese Gesetze bei der Feststellung von Tatsachen zu beachten." Im Ergebnis wurde Blutgruppengutachten eine jeden Gegenbeweis mit anderen Beweismitteln ausschließende absolute Beweiskraft zugesprochen. BGHSt 10, 208 (211): " ... wo eine Tatsache aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis feststeht, ist für eine richterliche Feststellung und Üherzeugungsbildung naturgemäß kein Raum mehr." BGHSt 7, 238 (239) zeigt, worin die Freiheit der Beweiswürdigung bestehen kann: "Zuweilen wird die richterliche Prüfung sich darauf beschränken dürfen, ob der Sachverständige ein erprobter und zuverlässiger Vertreter seines Faches ist und daher auf seine Sachkunde in diesem Bereich vertraut werden kann." Hier ist der Hinweis von Tröndle, JZ 1969, 374, auf Vergil (Elfter Gesang, Vers 283: "Experto credite") angebracht. In dieser Situation kann es leicht zu der von Gerchow, ArchKrim 134 (1964), 127, 128. beklagten Krise der richterlichen Urteilsbildung kommen. 66 BGHSt 7,238 (240).

3.3. Exkurs: Sachbeweis und freie Beweiswürdigung

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det, ist wenig gewonnen. Es reicht nicht, die Kenntnis der Ergebnisse der Kriminaltechnik als hilfreich, ja unentbehrlich: für den Richter im Bereich: des § 261 StPO zu bezeichnen.e7 Von überragender Bedeutung ist doch gerade die Frage, was das Gericht, dem die nötige naturwissenschaftliche Sachkunde fehlt, tun soll, wenn es dem Gutachten nicht folgen will. Würde man in einem derartigen Fall grundsätzlich die Pflicht zur Heranziehung weiterer Sachverständiger bejahen, wäre man keinen Schritt vorangekommen, weil damit eine eventuelle Bindung des Gerichts an das Gutachten nicht aufgehoben ist.GS Die Situation ähnelt einer Sackgasse, aus der nur ein Weg herausführen kann: Die Anhörung des Sachverständigen muß mit einer Diskussion verhunden werden, die entweder zur eigenen Sachkunde des Gerichts führt oder diese so ergänzt, daß ein Urteil gesprochen werden kann, das sich auf die freie, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte überzeugung gemäß § 261 StPO stützt. 8D Zwischen dem Gericht und dem Sachverständigen muß also ein Dialog stattfinden, für den allerdings eine grundlegende Sachkunde unentbehrlich ist. Vor allem aber gilt, daß ohne einen Dialog kein Richter in der Hauptverhandlung die überzeugung gewinnen kann, die er für seine Entscheidung benötigt. 7o D.urch naturwissenschaftliche Methoden der Kriminaltechnik, die sich im wesentlichen mit der Analyse materieller Spuren, also physischer Wirklichkeit, beschäftigt, sollen Gutachten zustandekommen, mit denen ein Kommunikationsprozeß angestrebt wird, der natürlich bei den verschiedenen Prozeßbeteiligten ein bestimmtes Reaktionsverhalten und unterschiedliche Denkprozesse einleiten wird. 71 Auch und gerade bei naturwissenschaftlichen Gutachten ist es von eminenter Wichtigkeit für die Wahrheitsfindung, daß zwischen Sachverständigen und Gericht eine Verständigung gelingt. Dies 67 So Kasper (1978), S. 55. 68 Zur Heranziehung weiterer Sachverständiger grundsätzlich Ley (1966), S. 7, der darauf hinweist, daß der Sachverständige zunächst dem Gericht zur Verfügung steht, um Fragen zu beantworten; vgl. auch Mayer (1954), 473 f. 69 Arbab-Zadeh, NJW 1970, 1215. 70 So richtig Arbab-Zadeh, NJW 1970, 1215. Die Einschätzung der geistigen Verfassung etlicher Juristen läßt nicht viel Hoffnung auf die notwendige Richterbefähigung zu. Eikenberg (1971), S. 31, glaubt, daß die größeren Abnahmen an geistigen und sozialen Interessen während des Studiums und die im Vergleich zu anderen Fakultäten zunehmend rigorose Sexualauffassung sowie das immer stärker ins Blickfeld tretende Berufsziel des Justizjuristen darauf hindeuten, daß integrative, auf Einstellung und Anpassung an die bestehende Ordnung gerichtete Einstellungen im juristischen Studium zumindest gefördert würden. Informativ dazu Kaupen (1971), S. 182. Für das Gespräch mit den Sachverständigen wird verlangt: "Sie dürfen sich dabei nicht mit unbestimmten Floskeln abspeisen lassen, sondern müssen jedem einzelnen Punkt ... ganz konkret und gezielt nachgehen und dabei eindeutige Aussagen verlangen" (BGH in JuS 1981, 224). 71 So richtig Leszcynski, KrimSchrR 1969, 93.

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3. Einsatzbereich des Sachverständigen im Strafprozeß

folgt zum einen aus dem Umstand, daß sich auch der renommierte Gutachter auf unsicherem Terrain bewegt, da er den objektiven Untersuchungsbefund zu einer subjektiven Aussage umformen muß.?! Z.um anderen erfordert die Verwertung naturwissenschaftlichr-technischer Erfahrungstatsachen eine Übersetzung in rechtswissenschaftliche Tatbestandsmerkmale. Hierin liegt eine wichtige Ursache für Verständigungsschwierigkeiten zwischen Gerichten und Sachverständigen. Solange ein Gericht gezwungen ist, naturwissenschaftliche Erkenntnisse in einem normativ-juristischen Denkprozeß zu übersetzen, solange also die vom Sachverständigen zu übertragenden Daten nicht auf der gleichen Wellenlänge empfangen werden können, solange wird eine Diskrepanz zwischen den Gerichten und den Sachverständigen bestehen, die z.ur Rechtsunsicherheit führen muß, zumal das Gericht bestenfalls nur die Resultate sachverständiger Erkenntnisarbeit juristisch einordnen kann.73 Da Rechtswissenschaft keine Kausalwissenschaft ist, die mit quantitativen Größen arbeitet und sich mit der empirischen Erforschung naturgesetzlicher Abläufe befaßt, sondern die Ordnung des sozialen Lebens nach bestimmten Leitideen anstrebt, kann die Richtigkeit ihrer Ergebnisse auch nur durch ein psychisches Erlebnis darstellbar sein. 74 Der Bundesgerichtshof zieht sich vor den Anforderungen der Naturwissenschaften gewissermaßen in ein psychologisch-normatives Refugium zurück, weil er die richterliche überzeugung als etwas bezeichnet, das sich gemäß der Eigenart geisteswissenschaftlichen Erkennens nicht als Ergebnis exakter naturwissenschaftlicher Forschung, also unmittelbaren einsichtigen Denkens darstelle, sondern auf einem die Gründe klar abwägenden Urteil über den Gesamtzusammenhang eines Geschehens ber.uhe.75 Für die überzeugung sei es dennoch erforderlich, aber auen genügend, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr laut werden können. 76 Wenn man grundsätzlich davon ausgeht, daß sich geisteswissenschaftliches Erkennen und naturwissenschaftliche Denkweise einander gegenüberstehen und hieraus erhebliche Sprachschwierigkeiten entstehen müssen, so ist eine Prszisierung der Sachver72 Leszcynski, KrimSchrR 1969, 94, bezeichnet diesen Moment als verhängnisvollen Augenblick, der dem Sacnverständigen bei der Gutachtenerstattung ein höchstes Maß an Selbstkritik abverlange, wenn es darum geht, die Bedeutung eines Befundes abzuschätzen. 73 So richtig Arbab-Zadeh, NJW 1970, S. 1216. 74 Stephanitz (1970), S. 8; vgl. auch die Kritik von Hirschberg (1960), S. 84, der die Neigung der Richter beklagt, sich mit der Wahrscheinlichkeit zu begnügen, statt Gewißheit zu verlangen. 75 BGH in NJW 1951, 122; LG Aachen in JZ 1971, 520. 7B BGH in NJW 1951, 122.

3.3. Exkurs: Sachbeweis und freie Beweiswürdigung

95

ständigenaussage, mittels derer ein begründetes Urteil über einen zweifelhaften Sachverhalt abgegeben werden soll, um so dringlicher. Werden nämlich keine Forderungen an die Prägnanz des Gutachtens gestellt, ist der Sachverständige kein Erkenntnismittel des Gerichts, sondern er blockiert mehr den Zugang zur Wirklichkeit .und macht aus der Hauptverhandlung ein Szenario, das eher an die Erzählung "Vor dem Gesetz" von Kafka erinnert. 77 Diese Forderungen können aber nur dadurch eingelöst werden, daß der Transfer von Informationen zwischen Sachverständigen und dem Gericht optimal organisiert wird. Juristische Begriffe sind mit naturwissenschaftlichen Begriffen nicht identisch. Die zweckneutrale und beschreibende Funktion naturwissenschaftlicher Begriffe muß nutzbar gemacht werden für Rechtswerte, die nicht logisch, sondern psychologisch erforschbar sind. Da Rechtswissenschaft auf den Gebrauch von Begriffen der natürlichen Sprache nicht verzichten kann, sie im Unterschied zu naturwissenschaftlich fundierten Kategorien also mit mehrdeutigen Formeln arbeiten muß, ist die Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Sachverständigen immer von folgenschweren Mißverständnissen bedroht. Besonders Hassemer hat nachgewiesen, daß ein Richtigkeitskriterium der Sprache nicht schlechthin von der Wirklichkeit8ebene her genommen werrien kann. 78 Aus der Beschäftigung mit der eigenen Sprachlichkeit des Tatbestandes folgt die Einsicht, daß von einer Exaktheit der Sprache im logischen oder naturwissenschaftlichen Sinne nicht die Rede sein kann. 78 Darüber hinaus geht aus den Darlegungen von Krawietz zur rechtssprachJ.ichen und sozialen Bedingtheit der Rationalität juristischer Entscheidungen hervor, daß die Rationalität juristischer Entscheidungsleistungen nicht allein in der logischen Korrektheit der Schlußfolgerungen aus den umgangssprachlich fixierten, in normativen Rechtstexten enthaltenen juristischen Entscheidungsbedingungen zu erblicken ist.so Sie besteht vielmehr auch insoweit, als sie die Unsicherheit über die Richtigkeit eines Entscheidungsergebnisses absorbieren kann. Informationen über die physische Wirklichkeit sind für ein Gericht weder aus sich heraus verständlich, noch sind sie ohne erläuternde Vermittlung durch den Sachverständigen verwertbar. Das Anforderungsprofil, dem der Sachverständige bei diesen Vermittlungsleistungen gerecht werden muß, kann nur vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen und der Einschätzung deutlich werden, die dieses Prozeßinstitut von Lehre und Rechtsprechung erfahren hat. 77 78

78 80

Kafka (1976), S. 120 f. Hassemer (1968), S. 80. Hassemer (1968), S. 66 ff., 84. Vgl. auch Schmidt (1972), S. 398 ff. Krawietz (1978), S. 92 H. Zur Rationalität Priester (1970), S. 459 H.

4. Sachverständiger als Beweismittel und Prozeibeteiligter 4.1. Geschichtliche Entwicklung des Sachverständigenbeweises

Historisch betrachtet gehört der Sachverständigenbeweis zum gemischten oder zusammengesetzten Augenschein, so wie er im gemeinen deutschen Inquisitionsprozeß entwickelt wurde. 1 Der Sachverständige hat seit 1507 in dem Codex Bambergensis, in der Constitutio Criminalis Carolina von 1532, der Hessischen Gerichtsordnung von 1532 und der Brandenburgischen GerichJtsordnung von 1582 einen festen Platz in der Rechtspflege.2 Bereits die Constitutio Criminalis Carolina enthielt mehrere Bestimmungen, in denen die Beiziehung von Sachverständigen vorgeschrieben war.lI Aus dieser Beziehungspflicht, namentlich aus Art. 147 der CCC, wurde eine .unabdingbare Beweisregel entwikkelt.' War der Sachverständigenbeweis nicht ausdrücklich vorgeschrieben, stand die Beiziehung im freien Ermessen des Gerichts. Das Gericht war vollständig an das Gutachten gebunden, da dies als Beweismittel von objektiver Beweiskraft angesehen wurde. 5 Der Entwurf der RStPO sah die Beiziehung von Sachverständigen zwingend nur bei der Leichenöffnung (§ 78) und bei Vergiftungsverdacht (§ 82) vor.6 Nach der Auffassung, die aus den Motiven deutlich wird, entsprach es dem Prinzip der freien Beweiswürdigung, dem Ermessen des Gerichts zu überlassen, ob ein Sachverständiger hinzugezogen werden sollte. Da auch technische Fragen nach der freien überzeugung des Gerichts entschieden werden konnten, wurde die Beiziehung von Sachverständigen dann für entbehrlich gehalten, wenn das Glaser (1883), S. 382. Arbab-Zadeh, NJW 1970, 1214, mit interessanten historischen Beispielen; vgl. auch den geschichtlichen Überblick bei Hepner, KrimSchrR 1966, 19 ff.; Wolschke (1973), S. 3 ff., zeigt anhand eines historischen Vergleichs die zu1 2

nehmende Bedeutung der Sachverständigenbeiziehung; einen informativen Überblick bietet Geerds, ArchKrim 137 (1969), 62 - 67. 3 Vgl. Art. 33, 35, 36, 147, 149 CCC. 4 Bei Nichtbeachtung war eine ordentliche Strafe ausgeschlossen. Im einzelnen Glaser (1883), S. 371, 372, Anm. 264; Wolschke (1973), S. 4. 5 Gönner (1804), S. 432; Ullmann (1893), S. 343; Gottsmann (1954), S. 5; noch bis zum Beginn dieses Jahrhunderts wurde teilweise eine Bindung des Gerichts an das Gutachten bejaht: Obermeyer (1880), S. 177, Anm. 65. ft Hahn (1880), S. 13.

4.2. Begrüf des Sachverständigen

97

Gericht glaubte, diese Fragen selbst beantworten zu können. 7 Die Literatur gab in kritischen Äußerungen zu bedenken, daß entgegen den Motiven zur RStPO der Grundsatz der freien Beweiswürdigung mit einer eventuellen Beiziehungspflicht nichts zu tun habe.8 Insbesondere wurde der Satz der Motive als falsch angesehen, wonach aus dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung ein Ennessen des Richters hinsichtlich der Beteiligung von Sachverständigen folge. Dies würde nämlieh bedeuten, daß es dem Richter nach seinem Belieben überlassen bleibt, Beweis zu erheben oder dies zu unterlassen.' Dem wurde entgegengehalten, daß der Grundsatz der freien Beweiswürdigung dazu diene, dem Richter eine freie Entscheidung darüber zu ennöglichen, ob er, nachdem die Beweisaufnahme durchgeführt war, von einem bestimmten Ergebnis überzeugt ist, ohne in dieser Entscheidung von gesetzlichen Vorschriften bestimmt zu sein. lO Nach der Ansicht von Geyer war es über die nach der RStPO geregelte zwingende Beiziehungspflicht hinaus geboten, Sachverständige grundsätzlich zur Entscheidung von technischen Fragen herbeizuziehen,u John forderte in technischen Fragen regelmäßig die Beiziehung von Sachverständigen, hielt aber Ausnahmeregelungen für geboten, da der Begriff ,technische Frage' nicht praktikabel seLl2 Nach den derzeit geltenden Regeln der Strafprozeßordnung besteht eine Verpflichtung zur Beiziehung von Sachverständigen nur in den Fällen der §§ 80 a, 81, 87 ff., 91, 92, 246 a, 414 StPO. Im übrigen ist es dem Gericht ~mäß § 244 IV StPO überlassen, einen Sachverständigen beizuziehen. Das Gericht kann also, wenn es glaubt, selbst genügend Sachkunde zu besitzen, ohne vorherige Anhörung eines Sachverständigen entscheiden. Allerdings kann die überschätzung der eigenen Sachkunde ein Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht gemäß § 244 II StPO sein und die Revision eröffnen. l3 4.2. Begriff des Sachverständigen 4.2.1. Gesetzliche Anknüpfungspunkte

Sachverständigengutachten sollten von Sachverständigen erstellt werden. Diese Forderung ist nur auf den ersten Blick überflüssig. 7 Vgl. Hahn (1880), S. 121; zu weiteren Einzelheiten der Motive Wolschke (1973), S. 17 ff. s Geyer (1879), S. 239, 240; John (1884), S. 661; Ullmann (1893), S. 343, Anm.3. 8 Hahn (1880), S. 121. 10 John (1844), S. 661. 11 Geyer (1879), S. 239, 240. 12 John (1884), S. 660ff. 13 BGHSt 2, 164 (165 f.).

7 Hetzer

4. Sachverständiger als Beweismittel und Prozeßbeteiligter

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Schon das Gesetz macht in § 244 IV 2 StPO deutlich, daß eine Abstufung im Grad der Sachverständigkeit durchaus denkbar ist. Tatsächlich haben einige Strafprozesse offensichtlich gemacht, daß manche Sachverständige in der Lage sind, die Grenze zum Unverstand zu überschreiten. 14 Eine Legaldefinition darüber, wer als Sachverständiger zu bezeichnen ist, gibt es nicht. §§ 81 a I, 81 d I, 87 I, 91 H StPO erwähnen den Arzt als Sachverständigen. § 91 I StPO bestimmt, daß Chemiker für Untersuchungen herangezogen werden können. § 83 IH, 91 I StPO führen die Bezeichnung "Fachbehörde". Eine besondere Sachverständigkeit wird bei Geldfälschung der Behörde zugemessen, die das echte Geld oder Wertzeichen in Umlauf gesetzt hat (§ 92 StPO). § 81 I StPO eröffnet die Möglichkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. § 246 a StPO bestimmt, daß "ein Sachverständiger" über den Zustand des Angeklagten zu vernehmen ist, wenn eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, einer Entziehungsanstalt oder Sicherungsverwahrung angeordnet wird. 4.2.2. Abgrenzung zwischen Sachverständigen und Zeugen

Nach den positivrechtlichen Voraussetzungen kann die Bestimmung des Sachverständigenbegriffs nicht leicht fallen. Schon von Anbeginn sah sich die Strafprozeßrechtswissenschaft Definitionsschwierigkeiten ausgesetzt. 16 § 72 StPO bestimmt, daß die Vorschriften über den Zeugenbeweis auf Sachverständige entsprechend anwendbar sind. Demzufolge wurde versucht, den Begriff des Sachverständigen mit den Unterschieden zum Zeugen zu definieren. Anknüpfungspunkt war oft der Inhalt der Aussage. 16 Peters meint, daß der Zeuge und der Sach'verständige dem Richter die Sachkenntnis vermitteln; der Zeuge, indem er dem Richter die Tatsachen vorlegt, der Sachverständige, in dem er die vorliegenden Tatsachen bewertet. 17 Der Erklärungswert dieser Unterscheidung ist gering, da jede menschliche Wahrnehmung mit Schlüssen verb.unden ist. 18 Tatsächlich berichtet der Sachverständige wie der Zeuge über selbst wahrgenommene Tatsachen, der Zeuge zieht ebenso wie der Sachverständige Schlußfolgerungen aus Tatsachen. 1D Dies folgt schon aus einer oberflächlichen Betrachtung des Vorgangs menschlicher Wahrnehmung. Jeder Gegenstand der Außenwelt ruft Vgl. die exemplarischen Fälle bei Arnau (1967), S. 116 - 215. Dohna (1929), S. 102 ff.; Birkmeyer (1898), S. 444. 10 Hahn (1880), S. 122; Binding (1904), S. 150 f.; Beling (1968), S. 297 f.; Westhoff (1955), S. 138; Peters (1981), S. 319; vgl. auch Goldschmidt (1925), S. 439,440; Gössel, DRiZ 1980, 364; Schmidhäuser, ZZP 1959, 368 ff. 17 Peters (1981), S. 319. 18 Peters (1981), S. 319 f. 19 Wüst (1968), S. 11, 12; richtig stellte bereits Birkmeyer (1898), S. 444, fest, 14 15

daß Zeuge und Sachverständiger urteilen.

4.2. Begriff des Sachverständigen

99

aufgrund spezifischer Signale Empfindungen im Gehirn hervor, nachdem diese von den Sinnesorganen aufgenommen und dorthin weitergeleitet wurden. Für die Entwicklung einer Empfindung zur Wahrnehmung ist die Verschmelzung dieser Empfindung mit Erinnerungsvorstellungen, also die Reproduktion früherer Empfindungsinhalte erforderlich.20 Die vergleichende Bewertung einer Empfindung mit bereits vorhandenen Erfahrungsinhalten führt zu einer Veranschaulichung des Objekts, das bestimmte Reize verursacht, es wird ein Sinneseindruck: beurteilt. Urteilsbildung ist also notwendig Bestandteil der Wahrnehmung. Eine wertblinde Betrachtung ist unmöglich. Das gilt auch für natürliche Gebilde.!1 Die These, daß Sachverständiger derjenige ist, der dem Gericht durch seine Sachkunde die richtige Auswertung der festgestellten Tatsache ermöglichtl!2, führt auch nicht zu einer völlig eindeutigen Definition. Zwar liegt es nahe, die Qualität der Bewertungsleistung als Abgrenzungskriterium im Verhältnis zwischen Zeugen und Sachverständigen heranzuziehen. Die Sachkunde allein .unterscheidet aber nicht mit hinreichender Bestimmtheit zwischen diesen beiden Prozeßbeteiligten. Wie § 85 StPO zeigt, ist. das Begriffspaar Tatsachenwahrnehmung und Schlußfolgerung aus Tatsachen nicht geeignet, eine präzise Unterscheidung zwischen diesen Aussagepersonen zu leisten. 23 Nicht überzeugend wirkt die Auffassung, nach der im Gegensatz zum Zeugen das Wesen des Sachverständigenbeweises darin liege, daß der Sachverständige die Sätze seiner Wissenschaft, die Erfahrungssätze und damit den Obersatz liefere, während der Zeuge durch seine Bekundungen den Untersatz für den Urteilssyllogismus des Richters gebe.!4 Dem läßt sich entgegenhalten, daß Erfahrungssätze nicht immer nur in Gestalt von Obersätzen als Erkenntnismaßstab für das Gericht in Betracht kommen können, die Aufgabe des Sachverständigen nicht auf die Darbietung von Gesetzen beschränkt ist.!6 Die Funktionen des Sachverständigen bei der Sach. . verhaltsaufklärung und seine Rolle im Prozeß lassen sich also nicht nur mit einem Hinweis auf angebliche Unterschiede zwischen Sachverständigen und Zeugen erklären. Im Ergebnis kann festgehalten werden, daß beide als Aussagepersonen Beweismittel sind. 26 20

Graßberger (1968), S. 16 ff.; Mezger (1918), S. 37, 38.

21 So richtig Ligges (1963), S. 3, 4. 22 Peters (1981), S. 319. 23 So aber Ligges (1963), S. 6 ff.

Stein I Jonas (1978), § 373, 111. Alsberg I Nüse (1969), S. 237. 28 Ligges (1963), S. 8; vgl. auch Kleinknecht (1981) vor § 72, Rdn 1; Peters (1981), S. 319; v. Hippel (1974), S. 410; Henkel (1968), S. 269. Die Regelung über Sachverständige und Augenschein im 7. Abschnitt der Stpo weist nicht auf besondere Beziehungen zwischen beiden Beweisarten hin (L ... R ... Meyer, vor § 72, Rdn 1). 24

25

100

4. Sachverständiger als Beweismittel und Prozeßbeteiligter 4.2.3. Sachverständiger als Richtergehilfe

Aufschlußreich für eine weitergehende Klärung könnte eine Untersuchung darüber sein, in welchem Verhältnis der Sachverständige zum Richter steht. Schon das Reichsgericht fand, daß die Stellung des Sachverständigen von der des Zeugen in mehrfacher Hinsicht verschieden sei. Der Sachverständige soll als Gehilfe des Richters dessen fehlende Sachkunde auf den einzelnen besonderen Gebieten des Wissens und der menschlichen Tätigkeit ergänzen.27 Das Reichsgericht forderte, daß der Sachverständige kraft seiner besonderen, über die Wahrheitspflicht des - bloß als Beweismittel verwendeten - Zeugen hinausgehenden Berufspflicht sein G.utachten nach bestem Wissen und Gewissen erstattet. Zur Begründung wird angeführt: " ... das ist in der Natur der Gutachtertätigkeit und in der verfahrensrechtlichen Stellung des Sachverständigen als eines zur Ermittlung der Wahrheit mitber.ufenen Helfers des Gerichts begründet. "28 Die Stellung des Sachverständigen im Verhältnis zum Richter ist vom BGff29 mit dem Wort vom Richtergehilfen umschrieben worden. Nach der Auffassung des BGH stellt das Gericht mit Hilfe des Sachverständigen Tatsachen fest, die nur vermöge besonderer Sachkunde wahrgenommen oder erschöpfend verstanden und beurteilt werden können. Besonders wichtig ist die Aussage, daß diese Feststellung ausnahmslos in der Hauptverhandlung zu geschehen habe, auf der das Urteil allein beruhen müsse. Der BGH fordert vom Sachverständigen, dem Gericht den Tatsachenstoff zu unterbreiten, der nur aufgrund besonders sachkundiger Beobachtungen gewonnen werden kann, und das wissenschaftliche Rüstzeug zu vermitteln, das die sachgemäße Auswertung ermöglicht.30 Nach seiner Vorstellung ist der Sachverständige kein Organ der Strafverfolgung. Demzufolge soll er lediglich zur Klärung einer speziellen Beweisfrage beitragen, sich also unparteiisch verhalten und seine Aufgabe nicht so verstehen, als ob der die Frage zu beantworten habe, ob ein bestimmter Beschuldigter die ihm vorgeworfene Straftat tatsächlich begangen hat.3l Auch große Teile der Literatur bezeichnen den Sachverständigen als Gehilfen des Richters. Nach Döhring soll der Sachverständige sein Wissen im Rahmen des Prozesses anwenden und dadurch zur Klärung des Tatbestandes beitragen.32 Jessnitzer bezeichnet diejenigen als geZ7 28

29

30 31 32

RGSt 57, 158 c. Ausführlich Hegler, AcP 104 (1909), 151 ff. RGSt 69, 98 (98). BGHSt 3,27 (28); 7, 238 (239); 9, 292 (293); 13, 1 (4); 11, 211 (212). BGHSt 7,238 (239). BGH, in JR 1969, 231. Döhring (1964), S. 256.

4.2. Begrüf des Sachverständigen

101

richtliclie Sachverständige, die im Einzelfall als Beweismittel und Helfer des Richters zur Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens herangezogen werden. 33 v. Hippel hält den Sachverständigen für einen Richtergehilfen, weil er dem Richter zur zutreffenden Bewertung persönlicher und sachlichJer Beweismittel verhelfe.34 Mayer glaubt, daß der Sachverständige deshalb Richtergehilfe sei, weil dieser der richterlichen Beweiswürdigung vorarbeite. Er leitet seine Auffassung aus dem Verständnis über die logische Struktur der richterlichen überzeugungsbildung ab. Begründet wird dies damit, daß es Aufgabe des beurteilenden Sachverständigen sei, das an sich bekannte und bei der Beweiswürdigung vorausgesetzte Allgemeinwissen zu erschließen. Zudem habe der Sachverständige dem Richter behilflich zu sein, die problematische, durch Beweismaterial dargelegte Einzelbewertung kritisch zu würdigen.35 Hier wird erkennbar, wie notwendig eine exakte Bestimmung von Funktion und Wesen des Sachverständigen ist. Bei der .unscharfen Terminologie von Mayer (" beurteilender Sachverständiger") wird nicht klar, ob es sich bei der hilfreichen Tätigkeit des Sachverständigen um eine die rich,terliche Urteilsbildung unterstützende Arbeit handelt, oder ob der Sachverständige im Sinne des § 261 StPO Beweiswürdigung treibt. Nach Meinung von Geerds geistert das Wort vom Richtergehilfen noch heute durch Judikatur und Literatur, womit manchJe das Beweismittel Sach,verständiger kennzeichnen und vom Zeugen abgrenzen wollten, während andere auf diese Weise die Beweismitteleigenschaft ablehnten oder den Sachverständigen zum Augenscheinsmittler machten.3'6 Nach dem Eindruck: von Schom ist es ein Grund für die vielfach emanzipierte Stellung des Sachverständigen, daß die Rechtsprechung den Sachverständigen als Richtergehilfen bezeichnet. Sie sehe den Sachverständigen als Prozeßsubjekt, als eine an der Rechtsprechung unmittelbar beteiligte Person an. Er hielt es deshalb auch nich,t für verwunderlich, daß der Sachverständige über den erteilten Auftrag hinaus eigene Ermittlungen vornehmen .und in die Rolle des unmittelbaren oder des Zeugen vom Hörensagen geraten kann. 37 Als wichtigste Aufgabe des Sachverständigen bezeichnet es J anssen, dem Gericht bei der Wahrheitsfindung zu helfen, wobei er verpflichtet sei, objektiv und unparteiisch seinen Sachverstand den ProzeßbeteiIigten zur Verfügung zu stellen.38 Ligges geht davon aus, daß Zeugen und Sachverständiger zum 33 34

35 S&

37

38

Jessnitzer (1980), S. 1. Dagegen unhaltbar KoHe (1970), S. 9. v. Hippel (1974), S. 411. Mayer (1954), S. 463. Geerds, ArchKrim 137 (1969), 65. Schom, GA 1965, 299. Vgl. auch Heinitz (1969), S. 693 ff. Janssen, Krim 1970, 435. Zur Praxis neuerdings Heinz (1982), S. 56 ff.

102

4. Sachverständiger als Beweismittel und Prozeßbeteiligter

Zweck der Tatsachenermittlung als Grundlage der richterlichen Urteilsfindung dem Richter einen psychischen Vorgang .und dessen Ergebnis (Wahrnehmung bzw. das in weitergehender Reflexion gewonnene Gutachten) zugänglich machen. Da zwischen den hierzu jeweils erforderlichen psychischen Leistungen keine wesentlichen Unterschiede bestünden, betrachtet Ligges sowohl den Zeugen als auch den Sachverständigen als Richtergehilfen. Zudem meint er, daß die Bezeichnung Richtergehilfe deshalb zutreffend sei, weil ein besonders geartetes Arbeitsverhältnis zwischen Richter und Sachverständigem bestehe.3lI Leferenz nimmt an, daß der Sachverständige de iure ein Gehilfe des Richters sei, der aber de facto kraft der Souveränität seines Fachwissens nicht selten den Prozeß entscheide.MI Eh. Schmidt hält den richterlichen Auftrag als auslösende Prozeßhandlung für den Gesichtspunkt, .unter dem man den Sachverständigen als Gehilfen des Richters bezeichnen könnte.41 Kohlhaas wünscht den Status des Richtergehilfen beizubehalten, räumt dabei aber ein, daß es sich um einen sehr vereinfachenden Ausdruck handelt. 42 Marmann hält es für zwingend, das Sachverständigengutachten der freien Beweiswürdigung des Richters zu .unterwerfen und meint, daß dies der Stellung und der Aufgabe des Sachverständigen entspreche, der Gehilfe des Richters sei. 43

Goldschmidt hat sich gegen das Verständnis des Sachverständigen als Richtergehilfen gewandt. Seiner Ansicht nach könne eine Person nur dann eine derartige Funktion haben, wenn sie qualitativ richterliche Tätigkeit ausübt. Für ihn sind die Erfahrungssätze, die der Sachverständige dem Richter mitteilt, nicht Obersätze des richterlichen Urteilssyllogismus, sondern des Tatsachenurteils, welches selbst nur den Untersatz des richterlichen Urteilssy110gismus bilde, so daß also der Sachverständige gar niehrt Gehilfe der eigentümlich richterlichen Tätigkeitsein könne.« Für wenig fruchtbar hält es Sarstedt, den Zeugen als Beweismittel, den Sachverständigen als Richtergehilfen zu bezeichnen, da kein eigentlicher Gegensatz bestehe. Der Sachverständige wird als Beweismittel angesehen, soweit er etwas zur richterlichen Überzeugung beitragen sol1.% Bremer wendet sich gegen die Vorstellung vom Sachverständigen als Helfer des Richters, weil er diese Einordnung für unzweckmäßig hält. Er betrachtet Sachverständige als ein Beweismittel, 3P

40 U

42 43

Ligges (1963), S. 9, 10, 12. Leferenz, KrimbioGegwfr 1962, 1. Eb. Schmidt (1957), Vorbem zum 7. Abschnitt, Rdn 8,17. Kohlhaas, NJW 1962, 1331. Marmann, GA 1953, 142. Roxin (1982), S. 149, zu den Folgen, die sich

aus der Rolle eines Richtergehilfen ergeben. 44 Goldschmidt (1925), S. 439, 440. 45 L-R-Meyer, vor § 72, Rdn 3.

4.2. Begriff des Sachverständigen

103

dessen sich der Richter bedient, um ein Verfahren mit einem Urteilsspruch beenden zu können." Peters fordert vom Richter die Fähigkeit zu erkennen, wo er einer sachverständigen Hilfe bedarf und wo ihm ein Sachverständiger Hilfe leisten kann. Er ist aber sehr dagegen, den Sachverständigen als Richtergehilfen zu bezeichnen. Dies sei unrichtig und gefährlich, weil dadurch der Sachverständige aus den Beweismitteln hervorgehoben und zu einer Art Prozeßsubjekt gemacht werde. Der Sachverständige werde in die Reihe der Strafverfolgungsorgane gestellt. Der Richter sei verführt, die Verantwortung für seine Entscheidung auf den Sachverständigen abzuwälzen. Die Idee vom Richtergehilfen könne dazu führen, daß der Sachverständige ein zu großes Übergewicht erhält und geneigt ist, einen einseitigen Justizstandpunkt einzunehmen. 47 Kraft meint, daß die Bezeichnung Gehilfe auf eine Abhängigkeit im Verhältnis zu dem Auftraggeber hindeute, die den Saclwerständigen dem Lager der Strafverfolgungsorgane zuordne, in das er als Beweismittel nicht gehöre.48 Selbst wenn bei tatsächlicher Betrachtung der Sachverständige in besonderem Maße als Helfer bei Gericht erscheinen sollte, leitet sich daraus für Geerds weder für den Einzelfall noch theoretisch zwingend ab, daß der Sachverständige Richtergehilfe ist. Nimmt man an, der Sinn dieser Gehilfenschaft bestehe darin, daß der Sachverständige dem Richter Erfahrungswissen zur Verfügung stellt, um die erhobenen Beweise kritisch zu würdigen, so bleibt aber zweifelhaft, was angesichts eines wissenschaftlichen Meinungsstreites als allgemeines Erfahrungswissen gelten kann. Von dieser überlegung gelangt Geerds zu der Befürchtung, daß das Schlagwort vom Richtergehilfen die Grenzen zwischen Beweismitteln, Beweisaufnahme und richterlicher Beweisführung verwischen könnte. Im Ergebnis meint er, daß der Begriff Richtergehilfe für den Sachverständigen als persönliches Beweismittel nichts hergebe, es vielmehr gefährlich oder doch nutzlos sei, eine derartige Vorstellung zu vertreten.49 Nicht ganz klar erscheint die Position von Schom, der einen Grund für die vielfach emanzipierte Stellung des Sachverständigen darin sieht, daß die Rechtsprechung den Sach,verständigen als Richtergehilfen bezeichnet, womit sie ihn als Prozeßsubjekt, als eine an der Rechtsprechung unmittelbar beteiligte Person ansehe. Einerseits bezeichnet Schom den Sachverständigen ebenso wie den Zeugen nur als Beweismittel. Andererseits schreibt er dem Sachverständigen die Funktion eines Beweishelfers zu. 5O Ligges schließlich bemüht sich um eine 48 47

48 49 50

Bremer (1963), S. 19. Peters (1981), S. 305. Vgl. auch Hepner, KrimSchrR 1966, 37, 38. Kraft (1974), S. 10; ebenfalls Cabanis (1972), S. 645; Jessnitzer (1980), S. 85. Geerds, ArchKrim 137 (1969), 70.

Schom, GA 1965, 299 - 301.

4. Sachverständiger als Beweismittel und Prozeßbeteiligter

104

Definition des Sachverständigenbegriffs, indem er die prozessuale Zweckfunktion des Sachverständigen als Aussageperson untersucht. Der Sachverständige soll dem Richter eine Denkhilfe sein, die ihn befähigt, zur Gewinnung der Tatsachenkenntnis eine entsprechende Bewertungsleistung zu vollbringen oder zumindest nachzuvollziehen.51 Der richterliche Gutachtenauftrag wird als konstitutives Merkmal für die Sachverständigeneigenschaft angesehen. Der sachliche Inhalt dieses Auftrages soll entscheidend sein, eine Überlegung, die Ligges zu einer nicht zwingenden Einteilung der Sachverständigen in verschiedene Kategorien führt. 52 Der Ansatz der Zweckfunktion, der sich entscheidend vom sachlichen Inhalt des Gutachtenauftrags her bestimmen soll, vermag keine zusätzlichen Erkenntnisse über die Merkmale des Sachverständigenbegriffs zu liefern. Es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Mitteilung von Tatsachen und der Mitteilung von Tatsachenbeurteilungen. Jede Tatsach:enmitteilung beinhaltet ein logisches Urteil über einen Sinnesausdruck. 63 4.3. Schlußfolgerungen und Ergebnisse

-

Sachverständiger ist derjenige, der aufgrund besonderer Sachkunde kraft eines richterlichen Auftrages Helfer der Wahrheitsfindung und Rechtssetzung ist. Mit Einführung der freien Beweiswürdigung wurde der Sachverständige ein Beweismittel. Die Funktion als Beweismittel verbietet dem Sachverständigen einen Eingriff in die richterliche Beweiswürdigung durch präjudizierende Auswahl oder Bewertung von Tatsachen. Die prozessuale Rolle des Sachverständigen hängt auch davon ab, ob seine Aussagen frei gewürdigt werden können, oder ob das Gericht vor der Übermacht des Fachwissens kapitulieren muß. Da das Gericht zugleich eine rechtliche und tatsächliche Würdigung der Beweise vornehmen muß, besteht die Gefahr unzulässiger Mitwirkung des Sachverständigen an der Urteilsbildung. Der Sachverständige sollte ein Berater des Gerichts sein. Dies erfordert ein kommunikatives Verhältnis zum Gericht. Die beratende Tätigkeit des Sachverständigen muß zwischen Wissenschaftsgläubigkeit und richterlicher Tatsacheninterpretation wirksam werden, damit das Gericht eine Vorstellung von der Wahrheit entwickeln kann.

-

51 52

53

Ligges (1963), S. 13, 14. Ligges (1963), S. 16. Richtig Helfenstein (1978), S. 7, 8.

5. Einführung des Sachverständigen in den Proze.f3 Den Gerichten obliegt es, zur Erforschung der materiellen Wahrheit das eigene Erfahrungswissen zu überprüfen und zu entscheiden, wann und wo Fachwissen notwendig ist. Gefordert ist also das Wissen vom Nichtwissen. Gemäß § 244 IV 1 StPO haben die Gerichte eine Entschließung darüber zu treffen, ob sie selbst die erforderliche Sachkunde besitzen. Wie aus dem Gesetz hervorgeht, soll dies geschehen, wenn das Gericht einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen ablehnen möchte. Daraus folgt, daß die Einführung einer Aussageperson als Sachverständiger in den Prozeß nicht nur von einer autonomen Entscheidung eines Gerichts in Gestalt eines Gutachtenauftrags im Rahmen der allgemeinen Aufklärungspflicht gemäß § 244 II StPO abhängt. Andere Prozeßbeteiligte können die Erteilung eines Gutachtenauftrags anregen oder erzwingen. 1 In jedem Fall hat das Gericht die Beweislage zu einem Zeitpunkt zu beurteilen, in dem es sich noch nicht auf den Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO stützen kann. Das führt zu der Frage, ob die Entscheidung über die Beiziehung eines Sachverständigen auf einer vorzeitigen und möglicherweise unzulässigen Beweiswürdigung beruhen kann. Die Gefahr einer Beweisantizipation ist nicht nur im Zusammenhang mit der vom Verhalten anderer Prozeßbeteiligter autonomen richterlichen Aufklärungspflicht vorhanden. Aus der Behandlung des Beweisantragsrechts und des Instituts der unmittelbaren Ladung ergibt sich, daß bereits die Einführung des Sachverständigen Probleme aufwirft, die den Anwendungsbereich des Grundsatzes freier Beweiswürdigung betreffen. Schon die Entscheidung, ob ein Sachverständiger herbeigezogen wird, vermag die Chancen der Wahrheitsfindung in einem Stadium zu programmieren, in dem dies nach der Intention der Strafprozeßordnung nicht möglich sein sollte. 5.1. Beweisantragsrecht

Die wichtigste gesetzliche Möglichkeit für nichtrichterliche Proz(:ßbeteiligte, einen Sachverständigen in das Verfahren einzuführen, ist der Beweisantrag.2 Beschuldigter!, Staatsanwalt4, Verteidiger5, Privat1 2

Vgl. §§ 219, 220, 245 StPO.

Dazu Glaser (1883), S. 410 ff.; Alsberg / Nüse (1969), S. 16 ff.

106

5. Einführung des Sachverständigen in den Prozeß

kläger'! und Nebenkläger7 können einen derartigen Antrag stellen. Der Antrag auf Beiziehung eines Sachverständigen erfordert zur Substantiierung die Angabe eines bestimmten Beweisthemas und muß das Begehren enthalten, einen Sachverständigen zum Beweis eines Umstandes in einem Fachgebiet heranzuziehen. 8 Will das Gericht die Einführung eines Sachverständigen als Beweismittel ablehnen, so kann dies nur unter den Voraussetzungen des § 244 III, IV StPO durch Beschluß gemäß § 244 VI StPO geschehen. 9 Der Katalog der Ablehnungsgründe des § 244 III StPO gilt für alle Beweismittel. Unzulässig ist ein Antrag auf Sachverständigenvernehmung dann, wenn das Beweisthema in keinem Zusammenhang mit dem Verhandlungs- und Untersuchungsgegenstand steht. Ist die Beiziehung eines bestimmten von einem Prozeßbeteiligten benannten Sachverständigen wegen eines Beweisverbots10 unzulässig, so kann das wegen der Fungibilität der Sachverständigen kaum eine Bedeutung haben. Im Rahmen seiner Wahrheitserforschungspflicht muß der Richter dann eben einen anderen Sachverständigen bestellen, da ansonsten der Antragsteller, der seinen Beweisantrag über die Mindesterfordernisse hinaus substantiiert hat, schlechter gestellt wäre. l l Die Unzulässigkeit eines Antrags auf Vernehmung kann sich auch aus einem auf das Beweisthema bezogenen Beweisverbot ergeben. 12 Soll das Gutachten mit verbotenen Beweismethoden erstellt werden, etwa durch den Einsatz hypnotischer Mittel oder eines Lügendetektors, führt das auch zur Unzulässigkeit des Beweisantrags. 13 Unbegründet ist ein Beweisantrag dann, wenn eine der in § 244 III, 2 StPO angeführten Voraussetzungen erfüllt ist. a Vgl. §§ 166, 219 StPO. 4 Vgl. §§ 162, 200 StpO. 5 Es handelt sich um ein selbständiges Antragsrecht: Peters (1981), S. 202

und schon BGH in NJW 1953, 1314. e §§ 384, 244, 245 StpO; vgl. auch § 386 lIStPO. 7 Die Rechte des Nebenklägers bestimmen sich im Bereich des Beweisantragsrechts nach den Rechten des Privatklägers: § 397 IStPO. 8 Die notwendigen Bestandteile ergeben sich aus § 219 StpO; ausführlich zur Behandlung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines Sachverständigen L-R-Gollwitzer, § 244, Rdn 243 ff.; einführend KMR-Paulus, § 244, Rdn 462 ff. g Vgl. die sehr eingehende Darstellung von Wolschke (1973), S. 23 -72. 10 Der Sachverständige könnte gemäß §§ 76 I 1, 52 - 54 stpo ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen. 11 So richtig Ligges (1963), S. 89. 12 Insbesondere kommen die Themata in Frage, die unter einem generellen Beweisverbot stehen: § 190 StGB und § 468 RAbgO; weitere Nachweise bei Ligges (1963), S. 89. 13 Vgl. § 72 i. V. m. § 69 III StPO.

5.1. Beweisantragsrecht

107

Offenkundigkeit liegt vor, wenn allen Mitgliedern des Gerichts eine Tatsache aus amtlichem oder allgemeinem Wissen bekannt ist. 14 Ist eine Tatsache ohne Bedeutung für die Entscheidung, so ist ebenfalls Unbegründetheit gegeben. Das Gericht hat die Erheblichkeit der vom Antragsteller vorgebrachten Tatsachen zu überprüfen. 15 Soweit die Unerheblichkeit nach der richterlichen überzeugung beurteilt wird, gilt § 261 StPO. Das Gericht darf sich nicht mit feststehenden Erfahrungssätzen oder allgemeinen Bewertungsregeln in Widerspruch setzen, sondern muß innerhalb der Grenzen der freien Beweiswürdigung darüber entscheiden, ob aus einer nur mittelbar erheblichen Tatsache die Folgerung zu ziehen ist, auf die der Beweisführer abzielt. Bemerkenswert ist, daß die Bedeutungslosigkeit nicht lediglich aus dem bisherigen Beweisergebnis abgeleitet werden darf, sondern anhand des angebotenen Beweismittels selbst beurteilt werden muß.16 Bei Unbrauchbarkeit, also im Fall der Ungeeignetheit oder Unerreichbarkeit eines Beweismittels kann ein Beweisantrag abgelehnt werden. Eine Unerreichbarkeit, die die Ablehnung des Verlangens nach Einholung eines Gutachtens begründet, liegt etwa vor, wenn eine Untersuch.ung notwendig ist, der dazu erforderliche Eingrüf an dem zu untersuchenden Menschen aber nicht vorgenommen werden kann. 1... Auch ein Sachverständiger von hervorragender Sachkunde kann auf seinem Fachgebiet ein ungeeignetes Beweismittel sein, wenn es nicht möglich ist, ihm die tatsächlichen Unterlagen zu beschaffen, die er für sein Gutachten braucht. la Einen Beweisantrag darf das Gericht wegen Verschleppungsabsicht nur ablehnen, wenn es selbst davon überzeugt ist, daß die Beweiserhebung keine sachdienlichen Hinweise erbringen kann. Insofern findet zulässigerweise eine Vorauswürdigung des Beweisergebnisses statUt Da aber die Beweggründe des Antragstellers nur selten zweifelsfrei nachzuweisen sind, muß der Anwendungsbereich dieses Ablehnungsgrundes sehr begrenzt sein.aG Die Ablehnung eines Beweisantrages darf aufgrund einer Wahrunterstellung schließlich nur erfolgen, wenn das Gericht dies tun kann, ohne die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit zu verletzen. Gerade für U Offenkundig sind die allgemein bekannten Tatsachen, also solche, von denen verständige Menschen regelmäßig Kenntnis haben oder über die sie sich ohne besondere Fachkunde unterrichten können: L-R-Gollwitzer, § 244,

Rdn 198.

Ausführlich L-R-Gollwitzer, § 244, Rdn 191 - 196. BGH in GA 1956, 384; MDR 1970, 778. 17 RGSt 64,162. 18 BGHSt 14, 339 (342, 343). 18 L-R-Gollwitzer, § 244, Rdn 184. 20 BGHSt 21, 118 (122, 123). 15

18

108

5. Einführung des Sachverständigen in den Prozeß

die Bereiche, in denen Sachverständige tätig sind, hat der Grundsatz besondere Bedeutung, daß die Sachaufklär.ung der Wahrunterstellung vorgeht. 21

5.2. Unmittelbare Ladung Die Verfahrensbeteiligten haben auch die Möglichkeit, durch eine unmittelbare Ladung den Sachverständigen in das Verfahren einzuführen.22 Zwar ist die unmittelbare Ladung durch den Angeklagten erst angebracht, wenn ein Ladungsantrag vom Vorsitzenden nach § 219 StPO abgelehnt wurde. Der Angeklagte kann den für ihn umständlichen Weg über § 38 StPO auch sofort gehen.23 Erscheint der Sachverständige als unmittelbar Geladener in der Hauptverhandlung, so richtet sich das weitere Verfahren nach § 245 11 StPO, d. h. das Gericht ist zur Vernehmung nur verpflichtet, wenn ein Beweisantrag gestellt wird, der allerdings auch nach den Voraussetzungen des § 245 11 2, 3 StpO abgelehnt werden kann. Eine Vernehmung von Amts wegen braucht daher nicht durchgeführt zu werden, es sei denn, dies ist nach § 244 11 StPO erforderlich. Die Ladung muß vom Angeklagten nachgewiesen werden. Bei längerer Hauptverhandlung kann die Ladung auch noch während dieser erfolgen. Wird der Sachverständige in der Hauptverhandlung nur ohne Ladung gestellt, so ist § 244 11 bis IV StPO anwendbar.24 Bemerkenswert ist, daß bereits das Reichsgericht26 den von einem Verfahrensbeteiligten selbst geladenen und erschienenen Sachverständigen nur mit Einschränkungen als präsentes Beweismittel im Sinne des § 245 StPO behandelte. Der Bundesgerichtshof26 judizierte, daß das Gericht nicht verpflichtet ist, den Sachverständigen zu hören, wenn er sich nicht in der jeweiligen Hauptverhandlung äußern kann, sondern erst noch eine Vorbereitungszeit in Anspruch nehmen muß. In der Konsequenz führt das dazu, daß die unmittelbare Ladung keine Ausgleichsfunktion gegenüber etwaigen Mängeln der sonstigen Beweiserhebung haben kann.27 Das ist ein besonders mißlicher Umstand, da die Bedeutung der Regelung über die Verwertung präsenter Beweismittel in der Schutzfunktion für den Angeklagten liegt.28 BGH in NJW 1961, 2069. Vgl. §§ 214 III, 220 IStPO, 323 I, 386 II, 397 StPO. 23 Zum Meinungsstreit darüber, ob eine förmliche Ladung gemäß § 38 Stpo erforderlich ist, Ligges (1963), S. 124. 24 Kleinknecht (1981), § 245, Rdn 18. 25 RG v. 12.4.1910, in Recht 1910, Nr. 1882; RGSt 67, 18; RGSt 65, 304 (307). 26 BGH in NJW 1954, 1656, Nr. 20; anders in begrüßenswerter Klarheit L-R-GoHwitzer, § 244, Rdn 270: "Der zur Hauptverhandlung vorgeladene und erschienene Sachverständige muß vernommen werden." 27 So richtig Wolschke (1973), S. 83. 21

22

5.3. Aufklärungspflicht und Beweisantizipation

109

Unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit verschärft sich die Situation des Angeklagten in unerträglicher Weise noch, da die Staatsanwaltschaft ihre Ladungsanordnung, die keiner Form bedarf, selbst ausführt. Im Gegensatz zum Angeklagten muß sie daher keine bestimmte Form beachten, sondern kann sogar noch während der Hauptverhandlung durch mündliche oder fernmündliche Vorladung mit Hilfe der Polizei einen Sachverständigen präsentieren. Die Aussetzungsmöglichkeit nach Antrag gemäß § 246 II StPO ist in dieser Situation kein wirksames Korrektiv.

5.3. Aufklärungspfticht und Beweisantizipation Die Entscheidung des Gerichts darüber, ob ein Sachverständiger einen G.utachtenauftrag erhält, wird maßgeblich vom Umfang der richterlichen Aufklärungspflicht gemäß § 244 II StPO bestimmt. Die richterliche Aufklärungspflicht kann die Beiziehung eines Sachverständigen von Amts wegen gebieten. 29 Da das jeweilige Ausmaß der Aufklärungspflicht, das im Einzelfall die Beiziehung eines Sachverständigen erfordert, nicht generell definiert werden kann, muß das Gericht eine Entscheidung im Wege pflichtgemäßer Ermessensausübung treffen. Die Kriterien, die von der RechtsprechungaG entwickelt wurden, um die Voraussetzungen zu bestimmen, .unter denen für die zutreffende Beurteilung eines Lebensvorganges die Beiziehung eines Sachverständigen notwenctig ist, sind in § 244 IV StPO gesetzlich verankert. Die frühe Rechtspreclrung des Reichsgerich,ts31 vollzog keine klare Trennung zwischen der Amtsermittlungspflicht und der Verpflichtung, Beweisanträgen der Beteiligten zu entsprechen. Die Frage, ob die Ver28 Zutreffend Ligges (1963), S. 126; nach dem Eindruck von MüHer, NJW 1981, 1805, hat die Neufassung des § 245 Stpo eine Restriktion der Verteidigerstellung gebracht. Schon das Reichsgericht hatte erkannt, daß dem § 245 StpO a. F. der sehr vernünftige Gedanke zugrundelag, daß "der Gebrauch der herbeigeschafften Beweismittel im Gegensatz zu der Anschauung des Gerichts, auch wenn diese auf einer sorgfältigen Würdigung beruht, doch unerwarteterweise etwas ergeben kann, das erheblich ist oder noch mehr zugunsten des Angeklagten wirkt als das, was zuvor für wahr oder unwiderlegbar erachtet worden ist" (RGSt 65, 304 [305]). Allein das Erfordernis des Beweisantrages beeinträchtigt die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten, da das Wesentliche dieser autonomen Beweisvorführung ist, daß sich der Verteidiger auf eine Auseinandersetzung mit dem Gericht nicht einzulassen brauchte und er das Gericht zwingen konnte, auf die Beweise zu erkennen. Vgl. auch Köhler, NJW 1979, 348 ff. 29 L-R-GoHwitzer, § 244, Rdn 45; Müller (1978), S. 42; zu einzelnen Verfahrensabschnitten WeHmann (1981), S. 80 ff.; zum Sonderproblem der Anhörung weiterer Sachverständiger ausführlich Ley (1966), S. 22 ff. und Meyer, NJW 1958, 616 ff. 30 Vgl. die umfangreiche Darstellung der reichs gerichtlichen Rechtsprechung bei Wolschke (1973), S. 23 ff. 31 Wolschke (1973), S. 25 m. w. N.

5. Einführung des Sachverständigen in den Prozeß

110

teidigung etwa durch die Ablehnung eines Beweisantrages unzulässigerweise beschränkt war, wurde an dem Verständnis zum Umfang der richterlichen Wahrheitserforschungspflicht gemessen. Erst durch die Entwicklung eines eigenständigen Be'M!isantragsrechts verringerte sich die Bedeutung der Amtsermittlungspflicht als Anknüpfungspunkt. Das Reichsgericht32 hatte schon frühzeitig deutlich gemacht, daß eine Entscheidung über die Behandlung eines Beweisantrages und die Auffassung über den Umfang der Wahrheitserforschungspflicht im Zusammenhang mit dem Problem der Beweisantizipation, also der vorweggenommenen Beweiswürdigung steht. Die freie aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpfte Überzeugung beruhe auf der Voraussetzung einer Wahrheitserforschiungspflicht.33 Das Recht der freien Beweiswürdigung sei daher nicht zutreffend erkannt, wenn das Gericht dem Angeklagten die Berücksichtigung angetretener Entlastungsbeweise lediglieh deshalb versagt, weil das Gericht von der Schuld des Angeklagten schon durch die auf Antrag der Staatsanwaltschaft vernommenen Belastungszeugen überzeugt ist. Mit Recht stellte das Reichsgericht fest, daß der Wert eines Entlastungsbeweises erst dann zu bemessen ist, wenn er erhoben wurde. 34 Es ist daher auch verfehlt, von einem Grundgesetz als Rege135 zu sprechen, wonach der Tatrichter, der sich schon aufgrund der erhobenen Beweise eine feste Überzeugung vom Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer bestimmten Beweistatsache gebildet hat, die Aufklärungspflicht nicht verletze, wenn er dazu keine weiteren Beweise mehr erhebt. Zwar ist eine bloße Vorwegwürdigung verfahrensmäßig in der Regel belanglos.36 Beruht darauf aber die Unterlassung einer Beweiserhebung, ist die Sachverhaltsfeststellung betroffen. Insbesondere im Rahmen des Sachverständigenbeweises muß zwischen verschiedenen Arten der Vorwegwürdigung differenziert werden. Denkbar ist eine sachunkundige oder ungleichartige Beweisantizipation, die dann vorliegt, wenn sich das Gericht nach Zeugenaussagen, Urkunden und Einlassung des Angeklagten eine Überzeugung vom Ergebnis des zu erbringenden Gutachtens verschafft hat. Eine sachkundige oder gleichartige Beweisantizipation liegt vor, wenn das Gericht die Beiziehung eines Sachverständigen unterläßt, weil es sich selbst für hinreichend sachkundig hält.37 Unabhängig von der Differenzierung besteht ein Beweiserhebungsanspr.uch der Prozeßbeteiligten nur, wenn dem GerichJt die Abn RGSt 1, 189 (190); 5, 312 (313). RGRspr 6, 453 (454). 34 RGSt 5, 312 (313). 35 So aber L-R-Gollwitzer, § 244, Rdn 52. 3B Zutreffend Wolschke (1973), S. 24. 33

37

Vgl. dazu die differenzierten überlegungen von Wolschke (1973), S. 25,

45 ff., 101 ff.

5.3. Aufklärungspflicht und Beweisantizipation

111

lehnung eines Beweisantrages als unzulässige Beweisantizipation verwehrt ist. Das Verbot der Beweisantizipation begründet also das Beweisantragsrecht.38 Dadurch wird nicht der Umstand berührt, daß Beweisantizipation gleichennaßen bei Beweisanträgen und Amtsennittlungspflichten möglich ist. 311 Für den Zeugenbeweisantrag und den Urkundenbeweisantrag hat das Reichsgericht von Anfang an ein Verbot der Beweisantizipation anerkannt.~ Anders verhält es sich bei Anträgen auf Einvernahme eines Sachverständigen. Selbst wenn besondere Sachkunde erforderlich ist, besteht keine Verpflichtung des Gerichts, Sachverständige hinzuzuziehen. 41 Diese Auffassung gründet sich auf das reichsgerichtliche Verständnis von der freien Beweiswürdigung und ergibt sich zwingend aus der Feststellung, daß das Gericht in keinem Fall gehalten ist, seine überzeugung auf das Gutachten der gehörten Sachverständigen zu begründen. Dem Gericht obliegt es vielmehr, sich auch dann eine eigene überzeugung zu bilden, und zwar ganz unabhängig vom Gutachten der Sachverständigen:u Wie die reichsgerichtlichen Entscheidungen43 zur Aufklärungsrüge zeigen, wurde der Beweisantrag auf Sach'Verständigenbeiziehung nicht anders behandelt als die gerichtliche Pflicht, auch von Amts wegen den Sachverhalt durch Beiziehung Sachverständiger zu klären. Wegen der Gleichbehandlung von Beweisantrag und Aufklärungspflicht beim Sachverständigenbeweis ist auch eine einheitliche Betrachtung zum Umfang der Aufklärungspflicht angebracht. 44 In der für lange Zeit richtungsweisenden Entscheidung des Reichsgerichts vom 30. 4. 189445 zeigte das Gericht deutlich, daß es den Anwen38

Alsberg / Nüse (1969), S. 78, 79.

So auch Wolschke (1973), S. 25. 40 Vgl. RGSt 47, 100 (105); RG in JW 1890, 232 Nr. 4; die Nachweise bei Alsberg / Nüse (1969), S. 86, Anm. 19 und WoZschke (1973), S. 28, 29. 41 RGSt 3, 176. 42 Das Begründungsmuster (freie Beweiswürdigung nur gesetzlich zwingend vorgeschriebene Sachverständigenbeiziehung) wurde auch in folgenden Entscheidungen beibehalten: RGSt 14, 276 (178); RG in GA 1910, 212; 1914, 39

350f.

43 Nachweise bei WoZschlce (1973), S. 33 - 38. Die Frage, ob ein Unterschied zwischen der Pflicht des Richters besteht, einem Beweisantrag stattzugeben oder von Amts wegen Beweismittel heranzuziehen, ist umstritten. Sarstedt (1962), S. 169 f., meint, die Aufklärungspflicht nach § 244 II Stpo reiche nicht so weit, weil sonst die Stellung des Strafverteidigers bedeutungslos wäre. Mayer (1954), S. 471, 472, glaubt, der Ermessensspielraum des § 244 II Stpo sei freier. Dazu aber BGHSt 10, 116: Die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit kann das Gericht ausnahmsweise zur Anhörung eines weiteren Sachverständigen nötigen, auch wenn ein dahingehender Beweisantrag nach § 244 IV, 2 Stpo ohne Rechtsfehler abgelehnt werden könnte. Zur Funktion des Beweisantragsrechts der Beteiligten Wüst (1968), S. 26, 27. 44 Ähnlich Wolschke (1973), S. 39. 45 RGSt 25, 326 (327).

112

5. Einführung des Sachverständigen in den Prozeß

dungsbereich des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung verkannt hatte: Solange man dem Richter das Recht einräumt, nach eigenem Ermessen einem Sachverständigengutachten Glauben zu schenken oder zu versagen, sich selbst also höheren Sachverstand zuzuschreiben als den Experten, habe es wenig Sinn, ihm ein Urteil darüber absprechen zu wollen, ob es des Beirates Sachverständiger überhaupt bedürftig ist. Gegen die Argumentation des Reichsgerichts sprechen folgende Bedenken: - Wenn die Wahrheitsermittlung Voraussetzung einer gerechten Urteilsfindung und die freie Beweiswürdigung eine wesentliche Bedingung eines Wahrspruchs ist, so kann der Grundsatz der freien Beweiswürdigung dem Umfang der Beweisaufnahme keine Schranken setzen. 46 - Der Hinweis auf § 73 RStpO macht die überlegungen des Reichsgerichts nicht plausibel. Regelungsgegenstand dieser Vorschrift ist die Auswahl von Sachverständigen, nicht die Frage, ob oder wann ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist. - Obschon das Reichsgericht47 die Urteilsaufhebung wegen Verletzung der Aufklärungspflicht schon dann forderte, wenn das Gericht diese Pflicht verkannte oder sich ihrer nicht bewußt gewesen war, hat es festgestellt, daß es sich bei einem Irrtum des Gerichts in einer Sachfrage um einen rein tatsächlichen Irrtum handelt, der revisionsrechtlich nicht nachprüfbar sei. 48 Der besonders schwerwiegende Fall, daß sich das Gericht eine Sachkunde zutraut, die es tatsächlich weder hatte noch haben konnte, unterlag gerade dem vom Reichsgericht selbst entwickelten Maßstab für die Verletzung der Aufklärungspflicht. 49 Einen Wendepunkt in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung markiert die Entscheidung vom 1. 4. 1927.00 Dort erfolgte die Ablehnung eines hilfsweise gestellten Antrages auf Sachverständigenbeiziehung, weil es für nicht ausreichend gehalten wurde, daß sich das Tatgericht die erforderliche Sachkunde zutraute und damit eine revisionsrechtlich nicht nachprüfbare Sachfrage selbst beantwortete. Das Reichsgericht suchte die Entscheidungsgrundlagen zu objektivieren und machte die Beantwortung der Frage, ob das Gericht einen Sachverständigen von Amts wegen hinzuzuziehen habe, von der nötigen Sachkunde abhängig, 46

47 48 48

50

Nachweise bei Wolschke (1973), S. 21 ff. RGSt 6,135 (136); 13, 158 (160). RGSt 25, 326 (327). Richtig W olschke (1973), S. 42. RGSt 61,273.

5.3. Aufklärungspflicht und Beweisantizipation

113

die das Gericht nach der Erfahrung des Lebens haben konnte. Die folgende Rechtsprechung 51 stellte klar, daß das grundsätzliche Verbot der Beweisantizipation auch für den Sachverständigenbeweisantrag gelten sollte. Obschon dies nur für die Fälle galt, in denen früher die Vorwegnahme des Sachverständigenbeweises unter Bezugnahme auf andere Beweismittel erfolgt war und dann, wenn das Gericht nach der Lebenserfahrung die erforderliche Sachkunde nicht haben konnte, war damit eine Angleichung an den Zeugen- und Urkundenbeweisantrag vollzogen. 52 Es sollte eine Praxis beendet werden, in der nach einem Satz von Lobe nur der Mangel an primitivsten psychiatrischen Erkenntnissen es ermöglichte, daß die Gerichte sich die nötige Sachkunde zutrauten, um aus dem bloßen Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung dessen Gesundheitszustand zu beurteilen. 53 Nach dem Eindruck von GolcLschmidt brachte die Berufung auf die eigene Sachkunde den schlimmsten Dilettantismus zur Geltung. 54 Die neuere Rechtsprechung hat klargestellt, daß das Gebot der Wahrheitserforschung das Gericht verpflichtet, alle verfahrensrechtlich zugelassenen Beweismittel zu benutzen, um bestehende Zweifel zu beseitigen, selbst wenn ein Beweisantrag mit verfahrensrechtlich zulässiger Begründung abgelehnt werden könnte. 55 Die Entscheidungen lassen aber auch erkennen, daß ein Konflikt zwischen der Pflicht zur vollständigen Wahrheitsermittlung und dem Bestreben besteht, das Verfahren nicht durch überflüssige Sachverständigenvernehmungen zu hemmen. Da sogar die überflüssige Sachverständigenbeiziehung nicht im Widerspruch zur Aufklärungspflicht stehen kann, dürfte es sich allein um das Spannungsverhältnis zwischen Wahrheitsermittlung und Prozeßökonomie im Strafprozeß handeln. Weder dieses Verhältnis noch die Frage, in welch einer Beziehung die richterliche Aufklärungspflicht zum Beweiserhebungsanspruch der Verfahrensbeteiligten steht, ist bislang hinreichend geklärt. Es ist sinnlos, die Zulässigkeit der Beweiserhebung zum Anknüpfungspunkt zu machen, da auch dann der Umfang der Aufklärungspflicht mangels Bestimmbarkeit im Einzelfall eine Angelegenheit pflichtgemäßer richterlicher Ermessensausübung bleibt.56 Grundsätzlich ist der BGH der Ansicht, daß ein Gericht nicht zur lückenlosen Ermittlung verpflichtet sei, wenn nicht bestimmte TatGi Rechtsprechungsnachweise bei Wolschke (1973), S. 50; ebenso bei Alsberg / Nüse (1969), S. 86, 248 ff. (253); Gottsmann (1954), S. 63. 52 Wolschke (1973), S. 5I. 53 Lobe, LZIDR 1914, 983. 5. Goldschmidt (1925), S. 440. G5 BGHSt 10, 116 (118); OLG Hamburg in NJW 1968, 2303; BGH in NJW 1970, 525; BGHSt 23, 176 ff. 58 Zutreffend Wolschke (1973), S. 84.

8 Hetzer

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5. Einführung des Sachverständigen in den Prozeß

sachen vorliegen oder behauptet werden, die für das Beweisergebnis bedeutsam erscheinen. 57 Zweifel sollen kein Anlaß sein, die Beweisaufnahme zu erweitern, wenn neue Ermittlungen keine Aufschlüsse versprechen. 58 Da immer damit zu rechnen sei, daß ein Sachverhalt unklar bleibt, könnten Zweifel allein nicht zu weiterer Aufklärungstätigkeit verpflichten. 59 Andererseits entwickelt der BGH hohe Anforderungen und verpflichtet den Richter zur Anhörung eines Sachverständigen, solange er auch nur geringe Zweifel hat, daß seine Sachkunde zur Entscheidung ausreicht.60 Der Richter habe die Beweismittel zu erschöpfen, wenn auch nur die entfernte Möglichkeit einer Änderung der durch clie vollzogene Beweisaufnahme begründeten Vorstellungen von dem zu beurteilenden Sachverhalt in Betracht kommt: ... "in Grenzfällen wird der Richter daher eher ein Zuviel als ein Zuwenig tun müssen" .61 Ähnlich wie das Reichsgericht für die übrigen Beweisarten hat der BGH auch für den Sachverständigenbeweis eine Verletzung der Aufklärungspfiicht angenommen, wenn bekannte Tatsachen zur Erhebung weiterer Beweise drängen oder diese Beweiserhebung nahelegen.62 Beachtenswert ist, daß sich die Aufklärungspflicht auf die Beiziehung eines geeigneten Sachverständigen bezieht, also die Frage der Auswahl auch Gegenstand der Aufklärungspflicht ist.63 Bereits die Entscheidung, ob ein Sachverständiger zur Hilfe bei der Wahrheitserforschung hinzugezogen wird, ist also abhängig vom Verständnis der richterlichen AufklärungspflichtM und dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Betätigung des richterlichen Entschließungsermessens oft aus rechtspraktischen Gründen deshalb eingeschränkt sein wird, weil es im Gerichtsall tag fast als Regelfall bezeichnet werden kann, daß schon im Ermittlungsverfahren für Polizei und Staatsanwaltschaft ein Sachverständiger tätig wurde, der dann zumeist auch in der Hauptverhandlung gehört wird. Im Stadium der Entscheidung, ob ein SachverstänBGHSt 13,297 f. BGHSt 8, 76 (78) mit Hinweis auf BGH in NJW 1952, 13, 43. 58 BGHSt 3,169 (175). 80 BGH in NJW 1969, 2395. In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob und inwieweit ein Psychologe bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von jugendlichen Zeugen ohne Mitwirkung eines Psychiaters das Vorliegen krankhafter Störungen ausschließen kann; zu dem Kompetenzbereich dieser Disziplinen auch BGH in NJW 59, 2315. 81 BGHSt 23, 176 (188). 12 BGHSt 1, 94 (98); 3, 169 (175); 8, 113 (121); 10, 116 (119); 18, 374 (376); BGH in VRS 34, 211. 83 BGH in MDR 1955, 529; zahlreiche Rechtsprechungsnachweise bei WoZschke (1973), S. 100 ff. U Richtig KessZer (1974), S. 4, der sich aber leider nicht mit Kriterien des Verständnisses auseinandersetzt. 57

58

5.3. Aufklärungspflicht und Beweisantizipation

115

diger hinzugezogen werden soll, dürften sich daher die besonderen Wirkungen der freien Beweiswürdigung nicht gravierend bemerkbar machen, zumal in der Grauzone zwischen richterlicher Aufklärungspflicht und möglicher Beweisantizipation eine exakte begriffliche Differenzierung schwierig ist. Eine andere Bedeutung könnte die freie Beweiswürdigung aber erhalten, wenn es um die Frage der Beiziehung weiterer Sachverständiger geht. Will das Gericht wegen seiner eigenen gegenteiligen Ansicht von einem Gutachten abweichen, handelt es sich nicht um eine Beweisantizipation. Vielmehr nimmt das Gericht eine abschließende und abweichende Würdigung der zum Beweise dienenden Tatsachen vor. Auch wenn das Gericht bei widersprechenden Gutachten mehrerer Sachverständiger einer bestimmten Aussage den Vorzug gibt, erfüllt es nur seine ureigenste Pflicht zur freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO.~5 Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die Entscheidung über die Beiziehung eines Sachverständigen die Gefahr unzulässiger Beweiswürdigung eröffnet. Die Behandlung eines Beweisantrages und das Verständnis von der richterlichen Aufklärungspflicht stehen in einem engen funktionalen Zusammenhang mit der Wahrheitserforschung. Im Interesse der Wahrheitsfindung muß sich die Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO auf den Inbegriff der Hauptverhandlung konzentrieren. Soweit zum Zweck der Aufklärung vorher eine Beurteilung der Beweislage notwendig ist, darf dadurch der Bereich einer abschließenden Würdigung nicht eingeschränkt werden. Die Entscheidung zur Beiziehung eines Sachverständigen soll nur Aufklärungszwecken dienen. Sie darf kein Mittel sein, um das aufgrund anderer Beweismittel schon als sicher empfundene Ergebnis vorsorglich zu untermauern. In jedem Fall muß der Sachverständige noch bei der Entdeckung der Wahrheit behilflich sein können. Anderenfalls degeneriert die Vernehmung des Sachverständigen zum Bestätigungsritual.

&5



Wolschke (1973), S. 134.

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenheiziehung 6.1. Glaubwürdigkeitsuntersuchungen Die Beteiligung Sachv~rständiger an der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von Zeugenaussagen läßt in einem verfahrenspraktisch wichtigen Bereich die Zusammenhänge zwischen der Entscheidungskompetenz des Gerichts und den Erkenntnisansprüchen der Sachverständigen deutlich werden. Schon hier wird erkennbar, daß die Freiheit der Beweiswürdigung in einem Spannungsfeld zwischen empirischer Methodik und intuitiver Wahrnehmung verteidigt werden muß. 6.1.1. Kompetenz- und/oder Qualiftkationsprobleme

Wie Panhu,ysen zutreffend bemerkt, bürdet das Rechtsinstitut der freien Beweiswürdigung dem Richter mit dem Zeugenbeweis zugleich die Prüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen auf.1 Die Erkenntnisse der Aussagepsychologie haben schon zu Beginn dieses Jahrhunderts zu dem Ausspruch geführt: "Die fehlerhafte Aussage ist die Regel, nicht die Ausnahme. "2 Fehler können zustandekommen, weil es an der Aussagetüchtigkeit mangelt, die Glaubwürdigkeit aufgrund unbeabsichtigter Abweichungen von der Wahrheit nicht vorliegt, oder wegen mangelnder Aussageehrlichkeit bewußte Verfälschungen eingeführt werden. Es ist vertretbar, bei denjenigen, deren Beruf es ist, Tag für Tag Zeugen zu vernehmen, die Fähigkeiten und Kenntnisse voraussetzen, die nötig sind, um Aussagen als Beweismittel zu verwerten.3 Demgemäß hatte das Reichsgericht4 auch die Zuständigkeit des Richters zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung hervorgehoben. Der BundesgerichtshofS geht davon aus, daß es nicht im Sinne des Gesetzes ist, auf den Gebieten, auf denen nur die Lebenserfahrung und Menschenkenntnis des Richters schließlich allein die Wahrheit finden können, das Vertrauen des Richters auf sein eigenes selbständiges Urteil und seinen Mut zur Verantwortung einzuengen, da ohne sie die Erfüllung des Richteramtes und eine sachgemäße Rechtspflege nicht möglich seien. Die Frage, wann 1 2

3

4 5

Panhuysen (1964), S. 36. Stern, ZStW 22 (1902),327. Vgl. aber Undeutsch (1954), S. 10. So auch Panhuysen (1964), S. 40. RGSt 40, 48.

BGHSt 3, 27 (28),

6.1. Glaubwürdigkeitsuntersuchungen

117

ein Richter sich selbst noch zutrauen darf, eine Entscheidung über·die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu treffen, ist mit dem Urteil des 5. Senats vom 14. 12. 1954 zunehmend problematisiert worden.i! Es ging um die Beurteilung der Aussagen kindlicher Zeugen. 7 Grundsätzlich sei nicht immer ein Sachverständiger zu Kindervernelunungen hinzuzuziehen.8 Es bestehe aber eine allgemeine übereinstimmung darüber, daß dem medizinischen, möglicherweise auch dem psychologischen Sachverständigen Erkenntnismittel zu Gebote stehen, die das Gericht jedenfalls in der Hauptverhandlung nicht haben könne. Das Gericht meinte, daß das Verhalten des Kindes - das 7jährige Opfer eines Sexualverbrechens - in der Vernehmung durch einen Sachverständigen für die Beurteilung der Aussagetüchtigkeit ergiebiger seLD Eine Veranlassung zur Sachverständigenbeiziehung bestehe hingegen nur, so eine frühere Entscheidung, wenn der Zeuge besondere, aus dem normalen Erscheinungsbild des Jugendalters hervorstechende Züge und Eigentümlichkeiten aufweist. Ist dies nicht der Fall, so verletze der Tatrichter seine Aufklärungspflicht nicht, wenn er sich aufgrund eigener Fachkunde ein Urteil über die Glaubwürdigkeit des Zeugen bildet. lo Für die Beurteilung der Aussagen erwachsener Zeugen hat der BGH den Grundsatz aufgestellt, daß sich der Tatrichter die nötige Sachkunde zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit nur dann nicht zutrauen könne, wenn die Beweislage - etwa infolge unaufklärbarer Widersprüche mehrerer Zeugen - besonders schwierig ist. tl Die Rechtsprechung liefert keine präzisen Maßstäbe, nach denen sich der Richter bei der Entscheidung über die Beiziehung von Sachverständigen zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung orientieren könnte. Nach Auffassung des BGH geben nur die näheren Umstände des Sachverhalts in der sorgsam wägenden Hand des Tatrichters den Ausschlag dafür, ob er sich sachverständiger Unterstützung vergewissert oder kraft eigenen Fachwissens ohne sie entscheidet. 12 BGHSt 7,82 ff. Vgl. Kohlhaas, NJW 1951, 905, der meinte, man dürfe in der tatrichterlichen Praxis an der Tatsache nicht vorbeigehen, daß die völlige Veränderung und Zersplitterung des Charakterbildes der heranwachsenden Jugend eine genaue überprüfung von Faktoren erforderlich mache, die der Richter nicht mehr allein leisten könne. Zur Rechtsprechung ebenfalls Kohlhaas, NJW 1953, 293, und Knögel, NJW 1953,693 sowie Janetzke, NJW 1958, 536. 8 BGHSt 7, 82 (85). 9 BGHSt 7, 82 (83, 84). 10 BGHSt 3, 52 (53), geht grundsätzlich davon aus, daß Jugendrichter die notwendige Fachkunde haben. Gleichwohl ist § 244, IV StpO verletzt, wenn unter bestimmten Umständen kein Sachverständiger zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit beigezogen wird: BGHSt 3, 27. Zu den besonderen Fehlerquellen bei kindlichen Aussagen eingehend Schuster (1966), S. 150 ff. 11 BGHSt 8, 130 (131). 12 BGH v. 20.6.1961, LM Nr. 12 zu § 244 IV Stpo; vgl. auch Wolschke 8

7

118

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Die Literatur13 hat sich in erheblichem Umfang der Frage gewidmet, ob Menschenkenntnis und Erfahrung im Verein mit der Psychologie des Alltags genügen können, dem Richter die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu ermöglichen. l ' Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Entwicklung der exakten Naturwissenschaften entwickelte sich eine Tendenz, die Ungenauigkeiten von Zeugenaussagen mit der Hilfe von Sachverständigen zu entdecken. 15 Getreu dem Motto von Mezger 16 , wonach im Prozeß die Wahrheit unter vollständiger Verwertung aller nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft verfügbaren Erfahrung ergründet werden muß, beschäftigte man sich eingehend mit den empirisch~m Mitteln psychologischer und psychiatrischer Persönlichkeitsanalyse,17 An anderer Stelle werden nicht die empirischen Möglichkeiten des Sachverständigen diskutiert, sondern Erklärungen für die Beiziehung von Sachverständigen formuliert, die außerhalb jeden prozessualen Zusammenhangs liegen. So glaubt Blau, daß die allgemeine Erschwerung mitmenschlichen Verständnisses im industriellen Massenzeitalter mit ursächlich für die Beiziehung von Sachverständigen sei. Er geht davon aus, daß in patriarchalischen Zeiten ein Verständnis füreinander gewährleistet war. 18 Zustimmungswürdig ist das Bedenken von Panhuysen, daß bei einem Richter, dem kein eige(1973), S. 88, 89; eine ausführliche und kritische Darstellung der Rechtsprechung gibt Panhuysen (1964), S. 39 - 53. 13 Vgl. den Überblick bei Panhuysen (1964), S. 53 - 60; und die Angaben bei Diesing, KrimGegwfr 1976, 130. Umfangreiche Nachweise bei Maisch, MschrKrim 1974, 278, 279. Zu Glaubwürdigkeitskriterien eingehend Arntzen (1970), S. 42 ff. 14 Von Panhuysen (1964), S. 55, wird dies bezweifelt. Cabanis, NJW 1978, 2331, meint, bei Anwendung von gesundem Menschenverstand, kritischem Selbstverständnis, Kenntnis der Grenzen eigener Sachkunde und Bereitsehaftauf Seiten aller Prozeßbeteiligten, soziale Verantwortung zu übernehmen, sei die Glaubwürdigkeitsbegutachtung zwar oft kompliziert, letzten Endes aber doch weniger problematisch, als sie in der theoretischen Diskussion noch erscheint. 15 Schon Bohne, SJZ 1949, Sp. 9 ff., war von der vermeintlichen Genauigkeit der Naturwissenschaften so beeindruckt, daß er den Zeugenbeweis durch den Realienbeweis ersetzen wollte. Im Unterschied zu Herold erkannte er immerhin, daß dies nicht durchführbar ist. Er sah deshalb in der verstärkten Zuziehung von Sachverständigen einen Ausweg. 16 Mezger (1918), S. 157. Für Mezger handelt es sich bei dem pflichtgemäßen Ermessen in Verwendung wissenschaftlicher Erfahrung um ein kognitives Ermessen. 17 Vgl. den Überblick bei Schuster (1966), S. 3 - 19, zu den bei Glaubwürdigkeitsprufungen üblichen Forschungsmethoden und deren rechtlichen Folgen. Zur naturwissenschaftlichen Bewertung der psychologischen Verfahren Panhuysen (1964), S. 56; Hülle, JZ 1955, 8; Bockelmann, GA 1955, 330; Wellek (1955), S. 126; Lersch (1962), S. 66; Undeutsch (1954), S. 15; MüllerLuckmann (1962), S. 23 ff. Einzelfälle der Aussagepsychologie und das Problem der Mehrdeutigkeit einer Symptomatik behandelt Müller-Luckmann (1967), S. 111 ff. 18 Blau, GA 1959, 294.

6.1. Glaubwürdigkeitsuntersuchungen

119

ner ursprünglicher Zugang zur Person des Zeugen mehr offensteht, auch kein Spezialist wirkliches Verständnis wecken könnte. Es ist zwar nicht zwingend, daß sich ein Charakter in der herausfordernden Situation im Gerichtssaal eher bewährt als in der veranstalteten Situation der psychologischen Untersuchung. Aber es kann nicht bestritten werden, daß die situativen Bedingungen einer prozessualen Vernehmung für den verständnisvollen Richter auch Chancen eröffnen, die er für ein unmittelbares und aufschlußreiches Gespräch mit dem Zeugen nützen könnte, so daß ihm nicht nur die Zuflucht zum Sachverständigen übrigbleibt. IU 6.1.2. Gegenstand und Zweck aussagepsychologischer Exploration

Die Hauptaufgabe der aussagepsychologischen Exploration besteht darin, den Zeugen zu einer Äußerung von Realitätskriterien zu veranlassen.20 Es kann nicht bezweifelt werden, daß Güte und Art der Wahrnehmung, Erinnerungsvermögen, Intelligenz, allgemeine Persönlichkeitsreife, Phantasiebegabung, Kritikfähigkeit, sprachliche Darstellung, Realitätskontrolle und sonstige psychische Fähigkeiten als Elemente der allgemeinen Aussagefähigkeit möglicherweise nach Qualität und Quantität von einem psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen exakter bestimmt werden können. Das kann aber nur eine begrenzte Hilfe für den Richter bedeuten, da die Beurteilung der Glaubwürdigkeit in einem ganz bestimmten thematischen Zusammenhang vorz.unehmen ist, in dem der Richter die Aufgabe und die Chance hat, mit einer geschickten Vernehmungstaktik selbst ausreichende Anknüpfungspunkte für eine derartige Entscheidung zu schaffen.21 Gerade die von Undeutsch beschriebene Explorationstechnik zeigt, daß der Richter diese Arbeit in Einzelvernehmungen leisten könnte.22 Es handelt sich tatsächlich um nichts anderes als die eingehende Vernehmung zur Sache.23 Das darf aber nicht zu dem Trugschluß führen, daß im Rahmen des Gerichtsverfahrens die Glaubwürdigkeit des Zeugen überhaupt nicht interessiert. Liegen keine Momente außerhalb der Aussage selbst vor, etwa weitere übereinstimmende Aussagen oder sachliche Indizien, so setzt die Pflichrt zur Beweiswürdigung ein, die sich nicht mehr auf vergleichende Überlegungen stützen kann. Das Urteil über die Glaubhaftigkeit der Aussage beruht zwangsläufig auf dem Urteil über die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Es läßt sich daher sagen, daß die Zeugenaussage, deren Sachrichtigkeit nicht anderweitig erwiesen ist, nur dann 19

20

21

Panhuysen (1964), S. 59, 60. Diesing, KrimGegwfr 1976, 127. Vgl. die Vorschläge von Diesing, KrimGegwfr 1976, 126, 128, zu einer

Bewertungsskala von Aussagetüchtigkeit und Glaubwürdigkeit. n Undeutsch (1957), S. 201 ff. 23 Panhuysen (1964), S. 58.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

bei der Sachverhaltsfeststellung verwertet werden kann, wenn der Richter die überzeugung von der Redlichkeit und Zuverlässigkeit des Zeugen gewonnen hat.24 6.1.3. Beeinträchtigung für die Freiheit der Beweiswürdigung Aus guten Gründen bestehen Zweifel daran, ob der Richter gegenüber einem Gutachten zur Glaubwürdigkeit überhaupt noch in der Lage ist, sich eine freie überzeugung zu bilden.25 Bei der Glaubwürdigkeitsprüfung ist es nicht damit getan, daß sich der Richter über die Erkenntnisse der Aussagepsychologie unterrichten läßt. Vielmehr kommt es darauf an, daß der Sachverständige sein Wissen auf eine konkrete Aussage anwendet. Damit ist unausweichlich ein psychischer Vorgang mit Deutungs- und Werturteilselementen verbunden, welcher sich einer rationalen überprüfung entzieht.28 Von daher ist die Vorstellung, daß der Richter das Gutachten frei würdigen könnte, schlicht unsinnig. Es besteht nur die Möglichkeit, sich dem Gutachten anzuschließen oder mit dem eigenen Werturteil die Entscheidung des Sachverständigen zu ersetzen. 27 Diese Verfahrensweise ist nicht überzeugend, da die Beiziehung des Sachverständigen in aller Regel erfolgt, weil der notwendige richterliche Sachverstand fehlt.

6.1.3.1. Erkenntnisqualität von Glaubwürdigkeitsgutachten Es lassen sich nicht nur "Verlegenheiten"28 entdecken, die bei Glaubwürdigkeitsbewertungen deshalb besondere Bedeutung haben, weil Wertungen zur eigentlichen Aufgabe des Richters gehören. Vielmehr liegt eine grundlegende strukturelle Unstimmigkeit vor. Der Sachverständige hat im Rahmen des Urteilssyllogismus dem Richter für den Tatsachenuntersatz objektive Befunde zu liefern, Fakten also, die der Richter bewerten muß. Glaubwürdigkeitsbeurteilungen, das sagt schon der Begriff, können nicht maßgeblich auf kognitiven Feststellungen beruhen. Der Sachverständige, zumeist ein Psychologe, gibt ein WertSo auch Panhuysen (1964), S. 35, 36. Vgl. Bockelmann, GA 1955, 329, 330; Eb. Schmidt (1962), S. 264, 265; Kohlhaas, NJW 1959, 903. 28 Ähnlich Wüst (1968), S. 104; HeUwig, JW 1931, 1432, spricht sogar von der Wesensgleichheit richterlicher und praktischer psychologischer Arbeit. Blau (1962), S. 366, bestreitet hingegen die Identität zwischen richterlicher Beweiswürdigung und Begutachtung der Glaubwürdigkeit. !7 So Bockelmann, GA 1955, 329; Leferenz, KrimbioGegwfr 1962, 5. Marmann, GA 1953, 143, hält es für den Normalfall, daß sich der Richter anschließt. Aus den Ausführungen von Mayer (1954), S. 475, 476, geht nicht hervor, ob und in welcher Qualität eine Verständigung zwischen Richter und Sachverständigen stattfindet, wenn der Richter vom Gutachten abweicht. 28 Bockelmann, GA 1955, 330. 24

25

6.1. Glaubwürdigkeitsuntersuchungen

121

urteil ab: "Das Werturteil (des Sachverständigen) kann nur Bejahung oder Verneinung der Glaubwürdigkeit der konkreten Aussage sein, d. h. also die Beweiswürdigung selbst. "29 Der Blickwinkel des Richters wird dann nicht mehr von der Frage bestimmt, welche Gründe für und gegen die Glaubwürdigkeit sprechen, sondern welche Gesichtsp.unkte für und gegen die Wertung des Gutachters sprechen. Unter solchen Bedingungen mutet eine Entscheidung des BGH mehr als optimistisch an. Danach werde der Richter mit Hilfe des psychologischen Gutachtens in die Lage versetzt, die Frage der Glaubwürdigkeit selbst, .und zwar auch anders als der Sachverständige, zu entscheiden. Eine Abweichung von der Meinung des Gutachters bedeute keinen Widerspruch zum G.utachten, wenn das Gericht im Urteil darlegen kann, daß ihm dadurch die Fähigkeit vermittelt wurde, die Glaubwürdigkeit selbst zutreffend zu überprüfen.30 In merkwürdigem Kontrast dazu steht eine unveröffentlichte Entscheidung des BGH vom 27. 11. 195231 , mit der ein erstinstanzliches Urteil aufgehoben w.urde, weil das Gericht von einem Gutachten über die Glaubwürdigkeit kindlicher Zeugen abgewichen war und sich damit in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten gesetzt habe, was eine nachträgliche Anmaßung der nötigen Sachkunde darstelle. Zu diesem Gedankengang paßt die Entscheidung des BGH, in der dem Richter zugestanden wird, sich auf eine Prüfung der Frage zu beschränken, ob der Sachverständige ein zuverlässiger und erprobter Vertreter seines Faches ist.:12 Die Schlußfolgerung ist unvermeidlich: "Der stets hervorgehobene Grundsatz, dem Richter müsse die Möglichkeit bleiben, das Gutachten des Sachverständigen frei zu würdigen, wird hier ganz offensichtlich zur leeren Formel. Tatsächlich hat der Strafrichter praktisch keinen Spielraum mehr zu eigener Beweiswürdigung. "33 Abschließende Äußerungen des Sachverständigen zur Glaubwürdigkeit stellen praktisch fast immer einen Eingriff in die freie richterliche Beweiswürdig.ung dar. Angaben hierzu sind nicht objektiv wissenschaftlich beweisbar. Sie können nur Werturteile sein. Aus diesem Grund ist es auch gar nicht nötig, daß zwischen Richter und Sachverständigen eine kommunikative Beziehung besteht, in deren Rahmen Beweiswürdigung betrieben werden könnte. Der Spruch des BGH, wonach der verfahrensrechtliche Ausgangspunkt darin liege, daß der Tatrichter zu einem eigenen Urteil auch in schwierigen Fachfragen verpflichtet sei, geht ins Leere. Die Forderung, daß der Richter sich die Entscheidung 29 30

31

32 33

Eb. Schmidt (1962), S. 265. BGH in NJW 1966, 1874. Vgl. Panhuysen (1964), S. 52, FN 211. BGHSt 7, 238 (240). Wüst (1968), S. 109.

122

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

selbst zu erarbeiten und ihre Begründung selbst zu durchdenken habe, muß dann abwegig sein, wenn der Sachverständige geradezu beauftragt ist, ein Urteil über die Glaubwürdigkeit abzugeben. Hier können die Bemerkungen des BGH keine Anwendung finden, wonach Richter und Sachverständige ihre verfahrensrechtliche Aufgabe um so vollkommener erfüllen, je ~niger sich der Richter auf die bloße Autorität des Sachverständigen verläßt und je mehr er ihn zur Belehrung über allgemeine Erfahrungen und zur überzeugungsarbeit mit gemeinverständlichen Gründen veranlaßt. Es sind keine empirischen Daten zu übermitteln, die aufgrund ihres Informationsgehaltes geeignet wären, zur Klärung des Beweisthemas beizutragen. Hier geht es deshalb noch nicht einmal um die Inkonsequenz, die darin besteht, daß man der richterlichen Sachkunde nicht traut, deshalb einen Sachverständigen fordert und, wie der BGH dies zumindest theoretisch noch tut, eine Würdigung des fachmännisch erstatteten Gutachtens verlangt. Der Sachverständige, der keine objektivierbaren Informationen anbietet, sondern sich ohne zureichende empirische Absicherung auf höchst subjektive Wertungen beschränkt, bzw. wegen der Natur des Untersuchungsgegenstandes sich darauf beschränken muß, ist kein geeignetes Beweismittel. Er betreibt tendenziell Kompetenzanmaßung. Der Riclr ter, der dies zuläßt, ist im jeweils gleichen Maße inkompetent.

6.1.3.2. Gefährdung von Verjahrensgarantien durch den Sachverständigen Es sei daran erinnert, daß die Hauptverhandlung der Ort der Wahrheitsfindung sein muß, da nur dort die größte Wahrscheinlichkeit für eine Vernehmungstechnik in den gebotenen rechtlichen Grenzen besteht .und eine wirksame Kontrolle durch andere Prozeßbeteiligte möglich ist. Merkwürdigerweise wird kaum noch auf die Gefahren eingegangen, die durch ein Glaubwürdigkeitsgutachten begründet werden, das in einem psychodiagnostischen Gespräch erarbeitet wird.34 In einer speziellen Exploration zur Sache soll der Zeuge eine selbständige und freie Schilderung über das zu beurteilende Geschehen leisten.35 Die Aussage wird Belastungen und Einwänden ausgesetzt, um ihre Entwicklung quasi in einem experimentellen Medium zu beobachten.36 Die damit verbundenen Abdrängungs- und Belastungsversuche des Gutachters stehen in Widerspr.uch zu § 69 I StPO, der von einem freien Zeugenbericht ausgeht. Nach den Kriterien psychodiagnostischer Gesprächsführung muß der Sachverständige zu Kontrollzwecken absicht34 Vgl. die gutachterfreundliche Darstellung von Peters (1967), S. 768 ff. Kritische Ansätze bei Bockelmann, GA 1955, 330, 331. 35 Müller-Luckmann (1962), S. 130 ff. 31 FTiedrichs (1967), S. 14; vgl. auch Undeutsch (1954), S. 15.

6.1. Glaubwürdigkeitsuntersuchungen

123

lich verwirrende Suggestivfragen stellen, um das zentrale Anliegen seiner Exploration zu verfolgen. Dabei geht es um eine Korrektur in dem Sinn, daß die Aussage mit zunehmender Wirklichkeitsannäherung ein einheitliches und eindeutiges Merkmalsgepräge gewinnt. Angestrebt wird eine Deutlichkeit, die über den bloßen Hinweis hinaus zuverlässige Feststellungen über ihren Wirklichkeitsgehalt, bzw. ihre mangelnde Wirklichkeitsentsprechung ermöglicht.37 Damit wird ein Verfahren zur Methode, das die Grenzen des § 136 a StPO leichIt überschreiten kann. Der Strafrichter muß sich nicht nur fragen, ob die höhere Erfolgsquote bei Vernehmungen durch Psychologen darauf zurückzuführen ist, daß sich der Sachverständige solcher Techniken bedient, die dem Richter in der Hauptverhandlung nicht gestattet sind. Es muß auch zweifelhaft sein, ob der Sachverständige als Beweismittel noch in den rechtlichen Rahmen des Verfahrens paßt. Informationen, die .unter Verstoß gegen § 136 a StPO zugänglich werden, können keinen Beitrag zur Wahrheitsfindung auf justizförmigem Wege leisten. Aus diesen überlegungen ergibt sich nicht ohne weiteres die Schlußfolgerung, daß in psychologischen Explorationsprotokollen eine beliebige Anzahl von Verstößen gegen § 136 a StPO möglich ist. Es besteht aber die Gefahr, daß der Psychologe nach den von ihm selbst formulierten Zielvorstellungen das psychodiagnostische Gespräch offensichtlich unter Gesetzmäßigkeiten stellt, die den ohnedies schmalen Grat zwischen einer erfolgverspechenden Vernehmung und den Grenzen des § 136 a StPO weiter verengen.38 Es kann deshalb nicht verwundern, daß Gutachten über die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen sehr .umstritten sind.3e Die bildhafte Klage, daß Explorationsaussagen wie Felsblöcke statisch in die Dynamik der Hauptverhandlung hineinragen, ist nicht unbegründet, selbst wenn man bedenken muß, daß diese Dynamik kein Eigenwert ist und nicht höher steht als die Erforschung der Wahrheit. 40 Bei der Frage, ob die Wahrheit eher ans Licht kommt, wenn man etwa das kindliche Opfer eines Sexualdelikts der Dynamik einer Hauptverhandlung aussetzt, oder wenn im Ordinationszimmer eines Psychologen eine einfühlsame Anhörung und Exploration durchgeführt wird, können sich die Geister scheiden. Der Eindruck, den Tröndle sich vergegenwärtigt, ist keineswegs zwangsläufig und kennzeichnet nicht regelmäßig die Atmosphäre einer gerichtlichen Vernehmung: "Ich verbinde mit meiner Erinnerung an kindliche Zeugen, die in die Dynamik der Hauptverhandlung geraten sind, leidvolle, zum Teil schreckliche Assoziationen und nicht primär die Vorstellung, beim 37 38

39 40

Friedrichs (1967), S. 14.

Krauß (1971 a), S. 14.

Tröndle, JZ 1969, 375. Eindeutig zu § 136 aStPO: BGHSt 11, 211 ff. Roesen, NJW 1964, 443 und Tröndle, JZ 1969, 376.

124

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

edlen Ringen um die Wahrheit zugegengewesen zu sein."41 Demgegenüber bleibt festzuhalten, daß es nicht nur auf der Verteidigerseite Unbehagen auslösen muß, wenn psychologische Explorationen mit fertigen Ergebnissen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Gerade das Gericht kann seine Aufgabe der Wahrheitsfindung nicht erfüllen, wenn es dem Weg nicht nachspüren kann, der zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat. Glaubwürdigkeitsgutachten blockieren den Weg zur Wahrheit, wenn die Explorationen in ihrem Werdegang nicht von allen Verfahrensbeteiligten im Rahmen einer kritischen Kontrolle nachvollzogen werden können. 6.1.4. Srhlußfolgerungen und Ergebnisse

-

Nur in seltenen Ausnahmefällen kann die Beiziehung eines Sachverständigen zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung möglicherweise bei der Sachverhaltsaufklärung hilfreich sein. Eine intensive richterliche Vernehmung zur Sache ist vorrangig. Zum Zweck der Wahrheitsfindung interessiert weniger die Glaubwürdigkeit des Zeugen als die Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage. Deutungs- und Werturteilsmuster der Glaubwürdigkeitsbegutachtungen von Sachverständigen schränken die freie Beweiswürdigung ein. Die für eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung notwendigen psychologischen Explorationstechniken können unzulässige Vernehmungsmethoden sein. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz wird durch solche Untersuchungen möglicherweise verletzt. Glaubwürdigkeitsgutachten können in der Hauptverhandlung die Wahrheitsfindung blockieren.

-

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit 6.2.1• .Juristisdle und psydllatrisdl/psydlologisdle Erkenntnistedlniken im wissensdlaftstheoretisrhen Systemvergleldl

6.2.1.1. Wissenschaftstheorie und Verfahrenspraxis Der kritische Vergleich zwischen prozessualer Aufklärung und psychiatrisch/psychologischer Forschung ist kein Selbstzweck. Die Untersuchung der wissenschaftstheoretischen Eigenheiten und die Analyse der Erkenntnistechniken in beiden Bereichen sind durch verfahrenspraktische Probleme veranlaßt. Die forensischen Verständigungs41

TTöndle, JZ 1969, 375.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

125

schwierigkeiten zwischen Richter und Sachverständigen werden zum Teil von der Unkenntnis der jeweiligen wissenschaftstheoretischen Rahmenbedingungen verursacht. Daher werden die praktischen Erkenntnismöglichkeiten wechselseitig verkannt oder überschätzt. So kann eine Verständigung nicht stattfinden. Das interdisziplinäre Gespräch muß dann oft in Unzufriedenheit oder Resignation enden. Richterliche Unsicherheit über die empirische Qualität psychiatrisch/psychologischer Befunde und Unklarheit der Sachverständigen über normativ vorgegebene Erkenntnisziele und begrenzte Ermittlungstechniken prozessualer Forschung können die Wahrheitsfindung behindern. Die notwendige Kommunikation kann nur gelingen, wenn die Erkenntnisansprüche beider Seiten als Funktion verschiedener wissenschaftlicher Grundlagen begriffen werden. Andernfalls wird der Sachverständige überfordert. Das Gericht erhält Informationen, die es nach Maßgabe seiner erkenntnisleitenden Interessen nicht benutzen kann oder nach verfahrensrechtlichen Maßstäben nicht verwerten darf. Die Erörterung des wissenschaftlichen Selbstverständnisses beider Disziplinen kann das jeweils ernsthafte Bemühen um Wahrheit nicht diskreditieren. Hinweise auf Unterschiede, Stärken und Schwächen der wissenschaftstheoretischen Konzeption und der konkreten Aufklärungstechniken mögen das gegenseitige Verständnis zum Zweck der forensisch-praktischen Verständigung fördern. Aufsehenerregende Verfahren dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß die praktischen Konsequenzen der wissensch:aftstheoretischen Unterschiede beinahe alltägliche Probleme der Beweiswürdigung und Wahrheitsfindung darstellen.

6.2.1.2. SchJuldfähigkeitsbeu rteiltl,ng zwischen Wissenschaftstheorie und Verjahrenspraxis Die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist in hervorragender Weise geeignet, die strukturellen Diskrepanzen und Gemeinsamkeiten in der Erkenntnisarbeit der normativ verpflichteten Gerichte und der empirisch orientierten Sachverständigen aufzuzeigen. Der Versuch, den Inhalt des strafrechtlichen Schuldbegriffs zu bestimmen und die Mitwirkungsmöglichkeiten von Psychologen und Psychiatern bei der Feststellung der Schuldfähigkeit aufzuzeigen, muß Kopfschütteln und ein mitleidiges Lächeln hervorrufen. Eine derartige Reaktion ist nur zu verständlich, werden doch mit der Frage nach der Schuld nicht nur höchst diffizile Probleme von Philosophie und Psychologie aufgeworfen, sondern man gerät auch in ein .unentwirrbares Knäuel innerpsychiatrischer, innerjuristischer und juristisch-psychiatrischer Streitfragen. Dies geschieht unvermeidlich vor einem unübersehbaren Berg an Literatur, der durch eine jahrzehntelange wissenschaftliche Diskussion entstanden ist. Schreiber sieht sich zu der Schlußfolgerung ver-

126

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

anlaßt: "Alles Denkbare scheint bereits gesagt, ohne daß eine Verständigung in Sicht wäre. "4.2 Es kann nicht Aufgabe der nachlfolgenden überlegungen sein, sämtliche Facetten der Diskussion über die Schuldfähigkeitsfeststellung auszuleuchten. Die Analyse der wissenschaftstheoretischen Ansprüche der beteiligten Disziplinen hat nur grundlegenden Charakter. Es soll der Versuch unternommen werden, die qrenzen zwischen Empirie und Wertung deutlich zu machen. Kaum eine andere Aufgabe fordert in diesem Punkt soviel Differenzierungsvermögen wie die Schuldfähigkeitsbeurteilung. Kein anderes Problem stellt so hohe Anforderungen an die Kommunikationsstrukturen zwischen Gericht und Sachverständigen. Richtig bemerkt Sarstedt deshalb, daß das Verhältnis zum psychiatrischen Sachverständigen, der sich über die Schuldfähigkeit des Angeklagten äußert, das Interesse des Strafrechtlers in höherem Maße beansprucht als seine Stellung gegenüber irgendwelchen Sachverständigen, die über Bremswege, Geschoßbahnen, Brandursachen, Schriftvergleichung, Giftwirkungen, Blutgruppen oder auch über die Glaubwürdigkeit jugendlicher Zeugen gutachten. Die Regelungen der §§ 20, 21 StGB werfen die schwierigsten Fragen auf, die im sachlichen Strafrecht überhaupt vorkommen. 43 Die Frage, ob die Unfähigkeit zu normgemäßem Verhalten auf den Charakter oder eine Krankheit zurückzuführen ist, muß zu überlegungen über den Schuldbegriff veranlassen. Sarstedt hält die damit angeblich verbundene Frage nach dem freien Willen nicht für vernünftig. Es sei geradezu frivol, von der Antwort auf eine solche "Vexierfrage" abhängig zu machen, ob ein Mensch eingesperrt wird. Für ihn gilt: "Eine überlegung, die vom Determinismus her nicht zur selben Antwort führt wie vom Indeterminismus, ist für mich als Strafrichter einfach falsch."" In der Tat wird es für den unmittelbaren Verständigungsprozeß zwischen Gericht und Sachverständigen nicht auf eine philosophische Grundsatzdiskussion ankommen. Die Beantwortung der Frage, "wie es 42 Schreiber, Nervenarzt 1977, 242. Die Fülle der Literatur erlaubt keinen systematischen überblick. Zur Einführung können die folgenden Beiträge dienen: Haddenbrock, MschrKrim 1968, 145 ff.; ders., JZ 1969, 121 ff.; Kaufmann, JZ 1967, 139 ff.; Kurz, MDR 1975, 893 ff.; Leferenz, ZStW 88 (1976), 40 ff.; Lempp, NJW 1959, 798 ff.; Mezger, KrimbioGegwfr 1953, 71 ff.; Rauch, NJW 1958, 2089 ff.; Thomae, MschrKrim 1961, 114 ff. S-K-Rudolphi, § 20, Rdn 23 ff., beschäftigt sich ausführlich mit den normativen Kriterien zur Beurteilung der Schuldfähigkeit. Schreiber, NStZ 1981, 51, betont die Bedeutung einer Konsensbildung zwischen Gericht und Sachverständigen bei Schuldfähigkeitsproblemen. Neuere Einblicke bieten Blau / Franke, Jura 1982, 393 ff.; Schild, JZ 1980, 597 ff.; Schreiber (1980), S. 281 ff.; Seelmann, Jura 1980, 505 ff.; Zipf, JB11980, 186 ff. 43 Sarstedt, Justiz 1962, 110, 117. 44 Sarstedt, Justiz 1962, 115.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

127

im Kopfe des Täters zur Tatzeit ausgesehen hat"45, erfordert eine sehr

eingehende Unterhaltung mit dem Sachverständigen. Notwendig ist dabei eine Beschreibung, nicht Benennung des psychischen Z.ustandes des Täters, da durch die Anhäufung von Fachausdrücken und Fremdwörtern die Vermutung begründet wird, daß diese Worte gebraucht werden, weil Begriffe fehlen. Dies mag damit zusammenhängen, daß der Begriff der Krankheit schwer zu bestimmen ist und es eines außermedizinischen Gesichtspunktes, eines archimedischen Punktes außerhalb der rein ärztlichen Begriffswelt bedarf, .um die Definitionsprobleme zu bewältigen. Die Aufgabe ist in einem äußerst verwobenen Gespinst von wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen, begrifflichen Eigenheiten, unterschiedlichen erkenntnisleitenden Interessen, philosophischen Orientierungen, normativen Verpflichtungen und faktischen Forschungsmöglichkeiten angesiedelt. Ein kurzer überblick über das wissenschaftliche Selbstverständnis beider Lager kann allenfalls einen ersten Ansatz dafür bieten, das Informationsangebot der Sachverständigen und die Erwartungshaltung der Juristen "auszudeutschen", also nicht "knietief in Fachausdrücken zu waten"46. Auch und gerade unter der Hypothese, daß es sich bei der Tätigkeit der psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen um eine nach naturwissenschaftlichen Prinzipien organisierte Forschung handelt, sind die Verständigungsversuche zwischen Gericht und Sachverständigen für beide Seiten eine Bewährungsprobe ihres wissenschaftlichen Selbstverständnisses. Auf den ersten Blick mag die Jurispr.udenz bedrohter erscheinen als die exakten Wissenschaften, zu denen Psychiatrie und Psychologie ihrer diagnostischen Hilfsmittel wegen vorerst gezählt werden sollen. Schreiber geht von einem Schuld begriff im empirischpragmatischen Sinn aus, der sich als Fehlgebrauch eines Könnens erweise, das wir uns wechselseitig zuschreiben. Er hält es für möglich, daß sich Richter .und psychiatrische Sachverständige unabhängig vom Determinismus-Indeterminismus-Streit auf einer Sprachebene verständigen. Es gehe um die Feststellung, mit welcher Erheblich.keit die Motivierbarkeit durch soziale Normen gemindert ist. Bei den damit verbundenen, vom Richter zu beantwortenden normativen Fragen habe der Psychiater ihn dabei zu beraten .und zur Bildung psychiatrisch-juristischer Konvention beizutragen.47 Gottschick hält es für die Aufgabe des Sachverständigen, den Auftraggeber über den fraglichen Sachverhalt aufzuklären und die Wahrheit seiner Aussagen so weit als möglich zu begründen. 48 Zirpel bezeichnet die Medizin als eine Wissen45 46

47 48

Sarstedt, Justiz 1962, 111. Vgl. auch Burkhardt, Sarstedt, Justiz 1962, 113, 117. Schreiber, Nervenarzt 1977, 242. Gottschick, MedSach 1967, 154.

AnKrit 1981, 155 ff.

128

6. Anlässe und Folgen der Sachverstäncligenbeiziehung

schaft vom Seienden, deren Gegenstand keine rechtlichen Bewertungen bestimmten. Dem medizinischen Sachverständnis obliege es, Krankhaftes methodisch-wissenschaftlich zu beschreiben, kausal zu erklären und psychologisch verstehbar zu machen.4t Schon hier kann man sehen, daß die Schuldfähigkeitsbeurteilung der wichtigste Anlaß ist, die spezifischen wissenschaftlichen Qualitäten der beteiligten Disziplinen inhaltlich und methodisch zu bestimmen. Sollen Schuld und Schuldfähigkeit keine metaphysischen Konstrukte sein, die beliebig eingesetzt werden können, so wird man zumindest das Postulat aufstellen müssen, daß es die empirische Möglichkeit gibt, objektivierbare Aussagen zu treffen. Anderenfalls wäre die Mitwirkung von Sachverständigen sinnlos, die nach ihrem Selbstverständnis naturwissenschaftlich vorgehen. Eine vergleichende Betrachtung juristischer Erkenntnistechniken, normativer Zielvorstellungen und der diagnostischen Mittel psychiatrischJpsychologischer Befunderhebung soll die Frage klären, ob es wissenschaftstheoretisch zulässig und unter den Bedingungen der forensischen Praxis sinnvoll und nützlich ist, von einem empirisch-pragmatischen Schuldbegriff auszugehen.

6.2.1.3. Wissenschaftscharakter juristischer Erkenntnisse Die Diskussion über die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft kann hier allenfalls in groben Umrissen nachgezeichnet werden. Gleichwohl können die wenigen Hinweise Vergleichsmöglichkeiten zu den exakten Wissenschaften eröffnen. Hegel hatte noch aufgrund eines entwicklungsgeschichtlich gefaßten, dialektischen Wissenschaftsbegriffs die Rechtswissenschaft als philosophische Wissenschaft behandeln können. 50 Hier soll nicht der Frage nachgegangen werden, ob die Rechtswissenschaft ihr Erkenntnisziel, die Erkenntnis des Rechts, heutzutage deshalb verfehlt, weil sie den Problemhorizont praktischer Philosophie außer sich gesetzt hat und dabei vielleicht zur Rechtswissenschaft ohne Recht geworden ist,51 Die certitudo iurisprudentiae war bereits im 16. Jahrhundert noch unter dem Eindruck der aristotelischen Unterscheidung zwischen scientia (EmIJ't~f.lt) und prudentia (q>(lOVt]IJLS') Gegenstand einer selbstkritischen Diskussion. Mit der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften änderte sich der Wissenscbaftsbegriff. Das Erfordernis der Allgemeingültigkeit führte zur Ablösung der Naturrechtslehre, so daß Rechtswissenschaft aus dem Kontext praktischer Philosophie herausgelöst wurde. Rechtswissenschaft war und ist bemüht, der Herausforderung des naturwissenschaftlichen Wissenschafts49

50 51

Zirpet, MedSach 1959, 79. Hegel (1955), S. 19 ff. Dreier (1981), S. 61 m. w. N.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

129

begriffs ihr Selbstverständnis als Geisteswissenschaft gegenüberzustellen, ohne daß sie bislang Klarheit über ihre spezifische Wissenschaftlichkeit herbeiführen konnte. 52 Der Blick auf die Hermeneutik, die von Dilthey zur allgemeinen Methode der Geisteswissenschaften befördert wurde, wäre entbehrlich, wenn man den Gedanken von Gadamer nachvollzieht, daß die Differenz zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften nicht eine Differenz der Methoden, sondern der Erkenntnisziele ist.63 Es muß aber verwundern, daß Gadamer die Diskussion des philosophischen Begriffs der Hermeneutik, um den es in der Entgegensetzung von Hermeneutik und analytischer Wissenschaftstheorie letztlich geht, mit einem Hinweis auf die exemplarische Bedeutung der juristischen Hermeneutik führt, um die Eigenständigkeit geisteswissenschaftlicher Erkenntnis nachzuweisen." Der Einschätzung des Verfahrens der interpretativen Rechtsfortbildung als Leistung, die vorgegebene Sinngehalte in die jeweilige Gegenwart durch objektive Auslegung vermittelt, steht die Wirklichkeitserfahrung von Esser gegenüber, die Zweifel an der Vorbildlichkeit der juristischen für die allgemeine Hermeneutik wecken muß. Jener bemerkt eine Wirklichkeit, die weithin durch willkürliches Schwanken zwischen regelloser Präjudizienverwertung und unkontrollierten Billigkeitserwägungen charakterisiert sei. 56 Die Auseinandersetzung mit dem Irrationalismus subjektiver Wertewahl könnte mit den spezifischen Methoden der Dialektik geführt werden, was ein Verfahren impliziere, das den zu erkennenden Sachverhalt durch seine entstehungsgeschichtliche Bedingtheit begreift.66 Dadurch wäre aber nicht viel gewonnen. Außerhalb der analytischen Wissenschaftstheorie stehen keine Kriterien zur Verfügung, mit denen die Wissenschaftlichkeit der ermittelten Ergebnisse überprüft werden könnte. 67 Habermas hat daraus gefolgert, daß die Verschiedenheit der wissenschaftstheoretischen Konzeptionen auf die Verschiedenheit der erkenntnisleitenden Interessen zurückzuführen sei und nicht auf verschiedene Methoden. ö8 Für die S2 Vgl. zu dieser Entwicklung insgesamt Dreier (1981), S. 49, 50, 64, FN 14 (m. w. N.) und Radbruch (1973), S. 91 ff., 209 ff. über das wissenschaftliche Selbstverständnis der Jurisprudenz. S3 Zu den Möglichkeiten der Hermeneutik in der wissenschafts theoretischen Diskussion Habermas (1979), S. 178 ff.; ders. (1970 a), S. 73 ff.; ders. (1969), S. 179, 180. Kritisch Lüderssen (1972), S. 92, 93. DHthey, Bd. 7, S. 86 f., lokalisiert die Geisteswissenschaften in einem Zusammenhang von "Leben, Ausdruck und Verstehen". 54 Gadamer (1975), S. 307 ff.; vgl. auch Dreier (1981), S. 58. 55 Esser, ARSP 43 (1957), 268. S8 SO Dreier (1981), S. 59, 60. Zum Diskussionsstand in der dialektischen Philosophie Lüderssen (1972), S. 30 ff. 57 Dreier (1981), S. 59, 60. 58 Habermas (1979), S. 15, sieht darin für die Erkenntnistheorie eine Ausbruchsmöglichkeit aus dem Zirkel.

9 Hetzer

130

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Verwertung und überprüfung empirisch gewonnener Daten seitens der Gerichte nach Maßstäben der Plausibilität könnte man dann in Anknüpfung an einen Gedanken Dahrendorfs59 beispielsweise mit Blick auf § 136 a StPO zu dem Schluß neigen, daß es bei der Würdigung von Sachverständigengutachten nicht um Logik, sondern um die Ethik der Forschung geht. Unter solchen Prämissen ist weniger der Optimismus von Mezger angebracht, der davon ausgeht, daß der Richter in keiner Weise an das Gutachten des Sachverständigen und seine Tatsachenfeststellungen geb.unden ist. Der Richter sei vielmehr berechtigt und verpflichtet, die im Gutachten enthaltenen Tatsachenurteile selbständig nachzuprüfen. Kritischer Maßstab soll einzig und allein die Erfahrung sein: "Für die kognitive Betrachtung kommt als regulativer Gesichtspunkt nur das Ergebnis empirischer Forschung, niemals eine Wertung irgendwelcher Art in Betracht. "60 Eher muß daran erinnert werden, welche Voraussetzungen auch empirisch arbeitende Wissenschaftler erfüllen müssen, damit man nicht auf die Hoffnung des GaZilei zuzurückgeworfen wird: "Wie es nun steht, ist das Höchste ein Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können."111 Die richterliche Beweiswürdigung, aus der die Überzeugung folgt, wird gemeinhin als ein von den Gesetzen der Logik und der allgemeinen Erfahrung beherrschter Erkenntnisvorgang angesehen. 62 Es soll sich um eine logische Schlußfolgerung aus gewissenhaft festgestellten Tatsachen, also einen Denkprozeß behandeln.1I3 Richterliche überzeugungsbildung wird begriffen als Gewinnung subjektiver Gewißheit durch überwindung des Zweifels.64 Als gesamtpsychologischer Erlebnisvorgang überschreite sie die rational-kognitive Sphäre. Die Verstandestätigkeit erfülle in ihr zwar eine bedeutungsvolle, aber nicht entscheidende Funktion.66 Von der Wissensch·aft hat der literarische GaZilei einen anderen Begriff: "Der Erfolg der Wissenschaft scheint mir diesbezüglich besondere Tapferkeit zu erheischen. Sie handelt mit Wissen, gewonnen durch Zweifel. Wissen verschaffend über alles für alle, trachtet sie, Zweifler zu machen aus allen".66 Dennoch. müssen NaturDahrendorj (1969), S. 150. Mezger (1918), S. 127. 61 Brecht (1978 a), S. 537. 82 Bohne (1948), S. 50 f. Zur Bedeutung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im einzelnen Roxin (1982), S. 73 ff., eine zusammenfassende Formel bietet Zipf (1977), S. 193. Zu den seelischen Implikationen Peters (1964), S. 537 ff. 83 v. Hippet (1941), S. 386; Küper (1967), S. 295. 64 Die Zweifelsüberwindung wird für entscheidend gehalten: Rumpf (1912), S. 190 f.; Mezger (1918), S. 160; Döhring (1964), S. 466; HainmüHer (1966), S. 38; Krause (1966), S. 54. 85 Küper (1967), S. 296. 66 Brecht (1978 a), S. 536. 59 60

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

131

wissenschaft und juristische Erkenntnistätigkeit nicht so weit auseinanderliegen, wie ein Blick auf Furcht und Elend des Dritten Reiches zeigt, zu dem der Amtsrichter beiträgt: "Ich bin ja zu allem bereit, Herrgott, versteht mich doch ... Ich entscheide so, und ich entscheide so, wie man das verlangt, aber ich muß doch wissen, was man verlangt. Wenn man das nicht weiß, gibt es keine Justiz mehr."67 Die Maxime richterlicher Rechtsfindung heißt dann: "Aber ich bin ja gern bereit, alles in der allersorgfältigsten und gewissenhaftesten Weise zu prüfen, aber man muß mir doch sagen, welche Entscheidung im höheren Interesse liegt!"68 Brecht hat literarisch das angedeutet, was in der gesellschaftlichen Wirklichkeit allzu oft exekutiert wird. Die Wissenschaft ist auch nicht wegen ihres Erkenntnisgegenstandes oder ihrer exakten Methoden vor dieser Entwicklung gefeit: "Wenn Wissenschaftler, eingeschüchtert durch selbstsüchtige Machthaber, sich damit begnügen, Wissen um des Wissens willen anzuhäufen, kann die Wissenschaft zum Krüppel gemacht werden. "69 Im folgenden wird offensichtlich, daß solche Prosasplitter nur in die Oberfläche eines Problemfeldes dringen können, auf dem sich Sachverständige und Gerichte außerhalb der berühmt-berüchtigten Konvention mit ihren wissenschaftstheoretischen Ansprüchen und Zwängen gelegentlich fast unversöhnlich gegenüberstehen. 70 Moser bezeichnet es als günstig, daß sich zwei Disziplinen mit unterschiedlicher wissenschaftstheoretischer Orientier:ung in ihren Grundanschauungen über die Ziele und Funktionen ihrer Zusammenarbeit einander annähern, wenn sie miteinander auf einem so konfliktreichen Feld wie dem des Strafrechts und der Kriminalpolitik auskömmlich kooperieren wollen. Seine Kritik des Arbeitsbündnisses zwischen Juristen und Kriminalpsychiatern zeigt aber, daß es um mehr geht als .um eine gewisse Abstimmung zwischen zwei Begriffswelten, eine Erkenntnis, die Moser zu der Formel "Vom Pakt zum Komplott" geführt hat. 71 Vor einer Untersuchung möglicher ideologischer Verklammerungen muß zumindest die methodische Differenz per Wahrnehmungsweisen aufgezeigt und die Abhängigkeit von der Definition des Erkenntnisgegenstandes deutlich gemacht werden.

G7

G8 89

70

Brecht (1978 b), Brecht (1978 b), Brecht (1978 a), Bresser, NJW

S. 446. S. 447. S. 537. 1978, 1188, glaubt, daß eine Konvention die Verständi-

gung erleichtere. 71 Maser (1971), S. 31, 32, 117 ff. Kritisch auch Spazier (1982), S. 200. 9*

132

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

6.2.1.4. Empirie und Objektivitätsanspruch psychischer Befunde Bedauerlicherweise wird die Erkenntnisqualität psychiatrischer Gutachten oft im Zusammenhang mit sensationellen Verfahren diskutiert. Dadurch darf nicht in Vergessenheit geraten, daß Kritik in den alltäglichen Fällen auch nötig sein kann. Dort wird eine kritische Presse meistens nicht wirksam. Soweit die Beschäftigung mit Fällen von öffentlichem Interesse geeignet ist, grundlegende Einsichten zu vermitteln, mag aber ein Hinweis auf bestimmte Verfahren nützlich sein.

Im Prozeß gegen Peter Sutcliffe in London, wegen mehrfachen Mordes an weiblichen Prostituierten verurteilt, konnte keiner der drei Psychiater, die gehört und ins Kreuzverhör genommen wurden, ausschließen, daß sie der Angeklagte getäuscht hatte. Ihre Diagnose, die auf paranoid-halluzinatorische Schizophrenie lautete, stand und fiel damit, daß der Angeklagte tatsächlich eine Stimme gehört hat, die er für Gottes Stimme hielt. über die Ursachen schizophrener Krankheiten gehen die Meinungen auseinander. Nach einer Befragung unter schweizerischen Psychiatern im Jahre 197972 lagen sie für 16,1 010 der Befragten in hereditär verankerten biochemischen Anomalien des Zentralnervensystems; 12,1 G/o sahen die Ursachen in der Lebensgeschichte seit der Kindheit, also in individuellen psychogenetischen Faktoren sowie in deformierten Interaktions- und Kommunikationsmodi unter den Familienmitgliedern; 63,1 fJ/o waren außerstande, Prioritäten zu setzen, weil alle Faktoren eine Rolle spielten; 8,6 G/o schließlich meinten, man wisse überhaupt nichts Gewisses. Natürlich sind diese Angaben nicht repräsentativ für den Wissensstand der Psychiatrie allgemein und lassen keine statistisch signifikanten Aussagen über den Beweiswert psychiatrischer Gutachten in Strafprozessen zu. Die Unsicherheit im Wissen über die Schizophrenie muß auf die Skepsis und den Widerstand der Juristen stoßen, da die Stimme, die einer gehört haben will, außer seiner eigenen Aussage nichts beweist. 73 Zitiert nach Mauz, Der Spiegel 1981, Nr. 22, 139. Vgl. auch die Kritik von Szasz (1982), S. 83: "Die Definition der Schizophrenie ist so vage, daß in Wirklichkeit dieser Terminus auf fast jede Art von Verhalten angewandt wird, welches der, der ihn ausspricht, mißbilligt." Es handele sich nicht um einen deskriptiven, sondern um einen verfahrenstechnischen Begriff, der nicht erkläre, was denn dem Patienten fehlt. Er rechtfertige nur das, was der Psychiater mit dem Patienten macht (Szasz 1982, S. 86). Zum Schizophreniebegriff auch Wolff / Hartung, Kursbuch 1972, Nr. 28, 19: "Jeder Versuch einer systematischen Deskription oder Einteilung psychischer Erkrankungen hat nicht zur Klärung der wissenschaftlichen Methode, sondern nur zur beziehungslosen Mannigfaltigkeit verschiedener Schulen geführt. Auch die formellste Beschreibung und Benennung kann nicht die Realität des Kranken bannen." Cooper (1978), S. 135, 136, glaubt, das Etikett ,Schizophrenie werde in einer halb-geheimen, esoterischen Medizinersprache denen angeheftet, die sozial als verrückt gelten. Für ihn ist Verrücktheit eine Form von Wissen., eine andere Art der empirischen Erfor72

73

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

133

Das Verfahren gegen den Psychiater Dr. Fritz Gottfried Stockhausen 74 , der oft vor Gerichten Gutachten über den Geisteszustand An-

geklagter erstattete, hat gezeigt, daß psychiatrische Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen nur mit großen Schwierigkeiten nachgewiesen werden können. Mauz warf anläßlich dieses Prozesses die alte Frage auf, wer eigentlich die Psychiater psychiatrisiert und führte deren angeblich privilegierte Stellung unter den Medizinern auch darauf zurück, daß sie als sachverständige Gehilfen des Gerichlts alltäglich im Gerichtssaal eine Rolle spielten, deretwegen es die Gerichte für angezeigt hielten, sie ähnlich intensiv zu schützen wie sich selbst.75 Dieser Vorwurf macht eine kritische Musterung des Methodenarsenals jener Disziplin erforderlich. Auch ein nur oberflächlicher überblick über die Mechanismen fachspezifischer Erkenntnisgewinnung kann für die Beurteilung der Ergebnisse richterlicher Üherzeugungsbildung hilfreich sein. 6.2.1.4.1. Aussagekraft deskriptiv-phänomenologischer Darstellungen Göppinger glaubt, daß sich der Gutachter bei der deskriptiv-phänomenologischen Darstellung des psychischen Befundes einer Persönlichkeit auf dem Boden exakt nachweisbarer Tatsachen und fundierter Empirie bewege. Es handele sich um einwandfreie Tatsachenfeststellungen, die exakt beweis- und nachprüfbar seien. Mittels eines genetischen Verstehens erforsche der Gutachter weiter das seelische Querschnittsbild. Dies habe nichts mit Deuten zu tun, sondern besitze objektiven Erkenntniswert, zumindest solange der innere seelische Zusammenhang jederzeit evident sei. Mit der Technik des genetischen Verstehens werde vers.ucht, retrospektiv die Sinnzusammenhänge des psychischen Querschnittbildes zur Lebensgeschichte zu erschließen. Bleiben Verhaltensweisen dennoch psychologisch unverständlich, könne kausales Erklären weiterhelfen. Mit solch einem Methodenarsenal könnten objektive Erkenntnisse gewonnen werden. 78

schung der inneren und äußeren Welt'. Vgl. auch Kargt, Leviathan 1977, 313 und ptack (1974), S. 277. 74 Vgl. die Prozeßberichte von Mauz, Der Spiegel 1981, Nr. 10, 61 ff. 75 Mauz, Der Spiegel 1981, Nr. 21, 79. 78 Göppinger, NJW 1961, 241 ff. Zum Beweiswert naturwissenschaftlicher Methoden Sarstedt, BeitrgerMed 1969, 14 ff.; Ruß, NJW 1963, 385 ff. über das genetische Verstehen Würtenberger, NJW 1952, 249 ff. Die Objektivitätsansprüche Göppingers bilden einen reizvollen Kontrast zu der Einsicht von Bachmann (1982), S. 128: "Ja, was ist denn die Wahrheit über mich, über irgendeinen? Die ließe sich doch nur sagen über punktartige, allerkleinste Handlungsmomente, Gefühlsabschnitte, die allerkleinsten, über Tropfen um Tropfen aus dem Gedankenstrom. Dann ließe sich aber schon nicht mehr folgern, daß einer solch massive Eigenschaften hätte wie ,sparsam', ,gutmütig', ,feig', ,leichtsinnig'. All die tausend Tausendstelsekunden von Gefallen, Angst, Begierde, Abscheu, Ruhe, Erregung, die einer durchmacht,

134

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Dem stehen erhebliche Bedenken gegenüber. Göppinger selbst behauptet einerseits, daß den Untersuchungsergebnissen ein hoher Beweiswert zukomme. Der Weg, den der Untersucher geht, sei ohne Hilfskonstruktionen nachvollziehbar und stütze sich auf breite Empirie. Andererseits räumt er ein, daß metaphysische Fragen (Schuldfähigkeit) nicht empirisch gelöst werden und die Bejahung der Voraussetzungen des § 51 StGB a. F. bei krankheitsbedingten seelischen Auffälligkeiten durch den Psychiater nicht aufgrund eines positiven Wissens über die Schuldunfähigkeit erfolge, genaue Aussagen mit entsprechendem Beweiswert also nicht gemacht werden können. Methodisch sei es unmöglich, eine Angabe über das genaue Kräfteverhältnis jener abnormen Impulse zu den aktivierbaren Gegenstrebungen zur Zeit der Tat mit dem gleichen objektiven Aussagewert zu machen wie über die einzelnen seelischen Bereiche des Täters. Zum Teil führt Göppinger das auch darauf zurück, daß sich der Untersucher von der phänomenologischdeskriptiven Wiedergabe eines Befundes weg der verstehenden Methode zuwendet. Es entstehe die Gefahr eines Abgleitens in deutende Interpretationen. Göppinger wendet sich entschieden gegen die Analytiker, die ihre Aussage mit Hilfe von Deutungen und Interpretationen der Angaben der Analysanden nach einer vorausgesetzten Leitidee machen. Er behauptet, daß dem für Kritik und Erfahrung unangreifbaren konstruktiven Deuten ein objektiver Beweiswert nicht zukomme, da es sich nicht um einen empirisch geklärten psychologischen Sachverhalt handele, sondern um eine mit Hilfe von Deutungen zusammengefügte psychologische Konstruktion. Die Konsequenz ist perplex. Einerseits soll es Sache des Sachverständigen sein, eine so eingehende Darstellung der Persönlichkeitsstruktur, des psychischen Querschnittbildes des Delinquenten und der Sinnzusammenhänge, in denen die Tat steht, zu geben, damit sich das Gericht aufgrund dieser Befunde ein eigenes Urteil über die Schuldfähigkeit bilden kann, über die nun einmal eine exakte wissenschaftliche Aussage mit den dem Psychiater zur Verfügung stehenden Erkenntnismethoden nicht möglich sei. Gleichzeitig wird eingeräumt, daß der Psychiater keine exakte wissenschaftliche Aussage machen kann. Andererseits hält Göppinger es für die Sache des Gerichts, sich vom Sachverständigen dessen methodisches Vorgehen darlegen zu lassen, um daran feststellen zu können, ob der für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ausschlaggebende psychische Befund einen objektiven Beweiswert hat. Es mag sein, daß sich diesen Bemerkungen Hinweise für die Kompetenzworauf sollen die schließen lassen! Müssen sie schließen lassen? Auf eins doch nur: daß er von vielem gehabt und gelitten hat." Navratil (1978), S. 11, zeigt mit einer Auswahl von Begriffen, die zur Beschreibung schizophrener Psychosen verwendet werden, daß auch manche Psychiater belletristische Ambitionen haben müssen. Zur Objektivität Spazier (1982), S. 181.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

135

abgrenzung zwischen Gerichten und Sachverständigen entnehmen lassen. Geht man davon aus, daß die Feststellung der Schuldunfähigkeit ein richterlicher Bewertungsakt nach gesetzlich fixierten Maßstäben ist, so wird nicht deutlich, welchen Stellenwert die Untersuchungsergebnisse des Psychiaters haben und auf welche Weise sie Eingang in die richterliche Urteilsbildung finden sollen. Göppinger spricht zwar von einem hohen objektiven Beweiswert der Befunde. Er bezieht sich auf die angebliche Verläßlichkeit der Empirie und wendet sich gegen den Umweg mannigfacher Andeutungen. Wie in einem metaphysischen Zusammenhang empirische Methoden hinreichende Beurteilungskriterien liefern können, bleibt unklar. Dies ist um so bedenklicher, als sich Göppinger selbst gegen die Vorstellung mancher Nichtsachkundiger wendet, daß der Psychiater die Geisteskrankheit nur vom. Körperlichen her feststellt, ohne bei den körperlich begründbaren Psychosen weiter auf das Seelische zu achten. Daraus folgt, daß der methodenkritische Ansatz allein nicht weiterführt und die Hinweise auf die Metaphysik des Erkenntnisgegenstandes und die Kompetenzbereiche von Gerichten und Sachverständigen nicht ausreichen, um den jeweiligen wissenschaftlichen Anspruch der beteiligten Disziplinen zu begründen. 6.2.1.4.2. Realitätsgehalt psychiatrisch/psychologischer und/oder psychoanalytischer Erkenntnisse Psychiater können gezwungen sein, psychische Krankheiten zu postulieren. Zu dieser Situation kommt es, weil pathologische Befunde nicht immer mit empirischen Mitteln erhoben werden können. Psychopathologische Symptome lassen sich nicht alle auf somatische Ursachen zurückführen. Gelingt es nicht, einen körperlich begründbaren Zusammenhang aufzuzeigen, muß sich die Diagnose ganz besonders auf Interpretationen stützen, deren reale Anknüpfungspunkte nicht bestimmbar sind. Zweifellos werden auch empirisch ermittelte Ergebnisse interpretiert und systematis.ch eingeordnet. Schon bei der Bewertung und Klassifizierung objektivierbarer physischer Befunde zum Zweck einer psychopathologischen Bestandsaufnahme verdient der Vorschlag von Canetti Beachtung: "Die Psychiatrie von sich selbst erlösen: fünfhundert oder eintausend genaue Berichte ;und dazu kein Wort der Einteilung und Erklärung. "77 Für die in der forensischen Praxis besonders problematischen Fälle, in denen objektivierbare Beurteilungsgrundlagen nicht vorhanden sind, stellt sich um so dringender die Frage, mit welchen Mitteln die Psychiatrie ein realitätsgerechtes Abbild psychischer Strukturen erstellen und mitteilen kann. Eine Antwort ist besonders schwierig, weil Krankheiten den Interpretationen der Gesellschaft un77

Canetti (1976), S. 137.

136

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

terliegen und als solche anerkannt werden oder nicht. Auch der Erkenntnisanspruch der Psychiatrie muß unter dem Gesichtspunkt ,Realität' von dem Umstand betroffen sein, daß psychische Leiderfahrungen wegen der unterschiedlichen Ansichten in der Gesellschaft über seelische Abläufe nicht immer als Krankheiten behandelt werden. Psychiatrische Diagnosen beziehen sich zwangsläufig auf eine diffuse Verbindung von äußerer, gesellschaftlicher Realität und der inneren Wirklichkeit psychisch leidvoller Selbsterfahrung. Beide Realitätsebenen sind verschränkt: "Klrankheitsvorstellungen organisieren das Bild, das Subjekte von sich selbst haben, von den Vorgängen ihres Lebens und ihrer Seele zugleich. Nicht allein die äußere Welt wird von Deutungsmustern für ein Subjekt strukturiert, sondern die Subjekte selbst sind gleichermaßen Gegenstand der Weltdeutung. Im Deutungsmuster der Krankheit bringen sie sich und ihre inneren Vorgänge, körperlicher und seelischer Art, in einen Zusammenhang mit den allgemeinen Strukturen der Welt."78 Für die Psychologie bestehen ähnliche Probleme. An jedes Meßverfahren schließt sich eine Interpretation an. Die Aussagen über psychische Sachverhalte sind nicht deshalb realistisch, weil das Meßverfahren in sich exakt ist. Es gibt kein Element menschlicher Psyche, das sich nach quantifizierenden Kriterien im mathematischen Sinn beschreiben läßt. Intelligenzquotienten können die Komplexität psychischer Fähigkeiten nur verzerrt und unzulässig reduziert darstellen. Bei der Erkenntnis und Erklärung intellektuellen Vermögens geht es um mehr. Es mag sinnlos erscheinen, Aufschluß über das geistige und seelische Leben zu erwarten. Camus war der Ansicht: "Die Kluft zwischen der Gewißheit meiner Existenz und dem Inhalt, den ich dieser Gewißheit zu geben suche, ist nie zu überbrücken. Ich werde mir selbst immer fremd bleiben. In der Psychologie wie in der Logik gibt es Wahrheiten, aber keine Wahrheit."7. Aus vielen der psychischen Befunde, die anläßlich einer Untersuchung in der JVA Berlin-Tegel im Zusammenhang mit der Entscheidung des Rundesverfassungsgerichts zur lebenslangen Freiheitsstrafe 1977 erhoben wurden, ergab sich nach Rasch / Hinz, daß es sich bei den zu lebenslänglicher Haft Verurteilten um hoch abnorme gestörte Per78 Menne (1980), S. 80; sinngemäß auch Brede (1971), S. 153. Solche Perspektiven müssen auch Konsequenzen für die wissenschaftliche Begriffsbildung haben. Reimann (1973), S. 149, erkennt: "Die psychoanalytische Praxis ist kein archimedischer Punkt, von dem aus die Theoriebildung ungetrübt ansetzen könnte: Sie ist ein Moment des gesellschaftlichen Zirkels von Herrschaft und Integration des Ganzen; der Therapeut ist in den Zirkel der Selbststabilisierung des Systems eingeschlossen und wird fortschreitend in dieser Funktion eingeplant." Aus diesem Zusammenhang entwickelt sich die eigenartige Logik, die dem Sprechen über geistig-seelische Phänomene zugrundeliegt. Hierzu Körner (1970), S. 244 ff. und Kisker (1970), S. 44 ff.

70

Camus (1959), S. 22.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

137

sönlichkeiten handelte. Es sei nur eine Frage der Definition und des theoretischen Ansatzes, ob man solche Persönlichkeitsstörungen als Krankheit bezeichnen will oder nicht. Aufgrund einer Untersuchung von 42 Erstvernehmungsprotokollen nach Tötungsdelikten schöpften Rasch I Hinz den Verdacht, daß mit der übertragung des Tatgeschehens auf gesetzeskonfonne Sachverhalte eine Realität geschaffen wird, die mit der Erlebniswirklich:keit der Täter kaum noch etwas gemein hat. Nach der Erklärung der Sachverständigen mache das prozessuale Erfordernis, die abzuurteilenden Geschehnisse auf die Merkmale bestimmter gesetzlicher Vorschriften zu projizieren, die Einschaltung definitorischer Anstrengungen erforderlich. Implizit wird damit an die Juristen bzw. Ermittlungsbehörden der Vorwurf gerichtet, daß Subsumtion zur Verfonnung der Wirklichkeit führt und das Ergebnis dieses Prozesses nichts mit der psychischen Wahrheit der Probanden zu tun hat. Es ist zweifelhaft, ob dagegen der Einsatz des psychiatrischilpsychologischen Sachverstandes zu exakten :und realistischeren Ergebnissen führte. Jedenfalls ist der Erkenntniswert der Begriffe, mit denen charakterliche Eigenschaften identifiziert werden, nicht klar. Es werden emotionale Unreife, Fehlen eines festen Wertsystems, Neigung zu unkonventionellem und unkontrolliertem Verhalten, geringe Frustrationstoleranz, psychosomatische Beschwerden, innerliche Spannung und Ruhelosigkeit, depressives Stimmungsverhalten, dysphorische Verstimmungszustände, Versager- und Minderwertigkeitsgefühle diagnostiziert. Die Gefangenen seien Menschen, die leicht aus der Fassung geraten, die anderen gegenüber mißtrauisch sind, sich zurückziehen und dazu neigen, ihre Ängste paranoüsch in andere Menschen zu projizieren. Sie verfügten nicht über festliegende Verhaltensweisen, die sozial allgemein akzeptiert sind, sondern tendierten zu spontanen Handlungen, die von augenblicklichen Bedürfnissen bestimmt seien. Die Konsequenz der Sachverständigen erinnert an die Hygienevorstellungen eines Pontius Pilatus: "Ohne daß damit die Frage der Schuldfähigkeit im gesetzlichen Sinn berührt wird, muß gesehen werden, daß diese Menschen nicht gewissennaßen aus Boshaftigkeit Mängel in ihrer Sozialanpassung zeigen, ... "80

Es fällt schwer, darin Ergebnisse eines fachspezifischen Forschungsprozesses zu sehen. Derartige psychiatrisch/psychologische Kategorien können die psychische Wirklichkeit nur unvollkommen beschreiben. Die Grenze zwischen Empirie :und Wertung ist nicht erkennbar. Die notwendige Trennung zwischen Fakten und Interpretation ist nicht möglich. Mit solchen sprachlichen Leistungen müssen Psychiatrie und Psychologie ihre Erkenntnisansprüche diskreditieren, soweit sie sich 80

Rasch' Hinz, Krim 1980, 377.

138

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

auf venneintlich exakte Empirie stützen. Die Bedenken müssen zu der Frage führen, ob die Realität psychischer Prozesse und Zustände mit sprachlichen Mitteln überhaupt rekonstruierbar ist und ob hierzu ein bestimmtes wissenschaftstheoretisches Vorverständnis gegeben sein muß. Die Beantwortung hängt vor allem davon ab, ob psychische Phänomene real genannt werden können. Real ist, was es sicher gibt, also unbezweifelbar ist: "Realität hat eine von den handelnden Subjekten unabhängige Existenz, die an dem Widerstand erfahren wird, den sie Eingriffen entgegengesetzt ... "81 Psychische Strukturen haben diese Wirklich.keitsqualität nicht grundsätzlich. Es kann sein, daß das, was der Proband sagt und fühlt, nicht das ist, was er wirklich empfindet. Wie Menne erkennt, heißt jener Bereich der Welt, über den es keine Täuschung gibt, Realität. Das führt zum Thema der Psychoanalyse: Täuschung über sich und andere.82 Wir werden uns im folgenden vornehmlich mit der Qualität der Erkenntnisansprüche von Psychoanalyse im technischen Sinn beschäftigen. In Anbetracht der Selbsteinschätzung von Psychologie und Psychiatrie als naturwissenschaftliche Disziplinen ist das besonders reizvoll. Einerseits wird nämlich die Ansicht vertreten, daß die Psychoanalyse Henneneutik mit Leistungen verbinde, die genuin den Naturwissenschaften vorbehalten zu sein schienen.83 Andererseits soll psychoanalytisches Verstehen die Rekonstruktion eines höchst individuellen Sinns sein, der sich nur erschließe, wenn der Therapeut sich selbst zum Medium dieses Verstehens macht.84 Habermas begreift Psychoanalyse als eine besondere Form der Interpretation. Sie liefere theoretische Gesichtspunkte und technische Regeln für eine Deutung von symbolischen Zusammenhängen.8s Damit könnte ein Realitätsbezug hergestellt werden, obwohl dem psychoanalytischen Behandlungsverfahren wegen des radikalen Bruchs zwischen äußerer, sozialer Realität und innerer, psychischer Realität jede Objektivität bestritten wird. Menne weist zu Recht darauf hin, daß die Verbindung von Realität und Objektivität nicht selbstevident ist:

"Realität wird als solche definiert, indem aus den Möglichkeiten der Weltauffassung jene ausgewählt werden, die als real gelten sollen. Realität ist 81 81

Menne (1980), S. 77. Menne (1980), S. 77. Zum Verhältnis Psychoanalyse-Tiefenpsychologie

und deren Wissenschaftscharakter mit Blick auf zentrale strafrechtliche Kategorien Streng, ZStw 92 (1980), 637 ff. 83 Habermas (1979), S. 263; zu den naturwissenschaftlichen Komponenten Hartmann (1972), S. 29; nach Bally (1963), S. 275, ist für die Psychoanalyse bezeichnend, daß sie sich als naturwissenschaftlich fundierte Psychologie versteht. Vgl. auch Spazier (1982), S. 169, 176; Wulff (1977), S. 282. 84 Menne (1980), S. 78. 85 Habermas (1979), S. 263.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

139

keine Eigenschaft, die einem Objekt zukommt, sondern die Rede von ihr kennzeichnet die Gewißheit der überzeugung, daß etwas ist, wie wir meinen, daß es sei. "88 Richtig ist es daher, von der Realität eines Gegenstandes eine Ebene des Sinns zu .unterscheiden. Dort muß mit sprachlichen eine interpretative Wirklichkeit geschaffen werden. Nichts anderes versuchen Psychologie, Psychiatrie und Psychoanalyse gleichermaßen. Die Kritik an der Psychoanalyse muß daher auch Psychologie und Psychiatrie treffen, wenn sie empirisch-somatische Befunde außerhalb eines gesicherten Kriterienkatalogs interpretiert. Die Psychoanalyse hat im Rahmen unserer Untersuchung eine Stellvertreterfunktion. Die dort gewonnenen Einsichten gelten mutatis mutandis für die Einstufung von Psychiatrie und Psychologie. Die exemplarische Beschäftigung mit der Psychoanalyse kann sachdienliche Hinweise liefern, da die wissenschaftstheoretische Standortbestimmung ähnliche Argumentationsstrukturen aufweist. Psychoanalyse wird zum einen als Disziplin angesehen, die sich von Anbeginn im Element der Selbstreflexion bewegt und gleichwohl die Legitimation, im strengen Sinn wissenschaftlich zu verfahren, glaubwürdig in Anspruch genommen habe.s7 Zum anderen wird von der Tiefenpsychologie als psychoanalytischer Technik behauptet, daß sie aufgrund ihres Gegenstandes und ihrer Methodik keine beliebig abrufbaren objektivierten und zuverlässigen Daten liefern könne, wie man das von einer instrumentalistisch, die technische Verfügung über Naturvorgänge erstrebenden Naturwissenschaft erwarten dürfe.88 Es geht hier nicht um die Frage, ob die Annahme des Unbewußten wissenschaftlich notwendig und legitim ist. Vielmehr soll geprüft werden, ob es für die forensische Wahrheitsfindung nützlich oder gar unvermeidlich ist, auch für Psychiatrie und Psychologie die Kategorie des psychoanalytischen Verstehens einzusetzen, soweit es zur Ebene einer sinnvollen Realität strebt. Das erfordert eine Untersuchung darüber, ob mit der Aussage, daß Erkennen in der Psychoanalyse nie bloßes Beobachten, sondern wesentlich Verstehen ist, der Unterschied zu Psychiatrie und Psychologie hinreichend beschrieben ist.S9 Menne (1980), S. 78. Habermas (1979), S. 262. Zur Ideologiekritik Jervis (1979), S. 59 ff. 88 Haffke (1976), S. 26. 89 Haffke (1976), S. 23. Psychoanalytische Informationsstrategie ist für Abenhausen (1978), S. 94, 95: "Eine hermeneutische, auf die Interpretation 88 87

des Sinns sprachlicher Mitteilungen angelegte Disziplin, sie ist zugleich aber auch eine auf Wünsche bzw. Triebe bezogene Erklärung." Psychoanalytisch gelte es, die in der Privatheit subjektiver Sorgen abgewehrten sprachlosen Motive, die einen im Wiederholungszwang repräsentierten kausalen Zusammenhang zwischen diesen ursprünglich verdrängten Wünschen und den später zwanghaft wiederholten Reaktionen auslösen, in die öffentliche Kom-

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Für ein erkennendes Gericht mag die Beschäftigung mit Psychoanalyse eine Zumutung sein. Immerhin wird eine Eigen- oder Lehranalyse verlangt, damit man sich eine überzeugung von der Richtigkeit psychoanalytischer Methodik und Ergebnisse bilden kann. Haffke empfindet dies als sehr selbstbewußten, wenn nicht sogar überheblich klingenden Anspruch der Psychoanalyse, der die Kommunikation von vornherein zu blockieren drohe. Unvermeidbar ist die Frage, was das für eine Wissenschaft ist, die ihre Behauptungen nicht rational, für jedermann ohne weiteres einsichtig und nachprüfbar zu legitimieren weiß, sondern die Eigenerfahrung durch Analyse für notwendig hält. Auch Haffke hält es für geboten, die befremdlich und selbstherrlich anmutende These der Psychoanalyse, Tiefenpsychologie sei nur durch Eigenerfahrung erkennbar, wissensch.aftstheoretisch zu reflektieren. Für die Verständigung zwischen Richtern und Sachverständigen muß diese These ebenfalls gelten, wenn die Erkenntnistechniken von Psychologie, Psychiatrie und Psychoanalyse auch nur ansatzweise deckungsgleich sind. Der Beitrag psychiatrisch/psychologischer Sachverständiger kann für die forensische Wahrheitsfindung nur hilfreich sein, wenn ein affektfreier Dialog möglich ist. Das kann nur gelingen, wenn die Forderungen und Thesen der Psychoanalyse nicht als Illiberalität, Hochmut oder Arroganz mißverstanden, sondern als durch das Selbstverständnis dieser Wissenschaft bedingt begriffen werden. oo 6.2.1.4.2.1. Psychoanalyse und Faktenwahrheit Lorenzer sieht den Erkenntniswert der Psychoanalyse damit stehen und fallen, ob die Psychoanalyse es vermag, die Wahrheit der 6. Feuerbach-These91 in wahren Erkenntnissen über konkrete Persönlichkeitsstrukturen auszusagen. 92 Er erkennt, daß die Wahrheitsfrage auch das Schlüsselproblem der wissenschaftstheoretischen Beurteilung der Psychoanalyse ist. In der Tat verliert die Frage nach der wissenschaftslogischen Eigenart der psychoanalytischen Erkenntnisbildung alle akademische Blässe. Von der Beantwortung der Frage, ob die psychoanalytischen Erkenntnisse mehr als den Wert einer bloß relativen, auf interpersonalem Konsens beruhenden Wahrheit haben, werde, so meint Lorenzer, nicht nur Leben und Tod der Psychoanalyse als selbständige Wissenschaft abhängen, sondern auch entschieden, ob Psychoanalyse als eine gefährliche, ja eindeutig schädlich-ideologisierende Manipula-

munikation eines intersubjektiv geteilten Sinns zurückzuholen. Vgl. auch Goeppert (1973), S. 127, über Therapie als "talking eure"; Bräutigam (1978), S. 29 ff.; Dömer / Plog (1982), S. 13; Trüb (1971), S. 83 ff. eo Raffke (1976), S. 23. 91 Marx (1973), S. 6. 92 Lorenzer (1976), S. 7. Kritisch Zimmer, Die Zeit 1982, Nr. 45,17 ff.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

141

tionstechnik einzuschätzen ist. 13 Der Versuch Lorenzers, über den Konsenswert der Wahrheit hinauszugehen, resultiert aus seinem Bemühen, die Psychoanalyse als konkrete Persönlichkeitsanalyse im Rahmen einer historisch-materialistischen Gesellschaftstheorie zu entwickeln, ein hochinteressanter gedanklicher Ansatz, der hier höchstens am Rande Berücksichtigung finden kann. Für unseren thematischen Zusammenhang ist von Bedeutung, ob sich mit den Methoden, den Gegenständen und den Ergebnissen psychoanalytischer Praxis im Verhältnis zum normorientierten Erfahrungswissen ein spezifischer wissenschaftslogischer Geltungsanspr.uch begründen läßt. Daraus könnten sich Konsequenzen für den Verständigungsprozeß zwischen Gerichten und Sachverständigen und Kontrollmöglichkeiten der psychiatrischen Erkenntnisse im Rahmen der freien Beweiswürdigung ergeben.

Lorenzer problematisiert die Annahme der faktischen Richtigkeit psychoanalytischer Untersuchungsresultate. Er kommt zu dem Schluß, daß Aussagen in diesem Bereich in keiner Weise auf ihre Faktenwahrheit hin überprüft werden könnten. Kern des Untersuchungsgegenstandes seien Sprachfiguren des Patienten, die der Analytiker in einem logischen Verstehen aufnehmen müsse. Das Verstehen soll auf eine logische Evidenz gerichtet sein, die lediglich die Kommunikation innerhalb der gemeinsamen Sprache sichere. Für Lorenzer folgt daraus eine Erkenntnisabsicht des Analytikers, die vorweg der erklärungswissenschaftlichen Validität der Psychoanalyse den Boden unter den Füßen wegziehe. Angelpunkt sei die logische Konsistenz der Aussagen insgesamt, nicht Faktenwahrheit. Das psychoanalytische Verfahren begebe sich absichtlich objektiver Bestandssicherung und habe daher kein leitendes Erkenntnisinteresse an der Faktenregistrierung. Wollte man deshalb die Psychoanalyse als geisteswissenschaftliche Textinterpretation ansehen, so würde nach seinem Empfinden sofort eine Grenze erkennbar. Die geisteswissenschaftliche Erfassung eines Gedankengefüges weise systematische Strenge im Vervollständigen des Textes durch umfassende Sammlung des Materials und möglichst lückenloses Herstellen von Protokollen auf. Die psychoanalytische Textaufnahme soll nur durch eine zwanglos-nachlässige Sammlertätigkeit in der bloßen Erinnerung des Psychoanalytikers zustandekommen. Die Fährte des Analytikers weiche daher immer wieder ins psychologische Verstehen ab, demgegenüber aber dem logischen Verstehen der Vorrang gebühre. Gleichzeitig sei das logische Verstehen auf den Dienst für das psychologische Verstehen eingerichtet. Daher könne keiner der beiden Verstehensformen jene Unabhängigkeit oder exklusive Zuwendung des Unters.uchers zukommen, die für eine Datensammlung auf dem einen 93

Lorenzer (1976), S. 8. Dazu auch Peters, KrimJ 1972, 128; Wulff (1977),

S.282.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

oder anderen Gebiet (historiographische Erkundung und naturwissenschaftliche Beobachtung) nötig ist: "Die eigentümliche Verschränktheit beider Betrachtungsebenen widerlegt einmal mehr die Annahme, PSychoanalyse sei ins Schema der Beobachtungs- oder Geisteswissenschaften einzugliedern. "94 Für Lorenzer geht es darum, Momente einer Erlebnisfigur ohne Ansehen der Faktenwahrheit zu sammeln. Mehr noch als heim logischen Verstehen werde die bloß kommunikationstechnische Bedeutung der Evidenz psychologischen Verstehens greifbar. Aus der Verbindung psychoanalytischer Theoriebildung mit der Funktion der Psychoanalyse als praktisch-änderndem Verfahren folgt für ihn, daß psychologisches wie im Erkenntnisziel ihm eingeordnetes logisches Verstehen einer Erkenntnisabsicht zugeordnet sein muß, die von keinem der beiden Verfahren erfaßt werde. Diese beiden Verstehensprozesse müßten daher einem szenischen Verstehen untergeordnet werden, das aber auch von beiden abhängig sei. Damit schließt Lorenzer den hermeneutischen Zirkel: "Er (der Analytiker) deutet die Materialien der heiden anderen Verstehensarten erst im Verständnis der Szene."95 Psychoanalytische Einsichten werden also in mehreren Phasen gewonnen: -

eine Lebensgeschichte wird geschildert; die geschilderte Lebenssituation wird verstanden im szenischen Verstehen, wobei es darauf ankommt, die geschilderten Szenen in der lehensgeschichtlichen Bedeutung des Patienten zu erfassen; das psychoanalytische Vorgehen prozediert als hermeneutischer Prozeß."

-

6.2.1.4.2.2. Psychoanalyse und psychologischer Sprachgebrauch

Habermas ist der Auffass.ung, daß die Psychoanalyse niemals durch Technologien ersetzt werden könnte, die aus anderen, im strengen Sinn erfahrungswissenschaftlichen Theorien gewonnen sind. 97 In Anknüpfung an die analytische Grundregel, nach der die Bedingungen eines repressionsfreien Reservats formuliert werden, in dem für die Dauer der Kommunikation zwischen Arzt und Patient die Ernsthaftigkeit, also der Druck der gesellschaftlichen Sanktionen so glaubhaft als möglich außer Kraft gesetzt ist, zeigt er, daß die Grundkategorien, die begrifflichen Konstruktionen, die Annahmen über die funktionellen Zusammenhänge des seelischen Apparats und über die EntstehungsmechaLorenzer (1976), S. 109. Lorenzer (1976), S. 111. 98 Lorenzer (1976), S. 131. Vgl. dagegen die Einschätzung der Psychologie als Naturwissenschaft durch Freud (1963, 17), S. 143. 94

95

97

Habermas (1979), S. 302.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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nismen von Symptomen, also der metapsychologische Rahmen nicht nur unter bestimmten Bedingungen einer spezifisch geschützten Kommunikation entdeckt wurde, sondern unabhängig von ihnen gar nicht expliziert werden kann: "Die Bedingungen dieser Kommunikation sind mithin die Bedingungen der Möglichkeit der analytischen Erkenntnis für beide Partner, Arzt und Patient gleichermaßen. "98 Die Psychologie, die sich als strikte Erfahrungswissenschaft versteht, könne nicht an einem physikalistischen Sprachgebrauch festhalten, ohne ernstlich zu operationalisierbaren Annahmen zu führen. Habermas schreibt Freud die Ahnung zu, daß die konsequente Verwirklichung des Programms einer naturwissenschaftlichen oder auch nur streng verhaltenswissenschaftlichen Psychologie die Intention opfern müßte, der allein die Psychoanalyse ihre Existenz verdanke: "die Intention der Aufklärung, derzufolge aus Es Ich werden soll".99 Die Versuche, Aussagen über Grundannahmen zum pathologischen Zusammenhang VOfl Umgangssprache und Interaktion zu formulieren, führen zu einer Metapsychologie, die keine empirische Theorie sein kann, sondern eine Metahermeneutik ist, die möglicherweise die Bedingungen psychoanalytischer Erkenntnis klärt. Wenn die Metapsychologie die Logik der Deutung in der analytischen Gesprächssituation entfalten soll, muß sie sich einerseits auf der gleichen methodischen Ebene wie Natur- und Geisteswissenschaft bewegen. Andererseits kann es auf der Stufe der Selbstreflexion im Unterschied zur Logik der Natur- und Geisteswissenschaften keine Methodologie geben, die sich von materialen Inhalten ablöst. Die Struktur des Erkenntniszusammenhangs ist mit der des zu erkennenden Objekts eins: "Die Übertragungssituation als Bedingung möglicher Erkenntnis begreifen heißt zugleich: einen pathologischen Zusammenhang erfassen. "l~O In der Selbstreflexion soll die Methodologie der Naturwissenschaften den Zusammenhang zwischen Sprache und instrumentalem Handeln erfahren. In den Geisteswissenschaften gehe es um die Verbindung zwischen Sprache und Interaktion. Die Metapsychologie behandele den Zusammenhang zwischen Sprachdeformation und Verhaltenspathologie. Von hervorragender Bedeutung ist der Gesichtspunkt, daß dabei eine Theorie der Umgangssprache vorauszusetzen ist, die die sprachliche Vermittlung von Interaktionen klärt und Sprachspiele als Individualisierungsprozeß verstehbar macht. Nach einer solchen Theorie bestimmt die Sprachstruktur die Lebenspraxis, Handlungsmotive sind daher als sprachlich interpretierte Bedürfnisse zu begreifen und nicht als hinterrücks drängende Antriebe. Es liegen also subjektiv leitende, symbolisch Habermas (1979), S. 307. Zur Dialogfähigkeit Kisker (1970), S. 1l. Habermas (1979), S. 309. 100 Habermas (1979), S. 310. 98

gg

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

vennittelte und zugleich reziprok verschränkte Intentionen vor. 10l Der Zuverlässigkeitsgrad von Erkenntnissen über fremdpsychische Sachverhalte ber.uht, das hat Lorenzer überzeugend entwickelt, auf der Geschlossenheit eines logisch einwandfreien Sprachzusammenhangs, der dazu führen kann, daß sich ein Sinnzusammenhang als evident erweist. 102 6.2.1.4.2.3. Konsequenzen des henneneutischen Zirkels

Jaspers hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Evidenz eines verständlichen Zusammenhangs noch nicht beweist, daß dieser Zusammenhang in einem bestimmten Einzelfall auch wirklich ist.103 Das Verstehen einzelner wirklicher Vorgänge sei daher mehr oder weniger ein Deuten. Im wirklichen Einzelfall könne die Realität eines verständlichen Zusammenhangs nur in dem Maß behauptet werden, als objektive Daten vorhanden sind. Lorenzer hat die Konsequenz erkannt. Er empfindet sie als unerträgliche Alternative: "Entweder verzichtet die Psychoanalyse auf alle Sicherheit, um mit ihrer verstehenden Methode im Rahmen des Ratens und Deutens zu bleiben, oder aber sie nimmt ihr Verstehen als heuristischen Ansatz - mit der Nötigung, alles Erkundete konsequent zu validieren. "104 Es ist nicht einsich,tig, warum Lorenzer dies als unerträglich empfindet. Es geht doch nicht.um die Einführung einer Wertanarchie, in deren Wirkungskreis psychische Befunde angesiedelt werden sollen. Lorenzer räumt ein, daß bei naturwissenschaftlichen Protokollen ein paar Daten genügen. Zu einer Linie verbunden ennöglichen sie eine sichere Aussage. Bei einer psychoanalytischen Krankendarstellung hingegen müssen alle Phänomene in einen umfänglich ausgebreiteten Kontext gestellt werden. Die einzelnen Phänomene müssen als Moment eines umfassenden Gesamtzusammenhangs zum Sprechen gebracht werden. Das bedeutet, daß ihre individuellkonkrete Bedeutung in der Lebensgeschichte des Patienten zu bestimmen ist. Es handelt sich dabei um das Wechselverhältnis zwischen bedeutungsvollem Einzelnen und sinnvollem Ganzen, eben um nichts anderes als den henneneutischen Zirkel, in den die Psychoanalyse und Geisteswissenschaften gleichennaßen eigene henneneutische Trias geordnet wird. 1OG Die psychoanalytische Einheit von Verstehen und Begreifen kann gegenüber der experimentell-naturwissenschaftlichen Einheit von Beobachten .und Erklären kein Beweisverfahren anbieten. Sie ist weder in der Lage zu verifizieren noch zu falsifizieren. Allgemeine 101 10! 103 104 105

Habermas (1979), S. 311. Lorenzer (1973), S. 83, 84. Jaspers (1959), S. 250 ff. Lorenzer (1973), S. 79, 80. Lorenzer (1977), S. 111, 114 ff.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

145

Gesetzesaussagen können nicht gebildet werden, weil alle Aussagen nur Formulierungen der lebensgeschichtlichen Besonderheit ihres Gegenstandes sind. Dessenungeachtet wird Psychoanalyse als Naturwissenschaft angesehen, weil es um die wissenschaftliche Erfassung von Natur und Geschichte im Individuum gehe: "Psychoanalyse ist hermeneutisch verfahrende Naturwissenschaft und zugleich Sozialwissenschaft - ein Widerspruch, der sich nur im historischen Materialismus auflöst."l06 Trotz begrifflicher Unschärfen hat Lorenzer erkannt, worauf es ankommt, wenn Psychoanalyse die notwendige Verständigung auf die Höhe einer wissenschaftlichen Methode heben soll. Erforderlich ist zunächst das Akzeptieren gemeinsamer Sprachzeichen, die der Verstehende identifiziert. Weist diese Identifizierung Evidenz auf, wird damit der Kommunikationsfluß gesichert. Aber erst durch die Einigung auf gemeinsame Bedeutungen wird aus der bloßen Gemeinschaft von Sprachzeichen ein gemeinsames Sprachspiel, mit dem die privatsprachliehe und damit praktische Isolierung von Individuen aufgehoben werden soll, die bis dahin nicht in der Lage waren, sich zu verstehen. Anderenfalls können auch Richter und Sachverständiger mangels gemeinsamer Bedeutungszuweisung nicht miteinander kommunizieren. Daher lohnt ein Blick auf die sprachlichen Mittel, durch die psychische Befunde ausgedrückt werden. 6.2.1.4.2.4. Sprachanalytische Perspektiven Angesichts der nachfolgenden Beispiele von Conrad aus seinen Darlegungen zum Problem der nosologischen Einheit in der Psychiatrie l07 verdienen die überlegungen von Wittgenstein besondere Beachtung. Er hat deutlich gemacht, daß es nicht ausreicht, einseitig Benennungen zu verwenden. Man muß schon etwas wissen (oder können), um nach der Benennung fragen zu können. los Die Bandbreite sprachlicher Formulierungen, mit denen psychiatrische Befunde ausgedrückt werden, muß nachdenklich stimmen. Zur Beschreibung der psychischen Verfassung einer Frau mit Struma, die nach einer Entlobung verstimmt ist und sich angeblich in einem Beziehungswahn befindet, soll es folgende Variationen geben: Der Fall würde in Göttingen als beginnender schizophrener Schub diagnostiziert, während er in Tübingen mehrdimensional als sensitiver Beziehungswahn bei schizoider Konstitution und Basedowoid aufgefaßt würde, in Heidelberg als Untergrunddepression, in Berlin-Ost als effektvolle Paraphrenie im Sinne einer scharf definierbaren heredodegenerativen Einheit, in Zürich als endokrine Psy108

Lorenzer (1977), S. 124.

107

Conrad, Nervenarzt 1959, 488 ff. Vgl. auch Staak I Schewe, MedSach

108

Wittgenstein (1980 b), S. 33.

1971,64.

10 Hetzer

146

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

chose bei Schilddrüsenerkrankung, in Bonn als paranoid gefärbte endoreaktive Dysthymie, in Hamburg als zyklothome Depression mit paranoiden Wahneinlagen und in Frankfurt als Folge einer gestörten Daseinsordnung, das heißt eine Form des Scheiterns auf dem Lebensweg. Es fällt schwer, sich den Richter vorzustellen, der in diesem begrifflichen Flächenbombardement eine Beweiswürdigung treibt, deren Ergebnis einigermaßen plausibel erscheint. Wie ein Gericht etwa in die Diskussion über die Richtigkeit der jeweiligen Diagnose eintreten könnte, muß höchst rätselhaft sein. Nicht ganz abwegig ist es, die Verwirrung, die fälschlicherweise als eine Verwirrung bezüglich der Beschaffenheit eines Mediums gedeutet wird, als Verwirrung zu bezeichnen, deren Ursache in dem irreführenden Gebrauch unserer Sprache liegt. iOB Zu Recht weist Wittgenstein darauf hin, daß nur derjenige sinnvoll nach einer Benennung fragt, der schon etwas mit ihr anzufangen weiß. Zwischen Gericht und Sachverständigen käme ein reizvolles Verhältnis zustande, wenn seinem Vorschlag gefolgt würde: "Bestimm die Benennung selbst - und nun müßte der, der gefragt hat, für alles selber aufkommen."110 Tatsächlich ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen. Könnten die Ergebnisse der Philosophie wirklich die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und der Beulen sein, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenzen der Sprache geholt hat und wäre Philosophie ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache ll1 , die freie Beweiswürdigung müßte in dem oben geschilderten Fall zu einer philosophischen Übung am Hochreck geraten. Die dazu notwendige Beweglichkeit kann einem erkennenden Gericht nicht zugemutet werden. Auch Habermas erkennt und würdigt die Möglichkeiten der Sprachanalyse, die aus der Sprache, soweit sie der Kommunikation dient, heraustrete und in jene symbolische Schicht eindringe, in der die Subjekte sich mit der Sprache über sich täuschen und zugleich in ihr sich verraten. Die Analyse hefte sich daher an kausale Zusammenhänge. Sie entstehen, indem Sprache mit einem komplementären Zwang reagiert und sowohl Bewußtsein als auch kommunikatives Handeln der Gewalt einer zweiten Natur beugt, sobald sie durch Repression von öffentlicher Kommunikation ausgesperrt wird: "Die Endglieder sind für gewöhnlich traumatische Erfahrungen einer Kindheitsszene auf der einen, die unter Wiederholungszwang perpetuierten Wirklichkeits109

110 111

So richtig Wittgenstein (1980 c), S. 22. Wittgenstein (1980 b), S. 34. Wittgenstein (1980 b), S. 79, 81.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

147

verfälschungen und abnormen Verhaltensweisen auf der anderen Seite. "112 Wenn es richtig sein soll, daß analytische Einsichten für den Analytiker nur Geltung haben können, nachdem sie vom Analysierten selber als Erkenntnis akzeptiert worden sind, weil die empirische Triftigkeit allgemeiner Interpretationen nicht von kontrollierter Beobachtung und einer anschließenden Kommunikation unter Forschern abhängt, sondern allein von der vollzogenen Selbstreflexion und einer anschließenden Kommunikation zwischen dem Forscher und seinem Objekt, dann trifft es auch zu, daß geisteswissenschaftliche Interpretationen nur in einer dem Interpreten und seinem Gegenstand gemeinsamen Sprache möglich sind, zumal wenn sie die gestörte Intersubjektivität der Verständigung wiederherstellen sollen. Diese überlegung führt Habermas zu der Einsicht, daß die Psychoanalyse im Unterschied zu den strikten Erfahrungswissenschaften und allgemeinen Theorien keinen Anspruch auf kausale Erklärungen erheben kann, da sie nichrt in der Lage sei, ihn auf der Grundlage einer methodologisch klaren Trennung des Objektbereiches von der Ebene theoretischer Aussagen einzulösen. Das muß Konsequenzen haben für den Aufbau der Interpretationssprache, die Bedingungen empirischer überprüfung und die Logik der Erklärung. Interpretationen müssen umgangssprachlich formuliert werden. Historische Darstellungen erfolgen in narrativen Aussagen, die wiederum an Umgangssprache gebunden sind, weil nur die eigentümliche Reflexivität der Umgangssprache es ermögliche, in unvermeidlich allgemeinen Ausdrücken Individuelles mitzuteilen.

Habermas ist der überzeugung, daß der Gebrauch einer terminologisierten Umgangssprache nicht einen zufälligen Entwicklungsstand der Psychoanalyse kennzeichnet. Alle Versuche, der Metapsychologie eine strengere Form zu geben, seien gescheitert, weil die Bedingungen der Anwendung allgemeiner Interpretationen eine Formalisierung der Umgangssprache ausschlössen. Die dort verwendeten Terme dienten der Strukturierung von Erzählungen, die im analytischen Erzählschema zu einer Geschichte komplettiert würden. Dies geschehe dadurch, daß Individuennamen in anonyme Rollen eingesetzt werden und Interaktionsmuster zu gelebten Szenen vervollständigt werden, was zur Entwicklung einer neuen Sprache führe, in der die Sprache der allgemeinen Interpretation mit der des Patienten übereinstimme. lls Es ist klar, daß sich dieser Vorgang als übersetzung abspielen muß. Freud zweifelte nicht daran, daß die Triftigkeit psychologischer Annahmen auch auf Habermas (1979), S. 313. Insgesamt Habermas (1979), S. 318 - 323; vgl. auch Hannapel / Melenk (1979), S. 27 zu einem fraglosen Konsens und Engelkamp (1974), S. 57 ff. zur 112

113

Unterscheidung zwischen experimentellem und natürlichem Sprachgebrauch. 10·

148

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

den Ungebildeten Eindruck machen wird, wenn nach dem einfachsten und greifbarsten Ausdruck der theoretischen Lehren gesucht wird. la Das bedeutet, daß das übersetzungsproblem als solches explizit wird, wenn der soziale Sprachabstand wächst. Deswegen hängt es auch vom hermeneutischen Verständnis desjenigen ab, der das Material liefert, ob ein Element seiner Lebensgeschichte durch einen angebotenen theoretischen Ausdruck zureichend interpretiert wird: "Diese hermeneutische Anwendung bewegt sich notwendig im Rahmen umgangssprachilicher Kommunikation. "115 Es liegt nicht in der Reichweite strafprozessualer Regeln, einen Verhaltensrahmen zur Verfügung zu stellen, in dem sich die Dimension der Selbstreflexion entfaltet, innerhalb derer psychoanalytische Aussagen nur Sinn haben können. 116 Dagegen mag das psychoanalytische Gespräch in der Lage sein, diese Dimension aufzubauen, wenn es gelingt, die notwendigen Interpretationen nicht wie die philologische Auslegung von Texten oder wie allgemeine Theorien zu behandeln .und sie dort nicht nur den von außen herangetragenen Standards des funktionierenden Sprachspiels sowie der kontrollierten Beobachtung unterworfen werden. Aus der Verbindung des hermeneutischen Verstehens mit kausaler Erklärung ergibt sich schließlich: "Das Verstehen selber gewinnt explanatorische Kraft. "117 Die Hypothesen der Psychoanalyse gelten nicht für kausale Zusammenhänge beobachtbarer empirischer Ereignisse. Dies folgt noch nicht aus dem Gedanken von Habermas, daß uns sonst die wissenschaftlichen Informationen instand setzen würden, eine gegebene Lage manipulativ zu ändern. Psychoanalyse kann aber an der Stelle kausale Zusammenhänge erfassen, wo durch die Kausalität abgespaltener Symptome und unterdrückter Motive Sprache und Verhalten pathologisch verformt werden. 118 Festzuhalten bleibt: Das in der Psychoanalyse erforderliche explanatorische Verstehen hat mit der erfahrungswissenschaftlich formulierten Erklärung gemeinsam, daß sich heide auf kausale Aussagen stützen, die mit Hilfe von Zusatzbedingungen aus universellen Sätzen oder Gesetzeshypothesen gewonnen werden. Da der Gehalt theoretischer Sätze von einer operationalen Anwendung auf die Wirklichkeit unberührt bleibt, können Erklärungen auf kontextfreie Gesetze gestützt werden. Anders bei einer hermeneutischen Anwendung: Dort werden theoretische Sätze in die narrative Darstellung einer individuellen Geschichte 114 115 118

117 118

Freud (1963, 12), S. 193. Habermas (1979), S. 324. Habermas (1979), S. 331. Habermas (1979), S. 328. Habermas (1979), S. 330.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

l49

derart übersetzt, daß die kausale Aussage ohne diesen Kontext nicht zustandekommt. 119 6.2.1.4.2.5. Zwischenbilanz Bis dahin führen diese Vorüberlegungen zu folgenden Einsichten: -

-

-

-

-

Das Problem der menschlichen Schuldfähigkeit eröffnet als Nahtstelle zwischen Medizin und Recht nur teilweise das Tor der Naturwissenschaft in die Geisteswissenschaft. Empirische Methoden der Persönlicbkeitsbeurteilung führen im Bereich der Psychoanalyse nicht grundsätzlich zu objektivierbaren Befunden. Bewertungen sind notwendig, um zu Forschungsergebnissen zu kommen. Die Üherprüfungsmöglichkeiten der Faktenwahrheit psychoanalytischer Untersuchungsergebnisse sind begrenzt. Psychoanalyse kann nicht als erklärungswissenschaftliche Disziplin angesehen werden, wenn ihr Erkenntnisziel nur eine logische Evidenz zur Kommunikationssicherung innerhalb einer gemeinsamen Sprache ist. Die Verschränkung von psychologischem und logischem Verstehen in der Erkenntnisarbeit der Psychoanalytiker macht die einde.utige Zuordnung zur Geisteswissenschaft oder Naturwissenschaft unmöglich. Das Verständnis für fremdpsychische Sachverhalte erfordert eine Einigung über gemeinsame Sprachzeichen. Die Kommunikationsbedingungen sind Erkenntnisbedingungen. Ein logisch einwandfreier Sprachzusammenhang führt zu einem evidenten Sinnzusammenhang. Die geisteswissenschaftliche Methode juristischer Erkenntnis muß die gestörte Intersubjektivität der Verständigung durch eine Sprache herstellen, die dem Interpreten und seinem Erkenntnisobjekt gemeinsam ist. Die Darstellung psychischer Sachverhalte muß .umgangssprachlich erfolgen. Da psychoanalytische Erkenntnis auf der Grundlage hermeneutischen Verstehens erfolgt, kann der Anspruch auf kausale Erklärungen nur eingelöst werden, wenn die Prozedur der Aufklärung zum Teil schon selbst unmittelbar Verständnis schafft.

119

Hierzu weiter Habermas (1979), S. 332 ff.

150

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

6.2.1.5. Auswirkungen strafprozessualer Kommunikationsstrukturen für psychiatrisch/psychologische Erkenntnismöglichkeiten Die Schlußfolgerungen aus dem zwangsläufig unvollständigen Versuch einer wissenschaftstheoretischen Standortbestimmung psychoanalytischer Erkenntnisse gelten für das Verhältnis zwischen Richter und psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen in besonderem Maße. Die spezifischen Schwierigkeiten, die im Verhältnis Sachverständiger/Proband bestehen, werden dadurch potenziert, daß mit der Verwertung des Gutachtens im Prozeß eine weitere Übersetzungs- .und Verständnisleistung erbracht werden muß, die auf zusätzliche Sprachbarrieren stößt. Die prozessualen Regeln und die Förmlichkeiten des Verfahrens, welche für alle Beteiligten zu einer forensischen Befangenheit führen, sind nicht die kommunikativen Bedingungen, die beim Richter Verständnis für die Informationen des Sachverständigen bewirken können. Um so mehr kommt es bei den wissenschaftstheoretischen Eigenheiten und den erkenntnispraktischen Möglichkeiten psychiatrisch/psychologischer Begutachtung im Interesse der Wahrheitsfindung darauf an, zwischen Gericht und Sachverständigen eine Kooperation herzustellen, die beiden die Einsicht darin vermittelt, wo der Raum und die Grenzen psychiatrischer und psychologischer Erkenntnisempirie liegen und wo die normative Bewertungs- und Subsumtionsaufgabe des Richters einsetzt.

Haddenbrock bemerkt zutreffend, daß sich der Sachverständige kaum dem Ansinnen entziehen kann, mit dem Richter über die Kompetenzgrenze hinweg ein Gespräch darüber zu führen, nach welchen Kriterien und unter welchen Gesichtspunkten im konkreten Fall die Schuldfähigkeit eines Straftäters rechtsgleich, rechtssicher und kasuistisch befriedigend beurteilt werden kann.t 20 Richtig ist auch, daß dieses interfakultative Gespräch als normalverständlicher Dialog ablaufen muß. Es ist wünschenswert, daß eine Antwort auf die Frage nach der Schuldfähigkeit eines Straftäters durch die Subsumtion eines vom Sachverständigen näher erforschten und laienverständlich beschriebenen Sachverhaltes unter eine gesetzliche Norm gefunden wird, also durch einen richterlichen Wertungsakt. Fraglich ist allerdings, ob die Meinung von Haddenbrock angesichts der Besonderheiten psychoanalytischer Forschung, prozessualer Regeln und richterlicher Überzeugungsbildung realistisch ist, nach der die Kooperation zwischen Gericht .und Sachverständigen nur besser werden kann, wenn sich der Richter von dem Vor-Urteil, der Vor-Subsumtion frei macht und einen überzeugend analysierten und beschriebenen psychologischen bzw. psychopathologischen Sachyerhalt völlig selbständig und vielleicht abweichend vom 120

Zutreffend Haddenbrock, DRiZ 1974, 39, 40.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

151

laienrichterlichen Ermessensurteil des Sachverständigen unter die Gesetzesnorm s.ubsumiert. Wenn das Verstehen der vom Sachverständigen aufbereiteten Informationen selbst explanatorische Kraft gewinnt, könnte für eine selbständige Würdigung und rechtliche Subsumtion kein Raum mehr sein. Schon der kurze Blick auf den wissenschaftstheoretischen Hintergrund läßt Schlußfolgerungen auf die erkenntnispraktischen Kapazitäten der im Rahmen der Persönlichkeitsbeurteilung beteiligten Disziplinen zu. Aus der Beobachtung zahlreicher Prozesse unter Beteiligung von psychiatrischen Sachverständigen gewann Mauz den Eindruck, daß jeder Psychiater und Psychologe von den Strafgerichten mit größter Zurückhaltung betrachtet wird. Er beschreibt die angebliche Lage mit fast militärischen Ausdrücken. Konservative und fortschrittliche Lager stünden sich unerbittlich gegenüber. Schulstreitigkeiten würden ausgetragen wie das Marburger Religionsgespräch, und die J.uristen stießen auf der Suche nach einer Linie der übereinstimmung in Getümmel. Trotz der Fragwürdigkeiten, die unsere kurze Prüfung des wissenschaftlichen Anspr.uchs von Psychologie und Psychiatrie entdeckt hat, klingt die Schlußfolgerung von Mauz zu zynisch: "Für jedes Ergebnis läßt sich ein Sachverständiger finden. Man kann sich als Gericht, Staatsanwalt oder Verteidiger die Schuldfähigkeit genauso bestätigen lassen wie die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. "121 In der Tat liefern einige Verfahren Indizien dafür, daß man sich bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung auf einem Meer bewegt, das keine Ufer hat. Die empirische Basis der Feststellungen kann sehr schmal sein, gesicherte Erkenntnisse über die Genese psychisch.er Krankheiten liegen oft nicht vor. Die Arbeit der Psychiater ist nicht etwa deswegen besonders schwierig, weil das geltende Strafrecht nach den Maßstäben psychopathologischer und psychologischer Kritik vielleicht unbeholfen und primitiv ist. Kolle spricht von einem Janus-Antlitz, das dem Psychiater ständig gegenübertrete und ihn gefährde, da der Mensch ein ,Ich' sei, eine Person, die nicht nur als Naturprodukt, sondern auch als geschichtliches Wesen begriffen werden müsse, das seine Weisungen aus der Welt der geistigen Vergangenheit, der sozialen und politischen Gegenwart und seiner je einmaligen metaphysischen Bezogenheit empfange. Da es der Psychiater deshalb im Unterschied zu Naturwissenschaftlern und der somatischen Medizin nicht mit dem Menschen als Objekt zu tun habe, sei er versucht, Erfahrung .und Idee, Wissen und Glauben, Wissenschaft und Philosophie zu verwechseln und vermischen. Es ist fraglich, ob dieser Befund durch eine Formel aus gravitätischer Resignation und Allerweltsweisheit erträglich wird und zum Nutzen der Strafrechtspfiege in praktizierbare Handlungsanweisungen trans121

Mauz, Der Spiegel 1981, Nr. 25, 97.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

formiert werden kann. Kolle faßt seine überlegungen nämlich so zusammen: "Wissenschaft bedeutet zu wissen, was man weiß oder nicht weiß. Wissenschaft ist das Vermögen - an die Vernunft des Menschen geb.unden - zu erkennen, wo das Rationale aufhört und das Irrationale beginnt. Mit dieser Einsicht bekennt der Forscher, daß Mensch und Welt nicht nur rational begriffen werden können. An der Grenze steht der Glaube."I22 Von solch einem fast theologischen Wissenschaftsverständnis kann es dann nicht mehr weit sein bis zu der bitteren Selbsterkenntnis des Galilei: "Ich lehrte dich Wissenschaft und verneinte die Wahrheit."I23 Andererseits wird man sich angesichits der Möglichkeiten, die das Strafverfahren für die Wahrheitserforschung zur Verfügung stellt, dem Urteil von Jäger anschließen müssen, daß Wissenschaft im Gerichtssaal gewiß nicht betrieben wird. 124 Er glaubt dennoch, daß Rechtsnormen, Zwecksetzungen und Sachzwänge Wahrheitsfindung nur modifizieren. Das Ziel des Verfahrens, innerhalb b€grenzter Zeit relevante überzeugungen zu bilden, müsse zum Wahrheitsanspruch nicht in eine kontradiktorische Gegenposition geraten. 125 Solche Aussagen können kaum zur Klärung des Verhältnisses von Wissenschaft .und Wahrheit beitragen. Sie zeugen eher von einer Hoffnung des Autors, die sich vor dem Hintergrund der Verfahrenswirklichkeit nicht rechtfertigen läßt. Immerhin zeigen die Ausführungen, daß sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Gegensätze, im Gefüge der psychiatrisch/psychologischen und rechtswissenschaftlichen Disziplinen zu Verständigungsschwierigkeiten führen. l26 Wenn der Psychoanalyse vorgeworfen werden kann, daß sie dem Strafrecht nicht in den Grenzen ihrer empirischen Kompetenz, sondern als kritisch wertende Wissenschaft gegenübergetreten ist, in deren Streitschriften sich psychoanalytische Einsichten und Hypothesen, politisch-ideologische Werturteile und utopische Entwürfe untrennbar vermischenl27 , so trifft das auch die Psychologie .und Psychiatrie, deren Vertreter sich allerdings nicht immer zu kritischen Wertungen entschließen können. In der Psychiatrie und in der Psychologie ist es äußerst schwierig, die psychoanalytischen Theorieund EmpirieanteiIe zu enthüllen und von hinzutretenden normativen Elementen zu trennen. l28 Wie auch Jäger erkennt, ist ein hohes Maß an KoHe, NJW 1960, 2226. Brecht (1978 a), S. 535. 124 Jäger (1980 b), S. 178. 125 Jäger (1980 b), S. 178, 179. 128 Jäger (1980 a), S. 48, 49; Kaiser (1976), S. 207, nennt eine ganze Reihe von Hindernissen, welche die fachpsychologische Beratung des Strafrechtlers beeinträchtigen. 127 So Jäger (1980 a), S. 48. 128 Zur Unterscheidung zwischen empirischen und normativen Sozialwis122 123

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

153

Transfonnation metaempirischer überzeugungsbildung in rechtspolitische Postulate zu erkennen, die durch den Erkenntnisstand der Fachdisziplin nicht legitimiert werden.1 29 Gerade im Bereich der empirischen Absicherung von Erkenntnissen, dort wo der nervus re rum einer jeden sich naturwissenschaftlich gebärdenden Disziplinl30 liegt, müssen unterschiedliche Vorstellungen über Wahrscheinlichkeit, Sicherheit .und Wahrheit einer Aussage zu ganz beträchtlichen Verständigungsschwierigkeiten im strafrechtlicht-psychoanalytischen Dialog führen. lsl Es kann hier nicht näher untersucht werden, ob das Strafrecht als wissenschaftliches System und als gesellschaftliche Institution grundsätzlich die Psychoanalyse abwehrt, weil es seiner Funktion nach auf Dauer angelegt ist und ihm Wissens.chaften, die' empirisch wie theoretisch allzu sehr in Bewegung sind, als Partner einer Grundlagendiskussion inakzeptabel sind. l 3.l! Unbestreitbar ist, daß die Verweigerung eines interdisziplinären Gesprächs - grundsätzlich und im Einzelfall zum Gegeneinander ungesicherter empirischer Annahmen und zur Selbstsicherheit einer empirisch ungeprüften dogmatischen Begriffswelt führt. Die möglicherweise .unsichere Erkenntnis steht also dem Bekenntnis gegenüber. Eklektizistische Begründungsanleihen der Dogmatik bei Nachbarwissenschaften machen diesen Sachverhalt nicht hannloser, sondern verschleiern ihn nur. l33 Es ist gar keine Frage, daß erst im Wege wechselseitigen Verstehens der gegenseitigen Ausgangspunkte, der Fonnulierung genauer Fragestellungen und der Untersusenschaften Naucke (1972), S. 11 ff. Mit der Konfrontation von Strafrechtsdogmatik und Sozialwissenschaften beschäftigt sich Müller-Dietz (1971), S. 107 ff. 12D Jäger (1980 a), S. 48. 130 Nach Thomae / Feger (1962), S. 2, versucht die Psychologie als empirische Wissenschaft ,die Vielfalt ihrer Versuche, die Zielsetzung einer deskriptiven Erfassung mit denen einer naturwissenschaftlichen Erklärung zu verbinden. Müller-Luckmann (1976), S. 215, zufolge ist die Psychologie wegen des großen Bedürfnisses nach Kategorisierung von Fremdseelischem, nach überschaubarkeit psychischer Gegebenheiten eine Wissenschaft, die stark zur Popularisierung anreize, so daß stets die Gefahr der Banalisierung und Fehlinterpretation gegeben sei. 131 Jäger (1980 a), S. 48, 49, fordert eine Präzisierung tiefenpsychologischer Hypothesen. Durch die Trennung von Theorie und Praxis könnten die Auswirkungen psychoanalytischer Erkenntnisse auf das Strafrecht diskutiert werden. Haffke, GA 1978, 33, nimmt an, daß die Strafrechtsdogmatik für tiefenpsychologische Erkenntnisse über die psychosoziale Genese von Delinquenz schon ihrer normativen Vorgaben wegen weitaus weniger aufnahmebereit ist. Vgl. auch Streng, MSchrKrim 1976, 78, der sich mit der Grundsatzentscheidung in BGHSt 2, 194 ff. auseinandersetzt und die dort unterstellte Willensfreiheit als Phänomen ansieht, das sich von tiefenpsychologischer Seite nicht bestätigen lasse. Zu den Methoden psychoanalytischer Begutachtung für forensische Zwecke ausführlich Becker-Toussaint (1981), S. 36 ff. 132 So Jäger (1980 a), S. 50. 133 Sinngemäß auch Ostermeyer (1972), S. 61.

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chung empirischer Resultate, die auf diese Fragestellungen bezogen sind, eine sinnvolle Zusammenarbeit betrieben werden kann. 134 Sie muß unter den Bedingungen einer Hauptverhandlung zustandekommen. Sonst besteht die Gefahr, daß der wissenschaftliche Anspruch von Psychiatrie und Psychologie unbegründet erscheint. Auch die gerichtlichen Feststellungen zum psychischen Ensemble eines Straftäters können kaum einen rationalisierbaren Wahrheitsgehalt aufweisen, wenn die zur Kooperation notwendigen Verständigungsversuche unterbleiben. Die Perspektiven sind nicht ermutigend. Pauschale Erklärungen nützen da wenig. Die Vernehmung im Strafprozeß muß der Ermittlung eindeutiger und bewußter Motive dienen. Es müssen dort auch Widersprüche aufgespürt und wertende Schlüsse gezogen werden. Es mag sein, daß dadurch ein schroffer Widerspruch zur Untersuchungsmethodik der Psychoanalyse aufgebaut wird. Fraglich ist aber, ob strafprozessuale Ermittlungstechniken schon deshalb :unwahr und damit unzulässig sind. Dies läßt sich nur auf der Grundlage eines mißverständlichen und parteilichen Wissenschaftsbegriffs ohne Einschränkung bejahen. Deutlich wird das bei Vogt, nach dem die Psychoanalyse bei einem Rechtsbrecher mit dem Bemühen um Verständnis für die soziale und psychische Verfass.ung des Delinquenten reagiert. Sie dränge auf ein extensives Exkulpationsverfahren, da nach ihrer Auffassung auch in Fällen rein seelischer Schädigung der Delinquent als Kranker und nicht als Krimineller zu behandeln sei. 1S5 Es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß solche Dispositionen weder etwas mit Analyse noch mit Therapie, geschweige denn mit den Aufgaben eines Sachverständigen im Strafprozeß zu tun haben. Immerhin erkennt Vogt noch, daß in der Strafrechtswissenschaft Konsens über die Notwendigkeit der Kooperation von Norm- und Tatsachenwissenschaft besteht,1S6 Böllinger hingegen unterstellt der Strafrechtspraxis, sie habe sich hinter die angebliche Unverträglichkeit von Normativität und Empirie zurückgezogen oder sich selbst eine esoterische Pseudowissenschaft aus Alltagstheorien zurechtgebaut. Auch er muß aber einräumen, daß die Psychoanalyse pluralistisch kontrovers ist, sich gleichermaßen gegen den szientistischen Hypothesentest wie gegen die normative Eindeutigkeit des Justizsyllogismus sperrt und hinsichtlich ihrer Beweiskraft starken Angriffen ausgesetzt ist. 1s7 Die nur fragmentarischen Ausführungen haben bis jetzt schon deutlich gemacht, daß ein wissenschaftstheoretischer Vergleich der verschiem So Jäger (1980 a), S. 51; vgl. aber die Kritik von Alexander I Staub (1974), S. 248. 135 Vogt (1979), S. 14. 138 Vogt (1979), S. 15. 137 Böllinger (1979), S. 89, 97.

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denen Erkenntnistechniken keine exakte Aussage über die wissenGüte und den objektivierbaren Gehalt der Befunde beider Disziplinen zuläßt. Die Kritik von Jäger ist nach wie vor ~rechtigt. Die forensische Szene, der sich der Angeklagten gegenübersieht, ist nicht geeignet, der Wahrheitsfindung zu dienen. Die psychologisch vorhandene Parteistruktur, die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und die ritualisierte Kommunikation der Beteiligten sind mit der Aufdeckung und Diagnostizierung komplizierter psychischer Strukturen :und Prozesse nich,t vereinbar. Es ist unerheblich, daß bei dem Sachverständigen nicht die gleiche qualitative und quantitative forensische Befangenheit wie bei dem Angeklagten vorliegt. Soweit die psychologische Wahrheitsfindung immer noch archaisch ist, rechtfertigt dieser Umstand Überlegungen, die sich mit der Begrenzung der Öffentlichkeit und der Laiengerichtsbarkeit, der Funktion und der Form der Expertenbeteiligung und dem Gerichtszeremoniell ~schäftigen.1116 Gleichwohl kann nicht nachdrücklich genug ~tont werden, daß Psychologie und Psychiatrie, auch soweit sie sich mit empirischen Hilfsmitteln um die Aufklärung und Mitteilung fremdpsychischer Gegebenheiten bemühen, unter Bedingungen operieren, welche die praktische Verwertung im interdisziplinären Dialog sehr schwierig gestalten. Zum Teil ist das darauf zurückzuführen, daß gerade die empirischen Ansätze die Einsicht für die begrenzten Erkenntnismöglichkeiten jeder Form der Psychoanalyse erschweren. schaftlich~

Schneider hatte erkannt, daß die Rechtspflege keine voraussetzungslose empirische Wissenschaft ist und die Ford~rung an einen Menschen, sich bestimmte Handlungen zu versagen, nicht wissenschaftlich begründbar ist. Gleichzeitig war es für ihn als Psychiater ein peinliches, ja fast beschämendes Geständnis, daß ~i der Mehrzahl aller Patienten die den seelischen Abnormitäten zugrundeliegenden Krankheiten nicht bekannt sind, sondern nur postuliert werden. 1311 Aus der Überlegung, daß die Fragen nach der Einsichtsfähigkeit i. S. d. § 20 StGB und der Fähigkeit, danach zu handeln, tatsächlich nicht beantwortbar sind, folgt: "Wir bleiben bei den klinischen (psychopathologischen) Tatbeständen des ,oberen Stockwerks' stehen und nehmen, wenn sie da sind, stillschweigend an, daß die Fähigkeit der Einsicht oder die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, nicht vorlagen ... "140 138 Jäger (1980 a), S. 59, 60. Zum Öffentlichkeitsprinzip bei der Vernehmung psychologischer Sachverständiger BeUavic, KrimbioGegwfr 1962, 73; Herbst, NJW 1969, 548; Kühne, NJW 1971, 228. 13' Schneider (1956), S. 7; Lange, NJW 1980, 2733, spricht von einem wissenschaftlichen Skandal. Zu den strafrechtlichen Konsequenzen Waider, GA 1967, 193 ff. 140 Schneider (1956), S. 14.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

In dieser Haltung liegt eine der Hauptursachen für die Verständig.ungsschwierigkeiten zwischen Gericht und Sachverständigen. Der Wissenschaftscharakter psychoanalytischer Disziplinen zwingt jeden verantwortungsbewußten Richter, Grundlagen, Prozeß und Ergebnis der Erkenntnisbildung so zu explizieren, daß der hierzu notwendige Dialog für die richterliche überzeugungsbildung neue und verfahrensspezifische Erkenntnismöglichkeiten eröffnet. Daher ist es sinnlos, nur den Nach~is zu führen, daß Psychoanalyse im Erklärungs- und Kausalitätsdenken kein authentisches Heimatrecht besitzt. 141 Nicht beabsichtigt war ein Nachweis darüber, welche Positionen in der jüngeren psychiatrischen Diskussion wissenschaftstheoretisch überholt sind. Insbesondere kann der von QuenseZ entwickelte Ansatz nicht verfolgt werden, der das Verhältnis zwischen Psychiatrie und Kriminologie durch die forensische Optik bestimmt sieht und in der jüngeren Entwicklung der Kriminalsoziologie wie der Sozialpsychiatrie neue Möglichkeiten zur theoretischen und praktischen Zusammenarbeit erkennt. Dort wird die Straftat wie die psychische Störung als Versuch begriffen, ein gesellschaftlich mitbedingtes Problem mit ebenfalls gesellschaftlich vorgegebenen Mitteln auf eine Weise zu lösen, die langfristig die Lage der Betroffenen weiter verschlechtern kann. l42 Ob all eine aus dieser Sicht die Vermutung bestätigt werden kann, daß Psychiatrie und Kriminologie dazu neigen, die Alltagsdelinquenz .und Alltagspsychopathologie überzube~rten, die Abweichungen der Mächtigen dagegen zu übersehen, sowie den Begriff der zugrundeliegenden Normalität zu verkennen, ist fraglich. Das heißt nicht, daß eine kritische Analyse der Beziehungen zwischen Gericht und Sachverständigen sich auf das enge Methodenverständnis instr.umental-wissenschaftlicher Untersuchiungstechniken und theoretischer Ausgangspositionen fachwissenschaftlicher Art beschränken darf. Wie Maisch erkannte, muß auch der Rollen- und Funktionskontext umfaßt werden, in den der Sachverständige eingelagert ist. Es handelt sich zum einen um Justiz .und Gesellschaft und zum anderen 141 KaTgl, MSchrKrim 1976, 271, diagnostiziert sogar ein wissenschaftliches Anathema. Gleichwohl muß versucht werden, Reliabilität und Validität psychiatrischer Diagnosen zu bestimmen. Dazu ausführlich BüTgeT-Prinz (1973), S. 137 ff.; DÖTneT (1975), S. 141; Janzarik (1972), S. 638; Kenden (1968), S. 51; Langwieler, KrimJ 1977, 127; MaTch I Venzlaff (1969), S. 296 ff.; Pfäfflin (1978), S. 43; Vossen (1976), S. 14; WitteT (1972 a), S. 492. Zwangsläufig wird damit auch der Erklärungswert des Krankheitsbegriffs diskutiert. Vgl. nur Lange (1963), S. 7; Schneider (1950), S. 8 ff.; WitteT (1972 b), S. 986; ders. (1976), S. 724. Empirisch Leibundgut, SchwZfStR 1982, 159 ff. U! Quensel, MSchrKrim 1979, 194, glaubt, daß die Auseinandersetzung zwischen Wolfslast, MSchrKrim 1979, 194 ff., und BresseT, MSchrKrim 1979, 87 ff., wissenschaftshistorisch überholte Positionen auf beiden Seiten zeige. Für einen derartigen Nachweis eignen sich die Beiträge nicht. Die Ausführungen von BresseT zeigen lediglich, daß die Tendenz besteht, Ansätzen einer kritischen Bestandsaufnahme mit polemischen Rundumschlägen zu begegnen. Informativ dagegen Mauz, Der Spiegel 1982, Nr. 42, 125 ff.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

157

um Herkunft .und Basis der psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen, also die Beziehung von Helfenden und Hilfsbedürftigen. 143 Dieser Komplex aber kann nur am Rande berücksichtigt werden. Mit .unseren Voruberlegungen wird nicht der Zweck verfolgt, zu einer ähnlichen, fast apodiktischen Klassifikation zu kommen, wie Strasser sie entwickelt hat. Nach seinem Eindruck erzeugt die gerichtspsychiatrische Disziplin als Gehilfin und Dienerin des Strafrechts einen paradoxen Wissenstypus, der ein ambivalentes Gemisch aus empirisch aufweisbaren Tatsachenbehauptungen .und nach esoterischen Normen regulierten, ihrem Wesen nach bekenntnishaften Behauptungen über die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen repräsentiere. Es wäre ein äußerst unbefriedigender Z.ustand, wenn die Annahme StrasSers zutreffen würde: "Die Kriminalpsychiater sind häufig implizit Moralisten und Legitimatoren strafender Macht, die sich explizit eines Jargons bedienen, welcher gerade jenen Wissenschaften eignet, die .über die Autonomie der Person gar nicht mehr sprechen können."144 Gerade dieses Gespräch ist wegen des wissenschaftstheoretischen Bezugsrahmens, in den die beteiligten Disziplinen eingebunden sind, dringend erforderlich. 6.2.2. Schlußfolgerungen und Ergebnisse

Die folgenden Feststellungen zeigen, daß beide Disziplinen kraft ihres Erkenntnisgegenstandes, ihres Erkenntnisinteresses .und ihrer Wahrnehmungsteclmiken in einem wissenschaftstheoretischen Komplementärverhältnis stehen, in dem mit effizienten Verständigungsmitteln Defizite ausgeglichen werden können. Hierdurch wird der wissenschaftliche Anspruch von Psychologie und Psychiatrie nicht diskreditiert. Vielmehr soll erkennbar werden, in welch einem komplizierten Gebiet der Vorgang richterlicher überzeugungsbildung ablaufen muß, damit auch nur die Ahnung von Wahrheit entsteht: -

Für Psychiatrie und Psychologie als psychoanalytische Wissenschaften gelten dieselben wissenschaftstheoretischen Ordnungskriterien. Psychoanalyse kann im Sinne eines hermeneutischen Hilfsmittels als systematischer Oberbegriff verwendet werden.

-

Psychoanalyse ist eine hermeneutische Wissenschaft .und damit ein wertendes Erkenntnisinstrument.

-

Es besteht eine Resistenz gegenüber empirischer Validierung, welche die intersubjektiv überprüfbare logisch-methodologische Rekonstruktion ihres Forschungsprozesses erschJwert. 143 144

Maiseh, MSchrKrim 1973, 190.

Strass er, KritJ 1978, 10.

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

158

-

Psychoanalytische Verfahren können auch im Verbund mit empirischen Hilfsmitteln nicht den Anforderungen strenger Beweislogik genügen. Die spezifische Erschließ.ungsmethode ist die Interpretation, deren Ergebnisse keine Objektivität beanspruchen können. Als exegetische Wissenschaft kann Psychoanalyse keine kausalanalytischen Hypothesen bilden und diese sichern, sondern muß mit Verstehen und Deutung operieren. Die prognostizierende Sicherung der aufgestellten Hypothesen ist kaum erreichbar, wodurch die Gefahr durchgängiger Zirkularität der Argumente begründet ist. 145 6.2.3. Auswahl der Sachverständigen

Die praktische Bedeutung unserer theoretischen überlegungen zeigt sich schon bei der Frage, aus welcher Fachrichtung der Sachverständige kommen soll. Die Auswahlentscheidung des Richters ist notwendigerweise von einem Vorverständnis bestimmt, das tendenziell die F.unktion einer vorweggenommenen Beweiswürdigung haben kann. Aus der Entscheidung, einen Psychologen oder Psychiater beizuziehen, kann gefolgert werden, ob der Richter z. B. eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vermutet. Darüber hinaus könnte die Beiziehung eines Sachverständigen aus einer bestimmten Schule Rückschlüsse auf die richterliche Einschätzung des Falles zulassen. In längerer forensischer Praxis läßt sich bis zu einem gewissen Grade abschätzen, nach welchen Kriterien einzelne Sachverständige vorgehen. Damit wird dem Gericht vielleicht eine prognostische Beurteilung des Ergebnisses der Sachverständigentätigkeit möglich. Dieser Umstand muß keineswegs zu dem bösen Verdacht führen, daß die Auswahl des Sachverständigen nach dem vom Gericht gewünschten Ergebnis getroffen wird. Der Sachverständige wird deswegen auch nicht zwangsläufig in einem Bestätigungsritual mißbraucht. Die Auswahlentscheidung des Gerichts kann zeigen, daß der Prozeß der überzeugungsbildung in groben Strukturen schon vor dem Zeitpunkt begonnen hat, auf den sich § 261 StPO bezieht. Vom Inbegriff der Hauptverhandlung kann eben noch nicht die Rede sein. Deshalb muß auch schon die Auswahl des Sachverständigen aufmerksam betrachtet werden.

6.2.3.1. Verjahrenstaktische Aspekte Insbesondere wenn Zweifel an der Schuldfähigkeit eines mutmaßlichen Täters auftauchen, entsteht nach der Entscheidung, einen Sach145

In diesem Sinne Kargl, MSchrKrim 1976, 270 ff.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

159

verständigen mit der Begutachtung zu beauftragen, das Problem, welcher Sachverständige hinzugezogen werden soll. Das Gesetz überläßt die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimm.ung ihrer Anzahl gemäß § 73 StPO dem Richter. Die Auswahlbefugnis besteht in den Grenzen des § 73 11 StPO. Sind also für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, sollen andere Personen nur gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern. Das Gesetz schweigt sich über die fachlichen Voraussetzungen des Sachrverständigen aus. Das kann dann problematisch sein, wenn es um psychiatrische Fragen geht. Da öffentlich bestellte Sachverständige wie Amtsärzte oder Gerichtsärzte in der Regel keine psychiatrische Ausbildung haben, kann der fachliche Ausweis ein besonderer Umstand i. S. d. § 73 11 StPO sein. Lediglich § 75 StPO gibt gewisse Hinweise. Danach hat der Sachverständige seiner Ernennung Folge zu leisten, wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb ausübt oder wenn er zu ihrer Ausübung öffentlich bestellt oder ermächtigt ist. Für die Psychiatrie ist diese Vorschrift erfüllt, wenn eine Anerkennung als Facharzt für Psychiatrie vorliegt. In der Tat wäre es unverständlich, wenn in einem Wissenschaftsgebiet, in dem es eine öffentlich-rechtliche überprüfung der Voraussetzung .und eine öffentliche Ermächtigung zur Führung des Fachtitels gibt, jemand als Sachverständiger tätig werden könnte, der nicht einmal das Recht hat, diesen Fachtitel zu führen. l46 Vor Erhebung der Anklage obliegt die Auswahl dem nach § 162 StPO zuständigen Amtsgericht. Danach ist das erkennende Gericht zuständig. Die Praxis ist nicht von § 73 StPO geprägt. 147 Nach dem Eindruck von Sarstedt ist es die Ausnahme, daß einmal der Richter einen Sachverständigen auswählt. Das ist besonders deshalb bedauerlich, weil mit der Auswahl durch einen Richter der rechtsstaatliche Vorteil einer vorherigen Anhörung des Beschuldigten verbunden ist. l48 Häufig wird ein Sachverständiger schon vor der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft bestellt, also auch ausgewählt. Der Sachverständige ist gemäß § 161 a I 1 StPO sogar verpflichtet, auf Ladung der Staatsanwaltschaft sein Gutachten zu erstatten. 149 Wetterich bestätigt, daß ein

Göppinger (1972), S. 1534. Das liegt daran, wie Kühne (1982), S. 298, Rdn 509, richtig bemerkt, daß § 73 Stpo auf das gerichtliche Verfahren beschränkt verstanden wird. 148 Sarstedt (1977), S. 175. Zu den Auswahl und Leitungsbefugnissen auch Walter (1978), S. 113 ff. 149 Zutreffend weist Krauß (1973), ZStW 85, 324 f., 331 f., darauf hin, daß die Bestellung des Sachverständigen durch den Staatsanwalt sehr bedenklich ist, da sie gegen die Intention des § 73 Stpo verstößt. Kühne (1982), S. 298 f., Rdn 509, gibt zu bedenken, daß diese Vorschrift die Neutralität des 146

147

160

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

psychiatrischer Sachverständiger in aller Regel schon im Ennittlungsverfahren durch den Staatsanwalt ausgewählt wird, obschon das nach § 73 StPO Sache des Richters ist. Dies hänge nicht nur mit § 81 StPO zusammen. Vielmehr gehöre zur wohlfundierten Vorbereitung einer Anklage oder eines Antrags im Sicherungsverfahren die Klärung der Schuldfähigkeitsfrage oder des Problems der Unterbringungsreife. l °O Darin erschöpft sich die Bedeutung der Sachverständigenauswahl jedoch nicht. Wie Lürken hervorhebt, erstreckt sich die besondere Bedeutung der Auswahl des Sachverständigen auf seine Unabhängigkeit, seine Unbefangenheit und seine Qualifikation. l5l Die wahre Crux mit den psychiatrischen Sachverständigen liegt nicht nur darin, daß die biologischen Voraussetzungen der Schuldunfähigkeit so ungenau beschrieben sind, daß in ihre Begutachtung zwangsläufig viel vom Persönlichsten des Gutachters einftießt. l52 Schon die praktischen Formen und Bedingungen der Sachverständigenauswahl gehören dazu. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß die Weichen für das Hauptverfahren im Vorverfahren gestellt werden. Im Vorverfahren wird der von der Ermittlungsbehörde ausgewählte Sachverständige durch diese informiert und geleitet. Ihr wird das Gutachten erstattet. Der Staatsanwalt erhebt die öffentliche Klage und benennt "seinen" Sachverständigen als Beweismittel. Obschon keine entsprechende Verpflichtung des Gerichts besteht, wird dieser regelmäßig vom Gericht auch als Sachverständiger für das Hauptverfahren bestellt. l53 Der Pragmatismus von Karpinski findet keine Stütze in der Verfahrenswirklichkeit. Er glaubt, daß für eine Unterscheidung zwischen den Saclwerständigen einer Staatsanwaltschaft, des Gerichts und der Verteidigung kein Raum sei. Sie verdunkele den Sachverhalt und werde dem Sachverständigen nicht gerecht, weil sie die Vorstellung nähre, als seien Saclwerständige grundsätzlich nicht objektiv. Die wahren Schwierigkeiten lägen nicht darin, daß die Gutachter oftmals überfordert würden, d. h. ihre Wissenschaft auf die gestellten Fragen keine eindeutigen Sachverständigen garantieren sollte, da schon bei der Schaffung der Stpo bekannt war, daß wegen der Methoden- und Meinungsneutralität in der Wissenschaft die Auswahl eines Sachverständigen bereits in gewissem Umfang eine Vorwegnahme des gutachterlichen Ergebnisses implizieren kann. 150 Wetterich, KrimGegwfr 1976,104 f. 151 Lürken, NJW 1968, 1161. 152 Sarstedt (1977), S. 175, 176. 153 Diese Verfahrensweise entspricht nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers, der in § 78 Stpo bestimmte, daß der Richter die Tätigkeit des Sachverständigen leitet. Genau das wird unmöglich gemacht, wenn das Gutachten bereits vor oder bei Anklageerhebung erstellt ist. Der zwischen § 161a und §§ 73, 78 Stpo bestehende Widerspruch bleibt im Gesetz ungelöst; vgl. Kühne (1982), S. 299, Rdn 509.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

161

Antworten geben könnte. 154 Das ist zweifellos ein richtiger Gedanke. Karpinski weicht damit aber der logisch vorrangigen Frage nach den Konseq.uenzen aus, die sich aus der mangelnden praktischen Beachtung des § 73 I StpO ergeben. Tatsächilich ist es so, daß sich Sachverständige oft gegen eine unmittelbare Ladung der Verteidigung sträuben, während man sich: nach der sehr umfangreichen Erfahrung von Sarstedt kaum gegen die Bestellung durch die Staatsanwaltschaft vor der Anklageerhehung zur Wehr setzt. Die Erklärung liegt fast auf der Hand. Es wird der Schein der Befangenheit befürchtet, wenn man als Sachverständiger der Verteidigung auftritt. Sarstedt sieht dafür einen berechtigten Kern: Das Gutachten des Sachverständigen, der von der Staatsanwaltschaft beauftragt wurde, gelangt in jedem Fall zur Kenntnis des Gerichts, sei es "positiv" oder "negativ" ausgefallen. Der Verteidiger muß sich vor einer eventuellen eigenen Beauftragung Gedanken darüber machen, wie das Gutachten voraussichtlich ausfällt. Gutachter, von denen er kein günstiges Votum - was immer das im Einzelfall bedeuten mag - erwarten kann, wird er nicht beauftragen. Es liegt daher die Vennutung nahe, daß der von der Verteidigung bestimmte Gutachter befangen ausgewählt wurde und vielleicht nur einer von mehreren ist, bei dem sie sich um eine vorteilhafte Stellungnahme bemühte. 15s Hier soll nicht überprüft werden, ob der Eindruck von Wetterich repräsentativ ist, der noch nicht erlebt hat, daß ein Gutachtensauftrag durch die Polizei erteilt wird. l56 Die Frage, ob ein bereits im Ermittlungsverfahren tätiger polizeilicher Sachverständiger grundsätzlich gemäß §§ 22 Nr. 4, 23 I und 74 I StpO in der Hauptverhandlung ausnahmslos und ohne Berücksichtigung des Einzelfalls als befangen gelten sollte oder dies, wie Krause meint, weder aus dem Gesetz zwingend geboten noch kriminalpolitisch stets überzeugend ist, kann hier auch nicht diskutiert werden. lo7 Einige kurze Bemerkungen sind aber zu den Wirkungen angebracht, die mit der praktisch häufigen Situation verbunden sind: Auswahl .und Bestellung des Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft. Angeklagter und Verteidiger werden in diesem Fall vorher nicht konsultiert. Bei der Auswahl durch den Richter hingegen muß beiden Seiten - dem Angeklagten nebst Verteidiger .und der Staatsanwaltschaft - rechtliches Gehör gewährt werden. Die Verteidigung wird in die Defensive gedrängt und kann Karpinski, NJW 1968, 1173. Sarstedt (1977), S. 175. An anderer Stelle nahm Sarstedt an, daß es sich nicht um ein Problem der Befangenheit handelt, sondern um das allgemeine Problem des gehörigen Verfahrens, also der prozessualen Fairneß (NJW 1968, 1161). 158 Wetterich, KrimGegwfr 1976, 104 f. 157 Krause (1972), S. 556. 154

115

11 Hetzer

162

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

sich des Sachverständigen der Staatsanwaltschaft nur dadurch entledigen, daß sie die Voraussetzungen des § 74 StPO glaubhaft macht. Eine nachteilige Bewertung ist kein Ablehnungsgr.und, auch wenn der Nachweis erbracht werden sollte, daß ein anderer Sachverständiger zu einem anderen Ergebnis kommt. Zutreffend bemerkt Lürken, daß aus § 74 StPO nicht geschlossen werden kann, dem Angeklagten geschehe kein Unrecht, solange er nicht begründete Bedenken gegen die Unparteilichkeit des von der Staatsanwaltschaft zugezogenen und dann vom Gericht bestellten Sachverständigen geltend machen könne. Das ist ein Scheinargument. Tatsächlich bestehen innere Abhängigkeiten, auch wenn diese als Befangenheit konkret nicht erfaßbar .und nachweisbar sind. Entscheidend ist, daß der im Ermittlungsverfahren tätige Sachverständige Auftragnehmer der Staatsanwaltschaft ist. Damit ist die Gefahr eines - wenn auch unbewußten - Hangs begründet, an einer einmal gefaßten Meinung festzuhalten und sie gegen alle Einwendungen z.u verteidigen. Der Angeklagte und der Verteidiger werden das Gefühl mangelnder Unabhängigkeit des von der Staatsanwaltschaft bestell ten Sachverständigen nie los werden. Das ist keineswegs unvernünftig, sondern verständlich. 15s Wetterich behauptet zwar, daß. sich praktische Schwierigkeiten aus einer Beauftragung durch die Staatsanwaltschaft in der Regel nicht ergeben. Die Besorgnis der Voreingenommenheit hält er für völlig unbegründet, den Vorteil daraus, daß der Sachverständige früh beauftragt wird, für .unverkennbar. lsD Diese Haltung wird aber nur vor dem Hintergrund eines auf die Zwecke der Strafverfolgung getrimmten Verständnisses erklärbar, die zu einer effektivitätsorientierten Justizmechanik degenerieren kann. WetteTich befürchtet praktische Schwierigkeiten wegen der Zuziehung eines weiteren Sachverständigen durch die Verteidigung. Offenbar sorgt er sich vor eventuellen Störungen der justiziellen Abfertigungsmechanismen. Dem liegt vermutlich eine Verwechslung oder Gleichsetzung von Funktionsfähigkeit und Qualität zugrunde. Es ist nicht zu verkennen, daß mit dem Wunsch des Verteidigers, Einfluß auf die Auswahl des jeweiligen Sachverständigen zu nehmen, auch Probleme verbunden sind. Wird nämlich durch den Richter ein Sachverständiger ausgewählt, der bei der Verteidigung eine persona grata ist, dann ist dieses Gutachten schwerer anzugreifen, als wenn es von einem Sachverständigen der Anklage stammt. Deshalb gibt es auch Anwälte, die keinen Wert darauf legen, bei der Auswahl des Sachverständigen mitzuwirken. Für Sarstedt ist die angelsächsische Sitte, dem von der Anklage einseitig ausgesuchten Sachverständigen einen vom Verteidiger bestellten entgegentreten zu lassen, keine Lösung. Der 158 159

Lürken, NJW 1968, 1162. Wetterich, KrimGegwfr 1976, S. 105.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

163

Grund hierfür soll darin liegen, daß die angesehensten Gutachter leichter dem Staatsanwalt zur Verfügung stehen, weil er zeitlich fast immer die erste Wahl hat und die Sachverständigen es ihrem Ansehen förderlicher finden, dem Staat als dem einzelnen zu dienen. Sarstedt räumt ein, daß man diese Einschätzung als Vorurteil bezeichnen kann. Er fürchtet nach seinen Begegnungen mit einer ganzen Reihe sehr bekannter Psychiater, daß man es aber in absehbarer Zeit nicht überwinden wird. l60 Das sind traurige Aussichten. Soweit es individualpsychologisch noch selbstverständlich sein mag, daß ein Sachverständiger, gleichgültig, von wem er bestellt wurde, von einem im Ermittlungsverfahren erstatteten Gutachten in der Öffentlichkeit des Hauptverfahrens ungern abrückt, so unerträglich ist die Duldung gesellschaftlich-justizieller Befangenheit und mangelnder persönlicher Souveränität des Sachverständigen. Solche Umstände müssen sich auf den Inhalt der Gutachten und zu Lasten der Angeklagten auswirken. Es geht dabei überhaupt nicht um irgendwelche erkenntnistheoretischen Probleme. Vielmehr gilt es, im Bereich der Sachverständigenauswahl verfahrensrechtliche Regeln zu entwickeln, die auch einen rechtsstaatlich erträglichen Umgang mit der knappen Ressource der Zivilcourage ermöglichen. Ganz offensichtlich schützt auch hervorragende fachliche Qualifikation die Sachverständigen nicht vor dem Ungeist eines Prestigestrebens, das sich unweigerlich zum Nachteil derjenigen auswirken muß, die sozial meist schon deklassiert sind. Unter diesem Blickwinkel erscheint die These von Moser, nach der die Arbeitsteilung zwischen Strafjuristen und Psychiatern ein Pakt zur wechselseitigen Gewissensberuhigung ist, bei dem allerdings die Kriminalpsychiatrie mehr profitiere, weil sie in der Regel die Verantwortung auf den Juristen abwälze, in einem besonders grellen Licht. 181 Die Kombination zwischen fachlicher und intellektueller Kompetenz und dem Untertanengeist, der seine schwindsüchtige Existenz der Nahrung mit öffentlichem Ansehen verdankt, ist angesichts der Verantwortung der Sachverständigen im Rahmen einer der Wahrheit, Gleichheit und Gerechtigkeit verpflichteten Rechtsordnung extrem schädlich. So wird nicht nur § 73 StPO rechtspraktisch belanglos. Auch der Glaube an die Möglichkeit der Wahrheitsfindung mittels unparteiischer Anwendung qualifizierten Wissens wird zur Illusion. Um so bedenkenswerter müssen die Vorschläge sein, die Lürken auf der Grundlage der geltenden Gesetze für die Gestaltung der Auswahlpraxis gemacht hat. Das nachfolgend skizzierte Vorgehen könnte zu 180

181

11*

Sarstedt (1977), S. 176. Maser (1971), S. 54.

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

164

dem rechtsstaatlich gebotenen Interessenausgleich zwischen Beschuldigtem, Staatsanwaltschaft und Gericht führen. 1t12 -

Halten Staatsanwalt und Verteidiger die Zuziehung eines Sachverständigen für erforderlich, so sollten sie eine Verständigung über die Person des auszuwählenden Gutachters suchen.

-

Kommt eine Einigung nicht zustande, sollte regelmäßig die Entscheidung des zuständigen Richters mich § 73 StPO herbeigeführt werden.

-

Wurde im Ermittlungsverfahren ein Sachverständiger einseitig durch die Staatsanwaltschaft zugezogen, weil der Beschuldigte :unbekannt oder noch kein Verteidiger bestellt war, sollten die oben genannten Maßnahmen unverzüglich nachgeholt werden, sobald sich ein Verteidiger meldet oder beigeordnet wird.

-

Kommt es bis zur Anklageerhebung nicht zu einer Verständigung oder gerichtlichen Bestellung des Sachverständigen, sollte der Richter zunächst den in der Anklage benannten Sachverständigen als "Beweismittel der Staatsanwaltschaft" ansehen und vor dessen - richterlicher - Bestellung den Angeschuldigten hören. Ein besonderer Hinweis nach § 201 StPO ist notwendig.

-

Der Richter sollte den Sachverständigen nicht bestellen, wenn der Angeschuldigte begründete Bedenken vorträgt oder einem eventuell gestellten Antrag auf Bestellung eines "Gegengutachters" entsprechen. Der Richter sollte eine Entscheidung gemäß § 73 StPO auch im Ermittlungsverfahren treffen, wenn der Sachverständige sich weigert, einem Auftrag des Staatsanwaltes oder des Verteidigers zu entsprechen, da eine Gutachterpflicht nur für den Fall der Ladung zur Hauptverhandlung durch den Staatsanwalt (§§ 222 I, 214 111 StPO) oder den Angeklagten bzw. Verteidiger besteht (§ 220 11 StPO). Auch in diesen Fällen sollte vor der Bestellung dem Prozeßgegner rechtliches Gehör gewährt werden.

-

6.2.3.2. Kompetenzstreit zwischen Psychiatern und Psychologen 6.2.3.2.1. Argumentative Grundmuster Unabhängig von der Frage, wer de facto die Auswahl des Sachverständigen trifft, ist bei Zweifeln über die Schuldfähigkeit eines vermeintlichen Täters ein grundsätzlicher Konflikt zu entscheiden, der in den Zuständigkeitsansprüchen von Psychiatrie und Psychologie bei Persönlichkeitsbeurteilungen begründet ist. In der nach wie vor grund182

Vgl. insgesamt Lürken, NJW 1968, 1164.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

165

legenden Entscheidung des BGH vom 22. 7. 1959 wurde festgestellt, daß in der umstrittenen Frage, ob für die Begutachtung nicht krankhafter Zustände, soweit die Entscheidung über die Zurechnungsfähigkeit von ihr abhängt, Psychiater oder Psychologen zu berufen sind, bei dem damals gegenwärtigen Stand der wissenschaftlichen Erörterungen eine endgültige Stellungnahme der Rechtsprechung zugunsten des einen oder anderen Fachgebietes nicht angängig sei. Es könne auch nicht rechtsgrundsätzlich ausgesprochen werden, daß, sofern es sich um Fragen dieses Grenzgebietes handelt, stets Vertreter beider Disziplinen gehört werden müßten. Dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters bleibe es überlassen, ob er dem von ihm gehörten Vertreter der einen oder anderen Fachrichtung die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung der einschlägigen Fragen zutraut oder ob er es für erforderlich erachtet, noch einen Vertreter des anderen Wissenschaftsgebietes hinzuzuziehen. Jedoch wurde für- den Fall, daß das Gericht einen Psychiater gehört hat und nicht dessen Ansicht, sondern einer von diesem dem Gericht unterbreiteten abweichenden Ansicht eines Psychologen folgen will, es als erforderlich angesehen, zur Aufklärung des Sachverhaltes einen Psychologen zu hören. Das gleiche soll für den .umgekehrten Fall gelten. 163 Wiederholt hat der BGH die Ansicht geäußert, daß Psychiatrie und Psychologie einander ergänzende oder verwandte Wissenschaften seien. 1M Man könnte glauben, daß diese Meinung von den Beobachtungen

Wetterichs nachträglich gestützt wird. Er konnte divergierende Ergeb-

nisse der Gutachten beider Fachrichtungen zu derselben Frage in der Praxis viel seltener feststellen als das mitunter behauptet wird. Jedenfalls dann, wenn die Sachverständigen sich an ihren Auftrag halten und nur tatsächliche Ergebnisse liefern, dem Gericht es aber überlassen, die rechtlichen Schlüsse in eigener Verantwortung zu ziehen, soll es wenige .unüberbrückbare Gegensätze geben. 165 Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Fachbezeichnung des Sachverständigen 188 BGH in NJW 1959, 2315 ff. Ähnlich entschied der BGH auch für die Begutachtung der Glaubwürdigkeit: BGH in NJW 1969, 2293. Haddenbrock, ZStW 75 (1963), 406 ff. stellt weitere Entscheidungen vor. Reusch, DRiZ 1955, 291 f., versucht für die Praxis zu bestimmen, wer als psychiatrischer Sachverständiger in Frage kommt. 164 BGHSt 22, 268 (274); 23, 8 (41). Der Senat sah sich außerstande, die Streitfrage zu klären, die zwischen den Gutachtern hinsichtlich der Anforderungen an die fachlichen Voraussetzungen eines neben einem Psychiater gutachtenden Psychologen bestand. Dennoch gelangte man zu der Einsicht, daß sich die beiden Disziplinen ergänzen. Zur Kompetenzabgrenzung Rudolph, Justiz 1969, 27 und Peters (1967), S. 780. 105 Wetterich, KrimGegwfr 1976, 105.

166

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

nicht einheitlich verwendet wirdY"' Bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit von Aussagen ist ganz allgemein vom Sachverständigen zur Prüfung der Glaubwürdigkeit die Rede. Nicht viel aufschlußreicher ist die Bezeichnung als auf dem Gebiet der Jugendseelenkunde sachverständige Person. l67 Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit werden psychiatrische und psychologische Sachverständige als gleichermaßen kompetent angesehen. 1G8 Der BGH kommt zu dem Ergebnis, daß in Grenzbereichen eine zusätzliche Untersuchung durch einen Psychiater dann nicht geboten und der Pflicht zur Wahrheitserforschung genügt ist, wenn ein klinisch erfahrener Psychologe nach Aufwendung aller ihm zur Verfügung stehender Hilfsmittel krankhafte Erlebnis- und VerhaItensformen ausschließt. leg Dorthin kann man nur mit einer überaus gewundenen Dialektik gelangen. Der BGH billigt den Psychiatern und den Psychologen eine Kompetenz-Kompetenz zu, mit der sie über ihre Nicht-Kompetenz entscheiden. Das Gericht war zu dieser gedanklichen Akrobatik gezwungen, weil sich die Experten über ihren eigenen Zuständigkeitsbereich nicht einigen konnten und sich in einem Kompetenz-Kompetenz-Zirkel bewegten. Beim Verdacht krankhafter Fehlhaltungen empfiehlt der Senat schließlich eine Kooperation zwischen Psychiatern und Psychologen.17o Nach den Beobachtungen von Wetterich erfolgt übrigens bei Glaubwürdigkeitsprüfungen die Zuziehung von psychologischen Sachverständigen meist nach entsprechendem Antrag des Verteidigers durch die Gerichte. Lediglich dann, wenn widersprüchliche Aussagen derselben Beweisperson vorliegen oder sonst naheliegende Bedenken an der Glaubwürdigkeit einer Aussage im Ermittlungsverfahren gegeben sind, werde bereits vom Staatsanwalt ein psychologisches G.utachten eingehoIt.l7l Geht es um die Begutachtung der geistig-seelischen Verfass.ung von psychisch durchschnittlich normalen Menschen als Grundlage für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, so werden die Aussagen der Rechtsprechung nicht klarer. Grundsätzlich ist anerkannt, daß eine die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Bewußtseinsstörung vorliegen kann, die auf nicht krankhafte körperliche oder seelische Zustände zurückzuführen ist. l72 § 20 StGB ist also über den Kreis der Geisteskrankheiten im Sinne der ärztlichen Wissenschaft hinaus auf alle Störungen anwendbar, welche die bei einem normalen und geistig reifen Menschen vorhandenen, zur Willensbildung befähigenden 18S

Undeutsch (1976), S. 714; Schreiber 1 Müller-Dethard, DÄBl 1977, 373 ff.

BGHSt 3, 27 (29), 52 (54). 188 BGH V. 9.2.1960, 5 StR 620/59, zitiert nach Panhuysen (1964), S. 154; BGH in NJW 1961,1936. 180 BGHSt 23, 8 (15). 170 BGHSt 23, 8 (13). 171 Wetterich, KrimGegwfr 1976,104. 172 Vgl. BGHSt 3, 19 ff. 187

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

167

Vorstellungen und Gefühle beeinträchtigen. 173 In einer Entscheidung des BGH vom 10. 10. 1957 wurde festgehalten, daß eine Bewußtseinsstörung im Sinne des § 51 StGB a. F. bei einem in äußerster Erregung handelnden Täter auch dann gegeben sein kann, wenn er an keiner Krankheit leidet und sein Affektzustand auch nicht von sonstigen Ausfallerscheinungen, wie z. B. Schlaftrunkenheit, Hypnose, Fieber oder ähnlichen Mängeln begleitet ist. Das Gericht hält es nach der Lebenserfahrung und dem übereinstimmenden Urteil vieler Vertreter der psychologischen und medizinischen Wissenschaften für unbestreitbar, daß es immer wieder, wenn auch selten, Ausnahmefälle gibt, in denen ein Mensch ohne geistige oder seelische Dauerschäden ausschließlich durch den Höchstgrad seiner Erregung in eine Lage gerät, in der er gänzlich die Selbstbesinnung und die Fassung verliert. Damit werden Zuständigkeitsfragen nicht beantwortet. Unklar bleibt auch das Verhältnis zwischen der Kategorie der Lebenserfahrung und den Äußerungen der Wissenschaft im Prozeß der richterlichen Überzeugungsbildung. Im Ergebnis ist der BGH der Ansicht, daß die Höchstform eines Erregungszustandes das Einsichts- oder Hemmungsvermögen eines Täters gänzlich beseitigen kann. In dem Urteil wird pauschal auf viele Vertreter der Psychiatrie hingewiesen. Mit laienhaft psychologisierenden Erwägungen aus kriminalpolitischem Anlaß entzieht sich der BGH einer eindeutigen Kompetenzbestimmung. 174 Es ist nicht zu bestreiten, daß eine allgemeingültige Zuständigkeitsregelung in dem diffusen Gebiet der Affekttaten vom BGH vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte. 17ö Auch neuere Stellungnahmen der Experten erleichtern diese Aufgabe nicht. Das liegt nicht zuletzt daran, daß in einer Art ideologischem Grabenkrieg, wie etwa von Bresser, rhetorische Schrapnelle abgefeuert werden, um auch nur den Anschein einer Zuständigkeit des fachlichen extraneus zu durchlöchern: "Ob überhaupt eine einzige ,neuere' psychologische Aussage insbesondere von rechtlicher Relevanz ist und ob irgendeine ,neuere' Interpretation innerer Erlebnisvorgänge für die Bemessung der Schuld von Bedeutung sein kann, darf wohl sehr in Zweifel gezogen werden. "17t Solche kategorischen Äußerungen müssen Kritik hervorrufen. So kann der Kompetenzanspruch der Psychiatrie wissenschaftlich nicht überBGH in NJW 1955, 1726f. BGHSt 11, 20 (25). 175 Nach einer ausführlichen Studie sah Diesinger (1977), S. 171, die in der Literatur immer wieder betonte Unsicherheit in der Beurteilung affektiver Tatzeitverfassungen bestätigt. Einführend Geilen (1972), S. 173 ff.; Quatember, KrimGegwfr 1980, 141 ff.; Rasch, NJW 1980, 1309 ff.; Rudolphi (1975), S. 19 ff.; Schlüter, NJW 1971, 1070 ff.; Seibert, NJW 1976, 1847 ff.; Witter, KrimbioGegwfr (1962), 89 ff. 176 Bresser (1976), S. 668. 173

174

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

zeugend begründet werden. Mit verbalen Klimmzügen wird den Gerichten der überblick über den Horizont der Psychologie nicht erleichtert. Angesichts der eingängigen Formulierung von Bresser besteht für den oberflächlichen Beobachter kaum noch Anlaß zu einer differenzierten Betrachtungsweise: "Das einzige zur überschau fähige Organ ist der so viel geschmähte und oft wohl auch schlagwortartig mißbrauchte ,gesunde Menschenverstand', der Einfaches einfach sein läßt und zugleich Ungewöhnliches oder Kompliziertes angemessen zu erfassen oder zu würdigen vermag. "177 Damit wird darauf verzichtet, die Prämissen .und Konzepte der beteiligten Disziplinen zu erörtern und mit denen des Strafrechts zu konfrontieren. Statt dessen werden markige Sätze formuliert, die Auskunft darüber geben, wie der Mensch nach der Vorstellung der Richter handeln sollte, nicht aber, wie er in Wirklichkeit handelt. 178 Im Einzelfall kann es geschehen, daß der Täter für etwas Konstruiertes, das er s.ubjektiv nicht begangen hat, verurteilt wird. Er meinte mit seiner Tat vielleicht etwas anderes, nicht das, was ihm unterschoben wurde. Ob dieses Andere begrifflich unfaßbar und unaussprechlich bleibt, weil es dem Unbewußten angehört .und nur von der Psychoanalyse wissenschaftlich erfaßt werden kann, ist fraglich. Alexander / Staub erheben, ähnlich wie Bresser, einen ex-cathedra-Anspruch: "Nur der Einlaß der Psychoanalyse in den Gerichtssaal wird daher das dort herrschende Dunkel aufhellen und den einzigen Ausweg aus der Justizmisere zeigen. "179 Der Arzt als gerichtlicher Sachverständiger kann diese Aufgabe angeblich nicht erfüllen. Er spiele im Gerichtssaal meist eine nichtssagende Rolle. Der alleinige wissenschaftliche Kompetenzanspruch der Psychoanalyse ist nicht begründbar. Er setzt die Möglichkeit einer trennscharfen Katalogisierung des psychischen Apparates voraus. Die Differenzierung zwischen Bewußtsein und Unbewußtsein ist kein Ansatz, um ausschließlich die Genese von Verbrechen auf justizpraktische Weise zu klären. Nach unseren Vorüberlegungen ist es auch verfehlt, der Psychoanalyse einen selbständigen systematischen Charakter zuzuschreiben und das Unbewußte zu ihrer Enklave zu machen. Richtig ist, daß sich weder der Richter, der Staatsanwalt noch der ärztliche Sachverständige mit einer Oberflächenpsychologie zufriedengeben dürfen. Eine derartige Charakterisierung kann aber nie die Psychologie als Disziplin disqualifizieren, sondern nur diejenigen, die sie als dürftige Bewußtseinspsychologie betreiben. Vielleicht besteht diese Praxis auch deswegen, weil die These von Alexander / Staub nicht völlig unrealistisch ist und daher eine Technik zur Erhaltung der 177 178

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Bresser (1976), S. 671. Vgl. dagegen Spazier (1982), S. 164 f. Zutreffend Grosbüsch (1981), S. 5. Atexander I Staub (1974), S. 251.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

169

Selbstwertschätzung erforderlich macht: "Bei dem Arzt erlaubt das Vorherrschen menschlicher Hilfeleistung das unbemerkte Ausleben des Sadismus, dem Staatsanwalt erlaubt die Bestrebung, die Staatssicherheit zu schützen, die Realisierung der .unbewußten Neigung, dem anderen Leid zuzufügen. "186 Die realistische Einschätzung der jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten muß schon deshalb sehr schwierig sein, weil sich innerhalb der autonom auftretenden Disziplinen kein tragfähiges Selbstverständnis entwikkelt hat. Soziologisch betrachtet ist die Einschätzung von WieseT nicht präzise, nach der die Mehrheit der deutschen Psychoanalytiker ein Salon gebildeter Fachleute und politischer Herrschaften ist, die das moderne Gerede von den gesellschaftlichen Ursachen seelischer E.rkrankungen für einen ideologischen Skandal halten. Einem kritischen Beobachter müssen aber einige Voraussetzungen und Konsequenz.en auffallen, die zu dem in Herz .und Kopf gespaltenen Menschenbild der psychoanalytischen Wissenschaften gehören. Die Verständigungsprobleme entstehen nicht nur durch eine babylonische Spraclwerwirrung. WieseT bemerkt richtig, daß die unter dem Siegel arroganter Alleinvertretungsansprüche ausgetragene Konkurrenz .um das einzig wahre Menschenbild zu fatalen Ergebnissen führt: "Indem sie die vernünftigen Köpfe und die unvernünftigen Seelen so rigoros gegeneinander ausspielen, beschädigen nicht nur die Emanzipations-Theorien zusätzlich, was die Konkurrenz-Gesellschaft bereits beschädigt hat und eigentlich ,rekonstruiert' werden soll: die Identität des Menschen."181 Eine intellektuelle Konkurenz narzißtischer Mimosen macht völlig taub für Zwischentöne und kann, auch das sieht WieseT richtig, zu einer gefährlichen, faschistoiden Ideologie führen. Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Persönlichkeitsbegriff verwendet wird, der die menschliche Identität ausschließlich auf den Irrationalismus des Unbewußten begründet. Menschliche Innenwelten sind ein Geheimnis, deren mangelnde Wahrnehmung oder Auflösung in einem intakten ,Ich' nach den Koordinaten der deutschen Psychoanalyse zu dem Status ,ges.und' führt, möglicherweise aber die unverschuldete Verarmung der subjektiven Phantasie beweisen. Ein Urteil, das WieseT anläßlich eines Vergleichs der deutschen und französischen psychoanalytischen Tendenzen fällt, gilt jedenfalls als hintergründiger Merksatz auch für die Kompetenzansprüche der forensisch tätigen Psychiater und Psychologen und für die Gesamtheit der Sachverständigen, die psychoanalytische und j.ustizpraktische Informationen zu er- und vermitteln AlexandeT / Staub (1974), S. 251. Ähnlich SchmidbaueT (1980), S. 145. WieseT, Der Spiegel 1981, Nr. 33, 143, 144; ausführlich zum Identitätsbegriff GTosbüsch (1981), S. 43 ff. 180

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

haben: "Nicht jeder klare Gedanke ist repressiv. Nicht jeder verworrene Gedanke ist neurotisch."l82 Die völlige Verwirrung, die Undeutsch l83 bei der Rechtsprechung angesichts der Frage konstatiert, welcher wissenschaftlichen Disziplin die fachliche Kompetenz für Gutachten zur Beurteilung der Schuldfähigkeit zuerkannt werden soll, folgt zwangsläufig aus dem begrifflichen Tohuwabohu, das zum unverständlichen Selbstverständnis einer Wissenschaft hochstilisiert wird. Diesen Umstand übersieht er, wenn er sich auf zwei Entscheidungen bezieht, mit denen der verwirrte Zustand der Rechtsprechung exemplifiziert werden SOll.l84 Das kann ihm nicht gelingen. Es ist lediglich erkennbar, daß es der Rechtsprechung nach dem wissenschaftlichen EntwickIungsstand von Psychologie und Psychiatrie nicht möglich war ;und ist, eine Entscheidung über deren Kompetenzbereich zu treffen. Das Urteil des BGH vom 29. 7. 1959 macht deutlich, wo das eigentliche Problem liegt. Dort wurde zunächst festgehalten, daß die Entscheidung, ob ein psychiatrischer oder psychologischer Sachverständiger zu vernehmen ist, der Entscheidung des Schwurgerichts überlassen blieb. Maßgebend sei, daß es die erforderliche Sachkunde .und Erfahrung in der Beurteilung des Einflusses nicht krankhafter Affektzustände auf die Zurechnungsfähigkeit hat. Dieser Maßstab kann von einem Gericht aber nur angelegt werden, wenn vorher die zentrale Frage geklärt wurde, ob es sich um einen krankhaften oder nicht krankhaften Zustand, gleich welchen Ursprungs, handelt. Mehr noch als bei der Entscheidung ob ein Sachverständiger hinzuzuziehen ist, muß das Gericht also bei der Frage, welchen Sachverständigen es konsultieren soll, über eine Kompetenz-Kompetenz verfügen. Dem erkennenden Gericht wird praktisch nicht nur zugemutet, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Täter krank ist. Es hat nach der Maxime des BGH sogar darüber zu entscheiden, wie weit die wissenschaftliche Kompetenz zweier Disziplinen reicht. Die Entscheidung darüber, ob ein krankhafter Zustand vorliegt, ist logisch vorrangig. Könnten die Gerichte das selbst entscheiden, wäre auch das Auswahlproblem erledigt. Nach den Auswahlkriterien des BGH müssen sie diese Entscheidung sogar treffen. Da sie dazu kaum in der Lage sind, geben die Urteile des BGH den Instanzgerichten Steine statt Brot. Z;umindest ist die Lage des auswählenden Gerichts perplex. Die Literatur ist überwiegend bemüht, die Abgrenzung zwischen den Kompetenzen der Psychiater und den Psychologen danach vorzunehmen, 18!

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WieseT, Der Spiegel 1981, Nr. 33, 144. Undeutsch (1976), S. 715.

184 Es handelt sich um die Entscheidungen vom 22.7.1959 in NJW 1959, 2315 ff. und vom 29. 7.1959 - 4 StR 214/59 - (unveröffentlicht).

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

171

ob es sich um psychische Abnormitäten oder um normalpsychologische Fragen handelt. l85 Bei psychischen Abnormitäten soll der Psychiater zuständig sein, bei nonnalpsychologischen Problemen in erster Linie der Psychologe. Göppinger hält eine Grenzziehung zwischen den Kompetenzbereichen des Psychiaters und des Psychologen mittels des Kriteriums der Geisteskrankheit nicht für möglich, da gerade beginnende psychische Erkrankungen vom psychiatrischen Laien häufig mit nonnalpsychologischen Reaktionen und Neurosen und dergleichen V{!rwechselt würden. l86 Mit solchen Aussagen ist der Praxis im Einzelfall nicht gedient. Zum einen wird damit die weitere Frage nach den Abgrenzungskriterien zwischen anormalen und krankhaften Z.uständen akut. Zum anderen führt die Vorstellung, das Arbeitsfeld des Psychologen liege in der Variationsbreite des Normalen, zu dem unlösbaren Problem, diese Sphäre zu bestimmen. Die Auffassung darüber, was zum normalpsychologischen Bereich gehört, unterliegt ständiger Veränder.ung. Hinzu kommt, daß Normalität kein Rechtsbegriff ist. 187

Bresser sieht die Dinge aber auch hier ganz deutlich. Immer dann, wenn der Richter einen Täter und seine Tat nicht mehr versteht, sei die Vermutung auf etwas Abnormes gerichtet, es müsse an etwas Krankhaftes gedacht werden. Somit würde also zunächst der Psychiater als Sach,V{!rständiger heranz.uziehen sein. Bresser weiß auch, daß es das Ziel des Gesprächs zwischen den Psychologen und den Juristen sein muß, Motive, psychologische Gründe und Zusammenhänge, charakterliche und situative Voraussetzungen der Straftat aufzudecken und einhellig zu erfassen. Bleibt ein unauflösbarer Rest, so werde die Frage nach dem krankhaften Ursprung oder Ablauf der strafbaren Handlung aktuell, und das weitere Gespräch könnte nur noch mit einem Psychiater fortgesetzt werden. Für ihn bleibt lediglich der Gedanke problematisch, ob der Psychologe den unauflösbaren Rest erkennt. Die Psychiater bemerkten oft mit großer Verwunderung, wie von einigen Psychologen auch die Zeichen echter Geisteskrankheit psychologisiert, verständlich erklärt und dieser Rest gedeutet werde. Bresser ~eigt Großmut: "Dem umsichtig urteilenden und dem der psychiatrischen Erfahrung aufgeschlossenen Psychologen wird man aber doch zubilligen müssen, daß er Krankhaftes als solches erkennt .und aus seinem Erfahrungsbereich ausklammert. "186 Bei ihm, der den Begriff der Humanität in Anführungszeichen verwendet und der zunächst den Psychiater hinzugezogen wissen will, damit dieser entscheidet, ob etwas normal oder nicht normal ist, gilt: "Für den psychiatrischen Sachverständigen 185 186 187 188

Vgl. die Nachweise bei Wüst (1968), S. 96, FN 1. Göppinger (1972), S. 1535. Wüst (1968), S. 96, FN 1; Hauber (1976), S. 234. Bresser, NJW 1958, 249.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

ist der Kompetenzbereich durchaus klar. "189 Erst wenn dieser sich für inkompetent erkläre, könne noch der Psychologe mit der Maßgabe gehört werden, daß der § 20 StGB nicht ins Gespräch eingeschmuggelt wird. Bresser erinnert an einen Feudalherrn, der versucht, das ius primae noctis so mit moralischen Grundsatzerwägungen zu begründen, daß er auch den Segen des Ehemannes erhält. Es könnte interessant sein, in diesem Zusammenhang der Vermutung von Bauhofer nachzugehen, daß manche Psychiater von einer Grundhaltung der Omnipotenz geprägt sind, da sie sich nicht selten als Agnostiker geben und sich einer wertfreien Naturwissenschaftlichkeit verpflichtet wähnen, mittels derer sich vieles oder gar alles erklären lasse, wenn man nur wolle. l90 Bresser wird nicht von ungefähr die Aussagekraft der Anführungszeichen auch bei dem Begriff Verständnis nutzen. Die exklusiven Kompetenzansprüche der Psychiatrie müssen auf Skepsis stoßen. Besonders der Psychiater befindet sich in einer Grenzsituation, in welcher der Überblick über den eigenen Standort leicht verlorengehen kann. Als Somatiker ist er in Begriffsbildung und Handeln Naturwissenschaftler, als Psychiker Geisteswissenschaftler und in beiden Fällen soll er auch noch Empiriker sein. 191 Bauhofer ist sich der Künstlichkeit dieser Differenzierung bewußt. Es ist nicht bestreitbar, daß der Psychiater im Bereich des Psychologischen Wertungen vornimmt, deren Normativität nicht auf naturwissenschaftlich-medizinischer Ebene liegt. 192 6.2.3.2.2. Definitionswert des Krankheitsbegriffs und seine Abgrenzungsfunktion für Psychiatrie .und Psychologie Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist der immer wiederkehrende Bezug zur Geisteskrankheit als Abgrenzungskriterium, der mit der Vorstellung eines empirisch-naturwissenschaftlichen Begriffs verbunden ist. Dieses Problem kann nicht durch eine negative Ausgrenzung erledigt werden, solange man davon ausgeht, daß sich die Zuständigkeit einer Wissenschaft nach ihrem Schwerpunkt richtet. Es ist anerkannt, daß dieser bei der Psychiatrie im Krankheitsbereich liegt. Der Richter wird also bei dem Verdacht pathologischer Züge beim Angeklagten einen Psychiater beiziehen. 193 Damit ist aber keine Entscheidung dar189 Bresser, NJW 1958, 249. Knögel, NJW 1953, 694, nimmt die Zuständigkeit des Psychiaters für das Normalpsychische an, weil die Wissenschaft von den Erkrankungen auf der Erkenntnis des normalen Seelenlebens aufbaue. 180 Bauhofer, KrimBull 1980, 19. Vgl. auch Rothschild (1982), S. 90; Döll (1981), S. 26 f., 83. 191 Erhardt (1977), S. 346. Zum Persönlichkeitsprofil ReH (1818), S. 474 f. IU% Bauhofer, KrimBull1980, 17. 193 So auch Wüst (1968), S. 96.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

173

über getroffen, ob in jedem Zweifelsfall grundsätzlich ein Psychiater beauftragt werden muß.t 94 Es ist schwer vorstellbar, wie sich angesichts der Diskussion um den Krankheitsbegriff eine .unumstößliche Gewißheit bilden könnte. Zunächst besteht eine grundsätzliche erkenntnistheoretische Malaise. Im psychischen Bereich sind Krankheit und Gesundheit keine Begriffe, die man in einer biologistischen Ableitung aus der vitalen Sphäre destillieren kann. Sie sind deshalb nicht nur Begriffe, sondern auch und vor allem eine Idee. Krankheit kann deshalb zur Metapher werden, welche die Lebenslüge einer zerstörten oder verhinderten Identität bezeichnet. Der objektivierbare Erkenntniswert des Krankheitsbegriffs ist oft auf physische Symptombildungen beschränkt. Der Wahrheitsanspruch des Krankheitsbegriffs kann nur insoweit begründet sein, als er die komplexen Beziehun~n zwischen geistiger Erlebniswelt und körperlichen Reaktionsformen erfaßt. Die Lebensgeschichte von Zorn zeigt den Zusammenhang, in dem die Begriffe Gesundheit und Krankheit benutzt werden. Zorn ging an der Tabukultur seiner Familie körperlich und seelisch zugrunde. Er glaubte, daß Krebs primär eine seelische Krankheit sei .und alle Charakteristika einer Gemütskrankheit habe. 195 Es ist unbestreitbar, daß der Richter vom psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen keine Darlegungen über die Idee von Gesundheit oder Krankheit erwartet. Er braucht Entscheidungshilfen für die Beurteilung von Straftätern, die unter Umständen wegen ihrer Gefährlichkeit für die Mitmenschen oder wegen ihres Leidens an sich selbst nicht dem konventionellen Strafvollz.ug überlassen werden können. l96 Zu untersuchen bleibt, ob insbesondere die Psychiatrie dieser Erwartung mit ihrem begrifflichen Instrumentarium gerecht werden kann. Die Rechtsprechung hat durch die Entwicklung eines sogenannten j.uristischen Krankheitsbegriffs eine Konkurrenzsituation geschaffen, in der die Bestimmung der spezifisch psychiatrischen Begriffsinhalte schwierig ist. Das Gesetz selbst spricht in § 20 StGB von einer krankhaften seelischen Störung als möglichem Schuldausschließungsgrund. Der BGH hatte sich in einer Entscheidung vom 27. 11. 1959 grundsätzlich mit dem in § 51 StGB a. F. verwendeten Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit auseinandergesetzt. Hierunter fallen nach seiner Ansicht nicht nur Geisteskrankheiten im klinisch-psychiatrischen Sinne, sondern alle Arten von Störungen der Verstandestätigkeit so194 195

Sieverts (1962), S. 92. Zorn (1980), S. 134, 135. Vgl. auch Sontag (1981), S. 26: "Wie man von

TB einst annahm, daß sie von zuviel Leidenschaft herrühre und die Ruhelosen und die Sinnlichen befalle, so glauben heute viele, daß Krebs eine Krankheit unzureichender Leidenschaft sei, die diejenigen befalle, die sexuell unterdrückt, gehemmt, unspontan sind und unfähig, Wut auszudrücken." 190 Bauhofer, KrimBulll980, 18.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

wie des Willens-, Gefühls- oder Trieblebens, welche die bei einem normalen und geistig reifen Menschen vorhandenen, zur Willensbildung befähigenden Vorstellungen und Gefühle beeinträchtigen. Entscheidend für die Frage der Schuldfähigkeit sei alleine, ob eine Wesensänderung gegeben ist, die auf die Einsichtsfähigkeit oder das Hemmungsvermögen des Angeklagten erheblich einwirkt, gleichviel ob sie von einer Veränderung gewisser körperlicher Merkmale begleitet ist oder nicht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hatte ein widersprüchliches Menschenbild im Sinn, das sich wegen seiner moralisierenden Rechtspsych.ologie nicht als Maßstab eignet: "Es ist vielmehr davon auszugehen, daß der geistig gesunde Mensch über die erforderlichen inneren Kräfte verfügt, um die ihm aus einem naturwidrigen Geschlechtstrieb erwachsenden Neigungen zu überwinden. Das Gesetz verlangt, daß der einzelne die ihm zur Verfügung stehenden Willenskräfte voll einsetzt; Willensschwäche oder sonstige Charaktermängel rechtfertigen die Anwendung des § 51 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB nicht."l97 Der BGH läßt offen, was ein willensschwacher Mensch einsetzen soll und welche Konsequenzen daraus erwachsen können. Vier Jahre später betonte der BGH, daß unter Krankheit jedenfalls rechtlich auch der Z.ustand zu verstehen sei, daß ein hochgradig abartiger Geschlechtstrieb schwere leib-seelische Folgen und Enthemmtheit zumindest im Sinne von § 51 II StGB a. F. bewirkt, ohne daß sich als Ursache eine organische Erkrankung nachweisen läßt. Anwendbar sei demnach also nicht lediglich der teilweise engere ärztliche Krankheitsbegriff, soweit dieser nur an nachweisbare körperliche Befunde anknüpft. Der BGH kommt zu dem Schluß, daß in dem Fall, in dem die Ursache der Störung organisch nicht zu belegen ist, ein solcher Zustand bei entsprechender Schwere einer Krankheit im ärztlichen Sinne jedenfalls gleich.stehe. 1118 Diese Entscheidungen, die sich an reich.sgerichtliche Urteile199 anschlossen, wurden im Bartsch-Prozeß im Jahre 1969 vom 3. Strafsenat des BGH ausführlich referiert und als grundlegend für die ständige Rechtsprechung bezeichnet. Das Urteil des BGH ist auch aus prozessualen Gründen für unsere Untersuchung von besonderem Interesse. Es wurde eingeräumt, daß sich für die forensische Psychiatrie Schwierigkeiten ergeben haben, den aus dem Rechtsdenken erwachsenen Krankheitsbegriff zu füllen und aus medizinischer Sicht zu verdeutlichen. Zwei Sachverständige hatten sich in ihrem vorbereitenden schriftlichen 197 BGHSt 14, 30, 32 f. Bernsmann I Kisker, MSchrKrim 1975, 332, FN 18, empfinden die Ausgrenzung der Willensschwäche und sonstiger Charaktermängel aus den Störungen des Willens lebens zu Recht als wenig folgerichtig und mißverständlich. 188 BGHSt 19, 201 (204). lDU RGSt 57, 76 f.; 73, 121 f.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

175

Gutachten für die Anwendung des § 51 II StGB a. F. ausgesprochen, jedoch in der Hauptverhandlung erklärt, sie seien zu dieser Auffassung nur gekommen, weil sie Schwierigkeiten mit der Auslegung der Entscheidung des BGH vom 27. 11. 1959200 gehabt hätten. Die Gutachter hatren bereits in ihrem schriftlichen Gutachten ausgeführt, daß sich eine verminderte Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten empirisch nicht begründen ließe.201 Die Untersuchung von Ktthn zeigt, welch eine Rolle begriffliche Konstrukte in der gutachtlichen Praxis spielen. Bresser, der einer der Gutachter im Bartsch-Verfahren war, hatte schon im Vorgutachten eine deutliche Ablehnung des juristischen Krankheitsbegriffs erkennen lassen.202 Nach dem Inhalt seiner Habilitationsschrift war das vorhersehbar. Dort sprach er sich gegen den j.uristischen Krankheitsbegriff aus, weil er eine Einflußnahme auf die Rechtsprechung durch angeblich literarisch sehr produktive Theoretiker, die sich durch den Hinweis auf interessanre Einzelfälle als gut gerüstete Empiriker ausgäben, befürchtete. Bresser hingegen erkannte schon 1965: "Wir finden bei allen verwandten Erscheinungen niemals Phänomene, die die Grenzen des steuerbaren Seelenlebens überschreiten und in den Bereich des Krankhaften hinüberweisen. "200 Unter dieser Prämisse kann auch eine stark ausgeprägte sexuelle Triebanomalie nicht zur Schuldunfähigkeit führen. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich aus dieser Aussage von Bresser das Ergebnis eines Gutachtens über einen Täter mit sexueller Triebanomalie grundsätzlich schon ablesen läßt. 204 Allerdings ist der Verdacht unvermeidbar, daß derartigen Bemerkungen ein moralisierendes Menschenbild zugrundeliegen könnte, für das im Strafverfahren kein Platz sein sollte. Die Argumente, mit denen manche Psychiater die Auseinandersetzung um den Krankheitsbegriff führen, lassen deutlich werden, daß es nicht um objektivierbare Befunde geht, sondern um die ideologisch und rechtspolitisch motivierte Mitwirkung an der Strafrechtspflege. Der juristische Krankheitsbegriff wurde abgelehnt, weil mit dieser rechtsverbindlichen Erklärung ein Spielraum für weitgehend willkürliche Ermessensentscheidungen eröffnet werde. Es wird befürchtet, daß Willkür und Ungerechtigkeit in weitestem Umfang in die Rechtsprechung einbrechen. Das Triebleben wird als Bereich definiert, in dem sich die innere und äußere Disziplinierung des Menschen bewähren muß. Dort sei die Anwendung des § 51 StGB a. F. mehr als verhängnisvoll und wohl nicht nur menschlich .und psychologisch 200 201

202

203 204

BGHSt 23, 176 (191). BGHSt 14,30 ff. Hinweise auf den Inhalt der Gutachten bei Kuhn (1977), S. 54, FN 224. Bresser (1965), S. 185. So Kuhn (1977), S. 55.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

bedenklich, sondern vermutlich auch kriminalpolitisch nicht ohne Folgen. Jedem psychologischen Außenseiter werde es leicht gemacht, unter Anwendung der gewagtesten Theorien den Geltungsbereich des § 51 StGB nach weitgehend freiem Ermessen auszuweiten. Als unausweichliche Konsequenz wäre zu erwarten, daß jeder Triebverbrecher exkulpiert werden muß.205 Ganz offensichtlich sollen mit diesen Wortstaketen Dämme gegen die Auflösung der Rechtsordnung aufgerichtet werden, .um einer expansionistischen Exkulpationstendenz entgegenzutreten. 208 Da bei Triebtätern Verbrechen auf mangelnder Selbstbeherrschung beruhen, bestehe im Ergebnis kein Grund zur Exkulpation. Zurückhaltend stellt auch Kuhn fest, daß sich in den Ausführungen der Psychiater im Bartsch-Prozeß eine bedenkliche Tendenz zum Moralisieren ausdrückt. Das gibt auch Anlaß, jenseits aller tatbestandlichdogmatischen Fragen und jenseits aller Notwendigkeiten der Strafrechtspflege auf die Einsicht von Adorno hinzuweisen: "Erster und einziger Grundsatz der Sexualethik: der Ankläger hat immer Unrecht. "207 Dennoch muß die Diskussion um die begrifflichen Voraussetzungen psychischer Krankheiten fortgeführt werden. Eine Klärung dieser Frage hilft nicht nur bei den Auswahlproblemen zwischen Psychiater und Psychologen, sondern löst vielleicht auch den Zielkonflikt zwischen der Durchsetzung des Schuldprinzips und den Notwendigkeiten der Kriminalpolitik. Das wäre dann besonders wünschenswert, wenn die Analyse von KTÜmpelmann zutrifft. Er glaubt, daß es mit den §§ 20, 21 StGB nicht gelungen sei, die Gefahr einer Ausuferung der Entschuldigungssachverhalte zu bannen und die Struktur der Regelungen in vielen Fällen dazu zwinge, gegen das Schuldprinzip zu verstoßen. 20S Darüber hinaus könnte mit einer begrifflich scharfen Definition der Krankheit vielleicht auch die schwer erträgliche Unsicherheit abgebaut werden, die Leferenz bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung empfindet. Er hebt zutreffend hervor, daß der Sachverständige ein empirisch gewonnenes Urteil über die Steuerungsfähigkeit und damit über den Vgl. insgesamt die Nachweise bei Kuhn (1977), S. 64, FN 272 a ff. Kuhn (1977), S. 66. Auch für moralisierende Psychiater ist die Einsicht von Jäger (1980 cl, S. 223, bedenkenswert: "Die vorherrschende Moral ist ein System aggressiver Normdurchsetzung, keine emphatische Moral, die selbst extrem abweichende Lebensverhältnisse zunächst einmal zu verstehen versucht, um auf sie konstruktiv reagieren und für sie eigene adäquate Maßstäbe entwickeln zu können." 205

208

207 208

Adorno (1980 b), S. 57. Krümpelmann, ZStw 88 (1976), 7; Gschwind, ZStW 88 (1976), 41, hin-

gegen fand, daß der erfahrene Straftäter sich, sofern er kann, für die Strafaussetzung zur Bewährung mit verminderter Zurechnungsfähigkeit entscheidet oder er seine volle Zurechnungsfähigkeit verteidigt, weil er den Normalvollzug als beste Variante des Freiheitsentzugs ansehe.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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Freiheitsspielraum des Täters abgeben soll. Da Freiheit aber generell empirisch nicht faßbar ist, sind grobe Leitlinien entwickelt worden, nacht denen Psychosen in der Regel, psychopathische Persönlichkeiten oder Affekttäter nur in extremen Ausnahmefällen zur Exkulpation führen sollten. Fraglich ist, ob Leferenz die Lage richtig einschätzt, wenn er meint, daß die Problemfälle, in denen die Leitlinien wenig hilfreich waren, um so zahlreicher werden mußten, je mehr auf dem Wege über einen juristischen Krankheitsbegriff auch die nicht im engeren Sinne krankhaften seelischen Abnormitäten für eine Exkulpierung oder Dekulpierung als erheblich angesehen wurden. Hier interessiert vorrangig, ob ein anderer Krankheitsbegriff nach wissenschaftlichen Maßstäben entwickelt werden kann, der den komplexen Vorgang der Schuldfähigkeitsfeststellung nachvollziehbar machJt. Zu prüfen ist also, ob etwa durch einen psychiatrischen Krankheitsbegriff die Situation erklärt werden kann, die Leferenz konstatiert. Demnach bestehen bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung Divergenzen in der Regel nicht im empirischen Befund, sondern in dessen Bewertung für die Schuldfähigkeit.209 Das führt zu dem Problem, ob zwischen den sich empirisch gerierenden Disziplinen eine sinnvolle. Auswahl getroffen werden kann, da die Beliebigkeit eines Bewertungsvorganges kein Kriterium für die empirische Zuständigkeit ist. Dahinter steht das Bedenken, daß der Sachverständige als Experte der Unverständlichkeit aus seinem psychiatrischen Explorierstübchen hervortritt, das von BeTnSmann / Kisker als camera obscura empfunden wird, um mit seinen begrifflichen Formeln lediglich ein aprioristisches Flair zu verbreiten.21o Kurt Schneider hatte auf die Entwicklung eines psychiatrischen Krankheitsbegriffs maßgeblichen Einfluß ausgeübt. Nach ihm gibt es Krankheit nur im Körperlichen. Eine krankhafte seelische Erscheinung ist also ausschließlich eine solche, deren Dasein durch krankhafte Veränderungen des Leibes bedingt ist. Hierzu werden die endogenen Psychosen gerechnet, bei denen ein körperlicher Krankheitsprozeß zwar nicht sicher nachgewiesen, aber doch postuliert wird.211 Der Krankheitsbegriff sei gerade in der Psychiatrie streng medizinisch. Seelisch Abnormes soll dann krankhaft sein, wenn es auf krankhafte Organprozesse zurückzuführen ist: "Ohne eine derartige Formulierung psychische oder gar rein soziale Auffälligkeiten als ,krankhaft' zu bezeichnen, hat nur die Bedeutung eines Bildes, also keinen Erkenntnis!OD Leferenz, zStw 88 (1976), 40, (41). Die Unsicherheit rührt nicht alleine vom juristischen Krankheitsbegriff her. Es zeugt nicht von der empirischen Qualität eines Gutachtens, das über 1 Jahr erstellt und in der Verhandlung von einem auf den anderen Tag zurückgezogen wird. Vgl. das Beispiel von Eppendorfer (1980), S. 66, 67. 210 Bernsmann I Kisker, MSchrKrim 1975, 326. 211 Schneider (1973), S. 2; ders. (1956), S. 67.

12 Hetzer

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

wert."212 Die Vorstellung, daß der Zyklothymie und Schlzophrenie unbekannte Krankheiten zugrundeliegen, wird als gutbegründete Hypothese bezeichnet. Dieser Einschätzung liegt die Erklärung zugrunde, daß dort Symptome auftreten, die im normalen Seelenleben und seinen abnormen Variationen keine Analogie haben. Es handele sich um Psychosen, die keinesfalls durch Erlebnisse im Sinne einer Erlebnisreaktion motiviert seien, also die Geschlossenheit, die Sinngesetzlichkeit, die Sinnkontinuität der Lebensentwicklung zerreißen. Schneider bezeichnete es als das Ärgernis der Humanpsychiatrie, daß es außer den abnormen Spielarten seelischen Wesens und den durch Krankheit begründbaren seelischen Abnormitäten auch noch die endogene Psychose gibt. Er bewegte sich auf einem brüchigen Weg. Nach einer Systematik, die sich auf das stützt, was man wirklich weiß, ist sein Psychosebegriff, der sich an der Krankheit orientiert, nicht zu halten. Der Krankheitsbegriff ist für strafrechtliche Begutachtungen unbrauchbar, da er die endogenen Psychosen nicht umfaßt. Schneider hatte recht, schon ein entsprechendes Postulat als peinliche Sache zu bezeichnen. Ohne es begründen zu können, lehnte er es ab, körperlich nicht erklärbare Psychosen in erlebnisreaktive Entwicklungen umzudeuten. In der Tat bleibt nur noch übrig, vor diesen Zuständen als einem anthropologischen Geheimnis stehenzubleiben, wollte man sich nicht in philosophisch-spekulativen Deutungen verlieren. 213 Deshalb stand Schneider im Sinne eines heuristischen Prinzips zu seiner Hypothese und damit zu der Kategorie krankhaft. Seine Einsicht darin, daß er nur ein Glaubensbekenntnis abgab, qualifiziert ihn als selbstkritische Persönlichkeit. Es wird aber leider keine Plattform geschaffen, auf der Erkenntnisse mit wissenschaftlichen, geschweige denn empirischen Ansprüchen gewonnen werden können. Witter mißt dem Krankheitsbegriff als ätiopathogenetisches Ordnungsprinzip eine Bedeutung für die Psychiatrie zu, wie sie in keiner anderen medizinischen Disziplin bestehe. Er hebt zunächst hervor, daß für die Psychiatrie der Normbegriff als Durchschnittsnorm und nicht als Wertnorm besteht: "Seelisch abnorm heißt nicht gut und nicht schlecht, sondern bedeutet lediglich, daß eine Abweichung von der Durchschnittsnorm vorliegt, deren Wertaspekt ausgeklammert bleibt. Dabei müssen wir uns im seelischen Bereich mit der Annahme einer Normalität begnügen, die zwar nicht näher definierbar ist, dem einzelnen aber doch irgendwie vorschwebt und über deren Abschätzung sich erfahrungsgemäß bei einer sehr großen Zahl von Beobachtern übereinstimmung erzielen läßt. ".214 !12 Schneider (1973), S. 7; vgl. auch Haddenbrock (1981), S. 35 ff., zum psychiatrischen Krankheitsparadigma. 213 Insgesamt Schneider (1973), S. 8 - 10. m Witter (1972 a), S.478.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

179

Der Umgang mit der Kategorie der Normalität schließt die Wertfreiheit der Psychiatrie zwangsläufig aus. Deshalb sind die Ausführungen Witters Zeichen auf einem ungedeckten Scheck, mit dem kein wissenschaftlicher Kredit erworben werden kann. Die wegweisenden Gedanken von Foucault haben die Leistungsfähigkeit von Begriffen in der Psychopathologie deutlich gemacht. Er erkennt, daß es sich um ein heikles Gebiet handelt, bei dessen Durchforschen man auf den Vorteil endgültiger Wahrheiten verzichten muß und sich stets nur durch das leiten lassen darf, was wir vom Wahnsinn wissen können. Konstitutiv sei lediglich die Geste, die den Wahnsinn abtrennt und nicht die Wissenschaft, die in der nach der einmal vollzogenen Trennung wiedereingetretenen Ruhe entsteht. Foucault sieht auf der einen Seite den Vernunftmenschen, der den Wahnsinn an den Arzt delegiert und dadurch nur eine Beziehung vermittels der abstrakten Universalität der Krankheit zuläßt. Auf der anderen Seite steht der wahnsinnige Mensch, der mit dem anderen nur durch die Vermittlung seiner ebenso abstrakten Vernunft kommuniziert, die Ordnung, physischer und moralischer Zwang, anonymer Druck: der Gruppe, Konformitätsforderung ist. FoucavJt glaubt, daß es keine gemeinsame Sprache mehr gebe. Mit der Konstituierung des Wahnsinns als Geisteskrankheit am Ende des achtzehnten Jahrhunderts sei der Dialog abgebrochen, eine Trennung vollzogen worden, in der all die unvollkommenen Worte ohne feste Syntax, die ein wenig an Gestammel erinnerten, und in denen sich der Austausch zwischen Wahnsinn und Vernunft vollziehe, im Vergessen versunken seien: "Die Sprache der Psychiatrie, die ein Monolog der Vernunft über Wahnsinn ist, hat sich nur auf einem solchen Schweigen errichten können."215 Foucault versucht nicht, die Geschichte dieser Sprache zu schreiben, sondern die Archäologie dieses Schweigens. Szasz vertritt die These, daß die Abstraktion ,Geisteskrankheit' z.ur Ursache wird, obwohl sie ursprünglich nur dazu diente, bestimmte Formen menschlichen Verhaltens in eine handliche Formel zu fassen. Versteht man die Psychiatrie als eine Disziplin, der es um Lebensprobleme zu tun ist und nicht um Gehirnkrankheiten, die der Neurologie vorbehalten sein sollen, dann muß die Psychiatrie in engerer Beziehung zu ethischen Problemen stehen als die Medizin im allgemeinen: "Demgemäß wird die sozio-ethische Orientierung des Psychiaters sich in seinen Urteilen spiegeln, wenn er darüber befindet, was dem Patienten fehlt, was an der ganzen Sache Erwähnung und Deutung verdient und in welchem Sinn eine Änderung erwünscht ist. "218 Während Schneider einräumte, daß die Zurechnung der endogenen Psychosen zu den körperlich begründbaren psychischen Störungen ledig215 218

Foucault (1978), S. 8.

Szasz (1980), S. 28.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

lich ein Postulat darstellt, sucht Witter durch eine psychiatrische Syndromlehre diesem diagnostischen Dilemma auszuweichen. Er will an einem einheitlichen Krankheitsbegriff bei seelischen Störungen da-durch festhalten, daß er mit der Nichtverstehbarkeit ihre qualitative Abnormität prüft und im positiven Fall Krankheit annimmt.l!17 Scheff hingegen spricht von der medizinischen Metapher ,Geisteskrankheit', die auf einen genau begrenzten in der Innenwelt des Individuums sich vollziehenden Prozeß hindeute. Er hält die Verwendung soziologischer statt medizinischer Begriffe mit Blick auf die psychiatrischen Symptome für entscheidend. Dahinter steht der Glaube, daß das zu erklärende Verhalten eine zugrundeliegende psychische Störung anzeige. Aus dem Umstand, daß dies in der großen Mehrzahl der Fälle nicht bewiesen ist, folgt für Scheff die Notwendigkeit zur Erörterung symptomatischen Verhaltens, ohne die Annahme von Krankheit zu involvieren.218 Das ist nicht zuletzt deshalb angebracht, weil der Begriff der Geisteskrankheit unzweckmäßig ist und als Mythos angesehen werden kann.21U Witter fühlt sich diesem Mythos verpflichtet. Mit dem nach seiner Meinung erkenntnistheoretisch zu trennenden Verfahren, der psychologischen Methode des Verstehens und der medizinischen Methode des Erklärens glaubt er, zu einer schnellen und einfachen Abgrenzung des psychiatrischen Krankheitsbegriffes zu gelangen: "Das psychologische Kennzeichen der Krankhaftigkeit seelischer Störungen ist dadurch festgelegt, daß wir mit der Nichtverstehbarkeit ihre qualitative Abnormität ermitteln. Die Krankhaftigkeit seelischer Störungen wird dann zusätzlich dadurch belegt, daß sich die abnormen seelischen Erscheinungen durch körperliche Krankheitsprozesse medizinisch erklären lassen. Auf diese Weise ist der psychiatrische Krankheitsbegriff sowohl psychologisch als auch medizinisch begründet. "220

Witter begreift Verständnis als statistische Funktion. Damit ist kein entscheidender Schritt bei der Bewältigung der Definitionsschwierigkeiten getan. Von der Methode des Verstehens kann nicht z.uviel erhofft werden. Trotz dieser Einsicht ist Witter der Meinung, daß erfah217 Witter (1972 a), S. 480, will so das psychologische Kennzeichen der Krankhaftigkeit seelischer Störungen festlegen. über den Zusammenhang von Abnormität-, Krankheit-, Verantwortung- und Sühnefähigkeit Witter (1972 b), S. 969. Witter (1962), S. 288, schloß vor seiner Syndromenlehre mit der Systematik Schneiders unmittelbar auf die Schuldfähigkeit. Meyer, ZStW 88 (1976), 47, 48, hält die Differenzierungen verstehbar - nicht verstehbar, quantitativ-qualitativ abnorm für unzuverlässig. Für Venzlaff. ZStW 88 (1976), 65, ist die Syndromenlehre von Witter ein forensisch brauchbares Orientierungsschema. Zur Einstellung der Sachverständigen gegenüber den Begriffen Schuld, Schuldfähigkeit, Vorwerfbarkeit, Verantwortlichkeit Eb. Schmidt (1962), S. 267. 218 Schelf (1980), S. 24. 219 So richtig Szasz (1980), S. 24. 220 Witter (1972 a), S. 480.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

181

rene Psychiater damit in der alltäglichen klinischen Arbeit ein sehr brauchbares und verläßliches Mittel zur diagnostischen Erkennung krankhafter seelischer Störungen zur Verfügung haben. Es sei zu bedenken, daß sich das Verstehen des konkreten Einzelfalls nicht nur auf die subjektive Evidenz einer kurzfristigen Untersuchung stützt, sondern ebenso auf das objektive Material greifbarer Anhaltspunkte, welches durch die Berichte von Angehörigen des Kranken und durch anderweitige Auskünfte in Verbindung mit eigenen Untersuchungen zugänglich wird und sich so zu einem klinischen Gesamteindruck abrunde. Eine Unterscheidung zwischen quantitativ und qualitativ abnormen seelischen Erscheinungen soll erst möglich sein, wenn diese nach ihrem Gesamtbild ein erhebliches Ausmaß angenommen haben. Sind nicht nur die Erlebnisinhalte, sondern auch die Erlebnisformen unverständlich, ergäben sich entsprechende Differenzierungsmöglichkeiten.221 Trotz weitergehender Ansprüche fällt es schwer, auf diesen Grundlagen einen Krankheitsbegriff zu entwickeln, der nicht nur Ordnungsprinzip sein darf, sondern eine realistische Vorstellung über das psychische Ensemble des Probanden vermitteln muß. Der Krankheitsbegriff darf kein Hilfsmittel nosologischer Orthopädie werden. Die Folgen, die mit der Bezeichnung ,krankhaft' verbunden sind, haben für die Betroffenen eine derart existentielle Bedeutung, daß der Krankheitsbegriff kein semantischer deus-ex-machina im manchmal dramatischen Wortspiel der Wissenschaft sein darf. Die verbal-systematischen Orientierungsversuche in der Grauzone sprachlich zu vermittelnder Einsicht in zerstörte Kommunikationszusammenhänge sind schwierig genug. Sie dürfen keinesfalls zu Lasten der Betroffenen unternommen werden, die wegen ihrer defekten Psyche nicht mehr mitteilungsfähig sind. Solche Hinweise sind nicht zuletzt deshalb angebracht, weil von psychiatrischer Seite gelegentlich versucht wird, den somatisch-psychiatrischen Krankheitsbegriff innerhalb des Strafrechts zumindest theoretisch durch eine Umdeutung der Schuldunfähigkeit in ein Integral defizienter Verantwortungs- und Sühnefähigkeit zu rechtfertigen.l!2l! Ein derartiges Unterfangen ist rechtslogisch schief und sachlich höchst anfechtbar.l!l!3 Ein Grund dafür mag sein, daß die Schuldfähigkeitsnorm von der Frage nach der Freiheitlichkeit des Täters und von ihrer empirisch-psychopathologischen Beantwortung im Sinne einer Analytik der einschränkenden Bedingungen dieser Freiheitlichkeit nicht gelöst Witter (1972 a), S. 480. Haddenbrock (1962), S. 905, 906. Vgl. auch dens. (1981), S. 39. Ähnlich Witter (1976), S. 734. Aufschlußreich ist die Kontroverse zwischen Haddenbrock, DRiZ 1974, 34 ff. und Sarstedt (1977), S. 178, über die Bedeutung der juristischen Begriffe. 223 Bernsmann I Kisker, MSchrKrim 1975, 335. !!1

!2!

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werden kann. Von noch größerer Bedeutung ist, daß sich die Psychiater mit ihrem nicht ausreichend entwickelten begrifflichen Instrumentarium einem Bereich nähern, ohne die erforderliche Kompetenz und Legitimation zu besitzen. Es kann sein, daß dies durch die Erwartungshaltung der Juristen geradezu provoziert wird. Dadurch darf aber die Tatsache nicht aus dem Blickfeld geraten, daß die Psychiater noch nicht einmal eine klare Position beziehen können, wenn sie pro domo sprechen.

Venzlaff weist dankenswerterweise darauf hin, daß es den Krankheitsbegriff der klassischen Psychiatrie in Form eines verbindlichen consensus omnium in Wirklichkeit niemals gegeben hat, auch wenn aus dem forensisch-psychiatrischen Schrifttum dieser Eindruck entstehen könnte. Es wird betont, daß der Versuch Schneiders, ein biologistisch orientiertes Diagnosen- und Krankheitsschema zu schaffen, wegen seiner formalistischen Dogmenhaftigkeit von bedeutenden Teilen der Psychiatrie nicht akzeptiert worden ist und sich für die klinische Psychiatrie als nicht tragfähig erwiesen hat. Venzlafj bezeichnet es als irrtümliche Auffassung, mit einem allgemein verbindlichen Konzept wissenschaftlich begründbare Aussagen über die Zurechnungsfähigkeit machen zu können. Die Formulierungen Schneiders sind für ihn aus der Sicht der klinischen Wirklichkeit eine zum Teil fast schon peinliche Verniedlichung der seelischen Problematik kranker Menschen. Die ,Sinngesetzlichkeit des Daseins' sei vielleicht eine ansprechende Formel, nicht aber eine wissenschaftlich definierbare Größe, mit Hilfe derer wir die Zuordnung zur Gruppe der Krankheiten oder der Spielarten bestimmen können. Er weist nach, daß der enge psychiatrische Krankheitsbegriff keine Orientierungsmöglichkeiten für die Freiheitsgl'ade des Handeins oder die Verhaltensdeterminanten gibt. Deutlich wird, daß die praktisch in allen psychiatrischen Klassifizierungsschemata bestehende klare Zäsur zwischen abnorm und krank, psychopathisch oder psychotisch eine theoretische Trennungslinie bleibt, die überschneidungen und Verwischungen in Einzelfällen nicht verhindert. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, daß nur durch Krankheiten, nicht aber durch bestimmte psychologische Situationen oder Entwicklungen das gesamte Persönlichkeitsgefüge tiefgreifend gestört sein kann. Venzlaff sieht ein, daß die Unsicherheit nicht aus Rechtsnormen oder differierenden Auffassungen über den Krankheitsbegriff erwächst, sondern aus den Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten speziell über psychische Abläufe. Auch wenn eine klare und allgemein akzeptierte Definition des Krankheitsbegriffs vorläge, wird ein Ermessensspielraum aus den unterschiedlichen Qualitäten der psychischen Gestörtheit niemals auszuräumen sein. Richtig muß dann sein: "Die Schuldfähigkeit ist kein definierbarer oder mit

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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naturwissenschaftlicher Methodik faßbarer medizinischer Befund, sondern auf ihr Vorliegen oder Nicht-Vorliegen kann nur mittelbar aus psychopathologischen, psychodynamischen und soziobiographischen Feststellungen und Interpretationen mit einer mehr oder minder breiten Unsicherheitszone geschlossen werden."224 Venzlaff zieht daraus die Konsequenz, daß sich forensisch-psychiatrische Probleme nicht über die Reduktion auf einen bestimmten Krankheitsbegriff lösen lassen, den die klinische Psychiatrie ohnehin deshalb nicht benötige, weil sie sich an psychopathologi.schen Syndromen, abnormen Zustandsbildern und Leidensqualitäten orientiere, um Indikationen für eine Behandlung oder pflegerische Verwahrung zu erhalten.225

Witter hingegen glaubt, daß die am 1. 1. 1975 in Kraft getretenen Bestimmungen der §§ 20, 21 StGB die Möglichkeit eröffnen, die Orientierung am psychiatrischen Krankheitsbegriff wieder voll zum Zuge kommen zu lassen, weil der krankhaften seelischen Störung die schwere andere seelische Abartigkeit als neues Merkmal gegenübergestellt wurde. Mit einem als notwendig erachteten Kunstgriff habe die Rechtsprechung durch eine juristische Definition den als zu eng empfundenen psychiatrischen Krankheitsbegriff ausgeweitet, um die Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit, die man insbesondere bei sexuellen Triebanomalitäten anerkennen wollte, mit dem Wortlaut des § 51 StGB a. F. vereinbaren zu können. Witter empfindet, daß die Vorteile, die der angeblich klar abgrenzbare und empirisch fundierte psychiatrische Krankheitsbegriff für die Rechtssicherheit gebracht habe, durch den juristischen Krankheitsbegriff gefährdet seien.22G Aus seiner Argumentation wird deutlich, daß der von ihm skizzierte Krankheitsbegriff im Vergleich zu einer juristisch,en Begriffskonstruktion weder für die Psychiatrie selbst noch im Verständigungsprozeß zwischen Gericht und Sachverständigen einen erkenntnispraktischen Nutzen haben kann, weil noch nicht einmal eine ausreichende psychiatrieimmanente erkenntnistheoretische Fundierung geleistet wurde. Zum gesicherten allgemeingültigen psychiatrischen Wissen gehöre die Erkenntnis eines Unterschiedes zwischen Psychosen einerseits und neurotisch-psychopathischen Störungen sowie Triebanomalien andererseits. Witter sieht folgende Möglichkeiten, diesen Unterschied begrifflich-systematisch zu bewältigen. Denkbar sei ein theoretischer Krankheitsbegriff, mit dem die Psychose als Krankheit den anderen genannten psychischen Störungen als nicht krankhafte psychische Abnormität gegenübergestellt werden könnte. Möglich sei aber auch, Psychosen und die anderen Störungen unter einem gemeinsamen Krankheitsbegriff zusammenzufas224 225 228

Venzlaff, zstw 88 (1976), 64. Venzlaff, zStW 88 (1976), 65.

Witter (1976), S. 732.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

sen oder aber ganz auf einen Krankheitsbegriff zu verzichten und den Unterschied mit anderen Hilfsmitteln zu erläutern. Offensichtlich hat sich Witter dafür entschieden, den Unterschied mit Hilfe der Bezeichnung Krankheit begrifflich abzugrenzen. Für ihn setzt dieser Krankheitsbegriff erst nach der Sammlung des Erfahrungswissens ein und liefert lediglich eine Abstraktion, die sich um eine theoretisch-systematische Ordnung des Wissens bemühe und die Verständigung über bestimmte Erkenntnisinhalte erleichtern soll.227 Es drängt sich die Frage auf, woz.u solch ein Begriffsverständnis gut ist. Einerseits hält Witter dem Juristen vor, daß dieser aufgrund seiner gewohnten Arbeits- und Denkweise leicht geneigt sei, im Krankheitsbegriff nicht nur ein Verständigungs- und Orientier.ungsmittel zu sehen, sondern auch eine begriffliche Definition als Maßstab zur Klärung psychiatrisch-diagnostischer Zweifelsfragen. So werde die Anforderung an den Krankheitsbegriff überspannt. Die Möglichkeiten und Grenzen seiner Brauchbarkeit würden verkannt. Andererseits zeigt er, daß es gerade der Psychiatrie nicht gelingt, eine verläßliche wissenschaftliche Begriffsbildung zu betreiben, weil sie sich jenseits ihres beanspruchten Erkenntnisbereichs mit rechtspolitischen Fragestellungen einläßt und wissenschaftstheoretische Selbsteinschätzung mit einem spezifischen Kompetenzverständnis unzulässigerweise verquickt. Immerhin will Witter festgehalten wissen, daß dann, wenn man die Funktion des Strafrechts vorrangig in der Erfüllung einer sozialen Aufgabe sieht, die Kenntnis von Art und Ausmaß einer Beeinträchtigung der sozialen Orientierungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung sein soll. überraschend ist nur die Schlußfolgerung, die er daraus entwickelt. Er hält dies für den wesentlichen Grund dafür, daß der Krankheitsbegriff ein so wichtiges Hilfsmittel für die forensische Psychiatrie wurde. Verständlicher wird diese Logik auch dann nicht, wenn man unterstellt, daß die Verdeutlichung des Unterschieds zwischen Psychosen einerseits und neurotisch-psychopathischen Störungen sowie Triebanomalien andererseits deshalb von besonderem Interesse für das Strafrecht ist, weil die Psychosen angeblich in der Regel die soziale Orientierung des Individuums in ganz anderer fundamentaler Weise beeinträchtigen als dies bei neurotisch-psychopathischen Triebanomalien der Fall sein soll.227 Es ist nicht überzeugend, die Beurteilung der Frage der Verantwortungsfähigkeit als Angelpunkt für den Einsatz des psychiatrischen Krankheitsbegriffs anzusehen und die psychologisch-psychiatrischen Voraussetzungen für ein soziales Schuldstrafrech,t zu vertreten, welches vermeintlich einen vernünftigen Mittelweg zwischen einem auf der menschlichen Verantwortungsfähigkeit aufbauenden Gerechtigkeitsrecht und einem auf die Resozialisierung des Täters und den Schutz !27

Vgl. insgesamt Witter (1976), S. 724 f.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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der Gesellschaft bedachten sozialen Maßregelrecht sucht. Entgegen der Ansicht von Witter wird man nach dieser Konzeption sich als Sachverständiger eben nicht ganz auf empirisch~seinswissenschaftliche Feststellungen beschränken und jede Aussage über Willensfreiheit und deren Einschränkung vermeiden. Die Selbstbescheidung Witters grenzt unter diesen Voraussetzungen an intellektuelle Koketterie: "Überl~ gungen dieser Art bleiben dem Richter überlassen, in dessen Kompetenz sie auch gehören. "228 Es kann sein, daß man in der allgemeinen Medizin an der Festlegung eines Krankheitsbegriffs wenig Interesse hat, da man ihn in der Praxis kaum benötigt.229 Wenn auch zur Erforschung und Behandlung von psychischen Krankheiten keine Krankheitsdefinition nötig ist, weil es nicht um die Herstellung begrifflicher Ordnungen geht, sondern um die Feststellung konkreter psychischer und körperlicher Tatsachen, dann ist das beständige Bemühen um die Begründung eines psychiatrischen Krankheitsbegriffs und dessen erfolgreiche Konkurrenz zum juristischen Krankheitsbegriff schlicht unverständlich. Daran können auch salvatorische Klauseln nichts ändern: "Ganz unabhängig von der Verpflichtung auf irgendeinen Krankheitsbegriff und eine darauf gegründete Systematik kann sich der Psychiater also auf eine fundierte Erfahrungswissenschaft stützen, wenn er als gerichtlicher Sachverständiger tätig wird."230 Solch eine Argumentation auf doppeltem Boden trägt nichts zu einer präzisen Begriffsbildung bei. Jüngst hat Haddenbrock vorgeschlagen, sich von unfruchtbaren Diskussionen und Polemiken über den forensisch relevanten Krankheitsbegriff und seine Diminuitiv- und Analogie-Abkömmlinge des Krankhaften, Krankheitsartigen und Krankheitswertigen zu befreien. Ihm ist darin zuzustimmen, daß es der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit wenig dient, wenn man einschneidende Rechtsfolgen abhängig macht von akademischen Auffassungsdifferenzen über Krankheit und Kranksein, über einen engen oder weiten, einen theoretischen oder pragmatischen, einen medizinisch-somatischen oder rein psychopathologischen, über einen juristisch-sozialen oder ärztlich-therapeutischen Krankheitsbegriff. Es kann hier nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit der Frage nachgegangen werden, ob das 1975 neu normierte System der §§ 20, 21 StGB den klassischen Krankheitsbegriff gesetzlich obsolet gemacht hat. Haddenbrock ist der Ansicht, daß auch eine kriminogene Neurose als krankhafte seelische Störung anzusehen sei, während eine noch so tiefgreifende Bewußtseinsstörung im affektiven Ausnahmezustand ebensowenig etwas Krankhaftes sei wie der Schwach228

228 230

Witter (1976), S. 731. So Witter (1976), S. 724. Witter (1976), S. 724. Vgl. dagegen die überzeugende Kritik von Meyer,

MSchrKrim 1981, 225, 226.

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sinn und wie die schwere seelische Abartigkeit mit ihren fließenden übergängen in die seelische Artigkeit, also Normalität. Daraus folgt für ihn die Emanzipation der Beurteilung strafrechtlicher Schuldfähigkeit vom Krankheitsbegriff. Durch die juristische Ausweitung werde der Krankheitsbegriff forensisch abgewertet und die Schuldfähigkeitsbe.urteilung sachlogisch stärker vikariierend an andere dadurch aufgewertete Kriterien gebunden. Nach dem Eindruck von Haddenbrock wären das de lege lata die sogenannten psychologischen Voraussetzungen.231 Der Gedanke ist sinnvoll. Daraus müssen sich nicht nur Konsequenzen für die Kompetenzansprüche von Psychiatrie und Psychologie ergeben. Selbstverständlich muß sich, wie Bernsmann / Kisker richtig erkennen, ein umfassendes strafrechtliches Entschuldigungskonzept aus jeder Unmündigkeit gegenüber der Psychiatrie lösen und alle Vorgänge erfassen, welche die personale Selbstbestimmung erschweren oder ausschließen. Die Hypothese erscheint angebracht, daß die Tendenz, nur solche Vorgänge als exkulpationsrelevant anzusehen, die von der Medizin, der angstbindendsten aller wissenschaftlichen Disziplinen, als ,krankhaft' oder ,krankheitswertig' legitimiert werden, zur Ausblendung einer Reihe von Beschädigungen der Schuldfähigkeit führt. Die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen, daß trotz progressiver Ansätze (Haddenbrock) in der gutachterlich-gerichtlichen Praxis a.uch unter Geltung der §§ 20, 21 StGB Bestrebungen wirksam sind, diese Bestimmungen gegen ihren Sinn somatologisch-scholastisch zu interpretieren und das Bekenntnis zum Schuldprinzip auf psychiatrische Kompaktdiagnosen zu reduzieren.l!3ll Damit ist die Möglichkeit eröffnet, die mühselige, von den forensisch-psychiatrischen Agnostikern in ihrer wissenschaftlichen Fundierbarkeit bestrittene psychologische Analyse der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zu umgehen, die bei Anwendung des juristischen Krankheitsbegriffs geboten ist. Die Argumente, mit denen demgegenüber der medizinisch-psychiatrische Krankheitsbegriff verteidigt wird, vermögen nicht zu überzeugen. Das Argumentationsmuster umfaßt folgende Positionen: -

Die somatische Analytik ist objektiv und wertfrei (biologisch-wissenschaftstheoretisches Argument), nur mit dem somatischen Krankheitsbegriff läßt sich eine Aufweichung der Strafrechtsordnung verhindern (kriminalpolitisches Argument), nur körperlich begründbare oder postulierbare psychische Erkrankungen führen zur Exkulpation, weil andere Probanden in psychia231 !3!

Haddenbrock (1981), S. 40. Bernsmann I Kisker, MSchrKrim 1975, 334.

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trische Anstalten nicht aufgenommen werden können (anstaltspolitisches Argument).233 Die Bewertung solcher Argumente durch Bernsmann / Kisker als in sich fragwürdige Deklaration ist nicht abwegig. Selbst wenn sie sachlich zutreffend wären, müßten sie als unbeachtlich angesehen werden, weil nach dem geltenden Schuldstrafrecht die biologische Methode nicht ausschließlich angewendet werden darf. Ebensowenig kann die Bezweiflung der Schuldfähigkeit auf den somatologischen Krankheitsbegriff gestützt werden.2M Das heißt nichts anderes, als daß Psychologen genau wie jeder andere, der sich auf qualifizierte Weise mit psychischen Sachverhalten beschäftigt, kompetent sind, um an der Klärung der Schuldfähigkeitsfrage mitzuwirken. 6.2.3.2.3. Strafprozessualer Nutzwert Die Untersuchung hat gezeigt, daß es keine Krankheitsdefinition gibt, die einer methodologischen überprüfung standhält. Entweder handelt es sich um Tautologien, also Nominaldefinitionen, bei denen Definiens und Definiendum austauschbar sind, oder es werden deskriptiv-phänomenologische Definitionen von .unüberschaubarer Länge eingesetzt. Im ersten Fall gilt nach definitionstheoretischen Maßstäben, daß dadurch keine Informationen über die Wirklichkeit erteilt werden. Es handelt sich nur um Vorschläge für die Verwendung von Ausdrücken. Im zweiten Fall, also bei den Realdefinitionen, liegen nur Abkürzungsregeln vor, bei denen das Definiens als Kürzel für die ausführliche phänomenologische Beschreibung steht. Es wird in Ein-Wort-Diagnosen (z. B. "Psychopath") eingesetzt. Bauhofer erkennt, daß der Erklärungswert solcher Bezeichnungen auch durch graduierende und färbende Attribute (z. B. "hochgradig", "querulatorisch") nicht erhöht wird.235 Das hängt auch damit z.usammen, daß der diagnostische Begriff von der Wirklichkeit losgelöst ist. Psychiatrische Krankheitsdefinitionen mit empirischen Aussagen müssen beträchtliche methodologische Schwierigkeiten bei dem Versuch einer Falsifizierung hervorrufen. Die Probleme entstehen nicht nur durch die ungenaue Verwendung des Krankheitsbegriffs. Gelegentlich liegen auch grundsätzliche Mängel vor: "Methodenbewußtsein gehört nicht zu den Grundtugenden mancher Experten auf forensisch-psychiatrischem Gebiet. Es wird allenfalls auf eine große Erfahrung hingewiesen, ein Sachverhalt, der sich der überprüfung im Vgl. Haddenbrock (1981), S. 40. Richtig Bemsmann / Kisker, MSchrKrim 1975, 335. 235 Bauhofer, KrimBull 1980, 19. Vgl. auch Binder (1952), S. 109 ff. Ober die Grenzzustände zwischen seelischen Variationen und Krankheiten Langelüddeke / Bresser (1976), S. 104 ff. 238

234

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Strafverfahren naturgemäß entzieht. "2311 Die erkenntnistheoretischen Schwächen des psychiatrischen Krankheitsbegriffs machen einen überblick über verschiedene nosologische Systeme sinnlos.237 Sollte man gar davon ausgehen, daß niemand generell-abstrakt definieren kann, was Krankheit ist, dann verdient die Mahnung von BauhofeT Beachtung. Er plädiert für größte Vorsicht bei der Verwendung psychiatrischer Termini, weil nicht der Psychiater bestimme, was alles unter den Begriff der Krankheit fällt, sondern die jeweilige Kultur. 238 Grundsätzlich muß sich der Richter darüber klar sein, daß seine Auswahl zwischen Psychiater und Psychologen möglicherweise auch eine tatbestandliche Präferenz beinhaltet, die weder den wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen der beteiligten Disziplinen entspricht noch dem verfahrenspraktischen Ziel (Klärung der Schuldfähigkeitsfrage) dient. Bei der Auswahl sollte sich der Richter vor Augen halten, daß es im Interesse der Betroffenen, des Täters und der Gesellschaft, angebracht sein kann, einen Psychologen als Sachverständigen beizuziehen, weil dieser vielleicht eher als die für sogenannte Geisteskrankheiten zuständigen Psychiater den Prozeß des Etikettierens, des Definierens und Identifizierens deutlich machen könnte.2311 Der Blickwinkel für die Beurteilung der Schuldfähigkeit kann so erheblich erweitert de BOOT, Forensia 1978, 56. So auch Bauhofer, KrimBull 1980, 19; deshalb können auch systematische Darstellungen psychopathologischer Syndrome nur erste Orientierun"gsvorschläge sein. Vgl. Haddenbrock, KrimGegwfr 1978,167. 238 Bauhofer, KrimBull 1980, 21, 22. Für Ehrhar.dt (1977), S. 347, bekommt die Problematik des Krankheitsbegriffs in der forensischen Psychiatrie dadurch noch eine besondere Zuspitzung, daß häufig im Gesetzestext gebräuchliche Ausdrücke für psychische Störungen und Defekte weder medizinisch noch juristisch klar umschriebene Begrüfe darstellen, weil sie dem vorwissenschaftlich-volkstümlichen Sprachgebrauch entnommen seien. Auch der BGH hält die eindeutige Bestimmung des Krankheitsbegriffs für unmöglich: BGHSt 13, 304 (308). Hinzu kommen die Selektionsmechanismen und Informationssperren der Strafjustiz, deren Folgen Thoss, NJW 1979, 1911, darstellt. Allgemein zur Verhaltenstransparenz menschlicher Gesellschaften Popitz (1968), S. 18. 138 Schneider (1977), S. 437. Auch auf Psychologen trüft gleichwohl die Analyse von Kaiser (1981), S. 15, zu: "Die Mediziner beraten jedoch nicht nur, sondern legitimieren gleichzeitig jene, die sich der Sachverständigenhilfe bedienen und ihre Handlungsmuster darauf stützen." Der auswählende Richter muß sich vergegenwärtigen, daß Psychiatrie und Psychologie einige Fragwürdigkeiten in sich bergen, die durch eine kollegiale Zusammenarbeit teilweise geklärt werden können. Pauschale Verdammungsurteile wie Stransky, KrimGegwfr 1962, 14, 16, 18, sie fällte, sind nicht angebracht. Die Sachverständigen sollten im Interesse der Glaubwürdigkeit ihrer Wissenschaft aussagefähigere Auswahlkriterien entwickeln. Für ein Gericht ist es nicht hilfreich, wenn Kompetenzprobleme in dem polemischen Ton ausgetragen werden, den Täschner, MSchrKrim 1980, 108 ff. und Sigusch, MSchr Krim 1981, 229 ff., anschlagen. Zu dieser Kontroverse SChOTsch I Pfäfflin, MSchrKrim 1981, 234 ff. 'Ober die Auseinandersetzung mit abweichenden Gutachten Marquetand (1979), S. 23 ff. Vernünftig Mechler (1981), S. V f. 138 237

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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werden. Angesichts des Erklärungswertes psychiatrischer Begriffsbildung ist bei der Beteiligung von Psychologen kein Verlust an analytischer Tiefenschärfe zu besorgen. Wie Bau,hofer zu bedenken gibt, könnte die Mitwirkung psychologischen Sachverstandes deshalb nützlieh sein, weil damit der prozeßhafte Verlauf einer devianten Karriere beschrieben und einsehbar gemacht werden könnte.l!40 Möglicherweise könnte sogar durch den Verzicht auf dramatisierende Zuschreibung von Bösem, Krankhaftem ein circulus vitiosus eher unterbrochen werden. Solche Hoffnungen sind nur dann berechtigt, wenn die Entfesselung der juristischen Vernunft gelingt, die zu einer Emanzipation des juristischen Denkens führen kann. Bernsmann / Kisker haben den Eindruck, als ob die Rechtsprechung in der Entwicklung der hierzu nötigen Voraussetzung während der vergangenen beiden Jahrzehnte entschiedener vorgegangen ist, als dies der Gesetzgebung und Kriminalpsychiatrie lieb war.Mi Der BGH hatte schon vor 20 Jahren eindeutig judiziert, daß es sich bei den Merkmalen des § 51 StGB a. F. um Rechtsbegriffe handelt, die mit den Begriffsbestimmungen der ärztlichen Fachsprache nicht sachgleich sein müssen.l!4l! In einer Würdigung der Entscheidung betont Lange, daß sie keine Spitze gegen die Psychiatrie ist, sondern ein Anwendungsfall des allgemeinen Gesetzes, unter dem jede juristische Begriffsbildung notwendig steht, weil sie t;eleologisch auf den Gesetzessinn und -zweck ausgerichtet werden muß. Sie trete damit in Gegensatz zur philologischen Interpretation, aber auch zum wertfreien empirischen Begriffsbild der Medizin. Hervorzuheben ist, daß die beteiligten Wissenschaften, Jurisprudenz, Psychiatrie, aber auch Psychologie mit ihren Ausdrücken völlig verschiedene Zwecke verfolgen. Die frontale Kollision eines medizinischen mit einem juristischen Krankheitsbegriff bringt keinen Erkenntnisfortschritt. Sie ist dem Richter bei seinem Auswahlproblem nicht behilflich. Lange meint, daß mit der Bezeichnung ,krankhaft' im Gesetz ein bewußtes Halbdunkel des Begriffs einer scharfen Formulierung vorgezogen worden seLl!43 Schwalm hatte vor geraumer Zeit entwickelt, was mit dieser Forrnulierungstechnik erreicht werden sollte. Die Bezeichnung ,krankhafte seelische Störung' sei in ihrer Undeutlichkeit gewollt. Das Gesetz sollte von der nicht einheitlichen Terminologie der Psychiatrie unabhängig und für die Anpassung an die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnis brauchbar gemacht werden.244 Nicht nur deswegen bedarf die psyBauhofer, KrimBull 1980, 23. MSchrKrim 1975, 332. 241 BGH in GA 1962, 116. zu Lange (1963), S. 14. 244 Schwalm, MDR 1960, 539. UO

m Bernsmann / Kisker,

190

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

chiatrische wie die psychologische Begriffsbildung sorgfältiger Beobachtung und kritischer Prüfung ihrer Leistungsfähigkeit. Es ist der Zentralbegriff des Unrechts und nicht der psychiatrisch-biologische Merkmalskatalog, auf den sich die Grunderwartung der Rechtsgemeinschaft auf Aktualisierung der Einsichts- und Hemmungsfähigkeit bezieht. Diese Fähigkeiten müssen in ein Verhältnis zum jeweils verwirklichten Unrecht gebracht werden. Sie können nicht maßgeblich in Relation zur jeweiligen diagnostischen Klassifizierung eines Täters als Merkmalsträger stehen. Besonders bei biologisch nicht verifizierbaren Befunden liegt es nahe, die Frage nach der Inkriminierbarkeit oder Exkulpierbarkeit des abweichenden Verhaltens in ein und derselben Sprache zu beantworten, nämlich in derjenigen der psychologisch-sozialen Erfahrungswissenschaften. Unter der Voraussetzung, daß körperlich nicht begründbare mentale Defekte bei der Mehrzahl der vielleicht entschuldbaren Täter eine Rolle spielen, ist das eine auch rechtspraktisch sehr vernünftige Forderung. Die erkenntnistheoretisch veranlaßte und verfahrenspraktisch sinnvolle Gleichbehandlung von Psychiatrie und Psychologie könnte vielleicht eine Erfahrung von Bernsmann / Kisker in Zukunft unmöglich machen. Danach benutzen viele Psychiater in foro ein Hausmacber-Register von Begriffen und Theorien aus der Psychologie und Sozialwissenschaft oder die biologisierende Sprache einer überholten medizinischen Psychologie, wenn sich delinquentes Verhalten als ungeeignet erweist, in der Sprache der Klinik analysiert zu werden.245 Unsere überlegungen konnten nur andeuten, vor welch diffizile Probleme der Richter implizit bei der Auswahl des Sachverständigen gestellt wird. Seine Entscheidung hat in jedem Fall eine eminent praktische Bedeutung. Mit der Auswahl ist die Gefahr einer antizipierten Beweiswürdigung verbunden. Die rigide Handhabung des Kriteriums ,krankhaft' führt zu einer unbegründbaren Zuständigkeitsverteilung zwischen Psychologie und Psychiatrie. 6.2.4. Schlußfolgerungen und Ergebnisse

-

§§ 20, 21 StGB sind über den Kreis der Geisteskrankheiten im Sinne der ärztlichen Wissenschaft hinaus auf alle Störungen anwendbar, welche die bei einem normalen und geistig reifen Menschen vorhandenen, zur Willensbildung befähigenden Vorstellungen und Gefühle beeinträchtigen.

U5 Bernsmann I Kisker, MSchrKrim 1975, 332, FN 15. Zu den sprachlichen Anforderungen an ein Gutachten Stransky, KrimbioGegwfr 1962, 14 f.; Brandenberger (1976), S. 7. Nach Spann, DAR 1980, 311, fällt es den Juristen leichter als den Medizinern, sich allgemeinverständlich auszudrücken.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

191

-

Die Gerichte stoßen an die Grenzen ihrer Kompetenz-Kompetenz, wenn sie die Auswahl zwischen Psychologen und Psychiatern nach dem Kriterium der Krankheit treffen sollen.

-

Aus logischen Gründen ist der Krankheitsbegriff immer ein ungeeignetes, aber wegen der gesetzlichen Formulierung unentbehrliches Auswahlkriterium. Die Lage der Gerichte ist perplex.

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Die Einstufung der Krankheit als Erkenntnisgegenstand der Psychiatrie begründet nicht deren vorrangige Zuständigkeit zur Klärung von Zweifeln an der Schuldfähigkeit eines Straftäters.

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Die Psychiatrie ist mit ihrem Krankheitsbegriff nicht in der Lage, den Gerichten Entscheidungshilfen für die Beurteilung der Schuldfähigkeit zu liefern. - Der psychiatrische Krankheitsbegriff stützt sich nicht auf ausreichend objektivierte Befunde. Er enthält notwendig wertende Elemente, die eine empirische Zuständigkeit der Psychiatrie weitgehend ausschließen müssen. - Die Nichtverstehbarkeit seelischer Störungen als Maßstab qualitativer Abnormität kann auch in dem wichtigen und großen Bereich den endogenen Psychosen keinen forensisch brauchbaren Krankheitsbegriff liefern. - Ein Krankheitsbegriff, der als Integral defizienter Verantwortungsund Sühnefähigkeit verstanden wird, führt zu Kompetenzanmaß.ungen der Psychiatrie. - Mit den Mitteln strafrechtsspezifischer Interpretationen muß ein juristischer Krankheitsbegriff entwickelt werden, welcher den Zwecken der Strafrechtspfiege eher entspricht als die medizinischpsychiatrischen Begriffsschöpfungen. - Die notwendige Bewertung mentaler Defekte verfügt dadurch über die notwendigen Beurteil ungsgr:undlagen. - Die Psychologie ist als Informationsquelle und Entscheidungshilfe im Prozeß der Bewertung mindestens gleich qualifiziert und kompetent wie die Psychiatrie, da es insbesondere bei körperlich nicht begründbaren geistigen Defekten angebracht ist, die im Verhältnis zur juristischen Erkenntnistechnik gleiche Sprache der psychologischsozialen Erfahrungswissenschaft zu verwenden. - Die Analyse der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ist ungeachtet des Ursprungs möglicher Defekte immer psychologischer Natur und erfordert daher regelmäßig auch die Beteiligung von Psychologen. -

Die begrifflichen Eigenheiten der Bezeichnung ,krankhaft' lassen es als sinnlos erscheinen, den psychiatrischen und juristischen Krankheitsbegriff konkurrierend einander gegenüberzustellen. Damit ist

192

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

weder eine erkenntnistheoretisch befriedigende Bevorzugung des einen oder anderen Begriffs möglich, noch können Hilfen bei der Auswahl zwischen Psychiatern und Psychologen gegeben werden. - Da die Prämissen von Psychologie und Psychiatrie unterschiedliche entscheidungsrelevante Ergebnisse ermöglichen, darf der Tatrichter den Kompetenzstreit zwischen Psychologie und Psychiatrie keinesfalls ignorieren. - Im Interesse der Revisionssicherheit ist es beim Verdacht krankhafter Zustände geboten, Vertreter beider Wissenschaftsrichtungen anzugehören. Für die Gerichtspraxis ist das insbesondere deshalb zweckmäßig, weil der Tatrichter nicht apriori wissen kann, ob die beim Angeklagten zu begutachtenden Zustände nicht krankhaft oder krankhaft, ob sie also in den behaupteten Erkenntnisbereich der (Normal-)Psychologie oder der Psychopathologie und damit der Psychiatrie gehören. - Die gleichzeitige lInd gleichberechtigte Zuziehung von Psychiatern und Psychologen ist nicht deshalb fragwürdig, weil mit der gemeinsamen Tätigkeit möglicherweise Verwirrung entstehen könnte.246 - Die Gerichte dürfen sich einem Streitgespräch zwischen Vertretern beider Wissenschaften nicht entziehen, da sie sonst nicht ihre Pflicht erfüllen können, sich eine eigene Meinung zu bilden, die gegenüber den Darlegungen der Sachverständigen einen selbständigen Charakter haben muß.241 - Der Spielraum bei einer Auswahlentscheidung zwischen Psychologen lInd Psychiatern kann so eng sein, daß eine Auswahl nur noch hinsichtlich der Personen und der Anzahl der Sachverständigen getroffen werden darf, während die Mitwirkung mindestens eines Sachverständigen aus dem jeweiligen Wissensgebiet sichergestellt sein muß. -- Sucht man Indizien der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung nicht durch Orientierung an einem medizinisch-psychiatrischen Paradigma, also nicht am Krankheitsbegriff als konventioneller Modellvorstellung, sondern an strafrechtsspezifisch:er und richterlicher Beurteilung unmittelbar zugänglichen Fähigkeiten, könnte das Auswahlproblem zunehmend obsolet werden. Dann wäre es nämlich vertretbar, immer seltener psychiatrische Sachverständige beizuziehen.

248

247

So aber Bresser, NJW 1958, 250. Vgl. auch Eb. Schmidt (1962), S. 267.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit 6.2.5. Funktionelle Beziehungen zwischen § 78 und § 261

193

stpo

6.2.5.1. Prozeßrechtliche Grundlagen Insbesondere bei Zweifeln über die Schuldfähigkeit wird die enge funktionelle Verknüpfung zwischen einer weiteren zentralen Vorschrift des Sachverständigenbeweises und dem Prinzip der freien Beweiswürdigung deutlich. Es handelt sich um die Beziehungen zwischen § 78 und § 261 StPO. Die Vorschrift des § 78 StPO regelt das rechtliche Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen. Sie bestimmt damit auch die Bedingungen, unter denen die faktische Zusammenarbeit stattfinden soll. Dem Richter muß die Leitung der Sachverständigentätigkeit schon deshalb zustehen, weil er die Verantwortung für seine Entscheidung zu tragen hat. Teilweise wird die Ansicht vertreten, daß unter der Tätigkeit des Sachverständigen, die von ihm vorzunehmende Untersuchung, nicht seine Vernehmung zu verstehen sei. Der Richter habe dem Sach!verständigen die Punkte anzugeben, die das Gericht für erforderlich hält. An die Stelle des Richters trete im Vorverfahren der Auftraggeber.248 Die Ausführungen Kleinknechts werden der prozeßpraktischen Situation im Bereich des Sachverständigenbeweises nicht gerecht. Sie beschreiben nicht annähernd Funktion, Umfang und Bedeutung der richterlichen Leitung. Wollte man es dabei belassen und die Ansicht vertreten, daß es bei der Leitung des Sachverständigen nicht.um die Vernehmung in der Hauptverhandlung geht, sondern um die Fertigung des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens, so wäre § 78 StPO dysfunktional. Dies hätte gerade bei Zweifeln über die Schuldfähigkeit eines Angeklagten, über die einzig und allein in der Hauptverhandlung zu befinden ist, ganz gravierende Konsequenzen. Es ist nicht zu bestreiten, daß diese Vorschrift über die richterliche Erhebung des Sachverständigenbeweises in der Praxis fast immer auf den Kopf gesteIlt wird.2411 Wie bereits dargestellt, macht die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren im Bedarfsfall von ihren Befugnissen aus § 161 a StPO Gebrauch. Dort wird der Gutachtenauftrag formuliert. Der Staatsanwalt hat de facto eine leitende Funktion. Natürlich kann nicht geleugnet werden, daß die möglichst frühzeitige Beauftragung eines Sachverständigen aus kriminaltaktischen Gründen sinnvoll und sogar notwendig ist. Bei mangelnder Sachkunde kann die Ermittlungsbehörde nur mit Hilfe eines Sachverständigen entscheiden, ob begründeter Tatverdacht vorliegt. Wichtige Spuren können bei nicht rechtzeitiger Beiziehung eines Sachverständigen unwiederbringlich verlorengehen. Auch wenn z.ugestanden werden muß, daß die Erhebung des Sachverständigenbeweises während des Ermittlungsverfahrens durch 148

Kleinknecht (1981), § 78 Rdn 2. auch Menget (1978), S. 9.

m So

13 Hetzer

194

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

die Ermittlungsbehörde zweckmäßig ist, bleibt festzuhalten, daß solch eine Praxis dem Wortlaut des § 78 StPO widerspricht. Die StPO enthält keine Vorschriften, welche die Handhabung des Sachverständigenbeweises im Ermittlungsverfahren regeln. Da die Bestinunungen des 7. Abschnittes für das gesamte Strafverfahren gelten, ist auch für die im Ermittlungsverfahren zu erstellenden Sachverständigengutachten § 78 StPO anwendbar. Die Beweiserhebung hat ausschließlich durch den Richter zu erfolgen. Der Sachverständige der ersten Stunde steht de lege lata nicht zur Disposition der Ermittlungsbehörde. Die Notwendigkeit rascher Beiziehung des Sachverständigen vermag daran nichts zu ändern. Die Ansicht, daß §§ 72 ff. StPO auch für die nichtrichterliche Beweiserhebung gelten, soweit diese Vorschriften ihrem Wesen nach anwendbar sind, kann nicht überzeugen. Richtig ist zwar, daß der Zeugenbeweis durch nichtrichterliche Organe erhoben werden darf und aus § 163 a V StPO entnommen werden könnte, daß diese Ermittlungsorgane zulässigerweise einen Sachverständigenbeweis führen können. All diesen Gesichtspunkten steht aber der eindeutige Wortlaut des § 78 StPO entgegen. Der Hinweis auf den Zeugenbeweis ist wegen der essentiellen Verschiedenheit der beiden Beweisarten unbeachtlich.250 § 163 a V StPO liefert kein Argument für die Anwendbarkeit des § 78 StPO auf nichtrichterliche Ermittlungsorgane. Die Vorschrift des § 163 a StPO soll den Schutz des Beschuldigten bewirken.261 Da nur die richterliche Erhebung des Sachverständigenbeweises diesem Ziel am ehesten gerecht werden kann, verbietet sich die Annahme, § 163 V StPO habe die Zulässigkeit der nichtrichterlichen Erhebung des Sachverständigenbeweises anordnen wollen. 252 Darüber hinaus ist zu bedenken, daß § 162 StPO ein richterliches Beweissicherungsverfahren statuiert.253 Dem Staatsanwalt kann daher auch kein Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage zustehen, ob er die Erhebung eines Sachverständigenbeweises durch den Richter beantragt. Im Ergebnis steht fest, daß § 78 StPO für das gesamte Strafverfahren gilt und die Erhebung des Sachverständigenbeweises in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich des Richters fällt. Die richterliche Leitungskompetenz kann insbesondere nicht auf das Ermittlungsverfahren beschränkt sein. Zweifellos sind dort, wo ein Sinngemäß auch MengeL (1978), S. 13. Zu den Zielen des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 19. 12. 1964 Eb. Schmidt (1957), Anm B H zu § 163 a. 252 Sarstedt, NJW 1968, 178, empfiehlt zu § 73 StPO: "Man strenge seinen Scharfsinn nicht an, um diese Bestimmung praktisch zu umgehen, sondern man wende sie ganz einfach loyal an." 253 Eb. Schmidt (1957), Anm. H, 2 b. Vorbem. zum 2. Abschnitt; KLeinknecht (1981), § 162 Anm 1 A. 250 251

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

195

Sachverständiger aufgrund eines richterlichen Auftrags im Ermittlungsverfahren tätig wird, Art und Umfang der Leitung von sehr großer Bedeutung. Besonders Sarstedt hat ganz deutlich gemacht, daß § 78 StPO in diesem Stadium eine wichtige, aber allgemein vernachlässigte Vorschrift des Sachverständigenbeweises ist. Völlig zu Recht fordert er, daß die Gerichte ihre Leitungsaufg~ben öfter erfüllen sollten als das tatsächlich geschieht. Die Forderung ist deshalb berechtigt, weil durch Nachlässigkeiten und, Zurückhaltung auf diesem Gebiet die Richter die Revisionsgerichte häufiger als nötig beschäftigen. Diese Gefahr besteht, wenn dem Sachverständigen die Akten kommentarlos zugeschickt werden. Dadurch könnte jener den Eindruck haben, daß er den gesamten Akteninhalt für sein Gutachten verwenden darf. Damit ist ein Verstoß gegen § 261 StPO leicht möglich. Das Urteil muß auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhen. Wird der Akteninhalt durch Verarbeitung im G.utachten mittelbar zur Urteilsgrundlage, ist § 261 StPO verletzt. Es gehört daher zur ordnungsgemäßen Leitung des Sachverständigen, ihm gemäß § 78 StPO ausdrücklich zu verbieten, in sein Gutachten einen Aktenauszug aufz.unehmen.254 Zwar kann auf eine Verletzung des § 78 StPO als solchen eine Revision nicht gestützt werden. Wie aber bereits jetzt deutlich geworden ist, können Maßnahmen und Unterlassungen auf dem Gebiet der Leitung gegen andere Verfahrensvorschriften, z. B. § 261 StpO und gegen sachliche Rechtsvorschriften, namentlich §§ 20, 21 StGB verstoßen. Ganz offensichtlich wird die enge funktionelle Beziehung zwischen § 78 und § 261 StPO, wenn das Gutachten mit einer ausführlichen Wiedergabe des Akteninhalts eingeleitet wird. Dadurch wird der Nachweis möglich, daß bestimmte Angaben des Gutachtens nur auf den Akteninhalt zurückzuführen sind. Sind diese Punkte nicht in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen, z. B. weil ein Zeuge, dessen Aussageprotokoll sich in den Akten befindet, in der Hauptverhandlung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, und war die protokollierte Aussage notwendige Grundlage des in der Hauptverhandlung mündlich zu erstattenden Gutachtens, ist eine freie Beweiswürdigung, die auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhen soll, unmöglich. Aufgrund dieser Zusammenhänge wäre es verfehlt, wenn man mit Lürken annähme, daß § 78 StPO nur die Leitung des Sachverständigen bei der Erstellung des Gutachtens regelt und nicht die Vernehmung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung betrifft.266 Unbegründet ist auch die Ansicht von Karpinski, der sich dafür ausspricht, dem Sachverständigen den gesamten Akteninhalt bekanntzugeben.266 Auf 254

255 258

13·

Sarstedt, NJW 1968, 180. Lürken, NJW 1968, 1164. Karpinski, NJW 1968, 1173, glaubt, daß die Erstattung eines schrift-

196

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

den ersten Blick erscheint die Feststellung Täschners richtig, daß der Sachverständige für jede Aussage im Zusammenhang mit der Schuldfähigkeit auf einer so breit wie nur irgend möglich gestalteten Erkenntnisbasis stehen muß.257 Das darf aber nicht dazu führen, daß dem Informationsbedürfnis das Ziel der Wahrheitsfindung auf justizförmigern Weg geopfert wird. Die Übersendung des gesamten Aktenbestandes wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, daß so eher ein schriftliches (Vor-)Gutachten angefertigt werden könnte, das als Vorbereitung für die Hauptverhandlung durchaus einen besonderen Wert haben mag. Es ist nicht immer sinnvoll, ein schriftliches Vorgutachten deshalb zu erstellen, weil Richter, Staatsanwalt und Verteidiger vielleicht nicht in der Lage sind, das Gutachten kritisch zu würdigen, wenn sie erst in der Hauptverhandlung damit konfrontiert werden.258 Es gehört zu den Leitungsaufgaben des Richters, das Gutachten in der Hauptverhandlung so informativ und nachvollziehbar wie möglich werden zu lassen. Unerheblich ist, daß der Richter möglicherweise nicht die erforderliche Sachkunde hat,;um zu diesem Zweck Fachfragen zu stellen. Wie Mengel richtig hervorhebt, kann er gerade deshalb darauf hinwirken, daß der Sachverständige sein Gutachten verständlich erstattet. Erst dann kann die Öffentlichkeit ihre Kontrollfunktion wahrnehmen. Schon das Öffentlichkeitsprinzip zwingt das Gericht, den Sachverständigen in der Verhandlung so zu leiten, daß das Gutachten auch für Laien verständlieh wird. 259 Mehr noch ist zu beachten, daß § 267 II StPO das Gericht verpflichtet, die Nachprüfung der Schlußfolgerungen zu ermöglichen, die es aus den Gutachten zieht. Alle Beweistatsachen müssen angeführt werden, um die Beweiswürdigung einer revisionsgerichtlichen überprüfung zugänglich zu machen. Aus der Verpflichtung zur überprüfbaren Gestaltung der Beweiswürdigung mittels eines transparent dargelegten Gutachtens folgt die analoge Anwendung der Grundsätze zur Revisibilität der Beweiswürdigung auf das Verhältnis Richter - Sachverständiger. Unverständlich ist, warum daraus zum Teil geschlossen wird, daß eine Abweichung des Richters vom Gutachten zum Verstoß gegen § 244 IV StPO führe. 260 Soll der Grundsatz der freien Beweiswürdigung verfahrenspraktische Bedeutung haben, kann es dem Richter nicht versagt sein, eine andere Wertung vorlichen Gutachtens vor der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nur aufgrund des Akteninhalts geschehen könne. Entgegen Sarstedt hält er es für gefährlich, anstelle der Akten, die vor der Hauptverhandlung die umfassendste Stoffsammlung darstellten, dem Sachverständigen eine kurze Sachdarstellung zu geben. 257 Täschner, MSchKrim 1980, 113. 258 Lilrken, NJW 1968,1165.

Menget (1978), S. 93. SO Menget (1978), S. 96. Auch § 261 StpO ist betroffen. Vgl. SchWchter (1981), S. 497. 259

2GO

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

197

zunehmen als der Sachverständige. Es wird nicht bestritten, daß der Richter an die Regeln der Logik und der naturgesetzlichen Erfahrungswelt gebunden ist. Ein Verstoß gegen § 244 IV StPO kann gar nicht vorliegen, wenn der Richter innerhalb des denkgesetzlich möglich.en Entscheidungsrahmens zu einer anderen Auffassung als der Sachverständige gelangt. Das gilt besonders bei dem Problem der Schuldfähigkeit. Sollte der Richter den Sachverständigen nicht zu einem nachvollziehbaren G.utachten veranlassen, besteht die Gefahr, daß sich das Gericht unter dem Eindruck fehlender Sachkunde dem Gutachten nur anschließt. Solch eine Beweisregel steht nicht im Einklang mit § 261 StPO.281 Der Richter kann seine Pflicht nach § 261 StPO nur erfüllen, wenn er seiner Verpflichtung gemäß § 78 StPO gerecht wird. Schon kraft seiner Leitungskompetenz hat er auf die Erstattung eines verständlichen Gutachtens hinzuwirken. Da jeder Beteiligte die Möglichkeit haben muß, die Richtigkeit des Gutachtens und die Art seines Zustandekommens in jedem Stadium des Verfahrens zu überprüfen, muß § 78 StPO auch und gerade für die Hauptverhandlung gelten. Der Hinweis auf § 238 StPO überzeugt nicht. § 78 StPO ist die speziellere Vorschrift. Das Gericht ist daher nicht nur durch Beweisanträge gezwungen, sich schon im Verfahren - während der Hauptverhandlung - und nicht erst im Rahmen der richterlichen überzeugungsbildung kritisch mit den Gutachten auseinanderzusetzen. Die Leitungstätigkeit des Richters beschränkt sich jedenfalls nicht in der Bekanntgabe der Anknüpfungstatsachen, von denen der Sachverständige schon bei der Vorbereitung und bei der Erstattung des Gutachtens auszugehen hat.l!62 Die Leitungskompetenz umfaßt auch die Erstattung des Gutachtens in der Verhandlung. Ist die Schuldfähigkeit problematisch, gehört es zur Leitungsaufgabe des Richters, den Sachverständigen über die materiellrechtliche Lage nach den §§ 20, 21 StGB zunächst aufzuklären. Das muß nicht in Form einer Belehrung über die Rechtsbegriffe in diesen Vorschriften geschehen, selbst wenn auch anerkannte Psychiater gelegentlich auf die ausschlaggebende Bedeutung eines rechtlich geprägten Krankheitsbegriffs aufmerksam gemacht werden müssen. Es reicht, wenn der Richter Fragen präzise stellt. Der Eindruck, daß auf solche Fragen immer eine eindeutig bejahende oder verneinende Antwort erwartet wird, muß vermieden werden. Der Sachverständige sollte zu einem offenen Eingeständnis ermutigt werden, wenn er eine zweifelsfreie Antwort nicht geben kann. Im Gespräch mit dem 2B1 282

Richtig Menget (1978), S. 97. Jessnitzer (1980), S. 191, ist der Ansicht, daß dem Sachverständigen zur

notwendigen Information die Akten ganz oder teilweise überlassen werden müssen. Vgl. auch Kteinknecht (1981) vor § 72, Rdn 5. Zu Befund- und Zusatztatsachen BGHSt 18, 107 ff. sowie Fincke, ZStw 86 (1974), 662 f.

198

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Sachverständigen stellt die Bekundung von Zweifeln fast ein Erkenntnisprinzip dar, auf dem mit den spezifischen Mitteln richterlicher überzeugungsbildung eine vertretbare Entscheidung beruhen kann. Wie Kühne zutreffend bemerkt, subsumieren viele Sachverständige ihre Untersuchungsergebnisse unter die §§ 20, 21 StGB, um die Bedeutung ihrer Befunde für die Schuldfähigkeit deutlich zu machen.H3 Es ist richtig, daß eine derartige Praxis durch übersetzungsprobleme veranlaßt wird, die auf die Sprachverschiedenheit zwischen Psychiatrie und Rechtswissenschaft zurückzuführen sind. über zentrale Fachbegriffe muß semantische Klarheit geschaffen werden, da ansonsten eine befriedigende Kommunikation ausgeschlossen ist.2M Ein Vorschlag von Bossi kann hier nicht weiterhelfen. Mit der Unterscheidung zwischen einem im Strafprozeß verantwortlich tätigen Sachverständigen und einem allen Prozeßbeteiligten zur Verfügung stehenden beratenden Sachverständigen wird nicht zwangsläufig die Erkenntnis möglich, wann ein Sachverständiger beginnt, mit pseudowissenschaftlichen Patentformeln reine Ermessensentscheidungen von sich zu geben. Unrichtigkeiten, Mängel oder Außenseitermeinungen können durch das Ausbreiten des gesamten Spektrums wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten nichi ausgemerzt werden.H6 Die Kommunikation zwischen den Begriffswelten der Sachverständigen und Juristen wird so nicht sichergestellt. Nimmt der Richter seine Leitungsaufgabe in der Hauptverhandlung ernst genug, kann er durch sorgfältige Befragung Schwächen des Gutachtens aufdecken und den Sachverständigen zwingen, sich verständlich zu machen. Zu einer funktionsfähigen Rechtspflege gehört, daß sich Gesetzgebung und Rechtsprechung in rechtsstaatlichen Grenzen am Zweck der Vorschriften orientieren, mit denen sie arbeiten. Wie Rasch feststellte, müssen die Bestimmungen so weit gehalten sein, daß sie allen erdenklichen Fällen der Praxis genügen. Soweit Begriffe die Lehren relevanter Nachbarwissenschaften berühren, muß gewährleistet sein, daß sie nicht von einer bestimmten Schulmeinung ausschließlich beanspruchJt werden können. Er geht davon aus, daß Psychiatrie und Psychologie bemüht seien, die gesetzlichen Begriffe, zu denen sie gehört werden, anzureichern und zu präzisieren. Seine fast schon ressentimentgeladene Form.ulierung, daß diesem Bestreben durch die Anwendung einer eigenen Psychologie von der Rechtsprechung Grenzen gesetzt würden, mit der sie als der Herr im Haus die Auffassungen der herbeigerufenen Fachwissenschaft überrennen kann, verkennt Umfang und Zweck der 283

284

285

Kühne (1982), S. 304, Rdn 516. Kühne (1982), S. 303, Rdn 515. Bossi, NJW 1980, 2747 f.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

199

richterlichen Aufgaben gemäß § 78 StPO.266 Man kann darüber streiten, ob seitens der Gerichte Kritik und Abwehr der Fachwissenschaftler zwar als nicht unverständliche, aber letztlich unangebrachte Reaktion gelten könnte, wenn die Rechtsprechung lediglich normative Definitionen suchen würde. Das Problem ist jedenfalls nicht mit der Bemerkung umrissen, daß man in Grundsatzurteilen - nicht nur im Bereich der Schuldfähigkeit - immer wieder auf Formulierungen stößt, die als empirische Aussagen gefaßt sind, obwohl es sich bei ihnen um Normierungen handelt. So wird man dem komplexen Problem der Verständigung bei Schuldfähigkeitsbeurteilungen nicht gerecht. Grundsätzlich gilt, daß die richterliche Leitung der Sachverständigenvernehmung in der Hauptverhandlung weder zu einer machtvollen Demonstration entarten darf, noch dem Zweck dienen soll, den Sachverständigen mit einer hausgemachten Psychologie zu überrennen. Die richterliche Leitung hat den Zweck, eine gangbare Schneise in das Dickicht aus empirischen Aussagen und normativen Forderungen zu schlagen. Auch das Bild des Brückenschlags von der Psychiatrie zum Recht versucht deutlich zu machen, daß es um die überwindung einer Kluft geht, die nur unter richterlicher Leitung erfolgreich vonstatten gehen kann.267 Diese Ansicht ist um so begründeter, als man berücksichtigt, daß der angebliche Gegensatz zwischen Empirie (Psychiatrie, Psychologie) und Normativität eher eine orthopädische Konstruktion zur Abstützung des wissenschaftlichen Selbstwertgefühls ist als die Konsequenz aus einer sorgfältigen wissenschaftstheoretischen Analyse praktischer Erkenntnismöglichkeiten. Muß sich das Gericht über die Schuldfähigkeit eines Angeklagten ein Urteil bilden, so ist aus verfahrenspraktischer Sicht der Vorschlag von Focken / Pfeiffer beachtenswert: "Es empfiehlt sich, an den Vortrag des Sachverständigen ein ,Prozeßgespräch' aller Verfahrensbeteiligten anzuschließen, in dem die Aussagen des Gutachters und die sich daraus ableitenden Folgerungen gemeinsam erörtert werden können. "268 Solch ein Gespräch kann aus kommunikationstechnischen und aus verfahrensrechtlichen Gründen nur unter der Leitung des Gerichts stattfinden. Es ist nicht mit dem Hinweis getan, daß der forensischen Psychiatrie in weiten Bereichen keine objektiven exakt quantifizierbaren Kriterien zur Verfügung stehen. Zweifellos liegt hierin ein zentrales Dilemma des Sachverständigenbeweises. Aufgrund unserer Vorüberlegungen ist klar, daß sich die richterliche Leitung nicht als mehr oder weniger wohlgefälliges Arrangement defensiver Leerformeln darstellen darf, wenn damit etwa die vom Verteidiger aus dem in dubio pro 288 287

2GB

Rasch, NJW 1980, 1309.

Witter (1970), S. 137 f. Focken I Pfeiffer, MSchrKrim 1980, 59.

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

200

reo-Prinzip abgeleitete Frage: "Können Sie Schuldfähigkeit ausschließen?" beantwortet werden soll. Wie Meyer richtig erkannt hat, geht es um die vernünftige Abwägung zwischen richterlicher Üherzeugungsbildung und dem bei der psychiatrisch/psychologischen Begutachtung erreichbaren Gewißheitsgrad. In der Tat besteht zwischen der Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reD und den Grenzen der Objektivierbarkeit im psychologisch-psychopathologischen Untersuchungsbereich eine Diskrepanz. Möglich ist deswegen ein rechtsmißbräuchliches Verhalten der Verteidigung durch die Frage nach dem Ausschluß anderer Möglichkeiten, unter denen das Tatgeschehen auch zustandegekommen sein könnte. Zudem könnte sich der Sachverständige angesichts dieser Diskrepanz veranlaßt fühlen, seine Rolle in Richtung auf therapeutische oder gar generalpräventive Gesichtspunkte zu überschreiten. Diesen Gefahren hat der Richter durch angemessene Leitungsmaßnahmen zu begegnen. Er muß sich dafür einsetzen, daß der Sachverständige eindeutig erklärt, welcher theoretischen Konzeption er folgt und Tatsachenfeststellungen von Bewertungen so exakt als möglich trennt. Damit ist ein erster Ansatz geschaffen, .um die Verständigung, also auch die Auseinandersetzung mit dem Sachverständigen, auf eine sachliche Grundlage zu stellen. Die Forderung ist berechtigt, daß der Richter, nicht der Verteidiger die eigentliche Diskussion mit dem Sachverständigen führen sollte. Dem Sachverständigen muß klargemacht werden, daß er medizinischen und psychologischen Laien die Bewertung der erhobenen Befunde zu erläutern hat, damit Tatgeschehen und psych,ische Tatzeitverfassung des Täters verstehbar werden.~9

Die Verpflichtung aus § 78 StPO stellt nicht z.uletzt wegen der verfahrensspezifischen Strukturen strafprozessualer Aufklärung den Richter vor höchst anspruchsvolle Aufgaben. Jüngst hat Haddenbrock auf das Sachverständigendilemma im deutschen Strafprozeß ohne Tatoder Sch,uldinterlokut hingewiesen. Er wendet sich gegen eine Umfunktionierung des psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen zum unwillkürlichen Indizienbeschaffer darüber, ob die vom Angeklagten bestrittene Täterschaft nach seinem PersönlichkeitsbiId, seiner Opferbeziehung, seiner inneren Tatzeitsituation eher wahrscheinlich oder eher unwahrscheinlich ist. Als einzige rechtsstaatIich korrekte Abhilfe betrachtet er die Zweiteilung der Hauptverhandlung in einen ersten Verfahrensabschnitt bis zum Tat- oder Schuldinterlokut und einen zweiten, der sich erst nach festgestellter Täterschaft genauer mit der Persönlichkeit des Täters befaßt. Kompetenzgrenzen sind für Haddenbrock kein Anlaß zur Zurückhaltung, da es hier um eine verfahrens28U

Vgl. insgesamt Meyer, MSchrKrim 1981, 226 ff.; ähnlich auch Krauß

(1975 a), S. 63.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

201

rechtliche Lösung gehe, die dem Sachverständigen aus einem sehr bedrückenden Dilemma befreien und seine prozessuale Mitarbeit rechtsstaatlich korrekter machen könnte. Aus den juristischen Beiträgen zum Tat- oder Schuldinterlokut gewinnt er die sehr praxisrelevante Überzeugung, daß de lege lata in den Fällen vermutlich zweifelhafter Täterschaft, insbesondere bei fehlenden oder widerrufenen G€ständnissen, dem Sachverständigen bereits im Beweisschluß für sein Gutachten und sodann mündlich möglichst frühzeitig in der Hauptverhandlung durch das Gericht aufgegeben werden sollte, sein Gutachten nur hypothetisch vorzubereiten und zu erstatten. Die Relevanz des Gutachtens soll dadurch aufschiebend bedingt sein, daß das Gericht nach gesamter Beweiswürdigung, also aufgrund des bis dahin bestehenden Inbegriffs der Hauptverhandlung von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ist. Die juristische Diskussion um ein Tat- oder Schuldinterlokut kann hier nicht nachgezeichnet werden. Festzuhalten ist, daß es nach Meinung Haddenbrocks aus der Sicht des psychiatrischen Sachverständigen besser wäre, wenn in allen Fällen ernstlich zweifelhafter Täterschaft ein Interlokutverfahren durchgeführt würde.270 Eingehende Persönlichkeitsanalysen werden erst erstellt, wenn die Täterschaft zweifelsfrei geklärt ist. Für das Verständnis des Richters von seinen Leitungsaufgaben ist wichtig, daß schon das geltende Verfahrensrecht solch eine Vorgehensweise zuläßt. Das Studium der von Schreiber .und Schöch in Niedersachsen durchgeführten Experimente könnte in diesem Sinn bewußtseinsbildende Kraft haben.27t Hier gilt es vor allem, die Anforderungen deutlich zu machen, die das Gericht bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung mittels seiner leitenden Tätigkeit zu erfüllen hat. Zu diesem Zweck müssen die verfahrenspraktischen Methoden und die ihnen zugrundeliegenden erkenntnistheoretischen Prinzipien erörtert werden, nach denen eine strafprozeßrechtliche Schuldfeststellung erfolgen muß. Nur so kann abschließend der Zusammenhang zwischen der verfahrensgestaltenden Leitung und den materiellen Inhalten der richterlichen Überzeugung deutlich werden.

6.2.5.2. Dialogizität der Schuldfähigkeitsbeurteilung Die Vorstellung, daß der Sachverständige alles zu tun hat, um die fehlende Sachkunde des Richters so weit auszugleichen, daß der Richter den weiteren Entscheidungsprozeß selbständig gestalten kann, be270 Ausführlich Haddenbrock, NJW 1981, 1303 ff. Auch Schlüchter (1981), S. 424, spricht sich de lege ferenda für die Einführung des Schuldinterlokuts aus. 271 Schöch I Schreiber, ZRP 1978, 63. Die in ca. 185 Strafverhandlungen durchgeführten Experimente verliefen befriedigend. Nach dem Interlokut konnte mehr Zeit für eine Beratung der Sanktion verwendet werden. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt DöHing (1978), S. 240 ff.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

darf im Bereich: der Schuldfeststellung einer genaueren überprüfung. Einerseits wird hervorgehoben, daß es niemals Aufgabe des Sachverständigen sein könne, über die strafrechtliche Dimension der Schuldnormen zu befinden oder den Schuldspruch in irgendeiner Weise vorzuschreiben.= Andererseits wird auf die Praxis verwiesen. Das Gericht fragt dort oft den Saclwerständigen, ob er § 20 StGB für anwendbar hält, wenn keine Stellungnahme von ihm hierzu abgegeben wurde. 273 In foro werde versucht, auf diese Weise die verbleibenden Verständnislücken der Juristen gegenüber Fachsprache und Fachdenken der Psychiater zu überbrücken. Nach unseren Erkenntnissen muß diese Praxis auf Bedenken stoßen. Die Frage nach der Anwendbarkeit des § 20 StGB unterbricht einen notwendigen Kommunikationsprozeß an der entscheidenden Stelle. Insbesondere kann die Antwort auf eine solche Frage, die der Sachverständige auch als Beweismittel beantwortet, nicht zum Inbegriff der Hauptverhandlung gehören. Dieser ist Gegenstand der freien Beweiswürdigung. Die Äußerung einer Rechtsauffassung seitens der psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen ist nicht geeignet, Verständnislücken zu schließen oder gar Verständnis zu schaffen. Kühne räumt auch ein, daß es bei formaler Betrachtung unzulässig ist, dem Sachverständigen die juristische Würdigung seiner Erkenntnisse zu gestatten, da das Gericht aufgrund des ihm vermittelten Wissens selbständig subsumieren muß. Aus diesem Blickwinkel mag man es als ein bloßes Spiel um Worte ansehen, einerseits dem Sachverständigen, die Bestimmung der juristischen Relevanz von Störungen zu verbieten, von ihm aber andererseits Antwort auf die Frage zu verlangen, ob sie krankhaft oder tiefgreifend sind. Die. Schlußfolgerung, die Kühne zieht, ist nicht zwingend. Er meint, daß immer dann, wenn ein Tatbestandsmerkmal wie bei §§ 20, 21 StGB nur aufgrund von nichtjuristischen Erkenntnissen subsumiert werden kann, der Sachverständige de facto die Subsumtion übernehme. Bei dieser Einschätzung des Verhältnisses zwischen Richter und Sachverständigen muß die These, der Saclwerständige dürfe keinesfalls zu rechtlichen Fragen Stellung nehmen, tatsächlich als Floskel erscheinen, die psychologisch geschickt die Furcht der Richter vor einem Abbau ihres Entscheidungsmonopols mindern hilft, und den Psychiatern formell Verantwortung abnimmt, die sie materiell tragen. Die Aufgabenstellung zwischen Richter und Sachverständigen wird von Art. 92 GG und § 244 111, IV StPO bestimmt. Der Richter hat zu entscheiden. Vorher muß er einen Sachverhalt unter das einschlägige So Krauß (1975 a), S. 64. Kühne (1982), S. 304, Rdn 516. Vgl. auch Haddenbrock, NJW 1967, 285 ff. zu den Paradoxien der Schuldfähigkeitsbestimmungen. 272

278

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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Gesetz subsumieren. Der Sachverständige hat bei der Erhebung des Beweises mitzuwirken, soweit dem Richter die erforderliche Sachkunde fehlt. Aus dieser gesetzlichen Kompetenzzuweisung lassen sich nicht ohne weiteres Rückschlüsse für die Struktur des Verständigungsprozesses zwischen diesen beiden Partnern ableiten. Insbesondere erlaubt die gesetzliche Grobrasterung im Bereich der Schuldfeststellung keine eindeutige Zuordnung der Subsumtionstätigkeit zum Richter oder zum Sachverständigen. Umgekehrt ist es nicht schon allein wegen des fachwissenschaftlichen Kompetenzvorsprungs des Sachverständigen zulässig diesem die Subsumtions- oder Definitionsmacht zuzusprechen. So erklärt es Kühne nicht von ungefähr in unmittelbarem Anschluß an seine vorgenannte These für beachtlich, daß die Tatsachen, welche die sachverständige Schlußfolgerung stützen, grundsätzlich allein der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegen. Bei Zweifeln über die Schuldfähigkeit ist es allerdings fragwürdig, den Befundtatsachen eine besondere Qualität zuzubilligen, deretwegen sich die Beweiswürdig.ungskompetenz des Gerichts in dem Maß mindere, in welchem das entsprechende Fachwissen fehlt. 274 Hier interessiert insbesondere, ob diese Minderung bei der Anwendung der §§ 20, 21 StGB und den fachwissenschaftlich geprägten Bedingungen des Datentransfers im Bereich der Schuldfähigkeitsbeurteilung unvermeidlich ist. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob und in welchem Umfang auf diesem zentralen Gebiet die Kommunikation zwischen Richter und psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen gefördert werden kann. In diesem Sinne können unsere folgenden Überlegungen bestenfalls ein weiterer kleiner Schritt zur Ordnung eines äußerst komplexen Problemzusammenhangs sein. Im Rahmen der Einschränkungen, die grundsätzlich für die Erkennbarkeit der Schuldfähigkeit gelten, soll eine Beschreib.ung der Bedingungen versucht werden, die zu nachvollziehbaren Erkenntnissen führen könnten. Gesetzliche Formulierungen können nur begrenzt nützliche Anhaltspunkte sein. §§ 20, 21 StGB liefern zwar normative Vorgaben für die Verständigung zwischen Gericht und Sachverständigen. Mit juristischer Subsumtionsakrobatik sind sie aber nicht in Erkenntnisse über fremdpsychische Sachverhalte zu verwandeln. Es ist wenig sinnvoll, alle vier möglichen Schuldausschließungsgrunde auf ihre jeweils besondere Bedeutung hin zu untersuchen. Das Hauptproblem ist nicht, ob man eine bestimmte Verhaltensform oder eine psychische Verfassung als krankhafte seelische Störung, als tiefgreifende Bewußtseinsstörung, als Schwachsinn oder als schwere andere seelische Abartigkeit bezeichnet. Die Versuche, psychische Befindlichkeiten mit Formulierungen wie "tiefgrei274

Kühne (1982), S. 305, Rdn 516.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

fende Bewußtseinsstörung" oder "schwere andere seelische Abartigkeit" tatbestandlich zu vertypen, lassen nur den Schluß zu, daß grundsätzlich jede Art psychischer Stör.ungen oder geistigen Defekts zur Annahme ausgeschlossener oder venninderter Schuldfähigkeit führen kann. Dies bedeutet im Jargon der klinischen Psychiatrie, daß neurotische Syndrome und psychopathische Auffälligkeiten ebenso wie psychogene Bewußtseinsstörungen zur Anwendung der §§ 20, 21 StGB führen können. Daher ist es weder notwendig noch sinnvoll, mit biologischen Mikrobefunden oder der Fonnel "seelische Abnonnität von Krankheitswert" die Schuldfähigkeit bei Angeklagten zu verneinen, die keine hirnorganischen oder endogenpsychotischen Ausfallerscheinungen aufweisen. Wer darüber hinaus meint, daß das Gesetz die Katalogisierung des komplexen psychischen Apparates in ein biologisches und ein psychologisches Stockwerk erfordere, muß sich auch der Gefahr dieser Differenzierung bewußt werden. Es kann zwar nich,t bestritten werden, daß der Wortlaut des Gesetzes eine Unterscheidung zwischen den psychischen Befunden und den hieraus möglicherweise erwachsenden rechtlich relevanten Folgen macht. Das läßt aber weder Rückschlüsse auf den Differenzierungsgrad zwischen den einzelnen psychischen Tatbestandsmerkmalen zu, noch werden dadurch die strukturellen Beziehungen zwischen diesen Merkmalen und den möglichen Folgen deutlich. Allein j.uristische Auslegungstechnik hilft hier nicht weiter. Gleichwohl liefert das Gesetz Orientierungsdaten, die eine Verständigung zwischen Gericht und Sachverständigen erkenntnisfördernd strukturieren könnten. Immerhin läßt sich dem Wortlaut des § 20 StGB entnehmen, daß der Gesetzgeber von der Existenz neurotischer und psychopathischer Stör.ungen ausgegangen ist, die in ihrer Bedeutung den organischen Syndromen und Psychosen gleichkommen können. 275 Die Berücksichtigung von Wortlaut und Intention des Gesetzes macht die psychiatrische Begutachtung schwieriger, vielleicht auch sinnvoller. Wegen seiner Pflicht zur Wahrheitserforschung muß das Gericht besondere Anforderungen an die Qualität der Diagnose stellen. Deswegen läßt sich jedoch nicht behaupten, daß es angesichts der gesetzlichen Formulierungen nicht mehr um die Diagnose geht, selbst wenn die Intensität der Störung im Vordergrund stehen mag. Insofern ist die Unterscheidung zwischen § 20 und § 21 nach dem Kriterium der Erheblichkeit kein Grund, vor allem der Psychopathie, den Neurosen, den Triebstörungen, leichteren Fonnen des Schwachsinns, Affektzuständen, Folgeerscheinungen von Alkohol- oder Drogenabhängigkeit .und Rauschzuständen eine beträchtliche Bedeutung für venninderte Schuldfähigkeit zuzuschreiben. lrnI 275 278

Meyer, MSchrKrim 1980, 225. So aber Lackner (1981), § 21, Anm 2.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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Die Erheblichkeit ist nicht nur aus rechtslogischen Gründen schon bei der Anwendung des § 20 StGB zu beachten. Das folgt auch aus der Erkenntnis, daß sich bei Trieb- und Affektdelikten die seelischen Abläufe regelmäßig nicht qualitativ von denen unterscheiden, die bei normalen Probanden zu entdecken sind. Nach der Gesetzeslage wird es also immer, nach der Realität möglicher psychischer Zustandsvariationen und sozialer Verhaltensabweichungen oft um die Erkenntnis und Bestinunung der Täterpersönlichkeit nach quantitativen Kriterien gehen. Wie Meyer richtig bemerkt, sind die zu erhebenden Befunde samt den an Laien zu vermittelnden Beurteilungskritrien auch aus diesem Grunde kaum im naturwissenschaftlichen Sinne objektivierbar. 277 Deshalb wird aber die Ansicht noch nicht überzeugend, daß die Frage nach der Intensität mit einem erheblichen Ermessensspielraum belastet sei. Diese Begriffskategorie paßt von ihrem dogmatischen Standort her hier überhaupt nicht. Schuldfeststellung ist keine Angelegenheit pflichtgemäßer Ermessensausübung. Damit wird nicht nur das Wesen und die Funktion der freien Beweiswürdigung verkannt. Mit der Ansicht, daß innerhalb eines angeblichen Ermessensspielraums die Meinung des Sachverständigen, etwa bei Affektdelikten, ausschlaggebend sei, ist zudem der Blick auf die Eigentümlichkeiten versperrt, die im Prozeß der Schuldfähigkeitsbeurteilung und der richterlichen überzeugungsbildung von Bedeutung sind. Fälschlicherweise könnte der Eindruck entstehen, daß sich im Verhältnis Richter .und Sach'verständiger eine Art von Meinungskampf abspielt. Das mag auch gelegentlich so sein. Derartiges gehört aber nicht zu den wesentlichen Bedingungen strafprozessualer Schuldsachverhaltsermittlung. Es kann nicht um Verifikation oder Falsifikation der durch Sachverständige erhobenen Befunde qua richterlicher Beweiswürdigung gehen. Ziel der Verständigung zwischen Richter und Sachverständigen muß die Feststellung von Tatsachen sein. Ist das nicht der Fall, wäre trotz der aufgezeigten problematischen Beziehungen zwischen Wahrheit und Wirklichkeit die wichtigste Maxime des Strafverfahrens suspendiert: Wahrheit zu finden. In unüberbietbarer Prägnanz stellt Hruschka fest: "Jede Tatsachenfeststellung hat eine empirische Ausgangsbasis. "278 Darum hat sich der Sachverständige zu bemühen. Er muß die den Geisteszustand des Täters prägenden medizinischen und psychologischen Fakten ermitteln. Das ist schwierig genug. Der Erfolg seiner Tätigkeit hängt nicht zuletzt davon ab, von welchem Vorverständnis man bei psychischen Zuständen hinsichtlich der Tatsachen ausgeht. Das eigentliche Problemfeld wird erst dadurch eröffnet, daß sich die Tätigkeit des Sachverständigen in der Registrierung von Fakten nicht erschöpft. Krauß bemerkt Meyer, MSchrKrim 1980, 225. m Hruschka (1965), S. 14. 211

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zu RechJt, daß dies schon deshalb nicht der Fall sein kann, weil der Richter mit solchen Fakten gemeinhin wenig anzufangen weiß.279 Auch Staak / Schewe haben erkannt, daß ein einfacher Übersprung von empirischen Daten zur strafrechtlichen Entscheidung zwischen Schuld und Unschuld kaum möglich ist.280 Das hängt damit zusammen, daß das Schuldurteil nicht lediglich eine rechtliche Bewertung naturwissenschaftlicher Tatsachen ist, sondern eine Schlußfolgerung aus einem sozialen Ereignis.281 Ermittlung und Bildung des Schuldsachverhalts erfordern demgemäß die Einschätzung der sozialen und personalen Relevanz naturwissenschaftlicher Tatsachen. Dabei werden ständig die aus wissensch.aftstheoretischen Gründen unumgänglichen Vorbehalte gegen die Einstufung psychiatrisch/psychologischer Befunde als naturwissenschaftliche Tatsachen zu berücksichtigen sein. Anderenfalls würden alle Aussagen des Sachverständigen vom Richter durch eine derart verzerrte Optik gesehen werden, daß jede sich darauf gründende überzeugung nur eine Karikatur von Wahrnehmung sein kann. Die Neufassung des § 51 a. F. in den §§ 20, 21 StGB sollte deutlich gemacht haben, daß es beim Sachverständigen eben nicht nur um die medizinische Erklärung eines Krankheitsbildes anhand körperlicher Symptome geht, sondern wn die psychologische Betrachtung und Einschätzung von möglicherweise pathologischen Syndromen. Nach Witter hat der Psychiater die Aufgabe zu erfüllen, psychopathologische Erscheinungsformen als allgemeine psychische Reaktionsformen zu gruppieren, deren Ausgestaltung von der vorgegebenen Persönlichkeitsstruktur sowie von der Art, dem Umfang und der Geschwindigkeit der einwirkenden Schädigung abhänge. 282 Aus dieser Beschreibung der Methode deutenden Verstehens geht hervor, daß nicht nur nach den medizinischen Ursachen seelischer Störungen gefragt ist. Es wird auch der Versuch unternommen, vermeintliche psychische Normabweichungen nach psychopathologischen Schweregraden zu klassifizieren. Krauß hat den Eindruck, daß diese Technik der von Richtern geforderten wertenden Betrachtung sozialer Phänomene entgegenkommt. Sie sei deshalb für die Bedürfnisse der forensischen Psychiatrie besonders geeignet. Er rechnet sie zu den Bedingungen eines Dialogs zwischen Richter und Sachverständigen.283 Leider wird nicht deutlich genug, daß die strukturellen Gemeinsamkeiten in der Erkenntnisarbeit von Richter und Sachverständigen dar!78

Krauß (1975 a), S. 64.

Staak / Schewe, MedSach 1971, 61 ff. Krauß (1975 a), S. 64. Diese Einsicht hat auch Bedeutung für die Verwendung des Krankheitsbegriffs. Bräutigam (1962), S. 57, erkannte: "Der 280

281

Schritt in die Rolle des Kranken ist ein sozialkommunikativer Vorgang." 282 Witter (1972 a), S. 515. 283

Krauß (1975 a), S. 65.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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über hinaus geradezu einen Anlaß zum Dialog bilden. Ähneln sich nämlich die Erkenntnistechniken und weisen die jeweiligen Befunde einen gleichermaßen großen Bereich auf, in dem sich die Ergebnisse nicht falsifizieren lassen, dann ist eine dialogische Beziehung die einzige Möglichkeit, sich wechselseitig so zu überprüfen, daß übernahmefähige Aussagen formuliert werden können. Der Dialog ist also ein notwendiges Kontrollmedium. Für den Richter entstehen im Rahmen seiner Leitungsaufgaben dadurch besondere Probleme. Indem er den Dialog mit dem Sachverständigen führt, schafft er nicht nur Überprüfungsmöglichkeiten für dessen Aussagen. Gerade weil die Betrachtungsweise der psychiatrischVpsychologischen Saelwerständigen seinem eigenen Wahrnehmungsraster gleicht, ist die Gestaltung des interdisziplinären Gesprächs notwendigerweise mit der Aufgabe zur Selbstkontrolle verbunden. Aufmerksamkeit und Kritikfähigkeit sind gegenüber Techniken und Ergebnissen, die sich nur unwesentlich von den eigenen unterscheiden, nicht sehr ausgeprägt. Es ist kaum bestreitbar, daß die Verpflichtung zur Selbstkritik keine Garantie für eine objektivierende Rezeption der Erkenntnisse Dritter ist. Der Richter muß mittels seiner Leitungskompetenz einen Dialog führen, in dem er auch einen selbstkritischen Ansatz verfolgt. Je mehr die Methode des deutenden Verstehens auf psychiatrischer Seite der wertenden Betrachtung des Richters entgegenkommt, desto intensiver muß sich der Richter seiner eigenen Erkenntnisziele und -interessen bewußt sein. Er sollte sie auch artikulieren. Im dialogischen Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen gehört das zu seinen Leitungsaufgaben. Anders ist eine Kontrolle durch Leitung nicht möglich. Für den Richter ist daher der Dialog mit dem psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen die schwierigste Bewährungsprobe seiner Leitungsfähigkeiten. Solch ein Dialog ist nicht nur als Kommunikations- und Kontrollmedium unentbehrlich. 6.2.5.2.1. Perspektive des Beschuldigten Der Straftäter Moosbrugger hatte in Nervenheilanstalten .und Gefängnissen französische und lateinische Scherben gelernt, die er an den unpassendsten Stellen in seine Reden steckte, seit er herausbekommen hatte, daß es der Besitz dieser Sprachen war, was den Herrschenden das Recht gab, über sein Schicksal zu befinden. Wegen des Gebrauchs dieser Scherben wurde ihm das Etikett ,bemerkenswerte Intelligenz' angeheftet. Ob schon Moosbrugger wegen rhetorischer Anmaßungen während der Verhandlung streng bestraft wurde, fühlte er sich in seiner Eitelkeit gescluneichelt. Für ihn waren die Verhandlungen die Ehrenzeiten seines Lebens. Wichtiger noch ist, daß Moosbrugger deswegen niemanden so inbrünstig haßte wie die Psychiater.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Musil beschrieb die prozessuale Situation dieses Angeklagten, der sich in der Frage nach seiner Schuldfähigkeit Psychiatern gegenübersah, die glaubten, sein ganzes schwieriges Wesen mit ein paar Fremdwörtern abtun zu können, als wäre es für sie eine alltägliche Sache, so:

"Wie immer in solchen Fällen, schwankten unter dem Druck der sich ihnen überordnenden juristischen Vorstellungswelt die medizinischen Gutachten über seinen Geisteszustand, und Moosbrugger ließ sich keine dieser Gelegenheiten entgehen, um in öffentlicher Verhandlung seine Überlegenheit über die Psychiater zu beweisen und sie als aufgeblasene Tröpfe und Schwindler zu entlarven, die ganz unwissend seien und ihn, wenn er simuliere, ins Irrenhaus aufnehmen müßten, statt ihn ins Zuchthaus zu schikken, wohin er gehöre. Denn er leugnete seine Taten nicht, er wollte sie als Unglücksfälle einer großen Lebensauffassung verstanden wissen. "2801 Aus diesem literarischen Beispiel folgt für den Angeklagten als Subjekt des Verfahrens, daß die Schuldfeststellung unter anderem eines persönlichen Aktes bedarf. Es sollte im Prozeßgespräch mit dem Richter ein Schulderlebnis möglich sein. Die psychologischen Grundlagen sind relativ unproblematisch. Haft weist darauf hin, daß das Schulderlebnis eine vertraute Erfahrung ist. Jedermann kennt Fälle, wo er vor den Forderungen sittlicher Werte wegen eines bewußten entgegenstehenden Willens versagt hat. Oft sind Bedauern oder das Gefühl einer zuständigen Instanz, zur Verantwortung verpflichtet zu sein, psychologische Folgen des Versagens. Die zuständige Instanz mag das eigene Gewissen sein. Sie kann aber auch eine gesellschaftliche Einrichtung sein. Wenn dem so ist, entsteht die Notwendigkeit, über das Versagen zu reden. Ein Schulddialog wird erforderlich. Zum einen ergibt sich diese Forderung aus dem Umstand, daß eine Befreiung vorn Leid der Schuld durch Sühne erfolgen muß. Es kann hier nicht erörtert 28' Musit (1978), S. 72. Man fühlt sich ein wenig an die existenzialistische Interpretation des Orest von Sartre (1963), S. 61, erinnert: "Der feigste aller Mörder ist der, der bereut." Auch Nietzsehe (1953), S. 40, liefert Anregungen, mit denen die Beurteilung des Straftäters Moosbrugger bereichert werden könnte ... " ... da raubte er als er mordete. Er wollte sich nicht seines Wahnsinns schämen." Für den Umgang mit solchen Tätern bietet Adorno (1980 b), S. 89, eine Perspektive, die in der prozessualen Praxis nicht üblich ist: " ... solcher Wahrheit des Narren zum Bewußtsein ihrer eigenen Vernunft zu verhelfen, ohne welches sie freilich untergehen müßte im Abgrund jener Krankheit, welche der gesunde Menschenverstand der anderen mitleidslos diktiert." Wie Spazier (1982), S. 151, deutlich macht, wird auch die Psychiatrie solche emanzipatorischen Erwartungen nicht erfüllen: "Und das ist die schlicht nicht wegzuleugnende Tatsache, daß Psychiatrie ein Macht- und Züchtigungs instrument in der Befehlsgewalt der herrschenden Gesellschaft ist." Vgl. auch BasagHa (1980), S. 361 ff.; dens. (1981), S. 19 ff.; Blasius (1980), S. 104; Bopp (1982), S. 69 ff.; Braun / Hergrüter (1980), S. 78 ff.; Castel (1979), S. 202 ff.; Cooper / Foucault (1979), S. 61; Dött (1981), S. 12; Dörner / Plog (1982), S. 443 ff.; Glatzel (1975), S. 55 ff.; Hartung (1980), S. 137 ff.; Hasek (1981, 1), S. 33 ff.; Hochmann (1973), S. 33; Kesey (1981), S. 54 ff.; Kisker (1975), S. 55 ff.; ders. (1976), S. 62 - 68; Mann (1979), S. 33 ff.; Szasz (1976), S. 361 f.; Wul!! (1981), S. 54 ff.

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werden, ob ein rationaler Schulddialog zwischen Richter und An~klag­ ten den Weg zur rationalen Sühne eröffnet. Möglicherweise handelt es sich bei dem Begriff um eine contradictio in adiecto. Hervorhebenswert ist hingegen die Feststellung, daß Schuld ein Gegenstand ist, der nicht abstrakt, sondern nur konkret erfahren werden kann. Es steht kein Maßstab zur Verfügung, mit dem das Verhalten des Täters nach einem Schuldvorwurf bemessen werden kann. Der Beurteilende muß sich auf einen Dialog einlassen, in dem eigene und fremde Schulderfahrungen miteinander verglichen und diskutiert werden. Eine Entscheidung über die innere Berechtigung des Schuldvorw.urfs kann nur im Konsens der Beteiligten gefunden werden. Daran ändert der Hinweis auf den gesprächsunwilligen Täter nichts. Wird durch dessen Weigerung ein Konsens unmöglich, so ist damit die Berechtigung des Schuldvorwurfs nicht ausgeschlossen. Haft ist darin zuzustimmen, daß es nicht auf das reale Gelingen des Schulddialogs im Einzelfall ankommt, sondern auf die Schaffung aller notwendigen Voraussetzungen für dieses Gelingen. 285 Auch dies liegt in der Leitungsmacht des Richters. Für unseren Untersuchungsgegenstand ist das Verhältnis zwischen dem Richter und dem Angeklagten nur von begrenzter Bedeutung. Unsere Thematik erlaubt keine intensivere Behandlung der Beziehungen im Interaktionsfeld zwischen dem Sachverständigen und dem Angeklagten während der Hauptverhandlung. Wir müssen uns vor allem mit den spezifischen Bedingungen im dialogischen Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen beschäftigen und deren verfahrenspraktische Relevanz bewerten. Dabei wird unvermeidlich der Eindruck entstehen, als ob über den Kopf des Angeklagten hinweg diskutiert wird, obschon es gerade um ihn geht. 286 So ist es naheliegend, daß sich Haft nur mit dem Verhältnis zwischen dem Richter und dem Angeklagten befaßt. Dessenungeachtet sind seine grundsätzlichen Ausführungen zur Feststellung des Schuldsaclwerhalts auch für die Beziehungen zwischen dem erkennenden Gericht und dem Sachverständigen beachtenswert. Eine ganze Reihe charakteristischer Eigenheiten im Schulddialog zwischen Richter und Angeklagten bestimmen auch Verlauf und Ergebnis der Verständigung zwischen Richter .und Sachverständigen, die zum Zweck der Schuldfähigkeitsbeurteilung unentbehrlich ist. Daher müssen die grundlegenden Gemeinsamkeiten der Dialogstruktur wenigstens skizzenhaft entwickelt werden. ~Vgl. insgesamt Haft (1978 a), S. 27, 28. Über den Zusammenhang zwischen Kommunikationsfähigkeit und Normalität Bastide (1973), S. 70. Ein Schulddialog hat keine dogmatischen Definitionen zum Ziel. Zu den begrifflichen und inhaltlichen Eigenheiten der Schuld ausführlich Achenbach (1974), S. 218, und MülleT-Dietz (1967), S. 41 ff. 288 Vgl. MülleT-Dietz, ZStW 93 (1981), 1232 ff., zur sozialen Handlungskompetenz und den Verteidigungs chancen des Beschuldigten. 14 Hetzer

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6.2.5.2.2. Perspektive des Richters Bestehen Zweifel an der Schuldfähigkeit eines Angeklagten, hat die These, daß Schuld ein Gegenstand ist, der im konkreten Fall erst im Verfahren hergestellt wird, noch mehr Gewicht als beim normalen Delinquenten. Für ein Schuldurteil kommt es nicht nur auf den Gegenstand des damit verbundenen Vorwurfs an. Haft glaubt, daß ein kommunikativer Akt stattfinden muß, über dessen Gelingen oder Mißlingen die Möglichkeit mitentscheide, einen dem Täter kausal zurechenbaren Erfolg im Schulddialog auch argumentativ seiner Verantwortlichkeit zuzurechnen.287 Die ermittelten Befunde müssen zunächst dem Richter angeboten werden, damit sich mittels begründenden Sprechens eine überze.ugung über die Schuldfähigkeit bilden kann. Insofern ist eine pragmatische Schuldlehre nicht direkt anwendbar. Dort wird das Augenmerk auf den kommunikativen Prozeß gelenkt, der zwischen der Instanz stattfindet, die den Schuldvorwurf erhebt und dem Täter, den das Schuldurteil erreichen soll. Verständlich ist, daß vom Ablauf dieses Prozesses die Frage nach der inneren Berechtigung des Vorwurfs und nach dessen Akzept durch den Täter abhängen soll. Letztlich wird hierdurch die Frage nach dem Zweck des Verfahrens beeinflußt. 288 Dieser besteht nicht in der Entdeckung der sozialwissenschaftlichen Wahrheit über die gesellschaftlichen Ursachen eines im Prozeß abzuhandelnden abweichenden Verhaltens, wie Preuß annimmt. Deshalb wird noch nicht in einer naiven Version gewissermaßen die Utopie, daß der Mensch Subjekt seiner Geschichte sei, beim Wort genommen und verfahrensmäßig in kleine Münze gewechselt.289 Es mag sein, daß die Straftat von einer Störung der sozialen Ordnung zur Missetat hochstilisiert wird und der verurteilte Täter in jedem Fall als eine freie, auf Selbstverantwortung angelegte Person erscheint.Ho Aber auch wenn dies dazu führt, daß das justizielle Verfahren ein soziales Problem in einen dialogfähigen Dissens über die Frage transformiert, ob ein abgeschlossener Sachverhalt als Tat des Beschuldigten modifiziert werden kann und ob seine Schuld ausnahmsweise wegen pathologischer Abweichungen vom individuellen Normalmaß ausgeschlossen sein könnte, ist ein unabdingbares Erfordernis des Verfahrens schon erfüllt: 287 Haft (1978 a), S. 8: "Schuld ist nicht nur eine vom Täter bei Begehung der Tat geschaffene Realität, sondern auch eine Wirklichkeit, die in einem Dialog zwischen dem Täter und dem, der ihn wegen seiner Tat schuldig spricht, konstituiert wird." Ähnlich Boy / Lautmann (1979), S. 44 f.: "Jede Wirklichkeit wird sozial konstruiert." Hier wird die Bedeutung medizinischer Termini sehr wichtig. Zur notwendigen Kritik und argumentativen Auseinandersetzung Oksaar (1979), S. 108. Grundsätzlich Castaneda (1982), S. 106. 288 Haft (1978 a), S. 11. 289 So aber Preuß, KritJ 1981, 113. !uo Krauß (1975 b), S. 425.

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es findet ein Dialog statt. Preuß verkennt die Komplexität der Wahrheit personaler Schuld. Nicht nur die sozialwissensch.aftliche Wahrheit erfordert die Analyse sozialer Strukturen und ihrer Interdependenzen mit individuellen Handlungen. Auch der Wahrheitsanspruch personaler Schuldfeststellung oder -zusch.reibung setzt einen unabgeschlossenen Prozeß wissenschaftlicher Theoriebildung voraus. Dialog über Dissens macht das Verfahren nicht zwecklos. Er ist notwendige Stufe zum idealtypischen Endzweck: Konsens durch Dialog. Selbstverständlich geht es beim Sachverständigen nicht um das Akzeptieren eines Vorwurfs. Er ist Beweismittel, nicht Angeklagter. Der Grad der Verständigung zwischen ihm und dem Richter kann aber ein Parameter sein, anhand dessen sich auch der rationale Zweck des Verfahrens bestimmen lassen könnte. Dieser Grad wird um so höher sein, je kommunikativer das Geschehen zwischen beiden wird. Die Kommunikationsdichte kann von Mißverständnissen zersetzt werden. Begriffe wie Schuld und Verantwortlichkeit bringen die Gefahr von Mißverständnissen fast zwangsläufig mit sich. Philosophische Hermeneutik und Linguistik zeigen zudem, daß sich nicht das Verstehen, sondern das Mißverstehen von selbst ergibt.291 Die Wirksamkeit eines außerstrafrechtlichen Vor-Verständnisses tut ein übriges, um die Klärung des Schuldbegriffes zu erschweren.292 Ohnehin soll nicht versucht werden, eine definitive Lösung zu liefern. Die hier geforderte Kommunikation soll nicht zur Produktion absolut eindeutiger und richtiger Ergebnisse führen. Haft sieht, daß es bei der Erörterung des Schuldproblems nicht primär um Antworten, sondern um das Fragen geht. Gegenstand und Ziel rechtsphilosophischen Denkens, das hier zwangsläufig auch eingesetzt werden muß, sind nicht Resultate, sondern die Technik, mit der sie erreicht werden können. 293 281 Vgl. die Hinweise bei Haft (1978 a), S. 18, FN 20. Nach Gadamer (1975), S. 173, ergibt sich hingegen das Verstehen von selbst in der laxeren Praxis der Hermeneutik. MüHer-Luckmann (1979), S. 70, 72, empfindet, daß überall dort, wo Menschen miteinander reden, das Mißverständnis drohend im Raum steht. Nach ihrem Eindruck gerät auch der Sachverständige durch die Dominanz der Fragenden in die Rolle eines dem Fragenden zur Verfügung stehenden Objekts. 282 Sinngemäß auch Haft (1978 a), S. 18. Auch neuere Beiträge zeigen klar, daß Schuld ein ewiges Thema des Strafrechts und sein eigentliches Ursprungsproblem ist. So statt vieler Roxin (1979), S. 279 ff. und Conde, GA 1978, 63. Schöneborn, ZStW 92 (1980), 685, 686, setzt sich mit der These auseinander, daß Schuld(-unfähigkeit) ein Produkt präventiv bedingter Zuschreibungsprozesse sei. Von grundsätzlicheren Fragestellungen geht Lange (1979), S. 261 ff., aus. Ältere Beiträge machen deutlich, daß die Kategorie Schuld im Verhältnis zwischen Gericht und Sachverständigen immer wieder Probleme aufwerfen wird. Vgl. etwa die Kontroverse zwischen Bocketmann, ZStW 75 (1963), 372 ff.; 77 (1965), 253 ff. und Schörcher, ZStw 77 (1965), 240 ff. Speziellere Ansätze werden in jüngerer Zeit verfolgt. Vgl. nur Mende (1979), S. 311 ff.; Schmitt, ZStW 92 (1980), 346 ff.; Rasch, NStZ 1982, 177 ff.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Wird die Leitungsbefugnis des Richters aus § 78 StPO als Legitimation zum autoritären Denken mißverstanden, dann ist es noch nicht einmal möglich, sich über die Methoden zu verständigen, mittels derer man zu einem Befund oder einer Erkenntnis über die Schuldfähigkeit kommen könnte. Autoritäres Denken verhindert Kommunikation. Auch die von Jaspers konzipierte Gemeinschaft durch Mitteilung zeichnet sich nicht grundsätzlich durch Konsens aus. Ihre charakteristische Stärke ist vielmehr ein gegenseitiges Verstehen und Akzeptieren hinsichtlich solcher Fragen, die unbeantwortet ausgehalten werden müssen: "Denn nicht im Beantworten von Fragen liegt der letzte Sinn der philosophischen Kommunikation, sondern darin, daß der Mensch frei von Zwang und Gewalt in Gemeinschaft mit anderen freien Menschen zu sich selbst kommen kann. "294 Wie Sarstedt richtig hervorhebt, muß dem Sachverständigen klar gemacht werden, daß er nicht allwissend sein muß. Das glauben nach seinem Eindruck viele Sachverständige. Sie scheuten sich, gelegentliches Unwissen zuzugeben. Sachverständige seien imstande, zu erklären, daß der Angeklagte einen freien Willen habe, obwohl das bekanntlich eine Frage ist, welche die Weisen von Jahrtausenden nicht gelöst haben: "Man darf dem Sachverständigen nicht durch die Art der Befragung suggerieren, man erwarte von ihm unter allen Umständen eine Antwort und werde mit einem non liquet nicht zufrieden sein, man werde ihn für unfähig oder ungeeignet halten, wenn er erkläre, etwas nicht zu wissen. "295 Hier soll nicht die Habermassche ungezwungene Sprechgemeinschaft reaktiviert werden, die sich in kontemplativen Betrachtungen wechselseitig ihrer philosophischen Potenzen versichert. Der Richter muß Entscheidungen produzieren. Er muß aus möglichst objektivierbaren Befunden ein intersubjektiv nachprüfbares Gewißheitsurteil entwickeln. Zweck des Verfahrens ist es nicht, den Richter zu sich selbst kommen zu lassen. Die Vorstellung, daß der Angeklagte, der nach der Verhandlung mit Handschellen aus dem Saal geführt wird, im Sinne von Jaspers eine philosophische Kommunikation hinter sich gebracht hat, in der er frei von Zwang und Gewalt in Gemeinschaft mit anderen freien Menschen sich selbst finden konnte, ist sowieso absurd. Dennoch kann nicht geleugnet werden, daß die notwendigen kommunikativen Anstrengungen des Richters bei der Wahrheitsfindung im Bereich der Schuldfähigkeit in höchst persönlicher Weise berühren und belasten. Ob auch der unauflösbare Rest von Ungewißheit bei der Schuldfähig293 Haft (1978 a), S. 20 f. Zur philosophischen Sprache und Kommunikation Sartre (1979), S. 97 und Adorno (1980 a), S. 13 f. 294 Jaspers (1953), S. 19. 2115 Sarstedt, NJW 1968, 181. Ausführlich zur Willensfreiheit und Strafrechtsschuld Mangakis, ZStW 75 (1963), 499 ff.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

213

keitsbeurteilung regelmäßig den von Kerner in anderem Zusammenhang diagnostizierten horror vacui hervorruft, mag dahinstehen. Tatsache ist jedenfalls, daß selbst Wissenschaftler Erkenntnislücken manchmal lieber mit frei geschaffenen Theorien ausfüllen. Es erfordert Charakterstärke, das eigene Unwissen einzuräumen und empirisch überprüfbare konkrete Hypothesen zu entwickeln. Die ergänzende Bemerkung von Kerner ist hoffentlich realistisch: "Bei Juristen und besonders Justizpraktikern kommt zu diesem allgemeinen Phänomen hinzu, daß das individuelle Verantwortenmüssen von Eingriffen in das Leben anderer ebenfalls (oft) nicht leicht zu ertragen ist."200 Dessenungeachtet muß der Richter im Interesse der Wahrheitsfindung besonders im Prozeßgespräch mit dem Sachverständigen versuchen, durch einen Ausgleich der unterschiedlichen sprachlichen Begründungsmuster wenigstens in Teilbereichen übereinstimmung zu erzielen. Ein rationaler Gedankenaustausch darf nicht durch Statusstrategien zur persönlichen Absicherung verhindert werden. Anderenfalls wird der Weg zu einem der wichtigsten Ziele des Strafverfahrens blockiert. Vitale Interessen des Angeklagten werden verletzt. Damit ist nicht nur die Zielsetzung des Dialogs zwischen Richter und Sachverständigen angesprochen, sondern schon dessen Durchführung. Die Argumentation enthält nämlich als sprachliches Handeln bereits Richtigkeitskriterien des angestrebten Endergebnisses. Dabei sind Gemeinsamkeiten in der Sprachverwendung erforderlich. Anderenfalls findet kein Dialog statt. Es werden gleichzeitig zwei Monologe geführt. Bei der Erörterung der Schuldfähigkeit müssen darüber hinaus auch und besonders im Bereich der Wertungen Gemeinsamkeiten bestehen. Haft kann darin zugestimmt werden, daß die Trennung von Wertung und Tatsache zwar obsolet ist, aber für die Praxis des Strafverfahrens eine bedeutsame Rolle spielt. Das ergibt sich aus § 244 II StPO. Entscheidungsrelevante Tatsachen müssen beweismäßig erforscht werden. Die Bewertung ist frei. Daraus erfolgt aber nicht, daß der auf übereinstimmung abzielende Dialog auf Tatsachenermittlung beschränkt ist. Es besteht nicht nur eine ursprüngliche Verschränkung zwischen Tatsache und Wertung. Insbesondere ist im Wertungsbereich der argumentative Spielraum eröffnet, der beim Bemühen um Gemeinsamkeit, also Verständigung genutzt werden muß. Geschieht das nicht, kann der Richter ein Schuldurteil nur fällen und verkünden. Will er es hingegen begründen, so wie es seine gesetzliche Pflicht ist, genügen Verweise auf eine externe Realität nicht.297 Nicht umsonst fordert Sarstedt nachdrücklich, den Sachverständigen genau zu sagen, was man von ihnen will. Der Auftrag, die Zu rech20B 297

Kerner (1980), S. 310. Haft (1978 a), S. 44 f., 50.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

nungsfähigkeit zu begutachten, muß zu überflüssigen Schwierigkeiten führen, da diese kein psychiatrischer, sondern ein juristischer Begriff ist. 298 Bei Zweifeln über die Schuld fähigkeit reicht es auch nicht, sich auf eine Kommunikation mit dem Täter einzulassen. So kann der Richter gelegentlich den Schlüssel zur Schuld finden. Bei möglicherweise schuldunfähigen Tätern bedarf es aber der Kommunikation mit den Sachverständigen, damit der Richter den Schlüssel auch sachgerecht führen kann. Man kann sich der Schuld nur gemeinsam mit dem Beschuldigten nähern. Ihm soll dabei keine Last auferlegt werden. Diese soll vielmehr bewußt gemacht werden, damit sie getragen und schließlich beseitigt werden kann. Deshalb ist es auch konsequent, daß Haft nicht den Versuch unternimmt, den Begriff der Schuld definitorisch zu klären. Gerade im Dialog mit dem Sachverständigen muß sich der Richter klar sein, daß das eigentliche Ziel unerreichbar ist. Die Frage, ob der konkrete Angeklagte wirklich schuldfähig ist, wird nie ganz gelöst werden können. Das liegt nicht nur daran, daß das strafrechtliche Schuldurteil nie weiterreichen kann als die begrenzten strafprozessualen Beweismöglichkeiten.299 Die erkenntnistheoretische Auswertung des Ansatzes von Maurach zeigt, daß kein Schuldurteil eine absolut richtige oder einde.utige JaNein-Aussage beinhalten kann. Hierin liegt die unbestreitbare Konsequenz aus Maurachs Zurechenbarkeitslehre, die zwischen das Unrecht und die Schuld die Tatverantwortung stellt, mittels derer eine Brücke von der Straftat zum Täter geschlagen werden soll.300 Obschon diese Lehre auf Widerspruch301 gestoßen ist, läßt sie sich als gedanklicher Ansatz deshalb akzeptieren, weil sie einen richtigen erkenntnistheoretischen Befund ausdrückt. Das Schuldurteil muß in einem Prozeß immer größer werdender Verfeinerung gewonnen werden. Auf jeder Zwischenstufe liegt mehr biographisches Material vor. So entstehen Argumentationshilfen zur Vorbereitung einer Entscheidung, die im Sinne eines Ja-Nein-Schemas gar nicht getroffen werden kann.302 Obwohl die Diskussion deshalb in jedem Fall vor der Zeit abgebrochen werden muß, ist der Richiter gehalten, diesen Näherungsprozeß voranzutreiben. Dazu muß er mit Leitungsrnaßnahmen den Dialog mit dem Sachverständigen möglichst kommunikativ, das heißt argumentativ gestalten. Das ergibt sich im übrigen auch aus dem Umstand, daß es im Strafrecht nicht um apodiktische Urteile geht, sondern um Konfliktent!98 Sarstedt, NJW 1968, 181. 29. Haft (1978 a), S. 51, 53. soo Maurach I Zipf (1977), S. 453 ff. SOl Jescheck (1978), S. 348; S-S-Lenckner, werth (1976), Rdn 531. 302 Zutreffend Haft (1978 a), S. 56, 57.

Vorbem §§ 13, Rdn 20; Straten-

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

215

scheidungen, die zwangsläufig offene Fragen bestehen lassen. Daran kann die Rechtskraft nichts ändern. Aus dem Grundsatz des fair trial leitet Haft das Bemühen um störungsfreie Kommunikation zwischen Angeklagtem und Richter ab. Wie schon Kühne sieht er sogar die ganze Strafprozeßordnung als Bemühen um diese Kommunikation an.303 Es ist unerheblich, ob aus diesem prozessualen Prinzip und dem Anspruch auf rechtliches Gehör eine gesetzliche Pflicht des Richters zur Kommunikationsoptimierung folgt. Für das Verhältnis von Richter und Sachverständigen bei der Klärung von Zweifeln über die Schuldfähigkeit ist eine höchstmögliche Kommunikationsdichte jedenfalls schon wegen der in diesem Bereich geltenden Erkenntnisbedingungen notwendig geboten. Die Erfüllung dieses Gebots hängt nahezu allein davon ab, ob und wie der Richter den Sachverständigen in der Hauptverhandlung leitet. Es gibt keine gesetzlichen Barrieren, die eine in diesem Sinne effektive Pflichterfüllung verhindern könnten. Soweit ein entgegenstehender vermeintlicher Zwang des Gesetzes bestehen sollte, kann und muß dieser aufgehoben werden. Kaufmann hat den Weg gewiesen: An die Stelle des bloß dem Gesetz unterworfenen Richters muß die Richterpersönlichkeit treten.3M Das Gesetz soll natürlich nicht durch freie richterliche Rechtsschöpfung abgelöst werden. Tatsächlich geht es lediglich um die notwendige schöpferische Ausfüllung jenes Freiraumes, den jede Regelung, ganz besonders § 20 StGB, im Einzelfall lassen muß, weil das Gesetz abstrakt für eine unbestimmte Vielzahl von Einzelfällen gilt. Der Richter ist in seiner vornehmsten Pflicht gefordert: Beweise frei zu würdigen. Versucht er sie zu erfüllen, so folgt er dem Gesetz: § 261 StPO. Der Richter verhält sich nach dessen Maßstäben nur pflichtgemäß, wenn er aktiv Hindernisse des Schulddialogs mit dem Sachverständigen beseitigt. Er muß darauf hinwirken, daß einfach, anschaulich und verstämHich gesprochen wird. Der scheinbaren Trivialität dieser Forderung begegnet der Hinweis, daß Prägnanz und Klarheit keine naturgegebenen Eigenschaften juristischen Sprechens sind. Dies gilt mindestens im gleichen Umfang für die psychiatrisch/psychologische Ausdrucksweise. Haft weist nach, daß es ein Irrtum wäre, Einfachheit, Anschaulichkeit und Verständlichkeit nur als Kriterien des Stils und der Rhetorik anzusehen, deren Gebrauch bloß etwas mit sprachlicher Übung und Begabung zu tun hat. Dem Schuldurteil geht ein analogischer Prozeß voraus. Die Zurechnung der Schuld erfolgt also durch Vergleich der Tat mit anderen 303 Insgesamt Haft (1978 a), S. 64, 69, 71; Kühne (1978), S. 11: " ... das monologische Prinzip des Inquisitionsverfahrens ist abgelöst durch das dialogische des rechtsstaatlich liberalen Strafprozesses." 304

Kaufmann (1974), S. 307.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

Taten, des Täters mit anderen Tätern. Wird dieser Prozeß aufgedeckt und bewußt gemacht, dann ist die Forderung an den Richter erfüllbar. Eine entsprechende Artikulation führt demnach im Verhältnis zum Sachverständigen zum unentbehrlichen Verständigtsein. Der Prozeß des Fallvergleichs ist methodisch allerdings sehr kompliziert. Umgangssprachliche Mittel reichen kaum aus. Soweit als Ausweg abstrakte Wertbegriffe gebildet werden, die als Norm die übertragung des Urteils von einem auf den anderen Fall ermöglichen, handelt es sich um eine Technik, die aus einer begriffsrealistischen Position folgt. Dessenungeachtet ist es möglich, das punktuelle Näherungsverfahren des Schulddialogs mit umgangssprachlichen Mitteln zu organisieren. Methodisch bietet sich auch für die Verständigung mit dem Sachverständigen die fiktive Vergleichsfallbildung an. Beachtlich ist dabei, daß die Frage nach der Ähnlichkeit inhaltlichen Charakter hat. Formale Kriterien sind unanwendbar. Wie Haft bemerkt, gibt es Ähnlichkeit als solche nicht. Seine These, daß inhaltliche Kriterien nur durch Konsens über die Ähnlichkeit gefunden werden kann, die nicht abstrakt-isoliert, sondern konkret-relationell festgestellt werden soll, ist daher konsequent.305 Sie ist auch verfahrenspraktisch bedeutsam, da ein Konsens über die Ähnlichkeit leichter herstellbar ist als über die Wertentscheidung eines Falles, bei dem ein Dialogpartner betroffen und befangen ist: "Mit dem Verweis auf den fremden Fall wird ja eine Öffnung in die Mauer der Befangenheit geschlagen."308 Befangenheit und Betroffenheit können auch bei Sachverständigen vorliegen. Sie können sogar Verständigungs- und Verständnisvoraussetzungen sein. Gelegentlich treten Sachverständige in Verfahren auf, die eine sorgfältige Befragung und Gutachtenerstattung entweder als impertinente Belästigung oder heimtückischen Aifgriff auf ihre wohlgeordnete Gedankenwelt empfinden. Sie fühlen '~~ in ihrem Selbstverständnis als Sachverständige betroffen, wenn ihre Ausführungen nicht kommentarlos hingenommen werden. Die Rolle des Sachverständigen schützt grundsätzlich weder vor Betroffenheit noch Befangenheit, wie übrigens auch § 74 StPO deutlich macht. Daher hat die Feststellung Hafts, daß über eine Ähnlichkeitsfrage unbefangen diskutiert werden könne, auch für das Verhältnis Richter - Sachverständiger eine verfahrenspraktische Bedeutung. Der Erfolg der Vergleichsfallbildung hängt jedoch davon ab, daß nicht im Sinne eines bestimmten Vorverständnisses Extremfälle nur in einer Richtung aufgewickelt werden. Kontroverse Positionen können in einem Dialog nur dann überprüft werden, wenn auch jeweils in der Gegenrichtung nach einem Vergleichsfall gesucht wird. Dem möglichen Insgesamt Haft (1978 a), S. 76 f., 79, 80, 82. Haft (1978 a), S. 82. Zu den Konfliktlagen zwischen Arzt und Patient Haars (1978), S. 39 ff. über die Folgen der Schweigepflicht Kühne, JZ 1981, 652. 305 308

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

217

Einwand, daß mit diesem Verfahren kein inhaltlicher Beitrag zur Lösung strittiger Fälle geliefert werde, muß entgegengesetzt werden: "Der Nutzen des Verfahrens besteht darin, daß damit die Dialogbasis verbreitert wird und auf diese Weise die Rationalität der (letztlich nicht rationalen) Entscheidung vergrößert wird."307 Akzeptiert man die These von der Schuld als wandelbarem Gegenstand, der seine endgültige Gestalt erst durch den Schulddialog im Konsens der Beteiligten findet, dann ist es auch folgerichtig, die Verdeutlichung und Bewußtmachung der Wertprämissen als wesentliche Voraussetzung für das Gelingen dieses Dialogs anzusehen. Im Verhältnis zwischen Richter und psychiatrischJpsychologischen Sachverständigen ist die Explikation von Wertprämissen dringend erforderlich. Der Rückzug in ein empirischszientistisches Schneckenhaus muß vom Richter rechtzeitig verhindert werden. Dem Sachverständigen sollte es eher als dem Angeklagten möglich sein, mit dem Richter ein dialogisches Verhältnis zu schaffen, in dem im erforderlichen Umfang Konsensbildung angestrebt wird. Bei ihm geht es nur um das wissenschaftliche Selbstverständnis, daß nach unseren theoretischen Darlegungen auch bei empirischer Orientierung durch die Bereitschaft zum Konsens keineswegs diskreditiert oder gar bedroht ist. Der Angeklagte hingegen steht vor der viel schwierigeren Aufgabe, durch Konsensbildung im Schulddialog seine persönliche Schuld sühnend zu überwinden. Der Sachverständige könnte ihm dabei im Maße seiner Dialogfähigkeit gegenüber dem erkennenden Gericht eine wertvolle, wenn nicht unentbehrliche Hilfe sein. Dieser Aspekt verdient auch für das prozessuale Rollenverständnis des Saclwerständigen größere Beachtung.308 Wie Cabanis zutreffend konstatiert, beruhen die chronischen Schwierigkeiten im interdisziplinären Dialog seit jeher auf spezifisch berufsbezogenen Sprachbarrieren, hausgemachten Irrtümern und Mißverständnissen auf beiden Seiten. Sachverständige können die Vorschriften, die dem Schutz von Angeklagten und Zeugen dienen, als untragbare Einengung ihrer Untersuchungsmethoden empfinden. Juristen mögen die diagnostischen und prognostischen Möglichkeiten einer Begutachtung über- oder unterschätzen.309 Die kritische Würdigung einer Kontroverse zwischen Sarstedt und Rauch zeigt beispielhaft, wie die jeweilige Perspektive den forensischen Dialog deformiert.

Rauch wendet sich gegen den angeblich von Sarstedt erzeugten Anschein, daß es überhaupt keine psychischen Zustände gäbe, über deren Zuordnung zu den Begriffen krank oder gesund Einigkeit .unter den 307 308 30g

Haft (1978 a). Weiterführend Kaufmann (1961), S. 52 ff. Dazu v. Hippe~ (1974), S. 292. Cabanis, NJW 1978, 2330.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

verschiedener Schul richtungen herrscht. Bei der Beurteilung der Psychose als krankhaft seien sich alle Psychiater im Prinzip einig, gegensätzliche wissenschaftliche Überzeugungen gebe es nicht. 3lo Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß im Dialog mit dem Richter psychiatrische termini technici nur als erstes Informationsangebot behandelt werden dürfen, deren definitorische Leistungskraft begrenzt ist. Die Ausführungen zum Krankheitsbegriff sollten deutlich genug gemacht haben, daß dieser nur durch möglichst weitgehende Konsensbildung operationalisierbar wird. Rauch muß widersprochen werden, soweit er meint, der Sachverständige könne seiner Aufgabe, dem Gericht bei der Wahrheitsfindung zu helfen, nicht gerecht werden, wenn ihm grundsätzlich die Akten vorenthalten werden.3ll Darum ging es Sarstedt nicht. Zu Recht hat er von einem leitungsbewußten Richter verlangt, daß dieser nicht kommentarlos und regelmäßig den gesamten Aktenbestand an den Sachverständigen zur gefälligen Bedienung sendet. Sarstedt verlangt vom auftraggebenden Richter eine sorgfältige Überlegung, ob die Akten wirklich benötigt werden, oder ob man dem Sachverständigen nicht ohne sie eine einfache Frage vorlegen kann bzw. ob es nicht genügt, eine kurze Sachdarstellung zu geben. Er meint, daß Sachverständige, bisweilen um so mehr, je angesehener und dementsprechend selbstbewußter sie sind, oft eindringlicher Belehrungen über zulässige Maßnahmen bei der Begutachtung bedürfen. Zurückhaltung bei der Aktenversendung sei nicht zuletzt deshalb geboten, weil bei der zur Zeit üblichen Verfahrensstruktur ohnehin nur hypothetische Fragen gestellt werden können. Insbesondere die Frage der Schuldfähigkeit könne überhaupt nur sinnvoll beantwortet werden, wenn der innere :und äußere Tatbestand festgestellt ist. Wie Sarstedt richtig bemerkt, ist das allein Aufgabe des Gerichts und zwar erst am Schluß der Hauptverhandlung.3l! Konsequenz ist, daß man mehrere Sachverhalte liefern muß, die der Sachverständige wahlweise zu unterstellen hat. Im Ergebnis ist das die Methode der Vergleichsfallbildung, wie sie auch Haft vorschlägt. Entgegen der Ansicht Rauchs muß der Sachverständige nicht den gesamten Akteninhalt kennen, um das mündliche Gutachten nur auf dem aufzubauen, was in der Hauptverhandlung zur Sprache gekommen ist. Ein informatives Dialogverhalten des Richters während der Verhandlung gegenüber allen Verfahrensbeteiligten könnte die notwendigen und ergänzenden Informationen vermitteln. Ein Strafrichter, der in interventionsbereiter Reglosigkeit verharrt, wird den notwendigen Dialog nicht führen können. Es ist zwar richtig, daß der Richter Zurückhaltung üben sollte. Psych~atern

Rauch, NJW 1968, 1173. m Rauch, NJW 1968, 1175. 312 Sarstedt, NJW 1968, 180 f. 310

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

219

Seine Rolle erlaubt und erfordert aber gelegentlich apodiktische Bestimmungen des Verfahrensablaufs. Würde darauf ganz verzichtet .und hüllte sich der Richter in Schweigen, ist die These von Rottleuthner zutreffend: "Schweigsame Interpretationsherrschaft ist Paschamanier. "313 Auch im Strafprozeß bringt der Richter eine durch familiale und akademische Sozialisation aufgebaute Disposition mit. Sie kann und darf entgegen der Ansicht Rottleuthners dort aber nicht nur die identitätsstiftende übernahme einer Beobachterrolle erleichtern. Diese Vorstellung entspricht nicht den gesetzlichen Maßstäben der §§ 78, 238 StPO. Es ist nicht nützlich, auf gegensätzliche psychiatrische Beurteilungen hinzuweisen, die nur solche psychischen Zustände erfahren, die nicht zu den psychischen Krankheiten im medizinischen Sinn gehören, also Psychopathien und abnorme Erlebnisreaktionen (Neurosen). Die Auswahl des Sachverständigen kann nicht den Ausgang des Verfahrens je nachdem entscheiden, ob der Sachverständige begrifflich klar denkend und wissenschaftliche Maßstäbe anwendend zwischen qualitativ abnormen (krankhaften) und quantitativen Variationen unterscheidet oder ob er Minderungen der Freiheitsrolle abschätzt, ohne verbindliche Maßstäbe dafür nennen zu können.314 Weder die Wissenschiaftstheorie noch juristische Belange machen diese Differenzier:ung von Rauch erforderlich oder überzeugend. Begriffliche Zuordnung und quantitative Bewertung psychischer Z.ustände müssen gleichermaßen Ergebnis eines konsensfähigen Dialogs sein.315 An einem begrifflich-monolithischen Angebot mit Vermutungscharakter kann ein der Wahrheitsfindung verpflichteter Richter kein Interesse haben. Rauch unterliegt einem Irrtum, weil er glaubt, nur manche Tiefenpsychologen und mehrdimensionale Diagnostiker könnten die Forderung Sarstedts nach einer Erklärung in schlichtem Deutsch erfüllen. Wenn das der gewissenhafte und kritische Sach,verständige nicht vermag, dann ist er für forensische Zwecke nicht im gebotenen Umfang verwendbar. Abweichende Auffassungen sind zum Teil aus falschen Rollen- .und Kompetenzvorstellungen erklärbar. Einerseits soll der Psychiater, der die Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten nicht überschreitet, nur aus der festgestellten psychischen Krankheit folgern können, daß der Täter zur Tatzeit nicht fähig war, das Unerlaubte seiner Tat einzusehen oder gemäß dieser Einsicht zu handeln. Der Sprachgebrauch beschreibe den Sachverhalt richtig, wenn er sagt, der Täter werde für sein Tun verantwortlich gemacht: " ... Wir finden nicht irgendwelche objektiven Tatsachen, son-

Rotaeuthner, KritJ 1971, 84. Rauch, NJW 1968,1174. 315 Wie Haddenbrock (1962), S. 286, erkennt, ist die Etikette von Persönlichkeitstypen noch keine Diagnose. 313 314

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

dern wir setzen Maßstäbe, nach denen wir unser Urteil aussprechen."316 Andererseits wird der Frage, ob seitens des Sachverständigen Äußerungen zur Zurechnungsfähigkeit erfolgen, eine geringere Bedeutung beigemessen. Es ist unklar, wo bei den von Rauch erwähnten Aktivitäten der erkenntnistheoretisch begründete und verfahrenspraktisch relevante Unterschied liegt. Ebensowenig leuchtet es ein, daß dem Richter nicht damit geholfen sein sollte, wenn der Sachverständige beschreibt, wie es zur Tatzeit im Kopf des Täters ausgesehen haben könnte. Fast schon verwirrend ist die Konsequenz: "Er (der Sachverständige), der lebendige Erfahrung mit psychisch Gestörten hat, ist besser imstande als der Jurist, seine Befunde in die juristischen Begriffe zu übersetzen."317 Dennoch wird der Sachverständige aufgefordert, sich davor zu hüten, das Urteil vorwegzunehmen, also Zurechnungsfähigkeit zu bejahen oder zu verneinen. Gleichrzeitig richtet Ra.uch an den Sachverständigen die Empfehlung, sich im Interesse der Rechtspflege und der Rechtsgleichheit dazu zu äußern, wie seine Bef.unde unter die juristischen Begriffe einzuordnen sind. Der Hinweis darauf, daß es dem Richter damit nicht verwehrt sei, sich ein eigenes, auch abweichendes Urteil zu bilden, klingt vor dem Hintergrund einer derartigen Selbsteinschätzung nicht überzeugend. Insgesamt veranlaßt die Diskussion abschließend zu einigen grundsätzlichen Bemerkungen. Es entspricht nicht dem Aufklärungsinteresse des Richters, daß sich der Sachverständige als vorgeschobener Beobachter in der terra incognita j.uristischer Begriffsbildung betätigt. Das Eingeständnis, Kompetenzen zu überschreiten, ohne es zu wollen, entlastet nicht. Der Sachverständige hat sich auf seine fachwissenschaftliche Kompetenz zu konzentrieren und sich der richterlichen Leitung unterzuordnen. Das schließt kooperatives Verhalten beim Dialog nicht aus. Es schadet den Zwecken des Strafverfahrens, Informationsaustausch und Selbstbehauptung miteinander zu verbinden. Das muß auf sachlicher und persönlicher Ebene zur Konfrontation führen. Hier ist ein Gedanke Hafts ganz besonders bedenkenswert. Er geht davon aus, daß das Bemühen um Exkulpation mißlingen muß, wenn der Täter schuldig ist: "Aber es mißlingt trotz der gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten, während es bei einer Konfrontation den Sieg des Richters über den Beschuldigten bedeutet. Und Siege sollte es nun einmal im Strafprozeß nicht geben."318 Das gilt uneingeschränkt auch für das Verhältnis zwischen Richter und Sachverständigen. Bei Zweifeln über die Schuldfähigkeit liegt die Aufgabe des Sachverständigen zunächst in der fachwissenschaftlichen (nicht nur ärzt318 317 316

Rauch, NJW 1968, 1174. Rauch, NJW 1968, 1174. Haft (1978 a), S. 52, 52. Vgl. allgemein Schmidt-Hieber, NJW 1982, 1017 ff.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

221

lichen) Diagnostik. Der Richter muß sich den Befunden gegenüber immer wieder klarmachen, daß gerade die Verkoppelung der biologischen Kriterien mit den psychologischen Faktoren die Absicht des Gesetzgebers offenbart, kein bestimmtes Krankheitsbild oder abnormen Zustand und keine besondere psychisch-physische Verfassung generell als Grund einer Exkulpierung gelten zu lassen. Im gemeinsamen Gespräch zwischen Richter und Sachverständigen ist deshalb im konkreten Einzelfall die Frage der strafrechtlichen Schuldfähigkeit zu erörtern. Für vorübergehende, physisch nicht begründbare psychische Störungen ist sonst keine annähernd exakte Diagnostik möglich. Die Diagnostizierung ist fast wie in einem Indizienprozeß strukturiert. Der fachärztliche Befund beruht auf Symptomen. Diese können nur Indizcharakter haben. Aus diesem Grund ist die Warnung ArbabZadehs vor Blindgläubigkeit gegenüber dem medizinischen Sachverständigen besonders angebracht.319 Kritische Aufmerksamkeit des Richters während der Gutachtenerstattung und der anschließenden Erörterung könnte Rechtsunsicherheiten verhindern, die dort entstehen, wo wissenschaftliche Feststellungen und Schlußfolgerungen aufhören und der Sachverständige nur subjektive, emotionale und spekulative Beurteilungen abgibt, welche auf ungeprüften Medizintheorien beruhen. Selbst wenn man annimmt, daß die Frage nach der menschlichen Schuldfähigkeit eine Aporie, das heißt eine wissenschaftlich und philosophisch unlösbare Aufgabe darstellt, muß der Beitrag der Kriminalpsychiatrie zum Problem der Zurechnungsfähigkeit nicht gering bleiben. Sie kann zwar weder mit der biologischen, noch mit der psychologischen Methode psychische Störungen oder Geisteskrankheiten im empirisch-naturwissenschaftlichen Sinn hinreichend exakt diagnostizieren. Dies ist auch darin begründet, daß der zwiespältige Dialog zwischen Strafj.uristen und Psychiatern noch immer auf Voraussetzungen beruht, die mit den Erkenntnissen der Verhaltens- und Sozialwissenschaften unvereinbar sind. Die Untersuchung des Krankheitsbegriffs hat aber gezeigt, daß die diagnostischen Inhalte durch konsensorientierten Dialog für verfahrenspraktische Zwecke präzisierbar sind. Wenn schon der Kommunikationszusammenhang zwischen dem Straftäter und der Gesellschaft zerrissen ist, muß wenigstens die Verständigung zwischen Richter .und Sachverständigen gelingen. Dadurch könnte verhindert werden, daß der Täter alleine verantwortlich gemacht wird und die Einsicht wirkungslos bleibt, daß die Psyche das umfassende Ensemble von individuell-gesellschaftlichen Ursache-Wirkungs-Beziehungen ist. Darüber hinaus werden in dem Maße, in dem anhand des konkreten Falles Geisteskrankheit und Psychopathie als moralische .und moralisierende, wertende und normative Begriffe diskutiert wer318

Arbab-Zadeh, NJW 1978, 2326.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

den, psychiatrisch-strafrechtliche Konventionen überflüssig. Eine wünschenswerte Konsequenz wird so möglich: "Das Strafrecht kann nicht mehr wie bisher mit der naturwissenschaftlichen Hilfe der Psychiatrie rechnen. "320 Denn durch dieses naturwissenschaftliche Selbst- und Fremdverständnis wird das Grundübel im psychiatrisch-juristischen Dialog genährt: "Die unkritische Vermischung von psychiatrischem Wissen und rechtlichen Werten, die sowohl von Psychiatern als auch von Juristen mit erstaunlicher Hartnäckigkeit aufrechterhalten wird und wechselseitig zu überzogenen Ansprüchen und Anmaßungen führt. "321 Die empirische Orientierung von Psychiatrie und Psychologie darf sich im Dialog nicht so auswirken, daß man überlegungen zum personalen Vergeltungsstrafrecht oder sozialen Schuldstrafrecht in den Bereich weltanschaulicher überzeugungen verweist. Witters Verständnis von der ubiquitären Anwendbarkeit psychiatrischen Fachwissens verdeckt das eigentliche Problem. Die Behauptung, daß das psychiatrische Fachwissen über die Entstehung, den Verlauf und die Behandlungsmöglichkeiten psychischer Störungen bei den Zielsetzungen aller dieser Rechtssysteme, so wie die empirischen Erkenntnisse aus anderen Wissenschaftsgebieten auch verwendet werden könne, ist keine Grundlage für einen kritischen Dialog. Dort kann sich erst erweisen, ob in der Psychiatrie die These Kargls von den unbeweisbaren Annahmen zutrifft oder der Einwand Witters begründet ist, diese These sei angesichts umfangreichen gesicherten Wissens eine Unterstellung. 322 Erfüllt der Sachverständige durch kommunikatives Verhalten die Aufgabe, das vorhandene Fachwissen einsichtig zu machen, wie Witter es fordert, dann kann das Dilemma der Kriminalpsychiatrie, wie Karg! es empfindet, ansatzweise gemildert werden. Das ist schwer genug. Im heiklen Grenzgebiet zwischen Medizin, Jurisprudenz und Ethik kann die Beschränkung auf das diagnostische Instrumentarium nur teilweise aussagefähige Daten zur strafrechtlichen Verantwortungsfähigkeit liefern. Genau dies wird von Psychiatrie und Psychologie aber verlangt. Das Gespräch über die Grenzen kann sogar zum Identitätsrisiko werden: "Zweifellos hat nicht nur die Kultur, sondern auch die Schichtzugehörigkeit des Psychiaters einen starken Einfluß auf seine Klassifikationen und Deskriptionen. "323 In einem kritischen Gespräch müßten also möglicherweise auch persönliche Elemente angesprochen werden. Je nach Selbstsicherheitsbedürfnis wird der Sachverständige deshalb Abwehrstrategien entwickeln. Den Richter kann die schier un820

321 322

323

Kargt, NJW 1975, 563.

Witter, NJW 1975, 565. Witter, NJW 1975, 566. Kargt, NJW 1975, 562.

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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lösbare Aufgabe treffen, gleichzeitig das Beweisthema mit Hilfe des Beweismittels Sachverständiger zu klären und die berechtigten Interessen an dessen persönlicher Selbstbewahrung zu respektieren, ohne die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten zu beeinträchtigen. Daraus kann ein Dilemma entstehen. Der Richter muß schon wegen § 78 StPO initiativ werden und einen Dialog führen, der die notwendige Aufklärung verschafft. Sartre hatte erkannt, daß Sprechen Handeln heißt.lI24 Kierkegaard wies nach, daß Wahrheit nur für den einzelnen ist, sofern er selbst sie handelnd erzeugt. Für den Richter, der durch überzeugungsbildung zu einem Gewißheitsurteil kommen muß, falls der Grundsatz in dubio pro reo nicht anwendbar ist, gilt besonders: "Die Gewißheit, die Innerlichkeit, die allein handelnd erlangt wird und allein in der Handlung ist, entscheidet, ob das Individuum dämonisch ist oder nicht."3u Das Prozeßgespräch mit dem Sachverständigen ist der Handlungsrahmen des Richters. Dort soll er verhindern, daß einer der wichtigsten Gründe, der zu zahllosen Verständigungsschwierigkeiten im Dialog zwischen Juristen und psychiatriscbv'psychologischen Sachverständigen führt, immer virulenter wird: die Verschiebung der Grenze zwischen Schuldfähigkeits- und Schuldbeurteilung. Das kann nur gelingen, wenn sich beide Gesprächspartner darüber klar werden, daß es sich bei etlichen psychischen Zuständen, namentlich im Bereich der Neurosen, um eine Frage der Bezeichnung und der Deutung, nicht um eine Feststellung im empirischen Sinne handelt. Der Richter ist deshalb gezwungen, sich seine Handlungsbedingungen selbst zu schaffen, weil grundsätzlich die Gefahr besteht, daß dem Sachverständigen vermeintlich empirisch gesicherte Erkenntnisse zugetraut und Entscheidungen zugemutet werden, für die er weder das begriffliche noch das methodische Rüstzeug aus seinem Sachverständnis mitbringt.au Diese Einsicht darf umgekehrt nicht zu einem psychodynamisch-diagnostischen Nihilismus führen. 327 Die Einordnung einer seelischen Konfliktkonstellation oder einer fortbestehenden Verhaltensauffälligkeit als neurotische Störung in das Konzept eines mitgebrachten Denkansatzes ist kein freier Ermessensakt. Es geht um die Darstellung des psychischen Zustandes (vgl. § 81 StPO). Haddenbrock erkennt, daß allein diese forensisch verwertbar ist. Die richterliche Subsumtionsentscheidung könnte in der Tat besser mit einer Darstellung der Tatzeitpersönlichkeit und seiner genetischen (hereditären, erlebnisreaktiven und biologischen) Wurzeln vorbereitet werden als mit einer terminologischen Etikettierung durch den psychia324

325 326

327

Sartre (1981), S. 25. Kierkegaard (1965), S. 144. Bresser, NJW 1970, 1192. Haddenbrock, NJW 1979, 1238.

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6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

trischlpsychologischen Sachverständigen.328 Solch eine Darstellung hat der Richter mit seiner Leitungsmacht zu veranlassen. Sie wird zu einern Teil Ergebnis eines Austauschs konsensfähiger Argumente sein müssen. Zu einern anderen Teil wird sie die Reproduktion wissenschaftlich-empirischer Erkenntnisse sein können, die nach menschenmöglichem Wissensstandard psychische Wirklichkeiten beschreiben. Nur so können die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen prozessualer Wahrheitsfindung im Bereich der Schuldfähigkeitsfeststellung annähernd erfüllt werden. Es ist nicht Aufgabe des Richters und gehört nicht zu den Verfahrenszwecken, eine therapeutische Kooperationsgemeinschaft von Richtern und Sachverständigen zu gründen. Er hat das Gespräch aber so zu führen, daß aus der fast forrnelartigen Beschreibung Bressers im Interesse der Wahrheitsfindung verfahrenspraktische Konsequenzen erwachsen. Er beschreibt den Sollzustand zwischen beiden Dialogpartnern zutreffend so: "Keinesfalls können wir in psychologischen Bereichen ,Erklärungen' liefern, sondern allenfalls einleuchtende Versuche des Verständnisses anbieten. Ob wir aber gegenüber den Juristen etwas mit dem Anspruch auf eine weitgehend gesicherte ,Erklärung' (wie bei einer Krankheit) oder nur als Denkhilfe für sein eigenes Verständnis des zu beurteilenden Menschen anbieten, wird für seine Urteilsbildung von großer Bedeutung sein. Er wird sich dann nämlich nicht bündig mit gleichsam unumstößlichen ,Erklärungen' abfinden dürfen, sondern muß selbst mit den angebotenen Hilfen um ein Verständnis und eine danach angemessene Wertung ringen. "329 6.2.6. Schlußfolgerungen und Ergebnisse

6.2.6.1. Grundsätze zur richterlichen Leitung des Sachverständigen gemäß § 78 StPO -

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§ 78 StPO gilt für das gesamte Verfahren einschließlich des Ermittlungsverfahrens und der Vernehmung in der Hauptverhandlung. § 78 StPO gewährt ausschließlich dem Richter die Leitungsbefugnis. Trotz krirninaltaktischer Zweckmäßigkeit ist die Beiziehung und Leitung des Sachverständigen durch die Errnittlungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) nicht grundsätzlich geboten. Die Anwendung des § 161 a StPO kann § 78 StPO dysfunktional werden lassen. Die richterliche Leitung des Sachverständigen darf nicht zur Machtdemonstration entarten. Sie muß durch präzise Auftragsform.ulie328 329

Haddenbrock, NJW 1979, 1238. Bresser, NJW 1979, 1922. Vgl. auch Adorno (1980 a), S. 11: "Kommuni-

kation schnappt ein und wirbt für eine Wahrheit, die durchs prompte kollektive Einverständnis eher verdächtig sein müßte."

6.2. Beurteilung der Schuldfähigkeit

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225

rung und sorgfältige Befragung in der Hauptverhandlung dem Aufklärungszweck dienen. Die richterliche Leitungskompetenz muß so genutzt werden, daß der Sachverständige seine Ergebnisse begründet, Schlußfolgerungen nachvollziehbar macht und die jeweilige wissenschaftliche Konzeption und Hypothese kennzeichnet. Der Richter sollte versuchen, mit seinen Leitungsmaßnahmen die Mängel der konventionellen Verfahrens struktur auszugleichen. Zu diesem Zweck sollte ein Interlokutverfahren durchgeführt werden, wofür § 78 und § 238 StPO die Befugnisse vermitteln. Eine nachlässige Erfüllung der Leitungsaufgaben kann zur Verletzung des § 261 StPO führen.

6.2.6.2. Zweck und Inhalt der richterlichen Leitung zur Vorbereitv,ng von Schuldfähigkeitsbeurteilungen -

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Der Richter muß mit seiner Leitung die Voraussetzungen für das zur Schuldfähigkeitsbeurteilung notwendige Prozeßgespräch mit dem Sachverständigen schaffen. Gleichzeitig müssen Kompetenzanmaßungen des Sachverständigen verhindert werden. Die normativen Vorgaben der §§ 20, 21 StGB zwingen wegen ihrer unvermeidlichen begrifflichen Unschärfe zu differenzierten gesprächsleitenden Maßnahmen. Die spezifischen wissenschaftlichen Probleme der Schuldfähigkeitsbeurteilung verpflichten zu einem konsensorientierten Gesprächsverhalten. Dies muß durch Leitungsmaßnahmen des Richters gefördert werden. Die richterliche Leitungstätigkeit muß besonders bei Fragen der Schuldfähigkeit verhindern, daß die Vernehmung des Sachverständigen auf der Seite des Gerichts nur zu einer monologischen Gewißheitsevidenz führt. Der Richter muß den Sachverständigen veranlassen, den Erklärungswert empirischer Ansätze in dem teilweise metaphysisch strukturierten Gebiet der Schuldfähigkeit möglichst genau z.u bestimmen. Die Leitung des Richters soll auf konsonantes Argumentieren hinwirken und die Befragung des Sachverständigen so gestalten, daß weder für den persönlichen noch den professionellen Status Bedrohungsgefühle entstehen, die das notwendige kommunikative Verhältnis stören. Zur Klärung von Schuldfähigkeitsfragen muß die Verhandlung so geführt werden, daß eine dialogische Beziehung besteht, die ange-

15 Hetzer

226

6. Anlässe und Folgen der Sachverständigenbeiziehung

sichts der begrenzten Reichweite psychiatrisch/psychologischer Diagnosetechniken das aussichtsreichste Medium der Erkenntnisoptimierung ist.

7. Bedingungen und Inhalte der üherzeugungshildung 7.1. Maßstäbe der Rechtsprechung und ihre Konsequenzen Die Rechtsprechung hat wiederholt darauf hingewiesen, daß der Richter bei der Beweiswürdigung gegenüber den Sachverständigengutachten seine Selbständigkeit zu wahren hat. Besonders in zwei Entscheidungen des BGH wurde versucht, Leitlinien z.u entwickeln. 1 Danach sind ärztliche Beobachtungen und Folgerungen auch im Bereich wissenschaftlicher Fachfragen auf ihre überzeugungskraft zu prüfen. Auf § 261 StPO wird ausdrücklich verwiesen. 2 Es wird eingeräumt, daß der Umfang, in dem ein eigenes stichhaltiges Urteil gebildet werden kann, von der Art des Gegenstandes abhängt. Die richterliche Prüfung des Gutachtens dürfe sich zuweilen sogar darauf beschränken, ob der Sachverständige ein erprobter .und zuverlässiger Vertreter seines Faches ist und daher auf seine Sachikunde in diesem Bereich vertraut werden kann. Auch wenn der Richter die Äußerungen des Sachverständigen überzeugend findet, soll er sich selbständig seine Auffassung darüber bilden, welche Bedeutung sie für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Tat haben. Dadurch werde nicht ausgeschlossen, daß sich der Sachverständige auch darüber äußert, wie er die rechtliche Frage der Schuldfähigkeit beurteilt: "Dem sollte der Richter sich aber in der Regel nicht in Bausch und Bogen anschließen. "3 Der Tatrichter wird zum eigenen Urteil auch in schwierigen Fachfragen verpflichtet. Entscheidungen müssen selbst erarbeitet werden. Begründungen sollen selbst durchdacht werden. Vom Sachverständigen darf sich der Richter nur helfen lassen: "Je weniger sich der Richter auf die Autorität des Sachverständigen verläßt, je mehr er den Sachverständigen nötigt, ihn - den Richter - über allgemeine Erfahrungen zu belehren und mit möglichst gemeinverständlichen Gründen zu überzeugen, desto vollkommener erfüllen beide ihre verfahrens rechtlichen Aufgaben."4 Als häufig vorkommender Verfahrensfehler wird es angesehen, den Sachverständigen kurzerhand nach dem Ergebnis seiner Beurteilung zu fragen. Es könnte ein sachlich-rechtlicher Fehler 1 2

8

4

15·

BGHSt 7, 238 fi.; 8, 113 ff. BGHSt 7,238 (239). BGHSt 7,238 (240). BGHSt 8, 113 (118).

228

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

entstehen, wenn der Tatrichter nur feststellt, zu welchem Ergebnis der Sachverständige gekommen ist, ohne zu sagen, ob das Gericht sich dieses Ergebnis überhaupt zu eigen macht. Der Richter dürfe sich auch eine fachliche Entscheidung nicht einfach von dem Sachverständigen abnehmen lassen. 5 Erklärt ein Sachverständiger, die Frage nach der Zurechnungsfähigkeit nicht entscheiden zu können, so ist nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu prüfen, ob ihm diese Frage aus tatsächlichen Gründen zweifelhaft geblieben ist. Die Erklärung könne nämlich bedeuten, daß der Sachverständige seine Sachkunde für unzureichend, seine Forschungsmittel für unvollkommen, die tatsächlichen Beurteilungsgrundlagen für zweifelhaft hält. Schließt sich das Gericht einer dieser Einschätzungen an, ist nach Ansicht des BGH im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden, sofern eine bessere Aufklärung, etwa durch einen anderen Sachverständigen, nicht möglich ist. Die Nichtbeantwortung könnte aber auch zeigen, daß der Sachverständige die Frage nach naturwissenschaftlichen Maßstäben für nicht beantwortbar hält. Für diesen Fall betont der BGH, daß die Frage, ob der Mensch überhaupt schuldfähig sein und Strafe verdienen kann, keine psychiatrische Frage ist. Rechtsgrundsätzlich stellt der BGH klar: "Will der Sachverständige, der die Frage nicht beantwortet, damit nur diese seine Unzuständigkeit erklären, so hat das nicht zur Folge, daß ebenfalls im Zweifel für den Angeklagten entschieden werden dürfte. Vielmehr muß dann nach allgemeinen Regeln der Gerechtigkeit entschieden werden. "6 Die höchstrichterlichen Entscheidungen weisen teilweise Gegensätze und Widersprüche auf. Einerseits wird vom Gericht verlangt, selbständig zu den Ausführungen eines Sachverständigen Stellung zu nehmen. 7 Andererseits wird zugestanden, daß sich der Tatrichter mangels hinreichender eigener Kenntnisse auf den für die Urteilsbildung maßgeblichen Wissensgebieten darauf beschränken darf, sich der Beurteilung von Fachfragen anzuschließen. 8 Im letzteren Fall ging es um ein technisches Gutachten. Das verdient deshalb hervorgehoben zu werden, weil betont wird, daß ein Gericht wegen fehlender Sachkunde gezwungen sein könnte, dem Gutachter in einer schwierigen technischen Frage zu vertrauen, während dies nicht schlechthin für die Beurteilung seeli5 Eindeutig BGHSt 2, 14 (16): "Die Frage aber, welche Forderungen aus diesen Tatsachen für das geistige oder seelische Verhalten des Angeklagten bei seiner Tat zu ziehen sind, konnte und mußte die Strafkammer selbst beantworten. Eine Mitwirkung der Sachverständigen bei dieser Entscheidung wäre nicht einmal zulässig gewesen." Ähnlich Marmann, GA 1953, 143. ft BGHSt 8, 113 (122). 7 BGH in GA 962, 185. s BGHSt 12, 311 (314).

7.1. Maßstäbe der Rechtsprechung und ihre Konsequenzen

229

scher Vorgänge gelte. 9 Mit Recht stellt Lenckner fest, daß unklar bleibt, was diese Differenzierung rechtfertigen sol1. 1o Dessenungeachtet bestätigen die Entscheidungen die bislang gewonnenen Ergebnisse und unsere Schlußfolgerungen. Die Anforderungen, die an die Instanzgerichte gestellt werden, sind nur im argumentativen Gedankenaustausch zu erfüllen. Das gilt aus den dargelegten Gründen besonders für Schuldfähigkeitsbeurteilungen. Es bleibt nur die Frage, welche spezifischen Merkmale der Prozeß der richterlichen tlberzeugungsbildung haben kann und ob dieser Prozeß überhaupt noch stattfinden muß, wenn der Richter in der Hauptverhandlung das skizzierte dialogische Verhältnis zum Sachverständigen geschaffen hat. Eine Untersuchung hierüber ist deshalb angebracht, weil angeblich nicht nachdrücklich genug betont werden kann, daß dann, wenn der Sachverständige zur Anwendung oder Nichtanwendung der §§ 20, 21 StGB Stellung nimmt, nur eine völlig unverbindliche Meinungsäußerung vorliege, durch die der Richter nie der Mühe enthoben werde, sich ein eigenes Urteil zu bilden. l1 Zu klären ist also, ob die durch eine gelungene Kommunikation zwischen Richter und Sachverständigen entwikkelten Befunde das Optimum menschenmöglicher Erkenntnis darstellen. Ist das der Fall, so ist bei Schuldfähigkeitsbeurteilungen eine Beweiswürdig.ung vielleicht nicht erforderlich und erkenntnistheoretisch sinnlos. Die richterliche überzeugung könnte wenigstens in diesem Bereich als abhängige Funktion gelungener Verständigung verstanden werden. Wirklichkeitserkenntnis und Wahrheitsfindung wären eindeutig Ausdruck und Ergebnis kommunikativer Verhältnisse. Die unmittelbar durch den Dialog ermöglichten Plausibilitätserlebnisse könnten durch eine isolierte Prüfung und durch eine der Kommunikationssituation der Hauptverhandlung enthobene tlberzeugungsbildung im Beratungszimmer nicht mehr übertroffen werden. Diese Gesichtspunkte machen die nähere Betrachtung der freien Beweiswürdigung als individuelle Leistung und als prozeßrechtliches Institut notwendig. Dadurch könnten auch die Fragen beantwortet werden, mit denen Kühne die mit der freien Beweiswürdigung verbundenen Schwierigkeiten hervorhebt: ,,- Allein, wie vermag das Gericht kritisch und frei über Äußerungen zu urteilen, die gerade den mangelnden Sachverstand des Gerichts ausgleichen sollen? - Wie kann das Gericht, ohne willkürlich oder in grober Selbstüberschätzung zu agieren, zwischen zwei oder mehr sich widersprechenden Sachverständigengutachten eines vor dem anderen oder aber eine dritte Ansicht als richtig erkennen?"1:! BGH in NJW 1961, 2061. Lenckner (1972), S. 146, FN 315. 11 Lenckner (1972), S. 146.

t

10

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7. Bedingungen und Inhalte der Überzeugungsbildung

Nach dem ersten Anschein mag die Konsequenz berechtigt sein, daß die Entscheidungsfreiheit im Verhältnis zum Sachverständigen größere Einschränkungen erleidet. Ablauf und Ergebnis der richterlichen überzeugungsbildung werden aber nicht dadurch klar, daß man die richterliche überprüfung des Gutachtens auf die Kontrolle der logisch einwandfreien Darstellung von Argumentation und Schlußfolgerung beschränkt und Plausibilitätserlebnisse nur als Indizien für oder gegen die Zuziehung eines weiteren Sachverständigen ansieht. Auf dieser Grundlage mag einem die höchstrichterliche Rechtsprechung als sachlich unvertretbare Schwärmerei über ein nicht existentes Richterbild erscheinen. Es geht bei der richterlichen Erkenntnis durch übersetzung nicht darum, die Beantwortung von Fachfragen als richtig oder falsch zu beurteilen. Kühne glaubt, es hieße die Lernfähigkeit des Richters ins Übermenschliche zu steigern, wenn man annähme, der Richter sei durch die Ausführungen des Sachverständigen solchermaßen in die Sache eingeführt, daß er gleichberechtigt mit den Sachverständigen diskutieren könne. In dieser Annahme sieht er sogar eine zynische Mißachtung der Juristen gegenüber anderen Wissenschaften. Unsere Ausführungen über die Erkenntnisleistungen von Psychiatrie und Psychologie haben gezeigt, daß zumindest im forensisch: wichtigen Bereich der Schuldfähigkeitsbeurteilung entgegen der Ansicht von Kühne die Bindung an fremden Sachverstand sachlich nicht zwingend ist. Richtig ist grundsätzlich, daß der Richter den Sachverständigen so unterworfen ist, wie er sich der sachlich und logisch fehlerfreien Argumentation eines jeden schon wegen der Bindung an Denk- und Erfahrungsgesetze nicht verschließen kann. la Sachlich begründbare Argumentationsstrukturen sind kein Monopol fachwissenschaftlicher Gutachten. Zum Zwekke der Überzeugungsbildung müssen sie unter forensischen Bedingungen (re-)produziert werden. Erst wenn das durch Dialog gelungen ist, könnte man von Bindung sprechen, weil das Ergebnis .und die Tatsache der Verständigung aus fachlichen Gründen für eine Überzeugung möglicherweise weder Anlaß noch Raum bieten. Ob man diesen Zustand gelungener Kommunikation als Bindung oder als Konsens bezeichnet, ist belanglos. Die Analyse der psychiatrisch/psychologischen Erkenntnistechniken hat gezeigt, daß eine durch das Gespräch erzielte Übereinstimmung den Genauigkeitsgrad der wissenschaftlichen Aussagen kaum mindern kann. Bei der Feststellung und Beurteilung psychischer Sachverhalte begründen eher diejenigen die Gefahr zyniKühne (1982), S. 305, Rdn 517. Kühne (1982), S. 306, Rdn 517. Zur revisionsrechtlichen Bedeutung der Denkgesetze und Erfahrungssätze mit Blick auf § 261 Stpo Geerds (1974), S. 274 f. und Grave / Mühle, MDR 1975, 276 f. Eine pathetische Darstellung des Verhältnisses zwischen Tatsacheninstanz und Revisionsrichter liefert Knögel, NJW 1958, 1570 f. 11

13

7.2. Entwicklung des Prozeßrechtsinstituts der freien Beweiswürdigung 231 scher Verkennung realer und möglicher Wirklichkeiten, die empirische Ansprüche mit tatsachengerechten Erkenntnissen verwechseln. § 261 StPO enthält einen der wichtigsten gesetzlichen Aufträge. Der Richter muß ihn erfüllen. Die Analyse der Überzeugungsbildung wird zeigen, daß dazu die Steigerung der Lernfähigkeit des Richters ins Übermenschliche keine Voraussetzung ist. Es genügt, wenn er grundsätzlich lernfähig ist. Dann könnte er dem von Käßer entwickelten Maßstab des einsichtigen Richters gerecht werden, der unmittelbar aus § 244 II StPO ableitbar ist. 14 7.2. Historisehe Entwicklung des Prozeßrechtsinstituts der freien Beweiswürdigung überzeugungsbildung hat als Teil eines prozeßrechtlich abgesicherten Prinzips justizielle Bedeutung. Um die Reichweite des. Grundsatzes der freien Beweiswürdigung deutlich werden z.u lassen, soll nur kurz an dessen Entstehungsgeschichte erinnert werden. Schon dadurch kann das Spannungsfeld deutlich werden, das durch den Unterschied zwischen Rationalität und subjektivem Fürwahrhalten aufgebaut wird und in dem sich der Richter bewegen können muß, um zu einer nachvollziehbaren überzeugung zu gelangen. Das Prinzip freier Beweiswürdigung ist eine Folge der französischen Aufklärung. Voltaire und Montesquieu bereiteten den Boden für eine Entwicklung, die während der französischen Revolution im Dekret vom 29. September / 21. Oktober 1791 ihren Gipfel erreichte,1l; Zunächst waren es rationale überlegungen, die zur Forderung nach freier Beweiswürdigung führten. Das konstruierte Beweisrecht des Inquisitionsprozesses konnte der Vielfalt des Lebens nicht gerecht werden. Die Mechanik fester Beweisregeln ließ nur richterlichen Automatismus zu. Ungerechte Auswirkungen zugunsten des Angeklagten waren oft unvermeidlich. In den Forderungen der Aufklärungsphilosophen bestand ein Bruch. 1ft Einerseits forderten sie die enge Bindung des Richters an das Gesetz. Illustriert wird dies durch die Vorstellung von Montesquieu, der im Richter nur den Mund des Gesetzes sah. 17 In der Rechtsanwendung sollte also kein Spielraum bestehen. Andererseits sollte der Richter bei der Sachverhaltsfeststellung nach dem Prinzip der freien Beweiswürdigung arbeiten. Die Anwen14 lS

Käßer (1974), S. 63 ff. Nachweise bei Maiwald (1980), S. 95 ff. Montesquieu (1967), S. 151, be-

gründete das System fester Beweisregeln noch so: "Da die Menschen schlecht sind, ist das Gesetz gezwungen, sie für besser zu halten als sie sind. Daher genügt die Aussage zweier Zeugen für die Bestrafung aller Verbrechen." 18 So Maiwald (1980), S. 96. 17 Montesquieu (1967), S. 207: "Aber die Richter sind, wie wir gezeigt haben, nur der Mund, der die Worte des Gesetzes ausspricht, willenslose Wesen, die weder seine Schärfe noch seine Strenge zu mildern vermögen."

232

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

dung abstrakter gesetzlicher Beweisregeln war praktisch nur dem gelehrten Richter möglich. Die politische Entwicklung im revolutionären Frankreich führte auch zur Etablierung von Gerichten, die mit juristischen Laien besetzt waren. Neben politischen Gründen stand dahinter der Glauhe, daß ein Richter aus dem Volke mit Wahrheitsinstinkt kraft seiner Unverbildetheit und aufgr.und seiner unmittelbaren Kenntnisse über die Lebenspraxis seines Volkes die mündlich und öffentlich vorgetragenen Beweistatsachen unvoreingenommen und zutreffend würdigen kann. Nach damaliger Anschauung verdiente ein Geschworener kein Mißtrauen. Gesunder Menschenverstand und Gewissensbildung wurden im Vergleich zu den formalen Beweisregeln als überlegen eingeschätzt. Zwangsläufig mußte mit der EinrichJtung von Geschworenengerichten die Freistellung der Richter von den gesetzlichen Beweisregeln erfolgen, die nur von J.uristen gehandhabt werden konnten. Aus der Verbindung zwischen philosophischer Aufklärung und politischer Emanzipation entstand schließlich die Formel der conviction intime. Die Grundlage dafür war eine visionäre Einschätzung der Fähigkeiten eines freien, der Volkssouveränität verpflichteten Mannes. l8 Die Lehre von der conviction intime behandelte die Frage, ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig ist, als eine bloße Tatfrage, die von Nichtjuristen ebensogut und selbst besser soll beurteilt werden können als von rechtsgelehrten Richtern. Zur Urteilsbildung sei nur natürlicher Menschenverstand und Lebenserfahrung erforderlich. lB Im deutschen Rechtskreis erfolgte eine entschiedene Trennung von formalen Beweisregeln zunächst in § 10 des königlich-sächsischen Gesetzes vom 30. 3. 1838.20 Dem war eine recht skeptische Betrachtung des Prinzips der freien Beweiswürdigung als Frucht revolutionärer Umtriebe vorausgegangen. Der Gedanke des Volksrichterturns wurde im deutschen Rechtswesen vorerst nicht aufgegriffen. In erster Linie erstreckte sich die Diskussion auf das Problem des Begründungszwangs für richterliche Urteile. Maiwald ist der Ansicht, daß die Skepsis gegenüber der freien Beweiswürdigung auf der Besorgnis beruhte, die conviction intime sei mit irrationaler Intuition glei~usetzen.l!l Leider ist hier nicht der Raum, um diese These durch eine historische Analyse zu überprüfen. Es besteht Anlaß zu der Vermutung, daß die reaktionäre Geisteshaltung in den damaligen deutschen Staatswesen nicht 18 So Maiwald (1980), S. 97. Vgl. auch die historischen Ausführungen von Küper (1967), S. 214; Krieter (1926), S. 10 f.; Greger (1978), S. 5 ff. Kritisch zu Art. 342 des Code d'instruction criminelle, in welchem die conviction intime gesetzlich verankert wurde Käßer (1974), S. 38. 10 Zachariä (1846), S. 30; ähnlich Mittermaier (1834), S. 18. 20 Zum Wortlaut Käßer (1974), S. 37, FN 24. !1 Maiwald (1980), S. 98; Savigny, GA 1858, 484, sah in der Ablösung der

gesetzlichen Beweistheorie keine wesentliche Änderung.

7.2. Entwicklung des Prozeßrechtsinstituts der freien Beweiswürdigung 233

nur aus erkenntnistheoretischen Gründen zu einer argumentativ-theoretischen Trennung zwischen freier Beweiswürdigung und Volksrichterturn führte. Die Einführung der Geschworenengerichte mußte wie die Geltung freier Beweiswürdigung Bedrohungsgefühle innerhalb einer feudalistischen Gesellschaft auslösen. Unweigerlich wurden Machtpositionen gefährdet. Mögliche und notwendige politische Konflikte sublimierten in pseudowissenschaftliche Auseinandersetzungen. Mit der freien Beweiswürdigung wurde die Vorstellung einer orakelhaften moralischen Überzeugung verbunden. 22 Schließlich gelangte man doch zu dem Ergebnis, die Freiheit der Beweiswürdigung liege darin, daß der Richter nicht gezwungen sein sollte, aus der Vielzahl der Einzelheiten nur einige herauszugreifen. Die damit verbundene Forderung nach einem Totaleindruck wurde durch die negative Beweistheorie vorbereitet.23 Die Partikulargesetzbücher des reformierten Strafprozesses nahmen schließlich sowohl das Laienprinzip als auch die freie Beweiswürdigung auf. Der dort überwiegend statuierte Begründungszwang sollte eine verstandesmäßige Aufbereitung des Totaleindrucks ermöglichen. Daher wurden auch die rechtsgelehrten Richter von Beweisregeln freigestellt. An diesen Entwicklungsstand knüpfte die Reichsstrafprozeßordnung an. Heutzutage ist der Grundsatz der freien Beweiswürdigung in allen maßgeblichen Prozeßordnungen gesetzlich verankert.24 Foucault beschreibt die Folgen so: "Nunmehr unterliegt die Gerichtspraxis einer gemeinsamen Herrsdlaft der Wahrheit - einem komplexen System, worin sich die ,innere überzeugung' des Richters aus den heterogenen Elementen des wissenschaftlichen Beweises, der sinnlichen Gewißheit und des gemeinen Menschenverstandes bildet. Hält die Strafjustiz an ihren Formen fest, kann sie sich allen Wahrheiten öffnen, wenn sie nur gewiß, bewiesen und für jedermann annehmbar sind. Das Gerichtsritual ist nicht mehr selber Erzeuger einer Teilwahrheit, sondern in das Bezugsfeld der allgemeinen Beweisführung hineingestellt, mit der Vielfalt der wissenschaftlichen Beweise knüpfen sich nun schwierige und endlose Beziehungen an, die von der Strafjustiz heute gar nicht mehr kontrolliert werden können. Der Gerichtsherr ist nicht mehr Herr seiner Wahrheit."25

22 Zu Recht bezeichnet Käßer (1974), S. 38, solch ein Verständnis als Fehldeutung. Gerade unter den Bedingungen einer conviction intime sollte eine verstandesbestimmte Entscheidung des Richters möglich werden. So auch schon Mittermaier (1834), S. 34. 23 Ausführlich Küper (1967), S. 140 m. w. N. Feuerbach (1813), S. 132 f., entwickelte die negative Beweistheorie aus der Annahme, daß der Richter zur Anwendung von Beweisregeln gegen seine überzeugung nicht gezwungen sei. Zur Notwendigkeit eines Totaleindrucks Köstlin (1849), S. 118. 14 Vgl. § 286 ZPO, § 108 VwGO, § 96 FGO, § 128 SGG. 25

Foucault (1979), S. 125.

234

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit 7.3.1. Aussagekraft des von der Rechtsprechung verwendeten

WahndleinIldlkeltsbegrlftll

Der Rechtsprechung ist es bis heute nur zum Teil gelungen, den übergang von Theorie und Praxis der formalen Beweise zum Prinzip freier Beweiswürdigung begrifflich aufzuarbeiten. Die vermittelnde negative Beweistheorie hat deutlich gemacht, daß die Entwicklung bislang in mehreren Phasen verlief. Sie ist noch nicht abgeschlossen. Auch jetzt machen einige Entscheidungen deutlich, daß für den zur freien Beweiswürdigung verpflichteten Richter Entscheidungsbedingungen gelten, welche den Charakter einer Beweisregel haben. Deren Merkmal ist, daß der Richter sich um eine empirische Bestätigungsrnöglichkeit nicht zu bemühen braucht. Beweisregeln sind aber für die prozessuale Wirklichkeitsfeststellung unbrauchbar. Ihre Rechtsgeltung wird von Veränderungen der empirischen Basis nicht aufgehoben. In seiner Entscheidung zur absoluten Fahruntüchtigkeit ließ der BGH Ergebnisse genügen, deren Richtigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht.l!6 Dieser Ansatz ist fragwürdig. Eine Blutalkoholbestimmung mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit ist auch innerhalb enger Fehlergrenzen für die richterliche Überzeugungsbildung nur begrenzt nutzbar. Der Richter hat keinen Anhaltspunkt, ob diese im jeweiligen Fall überschritten sind. Hierfür lassen sich gerade keine Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen. Selbst bei den Begutachtungen, die einen empirisch nicht zu überbietenden Wahrscheinlichkeitsgrad erreichen, ist der Bezug auf die Wahrscheinlichkeit nur eingeschränkt hilfreich. Daran ändert sichi nichts dadurch., daß manchen Verfahren der Blutgruppenbestimmung und Vaterschaftsfeststellung absolute Beweiskraft zugeschrieben wird. Der Beweiswert hängt davon ab, ob die Blutgruppen im konkreten Fall richtig festgestellt wurden.27 Daher gilt, daß die praktische Verifizierbarkeit einer Theorie noch nicht die Zuerkennung des absoluten Beweiswertes für ein auf dieser Theorie beruhendes Gutachten rechtfertigt.28 Zu betonen ist, daß es sich in diesen Bereichen noch um Verfahren handelt, die hinsichtlich ihrer objektiven Aussagekraft eine Spitzenstellung einnehmen. Um so mehr ist die Frage berechtigt, ob objektive Wahrscheinlichkeitsbegriffe in der forensischen Praxis sinnvoll sein können. Muß man doch davon ausgehen, daß für die meisten im Rahmen der Sachverhaltsforschung eingesetzten Theorien kein experimentell-empirisch gesichertes Erfahrungswissen zur Verfügung steht. !8

27 28

BGHSt 21, 157 (161). Grundsätzlich Ziegler (1969), S. 186 ff. Vgl. BGHZ 12, 37. Käßer (1974), S. 114 f.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

235

Die Rechtsprechung vermochte es nicht, die Beweiswürdigung mit ihren Wahrscheinlichkeitsbegriffen zu objektivieren. Die von Käßer zu Recht als diffus empfundene Rechtsprechung des Reichsgerichts will Möglichkeiten, die nur denkbar sind, nicht in Betracht ziehen. Abstrakte, allgemeine, entferntest liegende, sowie unwahrscheinliche Möglichkeiten eines andersartigen Geschehensablaufs sollen den Schuldspruch nicht ausschließen.29 Nach dem BGH ist die abstrakte Möglichkeit des Zweifels kein Hindernis für einen Schuldspruch. Andere theoretische Möglichkeiten sollen die Feststellung eines Tatbestandes nicht ausschließen.30 Mit solchen Formulierungen wird der Wahrscheinlichkeitsbegriff inhaltlich nicht erschlossen. Dazu gehören einige gedankliche Differenzierungen, die sich die Rechtsprechung vielleicht deshalb erspart, weil sie die Leerformel der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als Rettungsanker verwendet.SI Auch die Entscheidung vom 9. 2. 1957 wird von diesem Vorwurf getroffen.at Dort wird nur der Anschein einer kritischen Auseinandersetzung mit der Formel des Reichsgerichts erweckt, nach welcher der Richter sich mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit begnügen müsse, wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Erkenntnismittel entsteht.33 Zwar geht der BGH davon aus, daß eine persönliche Gewißheit für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend ist. Der Begriff der überzeugung schließe nicht aus, daß sie häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Endlich landet der BGH aber doch wieder bei dem nicht explizierten Begriff der Wahrscheinlichkeit: "Denn nur durch Beweiswürdigung läßt sich feststellen, ob eine Wahrscheinlichkeit so groß ist, daß sie an Sicherheit grenzt."M Eine begriffliche Präzisierung der Wahrscheinlichkeit erfordert zunächst eine Differenzierung zwischen der relativen oder statistischen, der logischen oder induktiven und der subjektiven oder persönlichen Wahrscheinlichkeit. Da die Theorie der relativen Wahrscheinlichkeit nur dort anwendbar ist, wo empirische Untersuchungen über die relative Häufigkeit eines Ereignisses oder einer Eigenschaft vorliegen, scheidet der relative Wahrscheinlichkeitsbegriff für forensische Zwecke meistens aus. Numerische Relationen rechtfertigen alleine nicht die Annahme einer objektiven Wahrscheinlichkeitstheorie. Selbst bei einer Wahrscheinlichkeitsquote von 99,99 % liegt kein Sachverhaltsnachweis 29 Vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Käßer (1974), S. 42 und Bohne (1948), S. 20. 30 BGH in NJW 1951, 83, 122; OLG Hamm in MDR 1949, 636 f. 31 Richtig Käßer (1974), S. 44. az BGHSt 10, 208 ff. ss RGSt 61, 202 (206). 34 BGHSt 10, 208 (210). Dazu Wachsmuth / Schreiber, NJW 1982, 2094 ff.

236

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildl1!lg

vor. Sogar in diesem Fall ist eine konkrete Wirklichkeit nicht bewiesen. Wie Käßer erkennt, ist auch dann Vorsicht g€boten. Unabhängig von dem Umstand, daß keine Theorie logisch verifizierbar ist, muß bedacht werden, daß jede Theorie leicht falsifiziert werden kann.3G Dem Richter steht kein Hilfsmittel zur Verfügung, mit dem entschieden werden könnte, ob der konkrete Fall in den Bereich der 99,99 0 fo oder der 0,01 ()fo gehört. Eine objektiv verstandene Wahrscheinlichkeitstheorie kann daher nur dann angewendet werden, wenn trotz dauernder Falsifikationsversuche kein Ausfall zu beobachten war. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß eine Falsifikation nie ausgeschlossen werden kann. Diese Situation ist mit Wahrscheinlichkeitslogik nichJt zu klären. Nicht zuletzt deshalb ist die Hoffnung auf eine logische Wahrscheinlichkeit .unberechtigt. Ein System logischer Wahrscheinlichkeit leistet für die forensische Praxis nichts. Daran können auch die überlegungen von Greger nichts ändern. Obschon er Unterschiede zwischen dem objektiven und logischen Wahrscheinlichkeitsbegriff konstatiert, kommt er zu dem Ergebnis, daß Wahrscheinlichkeit im Sinne der Logik ein objektiver Begriff ist. Für forensische Zwecke unergiebig ist die Feststellung, daß die logische Wahrscheinlichkeit als objektive Gegebenheit den Bestätigungsgrad einer Hypothese durch Erfahrung bezeichnet. Für Greger ist eine Aussage wahr, wenn sie die Relation zwischen Hypothese und Erfahrung zutreffend wiedergibt. Das entscheidende Problem für den Richter ist, ob die Wahrscheinlichkeitsaussage richrtig ist. Genau dies hält Greger für eine andere Frage.at Es ist aber die Frage, zu deren Beantwortung logische und objektive Wahrscheinlichkeit nicht taugt. Logische Wahrscheinlichkeit kann jedenfalls nicht durch empirische Daten verifiziert werden. Schlußfolgerungen bei induktiven Verfahren sagen mehr über die Wirklichkeit aus als die Prämissen.37 Anders verhält es sich bei der Deduktion. Da die mögliche Konklusion nicht schon in den Prämissen enthalten ist, kann diese nicht formallogisch deklariert werden. Das ist das Problem der Induktion: "Die Konklusion hraucht nicht unbedingt wahr zu sein, wenn die Prämisse wahr ist, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Durch diese Wahrscheinlichkeit wird angezeigt, in welchem Grad die Konklusion, die Hypothese durch den als bekannt angenommenen Satz gestützt wird. "38 Mit dieser Einsicht läßt sich aber 35 Zutreffend Käßer (1974), S. 46 ff. Dem kann man nicht durch die Einführung eines axiomatischen Systems in die Rechtswissenschaft entgehen. Dazu Waider (1970), S. 28 ff. Die Geschichtlichkeit der Rechtsanwendung schließt die erfahrensunabhängige Axiologie eines mathematischen Systems aus. Vgl. auch Lange (1961), S. 108 und Arndt, NJW 1963, 1278. 36 Greger (1978), S. 47 f. 37 Käßer (1974), S. 48. 38 Essler (1970), S. 65.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

237

nicht der Bestätigungsgrad einer Theorie in bezug auf eine Erfahrungsbasis in reellen Zahlen bestimmen. Carnap hat dies für grundsätzlich möglich erklärt.~ KäßeT weist zutreffend darauf hin, daß dazu eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein müßte, die in der forensischen Praxis nicht herstellbar sind. 40 Insbesondere aber läßt das induktive System keine qualitative Wertigkeit verschiedener empirischer Daten zu. Die Terminologie der Rechtsprechung wird auch nicht durch einen subjektiven Wahrscheinlichkeitsbegriff durchschaubarer. Theorien hierüber sind selbst nicht psychologisch. Teilweise lassen Erörterungen über den subjektiven Wahrscheinlichkeitsbegriff diese Einsicht kaum zu. Der subjektive Wahrscheinlichkeitsbegriff wird in die Ebene verwiesen, auf der angeblich auch die Begriffe überzeugung und Gewißheit liegen und als Vorstufe der Gewißheit verstanden werden. 41 Mit der subjektiven Wahrscheinlichkeit werde eine rein psychologische Tatsache, ein Zustand der Seele beschdeben. 42 Von Carnap / StegmüHeT wird dieser Wahrscheinlichkeitsbegriff wegen der psychologischen Komponente als unbrauchbar für die Wahrscheinlichkeitstheorie der Logik gehalten.43 Das kann aber nicht ausschließen, daß Theorien über subjektive Wahrscheinlichkeit unpsychologisch sind. Nach KäßeT ähneln sie in ihrer strengsten Form sogar der logischen Wahrscheinlichkeit." Dies leuchtet dann ein, wenn man mit EssleT und KiTsch den Gegenstand der Wahrscheinlichkeitsaussage als subjektive Bewertung der Wahrscheinlichkeit einer Hypothese hinsichtlich' subjektiver Erfahrungen begreift. 46 In Skandinavien wird versucht, den psychologischen Begriff der überzeugung aus dem Komplex der Beweiswürdigung herauszubekommen. Die subjektivistischen Wahrscheinlichkeitstheorien verwenden eine Wahrscheinlichkeitsskala, auf der ein Beweislastpunkt und ein Beweiswertpunkt ermittelt wird. Der Beweiswertpunkt soll den Wahrscheinlichkeitsgrad für Schuld bzw. Nichtschuld angeben, der vom Richter festgesetzt wird. Der Beweislastpunkt repräsentiert hingegen für eine bestimmte Tatsache einen festen Wert. Er kann nicht nach dem Belieben des Rich,ters festgelegt werden, weil er Rechtsregel ist. Hat der Beweiswertpunkt im Verhältnis zum Beweislastpunkt eine höhere oder zumindest gleiche Wahrscheinlichkeitsquote, gilt die Tat39

40 41

42

43 44 45

Carnap (1969), S. 41. Käßer (1974), S. 49. Etwa Bierling (1911), S. 93, FN 8; EisleT (1930), S. 492. Greger (1978), S. 39. Carnap I StegmülleT (1959), S. 36. Käßer (1974), S. 49. Essler (1970), S. 68; Kirsch (1970, 1), S. 44.

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7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

sache als bindend festgestellt. 46 Jedoch ist es dadurch genauso wenig möglich, den Vorgang der Beweiswürdigung zu rationalisieren wie bei der Ermittlung des Gesamt-Beweiswertes aus verschiedenen Beweismitteln durch ein mathematisches Verfahren. Formale Wahrscheinlichkeitslogik kann die Probleme der Wirklich.keitserkenntnis nicht lösen. Ein logisches System vennag die Komplexität der Wirklichkeit nicht zu erfassen, da die Richtigkeit logischer Fakten von der Realität insgesamt unabhängig ist." Wissenschaftstheoretische Wahrscheinlichkeitsbegriffe sind nicht völlig nutzlos. Sie könnten Teil eines Kontrollverfahrens sein, das der Richter dann betreibt, wenn er jedem einzelnen Beweismittel unabhängig von den anderen nach seiner subjektiven Einschätzung einen bestimmten Beweiswert zuordnet. Die Festsetzung einer Wahrheits-Wahrscheinlichkeit darf nicht auf einem autoritären Akt ber.uhen: ... "der Beweiswert ist vielmehr in Heranziehung möglichst vieler Bewertungskriterien zu ermitteln."48 Der Vorteil solch einer intersubjektiven Bewertung liegt in der breiten, auf mehreren Personen aufbauenden Erfahrungsbasis. Nur so kann eine Gewähr für die annähernd zutreffende Festlegung des Wahrscheinlich:keitswertes geboten werden. Um so beachtenswerter ist ein Vorschlag von Sauer, der mit den notwendigen Modifizierungen im Bereich des strafprozessualen Sachverständigenbeweises Anwendung finden könnte: "Zu erwägen ist, ob die Beweiswürdigung ... nicht sachgemäß bei geeigneten Fällen in Form der Verhandlung mit den Parteien oder Parteivertretern erfolgen kann."49 Von zentraler Bedeutung ist ein weiterer Effekt dieser Methode. Der Richter wäre nicht nur von außen kontrolliert. Aufgrund der notwendigen Selbstkontrolle seiner überzeugungsbildung kann eine Transparenz dieses Vorgangs hergestellt werden. Kontrolle steht grundsätzlich nicht im Gegensatz zur Freiheit der Beweiswürdigung. Die Freiheit wird nicht gebunden, wenn der Richter sich Gegenargumenten nicht verschließt, sondern versucht, im Verein und in der Auseinandersetzung mit diesen der Wirklichkeit näherzukommen. 50 Eine differenzierte wissenschaftstheoretische Betrachtung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs zeigt vor allem, daß die Rechtsprechung durch den formelhaften Umgang mit dieser Kategorie weder die formallogischen noch die psychologischen Implikationen der freien Eeweiswürdigung bewältigt hat. Sie scheint bis heute zu übersehen, daß der Wahrscheinlichkeitsbegriff ex46 Eingehend Käßer (1974), S. 50 ff. m. w. N. Zu sozialwissenschaftlichen Skalierungsverfahren Haag (1970), S. 417 ff. n Vgl. Hassemer (1968), S. 40. 48 Käßer (1974), S. 54. 49 Sauer (1951), S. 192. 60 Vgl. aber Käßer (1974), S. 54.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

239

plizit von einem optimalen Informationsstand des erkennenden Subjekts ausgeht. 51 Diese Voraussetzung ist im Strafprozeß nicht zuletzt wegen der aus § 136 a StPO folgenden Beschränkungen unerfüllbar. 7.3.2. Wahrscheinlichkeitsbegriff und Rationalisierung

der Beweiswürdigung

Soweit sie sich mit Wahrscheinlichkeit beschäftigen, sind die Ansätze der Literatur für ein rationales Verständnis der freien Beweiswürdigung nicht viel ergiebiger. Das mag in der subjektiven Komponente des Begriffs überzeugung begründet sein, die es schwierig macht, die Verbindung zu einem objektiv verstandenen Wahrscheinlichkeitsbegrüf herzustellen. Kant betrachtete das Fürwahrhalten als Begebenheit in unserem Verstande, die auf objektiven Gründen beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im Gemüt dessen erfordere, der urteilt: "Wenn es für jedermann gültig ist, sofern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben objektiv hinreichend, und das Fürwahrhalten heißt alsdann Überzeugung."52 Damit sind keine Wahrheitskriterien gewonnen. Wollte man das annehmen, so bliebe nur zu untersuchen, ob der eine oder andere überzeugt ist. Die Überzeugung selbst kann jedoch nicht zu den Wahrheitskriterien gehören. Diese können nur durch die zur Überzeugung führenden Gründe vermittelt werden, die 51 Das ganze erkenntnistheoretische und verfahrenspraktische Dilemma, in das die Rechtsprechung nicht aus eigenem Verschulden geraten ist, offenbart BGHSt 28, 1 ff. Dort ging es um die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal ,,0,8 Promille oder mehr Alkohol im Blut" (§ 24 aI StVG) erfüllt ist, wenn der Mittelwert aus den Einzelanalysen keine Blutalkoholkonzentration von 0,8 %0 ergibt, dieser Wert vielmehr erst durch Aufrundung von 0,7975 %0 errechnet wird. Das Gericht hatte sich mit dem Problem zu beschäftigen, wieviel Dezimalstellen in einem Grenzwertbereich notwendig sind, um gleichermaßen naturwissenschaftlich-analytischen, biologischen und rechtlichen Differenzierungserfordernissen zu genügen. Ausgangspunkt war die Annahme, daß nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung das arithmetische Mittel aus einer Mindestzahl voneinander unabhängiger Einzelmeßwerte dem wahren Wert am nächsten kommt. Von daher läßt sich aber nicht die Entscheidung des Gerichts erklären, das kurzerhand die dritte Dezimale sowohl analytisch wie biologisch für die Feststellung der Blutalkoholkonzentration als bedeutungslos ansah. Es wird für ausgeschlossen gehalten, daß der in der dritten Dezimale noch nicht einmal gemessene, sondern nur errechnete Wert eine Aussagekraft hat, die zur Veränderung anderer Dezimale im Wege der Aufrundung führen könnte. Die Entscheidung zeigt, wie mathematische Verfahren den eigenen Anspruch auf Genauigkeit diskreditieren. Der Hinweis des Gerichts darauf, daß der Mathematiker nur auf die benötigte Anzahl der Ziffern, von links her gezählt abstellt, die dann beizubehalten sind, verdeckt das Problem. Der BGH stellt selbst die Frage, ob es sinnvoll ist, das arithmetische Mittel nur mit zwei Dezimalstellen anzugeben. Genau das ist eine Frage, die sich mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht beantworten läßt. Ein logisches Wahrscheinlichkeitssystem ist Bedürfnissen nach Sinn gegenüber indifferent. &! Kant (1968), S. 687. Vgl. auch Käßer (1974), S. 39.

240

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

auf Reflexion, also auf Verstand beruhen. 53 Urteile müssen daher Denkgesetze und Sätze der Erfahrung beachten. Üherzeugungsbildung erfordert deshalb die intersubjektive Mitteilbarkeit von Begründungen. Dort gewinnt die Forderung nach begründendem Sprechen ihre überragende prozeßspezifische Bedeutung. Das Maß der notwendigen Verständigung läßt sich nicht in Wahrscheinlichkeitsquoten ausdrükken.5' Folglich ist es auch nicht vertretbar, die richterliche Überzeugung als Ergebnis eines mathematischen Verfahrens zu betrachten, wie es Bohne teilweise tut. 55 Er forderte Gewißheit. Es wird unterschieden zwischen quantitativer .und qualitativer Wahrscheinlichkeit. Die quantitative Wahrscheinlichkeit habe diskontinuierlich feststellbare Wahrscheinlichkeitsgrade, deren Stufen oder Quanten dem Differentialquotienten einer unstetigen Kurve entsprechen sollen. Die qualitative Wahrscheinlichkeit, die zur überzeugungsbildung des praktischen Lebens führt, gleiche einer stetigen kontinuierlich verlaufenden Kurve. Aus deren Stufen (wähnen, meinen, glauben etc.) ergebe sich in unendlich kleinen übergängen die Summe der Differentialq.uotienten gewissermaßen im Wege einer Integrierung. Bohne hielt den Punkt erreichter Gewißheit, das Stadium überwundenen Zweifels, für das Integral dieser Kurve. Hinzu komme eine subjektive Komponente. Damit wird sein mathematisches Wahrscheinlichkeitsmodell entwertet. Konsequent wird der Vorgang der überzeugungsbildung als Kategorie des emotionalen Denkens bezeichnet. Die These von der überzeugung als Endprodukt aus der Kombination der den Zweifel bedingenden Vorstellungen, die als Vektoren eines psychischen Kräftespiels wirksam sein sollen, mag Diskussionansätze bieten. Bohne läßt aber nicht hinreichend deutlich werden, welchen Funktionswert die qualitative Wahrscheinlichkeit hat. Solch ein Bestimmungsversuch scheint auf den ersten Blick alle mathematischen und sprachlichen Darstellungsmöglichkeiten zu überfordern. Von daher ist die Einsicht zutreffend, daß der Richter stets nur zu problematischen Urteilen gelangen kann. 56 In der Tat befindet sich der Richter mit der Gewißheit des praktischen Lebens im Gegensatz zur Gewißheit der mathematischen Wissenschaf53 Jarke, NACrR 1825, 100, hielt die überzeugungsbildung für ein Geschäft der Reflexion. 64 Darüber hinaus kann die von Adomeit, JZ 1980, 345, dargelegte Zertititätstheorie eine Bindung des Richters in legistischen Freiräumen nicht begründen. Vgl. auch Ebsen (1974), S. 31 ff.; Lautmann (1970), S. 401; Stein (1958), S. 44 f.; Zippelius, JZ 1970, 241 ff. 55 Bohne, NJW 1953, 1379, hat aber auch selbst bei der Würdigung des Gutachtens eines Schriftsachverständigen betont, daß es sich bei der Kombination individueller Merkmale nicht um einen mathematischen Identitätsbeweis handelt. 58 Vgl. insgesamt Bohne (1948), S. 12 - 15. An anderer Stelle betonte Bohne (1957), S. 101, daß es sich bei der Gewißheit nicht um das Erzeugnis zwingender Schlüsse aus einzelnen Tatsachen handelt.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

241

ten und zum religiösen Glauben. Fraglich ist aber, ob diese Situation mit summarischen Formeln ausreichend beschrieben wird, solange Wahrscheinlichkeit als qualitatives Medium mit mathematischen Vergleichen beschrieben und dennoch fast synonym mit Gewißheit verhunden wird: "Die Gewißheitsart der Geisteswissenschaften aber ist die Überzeugung, eine originale, in ihrer Eigenart durch den konstanten Faktor der Persönlichkeit bedingte Synthese von Evidenz und Wahrscheinlichkeit. "57 Die Kritik an derartigen Versuchen, den Prozeß richterlicher Überzeugungsbildung durchschaubar zu machen, muß fortgeführt werden. Das zeigt sich gerade am Beispiel der Wahrscheinlichkeit. Zwar wird mit dem Begrüf Überzeugung verlangt, daß der Richter eine Feststellung für wahr, nicht nur für wahrscheinlich hält. Mit dieser Forderung alleine ist aber weder eine Trennlinie zwischen Wahrheit .und Wahrscheinlichkeit gelegt noch die Feststellung begründet, daß eine hochgradige Wahrscheinlichkeit entgegen früheren Tendenzen nicht mehr als ausreichende Verurteilungsgrundlage angesehen wird. 58 So wird angenommen, daß es neben der Wahrscheinlichkeit ein selbständiges Gewißheitsurteil nicht gibt. Bei dieser Prämisse bleibt die Überzeugung im Sinne des § 261 StPO eine hochgradige Wahrscheinlichkeit, die mit subjektiver Nichtbezweiflung überkreuzt ist. 59 Man kann daraus den Schluß ziehen, daß mit der Verwendung des Begriffs Überzeugung der Einfluß irrationaler, dezisionistischer, verstandesmäßig nicht voll begründbarer Elemente gesetzlich anerkannt wurde.60 Damit ist aber noch nicht dargetan, daß Wahrscheinlichkeit stets begründbar, vermittelbar und intersubjektiv nachvollziehbar ist. Solche Aussagen sind Postulate, welche die Ansicht von Fincke nicht erklären können, wonach Wahrscheinlichkeit die Funktion habe, einer sich zu früh auf mangelnder Tatsachenbasis bildenden Überzeugung entgegenzuwirken.e1 Es ist sinnlos, den F.unktionswert der Wahrscheinlichkeit zu diskutieren, solange noch nicht einmal ausgeschlossen ist, daß durch die sprachliche Verwendung der Kategorie Wahrscheinlichkeit eine Verwechslung zwischen Schein-Wahrheit und Wahrscheinlichkeit eintritt. Beide Kategorien können der auf die Wirklichkeit gerich1teten strafprozessualen Aufklärung kaum genügen. Ein hoffnungsvoller Blick auf die wirkliche Wahrheit oder die wahre Wirklichkeit kann nur theologisch orientierten Erkenntnisbedürfnissen entsprechen. Hier soll die Bohne (1948), S. 17. Rieß, GA 1978, 265. Vgl. auch die zahlreichen Nachweise zur überzeugungsbildung bei Cuypers (1975), S. 17 ff. &9 Fincke, GA 1973, 266 ff.; Wimmer, DRiZ 1950, 402, der die freie überzeugung als Nichtbezweiflung von Bezweifelbarem ansah. &0 Dieser Ansicht ist auch Rieß, GA 1978, 265. 81 Fincke, GA 1973, 267. 57

&8

1& Hetzer

242

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

Analyse der semantischen und inhaltlichen Beziehungen zwischen Überzeugung - Gewißheit - Wahrheit - Wahrscheinlichkeit und Wirklichkeit jedoch nicht in einer tautologischen Himmelfahrt enden. Daher kann auch der Ansicht von Mösl nicht gefolgt werden. Ihm genügt ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit nicht. Verlangt wird der Glaube des Richters an die Wahrheit.62 Andere Beiträge der Literatur führen nicht sehr viel weiter. Mattil hält es für zumindest eigenartig, wenn der Richter eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit genügen läßt. Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe nicht beabsichtigt, die Gewissenhaftigkeit der richterlichen überzeugungsbildung abzubauen, als sie das Erfordernis der Gewißheit auf die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit abschwächte. Dadurch sei lediglich philosophischen Meinungen der Zeit entsprochen worden. Für ihn ist eine Wahrscheinlichkeits-Rechtsprechung entstanden, die schlechte Früchte trage. 63 Ihm gelingt es aber auch nicht, Ausdrücke zu finden, welche die sprachliche und inhaltliche Abhängigkeit sowie die konfuse Verquickung der gängigen Formeln mindern könnten. In seiner Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung kommt Niese zu dem Ergebnis, daß der Richter nach den dort entwickelten Maßstäben einen höchstwahrscheinlichen Sachverhalt für wahr gelten lassen müsse, auch wenn er ihn selbst nicht für wahr hält, also gegen seine Überzeugung. Niese kritisiert die Rechtsprechung insofern richtig, als sie einen höchst wahrscheinlichen Sachverhalt mit Wahrheit gleichsetzt. Der Richter kann und darf nicht aus Wahrscheinlichkeitsgründen verpflichtet sein, etwas gegen seine Überzeugung für wahr zu halten. Leider entwickelt Niese nicht, welche Beziehungen zwischen der Wahrscheinlichkeit und der Überzeugung bestehen, die auch für ihn durch das Schweigen der Zweifel ch:arakterisert ist. Seine laienpsychologische Vorstellung vom Prozeß der Zweifelsüberwindung läßt nicht erkennen, wie Wahrscheinlichkeit - Gewißheit - überzeugung und Zweifelsüberwindung einander zugeordnet sind: "Der Richter darf allerdings die Stimme der Zweifel in seinem Inneren nicht übertönen, und er darf ihnen nicht gewaltsam den Mund verbieten, sondern die Zweifel müssen vor der Kraft der Gegengründe von selbst verstummen, nur dann ist er von einer Tatsache überzeugt."64 Bei einem Versuch, die Grenzen richterlicher Beweiswürdigung im Strafprozeß zu bestimmen, stellte sich für Krause zunächst die Frage, ob nach überwindung der gesetzlichen Beweistheorie und der vermeintlich unkontrollierten und unkontrollierbaren conviction intime eine wissenschaftliche Beweistheorie begründet wurde. Nach seiG2

83 84

Mösl, DRiZ 1970, 110. Mattil, GA 1954, 338. Niese, GA 1954, 150.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

243

nem Eindruck ist die strafrichterliche Tatsachenfeststellung wissenschaftlich. Ziel des Strafrichters sei eine historische Gewißheit. Dar:unter wird die entschiedene, rational begründete Zustimmung unter Ausschluß der Besorgnis des Irrtums verstanden. Als wissenschaftliches Vorgehen bezeichnet Krause die zielbewußte Erlangung der Resultate in verstandesgemäß nachvollziehbaren Denkschritten unter Beachtung der Regeln der Logik :und des gesicherten Erfahrungswissens bei Heranziehung der Meinung von Fachvertretern anderer Wissenschaftszweige, wo die Sachkunde nicht ausreicht oder üblicherweise nicht als ausreichend angesehen zu werden pflegt. Wissenschaftliches Vorgehen impliziere das prinzipielle Offenbleiben gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. Subjektive Zweifel sollen nicht genügen, um von dem abzuweichen, was in maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei als richtig und zuverlässig anerkannt ist. Hat der Richter dennoch eine andere Auffassung, so müsse er mit nachprüfbarer Begründung darlegen, weshalb das bislang für richtig Gehaltene überholt ist.6Ii Krause versteht den Begriff der freien Beweiswürdigung historisch als überwindung der gesetzlichen Beweistheorie : "Angesichts der in der Zwischenzeit entwickelten vielfältigen Beschränkungen des Richters bei der Sachaufklärung bringt der Begriff heute lediglieh die Freiheit des Richters von Regeln zum Ausdruck, die ihn zwingen gegen seine überzeugung etwas als erwiesen anzusehen. "641 Solche summarischen Feststellungen können das Geflecht zwischen Überzeugung - Gewißheit - Zweifelsüberwindung und Wahrscheinlichkeit nicht auflösen. Krause hat sich bemüht, die Grenzen richterlicher Beweiswürdigung im Strafprozeß zu skizzieren, ohne Ablauf und Inhalt der überzeugungsbildung im notwendigen Umfang zu entwickeln. Ähnlich wie Niese ist Hanack der Ansicht, daß die Maxime des Reichsgerichts, wonach sich der Richter mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit begnügen darf, wie er bei erschöpfender :und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Mittel der Erkenntnis entsteht, dem Wesen der überzeugung nicht entspreche. Einen nur wahrscheinlichen Sachverhalt für wahr zu halten, bedeute die Verwechslung eines naturwissenschaftlichen Wahrscheinlichkeitsurteils mit einem geisteswissenschaftlichen Gewißheitsurteil. Während sich Wahrscheinlichkeit nur auf einen vermuteten hohen Realitätsgrad im statistischen Sinne oder eben im Sinne einer überwiegenden Vermutung beziehe, enthalte die überzeugung das qualitativ andere Moment eines subjektiven Gewißheitsgefühls. Dies bedeute aber nicht notwendig einen Steigerungs65 Vgl. insgesamt Krause (1974), S. 325 - 327. Zu den psychologischen Folgen des Verhältnisses zwischen Strengbeweis und freier Beweiswürdigung Arzt

(1974), S. 224. 66 Krause (1974), S. 330. 16·

244

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

grad gegenüber der Wahrscheinlichkeit. Hanack unterscheidet zwischen notwendiger und ausreichender persönlicher Gewißheit. Notwendige Gewißheit erfülle eine sachliche Sicherungsfunktion von erheblicher Bedeutung, da hierdurch die höchstpersönliche Verantwortung des Richters für sein Urteil deutlich werde.67 Dieser Aspekt macht es sch:wierig, die richterliche überzeugung als Rechtsbegriff zu behandeln. Grundsätzlich: kann Hanack darin zugestimmt werden, daß das Fürwahrscheinlich-Halten dem Für-wahr-Erachten nicht gleichkommt. Leider prägt diese Einsicht die höchstrich:terliche Argumentation nich:t. Besonders deutlich wird das in der "Radfahrer"-Entscheidung des BGH vom 25. 9. 1957. Dort war eine Rechtslage zu klären, die durch kontroverse obergerichtliche Entscheidungen charakterisiert war. Einerseits wurde der ursächliche Zusammenhang zwischen einem verkehrswidrigen Verhalten und einem schädlichen Erfolg immer dann bejaht, wenn nicht mit Sicherheit oder nich:t mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte, daß dieser Erfolg ohne jene Verkehrswidrigkeit eingetreten wäre. Nur wenn es nach menschlichem Ermessen sicher sei, daß der Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten eingetreten wäre, wurde der Täter nicht verantwortlich: gemacht. Andererseits wurde die Ursächlichkeit eines schuldhaften Verhaltens dann bejaht, wenn eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit dafür bestand, daß der Erfolg bei pflichtgemäßem Verhalten ausgeblieben wäre. Der BGH machte sich zunächst die Feststellung des Reichsgerichts zu eigen, daß für richterliche überzeugung nur eine der menschlichen Erkenntniskraft mögliche, dagegen keine gedanklich unumstößliche Gewißheit zu fordern sei. Sodann beschäftigte er sich mit der Frage, wie Zweifel, die sich zu einem für eine vernünftige lebensnahe Betrachtung beachtlichen Grad verdichtet haben, zu bewerten siIid. Das Ergebnis der Überlegungen des BGH lautete: "Beachtlich sind Zweifel schon, wenn sie die für den Schuldspruch erforderliche überzeugung von der an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Gegenteils vernünftigerweise aussch1ießen."68 Mit derartigen Formeln wird zu der auch von Hanack als notwendig empfundenen Differenzierung zwischen Für-wahr-Erachten und Für-wahrscheinlich-Halten nichts beigetragen. Zudem wird nicht erkennbar, in welch einem begrifflichen und inhaltlichen Verhältnis die Kategorien Überzeugung Wahrscheinlichkeit - Gewißheit zueinander stehen. Marmann empfand den Satz des 1. Strafsenats des Reichsgerichts69 als nicht ungefährlich, wonach sich der Richter mit einem so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit begnügen muß, wie er bei möglichst erVgl. insgesamt Hanack, .JuS 1977, 728 f. BGHSt 11, 1 (4 f.). eu RGSt 61, 206 ff.

87 88

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

245

schöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Erkenntnismittel entsteht. Hat der Tatrichter noch persönliche Zweifel, die nicht auf der Vorstellung von der Notwendigkeit einer letzten Gewißheit im Sinne des Ausschlusses jeder theoretischen Möglichkeit eines gegenteiligen Tatbestandes beruhen, so fehle es an der in § 261 StPO vorausgesetzten überzeugung. Innere Zweifel könnten nicht nur durch verstandesmäßige Erwägung, sondern auch durch Gefühle bestimmt werden. Nach dem Eindruck von Marmann kann das dazu führen, daß die von Verstand und Gefühl beherrschte Wertung trotz starker Verdachtsgründe für eine überzeugung im Sinne des Gesetzes nicht ausreicht. Ähnlich wie Mösl meint er, das Problem mittels eines begrifflichen de.us ex machina lösen zu können. überzeugung liege erst vor, wenn sich der Richter wirklich Klarheit darüber verschafft hat, ob und wie sich der zu beurteilende Vorgang abgespielt hat ... "und wenn für ihn an die Stelle einer Wahrscheinlichkeit - mag sie auch noch so hochgradig sein - der Glaube an die Wahrheit getreten ist".70 Der Glaube an die Wahrheit ist keine Garantie dafür, daß die überzeugung auf dem Gewicht eines die Gründe klar abwägenden Urteils über den Gesamtzusammenhang eines Geschehens beruht. Marmann ist der Auffassung, daß der Richter zu einem derartigen Urteil kommen könne, wenn er befugt ist, die Grundlage seiner überlegungen im einzelnen zu überprüfen, insbesondere den Wert .und die Bedeutung sämtlicher Beweistatsachen zu untersuchen und gegeneinander abzuwägen. Diese Ansicht zwinge dazu, auch das Sachverständigengutachten der freien Beweiswürdigung zu unterwerfen. Die Ausführungen von Marmann erhellen das Verhältnis zwischen Wahrheit und Wahrscheinlichkeit nicht. Die Substitution der Gewißheit durch den Glauben an die Wahrheit kann weder Ergebnis noch Ablauf der überzeugungsbildung klarer machen. Es ist unnötig, die zivilprozessuale Vorstellung vom Bewußtsein höchster Wahrscheinlichkeit im Bereich des Strafprozesses zum Glauben an die Wahrheit zu erhöhen. Darunter wurde auch nur die überzeugung als subjektive Gewißheit verstanden. 71 Planck bemühte sich, die juristische Gewißheit als historische oder empirische Gewißheit darzustellen, die vom mathematischen Standpunkt aus aber nur als Wahrscheinlichkeit begriffen werden könne. 72 Von daher mag überzeugung nichJt mehr als das Bewußtsein höchster Wahrscheinlichkeit bedeuten. Für WalteT steht ein so verstandener Wahrscheinlichkeitsbegriff im Einklang mit der Notwendigkeit, sich eine persönliche überzeugung dahin zu bilden, ob eine bestimmte TatMaTmann, GA 1953, 142. WalteT (1979), S. 133. Vom Glauben an die Wahrheit sprach auch schon Stein (1893), S. 29. 72 Planck (1896, 2), S. 165. 70

71

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7. Bedingungen und Inhalte der Üherzeugungsbildung

sache vorliegt oder nicht. Nach seinem Wahrheitsüberze.ugungsmodell wird vom Richter die persönliche Überzeugung von der Wahrheit einer Tatsache verlangt. Auch wenn dagegen das Wahrscheinlichkeitsmodell keine Überzeugung von der Wahrheit fordert, da diese im Unterschied zur Wahrscheinlichkeit nicht erreichbar ist, bestehe zwischen beiden Modellen kein Unterschied. 73 Dieses Ergebnis ist dann richtig, wenn nach dem jeweiligen Bewußtsein einer Wahrscheinlichkeit diese als genügend angesehen und deshalb eine Tatsache als wahr anerkannt wird.

Heinsheimer hat betont, es gehe lediglich um die Frage, ob ein bestimmtes Wahrscheinlichkeitsrnaß so eingeschätzt wird, daß damit Wahrheit festgestellt werden kann.74 Auch diese Überlegungen enden in einem hermeneutischen Zirkel. Es kann nicht nur aus diesem Grunde kaum verwundern, daß weder das Wahrsch.einlichkeitsmodell für sich noch die Gleichbehandlung mit dem Wahrheitsüberzeugungsmodell die verfahrenspraktischen Anforder.ungen des Strafprozesses erfüllen kann. Nach Scanzoni reichen die Mittel menschlicher Erkenntnis nur, um das Vorliegen einer historischen Begebenheit als im höchsten Maß wahrscheinlich zu erweisen. Völlige Gewißheit könne damit nicht begründet werden.75 Alsberg war der Ansicht, daß eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit nicht zu einem bestimmten Urteil zwingt, wenn die innere Zustimmung des Urteilenden zu einem gedanklich als richtig erkannten Ergebnis fehlt."nI Zur möglichst hohen Wahrscheinlichkeit muß also die s.ubjektive Überzeugung treten." Das ist die Quintessenz, die sich aus der Mehrheit der strafprozessualen Literatur herausfiltern läßt.78 Auch wenn deshalb die Formel von der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nur noch selten verwendet wird, spielt diese Kategorie eine nach wie vor ungeklärte Rolle in richterlichen Entscheidungsprozessen. Die unbefriedigende Situation läßt sich nicht damit überbrükken, daß die Summe aus objektiv großer Wahrscheinlichkeit und subjektiver Zustimmung als Fürwahrhalten ohne Zweifel apostrophiert wird.79 Mit diesem begriffskosmetischen Kunstgriff wird das Verhältnis zwischen Wahrscheinlichkeit und richterlicher Empfindung nur ver73 Für WalteT (1979), S. 134, handelt es sich um einen Unterschied rein begrifflicher Art, also um einen Streit um Worte. Er scheint zu übersehen, daß man diesen Streit führen muß, da nur eine differenzierte Sprachanwendung weiterführt. " HeinsheimeT, JW 1919, 572; vgl. dens. (1914), S. 133 ff. 76 Scanzoni, JW 1928, 2182 rSp. 71 AlsbeTg, JW 1929, 862, 863. Die Beziehungen zwischen gedanklicher Richtigkeit und innerer Zustimmung eröffnen wiederum ganz neue Perspektiven, denen hier nicht mehr nachgegangen werden kann. Zum Subsumtionsvorgang Bendix, GA 1917, 31 ff. 77 EhTenzweig, JW 1929, 87 rSp. 78 Vgl. WalteT (1979), S. 135, FN 18. 79 WalteT (1979), S. 135 f.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

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schleiert. Wenn schon ein subjektivistisches Überzeugungsmodell vertreten wird, sollte man konsequenterweise überhaupt nicht mehr mit der Kategorie der Wahrscheinlichkeit arbeiten. Gleichwohl übt sich die Rechtsprechung mit mathematischer Akrobatik in diesem Begriffsfeld. Neuere Tendenzen in der Literatur machen deutlich, daß die erwähnten Beiträge aus Strafprozeßrechtswissenschaft .und Rechtsprechung keinen abschließenden Befund repräsentieren. Ausgangspunkt ist nach wie vor die Frage, ob für die richterliche Überzeugung subjektive Gewißheit genügt oder auch eine objektive Sicherung vonnöten ist. Peters entscheidet sich: für das Letztere. so Roxin hält die subjektive Gewißheit des Richters dort für nicht ausreichend, wo das objektive Ergebnis der Beweisaufnahme einen rational einleuchtenden Schluß auf die Täterschaft des Angeklagten nicht zuläßt: "Der Angeklagte muß auch: vor der Willkür des Richters bei der 'Uberzeugungsbildung geschützt werden. "Sl Stree fordert den Richter auf, so objektiv wie möglich zu urteilen. Die pflicht zur Objektivität soll den Richter davon abhalten, sich subjektiv zu einer Überzeugung hinreißen zu lassen, um unter allen Umständen einen Schuldspruch zu erzielen. Verlangt wird, daß der Richter mit der Stimme der Vernunft einen Standpunkt zu gewinnen trachtet, den jeder Mensch, der dazugehört und über die erforderlichen Einsichten verfügt, nachzuvollziehen vermag. 82 Walter entnimmt diesen Beiträgen eine neo-negative Beweistheorie. 83 Die hypothetische Frage von Peters, ob die Anwendung alter Beweisregeln nicht vor manchem Urteil gesichert hätte, deren Richtigkeit zu Zweifeln Anlaß gibt, kann die These nicht stützen, daß eine Renaissance der gesetzlichen Beweistheorie angebrochen ist.s4 Zur Bekräftigung dieser Ansicht kann nicht die Forderung von Käßer herangezogen werden, für das Maß der Überzeugung nicht den Maßstab der Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Tatsachenrichters anzuwenden.8/i Die Schlußfolgerung, daß Freiheit zu beschränken sei, wenn sie trotz ihrer Ungebundenheit nicht die Erkenntnis empirischer Wirklichkeit leistet, deutet keineswegs auf eine gesetzliche Beweistheorie hin. Sie macht nur deutlich, daß Überzeugung als Erkenntnis im Grenzbereich zwischen empirischer Orientierung und subjektiver Wahrnehmung angesiedelt ist. Das Erfordernis der Nachvollziehbarkeit vermittelt keine Zwangsinstrumente, mittels derer die Wirklichkeit quasi hingebogen werden kann. se 80 81 82

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Peters (1981), S. 283. Roxin (1982), S. 72. Stree (1962), S. 40. Walter (1979), S. 137. Peters (1964), S. 542; Walter (1979), S. 137. Käßer (1974), S. 61. Vgl. auch die kritische Auseinandersetzung von Peters (1981), S. 282 f.,

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7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

Es schafft nur einen Zwang. Der Richter muß seinen Gedankengang verständlich gestalten, die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung namhaft machen und seine rechtlich-subjektiven Wertungen explizieren. Eine so entwickelte Überzeugung kann auch einen empirischen Geltungsanspruch haben. Notwendig ist dazu eine Kommunikationsleistung im rechten Zeitpunkt, also während des Verfahrens. Damit wird keine fiktive Beweiswürdigung betrieben. Diese von Heescher gewählte Formulierung ist mißverständlich. Er hält es im Unterschied zum herkömmlichen Überzeugungsmodell nicht für erforderlich, daß der Richter aufgrund eines Gesamtpersönlichkeitsaktes die innere Gewißheit vom Vorliegen einer Tatsache erlangt. Der Richter müsse vielmehr bei der Tatsachenfeststellung möglichst weit von seiner eigenen persönlichen Einstellung absehen und prüfen, wie jeder andere verständige Richter den Sachverhalt beurteilt hätte. Der Gedankengang von Heescher führt in eine Sackgasse. Er verlangt vom Richter nicht mehr das Evidenzgefühl, die Sache sei so und nicht anders gewesen. Dem Richter wird erlaubt, sich mit einer Wahrscheinlichkeitsfeststellung zu begnügen.87 Es ist gar keine Frage, daß der Richter an Denkgesetze, Erfahrungssätze und wissenschaftliche Erkenntnisse gebunden ist. Ziel :und Sinn einer freien Beweiswürdigung kann und darf es im Rahmen rationaler Entscheidungsprozesse nicht sein, die Verpflichtung auf die Vernunft aufzuheben. Aber gerade im Bereich des Sachverständigenbeweises genügt die stereotype Verweisung auf die Wahrscheinlichkeit nicht. Heescher entwertet dadurch seine eigenen kritischen Ansätze. Zweifellos muß der Richter eine vom Sachverständigen ermittelte Tatsache als Realität ansehen, wenn man Überzeugung als subjektives Fürwahrhalten interpretiert. Es trifft ferner zu, daß der Richter häufig nicht einmal fähig ist, den Gedankengang des Sachverständigen nachzuvollziehen und kritisch zu würdigen. Der Hinweis auf das Vertrauen, das dem Richter nur noch übrigbleibe, hat überhaupt nichts mehr mit Überzeugungsbildung oder freier Beweiswürdigung zu tun.88 Natürlich wäre es Unsinn, naturwissenschaftmit dem Kriterium der Nachvollziehbarkeit. In der 2. Auflage (1966), S. 257, hatte Peters eine sehr viel undifferenziertere Ansicht hierzu. 87 Heescher (1974), S. 65. Zum Verhältnis zwischen freier Beweiswürdigung und in dubio pro reo sowie der Logik und Wahrscheinlichkeitsfeststellungen Schwander, SchwZfStR 1981, 214 und Meißner (1971), S. 175 f. 88 Resignativ Heescher (1974), S. 91: "Dem Richter bleibt in diesen Fällen nichts anderes übrig, als im Vertrauen etwa auf das hohe Ansehen, das der Sachverständige in Fachkreisen genießt, dessen Urteil zu folgen." Für chemisch-technische Fragen mag solch eine Position vertretbar sein. Im psychiatrisch/psychologischen Bereich ist Vertrauen nicht nur deshalb verfehlt, weil es kein Kontrollinstrument ist. Kontrolle durch Konsens könnte immerhin sicherstellen, daß die Differenz von Kompetenz und Prestige erkennbar wird. Zutreffend auch Kühne (1982), S. 306, Rdn 517.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

249

liche Erkenntnisse deshalb nicht anzuerkennen, weil sie nicht verstanden werden. Tatsache ist aber, daß diese Erkenntnisse oft nur auf Wahrscheinlichkeit beruhen. Der Richter ist falsch beraten, wenn er diese Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe unmittelbar in seiner überzeugungsbildung berücksichtigt. Da es im Strafprozeß um Wahrheit geht, kann er nur verpflichtet sein, eine Wahrscheinlichkeit sui generis erst im und durch das Verfahren herzustellen. Es handelt sich nicht darum, daß die richterliche überzeugung gegen die Erkenntnisse eines Psychologen nur dann bestehen kann, wenn der Richter in der Lage ist, die Argumente sachkundig zu widerlegen. 89 Gerade der Umstand, daß die psychoanalytischen Wissenschaften nicht immer über empirisch abgesicherte Kriterien verfügen, macht es notwendig, eine Art von Wahrscheinlichkeits-Konsens herz.ustellen. Es kann nicht bestritten werden, daß die so produzierten Feststellungen nur Vermutungswert haben. Das ist aber deshalb unschädlich, weil die psychische Struktur anderer ohnhehin nur als diffuse Ahnung annähernd verständlich werden kann. Diese" Problematik wird durch die Behauptung verkürzt, daß der Richter gezwungen sei, die Erkenntnisse des Sachverständigen zu übernehmen, sofern sie entweder allgemein oder doch von maßgeblichen Fachkreisen anerkannt sind, und zwar selbst dann, wenn er voll davon überzeugt ist, sie seien unrichtig. so Es kann nicht widerlegt werden, daß ein Urteil, welches auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt wird, konsensfähiger ist, als wenn es lediglich auf subjektives Fürwahrhalten gegründet ist. Die subjektive Gewißheit soll die allgemeine Anerkennung auchJ nicht ersetzen. Heescher macht deutlich, wie erkenntnistheoretische Perspektiven deformiert werden können: "Daß sich der Richter in diesen Fällen der Sachkenntnis der Sachverständigen beugt, dient somit letz.tlich der Autorität seines Spruches."91 Hier werden Erinnerungen an die Einsicht im Leviathan geweckt: " ... sed autoritas non veritas facit legem".92 Unter diesen Voraussetzungen sollte man auf die Kategorie Wahrscheinlichkeit ganz verzichten. Damit kann nur Etikettenschwindel getrieben werden. Darüber hinaus werden durch solch eine Ansicht Gefahren grundsätzlicher Art hervorgerufen, welche von Hruschka so beschworen werden: "Die Autoritäten, auf die man sich ber.uft ... können das eigene Urteil nicht suspendieren und sollen es auch nicht ... bei einer rein empirischen Betrachtung der Wir89 über Naturgesetze läßt sich kaum argumentieren. Sie sind allgemeingültig feststellbar. überzeugung stellt sich durch konsensfähige Begründungen her. Der Richter muß den Sachverständigen nicht widerlegen, um zu einer anderen überzeugung zu gelangen. Das ist bei psychischen Sachverhalten grundsätzlich kaum möglich. Es müssen die jeweiligen Begründungsmuster abgeglichen werden. Dazu Blunck, MDR 1970, 422. 90 So Heescher (1974), S. 95 f. 91 Heescher (1974), S. 100. 92 Hobbes (1966, 3), S. 202.

250

7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

kungen entsteht in der Herstellung der Autoritätsbeziehung ein Abhängigkei tsverhältnis. "93 Die entscheidende Frage ist, warum besonders beim psychiatrischI psychologischen Sachverständigenbeweis die jeweilige Anerkennung zwischen Richter und Sachverständigen, also der Konsens, die allgemeine Anerkennung nicht ersetzen soll. Das würde keinen Systembruch bedeuten. Es würden nur die Konsequenzen aus der Einsicht gezogen, daß Tatsachenfeststellung und Wahrheitsfindung jedenfalls im Zusammenhang mit psychischen Komplexen keine Angelegenheiten von subjektiver Gewißheit sind. Wahrheit wäre dann ermittelt, wenn argumentativ aufbereitete Aussagen konsensfähig erscheinen. Der Richter ist aber im Unterschied z.um Sachverständigen mit Entscheidungskompetenz ausgestattet. Anders als der Sachverständige handelt er aus einer machtvollen Position heraus. Dies muß erkenntnistheoretische und verfahrenspraktische Konsequenzen haben. Zum Urteil als autoritativem Akt gehören Wahrscheinlichkeit, Wahrheit und Überzeugung nicht notwendigerweise als konstitutive begriffliche Bestandteile. Bei einem Straiurteil ist nicht grundsätzlich auszuschließen, daß die Frage nach der Wahrheit von der Macht beantwortet wird. Damit sind zwar nicht zwangsläufig Willkürentscheidungen möglich. Es ist aber nicht zu leugnen, daß deshalb der Prozeß der Wahrheitsfindung von den bislang verwendeten Begriffen nur unvollständig beschrieben werden kann. Eine Reduktion der Wahrheitsfrage auf die Frage nach der Macht kann die Probleme im Verständigungsprozeß zwischen Richter und Sachverständigem nicht lösen. Ebensowenig wie das Verhältnis von Rechtskraft und Wahrheit ein erkenntnistheoretisches Problem ist, darf die Beziehung zwischen Richter und Sachverständigem vornehmlich von Macht geprägt sein. Gegenüber dieser Forderung sollte nicht übersehen werden, daß grundsätzlich die Bedeutung der Begriffskette - Wahrscheinlichkeit - Gewißheit - Überzeugung - allein durch die Möglichkeit autoritativer Tatsachenfeststellung relativiert wird. Das Bewußtsein von der Entscheidungsmacht kann die Wahrheitsfindung so lange blockieren, bis der Richter einsieht, daß Konsens und nicht Autorität den Zugang zur Psyche eines anderen eröffnet. 7.3.3. Wahrscheinlhbkeit im erkenntnistheoretisch-psychologischen

Znsammenhang der Uberzeugungsblldnng

Derartige Einsichten verkleinern das Spannungsfeld nicht, das zwischen den objektivierenden Vorstellungen von Wahrscheinlichkeit und dem subjektiven Gewißheitserlebnis des einzelnen Richters besteht. Die Verständigung zwischen Richter und Sachverständigen, also die 03

Hruschka (1972), S. 73.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

251

Entwicklung einer konsensfähigen Argumentationskette, hängt auch davon ab, daß sich die Beteiligten über die psychischen Bedingungen ihres Verhältnisses im forensischen Dialog bewußt werden. Für das erkennende Gericht steht naturgemäß die Entscheidungspsychologie im Vordergrund. Um so bedauerlicher ist es, daß die Beschreibung dieses psychologischen Vorgangs nicht für nötig gehalten wird." Unverständlich ist diese Enthaltsamkeit deshalb, weil anerkannt wird, daß wissenschaftlich-kognitive Erkenntnis im Urteil nicht ohne voluntative und emotionale seelische Akte zustandekommt.95 Insbesondere die Argumentation von Mayer muß den Eindruck erwecken, als ob die Richter nur im Dienst der Macht stehen. Solch einen Schluß rechtfertigen noch nicht einmal die Unters.uchungen von Dorothee PeterS. 9fJ Richter sollen im Dienst der Wahrheitsfindung stehen. Unsere Vorüberlegungen haben gezeigt, daß hierbei psychologische Probleme in erheblichem Umfang auftauchen. Daher ist der Gedankengang von Mayer ergänzungsbedürftig, um den Vorgang der Überzeugungsbildung zu analysieren. Nach dessen Eindruck tritt das Urteil von vornherein als autoritative endgültige Tatsachenfeststellung auf. Grundsätzlich geht er davon aus, daß die individuelle Erkenntnis nicht durch das s.ubjektive Erlebnis der Evidenz, sondern durch ihre generalisierende Tendenz objektiv gültig wird. Hierzu sei die Nachprüfung durch die Allgemeinheit und die überzeugung der Allgemeinheit mit Gründen erforderlich: "Objektive Erkenntnis besitzt der einzelne niemals als solcher, sondern immer nur als Organ des Allgemeinbewußtseins."" Die besondere Natur der richterlichen Beweisüberzeugung gegenüber der außerprozessualen Forschung wird aus der Ansicht entwickelt, daß der Vorgang wissenschaftlicher Erkenntnis nicht auf den einzelnen bezogen sei. Wissenschaftliche Forschungsergebnisse sollen sich dadurch von bloß subjektiver Meinung unterscheiden, daß der Forscher seine Ergebnisse der wissenschaftlichen Kritik unterbreitet und in dem Feuer dieser Kritik die subjektive Meinung zur objektiv gesicherten Lehre geläutert wird. Im Unterschied dazu müsse bei einem Urteil der Standpunkt objektiver Vergewisserung schon vorher erreicht sein. Eine derartige Argumentation erlaubt nicht den Schluß auf die Bedeutungslosigkeit der psychologischen Aspekte richterlicher Überzeugungsbildung. überzeugung läßt sich nicht nur formal als Beratungs8f So Mayer (1954), S. 458, FN 3. Einführend Maisch, NJW 1975, 566 ff.; Rasehorn, NJW 1968, 2370 f. Zum Vorverständnis und zur Bedeutung der sozialen Herkunft Wank (1978), S. 19 ff. und Richter (1973), S. 46 ff. D5 Bohne (1948), S. 15, sprach sogar von emotionellem Denken. 98 Besonders aufschlußreich Peters (1973), S. 108 ff. n Mayer (1954), S. 458. Ähnlich Schmitt (1969), S. 17.

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7. Bedingungen und Inhalte der Überzeugungsbildung

ergebnis eines Kollegialorgans, als übereinstimmung oder Einigung zwischen mehreren Richtern begreifen. überzeugungsbildung findet bereits während der Hauptverhandlung statt. Die Frage ist, ob die Trennung zwischen dem Lösungsbewußtsein des Richters zu irgendeinem Zeitpunkt der Hauptverhandlung und dem Beratungsergebnis, also der überzeugung des Gerichts nach psychologischen Kriterien aufrechterhalten werden kann. Die Notwendigkeit einer Einigung qua Beratung könnte eine aufschiebend bedingte überzeugung entstehen lassen. über den Schluß der Verhandlung hinaus würde eine überzeugung bis zum Ende der Beratung unter Vorbehalt stehen. Es fällt schwer, solche Einsichten mit psychologischen Kriterien aufzuarbeiten. Dies ist aber im Interesse eines rationalen Verständnisses richterlicher Beweiswürdigung erforderlich. Schon jetzt läßt der Stand der Psychologie es kaum noch zu, die ;überzeugungsbildung als einen rational nicht auflösbaren psychischen Vorgang zu begreifen. Für Endruweit ist es daher überraschend, daß sich die juristische Literatur vornehmlich mit dem notwendigen überzeugungsumfang beschäftigt. Es finden sich meistens nur begriffliche Abgrenzungen (Meinen, Wissen, Vermuten) zum Grad und nicht zum Vorgang der überzeugung. Der Erklärungswert vieler Formeln ist gering. Die Aussage, daß überzeugung eine Einstellung ist, die bestimmte Merkmale für in bestimmter Weise gegeben hält, kann kein tauglicher Ansatz sein, um Gegenstand und Verlauf der überzeugungsbildung nach erkenntnistheoretischen und psychologischen Kriterien rational verständlich zu machen. 98 Hier könnten nur differenzierte Untersuchungen der Entscheidungspsychologie weiteren Aufschluß bringen, die mit empirischen Methoden die unterschiedlichen Erkenntnisstrategien im Geflecht materieller und prozessualer Regelungen analysieren. Angesichts der thematischen Begrenzung unserer Untersuchung können dazu keine weiteren überlegungen . angestellt werden. Eine Darstellung aller psychologischen Probleme der richterlichen überzeugungsbildung erfordert eine besondere monographische Behandlung. Deshalb können die folgenden Hinweise bestenfalls ansatzweise deutlich machen, welch eine Bedeutung Persönlichkeitsstrukturen für den Ablauf und die Ergebnisse von richterlichen Entscheidungsprozessen haben. Gleichwohl kann man den wenigen Bemerkungen entnehmen, daß der Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit nicht ausreicht, um die komplexen Beziehungen zu beschreiben, die zwischen den Voraussetzungen juristischer Urteilsbildung und den psychologischen Bedingungen forensischer Wahrheitsfindung bestehen. Aber selbst unsere äußerst rudimentäre 18 Vgl. insgesamt Endruweit (1973), S. 111 f. Ausführlicher zur überzeugungsbildung Bendix (1968), S. 81 ff.; Eikenberg (1971), S. 51; Hellwig (1914), S. 59; Weimar (1969), S. 75 ff.; Weiss (1971), S. 41 ff. Zum interaktionistischen Hintergrund Mead (1968), S. 129 und Rotaeuthner (1975), S. 126, 142, 149.

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

253

Behandlung des erkenntnistheoretisch-psychologischen Zusammenhangs richterlicher überzeugungsbildung läßt die Schwierigkeiten erkennen, die bei einer für forensische Zwecke nützlichen Operationalisierung des Wahrscheinlichkeitsbegriffs nach psychologischen Kriterieren zu überwinden sind. Arthur Kaufmann hat deutlich gezeigt, daß Recht erst im Verstehensprozeß hergestellt wird. Objektive Richtigkeit kann es außerhalb dieses Prozesses nicht geben. Begreift man die Objektivität der Naturwissenschaften als völlige Auslöschung des ,Ich' und gänzliche Hingabe an den Gegenstand, so kann daraus keine ideale Zielgröße richterlicher Aufklärung abgeleitet werden. 99 Die Richtigkeit des Rechts wird im konkreten Entscheidungsverfahren hergestellt. Weder Erkenntnistheorie noch Psychologie können Formeln anbieten, die allgemeingültig beschreiben, welche Elemente die Überzeugung des Richters umfaßt. Der Einsatz der Kategorien Wahrscheinlichkeit und Gewißheit stellt dem Intellekt nur orthopädische Hilfsmittel zur Verfügung, mit denen der Hürdenlauf durch den fachwissenschaftlichen Begriffsdsch.ungel nicht erleichtert wird. Die Rationalität der Beweiswürdigung, die Richtigkeit des Rechts und die Objektivität der Urteilsbildung hängen davon ab, ob die wichtigsten Voraussetzungen für die Herstellung von Recht erfüllt werden. Richtiges Recht kann im Medium subjektiver Überzeugung nur durch Reflexion und Argumentation, durch Intersubjektivität und Konsens .unter den Beteiligten entstehen: "Die Reflexion muß die Person des Urteilenden miteinbeziehen, der Richter muß sozusagen sich selbst unter Ideologieverdacht stellen. Je mehr ein Richter sich seiner Vorurteile und Abhängigkeiten bewußt wird, und je mehr er sich deshalb um intersubjektiven Konsens bemüht, desto objektiver und unabhängiger vermag er zu urteilen."l00 Unter diesem Blickwinkel muten die Auseinandersetzungen um den Wahrscheinlichkeitsbegriff zum Teil als philologische Kleinkrämerei an. Es werden erkenntnistheoretische Stellvertreterkriege geführt, in denen der Wahrheits- und Objektivitätsanspruch: richterlicher Entscheidungen dem psychischen und formaljuristischen Sicherheitsbedürfnis Einzelner geopfert wird. Dadurch entsteht ein verkrampftes Verhältnis zwischen Gerichten und Sachverständigen, das dann gelockert werden kann, wenn sich der Richter die Einsicht des Kammergerichts zu eigen macht: "Dabei muß der Patient allerdings wissen, daß der Begriff der Wahrheit auch in der modernen Medizin mit allen ihren Hilfsmitteln ein relativer Begriff ist und daß der menschliche Organismus mitunter auch unerwartet, rätselhaft und auch vom Arzt nichit vorhersehbar 99

100

Kaufmann (1974), S. 304; ähnlich Engisch (1963), S. 14 ff. Kaufmann (1974), S. 306.

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7. Bedingungen und Inhalte der Überzeugungsbildung

reagieren kann. "101 Deshalb kann ein tenninologischer Feuerzauber von der Seite des Sachverständigen nur blenden. Auf der juristischen Ebene kann die von Radbruch konstatierte selbstgewählte Annut eines Lapidarstils nur das Machtbewußtsein des befehlenden Staates zum Ausdruck: bringen. 102 Wassermann ist darin zuzustimmen, daß ein Imperativ, der auf Begründung verzichtet, Fragen nach Sinn und Zweck: nicht zuläßt und auch bewußt allgemein unverständlich ist, die Ebene nicht treffen kann, auf der sich Bürger untereinander verständigen. los Aus diesem Grund kann die Forderung, die Fachsprache so weit wie möglich zu verlassen und sich für jedennann verständlich auszudrücken, nicht nur an den Sachverständigen gerichtet sein. Damit werden ungeheure Anforderungen gestellt. Karl Kraus erkannte: "In keiner Sprache kann man sich so schwer verständigen wie in der Sprache. "104 Für die gerichtliche Kommunikation bestehen ungünstige Aussichten: "Die deutsche Sprache ist die tiefste, die deutsche Rede ist die seichteste. "105 Deswegen gilt für den aufklärenden Richter: "Wer nichts der Sprache vergibt ,vergibt nichts der Sache."l06 Aufklärung und Selbstkontrolle, Sprachdisziplin und Objektivität, Entscheidungsmacht und Rechtsbewußtsein, Kommunikationsfähigkeit und Leistungskraft, Wahrheitsliebe und Wirklichkeits-(Möglichkeits-) Sinn, Verstand und Vernunft, Lebenserfahrung und Leidenschaft ... eine Begriffskette, die sich endlos fortführen läßt. Zumindest sollten diese Qualitäten jeden Richter auszeichnen. Es fällt schwer, sich diesen (über-)Menschen jenseits von Gut und Böse vorzustellen. Für den einen ist er eine gedankliche Konstruktion, für den anderen konkretisiert er sich im Leitbild des einsichtigen Richters. lo7 Angesichts der verfahrenspraktischen Bedingungen und der personellen Ressourcen der Strafrechtspfiege mag die Erfüllung dieses idealtypischen Anforderungsprofils utopisch erscheinen. Für uns hat es dennoch eine praktisch bedeutsame Orientierungsfunktion. Es konnte nicht Aufgabe dieser Untersuchung sein, alle Aspekte richterlicher Erkenntnisarbeit auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Anhand des Grundbegriffs der Wahrscheinlichkeit sollte nur andeutungsweise erkennbar werden, daß durch den forensischen Dialog keine logische Kalkülsitua101 102 108 104 105

108 107

KG in NJW 1981, 2523. Radbruch (1973), S. 202. Wassermann, ZRP 1981, 258f. Kraus (1977), S. 7. Kraus (1977), S. 7. Dennoch gilt § 184 GVG. Kraus (1977), S. 7. Käßer (1974), S. 65, kommt zu dem Ergebnis: "Für den Typus, an dem

sich richterliche Tatsachenermittlung zu orientieren hat, bedeutet dies, daß als Leitbild gefordert wird ,das Wissen des Richters, ergänzt durch das der Sachverständigen'. "

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

255

tion herbeigeführt wird, in der durch ein geschlossenes Zeichensystem Aussagen datenmäßig verarbeitet werden. Wie auch Esser erkennt, besteht für die Urteilskraft des Rechtsanwendenden ein großer Spielraum, den die technische Rechtssprache und die konventionelle Umgangssprache läßt. Die fachspezifische Terminologie des Sachverständigen vergrößert diesen Spielraum. Er muß dogmatisch ausgefüllt und mit festen Markierungen versehen werden. Unbestreitbar muß die Sprache des Ordnungsmodells, nach dem die Übertragung eines rechtlichen Urteils auf entsprechende Sachverhalte erfolgt, nach den Maßstäben eines Ordnungsziels ausdeutbar sein. Zweckmäßigkeit und Verständlichkeit dürfen sich also nicht ausschließen. Beliebige Verständnisbehauptungen müssen verhindert werden. los Allein die Versuche, richterliche Überzeugung begrifflich aufzuarbeiten, haben gezeigt, wie groß die Gefahr nahezu beliebiger Benennungen ist. Das gleiche gilt für die Kategorien von Psychiatrie und Psychologie. Um dieser Gefahr zu begegnen, muß der Richter gerade im Verhältnis zum Sachverständigen ein aktives Gesprächsverhalten einnehmen. Aus unseren Darlegungen folgt, daß bloße Erstattung des Gutachtens und Rückzug ins Beratungszimmer nicht zu einer überzeugung führen können, die auch nur annähernd Wirklichkeit widerspiegelt. Notwendig ist ein Wahrheitsdialog. Es ist die ureigenste Aufgabe des Richters, ihn mit Fragen zu eröffnen und zu gestalten. Davon hängt die Qualität der Tatsachenfeststellung ab. Hierdurch werden die Beziehungen zwischen Wahrheit und Wirklichkeit bestimmt: "Die Fragestellung leitet also die gesamte Tatsachenfeststellung. Sie bewirkt Auswahl und Deutung des befragten Tatsachenmaterials und dessen Interpretation hin auf den Sachverhalt."l09 Insbesondere Hruschka hat Funktion und Bedeutung der Fragetechnik für die Wahrheitsfindung beschrieben. Fragen ist demnach ein aktives Verhalten des Urteilers gegenüber seinem Objekt, mit dem die rationale und nachprüfbare Untersuchung dieses Objekts in Gang gebracht werden kann. Es kann. hier nicht untersucht werden, ob das theoretisch-juristische Erkenntnisinteresse immer vitalen, vorrationalen, praktischen Bedürfnissen entspringt und diese Einschätzung zutrifft: "Ein unreflektiert .und gefühlsmäßig sich aufdrängendes praktisches Re~lungsinteresse in fler 108 Esser (1972), S. 34. Wenn die Einschätzung von Luthe, NJW 1975, 1449, zutrifft, bei manchen psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen bestehe die Bereitschaft, die richterliche Aufgabe der normativen Bewertung zu übernehmen oder sogar zu beanspruchen, ergeben sich auch hier wichtige Konsequenzen. Immerhin bezeichnet Luthe die Begriffsbildungen des § 51 StGB a. F. als lästige und überflüssige Formeln ohne eigenständigen Sinn. Esser (1972), S. 34, meint aber: "Die Verbindlichkeit der Norm impliziert gerade die Einheitlichkeit des Sprachverständnisses." 10D Hruschka (1965), S. 30.

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7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

passiven Sphäre verwandelt sich in rationales Fragen, aus dem eine rational ~steuerte Regelung erst hervorgehen kann."llo Unsere Vorarbeit macht die Feststellung plausibel, daß jede Tatsachenfeststellung notwendig wertbezogen ist, und daß jede Darstellung von Fakten daher notwendig auch die Perspektive des Darstellenden enthält. Richtig ist auch, daß die Situation, in welcher der urteilende Richter steht, nicht statisch und starr ist, sondern von vornherein auf eine Lösung hindrängt. Die fragliche Situation der Hauptverhandlung muß als eine Ganzheit der Bedingungen möglichen Tuns begriffen werden, welche auf die Zukunft hin geöffnet, auf eine Entscheidung angelegt ist. 111 H ru.schka kann darin zugestimmt werden, daß das dem Richter zur Verfügung stehende Material in jedem Fall eine einschränkende Auswahl darstellt und häufig schon eine Deutung, eine kategoriale Vorformung enthält, die der Lebenssachverhalt im Bewußtsein der beteiligten Personen erfahren hat. ll2 Deshalb ist der Richter geradezu gezwungen, mit dem Sachverständigen möglichst früh und intensiv ein Prozeßgespräch zu führen. Schon dadurch wird sich bei einem erkennenden Gericht in der Hauptverhandlung eine überzeugung bilden, die nach der Sitzung qua Beratung nach verifizierbaren Maßstäben weder zum Wirklichkeitsempfinden noch zum Wahrheitsbewußtsein gesteigert werden kann. Auf solchen Grundlagen sind endlich auch die Schlußfolgerungen von Käßer zustimmungswürdig. ll3 Die Rationalität der richterlichen Beweiswürdigung kann durch die äußere und innere Intersubjektivität der Reflexion und Argumentation erreicht werden. Die Darlegung der richterlichen überzeugung in den Urteilsgründen setzt voraus, daß sie in kritischer Reflexion erarbeitet wurde. Soweit Lebenserfahrung ein Urteilsinstrument ist, muß sie bew.ußt werden. Sie ist einer kritischen interpersonalen Diskussion auszusetzen. Es kann gar nicht nachdrücklich genug betont werden, daß auch die experimentelle Forschung neben einer Vielzahl hypothesenbestäti~nder Untersuchungen noch der wissenschaftlichen Anerkennung bedarf. Der Richter, dem Experimente verwehrt sind, ist oft sogar auf diese Anerkennung angewiesen, die ein Sachverständiger in seinem jeweiligen Wissenschaftsgebiet erfährt. Das Gericht ist fast zwanghaft auf die Hybridform jeder Anerkennung, das Vertrauen, zurückgeworfen. Vertrauen kann aber kein Hebel zur Erschließung eines Sachverhalts sein. Daher hat der Richter auch die wissenschaftliche Diskussion zu reflektieren, die dem SachverstänHruschka (1965), S. 38. Hruschka (1965), S. 46. 112 Hruschka (1965), S. 45. Zum "primacy effect" und der Bedeutung von Stereotypien BeTkemann, JZ 1971, 538 und Maiseh, NJW 1975, 566 ff. 113 Käßer (1974), S. 115 ff. 110 111

7.3. Erklärungswert der Kategorie Wahrscheinlichkeit

257

digen einen bestimmten Kompetenzwert beimißt. Intersubjektivität und Transmissibilität sind Wissenschaftserfordernisse. Sie gelten nicht nur für die Richtigkeit der Tatbestandsauslegung, sondern auch für die Richtigkeit der Tatsachenfeststellung. ll4 Ganz deutlich wird Arthur Kaufmann: "Vor allem bedarf es - wegen der Beschränktheit und der Perspektivität des eigenen Standpunktes - der Kommunikation, der Auseinandersetzung und Konfrontierung mit dem Standpunkt der anderen."116 Empirische Wirklichkeitserkenntnis kann nur zu einem Element im Prozeß der Wahrheitsfindung werden, wenn durch Mitteilung von Gründen im Dialog zwischen Richter und Sachverständigen eine intersubjektive Bewährungsmöglichkeit für individuelle "Wahr"-nehmungen eröffnet wird. Wenn schon an den Richter die Forderung gestellt wird, dem Sachverständigen zu vertrauen, dessen wissenschaftliche Anerkennung als Maßstab für den Geltungsanspr.uch empirischer Erkenntnisse heranzuziehen, dann sollte erst recht und vor allem eine Verpflichtung auf Konsens zwischen diesen Beteiligten gesetzlich begründet werden. Vertrauen eignet sich nicht als Parameter für Wahrheit und Wirklichkeit. Der Sachverständige muß deswegen keinen Platz auf der Richterbank einnehmen. Mit guten Gründen wollte Eberhard Schmidt den Sachverständigen doch lieber wie bisher im Parterre, vor dem Richtertisch, als unter den Gerichtsmitgliedern auf der Richterbank sehen. Tatsächlich deuten die Bezeichnungen Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, klassische Psychiatrie, Psychosomatik usw. auf fatale Richtungsgegensätze hin, die eine groteske Schärfe annehmen. Daraus folgt notwendig, daß die verschiedenen Aussagen zu einzelnen Fragen einen ganz verschiedenen Beweiswert haben, falls ihnen überhaupt einer zugesprochen werden kann. Es wäre nicht nur erkenntnistheoretisch unzweckmäßig, sondern auch rechtsstaatlich unzulässig, eine Wissenschaftspartei mit Entscheidungskompetenz auszustatten. Zudem dürfte es kaum möglich sein, so viele Sachverständigenrichter heranzuziehen, wie angesichts der Richtungsgegensätze nötig wären. Es muß nämlich so viel Sachkunde verfügbar sein, daß das Gericht nicht einseitig orientiert ist. 116 Es bleibt somit nur übrig, mit dem Sachverständigen in seiner derzeitigen Prozeßrolle ein Gespräch zu führen, das die Chance zum Konsens eröffnet. Namentlich im Bereich der Schuldfähigkeitsbeurteilung ist das schon wegen des Mangels an empirischen Alternativen dringend geboten. Es entspricht nicht nur der Lebenserfahrung von Lenin, daß Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist. Im Verhältnis zwischen Rich114 HassemeT (1968), S. 137 f.; KäßeT (1974), S. 116. us Kaufmann (1969), S. 273. 110 Schmidt, JZ 1961, 586 f.; vgl. aber BZomeyeT, ZRP 1970, 156.

17 Hetzer

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7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

tern und psychiatrisch/psychologischen Sachverständigen ist ein konsensorientierter Dialog das einzige Kontrollmedium. Schon deswegen ist er geboten. So kann die Beweiswürdigung mitsamt der überzeugung transparent werden. Es wird dem Umstand entsproch~m, daß empirische Wahrheit im Bereich der Erfahr.ungssätze des Lebens Begründung und Offenbarung verlangt. 117 Diese Überlegungen mögen nicht der Ansicht des BGH entsprechen, nach der weder § 267 StPO noch § 261 StpO das Gericht zwinge, sich in den Urteilsgründen mit sämtlichen als beweiserheblich in Betracht kommenden Umstände ausdrücklich auseinanderzusetzen. ll8 Damit könnte aber die Chance verbessert werden, auf die überzeug.ungsbildung zu einem Zeitpunkt Einfluß zu nehmen und sie zu kontrollieren, in dem die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit noch von der Scheinwahrheit getrennt werden kann. Die Transparenz der Beweiswürdigung darf nicht erst in den Gründen des Strafurteils hervortreten. UD Wird die Hauptverhandlung als kommunikatives Geschehen organisiert, dann entsteht überzeugung als Ergebnis der Beweiswürdigung auch unmittelbar in der Verhandlung. Das entspricht nicht nur psychologischen Gesetzmäßigkeiten. Rationalität der Beweiswürdigung und Realitätsgehalt der überzeugung sind um so höher, je intensiver Konsens als Wahrnehmungs- und Kontrollinstrument eingesetzt wird. Einsicht in die Wahrheit psychischer Sachverhalte ist nur möglich, wenn das Verhältnis zwischen Richter .und Sachverständigen eine sprachliche und damit inhaltliche Übereinstimmung eröffnet. Anders ist Wahrheit, auf die sich eine Verurteilung zu stützen hat, nicht denkbar. Die Annäherung der überzeugung an die Wirklichkeit wäre sonst ausgeschlossen. Die Rechtskraft von Illusionen könnte zum Schaden des Rechtsstaats nicht verhindert werden. Die Freiheit der Beweiswürdigung nach § 261 StPO schließt zwar eine Rechtspflicht zum Konsens zwischen Richter und Sachverständigen aus. Allerdings ist die im gemeinsamen Gespräch erzielte übereinstimmung erkenntnistheoretisch erforderlich, solange ein Wahrheitsanspruch erhoben wird. Dadurch erfährt die Freiheit der Beweiswürdigung keine Einschränkung im Sinne einer gesetzlichen Beweistheorie. Der pflichtgemäße Gebrauch dieser Freiheit verlangt jedoch im Interesse der Wahrheitsfindung das ernsthafte Bemühen um Übereinstimmung mittels einer für alle Beteiligten bedeutungs gleichen Sprache.

117 118

Richtig Käßer (1974), S. 117, FN 155. BGH in NJW 1951, 325.

m Käßer (1974), S. 116 f.

7.4. Schlußfolgerungen und Ergebnisse

259

7.4. Schlußfolgerungen und Ergebnisse 7.4.1. Leistungskraft der Kategorie Wahrscheinlichkeit

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Der verfahrenspraktische Einsatz der Kategorie Wahrscheinlichkeit kann den Anforderungen gerichtlicher Wahrheitssuche kaum genügen, da sie den Grad richterlicher überzeugung nur unzureichend ausdrücken kann.

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Eine Überzeugung, die sich auf Wahrscheinlichkeitsquoten bezieht, täuscht Objektivität vor.

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Auf der Ebene der Wahrscheinlichkeit läßt sich die Wahrheit eines konkreten Sachverhalts nicht darstellen. Wissenschaftstheoretische Wahrscheinlichkeitsbegriffe sind nur nützlich, wenn sie Teil eines Kontrollverhaltens werden, in dem eine Wahrheits-Wahrscheinlichkeit nicht durch einen autoritären Akt einseitig festgesetzt wird.

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Die von der Rechtsprechung verwendeten Wahrscheinlichkeitsbegriffe können Verlauf und Ergebnis richterlicher Beweiswürdigung nicht objektivieren.

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Die Kategorie der Wahrscheinlichkeit könnte nur im Rahmen einer interpersonalen Bewertung sinnvoll eingesetzt werden, die durch Übereinstimmung zwischen Richter und Sachverständigen den Grad asymptotischer Annäherung an die Wahrheit bestimmt. 7.4.2. Verfahrenspraktische und erkenntnistheoretische Implikationen der 'Oberzeugungs- und Konsensbildung

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Überzeugungsbildung kann und muß während der durch Öffentlichkeit kontrollierbaren Hauptverhandlung stattfinden.

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In der Verhandlung muß durch präzise Verwendung der Umgangssprache zwischen allen Verfahrensbeteiligten ein möglichst kommunikatives Verhältnis hergestellt werden, aus dem sich die notwendige überzeugung von der Wahrheit entwickeln kann.

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Durch ein Prozeßgespräch kann keine logische Kalkülsituation entstehen, sondern nur die Chance zu einem Konsens eröffnet werden. Wird die Möglichkeit des Konsenses durch argumentative Reflexion geschaffen, kann das Verfahren namentlich bei psychischen Sachverhalten zu richtigem Recht, wirklichkeitsbezogener Tatsachenfeststellung und wahrheitsgetreuer Überzeugung führen.

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17·

Die Würdigung psychiatrischJpsychologischer Gutachten wird durch eine Art von Wahrheits-Wahrscheinlichkeitskonsens abgelöst werden müssen, falls empirisch überprüfbare und allgemein anerkannte

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7. Bedingungen und Inhalte der überzeugungsbildung

Beurteilungskriterien für juristisch relevante psychische Variationen nicht verfügbar sind. -

Die Behandlung des Beratungsergebnisses als Überzeugung im Sinne des § 261 StPO beseitigt nicht die Notwendigkeit eines Konsenses zwischen Richter und psychiatrisch/psychologischem Sachverständigen.

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Konsens kann und muß die Funktion eines Kontrollinstruments haben, mit dem gleichermaßen die Aussagen des Sachverständigen und die Beweiswürdigung des Richters rational nachvollziehbar .und überprüfbar werden.

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Im Bereich der Schuldfähigkeitsbeurteilung besteht für den Richter grundsätzlich keine Bindung an die Ergebnisse psychiatrisch! psychologischer Begutachtung. Nur die durch einen forensischen Dialog entwickelten Argumentationsstrukturen können nach Maßgabe ihrer Plausibilität und Konsensfähigkeit das Ergebnis der Beweiswürdigung bestimmen.

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Die Freiheit der Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO ist für die Wahrheitsfindung solange nützlich und notwendig, wie sich das Gericht bemüht, im öffentlichen Verfahren kontrollierbare übereinstimmung mit dem psychiatriscblpsychologischen Sachverständigen durch allgemeinverständliches und begründendes Sprechen herbeizuführen.

Literaturverzeichnis Abenhausen, Fritz: Zur sozialisationstheoretischen Bedeutung der soziologi-

schen Handlungs- und Systemtheorie, Diss. phil., Göttingen 1978.

Achenbach, Hans: Historische und dogmatische Grundlagen der strafrechts-

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Adomeit, Klaus: Methodenlehre und Juristenausbildung, ZRP 1970, 176 - 180.

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