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German Pages 568 [566] Year 2023
Tabea Malter Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Edition Museum Band 79
Editorial Das Museum zwischen Vergangenheit und Zukunft Die gesellschaftlichen Funktionen des Museums sind vielfältig: Als kuratierter Ausstellungsraum spiegelt es unser kulturelles Selbstverständnis wider und stellt es gleichzeitig in Frage. Als pädagogischer Raum ergänzt es schulische Lernorte um wichtige Kapazitäten. Als Raum des Sammelns und Bewahrens leistet es zentrale Beiträge zur Ausformung unseres kulturellen Gedächtnisses. In dieser Weise exponiert, bietet das Museum einzigartige Möglichkeiten, die Themen und Probleme unserer Zeit erfahrbar zu machen. In der Edition Museum werden all diese Dimensionen verhandelt und auf dieser Basis Weichen für die Zukunft gestellt. Im Zentrum stehen Fragen der Nachhaltigkeit, der Digitalisierung, der Postkolonialität, der Inklusion sowie der kulturellen Repräsentation. Daneben widmet sich die Reihe auch ganz praktischen Fragen des Museumsbetriebs sowie seiner Organisation und seines Managements. Das Spektrum an Publikationen reicht von multiperspektivischen Textsammlungen über monografische Studien bis hin zu Praxisleitfäden und anderen Lernmedien.
Tabea Malter, geb. 1991, ist assoziiertes Mitglied des Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (CARMAH) und promovierte an der HumboldtUniversität zu Berlin. Sie forscht zu Identitätsnarrativen in archäologischen Ausstellungen und war an der Realisierung mehrerer solcher Ausstellungen beteiligt.
Tabea Malter
Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen Zur Konstruktion von Gedächtnis, Erbe und Identität in Ausstellungen
Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades doctor philosophiae (Dr. phil.) im Fach Kulturwissenschaft an der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin von Tabea Malter bei Prof. Dr. Stefan Willer und Prof. Dr. Sharon Macdonald, eingereicht am 24.09.2020, Disputation am 08.02.2022. Die Promotion wurde ermöglicht durch ein Promotionsstipendium der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf. Gedruckt mit Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-n b.de abrufbar.
© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Zwei Kinder betrachten die Mammutknochen und -zähne in einer Wasservitrine im Archäologischen Museum Hamburg. (© Archäologisches Museum Hamburg) Korrektorat: Dr. Dagmar Bruss Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839469040 Print-ISBN: 978-3-8376-6904-6 PDF-ISBN: 978-3-8394-6904-0 Buchreihen-ISSN: 2702-3990 Buchreihen-eISSN: 2702-9026 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download
Inhalt
Vorwort ........................................................................................9
Einleitung Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie? ................. 15
Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich I.1
Zur archäologischen Forschung in Deutschland .......................................47
I.2
Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen .................................. 65
I.3
Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben ............................. 81
Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität II.1 II.1.1 II.1.2 II.1.3
Zum Kontext der Begriffe ..............................................................111 Kulturelles Gedächtnis und Erinnerungskultur ............................................111 Kulturelles Erbe ........................................................................123 Kulturelle Identität .....................................................................132
II.2 II.2.1 II.2.2 II.2.3
Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger? ...............................145 Formung und Austausch kultureller Gedächtnisse .......................................145 Auswählen, Sammeln, Vergessen und Speichern .........................................152 Die Bedeutung von Objekten für ein kulturelles Gedächtnis ..............................165
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter? ................................... 175 II.3.1 Übertragung von und Eigentum an kulturellem Erbe ..................................... 175
II.3.2 Bewerten, Erhalten und Aneignen .......................................................189 II.3.3 Zur Authentizität und Aura von Exponaten in Archäologischen Landesmuseen .......... 207 II.4 II.4.1 II.4.2 II.4.3
Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen? ......................... 217 Theorien zur Konstruktion kultureller Identität .......................................... 217 Klassifizieren, Definieren und Abgrenzen............................................... 227 Ausstellungen als Identitätsnarrationen................................................ 238
Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen III.1
Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken ............................................................ 261 III.1.1 Ein Museum für Kunst und Design? ..................................................... 261 III.1.2 Kontext in Computern ................................................................. 282 III.1.3 Keine Inszenierung ist auch eine Inszenierung ......................................... 292 III.2 III.2.1 III.2.2 III.2.3
Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier.................. 297 Klassische Bildung mit moderner Technik .............................................. 297 Texte, Filme, Projektionen ..............................................................316 Eine Ausstellung wie ein Lehrbuch ......................................................331
III.3 III.3.1 III.3.2 III.3.3
Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale) .... 337 Von der Tundra bis nach Walhalla...................................................... 337 (Bühnen-)Bilder und Skript .............................................................371 Infotainment: Der Drahtseilakt zwischen Kenntnis und Klischee ........................ 389
III.4 III.4.1 III.4.2 III.4.3
Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg ................. 397 Mit dem Einkaufswagen in die Römerzeit............................................... 397 Kunst und Krempel .................................................................... 426 Gegenwärtige Archäologie und archäologische Gegenwart ............................... 441
Zusammenfassung und Fazit Vorschläge zur Orientierung der Archäologischen Landesmuseen in bewegten Zeiten .... 449
Anhänge und Verzeichnisse Anhang 1: Interviewprotokolle .............................................................. 465 Anhang 1.1: Protokoll des Interviews mit Franz-Josef Schumacher (FJS) ........................ 465 Anhang 1.2: Protokoll des Interviews mit Roland Mönig (RM) .................................... 473 Anhang 1.3: Protokoll des Interviews mit Mechthild Neyses-Eiden (MNE) und Hans Nortmann (HN) ............................................................................... 482
Anhang 1.4: Protokoll des Interviews mit Arnold Muhl (AM) ..................................... 494 Anhang 1.5: Protokoll des Interviews mit Harald Meller (HM) .................................... 502 Anhang 1.6: Protokoll des Interviews mit Michael Merkel (MM) und Rainer-Maria Weiss (RMW) .....513 Anhang 2: Fragenkatalog zur Verwendung bei den Ausstellungsanalysen.................. 527 Anhang 3: Glossar .......................................................................... 533 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis ....................................................... 537 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................... 541 Quellen ....................................................................................... 541 Literatur ...................................................................................... 541 Internetseiten und Downloads ................................................................ 562 Abstract..................................................................................... 565
Vorwort
Archäologie beziehungsweise die Ur- und Frühgeschichte fasziniert zweifelsohne viele Menschen. Den Beleg dafür liefern unter anderem die Erfolge popkultureller Formate mit urgeschichtlichen Themen, die Marco Kircher in seiner Dissertation Wa(h)re Archäologie untersucht hat. Er beschreibt darin die Archäologie als ein Millionengeschäft. Kinofilme, historische Romane, Sachbücher, Magazine, Comicgeschichten, Themenparks, Brett- und Computerspiele, Dokumentarfilme, Konsumprodukte und viele weitere Genres verwenden Motive der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit und erreichen damit hohe Auflage- und Verkaufszahlen – aber auch archäologische Ausstellungen können oft vergleichsweise hohe Besucherzahlen verzeichnen.1 Die Faszination für archäologische Themen und Fundstücke teile ich natürlich auch selbst. Im Laufe meines Studiums der Kulturwissenschaft und Prähistorischen Archäologie hat sich mein Interesse aber mehr und mehr auf die Frage zugespitzt, welche Rolle die Archäologie in unserer heutigen Gesellschaft spielt. Was hat das, was da erforscht und in Museen ausgestellt wird, mit uns zu tun, was macht es mit uns und wie passiert das? Zu Beginn meines Studiums wurde ich sehr oft mit der Frage nach dessen Sinn und Zweck konfrontiert, wie wahrscheinlich sehr viele Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer. Meist wird dann (zu Recht) darauf verwiesen, dass aus der Vergangenheit Lehren für Gegenwart und Zukunft gezogen werden können. Aber bei genauerem Hinsehen ist das Problem noch etwas komplexer. Die Frage, welchen Beitrag zum Beispiel Vertreter:innen2 der Archäologie zum gesellschaftlichen Leben leisten können und wollen, ist durchaus berechtigt. Denn Vorgeschichten, also die Repräsentationen dessen, was sich vor unserer Gegenwart ereignet und dazu geführt haben soll, dass unsere Lebenswelt so ist wie sie ist, sind untrennbar mit den Konzepten des kulturellen Gedächtnisses, des kulturellen Erbes und der kulturellen Identität verbunden, die eine Gesellschaft prägen. Schon lange beschäftigt mich daher die Frage, wie wir als Wissenschaftler:innen
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Vgl. Marco Kircher, Wa(h)re Archäologie, 2012, S. 11f. In dieser Publikation wird geschlechtergerechte Sprache verwendet. Aus Gründen der Inklusion wurde sich dazu für die Schreibweise mit Doppelpunkt entschieden. Alternativ wurden in einigen Fällen Substantivierungen vorgenommen.
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Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
aus den Spuren der Ur- und Frühgeschichte Schlüsse ziehen, wie wir dieses so generierte Wissen kommunizieren und wie wir dabei welche Narrative konstruieren. Mit der vorliegenden Arbeit konnte ich diesen Fragen nachgehen und die aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu ethnologischen und kulturhistorischen Museen auf archäologische Museen ausdehnen, zu denen bislang noch wenig geforscht wurde. Dabei bewegte ich mich gewissermaßen in einer Nische zwischen mehreren »Orchideenfächern«: Der Kulturwissenschaft, der Ur- und Frühgeschichte und der Museologie. Auch wenn meinem Projekt meistens großes Interesse entgegengebracht wurde, war damit manchmal auch Skepsis verbunden – zum Teil weil bezweifelt wurde, ob damit das nötige Maß an Expertise in allen Bereichen gewährleistet und die Landschaft der Archäologischen Landesmuseen in angemessenem Umfang erfasst werden könnte, zum Teil aber auch, weil manche potentielle Ansprechpartner:innen und Gutachter:innen mit Verweis auf ihre jeweilige Spezialisierung die Grenzen ihrer Beratungsmöglichkeiten zu bedenken gaben. Keinerlei Scheu zeigte allerdings mein Betreuer Stefan Willer. Deshalb möchte ich ihm an erster Stelle dafür danken, dass er sich auf dieses Wagnis mit mir eingelassen und diese Arbeit vom ersten, noch unscharfen Projektvorschlag bis zum Schluss mitgetragen hat. Dank der Freiheiten, die er mir bei der Themenwahl gelassen hat, konnte ich meinen Interessen folgen. Durch anregende Gespräche, konstruktive Textkritik sowie wertvolle Hinweise und Ideen hat er mich stets unterstützt. Nicht zuletzt war auch das von ihm initiierte Kolloquium ein willkommenes Forum zum Austausch mit Kommiliton:innen und ermöglichte nicht nur die Diskussion des eigenen Projekts, sondern auch den Blick über den jeweiligen Tellerrand hinaus, der stets motivierte und oft neue Einfälle und Ansätzen initiierte. Daher möchte ich auch allen Teilnehmer:innen des Kolloquiums danken. Ebenso gilt mein besonderer Dank meiner Zweitbetreuerin Sharon Macdonald, die mich durch zahlreiche konstruktive Gespräche und Anregungen unterstützt, mich stets motiviert und mit ihrer Expertise in der Museumsforschung vieles zu diesem Projekt beigetragen hat. Sie hat mich des Weiteren durch das von ihr geleitete Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage (kurz CARMAH) in regelmäßigen und überaus wertvollen Kontakt mit internationalen und lokalen Museumsforscher:innen und -mitarbeiter:innen, Kurator:innen und Künstler:innen gebracht. Die CARMAH Research Meetings und die Treffen des Museumslabors waren sowohl für meine Arbeit als auch für meine persönliche Entwicklung ausgesprochen produktiv. Auch den Teilnehmer:innen dieser Gruppen sei an dieser Stelle gedankt. Dass ich dieses umfangreiche Projekt in einem gebührenden Zeitrahmen umsetzen konnte, wäre ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen. Diese wurde durch die Gerda Henkel Stiftung bereitgestellt, die meine Dissertation mit einem großzügigen Promotionsstipendium und Reisekostenbudget sowie letztlich auch die Publikation mit einem maßgeblichen Druckkostenzuschuss gefördert hat. Der Stiftung, ihren Mitarbeiter:innen und meinen Mitstipendiat:innen möchte ich aber nicht nur für die finanzielle, sondern auch für die ideelle Unterstützung im Rahmen der Stipendiatentreffen, Workshops und Stammtische danken. Selbstverständlich hätte dieses Projekt nicht ohne die Kooperationsbereitschaft der Archäologischen Landesmuseen realisiert werden können. Besonders den Vertreter:innen der vier von mir analysierten Museen möchte ich für die stets begeisterte und be-
Vorwort
reitwillige Unterstützung, das mir entgegengebrachte Vertrauen und die gute Zusammenarbeit danken. Meine Recherchen wurden immer mit großem Interesse aufgenommen, verfolgt und nach Kräften unterstützt. Mir wurden Ausstellungen, Archive, Bibliotheken und schier endlose Aktenbestände in Büros geöffnet, Arbeitsplätze und in einem Fall sogar eine Unterkunft gestellt, es wurde Material für mich zusammengetragen und nicht zuletzt waren die Mitarbeiter:innen und Direktor:innen jederzeit gesprächsbereit und haben so auf vielfältige Weise diese Dissertation ermöglicht. Einigen Vertreter:innen möchte ich hier besonders danken und sie daher namentlich nennen: Roland Mönig, Franz-Josef Schumacher, Thomas Martin und Heike Hagenau (Stiftung Saarländischer Kulturbesitz – Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes, Saarbrücken); Rainer-Maria Weiss, Michael Merkel und Silke Kopton (Archäologisches Museum Hamburg); Marcus Reuter, Mechthild Neyses-Eiden, Hans Nortmann, Sabine Faust und Sonja Nolles (Rheinisches Landesmuseum Trier); Harald Meller, Arnold Muhl, Bettina Stoll-Tucker, Michael Schefzik, Thomas Puttkammer, Alfred Reichenberger, Tomoko Emmerling und Georg Schafferer (Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle). Ebenfalls überaus hilfreich und gewinnbringend waren Recherchen in der Bibliothek des Instituts für Museumsforschung, für die mir Vera Heyden dankenswerterweise zahlreiche Publikationen von und zu archäologischen Museen bereitstellte. Der konstruktive Austausch mit Charlotte Kurbjuhn zur Narrativität von Ausstellungen war vor allem in einer frühen Phase des Projekts sehr wichtig und hat mich in meinem Forschungsansatz bestärkt. Daher gilt auch ihr mein ausdrücklicher Dank, ebenso wie Dagmar Bruss, die mir mit einer sorgfältigen Korrektur und vielen hilfreichen Vorschlägen umsichtig und engagiert dabei geholfen hat, der Druckfassung dieser Dissertation den letzten Schliff zu verleihen. Einen wichtigen Beitrag zu dieser Doktorarbeit haben aber auch drei meiner besten Freundinnen geleistet, denen ich deshalb von Herzen danken möchte: Svenja Müller, Sabrina Rach und Anna Scheffler. Dass sie jeweils große Teile meiner doch recht umfangreichen Dissertation neben ihren Vollzeitjobs gelesen, korrigiert, mit wertvollen Hinweisen ergänzt und mit mir diskutiert haben, will ich keinesfalls als selbstverständlich erachten. Darüber hinaus haben sie mich so manches Mal auf meinen Recherchereisen beherbergt. Vor allem aber waren sie mir in den Jahren dieser Arbeit ein unerschütterlicher moralischer Beistand und haben meinen Gesprächsbedarf, der durch das phasenweise Arbeiten »im stillen Kämmerlein« gelegentlich etwas größer sein konnte, jederzeit geduldig ertragen und mich mit ihrem Enthusiasmus ermuntert. Zu meiner größten Stütze ist während des Promotionsverfahrens mein Partner Markus Albuschat geworden. Auch ihm möchte ich von Herzen für sein Verständnis, seine Geduld und seine Unterstützung in allen Lebenslagen danken. Er ist mir stets ein fachkundiger und begeisterter Diskussionspartner und bereichert mit seiner Perspektive meine Arbeit enorm. Da ich mit diesen umfangreichen Dankworten nun im privaten Bereich angekommen bin, möchte ich zuletzt selbstverständlich auch noch meiner Familie herzlich für ihre vielfältige Unterstützung danken. Insbesondere meine Eltern Renate und Joachim Malter haben mich stets in jeder Weise darin unterstützt, diese doch gewissermaßen riskante Studienrichtung einzuschlagen und mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Über die Themen, mit denen ich mich im Studium und letztlich in meiner Dissertation beschäftigte, haben wir häufig und ausgiebig diskutiert. Dabei waren ihre Perspek-
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Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
tiven ausgesprochen bereichernd. Geprägt haben mich neben meinen Eltern aber natürlich auch meine beiden Schwestern sowie meine Großeltern. Besonders meine Großmutter Mechthild Jastram war mir ein wichtiges Vorbild. Als junges Mädchen hatte sie den Wunsch, Geschichte zu studieren und zu lehren. Bis ins hohe Alter beschäftigte sie sich mit kulturhistorischen und gesellschaftspolitischen Themen und hielt an einem vorurteilsfreien und aufgeschlossenen Wertesystem fest. Ihr berufliches Leben hat zeitbedingt jedoch einen anderen Verlauf genommen – der Besuch eines Gymnasiums und einer Universität war ihr nicht möglich. Mit umso größerem Interesse und mit Begeisterung hat sie meinen Werdegang bis zuletzt verfolgt. Die Fertigstellung dieser Dissertation hat sie leider nicht mehr miterlebt. Ihrem Andenken ist meine Arbeit daher gewidmet.
Einleitung
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Was ist der Mensch? Wonach strebt er? Worunter leidet er? Was ist zu tun, damit Menschen friedlich und gut zusammenleben können? Danach ist Europa immer wieder auf der Suche gewesen, unter immer veränderten Bedingungen. Und deshalb ist die Suche eben auch nie zu Ende. Sie findet allenfalls Antworten, die für Epochen oder noch kürzere Zeitabschnitte gültig sind. Gerade jetzt im Augenblick ist die Suchbewegung, von der ich rede, besonders intensiv. Dass wir gegenwärtig in wahrhaftig bewegten Zeiten leben und deswegen – gerade deswegen – für diese Suche, für diese Suchbewegung, Orientierung brauchen – einen Kompass, um beim Hafen und der Seefahrt zu bleiben –, das wird jedenfalls niemand bestreiten. Die Archäologie und ihre Erkenntnisse, die können durchaus dazu beitragen.1 Mit diesen Worten eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 20. September 2018 die Ausstellung Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland, die bis zum 6. Januar 2019 im Gropius Bau in Berlin zu sehen war. Sie war eine Kooperation des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und des Verbandes der Landesarchäologen anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres 2018 und präsentierte aktuelle Funde und Forschungsergebnisse der Archäologie aus allen Bundesländern. In ihrem Fokus standen die vier Themen Mobilität, Austausch, Konflikt und Innovation. Sie war somit nicht nur eine Ausstellung, die die Arbeit der Landesarchäologien in den vorangegangenen 20 Jahren repräsentierte, sondern sollte vor allem vermitteln, dass das Gebiet des heutigen Deutschlands schon seit Urzeiten global vernetzt ist und unterschiedliche kulturelle Einflüsse in sich aufgenommen hat. Damit berührte die Ausstellung innerhalb ihrer Disziplin eine Debatte um die Rolle der Archäologie in der Politik und im öffentlichen Diskurs. Der deutsche Prähistoriker
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Frank-Walter Steinmeiner, Rede zur Eröffnung der Ausstellung Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland, 2018, online. (Websites sowie online downloadbare Dateien werden in den Fußnoten dieser Dissertation mit dem Zusatz »online« angegeben. Die vollständigen bibliographischen Angaben inklusive der URL und des Datums des Aufrufs sind im Quellen- und Literaturverzeichnis unter der Rubrik »Internetseiten und Downloads« zu finden.)
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Einleitung
und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e. V., Frank Siegmund, veröffentlichte im Januar 2019 in der Zeitschrift Archäologische Informationen eine Rezension zur Ausstellung und ging mit ihr und ihren Macher:innen hart ins Gericht. Nicht nur äußerte er Kritik an der Inszenierung und handwerklichen Umsetzung der Ausstellung, sondern er trat gegen das Konzept von Bewegte Zeiten insgesamt an: Die Themensetzung der Ausstellung sei nicht wissenschaftlich neutral, sondern wolle ein politisches Statement sein.2 Wissenschaftliche Objektivität und Neutralität angesichts politischer Fragen kennzeichnen das Berufsethos vieler Archäolog:innen als oberste Maximen, denn die Erinnerungen an das unrühmliche Mitwirken der Archäologie an der Rechtfertigung totalitärer Systeme – sowohl unter dem NS- als auch unter dem SED-Regime – sitzt tief und veranlasst die meisten Vertreter:innen des Fachs dazu, vorsorglich jegliches Sich-Andienen der Archäologie an eine politische Agenda, ganz gleich, was diese zum Ziel hat und beinhaltet, strikt abzulehnen.3 Zwar ist eine absolute Objektivität und Neutralität ein unerreichbares Ziel, da selbst die vermeintlich härtesten Fakten beziehungsweise objektivsten Erkenntnisse von Methodik und Interpretation bestimmt sind und mit unterschiedlichem wissenschaftlichen Vorgehen auch unterschiedlich ausfallen können (Diskussionen um die Deutung archäologischer Befunde in der Fachgemeinschaft sind nur eines von unzähligen Beispielen dafür). In Gesprächen wie den im Rahmen dieses Projekts dokumentierten Interviews mit Archäolog:innen beobachte ich jedoch seit vielen Jahren immer wieder, dass viele Wissenschaftler:innen ihre jeweils eigenen Positionen in Bezug auf thematische Fragestellungen nicht im Feld politischer Debatten einordnen möchten und ihre Forschungsergebnisse mit einer Überzeugung von ihrer Allgemeingültigkeit und Objektivität vertreten. Wie könnte es auch anders sein? Unsicherheiten, Zweifel und offene Fragen werden weder beruflich noch sozial belohnt. Eindeutige Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit werden dagegen gewünscht und honoriert, insbesondere wenn ihnen ein objektiver Charakter zugesprochen wird. Die Überzeugung, nach bestem Wissen und Gewissen den wissenschaftlichen Standards gemäß zu arbeiten und valide Ergebnisse zu erzielen, ist eine sehr logische Folge aus dem (durchaus richtigen und unterstützenswerten) Bestreben des Wissenschaftssektors, Subjektivität möglichst weit auszuschließen, um Forschungsergebnisse zu gewinnen, die allgemeingültig, übertragbar und anwendbar sind. Auch wenn die Erkenntnisse des Relativismus in der wissenschaftlichen Gemeinschaft inzwischen weitestgehend anerkannt sind und fast schon wie Allgemeinplätze wirken, ist das Ziel der Objektivität im Sinne einer Allgemeingültigkeit und einer gewissermaßen von politischer Arbeit abgehobenen Position des Wissenschaftssektors doch erhalten geblieben. Von dieser Widersprüchlichkeit aus dem Wissen der sozialen Bedingtheit einerseits und dem Streben nach Gültigkeit von
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Vgl. Frank Siegmund, Rezension zu »Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland«, 2019, S. 502–510. In Kapitel I.3 wird auf das spannungsreiche Verhältnis zwischen der archäologischen Forschung und kulturpolitischen Programmen näher eingegangen und es werden unterschiedliche Haltungen zur Aufgabe und zum Potenzial der Archäologie für das gesellschaftliche Zusammenleben analysiert, die beispielsweise in Interviews mit Archäolog:innen, in der Fachliteratur sowie in kulturpolitischen Veröffentlichungen zum Ausdruck kommen.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Erkenntnissen andererseits kann sich wohl kaum ein:e Wissenschaftler:in gänzlich freisprechen – auch ich nicht.4 Und das sollte auch so sein, denn das Streben nach Objektivität, Validität und Reliabilität macht die Wissenschaft aus und ist wichtig, um Ergebnisse zu erlangen, die von gesellschaftlicher Relevanz und Nutzen sind. Doch einfach ist es nicht, stets eine objektive Haltung zu wahren, um nicht zu sagen: Das Ziel ist unerreichbar, man kann sich ihm nur annähern. Denn eine gesellschaftswissenschaftliche Disziplin wie die Archäologie ist notwendigerweise in die Gesellschaft verstrickt und kann nicht davon abgehoben auf neutralem Boden stehen. Einerseits, weil alle Fragen, die das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen betreffen, politische Fragen sind. Andererseits ist die Archäologie als Teil des öffentlich-rechtlichen Kulturund Wissenschaftsbetriebs aber auch sehr direkt und konkret von politischen Entscheidungen abhängig. Die archäologische Erforschung der Vergangenheit ist in vielen Bereichen staatlich geregelt und fällt in den Aufgabenbereich der Bundesländer. Da die Spuren der Vergangenheit, die sich im Boden oder in Gewässern erhalten haben und die von wissenschaftlichem Wert sind, durch die Denkmalschutzgesetze in fast allen Bundesländern – außer in Bayern – als alleiniges Eigentum des Landes bestimmt sind, in dem sie sich befinden, kann ihre Bergung, Erforschung und Aufbewahrung nur von offizieller Seite aus genehmigt werden.5 Damit soll gewährleistet werden, dass die Spuren der Vergangenheit nur von speziell für diese Tätigkeit ausgebildeten Expert:innen behandelt werden und die Informationen dieser Spuren der Öffentlichkeit erhalten bleiben. Bei aller Sinnhaftigkeit und Berechtigung dieser Regelung folgt aus ihr aber auch, dass die Archäologie gewissermaßen zwangsweise mit der Kulturpolitik in Verbindung steht. Man könnte sogar von einem Abhängigkeitsverhältnis sprechen, denn natürlich und glücklicherweise wird fast alles, was zur Erforschung und Bewahrung archäologischer Artefakte notwendig ist, also Organe der Bodendenkmalpflege wie die Sammlungen, Restaurierungs- und Konservierungswerkstätten, Archive und Museen, zu einem wesentlichen Anteil von den Ländern finanziert.6 Das ist zwar notwendig und angebracht, aber nicht völlig unproblematisch. Die Finanzierung stellt für die jeweilige Landesregierung und -verwaltung selbst unter Wahrung der in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerten Freiheit der Wissenschaft7 ein Instrument dar, die Arbeit der Archäologie, etwa in einem Museum, zu beeinflussen. So wäre es denkbar, dass Sonderausstellungen nur dann
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Um mir und meinen Leser:innen stetig in Erinnerung zu rufen, dass die in dieser Arbeit vertretenen Positionen nicht völlig objektiv und neutral sein können, trete ich bewusst als Autorin sehr direkt und subjektiv als erste Person auf. Da kaum eine wissenschaftliche Arbeit so individuell und personengebunden ist wie eine Dissertationsschrift, möchte ich nicht durch die Verwendung der dritten Person den Anschein erwecken, hier spreche eine nicht näher definierte, objektive und neutrale Instanz. Vielmehr möchte ich anerkennen und reflektieren, dass dies meine Gedanken und Interpretationen sind, die ich nach bestem Wissen und Gewissen auf der Basis wissenschaftlicher Standards entwickele, die aber nicht gänzlich frei von subjektiven Einflüssen sein können. Die Bestimmungen der Denkmalschutzgesetze in Deutschland werden in Kapitel I.1 erläutert. Natürlich können Teile der Finanzierung in Einzelfällen auch von privaten Investoren und Mäzenen getragen werden, sofern sich deren Beteiligung im Rahmen des jeweiligen Denkmalschutzgesetzes bewegt. Art. 5 Abs. 3 GG: »Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.«
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Einleitung
öffentliche Fördermittel erhalten, wenn ihre Themen den jeweiligen Entscheidungsträger:innen im Kultusministerium zusagen. Abgesehen von dieser strukturellen Verbindung zur Kulturpolitik ist die Vermeidung politischer Debatten für die Archäologie – wie bereits angedeutet – aber auch deshalb schwierig, weil letztlich jedes gesellschaftliche Thema politisch ist beziehungsweise politisiert werden kann. Wissenschaft ist eine kollektive Leistung, sie spielt sich naturgemäß in der Gesellschaft ab, hat es mit gesellschaftlichen Fragen und Problemstellungen zu tun, und Maßnahmen, die auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen oder auch nur auf wissenschaftlichen Hypothesen basieren, haben Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Gerade die Themen der Ur- und Frühgeschichte, die in hohem Maß mit der alltäglichen Lebenswelt der Menschen zu tun haben, können kaum unpolitisch wahrgenommen werden. Mit Aspekten des ur- und frühgeschichtlichen menschlichen Lebens wie Wohnen, Nahrung, Güterproduktion, Handel und Gesellschaftsformen lassen sich leicht auch aktuelle gesellschaftliche Diskurse assoziieren. So kann beispielsweise die Präsentation der Herstellung von Gebrauchsgeräten aus Holz und Bast, also aus natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen, in einem archäologischen Museum bei Besucher:innen Überlegungen zur Nachhaltigkeitsdebatte auslösen. Zwar hat das Museum damit noch nicht zwangsweise eine gesellschaftspolitische Aussage gemacht – ob dies der Fall ist, hängt von der Art und Weise ab, wie das Thema präsentiert und kommentiert wird. Selbstverständlich ist es möglich, bei der Präsentation eine gewisse Neutralität in Bezug auf die Nachhaltigkeitsdebatte zu wahren und gesellschafts- oder gar parteipolitische Äußerungen zu vermeiden. Aber das Museum leistet damit zumindest einen Beitrag zum öffentlichen Diskurs. Und sollte es das als Wissenschaftsinstitution nicht auch tun? Der Bundespräsident attestierte in seiner Eröffnungsrede der Archäologie das Potenzial, den Menschen in den aktuellen »bewegten Zeiten« eine Orientierung zu bieten. Denkmal- und Kulturgutschutzgesetze sowie kulturpolitische Programme erläutern dieses Potenzial zur Orientierung wie folgt: Die Erforschung, Bewahrung und öffentliche Präsentation der urzeitlichen Vergangenheit dienten der Pflege des kulturellen Gedächtnisses sowie des kulturellen Erbes und leisteten damit einen Beitrag zum Erhalt der kulturellen Identität eines Landes oder einer Region.8 Eine zunächst einmal unverfängliche Aussage, die Zustimmung und Wohlwollen generiert, denn wer will das, was als die »eigene« Kultur, das »eigene« Kulturerbe und die »eigene« Identität empfunden wird, nicht gepflegt und erhalten wissen? Der Umgang mit Gedächtnis, Erbe und Identität ist aber nicht unproblematisch und erfordert Sensibilität. Wer kann schon für die gesamte Gesellschaft entscheiden, was als ihr Kulturerbe aufbewahrt werden sollte, was in einem kulturellen Gedächtnis gespeichert werden sollte und wie diese kulturelle Identität überhaupt aussieht, die da bewahrt werden soll? Hat nicht jeder Mensch ein anderes Verständnis von seiner kulturellen Identität, setzt andere Prioritäten und strebt nach individuellen Idealen? Eine Institution der Wissenschaft wie ein Museum sollte diesbezüglich Neutralität wahren, um nicht für die Zwecke einer politischen Ideologie, ganz
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Die genauen Wortlaute solcher Gesetze und Programme werden in Kapitel I.3 dieser Arbeit in den Blick genommen.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
gleich, was diese beinhalten mag, instrumentalisiert zu werden. Aber wie kann ein Museum neutral bleiben, wenn es zugleich ein tief in der Gesellschaft verwurzeltes und von dieser getragenes Konstrukt ist, dem sogar offiziell die Aufgabe übertragen wird, Gedächtnis, Erbe und Identität zu bewahren, das Orientierungswissen bieten soll, das als Kompass fungieren soll? Ein solcher Auftrag wirft doch unvermeidlich die Frage auf, wohin dieser »Kompass Archäologie« zeigen soll und wer die Richtung aus welchen Motiven vorgibt. Wie sensibel das Potenzial der Archäologie mit Blick auf das kulturelle Gedächtnis, das kulturelle Erbe und die kulturelle Identität einer Gesellschaft ist, ist angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten Dekade wieder zunehmend deutlich geworden. Inzwischen wird evident, dass Schlüsselwörter wie Erbe und Identität ein zweischneidiges Schwert sind. Denn diese Begriffe werden in der Migrations- und Integrationsdebatte spätestens seit 2015 zunehmend von politisch rechtsgerichteten Gruppierungen besetzt – wobei sich auch ein rhetorisches Muster wiederholt, das zum Machtausbau des NS-Regimes in den 1930er Jahren beitrug. Zwar sind Erbe und Identität keine Begriffe, die aus einem politisch rechten Spektrum heraus entwickelt und durch dieses geprägt worden sind. Aber sie werden gerade von rechtsgerichteter Seite okkupiert. Hier gerät die Archäologie in eine äußerst sensible gesellschaftliche Position. Denn gerade das ur- und frühgeschichtliche »Erbe« und eine daraus abgeleitete Identität erfreuen sich im rechten Spektrum großer Beliebtheit. Nicht nur gehören vermeintlich germanische, keltische und nordische Symbole und Motive – freilich nur in seltenen Fällen auf realen Vorlagen beruhend und meistens lediglich stilisierte Abwandlungen von Hakenkreuzen darstellend – zu den Erkennungsmerkmalen Rechtsgesinnter. Auch Veranstaltungen zu historischen und archäologischen Themen werden zunehmend von Neonazis vereinnahmt.9 Der Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen, Karl Banghard, veröffentlichte 2016, unterstützt durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport Nordrhein-Westfalens sowie durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, eine aufschlussreiche Broschüre zu dieser Entwicklung. Er beschreibt in Nazis im Wolfspelz zunächst einen Tag auf einer Living-History-Veranstaltung des Slawen- und Wikingerzentrums Wolin in Polen und berichtet dabei von zahlreichen Fällen, in denen Besucher:innen ihre Gesinnung durch Symbole und Aufschriften auf ihrer Kleidung, durch Tattoos und durch Schmuckstücke mit eindeutig rechtsradikalem Bezug zum Ausdruck brachten.10 Diese Veranstaltung ist indes kein Einzelfall: Auch im Rahmen der Wikingertage in Schleswig war die Zurschaustellung rechtsradikaler Symbole zu beobachten.11 Banghard wirft angesichts dieser Situation drängende Fragen auf: Was ist hier los? Wieso trifft man bei einem Geschichtsevent auf mehr extrem rechte Propaganda als auf einer Pegida-Demonstration? Wieso beschwert sich niemand
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Vgl. Karl Banghard, Nazis im Wolfspelz, 2016, S. 3–10. Vgl. ebd. Vgl. Sebastian Lipp, Nazis im Wolfspelz, Zeit Online, 09.08.2016.
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von den zehntausenden Besucherinnen und Besuchern darüber? Und wieso ist Vorgeschichte für die extreme Rechte weltweit ein zentrales Thema? Keine andere politische Gruppe, seien es Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokraten oder Linke hat auch nur annähernd starken Bezug zu Vorgeschichte und Archäologie.12 Zur Klärung dieser Fragen stellt der Archäologe einige Thesen auf, über deren Konsequenz für die archäologische Arbeit nachzudenken meines Erachtens geboten ist: Vor allem verantwortlich für die rechtsradikale Vereinnahmung ur- und frühgeschichtlicher Themen sei, dass sich Kernbegriffe wie »Volk« und »Nation« am besten »als vermeintlich naturgesetzliche Konstanten« vermitteln ließen, indem sie mit Erzählungen begründet würden, die möglichst weit in die Vergangenheit zurückreichten. Darüber hinaus biete die Ur- und Frühgeschichte vielfältige gesellschaftliche Alternativen zur Moderne, die von vielen Rechtsextremen verachtet werde.13 Zum Vorteil gereiche der Besetzung der Ur- und Frühgeschichte durch rechtsradikale Gruppen außerdem, dass viele Fragen zum Leben der Menschen vor den schriftlich überlieferten Epochen noch offen sind: In eine Epoche, zu der ich nicht viel weiß, kann ich viel hineinprojizieren. Dort öffnen sich für politische Deutungen nahezu unbegrenzte Möglichkeiten der Manipulation. Dass [sic!] sich bei vielen vorgeschichtlichen Themen die sprachliche und ästhetische Aura in der NS-Zeit erhalten hat, lässt sich so überdies Germanengedenken bequem mit NS-Glorifizierung verbinden. Vorgeschichte ist ein trojanisches Pferd, in dem die rechte Propaganda in die Mitte der Gesellschaft gezogen werden kann.14 Mit zahlreichen Fotografien vermeintlich frühgeschichtlicher, tatsächlich aber schlicht und ergreifend rechtsradikaler Motive auf der Living-History-Veranstaltung hat Karl Banghard in seiner Broschüre darauf aufmerksam gemacht, dass die politisch Rechten ihre Ideologie so geschickt als scheinbare Ergebnisse der archäologischen Forschung tarnen, dass sie glaubwürdig und authentisch erscheinen. Hakenkreuze und ähnliche Symboliken werden derart stilisiert, dass sie für Lai:innen kaum mehr als solche von tatsächlich überlieferten frühgeschichtlichen Formensprachen und Motiven zu unterscheiden sind. Nun mag es selbst in der Archäologie beziehungsweise in der Disziplin der Ur- und Frühgeschichte Menschen geben, die daran keinen Anstoß nehmen und selbst entsprechenden Ideologien anhängen. Die Mehrheit der Fachgemeinschaft wird aber wohl entsetzt auf den Gedanken reagieren, dass dies der Beitrag sein sollte, den ihre Kolleg:innen zum gesellschaftlichen Leben leisten möchten. Unabhängig davon ist das Beispiel der Neonazis auf dem Archäologie-Event aber nur ein weiterer, wenn auch schockierender Beleg dafür, dass es der Ur- und Frühgeschichtsforschung bei aller Bemühung um Objektivität und politische Neutralität inhärent ist, mitten in aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu stehen. Selbst wenn Wissenschaftler:innen in diesen 12 13
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Karl Banghard, Nazis im Wolfspelz, 2016, S. 10. Vgl. ebd., S. 10. Direkte Zitate, die in indirekte Zitate eingebunden sind, werden in dieser Dissertation durch Anführungszeichen gekennzeichnet, aber nicht mit eigenen Fußnoten versehen. Sofern in den Fußnoten zu den indirekten Zitaten nicht anders angegeben oder näher spezifiziert, stehen die direkten Zitate im Original auf der zum indirekten Zitat angegebenen Seite. In diesem Fall also ebenfalls auf S. 10 von Karl Banghards Nazis im Wolfspelz. Ebd., S. 10.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Debatten nicht selbst eine klare politische Position beziehen, wird ihre Arbeit doch auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Ihre Ergebnisse werden diskutiert, gegebenenfalls bestritten oder unterstützt, und sie können sogar vereinnahmt werden. In diesem Fall ist die Situation besonders kritisch und frappierend, weil das Material der Archäologie nicht einfach nur in einem öffentlichen Diskurs zirkuliert und auf inhaltlicher Ebene diskutiert wird, sondern weil es von einer radikalen gesellschaftspolitischen Strömung für ideologische Zwecke angeeignet, transformiert und instrumentalisiert wird. Wie reagiert die Archäologie auf diese Vereinnahmung ihres Themas? Und was folgt daraus für den gesellschaftlichen Auftrag der Wissenschaft? Die Autorin und Kolumnistin Margarete Stokowski postulierte in einem Kommentar, den der SPIEGEL am 24. Januar 2017 online veröffentlichte, dass die sogenannten Laberfächer, also die Geisteswissenschaften, zu denen auch die Archäologie zählt, dazu befähigen, auch den gebildeten und eloquenten Redner:innen des Rechtspopulismus etwas entgegenzusetzen. Sie forderte die Geisteswissenschaftler:innen dazu auf, das Gelernte zu nutzen und sogenannte alternative Fakten sowie die rhetorischen Kniffe des rechten Spektrums zu enttarnen und zu entkräften.15 Wie reagiert die Archäologie also auf die geschickte rhetorische und symbolische Vereinnahmung ihres Gegenstandes? Leistet sie einen Beitrag zur Entkräftung der rechtsradikalen Ideologien? Und – auch wenn diese Frage viele Leser:innen zunächst einmal irritieren könnte – sollte sie das überhaupt tun? Besteht nicht die Gefahr, dass die Wissenschaft im Zuge ihrer Einmischung in solche gesellschaftspolitischen Konflikte letztlich auch wieder politisch vereinnahmt wird? Eine politisch neutrale Position beizubehalten und gleichzeitig mit der Vermittlung von wissenschaftlichen Ergebnissen gegen sogenannte alternative Fakten vorzugehen, ist ein schwieriger, doch notwendiger Balanceakt. Schnell können Ausstellungen, Tagungen und wissenschaftliche Publikationen dabei in den Verdacht und, auch innerhalb der Fachgemeinschaft, in die nicht unberechtigte Kritik geraten, ihre wissenschaftliche, neutrale Position zu verlassen und eine politische Aussage zu machen. Dennoch gibt es einige Beispiele aus den letzten zehn Jahren, in denen archäologische Institutionen sich bewusst mit politisch sensiblen Themen befasst haben. So haben beispielsweise das Focke-Museum – Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte sowie das Rheinische Landesmuseum Trier die Verstrickungen der regionalen Archäologie ins nationalsozialistische System aufgearbeitet16 und das Neanderthal Museum in Mettmann hat die Wanderausstellung 2 Millionen Jahre MIGRATION entwickelt, die unter anderem im Archäologischen Museum Hamburg und im Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz zu sehen war. Solche Maßnahmen sind in der Regel zeitlich begrenzte Projekte: einzelne Veranstaltungen, Sonderausstellungen, die für ein paar Monate zu sehen sind, Konferenzen, die nur wenige Tage dauern. Das soll nicht heißen, dass ihre Strahlkraft gering ist. Oft sind gerade solche temporären Projekte, wie zum Beispiel auch die Ausstellung Bewegte Zeiten, sehr erfolgreich und erregen große öffentliche Aufmerksamkeit. Aber wie sieht es in
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Vgl. Margarte Stokowski, Nazis weglabern, Spiegel Online, 24.01.2017. Vgl. hierzu auch die Publikationen: Focke-Museum (Hg.), Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz, 2013; Hans-Peter Kuhnen (Hg.), Propaganda, Macht, Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus, 2002.
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der alltäglichen Arbeit der Landesarchäologien aus? Eines der wichtigsten und zentralen, wenn nicht das zentrale Instrument der archäologischen Öffentlichkeitsarbeit ist die Dauerausstellung. Archäologische Museen präsentieren mit ihren Dauerausstellungen ihre Sammlungen und im Fall von Landesmuseen somit Fragmente der Ur- und Frühgeschichte im (Teil-)Gebiet des jeweiligen heutigen Bundeslandes. Und wie schon zuvor erwähnt, sollen sie damit laut Denkmalschutzgesetzen und kulturpolitischen Programmen das kulturelle Erbe und die kulturelle Identität ihres Landes bewahren. Ihre Arbeit ist allerdings nicht nur die eines neutralen Speichermediums. Sie bewahren kulturelles Gedächtnis, kulturelles Erbe und kulturelle Identität nicht einfach nur auf und machen sie für die Öffentlichkeit zugänglich. Im Rahmen dieser Dissertation soll dargelegt werden, dass sie vielmehr zu den Akteuren gehören, die diese drei Konzepte überhaupt erst generieren und vermitteln. Damit haben sie das Potenzial, das Selbstverständnis ihrer Besucher:innen sowie deren Ansichten zu Fragen der kulturellen Identität zu beeinflussen. Im Zuge meiner Recherchen an Archäologischen Landesmuseen habe ich absichtlich die provozierende, aber aus kulturtheoretischer Sicht naheliegende Frage aufgeworfen, ob die Risiken einer Konstruktion von Gedächtnis, Erbe und Identität durch die Archäologie von den Verantwortlichen bewusst wahrgenommen werden. In Kapitel I.3 werde ich noch ausführlich darlegen, dass viele Museumsarchäolog:innen einen solchen konstruierenden Effekt ihrer Arbeit abstritten. Dabei ließen viele von ihnen gleichzeitig aber auch erkennen, dass sie der Archäologie im Allgemeinen durchaus dieses Potenzial zugestehen, denn sie zeigten sich der Risiken bewusst, die mit der Konstruktion kultureller Identität auf der Basis archäologischer Themen einhergehen können. Ihre persönliche Tätigkeit wollten die meisten Expert:innen allerdings nicht als die Konstruktion von Gedächtnis, Erbe und Identität verstanden wissen. Diese Haltung ist durchaus nachvollziehbar und hat mich dazu veranlasst, nicht nur die Arbeit der Archäologie in Deutschland, sondern auch meine eigene kulturwissenschaftliche Perspektive auf die Rolle der Archäologie für die Gesellschaft zu hinterfragen. Daher habe ich reflektiert, ob es sich in der archäologischen Arbeit überhaupt vermeiden lässt, Narrative zur kulturellen Identität zu produzieren. Die Dauerausstellungen Archäologischer Landesmuseen habe ich mit Blick auf die Frage analysiert, ob diese Einrichtungen Narrative zur kulturellen Identität und damit zusammenhängend zu Gedächtnis und Erbe bereitstellen und falls ja, welche diese sind. Mein Forschungsansatz bestand darin, sofern möglich, Narrative aus Ausstellungen zu extrahieren, zu analysieren und dahingehend zu hinterfragen, warum gerade diese Narrative durch die Ausstellung vermittelt wurden und warum die jeweilige bestimmte Art und Weise der Vermittlung gewählt wurde. Diesen Ausstellungsanalysen habe ich darüber hinaus eine Reflexion der praktischen archäologischen Arbeit und der einschlägigen Kulturtheorien zu Gedächtnis, Erbe und Identität vorangestellt. Ziel dieser Dissertation ist es somit zu prüfen, wie Archäologische Landesmuseen mit den Konzepten von kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität umgehen, ob sie tatsächlich reine Bewahrer dieser Komplexe sein können oder doch gewissermaßen zwangsläufig an deren Konstruktion beteiligt sind. Es geht darum zu hinterfragen, welches kulturpolitische Potenzial in Archäologischen Landesmuseen steckt, ob es für diese Institutionen möglich ist, eine objektive, gesell-
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
schaftspolitisch neutrale Position zu vertreten und – sollte dies nicht der Fall sein – wie die Risiken einer ideologischen Instrumentalisierung minimiert werden können. Für die Ausstellungsanalysen habe ich vier Archäologische Landesmuseen ausgewählt, deren Dauerausstellungen stark unterschiedliche Inszenierungsstrategien aufweisen. Auf diese Weise konnte überprüft werden, ob zwischen der Vermittlungsstrategie und einer Konstruktion von Narrativen zur kulturellen Identität ein Zusammenhang besteht, ob also beispielsweise bestimmte Arten von Ausstellungen narrativ wirken und andere nicht. Darüber hinaus soll mit der vorliegenden Dissertation die Reflexion der archäologischen Arbeit gefördert werden, indem die spannungsreiche Situation dieser Museen zwischen der Wahrung wissenschaftlicher Objektivität, der Notwendigkeit zur vereinfachten und unterhaltsamen Vermittlung komplexer Themen sowie einem staatlichen Auftrag als Bildungseinrichtung und »Kompass«, wie Bundespräsident Steinmeier sagte, von möglichst vielen Seiten kritisch in den Blick genommen und diskutiert wird. Joachim Baur beobachtete 2010 ein wieder zunehmendes Interesse an der Institution Museum als Forschungsfeld. Während die Forschung sich zuvor meist auf die in Museen ausgestellten Objekte und Themen konzentriert habe, würde vermehrt das Museum selbst »als Artefakt unserer eigenen Gesellschaft« erforscht. Gründe für diesen Anstieg der Museumsforschung sieht Baur einerseits im allgemeinen Museumsboom seit den 1970er Jahren, aus dem im Übrigen auch ein Anstieg der Forschungsliteratur zu Museen in den 1990er Jahren resultierte, andererseits aber auch in der Vielgestaltigkeit und Interdisziplinarität des Untersuchungsgegenstandes.17 Museen sind Orte der Repräsentation und Performanz, der sozialen und kulturellen Distinktion, der Inklusion und Exklusion. Es sind Schauplätze von Wissensgeschichte und Wissenspopularisierung, der Inszenierung von Identität und Alterität, der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik – allesamt Felder, die in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung gerückt sind.18 In den letzten Jahren standen insbesondere ethnologische beziehungsweise sogenannte völkerkundliche Museen im Mittelpunkt des Interesses. Die wissenschaftliche und öffentliche Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Postkolonialismus hat eine groß angelegte und zum Teil hitzig geführte Debatte um den Umgang mit Sammlungsgütern aus kolonialen Kontexten in europäischen Museen ausgelöst – nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, das als Humboldt Forum unter anderem die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beherbergt. Diskutiert werden dabei nicht nur Fragen der Provenienz und Restitution, sondern es wird auch nach neuen musealen Ansätzen für die Öffnung und Vermittlung von Museumssammlungen sowie die Ermöglichung kultureller Teilhabe gesucht. Zweifellos können aus dieser Debatte auch wertvolle Impulse auf die Arbeit in anderen Museumskategorien abstrahlen. Nicht nur die Reflexion der Tätigkeit ethnologischer Museen ist überfällig, sondern auch die archäologischer Museen – selbst solcher, die
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Vgl. Joachim Baur, Museumsanalyse: Zur Einführung, 2010, S. 7. Ebd., S. 7.
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ausschließlich inländischer Archäologie gewidmet sind. Schließlich gibt es zu archäologischen Museen bislang kaum nennenswerte Forschungsliteratur. Zwar produzieren viele dieser Museen regelmäßig Publikationen wie Ausstellungskataloge und Fachzeitschriften, in der Regel werden dort aber vor allem Forschungsergebnisse zu Ausgrabungen und Sammlungsbeständen vorgestellt. Gelegentlich finden sich auch historisierende, rückblickende Betrachtungen zur Entwicklung des jeweiligen Museums. Aber die eigene, jeweils aktuelle Arbeit wird kaum theoretisch reflektiert. Vielleicht fehlt den Museumsmitarbeiter:innen die dazu nötige Distanz, aber auch außerhalb der Museumspublikationen finden sich in der museologischen und kulturwissenschaftlichen Forschungsliteratur kaum Untersuchungen, die sich speziell auf archäologische Museen und Ausstellungen beziehen. Selbst Ausstellungsrezensionen, insbesondere solche zu Dauerausstellungen, sind selten zu finden. Im Zuge meiner Recherchen habe ich beispielsweise in den Archiven der von mir analysierten Museen nach Presseberichten und Rezensionen gesucht, fand aber meist nur Meldungen zu Ausstellungseröffnungen, die die Schau allenfalls knapp beschreiben, aber kaum kritisch bewerten. Die vorliegende Arbeit soll deshalb auch einen Beitrag dazu leisten, den aktuellen Diskurs zur Museumsarbeit auf das Feld der archäologischen Museen auszudehnen. Nun wurde schon häufig der Begriff »Archäologie« verwendet und da diese Dissertation im Fachbereich Kulturwissenschaft angesiedelt ist, bedarf es einer Klarstellung: Gemeint ist damit im Rahmen dieser Arbeit nicht etwa eine Archäologie des Wissens, wie sie Michel Foucault konzipiert hat, sondern die Disziplin, die die Vergangenheit auf der Grundlage materieller Quellen untersucht. Ich werde sie in Kapitel I.1 noch näher definieren und historisch verorten sowie ihre Entstehung und Entwicklung skizzieren. Zugleich möchte ich aus kulturwissenschaftlicher Sicht aber auch argumentieren, dass ich mit dieser Arbeit, insbesondere in Teil II, wo ich mich zur Untersuchung und Reflexion der Theorien zu den Begriffen Gedächtnis, Erbe und Identität der Diskursanalyse bediene, gewissermaßen eine Archäologie der Archäologie betreibe. Denn die Archäologie im Sinne Foucaults, so hat Hinrich Fink-Eitel es in seiner Einführung zu Michel Foucaults Werk prägnant zusammengefasst, will die Regelmäßigkeiten erkennen, die Diskursen zugrunde liegen und die Aussagen zu Diskursen formieren und verknüpfen.19 Der Philosoph selbst definiert den Begriff wie folgt: Dieser Ausdruck fördert [sic!] nicht zur Suche nach irgendeinem Anfang auf; er rückt die Analyse nicht in verwandtschaftliche Nähe zu Ausgrabung oder geologischer Sondierung. Er bezeichnet das allgemeine Thema einer Beschreibung, die das schon Gesagte auf dem Niveau seiner Existenz befragt: über die Aussagefunktion, die sich in ihm vollzieht, über die diskursive Formation, zu er [sic!] er gehört, über das allgemeine Archivsystem, dem er untersteht. Die Archäologie beschreibt die Diskurse als spezifizierte Praktiken im Element des Archivs.20 Foucault war allerdings weder der erste noch der letzte Nicht-Archäologe, der bei der Altertumswissenschaft methodische Anleihen machte. Aleida Assmann hat beispielsweise
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Vgl. Hinrich Fink-Eitel, Michel Foucault zur Einführung, 2002, S. 58. Michel Foucault, Archäologie des Wissens, 1990, S. 190.
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eine Passage in Sigmund Freuds Aufsatz Konstruktionen in der Analyse von 1937 als Vergleich der Arbeit des Psychoanalytikers mit der des Archäologen gedeutet. Freud erklärt darin, dass die Aufgabe der Psychoanalytik darin bestehe, das was die Patient:innen vergessen haben, aus den Anzeichen oder Spuren, die es hinterlassen hat, zu erraten beziehungsweise zu konstruieren.21 Auch der Kulturwissenschaftler Knut Ebeling beobachtet die zahlreichen Anleihen bei der Archäologie aus den unterschiedlichsten Geisteswissenschaften und erklärt diese damit, dass Künstler:innen, Historiker:innen und Kulturwissenschaftler:innen »in der unpersönlichen und technisch anmutenden Archäologie ein Potenzial und ein Instrumentarium zur Erkenntnis der unmittelbaren Gegenwart« vermuten. Durch den Einsatz archäologischer Techniken und Verfahren sollen die Schleier der Subjektivität von der Gegenwart gerissen und mehr Objektivität und Reliabilität erreicht werden. Darin sieht Ebeling allerdings das Risiko, dass der Mensch durch das Verschwinden des Menschlichen aus den künstlerischen und wissenschaftlichen Archäologien aktiv aus der Betrachtung der Gegenwart eliminiert würde.22 Tatsächlich lässt sich der Faktor Mensch aber weder aus der kulturwissenschaftlichen Archäologie noch aus der eigentlichen, altertumswissenschaftlichen Archäologie ausschließen, wie im Laufe dieser Arbeit noch zu sehen sein wird. So nehme ich beispielsweise im Zuge der Ausstellungsanalysen in einem ersten Schritt unwillkürlich Interpretationen und Deutungen vor, die bei aller Bemühung um Objektivität zunächst subjektiv sind. Um meiner subjektiven Sicht auf die Ausstellungen ein Korrektiv entgegenzusetzen und sie zu objektivieren, betrachte ich jeden Aspekt der Ausstellungen in mehreren Stufen der Analyse stets von mehreren Standpunkten aus – sowohl im wörtlichen als auch im metaphorischen Sinn –und beziehe darüber hinaus durch informelle Gespräche sowie leitfadengestützte, qualitative Interviews auch die Perspektiven der Ausstellungsmacher:innen ein. Wie bereits erwähnt habe ich für die Ausstellungsanalysen keine Sonderausstellungen, sondern die Dauerausstellungen von vier Archäologischen Landesmuseen ausgewählt, denn eine Dauerausstellung wird meist als repräsentativer Querschnitt der Sammlung eines Museums konzipiert und stellt somit im Fall Archäologischer Landesmuseen meistens eine von der Steinzeit bis ins Mittelalter reichende überblicksartige Geschichte zur archäologisch erfassbaren Vergangenheit im Gebiet des jeweiligen heutigen Bundeslandes dar. Nora Wegner hat in ihrer Dissertationsschrift Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung die Unterschiede dieser beiden Ausstellungsformen und deren Auswirkungen auf die Zusammensetzung des jeweiligen Publikums untersucht und dabei darauf hingewiesen, dass Dauerausstellungen aufgrund ihrer relativ langen Bestandsdauer von bis zu rund 15 Jahren einer besonders komplexen und zeitaufwendigen Planung »hinsichtlich gestalterischer, konservatorischer und sicherheitsbezogener Aspekte« bedürfen.23 Besonders die Planungen der Gestaltung und inhaltlichen Aussage der Dauerausstellungen versuche ich durch meine Recherchen zu ergründen und mit der letztlich erfolgten Umsetzung der Ausstellungen
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Vgl. Sigmund Freud, Konstruktionen in der Analyse, 1950, S. 45; Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 162. Vgl. Knut Ebeling, Die Mumie kehrt zurück II, 2004, S. 11f., Zitat S. 11. Vgl. Nora Wegner, Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung, 2015, S. 30.
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abzugleichen. Dafür nutze ich neben den Interviews vor allem Konzeptpapiere und Planungsskizzen, sofern entsprechende Dokumente erhalten sind und mir zur Verfügung gestellt werden konnten. Die Auswahl der einzelnen Museen habe ich auf der Grundlage von Literaturrecherchen und Besuchen der Ausstellungen getroffen, bei denen ich mir einen Überblick über die Landschaft des untersuchten Museumstypus verschaffen konnte. Für die Auswahl habe ich mehrere Kriterien angelegt: Erstens sollten die Museen möglichst weit über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verstreut liegen, um die unterschiedlichen Entwicklungsgeschichten der Bundesländer so umfassend wie möglich zu berücksichtigen. Zweitens sollten sie unterschiedliche Rechts- und Organisationsformen abbilden, um den Einfluss verschiedener Formen staatlicher Trägerschaft auf die Museumsarbeit vergleichen zu können. Drittens sollten die Dauerausstellungen der Museen eine möglichst große Bandbreite unterschiedlicher Inszenierungsstrategien abbilden, um kritisch analysieren und vergleichen zu können, in welchem Verhältnis die Gestaltung der Ausstellungen zum Umgang der Museen mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität steht. Die vier Museen, die in Kombination diese drei Kriterien erfüllen, sind das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes in Saarbrücken, das Rheinische Landesmuseum Trier, das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale sowie das Archäologische Museum Hamburg. Die Reihenfolge, in der diese Museen hier genannt und analysiert werden, wurde bewusst willkürlich festgelegt; sie soll keine Rangliste darstellen und ist nicht als Wertung der Qualität der Ausstellungen zu verstehen. Unter den gewählten Institutionen sind mit Hamburg einer der drei Stadtstaaten, mit Sachsen-Anhalt eines der sogenannten neuen und mit Rheinland-Pfalz ein sogenanntes altes Bundesland vertreten. Darüber hinaus lässt sich an der Gründung und Entwicklung des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes die Rolle der Ur- und Frühgeschichtsforschung im jüngsten der sogenannten alten Bundesländer nachvollziehen, dessen Gebiet durch wechselnde Aufteilungen und Zugehörigkeiten zwischen Preußen, Bayern und Frankreich in vielerlei Hinsicht geprägt wurde. Dieses Museum ist des Weiteren, ebenso wie das Archäologische Museum Hamburg, in Trägerschaft einer Stiftung des öffentlichen Rechts. Beide Häuser unterscheiden sich jedoch grundlegend darin, dass das Saarbrücker im Gegensatz zu dem Hamburger Museum nicht an die Bodendenkmalpflege des Landes gekoppelt ist. Das heißt, das Museum in Saarbrücken kann anders als das in Hamburg keine archäologische Feldforschung betreiben, sondern fungiert überwiegend als Ausstellungshaus. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ist dagegen mit der Bodendenkmalpflege des Landes verbunden und der Staatskanzlei Sachsen-Anhalts zugeordnet. Das Museum in Trier ist wiederum nur für ein Teilgebiet von Rheinland-Pfalz denkmalpflegerisch zuständig und steht unter der Trägerschaft einer Kulturbehörde, die dem Kultusministerium nachgeordnet ist. Diese unterschiedlichen Strukturen sind in der Regel historisch bedingt und hängen mit der Geschichte des jeweiligen Bundeslandes zusammen. Es ist jedoch notwendig, diese zu berücksichtigen, weil sie Auswirkungen darauf haben, wie sich die Sammlungen der Museen zusammensetzen und welche Gebiete die Museen erforschen und repräsentieren. Die Gestaltungskonzepte und Vermittlungsstrategien der vier Dauerausstellungen unterscheiden sich stark voneinander und wurden während meiner Recherchen von mir
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
vorläufig mit den – bewusst etwas plakativen – Schlagwörtern White Cube (Saarbrücken), Lernort (Trier), Erlebniswelt (Halle) und Spielplatz (Hamburg) versehen.24 Sie sind Beispiele für die von dem Museologen Martin R. Schärer in seinem Werk Die Ausstellung. Theorie und Exempel unterschiedenen vier Typen der Inszenierung: die ästhetische, die didaktische, die theatrale und die assoziative Ausstellungssprache.25 Welche Charakteristika diese Ausstellungssprachen Schärer zufolge aufweisen und inwiefern die hier besprochenen Ausstellungen diese erfüllen, wird jeweils in den Fallstudien erläutert. Vorab sei nur noch darauf hingewiesen, dass die Ausstellungssprachen beziehungsweise die von mir unterschiedenen Konzepte nicht als trennscharfe Kategorien, sondern eher als Tendenzen aufzufassen sind. Die meisten Ausstellungen, so auch die hier besprochenen, stellen Mischformen dar. Um die in dieser Arbeit angewendete Vorgehensweise zu erläutern, muss nun ein längerer methodischer Abschnitt folgen, denn Ausstellungen sind Hypermedien, die in sich nicht nur Exponate und Texte, sondern auch Bilder, Farben, Architektur, Design, Licht und gegebenenfalls digitale Medien oder Klanginstallationen vereinen. Alles trägt in einer Ausstellung zur Wirkung des Raumes und zur Vermittlung einer Botschaft bei, vom Boden bis zur Decke, vom greifbaren Objekt bis zur Geräuschkulisse. Ausstellungen können alle Sinne gleichzeitig ansprechen und funktionieren damit in noch vielfältigerer Weise medial als beispielsweise Filme oder Theaterstücke. Einige Wissenschaftler:innen haben bereits verschiedene Methoden und Vorgehensweisen empfohlen, die allerdings meist nur für bestimmte Fragestellungen oder Museumstypen geeignet sind und daher kaum auf ein anderes Projekt unverändert übertragen werden können. Es gibt somit für Ausstellungen kein einheitliches Analyseschema. Stattdessen existieren zahlreiche Methoden und Vorschläge, die von unterschiedlichen Ansätzen geprägt sind, beispielsweise von der Semiotik oder dem Strukturalismus. Um für den eigenen Gegenstand und die eigene Fragestellung eine passende Methode zu finden beziehungsweise zu konzipieren, müssen Ausstellungsanalyst:innen flexibel sein und ein jeweils individuelles Vorgehen entwickeln. Dabei können sie sich natürlich auf vorhandene Methoden beziehen und diese gemäß ihrem Gegenstand und ihrer Fragestellung modifizieren und kombinieren. So mache ich vor allem Anleihen in der Narratologie, der Semiotik und der historischen Quellenkritik. Wichtig sind dafür insbesondere die Vorgehensweisen von Mieke Bal, Stephanie Moser, Jana Scholze und Thomas Thiemeyer. Ich betrachte Ausstellungen also im übertragenen Sinne als Texte und Erzählungen und betreibe gewissermaßen nach dem Vorbild Bals ein »close reading« an ihnen.26 Dieses erstreckt sich nicht nur auf die Ausstellungsgestaltung und die Exponate, sondern auch auf die Ausstellungstexte und sonstigen -medien. Darüber hinaus habe ich, wie bereits erwähnt, leitfadengestützte, teilstandardisierte, qualitative Expert:inneninterviews geführt, die es zu planen, durchzuführen und letztlich auszuwerten galt. Die Protokolle der Interviews sind im Anhang dieser Arbeit vollständig abgedruckt (s. Anhang 1).
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Diese Schlagwörter tauchen gelegentlich noch in den Interviewprotokollen auf, sind dort aber nur als Arbeitsbegriffe zu verstehen. Vgl. Martin R. Schärer, Die Ausstellung. Theorie und Exempel, 2003, S. 123–128. Vgl. Mieke Bal, Double Exposures, 1996, S. 13–56.
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Der Kulturwissenschaftler Thomas Thiemeyer diagnostiziert der Museumsanalyse zwei Schwachpunkte: Erstens fehle eine etablierte Methode, die allen Vermittlungsebenen im Museum gerecht werde. Semiotische Ansätze nehmen Museumsobjekte, -texte und -bilder als Zeichenträger wahr, deren Bedeutung von den Besucher:innen decodiert werden müsse, wodurch unterschiedliche Medien im Museum vergleichbar werden. Allerdings würden diese Methoden die sinnlichen Dimensionen von Ausstellungsbesuchen nicht erfassen, wie zum Beispiel die Raumatmosphäre oder die Aura der Exponate. Die Performanztheorie sei in der Lage, diese Leerstelle zu überwinden, weil sie die Materialität der Dinge, ihre Wirkung im Raum sowie dessen Inszenierung betrachte und damit berücksichtige, dass Museumsbesucher:innen sich Dingen und Räumen nicht nur gegenübersehen, sondern Teil der Inszenierung seien und von dieser affiziert würden. Thiemeyer ist jedoch der Ansicht, dass weder die Semiotik noch die Performanz- und Ästhetiktheorie für sich genommen ausreichende Analysewerkzeuge für Ausstellungen liefern können: »Sie sind theoretisches Rüstzeug, aber keine schlüsselfertigen Analysemethoden, weil sie dem Forscher nicht sagen, wie er bei der Analyse vorgehen soll.«27 Das zweite Manko der Museumsanalyse betreffe ihre begriffliche Unklarheit. Thiemeyer beklagt, dass es der Museologie an einheitlichen Grundbegriffen fehle.28 Aus diesen Problemen der Museumsanalyse ergeben sich Thiemeyer zufolge zwei Konsequenzen: Wer Ausstellungen analysiert, muss zum einen methodisch kreativ sein und zum anderen drei Arten von Grundbegriffen definieren: Begriffe für die Objekte, Begriffe für die Inszenierung und Grundbegriffe des Ausstellungsthemas.29 In der vorliegenden Arbeit orientiert sich die Vorgehensweise stark an der von Thomas Thiemeyer in seiner Dissertation Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln vorgeschlagenen und demonstrierten Museumsanalyse. Was die Definition von Objekt-, Inszenierungs- und Themenbegriffen angeht, sei an dieser Stelle auf das Glossar in Anhang 3 verwiesen. Durchgeführt werden hier die Analysen der vier genannten Museen, die auch miteinander sowie gelegentlich unter Hinzuziehung von Beispielen aus weiteren Archäologischen Landesmuseen verglichen werden. Thiemeyer sieht einen Vorteil dieses Ansatzes darin, »dass seine Erkenntnisse leichter zu verallgemeinern sind, weil sie auf einer größeren, vielleicht sogar repräsentativen empirischen Basis beruhen« als eine einzelne Fallstudie.30 Mein konkretes Vorgehen bei den Recherchen und der Dokumentation der Ausstellungen sowie meine Methodik der Interpretation und Analyse derselben stützen sich neben Thiemeyers Werk überwiegend auf Vorbilder von Analysekonzepten von Mieke Bal, Stephanie Moser und Jana Scholze. Das heißt, einem semiotischen Ansatz folgend behandele ich die Ausstellung insgesamt als Text und ihre Exponate, Texte und Bilder als Zeichenträger und analysiere sie ähnlich einer Erzählung. Hilfreich war hierbei ein Fragenkatalog (s. Anhang 2), den ich nach Mosers Vorbild entwickelt, aber entsprechend
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Vgl. Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, 2010, S. 32. Vgl. ebd., S. 33. Ebd., S. 33. Vgl. Thomas Thiemeyer, Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle, 2010, S. 80.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
meinem Forschungsgegenstand und meiner Forschungsfrage ausgestaltet habe. Auf Anregung der Ausstellungsanalysen Thomas Thiemeyers habe ich darin auch Fragen der historischen Quellenkritik aufgenommen. Ich betrachte die Ausstellungen also nicht nur als Erzählungen, sondern auch als Quellen, die Informationen über ihren Entstehungskontext enthalten. Des Weiteren beziehe ich nicht nur die Objekte, Texte und Bilder in den Ausstellungen in meine Analysen ein, sondern richte meine Aufmerksamkeit mithilfe des Fragenkatalogs auch auf Aspekte wie Raum- und Ausstellungsarchitektur, Beleuchtung, Farbgebung, Materialien und Geräusche. Damit kann die Atmosphären der Inszenierungen erfasst werden, die die Besucher:innen affizieren und deren Wahrnehmung und Aufnahme der angebotenen Narrative beeinflussen können. Im Folgenden beschreibe ich mein konkretes Vorgehen und erläutere, auf welchen in der Forschungsliteratur vorgeschlagenen Methoden dieses gründet. Nachdem ich mir in einer ersten Phase der Sondierung einen Überblick über die Landschaft der Archäologischen Landesmuseen verschafft und die Auswahl der zu analysierenden Museen getroffen hatte, habe ich zur Strukturierung der Analysen einen auf meine Fragestellung zugeschnittenen Fragenkatalog entworfen (s. Anhang 2). Dieser sollte mir bei den Recherchen in den Museen gewissermaßen als Gedächtnisstütze dienen und gewährleisten, dass ich in allen Häusern auf die darin festgelegten Aspekte achte. Zwar haben nicht in jedem Fall alle Antworten auf die Fragen des Katalogs bemerkenswerte Ergebnisse erbracht, doch hat sich dieses Vorgehen zur Vergleichbarkeit der Fallanalysen als sinnvoll erwiesen und es hat dazu beigetragen, die Fülle des im Verlauf der Recherchen gesammelten und erhobenen Materials zu ordnen und auszuwerten. Selbstverständlich ist der Katalog aber nur als Basisset zu verstehen und wurde an jedem der vier Archäologischen Landesmuseen um fallspezifische Fragen und Aspekte ergänzt, um Betriebsblindheit zu vermeiden und für unvorhergesehene Situationen und Ergebnisse aufnahmefähig zu bleiben. Damit bin ich der von Thomas Thiemeyer empfohlenen »offenen Methode« gefolgt, also für weitere Fragestellungen offen geblieben, die im Laufe von Recherchen und Gesprächen an den Museen auftraten. Die »offene Methode« erfordert darüber hinaus eine »zirkuläre Strategie«, bei der die Museen, die zuerst analysiert werden, gegen Ende der Recherchen noch auf die neu dazugewonnenen Fragen hin abgeklopft werden.31 Zu diesem Zweck bin ich im Austausch mit den Institutionen geblieben und habe sie zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt erneut besucht. Die Idee des Fragenkatalogs basiert auf Stephanie Mosers Aufsatz The Devil is in the Detail, in dem sich die Archäologin dafür ausspricht, Ausstellungsdetails wie Beleuchtung, Ausstellungsmöbel und räumliche Arrangements nicht als Requisiten wahrzunehmen, sondern anzuerkennen, dass diese alle daran mitwirken, eine Umgebung zu schaffen, in der die Besucher:innen ein Verständnis für Kultur, Geschichte und Wissenschaft oder auch für Konzepte wie Zivilisation oder Gender gewinnen können.32 Moser erläutert anschließend acht Aspekte, die Wissenschaftler:innen bei Ausstellungsanalysen in
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Vgl. Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, 2010, S. 34. Vgl. Stephanie Moser, The Devil is in the Detail, 2010, S. 23.
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den Blick nehmen sollten, und nennt zu jedem davon zentrale Analysefragen.33 Die acht Aspekte sind: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Architektur, Ort und Umgebung Raum Design, Farbe und Licht Thema, Botschaft und Text Anordnung der Objekte Darstellungsformen (»display types«) Ausstellungsstil Publikum und Rezeption
Da ich keine Besucherbefragungen im Rahmen meines Projekts durchgeführt habe, ist der achte Punkt in Mosers Aufführung für meine Arbeit nicht relevant. Die übrigen sieben Aspekte bilden dagegen das Grundgerüst meines Fragenkatalogs. Der architektonische Stil eines Museumsgebäudes, sein Ort und seine Umgebung sowie die physischen Parameter der Ausstellungsräume und die Art und Weise, wie Bewegungen von Besucher:innen im Raum gesteuert oder geleitet werden, werden von Moser als wichtige Faktoren genannt, da sie beeinflussen könnten, wie Besucher:innen eine Ausstellung wahrnehmen (vgl. S. 24). Design, Farbe und Licht seien wichtig, weil sie die Exponate situieren, kontextualisieren oder auch kontrastieren können. Farben könnten außerdem Objekten bestimmte Bedeutungen oder Assoziationen beigesellen und Besucher:innen emotional affizieren; des Weiteren könnten sie Exponaten symbolische Bedeutungen verleihen und Stimmungen vermitteln. Beleuchtung könne das Publikum leiten und eine Atmosphäre oder ein Ambiente schaffen, überdies könnten die Lichtquellen, die Richtung und die Intensität des Lichts Einfluss darauf haben, ob beziehungsweise wie Objekte als wichtige, ästhetische Meisterwerke, Artefakte von hohem Status oder nur als profane Beispiele für eine generelle Klasse von Objekten dargestellt werden (vgl. S. 25f.). Die Bedeutung des Themas, der Botschaft und der Texte der Ausstellungen liegt für die Analysen natürlich in deren Aussagegehalt. Wie die Komponenten einer Ausstellung in Räumen und Galerien angeordnet sind, ist Moser zufolge für die Generierung von Sinn eines präsentierten Themas wichtig und könne die Bedeutung von Objekten und ihre Identität als Marker kultureller Entwicklung darstellen. Die Anordnung der Komponenten einer Ausstellung und ihre Beziehung zueinander bezeichnet Moser als ein Narrativ, das Besucher:innen unbewusst lesen, wenn sie sich durch die Ausstellung bewegen (vgl. S. 27). Die Darstellungsformen, wie zum Beispiel Originalobjekte, Abgüsse, Grafiken, Karten, Modelle und Videos, sollen untersucht werden, da diese Einsicht in das repräsentierte Thema böten und zu dessen Erläuterung beitragen können. Der Ausstellungsstil soll Moser zufolge beachtet werden, da dieser an bestimmte Lernmethoden angelehnt sein könne und die kommunikative Rolle bestimme, die Objekten in Ausstellungen zugeschrieben würden (vgl. S. 28f.).
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Vgl. ebd., S. 24–30. Nachweise aus diesem Abschnitt von Mosers Aufsatz werden im Folgenden direkt im Text in Klammern angegeben.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Ergänzt habe ich diese Aspekte um Fragen der historischen Quellenkritik. Thomas Thiemeyer beschreibt Ausstellungen als Traditionsquellen, »die mit der Absicht erstellt wurden, ausgewählte Erkenntnisse zu vermitteln, also etwa eine bestimmte Version der Geschichte zu überliefern«. Er legt damit dar, dass Ausstellungen als historische Quellen gewertet und der Analysemethode der historischen Quellenkritik unterzogen werden können. Die historische Quellenkritik wurde bereits im 19. Jahrhundert entwickelt, um historische Texte zu interpretieren. Sie formuliert dafür einen Fragenkatalog und liefert somit eine Art Checkliste, anhand derer Forscher:innen Standards der wissenschaftlichen Kritik einhalten können. Die Leitfragen der Quellenkritik sollten allerdings nicht unverändert auf Ausstellungen übertragen, sondern als Orientierungshilfe genutzt und modifiziert werden. Der Kulturwissenschaftler schlägt acht Fragen für die historischkritische Ausstellungsanalyse vor, die ich in meinen Fragenkatalog aufgenommen habe: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Wer sind die Autor:innen der Quelle? Was ist die Position der Autor:innen? Wer sind die Adressat:innen der Quelle? Was ist das Entstehungsdatum, wo der Entstehungs- und Wirkungsort und wie die Entstehungssituation der Quelle? Was ist der Zweck der Quelle? Was sind die zentralen Begriffe der Quelle? Welche Form hat die Quelle? Wie ist die Quelle formal aufgebaut?34
Die Fragen decken sich zum Teil mit den von Stephanie Moser genannten Aspekten und erfassen sowohl die Ausstellungsmacher:innen als auch die Ausstellung selbst. Mit der Frage nach den Adressat:innen wird zudem berücksichtigt, welche Besucher:innen von den Ausstellungsmacher:innen antizipiert wurden, also für wen die Ausstellung konzipiert wurde. Die Methode der historischen Quellenkritik eignet sich besonders gut für mein Projekt, da ich Ausstellungen insgesamt als Erzählungen betrachte. Dieser Ansatz wird unter anderem auch von den Museologinnen Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch35 sowie von der Soziologin Doris Harrasser vertreten und geht davon aus, dass Ausstellungen einen Subtext enthalten, der ihren Macher:innen meist selbst entgeht. Harrasser und ihre Mitautorinnen vermuten in diesen Subtexten implizite Aussagen, die den Besucher:innen den Eindruck von Zugehörigkeit zu oder Ausschluss aus einer sozialen Gruppe vermitteln würden. Harrasser argumentiert, dass »Museum-als-Text«Ansätze die Rolle der Besucher:innen selbst bei Verzicht auf Besucher:innenbefragungen also nicht unberücksichtigt ließe, sondern deren Lektüre der Ausstellung »als zentral für die Bedeutungsproduktion« hervorheben.36 Die Behandlung einer Ausstellung als Text beziehungsweise als Narration ermöglicht es des Weiteren, zur Analyse ihrer Aussagen Anleihen bei der Narratologie zu machen. Die Kulturwissenschaftlerin Heike Buschmann schlägt in dem Aufsatz Geschichten 34 35 36
Vgl. Thomas Thiemeyer, Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle, 2010, S. 84–89, Zitat S. 84. Vgl. Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch, Gesten des Zeigens, 2006, S. 48f. Vgl. Doris Harrasser u.a., (Dis)playing the Museum, 2011, S. 37.
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Einleitung
im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse einen Ansatz vor, der »besonders auf das Geschichtenerzählen in historischen Museen zugeschnitten« ist.37 Ihrer Anregung folgend hinterfrage ich unter anderem die erzählende Instanz sowie die Chronologie der Ausstellungen.38 Mieke Bal, die ebenfalls einen narratologischen Ansatz vertritt, unterscheidet und untersucht die Ebenen des »narrative text«, der »story« und der »fabula«. Den narrativen Text definiert Bal als einen Text, in dem ein Subjekt einem Adressaten eine Geschichte anhand eines bestimmten Mediums – wie zum Beispiel Sprache, Bild oder Ton – beziehungsweise einer Kombination verschiedener Medien vermittele. Die story sei der Inhalt dieses Textes; sie präsentiere die fabula auf eine bestimmte Weise. Letztere sei eine Serie chronologischer und logisch aufeinander folgender Ereignisse, die von Akteur:innen ausgelöst oder erlebt werden.39 Auf archäologische Ausstellungen übertragen bedeutet das also, dass die physische Ausstellung dem narrativen Text entspricht. Die Erzählung, die diese Ausstellung bildet, ist die story und diese präsentiert die fabula, also das, was über die ur- und frühgeschichtliche Vergangenheit bekannt ist. Auch diese Anregungen habe ich in meine Analysen aufgenommen. Mit Blick auf meine Fragestellung zum Umgang Archäologischer Landesmuseen mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität sowie zum Verhältnis dieser Museen zur Kulturpolitik habe ich den Fragenkatalog außerdem um Fragen zur Organisation und zum historischen Hintergrund sowie zur Sammlung und zu dem gegebenenfalls durch den Namen, die Corporate Identity oder das Leitbild des Museums zum Ausdruck gebrachten Selbstverständnis der Institution ergänzt. Mit diesem Rüstzeug ausgestattet habe ich die Recherchen in den Museen begonnen. Um einen möglichst unvoreingenommenen Blick auf die Dauerausstellungen zu bekommen und nicht schon durch das Wissen um die Intention der Kurator:innen in meiner Wahrnehmung geprägt zu sein, war der erste Schritt der Arbeit vor Ort stets die Dokumentation der jeweiligen Dauerausstellung. Ich habe diese in mehreren Durchgängen so detailliert wie möglich erfasst, bevor ich die Recherche in den Bibliotheken und Archiven der Museen sowie in Gesprächen mit den Mitarbeiter:innen vertieft habe. Die Dokumentation erfolgte vor allem schriftlich und fotografisch, nötigenfalls auch anhand von Skizzen. Der Fragenkatalog wurde dabei zunächst noch nicht verwendet, um die Dauerausstellungen in einem ersten Durchgang so zu erfassen, wie sie viele Besucher:innen wohl auch erfassen würden, also nur durch die Inszenierungsmittel in der Wahrnehmung gelenkt. Dabei fanden auch Notizen Verwendung, die ich bei ersten Ausstellungsbesuchen vor der Festlegung der konkreten Fragestellung meines Projekts und vor der Entwicklung des Fragenkatalogs regelrecht willkürlich angefertigt hatte. Wie Mieke Bal im ersten Kapitel ihres Buches Double Exposures demonstriert, habe ich die Ausstellungen also einem close reading unterzogen. Dabei habe ich meinen Blick nicht nur auf die Ausstellungsexponate gerichtet, sondern alle Mittel der Inszenierung in den Ausstellungen als Objekte und Kommunikationsmittel, also als Teile des Textes behandelt, den die Ausstellung insgesamt bildet. So achtete ich nach dem ersten Gang durch die Dauerausstellungen in
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Vgl. Heike Buschmann, Geschichten im Raum, 2010, S. 150. Vgl. ebd., S. 152–165. Vgl. Mieke Bal, Narratology, 2009, S. 5.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
weiteren Durchgängen auch gezielt auf einzelne Aspekte wie die Beleuchtung, die Vitrinenarchitektur und die Farbwahl und interpretierte deren Wirkung und Aussage sowie ihre Beziehung zueinander und zu den Exponaten. Nach der Dokumentation der Ausstellung zog ich den Fragenkatalog hinzu und beantwortete die Fragen auf der Grundlage der bis dahin gemachten Beobachtungen so weit wie möglich. Um den dann noch offenen Fragen nachzugehen, ging ich nach der Ausstellungsdokumentation zur Recherche in den Bibliotheken und Archiven der Archäologischen Landesmuseen über. Um die Intentionen der Ausstellungsmacher:innen zu erschließen, nutzte ich, wie auch Thomas Thiemeyer, Konzeptpapiere, Ausstellungskataloge, wissenschaftliche Artikel und Berichte sowie – sofern vorhanden und für mich zugänglich – Protokolle und Statusberichte aus der Konzeptionsphase. Natürlich führte ich dabei auch Gespräche mit den zuständigen Museumsmitarbeiter:innen. Waren dann noch Fragen offen oder fehlte mir zu bestimmten Aspekten der Analyse Material, wurden diese in die Interviewleitfäden aufgenommen. Die Interviews dienten auch dazu, meine bis dahin entwickelten Deutungen einzelner Ausstellungssituationen zu objektivieren, indem ihnen die Perspektiven der Kurator:innen und Museumsdirektor:innen gegenübergestellt wurden. Thomas Thiemeyer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass jede Ausstellungsanalyse eine Momentaufnahme sei und dass nicht jedes Detail einer Ausstellung der ursprünglichen Konzeption folge. Oft werde durch Sachzwänge, Zeitdruck oder Kompromisse bestimmt, wie die Ausstellung am Ende tatsächlich aussieht: »Es ist also Vorsicht angebracht, aus der Analyse der Schau auf die Absicht der Kuratoren zu schließen.«40 Die Interviews wurden so konzipiert, dass sie nach der Kategorisierung von Siegfried Lamnek und Claudia Krell eine Mischform aus informatorischen und analytischen Interviews darstellen, denn es sollten damit sowohl die Wissensbestände der Expert:innen zu ihrem Museum und dessen Dauerausstellung für die Ausstellunganalysen genutzt als auch die Haltung der Expert:innen zum Verhältnis von Museen und Kulturpolitik sowie zum Zusammenhang von Museumsarbeit und Gedächtnis, Erbe und Identität erfasst werden. Die Sozialwissenschaftler:innen Lamnek und Krell beschreiben informatorische Interviews als solche, die »der deskriptiven Erfassung von Tatsachen aus den Wissensbeständen der Befragten« dienten.41 Analytische Interviews dagegen versuchten vor allem, soziale Sachverhalte zu erfassen, daher würden dabei die Äußerungen der Befragten »aufgrund theoretischer Überlegungen und Konzepte« untersucht.42 Der analytische Teil der Interviews dieses Projekts hatte allerdings Vorrang und überwiegt daher in den Protokollen und in deren Auswertung. Interviewt wurden an jedem Museum ein für die Dauerausstellung zuständiger und an deren Konzeption beteiligter Kurator sowie der jeweilige Direktor oder Vorstand der Institution, wobei im Fall des Rheinischen Landesmuseums Trier die Wahl auf die stellvertretende Direktorin fiel, da diese die für die Konzeption der aktuellen Dauerausstellung Hauptverantwortliche war. In Saarbrücken und Halle an der Saale wurden die Interviews mit den Experten jeweils getrennt voneinander geführt, während in den beiden 40 41 42
Vgl. Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, 2010, S. 33–35, Zitat S. 35. Vgl. Siegfried Lamnek und Claudia Krell, Qualitative Sozialforschung, 2016, S. 316. Vgl. ebd., S. 317.
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Einleitung
anderen Museen jeweils nur ein Interview mit beiden Expert:innen zusammen stattfand. Die Entscheidung für gemeinsame oder getrennte Interviews wurde von den Präferenzen und den terminlichen Verfügbarkeiten der Gesprächspartner:innen abhängig gemacht. Beide Gesprächsformen haben sowohl Vor- als auch Nachteile, die durch die gleichmäßige Verteilung und die sorgfältige Auswahl der Expert:innen aber weitestgehend ausgeglichen werden konnten. Die Vorteile von Interviews mit zwei oder mehreren Gesprächspartner:innen werden von den Sozialwissenschaftler:innen Jochen Gläser und Grit Laudel anschaulich beschrieben: Handelt es sich dabei um statusgleiche Personen, dann kann ein Interview mit zwei Partnern den positiven Effekt von Gruppeninterviews haben: die Aussagen eines Interviewpartners werden zu Erzählanregungen für den anderen, es entstehen Diskussionen zwischen den Interviewpartnern, einer kann die Erinnerungsprobleme des anderen kompensieren, und man gelangt zu einer größeren Tiefe bei der Auslotung von bestimmten Problemen.43 Wenn zwischen den beiden interviewten Personen ein Statusunterschied und Abhängigkeitsverhältnis bestehe, liege ein Risiko gemeinsamer Interviews jedoch darin, dass der oder die rangniedrigere Mitarbeiter:in seine beziehungsweise ihre Antworten möglicherweise an dem orientiere, was sein:e/ihr:e Vorgesetzte:r vertritt.44 Bei den Gesprächspartnern in Hamburg lag zwar ein solcher Statusunterschied formal vor, jedoch konnte ich zwischen diesen beiden Experten ein gutes persönliches Verhältnis und eine eher flache Hierarchie beobachten. Dasselbe galt auch für Mechthild NeysesEiden und Hans Nortmann am Rheinischen Landesmuseum Trier, wobei dort noch hinzukam, dass der Kurator Nortmann sich zum Zeitpunkt des Interviews bereits im Ruhestand befand und daher ein berufliches Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihm und der stellvertretenden Direktorin ausgeschlossen war. Ein weiterer Nachteil gemeinsamer Interviews kann darin bestehen, dass der Redeanteil der Expert:innen – selbst wenn er ausgeglichen ist – in gemeinsamen Interviews geringer ausfallen muss als in Einzelinterviews, wenn die insgesamt verfügbare Zeit für die Interviews dieselbe ist. Die Qualität der Äußerungen in den gemeinsamen Interviews kann die geringere Quantität jedoch aufwiegen. Alle Interviews fanden als persönliche Gespräche statt und wurden in den Büros der Gesprächspartner:innen durchgeführt. Außer den Expert:innen und mir als Interviewerin war während der Interviews niemand anwesend. Die Dauer der Gespräche betrug zwischen 60 und 90 Minuten, abhängig von den terminlichen Verpflichtungen der Interviewten. Für alle Interviews war der Termin bereits vorab vereinbart worden. Im Zuge der Terminvereinbarung fand auch immer ein kurzes Vorgespräch statt, in dem ich meine Gesprächspartner:innen über das Thema meines Dissertationsprojekts, das Thema des Interviews und dessen geplanten Ablauf sowie über dessen Dauer informierte. Des Weiteren vereinbarte ich mit allen Expert:innen schon im Vorfeld die Aufzeichnung des Gesprächs mittels eines Diktiergeräts sowie die anschließende Protokollierung und
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Jochen Gläser und Grit Laudel, Experteninterviews, 2010, S. 168f. Vgl. ebd.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Übermittlung des Protokolls zur Prüfung und Freigabe. Unmittelbar vor Beginn des Interviews und der Aufzeichnung erläuterte ich allen Anwesenden noch einmal das Thema meines Dissertationsprojekts sowie den geplanten Ablauf des Interviews und bat erneut um die Zustimmung zur Aufzeichnung des Gesprächs. Für alle Interviews wurde ein teilstandardisierter Leitfaden verwendet. Die erste Frage des Leitfadens war standardisiert und wurde von mir eingeleitet, indem ich die wichtigsten Aspekte von Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis in zusammengefasster Form präsentierte sowie den Zusammenhang von Gedächtnis, Erbe und Identität knapp erörterte. Um mein weiteres Vorgehen ausgehend von der Reaktion der Gesprächspartner:innen gestalten zu können, entschied ich mich bewusst – auch mit Blick auf den jeweils begrenzten Zeitrahmen des Interviews – nicht für eine lockere Einstiegs-, sondern eine Einleitungsfrage, die direkt zum thematischen Kern meines Dissertationsprojekts vorstieß.45 Nach welchen der im Leitfaden festgehaltenen Aspekte in welcher Reihenfolge gefragt wurde, machte ich also von der Reaktion der Expert:innen auf die erste Frage abhängig. So war es mir möglich, unmittelbar und flexibel auf meine Gesprächspartner:innen zu reagieren und zielgerichtet sowie gegebenenfalls kritisch nachzufragen. Jeder Leitfaden umfasste Fragen zu fünf Themenkategorien, nämlich: (1) Fragen zum Umgang des Museums mit Gedächtnis, Erbe und Identität, (2) Fragen zur Zielgruppe, (3) Fragen zur Sammlung, (4) Fragen zur Ausstellung und (5) Fragen zum Verhältnis des Museums zur Bodendenkmalpflege und zur Kulturpolitik sowie zur Finanzierung im jeweiligen Bundesland. (1) Die Fragen zum Umgang der Archäologischen Landesmuseen mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität sollen Erkenntnisse darüber ermöglichen, wie die Museumsdirektor:innen und -mitarbeiter:innen ihre Aufgaben und ihr Potenzial bezüglich dieser drei Konzepte auffassen, ob und in welchen Zusammenhängen sie ihre Arbeit als Arbeit an und mit Gedächtnis, Erbe und Identität reflektieren und wie sie sich zu den Aufgaben, die ihnen diesbezüglich von kulturpolitischer Seite übertragen werden, positionieren. (2) Fragen zur Zielgruppe des Museums sollen klären, ob sich das jeweilige Museum mit seiner Ausstellungstätigkeit und Vermittlungsarbeit einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe besonders verpflichtet fühlt und ob die Gestaltung seiner Dauerausstellung auf die Wahl einer klar definierten Zielgruppe zurückzuführen ist. (3) Die Fragen nach den Sammlungen der Museen sollen die materielle Basis der Museen, ihre Entstehung und Entwicklung sowie ihr Verhältnis zur Dauerausstellung erfassen. In Einzelfällen werden auch Themen wie sensibles Sammlungsgut oder die Verteilung von Fundstücken angesprochen, um den Umgang der Museen mit Fragen der Provenienz zu ergründen.
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Dem Kommunikationswissenschaftler Armin Scholl zufolge sind Einleitungsfragen »nicht mit Eisbrecherfragen im standardisierten Interview zu verwechseln, sondern dienen der Einführung in ein Thema. Sie sollen spontane Antworten ermöglichen und offen formuliert sein«. (Armin Scholl, Die Befragung, 2018, S. 70.)
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Einleitung (4) Nach der Dauerausstellung und dem öffentlichen Auftreten der Archäologischen Landesmuseen werden Fragen gestellt, um Informationen zum Entstehungskontext und zur Intention der jeweiligen Dauerausstellung, zur Vermittlungsstrategie des Museums sowie zum Selbstbild der Institution zu gewinnen. Insbesondere in dieser Kategorie werden daher individuelle Fragen gestellt, die bei der Recherche an den jeweiligen Institutionen aufgetreten sind und auf die weder in Publikationen noch in den internen Dokumenten der Museen Antworten zu finden waren. Daher sind einige Fragen dieser Kategorie sehr fallspezifisch. (5) Die Fragen zu dem Verhältnis der Archäologischen Landesmuseen zur Kulturpolitik und Bodendenkmalpflege im jeweiligen Land sowie zu ihrer Finanzierung sollen erstens Informationen zur strukturellen, finanziellen und fachlichen Organisation Archäologischer Landesmuseen erbringen. Zweitens soll es durch sie möglich werden, einzuschätzen, ob beziehungsweise in welchen Abhängigkeitsverhältnissen diese Museen stehen und ob beziehungsweise wie von kulturpolitischer Seite auf die Arbeit dieser Museen Einfluss genommen werden kann.
Die in jeder Kategorie aufgeführten Fragen können formal in sogenannte Schlüsselfragen und Eventualfragen unterschieden werden.46 Zu jedem Thema habe ich eine beziehungsweise – in der fünften Kategorie – drei Schlüsselfragen in jedem Interview gestellt. Diese Schlüsselfragen sind also mit Blick auf das durch sie zu erschließende Thema standardisiert – auch wenn sie nicht immer in dem exakt gleichen Wortlaut gestellt und in ihrer Reihenfolge variiert wurden. Abhängig von der Situation im jeweiligen Museum, von seiner Dauerausstellung sowie vom verfügbaren Material zur Geschichte des Hauses und zur Konzeption der Dauerausstellung habe ich darüber hinaus weitere Fragen in den Leitfaden aufgenommen. Diese sogenannten Eventualfragen sind also nicht standardisiert, sondern dafür konzipiert, die individuelle, spezifische Situation des jeweiligen Museums genauer zu erfassen und die Schlüsselfragen der fünf Kategorien zu vertiefen. Allgemeinere Eventualfragen sind beispielsweise Fragen zum Umgang mit dem archäologischen Begriff der Kulturgruppe, Fragen zu sensiblem Sammlungsgut, Fragen zum Verhältnis der Dauerausstellung zur Sammlung des Museums oder Fragen zur Bedeutung von Originalexponaten für die Ausstellung. Spezifische Eventualfragen betreffen dagegen individuelle Besonderheiten der Dauerausstellung des jeweiligen Museums wie beispielsweise das multimediale Raumtheater Im Reich der Schatten des Rheinischen Landesmuseums Trier. Hinzu kamen in einigen Interviews des Weiteren spontane Nachfragen, wenn die Expert:innen Aspekte ansprachen oder Informationen gaben, die interessant und relevant für meine Forschungsfrage waren und die ich daher ad hoc weiter erschließen wollte.
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Die Begriffe der Schlüsselfrage und der Eventualfrage habe ich von Armin Scholl entlehnt, der sie wie folgt definiert: »Schlüsselfragen sind zentral für die Forschungsfrage und werden, wenn auch nicht notwendigerweise im identischen Wortlaut, immer bzw. allen Befragten gestellt. Eventualfragen kommen dagegen nur zum Einsatz, wenn der Befragte bestimmte Aspekte, von denen der Forscher ausgeht, dass sie relevant sein können, nicht von sich aus anspricht.« (Armin Scholl, Die Befragung, 2018, S. 69f.)
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Mein Verhalten als Interviewerin war neutral bis weich. Ich bemühte mich also, die Regeln zum Interviewendenverhalten und -auftreten zu beachten und meinen Einfluss auf die Antworten möglichst zu kontrollieren. Meine Haltung sollte grundsätzlich Neutralität und Solidarität ausstrahlen, auch dann, wenn ich kritisch nachfragte. Während der Interviews notierte ich Beobachtungen und besonders bemerkenswerte Aspekte der Äußerungen und hielt unmittelbar nach den Interviews meinen ersten Eindruck und erste Überlegungen zu den Ausführungen der Expert:innen schriftlich fest. Die Tonaufzeichnungen der Interviews wurden vollständig zu Gesprächsprotokollen verschriftlicht, wobei die Standardorthografie angewendet und die Äußerungen ins Schriftdeutsche übertragen, also leicht geglättet wurden. Stimmveränderungen – etwa zum Nachspielen von Äußerungen – wurden durch Anführungszeichen kenntlich gemacht. Die Protokolle wurden allen Gesprächspartner:innen zur Prüfung und Autorisierung zugesendet, wobei auch die Möglichkeit zu Korrekturen und Ergänzungen eingeräumt wurde. Die so entstandenen Gesprächsprotokolle wurden einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen, die sich grob an der von Philipp A. E. Mayring vorgeschlagenen und von Siegfried Lamnek und Claudia Krell erläuterten Methode orientiert.47 Das heißt, die Analyse war nicht so sehr auf die Sprechweise der Interviewten, sondern vorwiegend auf den Inhalt der Aussagen ausgerichtet, wobei insbesondere die jeweiligen Positionen und Überzeugungen der Expert:innen zur Aufgabe, zum Potenzial und zur Arbeitsweise des von ihnen vertretenen Archäologischen Landesmuseums herausgearbeitet werden sollten. Die Äußerungen in den Interviews wurden vor allem mit Blick darauf analysiert, wie die Produktion von kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität in den Archäologischen Landesmuseen vonstattengeht, wie die Vertreter:innen dieser Institutionen sich dazu positionieren und ob beziehungsweise wie sich ihre Haltung diesbezüglich in den Dauerausstellungen der Archäologischen Landesmuseen niederschlägt. Es sollte herausgearbeitet werden, worin die Expert:innen die Aufgaben und das Potenzial von Archäologischen Landesmuseen sehen und wie sie ihren Umgang mit den Relikten der Ur- und Frühgeschichte auf der kulturtheoretischen Metaebene begründen beziehungsweise wo sie ihn einordnen. Bei der Auswertung der Interviews ordnete ich die Äußerungen der Expert:innen zunächst nach inhaltlichen Aspekten. Zu diesem Zweck legte ich zuerst eine Aufstellung der fünf Themenkategorien an, extrahierte die Äußerungen der Gesprächspartner:innen zum jeweiligen Thema aus den Protokollen und ordnete sie den Kategorien zu. In einem weiteren Schritt fasste ich die Äußerungen paraphrasierend zusammen, interpretierte anschließend die derartig kondensierten Aussagen kritisch mit Blick auf meine theoriegeleitete Fragestellung und kommentierte sie. Diese Textbausteine konnten dann bei der Niederschrift der Dissertation an den entsprechenden Stellen argumentativ eingeflochten werden. Das während der Recherchen in den Museen gesammelte Material, die Ausstellungsdokumentationen, die Fotos, die Pläne und die Notizen zu Planungsdokumenten, Publikationen, Zeitungsberichten und Konzeptionspapieren werte ich im dritten Teil dieser
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Vgl. Siegfried Lamnek und Claudia Krell, Qualitative Sozialforschung, 2016, S. 486–497.
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Einleitung
Arbeit im Hinblick auf meine Fragestellung aus. Das heißt, ich arbeite mithilfe der Dokumentationen die Narrative und Kernaussagen aus den Dauerausstellungen heraus und reflektiere dabei auch den Kontext ihrer Entstehungsgeschichte und der Intention der Ausstellungsmacher:innen. Gegebenenfalls stelle ich Intention und Ergebnis einander gegenüber und hinterfrage sie kritisch. Dabei untersuche ich in jeder Ausstellung die drei Ebenen der Kommunikation, die die Kuratorin Jana Scholze unterschieden hat. In ihrer Dissertation hat Scholze verschiedene Präsentationsformen in Museen untersucht und dabei die Hypothese vorausgesetzt, dass Ausstellungen auf drei grundsätzlichen Arten von Mitteilungen aufbauen würden: Jedes Ausstellungsobjekt gebe in erster Linie »Auskunft über eine oder mehrere mögliche vormuseale Funktionen«. Die intendierten Ausstellungsinhalte und assoziativen Bedeutungen würden durch den Kontext der Objektarrangements in den Ausstellungen vermittelt. Und schließlich gebe die Präsentation auch »Auskunft über die Intention, Philosophie und Ethik der Ausstellungsmacher bzw. des Museums als sich in Ort und Zeit definierender Institution«. Scholze bezeichnet diese drei Arten der Mitteilung als Denotation, Konnotation und Metakommunikation.48 Bei meinen Analysen untersuche ich also zunächst die Objekte selbst und ihre Gebrauchsfunktion. Anschließend arbeite ich auch ihre Konnotation beziehungsweise ihr Eingebundensein in die Erzählung der Ausstellung heraus. Schließlich hinterfrage ich die individuellen Haltungen, Intentionen und Philosophien der Ausstellungsmacher:innen und der Institutionen insgesamt. Insbesondere bezüglich der Metakommunikation gilt auch zu beachten, worauf Mieke Bal in Double Exposures hingewiesen hat: Der ausstellende Akteur sei nicht bloß das Team aus Kurator:innen und Mitarbeiter:innen des Museums, denn diese seien lediglich ein kleines Glied in einer längeren Kette von Subjekten. Sie stünden in einer längeren Tradition der Arbeitsweise und Ethik der Institution und seien davon geprägt.49 Deshalb ist es wichtig, bei den Ausstellungsanalysen auch die historische Entwicklung der Museen, ihre Gründungsmotive sowie prägende Ereignisse und Persönlichkeiten im Laufe ihres Bestehens zu berücksichtigen. Selbstverständlich erfolgt die Vermittlung von Inhalten in Museen nicht bloß durch die Exponate, sondern auch anhand diverser Medienformen innerhalb des Mediums Ausstellung: Insbesondere durch Texte, aber auch durch Illustrationen, Karten, Grafiken, Videos oder Klanginstallationen wird in Ausstellungen kommuniziert. Darüber hinaus bieten Museen Kataloge, Handzettel und Begleitbücher, Audioguides, Ausstellungsführungen, museumspädagogische Programme, Vortragsreihen und viele weitere Vermittlungsformate an. Um die Materialfülle für die Ausstellungsanalysen dieser Arbeit nicht zu weit ausufern zu lassen, beziehe ich schwerpunktmäßig die Texte und Medien in meine Betrachtungen ein, die in den Dauerausstellungen direkt zu finden sind. Rahmenprogramme, Broschüren, Audioguides und Führungen berücksichtige ich dagegen nicht. Gegen die Analyse dieser Formate sprechen ihre zum Teil kurze Halbwertszeit sowie ihre vergleichsweise geringe Reichweite, wie auch Barbara Ellermeier argumentiert. Die Archäologin und Historikerin hat Ausstellungen zur Römerzeit in Rheinland-Pfalz dahingehend analysiert, welche Narrative sie aufweisen und welcher
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Vgl. Jana Scholze, Medium Ausstellung, 2004, S. 30. Vgl. Mieke Bal, Double Exposures, 1996, S. 16.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
Inszenierungsformen, welcher Motive, Bilder und Formulierungen sie sich dabei bedienen. Zusatzangebote zu Ausstellungen hat sie dabei nicht untersucht. Ihre Begründung dafür lässt sich auf mein Projekt übertragen: Meinen Beobachtungen zufolge nutzen die Besucher sie [die Zusatzangebote] nicht alle gleichermaßen. Oftmals sind noch immer Berührungsängste vielfacher Art verbreitet. Museumspädagogische Angebote, Führungen, Workshops, Theater- und Reenactment-Vorführungen finden wie Römerfeste und »Events« einmalig statt und können nur schwerlich dokumentiert werden. Auch das Angebot der Museumsshops und -gastronomie ist raschen Veränderungen unterworfen. Daher möchte ich mich darauf konzentrieren, was zu jeder Zeit frei zugänglich und in allen Ausstellungen […] gleichermaßen vorhanden ist.50 Die in den Ausstellungen enthaltenen Medien habe ich vollständig dokumentiert und ausgewertet. In die Analysekapitel dieser Dissertation nehme ich allerdings nur besonders bemerkenswerte oder exemplarische Formate auf beziehungsweise fasse die einzelnen Texte, Bilder, Installationen und Videos in meinen Betrachtungen zusammen, um die Ergebnisse meiner Analysen überschaubar zu präsentieren. Angeregt durch Werner Hanak-Lettners Werk Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand bespreche ich zu jeder der vier Dauerausstellungen den ersten Text, auf den das Publikum beim Besuch der Ausstellung stößt. Der Kurator und Theaterwissenschaftler Hanak-Lettner hat die Dramaturgie von Ausstellungen untersucht und dabei die Exponate mit den Darstellenden des Dramas verglichen.51 Zwar ist nicht für jede Ausstellung der Vergleich mit einem antiken Drama erhellend, einige Aspekte von Hanak-Lettners Analysen sind jedoch durchaus auf die hier analysierten Ausstellungen übertragbar. So entsprechen beispielsweise die Ausstellungstexte seiner plausiblen Argumentation nach dem Chor in der antiken Tragödie: Während das Kommentieren des Geschehens dem Herstellen des Kontextes in der Ausstellung gleichkommt, spricht der Ausstellungstext über jene Schichten, über die die ausgestellten Dinge selbst nicht Auskunft geben können, über ihre Geschichte, ihre Schöpfer, ihre Vorbesitzer, also über Informationen, die in dem reduzierten Dialog, der zwischen Besucher und Ding stattfindet, ungesagt bleiben würden. Genauso wie auch im rein dialogischen Drama unbewusste Dinge ungesagt bleiben müssen.52 Die Texte im Museum kontextualisieren die Objekte also und geben Auskunft über das, was die Objekte selbst nicht kommunizieren können. Die Ausstellungskurator:innen vergleicht Hanak-Lettner folglich auch mit den griechischen Theaterdichter:innen. Dramatiker:innen und Kurator:innen hätten im Drama beziehungsweise in der Ausstellung eine in gewissem Maße objektive Position und würden durch die Darstellenden beziehungsweise durch die Objekte sowie durch den Chor beziehungsweise durch die Texte sprechen.53 Die Struktur der antiken Tragödie, so zeigt es Hanak-Lettner, lässt sich so
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Barbara Ellermeier, Neue Römer braucht das Land, 2010, S. 155f. Vgl. Werner Hanak-Lettner, Die Ausstellung als Drama, 2011, S. 20. Ebd., S. 219. Vgl. ebd., S. 219f.
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häufig mit der einer Ausstellung zur Deckung bringen. Der Einleitungstext, meist einer der längsten Texte einer Ausstellung, korreliere dann mit der Parodos, dem Einzugslied des Chores.54 Dieses stimme das Publikum auf das Drama beziehungsweise die Ausstellung ein, bietet nicht nur Informationen zur Ausgangslage, sondern setzt den Ton für die folgende Kommunikation und prägt die Erwartungshaltung des Publikums vor, weshalb ich auf die Einleitungstexte der Ausstellungen ein besonderes Augenmerk lege. Wenn im Laufe der Materialanalysen und letztlich bei der Niederschrift dieser Dissertation neue Fragen auftraten oder erneute, vertiefende Recherchen nötig wurden, wurde diesen selbstverständlich im Austausch mit den zuständigen Museumsmitarbeiter:innen nachgegangen. Der letzte Schritt meiner Forschung bestand in der Zusammenfassung meiner Ergebnisse und der kritischen Bewertung der Dauerausstellungen mit Blick auf ihre Narrative zu und ihren Umgang mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und – dies war in besonderem Maße erforderlich – kultureller Identität. Nachdem mein analytisches Vorgehen nun ausführlich dargelegt ist, möchte ich zuletzt noch den Aufbau dieser Dissertation erörtern: In einem ersten Teil soll zunächst die Ausgangslage geklärt werden. Hierzu wird eine kurze, grundsätzliche Erläuterung zu Archäologie und Ur- und Frühgeschichte sowie zur Organisation von Bodendenkmalpflege in Deutschland allen weiteren Betrachtungen vorangestellt (Kapitel I.1). Darauf folgt eine Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen: Die historische Entwicklung sowie die Merkmale, Sammlungen, Tätigkeitsfelder und Organisationsformen dieses speziellen Museumstypus werden beschrieben (Kapitel I.2), bevor unterschiedliche Haltungen zur Aufgabe und zum Potenzial der Archäologischen Landesmuseen in kulturpolitischen Programmen, Denkmalschutzgesetzen, wissenschaftlichen Publikationen sowie in den im Rahmen dieses Projekts geführten Interviews analysiert werden (Kapitel I.3). Zu den verschiedenen Positionen diesbezüglich gehören beispielsweise die Übertragung einer Gedächtnis, Erbe und Identität bewahrenden Aufgabe an Archäologische Landesmuseen einerseits und die Ablehnung einer Verbindung von Museumsarbeit und kulturpolitischen Agenden andererseits. Als mögliche Erklärungen für die verschiedenen Positionen werden unter anderem die auf Joachim Ritters Kompensationstheorie basierende Musealisierungsthese von Hermann Lübbe55 sowie die Problematik einer identitätsstiftenden Funktion von Archäologischen Landesmuseen reflektiert. Mit Blick auf Letztere wird vor allem die wissenschaftliche Methode der Bestimmung archäologischer Kulturen – wie beispielsweise der sogenannten keltischen oder germanischen Kultur – als Modell zur Erklärung materieller Phänomene problematisiert. Auch die Instrumentalisierung und freiwillige ideologiekonforme, propagandistische Tätigkeit von Archäolog:innen in den 1930er und 1940er Jahren und das daraufhin ab den 1950er Jahren zu beobachtende und später als Kossinna-Syndrom bezeichnete Phänomen der Ablehnung von Theoriebildung in der deutschsprachigen Ur- und Frühgeschichtsforschung sollen in diesem Zusammenhang skizziert werden. Sowohl nationale Gesetze als auch internationale Abkommen gründen auf der Überzeugung, dass die Erforschung, Bewahrung und Vermittlung der Spuren der vorschrift54 55
Vgl. ebd., S. 225. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf Hermann Lübbe, Der Fortschritt und das Museum, 1982.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
lichen Vergangenheit essentiell für das kulturelle Gedächtnis, das kulturelle Erbe und die kulturelle Identität von Bevölkerungsgruppen oder gar der gesamten Menschheit sind. Um nachzuvollziehen, warum die tragende Rolle von Archäologie beziehungsweise Urund Frühgeschichte für die drei Konzepte im öffentlichen Diskurs so etabliert ist, und um zu beantworten, ob die Archäologischen Landesmuseen die Konstruktion der Konzepte vermeiden können, soll die Arbeit dieser Museen im zweiten Teil der Dissertation auf ihre Bedeutung für Gedächtnis, Erbe und Identität hin diskursanalytisch überprüft werden. Die Reihenfolge, in der diese Begriffe in der vorliegenden Studie genannt und behandelt werden, ergibt sich aus der Beobachtung, dass die Anschlussfähigkeit dieser Konzepte an die Arbeit der Archäologischen Landesmuseen von den Gesprächspartner:innen im Rahmen des Projekts offenbar in Abstufungen wahrgenommen wurde. Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses ist in den Geisteswissenschaften weitestgehend etabliert und wird in der Regel widerspruchslos auf archäologische Museen übertragen. Auch der Begriff des kulturellen Erbes wird im Zusammenhang mit archäologischer Museumsarbeit kaum zurückgewiesen. Allerdings ist gerade dieser Begriff ausgesprochen komplex, vielfältig und zum Teil zweifelhaft, und er wird in seiner gesamten Bedeutungstiefe selten reflektiert, weder vonseiten der Museen noch vonseiten der Kulturpolitik. Der Begriff der kulturellen Identität dagegen wird von der Kulturpolitik zunehmend unkritisch verwendet und zugleich von Wissenschaftler:innen zunehmend als ein problematischer wahrgenommen und als Motiv ihrer eigenen Arbeit abgelehnt.56 Es bietet sich daher an, mit dem konsensfähigen Begriff des Gedächtnisses zu beginnen und im weiteren Verlauf der Arbeit immer tiefer in die Problematik vorzudringen. Es soll aber hier betont werden, dass die drei Konzepte in dieser schriftlichen Darstellungsform zwar zwangsläufig linear angeordnet werden müssen, aber nicht in einer kausalen Abfolge stehen, sondern gewissermaßen eine Sphäre aus aufeinander einwirkenden und voneinander abhängigen Komplexen bilden. Um die Konzepte kritisch zu reflektieren, muss zunächst in einem ersten Kapitel (Kapitel II.1) Grundsätzliches zu den Begriffen geklärt werden. Sie werden in ihren kulturtheoretischen Kontext eingeordnet und der dazugehörige Forschungsstand wird skizziert, bevor anschließend in drei weiteren Kapiteln (Kapitel II.2, Kapitel II.3 und Kapitel II.4) die einschlägigen Theorien und Diskussionen dazu reflektiert und der praktischen Arbeit der Museen gegenübergestellt werden. Besonders zentral sind dabei vor allem die Werke der Sozial- und Kulturwissenschaftler:innen Aleida und Jan Assmann57 , Maurice Halbwachs58 und Susan M. Pearce59 , ebenso wie die Denkstil-Theorie des Bakteriologen Ludwik Fleck60 , die museologischen Einsichten des Philosophen Krzysztof Pomian61 und einige Aufsätze des Psychologen und Kulturwissenschaftlers Jürgen Straub62 . 56 57 58 59 60 61 62
Vgl. hierzu die Interviews im Anhang dieser Arbeit. Insbesondere: Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999 und Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985. Insbesondere: Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012 sowie ders., Erfahrung und Tatsache, 1983. Insbesondere: Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums, 1988. Insbesondere: Jürgen Straub, Personale und kollektive Identität, 1998 sowie ders., Identität, 2011.
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Einleitung
Trotz diverser Differenzen weisen die Diskurse zu kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität viele Gemeinsamkeiten auf. Insbesondere sind sich die Autor:innen über die Grenzen ihrer Disziplinen hinaus weitestgehend darin einig, dass Gedächtnis, Erbe und Identität sozial bedingt sind und gleichzeitig ihrerseits soziales Handeln bedingen. Das Gedächtnis einer sozialen Gruppe hat demnach – ebenso wie ihr Erbe und ihre Identität – keine allgemeingültige und unveränderbare Form. Vielmehr werden kulturelles Gedächtnis, kulturelles Erbe und kulturelle Identität stetig neu ausgebildet, umgeformt und tradiert. Im kulturwissenschaftlichen Diskurs werden zu diesen Konstruktions- und Umbildungsprozessen von verschiedenen Wissenschaftler:innen diverse Modelle vertreten, die im Verlauf der Dissertation verglichen werden. In diese Diskussion werden neben den Argumentationen der bereits genannten Autor:innen unter anderem auch solche des Ethnologen Gottfried Korff63 und der Juristin Heike Krischok64 einbezogen. Des Weiteren wird die praktische Arbeit der Archäolog:innen als Arbeit mit und an Gedächtnis, Erbe und Identität reflektiert. Die Arbeit der Archäologischen Landesmuseen kann grob in drei Stufen unterschieden werden: (1) Erkennen, Ausgraben, Dokumentieren und Sammeln (vom Feld ins Museum), (2) Konservieren, Kategorisieren, Bewahren und Erforschen (im Museum) und (3) Veröffentlichen, Ausstellen und Vermitteln (vom Museum zum Publikum). Die erste Stufe ist die notwendige Vorbedingung für die Stufen (2) und (3) und soll daher nicht unberücksichtigt bleiben, auch wenn sie nicht von allen Museen selbst übernommen wird. Es soll in meiner Arbeit aber nicht um konkrete Grabungstechniken, Konservierungsmethoden oder Ähnliches gehen, sondern vielmehr sollen Akte wie Sammeln, Bewahren, Erforschen und Ausstellen allgemein als kulturelle Operationen betrachtet und auf ihrer Metaebene reflektiert werden. Neben persönlichen Studien- und Praxiserfahrungen in der Ur- und Frühgeschichtsforschung haben dafür unter anderem das archäologietheoretische und -kritische Werk von John Carman65 sowie einige Klassiker der Einführungsliteratur wichtige Impulse geliefert, da dort oft nicht nur die grundlegenden Methoden und Arbeitsweisen der Archäologie erläutert werden, sondern vereinzelt auch kritische Betrachtungen der Geschichte und der Rolle des Fachs in der Gesellschaft angestellt werden.66 Im dritten Teil der Dissertation wird schließlich der Frage nachgegangen, wie der Umgang mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität sich in den Dauerausstellungen der Archäologischen Landesmuseen niederschlägt, die ein konkretes, konzentriertes Ergebnis der Museumsarbeit sind. Es soll analysiert werden, ob diese Themen in den Ausstellungen berührt werden und wie sich die Narrative der Ausstellungen insbesondere mit Blick auf eine kulturelle Identität interpretieren lassen. Dafür werden die Dauerausstellungen der vier genannten Museen hinsichtlich ihrer Exponate und Ausstellungstexte, aber je nach Fall auch mit Blick auf weitere Vermittlungs-
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Insbesondere: Gottfried Korff, Museumsdinge, 2002. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016. Insbesondere: John Carman, Archaeology and Heritage, 2002 sowie ders., Against Cultural Property, 2005. Beispielsweise in: Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013.
Archäologie als ethischer Kompass – ethischer Kompass der Archäologie?
formen wie Videos und Installationen analysiert. Zusätzlich werden die mit den Direktor:innen und Kuratoren geführten Interviews ausgewertet, um die Intentionen der Ausstellungsmacher:innen zu erhellen. Dabei sollen auch die unterschiedlichen Strategien des Ausstellens und Inszenierens in den Blick genommen werden. Sie stellen verschiedene Ansätze der Vermittlung von Ur- und Frühgeschichte dar und ermöglichen Besucher:innen unterschiedliche Zugänge. Die durch die Ausstellungsanalysen extrahierten Narrative werden abschließend im Hinblick darauf kritisch bewertet, welche Chancen und Problemstellungen ihnen inhärent sind und wie sich Letztere möglicherweise vermeiden ließen. Die Frage nach der Beeinflussung individueller Wahrnehmung, also ob und, falls ja, wie die Ausstellungen die Vorstellungen ihrer Besucher:innen etwa bezüglich deren eigener kultureller Identität beeinflussen, kann und soll in meiner Arbeit nicht empirisch untersucht werden.67 Als mögliche Konsequenz soll diese Möglichkeit aber ernst genommen werden. Die Kulturpolitik antizipiert eine derartige Beeinflussung offensichtlich, begründet sie doch die Unterhaltung von Kulturinstitutionen wie Museen und Denkmälern damit, dass solche kulturellen Angebote der Identifizierung der Bevölkerung mit dem Land dienen würde und sogar wirtschaftliche Vorteile mit sich brächte. Im Gegensatz dazu wollen zahlreiche Archäolog:innen die Verwicklung ihrer Arbeit in politische Programme vermeiden und zeigen damit, dass sie eine solche Beeinflussung nicht für ausgeschlossen halten. Die Popularität ur- und frühgeschichtlicher Themen und Motive im populistischen und rechtsradikalen Spektrum beweist, dass zumindest Fiktionen, die an Vorstellungen zur prähistorischen Vergangenheit angelehnt sind, als identitätsstiftende Merkmale und politische Ideologien dienen können. Welche Vorstellungen zur prähistorischen Vergangenheit Archäologische Landesmuseen ihren Besucher:innen vermitteln, kann demnach für unser gesellschaftliches Zusammenleben nicht unerheblich sein.
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Dies wäre eine Aufgabe für eine breit angelegte Besucher:innenforschung, für die ein sozialwissenschaftlicher oder gar psychologischer Ansatz m.E. besonders fruchtbar sein könnte.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
Begriffsbestimmungen, historische Abrisse und Ausführungen zu juristischen Grundlagen oder Organisationsstrukturen eines Gegenstandes sind als Einstieg in ein Thema heikel. Denn nach einer bestenfalls Interesse weckenden Einleitung stellen enzyklopädische Einführungen einen Spannungsabfall dar, der wenig zum Weiterlesen motiviert. Das hier vorliegende Teilkapitel soll natürlich keinen solchen Effekt haben. Ich komme jedoch nicht umhin, an den Anfang dieser wissenschaftlichen Abhandlung einen Text zu stellen, der die grundlegenden Begriffe, die institutionelle und rechtliche Organisation sowie die Entwicklungsprozesse skizziert, die der heutigen Situation der Archäologie in Deutschland vorangegangen sind. So soll die Annäherung an den komplexen Gegenstand des Archäologischen Landesmuseums schrittweise vollzogen werden und es kann eine solide Basis für die weiteren Reflexionen geschaffen werden. Den Leser:innen sollen dabei auch schon einige Streitfragen im Bereich der Archäologie aufgezeigt werden, und so können sie sich, nach der Lektüre mit dem erforderlichen Rüstzeug ausgestattet, der Diskussion um die Aufgaben und das Potenzial von Archäologischen Landesmuseen zuwenden. Zuvor soll zu diesem Zweck der grundlegende Begriff der Archäologie beleuchtet werden. Während Vor- beziehungsweise Ur- und Frühgeschichte in der Alltagssprache wenig gebräuchliche und eher unbekannte Begriffe sind, scheint das Wort »Archäologie« fantasiereiche Assoziationen zu wecken. Wer denkt dabei nicht an Abenteuer, Pyramiden oder klassisch-antike Statuen? Das Wort leitet sich vom griechischen »archaíos« (alt) und »lógos« (Lehre von) ab und bezeichnet die Geschichtswissenschaft, deren Quellen überwiegend aus materiellen Hinterlassenschaften bestehen. Bereits in der Antike wurde mit Archäologie die Kunde von den Anfängen und alten Geschichten bezeichnet. Zu Beginn der Archäologie als einer Wissenschaft standen vor allem die Kunstwerke der Klassischen Antike im Fokus, und noch heute wird die Bezeichnung Archäologie häufig synonym für die Beschäftigung mit den Hinterlassenschaften der griechischen und römischen Antike verwendet. Diese bildet allerdings nur den Schwerpunkt eines Teilbereichs der archäologischen Disziplin, nämlich der Klassischen Archäologie. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida unterscheiden in ihrem Einführungswerk Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie insgesamt sieben solcher Teilbereiche, die jeweils von fachspezifischen Traditionen, Quellen und Methoden geprägt sind und auf bestimmte räumliche, zeit-
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
liche oder inhaltliche Gebiete ausgerichtet sind. Diese sieben Bereiche der Archäologie, die unter den folgenden Termini an deutschen Universitäten gelehrt werden, sind: die Ur- und Frühgeschichtliche, die Biblische, die Vorderasiatische, die Klassische, die Provinzialrömische und die Christliche Archäologie sowie die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Aufgrund ihrer räumlichen, zeitlichen und inhaltlichen Ausrichtungen sind vor allem die Ur- und Frühgeschichte, die Provinzialrömische Archäologie und die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Forschungsbereiche der Archäologischen Landesmuseen in Deutschland. Die Ur- beziehungsweise auch Vor- und Frühgeschichte genannte Fachrichtung unterscheidet sich von den übrigen archäologischen Teilbereichen vor allem darin, dass sie nur in Einzelfällen auf schriftliche Quellen zurückgreifen kann, während die anderen sechs Disziplinen sich auf mehr oder weniger umfangreiche schriftliche Überlieferungen stützen können. Darüber hinaus fehlt der Ur- und Frühgeschichte eine räumliche Begrenzung.1 Sie kann sich mit der gesamten, globalen Entwicklungsgeschichte der Menschheit von ihren Anfängen bis zum Frühen Mittelalter befassen – davon ausgenommen sind die Spezialgebiete zu den frühen Schriftkulturen, etwa das der klassischen Antike, der vorderasiatischen Antike oder der Ägyptologie2 – und dabei unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie ist […] eine Historische Kulturwissenschaft. Sie befasst sich mit allen Hinterlassenschaften aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit, die Erkenntnisse über den Menschen, seine zeittypischen sozialen und politischen Gemeinschaftsformen, sein Wirtschaften, seine kulturellen Hervorbringungen, kurz über sein Leben und Sterben zu geben vermögen.3 Aufgrund ihrer umfassenden zeitlichen und räumlichen Ausrichtung bezeichnet die Urund Frühgeschichte auch nicht nur ein wissenschaftliches Fach, sondern wird – anders als beispielsweise die Klassische oder die Vorderasiatische Archäologie – überdies als Überbegriff für eine große Epoche verwendet, deren Beginn vage beim Auftreten der frühen Menschenformen verortet wird, während ihr Ende in Mitteleuropa durch den Übergang vom Früh- zum Hochmittelalter markiert wird.4 Die Begriffe Ur- und Vorgeschichte können synonym verwendet werden, allerdings wird inzwischen oft der Begriff Urgeschichte bevorzugt. So beispielsweise von Eggert und Samida, die ihre Entscheidung damit begründen, dass es sich bei der sogenannten Vorgeschichte nicht um eine Zeit vor der eigentlichen Geschichte handele, »sondern lediglich um einen überaus langen Zeitraum menschlicher Existenz, aus dem wir – wie zuvor ausgeführt – keine Schriftzeugnisse besitzen«.5 Mit dem Begriff Urgeschichte zielen Eggert und Samida also auf die Aufhebung der strengen Unterscheidung zwischen Historiographie und mündlichen, bildlichen, rituellen oder sonstigen Formen von Vergangenheitsüberlieferung ab. Das ist auch ange1 2
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Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 5–9. Die Ägyptologie gehört, das sei nur nebenbei bemerkt, fachlich gesehen nicht zur Archäologie, sondern zu den Philologien, wenngleich sie sich in der Feldforschung vieler archäologischer Methoden bedient. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 14. Wobei freilich auch da eine Zäsur schwer zu bestimmen ist und das Ende des Früh- beziehungsweise der Beginn des Hochmittelalters nicht klar zu definieren sind. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 14.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
bracht, schließlich wurden und werden auch in nichtschriftlichen Gesellschaften Erinnerungen an die Vergangenheit gesammelt, gespeichert und überliefert. Die Argumentation von Eggert und Samida impliziert aber auch, dass Geschichte gewissermaßen synonym mit dem Begriff Vergangenheit in einem linearen Zeitmodell verwendet werden kann und somit die kontinuierliche Abfolge aller Ereignisse vor dem gegebenen Punkt in der Gegenwart meint.6 Ein solcher Gebrauch des Wortes Geschichte birgt das Risiko, die Vorstellung einer universalen, faktischen Gesamtheit von Ereignissen mit klarer chronologischer und kausaler Abfolge in den Begriff der Geschichte einzupflanzen – die Vorstellung einer einzigen wahren und als Wahrheit erfassbaren Geschichte. Dadurch wird kaschiert, dass es nicht die Geschichte, sondern lediglich Geschichten gibt, bei denen es sich stets um Erzählungen handelt und die jeweils nur ein Vergangenheitsnarrativ neben vielfältig anders konstruierbaren darstellen. Der narrativ konstruierte Charakter jeglicher Form von Vergangenheitsüberlieferung soll daher an dieser Stelle ausdrücklich betont und im Laufe der Arbeit bei der Verwendung des Terminus Urgeschichte als Epochen- und Fachbegriff mitgedacht werden. Mit dem Begriff »Vorgeschichten« soll währenddessen zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich bei jeder Form der Vergangenheitspräsentation um eine Erzählung handelt, die das Geschehen, das der Situation zu einem gegebenen Zeitpunkt vorangegangen sein soll, narrativ organisiert, produziert und kommuniziert. Im zweiten Teil der Arbeit wird insbesondere mit den Reflexionen zur Bildung kultureller Gedächtnisse und Identitäten diese narrativ-konstruktivistische These noch weiter argumentativ vertreten. Ur- und Frühgeschichte sowie die übrigen archäologischen Teilgebiete bezeichnen also Facetten der Archäologie als akademischer Disziplin. Aber archäologische Forschung findet längst nicht nur im universitären Umfeld statt. In Deutschland ist sie unter dem Begriff der Denkmal- beziehungsweise, genauer, der Bodendenkmalpflege institutionalisiert sowie föderal organisiert, denn sie betrifft den Denkmal- und Kulturgutschutz, der als Teil der Kulturpolitik in den Aufgabenbereich der Bundesländer fällt. Das folgende Zitat von Dieter J. Martin und Michael Krautzberger soll den Begriff Bodendenkmalpflege erhellen: Die Bodendenkmalpflege (archäologische Denkmalpflege und paläontologische Denkmalpflege) ist eine Sparte der Denkmalpflege und ein Pendant zur Bau- und Kunstdenkmalpflege; sie umfasst Maßnahmen zur Erforschung, Erhaltung, Inwertsetzung und Präsentation der Bodendenkmäler und der archäologischen Funde. Der Bodendenkmalschutz als Teilbereich des Denkmalschutzes beschreibt dementsprechend gesetzliche Spezialregelungen und hoheitliche Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für das archäologische oder paläontologische Erbe. Der bisweilen synonym zu Bodendenkmalpflege verwendete Begriff Archäologie meint in diesem Kontext nicht die wissenschaftliche Disziplin als solche, sondern bezieht sich vorwiegend auf
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Dies ist eine Vorstellung, die auch Hans Jürgen Eggers in seinem Standardwerk Einführung in die Vorgeschichte vertreten hat, wo er schreibt: »[E]s gibt nur eine Geschichte, und zu dieser gehört auch in vollem Umfang die Vorgeschichte. Unterschieden sind diese beiden Wissenschaften nur durch die Andersartigkeit ihrer Quellen: hier Schriftquellen, dort Bodenfunde.« (Hans Jürgen Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, 2010, S. 16, Hervorhebungen i. O.)
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
bestimmte Organisationsformen (Stadtarchäologie, Kreisarchäologie, Landesamt für Archäologie, Verband der Landesarchäologen).7 Um im folgenden Teilkapitel die Archäologischen Landesmuseen als Typus charakterisieren und als Institution der Bodendenkmalpflege organisatorisch verorten zu können, sollen hier zunächst die Organisation der archäologischen Forschung in Deutschland und deren historische Entwicklung umrissen werden. Da Denkmalschutz und -pflege Angelegenheit der Bundesländer sind, ist die Organisation der entsprechenden Behörden in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Die Länder erlassen die Denkmalschutzgesetze und sind natürlich auch für deren Vollzug zuständig. Die Gliederung der Denkmalschutzbehörden folgt in der Regel einer dreiteiligen Hierarchie: An oberster Stelle stehen die Obersten Denkmalschutzbehörden, also das für die Denkmalpflege zuständige Landesministerium oder die Senatsbehörde des Bundeslandes. Daneben stehen die durch die Denkmalschutzgesetze vorgesehenen Landesdenkmalämter oder auch Denkmalfachbehörden genannt, die nur der Obersten Denkmalschutzbehörde unterstellt sind. Sie sind für die Unteren Denkmalbehörden beratend tätig und vertreten die Interessen der Denkmalpflege bei allen öffentlichen Planungen. Die Oberen Denkmalbehörden sind nicht in jedem Bundesland vorgesehen. Sie stellen eine Zwischenebene zwischen Oberster Denkmalschutzbehörde sowie Landesdenkmalamt einerseits und den Unteren Denkmalbehörden andererseits dar. Sie haben in der Regel die Fachaufsicht über einige ihnen unterstellte Untere Denkmalbehörden. Die Unteren Denkmalbehörden schließlich führen Denkmalschutz und -pflege auf kommunaler Ebene aus.8 Die Denkmalfachämter beziehungsweise Landesdenkmalämter sind für die archäologischen Hinterlassenschaften auf dem Gebiet ihres Bundeslandes zuständig. Die Denkmalschutzgesetze weisen ihnen einige Grundaufgaben wie die Erfassung und Inventarisierung von Fundstellen und -stücken, die Beurteilung der Denkmaleigenschaften von Funden, die Durchführung von Rettungsgrabungen, die Dokumentation und Bergung von Funden und Befunden9 , die Sammlung, Bewahrung und Konservierung archäologischer Quellen, die Erforschung von Fundstellen und Denkmälern und die Vermittlung und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse zu.10 An den Landesdenkmalämtern sind demnach die Landesarchäolog:innen tätig und oft ist an diese Ämter auch ein Landesmuseum angegliedert. Der Schutz von Denkmälern und Kulturgütern hat in Deutschland einen hohen gesetzlichen Stellenwert und ist in vielen Bundesländern bereits in der Verfassung verankert.11 Auf Länderebene spezifizieren die Denkmalschutzgesetze die Maßnahmen zu Schutz und Pflege von Denkmälern und Kulturgütern. Die Lektüre der Denkmalschutzgesetze ermöglicht darüber hinaus aber zum Teil auch Aufschlüsse darüber, welche Auf-
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Dieter J. Martin und Michael Krautzberger, Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege, 2017, S. 2. Vgl. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz, Denkmalschutz in den Ländern, online. Die Archäologie unterscheidet Funde und Befunde. Während ein Fund ein bewegliches Objekt ist, bezeichnet Befund die gesamten beobachtbaren und dokumentierbaren Fundumstände wie im Boden erhaltene Spuren und Strukturen. Vgl. Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland, Denkmalfachbehörden in der Bundesrepublik Deutschland, online. Vgl. Wolfgang Eberl u.a., Kulturgüter, 2016, S. 3.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
gaben die Kulturpolitik den Denkmalbehörden überträgt und welche Motivation dahintersteht. Alle Bundesländer erklären zunächst im jeweils ersten Paragraphen ihrer Denkmalschutzgesetze, dass es zu ihren Aufgaben gehöre, Denkmäler zu schützen, zu pflegen, zu erhalten, vor Gefährdung zu bewahren, zu bergen und zu erforschen. Weiter begründet oder reflektiert wird dies zwar nicht in allen Fällen, doch aber in einigen nennenswerten: Das Bayerische Denkmalschutzgesetz (BayDSchG) bringt in Art. 1 Abs. 1 die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Erhaltung von Denkmälern aufgrund ihrer »geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung« im Interesse der Allgemeinheit liegt.12 In Brandenburg (BbgDSchG) sollen Denkmäler aufgrund ihrer Eigenschaft als »Quellen und Zeugnisse menschlicher Geschichte und prägende Bestandteile der Kulturlandschaft« bewahrt und erforscht werden,13 im Saarland (SDschG) wird ähnlich mit dem Charakter von Kulturdenkmälern als »Zeugnisse[n] menschlicher Geschichte und örtlicher Eigenart« argumentiert,14 und auch in den Denkmalschutzgesetzen Sachsen-Anhalts (DenkmSchG LSA) und Thüringens (ThürDSchG) wird auf den Quellen- und Zeugnischarakter von Denkmälern verwiesen, um Denkmalschutz und -pflege zu begründen.15 Schleswig-Holstein sticht mit Blick auf die formulierten Aufgaben und Ziele in Denkmalschutzgesetzen besonders hervor, denn dem Denkmalschutzgesetz dieses Landes (DSchG SH 2015) ist eine Präambel vorangestellt, die Orte, Objekte und immaterielle Zeugnisse als Erinnerungen an die Vergangenheit beschreibt und ihnen eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft zuweist. Die Präambel formuliert des Weiteren, dass die Gesellschaft »ihre Identität sowie Toleranz und Solidarität mit verschiedenen Gruppierungen, einschließlich den Minderheiten«, durch Denkmäler schütze und vertiefe: »Denkmalschutz und Denkmalpflege ermöglichen es künftigen Generationen, Geschichte zu erfahren, wahrzunehmen, zu interpretieren und zu hinterfragen.«16 Alle Denkmalschutzgesetze schreiben die Erhaltung von Dingen vor, die aus wissenschaftlichen, künstlerischen, städtebaulichen oder volkskundlichen Gründen für die Öffentlichkeit von Interesse sind. Die meisten definieren dabei Bodendenkmäler als bewegliche und unbewegliche Denkmäler, die Quellen, Zeugnisse oder Überreste der Vergangenheit darstellen und sich im Boden oder in Gewässern befinden oder befanden und somit Gegenstand archäologischer Forschung sind.17 Besonders interessant im Bereich der gesetzlichen Bestimmungen zum Denkmalschutz ist das sogenannte Schatzregal, das den Eigentumsanspruch an Objekten, die in der Erde oder in Gewässern und Mooren entdeckt werden und von wissenschaftlichem Wert sind, dem Bundesland zuweist und das bis auf Bayern alle Bundesländern in ihren Denkmalschutzgesetzen verankert haben. Es betrifft immer bewegliche Boden- oder
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Vgl. Teil 1 Art. 1 Abs. 1 BayDSchG. Vgl. § 1 Abs. 1 BbgDSchG. Vgl. § 1 Abs. 1 SDschG. Vgl. § 1 Abs. 1 DenkmSchG LSA sowie § 1 Abs. 1 ThürDSchG. Vgl. Präambel DSchG SH 2015. Vgl. beispielsweise § 2 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 5 DenkmSchG LSA.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Kulturdenkmäler, die herrenlos sind oder so lange verborgen waren, dass ihre Eigentümer nicht mehr ermittelt werden können. Herrenlos bedeutet im juristischen Sinne, dass Sachen von ihren ursprünglichen Eigentümern aufgegeben oder weggeworfen, also beispielsweise in Abfallgruben entsorgt wurden:18 An herrenlosen Sachen erwirbt jeder, der solche Sachen in Eigenbesitz nimmt, Alleineigentum (§ 958 Abs. 1) außer wenn die Aneignung gesetzlich verboten ist oder durch die Besitzergreifung das Aneignungsrecht eines anderen verletzt wird.19 Das Schatzregal regelt also, dass die Finder:innen von archäologischen Objekten diese nicht behalten dürfen, selbst wenn diese herrenlos sind. Es gibt natürlich auch Bodendenkmäler, die nicht herrenlos sind. Sie wurden von ihren Eigentümer:innen »ohne die Absicht, das Eigentum daran aufzugeben – im Boden versteckt/vergraben/weggeworfen […]. Solche Sachen sind Eigentum der seinerzeitigen Eigentümer geblieben, ggf. Eigentum ihrer Rechtsnachfolger geworden«.20 Demnach sind beispielsweise Funde aus Deponierungen nicht herrenlos, sondern noch immer Eigentum ihrer ursprünglichen Eigentümer:innen oder deren Rechtsnachfolger:innen. Zu solchen Rechtsnachfolger:innen machen sich die Bundesländer mit dem Schatzregal. Dieses Vorgehen steht gewissermaßen in Widerspruch zu § 984 des BGB, der in Anlehnung an die sogenannte Hadrianische Teilung aus römischem Recht Schatzfunde jeweils zur Hälfte dem Miteigentum der Entdecker:innen und der Grundstückseigentümer:innen zuweist. Schätze werden in diesem Gesetz als Sachen definiert, deren Eigentümer:innen nicht mehr ermittelt werden können, weil sie zu lange verborgen gelegen haben. In diesem Sinne können auch archäologische Funde in der Regel als Schätze gelten. Das Eigentum an ihnen müsste dem BGB zufolge also eigentlich, der Hadrianischen Teilung nach römischem Recht entlehnt, hälftig an Finder:innen und Grundstückseigentümer:innen fallen. Allerdings, darauf haben Wolfgang Eberl u.a. in einem Handbuch zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Umgang mit Denkmälern und Kunstwerken hingewiesen, wurde im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch »festgelegt, dass die landesgesetzlichen Regelungen über Regalien (Schatzregal)« davon unberührt bleiben.21 Das Schatzregal geht auf den Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert zurück, wo es heißt: »Jeder Schatz, der tiefer in der Erde vergraben ist, als ein Pflug geht, gehört in die Verfügungsgewalt des Königs.«22 Jegliche Bodenschätze stehen demnach dem Landesherrn zu. Diese auf mittelalterlichem Recht basierende Regelung der Landesgesetze wird
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Vgl. Wolfgang Eberl u.a., Kulturgüter, 2016, S. 111. Ebd., S. 111. Vgl. ebd., S. 111. Vgl. ebd., S. 111f., Zitat S. 112. Die Hadrianische Teilung herrscht noch immer im österreichischen Recht. Im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es in § 399: »Von einem Schatz erhalten der Finder und der Eigentümer des Grundes je die Hälfte.« (§ 399 ABGB.) Allerdings wird der zuständigen Gebietskörperschaft mit dem § 10 des Denkmalschutzgesetzes an Bodendenkmalen ein Ablöserecht am Anteil des Grundstückseigentümers eingeräumt. (§10 Abs. 1 DMSG.) In der Schweiz und in Liechtenstein dagegen regelt das Schatzregal im Zivilgesetzbuch (Schweiz) beziehungsweise im Sachenrecht (Liechtenstein), dass archäologische Funde in das Eigentum des Kantons beziehungsweise des Landes übergehen (Art. 724 Abs. 1 ZGB sowie Art. 445 Abs. 1 SR). Zitiert nach Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 119.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
als Ausnahme für die im Ursprung antik-römische Regelung des § 984 BGB anerkannt, wobei sich freilich die Frage stellt, warum moderne Gesetze überhaupt auf römisches und mittelalterliches Recht aufbauen sollten. In jedem Fall sind aufgrund des Schatzregals Funde immer unverzüglich einer Denkmalschutzbehörde oder der Denkmalfachbehörde zu melden. Zur Anzeige verpflichtet sind die Finder:innen, die Eigentümer:innen beziehungsweise Besitzer:innen des Grundstücks sowie die Unternehmer:innen und die Leiter:innen der Arbeiten, die zu dem Fund geführt haben. In Mecklenburg-Vorpommern (DSchG M-V) sind sogar zufällige Zeug:innen zur Meldung verpflichtet, wenn sie den Wert des Fundes erkennen.23 Nur die Denkmalfachämter sind dann berechtigt, den Fund auszuwerten, zu bergen und zur wissenschaftlichen Bearbeitung in Besitz zu nehmen. Ein kurzer Blick auf das 2016 in Kraft getretene Kulturgutschutzgesetz (KGSG) soll die Ausführungen zu den juristischen Grundlagen der archäologischen Tätigkeit in Deutschland abschließen. Das Kulturgutschutzgesetz erklärt nämlich durch einige Begriffsdefinitionen signifikanterweise archäologische Objekte zu »nationalem« Kulturgut. Zunächst definiert das Gesetz im ersten Absatz des Paragraphen 2 archäologische Kulturgüter als »bewegliche Sachen oder Sachgesamtheiten, die von Menschen geschaffen oder bearbeitet wurden oder Aufschluss über menschliches Leben in vergangener Zeit geben, sich im Boden oder in einem Gewässer befinden oder befunden haben oder bei denen aufgrund der Gesamtumstände dies zu vermuten ist«. Des Weiteren bezeichnet der Begriff Kulturgut im Sinne des Gesetzes »jede bewegliche Sache oder Sachgesamtheit von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder aus anderen Bereichen des kulturellen Erbes, insbesondere von paläontologischem, ethnographischem, numismatischem oder wissenschaftlichem Wert«.24 In Paragraph 6 wird sodann festgestellt, dass »nationales Kulturgut« ein Kulturgut ist, das »sich in öffentlichem Eigentum und im Bestand einer öffentlich-rechtlichen Kulturgut bewahrenden Einrichtung befindet«.25 Da dies auf alle archäologischen Funde im Bestand der zuständigen Landesdenkmalämter zutrifft, gelten solche Funde automatisch als nationales Kulturgut und unterliegen somit »als Teil des kulturellen Erbes Deutschlands dem Schutz gegen Abwanderung aus dem Bundesgebiet nach diesem Gesetz« (§ 5). Bedeutet dies in letzter Konsequenz, dass die Kulturhoheit der Länder da endet, wo vermeintlich nationale Interessen anfangen? Und wer definiert solche »nationalen« Interessen? Auf die problematische Deutung materieller Kultur aus ur- und frühgeschichtlichen Epochen als Ausdruck einer »nationalen« Kultur soll insbesondere im Kapitel I.3 sowie in Teil II dieser Arbeit noch eingegangen werden. Die heutige Situation der Archäologie in Deutschland ist das Ergebnis einer langsamen, aber stetigen Emanzipierung, Professionalisierung und Differenzierung des Fachs, die rund 200 Jahre in Anspruch genommen haben. Detaillierte und umfassende historische Untersuchungen hierzu finden sich unter anderem bei Glyn Daniel, Hans Jürgen Eggers, Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Georg Kossack sowie Martin
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Vgl. § 11 Abs. 1 DSchG M-V. § 2 Abs. 1 KGSG. § 6 Abs. 1 KGSG.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Trachsel; sie sollen hier nicht in aller Länge wiederholt werden.26 Die Entwicklung soll lediglich grob, vor allem mit Blick auf die Institutionalisierung der archäologischen Forschung, nachgezeichnet werden, um die für die Auseinandersetzung mit der Arbeit Archäologischer Landesmuseen wesentlichen Punkte vorzulegen. Dabei stütze ich mich insbesondere auf Alexander Gramschs Aufsatz Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens in Deutschland, in dem der Archäologe die Wurzeln der archäologischen Forschung im erstarkenden Bürgertum des 19. Jahrhunderts verortet.27 Mindestens bis zur Frühen Neuzeit wurden urgeschichtliche Artefakte meist noch für Naturprodukte oder mythologische Objekte gehalten. Faustkeile wurden als Donnerkeile gedeutet, die durch Blitzeinschlag entstanden und als Schutz vor Blitzen und allerlei Unheil dienen sollten. Über urgeschichtliche Urnen gab es gleich mehrere Theorien: Manche hielten sie für natürlich gewachsene Objekte, andere glaubten, sie seien von Zwergen benutzt und in der Erde hinterlassen worden. Megalithbauten galten als Schöpfungen von Riesen.28 Gramsch hat dargelegt, dass – obwohl es bereits in der Renaissance einzelne Fälle gegeben hat, in denen Personen ein Interesse am Altertum gezeigt haben – eine Auseinandersetzung mit Fundstücken der Vorgeschichte erst im 18. Jahrhundert in der sogenannten antiquarischen Epoche auf breiter Basis eingesetzt hat, wobei zu diesem Zeitpunkt zunächst noch die Kunstwerke der klassischen Antike im Mittelpunkt des Interesses standen. Eines der wichtigsten Motive für die Beschäftigung mit heimischen Funden und Bodendenkmälern scheint Gramsch zufolge aber darin bestanden zu haben, die lokale Vergangenheit über die vorhandenen Schriftquellen hinaus zu erschließen und einer romantischen »Lust am Urtümlichen, Originärem, in dem der Geist des eigenen Volkes bewahrt zu sein schien«, sowie einer Sehnsucht nach dem »Einfachen, Ursprünglichen, Naturnahen, aber auch Düsteren« zu folgen.29 Hans Jürgen Eggers hat plausibel dafür argumentiert, dass Jean-Jacques Rousseaus Forderung »zurück zur Natur« das Interesse an primitiven Kulturen der Gegenwart und des alten Europa zumindest indirekt gefördert habe. Unter diesem Einfluss sieht Eggers auch Johann Gottfried Herder und die Romantiker, die der Altertumsforschung im frühen 19. Jahrhundert starken Auftrieb verschafften. Verstärkt wurde dieser noch durch einige politische Bewegungen, die Folgen der Französischen Revolution, des Imperialismus und der Befreiungskriege waren.30 So kam es in den Jahren um 1800 und insbesondere nach dem Wiener Kongress 1815 zu gewichtigen sozialen Umbrüchen. Das aufsteigende Bürgertum suchte soziale Repräsentationsformen und gleichzeitig wurden in den jungen Staaten neue Wege kollektiver Identifikation nötig, und zwar für Herrscher und Beherrschte gleichermaßen. Die Altertumsforschung als romantisch inspirierte Heimatkunde habe sich zur Schaffung solcher neuen kollektiven Identitäten angeboten, denn die Konzepte Heimat beziehungsweise 26
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Vgl. Glyn Daniel, Geschichte der Archäologie, 1990; Hans Jürgen Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, 2010; Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013; Georg Kossack, Prähistorische Archäologie in Deutschland, 1999; Martin Trachsel, Ur- und Frühgeschichte, 2008. Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 2. Vgl. Hans Jürgen Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, 2010, S. 25f. Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 2f., Zitat S. 3. Vgl. Hans Jürgen Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, 2010, S. 31f.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
Vaterland seien insbesondere auf spezifische Landschaften und die Vorzeit gestützt worden. Indem Funde und Denkmäler aus vorgeschichtlicher Zeit als vaterländische Altertümer bezeichnet worden seien, habe an ihnen ein historisches Bewusstsein gegenüber der Heimat entwickelt werden können, welches wiederum der Identitätsbildung in den neuen Fürstentümern und Königreichen habe dienen sollen.31 Damit hatte die Altertumskunde gegenüber der Klassischen Archäologie nun eine Trumpfkarte in der Hand. Dem sogenannten Romanismus wurde ein Germanismus entgegengesetzt, der »in Relikten nicht-römischer Art und vor-römischer Zeit vor allem Zeugnisse deutscher Geschichte und in deren Erforschung das vornehmste Ziel« sah.32 Neben der regionalen und kleinstaatlichen Identitätsbildung wurde auch eine deutschnationale Identitätsbildung durch die Altertumsforschung betrieben. Sie setzte vorgeschichtliche Völker mit modernen Nationen gleich und grenzte sie gegeneinander ab. Die Ursprünge eines solchen national-vorgeschichtlichen Denkens verortet Alexander Gramsch wie Eggers in der Philosophie des 18. Jahrhunderts, insbesondere den Theorien Herders. Dieser habe in verschiedenen Völkern unterschiedliche Organismen gesehen, die jeweils durch einen ihnen eigenen Volksgeist charakterisiert sein sollten. Gramsch argumentiert, dass die Gleichsetzung der Deutschen mit den Germanen dadurch möglich wurde, dass in Herders Schriften »der ›Geist‹ eines Volkes als etwas Essentielles betrachtet [werde], als ein unveränderliches Ganzes, das die Zeiten überdauert«. Basierend auf diesen Vorstellungen sei die Urgeschichtsforschung Heimatforschung und Erforschung des sogenannten Volkscharakters der Deutschen zugleich geworden.33 Tatsächlich plädiert Herder in seinem Werk für eine stärkere Ausrichtung der Geschichtsforschung und der Bildung auf die »urtümliche«, »germanische« Vergangenheit des »deutschen Volkes« gegenüber der Fokussierung auf die klassische Antike und gibt – richtigerweise – zu bedenken, dass die antiken Überlieferungen zu den »germanischen« Siedlungsgebieten nicht als zuverlässig gelten könnten, weil sie von der Besatzungsmacht aufgezeichnet wurden und dementsprechend politisch gefärbt sind, während die »germanische« Überlieferung ausschließlich mündlich erfolgte und ausgelöscht wurde.34 In seinen Fragmenten über die neuere deutsche Literatur identifiziert er insbesondere das Lateinische als starken, geradezu verfälschenden Einfluss auf die deutsche Sprache. Zwar erkennt Herder die längst stattgefundene starke Vermischung der Sprachen an, die eine klare Trennung dieses Einflusses von einer ursprünglichen »deutschen« Sprache nicht mehr zulässt, aber er macht die Etablierung des Lateinischen dafür verantwortlich, dass das typische Wesen des »deutschen« beziehungsweise »germanischen Volkes« in Vergessenheit geraten sei. Indem dem »Volk« die Sprache genommen worden sei, sei ihm auch sein Wesen genommen worden.35 Dass Herders Schriften später, in der Zeit des Nationalsozialismus, als Aufforderung zur Rückbesinnung auf einen vermeintlichen, »germanischen« Volksgeist verstanden wurden, zeigt die vermutlich aus dem Jahr 1939 stammende Einleitung zum dritten
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Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 4f. Vgl. ebd., S. 5. Vgl. ebd., S. 5f., Zitat S. 6. Vgl. Johann Gottfried Herder, Gesammelte Werke, Dritter Band, 1939, S. 45–49. Vgl. ebd., S. 6–11.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Band der von Franz Schulz herausgegebenen Gesammelten Werke Herders. Der Philosoph wird dort als »Bahnbrecher einer folgerichtigen Deutschkunde«, als »Befreier des deutschen Geistes von verjährten fremden Einflüssen«, als »Künder unverfälschter deutscher Wesensart«, als »Planer einer neuen deutschen Nationalerziehung« und als »Führer der Jugend auf dem Wege zu einer erstrebenswerten deutschen Menschenart« bezeichnet.36 Herder dringt auf den deutsch-germanischen Bestandteil und Urgrund des deutschen Menschen, seines Geistes und seiner Geschichte zurück. Ist es ihm auch bewußt, daß die Dreiheit von Germanentum, Antike und Christentum in der mittelalterlichen und der weiteren Geschichte Deutschlands wirksam ist, so gebietet ihm doch ein Blick auf die Schäden seiner Zeit des 18. Jahrhunderts, das Germanisch-Deutsche aus Verschüttung und Verklammerung herauszuschälen und die Rückkehr zu ihm als ein Gebot der Selbsterhaltung für die deutsche Bildung zu fordern.37 Die Bezugnahme auf den berühmten Denker und der Versuch, die »germanische« Vorgeschichte weiter zu ergründen, bot sich für die nationalsozialistische Ideologie und Propaganda also an. Besonders im Vergleich zur Klassischen Archäologie war die Prähistorische Archäologie somit von Beginn an stärker in Identifikationsprozesse eingebunden. Der Archäologe Alexander Gramsch spricht daher von einem »ethnischen Paradigma«, das die Forschung bis heute präge und die Annahme darstelle, dass Funde und Bodendenkmäler bestimmten Stämmen oder Volksgruppen zugeschrieben werden könnten.38 Martin Roth hat in seinem einschlägigen Werk zu Heimatmuseen ebenfalls nachgewiesen, dass die Ur- und Frühgeschichtsforschung und die neu gegründeten Geschichtsund Altertumsvereine des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts »das Bestreben einer romantisierenden Historie […], die eigene nationale Vergangenheit mit der Größe und Bedeutung der Antike, aber auch der der Nachbarvölker gleichzusetzen«, belegen. Besonders die Vereine trugen dazu bei, ein Heimatbewusstsein in der Bevölkerung herauszubilden und bürgerliche Traditionen zu pflegen. Roth hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Vereinsprogramme sich vielfach von der Idee eines Nationalstaates ohne Klassen abwendeten und das Proletariat ausgrenzten. Das Heimat- und Vaterlandsgefühl wurde mit der Erziehung zum Nationalismus und Militarismus verbunden und so zur Grundlage für den deutschen Chauvinismus. Die im Verein organisierte »Liebe zur Heimat« stellte ein Identitätsangebot dar, »das sich nicht zuletzt auch gegen die identitätsstiftenden Elemente der organisierten Arbeiterbewegung« wendete und das der sozialen Realität des städtischen Industrieproletariats das idealisierte Trugbild einer Agrarromantik entgegensetzte.39 Die ursprünglich von Laien und Autodidakten getragene und in Vereinen organisierte Altertumsforschung professionalisierte sich im 19. Jahrhundert zunehmend und mutierte zur Spatenforschung. Es wurden zahlreiche privatfinanzierte Ausgrabungen betrieben und der Fundanfall war so groß, dass vor allem die Systematisierung und Klassifizierung sowie die Datierung der Artefakte zur Hauptaufgabe der Altertumsforschung
36 37 38 39
Vgl. Franz Schulz (Hg.), Einleitung zu Herder. Gesammelte Werke. Dritter Band, 1939, S. VII. Ebd., S. IX. Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 6. Vgl. Martin Roth, Heimatmuseum, 1990, S. 32.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
wurden. Da die bürgerlichen Altertumsvereine mit der schieren Masse der Funde oft überfordert waren, wurden viele ihrer Sammlungen in größere Museen überführt.40 Die Altertumsvereine waren – wie viele Vereine mit den unterschiedlichsten Themen und Zielen – ein typisch bürgerliches Phänomen des 19. Jahrhunderts. Zunächst waren ihre Mitglieder aktiv tätige Geschichtsfreunde – meist Beamte, Kleriker, Ärzte oder Kaufleute.41 Sie sammelten und publizierten Urkunden, richteten Museen ein und betrieben Denkmalpflege. Damit regten sie auch die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für die Erforschung der (Ur-)Geschichte an und wirkten als Bildungseinrichtungen.42 Nicole Cordier hat dargelegt, dass die Altertumsvereine sich zwar mit regionaler Geschichte auseinandersetzten, dies jedoch immer vor dem Hintergrund der Vorstellung von einer gesamtdeutschen Geschichte taten. Nach der Reichsgründung 1871 wurden umso mehr solcher Vereine gegründet, weil durch das Aufgehen der alten Fürstentümer und Provinzen im Reich ein Erinnerungsbedürfnis entstand.43 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Disziplin der Geschichtswissenschaft allerdings mithilfe immer ausgefeilterer Methoden fortschreitende Erkenntnisse erzielt und infolgedessen ging die Arbeit in den Vereinen von den Amateuren zunehmend auf die professionellen Geschichts- und Altertumsforscher über, also auf Bibliothekare, Kustoden und Archivare.44 Schließlich wurden ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert von staatlicher Seite historische Kommissionen gegründet, die leistungsfähigere Organe der landesgeschichtlichen Forschung darstellen sollten. Ihre räumlichen Arbeitsfelder waren die Bundesstaaten beziehungsweise später die Bundesländer.45 Hinzu kam, dass die Altertumsvereine sich nach dem Ersten Weltkrieg aufgrund des Preußischen Ausgrabungsgesetzes von 1914 und dessen Ausführungsbestimmungen von 1920 in ihrer Tätigkeit umorientieren mussten, denn Ausgrabungen durch private Initiativen waren von da an illegal.46 Die weitere Entwicklung der Bodendenkmalpflege verlief nach dem Zweiten Weltkrieg im Norden und Süden Deutschlands sehr unterschiedlich, wie Jürgen Kunow herausgearbeitet hat: In den Ländern, in denen das preußische Ausgrabungsgesetz von 1914 weiterhin galt, wie in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein, stellten in aller Regel die großen Landesmuseen auch den »Staatlichen Vertrauensmann«, also den Landesarchäologen. Es gab dort auf Länderebene somit die organisatorische Verknüpfung von Bodendenkmalpflege und musealer Tätigkeit; dieses werden wir auch für die DDR noch als charakteristisch kennen lernen. Demgegenüber wählte man in den großen südlichen Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Bayern Organisationsfor40 41
42 43 44 45 46
Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 7. Vgl. Alfred Wendehorst, 150 Jahre Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, 2002, S. 13. Auf die Entwicklung bürgerlicher Vereine soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Eine übersichtliche Darstellung dazu findet sich unter anderem bei Thomas Nipperdey, Vereine als soziale Struktur im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, 1972, S. 1–44. Vgl. Hermann Heimpel, Geschichtsvereine einst und jetzt, 1972, S. 60f. Vgl. Nicole Cordier, Deutsche Landesmuseen, 2003, S. 35. Vgl. Alfred Wendehorst, 150 Jahre Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, 2002, S. 14. Vgl. ebd., S. 36. Vgl. Stefan Kraus, Der Beitrag der Geschichts- und Altertumsvereinigungen, 2013, S. 137.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
men, die von eigenständigen, nicht mit musealen Aufgaben befassten Landesämtern ausgingen. Diese beiden, seit der Nachkriegszeit bestehenden verschiedenen Grundstrukturen finden wir noch heute in der Bundesrepublik vor; einige (nördliche) Länder wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder das Rheinland haben jedoch in der Zwischenzeit eine Trennung der Landesarchäologie vom Landesmuseum vollzogen […].47 Obschon Kunows Beobachtungen in das Jahr 2002 datieren, sind sie auch heute noch weitestgehend gültig. Zu den Ländern, die die museale Tätigkeit formal aus dem Aufgabenbereich des Landesdenkmalamtes gestrichen haben, gehören mit Rheinland-Pfalz und dem Saarland zwei der vier Bundesländer, deren Archäologische Landesmuseen im dritten Teil dieser Arbeit untersucht werden. In den anderen beiden herangezogenen Fällen sind Landesmuseum und Landesdenkmalamt eine gemeinsame Institution. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Sachsen-Anhalt hat dabei die Entwicklung der archäologischen Museen in der DDR durchlaufen. Dort wurden die Museen in Halle, Schwerin, Potsdam, Weimar und Dresden zu sogenannten Forschungsstellen ausgebaut. Sie waren in den ihnen zugewiesenen Territorien für den Bodendenkmalschutz verantwortlich, und da diese Gebiete in der Regel der vormaligen Länderstruktur entsprachen, konnte die Bodendenkmalpflege mit der Wiedereinführung der Bundesländer nach der Wende 1990 bruchlos auf Länderebene fortgeführt werden.48 Auf die Historie der Archäologischen Landesmuseen werde ich im folgenden Teilkapitel noch einmal näher eingehen. Abschließend soll nun noch der Fokus auf die Entwicklung der Disziplin und ihrer Theorien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerichtet werden, die besonders durch den Namen Gustaf Kossinna geprägt ist. Schließlich war es neben anderen Theorien vor allem Kossinnas sogenannte Siedlungsarchäologische Methode, die der nationalsozialistischen Ideologie vonseiten der archäologischen Forschung propagandistische Argumente lieferte und damit ein erschreckendes Beispiel dafür ist, welche gefährliche Rolle eine missbräuchliche Ur- und Frühgeschichtsforschung in einer Gesellschaft spielen kann. Kossinna vertrat die Auffassung, dass die räumliche Verbreitung eines bestimmten Dekorstils oder bestimmter Objektensembles dem Siedlungsgebiet eines ethnisch homogenen Kollektivs entspreche. Mit den sogenannten Kulturprovinzen setzte der Altertumsforscher in seinem Werk eine Deckungsgleichheit von Territorium, materieller Kultur, Sprache und Volk voraus und diente daher später den Nationalsozialisten als wissenschaftliche Legitimation ihrer Ideologien. Die nicht nur durch Kossinna, sondern beispielsweise auch durch Ethnologen wie Leo Frobenius vertretene Annahme, dass durch ethnologische oder archäologische Forschung bestimmte Kulturprovinzen oder Kulturkreise mit ethnisch homogenen Völkern korrelieren, war die Grundlage, auf der monolithische Einheiten wie »die Germanen« oder »die Kelten« konstruiert und als die Vorläufer der modernen Nationen eingesetzt werden konnten.49 Die Altertumskunde 47 48 49
Jürgen Kunow, Die Entwicklung von archäologischen Organisationen und Institutionen, 2002, S. 163. Vgl. ebd., S. 166. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 24. Kossinna bezog sich in seinen Arbeiten zwar nicht ausdrücklich auf die Ethnologen Adolf Bastian, Leo Frobenius, Fritz Graebner oder Bernhard Ankermann, die zeitgleich mit seinem Schaffen die Kulturkreislehre entwickelten, doch seine »Siedlungsarchäologische Methode« weist viele Paral-
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
hat damit die Konstruktion langer Genealogien zeitgenössischer ethnischer und nationaler Gruppen ermöglicht, die das Bewusstsein von Identität stärken und politische Legitimation bieten konnten. Repräsentationen der Vergangenheit müssen jedoch, darauf haben unter anderem Siân Jones und Paul Graves-Brown hingewiesen, als aktiv vom Standpunkt der gegenwärtigen Gesellschaft aus konstruiert erkannt werden.50 An der Instrumentalisierung und Förderung der Archäologie zu ideologischen Zwecken hatten vor allem zwei nationalsozialistische Organisationen Anteil, das sogenannte Amt Rosenberg und das SS-Ahnenerbe. Das Amt Rosenberg wurde nach Alfred Rosenberg benannt, der von Adolf Hitler im Januar 1934 zum »Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP« ernannt wurde. Es besaß eine Abteilung für deutsche Vorgeschichte, als deren Leiter der Archäologe Hans Reinerth eingesetzt wurde. Reinerth drängte mit seiner neuen Autorität die Berufsverbände der Altertumsforscher in den Reichsbund für deutsche Vorgeschichte, der 1933 aus der von Gustaf Kossinna gegründeten Gesellschaft für deutsche Vorgeschichte hervorgegangen war.51 Durch das Amt Rosenberg sollte die deutsche Vorgeschichtsforschung neu ausgerichtet werden. Lehre und Forschung der Archäologie an den Universitäten, Denkmalschutz und Bildungsarbeit durch Museen und Schulen sollten reichsweit einheitlich durch ein Reichsinstitut für deutsche Vorgeschichte koordiniert werden. Dabei wurde die völkisch-ideologische Deutung der archäologischen Quellen zur Norm erhoben.52 Aus der persönlichen Rivalität von Heinrich Himmler und Alfred Rosenberg ging außerdem neben dem Amt Rosenberg auch das SS-Ahnenerbe hervor, das ebenfalls auf die ur- und frühgeschichtliche Bildung der Bevölkerung sowie auf die archäologische Forschung großen Einfluss ausübte.53 Es war am 2. Juli 1935 in Berlin-Dahlem als »Deutsches Ahnenerbe. Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte e. V.« gegründet worden und basierte auf den rassischen Vorstellungen Heinrich Himmlers und des Laienforschers Herman Wirth. Am 20. März 1937 fand die Namensänderung in »Das Ahnenerbe« statt, mit der auch eine Neuorientierung einherging. »Man wollte den ›wissenschaftlichen‹ Beweis der Überlegenheit des ›deutschen Ariers‹ erbringen, wie aber auch ein weltanschauliches Schulungsorgan der SS schaffen.«54 Die Ur- und Frühgeschichte wurde also für die ideologische Propaganda instrumentalisiert. Sie eignete sich gut dazu, auf subtile Art und Weise die zentralen Werte der NS-Ideologie zu transportieren, weil diese vermeintlich wissenschaftlich fundiert waren. Stichworte wie beispielsweise Kameradschaft, Volk, Ehre, Familie, Heimatgefühl, Opferbereitschaft und Heldentum ließen sich vor allem durch den Germanenmythos
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lelen und Überschneidungen mit der Kulturkreislehre auf, sodass man annehmen kann, dass Kossinna die ethnologischen Arbeiten kannte (vgl. Heinz Grünert, Gustaf Kossinna (1858–1931), 2002, S. 72). Vgl. Siân Jones und Paul Graves-Brown, Introduction. Archaeology and Cultural Identity in Europe, 1996, S. 4. Vgl. Christina Hebben, Ein Museum unter dem Hakenkreuz, 2002, S. 101. Vgl. Gunter Schöbel, Einflussnahme des ›Amtes Rosenberg‹, 2013, S. 77. Vgl. Henning Hassmann, Archäologie und Jugend im »Dritten Reich«, 2002, S. 108. Vgl. Achim Leube, Das »Ahnenerbe« der SS und die deutsche Prähistorie, 2013, S. 97.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
emotional vermitteln.55 Der Germanenmythos und insbesondere die Heroisierung des Arminius zum ersten Befreier des deutschen Vaterlandes nahmen schon im 16. Jahrhundert ihren Anfang und wurden ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend populärer. Spätestens im 19. Jahrhundert hatte sich die Gleichsetzung von »germanisch« und »deutsch« nicht nur in verschiedenen Wissenskulturen, sondern auch in der populären Theater- und Opernkultur durchgesetzt und war zum Selbstläufer geworden, der durch den Nationalsozialismus noch weiter an Bedeutung gewann.56 Die Bremer Landesarchäologin Uta Halle hat die Neugestaltung einiger musealer Dauerausstellungen zur Ur- und Frühgeschichte in den 1930er Jahren analysiert und kommt zu dem Ergebnis, dass die didaktische Aufbereitung der Ur- und Frühgeschichte in Museen ab 1933 durch Politik und Wissenschaft zunehmend professionalisiert und im Sinne des Nationalsozialismus perfektioniert wurde. Darüber hinaus wies Halle nach, dass Sonderausstellungen zu ur- und frühgeschichtlichen Themen genutzt wurden, um ideologiekonforme Inhalte zu vermitteln, und dass sogar Propagandaveranstaltungen wie öffentliche Parteitage mit der Ur- und Frühgeschichtsforschung verknüpft wurden.57 Besonders prägend für den nationalsozialistisch-archäologischen Diskurs war, wie bereits erwähnt, das Werk Gustaf Kossinnas. Der Prähistoriker war der Inhaber der ersten außerordentlichen Professur für »Deutsche Archäologie«, die 1902 in Berlin eingerichtet wurde, und damit Inhaber des ersten Lehrstuhls, der speziell der Erforschung der Ur- und Frühgeschichte innerhalb der damals deutschen Territorien gewidmet war. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war die prähistorische Forschung noch von historischen und insbesondere auch von naturwissenschaftlichen Vereinen betrieben worden, da vor allem Anthropologen wie Rudolf Virchow die Funde menschlicher Überreste vor dem Hintergrund der Evolutionstheorie untersucht hatten. Nicht zuletzt auch durch die naturwissenschaftlichen Einflüsse emanzipierte sich die Archäologie methodisch zunehmend von der Geschichtswissenschaft. Durch Typologie, den Vergleich geschlossener Inventare und die Kartierung von Leitfunden versuchte sie von der materiellen Kultur vergangener Zivilisationen zunehmend auch auf ethnische Zugehörigkeiten zu schließen.58 Heinz Grünert hat in seinem umfassenden Werk zu Gustaf Kossinna als dessen übergeordnetes Ziel definiert, die Ursprünge des deutschen Volkes zu ergründen, indem er seine »Vorläufer-Stämme« bestimmte.59 Unter dem Begriff der Siedlungsforschung oder Siedlungsarchäologie verstand Kossinna nicht so sehr Siedlungsformen, -strukturen oder gar -funktionen, sondern vielmehr die Erforschung der Besiedlung als solcher, also der räumlichen Ausbreitung.60 Siedlungsforschung war für Kossinna vornehmlich Besiedlungsgeschichte und archäologische Siedlungsforschung das Bemühen, die ethnische Kontinuität bzw. Diskontinuität von Bevölkerungen mittels ihrer Hinterlassenschaften in »vorgeschichtliche« Zeiträume zu verfolgen. In seinen methodischen Überlegungen gebrauchte Kossinna 55 56 57 58 59 60
Vgl. Henning Hassmann, Archäologie und Jugend im »Dritten Reich«, 2002, S. 110. Vgl. Uta Halle, Germanien zwischen Renaissance und Moderne, 2013, S. 26f. Vgl. Uta Halle, Von der musealen Leichenkammer, 2013, S. 87–91. Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 8–11. Vgl. Heinz Grünert, Gustaf Kossinna (1858–1931), 2002, S. 47. Vgl. ebd., S. 71.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
den Begriff »Siedlung« deshalb auch als Synonym für »Stamm« in der Bedeutung einer Kategorie.61 Kossinna setzte also voraus, dass die Verbreitung einer materiellen Kultur deckungsgleich mit dem Siedlungsgebiet eines Volkes mit gemeinsamer Sprache und Kultur sei.62 Aus der Kartierung von Funden, die einen gemeinsamen Stil aufwiesen (beispielsweise eine bestimmte Art der Keramikverzierung) schloss Kossinna, dass das geografische Verbreitungsgebiet dieser »Kultur« das Land eines ethnisch homogenen Volkes darstelle. Auch diese archäologische Denkweise kann mit Johann Gottfried Herder in Verbindung gebracht werden. Georg Kossack zufolge fußte Kossinnas Ansatz in der durch Herder begründeten Ansicht, dass ein Volk ein begrenztes Gebiet und eine gemeinsame Kultur und Sprache teile. Ein Gebiet, in dem sich eine einheitliche materielle Kultur finden lässt, musste im Umkehrschluss das Siedlungsgebiet eines bestimmten Volkes sein.63 Ebenso haben unter anderem auch Wolfgang Adler64 und Heinz Grünert Kossinnas Theoriekontext erklärt. Bestärkt durch die nationale Begeisterung und die Besinnung auf nationale Wurzeln nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs habe ein gewissermaßen Herder’sches Denken ab Ende des 19. Jahrhunderts wieder an Einfluss gewonnen. Der Nationalstaat erschien nun im Idealbild als Einheit von Volk, Territorium, Sprache und Kultur […] und gestattete infolge dieser Materialisierung vermeintlich in zunehmend einfacheren Formen seine Rückverfolgung in die vorgeschichtlichen Zeiten. Kossinna fügte seit etwa 1912 den ethnisch konstitutionierenden Elementen eines Volkes noch die praktisch nicht nachweisbare und tatsächlich nicht vorhandene Einheit der Rasse hinzu.65 Indem er Scheinbeweise dafür aufstellte, dass die Deutschen ein historisches Anrecht auf große Territorien in Mittel- und Osteuropa hätten, lieferte er der Blut- und Bodenideologie Argumente. Darüber hinaus trug er auch dazu bei, die völkisch-nationalistische Ideologie mit Rassismus zu verschmelzen und die vorgebliche rassische und kulturelle Überlegenheit der Deutschen anderen Völkern gegenüber zu vertreten.66 Kossinna verstarb zwar bereits 1931, aber sein Werk wurde von den Nationalsozialisten aufgegriffen, die ihn als »Ahnherr[n] ihrer Bewegung« feierten.67 Grünert will dies keineswegs als posthumen Missbrauch verstanden wissen, vielmehr sei Kossinna durch seine Beiträge und deren Wirkung auf Anhänger der NS-Ideologie ein Wegbereiter von deren Herrschaft gewesen.68 Natürlich überging Kossinnas siedlungsarchäologische Methode einfach das Problem, dass von archäologischen Funden weder auf die Sprache prähistorischer Menschen geschlossen werden kann, noch von ihnen abgeleitet werden kann, welcher
61 62 63 64 65 66 67 68
Ebd., S. 71. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 24. Vgl. Georg Kossack, Prähistorische Archäologie in Deutschland, 1999, S. 33. Vgl. Wolfgang Adler, Gustaf Kossinna, 1987, S. 47. Heinz Grünert, Gustaf Kossinna (1858–1931), 2002, S. 71. Vgl. ebd., S. 339. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 25. Vgl. Heinz Grünert, Gustaf Kossinna (1858–1931), 2002, S. 340.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
sozialen Gruppe oder kollektiven Identität sich ihre Hersteller:innen und ursprünglichen Besitzer:innen zugehörig fühlten. Darüber hinaus wurde in seinem wie in ähnlichen ethnischen Deutungsmodellen nicht berücksichtigt, dass Veränderungen in der Verbreitung materieller Kultur nicht nur durch Migration, sondern auch durch Ideenaustausch und Technologietransfer zwischen Gesellschaften erklärt werden können.69 Auch aufgrund weiterer methodischer und inhaltlicher Fehler wurde Kossinna unter anderem von Hans Jürgen Eggers kritisiert70 und blieb schon zu Lebzeiten nicht unangefochten. Beispielsweise lehnte Karl Hermann Jacob-Friesen in seinem Werk Grundfragen der Urgeschichtsforschung. Stand und Kritik der Forschung über Rassen, Völker und Kulturen in urgeschichtlicher Zeit die siedlungsarchäologische Methode ab, da er es angesichts der Fundlage nicht für nachweisbar hielt, dass eine materielle Kultur immer auch nur einem homogenen Volk entspricht. Müssen wir schon die Gleichsetzung von Kulturausbreitung mit Völkerausbreitung ohne einwandfreie Beweise, einfach aus der Formel »neue Kultur = neues Volk« abgeleitet, ablehnen, so müssen wir dies um so mehr, wenn einzelne versprengte Vorkommnisse von Kulturelementen ohne weiteres mit Völkerzügen in Zusammenhang gebracht werden.71 Auch gegen eine schwärmerische, aber unwissenschaftliche Verklärung der Ursprünge des deutschen Volkes, wie sie Ludwig Wilser – dem Jacob-Friesen immerhin noch ein Streben nach Wissenschaftlichkeit zugesteht – und Guido von List vertraten, spricht der Archäologe sich in seinem Werk deutlich aus und insistiert, dass das Problem der ethnischen Deutung zum aktuellen Stand der Forschung noch nicht für eine Lösung reif sei (vgl. S. 56f.). Er selbst trennt die Begriffe Rasse, Volk und Kultur klar voneinander. Den Begriff der Rasse ordnet er zunächst in den damaligen naturwissenschaftlichen Kontext ein und definiert ihn als eine Gruppe von Menschen, »die durch angeborene und vererbliche, also unveränderliche, körperliche und geistige Anlagen untereinander verbunden und von anderen derartigen Gruppen getrennt sind« (S. 3). Merkmale von Rassen sind für Jacob-Friesen daher vor allem körperliche Eigenschaften wie Schädel- und Nasenform sowie Haut- und Augenfarbe (vgl. S. 2f.). Seine Definition ist also eine für die Zeit typische, rassenkundliche, die die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Äußerlichkeiten begünstigte. Allerdings unternimmt Jacob-Friesen bei der Unterscheidung äußerlicher Merkmale keine Wertung. Den Begriff des Volkes trennt er zudem scharf vom Begriff der Rasse, wobei er argumentiert, dass ein Volk aus verschiedenen Rassen zusammengesetzt sein kann, und als Beispiel dafür das deutsche Volk anführt. Er definiert ein Volk als »eine bewußte Lebenseinheit von Menschen mit gemeinsamem Denken und Fühlen, die in gemeinsamer Sprache oder Religion und Sitte verbunden ist und sich dadurch von anderen Einheiten unterscheidet« (S. 3). Zur Bestimmung des Begriffs Kultur greift Jacob-Friesen auf eine Definition von Rudolf Eisler zurück, der Kultur als
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Vgl. Dirk Mahsarski und Gunter Schöbel, Von Gustaf Kossinna zur NS-Archäologie, 2013, S. 33. Vgl. Hans Jürgen Eggers, Einführung in die Vorgeschichte, 2010, S. 238–254. Karl Hermann Jacob-Friesen, Grundfragen der Urgeschichtsforschung, 1928, S. 151. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
I.1 Zur archäologischen Forschung in Deutschland
aktive Formung und Bearbeitung natürlicher Gegebenheiten zum Zweck eines menschlichen Vervollkommnungswillens definierte. Jacob-Friesen fährt dann aber fort, dass die Menschheit in Kulturgruppen unterschieden sei, die in sich homogen und abgeschlossen sind und sich nach außen von anderen Gruppen durch bestimmte Merkmale unterscheiden (vgl. S. 4). Die kulturellen Leistungen und Lebensäußerungen einer solchen Gruppe sind in der Gegenwart und der Zeit der geschriebenen Geschichte, sowohl auf geistigem wie auch stofflichem Gebiete zu erfassen, wobei die äußeren Ergebnisse immer der Ausdruck innerer Vorgänge sind, während wir für die schriftlose Zeit, also besonders für die Urgeschichte, meist nur kulturelle Leistungen stofflicher Art erfassen können und aus ihnen mit mehr oder minder größerer Wahrscheinlichkeit auf die geistigen Lebensäußerungen schließen müssen. (S. 4) Der Prähistoriker vertritt also eine Kulturgruppen-Lehre und will aus den materiellen Relikten der Vorgeschichte auf Kulturgruppen rückschließen. Allerdings setzt er – anders als völkisch-ideologische Fachvertreter – Kulturgruppen nicht mit Völkern oder gar Rassen gleich. Den Begriff der Germanen versteht er als Sammelbegriff einer Kultgemeinschaft, die unterschiedliche Rassen umschlossen haben kann, und er will ihn nicht auf Menschen der Vorgeschichte übertragen (vgl. S. 38). Es verfolgte also nicht jede:r Archäologe:in vor dem Zweiten Weltkrieg eine rassisch-ethische Ideologie. Allerdings lässt sich beobachten, dass die institutionelle Vorgeschichtsforschung ab Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft zunahm. So stieg beispielsweise die Zahl der ordentlichen Lehrstühle deutlich an, und es wurden mehrere Landesämter für Bodendenkmalpflege eingerichtet. Der Nationalsozialismus nahm vor allem Einfluss auf die Forschungsziele und die Praxis der Disziplin und rechtfertigte die Okkupation ost- und mitteleuropäischer Gebiete mit Kossinnas Methode. Die Anthropologie widmete sich der Rassenkunde, um »den germanischen Einfluss auf die prähistorische Bevölkerung – die ›Aufnordung‹ – zu belegen«.72 Nach 1945 rechtfertigten viele deutsche Archäolog:innen ihre Tätigkeiten während der Zeit des Nationalsozialismus damit, dass sie zur germanischen Forschung von der Diktatur gezwungen worden seien. Erst seit den 1990ern hat die Forschung damit begonnen, die Tätigkeit von Archäolog:innen während der nationalsozialistischen Herrschaft aufzuarbeiten, und hat gezeigt, dass viele Fachwissenschaftler:innen nicht unter Zwang handelten, sondern ihre Arbeit bewusst der Partei und dem Regime andienten, um dadurch Unterstützung und Finanzierung zu erzielen.73 Jürgen Kunow und Thomas Otten kamen nach der Tagung Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920–1945, die im Mai 2012 stattfand, zu dem Ergebnis, dass die Ur- und Frühgeschichtsforschung, die lange Zeit hinter der klassischen und provinzialrömischen Archäologie zurückgestanden hatte, sich im nationalsozialistischen Klima plötzlich im Aufwind befand und als Legitimationswissenschaft reüssierte. Viele ihrer Vertreter:innen hätten daher nicht
72 73
Vgl. Alexander Gramsch, Eine kurze Geschichte des archäologischen Denkens, 2006, S. 13. Vgl. Uta Halle, Nationalsozialisten und Archäologie, 2013, S. 44.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
staatlichen Drucks bedurft, »sie mobilisierten sich selbst im Sinne des Systems«, nutzten also die politische Lage für ihren Karriereaufstieg.74 Da die völkische und letztlich auch rassistische Deutung archäologischer Quellen insbesondere auf die siedlungsarchäologische Methode von Gustaf Kossinna gestützt war, wurde vor allem diese nach dem Zweiten Weltkrieg abgelehnt und weiträumig gemieden, sodass sich das Fach verstärkt typographisch-chronologischen Fragen zuwendete und in eine Realienkunde zurückfiel.75 Jede Form der ethnischen Deutung stand im Verdacht, eine inhaltliche oder methodische Nähe zu Kossinnas Arbeiten zu haben und durch nationalsozialistische Ideologie geprägt zu sein. Daher fand lange keine ersthafte Auseinandersetzung mit der räumlichen Ausdehnung von Kulturgruppen statt und eine diesbezügliche Theoriebildung blieb aus. Günter Smolla hat 1980 dafür den Begriff des Kossinna-Syndroms geprägt.76 Um die Aufarbeitung der Rolle der Archäologie im Nationalsozialismus bemühte man sich dagegen erst vergleichsweise spät. Hier sei neben der zuvor erwähnten Tagung exemplarisch noch auf die Sammelbände Prähistorie und Nationalsozialismus und Propaganda, Macht, Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus sowie auf die vom Bremer Focke-Museum unter Leitung von Uta Halle realisierte Ausstellung Graben für Germanien verwiesen, in deren Katalog sich weitere lesenswerte Beiträge zum Thema finden.77 Die politische beziehungsweise ideologische Tätigkeit archäologischer Museen in der DDR und insbesondere die Wirkung der sogenannten marxistischen Archäologie stellt in noch größerem Maße ein Forschungsdesiderat dar. Dem kann im Rahmen dieser Arbeit zwar nicht vertieft nachgegangen werden, aber vielleicht kann mit diesem Hinweis zukünftige Forschung zu diesem Thema angeregt werden. Nachdem hier die wissenschaftliche und institutionelle Situation der Archäologie in Deutschland vorgestellt und historisch verortet wurde, gehe ich nun zum Kern dieser Arbeit über – nämlich zu den Archäologischen Landesmuseen.
74 75 76 77
Vgl. Jürgen Kunow und Thomas Otten, Schlussbetrachtung, 2013, S. 441. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 25f. Vgl. Günter Smolla, Das Kossinna-Syndrom, 1980, S. 8f. Vgl. Achim Leube (Hg.), Prähistorie und Nationalsozialismus, 2002; Hans-Peter Kuhnen (Hg.), Propaganda, Macht, Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus, 2002; Focke-Museum (Hg.), Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz, 2013.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
Was ist eigentlich gemeint, wenn im Rahmen dieser Arbeit von Archäologischen Landesmuseen die Rede ist? Was zeichnet diesen Museumstypus aus und welche konkreten Museen gehören dazu? Beim Versuch, die Institution Museum zu definieren, wird in der wissenschaftlichen Literatur meist auf die Definition des Internationalen Museumsrats ICOM (International Council of Museums) zurückgegriffen,1 die sich in Art. 3 Abs. 1 der ICOM-Statuten findet und die wie folgt lautet: A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment.2 Demzufolge sind Museen also dauerhafte Einrichtungen, die keinen Gewinn erzielen wollen, öffentlich zugänglich sind und der Gesellschaft und deren Entwicklung dienen sollen. Sie sammeln, bewahren, erforschen, präsentieren und vermitteln das materielle und immaterielle Erbe der Menschheit und deren Umwelt zu Studien-, Bildungsund Unterhaltungszwecken. Die so beschriebenen Aufgabenbereiche werden unter den Schlagwörtern Sammeln, Bewahren, Forschen/Dokumentieren und Ausstellen/ Vermitteln vom Deutschen Museumsbund in seinem Leitfaden Standards für Museen, 1
2
Beispielsweise bei Christine Kopf, Museum, 2001, S. 387f. sowie Anke te Heesen, Theorien des Museums zur Einführung, 2012, S. 145. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit befand sich die ICOM im Prozess einer Neufassung der Museumsdefinition. Dieser von 2016 bis 2022 dauernde Prozess ist mittlerweile abgeschlossen und die neue Definition lautet wie folgt: »A museum is a not-forprofit, permanent institution in the service of society that researches, collects, conserves, interprets and exhibits tangible and intangible heritage. Open to the public, accessible and inclusive, museums foster diversity and sustainability. They operate and communicate ethically, professionally and with the participation of communities, offering varied experiences for education, enjoyment, reflection and knowledge sharing.« (Art. 3, Abs. 1, ICOM-Statuen mit Stand vom 24. August 2022) Da der wissenschaftliche Diskurs, in den meine Arbeit eingebettet ist, allerdings noch mit der alten Definition arbeitet, habe ich mich dazu entschieden, hier die bis 2022 gültige Definition zu besprechen. International Council of Museums (ICOM), Statutes as amended and adopted by the Extraordinary General Assembly on 9th June 2017 (Paris, France), online.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
der gemeinsam mit dem ICOM Deutschland herausgegeben wurde, als Kernaufgaben des Museums bezeichnet, die dieses treuhänderisch für die Gesellschaft wahrnimmt. Grundlegend werden Museen also vom ICOM und dem Museumsbund über ihre Erfüllung dieser vier Kernaufgaben definiert, wobei jedoch nicht eindeutig bestimmt ist, ob eine Institution alle diese Aufgabenbereiche gleichermaßen erfüllen muss, um als Museum zu gelten. Da viele Museen nicht (mehr) aktiv sammeln oder beispielsweise aufgrund begrenzter finanzieller und personeller Ressourcen nur sehr eingeschränkt Forschung betreiben, ist eine klare und trennscharfe Abgrenzung von Museen gegenüber anderer Institutionen wie Ausstellungshallen, Science Centern und Galerien in vielen individuellen Fällen schwer umsetzbar – zumal der Museumsbegriff in Deutschland nicht geschützt ist und die Aufgabe beziehungsweise der Auftrag von Museen hierzulande nicht gesetzlich verankert ist.3 Markus Walz hat sich mit der ICOM-Definition sowie mit einigen anderen Begriffsbestimmungen zum Museum auseinandergesetzt und deren jeweilige Stärken und Schwächen präzise herausgearbeitet.4 Seine Analyse soll hier nicht wiederholt werden, ebenso wenig wie der Versuch unternommen werden soll, die Institution Museum trennscharf und endgültig zu definieren. Denn als eine der Gesellschaft dienende Institution sollten Museen in ihrer Form und Tätigkeit doch ein gewisses Maß an Offenheit und Flexibilität bewahren, um sich auch jeweils aktuell auftretenden Anforderungen stellen zu können. Die sogenannten Kernaufgabenbereiche Sammeln, Bewahren, Erforschen/Dokumentieren und Ausstellen/Vermitteln können aber als konsensfähige Charakteristika der Institution Museum betrachtet werden. Wie genau diese Tätigkeiten in Archäologischen Landesmuseen, insbesondere in den vier als Fallbeispiele ausgewählten Museen, aussehen und welche Rolle sie für Gedächtnis, Erbe und Identität einer Gesellschaft spielen, soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Archäologische Museen zeichnen sich dadurch aus, dass die materiellen Dokumente, die sie sammeln, bewahren und ausstellen, ursprünglich aus Ausgrabungen stammen und nach archäologischen Methoden dokumentiert und erforscht werden. Es muss sich dabei nicht zwangsweise nur um Artefakte wie Werkzeuge, Gebrauchsgegenstände, Waffen oder Schmuck handeln. Auch die Überreste von Naturprodukten wie Holz und Pflanzensamen sowie die sterblichen Überreste von Menschen und Tieren und sogar Strukturen wie beispielsweise Bodenverfärbungen, die aus Gebäuden oder Gräbern resultieren und beispielsweise in Form sogenannter Lackprofile fixiert werden können, sind als Sammlungsstücke und Exponate üblich. Eine zeitliche Begrenzung gibt es dabei im Grunde nicht. Der Umgang mit paläontologischen Objekten wie Fossilien von Dinosauriern und anderen Lebewesen vormenschlicher Erdzeitalter wird zwar oft Naturkundemuseen überlassen, aber ab dem Auftreten früher Arten der Gattung Homo überschneiden sich die Interessengebiete der naturkundlichen und archäologischen Museen. Daher befinden sich beispielsweise in den Sammlungen des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle Knochenfragmente und Zähne mehrerer Homo-erectus-Individuen aus einer Fundstelle in Bilzingsleben. Auch wenn die Dokumente der Ur- und Frühgeschichte und der klassischen Antike sicher den deutlich größten Teil archäologischer 3 4
Vgl. Deutscher Museumsbund e. V. und ICOM-Deutschland (Hg.), Standards für Museen, 2011, S. 6. Vgl. Markus Walz, Begriffsgeschichte, Definition, Kernaufgaben, 2016.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
Sammlungen ausmachen, kann das Sammlungsgebiet zeitlich bis in die Moderne ausgedehnt werden und beispielsweise auch Funde und Befunde aus Konzentrationslagern oder von Schlachtfeldern des 20. Jahrhunderts umfassen. In Deutschland haben aber die wenigsten archäologischen Museen derart zeitlich und thematisch umfangreiche Sammlungen. Meist sind sie vielmehr einer bestimmten Region und damit verbunden der dort vorrangig archäologisch nachweisbaren Epoche gewidmet, oder sie stehen im Zusammenhang mit einer konkreten Fundstelle, in letzterem Fall oft auch in Form von Freilichtmuseen beziehungsweise sogenannten Archäologieparks. Das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz, das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg und das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin haben beziehungsweise hatten bei ihrer Gründung dagegen einen länderübergreifenden Anspruch und Auftrag. Zwischen diesen beiden Formen archäologischer Museen lassen sich die Archäologischen Landesmuseen verorten. Die archäologische Museumslandschaft in Deutschland kann also grob in drei Ebenen gegliedert werden, nämlich in Ortsmuseen, länderübergreifende Museen und, dazwischen, die sogenannten Landesmuseen.5 Letztere zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine epochale oder disziplinäre Begrenzung haben und nicht nur die Funde und Befunde eines bestimmten Bodendenkmals präsentieren. Sie sind auf alle durch Ausgrabungen entdeckten Dokumente der Vergangenheit ausgelegt, allerdings mit der Beschränkung, dass diese vorrangig aus dem Gebiet des Bundeslandes oder des Teilgebietes eines Bundeslandes stammen müssen, dem diese Museen zugeordnet sind. Sie sind also im Sinne von Nicole Cordier Landesmuseen, »die sich in ihrer Sammlung und Ausstellung, zumindest in Teilbereichen, mit der Geschichte, vor allem der Kulturgeschichte, eines Bundeslandes oder einer entsprechend großen, historisch meist auf frühere preußische Provinzen oder bis 1918 bestehende Königreiche, Fürsten- oder Herzogtümer zurückzuführenden Region befassen«.6 Cordier betrachtete in ihrer 2003 erschienenen Dissertationsschrift Deutsche Landesmuseen – Entwicklungsgeschichtliche Betrachtung eines Museumstypus allerdings überwiegend allgemein kunst- und kulturhistorisch ausgerichtete Landesmuseen, die meist sehr vielfältige Sammlungen zu unterschiedlichen wissenschaftlichen Gebieten wie der Naturkunde, der Kunstgeschichte oder auch der Ethnologie unterhalten.7 Die Grenzen zwischen solchen und den auf Archäologie fokussierten Landesmuseen sind in einigen Fällen fließend. Manche kunst- und kulturhistorischen Landesmuseen, wie beispielsweise das Badische Landesmuseum Karlsruhe, haben auch archäologische Sammlungsbestände und umgekehrt haben auch manche Museen mit überwiegend archäologischen Sammlungsanteilen zusätzlich noch andere Sammlungszweige – beispielsweise das Rheinische Landesmuseum Trier, das auch einen Sammlungsbereich zur Kunst- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit aufweist. Günter Wegner hat daher
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Vgl. Matthias Wemhoff, Konzeption, Gestaltung und Aufgaben archäologischer Museen, 2012, S. 316f. Nicole Cordier, Deutsche Landesmuseen, 2003, S. 222. Das Konzept des »Landesmuseums« gibt es im Übrigen in allen deutschsprachigen Ländern, also in Österreich, in der Schweiz, in Liechtenstein und in Südtirol beziehungsweise Italien. Vgl. ebd., S. 221–223.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
im Bereich von archäologischen Museen zwischen sogenannten Einheits- und Verbundmuseen unterschieden. Mit Einheitsmuseen bezeichnet er Institutionen, die nur ein Thema, wie beispielsweise die Ur- und Frühgeschichte, ausstellen. In Verbundmuseen dagegen sind unterschiedliche Fächer wie Kunst, Geschichte, Naturkunde, Ethnologie und Archäologie zusammengeschlossen. Wegner stellt darüber hinaus fest, dass vor allem die sogenannten Einheitsmuseen in der Regel »in Symbiose bzw. in Personalunion mit der zuständigen archäologischen Denkmalpflege« existieren.8 Die Entscheidung darüber, ob ein Museum der Gruppe der Archäologischen Landesmuseen zugeordnet werden kann oder nicht, lässt sich also in vielen Fällen nicht ganz eindeutig treffen und hängt davon ab, wie eng man die Kriterien für diese Institution auslegt. Ich halte es für sinnvoll, nicht nur archäologische Einheitsmuseen, sondern auch sogenannte Verbundmuseen zu den Archäologischen Landesmuseen zu zählen, sofern sie als Repräsentationsorgane der archäologischen Denkmalpflege im jeweiligen Bundesland fungieren. Ganz präzise lässt sich die Grenze zwischen Archäologischen Landesmuseen und anderen Museumsformen aber nicht definieren. In Einzelfällen ließe sich mit Blick auf ihre Sammlungen und ihre Verbindung zur archäologischen Denkmalpflege im jeweiligen Land darüber diskutieren, ob sie als Archäologische Landesmuseen bezeichnet werden können oder nicht. Dazu gehören unter anderem die beiden Hessischen Landesmuseen in Darmstadt und Kassel, das Pommersche Landesmuseum in Greifswald, das Landesmuseum für Natur und Mensch in Oldenburg und das Museum für Franken in Würzburg. Solche Museen wurden in die auf der nächsten Seite folgende Auflistung Archäologischer Landesmuseen allerdings nicht aufgenommen, weil sie keine direkten und hauptverantwortlichen Repräsentationsorgane der Landesarchäologie darstellen. Die Liste umfasst somit 24 Museen aus allen Bundesländern, die in der Regel jeweils einen Standort haben und eine Dauerausstellung zeigen, zum Teil aber auch weitere Zweigmuseen betreuen. Der Archäologischen Staatssammlung in München sind beispielsweise neun Zweigmuseen in ganz Bayern angegliedert. Das Haupthaus in München zeigt jedoch seit 2016 und voraussichtlich noch bis 2023 wegen Umbaus keine ständige Ausstellung, sondern realisiert lediglich Sonderausstellungen an verschiedenen Standorten.9 In Hessen umfasst das Archäologische Landesmuseum insgesamt drei Einrichtungen, nämlich die sogenannte Keltenwelt am Glauberg, das Römerkastell Saalburg und die Zeiteninsel – Archäologisches Freilichtmuseum Marburger Land.10 Das Archäologische Landesmuseum Mecklenburg-Vorpommern existiert dagegen zur Zeit der Verschriftlichung dieser Dissertation nur als Sammlungsverwaltung, ein Neubau für das Museum und eine ständige Präsentation der Sammlung sind in Planung.11 Für das Land Berlin übernimmt das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin zusätzlich zu seinem länderübergreifenden Anspruch auch die
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Vgl. Günter Wegner, Anmerkungen zum Begriff »Archäologische Museen«, 1997, S. 881. Vgl. Archäologische Staatssammlung München, Willkommen in der Archäologischen Staatssammlung, online. Vgl. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Archäologisches Landesmuseum Hessen, online. Vgl. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, Kultur, Sparten, Archäologie, online.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
Aufgabe des Archäologischen Landesmuseums. Das heißt, archäologische Funde aus Berlin gehen in die Sammlung und Ausstellung dieses Museums ein.12
Tab. 1: Auflistung der Archäologischen Landesmuseen in Deutschland
Charakteristisch ist für Archäologische Landesmuseen, dass sie in der Regel vom jeweiligen Bundesland getragen werden – beispielsweise indem sie als Behörde organisiert und einem Ministerium zugeordnet sind. Eine Ausnahme liegt im Fall der Ar-
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Vgl. Matthias Wemhoff, Konzeption, Gestaltung und Aufgaben archäologischer Museen, 2012, S. 315.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
chäologischen Landesmuseen in Nordrhein-Westfalen vor, denn hier gehören die Landesmuseen zu kommunalen Verwaltungseinheiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Zuständigkeit für die Landesmuseen den beiden Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe sowie dem Landesverband Lippe überwiesen. Diese Verbände werden von Kreisen und kreisfreien Städten unterhalten und sind die Rechtsnachfolger der preußischen Provinzialverbände und des Fürstentums Lippe, in deren Trägerschaft die Museen ursprünglich standen.13 Für die direkte Trägerschaft eines Archäologischen Landesmuseums durch ein Bundesland ist das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale ein typisches Beispiel. Es bildet gemeinsam mit der Bodendenkmalpflege des Landes eine Behörde, die zur Staatskanzlei und dem Ministerium für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt gehört. Im Interview beschrieb der Kurator Arnold Muhl die Zusammenarbeit der Bodendenkmalpflege und des Museums als für beide Seiten sehr vorteilhaft.14 Harald Meller, der Direktor des Museums und Landesarchäologe, bewertete auch die Zugehörigkeit des Landesmuseums zur Staatskanzlei sowie den Umstand, dass die Landesregierung dadurch den guten Ruf des Landesmuseums für sich nutzen kann, als positiv. Dabei hält er es für ausgeschlossen, dass auf die Arbeit des Museums von politischer Seite Einfluss genommen werden könnte, da das Denkmalschutzgesetz die Weisungsfreiheit des Landesdenkmalamtes und damit auch des Museums verbürge.15 Eine direkte Trägerschaft des Museums durch das Land und eine strukturelle Einheit von Museum und Landesdenkmalamt ermöglichen in der Regel eine gute Vernetzung und Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen. Dennoch werden nicht alle Archäologischen Landesmuseen von Bundesländern direkt getragen und häufig sind sie auch vom Landesdenkmalamt zumindest formal getrennt. In solchen Fällen kann die jeweilige Organisationsform, abhängig von der spezifischen Situation des Museums, sowohl Vor- als auch Nachteile bedeuten. Beispielhaft konnte dies in den Fallstudien dieser Arbeit untersucht werden. Einige Archäologische Landesmuseen sind in Form von Stiftungen organisiert, die vollständig oder anteilig vom Land unterhalten werden. Dazu gehören neben dem Focke-Museum – Bremer Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte (Stiftung Focke-Museum – Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte), dem Historischen Museum der Pfalz in Speyer (Stiftung Historisches Museum der Pfalz) und dem Archäologischen Landesmuseum in Schloss Gottorf (Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen) auch zwei der hier untersuchten Museen, nämlich das Archäologische Museum Hamburg | Stadtmuseum Harburg (Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg) und das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes (Stiftung Saarländischer Kulturbesitz). Beide Stiftungen sind allerdings sehr unterschiedlich aufgestellt. Die 1980 gegründete Stiftung Saarländischer Kulturbesitz stellt eine Dachorganisation für insgesamt fünf Museen dar. Außer dem Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes gehören dazu auch das Deutsche Zeitungsmuseum und die unter dem Begriff Saarlandmuseum zusammengefassten Museen Alte Sammlung, Museum in der 13 14 15
Vgl. Nicole Cordier, Deutsche Landesmuseen, 2003, S. 137. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 501. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 513.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
Schlosskirche und Moderne Galerie. Für das archäologische Museum hatte die Eingliederung in die Stiftung weitreichende Folgen. Der langjährige Sammlungsleiter FranzJosef Schumacher erklärte im Interview, dass das Museum ursprünglich Teil des Landesdenkmalamtes – ehemals Landeskonservatoramt – des Saarlandes war. Als es in die Trägerschaft der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz überging, wurde der Leiter der Bodendenkmalpflege zunächst als ehrenamtlicher Direktor des Museums eingesetzt. »Dadurch konnte das Museum auf die Mitarbeiter des Konservatoramtes zurückgreifen, wie Techniker oder Konservatoren, um Ausstellungen zu machen oder Funde zu bearbeiten.« Rund zwanzig Jahre später wurde das Landesdenkmalamt jedoch neu organisiert und von Saarbrücken nach Landsweiler-Reden verlegt. Dabei wurden nicht nur die Büros, das Depot, die Werkstätten und die Bibliothek räumlich vom Museum getrennt, sondern auch die Leitung des Museums durch das Landesdenkmalamt wurde aufgehoben. Die Zusammenarbeit beider Institutionen beruht seitdem lediglich auf den guten persönlichen Kontakten der Mitarbeiter. Die Sammlungsstücke des Museums für Vor- und Frühgeschichte sind weiterhin gemeinsam mit denen der Staatlichen Altertümersammlung magaziniert, formal sind sie jedoch von Letzterer getrennt.16 Als Sammlung des Museums waren nämlich nur diejenigen Exponate festgelegt worden, die sich zum Zeitpunkt der Stiftungsgründung in der Dauerausstellung befanden.17 Der Rest der Staatlichen Altertümersammlung ist im Eigentum des Landesdenkmalamtes verblieben. Roland Mönig, der während der Recherchen für diese Arbeit noch Stiftungsvorstand und Direktor des Saarlandmuseums war, bewertete die Aufnahme des archäologischen Museums in die Stiftung als Schaden für das Museum, da es dadurch seine Einheit mit dem Landesdenkmalamt verloren und Personal eingebüßt habe. Es sei nun nur noch das Schaufenster einer fremden Sammlung, auf die lediglich aufgrund von informellen Vereinbarungen Zugriff bestehe.18 Finanziell seien die Stiftung und damit auch das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes von den Zuwendungen des Landes abhängig.19 Wie groß der Anteil des Museums am Jahresbudget der Stiftung sein soll oder darf, werde jedoch nicht vom Land bestimmt. Die Stiftung könne die ihr bewilligten Mittel also eigenständig verteilen sowie verwalten und das Ministerium nehme nach Aussage Roland Mönigs keinen Einfluss auf die inhaltliche Arbeit der Stiftung und ihrer Museen.20 Auch die Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg ist eine Zuwendungsstiftung und daher vom Stadtstaat Hamburg finanziell abhängig.21 Und wie im Fall der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz besteht eine Verbindung der Hamburger Stiftung zur Kulturpolitik darin, dass der Stiftungsrat von der:m amtierenden Kultursenator:in geleitet wird. Der Stiftungsrat sei allerdings lediglich ein finanzielles Kontrollorgan, wie Michael Merkel und Rainer-Maria Weiss, der Sammlungsleiter 16 17 18 19 20 21
Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 470f., Zitat S. 470. Vgl. ebd., S. 467 und Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 474f. Vgl. ebd., S. 474. Vgl. ebd., S. 481 sowie § 4 und § 5 Gesetz Nr. 1803 SSKB. Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 481. Das ist im Gesetz über die Errichtung von Museumsstiftungen der Freien und Hansestadt Hamburg (Hamburgisches Museumsstiftungsgesetz) festgelegt (vgl. §§ 3f. HmbMuStG) und wurde so auch von Rainer-Maria Weiss im Interview geschildert (vgl. Anhang 1.6, S. 521).
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
und der Direktor des Museums, betonten. Eine inhaltliche Einmischung in das operative Geschäft der Stiftung finde nicht statt.22 Nur im Fall von Drittmittelprojekten, die durch die Hamburger Kulturbehörde gefördert werden, könne der Versuch einer inhaltlichen Einflussnahme auf die Arbeit der Stiftung vorkommen, räumte Michael Merkel ein.23 Die Rechtsform der Stiftung öffentlichen Rechts bewertet der Direktor und Landesarchäologe Rainer-Maria Weiss positiv und sieht darin den Vorteil, dass die Bodendenkmalpflege und das Archäologische Museum dem Senat nicht – wie im Fall der Hamburger Baudenkmalpflege – direkt unterstellt sind. Da die Mitarbeiter:innen der Stiftung nur dem Stiftungsrat weisungsgebunden seien, könnten sie sich gegebenenfalls auch gegen Senatsbeschlüsse leichter zur Wehr setzen. Des Weiteren könne die Stiftung über den Einsatz ihrer finanziellen Mittel selbstständig entscheiden.24 Allerdings ist hier das Museum mit der archäologischen Denkmalpflege und nicht mit weiteren Museen als Stiftung zusammengeschlossen. Die strukturelle Einheit von Bodendenkmalpflege und Museum besteht bereits seit 1986 und beide Institutionen haben sich nach Aussage von Rainer-Maria Weiss untrennbar miteinander verzahnt. Dabei seien positive Synergieeffekte entstanden, da das Museum mit seiner Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit auch die Ausgrabungen und Ausgrabungsergebnisse der Bodendenkmalpflege bewerbe und weil es die Ergebnisse zeitnah ausstellen und publizieren könne. Wie seine Kollegen in Halle betonte auch Weiss die großen Vorteile dieses Konstrukts gegenüber dem in anderen Bundesländern bestehenden, wo die Trennung von Landesdenkmalämtern und Landesmuseen häufig zu Konflikten führt.25 Das Potenzial für solche Konflikte ist beispielsweise am Rheinischen Landesmuseum Trier erkennbar. Die drei rheinland-pfälzischen Landesmuseen in Koblenz, Mainz und Trier sind der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (im Folgenden kurz GDKE) zugeordnet. Die GDKE ist eine dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur nachgeordnete obere Landesbehörde, die gemäß dem Denkmalschutzgesetz von Rheinland-Pfalz den Status der Denkmalfachbehörde hat.26 In der Zeitschrift Museumsmitteilungen Rheinland-Pfalz begründete der damalige Staatssekretär Joachim Hofmann-Göttig die Gründung dieser Behörde mit dem Bestreben, die Kultureinrichtungen des Landes zukunftsfähig zu machen und »das Land insgesamt noch besser zu profilieren und ihm im Wettbewerb der Regionen ein Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen«. Die bis dahin historisch gewachsenen und sich durch starke Regionalisierung auszeichnenden Strukturen seien nicht mehr zeitgemäß gewesen und sollten durch gemeinsame Planung, Steuerung und Kooperation vernetzt werden. Überdies sollte damit »der Zielkonflikt zwischen Erhalten und Bewahren des kulturellen Erbes und seiner Nutzung und Präsentation« gelöst werden.27 Das Rheinische Landesmuseum
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Vgl. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 521. Vgl. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 522. Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 520. Vgl. ebd., S. 519f. Vgl. Thomas Metz, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, 2010, S. 354. Vgl. Joachim Hofmann-Göttig, Generaldirektion, 2007, S. 45.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
Trier wurde der GDKE am 1. März 2008 angeschlossen;28 bis zu diesem Zeitpunkt war es als wissenschaftliches Landesinstitut organisiert gewesen.29 Für das Rheinische Landesmuseum Trier hatte die Eingliederung in die GDKE zur Folge, dass die Bodendenkmalpflege ähnlich wie im Saarland formal vom Museum getrennt wurde. Die stellvertretende Direktorin Mechthild Neyses-Eiden erklärte im Interview, dass das Museum für diese Trennung in drei Referate gespalten wurde – nämlich Sammlungsverwaltung, Zentrale Dienste und Archäologie. Das Referat Archäologie und damit die am Landesmuseum tätigen, grabenden und forschenden Archäolog:innen wurden fachlich nicht der Direktion des Museums, sondern der Landesarchäologie in Koblenz unterstellt.30 Folglich könnten Landesarchäologie und Museum gegenseitig die Arbeit der jeweils anderen Institution behindern, wenn beispielsweise unterschiedliche Anweisungen erteilt würden.31 Im Laufe des Interviews mit Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann wurde der Konflikt zwischen dem Museum und der Kulturpolitik des Landes noch deutlicher wahrnehmbar und trat vor allem in den Ausführungen der stellvertretenden Direktorin und des ehemaligen Landesarchäologen zum Claim »Forum für Fundstücke« zutage, den das Museum im Titel getragen hatte, den es aber zugunsten eines einheitlichen Corporate Designs der GDKE hatte aufgeben müssen.32 Hans Nortmann erklärte die Spannungen diesbezüglich als Folgen eines Grundkonflikts zwischen dem Museum und dem Land, der sich in Form zweier unterschiedlicher Markenpositionierungsstrategien äußerte. Während das Museum die Marke Rheinisches Landesmuseum Trier auf- und ausbauen wollte, ging es der Landesverwaltung als übergeordneter Kulturinstitution darum, das Land Rheinland-Pfalz als Marke zu stärken. Nortmann bewertete dies als einen schweren Fehler, denn dadurch könne die kulturelle Identität des Bundeslandes nicht gestärkt werden, vielmehr komme es sogar zu einer Entfremdung der Bevölkerung von den regional vorhandenen Anknüpfungspunkten.33 Archäologische Landesmuseen sind also, wie zuvor unter Bezug auf Nicole Cordiers Definition von Landesmuseen erklärt wurde, mit ihren Sammlungen und Ausstellungen vor allem auf die Darstellung der Entwicklungsgeschichte eines Bundeslandes oder einer historischen Region wie einem ehemaligen Fürstentum oder einer preußischen Provinz ausgerichtet. Da sie Anteil an der archäologischen Denkmalpflege und Forschung haben, ist durch die Denkmalschutzgesetze geregelt, dass in ihre Sammlungen heute nur noch Funde aus dem Land oder Landesteil eingehen, das oder der ihnen zugewiesen ist. Allerdings befinden sich in fast allen Archäologischen Landesmuseen auch Sammlungsobjekte, deren Fundorte heute in anderen Regionen, Bundesländern oder gar im internationalen Ausland liegen. Dies hat meist nicht nur historische Gründe, sondern kann auch Folgen für das heutige Selbstverständnis der Institution haben, wie ich exemplarisch in den Fallstudien zeigen werde.
28 29 30 31 32 33
Vgl. Karin Goethert und Mechthild Neyses-Eiden, Bericht der Direktion 2003–2007/08, 2009, S. 491. Vgl. Hans Eiden, Das Rheinische Landesmuseum in Trier, 1956, S. 6. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 490. Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 491. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 488f. Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 489.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes sammelt, wie bereits erwähnt, nicht mehr aktiv und gewinnt auch keine Objekte mehr durch Ausgrabungen im Land hinzu. Funde aus dem Saarland werden zwar noch von diesem Museum ausgestellt, aber in der Staatlichen Altertümersammlung des Landesdenkmalamtes inventarisiert und deponiert. In Hamburg, Trier und Halle dagegen wachsen die Sammlungen der Museen durch archäologische Funde stetig weiter. Die interviewten Expert:innen erklärten aber auch dort, dass darüber hinaus kaum noch aktiv gesammelt werde. Schenkungen und Ankäufe würden nur noch in sehr speziellen Ausnahmefällen in die Sammlungen aufgenommen.34 Diese drei Landesmuseen unterscheiden sich von dem Saarbrücker Museum außerdem darin, dass ihre Sammlungen zumindest in Teilen bereits zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs begründet wurden und somit lange vor den territorialen Neugliederungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg ihren Anfang nahmen. Die Sammlungen waren also ursprünglich auf Gebiete bezogen, deren Grenzen mehr oder minder stark von denen der heutigen Bundesländer abweichen. Das erklärt, warum beispielsweise in der Sammlung des Archäologischen Museums Hamburg viele Fundstücke aus dem heutigen Niedersachsen und Schleswig-Holstein stammen. Das ehemalige Hamburger Völkerkundemuseum hatte in ganz Norddeutschland Ausgrabungen betrieben und die daraus resultierenden Funde als prähistorische Sammlung im Jahr 1972 dem Archäologischen Museum übergeben. Des Weiteren betreut die Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg traditionell auch den Landkreis Harburg archäologisch, obwohl dieser heute zum Land Niedersachsen gehört.35 Auch im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle gibt es viele Sammlungsstücke, deren Fundorte heute in den benachbarten Bundesländern, vor allem in Sachsen und Thüringen, liegen. Wie in Hamburg sind auch diese Objekte sogenannte Altfunde – und zwar aus der Zeit, als das Museum die zentrale Sammelstelle für alle Funde der preußischen Provinz Sachsen war.36 Das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes besitzt dagegen keine Sammlungsstücke aus angrenzenden Regionen. Umgekehrt sind zahlreiche Fundstücke aus dem Saarland in den Museen in Trier und Speyer zu finden, da das Gebiet des heutigen Saarlandes lange Zeit archäologisch vom Rheinischen Landesmuseum Trier sowie dem Historischen Museum der Pfalz in Speyer betreut wurde. Franz-Josef Schumacher erklärte hierzu, es sei nie gefordert worden, die betroffenen Objekte ins Saarland zurückzuführen, da sie sich unbestreitbar rechtmäßig in Trier und Speyer befänden. Die Museen tauschten in den 1960er Jahren aber einige Exponate miteinander aus oder stellten Kopien für das Saarbrücker Museum zur Verfügung.37 Konflikte bezüglich der Objekte gab es also zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz ebenso wenig wie zwischen Hamburg beziehungsweise Sachsen-Anhalt und deren Nachbarbundesländern.38 34
35 36 37 38
Vgl. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 518f., Mechthild NeysesEiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 488, sowie Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 500. Vgl. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 522. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 500f. Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 468. Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 522 sowie Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 501.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
Aufgrund ihrer Sammlungsgeschichte und -zusammensetzung verstehen sich vor allem die Museen in Hamburg und Halle aber offenbar nicht nur als Repräsentanten ihres Bundeslandes, sondern vertreten Ansprüche als zentrale Museen zur Ur- und Frühgeschichte Nord- und Mitteldeutschlands.39 Beispielsweise betonten die Hamburger Experten Merkel und Weiss im Interview, dass ihre Dauerausstellung nicht nur für ein Hamburger Publikum konzipiert worden sei und sie sich auch nicht nur der Archäologie Hamburgs widme. Vielmehr wolle man hier aus regionaler Perspektive die Menschheitsgeschichte erzählen.40 Eine engere regionale Ausrichtung liegt dagegen vor allem beim Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes vor. Der Sammlungsleiter FranzJosef Schumacher gab im Interview an, dass das Museum in erster Linie für die saarländische Bevölkerung arbeite.41 Auch das Rheinische Landesmuseum Trier versteht sich in erster Linie als Museum für Besucher:innen aus Trier und der Region. Mechthild Neyses-Eiden betonte aber zusätzlich, dass das Museum auch für die vielen (internationalen) Tourist:innen Triers zugänglich sein wolle.42 Das Museum in Saarbrücken scheint sich also vorwiegend als Bewahrer von Gedächtnis und Erbe des Landes zu verstehen und sich einem regionalen Publikum verpflichtet zu fühlen, während man im Museum in Trier eher die Rolle eines Treuhänders von Weltkulturerbe einzunehmen beansprucht.43 Möglicherweise ist dieses Selbstverständnis des Rheinischen Landesmuseums Trier auch eine Folge der Vergangenheit Triers als Regierungssitz des Römischen Reiches und des heutigen UNESCO-Welterbe-Status der römischen Baudenkmäler, des Doms und der Liebfrauenkirche. Nachdem ich in Kapitel I.1 bereits die Entwicklungsgeschichte der archäologischen Forschung in Deutschland grob skizziert habe, gehe ich zum Ende dieses Kapitels noch einmal näher auf die Gründung und Entwicklung der Archäologischen Landesmuseen ein. Eine allgemeine Geschichte des Museums wurde bereits an anderer Stelle ausführlich untersucht und dargestellt und soll hier nicht Gegenstand der Betrachtung sein.44 Stattdessen werde ich darlegen, auf welche historischen Ereignisse und Prozesse die heutige räumliche und strukturelle Situation Archäologischer Landesmuseen zurückzuführen ist und dabei exemplarisch den Fokus auf die vier Museen der Fallstudien richten. 39
40 41 42 43 44
Vgl. zum Landesmuseum für Vorgeschichte: Arnold Muhl, Geisteskraft, 2005, S. 3. Das Archäologische Museum Hamburg bringt sein Selbstverständnis als Repräsentationsort für ganz Norddeutschland unter anderem in seinem unveröffentlichten Zielbild (vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Zielbild Stiftung Helms-Museum, Internes Dokument, 26.03.2013) sowie im Rahmen seines Internetauftritts zum Ausdruck (vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Über uns, online). Vgl. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 524. Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 466. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 483f. Auf die Begriffe Bewahrer und Treuhänder von kulturellem Erbe gehe ich in Teikapitel II.3.1 näher ein. Dazu sei exemplarisch auf folgende Titel verwiesen: Tony Bennett, The Birth of the Museum, 1995; Hildegard K. Vieregg, Geschichte des Museums, 2008; Eilean Hooper-Greenhill, Museums and the Shaping of Knowledge, 1992; Gottfried Korff, Die Popularisierung des Musealen und die Musealisierung des Popularen, 1988; Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992; Krzysztof Pomian, Museum und kulturelles Erbe, 1990; Martin Roth, Heimatmuseum, 1990; Ulrike Vedder, Museum/Ausstellung, 2005. Zur Entwicklung des Museumsbegriffs vgl. Melanie Blank und Julia Debelts, Was ist ein Museum? »…eine metaphorische Complication…«, 2002.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Die meisten Archäologischen Landesmuseen gehen entweder auf private Initiativen von Kunst- und Altertumsvereinen zurück oder wurden von staatlicher Seite gegründet.45 Sie haben daher eine enge Verbindung zu den politischen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts, von denen Nicole Cordier besonders die Bedeutung eines neuartigen Geschichtsbewusstseins und Nationalgefühls sowie den Wunsch nach einem geeinten Deutschland unterstrichen hat.46 Es habe die Überzeugung geherrscht, dass »das Wissen um die eigene Geschichte, die historische Bildung, die wichtigste Voraussetzung für eine Erziehung des Volkes« zu den Idealen des Nationalbewusstseins und der Vaterlandsliebe sei.47 Einige Museumsgründungen wurden also von Altertumsvereinen angestoßen. Ein Beispiel dafür ist das Archäologische Museum Hamburg | Stadtmuseum Harburg, das 1898 vom neugegründeten Museums-Verein für den Stadt- und Landkreis Harburg (Elbe) eingerichtet wurde. Der Senator August Helms hatte sich darin besonders engagiert. Als er 1920 verstarb, kauften seine Söhne eine Villa und schenkten sie dem Verein als Museumsgebäude. Ihnen und ihrem Vater zu Ehren wurde das Museum daraufhin HelmsMuseum genannt.48 1930 trat Willi Wegewitz zunächst ehrenamtlich, später hauptamtlich die Leitung des Museums an und nahm eine intensive Ausgrabungstätigkeit und Bodendenkmalpflege auf. Dadurch wuchs die Sammlung stark an und der Museumsverein konnte die Kosten nicht mehr alleine tragen. 1937 gründeten deshalb die Stadt Harburg-Wilhelmsburg und der Landkreis Harburg zusammen die Gesellschaft zur Förderung des Helms-Museums und übernahmen damit das Museum. Harburg-Wilhelmsburg wurde wiederum nur ein Jahr später der Hansestadt Hamburg eingemeindet, die das Museum von da an unterhielt.49 Andere Museen wurden von staatlicher Seite initiiert und nahmen Privatsammlungen sowie die Sammlungen von Altertumsvereinen in sich auf. Beispielsweise wurde 1882 vom Landtag der preußischen Provinz Sachsen beschlossen, in der Neuen Residenz am halleschen Dom ein Provinzialmuseum einzurichten. Zwei Jahre später wurde es als Museum für heimatliche Geschichte und Altertumskunde der Provinz Sachsen eröffnet. Grundlage des Museums war die Sammlung des 1819 gegründeten ThüringischSächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale.50 So richtete der preußische Staat »im Laufe des 19. Jahrhunderts in jeder seiner Provinzen ein eigenes Museum für die kulturgeschichtlichen Sammlungen und das Ausgrabungswesen« ein. Nur im Rheinland wurde nicht nur ein Museum für die Provinz gegründet, sondern gleich zwei: das Provinzialmuseum in Bonn und ein weiteres in Trier. Letzteres sollte wegen des außerordentlich häufigen und reichhaltigen Auftretens römischer Denkmäler im Gebiet um Trier nur diesen Regierungsbezirk betreuen.51 Dort waren bis 1877 archäologische Ausgrabungen von der »Gesellschaft für
45 46 47 48 49 50 51
Vgl. Nicole Cordier, Deutsche Landesmuseen, 2003, S. 2. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 14. Vgl. Claus Ahrens, Aus der Geschichte des Helms-Museums, 1973, o. S. Vgl. ebd., o. S. Vgl. Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 217f. Vgl. Jürgen Merten, Das Rheinische Landesmuseum Trier 1920–1945, 2013, S. 183.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
nützliche Forschungen zu Trier e. V., gegründet 1801« betrieben worden.52 Dieser Verein war ursprünglich als Société des récherches utiles du département de la Sarre gegründet worden, denn Trier war seit 1794 die Hauptstadt des von französischen Truppen besetzten Saardepartements. 1815 wurde Trier jedoch preußisch und der Vereinsname wurde in die deutsche Sprache übersetzt.53 Lothar Schwinden erläuterte dazu: Die Bezeichnung der »Nützlichkeit« war bei der Gründung vor mehr als 200 Jahren sehr bewusst gewählt worden. Zu den ursprünglichen Zielen der Vereinigung gehörten Bemühungen um Förderung des Wirtschaftslebens und der Bildung zum »Nutzen« der Region und seiner [sic!] Bevölkerung.54 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Investitionen in wirtschaftliche Projekte jedoch zurückgefahren und stattdessen wurde die archäologische und historische Forschung stärker finanziert. 1878 wurde die Zusammenarbeit der Gesellschaft mit dem Rheinischen Landesmuseum vertraglich vereinbart, die Gesellschaft erhielt Räumlichkeiten für ihre Geschäftsstelle im Museumsbau, wo sie auch heute noch sitzt, und ihre Sammlung wurde vom Museum magaziniert.55 Des Weiteren gingen eine städtische Sammlung von Gemälden und kunstgewerblichen Objekten und die Bestände des Vereins für Erforschung und Sammlung von Altertümern in den Kreisen St. Wendel und Ottweiler – und somit viele Funde aus dem heutigen Saarland – in die Sammlung des Provinzialmuseums ein.56 Im Saarbrücker Raum wurde 1839 der Historische Verein für die Saargegend gegründet, der sich um die Erforschung und Erhaltung der Bodendenkmäler in der Umgebung Saarbrückens bemühte.57 Daneben waren auch private Sammler und Forscher wie Heinrich Böcking und Eugen von Boch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Saarland tätig. Diese Privat- und Vereinssammlungen führten allerdings zunächst nicht zur Gründung eines Museums, sondern gingen unter anderem in die Museen in Trier, Bonn und Berlin über.58 Erst 1920 wurde unter der Regierungskommission des Völkerbundes für das Saargebiet das Amt eines Konservators der geschichtlichen Denkmäler eingerichtet. Zum ersten Konservator wurde Karl Klein berufen, der Ausgrabungen durchführte, eine Altertümersammlung aufbaute und damit das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes anregte. Ab 1930 wurde die Altertümersammlung des Landeskonservatoramtes in der ehemaligen Dragonerkaserne am Saarbrücker Ludwigsplatz ausgestellt.59 Die Sammlung des Historischen Vereins für die Saargegend verblieb jedoch zunächst noch im Magazin des Heimatmuseums der Stadt Saarbrücken und wurde dem Museum erst 1964 als Dauerleihgabe angegliedert.60 Während des Zweiten Weltkriegs waren die Depotbestände des Saarbrücker Museums wie fast alle 52 53 54 55 56 57 58 59 60
Vgl. Lothar Schwinden, Gesellschaft für nützliche Forschungen, 2018, S. 141. Vgl. ebd., S. 135. Ebd., S. 135. Vgl. ebd., S. 137f. Vgl. Jürgen Merten, Kurze Geschichte, 2009, S. 219. Vgl. Alfons Kolling, Forschungsgeschichte, 1966, S. 3. Vgl. Tabea Malter und Franz-Josef Schumacher, Archäologische Schätze von der Saar, 2010, S. 4f. Vgl. ebd., S. 12–17. Vgl. ebd., S. 24.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Museumssammlungen verpackt und ausgelagert, trotzdem kam es wie fast überall zu Beschädigungen und Verlusten an der Sammlung und am Museumsbau.61 Das Museum wurde daher 1957 im Palais Freithal wiedereröffnet62 und 1986 in das sogenannte Kreisständehaus am Saarbrücker Schlossplatz verlegt, wo es sich bis heute befindet.63 Einen eigens errichteten Museumsbau hat es für dieses Landesmuseum also nie gegeben, stattdessen musste vor allem die Gestaltung der Dauerausstellung häufig schwierigen räumlichen Gegebenheiten angepasst werden. Die aktuelle Dauerausstellung ist seit 2009 zu sehen.64 Anders war die Entwicklung des wesentlich älteren Rheinischen Landesmuseums Trier verlaufen. Anfangs war es zwar noch in den Räumen der Gesellschaft für nützliche Forschungen und des Trierer Priesterseminars untergebracht, doch 1889 konnte es in das zweckentsprechend neu errichtete Museumsgebäude einziehen, in dem es bis heute seinen Sitz hat. Allerdings ist der Bau heute Teil eines größeres Ensembles, bestehend aus dem in weiten Teilen rekonstruierten Originalbau und einigen Ergänzungsbauten, denn 1944 war das alte Museumsgebäude zu etwa 80 Prozent durch Bombenangriffe zerstört worden. 1956 konnten das Haupthaus und der Südflügel wiedereröffnet werden, bis 1966 wurde der Nordflügel neu errichtet. Zwischen 1982 und 1986 wurde diesem schließlich noch ein Erweiterungsbau angeschlossen.65 Das Gebäude des Rheinischen Landesmuseums Trier war also speziell für die Sammlung entworfen worden und wurde der wachsenden Sammlung und der sich verändernden Ausstellungspraxis auch mehrfach durch Um- und Anbauten angepasst. In statischer und architektonischer Hinsicht war dabei vor allem den vielen großen und schweren Steindenkmälern und Mosaiken aus provinzialrömischer Zeit Rechnung zu tragen. Zwischen 2009 und 2011 wurde die aktuelle Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums in zwei Abschnitten konzipiert und aufgebaut.66 Für das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle wurde ebenfalls früh ein zweckdienlicher Neubau geplant. Er entstand zwischen 1911 und 1913 und wurde während des Ersten Weltkriegs eingerichtet.67 1934 wurde die Institution, die ursprünglich Landesanstalt für Vorgeschichte hieß, in Landesanstalt für Volkheitskunde umbenannt,68 denn sie sollte als Forschungsinstitut für ein vermeintlich wissenschaftliches Fach »Volkheitskunde« – bestehend aus Ur- und Frühgeschichte, Volks-, Brauchtums- und Rassenkunde – ausgebaut werden und im nationalsozialistischen Staat Forschungsund Bildungsaufgaben im Sinne der Ideologie übernehmen.69 1948 wurde das Museum wiederum in Landesmuseum für Vorgeschichte umbenannt.70 Bis 1950 war es 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70
Vgl. Andrei Miron und Auguste Schäfer, verborgen/entdeckt, 1993, S. 4. Vgl. Alfons Kolling, Forschungsgeschichte, 1966, S. 6. Vgl. Tabea Malter und Franz-Josef Schumacher, Archäologische Schätze von der Saar, 2010, S. 27. Vgl. ebd., S. 29. Vgl. Jürgen Merten, Kurze Geschichte, 2009, S. 219–224. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden, Bericht der Direktion, 2012/13, S. 474. Vgl. Karl-Heinz Otto, Das Landesmuseum und seine Aufgaben, 1949, S. 6. Vgl. Johannes Schneider, Geschichte des Museums 1912 bis 1945, 1984, S. 109. Vgl. Bernd Zich, Vorgeschichte, 2016, S. 20f. Vgl. Dieter Kaufmann, Provinzialmuseum – Landesanstalt – Landesmuseum – Landesamt für Archäologie, 2001, S. 31.
I.2 Charakterisierung Archäologischer Landesmuseen
dem Ministerium für Volksbildung der Regierung der Provinz Sachsen zugeordnet, wurde dann aber zusammen mit den übrigen Forschungsinstitutionen für Ur- und Frühgeschichte in Dresden, Weimar, Potsdam und Schwerin dem Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR unterstellt.71 Im Gegensatz zur Bundesrepublik, wo die Kulturpolitik auch gleich nach dem Krieg wieder im Kompetenzbereich der Länder lag, steuerte in der DDR der Staat die Kulturpolitik zentral. Nicole Cordier hat in ihrer Dissertationsschrift gezeigt, dass sich dies auf die Landesmuseen dahingehend auswirkte, dass Ausstellungskonzepte von zentralen Gremien vorgegeben wurden. Das Ziel war es, sogenannte sozialistische Museen aufzubauen. Dabei blieben die Kernaufgaben der Museen zwar dieselben, wurden aber mit den Zielen des Marxismus-Leninismus verbunden.72 Nach der Wende wurde das Landesmuseum für Vorgeschichte 1991 mit dem Landesamt für archäologische Denkmalpflege zusammengeschlossen.73 Ab 2003 wurde die Dauerausstellung in mehreren aufeinander folgenden Abschnitten neu konzipiert.74 Die Villa des Helms-Museums in Hamburg war nach dem Krieg so stark zerstört, dass man sich gegen einen Wiederaufbau entschied. Stattdessen wurde bis 1955 ein Neubau errichtet, in dem heute noch die Verwaltung und das Stadtmuseum Harburg untergebracht sind.75 Für die Dauerausstellung des archäologischen Museumsteils wurde 1998 eine ehemalige Bücherhalle am Harburger Rathausplatz angekauft.76 Die aktuelle Dauerausstellung wurde im Mai 2009 eröffnet.77 Zuvor war das Museum zunächst noch als Stiftung mit den historischen Museen der Stadt zusammengefasst worden, bevor es aus dieser Konstruktion wieder ausgegliedert und in eine eigene Stiftung überführt wurde. Die Dauerausstellungen, die im dritten Teil dieser Dissertation analysiert werden, sind also größtenteils um das Jahr 2009 entstanden, wobei die Ausstellung in Halle seit 2003 schrittweise aufgebaut wurde und zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit noch nicht ganz abgeschlossen war. Da Dauerausstellungen in archäologischen Museen meist zwischen acht und zwölf Jahren oder auch länger bestehen, liefen diese Ausstellungen zum Zeitpunkt ihrer Dokumentation im Jahr 2018 also zum Teil schon auf das Ende ihrer Dauer zu, waren aber noch nicht außergewöhnlich alt. Da die Auswahl der Museen für die hier durchgeführten Fallstudien nicht vom Eröffnungsjahr der Ausstellungen abhängig gemacht wurde, kann es als Zufall bezeichnet werden, dass diese ungefähr gleich alt sind. Es ist jedoch auffällig, dass die vier Ausstellungen trotz ihres gleichen Alters ganz unterschiedliche Inszenierungsstrategien aufweisen. Ein klarer Trend der Ausstellungsgestaltung Archäologischer Landesmuseen im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends zeichnet sich darin also nicht ab. Wie die Regionen, deren archäologisches Fundgut sie präsentieren, haben die Archäologischen Landesmuseen wechselvolle Entwicklungen hinter sich, für die die vier 71 72 73 74 75 76 77
Vgl. Dieter Kaufmann, Das Landesmuseum nach 1945, 1984, S. 117f. Vgl. Nicole Cordier, Deutsche Landesmuseen, 2003, S. 181f. Vgl. Dieter Kaufmann, Provinzialmuseum – Landesanstalt – Landesmuseum – Landesamt für Archäologie, 2001, S. 35. Vgl. Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 220. Vgl. Claus Ahrens, Aus der Geschichte des Helms-Museums, 1973, o. S. Vgl. Ralf Busch, Ein Jahrhundert am Ende dieses Jahrtausends, 1998, S. 11. Vgl. Beate Trede, Neueröffnung, 2008, S. 147.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
hier analysierten Museen typische Beispiele darstellen. Die große Mehrheit der Archäologischen Landesmuseen wurde bereits Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet und hat somit mehrere politische Systeme, Kriege und territoriale Strukturreformen »miterlebt«. Auffällig ist, dass fast alle Museen dieses Typus entweder direkt in bürgerlicher Vereinstradition stehen, wie beispielsweise das Museum in Hamburg, oder Sammlungen von Altertumsvereinen einen wichtigen Teil der Museumssammlung ausmachen, wie in Trier und Halle. Auch Privatsammlungen wurden von vielen Archäologischen Landesmuseen aufgenommen. Die Sammlungen der Museen sind also meist noch älter als die Institutionen selbst und sind traditionell zur Bildung und Unterhaltung der Bevölkerung angelegt. Vor allem durch die beiden Weltkriege sind aber an den meisten Sammlungen und Museumsgebäuden in mehr oder weniger starkem Maße Verluste entstanden. Die heutigen Museumsgebäude sind in vielen Fällen selbst Denkmäler und waren zuvor fürstliche oder königliche Residenzen, Verwaltungsgebäude, Festungen oder Klöster. Die Museumsarbeit wird also oft auf diese Weise mit einer Nachnutzung von Gebäuden verbunden, die selbst Kulturgüter darstellen und somit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. In vielen Fällen wurden Gebäude aber auch eigens für Archäologische Landesmuseen errichtet. Nachdem die Archäologischen Landesmuseen charakterisiert und ihre Entwicklung sowie ihr Verhältnis zur Kulturpolitik und Bodendenkmalpflege in den jeweiligen Bundesländern dargestellt wurden, soll in den folgenden Kapiteln dieser Arbeit der Frage nachgegangen werden, zu welchem Zweck Archäologische Landesmuseen unterhalten werden. Dieser Ansatz mag provokant wirken, soll aber keineswegs als Zweifel an Sinn und Nutzen dieser Institutionen oder gar als versteckte Forderung nach ihrer Abschaffung verstanden werden. Stattdessen soll in dieser Dissertation reflektiert werden, welches gesellschaftliche und politische Potenzial in Archäologischen Museen steckt, welche Anforderungen an sie gestellt werden, welche Aufgaben ihnen übertragen werden und ob sie diese erfüllen können, wollen und sollten. Dafür will ich im folgenden Kapitel zunächst analysieren, welche Aufgaben diesen Museen von kulturpolitischer Seite zugewiesen sind und welche Motive Bundesländer für die fortdauernde Unterhaltung Archäologischer Landesmuseen haben. Außerdem werde ich die Haltungen von Archäolog:innen zum Auftrag und zur Aufgabe solcher Institutionen, die im Rahmen der Fallstudien in Expert:inneninterviews vertreten wurden, vergleichend betrachten und kritisch kommentieren.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
Friedrich Nietzsche stellte erstmals 1874 seine Unzeitgemäßen Betrachtungen über den Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben vor und reflektierte dabei die Vorteile und Risiken einer kollektiven, kulturellen Erinnerung.1 Auch auf die Archäologie können diese Betrachtungen ausgeweitet werden, denn letztlich ist auch diese eine Form der Geschichtswissenschaft, wenn sie auch nicht vorrangig die schriftlich überlieferte Vergangenheit im Blick hat. Gerade bezüglich der Archäologischen Landesmuseen können sehr unterschiedliche Haltungen zu und Vorstellungen von deren Auftrag und Potenzial, also gewissermaßen zu ihrem Nutzen und ihren Risiken für das gesellschaftliche (Zusammen-)Leben, beobachtet werden, die ich grob in zwei Interessenlagen einteile. Eine Seite, die vor allem von der staatlichen Kulturpolitik vertreten wird, attestiert dem Denkmalschutz und der Denkmalpflege sowie Museen das Potenzial, kulturelles Gedächtnis und kulturelles Erbe zu bewahren und somit den Menschen Anknüpfungspunkte für eine kulturelle Identität zu bieten. Viele Vertreter:innen von Archäologischen Landesmuseen lehnen dagegen auf der anderen Seite in persönlichen Gesprächen und den hier veröffentlichten Interviews die Verbindung ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit der Vorstellung einer kulturellen Identität ab und wollen ihren Auftrag vielmehr in der objektiven Erforschung der Vergangenheit und der historischen Bildung der Bevölkerung sehen – wobei damit durchaus der Anspruch verbunden sein kann, durch Bildung zu einer positiven Entwicklung des gesellschaftlichen (Zusammen-)Lebens beizutragen. Wie in der Einleitung dieser Arbeit bereits angekündigt, nehme ich im Feld der Archäologischen Landesmuseen einen Zielkonflikt wahr, der aus diesen beiden gegensätzlichen Haltungen zum Auftrag der Archäologie resultiert und der für die Arbeit der Archäologischen Landesmuseen Risiken birgt. Ich will diese unterschiedlichen Haltungen, den aus ihrem Widerspruch erwachsenden Zielkonflikt und das daraus folgende risikoreiche Potenzial der ideellen Vereinnahmung der Archäologie im Folgenden weiter erörtern. Ich werde die Argumentationsmuster beider Diskurse untersuchen und dafür zunächst den kulturpolitischen analysieren. Kulturpolitische Strategien oder Agenden 1
Vgl. Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben, 1988, S. 243–334.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
werden in den seltensten Fällen schriftlich niedergelegt und veröffentlicht. Für die Länder Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen-Anhalt liegen solche Strategiepapiere allerdings vor, auf die ich mich daher bei meiner Analyse konzentriere. Den Anfang soll außerdem ein kurzer Blick auf die von Monika Grütters herausgegebene Handreichung zum 2016 erlassenen Kulturgutschutzgesetz machen, in der die Haltung der Bundespolitik zum Wert von Kulturgütern für die Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Der kulturpolitischen Argumentation soll im weiteren Verlauf dieses Teilkapitels eine kritische Betrachtung der in den Expert:inneninterviews vertretenen Haltungen zu den Aufgaben und zum Potenzial Archäologischer Landesmuseen gegenübergestellt werden. Die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters eröffnet ihr Vorwort zur Handreichung für die Praxis des neuen Kulturgutschutzgesetzes mit der These, dass Kulturgüter existenzielle Objekte von nationaler Identität seien. Sie begründet das Selbstverständnis Deutschlands als Kulturnation und die staatliche Kulturförderung daher mit der Überzeugung, dass Kulturgüter notwendige Spiegel der Geschichte und Identität einer Gesellschaft seien. Gleichzeitig leitet sie von dieser Überzeugung »auch eine besondere, gemeinsame Verantwortung für den Schutz von Kulturgut« ab.2 Der folgende Ausschnitt ist mit Blick auf ihre Argumentation besonders aufschlussreich und soll deshalb in Gänze zitiert werden: Kunst ist keine Ware wie jede andere. Anders als Güter des täglichen Gebrauchs, anders als Autoreifen, Matratzen oder Zahnbürsten, haben Kunstwerke und Kulturgüter nicht nur einen Preis, sondern auch und vor allem einen ideellen Wert. Die Überzeugung, dass Kulturgüter existenziell sind als Spiegel unserer Geschichte und unserer Identität, ist Teil unseres Selbstverständnisses als Kulturnation. Kultur ist, was uns definiert. Kultur ist, was uns ausmacht – als Menschen, als Europäer, als Deutsche, als Rheinländer oder Thüringer, als Bayern oder Mecklenburger, als Hamburger oder Berliner. Unsere Kultureinrichtungen – allen voran unsere Museen – geben Auskunft über unser kulturelles Selbstbild und über unseren Blick auf die Welt. Der ideelle Wert ist dann besonders hoch, wenn die Kulturgüter in besonderer Weise die Geschichte und Identität eines Landes spiegeln, so wie beispielsweise in Deutschland die Himmelsscheibe von Nebra. Solche seltenen Zeugnisse gelten als national wertvolles Kulturgut, das zu schützen und für künftige Generationen zu bewahren ist. Dies stellt eine wichtige Aufgabe jeder Kulturpolitik dar, nicht zuletzt angesichts der moralischen Verpflichtung einer Kulturnation zur Achtung ihres kulturellen Erbes und ihrer gesellschaftlichen Fundamente.3 Hier wird Kulturgütern ein ideeller Wert zugestanden, der offenbar daran bemessen wird, wie sehr sie sich als Ausdruck der spezifischen Geschichte und Identität einer Kulturnation eignen, mit der die Bundesrepublik Deutschland gleichgesetzt wird. Dahinter steht die Vorstellung, dass Kultur Gesellschaften und Individuen definiert. Da Kultureinrichtungen und vor allem Museen als Orte, an denen Kulturgüter gesammelt, erforscht und vermittelt werden, Auskunft über ein kulturelles Selbstbild und über einen 2 3
Vgl. Monika Grütters (Hg.), Das neue Kulturgutschutzgesetz, 2017, S. 5. Ebd., S. 12.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
»Blick auf die Welt« geben, werden sie folglich von kulturpolitischer Seite als Identitätsinstitutionen begriffen. Wie verhalten sich jedoch das Konzept der Kulturnation und das der Identität einer solchen zu den Teil-Identitäten der einzelnen Bundesländer, in deren Verantwortung und Verfügung gerade materielle Kulturgüter aus archäologischem Kontext stehen? Der Begriff der »Kulturnation« beschreibt »eigentlich eine Nation ohne Staat […], nämlich ein Volk, das sich über Herkunft bzw. eine gemeinsame Tradition, Sprache, Ethnie o.a. definiert, das aber eben gerade nicht oder noch nicht – über einen Staat verfügt«.4 Darauf hat die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel in einer Studie zur auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Deutschlands hingewiesen, die sie für das Institut für Auslandsbeziehungen erstellt hat. Das Konzept der Kulturnation lehnt sie mit Blick auf Deutschland jedoch rundheraus ab, denn bei der Verwendung des Begriffs würden eine nationale Kultur und Identität vorausgesetzt, die historisch nie existiert hätten, sondern das Produkt von Erzählungen seien, die die Geisteswissenschaft im 19. Jahrhundert zur Stärkung des Einheitsgedankens hervorgebracht habe.5 In diesen Kontext gehört auch das scheinbar unverdächtige Konzept der »Kulturnation«, das die verspätete deutsche Nation als geistig überlegene Nation innerer Werte imaginiert – und zwar in Gegenstellung zu den Bildern einer oberflächlichen »Zivilisation« (Frankreichs) und eines »kalten Parlamentarismus« (Englands). Aufgrund dieser ideologischen Kontamination ist der Begriff wenig tauglich für die Kulturpolitik, – auch schon deshalb, weil die Bezeichnung Deutschlands als Kulturnation indirekt besagt, dass dieses Attribut anderen Nationen nicht zustünde.6 Weigel weist in ihrer Studie nach, dass die Bezeichnung Deutschlands als Kulturnation die Aussage impliziert – ob nun beabsichtigt oder nicht –, »dass andere Nationen keine Kultur haben«. Des Weiteren unterstelle sie »die Überlegenheit einer Kulturnation gegenüber Nationen, denen dieser Titel nicht zukommt«.7 Darüber hinaus steht ein solches Konzept einer national homogenen kulturellen Identität, wie bereits erwähnt, in einem Spannungsverhältnis zum Föderalismus und den kulturellen Identitäten einzelner Bundesländer oder Regionen. Ich werde darauf in Teilkapitel II.3.1 noch näher eingehen. Zunächst möchte ich hier noch den Fokus auf die Benennung eines konkreten archäologischen Objekts als vermeintlichem Spiegel der Geschichte und Identität der »Kulturnation Deutschland« legen. Mit der Erwähnung der Himmelsscheibe von Nebra nimmt Grütters auf ein archäologisches Objekt und Exponat im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale Bezug, in dem sich die Geschichte und die Identität Deutschlands verdichten sollen. Inwiefern kann aber von einem Objekt, das von unbekannten Menschen an einem nicht genau bestimmbaren Ort in einem nicht genau bestimmbaren Moment der frühen europäischen Mittelbronzezeit hergestellt und vermutlich von Vertreter:innen der sogenannten Aunjetitzer Kultur als astronomischer und kultischer Repräsentationsgegenstand genutzt wurde, auf eine deutsche Identität geschlossen werden? Zwar liegt der
4 5 6 7
Sigrid Weigel, Transnationale Auswärtige Kulturpolitik, 2019, S. 81, Hervorhebung i. O. Vgl. ebd., S. 11. Ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 85, Hervorhebungen i. O.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Fundort Nebra in der heutigen Bundesrepublik und die Himmelsphänomene auf der Scheibe bilden die spezifische astronomische Situation der Region zwischen Mittelberg und Brocken vor rund 3000 bis 4000 Jahren ab. An eine Bundesrepublik Deutschland war jedoch zu dieser Zeit nicht im Entferntesten zu denken und auch die weitere gesellschaftliche, kulturelle, politische oder ökonomische Entwicklung des Fundgebietes bis zum heutigen Tag wurde nicht durch die Himmelsscheibe geprägt, deren Deponierung immerhin erst 1999 von Sondengängern entdeckt wurde. Als Beispiel für ein Identitätssymbol der Bundesrepublik Deutschland taugt ein Objekt wie die Himmelsscheibe also im Grunde nicht. Ob dies nun ein Versäumnis ist, das lediglich deutlich macht, dass ein solcher Text – dessen vorrangiger Zweck es ist, für das Kulturgutschutzgesetz zu werben – wissenschaftlichen Ansprüchen nicht standhält, oder ob ein bestimmtes politisches Motiv hinter der Wahl des Beispiels steht, sei dahingestellt. Letztlich wirbt dieser Text – ob nun beabsichtigt oder nicht – für die Vorstellung, dass auch Kulturgüter aus ur- und frühgeschichtlichen Zeiten eine nationale Identität begründen. Aber können sie das überhaupt? Die Juristin Heike Krischok, die sich in ihrer Dissertation mit dem Wert archäologischer Objekte und deren rechtlichem Schutz beschäftigt hat, vertritt in ähnlicher Weise wie Monika Grütters die Vorstellung einer staatstragenden Bedeutung von Kulturgütern. Sie sieht in kultureller Identität »die Grundlage für die Bildung und Stabilität des Staatsvolkes in freiheitlich demokratisch organisierten Staaten« und bestimmt ebendiese Stabilität des Staatsvolkes als Ziel kultureller Staatsförderung.8 Der Kulturgutschutz und die ihm verpflichteten Einrichtungen sollen der Handreichung zum Kulturgutschutzgesetz zufolge aber nicht nur eine nationale Identität stützten, sondern sie auch nach außen transportieren und damit zur Völkerverständigung beitragen. Dies soll jedoch nicht – wie vielleicht angenommen werden könnte – durch einen freien Austausch von Kulturgütern erreicht werden, sondern indem sogenannte national wertvolle Kulturgüter »vor einer Beschädigung, Zerstörung oder unrechtmäßigen Entfernung von ihrem angestammten Ort« bewahrt werden.9 Welche Objekte nun als national wertvoll einzustufen sind und von welchen Kriterien ein solcher Status abhängig ist, ist ebenso diskussionswürdig wie die Frage, was als »angestammter Ort« gelten kann. Gerade archäologische Objekte aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit wurden schließlich an Orten hergestellt, genutzt und verhandelt, deren Zugehörigkeit zum heutigen Deutschland zwar gegebenenfalls geografisch, aber meist nicht politisch oder kulturell begründet werden kann. Eine Charakterisierung als »angestammt« lässt sich nicht ohne Weiteres auf Objekte wie beispielsweise die zahlreichen etruskischen und römischen Importgüter anwenden, die durch Handel und technologischen Austausch ihren Weg in mittel- und nordeuropäische Regionen und dort letztlich in die archäologischen Sammlungen vieler Museen gefunden haben. Zwar sind solche Objekte die materiellen Spuren von gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen oder religiösen Entwicklungsprozessen. Die Objekte selbst haben aber wohl nur in den seltensten Fällen zu diesen Entwicklungsprozessen beigetragen und darüber hinaus selten noch nach der Zeit ihrer aktiven Nutzung eine gesellschaftliche 8 9
Vgl. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 155. Vgl. Monika Grütters (Hg.), Das neue Kulturgutschutzgesetz, 2017, S. 13.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
Rolle gespielt. Nur die wenigsten archäologischen Objekte sind schließlich seit der Zeit ihrer Herstellung dauerhaft präsent gewesen – solches gilt in der Regel nur für monumentale Bauwerke wie beispielsweise die Porta Nigra in Trier. Der überwiegende Anteil archäologischer Objekte war dagegen für mehrere hundert oder gar tausend Jahre im Boden verborgen und vergessen und hatte somit an der Entwicklung des Gebietes, welches die heutige Bundesrepublik umfasst, keinen Anteil. Das Beharren auf dem Verbleib von als national wertvoll eingestuften archäologischen Objekten innerhalb der Landesgrenzen der Bundesrepublik Deutschland stellt daher letztlich eine Form der Aneignung und Vereinnahmung dar, die nicht nur eine kulturelle Identität auf die gesammelten Einflüsse vielfältiger Kulturgüter gründet, sondern umgekehrt auch vielen archäologischen Kulturgütern eine Identität als »deutsche« überstülpt. Ich werde dies, insbesondere den Begriff der Aneignung, in Teilkapitel II.3.2 noch näher erläutern. Argumentationen, die insbesondere Objekte und Themen der Ur- und Frühgeschichte als Zeugnisse kultureller Identität und als kulturelles Erbe benennen und behandeln, unterstützen damit die Vorstellung einer direkten, kontinuierlichen und persönlichen Verbindung zwischen einer Gesellschaft der Vergangenheit und einer der Gegenwart. Die Eigenarten einer gegenwärtigen Gesellschaft werden dann vermeintlich aus der Vergangenheit heraus erklärt. Tatsächlich werden dazu aber eher Vorstellungen auf die Vergangenheit übertragen; die kulturelle Identität urgeschichtlicher Gesellschaften wird so gedeutet und ausgelegt, dass sie sich in ein erwünschtes Bild von der heutigen Gesellschaft nahtlos einfügen lässt. Dabei kann dasselbe urgeschichtliche Thema je nach Ziel der Argumentation auch ganz unterschiedlich beurteilt werden, wie die Prähistorikerin Brigitte Röder in ihrem Beitrag zum Sammelband Geschichte, Archäologie, Öffentlichkeit am Beispiel eines Identitätsdiskurses zu den Neandertalern in den Medien gezeigt hat. Sie hat beobachtet, dass in den letzten Jahrzehnten das Image der Neandertaler aufgewertet wurde und diese in der öffentlichen Wahrnehmung von tierähnlichen, primitiven Höhlenmenschen zu intelligenten und liebenswerten Verwandten aufgestiegen sind.10 Der stern etwa betitelt sie als »Die ersten Deutschen« […] und bringt unsere urgeschichtlichen Vettern so mit nationaler Identität in Verbindung. Als einzige Menschenart, die in Europa entstanden ist, lassen sich die Neandertaler aber auch als Identifikationsfiguren für eine europäische Identität vereinnahmen. Und so werden sie häufig – u.a. auf der Website von planet wissen als »Die ersten Europäer« […] bezeichnet. Der Bayerische Rundfunk macht aus ihnen gar »Die einstigen Herren Europas« […].11 Nicht nur die Medien, sondern auch die Archäologie hat sich an dieser Imagepflege beispielsweise in Form von Ausstellungen beteiligt, was Röder dadurch begünstigt sieht, dass die Europäische Union den Aufbau einer europäischen Identität fördert. Die Prähistorikerin vermutet, dass es der EU sicher gelegen komme, wenn die Archäologie den Ursprung Europas in Bulgarien oder im Beitrittskandidaten Türkei verorte und durch große Ausstellungen thematisiere – wohl um öffentliche Zustimmung für die Aufnahme des Landes in die EU zu generieren. In Ausstellungskatalogen erkannte Röder ent10 11
Vgl. Brigitte Röder, »Schon Höhlenmänner bevorzugten Blondinen«, 2010, S. 88f. Ebd., S. 89.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
sprechend Bestrebungen, eine kollektive »europäische« Identität aufzubauen, indem eine gemeinsame historische Vergangenheit geschaffen beziehungsweise im Sinne Eric Hobsbawms erfunden wird. Ihre Studie macht also deutlich, dass in Diskursen zur Urgeschichte politische Themen mitschwingen können und umgekehrt politische Agenden die Deutung der Urgeschichte beeinflussen können.12 In Ingo Wiwjorras Untersuchungen zum Germanenmythos wird die Problematik dieses Wechselverhältnisses besonders deutlich. Der Prä- und Neuzeithistoriker hat den Wandel des Diskurses bezüglich der »Germanen« zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert analysiert und unterscheidet dabei zwei unterschiedliche Strategien zur Erklärung der Herkunft dieser Volksgruppe: Auf der einen Seite die Vorstellung, dass sie und ihre gesamte Kultur aus dem Orient stammten und auf der anderen Seite die Überzeugung, dass germanische Völker aus Nordeuropa sich auf der Welt ausgebreitet und ihre vermeintlich überlegene Kultur etabliert hätten.13 Die ursprüngliche Theorie, dass die »Germanen« aus dem Orient eingewandert seien, wurde im 19. Jahrhundert zunehmend – selbst von ihrem ursprünglichen Vertreter, dem Anthropologen Rudolf Virchow – in Zweifel gezogen und ihr wurde eine Rassentheorie gegenübergestellt, der zufolge die »Germanen« europäische Ureinwohner seien.14 Bis zum 19. Jahrhundert habe sich das nationale Selbstverständnis der Deutschen zwar vor allem, aber nicht ausschließlich, auf die »Germanen« bezogen. Auch den »Kelten«, »Slawen« und »Römern« sei ein Anteil an der kulturellen und ethnischen Entwicklung Mitteleuropas beigemessen worden. Sogar Einflüsse von Stämmen, die in antiken Schriftquellen erwähnt werden (zum Beispiel die »Skythen« oder die »Sarmaten«), und solchen, die während der Völkerwanderungszeit Mitteleuropa erreichten (zum Beispiel die »Hunnen« und die »Awaren«), seien anerkannt worden.15 Es wurde also durchaus schon von einer Gemengelage vielfältiger kultureller und ethnischer Einflüsse ausgegangen. Jedoch: Über die Anteile dieser verschiedenen ethnischen und kulturellen Einflüsse an der nationalen Genese bestanden vielfältige und nicht selten kontroverse Ansichten, die zu einer zunehmenden Politisierung der Altertumsforschung beitrugen.16 Ab dem 19. Jahrhundert sei eine immer stärkere Idealisierung und Mythisierung betrieben worden, in deren Zuge die modernen Nationenbezeichnungen mit antiken Stämmen in direkte Verbindung beziehungsweise Nachfolgerschaft gebracht worden seien. Besonders seit der Reichsgründung 1871 sei es zu einer Zuspitzung der Tendenz gekommen, die »das Germanische als einzigen legitimen Vorläufer des Deutschen« auffasste.17 Das Konzept des germanischen Typus sei zunehmend genutzt worden, um eine nationale germanische Identität historisch zu belegen und auch Einflüsse der »Germanen«
12 13 14 15 16 17
Vgl. ebd., S. 88–91. Vgl. Ingo Wiwjorra, »Ex oriente lux« – »Ex septentrione lux«, 2002, S. 73–75. Vgl. ebd., S. 83–86. Vgl. Ingo Wiwjorra, Der Germanenmythos, 2006, S. 53. Ebd., S. 54. Vgl. ebd., S. 64f., Zitat S. 64.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
in anderen europäischen Regionen vermeintlich nachzuweisen. Anteile anderer sozialer Gruppen, wie der sogenannten Kelten oder Slawen, hätten »mittels selektiv wahrgenommener rassentypologischer Zuweisungen ebenso eine Germanisierung [erfahren], wie auch das römische Imperium und die griechische Antike in maßgeblichem Umfang vom ›germanischen Typus‹ geprägt gewesen sein« sollten.18 Der Germanenmythos wurde so zum zentralen Element der nationalsozialistischen Gesinnung und diente in der Blut-und-Boden-Ideologie der Rechtfertigung von territorialen Ansprüchen. Wiwjorra räumt zwar ein, dass zumindest für einzelne Regionen der Welt eine bis in vorhistorische Epochen zurückreichende ethnische, sprachliche und kulturelle Kontinuität nicht ausgeschlossen werden kann. Er verweist in einer Fußnote hierzu auf die Forschung des Genetikers Luigi Luca Cavalli-Sforza aus dem Jahr 1999. CavalliSforza habe festgestellt, dass die als Ötzi bekannten mumifizierten Überreste eines neolithischen Mannes genetisch am nächsten mit den heute im Fundgebiet lebenden Menschen verwandt zu sein scheinen, und daraus geschlossen, dass in diesem Gebiet seit neolithischer Zeit kaum substanzielle Einwanderung erfolgt sei.19 Solche Gebiete und Regionen sind aber besonders in Europa als Ausnahmeerscheinungen zu betrachten. Nicht erst seit der Moderne und in jüngster Zeit haben auf dem Kontinent ganz erhebliche Ein- und Abwanderungs- sowie Integrationsprozesse stattgefunden, die das Erbgut heutiger Menschen selbst in einer bestimmten, überschaubaren Region ausgesprochen vielfältig gemacht haben.20 Darüber hinaus hängen kulturelle oder sprachliche Ähnlichkeiten natürlich nicht von einer genetischen Übereinstimmung ab. Von einer ethnischen Kontinuität und Homogenität kann daher kaum die Rede sein. Eine nationale kulturelle Identität, gestützt auf einen völkischen Herkunftsmythos, wird inzwischen nicht mehr (oder eher: zurzeit von der Mehrheit der Bevölkerung nicht) konstruiert. Die Kulturpolitik der letzten Jahrzehnte hat vielmehr ein postnationales, europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl gefördert. Dabei hat sie sich jedoch weiterhin gerne ur- und frühgeschichtlicher Themen bedient und die Vergangenheit und die Gegenwart damit fiktiv verknüpft. Angesichts jüngster politischer Entwicklungen in ganz Europa und in Teilen der westlichen Welt muss außerdem damit gerechnet werden, dass künftig auch wieder vermehrt völkisch-nationale Identitätsnarrative propagiert werden. Manfred K. H. Eggert hat die Verbindung von Politik und Archäologie scharf kritisiert, bei der zum Aufbau kultureller Identitäten große, internationale Ausstellungen gefördert werden, in denen insbesondere der Europagedanke in die Urgeschichte zurückverlängert wird.21 In dem online veröffentlichten Zusatzmaterial zu dem von Eggert und Stefanie Samida verfassten Lehrbuch zur Einführung in die Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie ist ein umfangreicher Teil dieser Thematik gewidmet, aus dem hier ein größerer Abschnitt zitiert werden soll. Eggert und Samida beanstanden 18 19 20
21
Vgl. ebd., S. 346. Vgl. ebd., S. 53. Archäologische und naturwissenschaftliche Nachweise von Migration und vielfältiger genetischer Vermischung beziehungsweise Integration in Europa in ur- und frühgeschichtlichen Zeiten werden beispielsweise in einigen Beiträgen des Tagungsbandes Migration und Integration von der Urgeschichte bis zum Mittelalter vorgestellt (vgl. Harald Meller u.a. [Hg.], Migration und Integration von der Urgeschichte bis zum Mittelalter, 2017). Vgl. Manfred K. H. Eggert, Archäologie. Grundzüge einer Historischen Kulturwissenschaft, 2006, S. 256f.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
dort Ausstellungen, die auf »meist plakative, an den Haaren herbeigezogene Weise für den Europa-Gedanken« werben. Insbesondere kritisierten sie die Ausstellungskampagne Archäologisches Erbe: Die Bronzezeit – Das erste goldene Zeitalter Europas, die 1994 vom Europarat in Straßburg initiiert wurde.22 Der Titel verheißt indirekt weitere »goldene Zeitalter« und legt den Gedanken an eine Tradition nahe. Es ist grotesk, wenn ein Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in jenem Kontext behauptete, dass wir mit der Bronzezeit nicht nur »eine gemeinsame europäische Vergangenheit« im Sinne einer »gemeinsamen Geschichte« besäßen, sondern uns darin zugleich »selbst entdecken«. Die Besinnung auf die Bronzezeit wurde sogar als Heilmittel gegen »die Flut aggressiven Nationalismus« in Erwägung gezogen. Man fragt sich, für wie gering Politiker die identitätsstiftende Kraft der Europaidee einschätzen, um derart abwegige Vorschläge zu machen. Zu solchem Unsinn reichen einige Archäologen bereitwillig die Hand − ihnen geht es allein um die Förderung der eigenen Interessen. […] Der springende Punkt liegt in der unzulässigen Verquickung einer fernen Vergangenheit mit der Gegenwart – einer Vergangenheit, die nicht das Geringste mit jenen Verhältnissen zu tun hat, die wir meinen, wenn wir von »Europa« sprechen. Hier wird die Geschichte − konkret die Archäologie − zur Magd der Politik gemacht, und solchem Ansinnen kann man aus unserer Sicht gar nicht nachdrücklich genug entgegentreten.23 Neben dieser Kritik warnen Eggert und Samida auch davor, Archäologie als eine Wissenschaft aufzufassen, die einen Beitrag zur Lösung von Problemen der Gegenwart oder gar der Zukunft leisten könnte. Dieser Ansatz sei zwar gut gemeint, könne aber dazu führen, dass Archäologie an ihrem ökonomischen Nutzen gemessen werde. Der Vorstellung von Archäologie als Orientierungshilfe für die Gegenwart widersprechen sie ebenfalls, denn die Vergangenheit werde immer vom Standpunkt der Gegenwart aus interpretiert und biete somit keine allgemeingültigen Handlungsanweisungen. Auch wollen sie nicht vorbehaltlos die Theorie vertreten, dass manche menschlichen Verhaltensweisen durch die archäologische Perspektive als Instinkte erklärt werden können, die auf das Leben zu urgeschichtlicher Zeit zurückgehen. Zur Findung persönlicher oder kollektiver Identität könne Archäologie auch nur in geringem Maße beitragen, da sie dabei Gefahr laufe, fiktive Zuschreibungen vorzunehmen, also den Begriff einer bloß vermeintlich kulturell und ethnisch homogenen Gruppe auf die Bevölkerung eines Staates der Gegenwart zu übertragen. Den Nutzen der Archäologie sehen Eggert und Samida folglich nicht in der Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung beziehungsweise in einer Rolle als »Lehrmeisterin für das Leben«, die auf Fragen der Gegenwart Antworten aus der Vergangenheit liefern könnte. Stattdessen begründen sie den Wert der Archäologie damit, dass diese Disziplin historische Grundlagenforschung betreibe, mit der ein Beitrag zur Kulturgeschichte sowie zur historisch-archäologischen Bildung des Menschen geleistet werde.24
22 23 24
Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, Zusatzmaterial, S. 30. Ebd., S. 30. Vgl. ebd., S. 35f. sowie Manfred K. H. Eggert, Archäologie. Grundzüge einer Historischen Kulturwissenschaft, 2006, S. 258.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
Wie zuvor deutlich wurde, lehnen sie es jedoch ab, die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung kulturpolitischen Agenden anzudienen. Es liegt auf der Hand, dass es sich dabei um eine Grundsatzentscheidung handelt. Eggert und Samida treten für eine politisch neutrale, unabhängige Haltung der Wissenschaft ein. Hinter der generalisierenden Ablehnung der Verbindung von Politik und Archäologie steht vermutlich die Intention, eine Instrumentalisierung des Fachs wie beispielsweise zur Zeit des Nationalsozialismus zu verhindern – gerade mit Blick darauf, dass schließlich immer die Möglichkeit besteht, dass sich das politische Klima verändert und wieder in die inhaltliche Arbeit von Museen eingegriffen wird. Letztlich ist jedoch fraglich, in wie weit vor allem Archäologische Landesmuseen, die in ihrer Ausstellungsarbeit von der finanziellen Förderung durch den Staat abhängig sind, eine völlig unabhängige und neutrale Position wahren können. Solange die Freiheit der Wissenschaft gewahrt bleibt, mag dies noch relativ einfach sein. Gleichwohl ist gelegentlich zu beobachten, dass in Förderanträgen mit politisch erwünschten Themen um Gelder geworben wird. Nicht nur auf bundesstaatlicher oder europäischer Ebene wird Identitätspolitik mit Motiven der Ur- und Frühgeschichte betrieben, auch einige deutsche Bundesländer folgen dieser Taktik. Besonders gut lässt sich das anhand von Veröffentlichungen zu landeskulturpolitischen Strategien nachvollziehen. Eine solche hat das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg zuletzt 2012 aktualisiert als Broschüre mit dem Titel Kultur in Brandenburg. Kulturpolitische Strategie 2012 herausgegeben. Damit wird die Agenda vorgestellt, die die Grundlage der Kulturförderung des Landes ist. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass das Land eine Verpflichtung zur Förderung und Bewahrung von Kultur »um ihrer selbst willen« habe, die sich aus Art. 34 der Landesverfassung ableite.25 Die Kulturförderung wird also zunächst vorrangig unter Bezug auf eine rechtliche Verpflichtung begründet. Ähnlich wird die Aufarbeitung, Bewahrung und Veröffentlichung von kulturgeschichtlichen Dokumenten schlicht als Landesaufgabe bezeichnet, aufgrund derer neben einigen anderen Museen auch das Archäologische Landesmuseum Brandenburg unterhalten werde (vgl. S. 21). Unter der Überschrift Warum fördert das Land die Kultur? wird dann aber näher auf die Gründe für eine Landeskulturförderung eingegangen: Historisches Erbe ist in besonderem Maße geeignet, kulturelle Identität zu stiften. Es trägt entscheidend dazu bei, Brandenburg in Deutschland und der Welt sichtbar zu machen. Die kulturhistorischen »Highlights« wie die Weltkulturerbe-Landschaft der Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburgs ziehen viele Besucher ins Land. Hier liegt ein großer Teil des kulturtouristischen Potenzials von Brandenburg, welches das Land weiterentwickeln möchte. Ziel ist es, das kulturelle Gedächtnis des Landes zu bewahren und für die Bürgerinnen und Bürger zugänglich zu machen. (S. 10) Als zweite Begründung neben der rechtlichen Verpflichtung wird also die Bedeutung des historischen Erbes für die kulturelle Identität genannt. Außerdem trage das kulturhis25
Vgl. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Kultur in Brandenburg, 2012, online, S. 6. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
torische Erbe entscheidend zur Sichtbarkeit Brandenburgs in Deutschland und der Welt bei. Das Land will dieses touristische Potenzial weiterentwickeln und darüber hinaus kulturelles Gedächtnis für seine Bevölkerung bewahren und zugänglich machen. Zu den Leitgedanken, die der Kulturförderung Brandenburgs zugrunde liegen, gehört die Überzeugung, dass Kultur ein zentrales Gut jeder Gesellschaft sei, dessen Förderung der Kreativität und Persönlichkeitsentfaltung diene. Zugleich soll durch die Förderung von Kultur das kulturelle Erbe gesichert und erhalten werden. Dabei wird Kultur zunächst ein Eigenwert beigemessen; sie soll um ihrer selbst willen gefördert werden und nicht zu irgendeinem Zweck. Bemerkenswerterweise wird dieser Richtlinie allerdings angefügt, dass durch die Förderung bestimmter kultureller Projekte und Institutionen dennoch politische Schwerpunkte gesetzt werden sollen, »die über den Zweck, das kulturelle Leben zur Entfaltung zu bringen, hinausreichen«. Es werden drei inhaltliche Schwerpunkte und zwei Querschnittsfunktionen erfüllende Schwerpunkte festgelegt, die künftig als Förderkriterien ausschlaggebend sein sollen. Die inhaltlichen Schwerpunkte beziehen sich auf kulturelle Bildung, regionale Identität und Kulturtourismus. Ein Projekt oder eine Kulturinstitution muss mindestens einem dieser Schwerpunkte dienen, um gefördert zu werden (vgl. S. 13). Besonders ins Auge fällt der Förderschwerpunkt »regionale Identität«, der besagt, dass ein Projekt eine überregionale Ausstrahlung haben soll, die »für die eigene Bevölkerung wahrnehmbar wird und so zur Identitätsbildung beiträgt«. Förderungswürdige Projekte sollen also Identität stiften, und zwar nicht nur nach außen hin, sondern auch nach innen, bei der Bevölkerung des Landes. Der Förderschwerpunkt »Kulturtourismus« lässt außerdem erkennen, dass die Kultur eben doch nicht bloß um ihrer selbst willen gefördert werden soll, sondern für den Tourismus und folglich für die Wirtschaft des Landes Impulse liefern soll (vgl. S. 18f., Zitat S. 18). Während Brandenburg seine kulturpolitische Strategie nicht terminiert hat, stellt Sachsen-Anhalt mit der Broschüre Landeskulturkonzept Sachsen-Anhalt 2025 aus dem Jahr 2014 seine langfristige kulturpolitische Strategie bis 2025 vor. Die Notwendigkeit für ein Kulturkonzept wird dort mit der Verbesserung der Lebensqualität durch Kunst und Kultur für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft sowie mit der Bedeutung von Kultur im internationalen Standortwettbewerb begründet.26 Bei der Förderung von Kunst und Kultur will Sachsen-Anhalt auf schwerpunktorientiertes Handeln setzen, da ein solches die Voraussetzung für die dauerhafte positive Beeinflussung des Landesbildes und der Identität nach innen und außen sei (vgl. S. 9). Ziel der Kulturpolitik ist es also, die kulturelle Identität des Landes nach innen und ein positives Bild des Landes nach außen zu stärken. Dabei wird den Museen im Land eine wichtige Rolle als Ankerpunkte zur Identifikation der Bevölkerung in der Region zugewiesen (vgl. S. 16). Von der Identifikation mit dem Land verspricht man sich auf kulturpolitischer Seite offenbar positive Effekte – beispielsweise den Zuzug oder den Verbleib von Arbeitskräften im Land, soziales Engagement sowie Zufriedenheit mit der Politik der regierenden Parteien. Wie in Brandenburg wird auch hier die Kulturförderung unter anderem mit wirtschaftlichen Vorteilen begründet. Die Broschüre erklärt, dass zwischen Kultur und Wirt26
Vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt, Landeskulturkonzept Sachsen-Anhalt 2025, 2014, online, S. 4. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
schaft vielfältige Wechselwirkungen bestünden. Nicht nur bildeten ökonomische Erfolge die Voraussetzung für Kulturförderung, sondern umgekehrt könnten Kunst und Kultur auch die Innovationskraft steigern und damit die wirtschaftliche Entwicklung positiv beeinflussen. Ein kulturelles Angebot wird also als wichtig für die Standortaufwertung angesehen, welche wiederum angestrebt wird, da ein attraktiver Standort qualifizierte Arbeitskräfte anlocken und halten kann. Darüber hinaus wird Denkmalpflege als Mittelstandsförderung bezeichnet, die zu Wachstum und Beschäftigung beitrage. Selbst die Förderung von nicht erwerbswirtschaftlichen Kultursektoren könnte positive Nebeneffekte für die ökonomische Wertschöpfung haben (vgl. S. 45). Besonders stark soll allerdings der Kulturtourismus gefördert und ausgebaut werden, weshalb im Masterplan Tourismus Sachsen-Anhalt 2020 festgehalten wurde, dass Sachsen-Anhalt ein führendes Kulturreiseland in Deutschland werden will. Dafür wird vor allem auf die Themen »Städte und Kultur«, »Luther und Reformation«, »UNESCO-Welterbe«, »Bauhaus und Moderne«, »Straße der Romanik und Mittelalter«, »Parks und Gärten«, »Himmelswege und Archäologie« sowie »Kunst und Musik« gesetzt. Die Archäologie soll für den Kulturtourismus also eine wichtige Rolle spielen (vgl. S. 46).27 Dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Halle wird in diesem Kulturkonzept besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es wird beschrieben als »Institution zur Bewahrung und Erschließung des Kulturerbes«, die »eine der ältesten, umfangreichsten und bedeutendsten archäologischen Sammlungen in Deutschland« sowie zahlreiche Funde von Weltrang beherberge. Dadurch gehöre das Landesmuseum »zu den wichtigsten archäologischen Museen in Mitteleuropa«. So wird in drei Schritten eine herausragende Bedeutung des Museums für Deutschland, Mitteleuropa und die Welt propagiert. Der Rang des Museums wird dabei an seiner Sammlung insgesamt und insbesondere an einzelnen Fundstücken wie der Himmelsscheibe von Nebra bemessen und im internationalen Vergleich als besonders hoch bewertet. Dadurch wird eine Begründung für den relativ großen Anteil des Amtes und Museums an den Kulturausgaben des Landes indirekt vorweggenommen. Als Ziel des Museums wird vom Kulturministerium in diesem Zusammenhang vorgegeben, die archäologische Landesgeschichte nicht nur wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu präsentieren, sondern sie auch international zu kontextualisieren. Hierin zeigt sich der Anspruch Sachsen-Anhalts, einen Ruf als international vernetzter Standort und möglicherweise sogar als sogenannter Global Player zu kultivieren (vgl. S. 9f., Zitate S. 9).28 Dieses Selbstverständnis wird auch im folgenden Abschnitt deutlich: Sachsen-Anhalt liegt in einer Region, die für das Verständnis der Geschichte Europas und weit darüber hinaus von großer Bedeutung ist. Begünstigt durch die zentrale Lage und als Kreuzungspunkt bedeutender Verkehrswege, die fruchtbaren Böden und reichen Bodenschätze, hat sich über die Jahrhunderte eine vielfältige kulturelle Landschaft entfaltet. Das Land verfügt über eine Vielzahl von Zeugnissen, die einzigartig 27 28
Auf den Zusammenhang zwischen einer regionalen Kulturprogrammatik und einer globalen, wie der der UNESCO, wird in Teilkapitel II.3.1 eingegangen. Der Anteil des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Halle liegt bei 15,83 Prozent der Gesamtausgaben (vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt, Landeskulturkonzept Sachsen-Anhalt 2025, 2014, online, Anlage 1, S. 58).
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
oder exemplarisch für Wendepunkte in der Geschichte stehen und heute der anschaulichen Vermittlung für die nachwachsenden Generationen dienen. (S. 23) Sachsen-Anhalt will sich also nicht nur auf seine zentrale Position in Deutschland beschränken, sondern vorrangig seine zentrale Position in Europa betonen. Das Streben nach stärkerer Vernetzung innerhalb Europas hat das Land Sachsen-Anhalt bereits im Jahr 2012 mit der damals beschlossenen Internationalisierungs- und Europastrategie zum Ausdruck gebracht, die den kulturellen Austausch mit anderen europäischen Regionen als unverzichtbar für die Entwicklung des Landes beschrieb. Unter anderem wurde im Rahmen dieser Strategie die Zusammenarbeit des Kultusministeriums mit dem Bildungs- und Kulturministerium der Republik Armenien vereinbart, was erklärt, warum Arnold Muhl im Interview den Wunsch des Ministeriums nach einer Kooperation des Landesmuseums für Vorgeschichte mit archäologischen Institutionen Armeniens als Beispiel anführte (vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 501). Zuletzt soll hier noch auf Planungen des Landes Baden-Württemberg verwiesen werden, die Anfang des Jahres 2019 per Pressemitteilung angekündigt wurden. Eine kulturpolitische Landeskonzeption soll künftig die Fundstätten und Museumssammlungen zur keltischen Kultur im Land sichtbarer und erfahrbarer machen. Das Konzept mit dem Titel »Baden-Württemberg und seine Kelten« wird von einer Arbeitsgruppe entwickelt, die sich aus Vertreter:innen der beteiligten Ministerien und Landeseinrichtungen zusammensetzt. Die Bodendenkmäler und Museen im Land sollen dabei besser vernetzt sowie mit einem landesweiten Tourismuskonzept und einer »überzeugenden Werbekampagne« erfolgreicher gemacht werden. Die Heuneburg soll als Erlebniswelt gestaltet und das Keltenthema »publikumswirksam inszeniert und um interaktive und handlungsorientierte Angebote erweitert werden«, um möglichst breites Interesse zu wecken. Wie hoch die dafür notwendigen Mittel angesetzt werden müssen, lässt sich der Pressemitteilung des Landes zufolge noch nicht abschätzen, aber für den Ausbau der Heuneburg zu einer Erlebniswelt sei ein niedriger zweistelliger Millionenbetrag notwendig. Beschlossen wurde die Initiative vom Ministerrat. Ministerpräsident Winfried Kretschmann betonte, es handele sich um ein Projekt der gesamten Landesregierung. Dieser sei es auch sehr wichtig, die jeweiligen Regionen rund um die Fundstellen und Museen einzubinden, denn: »Die Keltenkonzeption bietet auch die Chance einer gezielten kulturellen Förderung des ländlichen Raums.« Offenbar hofft das Land also, den archäologischen Bestand nutzen zu können, um den Tourismus und damit die Wirtschaft besonders in ländlichen Regionen zu fördern. Doch warum sollten gerade die Spuren der keltischen Besiedlung in Baden-Württemberg derart betont werden – und nicht etwa die römischer, germanischer oder sonstiger Besiedlung? Die Äußerungen der verantwortlichen Politiker in der Pressemitteilung machen deutlich, dass das Programm nicht einfach aufgrund der Tatsache etabliert wird, dass in dem Bundesland besonders viele und besonders fundreiche Spuren der keltischen Kultur entdeckt wurden. Begründet wird die Förderung beziehungsweise die damit verbundene Nutzung des Keltenthemas stattdessen mit einer identitätsstiftenden Bedeutung der Kelten für Baden-Württemberg.29 So sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann:
29
Vgl. Staatsministerium Baden-Württemberg. Baden-Württemberg und seine Kelten, 2019, online.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
Das Keltische stellt in gewisser Weise die erste paneuropäische Kulturgemeinschaft nördlich der Alpen dar. Die Spuren sind in Baden-Württemberg an vielen Stellen sichtbar, in den Museen des Landes genauso wie an zahlreichen Fundstätten. Die besondere historische Beziehung des heutigen Baden-Württemberg zu den Kelten soll im Land sichtbarer und für die Menschen emotional erfahrbar gemacht werden.30 Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht des Weiteren folgendes Zitat der Kunststaatssekretärin Petra Olschowski: Der Blick auf die faszinierende Lebenswelt der Kelten eröffnet gerade in der heutigen Zeit eine wirkungsmächtige Erzählung unserer Kulturgeschichte, die einen starken Ankerpunkt im europäischen Selbstverständnis darstellt […]. Diese Geschichte, die viele Themen unserer Zeit spiegelt – wie Mobilität, Zuwanderung, Einheit in Vielfalt –, aus heutiger Perspektive zu ergründen und zu erzählen, kann ein spannender Baustein eines offenen, pluralen und nationenübergreifenden Identitätsgedankens sein.31 Ziel dieses Konzepts ist es also, nach innen und außen zu erklären, dass Baden-Württemberg gewissermaßen als Nachfolgerstaat der keltischen Siedlungsregionen ein urtümlich europäisches, plurales und offenes Bundesland sei, indem die Zeitphase der keltischen Besiedlung durch gezielte Kulturförderung im Bewusstsein der Öffentlichkeit gestärkt wird. Möglicherweise soll damit auch ein verbindendes Motiv zwischen den beiden Landesteilen Baden und Württemberg gefestigt werden.32 Eine spezifische frühgeschichtliche Phase und eine vermeintlich homogene Volksgruppe werden dabei in den Dienst politischer Interessen gestellt. Bei der Entscheidung zur Betonung des Keltenthemas mag auch eine Rolle gespielt haben, dass die »Kelten« im Gegensatz zu den »Germanen« vermeintlich unpolitisch und nicht vorbelastet erscheinen. Dass dies allerdings ein Irrtum ist, haben Dorothee Ade und Andreas Willmy im Handbuch Die Kelten aufgezeigt: Wenn […], wie geschehen, in Frankreich jemand die Werbetrommel rührt, um als erster Abgeordneter der »keltischen Nation« nach Brüssel zu kommen, mag man darüber noch lächeln. Wenn unter den erstaunlich zahlreichen »Keltengruppen« Oberitaliens manche auf ihren Webseiten merkwürdige Vorstellungen von Heimat und Heimatrecht äußern, die spontan und etwas überspitzt formuliert an »Blut und Boden« auf 30 31 32
Ebd. Ebd. Der Umstand, dass die unterschiedlichen Landesteile, die das heutige Baden-Württemberg bilden, sich bis nach dem Zweiten Weltkrieg getrennt entwickelt haben und bis heute nicht völlig homogen im modernen Bundesland aufgegangen sind, spiegelt sich unter anderem in der Situation der dortigen Archäologischen Landesmuseen. Da das Badische Landesmuseum Karlsruhe mit einer archäologischen Sammlung die Ur- und Frühgeschichte Badens repräsentiert und das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart mit einer Sammlung zur Ur- und Frühgeschichte Württembergs die gleiche Funktion innehat, ist die Sammlung des Archäologischen Landesmuseums Baden-Württemberg in Konstanz sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihrer intendierten Funktion deutlich eingeschränkt. Formal ist Letzteres zwar seit 2010 das Museum der Landesarchäologie und somit für Funde aus dem gesamten Bundesland zuständig, aber besonders bedeutende – vor allem auch für die Keltenforschung bedeutende – Funde gehören nach wie vor den Sammlungen der ursprünglich auf fürstliche Kollektionen zurückgehenden Landesmuseen in Karlsruhe und Stuttgart an.
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Keltisch erinnern – »keltische Heimaterde« in Oberitalien! –, schon weniger. Eines wird klar: Vorgeschichte ist immer potentiell politisch gewesen und ist es noch überall da, wo es um Legitimation und Ansprüche geht, ob nun vor oder nach dem Ersten Weltkrieg oder in neu gegründeten Staaten, wo, so scheint es, manche Menschen glauben, nun ein Identitätsproblem zu haben, dem man mit der Berufung auf ein »Urvätervolk« […] beikommen muss.33 Das Dispositiv der »Kelten« birgt also dasselbe Potenzial, politisch beziehungsweise ideologisch vereinnahmt und instrumentalisiert zu werden, wie das Dispositiv der »Germanen«. Es bleibt zu hoffen, dass die Vermittlung der keltischen Funde und Fundstellen in Baden-Württemberg durch das kulturpolitische Förderprogramm derart aufgestellt wird, dass damit einem Missbrauch des Themas vorgebeugt wird. In Gesetzestexten und kulturpolitischen Strategiepapieren wird die Unterhaltung von Museen allgemein sowie von Bodendenkmalpflege und Archäologischen Landesmuseen im Besonderen also wie selbstverständlich mit dem Potenzial von Museen begründet, das kulturelle Gedächtnis, das Erbe und die Identität eines Bundeslandes zu bewahren. Vor allem die identitätsstützende Funktion solcher Institutionen scheint für Bundesländer von Interesse zu sein, wie bereits aus der Analyse von Denkmalschutzgesetzen in Kapitel I.1 dieser Arbeit abgeleitet werden konnte. Doch worin gründet diese von offizieller Seite archäologischen Museen zugeschriebene Verbindung zu Gedächtnis, Erbe und Identität? Erklärungsversuche hierzu gibt es bereits seit den 1960er Jahren. Sie sollen nach einem kurzen Abriss der Entwicklung archäologischer und kulturhistorischer Museen vor allem nach 1945 kurz vorgestellt werden. Die Zuschreibung identitätsstiftender Aufgaben hat bei Archäologischen Landesmuseen gerade aufgrund ihrer Gründungsmotive Tradition. Es wurde in den vorangegangenen Teilkapiteln bereits dargelegt, dass die Archäologie und die archäologischen Sammlungen und Museen im 19. und frühen 20. Jahrhundert zunächst vor allem von Altertumsvereinen und später auch durch den Staat initiiert und getragen wurden, um mit einem Bewusstsein für die lokale Vergangenheit zugleich auch ein verbindendes Gefühl der historisch gewachsenen Zusammengehörigkeit der Bevölkerung innerhalb der im Deutschen Reich zusammengeschlossenen Landesteile zu fördern. Viele Museen wirkten tatsächlich auch aktiv neben anderen öffentlichen Institutionen vor allem an der Bildung nationaler Identitäten und an einer öffentlichen »Kulturalisierung« mit. Sharon Macdonald hat gezeigt, dass es dabei für die nationalen Identitäten der Kolonialstaaten nicht nur wichtig war, Produkte der eigenen Kultur zu zeigen, sondern auch, Artefakte anderer Kulturen zu besitzen – der Kulturen, die sie kolonialisiert hatten. Der Besitz und die Demonstration solcher Objekte habe belegt, dass die Kolonialstaaten fähig waren, auch über ihre Grenzen hinaus zu herrschen.34 Zur eigenen nationalen Identität gehörte somit in diesen Fällen auch die Macht über andere Identitäten. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden Ausstellungen dann insbesondere dafür genutzt, der Bevölkerung Zerstreuung und Unterhaltung zu bieten und somit die Heimatfront zu stärken. Dazu wurden vor allem heimatbezogene Themen wie Familie, Hei-
33 34
Dorothee Ade und Andreas Willmy, Die Kelten, 2012, S. 180. Vgl. Sharon Macdonald, Museums, National, Postnational and Transcultural Identities, 2003, S. 2f.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
matpresse oder Germanen in Präsentationen verarbeitet.35 Museen wurden also dazu genutzt, die Propaganda des Regimes bezüglich einer vermeintlichen Volksidentität zu verbreiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es einige Jahre, bis sich die Museumslandschaft in beiden deutschen Staaten neu aufstellte und ihre Vergangenheit aufarbeitete. Es folgte zwar zunächst eine Museumskrise, dann aber eine Neuorientierung. Die neu verfestigten demokratischen Strukturen in der BRD hatten auch auf die Museumsentwicklungspläne Einfluss und es wurden mehr dezentrale Museumseinrichtungen angestrebt.36 Es kam in den 1970er und 1980er Jahren zu starken Zuwachsraten im Bereich historischer Museen und innerhalb von etwa dreißig Jahren stieg die Zahl der Besuche in west- und ostdeutschen Museen von rund 25 Millionen pro Jahr auf 103 Millionen im Jahr 2002. Den größten Anteil an diesen Besuchen hatten die historischen Museen »einschließlich der heimat- und volkskundlichen, der Freilichtmuseen, der Burg- und Schloßmuseen sowie der kulturgeschichtlichen Spezialmuseen«.37 Die zahlreichen Neugründungen und der Erfolg von Museen lösten auch umfangreiche Forschungsbemühungen aus, auf die eine regelrechte Welle wissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema in den 1990er Jahren folgte.38 Von einem Museumsboom oder Museumstrend war die Rede. Die überwiegende Mehrzahl dieser Neugründungen wurde von historischen und kulturgeschichtlichen Museen in kommunaler Trägerschaft gebildet, also von Heimatmuseen.39 Heike Krischok sowie Heinrich T. Grütter haben die wachsende Zahl regionalbezogener Museen als Folge eines Bedürfnisses nach der musealen Repräsentation lokaler Identitäten – im Gegensatz zu nationalen Identitäten – gedeutet. Wenn man […] beachtet, daß es sich bei der überwältigenden Mehrheit der Museumsgründungen um Heimatmuseen handelt oder um Spezialmuseen, die bestimmte Alltagsgegenstände sammeln oder vergangene Lebens- oder Produktionsformen zum Thema haben, so drängt sich der Verdacht auf, daß es sich bei dem Museumsboom zumindest teilweise um eine Suche nach Identität und der Vertrautheit verlorengegangener Lebenswelten handelt.40 Die Suche nach Identität in der Vertrautheit der Vergangenheit ist für Heike Krischok eine logische Folge der sogenannten temporalen Identitätsdiffusion. Unter den Bedingungen eines sich beschleunigenden sozialen und technischen Wandels besteht die Gefahr, die kulturelle Vertrautheit in der Gegenwart zu verlieren. Dieser Vorgang wird als temporale Identitätsdiffusion bezeichnet.41 35 36 37 38
39 40 41
Vgl. Martin Roth, Heimatmuseum, 1990, S. 108f. Vgl. Hildegard K. Vieregg, Geschichte des Museums, 2008, S. 58. Vgl. Rosmarie Beier-de Haan, Erinnerte Geschichte – Inszenierte Geschichte, 2005, S. 12. Vgl. beispielsweise Martin Roth, Heimatmuseum, 1990 sowie Marie-Louise von Plessen (Hg.), Die Nation und ihre Museen, 1992. Im angelsächsischen und französischsprachigen Raum boomte die Museumsforschung ebenfalls, vgl. zum Beispiel Tony Bennett, The Birth of the Museum, 1995; Eilean Hooper-Greenhill, Museums and the Shaping of Knowledge, 1992; Flora E. S. Kaplan (Hg.), Museums and the Making of »Ourselves«, 1994; Kevin Walsh, The Representation of the Past, 1992. Vgl. Gottfried Korff und Martin Roth, Einleitung zu Das historische Museum, 1990, S. 11f. Heinrich T. Grütter, Zur Theorie historischer Museen und Ausstellungen, 1998, S. 179f. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 84f.
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Temporale Identitätsdiffusion beschreibt also die häufig anzutreffende Vermutung, dass Menschen in der modernen Welt zunehmend die Orientierung verlieren. Da Umwelt, Gesellschaft, Arbeitsweisen, Wertesysteme und viele weitere Faktoren sich inzwischen vergleichsweise schnell wandeln, geht ein Gefühl von Konstanz und Vertrautheit verloren und damit droht die Gefahr einer Identitätskrise. Diese Argumentation steht in der Tradition der sogenannten Ritter-Schule, die von Jens Hacke als eine liberal-konservative Alternative zur Frankfurter Schule bewertet wird und die ihm zufolge geholfen hat, »eine kulturelle und intellektuelle Legitimität der Bundesrepublik zu begründen«.42 Der Philosoph Joachim Ritter entwickelte in den 1960er Jahren an der Westfälischen WilhelmsUniversität in Münster eine Kompensationstheorie, auf deren Basis sein Schüler Hermann Lübbe eine Musealisierungsthese begründete. Ich möchte diese Musealisierungsthese und ihre Grundlage, die Kompensationstheorie, in gebotener Kürze erläutern: Hermann Lübbe vertritt die These, dass ein historisches Bewusstsein sich gar nicht erst ausbildet, »solange die Geschwindigkeit in der evolutionären Änderung von Kulturen so gering ist, daß diese Änderung für die jeweiligen Zeitgenossenschaften nicht bemerkbar ist«. Wenn die Geschwindigkeit der Veränderungen aber so hoch sei, dass die Veränderungen von einer einzigen Generation wahrgenommen werden können, komme es zu Erfahrungen der Entfremdung und Desorientierung.43 Das heißt, solange eine soziale Gruppe nicht wahrnimmt, dass sie sich im Laufe der Zeit und über mehrere Generationen hinweg verändert, versteht sie sich selbst noch als identisch mit den sozialen Gruppen, die ihr in der Vergangenheit vorausgegangen sind. Laufen Veränderungsprozesse in der Kultur einer sozialen Gruppe jedoch so schnell ab, dass schon eine Generation ihr Anderssein gegenüber ihrer Vorgänger- beziehungsweise Nachfolgergeneration wahrnimmt, kommt es zu einem Bruch in der Vorstellung der Identität. Lübbe erklärt, dass die Vergangenheit, in der die Gegenwart sich noch wiedererkennt, durch die Modernisierung immer mehr verkürzt werde und die Perspektivierung der Zukunft angesichts der zu erwartenden weiteren Veränderungen zunehmend schwierig werde.44 Als Gegenmaßnahme werde versucht, die Vergangenheit im historischen Bewusstsein zu erhalten und anzueignen, das heißt, es werde ein Konzept des kulturellen Erbes eingeführt, das über die Generationen hinweg weitergegeben werde.45 Lübbe hat die Zunahme des allgemeinen Wohlstands, die eine »Extravaganz im kulturellen Umgang mit der Vergangenheit« ermögliche, als Erklärung für den Museumsboom anerkannt, aber auch darauf verwiesen, dass diese Erklärung nicht ausreichend sei. Er argumentiert, dass ein Kulturgut erst dann musealisierungsfähig sei, »wenn die Phase seiner originalen, nicht-imitativen Reproduktion beendet ist, wenn es aus eben diesem Grund unersetzbar und daher konservierungsbedürftig wird«. Im Umkehrschluss folgert der Philosoph, dass die aktu-
42 43 44 45
Vgl. Jens Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit, 2006, S. 296. Vgl. Hermann Lübbe, Zeit-Verhältnisse, 1990, S. 43. Vgl. Heinrich T. Grütter, Zur Theorie historischer Museen und Ausstellungen, 1998, S. 179. Die Konstituierung kultureller Identität und die Bedeutung kulturellen Erbes für eine Gesellschaft sowie der Zusammenhang dieser beiden Konzepte mit dem des kulturellen Gedächtnisses werden im zweiten Teil der Dissertation eingehend reflektiert.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
elle Beschleunigung des kulturellen Musealisierungsprozesses eine Folge der Beschleunigung des zivilisatorischen Wandels sei.46 Die skizzierte Musealisierung expandiert nicht einfach in Korrelation zur Expansion des Wohlstands. Ihr Korrelat ist die Geschwindigkeit des wissenschaftlichen, technischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Wandels. Mit dieser evolutionären Geschwindigkeit nimmt die Menge der Funktionselemente unseres Zivilisationssystems zu, die veralten, das heißt funktionslos und somit zu Relikten werden. Je größer die Dynamik des zivilisatorischen Prozesses ist, um so rascher füllt sich unsere jeweilige Gegenwart mit Relikten vergangener, und seien es jüngstvergangener kultureller Epochen an, und das Museum ist zunächst einmal nichts anderes als der Ort der Versammlung solcher Relikte in konservierender Absicht.47 Zusammenfassend stellt Lübbe die These auf, dass die moderne Gesellschaft wegen des beschleunigten wissenschaftlichen, technischen und sozialen Wandels der Gefahr eines Identitätsverlustes gegenüberstehe, die durch die Musealisierung gebannt werden solle; das heißt, indem die fremdgewordene Vergangenheit durch die Musealisierung im historischen Bewusstsein als eigene Vergangenheit aneignungsfähig gehalten werde.48 Heinrich T. Grütter führt diese These Lübbes auf die Kompensationstheorie von Joachim Ritter zurück, der zufolge sich Institutionen wie das Museum, die Denkmalpflege und die historischen Geisteswissenschaften herausgebildet haben, um die Zersetzung von Traditionen zu kompensieren, die mit der Entstehung der bürgerlich-industriellen Gesellschaft einhergegangen sei. Solche kompensatorischen Institutionen sollten also als Erinnerungsorgane fungieren, die über den Traditionsabbau hinweg historischen Sinn ermöglichten.49 Am prägnantesten hat Ritter seine Kompensationstheorie im Aufsatz Die Aufgabe der Geisteswissenschaften in der modernen Gesellschaft dargelegt. Dieser Aufsatz erschien erstmals in den Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster in Heft 51 aus dem Jahr 1963 und war die erweiterte Fassung eines Vortrags, den Ritter 1961 gehalten hatte. Der Philosoph beobachtet darin, dass die Gesellschaft im 19. Jahrhundert sich einerseits zunehmend auf die Industrialisierung und den naturwissenschaftlichen Fortschritt ausgerichtet habe und daher vor allem solche Wissenschaften gefördert und institutionalisiert habe, die einen direkten, praktischen Nutzen für die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen versprachen. Andererseits sei aber gleichzeitig auch ein historischer Sinn erwacht und die Gesellschaft habe eine Klasse von Wissenschaften ausgebildet, die keinen solchen direkten, konkreten Nutzen zu haben schienen. Ritter wirft daher die Frage auf, wie sich diese scheinbare Paradoxie erklären lasse, was es also sei, das in einer industriellen Gesellschaft nach Geisteswissenschaften verlange.50 Er geht davon aus, dass die Ausbildung der Geisteswissenschaften zu einem Prozess der »Emanzipation aus den […] vorgegebenen geschichtlichen Herkunftswelten« gehöre, in dem sich nicht nur die moderne Gesellschaft Europas im
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Vgl. Hermann Lübbe, Der Fortschritt und das Museum, 1982, S. 12–16, Zitate S. 13f. Ebd., S. 16f. Vgl. ebd., S. 18. Vgl. Heinrich T. Grütter, Zur Theorie historischer Museen und Ausstellungen, 1998, S. 179. Vgl. Joachim Ritter, Die Aufgabe der Geisteswissenschaften, 1974, S. 124–126.
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Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
19. Jahrhundert konstituiert habe, sondern den tendenziell alle Gesellschaften durch die Modernisierung durchlaufen würden.51 Daher kommt er zu dem Schluss, dass Gesellschaften ein Organ benötigen, »das ihre Geschichtslosigkeit kompensiert und für sie die geschichtliche und geistige Welt des Menschen offen und gegenwärtig hält«.52 Wie zuvor dargelegt wurde, sind die Konzepte der kulturellen Identität und des kulturellen Erbes, ebenso sowie auch das Konzept des kulturellen Gedächtnisses, zentrale Motive im Diskurs zum Sinn und Zweck kulturhistorischer Museen. Es sollte nun auch deutlich geworden sein, dass vor allem die kulturpolitische Argumentation, die Museen die Aufgabe attestiert, Gedächtnis, Erbe und Identität einer Gesellschaft zu bewahren, sich mit der Kompensationstheorie von Joachim Ritter sowie mit der Musealisierungsthese von Hermann Lübbe erklären lässt. Gottfried Fliedl hat dabei aber auf ein wichtiges Detail aufmerksam gemacht: Er beschreibt den Begriff der Kompensation zunächst mit »der Bewegung zwischen Kontinuität und Bruch, zwischen Zerstörung und Bewahrung, zwischen Vergessen und Erinnerung«. In Bezug auf die von Ritter beobachtete Paradoxie, dass gerade in Zeiten, in denen Traditionen und Relikte der Vergangenheit vergessen oder aufgegeben würden, verstärkt ein historisches Bewusstsein aufkomme, hat der Museologe allerdings aufgezeigt, dass eine Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit, über die hinweg die Dinge der Vergangenheit erhalten werden sollen, überhaupt erst durch das historische Bewusstsein konstituiert werde.53 Die Kompensationsmaßnahme der Musealisierung definiert also rückblickend einen Punkt, ab dem Dinge als Vergangenes von der Aktualität der Gegenwart geschieden sind. So ermöglicht das Museum nicht nur Begegnungen mit dem noch Vertrauten, sondern auch mit dem schon Fremden und lässt das Fremde wieder vertraut und nah, das Vertraute dagegen anders und distanziert wirken. Letzteres lässt sich beispielsweise im LWL-Museum für Archäologie in Herne erleben, wo zur Veranschaulichung der Typologie und relativen Chronologie in der Archäologie frühe Mobiltelefonmodelle gezeigt werden, an deren Besitz und Gebrauch in den 1990er Jahren sich so manche:r Besucher:in noch amüsiert zurückerinnern wird. Roger Fayet hat daher, neben anderen wie Gottfried Korff und Peter Sloterdijk,54 die Funktion des Museums in der Begegnung mit dem Fremden verortet. Die These vom Museum als xenologische Institution geht davon aus, dass gerade wegen der globalisierungsbedingten kulturellen Angleichungstendenzen lebensweltliche Fremdheitserfahrungen seltener werden und durch die Musealisierung des zeitlich, geografisch oder sozial Anderen kompensiert werden müssen.55 Da das Museum es ermöglicht, zum Fremden in Kontakt zu treten und das durch historische Distanz fremd Gewordene als Eigenes zu erkennen und anzunehmen, dient es dem Aufbau oder der Stärkung von Identitäten. Zugleich bietet es auch Fremdheitserfahrungen, aufgrund derer eine Distanz zum Nicht-Eigenen etabliert wird. Übertragen auf Archäologische Landesmuseen lässt sich
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Vgl. ebd., S. 128f., Zitat S. 129. Vgl. ebd., S. 131. Vgl. Gottfried Fliedl, Testamentskultur, 1990, S. 168f., Zitat S. 168. Vgl. Gottfried Korff, Museumsdinge, 2002; Peter Sloterdijk, Museum. Schule des Befremdens (1989), 2007. Vgl. Roger Fayet, Der Abfall und das Museum, 2015, S. 19f.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
aus dieser These folgern, dass dieser Museumstypus die Identifizierung nach innen mit den materiellen Hinterlassenschaften der Ur- und Frühgeschichte des jeweiligen Landes ermöglicht. Das heißt, Besucher:innen können die vermeintlich fremden Dinge gewissermaßen als Eigenes, als Erbe, erkennen. Außerdem können sie sich nach außen von den präsentierten Objekten oder von anderen Dingen – die sie vielleicht aus anderen Museen, von Reisen oder aus Medien kennen und mit denen sie die Exponate im Museum vergleichen – abgrenzen. Deshalb lässt sich argumentieren, dass Archäologische Landesmuseen eine identitätstragende Aufgabe erfüllen. Aber wie positionieren sich nun die Museen selbst beziehungsweise deren Vertreter:innen zu den ihnen angetragenen gedächtnis-, erbe- und identitätsstützenden Aufgaben und welche Rollen spielen die Kulturtheorien zu den Konzepten von Gedächtnis, Erbe und Identität in der täglichen Arbeit dieser Institutionen? Im Rahmen dieser Dissertation konnte diesen Fragen in den Expert:inneninterviews der Fallstudien nachgegangen werden. Dabei vertraten die befragten Expert:innen durchaus unterschiedliche Haltungen, die von einer Äußerung bewusst identitätsstiftender Arbeit bis hin zur strikten Ablehnung der Interpretation von Museumsarbeit als Gedächtnis-, Erbe- und Identitätsproduktion reichten. Am Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes zeigt sich der Sammlungsleiter und Kurator Franz-Josef Schumacher nicht nur der Produktion von Gedächtnis, Erbe und Identität durch die eigene Arbeit bewusst, sondern er beschreibt diese sogar als eine der Kernaufgaben des Museums. Der Umgang mit kulturellem Gedächtnis sowie die Vermittlung von kulturellem Erbe und kultureller Identität spielen nach Aussage Schumachers in seiner täglichen Arbeit eine wichtige Rolle, da dieses Archäologische Landesmuseum und insbesondere dessen Dauerausstellung dazu konzipiert wurden, die Entwicklung der kulturellen Identität der Gesellschaft darzustellen: Diese [Konzeption der Ausstellung] geht davon aus, dass man der Bevölkerung zeigen will, auf welchen Wurzeln die Gesellschaft eigentlich basiert – wie das Ganze sich entwickelt hat. Und es war ein Leitgedanke bei der Konzeption unserer Ausstellung, dass wir zeigen wollen, dass diese Identität auf einen großen Zeitabschnitt zurückgeht und gewachsen ist. Identität passiert ja nicht auf einen Schlag, sondern baut sich auf bestimmten Grundlagen auf.56 Diese klare Ausrichtung wurzelt Schumachers Ausführungen zufolge in den Ursprüngen des Museums, die auf die Gründung des Saargebietes nach dem Ersten Weltkrieg und auf die Installierung einer Denkmalpflege für dieses Gebiet zurückgehen. Es soll die Intention des ersten Museumsdirektors und Landeskonservators Karl Klein gewesen sein, durch Ausgrabungen »eine Materialbasis zu schaffen, vor deren Hintergrund die Bedeutung des Gebietes gezeigt werden konnte«, auf die also eine Identität des neuen Landes an der Saar gestützt werden konnte.57 Demnach ist das Museum gegründet worden, um für das noch junge Saargebiet eine Identität zu generieren, und es verfolgt auch zu Schumachers Zeit noch die Absicht, die kulturelle Identität dieses Landes zu vermitteln.
56 57
Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 465f. Vgl. ebd., S. 466f., Zitat S. 466.
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Auch Roland Mönig, der kunst- und kulturwissenschaftliche Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, erkennt die identitätsbildende Aufgabe des Museums für Vor- und Frühgeschichte an. Er gibt jedoch zu bedenken, dass die Stiftung insgesamt aufgrund ihrer ursprünglichen Konzeption – und infolgedessen aufgrund ihrer Museen und Sammlungsbestände – eine Identität des Saarlandes nicht umfassend darstellen könne, und lehnt daher die Unterstellung von staatstragenden Aufgaben mit Blick auf die Stiftung ab. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz sei zunächst lediglich eine Zweckkonstruktion gewesen, um eine Privatsammlung – die aufgrund einer Steuerschuld an das Land gefallen ist – aufzunehmen. Sie sei also nicht gegründet worden, »weil man den saarländischen Kulturbesitz als eine Staatsaufgabe hochheben wollte oder weil man eine Trägerschaft für die großen Kulturthemen des Landes suchte«, sondern weil ein juristisches Behältnis für die Übernahme dieser Privatsammlung durch das Land gebraucht worden sei. Im Laufe der Jahre wurden das Saarlandmuseum, das Museum für Vor- und Frühgeschichte mitsamt der römischen Villa Nennig sowie das Deutsche Zeitungsmuseum in die Stiftung integriert. Die Stiftung sei also in mehreren Wachstumsringen gewachsen und erfülle daher heute andere Zwecke als die bei ihrer Gründung intendierten.58 Roland Mönig warnt daher davor, zu weit greifende Ansprüche an die Möglichkeiten der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz zu stellen: Ich glaube, dass man die Stiftung sowohl personell und strukturell wie auch finanziell überfordern würde, wenn man mit ihr verbinden würde, dass sie die kulturelle Identität des Landes komplett abbildet. Das geht auf der einen Seite nicht, weil die Stiftung aufgrund ihrer Struktur, ihres Aufbaus, nur viel weniger leisten kann. Auf der anderen Seite geht es nicht, weil sie Dinge leistet, die dazu gar nicht gehören, wie zum Beispiel das Zeitungsmuseum.59 Identitätsbildende Aufgaben verfolge die Stiftung zwar vor allem im Museum für Vorund Frühgeschichte und in der sogenannten Alten Sammlung, aber sie könne mit ihren Beständen die Identität des Saarlandes nicht umfassend darstellen. Die museale Gesamtsituation in der Stiftung gleiche einem Flickenteppich und daher könne man keine kontinuierliche Erzählung saarländischer Kulturgeschichte daraus generieren. Vielmehr könne man die kulturelle Identität des Saarlandes nur in Fragmenten erlebbar machen. Dies könnte allerdings auch eine Folge der fragmentierten Identität des Landes selbst und seiner wechselvollen Geschichte, besonders im 19. und 20. Jahrhundert, sein. Die Entwicklungen von Wissenschaft, Kunst und Kultur auf diesem Gebiet sind nicht geradlinig verlaufen, sondern aufgrund der komplexen territorialen Verhältnisse und der bewegten politischen Geschichte von vielfältigen Einflüssen geprägt worden.60 Die Situation der Stiftung spiegelt also gewissermaßen die Situation des Landes wider. Abgesehen vom konkreten Fall der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz und des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes vertritt Mönig aber die Auffassung, dass Museen immer Gedächtnisorte seien und deshalb die Frage, wie ein Museum als
58 59 60
Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 473f., Zitat S. 473. Ebd., S. 475. Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 475f.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
kulturelles Gedächtnis funktioniert, für jedes Museum eine Rolle spiele. Allerdings werde diese Thematik in den seltensten Fällen bewusst reflektiert, sondern stelle ein Kontinuum im täglichen Betrieb dar. Nur wenn Museen einen Neustart erlebten, etwa wegen einer Neukonzeption oder Erweiterung, rückten die Prozesse der Gedächtnisbildung in den Vordergrund.61 Mit Identität hätten Museen insofern immer zu tun, als ihr Zweck darin liege, die Identität der Vergangenheit in Objekten zu konservieren und die der jeweiligen Gegenwart mit genau diesen Objekten zu konfrontieren. Da Mönig in dieser Konfrontation von Vergangenheit und Gegenwart die zentrale Aufgabe von Museen sieht, ist er auch überzeugt, dass die Menschen physische Objekte weiterhin brauchen werden. An ihnen kämen Menschen zur Erkenntnis, sie böten Anlass zur Reflexion und ermöglichten eine Selbstvergewisserung. Deshalb würde man sich im Ausstellungswesen auch wieder verstärkt mit den konkreten Objekten, mit Konstellationen und mit Räumen befassen.62 Es ist ganz schön, wenn Sie dreitausend Fotos auf Ihrem Smartphone haben. Aber die Dinge, an denen Sie Ihre Identität festmachen wollen, die möchten Sie dann doch gerne als Bild in einem Rahmen oder in einem Album oder Fotobuch stehen haben. Und Sie werden zu dem Album oder Fotobuch greifen, um sich in einem bestimmten Moment Ihrer Identität zu vergewissern, um zu sagen »Das war da und hier bin ich jetzt.«63 Die Experten des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes erkennen also die ihnen zugewiesene gedächtnis-, erbe- und identitätsstützende Funktion für Museen im Allgemeinen und für ihre Arbeit im Besonderen an, wenn sie auch darauf hinweisen, dass die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz aufgrund ihrer Zusammensetzung und ihrer Sammlungen die historische Entwicklung des Saarlandes nicht umfassend abbilden kann. Der konkrete Umgang mit kulturellem Gedächtnis und kulturellem Erbe wird hier jedoch selten bewusst reflektiert oder auf die gezielte Produktion eines Identitätsnarrativs ausgerichtet. Die Experten des Archäologischen Museums Hamburg zeigen sich verglichen mit dieser differenzierten Haltung wesentlich pauschaler positioniert, indem sie eine theoretische Reflexion ihrer Arbeit mit Blick auf ihre Bedeutung für Gedächtnis, Erbe und 61
62 63
Vgl. ebd., S. 473. Im Übrigen hat die Heterogenität der Stiftung zur Folge, dass bei der Verteilung der personellen, finanziellen oder auch der zeitlichen Kapazitäten häufig dem Saarlandmuseum, insbesondere der Modernen Galerie, Priorität eingeräumt wird. Mönig gibt zu bedenken, dass die Moderne Galerie auch mehr Leistung erbringen müsse, um sich zu rechtfertigen (vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 481). Fraglich ist jedoch, ob die kleineren Museen der Stiftung so sehr von der Zugkraft der Modernen Galerie profitieren, dass die zuvor im Zusammenhang mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte beschriebenen Nachteile aufgewogen werden. Gerade mit Blick auf die zahlreichen archäologischen Bodendenkmäler und die oft gelobten kurzen Wege im Land könnte eine stärkere Vernetzung des Museums mit dem Landesdenkmalamt und den kleineren archäologischen Museen und Besichtigungsstätten des Saarlandes wertvolle Synergieeffekte ermöglichen. Mit den derzeitigen Konstruktionen, die sich vor allem durch institutionelle Trennung und mangelnde Kooperation auszeichnen, bleibt ein Teil des Potenzials des Saarlandes als archäologisches Fundgebiet – zum Beispiel mit Blick auf eine touristische Vermarktung – ungenutzt. Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 477f. Ebd., S. 477.
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Identität einer Gesellschaft ablehnen. Rainer-Maria Weiss, der Direktor des Archäologischen Museums Hamburg, bringt klar zum Ausdruck, dass seine Arbeit und die seiner Mitarbeiter:innen im Museum nicht als Arbeit mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität aufgefasst und untersucht werden sollte, da ein solcher Ansatz »viel zu theorielastig« sei. Der Umgang mit den Relikten der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit sei für ihn eine Selbstverständlichkeit, über die er als studierter Archäologe, der in der Ausstellungspraxis tätig ist, nicht lange nachdenken müsse. Es ginge dabei lediglich darum, tote Materie zum Sprechen zu bringen und Geschichte seriös nach den Indizien, die zur Verfügung stehen, zu rekonstruieren. Er argumentiert, dass er und seine Mitarbeiter:innen dies als Praktiker:innen intuitiv richtig machten, während er umgekehrt Wissenschaftler:innen, die eine theoretische Auseinandersetzung mit Ausstellungen betreiben, die nötigen Kompetenzen für die praktische Arbeit in der Feldarchäologie und im Ausstellungswesen abspricht.64 Wir sind es, die die Geschichten erzählen können. Und das ist für mich immer die Königsdisziplin, dass wir die Materie zum Sprechen bringen. […] Es gibt da ganze Literaturzweige, die sehr theorielastig sind und viele ganze Zeitschriftenreihen, wo die das, was wir intuitiv richtig, spannend, mit großem Besuchererfolg einfach machen, theoretisch durchdringen. Aber setzen Sie so einen mal an eine Ausgrabung oder an eine Ausstellung: das geht an die Wand. Von daher machen wir es und wir machen sicherlich das Richtige, da haben wir das Gefühl.65 Weiss scheint also davon auszugehen, dass studierte Archäolog:innen aufgrund ihrer Ausbildung und praktischen Erfahrungen dazu befähigt sein können, einen »richtigen« Umgang mit archäologischem Material gewissermaßen automatisch zu pflegen. Er schreibt dabei Praktiker:innen die alleinige Kompetenz zur Ausstellungskonzeption in archäologischen Museen zu und lehnt es ab, die Arbeit des Archäologischen Museums Hamburg auf kulturtheoretischer Ebene zu hinterfragen oder zu diskutieren. Der Sammlungsleiter des Museums, Michael Merkel, ergänzt, dass er die Arbeit mit Relikten der Ur- und Frühgeschichte nicht als Produktion von kulturellem Gedächtnis beschreiben würde, da die archäologischen Objekte in unterschiedlichen Kontexten jeweils andere Bedeutungen transportieren könnten. Merkel vertritt also die Ansicht, dass der polysemische Charakter archäologischer Objekte sie als Materialisierungen eines kulturellen Gedächtnisses disqualifiziere. Das kulturelle Gedächtnis scheint er als Sammlung eindeutiger Informationen aufzufassen, die beispielsweise in Archiven gespeichert werden, und spricht daher von Archäologie und archäologischen Objekten als kulturellem Rückgrat, das aber durch Inszenierungen zum Sprechen gebracht werden müsse, weil es sich nicht von selbst erkläre.66 Michael Merkel und Rainer-Maria Weiss vertreten also die Auffassung, dass die Interpretation archäologischer Funde und Befunde sowie die narrative Vermittlung dieser Interpretation in Ausstellungen keine Konstruktion einer Geschichte – im Sinne einer Erzählung über die Vergangenheit
64 65 66
Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514, Zitat ebd. Ebd., S. 514. Vgl. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 514f.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
– darstellten, sondern lediglich faktische Prozesse und Ereignisse der Vergangenheit objektiv erschlössen und kommunizierten. Am Rheinischen Landesmuseum Trier lassen die stellvertretende Direktorin Mechthild Neyses-Eiden und der ehemalige Landesarchäologe und Kurator Hans Nortmann ein selbstkritisches Bewusstsein für die Bedeutung ihrer Arbeit mit Blick auf Gedächtnis, Erbe und Identität erkennen. Als Sammlungsort von Fundstücken aus Trier und Umgebung habe das Museum automatisch mit der kulturellen Identität der Region zu tun. Die stellvertretende Direktorin räumt zugleich jedoch ein, dass das Thema Identitätsbildung im Planungsprozess der Dauerausstellung nicht bewusst reflektiert worden sei: Ich würde behaupten, dass das Thema »›Kulturelle Identität« nicht bewusst im Planungsprozess der Dauerausstellung thematisiert wurde. Ich denke aber schon, dass man im Blick hatte, die Vergangenheit beziehungsweise die historische Kontinuität der regionalen Kulturlandschaft, die besonders reich an Schätzen aus der Römerzeit ist, zu vermitteln.67 Ähnlich wie in Saarbrücken erkennt man am Rheinischen Landesmuseum Trier also eine enge Verbindung zwischen dem Museum und der kulturellen Identität des Landes an. Aber während das Saarbrücker Museum kulturelle Identität bewusst abbilden will, zielt das Museum in Trier nicht vorsätzlich auf deren Vermittlung. Hans Nortmann, Mitglied des Kurator:innenteams der Dauerausstellung, stellt diesbezüglich infrage, ob man eine heutige Identität überhaupt an den Zeitraum der Ur- und Frühgeschichte anknüpfen kann und sollte. Ich würde sogar ein Fragezeichen dahinter setzen, ob man an den Zeitraum, um den es hier geht, tatsächlich Identität anknüpfen kann. Bei den kunstgeschichtlichen und mittelalterlichen Beständen der Sammlung ist das vielleicht schon ein bisschen anders, aber was die vor- und frühgeschichtlichen Bestände angeht ist hier nicht unser vorrangiges Ziel, Identität zu verdichten. Man kann allerdings sagen, dass wir in einer Region leben, die sich sehr stark in ihrem Selbstbewusstsein über das Römische versteht oder dadurch erhoben fühlt. Da muss man manchmal sogar gegensteuern, weil in den Köpfen bestimmte Vorstellungen existieren, die nicht haltbar sind.68 Nortmann gibt also zu bedenken, dass einzelne Botschaften, die durch die Ausstellung transportiert werden sollen, gewissermaßen unbeabsichtigt Einfluss auf das Selbstbild der Region haben könnten. Die Region um Trier beziehe sich in ihrem Selbstbewusstsein sehr stark auf ihre römische Vergangenheit. Dabei würden Vorstellungen aufrechterhalten, die aus wissenschaftlicher Sicht inkorrekt seien – beispielsweise die Vorstellung, dass von der keltischen zur römischen Epoche ein Bevölkerungswechsel stattgefunden habe. Nortmann empfindet es als seine Aufgabe als Wissenschaftler, mit solchen Missverständnissen aufzuräumen, und will daher in der Dauerausstellung vermitteln, dass sich die Bevölkerung in der Römischen Kaiserzeit kontinuierlich aus der dort zuvor ansässigen Bevölkerung entwickelte. Er verfolgt also die Absicht, eine nach wissenschaftlichen Erkenntnissen korrekte Darstellung der Bevölkerungsentwicklung zu bieten. Er ist 67 68
Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 482. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 482.
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sich aber auch dessen bewusst, dass damit das Selbstverständnis der Region noch weiter in die Vergangenheit zurückverlängert wird. Eine solche Konstruktion von Identität kann Nortmann zufolge von Museen auch bewusst betrieben werden, um damit finanzielle Mittel einzuwerben oder um politisches Wohlwollen zu generieren. Persönlich lehnt er es jedoch ab, die wissenschaftliche Arbeit derartig auf eine touristische Verwertbarkeit abzustellen.69 Die Verbindung der archäologischen Forschung und Ausstellungstätigkeit mit einer Identitätspolitik sieht Hans Nortmann als hoch problematisch an: Ich würde sagen, die Frage, warum man einen gewissen Aufwand betreibt – etliche Hunderttausend Euro im Jahr oder Millionen im Jahr für so etwas ausgibt wie Archäologie –, warum das wichtig ist oder warum das gut ist, diese Frage spielte aus meiner Sicht und in meiner Berufserfahrung nie eine Rolle. Das war irgendwie schon einmal geklärt und da waren sich die Bildungsbürger oder die, die die Politik machen, irgendwie einig. Da kann man heftiger drüber nachdenken. Allerdings würde ich da so ein Wort wie »Identität« auf gar keinen Fall drin haben wollen.70 Die Frage nach dem Sinn und der Aufgabe archäologischer Forschungs- und Ausstellungstätigkeit werde also im Studium und in der Ausbildung von Archäologen nicht gestellt. Die Antwort darauf will Nortmann aber keinesfalls in der Unterstützung einer Identitätspolitik sehen und argumentiert diesbezüglich, dass in einem Archäologischen Landesmuseum wie dem in Trier lediglich Fallstudien zu kulturellem Verhalten präsentiert würden, das nur zufällig in dieser Region nachweisbar sei. Er räumt ein, dass eine theoretische Diskussion darüber, welche allgemeingültige Bedeutung solche Einzelfälle für ein breites Publikum haben könnten, angebracht sei. Seiner Erfahrung nach werde sie aber nicht geführt, stattdessen lerne man als Museumsarchäologe:in erst im Berufsleben zu reflektieren, welche inhaltliche Essenz man mit einer Ausstellung an ein Publikum vermittle.71 Ähnlich wie seine Hamburger Kollegen sieht Nortmann Archäolog:innen also nicht durch den bloßen Studienabschluss dafür qualifiziert, die Ergebnisse der archäologischen Forschung »intuitiv richtig, spannend, mit großem Besuchererfolg«72 durch Ausstellungen zu vermitteln. Er weist auf einen diesbezüglichen Mangel im Ausbildungsplan hin, der allerdings nicht nur durch praktische Erfahrung ausgeglichen werden könne, wie Weiss und Merkel suggerieren, sondern der auch die theoretische Reflexion der eigenen Arbeit erfordere. Die Strategie der Kulturpolitik, die Förderung von Archäologie mit Schlagwörtern wie Identität und Erbe zu begründen, empfindet Nortmann als Vereinnahmung seiner Arbeit für kulturpolitische Zwecke. Museen könnten den politischen Wunsch nach bestimmten Themen zwar nutzen, indem sie Projekte entsprechend konzipierten und Mittel dafür mit Forschungsanträgen einwerben würden, die mit den erforderlichen Stichwörtern versehen seien. Dies verbietet sich für Nortmann aber ebenso wie Projekte, die
69 70 71 72
Vgl. ebd., S. 482 sowie 493. Ebd., S. 492f. Vgl. ebd., S. 493. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514.
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überhaupt keine Relevanz für die gegenwärtige gesellschaftliche Situation aufweisen.73 Er legt also Wert darauf, dass Wissenschaftler:innen in Museen mit ihren Projekten zum aktuellen gesellschaftlichen Diskurs beitragen, aber dabei eine neutrale, politisch unabhängige Position wahren. Auch Mechthild Neyses-Eiden stimmt ihrem Kollegen darin zu: Ich finde, es ist schon viel erreicht, wenn ich ein großes, breites Publikum erreiche und sich viele Menschen, angeregt von den Ausstellungen, für die historische Vergangenheit begeistern lassen. Es bleibt etwas in den Köpfen hängen oder Fragen tauchen auf. Ob man in diesem Zusammenhang immer die Begriffe Identität und Gedächtnis anführen muss, wage ich zu bezweifeln.74 Die stellvertretende Direktorin will nach eigener Aussage mit Ausstellungen also Menschen für die Vergangenheit begeistern und bewirken, dass über die jeweiligen Themen nachgedacht wird. Dabei hält sie es aber nicht für sinnvoll, die vielfältigen Prozesse, die ein Museum darstellen kann, mit Oberbegriffen wie Identität und Gedächtnis zu unterlegen.75 Neyses-Eiden scheint die häufige Verwendung dieser Begriffe als inhaltsleere Modeerscheinung wahrzunehmen und lehnt sie daher ab. Der Kurator der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, Arnold Muhl, bringt zum Ausdruck, dass er das Museum als »Schatzhaus« versteht, das das kulturelle Erbe der Bevölkerung Sachsen-Anhalts bewahre. Das sei allen Mitarbeiter:innen »schon immer bewusst gewesen« und müsse daher nicht explizit vertreten werden.76 Übereinstimmend mit seinen Kollegen in Hamburg empfindet Muhl es also als Selbstverständlichkeit, dass das Museum das kulturelle Erbe Sachsen-Anhalts bewahrt, und ähnlich wie seine Kollegin und sein Kollege in Trier lehnt er die demonstrative Verwendung von Schlagwörtern wie Gedächtnis, Erbe und Identität zur Legitimation Archäologischer Landesmuseen ab. Der Landesarchäologe und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte, Harald Meller, vertritt die Ansicht, dass Archäolog:innen der konstruierte Charakter von kultureller Identität und die gängigen Theorien zu dieser Thematik bewusst seien. In der praktischen Arbeit spielten solche Konzepte aber auch seiner Erfahrung nach nur eine geringe Rolle. Bei der Realisierung einer Dauerausstellung gehe es lediglich darum, das spezifische Kulturerbe des Landes mit den Funden darzustellen: Die Konstruktion von Identität ist uns stets bewusst. Wir haben alle natürlich Assmann gelesen und selbstverständlich kennen wir die gängigen Theorien dazu. Das spielt aber in der praktischen Arbeit eine eher geringe Rolle, weil es dort natürlich darum geht, Ausstellungen in einem engen Zeit- und Kostenrahmen zu realisieren. Zudem muss unterschieden werden zwischen Sonderausstellungen und Dauerausstellungen. Bei Letzterer geht es darum, das spezifische Kulturerbe des Landes darzustellen, und das Kulturerbe stellt man am besten mit den Funden dar.77 73 74 75 76 77
Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 493. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 493. Vgl. ebd., S. 493f. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 494. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 502.
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Meller vertritt ungeachtet seiner Kenntnis der Kulturtheorien zu Gedächtnis, Erbe und Identität den Standpunkt, dass Wissenschaftler:innen im speziellen Fall von archäologischen Ausstellungen nicht an der Konstruktion von Realitäten oder historischen Abläufen beteiligt sind. Er weist eine Referenz auf Jan Assmanns Theorie zur Bildung von kulturellem Gedächtnis mit der Begründung ab, dass dieser sich mit schriftlichen Kulturen befasse, während das Landesmuseum für Vorgeschichte vorwiegend mit Quellen aus nichtschriftlichen Epochen arbeite.78 Meller argumentiert also, dass die Archäologie aufgrund ihrer Quellen im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft eine objektive Wissenschaft darstelle. Die Geschichtswissenschaft habe es stets mit intentionalen Quellen und somit per se mit der Konstruktion von Geschichte zu tun. Archäologische Quellen seien dagegen in der Regel nicht intentionale, sondern lediglich zufällige Hinterlassenschaften, deren Objektivitätskraft so hoch sei, dass sie gegebenenfalls den Schriftquellen als Korrektiv gegenübergestellt werden könnten.79 Der unterschiedliche Charakter historischer und archäologischer Quellen ist zwar zumindest für das Gros der Quellen nicht von der Hand zu weisen. Mellers Schlussfolgerung daraus, dass sich Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis nicht auf die Arbeit archäologischer Museen übertragen lasse, ist allerdings nicht nachvollziehbar, denn der intentionale oder objektive Charakter von Quellen ist nicht ausschlaggebend für die Frage, ob durch den Umgang mit diesen Quellen kulturelles Gedächtnis, kulturelles Erbe und kulturelle Identität generiert werden.80 Harald Mellers Haltung zur Konstruktion von Gedächtnis, Erbe und Identität durch Archäologische Landesmuseen ist also ambivalent. Unmittelbar nachdem er einer Interpretation archäologischer Forschung und Ausstellungstätigkeit als Konstruktion von kulturellem Gedächtnis widerspricht, räumt Meller zunächst ein, dass auch die Interpretation archäologischer Quellen – der Archäologe führt dabei die Interpretation von Funden im Abfall eines Haushalts als Beispiel an – eine Konstruktion darstelle, die immer und sozusagen zwangsweise zeitbedingt und vom persönlichen und ideologischen Hintergrund des:r Wissenschaftlers:in abhängig sei: 78
79 80
Vgl. ebd., S. 502f. Zu Mellers Argumentation soll hier noch angemerkt werden, dass Jan Assmann sich zwar überwiegend mit Schriftkulturen beschäftigt, er das kulturelle Gedächtnis aber nicht als ausschließlich die Schriftkulturen betreffendes Phänomen beschreibt. Auch in schriftlosen Gesellschaften gliedere sich die Überlieferung in kommunikative, alltägliche und kulturelle, feierliche Erinnerung. Zwar habe das kulturelle Gedächtnis, wie Assmann schreibt, »eine Affinität zur Schriftlichkeit«, aber es formiere sich auch in Tänzen, Spielen, Riten, Bildern, Melodien, Räumen, Speisen, Trachten und vielen anderen Arten der nichtschriftlichen Überlieferung (vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 59). Das kulturelle Gedächtnis nach Assmanns Verständnis ist also nicht ausschließlich an Schriftlichkeit gebunden und auch Schriftkulturen wie unsere heutige stützen ihr kulturelles Gedächtnis nicht nur auf Texte, sondern eben auch auf andere Überlieferungsformen. Ich gehe auf Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis im Teilkapitel II.1.1 und im Kapitel II.2 näher ein. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 502f. Der Frage, ob und wie durch die Arbeit Archäologischer Museen kulturelles Gedächtnis, Erbe und Identität produziert werden, wird in Teil II der Dissertation nachgegangen. Dort wird dargelegt, dass die im Museum ablaufenden Prozesse, wie beispielsweise das Sammeln, das Konservieren und das Ausstellen von archäologischen Objekten, kulturelle Operationen darstellen, die zur Ausbildung und diskursiven Vermittlung von Gedächtnis, Erbe und Identität führen.
I.3 Vom Nutzen und Nachteil der Archäologie für das Leben
Ob […] die Konstruktion dessen, was Sie aus dem Müll ableiten, richtig ist oder ob das wieder ideologisch durch Ihre Zeit gefiltert oder beeinflusst ist, ist eine ganz andere Frage. Das wird in der Regel so sein, dass auch ein Archäologe zeitbedingt interpretiert oder eine persönliche Geschichte hat. Und wir kennen aus der Archäologie, dass es beispielsweise marxistische Ausrichtungen gibt oder konservative Ausrichtungen und so weiter. Der Forscher als Mensch, als Person, ist immer ein Faktor, auch indem er sich selber in seinem Forschungsgegenstand spiegelt.81 Im weiteren Verlauf des Interviews bestreitet er allerdings, dass auch im konkreten Fall des Landesmuseums für Vorgeschichte Vergangenheitsnarrative konstruiert würden, und betont, dass das Museum die vorschriftlichen, archäologischen Quellen lediglich objektiv und neutral deute und präsentiere.82 So erklärt er beispielsweise: Das ist kein Entertainment und kein Unterhaltungsaspekt, überhaupt nicht. Das spielt nahezu keine Rolle. Der Mensch ist ein unglaublich neugieriges Wesen und der Mensch möchte eine Annäherung an die Vergangenheit haben. Diese Annäherung muss möglichst plausibel sein. Die sollte aber auch so sein, dass sie sich als Bild assoziativ erschließt. Die meisten Bilder entstehen zum Beispiel dadurch, dass das Gegenteil von Konstruktion passiert, indem nämlich beispielsweise eben nicht tertiäre Informationen im Museum gezeigt werden – also konstruierte –, sondern indem die originalen Informationen erhalten bleiben.83 Der Überlegung, ob die Konstruktion einer Geschichte allein aus archäologisch entdeckten Sachquellen nicht spekulativer sein könnte, als wenn zusätzlich zu Sachquellen auch Schriftquellen oder gar Bild- und Tondokumente vorliegen, widerspricht Harald Meller. Er argumentiert, dass auch Schrift-, Ton- und Bildquellen intentional seien, während archäologisch erfasste Relikte ein zufälliger Handlungsmitschnitt seien. Sie könnten daher sämtliche historischen Quellen objektivieren.84 Wie schon zuvor betont Meller also den konstruierten Charakter historischer Quellen, weicht damit aber der Frage nach der sinnkonstruierenden Deutung prähistorischer Quellen aus. Die Vermittlung von Forschungsergebnissen der Archäologie im Museum in Form von Geschichten bezeichnet er jedoch als äußerst problematisch und gibt an, dass das Landesmuseum für Vorgeschichte genau das Gegenteil davon tue. Statt Geschichten kreiere es Bilder.85 Seine diesbezügliche Argumentation wird in Teilkapitel III.3.1 noch näher erläutert. Während das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes sich selbst also als Institution versteht, deren Aufgabe in der Arbeit mit und an kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität liegt – auch wenn es diese Aufgabe aufgrund seiner Struktur und seines Sammlungsbestandes nur bruchstückartig erfüllen kann, wie Roland Mönig zu bedenken gibt –, weigern sich die übrigen Expert:innen an den Museen der Fallstudien eher, einer solchen Aufgabe nachzukommen. Die Mitarbeiter:innen in
81 82 83 84 85
Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 503. Vgl. ebd., S. 503–509. Ebd., S. 509. Vgl. ebd., S. 505. Vgl. ebd., S. 505–507.
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108
Teil I: Gegenstand und Geltungsbereich
Trier und Halle schrecken offenbar vor den mit einer identitätsstiftenden Tätigkeit einhergehenden Risiken der Generalisierung oder Pauschalisierung zurück, denn sie wollen es in ihrer jeweils konkreten Arbeit vermeiden, Gedächtnis, Erbe und Identität zu konstruieren. Der Grund für diese Abneigung gegenüber der Vermittlung kultureller Identität könnte möglicherweise in der mahnenden Erinnerung an die propagandistische Tätigkeit einiger Archäolog:innen während der nationalsozialistischen Diktatur liegen, auf die in Kapitel I.1 bereits eingegangen wurde. Die Expert:innen lassen damit aber auch – vor allem in Fall der Trierer Gesprächspartner:innen – erkennen, dass sie in der Arbeit Archäologischer Landesmuseen zumindest das Potenzial wahrnehmen, an einer Identitätspolitik mitzuwirken. Die Vertreter des Archäologischen Museums Hamburg lehnen zudem eine Reflexion ihrer praktischen Arbeit als kulturelle Operationen im Feld von Gedächtnis, Erbe und Identität ab. Die Ausstellungsanalysen in Teil III dieser Dissertation werden ergründen, in welchem Verhältnis die Dauerausstellungen dieser Museen zu ihren hier erläuterten Haltungen stehen und ob es ihnen gelingt, eine Konstruktion und Vermittlung von Gedächtnis, Erbe und Identität zu vermeiden. Zuvor soll der zweite Teil dieser Schrift die Arbeit der Archäologischen Landesmuseen in ihrer kulturtheoretischen Dimension reflektieren. Es konnte bereits dargelegt werden, dass in den Gesetzen und Konzeptpapieren zum Denkmal- beziehungsweise Kulturgutschutz und zur Kulturförderung zumeist mit den Begriffen von kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität argumentiert wird.86 Allerdings werden diese Termini in der Regel unkommentiert und unreflektiert verwendet, so als seien Gedächtnis, Erbe und Identität unveränderliche, fixe Entitäten, die gewissermaßen naturgegeben seien und von Institutionen wie Museen, Archiven und Bibliotheken lediglich gesammelt und aufbewahrt werden müssten. Die kulturwissenschaftliche Forschung, die diese Begriffe maßgeblich geprägt hat und sie als sozial konstruierte Phänomene beschrieben hat, wird dabei meist nicht berücksichtigt. Im Folgenden werde ich daher zunächst den kulturwissenschaftlichen Kontext dieser Begriffe darstellen und die wesentlichen Theorien dazu diskutieren, bevor ich die verschiedenen Tätigkeitsfelder Archäologischer Landesmuseen – wie beispielsweise das Sammeln, das Konservieren und das Ausstellen – auf ihre Bedeutung für Gedächtnis, Erbe und Identität hin untersuche.
86
Siehe hierzu die Analyse von kulturpolitischen Programmen in diesem Kapitel sowie die Analyse der Denkmalschutzgesetze in Kapitel I.1 dieser Arbeit.
Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
II.1 Zum Kontext der Begriffe
II.1.1
Kulturelles Gedächtnis und Erinnerungskultur
Die Konzepte von Gedächtnis, Erbe und Identität hängen eng miteinander zusammen und werden daher nicht nur in den öffentlichen Diskursen zu Kulturgutschutz, Denkmalpflege und Musealisierung, sondern auch in der wissenschaftlichen Literatur meist gemeinsam genannt. Beispielsweise hat Jan Assmann in seinem grundlegenden Werk Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen nicht nur das Gedächtnis beschrieben, sondern auch explizit seine Bedeutung für eine Identität untersucht und dabei auf die tragende Rolle von Kontinuierung und Überlieferung – und somit auf das Konzept von kulturellem Erbe – verwiesen.1 In diesem zweiten Teil der Dissertation möchte ich zeigen, dass Gedächtnis, Erbe und Identität einen Korpus aus drei sich gegenseitig bedingenden und beeinflussenden Elementen bilden, die sich nur schwer voneinander getrennt darstellen lassen. Sie formieren hinsichtlich ihrer Beziehungen zueinander gewissermaßen einen Zirkel, in dem sich der Umgang mit jeglicher Form von Kulturgütern bewegt. Um die Kontextualisierung und Reflexion dieser drei Begriffe möglichst übersichtlich und nachvollziehbar zu gestalten, werde ich sie zunächst aber so weit wie möglich voneinander unterscheiden und nacheinander in den Blick nehmen. In einem ersten Schritt werde ich die Bedeutungen der Bezeichnungen und die jeweils einschlägigen wissenschaftlichen Theorien dazu einzeln vorstellen und erste Ausblicke auf ihre Zusammenhänge unternehmen, die in den folgenden Kapiteln dann zunehmend herausgearbeitet werden sollen. Beginnen werde ich mit dem Begriff des Gedächtnisses und dem eng damit in Verbindung stehenden Konzept der Erinnerungskultur. Gedächtnis und Erinnerung dürfen in dieser Arbeit keineswegs im neurowissenschaftlichen Sinn verstanden werden. In der Neurowissenschaft und Biologie wird mit Gedächtnis die Fähigkeit von Lebewesen bezeichnet, mittels ihres Nervensystems individuell erworbene Informationen zu kodieren und wieder abrufbar zu speichern.2 Wissenschaftler:innen dieser Disziplinen verorten das Gedächtnis also im Gehirn eines 1 2
Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 16. Vgl. Rüdiger Vaas, Gedächtnis, 2000, S. 37f.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
jeden Individuums, wobei sie es nicht in einem bestimmten Hirnareal lokalisieren können, sondern es vielmehr als »eine im gesamten Gehirn verteilte neuronale Funktion« konzipieren.3 In den Kulturwissenschaften dagegen wird mit Gedächtnis ein Bestand an Wissen beschrieben, der nicht durch biochemische Prozesse des Nervensystems, sondern durch kulturelle Prozesse aufgebaut, verwaltet und weitergegeben wird. Solche Prozesse können unter anderem das Sammeln von Informationen durch Forschung und ihr Speichern in Form schriftlicher Dokumente sein. Das Abrufen der Informationen, also das Erinnern, erfolgt unter anderem dann, wenn die Dokumente gelesen oder ihre Inhalte kommuniziert werden. Wissen kann dabei nicht nur in schriftlichen Dokumenten kodiert werden, sondern ebenso in immateriellen Formen der Überlieferung wie in Erzählungen, Riten, Liedern und Tänzen sowie in Bildern und materiellen Objekten. Ein Gedächtnis im kulturwissenschaftlichen Sinne kann daher jede Form der Information aufnehmen, beispielsweise auch eine, die an materielle Objekte der archäologisch erforschten Vergangenheit geknüpft ist. Insofern ist es legitim, Museen, ebenso wie Archive und Bibliotheken, als Institutionen des Gedächtnisses und der Erinnerungskultur zu bezeichnen, denn sie bewahren, verwalten und tradieren Informationen in unterschiedlichster Form. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass diese Institutionen nicht bloß passiv Inhalte speichern, sondern sie zuallererst sammeln, selektieren und durch Forschung generieren. Sie bewahren also nicht bloß ein ihnen übertragenes Gedächtnis, sondern produzieren ein solches überhaupt erst aktiv und wandeln es stetig um.4 Im Zusammenhang mit dem Gedächtnis wird meist auch der Begriff der Erinnerungskultur genannt, der nicht mit der Gedächtniskunst verwechselt werden darf. Während letztere eine Mnemotechnik ist, die den Raum zur Unterstützung der kognitiven Erinnerungsleistung nutzt, ist die Erinnerungskultur ein universales Phänomen und eine kulturelle Praxis, die soziale Sinn- und Zeithorizonte ausbildet. Dabei bezieht sie sich Jan Assmann zufolge zumeist auf die Vergangenheit, die jedoch – davon ist der Ägyptologe überzeugt – überhaupt erst entstehe, weil sich auf sie bezogen werde.5 Hartmut Rosa hat erläutert, dass die Vergangenheit nicht bloß ein Abschnitt innerhalb einer linear fließenden Zeitachse sei, sondern in insgesamt drei Formen unterschieden werden könne: Erstens habe das Wort Vergangenheit die Bedeutung einer Reihe objektiver chronologischer Daten. Darüber hinaus sei Vergangenheit aber auch die »Gesamtheit der Prozesse und Zustände, die implizit oder explizit gegenwärtiges individuelles oder kollektives Handeln durch Gedächtnisspuren beeinflussen« sowie, drittens, eine »bewusst aus Formen der (individuellen oder kollektiven) Erinnerung oder des Gedächtnisses rekonstruierte Geschichte«.6 Auch der Philosoph Siegfried J. Schmidt hat dargelegt, dass eine Vergangenheit erst durch die Modalitäten des Erinnerns geformt werde, indem durch den erzählenden Rekurs auf Zeugnisse Sinnzusammenhänge hergestellt würden. Erinnern und Erzählen hängen also eng zusammen, denn sie stellen »einen (wie auch immer
3 4 5 6
Vgl. Siegfried J. Schmidt, Gedächtnis und Gedächtnistheorie, 2013, S. 252. Wie genau die Bildung von kulturellem Gedächtnis in Archäologischen Landesmuseen abläuft, wird in Kapitel II.2 untersucht. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 31 sowie S. 88. Vgl. Hartmut Rosa, Vergangenheit, 2001, S. 617f.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
fiktiven) Zusammenhang her zwischen einem Ergebnis, seinem scheinbaren Wiedererkennen durch G.[edächtnis] und seiner Repräsentation in der erzählten Erinnerung […], deren Erzähl-Schemata den Kohärenz- und Konsistenzerwartungen der Erzählgemeinschaft oder Gesellschaft sowie der verwendeten Medien folgen, nicht der intrinsischen ›Wahrheit des Ereignisses‹«.7 Der Vergangenheit kann man sich demzufolge nur in Form erzählter Erinnerungen nähern, die nicht die »wahren« Ereignisse der Vergangenheit wiedergeben, sondern Ereignisse gemäß den Intentionen der erzählenden Gemeinschaft darstellen. Die Darstellung einer, wie Schmidt sie nennt, intrinsischen Wahrheit beziehungsweise einer Realität, ist wohl nicht zuletzt auch deshalb unmöglich, weil Wahrheit eine höchst subjektive Kategorie ist. Ein Ereignis erlebt und bewertet jeder Mensch anders. Die Vergangenheit in dem von Rosa beschriebenen ersten Sinn, als natürliche Reihe objektiver Daten, kann also auch durch Quellen und Erinnerungen nicht wieder wirklich erfahren werden und sie kann auch nicht absolut wahrheitsgemäß abgebildet werden. Sie ist unwiederbringlich vergangen, nicht wiederholbar und lediglich näherungsweise darstellbar. Vergangenheit in Rosas drittem Sinn dagegen ist eine intentional konstruierte Erzählung – und zwar konstruiert aus dem in Gedächtnisspuren enthaltenen Wissen über die Prozesse und Zustände, die Rosa als zweite Wortbedeutung unter dem Begriff der Vergangenheit subsumiert hat. Ein Text zum Verlauf der Französischen Revolution in einem Schulbuch beispielsweise präsentiert eine Form der Vergangenheit in Rosas drittem Wortsinn. Er ist zusammengesetzt aus Informationen, die Historiker:innen aus allerlei Quellen zusammengetragen haben, beispielsweise aus Augenzeugenberichten, Prozessakten, Briefen, Zeitungsartikeln und so weiter. Die Summe dieser erhaltenen Informationen bildet eine Vergangenheit im zweiten Wortsinn ab. Die Vergangenheit im ersten Wortsinn aber, also die Französische Revolution selbst, kann nicht noch einmal erlebt werden. Siegfried J. Schmitt hebt allerdings hervor, dass gedächtnisbasierte Vergangenheitserzählungen, also beispielsweise Texte in Geschichtsbüchern, Kollektiverfahrungen ermöglichten. Sie machten für Individuen Fremderfahrungen übertragbar und nachvollziehbar und würden somit zum Aufbau sozialer Identität beitragen.8 Die Vergangenheitserzählungen haben also reale Auswirkungen in der Gegenwart. Die Museologin Katrin Pieper schließt sich bei ihrer Definition des Begriffs »Erinnerungskultur« daher dem Historiker Christoph Cornelißen an und beschreibt diese als einen Oberbegriff für alle Formen der bewussten Erinnerung an Ereignisse, Prozesse und Persönlichkeiten, wobei diese Formen alle Repräsentationsmodi von Geschichte – vom geisteswissenschaftlichen Diskurs bis zu privaten, individuellen Erinnerungen – umfassten. Nationen, soziale Gruppen, aber auch Individuen könnten Träger solcher Erinnerungskulturen sein und dabei teilweise miteinander übereinstimmen, teilweise aber auch in konfliktreichem Gegensatz zueinander stehen.9 Debatten um den Umgang mit Kulturgütern aus kolonialgeschichtlichen Kontexten sind nur eines von vielen Beispielen, die zeigen, dass Erinnerungskultur und kulturelles Gedächtnis sehr sensible Praktiken sind und aufgrund ihrer Verbindung zu kulturellem Erbe und kultureller Identität 7 8 9
Vgl. Siegfried J. Schmidt, Gedächtnis und Gedächtnistheorie, 2013, S. 253. Vgl. ebd., S. 252f. Vgl. Katrin Pieper, Resonanzräume, 2010, S. 196.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
politisch wie gesellschaftlich sehr umstritten sind.10 Die weiteren Kapitel dieses Theorieteils werden solche Debatten noch umfangreicher aufgreifen. Auch Jan Assmann hat betont, dass jede Gruppe von Menschen eine spezifische Erinnerungskultur betreibe. Sie sei die »Einhaltung einer sozialen Verpflichtung« und die Antwort auf die Frage einer jeden Gruppe nach dem, was nicht vergessen werden dürfe, um die Identität der Gruppe aufrechtzuerhalten. Ihr Gegenstand sei also ein Gedächtnis, welches Gemeinschaft stiftet.11 Der Begriff der Erinnerungskultur beschreibt somit eine kulturelle Praxis, bei der die Inhalte eines kulturellen Gedächtnis- und Wissensvorrats bewusst abgerufen und vermittelt werden. Als Gedächtnis einer Kultur oder Gesellschaft dagegen wird im metaphorischen Sinne ein Archiv von Dokumenten bezeichnet, das ganz grundsätzlich gewährleisten soll, dass Informationen über die Vergangenheit, die als relevant für die Identität der Gesellschaft eingeschätzt werden, aufbewahrt werden. Astrid Erll hat daraus abgeleitet, dass aus diesem Wissensvorrat beispielsweise die Geschichtsschreibung schöpfen könne, um Geschichte als eine »symbolische Form des Bezugs auf Vergangenheit« zu produzieren. Somit seien Geschichte und Geschichtsschreibung Formen der Erinnerungskultur.12 Oft wird Erinnerungskultur mit den Begriffen Tradition und Überlieferung gleichgesetzt. Jan Assmann legt jedoch dar, dass diese Begriffe das Konzept der Erinnerungskultur nicht ganz erfassen, denn sie drückten eine kontinuierliche Erhaltung und Weitergabe von Wissen aus und verschleierten damit »den Bruch, der zum Entstehen von Vergangenheit führt«.13 Ein solcher Bruch markiere die Differenz zwischen dem Alten und dem Neuen und zwinge zu der Entscheidung, was vergessen und was aufbewahrt werden solle. Erst durch den Neuanfang nach dem Bruch werde es möglich, sich auf die Zeit vor dem Bruch in der Form der Vergangenheit zu beziehen. Als den ursprünglichsten Bruch bezeichnet Assmann den Tod, durch den das Leben eines Menschen zur Vergangenheit werde.14 Die Erinnerung an Verstorbene ist ein Vergangenheitsbezug, der bewusst einen Bruch überwindet, also keine kontinuierliche Überlieferung, sondern eine erst nach dem Bruch einsetzende Praxis. Die Erinnerungskultur greift also stets über einen Bruch hinweg, um Informationen zur Weitergabe aufzubewahren, und wendet dabei einen selektiven Prozess an, in dessen Zuge Informationen auch vergessen und verdrängt werden können. Erinnerungskultur und kulturelles Gedächtnis leisten somit nicht nur die Weitergabe von Informationen, sondern bewirken zunächst deren Rekapitulation und Selektion und erst dann die Tradierung der so geformten Erinnerung. Pierre Nora hat in Zwischen Geschichte und Gedächtnis argumentiert, dass das Gedächtnis im Moment dieses Bruchs abreiße und sich an metaphorischen Orten anlagere, die den Menschen dazu dienen sollten, den Kontakt zum Gedächtnis nicht zu verlieren. Diese Gedächtnisorte sollten also gewährleisten, dass die Vergangenheit erinnert werden 10
11 12 13 14
Zur Debatte um Erinnerungskultur und Postkolonialismus sei an dieser Stelle auf die Diskussionen um das Berliner Humboldt Forum und namentlich die Forschung von Bénédicte Savoy verwiesen (vgl. z.B. Bénédicte Savoy, Die Provenienz der Kultur, 2018; Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, Zurückgeben, 2019; Savoy mit Robert Skwirblies und Isabelle Dolezalek (Hg.), Beute, 2021). Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 30. Vgl. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2001, S. 45. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 34. Vgl. ebd., S. 32–34.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
kann.15 Am Beispiel Frankreichs hat Nora Orte untersucht, »in denen sich das Gedächtnis […] in besonderem Maße kondensiert, verkörpert und kristallisiert hat«. Solche Gedächtnisorte könnten unter anderem Denkmäler und Gebäude wie das Schloss von Versailles oder Notre-Dame von Paris sein. Der Begriff des Ortes (fr. lieu) sei jedoch nicht nur räumlich zu verstehen. Er umfasse auch Gedenkfeiern, Devisen (wie zum Beispiel Liberté, égalité, fraternité), Rituale, Museen oder Texte (vgl. S. 7). Die Gedächtnisorte, das sind zunächst einmal Überreste. Die äußerste Form, in der ein eingedenkendes Bewußtsein überdauert in einer Geschichte, welche nach ihnen ruft, weil sie nicht um sie weiß. […] Museen, Archive, Friedhöfe und Sammlungen, Feste, Jahrestage, Verträge, Protokolle, Denkmäler, Wallfahrtsstätten, Vereine sind die Zeugenberge eines anderen Zeitalters, Ewigkeitsillusionen. Daher der nostalgische Aspekt dieser pathetischen und frostigen Ehrfurchtsunternehmen. Sie sind die Bräuche einer Gesellschaft ohne Brauchtum; flüchtige Heiligtümer in einer Gesellschaft der Entheiligung; besondere Bindungen in einer Gesellschaft, die alle Besonderheiten schleift; faktische Differenzierungen in einer Gesellschaft, die aus Prinzip nivelliert, Erkennungszeichen und Merkmale der Gruppenzugehörigkeit in einer Gesellschaft, die dazu tendiert, nur noch gleiche und identische Individuen anzuerkennen. (S. 17) Die Gesellschaft schaffe sich demnach Gedächtnisorte, weil sie befürchte, dass Informationen verloren gingen, wenn sie nicht gespeichert sind. Sie forme Gedächtnis zu Gedächtnisorten aus, an denen Nora grundsätzlich drei Dimensionen unterscheidet, nämlich die materielle, die symbolische und die funktionale Dimension. Jeder Gedächtnisort umfasse immer mehrere Dimensionen zugleich, allerdings in unterschiedlichem Maße (vgl. S. 26): Auch ein offenbar rein materieller Ort wie ein Archivdepot ist erst dann ein Gedächtnisort, wenn er mit einer symbolischen Aura umgeben ist. Auch ein rein funktionaler Ort wie ein Schulbuch, ein Testament, ein Kriegsveteranenverein gehört nur dann zu dieser Kategorie, wenn er Gegenstand eines Rituals ist. Auch eine Schweigeminute, die das extremste Beispiel einer symbolischen Bedeutung zu sein scheint, ist materieller Ausschnitt einer Zeiteinheit und dient gleichzeitig dazu, periodisch eine Erinnerung wachzurufen. (S. 26) Gedächtnisorte stellen also symbolhafte Verkörperungen von kulturellem Gedächtnis dar. Ihre Kultivierung, beispielsweise die Errichtung und Pflege von Denkmälern oder das rituelle Feiern von Gedenkfesten, ist ein Akt der Erinnerungskultur. Historische Gegenstände, wie man sie als Exponate im Museum antrifft, sind gemäß Noras Konzept jedoch keine Gedächtnisorte. Vielmehr seien Museen selbst als Gedächtnisorte aufzufassen. Von Objekten der Vergangenheit unterschieden sich Gedächtnisorte nämlich in einem wichtigen Merkmal: Sie hätten keine Referenten in der Wirklichkeit, sondern seien ihr eigener Referent, also »Zeichen, die nur auf sich selbst verweisen« (vgl. S. 32). Während die einzelnen Sammlungsstücke eines Museums als Zeichen auf etwas anderes verweisen – so wie beispielsweise Spinnwirtel eine Technik der Textilherstellung 15
Vgl. Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, 1990, S. 11. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
verkörpern –, sind Museen insgesamt Zeichen ihrer selbst. Sie verweisen lediglich auf ihr Wirken an sich, auf die Musealisierung, beispielsweise auf das Erinnern der Vergangenheit oder auf die Kunst als solche. Museen sind außerdem Gedächtnisorte im wörtlichen Sinn, also Räume, in denen Gedächtnis gespeichert wird. Ich habe zuvor bereits die Geschichtsschreibung und die daraus resultierende sogenannte Geschichte im Sinne der Darstellung von Vergangenheit als eine Form der Erinnerungskultur beschrieben. Pierre Nora hält Geschichte und Gedächtnis allerdings für Gegensätze. Das Gedächtnis charakterisiert er als lebendig, stetig in Bewegung, affektiv, magisch und dem Wechselspiel von Erinnern und Vergessen unterworfen. Es behalte nur die Einzelheiten, welche es bestärkten, und rücke die Erinnerung ins Sakrale. Die Geschichte dagegen vertreibe die Erinnerung aus dem Sakralen, denn ihre Sache sei die Entzauberung. Sie ist für Nora der problematische und stets unvollständige Versuch, das Vergangene zu rekonstruieren. Während das Gedächtnis aus einer Gruppe hervorgehe, für diese Zusammenhalt stifte und somit »kollektiv, vielheitlich und doch individualisiert« sei, gehöre die Geschichte allen und niemandem und sei nicht an einzelne Gruppen gebunden, sondern universell. Des Weiteren hafte das Gedächtnis am Konkreten, während die Geschichte sich mit den Beziehungen zwischen den Dingen beschäftige. Sie ziehe das spontane Gedächtnis in Zweifel, wolle es sogar zerstören und verdrängen (vgl. S. 12f.). Bei dieser Gegenüberstellung von Gedächtnis und Geschichte verkennt Nora jedoch, dass Geschichte beziehungsweise Geschichtsschreibung bei allem Anspruch an Objektivität und universelle Gültigkeit doch immer auf der Grundlage von Quellen konstruiert wird, deren Interpretation und narrative Präsentation sozial bedingt sind. Aleida Assmann hat daher sowohl die Polarisierung von Geschichte und Gedächtnis als auch die Gleichsetzung dieser beiden Phänomene als unzutreffend verworfen und stattdessen dargelegt, dass die Geschichtsschreibung untrennbar mit Akten der Sinngebung, Parteilichkeit und Identitätsstiftung verbunden und somit zugleich immer auch Gedächtnisarbeit sei. Sie schlägt deshalb vor, Geschichte und Gedächtnis »als zwei Modi der Erinnerung festzuhalten, die sich nicht gegenseitig ausschließen und verdrängen müssen«.16 Als Grundlagentext zum kulturellen Konzept des Gedächtnisses gilt Maurice Halbwachsʼ Das kollektive Gedächtnis. Der Soziologe hat darin aufgezeigt, dass das Gedächtnis stets sozial bedingt ist. Er argumentiert, dass Erinnerungen immer kollektiv seien und »uns von anderen Menschen ins Gedächtnis zurückgerufen« werden. Halbwachs bezieht sich dabei nicht nur auf Erinnerungen an Ereignisse, die mehrere Personen gemeinsam erlebt haben, sondern auch auf Erinnerungen an Ereignisse, die ein Individuum alleine durchlebt hat. Da jeder Mensch in seinem Denken und Handeln sozial geprägt sei, bewerte er all seine Erlebnisse vor dem Hintergrund eines sozialen Gedächtnisses.17 Folglich unterscheidet Halbwachs zwar ein persönliches – beziehungsweise autobiografisches – und ein soziales – beziehungsweise historisches – Gedächtnis. Aber diese beiden Formen des Gedächtnisses sieht er nicht streng voneinander getrennt, sondern im Austausch miteinander stehend. Das persönliche Gedächtnis nehme Elemente des sozialen Gedächtnisses auf, denn schließlich gehöre die Geschichte eines individuellen Lebens 16 17
Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 133f., Zitat S. 134. Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, S. 2. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
zur Geschichte der Menschheit insgesamt und könne dementsprechend kontextualisiert werden. Das soziale Gedächtnis wiederum speise sich aus den gesammelten Erfahrungen von Individuen. Naturgemäß sei daher das soziale Gedächtnis wesentlich umfangreicher als das persönliche. Die Vergangenheit könne es jedoch nur in vereinfachter und verkürzter Form vergegenwärtigen, »während die Erinnerung an unser eigenes Leben uns ein sehr viel zusammenhängenderes und dichteres Bild« gebe (vgl. S. 36). Halbwachsʼ soziales oder auch kollektives Gedächtnis ist also ein Bestand an Erinnerungen, den sich eine Gruppe von Menschen teilt. Eine jede Gruppe habe dabei ein spezifisches kollektives Gedächtnis, das sich in einem zeitlichen und räumlichen Rahmen bewege (vgl. S. 100 und S. 142). Das kollektive Gedächtnis […] sieht die Gruppe von innen und während eines Zeitabschnittes, der die durchschnittliche Dauer des menschlichen Lebens nicht überschreitet, der sogar meist viel kürzer ist. Es zeigt der Gruppe ein Gesamtbild ihrer selbst, das sich zweifellos zu einer früheren Zeit aufrollt, da es sich um ihre Vergangenheit handelt – jedoch so, daß sie sich in diesen aufeinanderfolgenden Teilbildern jederzeit wiedererkennt. (S. 76) Unterschiedliche soziale Gruppen treten ständig in Kontakt miteinander, woraus sich nach Halbwachsʼ Gedächtnistheorie neue Ereignisse, Gedanken und Ideen ergeben. Solche Kontakte können permanent oder regelmäßig zwischen denselben Gruppen stattfinden. Stehen Gruppen auf diese Art über einen längeren Zeitraum in Beziehung zueinander, können Halbwachs zufolge Erinnerungen entstehen, die in den Denkbereichen der Mitglieder beider Gruppen enthalten seien (vgl. S. 25f.). Obwohl das individuelle Gedächtnis von Halbwachs als soziales Phänomen erkannt wurde, ist es doch mit dem sozialen Gedächtnis nicht identisch. Jan Assmann hat erläutert, dass sich das individuelle Gedächtnis als eine einzigartige Verbindung von Kollektivgedächtnissen forme, weil jedes Individuum an mehreren Kollektiven und somit an mehreren Kollektivgedächtnissen teilhabe.18 Auch Halbwachs unterstreicht in seinem Werk immer wieder, dass das individuelle und das kollektive Gedächtnis sich gegenseitig bedingten. Wenn ein Individuum aufhöre, einer Gruppe anzugehören, verblassten die Erinnerungen, die es von dieser Gruppe habe, und es könne sie auch nicht mehr auffrischen. Ein individuelles Gedächtnis dürfe also nicht aufhören, mit dem Gedächtnis einer Gruppe zu harmonisieren und »es müssen genügend Verbindungspunkte zwischen dem einen und dem anderen bestehen, damit die neuerweckte Erinnerung auf einer gemeinsamen Grundlage rekonstruiert werden kann«.19 Das kollektive Gedächtnis beziehe seine Kraft und Beständigkeit aus der Gesamtheit der Individuen. Jedem Individuum seien dabei jedoch jeweils andere Erinnerungen aus der Masse der im Gedächtnis der Gruppe gespeicherten Erinnerungen am deutlichsten.20 Wir würden sagen, jedes individuelle Gedächtnis ist ein »Ausblickspunkt« auf das kollektive Gedächtnis; dieser Ausblickspunkt wechselt je nach der Stelle, die wir darin ein-
18 19 20
Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 37. Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, S. 12. Vgl. ebd., S. 31.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
nehmen, und diese Stelle selbst wechselt den Beziehungen zufolge, die ich mit anderen Milieus unterhalte.21 Gerade mit Blick auf die soziale Prägung von individuellem Gedächtnis und auf dessen Verhältnis zu Kollektivgedächtnissen fällt auf, dass Halbwachsʼ Gedächtnis-Theorie viele Parallelen zu einer Erkenntnistheorie aufweist, die etwa zur selben Zeit vom polnischen Bakteriologen Ludwik Fleck entwickelt wurde. Es ist nicht bekannt, ob Fleck und Halbwachs sich persönlich kannten oder zumindest von der Arbeit des jeweils anderen wussten.22 Dennoch schlage ich hier vor, Flecks Theorie mit der Theorie des kollektiven Gedächtnisses zu kombinieren, denn dadurch kann eine klarere Vorstellung von der Bedeutung des Gedächtnisses für das Wahrnehmen, Denken und Handeln von Menschen erreicht werden. Ludwik Fleck hat seine Theorie vom Denkstil und Denkkollektiv insbesondere mit Blick auf wissenschaftliche Kollektive als Erklärung des Erkenntnisgewinns entwickelt. Sie lässt sich aber auch auf andere gesellschaftliche Kollektive übertragen. Gerade das macht sie für die Fragestellung dieser Arbeit anschlussfähig und bereichernd, denn in Archäologischen Landesmuseen kommuniziert das wissenschaftliche Kollektiv der Archäologie mit dem gesamtgesellschaftlichen Kollektiv und teilt seine Gedanken beziehungsweise seine Überzeugungen und Erkenntnisse. Die Denkstil-Theorie basiert auf der Annahme, dass individuelles Wissen und individuelle Erkenntnis sozial bestimmt beziehungsweise vom Wissen eines Kollektivs geprägt seien. Alle Einzelheiten einer Epoche trügen demnach die Merkmale eines bestimmten gemeinsamen Stils.23 Der Inhalt eines solchen (Denk-)Stils ist Fleck zufolge durch drei Quellen oder Umstände bedingt: Die erste Quelle des Denkstils bildeten die sogenannten Ur- oder Präideen, die sich im Laufe der Zeit kontinuierlich zu modernen Auffassungen entwickelt hätten. Prägend seien außerdem als zweite Quelle des Denkstils Auffassungen, die aus dem ständigen Austausch von Ideen und Gedanken in einem Kollektiv hervorgegangen seien – Fleck nennt diesen Austausch den intrakollektiven Denkverkehr. Die dritte Quelle speise sich aus permanenten Einflüssen anderer Stile. Solche Einflüsse entstehen Fleck zufolge durch den sogenannten interkollektiven Denkverkehr.24 Letzterer kann mit dem von Halbwachs be-
21 22
23 24
Ebd., S. 31. Maurice Halbwachs wurde 1877 in Reims geboren und entwickelte seine Gedächtnistheorie in den 1920er Jahren, sein Werk Das kollektive Gedächtnis konnte allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg posthum veröffentlicht werden. Halbwachs wurde 1944 von Nationalsozialisten in das KZ Buchenwald deportiert und starb dort am 16. März 1945 (vgl. Heinz Maus, Geleitwort zu Das kollektive Gedächtnis, 1985, S.V–VII). Ludwik Fleck musste unter der NS-Herrschaft in pharmazeutischen Fabriken, im KZ Auschwitz und ab 1944 im KZ Buchenwald an der Entwicklung und Herstellung eines Typhusimpfstoffes für Soldaten der Wehrmacht arbeiten. Anders als Halbwachs überlebte er die Internierung und verstarb 1961 in Israel (vgl. Lothar Schäfer und Thomas Schnelle, Einleitung zu Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. IX–XIII). Fleck und Halbwachs befanden sich somit zur selben Zeit im KZ Buchenwald. Ihre Schriften zum kollektiven Gedächtnis und zum Denkstil waren zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits abgefasst, wobei sie im Fall von Halbwachs zum Teil noch nicht veröffentlicht, im Fall von Fleck noch kaum rezipiert worden waren. Vgl. Ludwik Fleck, Erfahrung und Tatsache, 1983, S. 79. Vgl. ebd., S. 114.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
schriebenen Kontakt zwischen Gruppen gleichgesetzt werden, der neue Ereignisse, Gedanken und Ideen anregt. Das Konzept des Denkstils kann man sich also als eine Art sozial bedingtes Geflecht von Auffassungen vorstellen, die durch Ideen, deren Weiterentwicklung und Umwandlung sowie durch deren Veränderung aufgrund von äußeren Einflüssen zustande kommen und sich so arrangieren, dass sie einander stabilisieren und ein geschlossenes System bilden.25 Der Denkstil ist laut Fleck aber nicht nur ein passiv existierendes System, er habe auch Einfluss auf den Vorgang der Erkenntnis. Denn der Träger eines bestimmten Denkstils könne einen neuen oder veränderten Sachverhalt, der nicht seinem Denkstil entspricht, nicht sofort als solchen erkennen; zuerst müsse sich sein ganzer Denkstil ändern.26 Eine Auffassung oder Tatsache könne sich im Denkstil nicht ändern oder neu dazu stoßen, ohne dass das gesamte Geflecht der Tatsachen davon beeinflusst würde: »Jede empirische Entdeckung kann also als Denkstilergänzung, Denkstilentwicklung oder Denkstilumwandlung aufgefaßt werden«27 . Die neue Tatsache muss sozusagen in das System passen, ohne allzu viele dort bereits verankerte Tatsachen zu stark zu verändern. Alternativ müsste sich das System um sie herum komplett neu anordnen.28 Letzteres soll jedoch wesentlich seltener der Fall sein, denn ein in sich stimmiges System habe eine – wie Fleck sie nennt – Beharrungstendenz, da seine einzelnen Elemente sich gegenseitig bestätigten und stabilisierten.29 Aufgrund dieser Beharrungstendenz ist Flecks Denkstil bis zu einem bestimmten Grad ein Denkzwang und »die Gesamtheit geistiger Bereitschaften, das Bereitsein für solches und nicht anderes Sehen und Handeln«.30 Folglich sind Auffassungen und selbst vermeintlich wissenschaftliche Tatsachen stets vom Denkstil abhängig. Denn, wie Fleck prägnant sagt, »wir schauen mit den eigenen Augen, aber wir sehen mit den Augen des Kollektivs«31 . Der Denkstil sei also gerichtetes Wahrnehmen und bewirke, dass das Wahrgenommene entsprechend gedanklich und sachlich verarbeitet wird.32 Insofern entspricht der Denkstil dem durch das soziale Gedächtnis geprägten Denken und Erinnern nach Halbwachs. Wie auch jedes soziale Gedächtnis werde jeder Denkstil von einem ihm eigenen (Denk-)Kollektiv getragen. Die »Gemeinschaft der Menschen, die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen«, sei der »Träger geschichtlicher Entwicklung eines Denkgebietes, eines bestimmten Wissensbestandes und Kulturstandes, also eines besonderen Denkstiles«.33 Es scheint plausibel, den Wissensbestand eines solchen Denkkollektivs als sein je eigenes Gedächtnis, also seine Sammlung gespeicherter und abrufbarer Informationen zu bezeichnen. Das Gedächtnis hat somit Auswirkungen auf die Ausformung des Denkstils und umgekehrt rekurriert der Denkstil eines Kollektivs auf dessen Wissensbestand beziehungsweise auf dessen Gedächtnis. Als 25 26 27 28 29 30 31 32 33
Vgl. ebd., S. 81. Vgl. ebd., S. 78. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. 122. Vgl. ebd., S. 134f. Vgl. ebd., S. 40. Vgl. ebd., S. 85. Ludwik Fleck, Erfahrung und Tatsache, 1983, S. 157. Vgl. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. 130. Vgl. ebd., S. 54f., Zitat ebd.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
prägende Basis des Denkstils beeinflusst das Gedächtnis folglich die Wahrnehmung von Ereignissen, Prozessen und Zuständen und somit auch die Erkenntnis beziehungsweise die Beschreibung sogenannter Tatsachen sowie Handlungsentscheidungen, die auf der Grundlage dieser Tatsachen getroffen werden. Hierin liegt die wesentliche Verbindung zwischen Gedächtnis und Identität, denn eine Identität ist – wie ich in den Teilkapiteln II.1.3 und II.4.1 noch ausführlicher darstellen werde – eine von Denkstil und Gedächtnis geprägte und diese umgekehrt auch prägende Selbst- oder Fremdwahrnehmung. Aleida und Jan Assmann haben ab Ende der 1980er Jahre den Begriff des kollektiven oder auch sozialen Gedächtnisses weiter ausdifferenziert und insbesondere den Begriff des kulturellen Gedächtnisses geprägt. Systematisch wurde dieses Konzept vor allem in Jan Assmanns Buch Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen erläutert. Darin weist Assmann dem menschlichen Gedächtnis vier Außendimensionen zu, da gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen die Inhalte bestimmen, die das menschliche Gedächtnis aufnimmt, sowie die Art, wie es diese organisiert. Die vier Dimensionen des Gedächtnisses nennt Assmann das mimetische Gedächtnis, das Gedächtnis der Dinge, das kommunikative Gedächtnis und das kulturelle Gedächtnis.34 Im mimetischen Gedächtnis werde demnach gespeichert, wie Handlungen ausgeführt werden. Dinge wie Alltagsgeräte, Häuser, Städte oder Fahrzeuge spiegelten Assmann zufolge dem Menschen ein Bild seiner selbst wider, da in sie die menschlichen »Vorstellungen von Zweckmäßigkeit, Bequemlichkeit und Schönheit« und somit in gewisser Weise die Menschen selbst investiert würden. Sie erinnerten den Menschen an sich und seine Vergangenheit und deuteten in der Gegenwart auf verschiedene Schichten der Vergangenheit hin. Die darum als Gedächtnis der Dinge bezeichnete Außendimension ist somit in Jan Assmanns Terminologie nicht mit dem kulturellen Gedächtnis identisch, doch sie überschneidet sich mit diesem stark (vgl. S. 20). Das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis werden von Assmann zunächst als zwei Vergangenheitsregister voneinander unterschieden. Das kommunikative Gedächtnis beziehe sich auf die rezente Vergangenheit, das heißt, es umfasse Erinnerungen, die Menschen sich mit ihren Zeitgenossen teilen. Der typische Fall ist das Generationen-Gedächtnis. […] Dieser allen durch persönlich verbürgte und kommunizierte Erfahrung gebildete Erinnerungsraum entspricht biblisch den 3–4 Generationen, die etwa für eine Schuld einstehen müssen. Die Römer prägten dafür den Begriff des »saeculum« und verstanden darunter die Grenze, bis zu der auch der letzte überlebende Angehörige einer Generation (und Träger ihrer spezifischen Erinnerung) verstorben ist. (S. 50) Bereits 1988 hatte Assmann den Begriff in einem Aufsatz verwendet und dabei betont, dass das kommunikative Gedächtnis sich dadurch auszeichnet, dass es ausschließlich in der Alltagskommunikation zirkuliert und persönliche Erfahrungen enthält.35 Im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis zeichne sich das kulturelle Gedächtnis durch Alltagsferne aus. Da es einen Zeithorizont mit bestimmten Fixpunkten 34 35
Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 19–21. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text. Vgl. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 1988, S. 10.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
habe, wandere es nicht wie das kommunikative Gedächtnis mit dem fortschreitenden Gegenwartspunkt mit. Seine Fixpunkte seien sogenannte Erinnerungsfiguren – »schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit, deren Erinnerung durch kulturelle Formung (Texte, Riten, Denkmäler) und institutionalisierte Kommunikation (Rezitation, Begehung, Betrachtung) wachgehalten wird«.36 Prägnant definiert Jan Assmann das kulturelle Gedächtnis daher wie folgt: Unter dem Begriff des kulturellen Gedächtnisses fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und -Riten zusammen, in deren »Pflege« sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewußtsein von Einheit und Eigenart stützt. Nicht nur ist dieses Wissen inhaltlich von Kultur zu Kultur, aber auch von Epoche zu Epoche verschieden. Auch seine Organisationsformen, seine Medien und Institutionen, sind höchst unterschiedlich.37 Was als kulturelles Gedächtnis bezeichnet wird, ist also ein kollektiv geteilter Bestand an Wissen – vor allem über die dem Generationengedächtnis vorausgehende, entfernte Vergangenheit –, auf den eine Gruppe ihr Selbstbild und ihr Selbstverständnis stützt. Es ist laut Assmann Gegenstand einer institutionellen Mnemotechnik, die Kontinuität und Identität gewährleisten soll, indem sie Sinn speichert, reaktiviert und vermittelt. Sie halte also das kulturelle Gedächtnis, das sich nicht biologisch vererben lässt, über die Generationen hinweg in Gang.38 Das kulturelle Gedächtnis richte sich zwar auf Fixpunkte in der Vergangenheit, doch die Vergangenheit selbst könne sich in ihm nicht vollständig erhalten. Stattdessen gerinnt sie Jan Assmann zufolge im kulturellen Gedächtnis »zu symbolischen Figuren, an die sich die Erinnerung heftet«. Der Unterschied zwischen Mythos und Geschichte werde dadurch im kulturellen Gedächtnis hinfällig, denn hier zähle nicht die faktische, sondern nur eine erinnerte Geschichte. Diese erinnerte Geschichte werde gewissermaßen zum Mythos, also zu einer fundierenden Erzählung, die eine Gegenwart vom Ursprung her erklären soll (vgl. S. 52). Das kulturelle Gedächtnis bietet also lediglich Geschichten im Sinne von narrativen Darstellungsversionen der Vergangenheit an. Dabei heftet es sich Jan Assmann zufolge an Objektivationen, also an in feste Formen gebannten Sinn. Assmann beschreibt es daher auch als »Dingwelt, die der Mensch aus sich heraus setzt« (vgl. S. 58f., Zitat S. 59). Mit dem Gedächtnis der Dinge, aber auch mit den anderen beiden von dem Ägyptologen unterschiedenen Außendimensionen des Gedächtnisses hat das kulturelle Gedächtnis daher Schnittmengen. Es bildet einen Raum, in den das mimetische, das kommunikative und das Gedächtnis der Dinge übergehen. An den Beispielen des mimetischen Gedächtnisses und des Gedächtnisses der Dinge macht Jan Assmann dies deutlich: Wenn mimetische Routinen den Status von »Riten« annehmen, d.h. zusätzlich zu ihrer Zweckbedeutung noch eine Sinnbedeutung besitzen, wird der Bereich des mimeti36 37 38
Vgl. ebd., S. 12. Ebd., S. 15f. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 89. Nachweise aus diesem Werk stehen wiederum im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
schen Handlungsgedächtnisses überschritten. Riten gehören in den Bereich des kulturellen Gedächtnisses, weil sie eine Überlieferungs- und Vergegenwärtigungsform des kulturellen Sinnes darstellen. Dasselbe gilt für Dinge, wenn sie nicht nur auf einen Zweck, sondern auf einen Sinn verweisen: Symbole, Ikonen, Repräsentationen wie etwa Denksteine, Grabmale, Tempel, Idole usw. überschreiten den Horizont des Dinggedächtnisses, weil sie den impliziten Zeit- und Identitätsindex explizit machen. (S. 21) Das kulturelle Gedächtnis stellt somit unter den von Jan Assmann unterschiedenen Gedächtnistypen die Hauptkategorie dar, die Schnittmengen mit den drei anderen Kategorien hat und diese speist. Die Grenzen zwischen den Kategorien zum kulturellen Gedächtnis sind also fließend. Das kulturelle und das kommunikative Gedächtnis scheinen zwar auf den ersten Blick ähnlich wie Jan Vansinas Unterscheidung einer Ursprungszeit und einer jüngsten Vergangenheit konzipiert zu sein, doch sie sind mit Vansinas Konzept der Vergangenheit nicht zu parallelisieren. Vansina sah die jüngste Vergangenheit, zu der noch zahlreiche Informationen und persönliche Erfahrungsberichte vorliegen, durch eine »floating gap« von der Ursprungszeit einer Gesellschaft getrennt. Während viele Informationen zur Ursprungszeit in Form von Mythen vorlägen, fänden sich nur wenige Informationen zu der Zeit zwischen Ursprungszeit und jüngster Vergangenheit. Dieser Zeitabschnitt bilde also eine Lücke, die sich mit dem Fortschreiten der Geschichte mitbewege.39 Jan Assmann widerspricht dieser Vorstellung jedoch, denn er ist überzeugt, dass im kulturellen Gedächtnis die Mythen der Ursprungszeit und die weitere entfernte Vergangenheit nahtlos ineinander übergehen.40 Der Begriff der »floating gap« suggeriert außerdem ein vollständiges Fehlen von Wissen über bestimmte Epochen. Ein solcher Totalausfall von Wissen ist jedoch nicht belegbar, schließlich gibt es zum Beispiel auch über das Mittelalter oder die Frühe Neuzeit einen großen Bestand an unterschiedlichsten Quellen und viele daraus abgeleitete Erkenntnisse. Des Weiteren führen die neuen Medien dazu, dass Wissen in immer größeren Mengen gespeichert, archiviert und zugänglich gemacht werden kann. Der Bereich der Vergangenheit, zu dem noch Informationen vorliegen, dehnt sich also immer weiter aus. Umgekehrt müssten Jan Vansinas Theorie zufolge Informationen über die fernere Vergangenheit irgendwann als Ursprungsmythen wieder auftauchen, da die sogenannte floating gap sich ja mit der fortschreitenden Zeit mitbewegen würde. Wie sollen solche Informationen aber wieder auftauchen, wenn sie nie gespeichert wurden? Vansinas Idee einer mit der Zeit mitwandernden Wissenslücke ist also nicht belastbar. Wie bereits erläutert ist aber nicht nur der Übergang zwischen den Ursprungsmythen und der entfernten Vergangenheit im kulturellen Gedächtnis fließend, sondern auch das kulturelle Gedächtnis selbst geht fließend in das kommunikative Gedächtnis über. Katrin Pieper hält daher eine strenge Unterscheidung dieser beiden Gedächtnismodi für problematisch und hat darauf hingewiesen, dass beide einander bedingen und ein unauflösbares Konglomerat bilden. Ohne eine Kulturalisierung komme kein kommunikatives Gedächtnis aus. Umgekehrt werde jedes kulturelle Gedächtnis auch
39 40
Vgl. Jan Vansina, Oral Tradition as History, 1985, S. 168f. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 48f.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
immer kommunikativ begründet. Das Konzept des kulturellen Gedächtnisses verstärkt Pieper zufolge jedoch die »Vorstellung eines statischen, homogenen, in sich geschlossenen und einheitlichen Gruppengedächtnisses«. Da ein solches Gedächtnis sich aber der Realität von gesellschaftlichen Dynamiken widersetzt, wird es von Pieper abgelehnt.41 Der Begriff des kulturellen Gedächtnisses sollte daher mit Vorsicht verwendet und keineswegs als klar abgegrenzte und statische Entität verstanden werden – schließlich wurde das kulturelle Gedächtnis auch von Jan Assmann als Raum konzipiert, in den alle von ihm unterschiedenen Gedächtnistypen eingehen. In dieser Arbeit soll das kulturelle Gedächtnis daher als dynamische und fluide Sammlung von Wissen aufgefasst werden, die jeweils in Form eines spezifischen Kollektivgedächtnisses von einem Kollektiv beziehungsweise einer Gesellschaft und deren Individuen bewahrt und gepflegt wird und die deren Denkstil speist. Das im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Wissen kann dabei in Form von Gütern, Riten, Erzählungen, Praktiken und dergleichen kodiert sein, die als sogenanntes kulturelles Erbe weitergegeben werden. Diesem Begriff wende ich mich mit dem folgenden Teilkapitel zu.
II.1.2 Kulturelles Erbe Das Konzept des Erbens und Vererbens ist sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben sehr präsent. Debatten um naturwissenschaftliche Forschungen am genetischen Erbgut von Menschen und Tieren, um die Genmanipulation von Pflanzen zur Ertragssteigerung, um Erbschaftsrecht und Erbschaftssteuer sowie um den Umgang mit Kulturerbe aus dem In- und Ausland sind nur einige Beispiele, die deutlich machen, wie weit und differenziert das Begriffsfeld des Erbes ist. Im juristischen Sinn bezeichnet Erbe Güter, Rechte oder Vermögen, die nach dem Tod eines Menschen durch testamentarische Verfügung oder rechtliche Nachfolge in den Besitz eines anderen übergehen.42 Wird aber von linguistischem, kulturellem oder genetischem Erbe gesprochen, werden damit allgemeiner Übertragungsvorgänge von Dingen und Eigenschaften zwischen Individuen oder Gruppen – meist, aber nicht zwangsweise unterschiedlicher Generationen – ausgedrückt, die jeweils spezifischen Regeln und Mustern folgen. Die Archäologie und Archäologische Landesmuseen kooperieren zur Erforschung des genetischen Erbes von Lebewesen mit naturwissenschaftlichen Disziplinen, aber der Kern ihrer Arbeit liegt in den Relikten und Spuren materieller und immaterieller Kultur. Sie arbeiten also vorwiegend mit sogenanntem kulturellem Erbe – mit Gütern und Praktiken, die innerhalb einer Gruppe von Menschen weitergereicht werden. Wie der Übertragungsvorgang von kulturellem Erbe verläuft und welchen Regeln er folgt, soll erst in den Teilkapiteln II.3.1 und II.3.2 behandelt und mit Blick auf archäologische Objekte reflektiert werden. Hier stelle ich zunächst den historischen Kontext des Konzepts Kulturerbe vor und nehme verschiedene Begriffe und Kategorien in den Blick, die den Diskurs dazu prägen. Denn auf dem Forschungsgebiet des kulturellen Erbes überschneiden sich viele Termini wie Kulturgut, Welterbe, Cultural Property, Heri41 42
Vgl. Katrin Pieper, Resonanzräume, 2010, S. 195. Vgl. hierzu §§ 1931ff. BGB.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
tage sowie materielles und immaterielles Erbe, die zur Diskussion des Themas in ihrer Bedeutung begriffen und differenziert werden müssen. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der spezifischen Rolle von archäologischen Objekten im Konzept des kulturellen Erbes. Die Entwicklung des Konzepts des kulturellen Erbes hängt eng mit der rechtlichen Regelung von Kulturgutschutz zusammen und scheint vor allem durch den Eindruck von kriegsbedingten Verlusten Auftrieb erhalten zu haben. Carola Thielecke hat dargelegt, dass der Begriff des Kulturerbes beziehungsweise dessen französisches Pendant »patrimoine« erstmals zur Zeit der Französischen Revolution in Gesetzen nachweisbar geworden sei – und zwar infolge der Zerstörung oder zumindest Bedrohung von Kulturdenkmälern durch Vandalismus während des Revolutionsgeschehens. Am 24. Oktober 1793, so Thielecke, sei im französischen Nationalkonvent eine Gesetzesvorlage zum Denkmalschutz angenommen worden. Aber erst in den 1940er Jahren habe der Begriff auch Verwendung im Völkerrecht gefunden.43 Zuvor habe ein Bewusstsein für Denkmalpflege und Denkmalschutz laut Anne Eriksen zwar vor allem ab dem 19. Jahrhundert in Europa zunehmend an Bedeutung gewonnen, der Begriff Kulturerbe sei dabei aber selten verwendet worden. Stattdessen sei meist von Denkmälern die Rede gewesen.44 Die weitreichende Bedrohung, Zerstörung und Verschleppung von Denkmälern beziehungsweise Kulturgütern im Ersten und Zweiten Weltkrieg habe letztlich zu einem international vereinbarten Kulturgutschutz und damit zur endgültigen Ausbildung des Konzepts Kulturerbe geführt. Mit der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten von 1954 sei die Sicherung und Respektierung von Kulturgütern in spezifischen Bedrohungs- und Zerstörungsfällen beschlossen worden und die Begriffe Kulturgut und Kulturerbe seien ins Völkerrecht eingeführt worden.45 Dabei äußerten die Vertragsparteien in der Präambel ihre Überzeugung, »dass jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet, weil jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet«, und vereinbarten auf dieser Grundlage internationale Maßnahmen zum Schutz von Kulturgut.46 Das Konzept des Kulturerbes entstand also offensichtlich unter dem Eindruck von Verlust und somit im Bewusstsein eines Bruchs im Überlieferungsprozess. Kulturgüter wie beispielsweise Baudenkmäler und Kunstwerke waren in bis dahin unbekannt großem Ausmaß durch Kriegshandlungen in Mitleidenschaft gezogen, geraubt und vernichtet worden, sie waren unwiederbringlich verloren oder zumindest unwiderruflich beschädigt. Statt einer kontinuierlichen Überlieferung musste nun eine Erinnerungskultur einsetzen, die über diesen Bruch hinweggriff. Die noch erhaltenen Kulturdenkmäler wurden also von da an verstärkt als Kulturerbe wahrgenommen, als Objekte, die auch über Brüche wie Krieg und Zerstörung hinweg von einer Generation an die nächste weitergegeben werden müssen und die es daher noch mehr als schon zuvor wertzuschätzen und zu schützen gilt.
43 44 45 46
Vgl. Carola Thielecke, Eine rechtliche Betrachtung, 2012, S. 61. Vgl. Anne Eriksen, From Antiquities to Heritage, 2014, S. 7f. Vgl. ebd., S. 137. Vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 2007, S. 24.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Ein weiterer Fall von Bedrohung kultureller Denkmäler – diesmal nicht durch Krieg, sondern durch staatlich beschlossene Baumaßnahmen – gilt als Initialzündung für das wohl bekannteste internationale Denkmalschutzprogramm, das UNESCO-Welterbe. Als 1960 die Überflutung der Tempel von Abu Simbel und Philae durch den Bau des AssuanStaudamms drohte, folgten fünfzig Länder dem Aufruf des UNESCO-Generaldirektors und beteiligten sich mit Spenden in Höhe von insgesamt 40 Millionen US-Dollar an der Rettung der Denkmäler. Die Tempel konnten zerlegt und an einer höher gelegenen Stelle wiederaufgebaut werden.47 Aus dieser Staaten verbindenden Kooperation entstand die Idee zu einem internationalen Kulturgutschutzprogramm. Auf der 17. Generalkonferenz der UNESCO am 16. Dezember 1972 wurde schließlich das als Welterbekonvention bekannte Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt verabschiedet und am 17. Dezember 1975 wurde es in Kraft gesetzt. Der Konvention liegt der Gedanke zugrunde, dass manche Kulturgüter einen Wert für die gesamte Weltbevölkerung haben und dass ihr Verlust durch Verfall oder Zerstörung das kulturelle Erbe der Weltbevölkerung schmälert. Daher soll nicht nur ein Land, sondern »die Völkergemeinschaft auch die gemeinsame Verantwortung für das Erbe der Welt übernehmen«. Die Unterzeichnerstaaten einigten sich damit darauf, eine Liste der Kultur- und Naturerbestätten mit einem solchen universellen kulturellen Wert zu erstellen und die innerhalb ihrer Grenzen gelegenen Welterbestätten für zukünftige Generationen zu schützen und zu erhalten.48 Ich werde in Teilkapitel II.3.2 noch einmal darauf zurückkommen und kritisch betrachten, wie mit den Kriterien zur Aufnahme eines Kulturguts auf die UNESCO-Welterbeliste der Wert von kulturellem Erbe definiert und bemessen wird. Zunächst einmal möchte ich hier zusammenfassend feststellen, dass das Konzept eines kulturellen Erbes oder Kulturerbes – ich verwende beide Begriffe synonym – zuerst aufgrund konkreter, kriegerischer Bedrohungen und Zerstörungen von Kulturgütern entwickelt wurde. Später nahm auch ein internationales Bewusstsein für die Bedrohung von Kulturgütern in Friedenszeiten durch sozialen und wirtschaftlichen Wandel zu und führte zur Ausbildung zwischenstaatlicher Instrumente zur Bewahrung und Pflege von Kulturgütern. Es wurden also Maßnahmen der Überlieferung ergriffen, die nicht nur den durch Verlust von Kulturgütern – beispielsweise von kulturellen Praktiken und Riten – drohenden Bruch mittels Erinnerungskultur überwinden sollen. Sie sollen vielmehr, wenn möglich, weitere Brüche und Verluste verhindern und stattdessen die kontinuierliche Weitergabe von als wertvoll befundenen Kulturgütern sichern. Sie sollen also ein kulturelles Gedächtnis generieren, in dem das kulturelle Erbe bewahrt, gepflegt und weitergegeben werden kann. Das Konzept des kulturellen Erbes folgt somit nicht der privatrechtlichen Vorstellung, dass Erbe erst nach dem Tod einer Person weitergegeben werden kann. Erbe
47 48
Vgl. Roland Bernecker u.a., Die Idee des universellen Erbes, 2009, S. 11. Vgl. Kurt Schlünkes, Das UNESCO-Welterbe, 2009, S. 16–18, Zitat S. 17. Inwiefern tatsächlich ein Interesse der gesamten Menschheit am Erhalt einzelner Kultur- und Naturdenkmäler besteht und ob das Konzept des universellen Kultur- und Naturerbeschutzes der UNESCO realistisch ist, wird von vielen Autoren kritisch hinterfragt (beispielsweise in: Regina Bendix, Kilian Bizer und Stefan Groth [Hg.], Die Konstituierung von Cultural Property. Forschungsperspektiven. Göttinger Studien zu Cultural Property 1, 2010). Im Rahmen dieser Arbeit kann dieser Frage jedoch nicht weiter nachgegangen werden.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
ist hier vielmehr all das, was für zukünftige Generationen aufbewahrt und diesen übergeben wird. Der Zeitpunkt der Übergabe oder Übernahme ist nebensächlich, er muss nicht nach dem Bruch liegen, sondern kann bereits davor stattgefunden haben. Erst der Bruch wandelt das Übernommene oder Übergebene jedoch zum Erbe.49 Dabei ist zu beachten, dass sich im Konzept des kulturellen Erbes von Beginn an die Vorstellungen von national bedeutendem Kulturerbe und international bedeutendem Kulturerbe gegenüberstanden und längst nicht jedes Kulturgut auch als schützenswertes Weltkulturerbe anerkannt wird. Die unterschiedlichen Vorstellungen innerhalb des Kulturerbe-Konzeptes spiegeln sich in verschiedenen Begriffen, die in diesem Themenfeld kursieren. Im deutschen Sprachraum wird meist von Kulturgütern und Kulturerbe beziehungsweise kulturellem Erbe sinngleich gesprochen. Selbst ein zeitgenössisches Kunstwerk kann bereits als Kulturerbe für künftige Generationen gedacht werden. Rudolf Streinz hat festgestellt, dass von einer Objektkategorie »Kulturgut« ausgegangen wird, die sogar Gegenstand nationaler und internationaler Rechtsprechung sei, obwohl es keine einheitliche Definition für diesen Begriff gibt, sondern er je nach Gesetz variabel ausgelegt wird. In der Haager Konvention beispielsweise wird das Kulturgut als »bewegliches oder unbewegliches Gut, das für das kulturelle Erbe aller Völker von großer Bedeutung ist«, beschrieben und es folgt eine Aufzählung beispielhafter Objekte, die in diese Kategorie fallen.50 Vorschläge dazu, was man als Kulturgut einstufen kann, werden in vielen Gesetzestexten und Konventionen gemacht.51 In der Regel gehören dazu Denkmäler, Gemälde, Bücher, wissenschaftliche Sammlungen, ethnologische Objekte und vor allem archäologische Artefakte. Letztere werden beispielsweise im Europäischen Übereinkommen zum Schutz archäologischen Kulturguts vom 6. Mai 1969 in Art. 1 wie folgt definiert: Archäologische Gegenstände im Sinne dieses Übereinkommens sind alle Überreste und Gegenstände oder sonstigen Spuren menschlichen Lebens, die von Epochen und 49
50 51
Ulrike Langbeins Untersuchungen zu ge- und vererbten Alltagsgegenständen haben gezeigt, dass als Erbe bezeichnete und empfundene Dinge oft nicht Erbe im privatrechtlichen Sinne, also durch Testament vermachte Dinge, sind. Vielmehr würden sie von ihren neuen Besitzern als Erbe bezeichnet, weil sie von einer vorangehenden Generation übernommen wurden. Dabei spielt der Zeitpunkt der Übernahme aber keine Rolle, er kann bereits vor dem Tod der vorangegangenen Generation liegen: »Denn entscheidend sind die Selektion, die Benennung als ›Erbe‹ und damit die klassifikatorische Ordnung der Dinge, die meine Interviewpartner aufgrund des symbolischen Gehalts der Gegenstände erstellt haben; entscheidend ist die Gegenwart, in die Dinge aus der Vergangenheit übernommen werden. Trotz dieser grundlegenden Differenz zum traditionellen Verständnis des Erbens legt die Bezeichnung der Dinge als Erbe eine Gemeinsamkeit nahe. Abstrahiert man von der konkreten Form des Erbes und lenkt die Aufmerksamkeit auf seine Funktion im Sinne von Bewahrung und Weitergabe, so lassen sich Analogien erkennen: Erbe ist erstens das, was aus der Vergangenheit kommt und in die Gegenwart übernommen wird, das Überdauernde, Kontinuierliche. Zweitens ist Erbe das, was in irgendeiner Weise für wertvoll befunden und deshalb bewahrt wird. Damit verweist die Kategorie ›Erbe‹ auf Werte, die konstruiert und übertragen werden.« (Ulrike Langbein, Geerbte Dinge, 2002, S. 222.) Vgl. Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 2007, S. 25. Beispielsweise im Anhang II des Europäischen Übereinkommens über strafrechtliche Vergehen an Kulturgut vom 23. Juni 1985 (vgl. Rudolf Streinz, Internationaler Schutz von Museumsgut, 1998, S. 334f.).
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Kulturen zeugen, für die Ausgrabungen und Funde die Hauptquelle oder eine der Hauptquellen wissenschaftlicher Erkenntnis sind.52 Dabei wird Artefakten, die bereits in ur- oder frühgeschichtlicher Zeit hergestellt wurden, meist unterstellt, dass sie nicht nur Ausdruck vergangener Lebensweisen sind, sondern auch von künstlerischem und wissenschaftlichem Interesse sind und sich durch Seltenheit auszeichnen. Welche konkreten Objekte mit dem Status des Kulturguts versehen werden, wird Rudolf Streinz zufolge nach internationalem Recht aber nicht vorgeschrieben, sondern werde der Entscheidung des Staates überlassen, in dessen Einflussbereich sich die Objekte befinden.53 Mit den Begriffen Kulturgut und Kulturerbe sind die englischen Termini Cultural Property und Cultural Heritage keinesfalls gleichzusetzen. Beide werden als Ausdruck für materielle oder immaterielle Objekte, Praktiken und Kenntnisse verwendet, die bereits seit langer Zeit bestehen, in die heutige Zeit überliefert worden sind und darüber hinaus als signifikanter Ausdruck einer Kultur gelten. Allerdings werden Cultural Heritage und Cultural Property inzwischen nicht mehr als Synonyme verwendet, sondern bezeichnen unterschiedliche Konzepte. Anne Eriksen hat mit Bezug auf die Forschung von Regina Bendix und Vladimar T. Hafstein aufgezeigt, dass die Konzepte des Cultural Property und des Cultural Heritage parallel zueinander bestehen und dass unterschiedliche Instrumente und Institutionen für den Schutz und die Pflege beider Konzepte erlassen wurden. Sie unterschieden sich grundlegend darin, ob sie eine internationale oder eine nationale Ebene betreffen. Während Cultural Property einen exklusiven Eigentumsanspruch ausdrücke, würden mit dem Konzept von Cultural Heritage inklusive, universale Eigentumsrechte intendiert. Das Konzept des Cultural Heritage sei also auf die gesamte Menschheit ausgelegt, während Cultural Property nur bestimmten Gruppen, wie beispielsweise der Bevölkerung eines bestimmten Staates, gehöre.54 Der Unterschied zwischen Cultural Property und Cultural Heritage entspricht also dem konzeptionellen Unterschied zwischen nationalem Kulturerbe und Weltkulturerbe. Mit Weltkulturerbe waren zunächst noch ausschließlich materielle Objekte gemeint und erst 2003 wurde von der UNESCO ein Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet, das Traditionen wie Feste, Musik oder Handwerkskünste abdeckt.55 Materielles und immaterielles Erbe werden zwar häufig unterschieden, hängen tatsächlich aber eng zusammen. Während sich Traditionen, Riten und Bräuche oft materieller Gegenstände bedienen, verkörpern Objekte Wissen, Glaubensvorstellungen oder kulturelle Praktiken. Die Grenzen zwischen materiellem und immateriellem Erbe sind also fließend. Deshalb ist in dieser Arbeit mit der Verwendung von Begriffen wie »Artefakt« oder »materielles Erbe« immer die Einsicht verbunden, dass solche Objekte lediglich die Materialisierungen immaterieller Kultur sind. Besonders archäologische
52 53 54 55
Rudolf Streinz, Internationaler Schutz von Museumsgut, 1998, S. 312. Vgl. ebd., S. 334f. Vgl. Anne Eriksen, From Antiquities to Heritage, 2014, S. 137. Das Übereinkommen ist in deutscher Übersetzung einsehbar auf der Website der Deutschen UNESCO-Kommission (vgl. Deutsche Unesco-Kommission e.V., Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes, online).
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Artefakte sind Zeugnisse von Praktiken, Techniken, Riten, Wissen, Geschichten, Glaubensinhalten oder Weltanschauungen der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit. Neben der Unterscheidung von materiellem und immateriellem Erbe wird immer wieder auch der Versuch unternommen, kulturelles Erbe in Kategorien zu differenzieren, zu ordnen und zu strukturieren. Damit wird die Auffassung vertreten, dass Erbe sehr unterschiedlichen Charakter haben kann. Der Archäologe John Carman beispielsweise unterscheidet materielles Kulturerbe in drei Kategorien, nämlich erstens in Objekte, zweitens in Gebäude, Stätten und Monumente und drittens in Landschaften.56 Diesen Kategorien liegen die Kriterien der Mobilität und der Entstehung zugrunde. Während das Erbe der Kategorie I bewegliche und vom Menschen gemachte Objekte umfasst, handelt es sich beim Erbe der Kategorie II um unbewegliche vom Menschen geschaffene Objekte beziehungsweise Orte. Das Erbe der Kategorie III, die Landschaften, umfasst wiederum Orte, die möglicherweise vom Menschen beeinflusst und umgestaltet, aber nicht gänzlich von ihm geschaffen wurden. Eine solche Unterscheidung von Kulturerbe lässt sich in vielen Denkmalschutzgesetzen der deutschen Bundesländer wiederfinden, wo Denkmäler meist grob in Bau-, Boden- und bewegliche Denkmäler unterschieden und in manchen Fällen innerhalb dieser Kategorien noch weiter differenziert werden.57 Archäologische Denkmäler können allerdings sowohl in beweglicher als auch in unbeweglicher Form vorliegen und entweder gänzlich von Menschen geschaffen oder lediglich durch sie beeinflusst sein. Ein sogenanntes archäologisches Erbe kann also Bau- und Bodendenkmäler sowie bewegliche Objekte bezeichnen. Schließlich bedeutet »archäologisch« lediglich, dass die Objekte mit archäologischen Methoden erforscht werden können, und das kann in Bezug auf Bauwerke ebenso der Fall sein wie in Bezug auf die im Boden verbliebenen Strukturen einer ehemaligen Handelsroute oder bewegliche Gegenstände. In welche Kategorien man es auch untergliedern mag – kulturelles Erbe, insbesondere Artefakte der Ur- und Frühgeschichte, stammt aus der Vergangenheit und wird in der Gegenwart angeeignet, genutzt und oft auch transformiert. Der Museologe Ivo Maroević attestiert ihm daher einen doppelten zeitlichen Charakter und sagt, es stelle eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart her.58 Anne Eriksen erklärt das wie folgt: Heritage weaves together past and present in a complex pattern. Because its contents will be those elements form the past that somebody is willing or able to inherit, it is defined from the perspective of the present. On the other hand, this heir will acquire authority just because the heritage is rooted in the past. This is also part of the reason why heritage so often plays an important role in identity politics. Claiming a heritage means demanding recognition in the present, for heritage makes its heirs appear as social agents, provided with the resources of their exclusive property.59
56 57 58 59
Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 35. Vgl. hierzu beispielsweise § 4 Abs. 1 DSchG Hamburg, § 4 DSchG Rheinland-Pfalz, § 2 SDschG und § 2 DenkmSchG LSA. Vgl. Ivo Maroević, The Museum Message, 1995, S. 24. Anne Eriksen, From Antiquities to Heritage, 2014, S. 150.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Erbe ist also von der Gegenwart her bestimmt, da es aus den Elementen der Vergangenheit zusammengesetzt ist, die jemand in der Gegenwart zur Erhaltung auswählt. Des Weiteren erhält der Erbende durch das Erbe eine in der Vergangenheit wurzelnde Autorität. Und weil Erbende soziale Akteure sind, die mit ihrem Erbe ein exklusives Eigentum erhalten, spielt Erbe in der Identitätspolitik eine so große Rolle. Wie später noch näher erörtert wird, kann eine kulturelle Identität konstruiert und abgestützt werden, indem sich gesellschaftliche Akteure auf kulturelles Erbe als Zeugnis weit zurückreichender Praktiken, Sachverhalte, Traditionen oder Kenntnisse beziehen (s. Teilkapitel II.4.2). Das bedeutet aber auch – und darauf haben schon einige Museolog:innen und Kulturtheoretiker:innen wie beispielsweise Cris Shore hingewiesen –, dass das kulturelle Erbe zur Legitimation von Macht- und Autoritätssystemen genutzt werden kann. Als Mechanismus, der kulturelle Grenzen definiert und soziale Unterschiede markiert, werde es zum Instrument der Beherrschung.60 Was als Erbe und kulturelle Eigenart gilt und was nicht, werde dabei von denen entschieden, die sich in einer ausreichend machtvollen Position befinden: »Just as history is written by the ›winners‹, so too are the definitions and boundaries of heritage.«61 Darüber hinaus kann auch die eigene Vergangenheitsbewältigung beziehungsweise der Umgang mit der eigenen Vergangenheit zum Teil einer kulturellen Tradition und einer kulturellen Identität werden. So ist beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland heute in ihrem (kultur-)politischen Handeln in hohem Maße durch die NS-Vergangenheit und die Zeit der deutschen Teilung geprägt. Ereignisse, Handlungen und Entscheidungen können nachfolgenden Generationen ein schweres Erbe hinterlassen. An Kulturgüter sind also nicht per se immer positive, konstruktive Bedeutungen geknüpft. Sie können durchaus auch mit negativ konnotierten Erinnerungen verbunden sein. Erbe – sowohl im Sinne von materiellen Kulturgütern als auch im Sinne der Konsequenzen aus Ereignissen und Handlungen der Vergangenheit – kann als Affirmation, also positiv, aber genauso auch als Last, Bürde oder Verantwortung wahrgenommen werden.62 Dabei kann ein und dasselbe Erbe aber natürlich von unterschiedlichen Individuen und Gemeinschaften auch ganz unterschiedlich, positiv oder negativ, bewertet und jeweils entsprechend behandelt werden. Das zeigt sich beispielsweise in den Debatten über den Umgang mit Sammlungsstücken aus ehemaligen Kolonialgebieten und natürlich auch im Umgang mit dem Erbe der NS-Vergangenheit. Die Restitution von Kunstwerken an die Nachkommen ihrer ehemaligen jüdischen Besitzer:innen und die Einrichtung von Denkmälern sind nur zwei der vielen Beispiele für einen Umgang mit dem Erbe des Nazi-Regimes, der auf der Auffassung basiert, dass dieses Erbe belastet und belastend ist – Letzteres im mahnenden Sinne einer auferlegten Verantwortung. Wenn dagegen beispielsweise die nationalsozialistische Ideologie aufrechterhalten wird und Memorabilien der Wehrmacht gesammelt werden, um damit den Versammlungsraum einer rechtsradikalen Gruppierung auszuschmücken, dann ist das ein unmissverständlicher Ausdruck dessen, dass hier die NS-Vergangenheit gänzlich anders bewertet und
60 61 62
Vgl. Cris Shore, Imagining the New Europe, 1996, S. 111. Vgl. Yudhishthir Raj Isar, Helmut K. Anheier und Dacia Viejo-Rose, Einleitung zu Heritage, Memory & Identity, 2011, S. 10. Vgl. ebd., S. 4.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
mit ihrem Erbe folglich ein gegenteiliger Umgang gepflegt wird. Es wird in einem solchen Fall eben nicht als problematisch, sondern als positiv bestärkend wahrgenommen. Ein solcher Umgang mit nationalsozialistischem Erbe ist aus moralischen Gründen und im Interesse einer wissenschaftlichen quellenbasierten Darstellung der Vergangenheit auf das Schärfste zu verurteilen, wird aber dennoch von manchen Menschen gepflegt. Das Konzept des kulturellen Erbes erfordert in jedem Fall eine aktive und zum Teil institutionalisierte kulturelle Überlieferung beziehungsweise Vererbung, also Maßnahmen, durch die Kulturgüter gesammelt, erschlossen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und weitergegeben werden. Dazu gehören beispielsweise auch die Vermarktung, Vermittlung und Inszenierung von Kulturerbe. Im angelsächsischen Sprachraum wird die institutionalisierte kulturelle Vererbung häufig unter dem Begriff der Heritage Industry63 beschrieben, was sich im Deutschen am ehesten mit dem Begriff des Kulturerbebetriebs wiedergeben lässt. Besonders das Wort »industry« bringt zum Ausdruck, dass solche Maßnahmen Erbe nicht einfach nur weitergeben, sondern es vielmehr überhaupt erst produzieren, indem sie Objekten den Status des kulturellen Erbes verleihen.64 Darüber hinaus nutzt die Heritage Industry den wissenschaftlichen, künstlerischen oder ideellen Wert von Relikten der Vergangenheit und generiert daraus einen ökonomischen Wert. Dabei wird meist auf einen niedrigschwelligen Zugang zur Geschichte gesetzt, um ein möglichst großes Publikum anzuziehen. Brigitte Kaiser hat in diesem Zusammenhang auf David Lowenthals Unterscheidung von »history« und »heritage« verwiesen. Während history bei Lowenthal die Geschichtswissenschaft bezeichne, die die Vergangenheit durch Quellenarbeit zu verstehen versucht, nutze heritage »historische Spuren, um Geschichtsmärchen zu erzählen«.65 Sie ist ein Glaubensbekenntnis zu dieser Vergangenheit. Loyalität und Verbundenheit verlangen unkritische Zustimmung und schließen Dissens aus. Heritage gibt verschwommener Mystifizierung den Vorzug vor Detailwissen. Ihr Ziel ist es zu verklären, nicht zu erklären […]. Heritage-Methoden legen Wert auf einen spielerischen Zugang zur Geschichte und gehen jeder Bestimmtheit aus dem Weg.66 Kaiser stellt also eine öffentlichkeitswirksame Vermittlung des kulturellen Erbes der wissenschaftlichen, historischen Forschung gegenüber und sieht kulturhistorische Ausstellungen in einem Spannungsfeld zwischen history und heritage. Tatsächlich hängen beide aber eng zusammen. Auf der Arbeit von Wissenschaftler:innen basieren schließlich nicht nur die Inhalte, die in Museen, Ausstellungen oder an historischen Monumenten vermittelt werden, sondern in der Regel auch die Form, Sprache und Strategie der Vermittlung. Lowenthals Begriffe history und heritage sind also keine Gegensätze, sondern zwei Modi der Bearbeitung und Vermittlung von Wissen über die Vergangenheit, zwei Modi des Kulturerbebetriebs.
63
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Vgl. bspw. Gordon Fyfe, Sociology and the Social Aspects of Museums, 2006, S. 40; Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Destination Culture, 1998, S. 7; John Urry, How Societies Remember the Past, 1996, S. 48f.; Kevin Walsh, The Representation of the Past, 1992, S. 2. Ich werde auf die Konstruktion von kulturellem Erbe in Teilkapitel II.3.2 noch näher eingehen. Vgl. Brigitte Kaiser, Inszenierung und Erlebnis, 2006, S. 218. Ebd., S. 218.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Steven Hoelscher betont, dass die Heritage Industry eines der definierenden Elemente der zeitgenössischen Welt sei, das die Vergangenheit verstehe und nutze. Er bezeichnet kulturelles Erbe als eine ökonomische Einnahmequelle und das Fundament individueller und kollektiver Identität, weil es unter anderem bei der Austragung von staatlichen und ethnischen Konflikten, bei Debatten über Genetic Engineering und bei der Schaffung historischer Räume eine Rolle spiele.67 Da die originalen Erfahrungen der Vergangenheit unwiederbringlich seien, könnten sie nur durch ihre Hinterlassenschaften erfasst werden. Deshalb werde die Vergangenheit von der Heritage Industry durch Objekte, Bilder, Ereignisse und Repräsentationen dar- und ausgestellt. Die Darstellungen des Erbes – beispielsweise in Museen oder Denkmalstätten – seien jedoch nicht nur passive Gefäße, sondern aktive Vehikel, die ein Verständnis von Vergangenheit produzierten und teilten und die der Vergangenheit damit Bedeutung verliehen.68 Hoelscher beschreibt das Konzept von kulturellem Erbe daher als einen Glauben (»faith«), der in dem menschlichen Bedürfnis wurzele, dem zeitgenössischen Chaos Bedeutung zu verleihen, Gruppengrenzen zu schützen und einen symbolischen Eindruck von Kontinuität und Sicherheit zu vermitteln, der im alltäglichen Leben oft fehle.69 Die Entscheidung, was dabei jeweils als kulturelles Erbe behandelt werde, unterliege den Bedürfnissen und Interessen der jeweiligen Gesellschaft. Kulturelles Erbe werde in einem sozialen Prozess stetig neu bewertet, verändert, transformiert und angepasst.70 Barbara KirshenblattGimblett hat deshalb auch als die erste ihrer sieben Thesen zum kulturellen Erbe festgehalten, dass Erbe eine kulturelle Produktion der Gegenwart sei, die einen Rückbezug zur Vergangenheit hat: Heritage is a new mode of cultural production in the present that has recourse to the past. Heritage is a »value-added« industry. Heritage produces the local for export. A hallmark of heritage is the problematic relationship of its objects to the instruments of their display. Heritage is produced through a process that forecloses what is shown. Heritage tests the alienability of inalienable possessions. A key to heritage productions is their virtuality, whether in the presence or the absence of actualities.71 Auffällig ist hier, dass beide Konzepte, das des kulturellen Erbes und das des Kulturerbebetriebs, im Begriff des »heritage« verschwimmen. »Heritage« im Sinne des Kulturerbebetriebs fügt seinen Gegenständen, den Kulturgütern, Wert hinzu und macht sie als lokal entstandene Erbstücke exportfähig. Bestes Beispiel dafür ist das Welterbe-Programm der UNESCO, das ein lokales kulturelles Erbe zum Erbe der gesamten Menschheit erklärt und mit dem Zertifikat des UNESCO-Welterbes aufwertet. Das Verhältnis zwischen den
67 68 69 70 71
Vgl. Steven Hoelscher, Heritage, 2006, S. 200. Vgl. ebd., S. 203. Vgl. ebd., S. 216. Vgl. ebd., S. 206. Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Destination Culture, 1998, S. 149.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Objekten des kulturellen Erbes und den Instrumenten ihrer Darstellung bewertet Kirshenblatt-Gimblett als problematisch, da wissenschaftliche Diskurse und offene Fragen häufig im Interesse einer Publikumswirksamkeit vereinfacht oder verzerrt würden. Dabei teste der Kulturerbebetrieb die Verfremdung »unverfremdbarer« Besitztümer und produziere seine Inhalte durch einen Prozess, in dem das Gezeigte bereits vorweggenommen werde. Letztlich beschreibt Kirshenblatt-Gimblett Produktionen von Erbe daher auch als Virtualitäten, also als künstlich geschaffene Umwelten, die nur vermeintlich die Realität abbilden würden. Dieser Auffassung schließe ich mich an und mit den Ausstellungsanalysen im dritten Teil dieser Arbeit werde ich überprüfen, wie solche Virtualitäten in den ausgewählten Archäologischen Landesmuseen gestaltet sind und welche Narrative sie transportieren. Nun wende ich mich jedoch abschließend dem Begriff der kulturellen Identität zu, bevor ich die Arbeit Archäologischer Landesmuseen als Bündel metakultureller Operationen im Kontext von Gedächtnis, Erbe und Identität reflektiere.
II.1.3 Kulturelle Identität Zuletzt wird nun das Konzept der kulturellen Identität in den Blick genommen. In dieser Arbeit sollen Gedächtnis, Erbe und Identität stets als sich gegenseitig bedingende Teile eines Ganzen zusammengedacht und gleichwertig reflektiert werden, ohne eine Hierarchie oder lineare Abfolge zwischen ihnen zu suggerieren. Dennoch ist ein gewisses Maß an Unterscheidung und Struktur notwendig, um die Elemente und ihre gegenseitigen Zusammenhänge übersichtlich darstellen zu können. Hinzu kommt, dass im kulturpolitischen Diskurs die kulturelle Identität häufig als Zweck der (Boden-)Denkmalpflege und der Arbeit von Kulturinstitutionen wie Archäologischen Landesmuseen betont wird. Die Pflege und Kontinuierung von Gedächtnis und Erbe scheint dem Ziel, eine kulturelle Identität zu stärken und zu vermitteln, untergeordnet zu werden. Daher kommt dem Begriff der Identität mit Blick auf Archäologische Landesmuseen ein besonderes Gewicht zu. Dabei ist dieser Terminus jedoch auf paradoxe Weise unbestimmt. Zwar wird in der Alltagssprache mit Identität eine Eindeutigkeit und Unverwechselbarkeit assoziiert, das Konzept selbst ist jedoch alles andere als eindeutig und klar definiert. Mit dem Zusatz »kulturell« wird auch wenig zur Klärung beigetragen, da das Begriffsfeld rund um Kultur selbst mehrdeutig und offen ist. Und genau wie die Begriffe Gedächtnis und Erbe wird auch der Begriff der Identität in und mit unterschiedlichen Fachbereichen diskutiert. Daher sollen in diesem Teilkapitel grundlegende Theorien zum Konzept der Identität eingeführt und verschiedene Formen von Identität voneinander unterschieden werden. Für das Verständnis des Identitätsbegriffs ist es zunächst einmal sinnvoll, die individuelle von der kollektiven Identität zu unterscheiden. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass beide Identitätsformen sich gegenseitig bedingen. Eine kulturelle Identität wird nicht nur Individuen zugeschrieben, sondern auch Gruppen sowie Organisationen und Institutionen wie beispielsweise Staaten, Bundesländern, Museen und Unternehmen. Die in Kapitel I.3 dargestellte kulturpolitische Argumentation mit der Stärkung einer Identität durch die Kulturgutpflege macht dies exemplarisch deutlich, denn damit wird unterstellt, dass ein Bundesland eine Identität habe und dass diese
II.1 Zum Kontext der Begriffe
bewahrt und gefördert werden könne. Das Thema kulturelle Identität wird besonders häufig in Diskursen zum kulturellen Gedächtnis und zum kulturellen Erbe verhandelt und Publikationen zum Thema führen oft auch den Begriff im Titel.72 Es ist daher umso auffälliger, dass in den Werken selbst der Zusatz »kulturell« häufig vermieden wird. Möglicherweise soll damit die Frage nach dem komplexen Begriff der Kultur oder auch eine Assoziation mit der problematischen und überholten Kulturkreislehre vermieden werden, auf die in Kapitel I.1 bereits eingegangen wurde. Meist ist stattdessen die Rede von kollektiver Identität und die Begriffe kulturelle und kollektive Identität werden von vielen Autoren synonym verwendet. Während beispielsweise Aleida Assmann von kollektiver Identität spricht, beschäftigt sie sich mit kultureller Identität.73 Jean-François Bayart dagegen spricht zwar von kultureller Identität, bezieht diese jedoch ausschließlich auf Kollektive.74 Beide Begriffe sind aber keineswegs deckungsgleich und sollten voneinander unterschieden werden. Kulturelle Identität sollte als Oberbegriff für Formen der sozialen Identifikation verwendet werden, die sowohl auf Kollektive als auch auf Individuen und Organisationen bezogen sein können. Sie unterscheidet sich darin von einer Identität im neuropsychologischen Sinn, die lediglich von Individuen ausgebildet werden kann. In der Neurologie und Psychologie wird Identität nämlich mit der individuellen Persönlichkeit eines Menschen, sozusagen mit dem selbstwahrgenommenen Ich, gleichgesetzt. Dieses Ich ist aber keineswegs ein homogener, stabiler Zustand. Der Neurobiologe Gerhard Roth erläutert, dass das Gehirn durch das Zusammenspiel unterschiedlicher kortikaler und subkortikaler Areale und Zentren unterschiedliche Bereiche der Persönlichkeit zusammenbinde, sodass ein Bündel unterschiedlicher Ichbereiche entstehe, das vom Menschen als sein einheitliches Ich empfunden werde. Wie genau dieses Zusammenspiel abläuft, sei noch nicht geklärt.75 Aber auch in der Psychologie wird mit dem Begriff der Identität eine Ansammlung von Bedingungen beschrieben, unter denen die Wahrnehmung der eigenen Person als ein kontinuierliches Ganzes trotz lebensgeschichtlicher und situationsbedingter Veränderungen möglich ist.76 Die Wahrnehmung einer kontinuierlichen Einheit trotz stetiger Veränderung ist ein Prinzip, das auch die kulturelle Identität auszeichnet. Die Kulturwissenschaft überträgt den Begriff der Identität sowohl auf Individuen als auch auf Kollektive und untersucht beide Identitätsformen, da beide eng zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Ich möchte mich hier zunächst der individuellen Identität aus kulturwissenschaftlicher Sicht nähern und erst danach auf die kollektive Identität eingehen. Aleida Assmann hat aufgezeigt, dass die individuelle Identität durch eine Wende im Verhältnis von Identität und Erinnerung im modernen bürgerlichen Zeitalter an kultureller Relevanz gewonnen hat. Diese Wende sei durch die Philosophie John Lockes eingetreten, der den Begriff der Identität an die Lebensspanne des
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Vgl. beispielsweise Jean-François Bayart, The Illusion of Cultural Identity, 2005; Paul Graves-Brown, Siân Jones und Clive Gamble, Cultural Identity and Archaeology, 1996. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999. Vgl. Jean-François Bayart, The Illusion of Cultural Identity, 2005. Vgl. Gerhard Roth, Fühlen, Denken, Handeln, 2001, S. 379–381. Vgl. Heiner Keupp, Identität, Lexikon der Psychologie, 2000, online.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Individuums band. An die Stelle genealogischer Identität von Familien, Institutionen, Dynastien und Nationen sei somit die individuelle Identität »im ausschließlichen Horizont der persönlichen Lebensgeschichte« getreten.77 Eine individuelle Identität kann verschiedene Modi umfassen beziehungsweise aufgrund verschiedener Merkmale definiert werden. Im Alltag ist oft die Verifizierung einer bürokratischen Identität notwendig, die in Form bestimmter Daten beispielsweise in Ausweispapieren eine Personenerkennung ermöglicht. Aleida Assmann meint dagegen mit dem Begriff der sozialen Identität, ein Selbstverständnis, das »über die Integration biografischer Erfahrungen und die Konfiguration sozialer Vernetzungen« entstehe und sich aus den Erfahrungen der eigenen Lebensgeschichte und aus Beziehungskonstellationen speise. Dabei sei die soziale Identität vom Erinnerungsvermögen abhängig, denn wer sich an seine Lebensgeschichte und seine sozialen Beziehungen nicht erinnern könne, sei »von dieser Form der Identität abgeschnitten«.78 Ähnlich wie Aleida hat Jan Assmann eine individuelle und eine personale Identität unterschieden: Individuelle Identität ist das im Bewußtsein des Einzelnen aufgebaute und durchgehaltene Bild der ihn von allen (»signifikanten«) Anderen unterscheidenden Einzelzüge, das am Leitfaden des Leibes entwickelte Bewußtsein seines irreduziblen Eigenseins, seiner Unverwechselbarkeit und Unersetzbarkeit. Personale Identität ist demgegenüber der Inbegriff aller dem Einzelnen durch Eingliederung in spezifische Konstellationen des Sozialgefüges zukommenden Rollen, Eigenschaften und Kompetenzen.79 Die individuelle Identität ist also bei Jan Assmann eine physische und psychische Identität, die personale dagegen eine soziale Identität. Meist wird der Begriff der individuellen Identität jedoch als Oberbegriff für diese beiden Bereiche des Selbst verwendet. Der Kulturwissenschaftler Mathias Berek beispielsweise definiert individuelle Identität als »das Selbstverständnis, das einzelne Menschen von sich als Person haben«. Es gehe dabei um die »erlebte innere Einheit ihres Bewusstseins, die sich biografisch im Wechsel von Reflexion und Selbstreflexion herausbildet, die trotz möglicher Veränderungen Stabilität entwickelt und zur Realität für das Subjekt wird«.80 In diesem Sinne soll der Begriff der individuellen Identität auch in dieser Arbeit verwendet werden. Dabei sei jedoch davor gewarnt, Identität mit Individualität zu verwechseln. Der Psychologe Jürgen Straub legt dar, dass beide Phänomene unterschiedliche Aspekte menschlicher Subjektivität sind. Wer sich als unverwechselbares Individuum fühlt, kann gleichwohl Identitätsprobleme haben, und wer sich mit sich identisch weiß und selbständig zu handeln vermag, mag sich gleichwohl als ein von anderen ununterscheidbarer Einzelner vorkommen. Identitätsprädikate fallen nicht mit Individualitätsprädikaten zusammen.81 Straub beschreibt Identität als eine »fragile Balance unterschiedlicher Ansprüche der (materiellen, sozialen, kulturellen) Außenwelt und der Innenwelt der Person«, die eine
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Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 95. Vgl. ebd., S. 238. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 131f., Zitat ebd., Hervorhebung i. O. Vgl. Mathias Berek, Kollektives Gedächtnis, 2009, S. 134, Hervorhebung i. O. Vgl. Jürgen Straub, Personale und kollektive Identität, 1998, S. 78.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Voraussetzung für autonomes Handeln sei. Da sie zugleich aber auch begrenzt und vorläufig sei, sei mit ihr auch die Handlungsautonomie eines Individuums begrenzt.82 Jedes Individuum, so argumentiert Straub, müsse sich seine Identität selbst erarbeiten und ständig umbauen. Diese Identitätsarbeit sei für Menschen eine selbstverständliche soziokulturelle Angelegenheit, ein Modus, der kultur- und gesellschaftsspezifisch sei und Subjektivität forme, indem »dem Selbst- und Weltverhältnis von Personen eine spezifische Struktur oder Form« verliehen werde. Straub kommt zu dem Schluss, dass Identität ein immer nur vorläufiges Produkt psychischer Akte sei, die wiederum sozial bedingt seien.83 Auch aus soziologischer Sicht wird bei der Konstruktion von individueller Identität das Selbst kontinuierlich und alles durchdringend zu einem reflexiven Projekt. Daher wird der Prozess der Identitätsbildung von Heiner Keupp als ein narrativer beschrieben. Eine Person stelle sich permanent Fragen wie: »Was geschieht gerade mit mir? Was denke ich? Was tue ich? Was fühle ich?« und beantworte diese, indem sie ihre Lebensgeschichte erzähle. Dabei strebe sie stets danach, diese Lebenserzählung in sich stimmig präsentieren zu können.84 Damit sind bereits einige Aspekte angedeutet, über deren konzeptionelle Bedeutung für die Identität alle Disziplinen sich einig sind: Kontinuität, Kohärenz und Reflexivität sowie daraus resultierend die Fiktion einer homogenen und klar umgrenzten Einheit. Diese Aspekte sind nicht nur für die individuelle Identität, sondern auch für die Identität von Gruppen und Organisationen beziehungsweise Institutionen wesentlich. In Bezug auf Reflexivität ist sowohl die Selbstreflexion als auch die Reflexion einer Außenwahrnehmung für die Ausbildung einer individuellen oder kollektiven Identität von Bedeutung. Selbst- und Fremdbeobachtungen, also die Wahrnehmung von Individuen durch sich selbst und die Wahrnehmung eines oder mehrerer Individuen durch andere, werden als zwei wichtige Modi, aber auch als Quellen der Identität voneinander unterschieden. Diskutiert wird dabei, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und wie sie bei der Bildung von Identität zusammenwirken. Der Einfluss von Fremd- beziehungsweise Außenwahrnehmungen auf die Identität wird aber kaum bestritten. Der Philosoph Siegfried Schmidt beispielsweise hat Identität als unlösbar mit dem Bewusstsein verbunden beschrieben und folgert aus dieser Verbindung: Bewusstseinsphilosophisch gesehen konstituiert sich das, was wir Bewusstsein nennen, durch Bezugnahme auf etwas, das es nicht ist, mit anderen Worten, Bewusstsein ist immer Bewusstsein von etwas. […] Wenn Identität etwas mit Bewusstsein zu tun hat, und Bewusstsein sich durch kontinuierliche Bezugnahmen konstituiert, dann kann Identität nur als variables Prozessresultat und nicht als ontologische Gegebenheit bestimmt werden.85 Identität ist also nach Schmidt das Ergebnis eines stets dynamischen und variablen Prozesses, bei dem ein Bewusstsein zu anderen Objekten in Bezug gesetzt wird. Folglich
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Vgl. ebd., S. 82. Vgl. ebd., S. 87. Vgl. Heiner Keupp, Identität, 2000, online. Siegfried J. Schmidt, Über die Fabrikation von Identität, 2003, S. 2.
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sei eine Identität auch nie endgültig und unveränderbar, sondern immer nur vorläufig. Sie resultiert Schmidt zufolge aus diesem Prozess durch Unterscheidungs- und Erzählmanagement und kann daher nicht als Eigenschaft von kognitiven Systemen begriffen werden. Stattdessen solle Identität als ein Selektionsmechanismus betrachtet werden, »durch den Selbst- und Fremdbeobachtung gesteuert werden« und der an affektive und moralische Aspekte gebunden ist.86 Auch der Soziologe Peter Wagner betont den Einfluss von Fremdbildern auf das Selbstbild und vertritt damit die Überzeugung, dass Identität nicht gewählt oder zugeschrieben ist, sondern nur entstehe, indem man die Bilder auf sich selbst reflektiere, »die die anderen, mit denen man in Interaktion tritt, sich von einem selbst machen und einem entgegenhalten«. Identität betrachtet Wagner demnach als ein Resultat sozialer Prozesse, das Fremdbilder benötige, die das Individuum auf sich selbst beziehen müsse.87 Wagners Kollege Alois Hahn sieht zwar auch die Selbstwahrnehmung an der Konstituierung der Identität mitwirken. Er argumentiert aber, dass das Selbstbild, das man sich selbst und anderen darstellt, nie ausschließlich durch eigene Abstraktionsleistung zustande komme, sondern immer durch die soziale Umgebung mitgestaltet werde. Es sei immer »durch einen bestimmten Aufbau charakterisiert, einen Zusammenhang, in den Wertvorstellungen, Wirklichkeitsauffassungen, Richtigkeits- und Wichtigkeitskriterien der umgebenden Gesellschaft eingehen«. Der Sinn, den eine Identität darstellt, ist ihm zufolge somit von Beginn an mit einem Sinn verwoben, der nicht von dem Individuum stamme, um dessen Identität es sich dabei handele.88 Hahn tritt außerdem für die Unterscheidung von implizitem Selbst und explizitem Selbst ein. Das implizite Selbst beschreibt er als eine Identität, die den Bestand »von im Laufe des Lebens erworbenen Gewohnheiten, Dispositionen, Erfahrungen usw., die das Individuum prägen und charakterisieren«, darstelle. Das explizite Selbst sei dagegen »ein Ich, das seine Selbstheit ausdrücklich macht, sie als solche zum Gegenstand von Darstellung und Kommunikation erhebt«. Das implizite Selbst bilde demnach den Gesamtbestand aller Erlebnisse, Erfahrungen und Veranlagungen eines Menschen, während das explizite Selbst eine Auswahl aus diesem Gesamtbestand darstelle, die das Individuum vor sich selbst und nach außen hin gegenüber anderen als seine Identität vertreten könne.89 Dieses explizite Selbst, mit dem ein Mensch sich gegenüber anderen Menschen identifiziert und präsentiert, ist Polly Wiessner zufolge für die soziale Kompetenz von großer Bedeutung. Die Anthropologin betrachtet die Konstituierung von Selbstbildern durch Vergleiche mit anderen Menschen als wichtigen kognitiven Prozess. Denn damit Menschen eine Position vertreten könnten, die von anderen erkannt und akzeptiert werden könne, müssten sie wissen, wo sie im Vergleich zu anderen stehen. Auf der Ebene der kulturellen Produktion versteht Wiessner Stil – im Sinne einer Gestaltungsweise, beispielsweise das Dekor eines Keramikgefäßes – daher als eine Form der nonverbalen Kommunikation, die dazu diene, durch Vergleich mit anderen persönliche und soziale Identität zu verhandeln und zu präsentieren. Da der historische und kulturelle
86 87 88 89
Vgl. ebd., S. 3f., Zitat S. 3. Vgl. Peter Wagner, Fest-Stellungen, 1998, S. 58f., Zitat ebd. Vgl. Alois Hahn, Identität und Selbstthematisierung, 1987, S. 11. Vgl. ebd., S. 10.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Kontext in der Herausbildung von Stil und auch im Vergleich von Stilen eine wichtige Rolle spiele, seien Geschichte und Kultur folglich von großer Bedeutung für Identität.90 Mit sich selbst identisch sein, also eine Einheit sein, heißt des Weiteren, persönliche Kohärenz und Kontinuität zu erhalten, wie Jürgen Straub dargelegt hat: Einheit ist zum einen als Kohärenz von moralischen und ästhetischen Maximensystemen zu denken, zum andern als Kontinuität zeitlicher Differenzen, was im Falle personaler Identität vorrangig heißt: als biographische Kontinuität, sodann auch als Kontinuität des Geschichtsbewußtseins einer Person, durch das sich diese gleichsam in der Historie identitätsrelevanter Bezugskollektive verortet. Diesselbe [sic!] Person zu bleiben heißt damit in jedem Fall: die- oder derselbe bleiben, obschon die Umstände und auch die eigenen Orientierungen gerade nicht dieselben bleiben. Identität als spezifische Subjektivitätsform erwirbt man in Übergängen bzw. in der psychischen Bearbeitung von Übergängen und Transformationen, nicht in starren, gleichbleibenden Situationen.91 Die zeitbedingten Veränderungen der eigenen Person und der Umstände müssen demnach also gewissermaßen im Bewusstsein kaschiert werden, ein Bruch mit dem Selbst der Vergangenheit muss vermieden werden, um eine Identität zu erhalten. Es muss die Vorstellung aufrechtherhalten werden, dass man nach wie vor die- oder derselbe ist oder dass das jetzige Selbst bereits im vergangenen Selbst angelegt war und sich lediglich daraus weiterentwickelt, aber die Verbindung dazu noch nicht verloren hat. Aleida Assmann hat aufgezeigt, dass bereits Anfang des 18. Jahrhunderts Identität als die Kontinuierung oder Bewahrung der Person durch die Zeit beschrieben wurde. Die Gesellschaft habe einen neuen Anspruch an »Kontinuität, Verläßlichkeit und Wiedererkennbarkeit der Person« gestellt und diesen Anspruch habe Anthony Earl of Shaftesbury »mit der Forderung nach sozialer Sensibilität« verbunden. Ende des 19. Jahrhunderts wurde dieses Thema dann von Friedrich Nietzsche wieder aufgegriffen. Assmann weist nach, dass Nietzsche die Identität im Gedächtnis einer Person verortet. In der Verinnerlichung, also der Aufnahme sozialer Normen in das individuelle Gedächtnis, habe er die Basis der Identität erkannt und diese somit (anders als Shaftesbury) als Konditionierung angesehen, »die von außen kommt und weh tut«. Erst mit einer Identität werde der Mensch zu einem verlässlichen Wesen, »das eine gewisse Erwartungssicherheit gewährleistet und imstande ist, ein Versprechen zu halten«. Der Mensch werde also durch den Zwang der Identität zur Kohärenz und Kontinuität berechenbar.92 Eine solche Berechenbarkeit ist dann wichtig, wenn es um das soziale Zusammenleben in Gruppen geht. Die Berechenbarkeit oder Zuverlässigkeit eines Menschen trägt zum Gelingen des Zusammenlebens bei, insbesondere dann, wenn die individuelle Identität in Einklang mit der kollektiven Identität der Gruppe steht. Das ist eine Erklärung für das in Kapitel I.3 herausgearbeitete Bestreben des Staates, mit der Kulturförderung die Identität seiner Bevölkerung zu stärken. Die sogenannte kollektive Identität wird Wagner zufolge in den Sozial- und Kulturwissenschaften als Begriff für die Gleichartigkeit von Angehörigen einer Gruppe und
90 91 92
Vgl. Polly Wiessner, Style and Changing Relations, 1989, S. 57f. Jürgen Straub, Personale und kollektive Identität, 1998, S. 91f., Hervorhebungen i. O. Vgl. Aleida Assmann, Zum Problem der Identität aus kulturwissenschaftlicher Sicht, 1993, S. 239.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
deren Abgrenzung von Nichtangehörigen der Gruppe verwendet.93 Die Beziehung zwischen individueller und kollektiver Identität sei wechselseitig, denn individuelle Identität stelle Beziehungen zu anderen Menschen im eigenen Leben her und kollektive Identität könne nur entstehen, wenn mehrere Menschen die »Orientierung ihrer personalen Identität auf dasselbe Kollektiv richten«.94 Auch bei der kollektiven Identität spielten Kohärenz und Kontinuität eine wichtige Rolle. Wagner macht deutlich, dass die Identität eine Interpretation sozialer Phänomene darstelle, wobei die Beständigkeit und Dauerhaftigkeit dieser Phänomene betont wird.95 In seiner Gedächtnistheorie hat Maurice Halbwachs die Bedeutung von Kontinuität für das Selbstbild einer Gruppe folgendermaßen festgestellt: Das kollektive Gedächtnis präsentiere der Gruppe ein Gesamtbild ihrer selbst während eines bestimmten Zeitabschnitts. In den Teilbildern, die das kollektive Gedächtnis während aufeinander folgender Zeitabschnitte zeige, erkenne sich die Gruppe stets wieder, obwohl die Bilder sich voneinander unterschieden.96 Obwohl sich die Gruppe also im Laufe der Zeit wandelt, bewahrt sie sich mit dem kollektiven Gedächtnis das Bewusstsein auf, dennoch dieselbe geblieben zu sein. In dem Moment, in dem sie auf ihre Vergangenheit zurückblickt, werde sie sich ihrer »zu jeder Zeit bewahrten Identität« bewusst.97 Kontinuität und Kohärenz sind also Folgen der Erinnerungskultur, die die Gruppe zum Zweck ihrer Identitätserhaltung betreibt. Von Jan Assmann wird kollektive Identität darüber hinaus wie folgt definiert: Unter der kollektiven oder Wir-Identität verstehen wir das Bild, das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht »an sich«, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen. Sie ist so stark oder so schwach, wie sie im Bewußtsein der Gruppenmitglieder lebendig ist und deren Denken und Handeln zu motivieren vermag.98 Während die Feststellung kollektiver Identität nach innen hin die Gruppe anhand ihres gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses definiere, unterscheide sie nach außen hin die Gruppe von anderen Gruppen, sie beschreibe also die Gruppe positiv im Sinne eines »das sind wir« und negativ im Sinne eines »das sind wir nicht«: Indem die Kultur nach innen Identität erzeugt, stiftet sie nach außen Fremdheit. […] Kulturell induzierte Fremdheit kann sich bis zu Xenophobie, Völkerhaß und Vernichtungskrieg steigern. Auch diese Ambivalenz gehört zur Phänomenologie des kulturellen Gedächtnisses. Liebe und Haß sind zwei Seiten derselben gruppenbildenden Grundfunktion.99
93 94 95 96 97 98 99
Vgl. Peter Wagner, Fest-Stellungen, 1998, S. 45. Vgl. ebd., S. 45f., Zitat S. 46. Vgl. ebd., S. 65. Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, S. 76. Vgl. ebd., S. 74. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 132. Ebd., S. 151f.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
Die Identitätsbildung wirkt also auf den inneren Zusammenhalt von Gruppen und ihre Abgrenzung gegenüber anderen. Bernhard Giesen hat außerdem die Ansicht vertreten, dass das Bild, das eine Gruppe von sich selbst nach außen hin vertritt, auch von anderen anerkannt werden müsse, um als Identität Gültigkeit zu besitzen. Werde die Selbstbehauptung eines Subjekts von anderen akzeptiert, gelte sie als seine Identität. Bei kollektiver Identität müssten Außenstehende dementsprechend »nicht nur die Identitätsbehauptung eines einzelnen Subjekts anerkennen, sondern auch die Gleichheit der Gemeinschaftsangehörigen im Hinblick auf die behauptete Identität«.100 Dies würde jedoch bedeuten, dass die Selbstwahrnehmung von Individuen und Gruppen von Außenstehenden übernommen wird. Es gäbe also keine Unterscheidung von Selbst- und Fremdbild, stattdessen würde das Selbstbild zur allein gültigen Identität des Subjekts. Tatsächlich wird jede Identität aber von verschiedenen Individuen unterschiedlich und anders als vom Subjekt der infrage stehenden Identität wahrgenommen. Selbst- und Fremdbild können sich ganz erheblich voneinander unterscheiden. Für die Gültigkeit einer Identität kann daher nicht die Anerkennung ihrer subjektiv wahrgenommenen Gestalt entscheidend schein, sondern die Anerkennung der spezifischen Andersartigkeit des Subjekts oder der Gruppe, also die Unterscheidung und Abgrenzung des Subjekts oder der Gruppe von anderen Subjekten oder Gruppen. Dabei besteht im Fall der Gruppenidentitäten allerdings die Besonderheit, dass Außenstehende nicht nur die Andersartigkeit der Gruppenmitglieder gegenüber anderen Individuen, sondern auch die Gleichheit der Gruppenangehörigen untereinander wahrnehmen müssen, um die Gruppe als kohärente Einheit zu sehen und ihr eine Gruppenidentität zuzugestehen. Wie aber bestimmt oder beschreibt man die Identität eines Kollektivs? Mit dieser Frage hat sich Jürgen Straub beschäftigt und dabei festgehalten, dass dafür zunächst das Kollektiv selbst bestimmt werden müsse. Es müsse also festgestellt werden, welche Personen von wem als eine Gruppe aufgefasst werden. Dabei komme es zu einer Bedeutungsverschiebung zwischen den individuellen Identitäten der Gruppenmitglieder und der kollektiven Identität, denn aus den Identitäten der einzelnen Gruppenmitglieder werde eine Einheit geformt und diese Einheit werde mit Merkmalen und Bindungen begründet, die den Personen gemeinsam seien. Bei der Beschreibung einer kollektiven Identität unterscheidet Straub dann einen normierenden und einen rekonstruktiven Typus. Der normierende Typus gebe für die Angehörigen eines Kollektivs gemeinsame Merkmale vor. Der rekonstruktive Typus dagegen gehe von den Selbst- und Weltverständnissen der betreffenden Individuen aus und rekonstruiere daraus die Identität des Kollektivs.101 Die Perspektive, aus der über die Identität von Angehörigen eines Kollektivs gesprochen wird, macht also einen bedeutenden Unterschied aus. Wird nur aus einer Außenperspektive über die betreffenden Personen gesprochen, finde eine normierende Konstruktion kollektiver Identität statt, die Straub ideologisch-manipulativ nennt. Wird auf der Grundlage einer Innenperspektive über die betreffenden Personen gesprochen, sei dies der Versuch einer wissenschaftlich-empirischen Konstruktion von Identität.102
100 Vgl. Bernhard Giesen, Kollektive Identität, 1999, S. 18f., Zitat S. 19. 101 Vgl. Jürgen Straub, Personale und kollektive Identität, 1998, S. 98f. 102 Vgl. ebd., S. 104.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Nach der hier vertretenen Auffassung sind kollektive Identitäten Konstrukte, die nichts anderes bezeichnen als eine näher zu spezifizierende Gemeinsamkeit im praktischen Selbst- und Weltverhältnis sowie im Selbst- und Weltverhältnis einzelner. Kollektive Identitäten finden im übereinstimmenden praktischen Verhalten sowie in qualitativen Selbst- und Weltbeschreibungen Ausdruck, in denen Menschen übereinkommen. Sie sind in solchen Übereinkünften, in konsensfähigen Selbst- und Weltbeschreibungen und gemeinsamen Praktiken begründet.103 Weiter vertritt Straub die Überzeugung, dass Angehörige eines Kollektivs aufgrund ihrer gemeinsamen Herkunft, Traditionen, Handlungs- und Lebensweisen, Erwartungen und Orientierungen auch die Hoffnung oder Befürchtung der Zukunft teilen. Die kollektive Identität bezeichnet er als eine Chiffre für das, was Menschen miteinander verbindet und zu einem Kollektiv macht, dessen Mitglieder sich zumindest teilweise als einheitlich charakterisieren lassen, weil sie sich selbst ebenfalls als einheitlich beschreiben. Kollektive Identitäten seien somit kommunikative Konstrukte beziehungsweise diskursive Tatbestände.104 Sie sollten jedoch nicht als Ausdruck totaler Gleichheit aller Angehörigen eines Kollektivs verstanden werden: Da Personen stets mehreren Kollektiven gleichzeitig angehörten, könnten sie an der Konstituierung unterschiedlicher kollektiver Identitäten mitwirken und sogar zwischen solchen vermitteln.105 Hierin zeigt sich eine Parallele zur Theorie Ludwik Flecks, der zufolge Menschen stets mehreren Denkkollektiven angehören, zwischen welchen interkollektiver Denkverkehr stattfindet.106 Zusammenfassend gilt also zu beachten, dass das Konzept der Identität im kulturwissenschaftlichen Sinn mehrere Ebenen umfasst. Es werden individuelle und kollektive Identitäten unterschieden, denen jeweils wiederum implizite und explizite Dimensionen zugesprochen werden und die durch Selbst- und Fremdwahrnehmung geprägt sind. Identität ist als dynamischer Prozess zu verstehen, der der Reflexion, der Kohärenz und der Kontinuität bedarf, um die Fiktion einer homogenen, logischen und über die Zeit hinweg gleichbleibenden Einheit zu generieren. In Archäologischen Landesmuseen werden verschiedene Arten von Identität thematisiert und berührt. In der Forschung wird – im Idealfall auf rekonstruierende Weise – versucht, die kollektiven Identitäten vergangener Zivilisationen ebenso wie die individuellen Identitäten von Menschen, deren Bestattungen ausgegraben wurden, zu ergründen und in Ausstellungen zu präsentieren. Die Identität eines Bundeslandes oder einer Region kann vor allem durch Ausstellungen und Publikationen ebenso dargestellt und (prä)historisch verortet werden wie die Identität des Museums selbst. Da Menschen sich in ihrer individuellen Identitätsausbildung zu anderen in Bezug setzen und Vergleiche zwischen sich und anderen anstellen, sind Archäologische Landesmuseen und die von ihnen vermittelten Inhalte folglich auch Gegenstand derartiger Reflexionen. Als ein solches Reflexionsobjekt haben sie zumindest eine passive Wirkung auf die individuellen Identitäten der Besucher:innen. Sie können aber
103 Ebd., S. 103, Hervorhebungen i. O. Vgl. außerdem auch Jürgen Straub, Identität, 2011, S. 299f. 104 Vgl. Jürgen Straub, Personale und kollektive Identität, 1998, S. 103f. Außerdem: Jürgen Straub, Identität, 2011, S. 300. 105 Vgl. ebd., S. 300. 106 Vgl. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. 61.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
auch – ob nun bewusst oder unbewusst sei dahingestellt – aktiv auf die Identitätsbildung ihrer Besucher:innen Einfluss nehmen, indem beispielsweise die Ausstellungsrhetorik zur Identifikation mit Objekten und Personen der Vergangenheit auffordert oder auf normierende Weise einen direkten, persönlichen Bezug zwischen diesen und den Menschen der Gegenwart herstellt. Ein Beispiel hierfür sind die folgenden beiden Installationen, die ich im Jahr 2017 im Museum für Archäologie Schloss Gottorf in Schleswig (Schleswig-Holstein) dokumentieren konnte und die nach Auskunft einer Mitarbeiterin auch im Jahr 2020 noch unverändert dort stand: Im Ausstellungsbereich zur Eisenzeit war ein Computer installiert, auf dem ein Programm den Besucher:innen jeweils ihr Leben während der Eisenzeit gewissermaßen berechnete. Dafür mussten lediglich Alter, Geschlecht und Netto-Monatseinkommen eingegeben werden. Das Programm generierte darauf basierend Daten dazu, welche soziale Stellung und Lebenserwartung die Besucher:innen in der Eisenzeit gehabt hätten. In einem nächsten Schritt wurde ein Grabfund genannt, der diesen Daten entsprechen sollte. Abschließend wurde mit dem Satz: »Diese Person war wahrscheinliche Ihre direkte Ur-Ur-…Urgroßmutter« behauptet, dass zwischen der bestatteten Person, die lediglich aufgrund der eingegebenen Daten (Alter, Geschlecht und Netto-Monatseinkommen) von dem Programm aus einer unbestimmten Menge an Bestattungen ausgewählt worden war, und dem oder der Besucher:in eine genealogische und genetische Verbindung bestehe. Die Besucher:innen wurden mit diesem Programm also dazu angeregt, zunächst ein »eisenzeitliches« Alter Ego anzunehmen und sich dann auch noch direkt als Nachkommen einer vor über 1600 Jahren bestatteten realen Person zu identifizieren. Die Computerstation stand in einem Flur, der allerdings auch als Ausstellungsfläche genutzt wurde. Auf diesen Flur folgte ein Raum, in dem – nur wenige Meter von der Computerstation entfernt – in einer Säulenvitrine107 die sterblichen Überreste einer Frau aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. ausgestellt waren. Der Text zu diesem Exponat stellte heraus, dass die Frau alt genug wurde, um mehrere Kinder zu bekommen, und dass es daher wahrscheinlich sei, dass heute noch Nachkommen von ihr leben. Sie wurde deshalb als direkte Urahnin der Ausstellungsbesucher:innen bezeichnet. Besonders bemerkenswert war dabei die Verwendung der Formulierung »mit Sicherheit«, die eine absolute Gültigkeit der Aussage suggerierte und die Leser:innen zur Identifikation als Nachkommen der Frau anregen sollte, deren sterbliche Überreste dort gezeigt wurden. Beide Installationen, das Computerprogramm und die Säulenvitrine, vermittelten im Übrigen neben der Vorstellung einer auf Genealogie basierenden Identität auch die Vorstellung eines Erbverhältnisses zwischen den Besucher:innen und den Personen, die als deren »Ur-Ur-…Urgroßmütter« bezeichnet wurden. Aber nicht nur Genealogie oder die bereits erwähnten individuellen körperlichen Merkmale, die die bürokratische Identifizierung eines Menschen ermöglichen, sind Faktoren der Identität, sondern eben auch soziale, kulturelle und ethnische Merkmale, wie Familien- oder Clanangehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Sprache, Herkunft (im Sinne eines Ortes), persönliche Interessen, der Beruf, Glaubensvorstellungen und 107 Für Ausstellungsarchitektur gibt es keine einheitliche Terminologie, daher musste im Rahmen dieser Dissertation ein für das Projekt und seine Fragestellung sinnvoller Wortschatz entwickelt werden. Diese Arbeitsbegriffe der Ausstellungsanalysen werden im Glossar in Anhang 3 erläutert.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Religionszugehörigkeiten, ein Bewusstsein für eine individuelle Vergangenheit und historische Entwicklung und viele mehr. Letztlich kann wohl alles für Individuen und Kollektive eine Bedeutung erlangen, aufgrund derer sie es als prägenden Faktor ihrer Identität empfinden und als Facette ihrer expliziten Identität äußern oder aufgrund derer sie andere Individuen, Kollektive und Institutionen identifizieren. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff der kulturellen Identität daher nicht im Sinne einer bürokratischen, psychologischen oder neurologischen Identität verwendet, sondern als Begriff für das Selbst- oder Fremdbild eines Individuums oder eines Kollektivs, das sich auf kulturelle Merkmale wie Werte, Glaubenssysteme, kulturelle Praktiken und Techniken, Sprache oder Denkstil stützt, das sich aus dem kulturellen Gedächtnis speist, das narrativ und diskursiv gebildet und verbreitet wird und das in kulturellen Formationen wie beispielsweise Architektur, Kleidung, Haartracht, Lebensstil und vielen weiteren ausgedrückt werden kann. Jean-François Bayart setzt die Begriffe der kulturellen Identität und der Kultur gleich und vertritt die Ansicht, dass ein Selbstbild stets aus Elementen anderer Kulturen gebildet wird – durch Austausch, Kontakt, Einfluss, Abgrenzung und Konflikt. Identität und Kultur reflektierten daher immer die Beziehung zu den Anderen und zum Selbst. Dabei identifiziere Kultur jedoch nicht, sondern kreiere. Identifizierung würde bedeuten, dass es eine Bezugsgröße gäbe, mit der sich Individuen und Kollektive gleichsetzten. Stattdessen schaffe die kulturelle Identität sich jedoch ein Selbst aus dem Anderen, also kreiere, indem sie Elemente aus anderen oder vergangenen Kulturen entlehne.108 Daher soll hier keineswegs der Eindruck vermittelt werden, dass die Vorstellung einer klar definierten, abgrenzbaren und unveränderlichen Identität vertreten wird. Kulturelle Identitäten sind im Sinne Bayarts Illusionen. Sie existieren jedoch als Denkfiguren, die reale Auswirkungen haben. Identität ist weniger als starrer Zustand, sondern vielmehr als prozesshafte Praktik zu denken. Ähnlich wie die bereits erörterten Termini »Gedächtnis« und »Erbe« ist der Begriff »Identität« vermutlich gerade aufgrund seines dynamischen Charakters und wegen der komplexen Terminologie und ihrer häufig ungenauen und unbestimmten Verwendung im öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs oft Gegenstand von Debatten. Diskussionen über nationale Identitäten und aktuelle Identity Politics sind in den letzten Jahren weltweit zu beobachten, beispielsweise im Falle der Brexit-Entscheidung und der Wahlkampagnen von Donald Trump. Auch hierzulande werden Debatten um Fragen der Diversität unserer Gesellschaft zum Teil hitzig diskutiert. Identität und wer darüber bestimmt, in welchen Kategorien sie definiert wird, ist ein stark umstrittenes Thema. Der Auftrag an Archäologische Landesmuseen, die Identität eines Landes zu bewahren und zu stützen, ist daher längst nicht so einfach und eindeutig wie er wirken mag und er ist insbesondere nicht unproblematisch. Mit der Definition einer Identität ist stets auch das Risiko verbunden, Menschen auszuschließen, die diese Definition auf ihre eigene Identität nicht anwenden können. In diesen drei Teilkapiteln zum Kontext der Begriffe kulturelles Gedächtnis, kulturelles Erbe und kulturelle Identität ist deutlich geworden, dass die drei Konzepte eng miteinander zusammenhängen und einen Zirkel aus sich gegenseitig bedingenden und 108 Vgl. Jean-François Bayart, The Illusion of Cultural Identity, 2005, S. 96.
II.1 Zum Kontext der Begriffe
beeinflussenden Elementen darstellen, die eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart herstellen. Das Gedächtnis als dynamisch variabler Bestand an Informationen über die Vergangenheit, der durch kulturelle Prozesse aufgebaut, verwaltet, gepflegt und bewahrt wird, bietet die Erinnerungen, die für die Erhaltung von Kontinuität und Kohärenz einer Identität notwendig sind. Das kulturelle Erbe stellt in seinen vielfältigen Formen Speichermedien dieser im Gedächtnis gelagerten Informationen dar. Erbe kann also ein Teil von Gedächtnis sein, gleichzeitig kann das kulturelle Gedächtnis aber auch selbst als kulturelles Erbe verstanden werden, denn es wird im kulturellen Sinne weitervererbt, also durch die Praxis der Erinnerungskultur an die nächste Generation vermittelt. Die kulturelle Identität wiederum wird durch das Gedächtnis und durch kulturelles Erbe generiert und gestützt. Insofern ist die Argumentation der Kulturpolitik, die die Förderung und Unterhaltung von Museen und anderen Kulturinstitutionen mit deren identitätsstützender Funktion begründet, durchaus einleuchtend. Gleichzeitig kann die Auswahl dessen, was als Erbe anerkannt und im Gedächtnis gespeichert wird, aber auch von der selbst wahrgenommenen Identität eines Individuums oder eines Kollektivs beziehungsweise einer Organisation oder Institution abhängig sein. Denn wenn Gruppen und Individuen sich ständig zu anderen Menschen und Dingen in Beziehung setzen, ordnen sie nicht nur sich selbst in ihrer Position zu diesen Menschen oder Dingen ein, sondern diese umgekehrt auch zu sich. Sie reflektieren, ob Menschen oder Dinge für sie von Bedeutung sind oder nicht. Das heißt, bei der Reflexion eines materiellen oder immateriellen Objekts wird dieses entweder als auf irgendeine Art und Weise bedeutsam für das eigene Selbst eingeordnet und daher im Gedächtnis gespeichert oder auch nicht. Darüber hinaus kann kulturelle Identität in materiellen und immateriellen Kulturgütern explizit gemacht werden, welche dann wiederum als kulturelles Erbe weitergegeben und in einem Gedächtnis bewahrt werden. Des Weiteren teilen sich die Konzepte von kulturellem Gedächtnis, von Erbe und von Identität einige grundlegende Eigenschaften: Sie sind dynamisch-variabel, können ständig neu und anders bewertet, umgebildet und weiterentwickelt werden, denn sie sind keine statischen Entitäten, sondern soziale Konstrukte. Dennoch haben sie reale Auswirkungen, sie beeinflussen das Denken, Handeln und Entscheiden von Menschen. Sie sind also im doppelten Sinne soziogen, sind sozial bedingt und bedingen soziales Handeln.109 Sie umfassen sowohl die individuelle als auch die kollektive Ebene der Gesellschaft, da Individuum und Kollektiv beziehungsweise Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen. Das Kollektiv wird mitsamt seinem Gedächtnis und seiner Identität aus Individuen gebildet und diese greifen wiederum jeweils auf individuelle Art und Weise auf das kollektive Gedächtnis und die kollektive Identität zur Konstruktion ihrer eigenen Gedächtnisse und Identitäten zu. Es herrscht ein steter Austausch zwischen den einzelnen Individuen eines Kollektivs und zwischen den Kollektiven, wie Ludwik Fleck mit seiner Theorie von Denkstil und Denkverkehr anschaulich gemacht hat. Dieser Austausch ist eine Kommunikation, die natürlich die verschiedensten Formen annehmen kann. Eine Form wurde jetzt bereits mehrfach im Zusammenhang mit Gedächtnis, Erbe
109 Siehe zur doppelten Bedeutung des Wortes »soziogen« auch: Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 131.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
und Identität erwähnt, und zwar die Form der Erzählung oder Narration. In den folgenden Kapiteln werde ich die Arbeit Archäologischer Landesmuseen als Bündel kultureller Operationen reflektieren und zeigen, dass diese Museen Gedächtnis, Erbe und Identität nicht nur bewahren, sondern auch an deren Konstruktion mitwirken. Dabei stellt vor allem die Erzählung eine ganz wesentliche kulturelle Praktik dar, die sowohl zur Konstruktion als auch zur Vermittlung der Konzepte eingesetzt wird.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
II.2.1 Formung und Austausch kultureller Gedächtnisse Die im Diskurs zur Kulturförderung und zum Denkmalschutz immer wieder argumentativ verwendeten Schlagwörter Gedächtnis, Erbe und Identität sollten nun an Kontur gewonnen haben, nachdem ihr kulturtheoretischer Kontext sowie ihre Zusammenhänge aufgezeigt wurden. Dabei sollte jedoch auch deutlich geworden sein, dass diese Phänomene keine naturgegebenen und unveränderlichen Einheiten sind, sondern als Ergebnisse kultureller Praktiken sozial konstruiert und somit wandelbar sind. Die Frage, wie genau diese konstruierenden Praktiken gestaltet werden und ablaufen, wie also konkret ein Gedächtnis, ein Erbe oder eine Identität ausgebildet werden, habe ich dabei bewusst noch zurückgestellt. Diesem Thema wende ich mich nun mit den folgenden Kapiteln dieses zweiten Teils der Dissertation zu. Zur Rolle Archäologischer Landesmuseen hinsichtlich der drei Konzepte wurden bereits unterschiedliche Auffassungen herausgearbeitet. Während im kulturpolitischen Diskurs Museen meist einfach die Aufgabe und Funktion zugeschrieben wird, Gedächtnis, Erbe und Identität der Gesellschaft zu bewahren, zeigten sich viele Vertreter:innen der Archäologie und der Archäologischen Landesmuseen diesem Auftrag gegenüber kritisch zurückhaltend bis ablehnend. Von manchen Interviewpartner:innen wurde insbesondere der konstruktivistischen Perspektive, dass Museen an einer Produktion von Gedächtnis, Erbe und Identität beteiligt sind, deutlich widersprochen, oder es wurde darauf verwiesen, dass das Thema bei der täglichen Arbeit im Museum nicht im Vordergrund stehe und keine bewusste beziehungsweise gezielte Konstruktion betrieben werde.1 Um zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln und das Potenzial Archäologischer Landesmuseen mit Blick auf die Konzepte zu analysieren, soll nun eine kritische Auseinandersetzung mit den entsprechenden Kulturtheorien sowie mit der Arbeit Archäologischer Landesmuseen erfolgen. Dafür sollen zunächst jeweils Theorien der
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Vgl. hierzu beispielsweise Rainer Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Konstruktion beleuchtet werden, um dann die Arbeit Archäologischer Landesmuseen vor diesem Hintergrund auf kulturtheoretischer Ebene zu reflektieren und nach ihrer Wirkung mit Blick auf Gedächtnis, Erbe und Identität zu fragen. Ich beginne dabei wieder mit dem Konzept des kulturellen Gedächtnisses. Maurice Halbwachs hat, wie bereits in Teilkapitel II.1.1 erläutert, das kollektive Gedächtnis als Bestand an Erinnerungen erklärt, den sich eine Gruppe von Menschen teilt. Eine jede Gruppe habe ein spezifisches kollektives Gedächtnis, das sich in einem zeitlichen und räumlichen Rahmen bewege.2 Durch den Kontakt von unterschiedlichen sozialen Gruppen miteinander entstünden neue Erfahrungen, Gedanken und Ideen.3 Solche Kontakte könnten permanent oder regelmäßig zwischen denselben Gruppen stattfinden, und wenn Gruppen über einen längeren Zeitraum in Beziehung miteinander stünden, könnten Erinnerungen entstehen, die in den Denkbereichen der Mitglieder beider Gruppen enthalten seien. Dabei argumentiert der Soziologe aber, dass ein Individuum den Kontakt zu beiden Gruppen halten muss, um eine derartige Erinnerung wiederzuerkennen.4 Teile sich eine Gruppe, etwa aufgrund unterschiedlicher Interessenschwerpunkte, könne keines ihrer Mitglieder und keine der entstandenen Untergruppen den gesamten Inhalt des ehemals gemeinsamen Gedächtnisses wiedergeben. Würden die Gruppen wieder in Kontakt miteinander treten, könnten sie sich nicht vollständig verständigen und die Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit nicht gegenseitig bestätigen, denn sie könnten die Schranken, die sie nun trennen – also die unterschiedlichen Erfahrungen, die sie gemacht haben – nicht vergessen.5 In Halbwachsʼ Theorie werden soziale Gruppengedächtnisse also durch den kommunikativen Austausch von Wissen zwischen Kollektiven gebildet und haben nur so lange Bestand, wie die Kommunikation zwischen den Kollektiven aufrechterhalten wird, also wie aus zwei Kollektiven kommunikativ eines wird. Da aber ein Kollektiv beziehungsweise eine Gruppe per se nicht kommunizieren kann, sondern lediglich ihre einzelnen Mitglieder dazu in der Lage sind, lässt sich Halbwachsʼ Modell des kollektiven Gedächtnisses nur als Ergebnis der Kommunikation von Individuen, die sich als Angehörige einer Gruppe identifizieren, mit Angehörigen der eigenen oder anderer Gruppen erklären. Ob dafür alle Mitglieder der Gruppen an der Kommunikation gleichermaßen beteiligt sein müssen, wird von Halbwachs nicht spezifiziert. Die Idee, dass gemeinsame Erinnerungen und kollektives Gedächtnis durch Kontakt unterschiedlicher sozialer Gruppen entstehen, findet sich ähnlich, aber differenzierter bei Ludwik Fleck. Er unterscheidet zwischen momentanen und stabilen Denkkollektiven. Stabile Denkkollektive bilden sich ihm zufolge um organisierte, soziale Gruppen. Existiert eine größere Gruppe lange genug, so fixiert sich der Denkstil und bekommt formale Struktur. […] Solche stabile (oder verhältnismäßig stabile) Denkgemeinschaften pflegen, wie andere organisierte Gemeinden, eine gewisse formelle und inhaltli-
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Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, siehe dort unter anderem S. 100 und S. 142. Ludwik Fleck erklärt dies mit dem interkollektiven Gedankenverkehr, der in solchen Situationen stattfindet. Vgl. Ludwik Fleck, Erfahrung und Tatsache, 1983, S. 114. Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, S. 25f. Vgl. ebd., S. 13.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
che Abgeschlossenheit. Gesetzliche und sittengemäße Einrichtungen, manchmal besondere Sprache oder wenigstens besondere Worte und dergleichen […].6 Stabile Denkkollektive im Sinne Flecks könnten also beispielsweise Religionsgemeinschaften, Forschungsgemeinschaften bestimmter Schulen oder Fachrichtungen, politische Parteien, Vereine oder auch einfach Angehörige einer bestimmten Sprachgemeinschaft sein. Es ließen sich unzählige stabile Denkkollektive in den unterschiedlichsten Größen definieren und daher sei jeder Mensch mehreren davon zugehörig.7 Beispielsweise können unter anderem das private soziale Umfeld, die Berufsgruppe und die Religionsgemeinschaft als verschiedene Denkkollektive definiert werden, an denen ein und dasselbe Individuum gleichzeitig teilhat. In Teilkapitel II.1.1 wurde bereits dargelegt, dass ein Denkkollektiv nicht nur einen spezifischen Denkstil, sondern auch einen spezifischen Bestand an kulturellem Wissen, also ein kulturelles Gedächtnis hat. Folglich hat jedes stabile Denkkollektiv ein je eigenes Gedächtnis und jeder Mensch hat auf mehrere davon Zugriff. Momentane Denkkollektive sind Fleck zufolge »immer dann vorhanden, wenn zwei oder mehrere Menschen Gedanken austauschen«.8 Während einer Unterhaltung könne sich ein bestimmter Zustand einstellen, in dem die Teilnehmer des Gesprächs Gedanken äußern, die sie sonst in anderer Gesellschaft nie auf diese Art benennen würden. Die Meinung, die sich im Laufe eines Gesprächs bilde, sei somit keinem Individuum zuzuschreiben, sondern das Produkt des Kollektivs.9 Insofern sei das Denkkollektiv mehr als die Summe seiner Individuen.10 Wenn ein solches momentanes Denkkollektiv über längere Zeit hinweg in Kontakt bleibt, müsste es sich Flecks Theorie nach zu einem stabilen Denkkollektiv weiterentwickeln. Innerhalb der Denkkollektive differenziert Fleck zwischen esoterischen und exoterischen Kreisen. Er meint damit unterschiedliche Grade der Expertise im spezifischen Denkstil des Kollektivs. Dem Gedankengebilde, das den Gegenstand des Denkkollektivs bilde, stünden die Angehörigen des esoterischen Kreises am nächsten, während die Mitglieder des exoterischen Kreises keinen direkten Zugang dazu hätten. Ihnen würden die Inhalte des Denkstils nur durch den esoterischen Kreis vermittelt. Dieser wiederum ließe sich jedoch zu einem gewissen Maß auch von Einflüssen aus dem exoterischen Kreis steuern, der die öffentliche Meinung verkörpert.11 Flecks Theorie zufolge haben die Mitglieder von Gruppen also nicht alle in gleichem Maße oder auf gleiche Weise an der Kommunikation von Wissen teil. Vielmehr besteht innerhalb der Kollektive ein Wissensgefälle, dem die Kommunikation angepasst werden muss. Dieses Konzept lässt sich am Beispiel des Studienfachs Ur- und Frühgeschichte veranschaulichen. Im Denkkollektiv der Ur- und Frühgeschichte stellen nach Flecks Theorie die Wissenschaftler:innen beziehungsweise Archäolog:innen den esoterischen Kreis dar, während die exoterischen Kreise von Studierenden des 6 7 8 9 10 11
Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. 135f. Vgl. Ludwik Fleck, Erfahrung und Tatsache, 1983, S. 48. Vgl. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. 135. Vgl. Ludwik Fleck, Erfahrung und Tatsache, 1983, S. 108f. Vgl. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 2012, S. 56. Vgl. ebd., S. 138f.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Fachs sowie mehr oder weniger am Fach und seinen Inhalten interessierten und darin bewanderten Lai:innen, wie ehrenamtlichen Denkmalpfleger:innen, Hobby-Historiker:innen, Mittelalter-Enthusiast:innen, Museumsbesucher:innen et cetera gebildet werden. Die Wissenschaftler:innen vermitteln den Lai:innen das Wissen über die Urund Frühgeschichte beziehungsweise die Gedächtnisinhalte ihres Fachs durch Lehrveranstaltungen, Publikationen, Ausstellungen, Dokumentationsfilme, Aktionstage und viele weitere Formate. Umgekehrt werden sie wiederum – bewusst und unbewusst, mal mehr, mal weniger – von den Lai:innen in ihrer Forschungs- und Vermittlungsarbeit beeinflusst, beispielsweise indem sie die Themen von Ausstellungen oder Projekten den ermittelten Interessen der Besucher:innen anpassen oder auch indem sie sich durch Fragen oder Ideen von Lai:innen zu Forschungsprojekten inspirieren lassen. Aus der Unterscheidung von esoterischen und exoterischen Kreisen eines Denkkollektivs ergibt sich des Weiteren eine die Kommunikation von Denkkollektiven betreffende Unterscheidung: Ludwik Fleck beschreibt den intra- und den interkollektiven Denkverkehr. Er meint damit den Austausch von Gedanken, Ideen und Meinungen zwischen zwei oder mehreren Kollektiven (interkollektiv) oder innerhalb eines Kollektivs (intrakollektiv). Im intrakollektiven Denkverkehr würden Gedanken zwischen dem esoterischen und dem exoterischen Kreis oder auch nur innerhalb entweder des esoterischen oder des exoterischen Kreises kommuniziert.12 In der Unterscheidung von esoterischen und exoterischen Kreisen und deren Kommunikationsformen wird allerdings auch eine Unschärfe von Flecks Theorie deutlich. Die verschiedenen Kreise können auch als eigene Denkkollektive definiert werden, sodass ein Denkkollektiv bei näherer Betrachtung in immer kleinere Teilkollektive zerfällt. Letztlich setzt die Definition einer Gruppe immer zu einem gewissen Grad eine Generalisierung voraus, die auf individueller Ebene nicht haltbar ist, insbesondere dann, wenn man wie Fleck eine Gruppe definiert, indem man ein beliebiges Thema als Kristallisationspunkt und Kern eines Gedankenaustauschs bestimmt und als Denkkollektiv all jene definiert, die sich in irgendeiner Weise mit diesem Thema befassen. Das Bild, das der Bakteriologe mit seiner Theorie skizziert, ist das von unzähligen sich gegenseitig überlappenden und miteinander im Austausch stehenden Kollektiven, deren Mitglieder sich jeweils gleichzeitig um viele thematische Kerne gruppieren und sich innerhalb der Kollektive bewegen – näher zum Kern hin, je mehr sie sich mit dem Thema beschäftigen und Wissen dazu ansammeln, oder weiter vom Kern weg, je weniger sie ebendies tun. Wo dabei ein Kollektiv endet und ein anderes beginnt oder wer an welchen Kollektiven teilhat, lässt sich dabei aber objektiv nicht bestimmen, da die Bewegungen und Übergänge auf individueller Ebene liegen und völlig fließend sind. Lediglich aus subjektiver Perspektive können vielleicht durch Generalisierungen Grenzen gezogen und Unterscheidungen getroffen werden, die dann aber selbstverständlich konstruiert und fiktiv sind. Flecks recht schematische Theorie vom Denkstil und Denkkollektiv eignet sich daher lediglich unter Vorbehalt beziehungsweise als grobes Erklärungsmodell für die Ausbildung und Umformung von Gedächtnissen. Plausibel und auf die Vorstellung eines kulturellen Gedächtnisses übertragbar ist allerdings seine Darstellung des Denkverkehrs,
12
Vgl. ebd., S. 138–145.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
also des Austauschs von Gedanken, Ideen, Wissen oder Erinnerungen, der Informationen aufnimmt, transportiert und somit zwischen Individuen zirkulieren lässt. Da Individuen und wie auch immer definierte Gruppen sich stets gegenseitig bedingen, hat dieser Austausch auch auf kollektiver Ebene Auswirkungen auf den Aufbau und die stetige Umformung des gespeicherten Wissens. Auch Aleida Assmann spricht von einem Verkehr beziehungsweise Austausch von Informationen im Gedächtnis, der dessen Formung bedinge. Sie sieht in der Tiefenstruktur des Gedächtnisses einen »Binnenverkehr zwischen aktualisierten und nichtaktualisierten Elementen«, also einen Austausch von Elementen der von ihr unterschiedenen Speicher- und Funktionsgedächtnisse, der die Bedingung dafür sei, dass Veränderungen und Erneuerungen in der Struktur des Bewusstseins möglich seien.13 Dies entspricht allerdings nur dem intrakollektiven Denkverkehr, den Fleck zwischen den esoterischen und den exoterischen Kreisen eines Denkkollektivs am Werk sieht. Einflüsse gewissermaßen von außen durch Einbeziehung des Wissens anderer Individuen oder sozialer Gruppen berücksichtigt Assmann bei ihren Überlegungen nicht. Astrid Erll hat erläutert, dass sich das kulturelle Gedächtnis nach Assmanns Konzeption nur verändert, »indem das Erinnerte umgedeutet und neuartig konfiguriert wird, indem Elemente aus dem Speichergedächtnis ›auftauchen‹ oder umgekehrt im Funktionsgedächtnis aktualisierte Elemente ihre Bedeutung verlieren und als auf kollektiver Ebene ›Vergessenes‹ in den Bestand des Speichergedächtnisses ›abtauchen‹«.14 Speicher- und Funktionsgedächtnis werden von Assmann als zwei komplementäre Seiten der Erinnerung in Schriftkulturen beschrieben. Das Funktionsgedächtnis weist zwar zum kommunikativen Gedächtnis von Jan Assmann Parallelen auf, ist aber nicht mit diesem gleichzusetzen. Vielmehr sollte es ebenso wie das Speichergedächtnis als Modus des kulturellen Gedächtnisses betrachtet werden. Aleida Assmann definiert es als ein bewohntes Gedächtnis, das sich durch Gruppenbezug, Selektivität, Wertbindung und Zukunftsorientierung auszeichnet. Das Speichergedächtnis dagegen konzipiert sie als »ein Gedächtnis zweiter Ordnung, ein Gedächtnis der Gedächtnisse, das in sich aufnimmt, was seinen vitalen Bezug zur Gegenwart verloren hat«. Die historischen Wissenschaften arbeiteten demnach mit den Beständen des Speichergedächtnisses. Sie könnten unbewohnte Relikte und besitzerlos gewordene Dinge aufbewahren und so aufbereiten, dass sie wieder dem Funktionsgedächtnis angeschlossen werden können.15 Auf archäologische Museen übertragen ließe sich argumentieren, dass die Depots der Museen deren Speichergedächtnis darstellen, während die Ausstellungen Materialisierungen des Funktionsgedächtnisses sind. Gleichzeitig sind Museen aber auch insgesamt Speichergedächtnisse der Gesellschaft und bereiten Gedächtnisinhalte so auf, dass sie wieder dem Funktionsgedächtnis im Sinne des öffentlichen Diskurses angeschlossen werden können. Die beiden Gedächtnisformen beeinflussten sich dabei gegenseitig: »So wie das Speichergedächtnis das Funktionsgedächtnis verifizieren, stützen oder korrigieren kann, kann das Funktionsgedächtnis das Speichergedächtnis
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Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 136. Vgl. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2001, S. 134. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 134. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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orientieren und motivieren.« (S. 142) Assmanns Funktionsgedächtnis ist des Weiteren ein angeeignetes Gedächtnis, das aus einem Prozess von Auswahl, Verknüpfung und Sinnkonstitution hervorgehe. Die unzusammenhängenden Elemente aus dem Speichergedächtnis würden hier »als komponiert, konstruiert, verbunden« eintreten und aus diesem konstruktiven Akt gehe Sinn hervor. Das kulturelle Funktionsgedächtnis ist an ein Subjekt gebunden, das sich als dessen Träger oder Zurechnungssubjekt versteht. Kollektive Handlungssubjekte wie Staaten oder Nationen konstruieren sich über ein Funktions-Gedächtnis, in dem sie sich eine bestimmte Vergangenheitskonstruktion zurechtlegen. (S. 137) Das Funktionsgedächtnis produziere also Sinn und dieser sei somit Sache einer »nachträglich hinzugeschaffenen Bedeutung«. Was nicht in eine Sinnkonfiguration passe, werde jedoch nicht einfach vergessen, sondern bleibe teils bewusst, teils unbewusst im Speichergedächtnis vorliegen. Da dem Speichergedächtnis im Gegensatz dazu jeglicher Sinn fehle, begründet es Aleida Assmann zufolge keine Identität. Für das Speichergedächtnis gebe es kein Subjekt mehr, allenfalls sei hier die gesamte Menschheit das Subjekt. Das Speichergedächtnis wird von Aleida Assmann auch als ein »Hof ungebrauchter, nicht-amalgamierter Erinnerungen, der das Funktionsgedächtnis umgibt«, beschrieben und somit zum Hintergrund des Funktionsgedächtnisses erklärt (vgl. S. 135–137, Zitate S. 136). Es sei ein Reservoir für zukünftige Funktionsgedächtnisse und gleichzeitig für eine Gesellschaft als Korrektiv der aktuellen Funktionsgedächtnisse wichtig. Indem es mehr erinnere, als tatsächlich gebraucht werde, ließe es die Ränder des Funktionsgedächtnisses sichtbar bleiben. Kritisch werde es für eine Gesellschaft, wenn der Grenzverkehr zwischen Funktions- und Speichergedächtnis blockiert sei. Das Speichergedächtnis als »latentes Reservoir von ungebrauchten Möglichkeiten, Alternativen, Widersprüchen, Relativierungen und kritischen Einsprüchen« sei dann nicht mehr zugänglich und es komme »zur Verabsolutierung und Fundamentalisierung des Gedächtnisses«, weil das Korrektiv des Speichergedächtnisses fehle. Letzteres müsse daher durch Institutionen wie Archive, Museen, Bibliotheken und Universitäten nicht nur gestützt werden, vielmehr müssten diese Institutionen auch gewährleisten, dass das Speichergedächtnis weiter zirkuliert und mit dem Funktionsgedächtnis in Austausch steht (vgl. S. 140). Daher braucht eine Gesellschaft also Orte, durch die kulturelles Wissen aufbewahrt, konserviert, erschlossen und vermittelt wird. Aleida Assmann beschreibt Archive als solche materielle Formen von Speichergedächtnissen, in die unter dem Begriff des kulturellen Erbes Funktionsgedächtnisse zur Verwahrung eingelagert würden (vgl. S. 345). Thomas Thiemeyer hat Assmanns Theorie auf Museen übertragen und dargelegt, dass die Ausstellungsarbeit der Konstruktion des Funktionsgedächtnisses entspricht. Denn eine Ausstellung im Museum bestehe aus ausgewählten Elementen des Depot-Materials und des wissenschaftlichen Forschungsstandes, die zu einer identitätsbildenden Erzählung komponiert würden, ebenso wie das Funktionsgedächtnis sich am Material des Spei-
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chergedächtnisses bediene und sich selbst aus ausgewählten Elementen des Speichergedächtnisses als eine Erzählung konstruiere, die zur Identitätsbildung beitrage.16 Als dritten Modus des kulturellen Gedächtnisses setzt Aleida Assmann den Begriff des Verwahrensvergessens17 neben das Funktions- und das Speichergedächtnis. Im Verwahrensvergessen seien Erinnern und Vergessen nivelliert. Hier lagerten »Spuren, Reste, Relikte, Sedimente einer vergangenen Zeit, die zwar noch da sind, aber (vorübergehend) bedeutungslos, unsichtbar geworden sind«. Sie seien zwar in einem Latenzzustand, könnten aber von einer späteren Epoche wiederentdeckt, gedeutet und imaginativ wiederbelebt werden. Sie lägen sozusagen passiv vor, könnten aber unter Umständen aktiviert werden.18 In diese Kategorie ließen sich demnach noch nicht geborgene oder noch nicht erforschte archäologische Objekte oder Stätten einordnen. Das Funktionsgedächtnis wird Assmann zufolge durch die Auswahl, Verknüpfung und Sinnkonstitution von Elementen aus dem Speichergedächtnis gebildet. Wie das Speichergedächtnis entsteht, erklärt die Literaturwissenschaftlerin nicht näher. Da sie dem Begriff aber den des Verwahrensvergessens zur Seite stellt, schlage ich vor, die Ausbildung des Speichergedächtnisses als Prozess der Auswahl und Bewertung von Wissen zu erklären, das entweder neu generiert wird – beispielsweise durch neue Ereignisse, Forschung und Entwicklung – oder das aus dem Verwahrensvergessen gewissermaßen geborgen, erschlossen und reaktiviert wird – wie im Fall von Wissen, das durch archäologische Funde gewonnen wird. Da sowohl das Wissen im Funktionsgedächtnis als auch das im Speichergedächtnis aber beständig zirkuliert, wird es auch in der jeweils aktuellen Situation permanent neu bewertet. Das heißt, der Auswahlprozess läuft stets weiter und entscheidet immer wieder neu darüber, ob einzelne Elemente eines Gedächtnismodus in einen anderen übertragen werden. Elemente aus dem Funktionsgedächtnis können auch wieder zurück ins Speichergedächtnis verlagert werden oder sogar ins Verwahrensvergessen absinken. Aus der kritischen Betrachtung dieser Gedächtnistheorien kann geschlossen werden, dass zentral für die Ausbildung und Formung von kulturellem Gedächtnis Akte des Sammelns, der Auswahl, der Bewertung, des Vergessens und des Speicherns sind sowie die Kommunikation der dazu ausgewählten Elemente zwischen Individuen und, dadurch bedingt, auch zwischen sozialen Gruppen. Es gilt nun zu überprüfen, in welchem Verhältnis die Arbeit Archäologischer Landesmuseen zu diesen metakulturellen Operationen19 und somit zur Konstruktion kultureller Gedächtnisse steht.
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Vgl. Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, 2010, S. 16. Ebenso hat übrigens auch Heike Krischok argumentiert (vgl. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 91f.). Den Begriff hat Aleida Assmann nach eigenen Angaben von Friedrich Georg Jünger entlehnt. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 409f., Zitat S. 410. Den Begriff der metakulturellen Operation haben Arnika Peselmann und Philipp Socha von Barbara Kirshenblatt-Gimblett entlehnt (vgl. Arnika Peselmann und Philipp Socha, Cultural Property und das Heritage-Regime der UNESCO, 2010, S. 79; Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Intangible Heritage as Metacultural Production, 2004, S. 61).
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II.2.2 Auswählen, Sammeln, Vergessen und Speichern Ausstellungen sind wohl das, was die meisten Menschen als Erstes mit der Arbeit von Museen assoziieren. Sie sind aber nur ein Bestandteil einer langen Reihe verschiedenster Arbeitsschritte, die Museumsobjekte durchlaufen, und stehen neben vielen weiteren Arbeitsbereichen der Institution. Da die meisten dieser Arbeitsbereiche aber nicht oder nur zu besonderen Anlässen für die Öffentlichkeit zugänglich sind, bleibt oft unklar, welche Prozesse hinter den Kulissen der Ausstellungsräume in einem Museum ablaufen. Bei Archäologischen Landesmuseen erstrecken sich die Arbeitsbereiche räumlich betrachtet von Ausgrabungsflächen über Depots, Labore, Archive, Bibliotheken und (Verwaltungs-)Büros bis hin zu den Ausstellungssälen sowie weiteren öffentlichen Räumen für Veranstaltungen und Vermittlungsprogramme. Für all diese Bereiche braucht es spezialisierte Fachkräfte, die die unterschiedlichsten Aufgaben verfolgen: Auffindung, Dokumentation, Konservierung, Erforschung, Publikation, Sammlungsverwaltung, Ausstellungsmanagement, Verwaltung, Vermittlung, Öffentlichkeitsarbeit, Gebäudemanagement, Technik und Ausstellungsarchitektur, Sicherheit, Besucherservice und so weiter; die Liste ließe sich noch fortsetzen und spezifizieren. Ich möchte jedoch den Fokus auf den Umgang mit dem eigentlichen Material der Archäologischen Landesmuseen legen, also auf den Umgang mit materiellen archäologischen Objekten, und dabei die Arbeit der Museen grob in drei Stufen gliedern: Sie beginnt in der Regel mit Voruntersuchungen und Archivrecherchen sowie mit der Entdeckung, Ausgrabung, Dokumentation und Sammlung von Objekten. Die erste Stufe umfasst also gewissermaßen den Weg eines Objekts von der Auffindung oder aus einer anderen Sammlung beziehungsweise aus Privatbesitz ins Museumsdepot. Im Museum werden Objekte dann – auf der zweiten Stufe der Arbeit – inventarisiert, gegebenenfalls weiter dokumentiert (vermessen, fotografiert, gescannt, gezeichnet et cetera), eingelagert, aufbewahrt und in manchen Fällen konserviert und weiter erforscht. Die dritte Stufe der Arbeit Archäologischer Landesmuseen umfasst dann den Weg des Objekts gewissermaßen vom Museum zur Öffentlichkeit, also die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse und des eigentlichen Objekts in Form von Publikationen, Ausstellungen, Vermittlungsprogrammen, Vorträgen und so weiter. Nur ein vergleichsweise kleiner Bruchteil der Objekte, die aufgefunden werden, geht diesen Weg allerdings bis zur dritten Stufe. Die Mehrzahl wird lediglich im Depot eingelagert und nicht weiter bearbeitet. Auf jeder dieser Stufen spielen sich immer wieder Aktivitäten der archäologischen Arbeit ab, die ich in diesem sowie in den Teilkapiteln II.3.2 und II.4.2 näher in den Blick nehmen möchte. Ziel ist es zu reflektieren, ob diese Tätigkeiten mit dem kulturtheoretischen Begriff der metakulturellen Operation angesprochen werden können und ob sie als solche zur Konstruktion von kulturellem Gedächtnis respektive Erbe und Identität beitragen. Hier soll es zunächst um das Auswählen, Sammeln, Vergessen und Speichern von archäologischen Artefakten gehen. Zu beachten ist, dass diese Aktivitäten zwar vor allem auf der ersten Stufe der Museumsarbeit ablaufen, sich aber auch auf den beiden weiteren Stufen fortsetzen. Auch das Bewerten, Erhalten und Aneignen (Teilkapitel II.3.2) sowie das Kategorisieren, Definieren und Abgrenzen (Teilkapitel II.4.2) treten zwar vorrangig auf der zweiten beziehungsweise der dritten Stufe der Arbeit archäologischer Museen
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auf, sind aber nicht ausschließlich jeweils einer Stufe zuzuordnen, sondern stellen vielmehr kontinuierlich zirkulierende Prozesse dar. Wie bereits erläutert wurde, sind viele Archäologische Landesmuseen mit dem jeweiligen Landesdenkmalamt verbunden und führen daher eigenständig oder in Kooperation mit der Bodendenkmalpflege oder auch mit Universitäten Ausgrabungen durch. Dabei wird meist eine ursachenbedingte Denkmalpflege betrieben, wie beispielsweise in Hamburg, wo Rainer-Maria Weiss in seiner Funktion als Landesarchäologe erklärte, dass Denkmalpfleger:innen dafür zuständig seien, »das archäologische Erbe zu sichern«, und das bedeute, es möglichst im Gelände zu erhalten. Ausgrabungen fänden dort nur als Ultima Ratio statt, wenn eine Zerstörung von Bodendenkmälern durch Baumaßnahmen drohe.20 Bei der ursachenbedingten Denkmalpflege wird also nicht gezielt nach Hinterlassenschaften aus prähistorischer oder historischer Zeit gesucht, sondern Archäolog:innen werden nur dann tätig, wenn solche Hinterlassenschaften durch Baumaßnahmen zutage gefördert werden beziehungsweise das Risiko besteht, dass sie zerstört werden. Natürlich werden aber in den meisten Bundesländern gelegentlich auch Areale archäologisch erforscht, ohne dass dazu ein konkreter Anlass wie die Bedrohung durch Baumaßnahmen oder Ähnliches besteht, zum Beispiel im Rahmen von Forschungsprojekten und Lehrgrabungen. Vor allem herausragende Bodendenkmäler werden im Rahmen des Denkmalschutzes immer wieder und weiter untersucht – beispielsweise ist dies im Saarland am keltischen Ringwall bei Otzenhausen der Fall. Bis es aber zur Entdeckung kommt, haben archäologische Objekte bereits einen Selektionsprozess durchlaufen, in dessen Zuge immer wieder darüber entschieden wurde, ob ein Objekt erhalten bleibt, weiter genutzt oder aufbewahrt wird, oder ob es zu Abfall wird, verloren geht oder zerfällt. Objekte können unbrauchbar und deshalb aufgegeben werden, ihre Nutzung kann aber auch absichtlich eingestellt werden. Je nach Material, aus dem sie gemacht sind, können sie schon während der Phase ihrer Nutzung zersetzt werden und verfallen. In letzterem Fall sind sie in der Regel endgültig verloren. Bestehen sie jedoch aus einem halbwegs beständigen Material und sind nur in ihrer Funktion irreversibel unbrauchbar geworden – etwa wenn eine Keramikschale zerbricht – werden sie entweder umfunktioniert oder als Abfall weggeworfen. Als Abfall oder wenn Objekte schlichtweg verloren gehen, können sie wiederum im Laufe der Zeit vergehen oder selbst über Jahrtausende hinweg als Fragmente erhalten bleiben, abhängig von ihrem Material. Das gilt auch für bewusst aufgegebene Objekte, wie beispielsweise Grabbeigaben oder rituell deponierte Gegenstände. Sowohl Umwelteinflüsse als auch menschliches Tun beeinflussen also, welche Objekte erhalten bleiben und welche nicht, welche kontinuierlich von Generation zu Generation weitergegeben werden oder welche vorübergehend unbekannt sind und gegebenenfalls wiederentdeckt werden. Auf diese Weise werden Objekte endgültig oder vorübergehend vergessen, gespeichert oder genutzt und ihr Status kann selbstverständlich jederzeit durch menschliches oder natürliches Wirken verändert werden. Aleida Assmann unterscheidet im kulturellen Gedächtnis zwischen dem Verwahrensvergessen, dem Speichergedächtnis und dem Funktionsgedächtnis und beschreibt
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Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 519, Zitat ebd.
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den Statuswandel von Wissen in diesem Feld als diskursiven Prozess.21 Das kulturelle Gedächtnis wird als ein soziales Konstrukt also durch soziale Praktiken aus- und umgebildet. Im Fall von Wissen, das durch archäologische Objekte gewonnen werden kann, wird jedoch deutlich, dass diese sozialen Praktiken nur mit den materiellen Dingen arbeiten können, die von natürlichem Verfall ausgenommen sind oder bei denen dieser Verfall zumindest sehr langsam verläuft und gegebenenfalls sogar weiter verlangsamt werden kann. Noch vor der sozialen Ausbildung eines kulturellen Gedächtnisses und vor der ersten Stufe der Arbeit Archäologischer Landesmuseen spielt also die Umwelt eine große Rolle im Auswahlprozess der materiellen Objekte, die überhaupt Gegenstand dieser Arbeit werden können. Manche Objekte verfallen und gehen damit endgültig verloren beziehungsweise werden endgültig vergessen. Manche werden als Abfall entsorgt oder bewusst niedergelegt und bleiben bei entsprechenden Umweltbedingungen noch über längere Zeit erhalten, sind aber unbekannt, gleichsam im Verwahrensvergessen. Manche werden weitergegeben oder später wiederentdeckt und dann weitergegeben, beispielsweise wenn eine Deponierung gefunden wird und die darin enthaltenen Objekte archäologisch geborgen und in eine Sammlung eingegliedert werden. Solche Objekte werden dann also bewahrt und überliefert, mit anderen Worten: Sie werden gespeichert. Einen Sonderfall stellen Objekte dar, die durch Raubgräber entdeckt wurden und auf dem illegalen Antiquitätenmarkt verhandelt werden. Sie werden zwar bewahrt und überliefert, sind aber nicht in einem öffentlichen kulturellen Gedächtnis gespeichert, da sie nicht erforscht oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind. Die Unterscheidung von absichtlich überlieferten Objekten und zufällig erhaltenen Objekten fasst Thomas Thiemeyer unter den Begriffen »objets souvenirs« und »objets laissés« zusammen. Er unterscheidet also zwischen Erinnerungsstücken, die absichtlich überliefert wurden, und zurückgelassenen Sachen, die unabsichtliche Zeugnisse der Vergangenheit darstellen. Die beiden Kategorien lassen sich aber nicht ganz trennscharf voneinander unterscheiden. Entscheidend ist der Entstehungskontext für die Einordnung eines Artefakts in eine der beiden Kategorien, also ob es absichtlich als Zeitdokument angelegt wurde oder nicht.22 Am Beispiel von archäologischen Funden wird jedoch deutlich, dass ein Objekt seinen Status auch noch ändern kann. Archäologische Objekte in Sammlungen haben in der Regel einen Wandel vom »objet laissé« zum »objet souvenir« durchlaufen. Zwar sind sie oft zufällige oder unbeabsichtigte Zeugnisse der Vergangenheit, also objets laissés, aber sie werden zu objets souvenirs, wenn sie nach ihrer Entdeckung bewusst aufbewahrt werden, um Informationen über ihren Entstehungskontext zu erhalten. Das Aufbewahren und damit die Änderung des Status eines objet laissé zum objet souvenir ist eine der Operationen, die das Museum an Objekten vollzieht und durch die es das kulturelle Gedächtnis pflegt und generiert. Mit der Entscheidung zur Aufbewahrung geht eine Selektion der Objekte einher, die bestimmt, welche Objekte institutionell aufbewahrt, also für das kulturelle Gedächtnis gespeichert werden und wel-
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Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 409f. Vgl. Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, 2010, S. 267–269.
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che nicht – wobei die Entscheidung, ein Objekt nicht aufzubewahren, dem Vergessen gleichkommt.23 Der Selektionsprozess setzt sich in allen Bereichen der archäologischen Arbeit fort, wie auch der Archäologe Stefan Altekamp in seinem Beitrag zum Sammelwerk Die Aktualität des Archäologischen in Wissenschaft, Medien und Künsten dargelegt hat. Er reflektiert dort die besonderen Umstände und Prozesse der praktischen Archäologie als gleichermaßen kulturwissenschaftliche Archäologie des Wissens und stellt unter anderem fest, dass die Verfahren im Prozess der archäologischen Arbeit »durch Selektionen, Reduktionen, Bewertungen und Beschränkungen von Verwahrung und Ordnung beeinflusst« würden. Dadurch ergebe sich ein für die Archäologie konstitutiver »Dualismus von Faktizität und Konstruktion«.24 Schon bei Ausgrabungen werden permanent Entscheidungen getroffen, die Auswirkungen darauf haben, welche Funde und Befunde entdeckt, dokumentiert sowie gegebenenfalls aufgesammelt und aufbewahrt werden. Nicht nur die örtlichen Gegebenheiten wie beispielsweise bestehende Bebauung und die zur Ausgrabung zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, Geld, Personal und Equipment) beeinflussen, wie ein Areal archäologisch erschlossen wird.25 Auch das Vorgehen der Ausgrabungsleitung entscheidet darüber, welche Funde und Befunde zutage kommen können, beispielsweise indem bestimmt wird, wo Sondierungsschnitte angelegt oder welche Flächen priorisiert untersucht werden. Dem gehen oft auch nichtinvasive Untersuchungen des Geländes voraus, beispielsweise durch Luftbildaufnahmen, sogenannte LidarScans oder geo- sowie elektromagnetische Messverfahren, auf deren Ergebnissen solche Entscheidungen der Ausgrabungsleitung dann in der Regel beruhen. Was anschließend bei der eigentlichen Ausgrabungsarbeit als Fund oder Befund entdeckt wird, wird in der Regel so umfassend und genau wie möglich in situ dokumentiert und dann gegebenenfalls aufgesammelt beziehungsweise im Block geborgen und in ein Labor oder Depot zur weiteren Bearbeitung verbracht. Bodenstrukturen werden allerdings nur in besonderen Fällen fixiert. In der Regel werden sie im weiteren Verlauf der Ausgrabung, nachdem sie dokumentiert wurden, abgetragen und somit zerstört. Archäologie ist eine dekonstruktive Methode, die Teile ihres Gegenstandes selbst vernichtet. Dadurch und auch durch äußere Einflüsse wie Witterung oder menschliches Tun gehen während der archäologischen Arbeit immer auch einige Informationen verloren. Die meisten werden jedoch gesichert und gespeichert, dabei aber auch schon unweigerlich interpretiert. Stefan Altekamp erörtert hierzu:
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Allerdings wird in der Ur- und Frühgeschichtsforschung eher selten entschieden, ein mobiles Fundstück tatsächlich nicht aufzubewahren und es stattdessen zu vernichten oder als Abfall zu entsorgen. Das sorgt jedoch auch für Probleme, die ich in Teilkapitel II.3.2 noch beleuchten werde. Vgl. Stefan Altekamp, Das archäologische Gedächtnis, 2004, S. 230. Stefan Altekamp hat darauf hingewiesen, dass insbesondere die zur Verfügung stehenden Ressourcen bestimmen, was im Rahmen einer Ausgrabung geleistet werden kann: »In globalem Rahmen krass asymmetrisch auftretende administrative und ökonomische Potenz bedingt ebenso krasse Asymmetrien des archäologischen Leistungsvermögens. […] Geschichtswissen ist nicht zuletzt an bürokratische und wirtschaftliche Leistungskraft gebunden.« (Ebd., S. 222.)
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Mit dem analysierenden Abbau lösen sich die archäologischen Kontexte von eher loser Konsistenz auf. Um Wissen über die ursprünglich vorgefundene Situation zu bewahren, müssen zu diesen Kontexten Daten erhoben und als solche in neuen Formaten fixiert werden. Dieser Datentransfer ist einer der heikelsten Momente archäologischer Praxis; Datenerfassung und Interpretation vermengen sich unweigerlich. Das Produkt des Transfers besteht vor allem aus abstrahierender, d.h. interpretierender Zeichnung, aus verbaler Beschreibung und aus Fotografie. Die graphische Dokumentation vollzieht die gravierende Reduktion der räumlich komplexen Befunde um eine auf lediglich zwei Dimensionen. Durch Professionalisierung, Arbeitsteiligkeit und vermehrte Nutzung kodierbarer Informationen (etwa zu Farbwerten) wird versucht, den Faktor Interpretation zu minimieren. Trotz der Unterdrückung subjektiver Ermessensspielräume bleibt jedoch die Schnittstelle zwischen archäologischem Befund und den ihn repräsentierenden Deskriptoren, Linien, Farben und Fotos problematisch.26 Durch die Dokumentation durchlaufen die im Boden enthaltenen Informationen also bereits eine Transformation, sie werden aus ihrem Zustand als Rohdaten in einen Zwischenstatus übertragen, in dem sie zwar noch nicht abschließend ausgewertet und interpretiert sind, aber schon Selektion und Reduktion und somit gewissermaßen eine Vorstufe von Interpretation erfahren haben. Das Sammeln von Archäologischen Landesmuseen ist ein ganz anderes als beispielsweise das von Kunst- oder historischen Museen. Wie bereits erläutert wurde, sammeln die Archäologischen Landesmuseen heute in der Regel nicht mehr durch Ankauf, sondern indem sie Objekte aufnehmen, die durch aktuelle bodendenkmalpflegerische Tätigkeiten im jeweiligen Land entdeckt werden. Die Sammlungen werden also nicht gezielt zu bestimmten Themen oder Objektkategorien erweitert, sondern wachsen gewissermaßen ungesteuert, die archäologische Tätigkeit im jeweiligen Bundesland abbildend. Sie können aber, abhängig von ihren Ursprüngen und ihrem Alter, durchaus auch Teilbereiche enthalten, die vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert durch gezielte Sammlungstätigkeiten wie Ankäufe, Suchen im Gelände und Tausch aufgebaut wurden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Archäologisches Landesmuseum eine Privatsammlung übernommen hat, die zu einer bestimmten Objektkategorie angelegt wurde. Bei solchen Sammlungsteilen hat die Auswahl der Objekte durch den Menschen also eine noch größere Rolle gespielt. Archäologische Landessammlungen sind zur Erhaltung ihrer Objekte verpflichtet.27 Das bedeutet einerseits, dass sie ständig weiter wachsen, und andererseits, dass einmal in die Sammlung eines Archäologischen Landesmuseums aufgenommene Objekte kaum wieder aus ihr entfernt werden können. Sie prägen die Sammlung und damit das Speichergedächtnis des Museums daher weiterhin, auch wenn sich die Kriterien des Sammelns längst geändert haben. Das Sammeln ist eine wesentliche Kulturtechnik, die von Jutta Person als meist »nach Ordnungsprinzipien vorgehende Tätigkeit des Zusammenstellens von Objekten im eigentlich und übertragenen Sinn« definiert wurde.28 Susan M. Pearce deutet das Anlegen
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Ebd., S. 225f. Vgl. Regina Smolnik, Abgrenzungsfeld archäologische Landessammlungen, 2016, S. 169. Vgl. Jutta Person, Sammeln, 2001, S. 513.
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von Sammlungen als Versuch, die Beziehung zur externen, physischen Welt zu organisieren, und ist daher überzeugt, dass die Erforschung einer Sammlung gleichzeitig die Erforschung menschlicher Beziehungen zur Welt sei.29 Mehr noch als die bloße Sammlung bietet aber die Präsentation derselben, also eine Ausstellung, Einblick in diese Beziehungen, denn in Ausstellungen werden nicht nur Beziehungen zwischen Subjekt und Objekt oder zwischen mehreren Objekten organisiert, sondern es werden tiefergehende Deutungen der Objektkontexte vorgenommen und vermittelt. Darüber hinaus wurde von Jana Scholze dargelegt, dass sich in einer Ausstellung nicht nur wissenschaftliche Inhalte spiegelten, sondern auch die spezifischen Strukturen und der Kontext der jeweiligen Institution.30 Bei den Ausstellungsanalysen im dritten Teil dieser Arbeit wird daher stets hinterfragt, ob und wie sich der institutionelle Kontext des jeweiligen Museums, also beispielsweise seine Sammlung, seine historische Entwicklung und seine heutige Organisationsstruktur, auf die Ausstellung ausgewirkt hat. Der bekannte Museumstheoretiker Krzysztof Pomian hat Museumssammlungen als Zusammenstellungen natürlicher oder künstlicher Gegenstände definiert, wobei er als Voraussetzung ansah, dass diese Gegenstände »zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden, und zwar an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ort, an dem die Gegenstände ausgestellt werden und angesehen werden können«. Objekte in Sammlungen und Museen können jedoch sehr wohl Gegenstand ökonomischer Aktivitäten sein – wenn auch anderer als der ursprünglich vorgesehenen. Pomian beobachtet zwar richtig, dass Artefakte in einer Sammlung beziehungsweise im Museum paradoxerweise einen Tauschwert haben, obwohl sie ihren ursprünglichen Gebrauchswert verloren haben.31 Beispielsweise gilt die Kanne der sogenannten Fürstin von Reinheim, die im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes ausgestellt wird, als wertvoll und besonders schützenswert und ist daher entsprechend hoch versichert. Die Bronze, aus der sie besteht, ist jedoch so stark korrodiert und überdies derart fragmentiert, dass sie nicht mehr als Kanne genutzt werden kann. Sie ist also nicht mehr zu ihrem eigentlichen Verwendungszweck zu gebrauchen und dennoch wird ihr Wert zugeschrieben. Dieser Wert ist aber nicht nur rein ideell. Vielmehr erhalten Objekte in Sammlungen einen neuen Gebrauchswert: Sie können der Forschung, der Bildung und der Unterhaltung dienen, werden verliehen, getauscht und in seltenen Fällen sogar veräußert. Darüber hinaus können sie Besucher:innen anziehen und somit für ein Museum Einnahmen generieren. Außerdem können sie als Motivvorlage für Produkte dienen, die in den Museumsshops verkauft werden: Kalender, Schmuckstücke, Schlüsselanhänger und vieles mehr. Museumsobjekte generieren also einen ganz eigenen Kreislauf ökonomischer Aktivität. Daher ist Pomians Definition in diesem Punkt nicht zuzustimmen – auch wenn gerade die Ausgeschlossenheit von Museumsobjekten aus einem Kreislauf ökonomischer Aktivität von mehreren Autoren unter Berufung auf Pomian vertreten wurde.32
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Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 37. Vgl. Jana Scholze, Medium Ausstellung, 2004, S. 17f. Vgl. Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums, 1988, S. 17, Zitat S. 16. Beispielsweise verwendet Christine Kopf dieselbe Formulierung in ihrem Eintrag zur Sammlung im interdisziplinären Lexikon »Gedächtnis und Erinnerung« (vgl. Christine Kopf, Sammlung, 2001,
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Vielmehr sind es die institutionelle Aufbewahrung und die Ausstellung, die als Kennzeichen von Museumssammlungen gelten können. Pearce hat außerdem argumentiert, dass Sammlungen mit der Überzeugung angelegt würden, dass das Ganze mehr wert sei als die Summe seiner Teile.33 Ivo Maroević bestätigt dies mit seiner Charakterisierung der Museumssammlung, indem er darlegt, dass diese als eine Einheit handelt, die aus individuellen Objekten komponiert ist und die den dokumentarischen Wert der Museumsobjekte zusammenträgt und auf eine höhere Ebene hebt. Daher ist die Sammlung nicht nur eine bloße Summe von Objekten. Maroević bezeichnet sie bildhaft als einen lebendigen Organismus, der als Ganzes betrachtet wie ein einzelnes großes Museumsobjekt wahrgenommen werden könne, das die Bedeutung und den Wert eines Dokuments habe. Dann würden die individuellen Werte der einzelnen Sammlungsstücke mit dem Wert der Sammlung als Ganzes sozusagen verschmolzen.34 Der Wert einer Sammlung übersteigt also die Summe der Werte der Sammlungsstücke. Schließlich sind mit einer Sammlung auch nicht nur Informationen zu den Sammlungsstücken gespeichert, sondern darüber hinaus auch Informationen über das Sammeln der Institution per se, über ihre Entwicklung, die wechselnden Sammlungskriterien, Ereignisse wie beispielsweise Bestandsverluste durch kriegsbedingte Zerstörung oder über den Einfluss von einzelnen Privatsammler:innen. Susan M. Pearce hat drei Arten von Sammlungen unterschieden, nämlich die Souvenir-Sammlung, die Fetisch-Sammlung und die systematische Sammlung. Die Objekte der von Pearce als Souvenir-Sammlungen bezeichneten Zusammenstellungen beziehen ihre Einheit aus ihrer Verbindung mit einer bestimmten Person oder einer bestimmten Gruppe von Leuten, sind ansonsten aber sehr unterschiedlich. Objekte einer Souvenir-Sammlung stammen aus einer großen Auswahl an Objektkategorien und gelangen gewöhnlich als Memorabilia in Museumssammlungen.35 Pearces Fetisch-Sammlungen sind den Souvenir-Sammlungen sehr ähnlich, aber nicht unbedingt auf Personen bezogen. In Fetisch-Sammlungen werden Objekte einer Kategorie wie besessen gesammelt. Es geht dabei darum, immer mehr Objekte der gleichen Art zu besitzen, und das Zusammentragen solcher Objekte wird nur durch Tod, Bankrott oder einen plötzlichen Umschwung der Interessen gestoppt. Museen haben sich Pearce zufolge seit den frühen 1960er Jahren sehr darum bemüht, sich von dem Verdacht eines solchen Sammlungsverhaltens zu befreien.36 Fetisch-Sammlungen werden von Menschen angelegt, »whose imaginations identify with the objects which they desire to gather«. Die Objekte scheinen starke Emotionen auszulösen und wiederzugeben und somit das Verlangen nach immer mehr solcher Objekte zu stimulieren.37 Diese beiden von Pearce unterschiedenen Arten treffen vor allem auf private Sammlungen zu. In die dritte Kategorie, die systematische Sammlung, sind dagegen vor al-
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S. 515). Ebenso greift Markus Tauschek darauf zurück (vgl. Markus Tauschek, Kulturerbe. Eine Einführung, 2013, S. 63). Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 7. Vgl. Ivo Maroević, The Museum Message, 1995, S. 26. Vgl. Susan M. Pearce, Collecting Reconsidered, 1991, S. 139. Vgl. ebd., S. 143. Vgl. ebd., S. 146.
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lem Museumssammlungen einzuordnen. Die systematische Sammlung wird von Organisationsprinzipien bestimmt, die auch über das zu sammelnde Material hinaus Gültigkeit haben, da sie von einer breiten Masse ähnlichen Materials mittels Beobachtung und Argumentation abgeleitet worden sind. Diese Grundprinzipien sieht Pearce als Teil der menschlichen Vorstellungen von der Beschaffenheit der physischen Welt. Daraus folgert sie, dass die systematische Sammlung keine Stichproben (»samples«) zusammenträgt (wie es die Fetisch-Sammlung tut), sondern Beispiele (»examples«), die für alle anderen Objekte ihrer Art stehen und das Set vervollständigen beziehungsweise eine Lücke in der Sammlung füllen sollen. Eine wichtige Operation dieser Sammlungsart ist daher die Klassifizierung, bei der Exemplare aus ihrem Kontext herausgenommen und in Beziehungen gesetzt werden, die eine Serialität herstellten.38 Auch in archäologischen Sammlungen werden Objekte organisiert, klassifiziert und kontextualisiert. Allerdings können diese Operationen hier zum Teil erst dann vorgenommen werden, wenn die Objekte bereits in die Sammlung eingegangen sind – etwa wenn die ursprüngliche Funktion oder die Datierung eines Objekts nicht schon bei der Auffindung ersichtlich ist, sondern erst durch nähere Untersuchung geklärt werden muss. Gesammelt werden die archäologischen Fundstücke dennoch – aufgrund ihres Fundkontextes. Jana Scholze hat die Auswahl als den ersten Schritt des Sammelns beschrieben und dargelegt, dass die Eingliederung eines Objekts in eine museale Sammlung zunächst davon abhängt, ob dem Objekt Wert zugeschrieben und es als bewahrenswert anerkannt wird oder nicht. Im Fall von Objekten, die durch archäologische Ausgrabungen zutage kommen, wird ihnen Wert zugeschrieben, wenn ihr Fundkontext darauf hindeutet, dass sie von wissenschaftlichem Interesse sind. Wer entscheidet aber darüber, was gerade von wissenschaftlichem Interesse ist? Scholze argumentiert wie Susan M. Pearce, dass die Entscheidung zum Sammeln sowohl individuellen als auch kulturellen Zuschreibungen unterliege.39 Die Materialität und die Funktion des Objekts seien also nicht die ausschließlich relevanten Kriterien bei der Entscheidung darüber, ob das Objekt gesammelt wird oder nicht. Stattdessen sei »die Geschichte der möglichen Bedeutungen, mit denen die Objekte verknüpft waren und werden können«, ausschlaggebend. Zunächst werde deshalb die Objektgeschichte geklärt, indem das Objekt auf seine äußere Erscheinung, seinen historischen, sozialen und verbalen Kontext und sein »Verhältnis zu möglichen Nutzern« hin untersucht werde.40 Im Fall eines archäologischen Fundstücks beginnt diese Untersuchung bereits mit seiner Auffindung, da der Fundkontext untersucht und dokumentiert wird und da eine vorläufige Interpretation vorgenommen wird. In der Regel kann die Erforschung und Deutung des Objekts aber erst mit der Auswertung und Bearbeitung aller Daten, Funde und Befunde abgeschlossen werden, die im Zuge seiner 38 39
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Vgl. ebd., S. 149. Vgl. Jana Scholze, Medium Ausstellung, 2004, S. 17f. Pearce hat in diesem Zusammenhang das Sammeln in einer unklaren Zone zwischen kulturellen Vorstellungen von Wert und den tiefsten Ebenen individueller Persönlichkeit verortet (vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 35) und darauf hingeweisen, dass die Auswahl von Objekten für Ausstellungen diversen persönlichen, wissenschaftlichen und ästhetischen Entscheidungen der Museumsmitarbeiter:innen unterliegt und von der Sammlung des Museums ein verzerrtes Bild präsentiert (vgl. ebd., S. 240f.). Vgl. Jana Scholze, Medium Ausstellung, 2004, S. 17.
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Auffindung dokumentiert wurden. Seine spezifische Bedeutung kann dann bei weiteren Auswahlentscheidungen eine Rolle spielen, beispielsweise wenn es darum geht, Objekte für eine Publikation oder für eine Ausstellung auszuwählen. Welche Objekte erforscht und welche Fragen an sie gestellt werden, ist Scholze zufolge immer durch eine aktuelle »Sicht auf Objekte, Werte und Zusammenhänge wie auch [durch die] individuellen Interessen von Sammler oder Kurator« beeinflusst. Darüber hinaus hat die Kuratorin bemerkt, dass Objekte auch »mit Blick auf bereits vorhandene Objekte und Objektgruppen der Sammlung« ausgewählt werden können.41 Die Kriterien, nach denen Objekte gesammelt, kategorisiert, erforscht, gedeutet und publiziert werden, unterliegen somit dem Wandel von Wissenschaftsparadigmen, der sich umgekehrt in der Zusammenstellung und Organisation einer Sammlung sowie in der Auswahl von Objekten für Ausstellungen und sonstige Publikationsformen widerspiegelt und sich daran ablesen lässt.42 Nicht nur die Objekte einer Museumssammlung sind daher Teil des kulturellen Erbes, sondern auch die Sammlung insgesamt stellt eine Manifestation wissenschaftlicher und kultureller Traditionen dar. Susan M. Pearce hat sie in Museums, Objects and Collections daher auch als wichtigen Teil des disziplinären intellektuellen Erbes, mit dem Menschen die Welt verstehen, beschrieben. Denn Sammlungen vermitteln den Sammlungsanspruch der Sammler:innen von einer Generation an die nächste. Dabei unterliegt die Überlieferung von Sammlungen aber zum Teil auch dem Zufall, wie Pearce plausibel macht. Wie bereits dargelegt wurde, erreicht das Sammlungsmaterial das Museum – besonders im Fall von archäologischen Museen – in Fragmenten. Die dazugehörige Dokumentation oder Information ist meist von sehr unterschiedlicher Qualität und Quantität. Trotz aller schützenden und erhaltenden Maßnahmen unterliegen Objekte aber auch in Sammlungen weiterhin schwer kontrollierbaren äußeren Einflüssen, die von Katastrophen bis zu eher gewöhnlichen Problemen wie inadäquater Lagerung oder mangelnden Ressourcen reichen könnten. All diese Faktoren beeinflussen, ob ein Objekt erhalten bleibt, wie es interpretiert wird und welche Ressourcen dafür bereitgestellt beziehungsweise darin investiert werden.43 Die selektiven menschlich- und umweltbedingten Prozesse, die ein Fundstück bis zu seiner Eingliederung in eine Sammlung durchläuft und die über sein Vergessen- oder Gespeichertwerden entscheiden, bilden somit nicht nur einmalig das Speichergedächtnis Archäologischer Landesmuseen aus, sondern formen dieses auch weiterhin stetig um. Darüber hinaus enden sie längst nicht beim Sammeln von Objekten. Wie Sharon Macdonald in einem Essay zum Vergessen in Museen plausibel gemacht hat, sind diese nicht nur Orte des Erinnerns, sondern auch Orte des Vergessens. Die Anthropologin unterscheidet sieben Arten des Vergessens im Museum, die vom Vergessen durch Nicht-Sammeln über das Vergessen durch unzureichendes Erinnern bis hin zum buchstäblichen Vergessen der einzelnen Sammlungsobjekte im Depot reichen.44 Dabei beobachtet sie, dass Museen nicht nur selbst vergessen, sondern auch ein Vergessen der
41 42 43 44
Vgl. ebd. Vgl. Christine Kopf, Museum, 2001, S. 388. Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 120. Vgl. Sharon Macdonald, Wie Museen vergessen, 2019.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
Öffentlichkeit befördern, indem »sie eine Art Superlativ des Erinnerns ausstrahlen, neben dem andere Erinnerungen blass und nichtig erscheinen«. Die Redemacht der Museen führe also oft dazu, dass Besucher:innen ihre lokalen Erinnerungen abwerten oder sogar verwerfen.45 Letztlich, so schließt Macdonald ihren Essay, habe das Vergessen im Museum darüber hinaus die Funktion, kulturelles Erbe zu konstruieren. Denn Museen könnten unter anderem auch deshalb nicht alles sammeln und aufbewahren, weil die Kategorie eines Kulturguts oder Kulturerbes dann obsolet würde: Kulturgütern kommt ja gerade deshalb ein besonderer Wert bei, weil wir beschlossen haben, dass sie spezielle Aufmerksamkeit verdienen – dass sie gesammelt, bewahrt und (möglicherweise) ausgestellt werden sollen. Das ist nur in einem Kontext möglich und sinnvoll, in dem die meisten Objekte nicht zu Kulturgütern erklärt und damit zum Vergessen freigegeben werden.46 Dem Problem der Aufbewahrung jeglichen archäologischen Materials durch Museen werde ich mich in Teilkapitel II.3.2 noch zuwenden. Zunächst einmal sei hier nur festgehalten, dass obwohl in der Archäologie der Anspruch besteht, möglichst alle Befunde und Funde zu dokumentieren und aufzubewahren, die im Zuge einer Ausgrabung zutage kommen, zwangsweise schon bei der Auffindung archäologischer Objekte ein Selektionsprozess einsetzt, der sich im Museum fortsetzt und dazu führt, dass trotz der Erhaltungspflicht archäologischer Museen auch diese Institutionen kulturell vergessen und dabei einzelne Objekte und Inhalte gegenüber anderen favorisieren und zu Kulturgütern aufwerten. Einmal in die Sammlung eines Archäologischen Landesmuseums aufgenommen, werden archäologische Fundstücke inventarisiert, kategorisiert und erhalten einen Platz im Depot. Des Weiteren wird entschieden, welche Stücke Konservierung benötigen und welche dabei wiederum zu priorisieren sind. Außerdem werden die Funde und Befunde aus Grabungen ausgewertet, weiter erforscht und untersucht. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida haben klargestellt, dass die eigentliche archäologische Forschungsarbeit weit über die Feldforschung – also die Erschließung archäologischer Quellen im sogenannten Feld durch Prospektion, Vermessung und Ausgrabung – hinausgeht. Sie finde größtenteils nicht auf Ausgrabungsstätten, sondern am Schreibtisch statt, wo die Ergebnisse der Feldarchäologie analysiert, dokumentiert, klassifiziert, datiert und gedeutet werden. Erst durch Fragestellungen, Konzepte, Hypothesen und Theorien werde den materiellen Quellen Bedeutung abgerungen.47 Dabei stellen solche Bedeutungen in der Regel aber keine absoluten Sicherheiten dar, sondern bleiben Theorien und Erklärungsmodelle, die auch weiterhin Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein können. Aus der Menge der Objekte und des von den Objekten abgeleiteten Wissens beziehungsweise der Deutungen wird wiederum eine Auswahl für die dritte Stufe der Arbeit Archäologischer Landesmuseen getroffen. Denn nicht alle Sammlungsstücke und nicht alle gewonnen Erkenntnisse werden direkt oder überhaupt jemals veröffentlicht. 45 46 47
Vgl. ebd., S. 184. Ebd., S. 186. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 9–11.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Manche werden in die Dauerausstellung des Museums aufgenommen, andere nur gelegentlich in Sonderausstellungen eingebracht, wieder andere werden nie gezeigt. Zu manchen erscheinen Publikationen, zu anderen nicht oder erst zu späteren Zeitpunkten. Die Mehrheit der Objekte und der damit verbundenen Informationen in einem Archäologischen Landesmuseum ist zumindest nicht permanent für die Öffentlichkeit zugänglich und wird nicht weiter bearbeitet oder genutzt. Das heißt, die Sammlungsstücke und das mit ihnen verknüpfte Wissen werden nicht aktiv erinnert und können dem von Macdonald beschriebenen kulturellen Vergessen im Museum anheimfallen, obwohl sie weiterhin aufbewahrt werden. Susan M. Pearce hat dargelegt, dass Museen auf diese Weise Kultur in eine Institution umwandeln und den Zugang zu und Besitz von Wissen regulieren. Als Beleg dafür führt sie unter anderem die Beschränkung des Zugangs zum geschlossenen Magazin an. Des Weiteren argumentiert Pearce, dass auch die Arbeit von Kurator:innen und anderen Mitarbeiter:innen eines Museums derartig regulierend ist. Der Prozess der Bedeutungsproduktion in Sammlungen, Publikationen und Installationen sei dabei nicht unpersönlich, sondern von der professionellen Mentalität der Museumsmitarbeiter:innen geprägt.48 Der Faktor Mensch kann schließlich bei aller wissenschaftlichen Objektivität nie vollständig ausgeklammert werden. Museen bezeichnet Pearce daher als Teil einer sozialen Praktik in einer sozialen Welt und somit als soziale Konstrukte. Sie fügten sich in die komplexen Abfolgen von Aktionen und Interaktionen ein und produzierten mit ihrer Arbeit kulturelle Aussagen.49 Mit dem folgenden Zitat fasst Pearce die Bedeutung der Museumsarbeit überzeugend und prägnant zusammen: Museums are active creators of the natural and human past, including of course the very recent past, and their creations should be understood as product – not discovery. In museums (as anywhere else), all understanding is historical and so context-based. This is true at all levels.50 Museen produzieren und konstruieren also Wissen, allerdings nicht im Sinne absoluter Wahrheiten, sondern im Sinne sozial- und kontextbedingter Vorstellungen. Sie speichern dieses Wissen wiederum gemeinsam mit den materiellen Objekten ihrer Sammlung, indem sie es in Texten, Abbildungen, Datenblättern, Installationen und diversen anderen Formen fixieren. Somit bewahren sie nicht nur Elemente eines kulturellen Gedächtnisses, sondern generieren diese überhaupt erst – im Fall Archäologischer Landesmuseen durch die diversen Selektionsprozesse sowie die Interpretation des Sammlungsmaterials. Susan Cranes Vergleich des Verhältnisses von Museum und Gedächtnis mit dem Verhältnis von Schneckenhaus und Schnecke ist daher nur teilweise zutreffend.
48
49 50
Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 233. Wenn auch viele der regulierenden Operationen konservatorische Notwendigkeiten darstellen, werden doch in manchen Fällen auch ganz individuelle Entscheidungen getroffen, die den Zugang zu einem Objekt blockieren. Beispielsweise ist denkbar, dass von einem Gefäßtypus zwei Exemplare in vergleichbarem Zustand in der Sammlung enthalten sind, aber nur eines in einer Ausstellung gezeigt werden soll und die Kurator:innen danach entscheiden, welches ihnen besser gefällt. Vgl. ebd., S. 258. Ebd., S. 258.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
The relationships between museum and memory unfold around a peculiar relationship, as intimate and essential as that of a snail and its shell: one houses and protects the other. […] the museum stores memories. Like an archive, it holds the material manifestations of cultural and scientific production as records, articulated memories removed from the mental world and literally placed in the physical world.51 Das Museum beherbergt und schützt zwar das Gedächtnis, indem es seine Manifestationen aufnimmt, es wirkt aber auch an deren Produktion mit – anders als das Schneckenhaus, das natürlich nicht die Schnecke produziert, sondern von dieser produziert wird. Steven Dubin argumentiert, dass Museen ebenso wie Denkmäler Stätten der Überzeugung sind, an denen Erinnerungen und Sinn konstruiert und soziale Repräsentationen und soziales Wissen produziert werden.52 Auch Susan M. Pearce betont, dass Museen mit ihren Sammlungen Teil der Geschichte und Philosophie des Wissens in den Gesellschafts- und Naturwissenschaften sind und an der Herstellung dieser Geschichte und Philosophie partiell auch mitwirken. Darüber hinaus würden sie vorgeben, was in der Öffentlichkeit als wertvoll und wichtig wahrgenommen werde.53 Ihr Material besteht dabei aus Objekten, denen eine enge Verbindung zur Vergangenheit und damit der Status von Erinnerungs- beziehungsweise Gedächtnisobjekten nachgesagt wird. Auf diesen speziellen Charakter von Museumsobjekten und auf deren Authentizität und Aura soll in Teilkapitel II.3.3 noch näher eingegangen werden. Hier soll zunächst vorgeschlagen werden, die Archäologischen Landesmuseen aufgrund dieses doppelten Wirkens im Konzept des kulturellen Gedächtnisses als sogenannte Gedächtnisträger zu verorten. Während Maurice Halbwachs mit dem »Träger« eines kollektiven Gedächtnisses noch eine »zeitlich und räumlich begrenzte Gruppe« meinte,54 reserviert Jan Assmann den Begriff des Trägers für bestimmte Individuen innerhalb des Gedächtniskollektivs, deren Aufgabe es sei, die Inhalte des kulturellen Gedächtnisses zu pflegen und den restlichen Mitgliedern des Kollektivs zu vermitteln. Dazu gehören die Schamanen, Barden, Griots ebenso wie die Priester, Lehrer, Künstler, Schreiber, Gelehrten, Mandarine und wie die Wissensbevollmächtigten alle heißen mögen. Der Außeralltäglichkeit des Sinns, der im kulturellen Gedächtnis bewahrt wird, korrespondiert eine gewisse Alltagsenthobenheit und Alltagsentpflichtung seiner spezialisierten Träger.55 Die Träger des kulturellen Gedächtnisses werden von Jan Assmann also als natürliche Personen beschrieben, die aufgrund ihrer Aufgaben, das kulturelle Gedächtnis zu bewahren, zu pflegen und zu vermitteln, der alltäglichen Lebenswelt enthoben sind. Eine solche Sonderstellung von Individuen als Gedächtnisträger ist in modernen Gesellschaften zwar kaum zu beobachten, doch auch hier arbeiten spezialisierte Personen an der Generierung, Bewahrung und Vermittlung von kulturellem Gedächtnis und sind dabei
51 52 53 54 55
Susan A. Crane, Einleitung zu Museums and Memory, 2000, S. 3. Vgl. Steven C. Dubin, Incivilities in Civil(-ized) Places, 2006, S. 478. Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 89. Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, S. 72f., Zitat S. 73. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 54.
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häufig im Öffentlichen Dienst angestellt, werden also vom Staat beziehungsweise der steuerzahlenden Gesellschaft finanziert. Als Träger des Gedächtnisses sollen deshalb hier Personen, aber auch Institutionen beschrieben werden, die auf bestimmte Bereiche des kulturellen Gedächtnisses einer Gruppe spezialisiert sind und die daran mitwirken, dieses kulturelle Gedächtnis aufzubauen, zu pflegen und zu veröffentlichen. Während sie auf ausgewählte Bereiche des kulturellen Gedächtnisses spezialisiert sind, sind sie in Bezug auf andere Bereiche sozusagen Laien. Sie lassen sich daher mit den Mitgliedern des esoterischen Kreises vergleichen, den Ludwik Fleck bei Denkkollektiven vom exoterischen Kreis unterschieden hat.56 Die Mitglieder des esoterischen Kreises stehen dem Kern des Denkkollektivs am nächsten und vermitteln das Wissen darüber an die Personen des exoterischen Kreises.57 Dabei stehen sie in ständigem intrakollektivem Austausch mit den anderen Teilhaber:innen des Kollektivs und können gleichzeitig in anderen Denkkollektiven, also in Gruppen, die sich um einen anderen inhaltlichen Kern zentrieren, zum exoterischen Kreis gehören. Übertragen auf das Denkkollektiv, das sich mit der Ur- und Frühgeschichte eines Landes beschäftigt, sind dies die Wissenschaftler:innen, Archäolog:innen und natürlich auch die Mitarbeiter:innen der archäologischen Museen. Sie sind dafür zuständig, den Bereich des kulturellen Gedächtnisses zu konstruieren und zu tragen, auf den sie inhaltlich spezialisiert sind. Flora Kaplans Bezeichnung von Kurator:innen als Träger des kulturellen Gedächtnisses ist also gerechtfertigt. Sie beschreibt Kurator:innen als Spezialist:innen für und Bewahrer:innen von rituellem Wissen und Vermittler:innen zwischen zwei Welten, nämlich der Welt des rituellen Wissens und unserer Alltagswelt. Dabei tauschten sich Kurator:innen untereinander aus, um ihr Wissen zu erweitern und zu stärken, und sie tauschten sich mit der Öffentlichkeit aus, um Bedeutung aufzudecken, Wissen weiterzugeben und Werte zu vermitteln. Die Aussagen einer Ausstellung würden die Sender:innen, also die Produzent:innen der Aussagen, mit den Empfänger:innen verbinden. Dazu nutzten die Kurator:innen mit den Museen und Ausstellungsräumen spezielle Orte, an denen Darstellungen, Rhetorik und Ideologie emotional und kognitiv zusammengeführt werden könnten. Museen versteht Kaplan daher als politische Arenen im weitesten Sinne.58 Das kulturelle Gedächtnis steht im Museum also in einem der Alltagswelt entrückten Raum. Besonders das Archäologische Landesmuseum als eine der Öffentlichkeit dienende Institution, deren Gegenstand mit der frühesten Vergangenheit eine nur näherungsweise erfahrbare, fremde Welt darstellt, ist somit wie die von Jan Assmann beschriebenen Träger des kulturellen Gedächtnisses alltagsenthoben. Aber nicht nur die individuellen Mitarbeiter:innen eines Museums fungieren als Gedächtnisträger, sondern auch das Museum insgesamt als Institution erlangt durch sein Wirken diesen Status. Katrin Pieper bezeichnet das Museum daher auch als Ort, der das kulturelle Gedächtnis fassbar macht.
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Vgl. Teilkapitel II.2.1, S. 147. Vgl. Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, 1980, S. 138f. Vgl. Flora E. S. Kaplan, Exhibitions as Communicative Media, 1995, S. 38.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
Als Repräsentations- und Identitätsort ist es die kulturelle Objektivation des kulturellen Gedächtnisses par excellence und damit eine maßgebliche Erinnerungsfigur, an der das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft beobacht- und analysierbar ist.59 Da materielle Objekte das zentrale Material aller Museen sind und gerade für die Archäologie die Hauptquelle und der essentielle Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind, werde ich im Folgenden die Bedeutung von materiellen Objekten für das kulturelle Gedächtnis noch näher beleuchten.
II.2.3 Die Bedeutung von Objekten für ein kulturelles Gedächtnis Der zentrale Gegenstand der Arbeit Archäologischer Landesmuseen ist, wie bereits geschrieben, das materielle, archäologische Fundstück. Daher soll in dieser Dissertation ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, welche Rolle solche Objekte für die Konzepte von Gedächtnis, Erbe und Identität spielen, und es soll hinterfragt werden, welche Bedeutungen und Potenziale sie haben beziehungsweise welche ihnen zugeschrieben werden. Gerade für das Gedächtnis scheint die Bedeutung materieller Objekte zunächst offensichtlich zu sein. Viele Objekte werden bereits als Souvenirs hergestellt oder sie werden von Menschen als Erinnerungsstücke an vergangene Erlebnisse, Orte und Personen aufbewahrt. Selbst wenn ein Objekt nicht speziell zum Zweck der Erinnerung erhalten wird, sondern zu einem ganz praktischen Nutzen in Gebrauch ist, können damit persönliche Erinnerungen verbunden werden. So wie beispielsweise ein Rucksack an den letzten Wanderurlaub erinnern kann oder ein Kaffeeservice an die Großmutter, der es zuvor gehörte. Archäologische Objekte wurden jedoch zu Zeiten hergestellt und genutzt, an die sich heute niemand mehr persönlich und unmittelbar erinnern kann. Zwar können neue persönliche Erinnerungen mit ihnen verbunden werden, beispielsweise die Erinnerungen der Finder:innen an den Moment der Entdeckung oder die Erinnerungen von Besucher:innen an den Ausstellungsbesuch, bei dem sie die Fundstücke als Exponate gesehen haben. Solche Erinnerungen sind jedoch immer individuell und können nur im kognitiven Gedächtnis von Individuen erhalten bleiben. Inwiefern können materielle Objekte, insbesondere solche aus archäologischem Kontext, aber dem kulturellen Gedächtnis dienen? In der kulturwissenschaftlichen Literatur sind sich Autor:innen in der Regel darin einig, dass physische Objekte und Räume für das kulturelle Gedächtnis eine Stützfunktion haben. Aleida Assmann beispielsweise hat in Anlehnung an Hannah Arendt die Verdinglichung, also die Herstellung von materiellen Objekten als Erinnerungsstücke oder Exemplare bestimmter Vorstellungen, Ansichten, Kunststile und so weiter, als eine »lebenswichtige Grundlage des Erinnerns selbst« beschrieben, denn das Erinnern lagere sich in Gegenständen aus. Museen beziehungsweise deren Sammlungen und Ausstellungen würden daher auf dem Wissen beruhen, dass Dinge so Erinnerungsspeicher werden können.60 Anja Wohlfromm zufolge können Objekte Träger von Informationen sein,
59 60
Katrin Pieper, Resonanzräume, 2010, S. 195. Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis, 2007, S. 155.
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nicht nur weil ihnen »Spuren unterschiedlicher (historischer) Zustände anhaften«, sondern auch, weil sie Erinnerungen oder Assoziationen hervorrufen.61 Auch Leora Auslander hat mit dem Assoziationspotenzial von Objekten argumentiert und darauf verwiesen, dass selbst in Schriftkulturen dreidimensionale Objekte und vertraute Anblicke als Erinnerungsstücke verwendet werden, »as souvenirs in a quite literal sense«. Erinnerungen könnten aber auch durch die reine Präsenz von physischen Objekten, körperlichen Routinen, von Licht oder von Gerüchen ausgelöst werden.62 Gottfried Korff spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Erinnerungsveranlassungsleistung der Dinge, womit er aber nicht nur das Potenzial meint, in Menschen persönliche Erinnerungen hervorzurufen, sondern auch, Wissen aus überindividuellen Erfahrungen zu kommunizieren.63 Anja Wohlfromm hat dies folgendermaßen erläutert: Erinnerung bedeutet dabei nicht nur die Rekapitulation von persönlich Erlebtem oder Gesehenem, sondern ebenso von Vorgängen, die sich weit vor der Lebensphase oder fern der Lebenswelt des Museumsbesuchers ereignet haben können. Das Museum aktiviert durch die Materialität seiner Objekte unser überindividuelles Gedächtnis, unseren kollektiven Erfahrungsschatz[,] und bildet ihn gleichzeitig mit aus.64 Schon Maurice Halbwachs hat das Gedächtnis einer Gruppe in enger Verbindung zu materiellen und räumlichen Gegebenheiten wie Gebäuden, Landschaften oder Denkmälern beschrieben.65 Jan Assmann hat sein Konzept weiterentwickelt und den Begriff der kulturellen Formation geprägt. Damit bezeichnet er die Ausformung immaterieller Kultur, also den Ausdruck von Ideen, Konzepten, Überzeugungen und dergleichen in jeglicher physischer Form – nicht nur in Form materieller Objekte, sondern auch in Form von Riten, Tänzen, Mustern, Trachten, Speisen, Tätowierungen, Bildern, Landschaften und Ornamenten.66 Den kulturellen Formationen schreibt er eine tragende Rolle im Konzept der kollektiven Identität zu: Einer kollektiven Identität entspricht, sie fundierend und – vor allem – reproduzierend, eine kulturelle Formation. Die kulturelle Formation ist das Medium, durch das eine kollektive Identität aufgebaut und über die Generationen hinweg aufrechterhalten wird.67 Darüber hinaus setzt Assmann den Begriff der kulturellen Formation mit der von Aby Warburg entwickelten Vorstellung der Pathosformel in Korrelation, indem er konstatiert, dass in kulturellen Formationen kollektive Erfahrung kristallisiere, »deren Sinngehalt sich in der Berührung blitzartig wieder erschließen kann«.68 Berührung sollte dabei nicht nur im Sinne eines taktilen, sondern vor allem im Sinne eines visuellen oder kognitiven Kontakts verstanden werden. Das heißt, dass die Bedeutung, die in einer kul61 62 63 64 65 66 67 68
Vgl. Anja Wohlfromm, Museum als Medium, 2005, S. 27f., Zitat ebd. Vgl. Leora Auslander, Beyond Words, 2005, S. 1020f., Zitat S. 1020. Vgl. Gottfried Korff, Dimensionen der Dingbetrachtung, 2011, S. 16. Anja Wohlfromm, Museum als Medium, 2005, S. 24. Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis, 1985, S. 127–163. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 139. Ebd., S. 139. Vgl. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 1988, S. 12.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
turellen Formation kodiert ist, nicht kontinuierlich überliefert werden müsste, sondern dass lediglich das Objekt selbst erhalten bleiben müsste, damit die darin kodierte Bedeutung jederzeit wieder verstanden werden kann. Diese Auffassung hat Aby Warburg in seinem Bilderatlas Mnemosyne am Beispiel der italienischen Klassik und Renaissance vertreten, in dem er davon ausging, dass sich Vorstellungen und Ideen beispielsweise in Bauwerken kondensierten. Architektur spiegele also die »seelischen Schwingungen« der sozialen Gruppe wider, der sie entspringe. Weiter nahm Warburg an, mit den Bauwerken blieben auch diese »seelischen Schwingungen« erhalten, und zwar materialisiert in formelhaften Darstellungen – den sogenannten Pathosformeln. »Durch das Wunderwerk des normalen Menschenauges« seien sie so auch nach Jahrhunderten noch begreifbar.69 Pathosformeln werden von Astrid Erll daher auch als »kulturelle ›Engramme‹ oder ›Dynamogramme‹, die ›mnemische Energie‹ speichern und unter veränderten historischen Umständen oder an weit entfernten Orten wieder zu entladen vermögen«, beschrieben. Sie setzt Pathosformeln mit Symbolen gleich, auf denen das kulturelle Gedächtnis beruhe.70 Da auch »anhand der Denkmalschutzbewegung eine enge Verflechtung von kollektivem Gedächtnis, nationaler Identität und Architektur nachgewiesen werden« konnte, schließt Mathias Berek, dass individuelle und kollektive kulturelle Gedächtnisse Materialisierungen brauchen, die den Bezug zur Vergangenheit her- beziehungsweise darstellen.71 Er spricht in diesem Zusammenhang von Manifestationen des kulturellen Gedächtnisses, worunter er nicht nur Bauwerke versteht, sondern auch kulturelle Artefakte, »die im von Menschen durchmessenen Raum platziert sind oder diesen strukturieren, auf die sie immer wieder stoßen und die je nach Situation Anlass zum Erinnern geben«. Anders als Warburg und Assmann geht Berek jedoch nicht davon aus, dass sich die Bedeutung von kulturellen Artefakten beim Kontakt mit ihnen wie von selbst entlädt, sondern er ist der Ansicht, dass sie erst lesbar gemacht werden muss.72 Dies berührt eine der großen Kontroversen im Ausstellungswesen, nämlich die Frage, ob Objekte zum Sprechen gebracht werden müssen – beziehungsweise wie dies am besten zu tun sei – oder ob sie für sich selbst sprechen können und gewährleistet werden sollte, dass sie dies auch frei von sie übertönenden Deutungen tun können. Die Antwort darauf zeigt in der Regel, ob dem Exponat eher der Charakter einer kontextbasierten, historischen Quelle oder der eines reinen, für sich stehenden Kunstwerks beigemessen wird beziehungsweise auf welche dieser beiden Seiten eines Objekts mehr Wert gelegt wird. Im Kunstsektor scheint meist letztere Position vertreten zu werden, was typischerweise in White-Cube-Ausstellungen resultiert, in denen Kunstwerke möglichst ohne Zusatzinformationen gezeigt werden. In historischen Museen werden Exponate dagegen in der Regel durch Texte, Grafiken, Rekonstruktionen und diverse weitere Vermittlungsformen um Informationen ergänzt. Brigitte Kaiser hat die beiden Positionen – die ich der Einfachheit halber als eine Kunstpartei und eine Didaktikpartei bezeichnen möchte – voneinander unterschieden und erklärt, dass die Vertreter:innen der Kunstpartei Exponate als Kunstgegenstände verstünden, deren Ästhetik für die Besucher:innen Anlass
69 70 71 72
Vgl. Aby Warburg, Der Bilderatlas Mnemosyne, 2003, S. 5. Vgl. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2001, S. 23. Vgl. Mathias Berek, Kollektives Gedächtnis, 2009, S. 84. Vgl. ebd., S. 85.
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zu Freude und Erlebnis sei. Sie würden Informationsausstellungen als unmoralischen »Verstoß gegen die Aura des Kunstwerks und die Belehrung des Publikums als unzumutbare Bevormundung« empfinden. Die Didaktikpartei dagegen sei überzeugt, dass ein Exponat erst anhand zusätzlicher Informationen eingehender betrachtet und somit zum Erlebnis werden könne. Sie werfe der anderen Gruppe vor »mit der Informationsverweigerung den Betrachter in geradezu undemokratischer Weise zu entmündigen, indem man ihm bewusst lediglich rezeptives Verhalten in Form eines idealisierten Kunsterlebens zugesteht und ermöglicht«.73 Im Feld der archäologischen Museen kann jede dieser beiden Ausstellungsstrategien und dazu ein breites Spektrum an Mischformen beobachtet werden – abhängig von der Art der Sammlungsobjekte und dem Anspruch der Institution. Die Präsentation von Objekten auf schlichten Sockeln vor weißen Wänden mit nicht viel mehr als einem kleinen Objektschild und eventuell einem Wandtext ist ein fast ebenso häufig anzutreffendes Ausstellungsbild wie die multimediale Inszenierung und (Re-)Konstruktion urund frühgeschichtlicher Umwelten und Fundsituationen. Dies wurzelt wahrscheinlich in den getrennt verlaufenen Entwicklungen der Klassischen Archäologie von der der Ur- und Frühgeschichte, die in Kapitel I.1 und I.2 bereits skizziert wurden. Während die Klassische Archäologie aus der Kunstgeschichte erwachsen ist, hat die Ur- und Frühgeschichte als Altertumswissenschaft viele Einflüsse der Geschichtswissenschaft und der Anthropologie in sich aufgenommen. Demgemäß werden Sammlungen der Klassischen Archäologie oft eher unter dem Aspekt der Kunstpräsentation ausgestellt, bei der die Werke für sich selbst sprechen sollen, während die Präsentationsformen von Sammlungen regionaler Ur- und Frühgeschichte eher zur medialen Vermittlung und Rekontextualisierung tendieren. Da die Sammlungen Archäologischer Landesmuseen in der Regel Objekte aus allen möglichen archäologischen Disziplinen und Epochen in sich vereinen, kann bei diesem Museumstypus die Bandbreite der Präsentationsformen besonders groß ausfallen. Allerdings lässt sich aus den meisten Dauerausstellungen Archäologischer Landesmuseen sowie insbesondere aus den Äußerungen der befragten Expert:innen zum Umgang mit den Exponaten schließen, dass die meisten Ausstellungsmacher:innen in diesem Museumstypus es für notwendig erachten, Objekte mindestens zu einem gewissen Grad lesbar zu machen.74 Im Museum werden materielle Objekte mit neuen Begriffen versehen und in Kategorien unterschieden, beispielsweise in Sammlungsstücke, Musealien, Exponate, Kopien, Reproduktionen und Modelle. Während der Begriff der Sammlungsstücke im Grunde alle Objekte umfasst, die zur Sammlung eines Museums gehören, bezeichnet das Kunstwort der Musealien nur die materiellen Zeugnisse realer Sachverhalte, also im archäologischen Museum die Fundstücke. Aber natürlich sind nur die in der Ausstellung präsentierten Objekte auch Exponate. Zu diesen können des Weiteren Kopien, Reproduktionen, Modelle, Faksimiles und ähnliche Substitute zählen, die Markus Walz als Sekundär-
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Vgl. Brigitte Kaiser, Inszenierung und Erlebnis, 2006, S. 18, Hervorhebung i. O. Vgl. hierzu beispielsweise Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 480; Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 497–499; Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 485; Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 485f.; Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 469f.; Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
exponate bezeichnet.75 Sie dienen zwar der Vermittlung des kulturellen Erbes, gehören aber nicht automatisch selbst dieser Kategorie an.76 Vor allem mit Exponaten im eigentlichen Sinn – in Anlehnung an Walz möchte ich sie Primärexponate nennen – ist oft die bereits angedeutete Vorstellung verbunden, sie könnten im übertragenen Sinn zum Betrachter sprechen, »seien also unmittelbare Auskunftsinstanzen der Vergangenheit […] und daher schriftlichen Quellen in mancher Hinsicht überlegen«.77 Daraus müsste im Grunde folgen, dass sich die Bedeutung eines jeden Primärexponats all seinen Betrachter:innen automatisch erschließt. Gerade mit Blick auf archäologische Objekte haben aber die meisten Ausstellungsbesucher:innen und auch Archäolog:innen sicher schon einmal die Erfahrung gemacht, dass sie die Bedeutung oder Funktion eines Exponats nicht ohne zusätzliche Informationen verstehen konnten. Da die Musealien nicht mehr in ihrem ursprünglichen Kontext stehen und jede Sammlung fragmentarisch ist, sehen viele Wissenschaftler:innen und Kurator:innen die Aufgabe des Museums darin, die Objekte zu rekontextualisieren und sie in einen Zusammenhang einzuordnen.78 Bei der (Re-)Kontextualisierung von archäologischen Objekten sind Wissenschaftler:innen allerdings in der ambivalenten Position, dass sie einerseits Problemen gegenüberstehen und andererseits viel Spielraum zur Interpretation haben. Problematisch ist, dass es oft kaum möglich ist, archäologische Objekte richtig in ihren ursprünglichen Kontext einzuordnen, denn natürlich ist der Kontext von archäologischen Objekten wegen der fragmentarischen Quellenlage häufig nicht eindeutig bestimmbar. Das betrifft sowohl die Fundsituation als auch den allgemeinen Kontext des Objekts im Sinne der Zeit und Gesellschaft, in der es ursprünglich hergestellt und genutzt wurde. Es kann beispielsweise sein, dass die überlieferte Fundgeschichte nicht gesichert ist, der genaue Fundplatz nicht bekannt ist oder die Umstände der Entdeckung nicht dokumentiert worden sind. Ebenso kann ein Fundplatz durch Raubgrabungen, Baumaßnahmen oder schlichtweg natürliche Erdbewegungen durch Erosion, unterirdische Tierbauten oder Pflanzenwuchs stark gestört sein und somit keine zuverlässigen Daten mehr liefern. Selbst wenn ein geschlossener und ungestörter Fund nach allen Regeln der archäologischen Arbeit dokumentiert werden konnte, bleibt in einigen Fällen offen, wozu das Objekt ursprünglich diente, wie es an den Fundort gelangte oder wann es hergestellt wurde. Zwar können durch wissenschaftliche Untersuchungen und durch den Vergleich des Fundes mit ähnlichen Objekten aus anderen Fundsituationen oft einigermaßen wahrscheinliche Aussagen über seine Datierung, seine Funktion, seinen Ursprungsort und vieles mehr gemacht werden. In manchen Fällen reichen die vorhandenen Informationen dafür aber einfach nicht aus. Deutungen müssen dann vorläufig bleiben und es können mehrere Erklärungsmodelle entwickelt werden. 75 76
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Vgl. Markus Walz, Begriffsgeschichte, Definition, Kernaufgaben, 2016, S. 13. Obwohl es durchaus denkbar ist, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt doch den Status des Kulturguts oder kulturellen Erbes erhalten, beispielsweise im Fall von Modellen, die in besonderer Technik oder von bekannten Modellbauern hergestellt wurden und als Kunstwerke gelten. Vgl. Christine Kopf, Museum, 2001, S. 388. Wie bereits erwähnt, lässt sich dies unter anderem mit den Äußerungen der interviewten Expert:innen belegen. Aber auch in der wissenschaftlichen Literatur wird diese Auffassung vertreten. Vgl. hierzu beispielsweise: Christine Kopf, Museum, 2001, S. 388.
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Der Kunsthistoriker und Museologe Ivo Maroević hat die Auffassung vertreten, dass Musealien die Realität, der sie entstammen, im Museum zwar dokumentieren könnten, dass aber diese Realität nur durch nähere Erforschung zu verstehen sei. Die vielschichtigen Bedeutungen und symbolischen Werte, die dabei erkannt werden könnten, machten es möglich, dass die Bestimmtheit und Bedeutung eines Objekts im jeweiligen Ausstellungskontext auch verändert werden könnte, um verschiedene Inhalte zu vermitteln.79 Nun wurde allerdings in Teilkapitel II.1.1 bereits argumentiert, dass die Realität der Vergangenheit lediglich näherungsweise dargestellt, aber nie wirklich rekonstruiert werden kann. Das heißt, Relikte der Vergangenheit sind zwar Produkte einer vergangenen Realität, aber diese kann selbst aus ihnen nicht vollständig und objektiv reproduziert werden. Auch durch intensive Forschung ist nur eine Annäherung an die vergangene Realität möglich. Die Erforschung des Kontextes von Objekten, also das Ableiten von Informationen über die Vergangenheit, ist keine Wiederherstellung, sondern vielmehr die Produktion einer näherungsweise modellierten Darstellung vergangener Realität, die stets vorläufig bleibt und durch weitere Forschungsergebnisse umgeformt werden kann. Wissenschaftler:innen haben allerdings auch einen gewissen Spielraum bei der Kontextualisierung von archäologischen Objekten, denn diese sind nicht nur fragmentarisch und dekontextualisiert, sondern sie sind auch, wie alle materiellen Dinge, polysemisch. Das heißt, sie sind Zeichen mit vielfältigen Bedeutungen. Um es mit Heidegger zu sagen: »Das Ding dingt. Das Dingen versammelt.«80 Es vereint in sich eine Vielzahl an Konzepten, Praktiken, Techniken, Ideen und Materialien. Deshalb können beispielsweise an einem Keramikgefäß die unterschiedlichsten Themen behandelt werden, wie Rainer-Maria Weiss im Interview anschaulich gemacht hat: Das merken wir zum Beispiel daran, dass wir zu verschiedenen Ausstellungen dasselbe Objekt benutzen, und es hat jedes Mal eine völlig andere Aussage. Es mag einmal um Töpferhandwerk gehen – also Arbeit, Handwerk, Arbeitsteilung. Mal mag es um Rohstoffgewinnung gehen – wo kommt der Ton her? Mal geht es um Kunst und Zier – Motivschatz, wie ist das Gefäß verziert? Und dann geht es bei der nächsten Ausstellung um Import und Handelsbeziehungen, wo dasselbe Gefäß eine völlig andere Geschichte erzählt.81 Selbst wenn der Kontext und die Funktion eines archäologischen Objekts als einigermaßen gesichert gelten können, lässt es sich also in der Regel in unterschiedliche Zusammenhänge einordnen. Der Fokus der Deutung eines Objekts kann je nach Intention der Ausstellungsmacher:innen verlagert werden. Besonders die im Museum präsentierten Bedeutungen von Objekten können daher als Konstruktionen bezeichnet werden. Susan M. Pearce spricht beispielsweise in ihrem wichtigen Werk zum Verhältnis von Objekten, Sammlungen und Museen zueinander und zur Gesellschaft (Museums, Objects and Collections) von einer Doppelnatur der Objekte als »real things« und »constructed understandings«.82 Sie fordert, dass Museumsmitarbeiter:innen beachten, dass materielle Objekte
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Vgl. Ivo Maroević, The Museum Message, 1995, S. 25. Martin Heidegger, Das Ding, 1967, S. 46. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514. Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 257.
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
fundamental wichtig für die Prozesse seien, durch die Menschen sich selbst als Individuen und Gesellschaften entwickeln. Dabei argumentiert Pearce, dass Objekte soziales Leben konstituierten, den Wert tragen würden, den ihnen ihre Gesellschaft zuweist, und dabei helfen würden, Wert herzustellen. Sie und die Bedeutungen und Werte, die ihnen zugeschrieben würden und die sie stimulierten, veränderten sich ständig, gemeinsam mit der Gesellschaft. Doch während sie dies täten, hätten sie doch auch ihre eigene Konkretheit und einen soliden Kontext. Den zu erkennen und kommunizieren zu können, könnten Forscher:innen aber nur hoffen.83 Zusätzlich können Artefakten jeweils in der Gegenwart konstruierte Bedeutungen zugeschrieben werden. In solchen Fällen spricht Astrid Erll nicht von Manifestationen, sondern von Medien des kollektiven Gedächtnisses. Die Zuschreibung von Bedeutung muss Erll zufolge jedoch nicht intentional geschehen. Oft werde erst im Rückblick auf eine Epoche deutlich, dass bestimmte Dinge oder Phänomene als die Medien des kollektiven Gedächtnisses der Epoche gedient haben.84 Bedeutung kann sich also Artefakten auch anlagern und in anderen Kontexten erkannt werden. Stefan Laube vergleicht Artefakte beziehungsweise Dinge daher auch mit Gefäßen, die »in der Lage [sind], Bedeutungen zu ›beinhalten‹, sich dieser wieder zu entledigen und neue Inhalte aufzunehmen, ohne dabei selbst ihre Form zu verändern«.85 Artefakte können also als Materialisierungen von bestimmten Bedeutungen konzipiert und hergestellt sein, ihnen können sich darüber hinaus noch weitere Bedeutungen und Erinnerungen anlagern und ihnen können zusätzliche Bedeutungen bewusst verliehen werden. Susan M. Pearce hat daher auch argumentiert, dass die Bedeutung eines Objekts weder gänzlich in dem Stück selbst noch allein in der Wahrnehmung desselben liege, sondern zwischen diesen beiden. Ein Objekt habe nur in dem Moment eine Bedeutung, in dem Betrachter:innen es wahrnähmen, und die Bedeutung hänge dann teils von den individuellen Veranlagungen und Erfahrungen der Betrachter:innen ab und teils vom Inhalt des Objekts, der auf die Betrachter:innen wirke. Dieses Zusammenspiel von Betrachter:innen und Objekt stelle also eine jeweilige, situationsbedingte Bedeutung her.86 Aus diesen Überlegungen zur Rolle archäologischer Objekte für das kulturelle Gedächtnis lässt sich also schließen, dass diese Dinge mehr als bloße Erinnerungsstücke oder Souvenirs sind. Menschen können mit ihnen zwar individuelle, persönliche Erinnerungen verbinden und ihnen eigene Bedeutungen verleihen. Darüber hinaus wird archäologischen Objekten aber der Charakter von Zeugnissen der Vergangenheit beigemessen. Allerdings ist die vergangene Realität, die sie bezeugen, in vielen Fällen nicht oder nur fragmentarisch und spekulativ aus ihnen ableitbar. Ihnen können verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden und es können in unterschiedlichen Zusammenhängen jeweils andere Bedeutungen betont werden. Wird ein neolithisches
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Vgl. ebd., S. 261. Vgl. Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 2001, S. 149. Für das individuelle und das soziokulturelle kollektive Gedächtnis seien solche Medienobjekte wichtig, weil sie als Vermittlungsinstanz zwischen diesen beiden Dimensionen stünden (vgl. ebd., S. 137). Vgl. Stefan Laube, Von der Reliquie zum Ding, 2001, S. 5. Vgl. Susan M. Pearce, Objects as Meaning, 1994, S. 26.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Keramikgefäß aus einem Grabfund in einer Ausstellung beispielsweise in einen Zusammenhang gestellt, in dem es um die Beigabensitte geht, wird seine Bedeutung als Grabbeigabe betont, während seine Bedeutung als Produkt einer Rohstoffgewinnung und -verarbeitung und die Bedeutung seiner Verzierungen sowie viele weitere damit in Verbindung stehende Bedeutungen im Hintergrund bleiben und sich den Betrachter:innen gegebenenfalls nicht von selbst erschließen. Natürlich ist die Entscheidung zur Einordnung eines Exponats in einen oder wenige Kontexte und damit die Betonung eines oder weniger Themen gegenüber anderen bei der schier unendlichen Fülle von Bedeutungen, die an ein Objekt angelagert werden können, eine praktische Notwendigkeit. Wenn mit einer Ausstellung eine klar verständliche Aussage gemacht oder Geschichte erzählt werden soll, muss die Masse an Informationen und Objekten übersichtlich und nachvollziehbar strukturiert und (didaktisch) reduziert werden, und dann kann eben in der Regel nicht jeder denkbare Bedeutungsaspekt vermittelt werden. Nichtsdestotrotz führt diese selektive Entscheidung über die Kontextualisierung von Exponaten im Rahmen einer Ausstellung dazu, dass die Botschaft, die durch die Ausstellung vermittelt wird, lediglich eine von vielen möglichen Botschaften ist. Dazu trägt außerdem noch stark bei, dass der Kontext archäologischer Objekte, wie zuvor dargelegt, meist nicht zur Gänze und eindeutig erschlossen werden kann – zum Beispiel wegen der mangelhaften Quellenlage oder des fragmentarischen Zustands des Objekts selbst. Eine vergangene Realität aus archäologischen Sammlungsstücken zu reproduzieren, ist nicht möglich. Es können lediglich Bedeutungen konstruiert werden und Ausstellungen können nur Varianten davon präsentieren. Für das kulturelle Gedächtnis bedeutet dies zweierlei: Erstens ist das Wissen über die Vergangenheit, das aus archäologischen Funden und Befunden abgeleitet und gespeichert werden kann, zumindest teilweise vorläufig, konstruiert und wandelbar und somit trifft dies auch auf das Gedächtnis insgesamt zu. Zweitens werden zum Diskurs von Inhalten des kulturellen Gedächtnisses jeweils nur Teile, und immer wieder andere Teile des Wissens aus dem Speicher des Gedächtnisses ausgewählt. Das Wissen, das in Archäologischen Landesmuseen aus der Untersuchung von Funden und Befunden generiert wird, bildet gemeinsam mit den Objekten ein kulturelles Gedächtnis. Werden Teile dieses Gedächtnisses nun in Ausstellungen, Publikationen, Vorträgen und jeglicher sonst noch denkbaren Form einem Publikum vermittelt, gehen sie auch in das kulturelle Gedächtnis anderer Menschen ein. Solche Präsentationsformen haben damit Auswirkungen darauf, wie ein Individuum sich selbst und die soziale Gruppe, der es sich zugehörig fühlt, definiert und identifiziert. Da sie aber eben nur einen Bruchteil des gesamten Wissensbestands und eine mögliche Deutungsvariante darstellen, liegt genau in diesem Potenzial von Ausstellungen und sonstigen Präsentationsformen auch ein Risiko. Schnell kann in dem komplexen Zusammenspiel von Auswahlprozessen durch Umwelteinflüsse, menschliche Entscheidungen und persönliche Interpretationen und Assoziationen zwischen den Objekten, den Wissenschaftler:innen und den Besucher:innen eine Objektbedeutung im kulturellen Gedächtnisses eines Menschen verankert werden, die von der nicht mehr fassbaren Realität der Vergangenheit weit entfernt ist. Die Autorität des Museums als wissenschaftliche Institution kann dazu beitragen, dass einer solchen Deutung der Anschein einer Tatsache oder Wahrheit zukommt – unabhängig davon, ob das vom Museum intendiert war
II.2 Archäologische Landesmuseen als Gedächtnisträger?
oder nicht. Daher haben gerade Archäologischen Landesmuseen, deren Material so ausgesprochen komplex, fragmentarisch und deutungsoffen ist, eine besondere Verantwortung im Umgang mit materiellen Objekten, bei deren Deutung und bei der Vermittlung ihrer Bedeutung. Ich werde im Laufe des nächsten Kapitels noch näher darauf eingehen.
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II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
II.3.1 Übertragung von und Eigentum an kulturellem Erbe Die im vorherigen Kapitel vorgenommene Untersuchung der Selektionsprozesse, die zur Ausbildung eines kulturellen Gedächtnisses führen, brachte es mit sich, dass auch das Konzept eines vermeintlich genuinen kulturellen Erbes infrage gestellt wurde. Beispielsweise bilden die Exponate, die Museumsbesucher:innen als kulturelles Erbe präsentiert werden, nur eine Auswahl der wesentlich größeren Menge an Objekten, die einmal von Menschen produziert und genutzt wurden, die aber größtenteils verloren gegangen, verfallen, zerstört oder aussortiert worden sind. Sie sind also nicht per se ein Kulturerbe, das von jeher bewusst als solches von Generation zu Generation weitergereicht wurde, sondern werden im Laufe des Selektionsprozesses zu einem solchen erklärt. Ich möchte dies im Folgenden weiter ausführen. Zunächst sei dafür noch einmal darauf hingewiesen, dass archäologische Objekte kein Erbe im privatrechtlichen Sinn sein können. Erstens wurden sie ursprünglich meist nicht absichtsvoll weitergegeben und zweitens können sie – sofern ihnen ein wissenschaftlicher Wert attestiert wird – gemäß der Denkmalschutzgesetze in Deutschland nicht im Eigentum natürlicher Personen stehen, sondern gehören dem jeweiligen Land. Das heißt, dass sie nicht von natürlichen Personen an andere testamentarisch vererbt werden können. Sie stehen zwar im Eigentum einer juristischen Person, nämlich des Staates oder einer staatlichen Einrichtung, aber auch von dieser können sie nicht im rechtlichen Sinne vererbt werden, da juristische Personen nicht sterben. Wichtig für die hier angestellte Betrachtung ist aber, losgelöst vom Erbrecht im Sinne des BGB, die Frage, wie der Begriff des kulturellen Erbes einzuordnen ist und inwiefern archäologische Objekte ein kulturelles Erbe sind. Archäologische Objekte, denen ein wissenschaftlicher oder gesellschaftlicher Wert attestiert wird, werden mit dem Begriff des kulturellen Erbes dann versehen, wenn sie von der heutigen Gesellschaft so betrachtet und bewertet werden wie ein Erbe, das heißt, wie ein Gut, dem man Respekt und Achtung entgegenbringt und für dessen Erhalt man Verantwortung empfindet und übernimmt. Sie werden ab ihrer mehr oder minder zufälligen Entdeckung als Objekte wahrgenommen, die der heutigen Gesellschaft von der Vergangenheit gewissermaßen vermacht worden sind und die es auch für zukünftige Generationen zu erhalten gilt. Ich
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
wende mich daher nun archäologischen Objekten als Teil eines kulturellen Erbes zu und reflektiere die Arbeit Archäologischer Landesmuseen als Umgang mit kulturellem Erbe. Insbesondere möchte ich hier die Übertragung von archäologischem, kulturellem Erbe erörtern und die Diskurse um kontroverse Ansprüche bezüglich solcher Objekte analysieren. Die auf Kulturgüter angewendeten Begriffe des kulturellen Erbes, insbesondere der Begriff Cultural Property, implizieren, dass Kulturgüter den juristischen Status eines Eigentums haben, also einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen exklusiv gehören. Gerade bezüglich archäologischer Objekte und Denkmäler werden aber in unterschiedlichen Diskursen geradezu gegenteilige Eigentumsansprüche und Interessen vertreten. Eigentlich fallen archäologische Objekte durch juristische Regelungen in das Eigentum einzelner Staaten und selbst multilaterale Abkommen schränken diese Verfügungsgewalt allenfalls ein, setzen sie jedoch nicht aus. Dessen ungeachtet gelten viele Kulturgüter aber auch ohne offizielle Eintragung in ein entsprechendes Register als »Welterbe«, also als Dinge, die im Interesse der gesamten Menschheit zu erforschen und zu erhalten sind. Gesetzliche Regelungen und ideelle Ansichten treffen hier aufeinander und treten nicht selten miteinander in Konflikt. Auch auf nationaler oder lokaler Ebene ließe sich übrigens darüber diskutieren, wie archäologische Objekte verteilt werden, ob sie beispielsweise dem Heimatmuseum im Fundort, dem Landesmuseum in der größeren Stadt oder gar einem überregional sammelnden Museum zugewiesen werden sollten. Auf archäologisches »Erbe« könnten unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Argumenten Besitzansprüche erheben. Wie werden diese aber gerechtfertigt und in welchem Verhältnis stehen sie zu den gesetzlich geregelten Eigentumsrechten? Arnika Peselmann und Philipp Socha haben plausibel argumentiert, dass der deutsche Eigentumsbegriff nicht nur rein juristisch betrachtet werden sollte, zumal er semantisch auch auf »eigen« im Sinne eines Attributs oder einer Eigenschaft hindeutet. Ein Eigentum sei etymologisch gesehen also eines der Elemente, die ein Individuum oder ein Kollektiv ausmachten und anhand derer es definiert werden könne.1 Bei der Debatte um kulturelles Erbe und das Eigentum daran werden deshalb oft nicht nur juristische, sondern auch ideelle Argumente ins Feld geführt. Gesetzliche Eigentumsverhältnisse können als ungerechtfertigt empfunden werden. An Kulturgütern bestehen beispielsweise häufig ideelle Eigentumsansprüche seitens mehrerer Parteien, auch wenn die gesetzliche Regelung eindeutig ist. Der Historiker David Lowenthal hat diesbezüglich argumentiert, dass jede Partei in solchen Streitfällen eine jeweils individuelle Verbindung zu dem Kulturgut empfände und ihm eine jeweils individuelle Bedeutung beimessen würde. Da keine Seite aber auf rationale Argumente zurückgreifen könne, könne auch keine die jeweils andere von ihrer Perspektive überzeugen. Die streitenden Parteien fielen daher in rhetorische Übertreibungen zurück und verstärkten damit bei ihren Mitgliedern den Eindruck einer persönlichen, engen Verbindung zu dem infrage stehenden Objekt. Das Bestreben der Gruppe, sich für die gemeinsame Identität einzusetzen, indem das Kulturgut exklusiv beansprucht werde, würde dadurch bestätigt und intensi-
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Arnika Peselmann und Philipp Socha, Cultural Property und das Heritage-Regime der UNESCO, 2010, S. 71.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
viert.2 Mieke Bal argumentiert ähnlich, wenn sie Eigentümerschaft als weder transhistorisch noch universell gültige Kategorie beschreibt. Stattdessen sei Eigentümerschaft ein vorübergehendes, kapitalistisches Konzept und werde jeweils durch eine Geschichte begründet, die aus der Perspektive einer ersten Person erzählt werde. Das heißt, dass die aktuellen Eigentümer eines Objekts behaupten, ihre Eigentümerschaft sei gewissermaßen natürlich und Teil ihres Selbst.3 Eigentumsansprüche an kulturellem Erbe werden also durch die Vorstellung einer kulturellen Identität gestützt und gleichzeitig verstärken sie umgekehrt auch die Vorstellung einer solchen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Konzept des Erbes, ob nun im juristischen, kulturellen oder genetischen Sinn, einen Übertragungsprozess voraussetzt, bei dem eine Verbindung zwischen Vererbendem, Vererbtem und Erbendem hergestellt wird. Diese Verbindung soll nun näher betrachtet werden, denn auf sie werden Interessen und Eigentumsansprüche argumentativ gestützt. Bernhard Jussen, Sigrid Weigel und Stefan Willer haben die Überzeugung vertreten, dass am Beginn des Übertragungsprozesses des Erbes immer eine Zäsur stehe, wie beispielsweise der Tod (im Falle einer Vererbung im testamentarischen Sinn) oder die Zeugung (im Falle einer Vererbung im genetischen Sinn). »Erst durch eine Unterbrechung in der Kette der Wesen, Dinge oder Ereignisse kommt es überhaupt zur Übertragung.« Der weitere Ablauf der Übertragung, also des Erbvorgangs, sei nicht frei bestimmbar, sondern folge kulturellen, juristischen oder biologischen Regeln und Normen. Dennoch sei dieser Vorgang auch beeinflussbar – besonders bei kulturellen Formen der Vererbung: »Bei kulturellen Phänomenen des Vererbens bleibt historisch und individuell variabel, wie die Regeln und Normen verstanden und interpretiert werden und welche Auswirkungen sie auf die Praxis des Erbes haben […].«4 Welchen Regeln und Normen folgt also der Erbvorgang im Fall archäologischer Objekte? Der kulturelle Übertragungsprozess von Dingen, die als kulturelles Erbe klassifiziert werden, kann von drei verschiedenen Punkten ausgehen. Kulturelles Erbe kann erstens kontinuierlich über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hinweg weitergereicht werden. In diesem Fall wird es absichtsvoll von Generation zu Generation übertragen, um seinen Erhalt auch über die Dauer einer Generation hinaus zu gewährleisten. Der Übertragungsprozess setzt dabei aber nicht zwangsweise erst nach der Zäsur ein, also beispielsweise wenn materielle Kulturgüter testamentarisch vererbt werden, sondern er kann auch schon vor der Zäsur beginnen. Das letztere Vorgehen betrifft vor allem Elemente des immateriellen kulturellen Erbes, wie beispielsweise Lieder, Tänze, Erzählungen oder Handwerkstechniken, die durch Unterweisung tradiert werden. Der Übertragungsvorgang von kulturellem Erbe muss also nicht unbedingt erst mit dem Auftreten einer Zäsur einsetzen, sondern kann auch schon zuvor initiiert werden, um dem Verlust des Erbes im Umbruch der Generationen vorzubeugen.
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Vgl. David Lowenthal, ›Trojan forebears‹,'peerless relics‹, 1995, S. 130. Vgl. Mieke Bal, Double Exposures, 1996, S. 65. Vgl. Stefan Willer, Sigrid Weigel und Bernhard Jussen, Erbe, Erbschaft, Vererbung, 2013, S. 8. Bemerkenswert ist hier die Parallele zur Erinnerungskultur, die laut Jan Assmann auch erst ab einer Zäsur beziehungsweise ab einem Bruch einsetzt. Siehe Teilkapitel II.1.1, S. 114.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Vor allem monumentale Stücke der kulturellen Produktion, wie zum Beispiel Bodendenkmale oder Bauwerke, können aber, zweitens, auch dauerhaft präsent bleiben, ohne aktiv und absichtsvoll übertragen zu werden. Ihre Materialität bleibt schlicht über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hinweg bestehen beziehungsweise zerfällt nur langsam, sodass auch nach langer Zeit noch Fragmente davon erhalten sind. Werden sie dann zu einem späteren Zeitpunkt als wertvoll und wichtig für eine Gesellschaft anerkannt, setzt eine bewusste Bewahrung und Weitergabe ein, also gewissermaßen eine kulturelle Übertragung oder »Vererbung« dieser Kulturgüter – etwa weil sie aufgrund eines wissenschaftlichen oder künstlerischen Werts für kommende Generationen der Gesellschaft vor weiterem Verfall oder vor Zerstörung geschützt werden sollen. Der dritte Ausgangspunkt der Übertragung von kulturellem Erbe betrifft Dinge, auf deren Herstellung und Nutzung eine Phase der Vergessenheit folgt. In solchen Fällen setzt der Erbvorgang mit ihrer Wiederentdeckung ein. Dieser Fall betrifft die große Mehrheit der archäologischen Artefakte. Sie werden nicht absichtsvoll weitergegeben, um auch über eine Zäsur hinaus für nachfolgende Generationen zur Verfügung zu stehen, und sie bleiben oft auch nicht direkt sichtbar präsent. Stattdessen werden sie als Abfall entsorgt, als Grabbeigaben oder Weiheopfer dauerhaft niedergelegt oder gehen einfach verloren. Werden sie jedoch durch gezielte Suche oder zufälligen Fund wiederentdeckt, werden sie in der Regel von diesem Zeitpunkt an als kulturelles Erbe absichtsvoll weitergegeben – vorausgesetzt, sie werden der Pflege und Aufbewahrung für wert befunden, etwa aufgrund ihrer Ästhetik oder ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft. Anders als die Vererbung im privatrechtlichen oder biologischen Sinn erfolgt kulturelle Vererbung nicht nur exklusiv von einem Individuum auf ein anderes. Sie findet vielmehr auf kollektiver Ebene statt, das heißt, dasselbe Erbe wird nicht nur einem, sondern gleichzeitig vielen Individuen eines Kollektivs übermittelt. Ein prähistorisches Artefakt wie der Trierer Goldschatz beispielsweise wird von konkreten Personen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Personen – Wissenschaftler:innen, Kurator:innen, Museumspädagog:innen und so weiter – geben das Artefakt als kulturelles Erbe und somit nicht als etwas weiter, was im juristischen Sinn ihr Eigentum ist und daher in diesem Sinn von ihnen vererbt werden könnte – denn ein archäologisches Artefakt von wissenschaftlichem Wert kann ja schon rein rechtlich gesehen nicht einer natürlichen Person gehören, sondern gehört laut Denkmalschutzgesetzen dem jeweiligen Bundesland, in dem es gefunden wurde. Die Museumsmitarbeiter:innen handeln vielmehr stellvertretend für die Gesellschaft und »vererben« das Artefakt im kulturellen Sinn – nicht indem sie es einem konkreten Menschen übergeben, sondern indem sie Informationen dazu teilen und das Artefakt gegebenenfalls in einer Ausstellung zeigen, sodass es von vielen Menschen angeschaut werden kann. Und auch immaterielles kulturelles Erbe wie zum Beispiel eine Geschichte oder ein Ritual werden in der Regel nicht nur von einem Individuum exklusiv an ein anderes weitergegeben, sondern an viele Menschen. Kulturelles Erbe wird aber in der Regel nicht nur auf kollektiver Ebene weitervererbt, sondern ist schon als etwas konzipiert, das aus der Vergangenheit nicht nur an ein Individuum vererbt werden sollte, sondern das das Erbe einer Gesellschaft beziehungsweise eines Staates sein sollte. Die Pfosten- und Grubenspuren sowie eventuell erhaltenes Inventar eines neolithischen Hauses beispielsweise gelten, von dem Moment an, da sie ent-
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
deckt und als kulturelles Erbe anerkannt sind, nicht als das ererbte Eigentum der Person, der das Feld gehört, sondern als das ererbte Eigentum der Gesellschaft. Zwar liegen diese Behausungsüberreste und insbesondere Funde, die möglicherweise noch darin enthalten sind, in einem Feld, das in das juristische Eigentum einer oder mehrerer bestimmter Personen fällt, aber als Objekte von wissenschaftlichem Wert gelten sie als Erbe der Gesellschaft und fallen deshalb unter die Regelungen der Denkmalschutzgesetze, die sie zum Eigentum des Staates erklären und die Besitzer:innen des Feldes daher zur Anzeige des Befundes beim zuständigen Landesdenkmalamt verpflichten.5 Dies ist durch den unbestimmten Übertragungsprozess sogenannten kulturellen Erbes selbst begründet. Während bei der privatrechtlichen Vererbung klar geregelt ist, wer der rechtmäßige Erbe und damit der neue Eigentümer des Erbes ist, hat es im Fall von kulturellem Erbe in der Regel entweder keine vorab festgelegte Erbregelung gegeben oder sie ist nicht mehr bekannt. Das heißt, um auf das Beispiel mit dem linearbandkeramischen Haus zurückzukommen: Wem das Feld und das Haus gehörten, als dieses errichtet wurde, wer nach Maßgabe der damaligen Zeit gewissermaßen dessen Rechtsnachfolger:in war oder wem der Besitz vererbt werden sollte, lässt sich nicht mehr vollständig nachvollziehen. Es kann zwar zurückverfolgt werden, wem das Feld in den letzten Jahrzehnten oder vielleicht auch Jahrhunderten gehörte, aber ab einem gewissen Punkt versiegen die Quellen hierzu, sodass sich die Kette der Eigentümer:innen nicht bis zu der Zeit des Baus und der Nutzung des Hauses sowie des eventuell erhaltenen Inventars verfolgen lässt. Die heutigen Denkmalschutzgesetze regeln aus diesem Grund – und um solche Objekte und die damit verbundenen wissenschaftlichen Informationen zu schützen –, dass solche Relikte Eigentum des Landes sind. Sie stehen somit nicht in der Verfügungsgewalt einer natürlichen Person, sondern in der des Landes, das als juristische Person seine Bevölkerung insgesamt vertritt. Arnika Peselmann und Philipp Socha nennen Eigentum das »Resultat von Verhandlungsprozessen auf Basis sozialer Beziehungen«. Das würde bedeuten, dass, wenn mehrere Kollektive oder Akteure Eigentumsansprüche auf ein Objekt erheben, ein gesellschaftlicher Diskurs über die Frage stattfinden muss, wessen Ansprüche gerechtfertigt sind.6 Mit Blick auf kulturelles Erbe, das erst nach der Zäsur und nicht absichtsvoll übertragen wurde – also insbesondere mit Blick auf historische und archäologische Monumente und Objekte –, läge die Problematik einer solchen Verhandlung allerdings darin, dass in der Regel kein testamentarischer Wille des vererbenden Subjekts bekannt ist und keine direkten biologischen Nachkommen als Rechtsnachfolger:innen bestimmt werden können. Besonders Objekte, die vergessen und erst zu einem späteren Zeitpunkt wiederentdeckt und als Teile des kulturellen Erbes aufbewahrt wurden, haben einen sehr speziellen Eigentumscharakter. Aufgrund der langen Phase, in der sie vergessen und verborgen waren, können ihre letzten Eigentümer:innen in der Regel nicht mehr festgestellt werden und ein testamentarisch verfügter Wille, an wen die Artefakte gehen sollen, ist nicht bekannt, nicht mehr ausführbar oder hat nie existiert. Eine natürliche Person kann also ihren Anspruch, Rechtsnachfolger:in der letzten Eigentümer:innen und somit 5 6
Siehe hierzu die Regelungen des Schatzregals, die in Kapitel I.1 bereits besprochen wurden. Vgl. Arnika Peselmann und Philipp Socha, Cultural Property und das Heritage-Regime der UNESCO, 2010, S. 71.
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rechtmäßiger Erbe beziehungsweise rechtmäßige Erbin solcher archäologischer Kulturgüter zu sein, in der Regel nicht begründen.7 Das juristische Konzept des Erbens und Vererbens, das auf testamentarischen Verfügungen und Verwandtschaft basiert, lässt sich auf solche Fälle nicht anwenden. Der Gesetzgeber hat daher nach anderen Argumenten zur Regelung der Eigentumsfrage gesucht und das Problem damit gelöst, dass eben nicht nur einem Individuum, sondern einem Kollektiv, beispielsweise einem Staat, der Anspruch auf das Kulturerbe zugestanden wird. Nun könnten mit unterschiedlichen Argumentationen aber die Ansprüche verschiedener Kollektive beziehungsweise juristischer Personen auf archäologische Objekte begründet werden. Beispielsweise könnten sich mehrere Staaten oder innerhalb eines Staates mehrere Kommunen oder föderale Länder um archäologisches Erbe streiten. Um Artefakte als kulturelles Erbe einem neuen Eigentümer zuweisen zu können, führen Staaten meist einen Zusammenhang von Identität und Raum an. Das bedeutet, dass das kulturelle Erbe von einem bestimmten Ort stammt, dort hergestellt, benutzt oder hinterlassen wurde, weshalb der Gesellschaft, die heute an diesem Ort lebt, der stärkste Anspruch darauf zugesprochen wird. James Cuno hat diesbezüglich dargelegt, dass ein Staat sich als Erbe eines solchen Ortes und aller dort befindlichen oder von dort stammenden Artefakte betrachte, da der Ort heute Teil des Territoriums des Staates ist.8 Neben einer territorialen Nachfolgerschaft führen Staaten des Weiteren oft an, dass ihre Bevölkerung kulturell oder ethnisch von den Menschen abstammt, die das infrage stehende Objekt geschaffen haben. So rechtfertigt eine nationale Kulturpolitik also ihre Eigentümerschaft über archäologisches Kulturerbe. Dass ein Objekt per Gesetz in das Eigentum eines Staates oder Bundeslandes stellvertretend für dessen Bevölkerung eingeht, bedeutet aber auch, dass eben kein anderes Land beziehungsweise keine andere Gesellschaft darauf erfolgreich Eigentumsansprüche erheben kann. Symptome einer solchen nationalkulturellen Tendenz sind unter anderem Kulturgutschutzgesetze, die den Verkauf von Kunstwerken und Kulturgütern ins Ausland streng regulieren oder gar ganz verbieten.9 Cuno bewertet diese als Instrumente zur nationalen Aneignung eines eigentlich der ganzen Welt zustehenden kulturellen Erbes.10 Im Diskurs des kulturellen Erbes wird also nicht nur ein Konzept nationaler Eigentumsansprüche an kulturellem Erbe vertreten, sondern es wird auch häufig postuliert, dass bestimmte Kulturgüter zum Erbe der gesamten Menschheit gehören und daher im Interesse aller Menschen erhalten werden sollen. Prominent wird diese Auffassung beispielsweise im Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt von 1972 vertreten, das die Ausgangsbasis der bekannten UNESCO-Welterbeliste ist.11 Basierend auf 7
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Ausnahmen von dieser Regel gibt es höchstens im Bereich der Archäologie der Moderne, also beispielsweise im Kontext von Ausgrabungen in Konzentrations- und Vernichtungslagern oder auf Schlachtfeldern der beiden Weltkriege. Vgl. James Cuno, Who Owns Antiquity?, 2008, S. 125. Das italienische Kulturgutschutzgesetz ist beispielsweise für ein besonders umfangreiches und strenges Ausfuhrverbot bekannt. Vgl. beispielsweise Art. 65–67 im Codice dei beni culturali e del paesaggio. Vgl. James Cuno, Who Owns Antiquity?, 2008, S. xxxii. Vgl. Deutsche Unesco-Kommission e. V., Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, online.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
der Vorstellung, dass Kulturgüter im Interesse der gesamten Weltbevölkerung erhalten werden sollten, regt das Übereinkommen die Unterzeichnerstaaten zu selbstauferlegten Beschränkungen ihres Eigentumsrechts an. Sie sollen Kulturgüter in ihrer Verfügungsgewalt also unbedingt bewahren und nicht beispielsweise veräußern oder zerstören – auch wenn ihnen das als Eigentümer eigentlich zusteht. Aufgrund der Diskrepanz zwischen national juristisch geregeltem Eigentum und internationalem Interesse an Kulturgütern hat der Rechtswissenschaftler John H. Merryman mit seinem viel zitierten Aufsatz Two Ways of Thinking about Cultural Property von 1986 auf die zweideutige Verwendung des Begriffs Kulturerbe hingewiesen. Er verwendete dabei noch den Ausdruck Cultural Property für die beiden von Anne Eriksen unterschiedenen Konzepte, die sie unter den Termini Cultural Heritage und Cultural Property erläutert hat.12 Merryman erklärte also, dass mit dem Begriff einerseits Objektivationen einer gemeinsamen globalen Kultur bezeichnet würden und andererseits Objekte des nationalen Erbes.13 Merryman hat diese beiden Konzepte von kulturellem Erbe begrifflich in »kulturellen Internationalismus« und »kulturellen Nationalismus« unterschieden.14 Als gesetzliche Grundlage des kulturellen Internationalismus identifiziert er die Haager Konvention von 1954, die von einem grundsätzlichen Interesse der gesamten Menschheit an Objekten des kulturellen Erbes ausgeht und die Unterzeichnerstaaten deshalb zum Schutz beziehungsweise zur Schonung des kulturellen Erbes im Kriegsfall verpflichtet.15 Der kulturelle Nationalismus dagegen stütze sich vor allem auf das Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, eine UNESCO-Konvention von 1970, die nicht mit dem Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt verwechselt werden sollte, das nur zwei Jahre später vereinbart wurde.16 Die Idee des kulturellen Nationalismus führt Merryman allerdings auf das intellektuelle Klima des 19. Jahrhunderts zurück. In den damals noch jungen europäischen Nationalstaaten sei die Vorstellung einer nationalen Einheit auf der Grundlage einer gemeinsamen Kultur der Bevölkerung gefördert worden, die bis heute in Restitutionsforderungen als Argument angeführt werde. Staatsintern, so beobachtet der Jurist, werde dann auf solche Forderungen mit unwillkürlicher Sympathie und Unterstützung reagiert. Die Legitimität dieses Identitätsarguments werde jedoch selten hinterfragt.17 Im Diskurs zum kulturellen Erbe der 1970er und 1980er Jahre sieht Merryman eine Dominanz des kulturellen Nationalismus gegenüber dem Internationalismus.18 Infolge der Behandlung von Objekten als nationales Eigentum, unabhängig von ihrem gegenwärtigen Aufenthaltsort, herrsche eine Unterscheidung der Welt in Markt- und Her12 13
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Vgl. Anne Eriksen, From Antiquities to Heritage, 2014, S. 137 sowie Teilkapitel II.1.2, S. 127. Vgl. John H. Merryman, Two Ways of Thinking about Cultural Property, 1986, S. 831f. Zur Unterscheidung von nationalem und globalem Kulturgut vgl. auch Anette Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 14–18. Vgl. John H. Merryman, Two Ways of Thinking about Cultural Property, 1986, S. 846. Vgl. ebd., S. 833–842. Vgl. ebd., S. 842–845. Vgl. John H. Merryman, The Nation and the Object, 2009, S. 187. Vgl. John H. Merryman, Two Ways of Thinking about Cultural Property, 1986, S. 850. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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kunftsnationen: »In source nations, the supply of desirable cultural property exceeds the internal demand. […] In market nations, the demand exceeds the supply. Demand in the market nation encourages export from source nations.« (S. 832) Herkunftsnationen wären demnach Länder, in denen sich so viele Überreste vergangener Epochen erhalten hätten, dass das Angebot an kulturellem Erbe die Nachfrage im Land übersteige. Merryman nannte als Beispiele Mexiko, Ägypten, Griechenland und Indien. Marktnationen im Sinne Merrymans wären dagegen Länder, in denen sich vergleichsweise wenige Überreste der entfernten Vergangenheit erhalten hätten und in denen ein großes Interesse – also eine hohe Nachfrage – am kulturellen Erbe anderer Nationen bestehe. Merryman ordnete dieser Kategorie Deutschland, Frankreich, Japan, die skandinavischen Länder, die Schweiz und die USA zu. Eine solche Unterscheidung von Herkunfts- und Marktnationen ist jedoch höchstens mit Blick auf konkrete Fälle des Umgangs mit Kulturgütern haltbar. Die Welt lässt sich nicht pauschal in Herkunfts- und Marktnationen einteilen – insbesondere nicht mit Blick auf archäologische Objekte. Natürlich haben sich in manchen Nationen mehr materielle Überreste aus ur- und frühgeschichtlichen Perioden erhalten als in anderen und natürlich kann deren Bergung, Konservierung und Lagerung beträchtliche Ressourcen erfordern. Von einem Überangebot kann deshalb aber keine Rede sein. Gäbe es ein solches, könnte beispielsweise vermutet werden, dass Staaten ihr überschüssiges kulturelles Erbe dazu nutzten, um aus dem Handel mit Antiquitäten Einnahmen zu erzielen. Tatsächlich betreiben aber gerade solche Länder, die Merryman wohl als »source nations« bezeichnen würde, oft einen sehr strengen Kulturgutschutz. Sie sind bemüht, ihr kulturelles Erbe innerhalb ihrer Staatsgrenzen zu halten und touristisch zu vermarkten, und erlassen entsprechend strenge Denkmalschutzgesetze und Ausfuhrverbote. Diese Haltung vermeintlicher Herkunftsnationen nimmt Merryman zwar ebenfalls wahr, dennoch zieht er die Gültigkeit der von ihm vorgenommenen Unterscheidung zwischen Markt- und Herkunftsnationen nicht in Zweifel (vgl. S. 832). Ebensolche sind aber auch deshalb angebracht, weil auf der anderen Seite viele vermeintliche Marktnationen über ein sehr reiches ur- und frühgeschichtliches Erbe verfügen, das sie nur nicht immer voll ausschöpfen oder an dem ein weniger großes öffentliches Interesse besteht als beispielsweise an Relikten der römischen oder ägyptischen Antike. Gerade in einem solchen Fall kann das Angebot an »heimischem« kulturellem Erbe höher sein als die Nachfrage danach. Dieses Verhältnis kann sich mit wechselnden Interessen der Gesellschaft aber auch ändern. Eine Unterscheidung von Markt- und Herkunftsnationen aufgrund des Verhältnisses zwischen der Menge an inländischem Kulturgut und der Nachfrage danach, wie Merryman sie begründet, sollte also nicht pauschal getroffen werden. Verfolgt man seine Argumentation weiter, wird aber augenscheinlich, dass das Vorgehen des Rechtswissenschaftlers tatsächlich dazu dient, den Besitz, die Akquisition und die Verweigerung der Restitution von Kulturgütern durch Länder, in deren Gebiet diese Kulturgüter weder hergestellt noch entdeckt wurden, zu rechtfertigen. Merryman befürwortet in Two Ways of Thinking about Cultural Property also den kulturellen Internationalismus. Das heißt aber nicht einfach, dass er lediglich die Überzeugung vertritt, dass Staaten Kulturgüter, die aus ihrem Territorium stammen, treuhänderisch für die gesamte Menschheit bewahren sollten. Vielmehr unterstützt Merryman darüber hinaus im Laufe seines Aufsatzes im-
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mer wieder die Argumentation von Ländern, die behaupten, die Bewahrung und den Schutz von Objekten aus anderen Staaten besser gewährleisten zu können als die, aus denen die Objekte ursprünglich stammen (vgl. S. 853). So führt Merryman beispielsweise an, dass im Sinne des kulturellen Internationalismus ein Erwerb peruanischer Kulturgüter durch die Schweiz, Deutschland oder die USA zu begrüßen sei, weil damit eine Zerstörung dieser Kulturgüter, bedingt durch inadäquate Konservierung vonseiten der peruanischen Institutionen, verhindert werden könne (vgl. S. 846). Des Weiteren erwähnt er, dass die gesamte Menschheit ein unersetzbares Kulturgut verlieren würde, wenn der Smog in Athen den Marmor des als Elgin Marbles bekannten Parthenon-Frieses beschädigen würde (vgl. S. 837). Dies kann wohl als indirekte Befürwortung des Verbleibs der umstrittenen Objekte im British Museum gedeutet werden. Zu Beginn dieses Jahrtausends haben vor allem Wissenschaftler, die auch in der Sammlungs- und Ausstellungspraxis tätig sind, ebenso argumentiert. Beispielsweise haben James Cuno und Neil MacGregor einen kulturellen Internationalismus vertreten und gefordert, keinen modernen Staat und keine heutige Gesellschaft als direkten Nachfolger einer prähistorischen Gesellschaft zu betrachten.19 Sie haben sich also gegen die von Merryman beschriebene Dominanz des kulturellen Nationalismus im ErbeDiskurs der 1970er und 1980er Jahre gewandt. James Cuno schreibt beispielsweise in Who owns Antiquity? über archäologische Artefakte: Whomever they were made for, they were certainly not made for the modern nations now occupying the land of the ancient governing entities that ruled their makers […]. If their makers made them with thoughts of their lasting, they were made »forever« and not for a particular unknown and unknowable modern nation-state.20 Cuno ist deshalb überzeugt, dass archäologische Objekte nicht in die Kategorie von Nationaleigentum fallen sollten. Vielmehr sollten alle Staaten an ihrer Erhaltung und Teilung mitwirken, weil sie ein gemeinsames Erbe der Menschheit seien. Da es keine natürliche oder unauflösliche Verbindung zwischen antiken oder vorgeschichtlichen Reichen und modernen Staaten gebe und da es purer Zufall sei, dass Objekte innerhalb bestimmter Grenzen gefunden würden, sei der Streit um archäologische Objekte ein Streit über falsche Eigentumsansprüche.21 Dieselbe Position vertritt Kwame Anthony Appiah, wenn er argumentiert, dass eine vorgeschichtliche Kulturgruppe Artefakte nicht für einen heutigen Staat geschaffen und diesem bewusst hinterlassen haben könne, da sie sich den Staat, wie er heute existiere, nicht habe vorstellen können: »A great deal of what people wish to protect as ›cultural patrimony‹ was made before the modern system of nations came into being, by members of societies that no longer exist.«22
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Vgl. hierzu James Cuno, Who Owns Antiquity? Museums and the Battle over our ancient Heritage, Princeton: Princeton University Press, 2008 sowie den Sammelband James Cuno (Hg.), Whose Culture? The Promise of Museums and the Debate over Antiquities, Princeton: Princeton University Press, 2009. James Cuno, Who Owns Antiquity?, 2008, S. 124f. Vgl. ebd., S. 9 und S. 20. Vgl. Kwame A. Appiah, Whose Culture Is It?, 2009, S. 74.
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Eine solche Haltung, die nationale Eigentümerschaft an Kulturgütern ablehnt und der gesamten Menschheit als Erbin der Vergangenheit und ihrer Hinterlassenschaften einen Anspruch auf Kulturgüter einräumt, mag auf den ersten Blick uneigennützig und sympathisch erscheinen und die Argumentation von Cuno und Appiah ist auch überzeugend. Das Konzept der internationalen, ideellen Eigentumsansprüche an Kulturgüter kann kulturellen Austausch, Verständigung und Bildung fördern und den Schutz von als wertvoll erachteten Objekten des kulturellen Erbes mit der Betonung eines globalen Interesses unterstützen. Cuno erklärt dies auch als sein Ziel, beispielsweise im Vorwort zu Whose Culture?, wo er schreibt, dass er mit dem Werk das Verständnis für und die Wertschätzung von Gemeinsamkeiten verschiedener Kulturen stärken möchte. Er begründet diesen Anspruch mit dem hybriden Charakter einer jeden Kultur als Mischung aus diversen Einflüssen.23 Seine Position steht damit im Geist einer Welterbe-Idee, die auch die UNESCO vertritt und die typisch für die übergeordneten Bemühungen um internationale Zusammenarbeit zur Friedenswahrung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist.24 Aber so hehr und unterstützungswürdig diese Ziele des kulturellen Internationalismus auch sind, der kulturelle Internationalismus selbst ist nicht unproblematisch. Er kann nämlich auch ein Argument gegen Restitutionsforderungen liefern. So hat Neil MacGregor beispielsweise argumentiert, dass das British Museum als Treuhänder für die gesamte Menschheit wirke und Kulturgüter aus verschiedenen Orten und Epochen zum Wohl aller in seiner Sammlung aufbewahre und in seinen Ausstellungen zugänglich mache.25 Diese Haltung hat er insbesondere als Leiter des British Museums wiederholt im Zusammenhang mit Restitutionsforderungen vertreten, prominent vor allem im Streit um die sogenannten Elgin Marbles, und er war damit wahrlich nicht alleine. Im Jahr 2002 unterzeichneten die Direktionen von insgesamt 19 Museen weltweit, darunter die Staatlichen Museen zu Berlin und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München, die sogenannte Declaration on the Importance and Value of Universal Museums, die auf derselben Argumentation fußt. Die unterzeichnenden Institutionen sprachen sich darin für den Verbleib von Kulturgütern in Universalmuseen aus, sofern diese durch Ankauf, als Geschenk oder durch Partage-Vereinbarungen26 in die Sammlungen der Museen gelangt waren. Sie begründeten dies nicht nur mit der Fähigkeit solcher Museen, durch den direkten Vergleich von materieller Kultur aus verschiedenen Epochen, Gesellschaften und
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Vgl. James Cuno, Vorwort zu Whose Culture?, 2009, S. x. Die Idee, durch internationale Zusammenarbeit in Bereichen wie Politik, Recht, Wirtschaft u.v.m. kriegerischen Auseinandersetzungen vorzubeugen und sich dabei auf gemeinsame Werte und Interessen zu berufen, liegt natürlich auch Organisationen wie den Vereinten Nationen und der Europäischen Union zugrunde (vgl. beispielsweise zu den Vereinten Nationen: United Nations, Preambel of the Charter of the United Nations, online; United Nations, Charter of the United Nations. Chapter I, online). Vgl. Neil MacGregor, To Shape the Citizens of »That Great City, the World«, 2009, S. 43. Vereinbarungen zur Partage oder auch Fundteilung wurden im frühen 20. Jahrhundert häufig getroffen. Damit wurde geregelt, dass die Funde aus archäologischen Ausgrabungen zwischen dem Staat, in dessen Territorium die Ausgrabungen stattfanden, und dem Staat, der sie finanzierte und durchführte, geteilt wurden (vgl. James Cuno, Who owns Antiquity?, 2008, S. xxxiii).
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Winkeln der Welt neue Erkenntnisse gewinnen zu können, sondern vertraten die Auffassung, die Ausstellungen großer Universalmuseen hätten überhaupt erst bewirkt, dass die materielle Kultur vergangener Zivilisationen heute so viel Wertschätzung erfahre: The universal admiration for ancient civilizations would not be so deeply established today were it not for the influence exercised by the artifacts of these cultures, widely available to an international public in major museums.27 Das Argument, dass die Museen ehemaliger Kolonial- und wohlhabender Wirtschaftsstaaten die Bewahrung, Pflege und Vermittlung von Kulturgütern zum Wohl der gesamten Menschheit gewährleisteten und deshalb das kulturelle Erbe der Welt in ihrem Besitz am besten aufgehoben sei, sollte aber kritisch hinterfragt werden. Damit kann heutigen Staaten aufgrund ihrer wirtschaftlichen oder sozialen Lage der Anspruch auf Objekte abgesprochen werden, die in der Vergangenheit auf ihrem oder dem Gebiet von Vorläuferstaaten hergestellt und genutzt wurden, und es wird über die Argumentation hinweggegangen, die das Eigentum an kulturellem Erbe aufgrund einer kulturellen oder gar persönlichen Verbindung zur Vergangenheit rechtfertigt. Die Argumentationen, mit denen beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland ihren Eigentumsanspruch bezüglich Kulturgütern aus dem eigenen Territorium begründet, sollen also nicht für andere Staaten gelten? Letztlich wird so der Besitz von kulturellem Erbe von der Eigentumsfrage gelöst. Der Menschheit wird in dieser inkonsequenten Form des kulturellen Internationalismus zwar ein ideeller Anspruch an Kulturgütern als deren »Erbin« und »Eigentümerin« zugestanden, legitime Besitzerin soll jedoch die Partei sein, die für den Erhalt dieses Erbes angeblich am besten sorgen kann, unabhängig von ihrer Verbindung zu dem Objekt. Es muss wohl kaum erwähnt werden, dass weltweit sehr viele unterschiedliche Ansichten darüber bestehen dürften, welche Partei am besten für eine derartige Treuhänderschaft taugt und wie dieser Aufgabe am besten nachzukommen ist. Die Diskussion über den Verbleib von Kulturgütern in Universal- und ethnologischen Museen ist ebenso interessant und komplex wie aktuell. In den letzten Jahren hat insbesondere Bénédicte Savoy im Streit um das Berliner Humboldt-Forum die Debatte um Kulturgüter aus kolonialistischem Kontext vorangetrieben.28 Welche Rolle spielt dieses Streitthema jedoch für den Gegenstand dieser Arbeit? Es bildet auf internationaler Ebene das ab, was in Deutschland ähnlich – wenn auch nicht in einem so brisanten Kontext wie dem der Kolonialgeschichte – auch auf nationaler Ebene diskutiert werden könnte, nämlich die Frage danach, wer seine Ansprüche auf Kulturgüter rechtfertigen kann und in wessen Eigentum sie daher stehen sollten. Es wurde nun schon hinreichend erörtert, wie die Rechtslage in den Denkmalschutzgesetzen hierzu aussieht: Mobile und immobile Kulturdenkmäler stehen im Eigentum des Bundeslandes, in dem sie aufgefunden wurden beziehungsweise in dem sie sich befinden. Jedoch ist gerade mit Blick auf archäologische Objekte durch die Denkmalschutzgesetze nicht detailliert geregelt, welcher öffentlichen Institution innerhalb des Landes sie zugeteilt werden sollten. Dies
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Vgl. o. A., Declaration on the Importance and Value of Universal Museums, ICOM News, Vol. 57, No. 1, 2004, online, S. 4. Vgl. z.B. Bénédicte Savoy, Die Provenienz der Kultur, 2018; Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, Zurückgeben, 2019; Savoy mit Robert Skwirblies und Isabelle Dolezalek (Hg.), Beute, 2021.
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könnte zu Streitfällen zwischen Kommunen und dem Land beziehungsweise zwischen kleineren Stadt- oder Heimatmuseen auf der einen Seite und größeren Landesmuseen auf der anderen Seite führen. Schon in den 1950er Jahren wurde ein solcher Fall prominent, nämlich als sich das Heimatmuseum Verden und das Landesmuseum Hannover gerichtlich um die sogenannte Lanze von Lehringen stritten.29 Ähnliche Konflikte wären auch heute denkbar – nicht nur zwischen den verschiedenen politischen Ebenen in der Bundesrepublik, also gewissermaßen vertikal zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund, sondern auch horizontal zwischen politischen Einheiten auf derselben Ebene, zum Beispiel, wenn ein Bundesland wie das Saarland von Rheinland-Pfalz die Herausgabe archäologischer Objekte fordern würde, die historisch bedingt in den Museen in Trier und Speyer aufbewahrt werden. Zwar sind solche Forderungen nicht üblich, aber sie könnten unter Berufung auf die kollektive Identität des Landes und seiner Bevölkerung als Nachfolger prähistorischer Gesellschaften in diesem Territorium begründet werden – genauso wie Eigentumsansprüche an Kulturgütern auch in anderen Fällen begründet werden. Darüber hinaus könnte, angelehnt an die Idee des kulturellen Internationalismus, auch die Auffassung vertreten werden, dass nicht nur die Bevölkerung eines Bundeslandes ein Interesse an der Erhaltung der auf dessen Territorium befindlichen archäologischen Objekte hat und deshalb das Land nur für diese stellvertretend Eigentümer der Objekte sein sollte, sondern dass zumindest alle Menschen in Deutschland – oder sogar alle Menschen weltweit – einen ideellen Anspruch auf die Erhaltung und Veröffentlichung der Objekte haben. Archäologische Museen und insbesondere Archäologische Landesmuseen können also sowohl als exklusive Eigentümer als auch als Treuhänder ihrer Sammlungsstücke aufgefasst werden. Archäologische Landesmuseen stehen zwar in der Tradition eines kulturellen Nationalismus, wie nun schon mehrfach mit Blick auf ihre Entstehung, ihre Entwicklung und ihre Sammlungsbestände erörtert wurde. Auch heute noch werden ihnen die archäologisch erfassbaren Relikte der Vergangenheit zugesprochen, die in einem zuvor definierten und ihnen zugewiesenen Gebiet entdeckt werden – also im Gebiet eines Bundeslandes oder eines Teils eines Bundeslandes. Es ist aber auch möglich, der gesamten Menschheit einen ideellen Eigentumsanspruch an diesen Relikten zuzugestehen und Archäologische Landesmuseen lediglich als auf eine bestimmte Region spezialisierte Treuhänder für einen Teil des kulturellen Welterbes zu betrachten. Das heißt, um das Beispiel der Himmelsscheibe von Nebra zu bemühen: Es kann durchaus argumentiert werden, dass die Himmelsscheibe ein Kulturgut von derart hohem Rang und so großer Bedeutung ist, dass ihr Erhalt im Interesse der gesamten Menschheit liegt. Sie kann also als ideelles Eigentum und kulturelles Erbe der Menschheit insgesamt betrachtet werden und wurde deshalb auch in das sogenannte Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen. Dadurch kommt dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale die Rolle eines Treuhänders zu, der die Himmelsscheibe von Nebra im ideellen Auftrag der Weltbevölkerung aufbewahrt und zugänglich macht. Im Sinne eines kulturellen Internationalismus könnte man nun aber 29
Siehe hierzu den Aufsatz von Björn Emigholz, Objekt und Ikone. Der Streit um die Lehringer Lanze, 2002, S. 57–68.
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noch einen Schritt weitergehen und darüber diskutieren, ob der Aufbewahrungsort eines Objekts von solch hohem Rang nicht eher eine Weltmetropole oder zumindest die deutsche Hauptstadt sein sollte. Die Scheibe wurde der sachsen-anhaltinischen Sammlung allerdings nicht willkürlich zugesprochen, sondern weil bereits zum Zeitpunkt ihrer illegalen Entdeckung im Jahr 1999 das Denkmalschutzgesetz des Landes per Schatzregal dem Bundesland das Eigentum an archäologischen Fundstücken von herausragendem wissenschaftlichen Wert zugewiesen hat. Die Himmelsscheibe war also schon im Augenblick ihrer Entdeckung juristisches Eigentum des Landes Sachsen-Anhalt. Das Bundesland hat sich selbst gewissermaßen vorsorglich als Erbe archäologischer Fundstücke wie der Himmelsscheibe eingesetzt. Dies ist selbstverständlich durch ein demokratisch und rechtsstaatlich zustande gekommenes Gesetz geschehen und diese Regelung soll hier auch nicht beanstandet werden. Aber an diesem Beispiel wird deutlich, dass unterschiedliche Interessen an archäologischen Objekten auf unterschiedlichen politischen Ebenen durchaus auch in Spannungsverhältnissen zueinander stehen können. Es wurde in Kapitel I.3 bereits aus Denkmalschutzgesetzen und kulturpolitischen Veröffentlichungen herausgearbeitet und auch in diesem Teilkapitel noch einmal erwähnt, dass ein solches Vorgehen vonseiten der Kulturpolitik unter anderem damit begründet wird, dass zwischen der heutigen Gesellschaft, die in einem bestimmten Territorium lebt, und allen in diesem Territorium seit Beginn der Menschheitsgeschichte lebenden Gesellschaften eine kulturelle oder sogar eine ethnische Verbindung und Kontinuität bestehe, aufgrund derer die kulturellen Produkte dieser Gesellschaften die Erbmasse der heutigen Gesellschaft darstellten. Indem also Bundesländer ihre kulturelle Identität auf ur- und frühgeschichtliche Gesellschaften zurückführen, stellen sie sich als legitime Rechtsnachfolger dieser Gesellschaften dar und begründen so ihren Eigentumsanspruch an Objekten des sogenannten kulturellen Erbes. Inwiefern die Behauptung einer Rechtnachfolgerschaft in solchen Fällen tatsächlich legitim ist, lässt sich aber aus mehreren Gründen zumindest diskutieren. Unter anderem muss dabei bedacht werden, dass sich eine kulturelle oder gar ethnische Kontinuität zwischen den Einwohner:innen eines wie auch immer definierten Territoriums für derart große Zeitspannen von mehreren hundert oder gar tausend Jahren kaum belegen lässt. Davon abgesehen kann natürlich keine absichtsvolle Übertragung des kulturellen Erbes vonseiten derer, die es ursprünglich produziert haben, auf die Bundesländer stattgefunden haben. Des Weiteren stammen viele archäologische Fundobjekte aus Kontexten, die deutlich darauf hinweisen, dass für diese Objekte der Status als Eigentum eines lebenden Menschen nicht mehr beziehungsweise nie wieder vorgesehen war. Das betrifft beispielsweise Grabbeigaben, deren Existenz per se darauf hindeutet, dass die Menschen, die die Bestattung angelegt haben, ein Jenseitskonzept hatten, in welches sie die Objekte übertragen wollten. Aber auch Deponierungen, die nicht als Händlerhorte oder Verstecke, sondern als Weiheorte gedeutet werden, enthalten Objekte, die – sofern ihre Interpretation als Weihegaben zutrifft – endgültig als aus den Eigentumsverhältnissen der Menschen ausgeschieden zu betrachten sind, da sie höheren Mächten oder nichtmenschlichen Wesen gewidmet wurden. Aus ethischer Sicht wäre diesbezüglich zu reflektieren, inwiefern es gerechtfertigt ist, solche Objekte wieder zum juristischen
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Eigentum von Menschen oder Staaten zu machen. Eine solche Debatte sollte außerdem um den Umgang mit den sterblichen Überresten von Menschen in der archäologischen Forschung und insbesondere im Ausstellungswesen erweitert werden, denn solche gelten derzeit ebenso wie Artefakte als Kulturgüter und damit juristisch als Sachen, die entsprechend behandelt, gelagert und öffentlich präsentiert werden können. An das kulturelle Erbe, als das archäologische Objekte anerkannt werden, können also aufgrund des ungeregelten Übertragungsprozesses seitens unterschiedlicher Akteur:innen »Eigentumsansprüche« im Sinne von gesellschaftlichen Interessen gestellt werden, wobei diese jedoch immer mit einer vorgeblichen kulturellen Identität begründet werden, die auf einer kulturellen, genealogischen oder territorialen Verbindung zwischen den Produzent:innen der Objekte und den sie als ihr Erbe deklarierenden Akteur:innen beruhen soll. Auch wenn die Eigentumsverhältnisse an kulturellem Erbe juristisch klar geregelt sind, überlagern sich daran dennoch Vorstellungen unterschiedlicher Kollektiv-Identitäten, so zum Beispiel die der Bevölkerung eines Bundeslandes und die der Bewohner:innen eines Staates. Etwas überspitzt gefragt: Ist nun das Grabinventar der sogenannten Fürstin von Reinheim, das im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes ausgestellt wird und an der deutsch-französischen Grenze gefunden wurde, Ausdruck einer Identität der Bevölkerung der Gemeinde Reinheim, der Region Bliesgau, des Saarlandes, Deutschlands, Europas oder der Weltbevölkerung? Wessen Ansprüche haben hier Vorrang, wessen kulturelle Identität wiegt gewissermaßen schwerer – vor allem angesichts der Tatsache, dass die juristischen Personen, also die Gemeinde, das Land, der Bund und die EU, politische Konstrukte der Moderne sind, die wenig bis gar nichts mit den politischen und sozialen Verhältnissen zu Lebzeiten der sogenannten Fürstin vor rund 2400 Jahren zu tun haben? Es wurde nun dargelegt, dass nicht nur lokale oder nationale Gruppen Anspruch auf kulturelles Erbe erheben, sondern auch der gesamten Menschheit mitunter ein Anspruch darauf zugestanden wird. Vor allem der in der Haager Konvention beschlossene Kulturgutschutz und das Welterbe-Programm der UNESCO fußen auf der Annahme, dass ein globales Interesse an der Erhaltung und Erforschung von Kulturgütern bestehe, und betonen daher die Vorstellung eines »aus der Vergangenheit stammenden Schatzes«, den es für kommende Generationen aufgrund einer globalen Verpflichtung aufzubewahren gelte. Doch gerade bei einem solchen globalen Konzept von kulturellem Erbe sind die Fragen nach den Eigentums- und Besitzansprüchen problematisch.30 Stefan Willer hat daher darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff des Kulturerbes in vielen Diskursen sowie auch im Konzept des Weltkulturerbes »unterbestimmt« sei. Indem der globale Stellenwert lokaler Überlieferung einfach vorausgesetzt werde, werde eine »eingehendere […] historische Problematisierung der Verfahren, mit denen der Wert des kulturellen Erbes« festgelegt wird, vermieden.31 Der Status eines Kulturguts oder Kulturerbes ist kein genuines Charakteristikum von Objekten, sondern wird ihnen zugeschrieben und kann dabei sehr variabel ausgelegt werden. Diese Zuschreibungsverfahren beziehungsweise die Prozesse der Konstruktion, der Be- und der Verwertung von kultu-
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Vgl. Stefan Willer, Kulturelles Erbe, 2013, S. 160. Vgl. Stefan Willer, Erbfälle, 2014, S. 327.
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rellem Erbe, vor allem durch die archäologische Forschung, sollen deshalb im Folgenden einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
II.3.2 Bewerten, Erhalten und Aneignen Die Rechtfertigung von Eigentums- und Besitzansprüchen ist im Fall von materiellem kulturellem Erbe nicht nur mit Blick auf die Klärung der rechtlichen Nachfolge schwierig. Auch das Konzept des Erbes selbst hat ein Legitimationsproblem. Da weder natürliche noch juristische Personen eine Leistung erbringen müssen, um ein Erbe zu erhalten, kann ihre Eigentümerschaft am Erbe als ungerechtfertigt wahrgenommen werden. Schließlich ist ein Erbe weder vom Erbenden produziert noch durch Kauf oder Tausch erworben worden. Die Lösung dieses Problems sieht Stefan Willer in einer Theorie John Lockes, der »den Ursprung des Eigentums in der Aneignung« sah. Aneignung sei hier jedoch nicht einfach im Sinne einer Inbesitznahme, sondern vor allem im Sinne einer Bearbeitung des Erbes sowie einer Arbeit mit dem Erbe zu verstehen.32 Dieses Konzept hat sich auch in der deutschen Gesetzgebung niedergeschlagen. Danach wird die Person, die ein Objekt derart bearbeitet, dass etwas Neues daraus entsteht, zur Eigentümerin der neu entstandenen, hergestellten Sache.33 Zum Beispiel geht, wenn eine Person ein Stück Holz zu einer Figur schnitzt, die Figur in ihr Eigentum über, auch wenn es das Stück Holz vorher nicht war. Analog ließe sich sagen: Wenn etwas Ererbtes genutzt wird, um etwas Neues zu schaffen, beziehungsweise durch Bearbeitung verändert und damit angeeignet wird, dann könnte das Eigentum an dem ererbten Ding nicht nur mit dem Erbvorgang, sondern zusätzlich auch mit der Aneignung des Dings durch Bearbeitung begründet werden. »So ergäbe sich die doppelte Legitimität eines ererbt-erworbenen Besitzes, die nicht mehr anzuzweifeln wäre«.34 Die pure Inbesitznahme eines Objekts in Form von Vererbung und Bewahrung reicht nicht immer aus, damit das Eigentum einer natürlichen oder einer juristischen Person an dem Objekt von allen, die daran ein Interesse haben, als gerechtfertigt wahrgenommen wird. Selbst wenn die Eigentumsverhältnisse gesetzlich klar geregelt sind, kann eine solche Regelung als ungerecht empfunden und angefochten werden. Um das Eigentumsverhältnis an einem Erbe nicht nur durch eine juristische Regelung zu begründen, sondern es auch mit einem ideellen Argument zu stützen, kann eine Aneignung des Erbes im Sinne einer Bearbeitung und Nutzung stattfinden. Der oder die Eigentümer:in beeinflusst das Objekt damit so, dass sein oder ihr
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Vgl. ebd., S. 59, Hervorhebung i. O. Der Wert der neu entstandenen Sache darf allerdings nicht geringer sein als der Wert des Stoffes, aus dem sie hergestellt wurde. Siehe hierzu § 950 BGB: »(1) ¹Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes. ²Als Verarbeitung gilt auch das Schreiben, Zeichnen, Malen, Drucken, Gravieren oder eine ähnliche Bearbeitung der Oberfläche. (2) Mit dem Erwerb des Eigentums an der neuen Sache erlöschen die an dem Stoffe bestehenden Rechte.« Vgl. Stefan Willer, Erbfälle, 2014, S. 54f.
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Einfluss und das Objekt gewissermaßen verschmelzen und eine Verbindung zwischen Eigentümer:in und Objekt geschaffen wird. Im Fall von archäologischen Artefakten, auf denen als Teil des kulturellen Erbes der Fokus dieser Dissertation liegt, lässt sich tatsächlich die Aneignung des Geerbten im doppelten Sinne beobachten. Einerseits stellt die Erklärung eines archäologischen Objekts zum legitimen Erbstück eines Landes einen Akt der Aneignung dar, denn sie ändert den Status des Objekts vom Überrest oder Abfall zum Kulturgut. Andererseits stellt die Nutzung des Objekts, beispielsweise seine Präsentation als Ausdruck einer kollektiven Identität im Rahmen von Ausstellungen oder Publikationen, einen Prozess der Aneignung dar, bei dem das Objekt erneut verändert wird. Nicht nur wird seine Materialität konservatorisch behandelt und gegebenenfalls sogar restauriert und ergänzt. Das Objekt wird auch erneut in seinem Status verändert – vom Fundstück oder Kulturgut in der Sammlung zum Exponat in der Ausstellung. Außerdem wird seine Funktion geändert – vom Gebrauchsgegenstand, der es ursprünglich war, zum Forschungs- und letztlich zum Anschauungsobjekt. Seine Präsentation und Vermittlung bewirkt, dass das Objekt von Angehörigen einer sozialen Gruppe als ihr Eigentum wahrgenommen wird und diese deshalb den von der Gruppe erhobenen Anspruch auf das Objekt unterstützen. Die Vergangenheit des Objekts wird dann also, wie Bernhard Giesen erklärt hat, als deckungsgleich mit der eigenen Vergangenheit, im Unterschied zur Vergangenheit anderer Personen oder Gruppen, aufgefasst.35 Archäologische Museen erhalten Objekte übrigens auch im doppelten Sinn. Mit der Aufnahme eines Fundes in eine Museumssammlung erhält ein Museum kulturelles Erbe im Sinne des Erwerbs. Indem ein Museum seine Sammlungsstücke schützt, konserviert, pflegt und damit für zukünftige Generationen überliefert, erhält es Erbe außerdem im Sinne des Aufbewahrens. Das Erhalten und Aneignen von Objekten sind Operationen der Musealisierung, die miteinander einhergehen und Objekten einen neuen Status und neue Bedeutung als kulturelles Erbe verleihen. Des Weiteren machen sie Museumsobjekte zum Gegenstand von forschenden, vermittelnden und ökonomischen Aktivitäten, wobei Zerfall oder Abnutzung der Objekte jedoch möglichst vermieden werden sollen. Ihre Nutzung unterliegt deshalb vor allem im Fall von archäologischen Objekten konservatorischen Beschränkungen. Im Museum zeigt sich dies beispielsweise daran, dass das Fotografieren mit Blitz verboten wird, besonders lichtempfindliche Materialien nur mit geringer Beleuchtung ausgestellt werden, der Transport von fragilen Objekten zum Beispiel im Rahmen von Leihverkehr vermieden wird, Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit kontrolliert werden und vor allem natürlich mit Vitrinen und Absperrungen ausgeschlossen wird, dass Besucher:innen die Objekte berühren. Den Objekten wird also im Zuge der Erhaltung und Aneignung ihre ursprüngliche Gebrauchsfunktion entzogen und es werden ihnen neue Bedeutungen und neue Funktionen als Sammlungs- und Ausstellungsstücke gegeben. Ulrike Vedder hat das als die Dialektik der Musealisierung
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Vgl. Bernhard Giesen, Kollektive Identität, 1999, S. 43. Parker B. Potter Jr. argumentiert des Weiteren, dass die Nutzung von archäologischen Artefakten durch Museen ein Akt kultureller Aneignung ist, weil sie fast immer eine gänzlich andere ist als die ursprünglich bei der Herstellung der Objekte intendierte (vgl. Parker B. Potter Jr., Appropriating the visitor by addressing the second person, 1994, S. 103f.).
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
beschrieben: Das Einbringen von Objekten in ein Museum erscheint zunächst als Rettung des Vergangenen. Die Objekte, die schlichte Alltagsbanalitäten sein können, werden durch die Musealisierung mit Bedeutung aufgeladen und auratisiert. Damit geht allerdings gleichzeitig auch ein Bedeutungsverlust einher, denn die Objekte sind von nun an nicht mehr für die Alltagsrealität nutzbar.36 Weil Objekte im Museum nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck gemäß benutzt werden, steht die Musealisierung in dem Ruf, lebendige Kultur zu hemmen. Adrienne Kaeppler beispielsweise hat am Beispiel der Musealisierung von Kultur auf pazifischen Inseln die Ansicht vertreten, dass das Ausstellen und Konservieren von rituellen Objekten im Museum dazu führe, dass Traditionen und Riten zum Erliegen kämen.37 Und auch Henri-Pierre Jeudy kritisiert die Musealisierung und die damit einhergehende Erstarrung des kulturellen Erbes. Er befürchtet eine umfassende Musealisierung in allen Bereichen des menschlichen Lebens, die »die radikale und umfassende Vergegenständlichung der lebendigen Kulturformen« voraussetze und das Ende der lebendigen Mythen bedeute.38 Der Musealisierungsprozess stoße auf kein Hindernis und scheine »das unausweichliche Schicksal aller Gesellschaften« zu sein. Jeudy argumentiert, dass die Idee des Erbes durch die Musealisierung ihrer Grundlage beraubt werde, denn die musealisierten Objekte würden in Zukunft nicht mehr als etwas aus der Vergangenheit Überkommenes, Erworbenes angesehen, sondern als etwas stets Gegenwärtiges und auf die Zukunft Ausgerichtetes betrachtet. »Die überkommenen Dinge werden gegenwärtige Objekte im Hier und Jetzt, so als könnte alles und jedes unbegrenzt ›Erbe‹ sein.« Dadurch würde unsere Zukunft vorherbestimmt und wir würden genötigt, im Futur II, also in der vollendeten Zukunft zu leben.39 Diese kulturpessimistische Perspektive Jeudys und die Warnung Kaepplers vor der Musealisierung lebendiger Kultur verweisen auf die Diskussion um die Konservierung von materiellem und insbesondere von immateriellem Kulturerbe. Eine Reglementierung, die dem vermeintlichen Schutz von Traditionen dient, kann Wandel und Anpassung hemmen, wie beispielsweise in dem von Markus Tauschek untersuchten Fall des Karnevals von Binche, wo nach der Ernennung zum »Masterpiece of the Oral and Intangible Heritage of Humanity« diskutiert wurde, ob auch Einwohner der Stadt mit einer anderen als der belgischen Staatsbürgerschaft am Karneval mitwirken dürfen sollen. Obwohl die Regeln des Karnevals die belgische Staatsbürgerschaft vorschrieben, ließen einzelne Sociétés bereits seit Jahren auch Mitbürger anderer Nationalitäten teilnehmen. Während einige Karnevalisten für die Streichung des entsprechenden Paragraphen in den Statuten und damit für eine Öffnung des Karnevals plädierten, beharrten andere darauf, dass die Regeln gerade jetzt, wo man den begehrten UNESCO-Titel habe, streng eingehalten werden müssten und der Karneval gegen äußere Einflüsse geschützt werden müsse.40 Der besondere Status des Karnevals als »Welterbe« verhinderte die Anpassung dieses immateriellen Kulturerbes.
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Vgl. Ulrike Vedder, Museum/Ausstellung, 2005, S. 149f. Vgl. Adrienne L. Kaeppler, Paradise Regained, 1994, S. 42. Vgl. Henri-Pierre Jeudy, Die Welt als Museum, 1987, S. 7–10, Zitat S. 7. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. Markus Tauschek, Wertschöpfung aus Tradition, 2010, S. 304.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Mit Blick auf das Wissen und die Objekte der Ur- und Frühgeschichte ist Musealisierung jedoch etwas weniger problematisch, da sie an einem Punkt ansetzt, an dem das Material bereits nicht mehr gemäß seiner ursprünglichen Funktion genutzt wird. Die Musealisierung von Objekten der Gegenwart mag dazu führen, dass die Objekte nicht mehr als aus der Vergangenheit überliefertes Erbe wahrgenommen werden, doch das trifft nicht auf archäologische Objekte zu, die während einer langen Phase vergessen und verborgen waren und dann durch Zufall oder gezielte Forschung wiederentdeckt wurden. Den archäologischen Objekten wird ihre Gebrauchsfunktion meist nicht erst durch die Musealisierung genommen, sondern sie haben sie bereits im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende durch Zerfall und Zerstörung verloren. Die Mehrheit der ur- und frühgeschichtlichen Artefakte geht bereits fragmentiert und zum Teil zersetzt in Sammlungen ein und kann ohnehin nicht mehr im Sinne ihrer ursprünglichen Funktion benutzt werden. Vielmehr muss in vielen Fällen erst erforscht werden, was die ursprüngliche Funktion eines Fundstücks war. Gelingt dies, kann Wissen über Techniken oder rituelle Handlungen sogar wiedererlangt werden. Das so anhand der Objekte und natürlich auch im Zuge weiterer Forschung durch die Archäologie erlangte Wissen über die Welt zur Gebrauchszeit der Objekte, über Techniken, Praktiken, chronologische Abläufe, Glaubensvorstellungen und vieles mehr, ist neben den Objekten selbst Teil des kulturellen Erbes, das im Museum generiert, aufbewahrt, ausgestellt und weitergegeben wird. Auf dieses Wissen können sich dann Vorstellungen von kultureller Identität stützen. Archäologische Objekte werden so im Laufe der Musealisierung und durch die verschiedenen Formen der Nutzung und Aneignung aufgewertet, ihre ursprüngliche Bedeutung kann wieder erschlossen werden und darüber hinaus kommen ihnen noch neue Bedeutungen zu, beispielsweise eine Bedeutung als Zeugnisse der Vergangenheit oder auch eine Bedeutung als Symbole eines Sachverhalts beziehungsweise einer gesellschaftspolitischen Angelegenheit, etwa wenn Exponate im Rahmen von Ausstellungen in den Kontext eines aktuellen Themas wie zum Beispiel der Migration gesetzt werden. Mit den Analysen im dritten Teil dieser Arbeit soll untersucht werden, wie vor allem die Nutzung und Aneignung archäologischen Kulturerbes in konkreten Fällen von Ausstellungen erfolgt. Im Folgenden gilt es zunächst noch zu analysieren, wie durch kulturelle Praktiken der Auswahl und Bewertung archäologische Objekte zu kulturellem Erbe gemacht werden. Willer, Weigel und Jussen haben aufgezeigt, dass die Tradierung von Kulturgütern in der Moderne »zum kulturellen Politikum: zum institutionalisierten Umgang mit ererbten Kulturbeständen und -gehalten, zu einer identitätsstiftenden und -stabilisierenden Politik für die Gemeinschaft« geworden ist. Die politische Gedächtniskultur erhebe unterschiedlichste Formen der kulturellen Produktion, wie beispielsweise Texte, Gebäude oder Feste, in den Status von Denkmälern und mache sie somit zu Monumenten der Nation, zu fundamentalen Teilen des nationalen Gedächtnisses.41 Willer legt in diesem Zusammenhang auch dar, dass der »künftigen kulturellen Weltgesellschaft […] ihr Status als Erbengemeinschaft vorgeschrieben« wird, noch bevor sie überhaupt geboren ist. Dies geschieht durch die Errichtung posthistorischer Schutzräume, wie beispielsweise 41
Vgl. Stefan Willer, Sigrid Weigel und Bernhard Jussen, Erbe, Erbschaft, Vererbung, 2013, S. 25.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Museen, in denen das Kulturerbe in dem Zustand erhalten wird, in dem es sich befand, als die Maßnahmen des Denkmalschutzes einsetzten. Jede Veränderung des Zustands des Kulturerbes bedeutet im Grunde ein »Vergehen gegen den Denkmalschutz« und es wird somit quasi testamentarisch verfügt, den Status quo unter allen Umständen und dauerhaft zu erhalten. Es wird also nicht nur prognostiziert, wie kommende Generationen den Bestand an Kulturgütern rezipieren werden, sondern ihr Verhalten wird festgelegt, das heißt, es werden konkrete und verbindliche Handlungsanweisungen für den Umgang mit übertragenen kulturellen Werten bestimmt.42 Doch nimmt auch jede Generation alles an, was ihr als kulturelles Erbe übertragen wurde? Anne Eriksen hat die Auffassung vertreten, dass nicht die Vererbenden das Erbe bestimmen, sondern die Erbenden. Nur die Objekte würden als Erbe weitergegeben, für die sich die Erben interessierten, die sie also wertschätzten und erhalten wollten. Alles andere werde dem Vergessen und dem Verfall überlassen.43 Eriksen lässt also die Möglichkeit offen, dass jede zukünftige Generation das Erbe neu bewertet und nur das erhält, was sie für erhaltenswürdig befindet. Das würde bedeuten, dass längst nicht alle Objekte der Vergangenheit und Gegenwart für immer aufbewahrt und zukünftigen Generationen als Erbe verpflichtend auferlegt werden. Vielmehr würde jede Generation eine neue Auswahl treffen. Sie würde das Erbe der vorangegangenen Generation also nicht zwangsweise annehmen, sondern nur die Teile daraus, die sie entsprechend wertschätzt. Das heißt, was einmal aufbewahrt wurde, muss nicht zwingend immer weitervererbt werden und erhalten bleiben. Ich werde im Laufe dieses Teilkapitels darauf zurückkommen und darauf eingehen, wie sich Archäologische Landesmuseen als Erbende und Vererbende verhalten. Der Archäologe John Carman hat sich in seiner Monografie Archaeology and Heritage mit dem speziellen Verhältnis der Archäologie zum kulturellen Erbe auseinandergesetzt und schreibt dort, dass bürokratische Prozeduren und standardisierte Methoden der Wertzuschreibung wie beispielsweise das Unterschutzstellen von archäologischen Objekten und ihre Einordnung in Epochen- und Stilkategorien schnell über den dynamischen und relativen Charakter der Bedeutung eines Objekts hinwegtäuschen können.44 Der Status des kulturellen Erbes ist kein allgemeingültiger und den Objekten inhärenter, sondern ein von Menschen eingeführter und von diesen abhängiger. Carman hat dies prägnant formuliert: »To be ›heritage‹ it needs to be noticed as such. What we think of as the heritage largely depends upon the kind of people we are and the circumstances under which we work.«45 Einem Objekt wohnt also nicht einfach eine bestimmte, stabile Bedeutung inne, sondern sie wird ihm zugeschrieben und sie ist aufgrund der Veränderlichkeit von Gesellschaften dynamisch und relativ. In diesem Zusammenhang soll noch einmal an die Denkstil-Theorie von Ludwik Fleck erinnert werden. Fleck hat dargelegt, dass Individuen und Kollektive in ihrer Wahrnehmung von ihren jeweiligen Gruppengedächtnissen und Denkstilen geprägt sind. Das heißt, vermeintliche wissenschaftliche
42 43 44 45
Vgl. Stefan Willer, Kulturelles Erbe, 2013, S. 201. Vgl. Anne Eriksen, From Antiquities to Heritage, 2014, S. 164. Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 187. Ebd., S. 12.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Tatsachen wie beispielsweise die Gebrauchsfunktion eines Artefakts haben nur innerhalb eines momentanen Denkstils Bestand und können sich mit jeder Denkstilumwandlung, die beispielsweise durch eine empirische Entdeckung ausgelöst werden kann, verändern.46 Somit hängt auch die Deutung und Bewertung von Objekten und Sachverhalten von einem jeweiligen Denkstil ab und verändert sich, wenn sich dieser Denkstil ändert. Der Umstand, dass die Bewertung von Kulturgütern und -stätten nach jeweils zeitgenössischen Kriterien stattfindet, birgt aber ein Problem für die kulturelle Überlieferung: Zukünftig auftretende Interessen können nicht vorhergesehen werden und Objekte, die heute nicht als wertvoll erachtet werden, werden möglicherweise nicht aufbewahrt. Sie stehen dann in Zukunft nicht für eine Neubewertung zur Verfügung. John Carman plädiert deshalb dafür, die Bedeutung von Artefakten an wissenschaftlichen Fragestellungen zu bemessen und zugeschriebenen Werten ihren vorläufigen und wandelbaren Charakter zuzugestehen.47 Anstatt Kulturgütern Werte zu attestieren, die als absolut und unumstößlich gelten, sollte ihre Bewertung also immer wieder neu erfolgen und der provisorische Charakter jeder Bewertung sollte stets bedacht werden. Was in der Theorie unterstützenswert klingt, bedeutet in der Konsequenz jedoch, dass in der Praxis des Kulturerbebetriebs alle Artefakte der Vergangenheit und Gegenwart aufbewahrt werden müssen, um zur Verfügung zu stehen, falls zukünftige Generationen sie als wertvoll erachten. Schließlich können zukünftige wissenschaftliche Fragestellungen nicht vorhergesehen werden. Der Landesarchäologe von Baden-Württemberg, Dirk Krausse, hat die Probleme, die mit einer allumfassenden Aufbewahrung von Artefakten einhergehen können, am Beispiel der Landesarchäologie augenscheinlich gemacht. Da die ur- und frühgeschichtliche Archäologie nicht auf Schriftquellen, Filme oder Fotos als Quellen der von ihr untersuchten Vergangenheit zurückgreifen kann, sammelt und bewahrt sie selbst unscheinbare und vermeintlich banale Stücke der materiellen Kultur als wertvolle historische Zeugnisse. Das heißt aber nicht, dass in der archäologischen Feldarbeit wirklich alles als Fund oder Befund aufgenommen wird oder werden kann, wie bereits im Teilkapitel II.2.2 dargelegt wurde. Krausse nennt drei Selektionstendenzen der archäologischen Arbeit, die archäologische Sammlungen geprägt haben beziehungsweise immer noch und weiterhin prägen: Erstens stünden die Chancen, dass ein Fund dokumentiert, geborgen und archiviert wird, besser, je älter und seltener er sei. Zweitens seien bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts bevorzugt solche Funde erforscht worden, die intentional niedergelegt worden waren, um sie selbst oder mit ihnen verknüpftes Wissen oder verbundene Vorstellungen zu bewahren, beispielsweise Objekte in Gräbern oder Horten. Erst dann seien funktionale Überreste wie Siedlungsbefunde und -abfall in den Fokus der Wissenschaftler:innen gerückt. Diese waren zwar nicht absichtlich als materielle Zeugnisse niedergelegt worden, aber es wurde erkannt, dass sie natürlich nichtsdestoweniger ebensolche materiellen Zeugnisse sind. Drittens ist Krausse zufolge auch der Kontext eines Fundstücks für seine Bewertung von großer Bedeutung:48 46 47 48
Vgl. hierzu Teilkapitel II.1.1, S. 119. Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 156–158. Vgl. Dirk Krausse, Alles was im Boden steckt, 2010, S. 57f.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Funde, deren Herkunft und deren ursprünglicher Befundkontext nicht oder unzureichend dokumentiert sind, sind nach den Wertemaßstäben der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie bzw. der archäologischen Denkmalpflege minderwertig.49 Das habe aber nicht nur zur Folge, dass bevorzugt kontextualisierte Funde aufbewahrt würden, sondern auch, dass intensive Forschung betrieben werde, um den Kontext von Fundstücken nachträglich zu erschließen. Inzwischen sei es aber trotz aller Selektionstendenzen gängig, auch alltägliche Überreste der Vergangenheit bei Ausgrabungen aufzusammeln und zu bewahren. Das bringe gemeinsam mit der stark gestiegenen Zahl der Ausgrabungsprojekte die Arbeit der Denkmalpflege in Verzug. Restaurierung, Archivierung, Auswertung und Publikation könnten mit der Masse und Geschwindigkeit des anfallenden Materials nicht mehr mithalten. Es mangele nicht nur an Platz, sondern auch an Personal und Geld. Krausse gelangt daher zu der Überzeugung, dass Funde in situ, also im Erdboden, wo sie schon Jahrhunderte oder Jahrtausende überdauert haben, im Zweifel besser aufgehoben seien als in unrestauriertem Zustand in einem Depot, wo sie möglicherweise schneller zerfielen.50 Trotz dieser provokanten Aussage und seines Bewusstseins für die limitierten Aufbewahrungs- und Forschungskapazitäten der Länder tritt Krausse letztlich aber doch dafür ein, dass – wenn denn schon ausgegraben wird – jegliches Fundgut möglichst umfassend aufbewahrt wird, denn »Selektion während oder nach der Ausgrabung läuft Gefahr, sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu orientieren und damit kurzsichtig wertvolle historische Quellen zu vernichten«.51 Krausses provokante These einerseits und seine Forderung nach einer möglichsten umfassenden Aufbewahrung von Funden andererseits zeigen beispielhaft, wie komplex und fast schon paradox die Entscheidung über die Auswahl von Objekten für das kulturelle Erbe in der Bodendenkmalpflege ist. Die Wissenschaft will zwar jegliches aus der Vergangenheit erhaltene kulturelle Erbe annehmen und für kommende Generationen aufbewahren – und durch die Einrichtung von Sammlungen, Archiven und Museen manifestiert sie die Verpflichtung zur Erhaltung des Erbes für die Zukunft. Das heißt, anders als Eriksen beobachtet nimmt die jeweils aktuelle Generation der Denkmalpflege jegliches Erbe an, das ihr in Sammlungen übermittelt wurde, und verlangt dies auch von ihren nachfolgenden Generationen. Sie kann aber nicht alles aufbewahren, was bei archäologischen Ausgrabungen entdeckt wird. Die dauerhafte Bewahrung jeglichen Materials der Vergangenheit und Gegenwart im Originalzustand mag aus wissenschaftlicher Perspektive der sicherste Weg sein, keine Objekte und damit verbundene Informationen zu verlieren, die für kommende Generationen wichtig sein könnten. Sie ist aber auf lange Sicht unbestreitbar unmöglich, weil jeden Tag weiteres Material anfällt. Es muss also eine Auswahl darüber getroffen werden, was als Erbe angenommen und weitergegeben wird, und dafür werden die materiellen Zeugnisse der Vergangenheit miteinander verglichen und aufgrund bestimmter Kriterien bewertet.
49 50 51
Ebd., S. 58. Vgl. ebd., S. 58f. Vgl. ebd., S. 59–61, Zitat S. 61.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Wie bereits dargelegt wurde, sind Wert und Bedeutung archäologischen Objekten oder anderen Formen des materiellen Kulturerbes nicht inhärent, sondern werden ihnen zugeschrieben. Das bedeutet aber keineswegs, dass diese Faktoren rein illusorisch sind. Wie bereits in Teilkapitel II.1.2 aufgezeigt, hat Barbara Kirshenblatt-Gimblett den konstruierten, dynamisch-relativen Status von kulturellem Erbe betont. Damit will sie den Objekten aber keineswegs ihre Authentizität absprechen. By production, I do not mean that the result is not »authentic« or that it is wholly invented. Rather, I wish to underscore that heritage is not lost and found, stolen and reclaimed. It is a mode of cultural production in the present that has recourse to the past. Heritage not only gives buildings, precincts, and ways of life that are no longer viable for one reason or another a second life as exhibits of themselves. It also produces something new.52 Kulturerbe entstehe also durch eine kulturelle Praktik, die Dingen einen neuen Wert zuschreibe und sie einer bestimmten Gruppe von Menschen oder gar der Menschheit insgesamt als »kulturelles Erbe« zuweise. Da sich jedoch nicht jeder Mensch automatisch von solchen Relikten der Vergangenheit betroffen fühlt oder ein Interesse an ihnen hat, erläutert Carman, dass ein solches Interesse und die Bereitschaft, Kulturgüter als Erbe anzunehmen und ihren Erhalt zu unterstützen, erst durch eine Industrie des kulturellen Erbes generiert werden müsse.53 Das bedeutet, dass die Denkmalpflege die Vermittlung eines kulturellen Erbes zum Beispiel durch Ausstellungen und Events zumindest teilweise auch als Selbstzweck betreibt. Sie generiert öffentliche Unterstützung für ihre Arbeit, indem sie der Gesellschaft vermittelt, dass die Objekte, die da gesammelt, konserviert, erforscht und aufbewahrt werden, für alle Menschen wertvoll sind und eine Bedeutung haben. Sie vermittelt, dass es sich dabei nicht um bloße Hinterlassenschaften und Überreste, sondern um einen Schatz und um das Erbe vergangener Gesellschaften handelt. Bevor sie dies jedoch vermitteln kann, sondert sie zunächst noch die Hinterlassenschaften der Vergangenheit aus, deren Aufbewahrung keinen lohnenswerten Vorteil zu versprechen scheint. Die übrigen Objekte werden als Erbe angenommen und als solches auch für eine zukünftige Gesellschaft erhalten. Die reflexiven Prozesse, durch die Objekte zu Kulturerbe transformiert werden, indem kulturelle Elemente unter bestimmten Maßgaben bewusst ausgewählt, symbolisch aufgeladen, museal präsentiert, gelistet und inventarisiert werden, nennen Peselmann und Socha »metacultural operations«.54 Verschiedene Autoren haben sich damit auseinandergesetzt, wie solche metakulturellen Operationen archäologische Objekte als kulturelles Erbe konstituieren. Ihre jeweiligen Ansätze sollen nun skizziert und miteinander verglichen werden. Krzysztof Pomian zufolge liegt am Beginn der Wandlung vom einfachen Objekt zum »Zeichen mit Symbolcharakter« ein Bruch, wie beispielsweise die Änderung einer Lebensart oder eine technische Neuerung. Der Begriff des Bruchs erinnert an die Zäsur,
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Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Destination Culture, 1998, S. 150. Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 108; John Carman, Against Cultural Property, 2005, S. 46. Vgl. Arnika Peselmann und Philipp Socha, Cultural Property und das Heritage-Regime der UNESCO, 2010, S. 79.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
die am Beginn der Übertragung von Erbe steht. Jedoch betrifft die im Zusammenhang mit Erbvorgängen erwähnte Zäsur nicht den Gegenstand des Vererbens, also das Erbe selbst, sondern die Akteure des Vorgangs, also die Vererbenden und die Erbenden. Der Bruch im Sinne Pomians betrifft dagegen den Gegenstand selbst, das Objekt. Er enthebe es seiner bisherigen Funktion, wodurch es zu einem Abfallprodukt herabgesetzt werde. Als Abfallprodukt sei ein Artefakt aus dem Nützlichkeitskreislauf herausgenommen, es habe weder einen Gebrauchs- noch einen Handelswert.55 Wenn ein solches Artefakt, ein zu Abfall gewordenes Objekt, jedoch selten ist, könnte es neues Interesse erfahren. Je seltener ein Gegenstand sei, desto mehr eigne er sich dazu, mit Bedeutung versehen zu werden. Selten könne ein Gegenstand dabei sowohl mit Blick auf sein Material als auch mit Blick auf seine Fertigung sein.56 Seine Seltenheit habe zur Folge, dass er als fremd und außergewöhnlich wahrgenommen werde. Solcherart wird es [das Objekt] zum Zeichen mit Symbolcharakter, vorausgesetzt, daß eine Gesellschaft existiert, die neugierig ist und es mit neuer Bedeutung versieht. Unsere Museen, besonders die archäologisch-technischen Museen, sind voller Objekte, die diesen Weg genommen haben.57 Am Beispiel steinzeitlicher Werkzeuge lässt sich die von Pomian beobachtete Entwicklung vom Gebrauchsgegenstand über das Abfallprodukt bis zum Zeichen mit Symbolcharakter nachvollziehen. Steinwerkzeuge oder auch -waffen wie Faustkeile, Schaber oder Pfeil- und Lanzenspitzen wurden ab der Bronzezeit mehr und mehr durch metallische Werkzeuge und Waffen abgelöst, da die Technik der Metallurgie die Herstellung von Geräten ermöglichte, die gegenüber Steingeräten viele Vorteile hatten – beispielsweise waren sie stabiler, konnten in Serie produziert werden, konnten nachgeschliffen oder umgeschmiedet werden und es war eine vielfältigere Gestaltung ihrer Form möglich. Durch diesen Bruch – der natürlich nicht abrupt, sondern schrittweise erfolgte – kamen Steingeräte nach und nach außer Gebrauch und wurden zu Abfallprodukten. Aufgrund ihrer Seltenheit wurden sie jedoch ab der Moderne von Altertumsforschern als außergewöhnliche Objekte erkannt und mit Bedeutung versehen. Sie werden nun als die frühesten vom Menschen hergestellten und genutzten Werkzeuge wertgeschätzt und als Zeichen steinzeitlicher Lebensart im Museum aufbewahrt und ausgestellt. Die Erhebung eines Objekts zum Zeichen mit Symbolcharakter bringt in der Regel eine solche Zweck- und Bedeutungsänderung mit sich. Die Steinwerkzeuge beispielsweise werden als Ausstellungsstücke zwar nicht mehr genutzt, um zu jagen oder Material zu zerkleinern, verweisen aber weiterhin auf solche Techniken. Pomian ist daher 55 56
57
Vgl. Krzysztof Pomian, Museum und kulturelles Erbe, 1990, S. 62. Vgl. Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums, 1988, S. 88. Susan Pearce argumentiert ähnlich, wenn sie darauf hinweist, dass die meisten Gesellschaften solchen Artefakten Wert zuschreiben, die aus glänzenden oder in anderer Weise attraktiven Materialien wie Gold, Perlmutt, Elfenbein oder bunten Federn bestehen und in der Regel selten sind (vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 33). Als Grund für diese Vorliebe führt Pearce an, dass alle Menschen die Lust am Sehen teilten, ein Interesse an hellen, leuchtenden oder glänzenden Dingen. Dies habe vermutlich mit der Funktionsweise unseres Sehapparats und unserer Nerven zu tun und damit, wie unser Verstand das Gesehene verarbeite, also verstehe (vgl. ebd., S. 261). Krzysztof Pomian, Museum und kulturelles Erbe, 1990, S. 62.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
überzeugt, dass die Auswahl von Objekten für die Kategorie des kulturellen Erbes von ihrer Fähigkeit abhängt, neue Sinnstiftungen zuzulassen. Als Zeichen mit Symbolcharakter werden Kulturgüter darüber hinaus vor Zerstörung durch Menschen oder Umweltfaktoren geschützt. Deshalb geht ihre Bewertung unweigerlich mit dem Aufbau von Schutzinstitutionen einher.58 Ähnlich wie Pomian bezeichnen Gottfried Korff und Martin Roth im Museum aufbewahrte Kulturgüter als aufbereitete Präparate und betonen somit den konstruierten Zeichencharakter der Objekte. Sie seien das Ergebnis einer Tätigkeit, in der historisch wechselnde Auswahlkriterien, Bewertungskategorien, Neigungen und Interessen eine Rolle spielen. Sie gehören zum System kultureller Überlieferung, in dem die Überreste gefiltert werden. Die Vergangenheit produziert freilich nicht nur die Überlieferung, sondern sie wählt sie auch aus, formt sie und zerstört sie sogar. […] Das authentische Objekt, das folgt daraus, spiegelt so auch die Überlieferungslage.59 Demnach werden Überreste der Vergangenheit im Zuge der kulturellen Überlieferung also immer weiter gefiltert. Manche werden zur Konservierung und Weitergabe ausgewählt, manche werden transformiert, manche werden aber auch zerstört, entsorgt oder vergessen. Dieser Prozess aus Umwelteinflüssen und menschlichen Entscheidungen wurde bereits im Zusammenhang mit dem kulturellen Gedächtnis erörtert. Er spielt sich Korff und Roth zufolge kontinuierlich ab und reicht bis in die aktuelle Gegenwart hinein. Ein Objekt spiegelt dann den gesamten Auswahl- und Überlieferungsprozess, den es durchlaufen hat und in dessen Verlauf es immer mehr Bedeutungsschichten angelegt hat.60 Der von Pomian beschriebene Fall, in dem ein Gegenstand zunächst zum Abfall degradiert, später wiedergefunden und dann aufgrund seiner Seltenheit als wertvoll anerkannt und aufbewahrt wird, wird von Korff und Roth nicht explizit behandelt. Ihr Konzept eines kontinuierlichen Überlieferungsprozesses suggeriert, dass Objekte entweder fortwährend weitergegeben oder entsorgt und vergessen werden. Dennoch lassen sich beide Vorstellungen auch gemeinsam denken. Nicht jedes Kulturgut hat den Weg über den Abfall genommen, bevor es neue Bedeutung und Wertschätzung erfahren hat. Beispielsweise kann das Werk eines vergleichsweise unbekannten Künstlers in Privatbesitz geschätzt und erhalten werden und zu einem späteren Zeitpunkt im Wert und in seiner Bedeutung noch weiter steigen, weil dem Künstler entsprechende Popularität und öffentliches Interesse zuteilwerden – in vielen Fällen dann aufgrund seiner Lebens- und Schaffensgeschichte. Umgekehrt spielt sich aber auch bei der Neuentdeckung von zu Abfall gewordenen Relikten der Vergangenheit der von Korff und Roth beschriebene Pro-
58 59 60
Vgl. ebd., S. 44. Gottfried Korff und Martin Roth, Einleitung zu Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, 1990, S. 19. In einem solchen Prozess wird wiederholt eine Entscheidung über das Objekt getroffen. Die Kulturanthropologin Fiona McLean betont, dass die Entscheidung zur Erhaltung, Aneignung und Interpretation dem Objekt Bedeutung verleiht (vgl. Fiona McLean, Marketing the Museum, 1997, S. 20).
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
zess der Auswahl und Filterung ab. So wird beispielsweise bei manchen archäologischen Ausgrabungen noch vor Ort von Wissenschaftler:innen entschieden, welche Funde inventarisiert und aufbewahrt werden und welche vor Ort belassen werden, weil sie keine neuen Informationen versprechen beziehungsweise weil die Ressourcen für Lagerung und Konservierung begrenzt sind.61 Des Weiteren wird, ebenfalls meist aufgrund begrenzter Mittel, entschieden, welche der inventarisierten Stücke restauriert, welche näherer Untersuchung unterzogen, welche publiziert und welche ausgestellt werden. Die Entscheidung, welchen Stücken derartige Aufmerksamkeit gewidmet wird, hängt laut Susan M. Pearce im Fall von archäologischen Objekten davon ab, wie gut sie sich für das kategorisierende Sammeln von Informationen eignen – mit anderen Worten: wie gut sich solche Objekte in bereits bestehende Wissensordnungen einfügen. Ihre intellektuelle Bedeutung, ihre ästhetische Qualität, ihr Potenzial zur Interpretation und ihre politischen Dimensionen würden von Wissenschaftler:innen bewertet. Die Objekte, die als entsprechend wertvoll eingestuft würden, würden näher erforscht, erhielten bei der Konservierung Priorität und würden meist auch in Publikationen oder Illustrationen verwendet und in Ausstellungen gezeigt.62 Dass der ausschlaggebende Faktor bei der Auswahl von Objekten zur Sammlung und Bearbeitung ihr Potenzial sein soll, in bestehende Wissenssysteme eingeordnet zu werden, erinnert wiederum an Ludwik Flecks Konzeption des Denkstils. Fleck hat erklärt, dass eine neue Tatsache – also im Fall von Objekten das Wissen oder die Erkenntnis, die durch sie gewonnen werden können – sich umso leichter und problemloser in einen Denkstil einfügen lasse, je weniger sie mit dem System der Tatsachen in diesem Denkstil in Konflikt stehe. Denn die Elemente eines Denkstils stabilisierten sich gegenseitig und bewirkten eine Beharrungstendenz, die den Denkstil zum Denkzwang werden lasse.63 Im Umkehrschluss müsste dies allerdings heißen, dass solche Objekte, die sich nicht kategorisieren lassen oder die Informationen liefern, die zu bestehenden Theorien im Widerspruch stehen, nicht konserviert, erforscht, ausgestellt und publiziert werden. Natürlich passiert das aber ständig und überall – anders wäre schließlich kein wissenschaftlicher Fortschritt möglich. Pearces Behauptung ist also zu pauschal und trifft nicht auf den Umgang mit jedem Fundstück zu. Plausibel ist aber, dass Fundstücke zunächst nach ihrer wissenschaftlichen und politischen Bedeutung sowie nach ihrer Ästhetik bewertet und erst darauf basierend zur weiteren Erforschung und Veröffentlichung ausgewählt werden. Damit kommt Wissenschaftler:innen, beispielsweise den im Museum oder Denkmalamt tätigen Archäolog:innen oder Historiker:innen, eine elementare Rolle bei der Produktion von Objekten des kulturellen Erbes zu – und damit auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Das entspricht auch einer Argumentation von Gerd-Christian Weniger, der ausführt, dass Archäolog:innen durch ihre
61
62 63
Beispielsweise kann bei einer Fundschicht voller römischer Ziegelfragmente entschieden werden, nur solche Fragmente in ein Depot aufzunehmen, die einen Töpferstempel oder sonstige besondere Merkmale aufweisen. Da solche Ziegel schon seriell hergestellt wurden, ermöglichen Fragmente ohne Stempel oder sonstige Besonderheiten kaum neue Erkenntnisse. Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 135. Vgl. Teilkapitel II.1.1, S. 119.
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Einschätzung ein Fundstück in Wert setzen und einen gesellschaftlichen Nutzen des Objekts generieren: Die Mehrzahl der archäologischen Fundstücke sind zunächst isolierte Artefakte ohne besonderen Wert. Ihre Vernetzung gelingt erst dem Archäologen, der sie durch seine Leistung und Einschätzung in Wert setzt. Die Vergangenheit wird nicht durch Objekte definiert, sondern durch Wissenschaftler, die sie aus dem aktuellen gesellschaftlichen Kontext heraus immer wieder neu bewerten und so Vergangenheit rekonstruieren. Archäologen verfügen über die Macht der Klassifikation und der Sinnstiftung. Sie verleihen Namen und Bedeutung. Der gesellschaftliche Nutzen entsteht durch das Wissen, das sich aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Objekt generiert. […] In den Händen des Archäologen wird aus dem Abfall ein wertvolles Objekt, das durch den musealen Rahmen seine kulturelle Weihe erfährt.64 Auch John Carman hat sich mit der Zuschreibung von Werten durch Wissenschaftler:innen auseinandergesetzt.65 Am Beginn dieses Prozesses sieht er den Fund und die Dokumentation eines archäologischen Objekts. Damit gelange es in die archäologischen Aufzeichnungen, werde jedoch nur aufbewahrt, wenn es als Teil der archäologischen Ressourcen ausgewählt werde. Wenn dann in einem nächsten Schritt entschieden werde, das Objekt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, werde es durch diese Entscheidung zum kulturellen Erbe. Da diesen Schritt nicht alle archäologischen Objekte gehen, fasst Carman ihn als das konstituierende Moment auf, das den betroffenen Objekten einen besonderen Wert und Status als Erbe verleiht.66 Nur solche archäologischen Objekte, die im Museum ausgestellt werden, wären demnach Teil des kulturellen Erbes. Nur sie haben die drei Stufen des Auswahlprozesses – Fund und Dokumentation, Auswahl zur Aufbewahrung und Konservierung sowie Veröffentlichung – durchlaufen. Dieser Schlussfolgerung muss jedoch widersprochen werden, denn auch solche archäologischen Objekte, die nie ausgestellt und nur im Depot einer Sammlung aufbewahrt werden, haben den Status des kulturellen Erbes. Sie unterstehen als aus der Vergangenheit erhaltene Kulturgüter dem Denkmalschutz, werden daher aufbewahrt sowie erforscht und sowohl sie selbst als auch die mit ihnen verbundenen Erkenntnisse werden an nachfolgende Generationen weitergerecht. Anders als Pearce und Weniger ist Carman darüber hinaus der Ansicht, dass die Auswahl von archäologischen Fundstücken zur Aufbewahrung und Pflege nicht von ihrem Informationsgehalt abhängt. Vielmehr werde sie von sozial induzierten Vorlieben bestimmt. Der wissenschaftliche oder künstlerische Wert werde den Objekten dann nur zugeschrieben, um ihre Auswahl und damit Bevorzugung gegenüber anderen Artefakten zu rechtfertigen. Den Fundstücken werde anschließend der rechtliche Status als Denkmäler oder Kulturgüter verliehen und die Verantwortung für sie werde bestimmten, anerkannten Akteuren wie zum Beispiel Denkmalämtern übertragen.67 Folglich ist Carman
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Gerd-Christian Weniger, Überlegungen zur ›Virtualität‹ archäologischer Museen, 2002, S. 96f. Vgl. John Carman, Against Cultural Property, 2005, S. 112. Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 19f. Vgl. John Carman, Against Cultural Property, 2005, S. 112.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
der Ansicht, dass die Wertzuschreibung an Objekte nur der Rechtfertigung sozial induzierter Vorlieben dient, was den Status des wertvollen Kulturerbes als leere Hülle erscheinen lässt. Carmans harsches Urteil zur Arbeitsweise seiner eigenen Zunft erscheint mir allerdings zu pauschal. Die Zuschreibung von Wert muss differenzierter betrachtet werden: Wenn es darum geht, Exponate für attraktive Ausstellungen oder populärwissenschaftliche Veröffentlichungen auszuwählen oder mit der Darstellung eines Exponats die Akquise von Fördermitteln zu unterstützen, können Aspekte wie Ästhetik oder Sensationspotenzial selbstverständlich eine Rolle spielen. Dabei hat sowohl der persönliche Geschmack der Wissenschaftler:innen als auch die Annahme oder Erfahrung von Vorlieben und Interessen der Adressat:innen beziehungsweise des Publikums einen Einfluss auf die Auswahl von Objekten für die Gestaltung öffentlichkeitswirksamer Formate. Die ursprüngliche Entscheidung für die institutionelle Weitergabe eines Objekts wird von Wissenschaftler:innen aber nicht ausschließlich aufgrund persönlicher oder kollektiver Vorlieben getroffen. Vielmehr ist wohl das Potenzial von Fundstücken, neue Erkenntnisse zu offenen Forschungsfragen zu liefern und bestehende Theorien zu stützen oder zu widerlegen, in der Regel das Hauptkriterium für ihre bevorzugte Erforschung und Veröffentlichung in wissenschaftlichen Kreisen. Ihr Wert für die Wissenschaft wird ihnen also nicht erst nachträglich zugeschrieben, um ihre Aufbewahrung zu rechtfertigen, vielmehr ist er meist der ausschlaggebende Faktor, aufgrund dessen die Bewahrung, Erforschung und Veröffentlichung – kurz: die Behandlung archäologischer Objekte als Teil des kulturellen Erbes – veranlasst wird. Angesichts Carmans Argumentation darf nicht vergessen werden, welches Ziel er mit ihr verfolgt. Der Archäologe betreibt diese Demontage des kulturellen Erbes, um damit das Konzept der Eigentümerschaft an archäologischen Objekten zu kritisieren. Er will zeigen, dass dabei Objekte einem rechtlichen, öffentlichen Schutz unterstellt werden, obwohl ihnen Werte lediglich zugeschrieben würden, um ihre Bewahrung zu rechtfertigen. Die Zuschreibung von Werten führe letztlich dazu, dass Institutionen und Akteure des Kulturerbeschutzes die Eigentümerschaft und Kontrolle über die Objekte erlangten.68 Und das wiederum hält Carman mit Blick auf archäologische Objekte für unangebracht, weil die Behandlung von Artefakten als exklusives (nationalstaatliches) Eigentum ihrer Natur und dem Zweck der Archäologie als Wissenschaft widerspreche.69 Die Behandlung als Objekt von Eigentümerschaft reduziere ein Kulturerbe zur Ware und schade damit seinem symbolischen Charakter für eine Gemeinschaft.70 Carman fordert stattdessen einen offenen Zugang zu archäologischen Artefakten und schlägt das Konzept einer »cognitive ownership« vor. Es basiert auf dem Gedanken, dass ein ursprüngliches Interesse von Expert:innen an einem Objekt ein breiteres Interesse lokaler oder größerer Gemeinschaften wecke. Dadurch werde eine Vielzahl verschiedener Werte und Möglichkeiten der Nutzung des Objekts evident. Die »cognitive ownership« solle dann von jeder Gemeinschaft, die an dem Objekt Interesse habe und ihm Wert beimesse, beansprucht werden können, ohne dass es zu einem Verlust 68 69 70
Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 63. Vgl. ebd., S. 44.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
oder zur Einschränkung des Objekts komme – etwa durch Rückgabe an oder exklusive Verwahrung durch eine bestimmte Gemeinschaft. Wenn dies geschehen sei, könnten freiwillig Beschränkungen zur Nutzung des Objekts erlassen werden, die ohne die Belegung einer bestimmten Gemeinschaft mit dem Eigentumsrecht auskämen. Carman sieht also vor, die Bewahrungskonditionen archäologischer Objekte auf eine Art breiten Konsens aller an dem Objekt interessierten Gemeinschaften und Individuen zu stellen, die entscheiden, wie und wo es bewahrt und genutzt wird, ohne dabei einer Partei das exklusive Eigentumsrecht zuzusprechen.71 Wie eine solche kognitive Eigentümerschaft aber in der Praxis verhandelt werden und wie dann tatsächlich die Bewahrung, Pflege und Vermittlung der archäologischen Artefakte gewährleistet werden könnte, lässt Carman offen und es bleibt fraglich, ob dies überhaupt möglich ist. Es sind nun schon mehrfach Begriffe wie »künstlerischer Wert« oder »wissenschaftlicher Wert« gefallen, die zeigen, dass Objekten nicht einfach nur ein Wert zugeschrieben, sondern dieser in verschiedene Kategorien eingeordnet wird, je nachdem, an welchen Kriterien er gemessen wird. Im Diskurs zum kulturellen Erbe wird meist zwischen symbolischem, künstlerischem, wissenschaftlichem, historischem, politischem und ökonomischem Wert unterschieden. Mit Blick auf archäologische Objekte hat John Carman die grobe Unterscheidung von Werten in Gebrauchswerte (»use values«) und Nicht-Gebrauchswerte (»non-use values«) weiterentwickelt, die ursprünglich Timothy Darvill vertreten hat. Zu den Gebrauchswerten zählt Carman die Bedeutung archäologischen Kulturerbes für Forschung, Kunst, Bildung, Erholung beziehungsweise Tourismus, symbolische Repräsentation, Legitimation aktueller Handlungsweisen, soziale Solidarität und monetären Zuwachs. Bei den Nicht-Gebrauchswerten unterscheidet er wiederum den Wert kulturellen Erbes für die soziale Stabilität und das Mysterium (»option value«) von seinem Wert für die kulturelle Identität und die Resistenz gegenüber kulturellem Wandel (»existence value«).72 Diese Unterscheidung von Gebrauchs- und Nicht-Gebrauchswerten ist jedoch irreführend. Die Kategorien sind keineswegs trennscharf, sie überschneiden sich insbesondere beim Wert eines Objekts für die soziale Solidarität, die Legitimation von Handlungsweisen, die kulturelle Identität und die Resistenz gegenüber kulturellem Wandel. Des Weiteren kann ein Objekt beispielsweise auch zur Stärkung kultureller Identität genutzt werden, womit sein Wert im Hinblick darauf ein Gebrauchswert wäre. Die Juristin Heike Krischok hat die Auffassung vertreten, dass die Bewertung eines Objekts davon abhängt, welchen Nutzen es hat.73 Wert ist damit aber ein wandelbarer Faktor und die Unterscheidung und Kategorisierung von Werten bieten kein Instrumentarium, mit dem sich der Wert eines Kulturguts quantitativ messen lässt. Da sie es aber ermöglichen, die sozialen Funktionen von Kulturgütern zu erfassen, hat Heike Krischok bei ihrer Untersuchung des Wertes archäologischer Kulturgüter die von Alois Riegl definierten Denkmalwerte vorgestellt und überprüft, ob sich diese auf archäologische Kulturgüter anwenden lassen. Dafür hat sie Riegls Kriterien auf die Himmelsscheibe von
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Vgl. ebd., S. 116. Vgl. ebd., S. 54, Tabelle 3.3. Vgl. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 66.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Nebra angewandt.74 Grundlegend dafür ist die Unterscheidung von Erinnerungs- und Gegenwartswerten. Zu den Erinnerungswerten zählt Riegl den Alterswert und den historischen Wert, während er bei den Gegenwartswerten zwischen Gebrauchswert und (relativem) Kunstwert unterscheidet.75 Somit stecken in Riegls Schema die vier Wertkategorien, nach denen Denkmäler und Kulturgüter bis heute meistens beurteilt werden, nämlich nach ihrem Alter, ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft, ihrer Funktion und ihrer künstlerischen Verfertigung. Riegls Alterswert soll auf den ersten Blick zu erkennen sein. Er »verrät sich […] durch dessen unmodernes Aussehen«. Dabei kommt es aber darauf an, dass das »unmoderne Aussehen« authentisch und nicht etwa imitiert ist. Ein authentisches Alter ist Riegl zufolge daran zu erkennen, dass das Objekt Alterungserscheinungen aufweist, wie eine »Unvollkommenheit, eine[n] Mangel an Geschlossenheit, ein[e] Tendenz zur Auflösung der Form und Farbe«.76 Das würde bedeuten, dass ein Gegenstand wertvoll ist, wenn er seit langer Zeit Bestand hat und man dies an seinem Materialzustand erkennen kann. Da dies bei archäologischen Kulturgütern fast immer der Fall ist, leuchtet es ein, dass Krischok diese Wertkategorie als in jedem Fall auf solche Objekte zutreffend beschreibt.77 Die Himmelsscheibe von Nebra beispielsweise stammt aus der Bronzezeit und zeigt deutliche Altersspuren. Diesem Bewertungssystem folgend hat sie also einen hohen Alterswert.78 Der historische Wert beruht nach Riegl darauf, dass ein Objekt, »eine ganz bestimmte, gleichsam individuelle Stufe der Entwicklung irgend eines Schaffensgebietes der Menschheit« abbildet.79 Oder wie Krischok es ausdrückt: Der historische Wert eines Denkmals besteht darin, dass es eine bestimmte Stufe der Entwicklung der Menschheit repräsentiert. Darin ist ein Entwicklungsgedanke repräsentiert: Das einmal Gewesene kann nie wieder sein und ist ein unersetzliches und unverrückbares Glied einer Entwicklungskette.80 Krischok argumentiert mit Blick auf den historischen Wert, es sei Aufgabe der Wissenschaft, Lücken im Wissen über die Vergangenheit zu schließen. Dafür sei es wichtig, dass Dokumente möglichst unverfälscht erhalten würden. Gerade Dokumente der Ur- und Frühgeschichte, also Funde und Befunde, die im Rahmen archäologischer Forschung dokumentiert werden, können aber in der Regel nicht mehr in ihrem ursprünglichen
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Vgl. ebd., S. 75. Alois Riegl legte seine Denkmalwerte im Rahmen einer Untersuchung dar, die zur Reorganisation der öffentlichen Denkmalpflege in Österreich von der K. K. Zentral-Kommission für Kunst- und historische Denkmale in Auftrag gegeben worden war (vgl. Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus, 1903). Vgl. ebd. Riegl unterteilt den Kunstwert in einen Neuheitswert und den relativen Kunstwert. Der Neuheitswert kann auf historische und archäologische Objekte allerdings naturgemäß nicht zutreffen, weshalb er hier vernachlässigt wird (vgl. ebd., S. 45f.). Vgl. ebd., S. 22. Vgl. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 70f. Vgl. ebd., S. 74. Vgl. Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus, 1903, S. 29. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 72.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Zustand aufgefunden werden und es ist mitunter auch schwer bis unmöglich, ihren Zustand zum Zeitpunkt des Fundes zu bewahren. Die Archäologie ist, wie bereits erwähnt, eine dekonstruktive Tätigkeit, die ihren Gegenstand letztlich abträgt und zerstört, indem sie Siedlungen, Gräber, Gebäude und andere Anlagen ausgräbt und dabei Schicht für Schicht die Hinterlassenschaften der Vergangenheit entfernt. Archäolog:innen bemühen sich zwar um die möglichst objektive und detailgetreue Dokumentation ihrer Arbeit sowie der Befunde und Funde, doch kann es ohne Zweifel zu Fehlinterpretationen kommen. Außerdem können wissenschaftliche Informationen auch im Laufe der Ausgrabung verloren gehen oder übersehen werden. Der historische Wert von archäologischen Kulturgütern ist also grundsätzlich hoch, kann aber im Laufe der Zeit durch natürlichen Zerfall sowie durch das Vorgehen bei ihrer Bergung enorm reduziert werden. Am Beispiel der Himmelsscheibe von Nebra lässt sich das gut nachvollziehen. Die Scheibe lässt Rückschlüsse auf die Weltvorstellung der Menschen zu ihrer Entstehungszeit zu. Außerdem konnte nachgewiesen werden, mit welchen Werkzeugen und Techniken sie hergestellt wurde und somit konnten Kenntnisse über das handwerkliche Knowhow ihrer Entstehungszeit gewonnen werden. Sie besitzt also nach Riegls Kriterien einen historischen Wert.81 Dieser wurde jedoch durch die widrigen Fundumstände gemindert, denn die Scheibe wurde 1999 bei einer Raubgrabung in der Nähe von Nebra als Teil eines Hortfundes entdeckt und in den folgenden Jahren mehrfach illegal verkauft. Erst im Februar 2002 konnte sie zusammen mit den übrigen Teilen des Fundes durch die Basler Polizei sichergestellt werden, woraufhin sie dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle übergeben wurde.82 Die genauen Umstände und Befunde bei der Bergung des Hortfundes wurden jedoch von den Raubgräbern nicht dokumentiert, daher ist anzunehmen, dass Informationen dazu verloren gegangen sind. Als Gebrauchswert wird die praktische Verwendungsmöglichkeit eines Objekts beziehungsweise sein tatsächliches In-Gebrauch-Stehen bezeichnet.83 Natürlich wird die Himmelsscheibe heute nicht mehr als Darstellung astronomischer Phänomene für die Bestimmung von Terminen oder Ähnliches genutzt. Dem Landesmuseum in Halle dient sie aber als Besuchermagnet und sie wird entsprechend stark vermarktet. Man könnte daher – und Heike Krischok tut dies – argumentieren, dass sie der Institution als Prestigesymbol dient. Es werden Merchandisingprodukte, Schmuck, Bücher und DVDs zur Himmelsscheibe vertrieben und sie ist auf einer 10-Euro-Münze dargestellt. Außerdem sind zahlreiche touristische Angebote rund um die Himmelsscheibe entwickelt worden, wie zum Beispiel ein Radweg und die Tourismusroute »Himmelswege«. Sie hat also in diesem Sinn einen Gebrauchswert, denn sie dient als Attraktion, anhand derer konkrete Einnahmen generiert werden können.84
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Vgl. ebd., S. 72–74. Vgl. Harald Meller (Hg.), Bronzerausch, 2011, S. 162. Die ganze Geschichte ist ausführlich unter anderem nachzulesen in: Harald Meller und Kai Michel, Die Himmelsscheibe von Nebra, 2018, S. 24–50. Vgl. Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus, 1903, S. 40–45; Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 73. Vgl. ebd., S. 74f.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Riegls Begriff des relativen Kunstwerts rührt von der Verfertigung, Form und äußeren Gestalt eines Gegenstands her, also von seiner Ästhetik. Manche archäologischen Kulturgüter würden das ästhetische Empfinden ansprechen und von Betrachter:innen deshalb als Kunstwerke aufgefasst werden.85 Der Himmelsscheibe von Nebra wird Krischok zufolge eindeutig ein solcher relativer Kunstwert zuerkannt. Nicht nur, weil sie heutigen ästhetischen Ansprüchen genüge, sondern auch, weil sie im Landesmuseum für Vorgeschichte wie ein Kunstwerk inszeniert werde.86 Der relative Kunstwert ist jedoch stark subjektiv und sollte daher nur unter Vorbehalt diskutiert werden.87 Ästhetik oder Schönheit lassen sich nicht allgemeingültig bemessen und festlegen. Ein Faustkeil beispielsweise kann unter Umständen von einem Menschen aufgrund seiner Form oder Färbung als ästhetisch empfunden und als Meisterwerk menschlichen Schaffens betrachtet werden, für einen anderen kann er dagegen ein banales Stück Geröll oder lediglich ein sehr altes, funktionales Werkzeug sein und als Letzteres außerhalb der Kategorie der Ästhetik stehen. Allerdings räumt Krischok, Riegl darin folgend, dem relativen Kunstwert ebenso wie dem Gebrauchswert mit Blick auf archäologische Kulturgüter eine untergeordnete Bedeutung ein. Im Vordergrund stehen für sie die Erinnerungswerte, also der Alterswert und der historische Wert. Da die Bewertung von archäologischen Kulturgütern aber stets in der Gegenwart stattfinde, die Erinnerungswerte also jeweils in der Gegenwart neu bemessen würden, weist Krischok auch darauf hin, dass die Grenzen zwischen Erinnerungs- und Gegenwartswerten fließend seien.88 Insgesamt wendet Heike Krischok Riegls Wertkategorien jedoch zu unkritisch an. Sie kontextualisiert deren Zustandekommen nicht, sondern nimmt sie gewissermaßen als ein vermeintlich festes Koordinatensystem an, in das sie die Himmelsscheibe von Nebra einordnet, um zu zeigen, dass Objekte wie sie eines besonderen rechtlichen Schutzes bedürfen. Wertkategorien sind jedoch immer subjektiv, variabel und kontextbasiert. Was ein Mensch in seiner individuellen Situation als nützlich, ästhetisch oder wissenschaftlich bedeutsam empfindet, bewertet ein anderer oder sogar derselbe Mensch in einer anderen Situation ganz anders. Dennoch wird Kulturgütern ein Wert unterstellt, aufgrund dessen sie durch Konventionen und Gesetze unter Schutz gestellt werden. Die Bestimmung des Wertes dient dazu, die Auswahl und Aufbewahrung bestimmter Objekte zu rechtfertigen: Denn – dies wurde bereits angesprochen – die Bewertung von materiellen Produkten der Kultur nach bestimmten Kriterien ist notwendig, um aus der Masse des täglich anfallenden Materials die Objekte auszuwählen, die für nachfolgende Generationen aufbewahrt werden sollen. Damit die Auswahl auch in Zukunft den Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht und somit als wertvoll erachtet wird, müssen möglichst solche Kriterien dafür festgelegt werden, die nicht in absehbarer Zeit an Relevanz verlieren. Carman zufolge sollten deshalb Artefakte aufbewahrt werden, die Meisterwerke menschlichen Schaffens darstellen, einen Austausch menschlicher Werte bele-
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Vgl. Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus, 1903, S. 57f.; Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 73f. Vgl. ebd., S. 75. Vgl. Alois Riegl, Der moderne Denkmalkultus, 1903, S. 5f. Vgl. Heike Krischok, Der rechtliche Schutz des Wertes archäologischer Kulturgüter, 2016, S. 74.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
gen, Entwicklungen in Architektur, Technik oder Kunst verkörpern, eine kulturelle Tradition bezeugen und dabei stets authentisch sind und im Sinne ihrer Authentizität geschützt und verwaltet werden.89 Seine Auflistung ist stark an die Kriterien angelehnt, die die UNESCO zur Aufnahme von Kulturgütern in ihr Welterbe-Programm anlegt. Der oftmals zitierte außergewöhnliche universelle Wert, den Artefakte und Denkmäler aufweisen müssen, um als Kulturerbe im Sinne der UNESCO eingestuft zu werden, wird nur dann anerkannt, wenn ein Gut mindestens einem von zehn in den Richtlinien für die Durchführung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt festgeschriebenen Punkten entspricht. Dazu gehört unter anderem, dass Objekte »ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft darstellen«, »einen bedeutenden Schnittpunkt menschlicher Werte in Bezug auf die Entwicklung der Architektur oder Technik, der Monumentalkunst, des Städtebaus oder der Landschaftsgestaltung aufzeigen« oder »ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis einer kulturellen Tradition oder einer bestehenden oder untergegangenen Kultur darstellen«.90 Zu den somit beschriebenen zentralen Kriterien für die Wertschätzung von Kulturgütern gehört also neben der hohen Qualität ihrer Verfertigung auch ihre Einzigartigkeit oder zumindest Seltenheit als Beleg historischer Entwicklungen und kultureller Traditionen oder Techniken. Dies lässt stark an den bereits beschriebenen Faktor der Seltenheit denken, den Pomian als ausschlaggebend für den Wandel eines Abfallprodukts zum Kulturgut beobachtet hat. Objekte werden also insbesondere dann als wertvolles Kulturerbe eingestuft, wenn sie aufgrund ihrer Materialien oder ihrer Machart selten sind oder wenn sie Informationen über die Vergangenheit transportieren, die nicht oder nur in geringem Maße in anderen Quellen enthalten sind. Letzteres Kriterium ist vor allem dann zentral, wenn aufgrund der durch das Objekt zugänglichen Informationen Fragen der Forschung beantwortet, Lücken in der Überlieferung geschlossen oder wissenschaftliche Theorien belegt werden können. In solchen Fällen gilt der wissenschaftliche beziehungsweise der – wie Riegl ihn nennt – historische Wert von Objekten als besonders hoch. John Carman hat darauf hingewiesen, dass Kunstwerke und Antiquitäten aufgrund solcher symbolischen oder ideellen Werte beispielsweise vom Staat genutzt werden können, um einen Sinn von Gemeinschaft zu schaffen und eine Identität zu konstituieren.91 Kulturgüter stellen also auch ein politisches Kapital dar. Gerade Gegenstände der Archäologie können starke symbolische Bedeutungen entfalten und machen die Archäologie damit für eine politische Instrumentalisierung empfänglich, etwa um einer Bevölkerung ein Gefühl althergebrachter, kultureller Einheit zu vermitteln. Archäologische Objekte und Wissen aus archäologischer Forschung können hierfür nicht nur in Museen präsentiert, sondern unter anderem auch in Filmen und Büchern verarbeitet und auf diesen Wegen einem Publikum vermittelt werden.92
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Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 157, Tabelle 6.1. Vgl. Zwischenstaatliches Komitee für den Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, Richtlinien, S. 25f., Zitate S. 25. Vgl. John Carman, Against Cultural Property, 2005, S. 73f. Vgl. John Carman, Archaeology and Heritage, 2002, S. 162.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Kulturelles Erbe, egal ob materielles oder immaterielles, ist also für viele Menschen von ideellem oder emotionalem Interesse und kann daher von der Unterhaltungsindustrie und der Tourismusbranche genutzt werden. Somit wächst ihm auch ein ökonomischer und in manchen Fällen sogar monetärer Wert zu. Aus ideellen Werten kann also ein konkreter ökonomischer Wert generiert werden. Gerade die Welterbestätten der UNESCO sind ein Beispiel dafür, wie Kulturgüter und Denkmäler aufgrund einer hohen Bewertung ihrer wissenschaftlichen und ästhetischen Qualität zum Kapital für den Tourismus und die Unterhaltungsindustrie werden können. Wichtige Faktoren in der Zuschreibung von wissenschaftlichem und auch in der Generierung von monetärem Wert sind allerdings die Aura und die Authentizität von Objekten als Originale und Zeugen der Vergangenheit, wie im nächsten Teilkapitel dargelegt werden soll.
II.3.3 Zur Authentizität und Aura von Exponaten in Archäologischen Landesmuseen Ein Aspekt, der für die Bewertung von Kulturgütern eine wichtige Rolle spielt und der im vorangegangenen Teilkapitel noch nicht berücksichtigt wurde, ist die Authentizität von Objekten. Für die Entscheidung von Institutionen zur Aufbewahrung, Konservierung, Erforschung und Exponierung sowie für die Bezifferung eines Versicherungs- oder gegebenenfalls Verkaufswertes ist grundlegend entscheidend, ob es sich bei einem Objekt um ein Original handelt oder nicht. Des Weiteren spielt die Authentizität von Kulturgütern auch für die Frage eine Rolle, ob sich Individuen dazu entscheiden, ein Objekt in einer Ausstellung zu besuchen. Um nur den Druck oder die Kopie eines Gemäldes von Picasso sehen zu können, sind wohl die meisten Menschen zu weit weniger Mühen bereit – in Gestalt von Anfahrtswegen, Eintrittsgeldern, Wartezeiten und dergleichen – als für die Gelegenheit, ein echtes Picasso-Kunstwerk zu sehen. Ebenso wollen die meisten Menschen, sofern sie sich für Ur- und Frühgeschichte sowie Archäologie interessieren, doch am liebsten die echte Himmelsscheibe von Nebra, die echte Büste der Nofretete oder den echten Goldhut von Schifferstadt sehen. Aber was bedeutet Authentizität und welche Auswirkungen haben verschiedene Strategien der Ausstellungspraxis auf die Authentizität von Exponaten? Im vorliegenden Teilkapitel werde ich diesen Fragen vor allem mit Blick auf archäologische Exponate nachgehen. Obwohl mit heutiger Technik täuschend echte Repliken angefertigt werden können und aus konservatorischer Sicht argumentiert werden könnte, dass die Originale geschont und stattdessen besser Kopien gezeigt werden sollten, werden doch in den meisten Ausstellungen Archäologischer Landesmuseen so viele Originale wie möglich präsentiert. Die im Rahmen dieses Dissertationsprojekts analysierten Dauerausstellungen zeigten entweder ausschließlich Originalobjekte oder sie setzten Kopien und Repliken sehr sparsam ein und wiesen in den Objekttexten auf den Status der Objekte als gewissermaßen inauthentische Stücke hin. In den Interviews betonten die Expert:innen diesbezüglich, dass sie in ihren Ausstellungen die Originale in den Mittelpunkt hatten stellen wollen und begründeten diese Entscheidung vor allem mit der Authentizität der Objekte. Franz-Josef Schumacher berichtete, dass im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes bei der Konzeption der aktuellen Dauerausstellung bewusst eine Abkehr
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
von Kopien beschlossen worden sei. Zuvor seien von Fundstücken auch Kopien gezeigt worden, wenn das jeweilige Stück für die intendierte Aussage wichtig, aber nicht im Original verfügbar gewesen sei. Die aktuelle Dauerausstellung sollte dagegen das originale Objekt in den Mittelpunkt stellen. Darüber hinaus würden dort keine Rekonstruktionen oder Illustrationen eingesetzt. Die damit verbundene Intention sei gewesen, somit einen kunsthistorisch orientierten Umgang mit den Exponaten einzuführen und dem Museum den Charakter eines »Heimatmuseums« zu nehmen. Kulturhistorische Informationen zu den Exponaten seien deshalb nicht mehr im unmittelbaren Raum rund um die Vitrinen untergebracht, sondern in Computerterminals ausgelagert worden, die als AV-Stationen (kurz für Audio-Video-Stationen) bezeichnet werden.93 Einen solchen Umgang mit Exponaten haben die Marketingexpert:innen Janeen Arnold Costa und Gary J. Bamossy bereits 1995 beobachtet und daraus geschlossen, dass die Beschäftigung mit Authentizität für manche Museen so vorrangig sein kann, dass sie sich dazu entscheiden, Exponate ganz unabhängig von irgendeiner Kontextualisierung zu präsentieren. Damit wollten sie vermeiden, die Authentizität der Objekte zu verzerren und stattdessen den Fokus auf das einzelne Objekt legen und diesem ermöglichen, gewissermaßen für sich selbst zu sprechen beziehungsweise zu wirken.94 Es sollte dabei jedoch nicht übersehen werden, dass auch die Präsentation eines einzelnen Exponats in einer rundum verglasten Vitrine mit nicht mehr als einem Hintergrund aus weißen Wänden im Ausstellungsraum ebenfalls eine Kontextualisierung des Objekts darstellt, die dessen Authentizität verzerrt. Denn gerade archäologische Fundstücke werden durch eine solche Inszenierung nicht als Gebrauchsgegenstände, sondern als Kunst- und Meisterwerke menschlichen Schaffens präsentiert. Indem Farben, Oberflächenstrukturen und Formen betont werden, wird der Fokus nicht auf ihre Funktion und Nutzung, sondern vor allem auf ihre Materialität gelegt. Sie erhalten dadurch mitunter für die Betrachter:innen eine gänzlich andere Bedeutung, als sie für ihre ursprünglichen Nutzer:innen besaßen. Auch im Rheinischen Landesmuseum Trier werden fast ausschließlich Originale ausgestellt. Diese werden hier allerdings in stärkerem Maße als in Saarbrücken durch Texte, Grafiken und zum Teil auch durch Modelle und Medien ergänzt. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann erklärten, dass die Entscheidung für Originale und gegen Rekonstruktionen und Kopien im Rheinischen Landesmuseum Trier bedeute, dass keine didaktisch aufbereiteten Wirklichkeiten – etwa mithilfe von Dioramen und Rekonstruktionen – kreiert würden. Die Originale sollten in den Vordergrund gestellt und »zum Sprechen« gebracht werden. Daher sei hier auch besonderer Wert auf die farbliche Gestaltung der Vitrinen sowie auf die Objektmontage gelegt worden.95 Es wurde also bewusst nicht versucht, eine ur- und frühgeschichtliche Umwelt zu simulieren, um die Exponate zu kontextualisieren. Stattdessen sollten die Objekte durch abstrakte Inszenierungsmittel ästhetisch und zugleich als Gebrauchsobjekte präsentiert werden. Besonders durch die Montagen gelang es, die Funktion der Exponate nonverbal zu
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Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 468, Zitat ebd. Vgl. Janeen Arnold Costa und Gary J. Bamossy, Culture and the Marketing of Culture, 1995, S. 301. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 484f., Zitat S. 485.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
kommunizieren. Beispielsweise sind in der Dauerausstellung dieses Museums Metallbeschläge eines Pferdezaumzeugs auf einem stilisierten Pferdekopf angebracht (s. Teilkapitel II.2.1, Abb. 15) und Pfeilspitzen sind auf dünnen Metallträgern vor hellblauem Hintergrund befestigt und so ausgerichtet, dass sie sich im Flug zu befinden scheinen. Im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle wurde ebenfalls Wert darauf gelegt, originale Objekte auszustellen. Kopien würden dort nur dann eingesetzt, wenn die Originalobjekte in der Sammlung vorlägen, aber aus konservatorischen Gründen nicht ausgestellt werden sollten.96 Hier wurde außerdem versucht, ähnlich wie in Trier, durch die Montage der Objekte deren Funktion und Bedeutung zu kommunizieren. Anders als in Trier setzt das Museum in Halle in einigen Ausstellungsabschnitten aber auch auf die (Re-)Konstruktion von Räumen und Umwelten. Beispielsweise wird durch aufwendige Wandbemalungen in einem Ausstellungssaal ein Raum in einer römischen Villa nachgestellt. Auch Rainer-Maria Weiss vom Archäologischen Museum Hamburg spricht sich explizit für die Präsentation von Originalen und gegen die Verwendung von Kopien aus. Rekonstruktionen seien nur vertretbar, wenn das Original zu fragil sei, um ausgestellt zu werden, oder wenn seine ursprüngliche Optik nicht mehr erkennbar sei. In letzterem Fall sollte das Original aber unbedingt neben der Rekonstruktion stehen.97 Allerdings werden die Exponate in der Dauerausstellung dieses Archäologischen Landesmuseums durch einen visuell starken Inszenierungsstil ergänzt, der ihre Funktion und Bedeutung durch Motive der heutigen Alltagswelt kommuniziert. Unter anderem werden dafür Fernsehgeräte, ein Leichenwagen und ein Kühlschrank eingesetzt. Geräte zum Fischfang und zur Fischzubereitung werden beispielsweise in einer als überdimensionale Sardinenbüchse gestalteten Vitrine gezeigt. Die Inszenierungsstrategien der untersuchten Archäologischen Landesmuseen werden im dritten Teil dieser Arbeit noch detaillierter analysiert. Indem die originalen Fundstücke ausgestellt werden, wird Besucher:innen in jedem Fall durch die Museen die Teilhabe an den authentischen Objekten ermöglicht, die ja schließlich auch das kulturelle Erbe der Besucher:innen – beziehungsweise, je nach persönlichem Empfinden, das bestimmter Gruppen oder das der ganzen Menschheit – darstellen sollen. Am Kulturerbe wird der Gesellschaft gewissermaßen ein Teilhabeanspruch zugestanden, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Unterhaltung von Institutionen der Denkmalpflege durch Steuergelder finanziert wird.98 Eng mit dem Begriff der Authentizität hängt außerdem der – vor allem im Zusammenhang mit historischen und prähistorischen Objekten häufig beschworene – Begriff der Aura zusammen. Das Konzept der Aura von Objekten wurde insbesondere durch Walter Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit geprägt. Benjamin erklärt dort den Begriff der Aura an natürlichen Gegenständen metaphysisch als eine einmalige Erscheinung der Ferne: »An einem Sommernachmittag ruhend einem Gebirgszug am Horizont oder einem Zweig folgen, der seinen Schatten auf den Ruhenden wirft – das heißt die Aura dieser Berge, dieses Zweiges atmen.« Aber 96 97 98
Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 500. Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 518. Vgl. hierzu Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 494.
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nicht nur natürliche Gegenstände, sondern ein jegliches Objekt kann Benjamin zufolge eine Aura haben. Der Philosoph beobachtete durch die fortschreitende Technik und ihre Möglichkeiten der schnellen und einfachen Reproduktion eines jeden Gegenstands einen Verfall der Aura, der auf zwei Aspekten beruhe: Erstens würden die Menschen versuchen, die »Dinge sich räumlich und menschlich ›näherzubringen‹«, und zweitens versuchten sie, das Einmalige zu überwinden, indem sie Aufnahmen und Reproduktionen anfertigten.99 Die Aura ist also bei Benjamin die Einheit von Einzigartigkeit und Fremdheit, ein auratischer Gegenstand ist der alltäglichen Lebenswelt entrückt und nicht ersetzbar. Die Aura ist des Weiteren abhängig vom »Zusammenhang der Tradition« eines Kunstwerks, also von seinem Kontext und seiner Deutung: Die Einzigartigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas außerordentlich Wandelbares. Eine antike Venusstatue z.B. stand in einem anderen Traditionszusammenhange bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultus machten, als bei den mittelalterlichen Klerikern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem anderen Wort: ihre Aura.100 Der an einem Museum tätige Archäologe Stefan Burmeister hat sich mit dem Konzept von Aura und Authentizität speziell mit Blick auf archäologische Exponate in Museen beschäftigt und dabei auch Benjamins Aurabegriff untersucht. Während Benjamin die Auffassung vertrat, dass Kunstwerke durch die Möglichkeiten der Massenproduktion ihre Unnahbarkeit und damit ihren Subjektstatus verlieren und stattdessen auf Objekte reduziert werden, ist Burmeister der Ansicht, dass die Aura überhaupt erst durch die Möglichkeit der massenhaften Reproduktion entsteht. Indem seine Reproduktion inflationär verbreitet werde, steige die Autorität des originalen Kunstwerks an. Benjamins metaphysische Argumentation könne die Aura in ihrer objektiven Realität daher nicht begründen.101 Die von Benjamin als Merkmal des auratischen Objekts bezeichnete Ferne sieht Burmeister in archäologischen Museen allerdings in mehrfacher Hinsicht gegeben. Eine räumliche Ferne bestehe, da vor allem durch Glasvitrinen die Distanzierung der Besucher:innen von den Exponaten gewährleistet werde, in Vitrinen bleibe das Objekt demnach trotz aller Nähe doch fern und unerreichbar. Aber auch inhaltlich blieben die Exponate aufgrund ihres Alters und ihrer Funktion distanziert und fremd. Ihre Unnahbarkeit werde oft durch ihre Präsentation verstärkt, beispielsweise wenn die Objektbeschriftung Fachbegriffe enthalte und das Objekt dadurch rätselhaft bleibe. Auch die Art und Weise, wie ein Objekt in Szene gesetzt werde, wie es in der Vitrine liege, wie es beleuchtet werde und welche Farbe der Hintergrund habe, könne beeinflussen, dass es
Vgl. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1963, S. 15, Zitate ebd., Hervorhebung i. O. 100 Ebd., S. 16f. 101 Vgl. Stefan Burmeister, Der schöne Schein, 2014, S. 102. Ebenso hat auch die Literaturwissenschaftlerin Ulrike Vedder im Eintrag Museum/Ausstellung im »Historischen Wörterbuch« Ästhetische Grundbegriffe argumentiert (vgl. Ulrike Vedder, Museum/Ausstellung, 2005, S. 188). 99
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
von Betrachter:innen als wertvoll, prestigeträchtig und bedeutungsvoll wahrgenommen werde.102 Unsere z.B. durch die Werbefotographie geschulte Sehkompetenz nimmt die besondere Inszenierung des Objektes wahr als das, was sie vorgibt zu sein: die Präsentation des Besonderen […]. Das Objekt geht in der Präsentation auf, Objekt und Inszenierung bilden für den Betrachter eine untrennbare Einheit: Das Exponat kann der inszenierten Bedeutungsaufladung nicht entrinnen.103 Burmeister legt somit dar, dass erst die Maßnahmen des Ausstellens, also die Präsentation, Inszenierung und (Re-)Kontextualisierung eines Objekts, diesem eine Aura verleihen. Meist werde den Exponaten in Ausstellungen des Weiteren durch Begleittexte eine Geschichte mitgegeben, die das Objekt in den historischen Zusammenhang stellen solle und die dem Kontextwissen der Kurator:innen entstamme. Das Narrativ, welches somit der Ausstellung insgesamt zugrunde liege, und der »Eigensinn« der Besucher:innen, die die ihnen angebotenen Informationen vor dem Kontext ihres Vorwissens interpretierten, wirkten zusammen sinnstiftend im Hinblick auf die Exponate. Der Archäologe argumentiert des Weiteren, dass Objekte als Exponate zunächst aus ihrem bisherigen Traditionszusammenhang herausgerissen und somit de-kontextualisiert seien. Durch die Präsentation gemeinsam mit weiteren Objekten und durch die Einordnung in die Themenführung der Ausstellung erzeugten Kurator:innen dann neue Kontexte, »die meist so nie zuvor bestanden haben«. Das Exponat werde damit re-kontextualisiert.104 Tatsächlich ist dieser letzte Schritt aber keine Re-Kontextualisierung, sondern überhaupt erst eine Kontextualisierung, denn die Objekte werden nicht in einen Kontext zurückgeführt, wie das Präfix »re-« andeutet, sondern in einen gänzlich neuen Kontext eingefügt. Burmeister kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass das Objekt von Betrachter:innen, also von den Ausstellungsmacher:innen und den Besucher:innen, mit Bedeutung aufgeladen wird und somit der Ausgangspunkt der Aura bei den Betrachter:innen liegt – und nicht wie von Benjamin angenommen beim Objekt. Die spezifische Situation, in der Betrachter:innen ein auratisches Erlebnis haben, könne im Museum durch Inszenierung gefördert werden.105 Bezüglich seines Fazits gilt es auch zu bedenken, dass Burmeister auf den Zusammenhang von Authentizität und Autorität hingewiesen und dargelegt hat, dass beide Begriffe in engem sprachgeschichtlichem Zusammenhang stehen. Authentischen, also als echt angesehenen Exponaten wird nicht nur eine Eigenschaft als Zeitzeugen zugesprochen, sie werden auch hinsichtlich ihrer historischen oder künstlerischen Aussage als Autoritäten anerkannt.106 Da die Aura und die Aussage von archäologischen Exponaten im Kontext einer Ausstellung aber insbesondere davon abhängen, wie die Ausstellungsmacher:innen sie präsentieren, inszenieren und kontextualisieren, resultiert
102 103 104 105 106
Vgl. Stefan Burmeister, Der schöne Schein, 2014, S. 104. Ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 104. Vgl. ebd., S. 106. Vgl. ebd., S. 99.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
aus dem Anschein der autoritativen Zeitzeugenschaft eine Redemacht, die den Ausstellungsmacher:innen zufällt. Welche Botschaft sie auch mit einer Ausstellung vermitteln wollen: Durch die authentischen Exponate, die Autoritäten darstellen und so in Szene gesetzt werden, dass sie gewissermaßen von selbst zu den Besucher:innen zu sprechen scheinen, wird die Botschaft scheinbar gestützt und kann ohne umfangreiches Fachwissen kaum angezweifelt werden. Michael Shanks und Christopher Tilley haben daher auch darauf hingewiesen, dass die Ästhetik des Museums die Tatsache verschleiert, dass die Autorschaft der dargestellten Vergangenheit in der Gegenwart liegt. Indem der archäologische oder historische Prozess der Erkenntnis als der einer passiven Entdeckung und Beschreibung der Vergangenheit präsentiert werde, entstehe der Eindruck, dass Geschichte von einem universalen, namenlosen Experten im weißen Kittel geschrieben werde oder gar von einem Gott oder der Wissenschaft selbst.107 Das Objekt wird also im Museum mit einer Aura versehen. Zugleich ist Stefan Burmeister aber auch der Meinung, dass es zunehmend von einem Authentizitätsanspruch entlastet werde, da sich die Erkenntnis durchsetze, »dass historische Aussagen weniger durch die Exponate als durch das einer Ausstellung unterliegende Narrativ getroffen werden«.108 Das Narrativ, das in archäologischen Ausstellungen aus der Gesamtheit der Objekte und der Inszenierung gebildet werde, übersteige also die jeweiligen Geschichten der einzelnen Exponate. Letztere könnten Sachverhalte allenfalls exemplarisch illustrieren, aber nicht erläutern. Stattdessen autorisierten sie das Narrativ der Ausstellung. Burmeister beobachtet, dass es dabei zu einer Umkehrung der Sprecherrolle komme: Nicht das Objekt selbst spreche, es sei lediglich »die Illusion einer Rede, gleich der Puppe eines Bauchredners, die – zu keiner eigenen Sprache fähig – nur vorgibt zu sprechen. Der wahre Sprecher hinter den Exponaten bleibt jedoch unerkannt.«109 Dies berührt wieder die bereits in Teilkapitel II.2.3 angesprochene Kontroverse im Ausstellungswesen um die Frage, ob Exponate ihren Betrachter:innen ihre Bedeutung eigenständig vermitteln können oder ob sie nur durch die Inszenierung der Ausstellung »zum Sprechen« gebracht werden. In Aby Warburgs Konzept der Pathosformel ist die Überzeugung angelegt, dass sich in Objekten Sinn erhalte, der sich bei Kontakt gewissermaßen automatisch entlade und erschließe. Gesteht man Objekten ein solches Potenzial zu, erscheint jede zusätzliche Kontextualisierung und Begleitung von Exponaten durch Mittel der Inszenierung und Vermittlung, wie beispielsweise Grafiken und Texte, als eine künstliche Überlagerung und Verzerrung der authentischen Aussage, die dem Objekt inhärent ist. Diese Auffassung liegt der Gestaltung der Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes zugrunde. Viele Autor:innen im Bereich der Museumsforschung betonen inzwischen aber ebenso wie die interviewten Vertreter:innen der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Museen, dass Objekte und insbesondere ur- und frühgeschichtliche Exponate nicht für sich selbst sprechen können, sondern dass ihre Bedeutung vermittelt werden muss.110
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Vgl. Michael Shanks und Christopher Tilley, Re-Constructing Archaeology, 1992, S. 90. Vgl. Stefan Burmeister, Der schöne Schein, 2014, S. 99. Vgl. ebd., S. 106. Beispielsweise hält Arnold Muhl die Erklärung ehemaliger Funktionen und Bedeutungen von Exponaten durch Texte und weitere Formen der Informationsvermittlung für eine Notwendigkeit,
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Dabei reden sie allerdings oft metaphorisch davon, die Objekte zum Sprechen zu bringen – was natürlich kaschiert, dass in ihren Ausstellungen weniger die Objekte als vielmehr die Gesamtheit der Inszenierung zu den Besucher:innen spricht.111 Annette Lepenies beispielsweise vertritt die Überzeugung, dass Objekte nicht selbst sprechen können, sondern als »Teile einer menschlichen Umwelt« mit Bedeutungen versehen werden, die für einen jeweiligen Kontext spezifisch sind. Damit ein Objekt verstanden und kommuniziert werden könne, müsse es interpretiert werden und es könne nur durch sehr komplexe Übersetzungsleistungen in andere zeitliche oder kulturelle Kontexte übertragen werden. Die Informationen von Objekten würden dabei selbst im Museum nicht neutral bereitgestellt; auch hier bestimmten Wertpräferenzen und diverse museologische Entscheidungen, welche Informationen vermittelt würden, welche nicht und wo welche Information auf welche Weise vermittelt werde.112 Auch Heiner Treinen vertritt die Ansicht, dass Museumsexponate weder mit den Besucher:innen kommunizieren können noch diese umgekehrt mit ihnen. Stattdessen weist Treinen ihnen den Status von Kommunikationsangeboten zu. Erlebnisse mit Objekten seien zwar möglich, bezögen sich aber immer auf kommunikative Vorerfahrungen und Erwartungen. Zwiegespräche mit anderen Besucher:innen oder stille Selbstgespräche seien bei der Betrachtung von Exponaten zwar üblich, aber dies belege nur, dass die Objektwahrnehmung im Museum anderen Menschen oder einem selbst kommuniziert werde – und nicht im Austausch mit den Objekten erfolge. Kommunikation impliziere schließlich den Austausch zwischen Menschen, wohingegen es sich bei Objekten lediglich um Bedeutungsträger handele, »sofern sie Werthaltungen und Kognitionen enthalten, die repräsentativ für Gruppierungen, Kollektive oder für Öffentlichkeiten sind«. Sie dienten also als Zeichen beziehungsweise Symbole und damit als »Vehikel für implizite Bedeutungsmuster«. Damit gesteht Treinen Objekten als Zeichen aber zumindest das Potenzial zu, von Menschen entschlüsselt zu werden, die eine entsprechende gemeinsame kulturelle Normen- und Wertebasis haben.113 Sofern Betrachter:innen also über genügend Wissen zum kulturellen Hintergrund eines Objekts verfügen, können sie seine Bedeutung ohne weitere Vermittlung erschließen. Zu materiellen Relikten ur- und frühgeschichtlicher Zeiten haben die meisten Menschen aber nicht das erforderliche Wissen. Gerd-Christian Weniger hat deshalb darauf hingewiesen, dass besonders archäologische Ausstellungen einen hohen Erklärungsbedarf aufweisen. Da die dort präsentierten Rekonstruktionen vergangener Wirklichkeiten lediglich aktuelle Wahrscheinlichkeiten darstellten, müssten auch alternative Deutungen ausgewiesen werden, um wissenschaftliche Seriosität zu gewährleisten. Die daraus resultierende Komplexität vieler verschiedener Versionen der Vergangenheit könne durch die neuen, digitalen Technologien abgebildet werden.114
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wenn eine Ausstellung kundenorientiert sein soll (vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 499). So beispielsweise Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 515; Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 485; Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 484; Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514. Vgl. Annette Lepenies, Wissen vermitteln im Museum, 2003, S. 47f., Zitat S. 47. Vgl. Heiner Treinen, Ausstellungen und Kommunikationstheorie, 1996, S. 60f., Zitate S. 61. Vgl. Gerd-Christian Weniger, Überlegungen zur ›Virtualität‹ archäologischer Museen, 2002, S. 98.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Wie authentisch kann die Präsentation eines Objekts aber sein, wenn man davon ausgeht, dass dieses in Ausstellungen in einen gänzlich neuen Kontext eingeordnet wird und ihm seine Aura erst im Zuge dieser Inszenierung zugeschrieben wird? Stefan Burmeister hat bereits gezeigt, dass inzwischen von »Authentizitätsfiktionen«115 gesprochen wird, und die Expertin für Kulturerbe Fiona McLean hat in ihrem Buch Marketing the Museum dargelegt, dass in Ausstellungen eine soziale Realität von Objekten definiert wird, die nicht die Realität der Vergangenheit ist, aus der die Objekte stammen, sondern die Realität der Gegenwart, in der ihre Vergangenheit neu erfunden wird.116 Gerade mit Blick auf archäologische Objekte hat Susan M. Pearce darauf hingewiesen, dass das Authentische beziehungsweise das Original in Ausstellungen schwer zu bestimmen ist. Denn archäologische Ausstellungsstücke durchliefen einen konservatorischen Prozess, der sie verfremde. Beispielsweise würden Scherben zu einem kompletten Gefäß ergänzt und Knochen würden auf Draht aufgezogen, um sie im Verbund zu zeigen. Für Besucher:innen sei daher oft nicht zu erkennen, was original und was (re-)konstruiert ist.117 Darüber hinaus lässt sich darüber diskutieren, ob die Rekonstruktion eines Objekts dieses eher verfremdet oder ob sie es dem Original nicht vielmehr näherbringt. Werden beispielsweise Scherben eines Gefäßes wieder zusammengesetzt und fehlende Stücke ergänzt, dann stellt sich die Frage, ob das durch Klebung und Ergänzung rekonstruierte Gefäß wieder als authentisches Original bezeichnet werden kann. Sind stattdessen vielleicht nur die Scherben in ihrer Fundsituation authentisch? Oder ist das Original durch die Zerstörung des Gefäßes unwiederbringlich verloren und jede Rekonstruktion ist nur eine Imitation und Interpretation? Hinsichtlich des Begriffs der Authentizität können zwei Bedeutungen unterschieden werden, die Thomas Thiemeyer herausgearbeitet hat: Als quellenkritische Kategorie bezeichnet Authentizität Tatsachentreue, über die sich streiten lässt – dies dürfte gerade anhand der offenen Fragen deutlich geworden sein. Aber als rezeptionsästhetische Kategorie wird der Begriff »Authentizität« synonym mit »Glaubwürdigkeit« verwendet. In diesem zweiten Sinne ist für Authentizität also nicht entscheidend, »ob ein Objekt eine wesensmäßige, tatsächliche Verbindung zur Vergangenheit besitzt, sondern ob es vom Rezipienten als echt wahrgenommen wird.«118 Authentizität im quellenkritischen Sinne besteht dagegen nur, wenn ein Objekt ein direktes Zeugnis vergangener Realität ist. In diesem Sinne hat Anke te Heesen Exponate unter anderem als Spuren der Vergangenheit betrachtet und sie daher als »Erfahrungsrest einer vergangenen Zeit« beschrieben.119 Die Historikerin hat außerdem dargelegt, dass manche Spuren aufgrund ihrer Verbindung zur Vergangenheit, also aufgrund ihres Zeugnischarakters, regelrecht anbetungswürdig sind: 115 116 117 118
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Vgl. Stefan Burmeister, Der schöne Schein, 2014, S. 100. Vgl. Fiona McLean, Marketing the Museum, 1997, S. 19. Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 121. Vgl. Thomas Thiemeyer, Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, 2010, S. 265, Zitat ebd., Hervorhebung i. O. Auch Marco Kircher hat darauf hingewiesen, dass die Authentizität historischer Darstellungsformen ein subjektiv variables Gefühl sei, das aber eine wichtige Rolle dafür spiele, wie Rezipient:innen eine Darstellungsform – also beispielsweise eine Ausstellung – bewerteten (vgl. Marco Kircher, Wa(h)re Archäologie, 2012, S. 71). Vgl. Anke te Heesen, Exponat, 2015, S. 35–43.
II.3 Archäologische Landesmuseen als Erbverwalter?
Denn die Spur, die auf etwas Abwesendes verweist – mag sie noch so unabsichtlich sein, noch so unvollständig –[,] stellt immer einen auf »Kontakt beruhenden Ausdruck« dar. Ähnlich einer Reliquie liegt hier die Vorstellung einer Berührung zugrunde, die zwar nicht mehr sichtbar, aber imaginierbar ist – gerade weil diese Spuren so unabsichtlich, so nebensächlich erscheinen […].120 Den hier von te Heesen beschriebenen Charakter von Objekten hat Vanessa Schröder mit dem Begriff der kontagiösen Magie erklärt. Sie hat beobachtet, dass der Umgang mit historischen Objekten der Art, mit Reliquien umzugehen, ähnelt. Kontagiöse Magie ist ein Begriff der Ethnologie, der die Vorstellung bezeichnet, dass Objekte mit Göttern oder Heiligen in Berührung gekommen sind, wodurch sie selbst heilig geworden sind.121 Ebenso verehren manche Menschen Gegenstände, die von ihrem Idol, etwa einer berühmten Person der Unterhaltungsindustrie, berührt worden sind. Auch darauf lässt sich der Begriff der kontagiösen Magie übertragen, ebenso wie auf die Wertschätzung von archäologischen Objekten. Der Gedanke, dass ein archäologisches Objekt von Menschen der Urgeschichte berührt, benutzt und hergestellt worden ist, kann Menschen heute faszinieren. Michael Shanks und Christopher Tilley haben beispielsweise argumentiert, dass archäologische Objekte die besondere Eigenart haben, Spuren einer menschlichen Präsenz an sich zu haben. Die Fingerabdrücke eines Töpfers im Ton eines neolithischen Keramikgefäßes sind ein extremes Beispiel für die Spur einer menschlichen Präsenz. Aber auch jegliche andere Form der Materialbearbeitung oder -behandlung stellt eine solche Spur dar. So kann beispielsweise selbst verkohltes Holz darauf hindeuten, dass an der Fundstelle Menschen zumindest vorrübergehend lagerten und deshalb das Feuer anzündeten. Auf eine solche erhaltene menschliche Präsenz gründet sich Shanks und Tilley zufolge die Vorstellung einer gegenwärtigen Vergangenheit in Form archäologischer Exponate. Sie mache die Authentizität des Objekts aus und verleihe ihm Autorität. Darüber hinaus resultiere daraus auch die Romantik der Archäologie sowie ihre Attraktivität und Popularität.122 Besonders stark für eine streng quellenkritische Auffassung des Authentizitätsbegriffs ist Gottfried Korff eingetreten: Authentizität meint den historischen Zeugnischarakter und nicht den ästhetischen Wert. Sie in die Nähe von Benjamins Begriff Aura zu rücken, ist nicht falsch, vor allem auch deshalb nicht, weil Benjamins Aura-Begriff ja nie ausschließlich nur das Kunstwerk meinte; wie manche Ästhetik-Theorie uns das glauben machen. [sic!] will.123 Der Kulturwissenschaftler vertritt die Überzeugung, dass gerade die Authentizität des historischen Relikts die besondere und nur der musealen Geschichtsdarstellung eigene Erfahrung ermögliche, die durch sinnliche Reize und nicht nur auf kognitivem Weg gewonnen werden könne. Den Grund für dieses Vermögen der Authentizität verortet er in
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Ebd., S. 39. Vgl. Vanessa Schröder, Geschichte ausstellen Geschichte verstehen, 2013, S. 53. Vgl. Michael Shanks und Christopher Tilley, Re-Constructing Archaeology, 1992, S. 75. Gottfried Korff, Museumsdinge, 2002, S. 121.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
der Ambivalenz historischer Relikte, die die Vergangenheit nicht nur nah an die Betrachter:innen heranrückten, sondern sie zugleich auch von ihnen entfernten, »aufgrund der eigenartigen Fremdheit, die authentischen Dingen inkorporiert ist.« Es sei jedoch wichtig, dass die Geschichtsdarstellung das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Ferne deutlich zeige, denn sonst würde fälschlich Nähe simuliert.124 Im quellenkritischen Sinn authentisch ist ein archäologisches Exponat also, wenn es zweifelsfrei die Spur einer menschlichen Präsenz der Vergangenheit darstellt. Diese Authentizität wird aber durch die Maßnahmen der Konservierung und der Präsentation mit einer durch die Ausstellung neu generierten rezeptionsästhetischen Authentizität zumindest ergänzt und zum Teil sogar überlagert – selbst wenn es das Ziel der Inszenierung ist, die quellenkritische Authentizität des Exponats hervorzuheben. Dieses Ziel kann auf vielfältige Art und Weise verfolgt werden, beispielsweise indem die Exponate wie in der Dauerausstellung des Saarbrücker Landesmuseums möglichst frei von weiteren optischen oder auditiven Elementen präsentiert werden. Es kann auch verfolgt werden, indem die Umwelt, in der das Exponat ursprünglich hergestellt und verwendet wurde, rund um das Objekt mehr oder weniger realistisch oder abstrahiert simuliert wird. In der Ausstellungsgestaltung sind unendlich viele Möglichkeiten der Inszenierung denkbar. Letztlich ist es aber unmöglich, ein archäologisches Fundstück in seinen realen Kontext zurückzuversetzen. Seine Einordnung in eine Ausstellung generiert unweigerlich, unabhängig von deren Inszenierungsstrategie, einen neuen Kontext, der seine eigene – eben rezeptionsästhetische – Authentizität besitzt. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida haben deshalb darauf aufmerksam gemacht, dass sich am musealen Objekt immer ein Funktions- und Bedeutungswandel vollzieht und die Beziehung der heutigen Betrachter:innen zu dem Objekt automatisch eine andere als die seiner Hersteller:innen und Nutzer:innen ist.125 Die Authentizität archäologischer Ausstellungen hat allerdings auch Einfluss darauf, ob das darin präsentierte kulturelle Erbe von den Besucher:innen als »ihres« angenommen wird, denn Authentizität wirkt überzeugend und ist somit wichtig für die Kommunikation in Ausstellungen. Sie kann die erfolgreiche Vermittlung einer Vorstellung kultureller Identität befördern. Nachdem nun die Rolle Archäologischer Landesmuseen mit Blick auf das kulturelle Gedächtnis und das kulturelle Erbe reflektiert worden ist, möchte ich mich im letzten Kapitel dieses zweiten Teils der Dissertation noch der kulturellen Identität zuwenden.
124 Vgl. ebd., S. 120f., Zitat S. 120. Ähnlich hat Korff auch schon 1990 in der gemeinsam mit Martin Roth verfassten Einleitung zu Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik argumentiert (vgl. Gottfried Korff und Martin Roth, Einleitung zu Das historische Museum, 1990, S. 17). 125 Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie, 2013, Zusatzmaterial, S. 14f.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
II.4.1 Theorien zur Konstruktion kultureller Identität Ich habe nun bereits die kulturellen Operationen herausgearbeitet und analysiert, mittels derer kulturelles Gedächtnis sowie kulturelles Erbe ausgebildet, umgeformt und tradiert werden. Dabei sollte deutlich geworden sein, dass die Arbeit Archäologischer Landesmuseen ebendiese Operationen umfasst und die Museen somit zum kulturellen Gedächtnis und zum kulturellen Erbe einer Gesellschaft konstruktiv beitragen – sie sind also nicht nur Bewahrer, sondern auch Produzenten und Vermittler von Gedächtnis und Erbe. Jetzt soll in den Blick genommen werden, welche Rolle Archäologische Landesmuseen für kulturelle Identitäten spielen. Wie schon zuvor werde ich dafür zunächst den Stand des kulturwissenschaftlichen Diskurses zur Konstruktion kultureller Identität vorstellen. Aleida Assmann unterscheidet drei Impulse, die unterschiedliche Beziehungen zur Vergangenheit auslösen. Neben Neugier, die zu einer Geschichte als Marktfaktor in der Unterhaltungsindustrie führt, und einem ethnischen Imperativ des »Du sollst dich erinnern«, der unter anderem zur Errichtung von Mahnmalen und Kriegsdenkmälern führt, nennt sie das Bedürfnis nach Identitätsvergewisserung.1 Diesen dritten Impuls der Beschäftigung mit der Vergangenheit, die Identitätsvergewisserung oder Selbstdefinition, hat Jan Assmann in Das kulturelle Gedächtnis ebenfalls beschrieben. Er argumentiert, dass die Vorstellung einer (nationalen) Gemeinschaft »auf die Imagination einer in die Tiefe der Zeit zurückreichenden Kontinuität« angewiesen ist.2 Für die Konstituierung und Aufrechterhaltung einer Identität sei es notwendig, dass das Individuum eine in die Vergangenheit zurückreichende Kontinuität seines Selbst wahrnimmt. Alois Hahn erklärt, dass eine Gruppe es einem Individuum ermöglichen könne, sich als Identisch-Bestehendes »im Strom der verschiedenen Akte« zu begreifen, indem sie dem Individuum und sich selbst versichere, dass das Individuum – und niemand anderes – Urheber:in seiner
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Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis, 2007, S. 25–27. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 132f., Zitat S. 133.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Taten sei. Dabei werde auch das zeitliche Verhältnis der Akte zueinander berücksichtigt und ihre Abfolge werde im Gedächtnis der Gruppe gespeichert.3 Das Selbst eines Menschen wird also nicht schon durch die Handlungen als solche gebildet, sondern dadurch, daß ihm seine Gruppe die von ihr für gedächtniswürdig erachteten Handlungen in der zeitlichen Ordnung ihrer Abfolge als seine Vergangenheit zurechnet.4 Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Gruppen und Individuen gibt es für keine Gruppe eine gemeinsame, homogene Geschichte. Stattdessen, so erläutert es beispielsweise der Soziologe Peter Wagner, liege in jedem Kollektiv stets eine Vielzahl von unterschiedlichen Erfahrungen vor. Wenn dennoch eine gemeinsame Geschichte vertreten werde, dann sei diese Vorgehensweise eine von der Gegenwart vorgenommene Repräsentation der Vergangenheit. Zusammengehörigkeit entstehe also nicht aufgrund einer gemeinsamen Geschichte, sondern aufgrund einer Interaktion zwischen denen, die die Vergangenheit als eine gemeinsame Vergangenheit ansehen, und denen, die sich von dieser Ansicht überzeugen lassen und sie für ihre eigene Orientierung in der sozialen Welt übernehmen.5 Eine so durch die Einigung auf eine gemeinsame Vergangenheitsdeutung erfolgende Selbstdefinition bezeichnet Aleida Assmann als eine geschlechtliche, ethnische und politische Positionierung und beschreibt Identität daher als aktive Konstruktion und Deutung der eigenen Geschichte, die diskursiv vermittelt wird.6 Sie ordnet der Identitätsbildung deshalb auch drei Gebrauchsformen des Funktionsgedächtnisses zu, nämlich die Legitimation, die Delegitimation und die Distinktion. Legitimation ist das vordringliche Anliegen des offiziellen oder politischen Gedächtnisses. Die für diesen Fall charakteristische Allianz zwischen Herrschaft und Gedächtnis äußert sich positiv in der Entstehung elaborierter Formen geschichtlichen Wissens, vorzugsweise in der Form der Genealogie, denn Herrschaft braucht Herkunft.7 Legitimation ist somit die für politische Funktionsgedächtnisse besonders wichtige Funktion. Besiegte und Unterdrückte seien Träger einer Gegenerinnerung, deren Motiv die Delegitimierung von Machtverhältnissen sei, »die als oppressiv erfahren werden«. Sie sei wie die offizielle Erinnerung politisch, diene jedoch im Gegensatz zu dieser nicht zur Fundierung der Gegenwart, sondern zu der der Zukunft, »d.h. jener Gegenwart, die auf den Umsturz der bestehenden Machtverhältnisse folgen soll.« Unter der Distinktion versteht Aleida Assmann alle symbolischen Äußerungsformen, »die der Profilierung einer kollektiven Identität dienen.« Im religiösen Bereich könnten dies zum Beispiel Riten und Feste sein. Im säkularen Bereich dagegen nennt Assmann die nationalen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, »die durch Rekonstruktion bzw. ›Erfindungen‹ ge-
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Vgl. Alois Hahn, Identität und Selbstthematisierung, 1987, S. 9. Ebd., S. 10. Vgl. Peter Wagner, Fest-Stellungen, 1998, S. 70. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 62f. Ebd., S. 138, Hervorhebung i. O.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
meinsamer Traditionen für das neue politische Handlungssubjekt ›Volk‹ eine Identität schufen«.8 Da Menschen sich also durch das definierten, was sie gemeinsam erinnern und vergessen würden, könne eine Umbildung der Identität nur durch einen Umbau des Gedächtnisses erfolgen – sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene.9 Darin stimmt Aleida Assmanns Theorie mit der von Jan Assmann überein, der in Das kulturelle Gedächtnis aufgezeigt hat, dass Veränderungen einer kollektiven Identität stets auf Veränderungen im kulturellen Gedächtnis zurückgehen. Der Untergang von Kulturgruppen erfolge daher auch bis auf seltene Ausnahmen nicht durch physische Auslöschung, sondern durch kollektives kulturelles Vergessen.10 Aleida Assmann bezieht sich des Weiteren auf Pierre Nora, der dargelegt habe, dass »weder Kollektivseele noch objektiver Geist hinter dem Gedächtnis der Gruppe steckt, sondern die Gesellschaft mit ihren Zeichen und Symbolen«. Jeder Einzelne habe über die gemeinsamen Symbole teil an einem kollektiven Gedächtnis und an einer kollektiven Identität. Damit sei der Schritt von Halbwachsʼ Vorstellung einer räumlich und zeitlich begrenzten Gruppe zu Noras Vorstellung einer abstrakten Gemeinschaft vollzogen. Letztere definiere sich raum- und zeitübergreifend über Symbole und ihre Mitglieder müssten sich nicht einmal kennen, um eine gemeinsame Identität und ein gemeinsames Gedächtnis zu teilen. Beispiel für eine solche Gemeinschaft sei die Nation. Aleida Assmann legt des Weiteren dar, dass Nora die Zeichen der Geschichte von den Zeichen der Geschichtsschreibung unterscheidet. Erstere machten das Gedächtnis der Nation aus, letztere den wissenschaftlichen Diskurs der Historiografie. Das lebendige Gedächtnis und die analytische Geschichtsschreibung stünden für Nora in einem Kampf, der seit der Moderne zugunsten des Gedächtnisses ausgehe.11 Entgegen Noras Überzeugung, dass die Geschichtsschreibung dem lebendigen Gedächtnis unterlegen sei, tritt Eva Kimminich für die Bedeutung der Geschichtsschreibung ein. Sie argumentiert, die Geschichtsschreibung sei für eine Gesellschaft der wichtigste Diskurs im Hinblick auf die Vergewisserung des eigenen Selbst. Die Geschichte wiederum sei das Resultat einer Selektion von Inhalten, die das Ziel verfolge, eine bestimmte Erzählung zu formen: »Mit ihrer Geschichtsschreibung und Archivierung von Dokumenten betreibt eine Gesellschaft deshalb Gedächtnis- und Identitätspolitik.«12 Vor allem in Perioden radikaler sozialer und politischer Veränderung würden Geschichten re-evaluiert und umgeschrieben, da für die Konstruktion einer Identität die Vergangenheit – insbesondere die Vergangenheit im Sinne von Ethno-Historien, die Authentizität und Legitimation bereitstellten – sehr zentral sei.13 Einen solchen Gebrauch von Geschichte zum Zweck der Identitätsbildung hat Friedrich
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Vgl. ebd., S. 139. Vgl. ebd., S. 62f. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 160. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 132, zitiert nach Pierre Nora, Zwischen Geschichte und Gedächtnis, 1990, S. 12f. Vgl. Eva Kimminich, Macht und Entmachtung der Zeichen, 2003, S. XVf., Zitat S. XVI. Vgl. Siân Jones und Paul Graves-Brown, Introduction. Archaeology and Cultural Identity in Europe, 1996, S. 1.
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Nietzsche als »antiquarischen« bezeichnet und ihn von einem monumentalistischen und einem kritischen Gebrauch der Historie unterschieden: Wenn der Mensch, der Grosses schaffen will, überhaupt die Vergangenheit braucht, so bemächtigt er sich ihrer vermittelst der monumentalistischen Historie; wer dagegen im Gewohnten und Altverehrten beharren mag, pflegt das Vergangene als antiquarischer Historiker; und nur der, dem eine gegenwärtige Noth die Brust beklemmt und der um jeden Preis die Last von sich abwerfen will, hat ein Bedürfnis zur kritischen, das heisst richtenden und verurtheilenden Historie.14 Nietzsches Beschreibung der antiquarischen Historie wurde von einigen Autor:innen aufgegriffen. So hat beispielsweise Aleida Assmann davon abgeleitet, dass besonders bei der Konstituierung einer Nation antiquarische Geschichtserinnerung betrieben werde,15 und Béatrice Fleury-Ilett hat darauf hingewiesen, dass es im Zuge einer solchen antiquarischen Geschichtserinnerung nicht nur zu einer Neuinterpretation der Vergangenheit komme, sondern dass sogar verstärkt in die Richtung Forschung betrieben und Ergebnisse gedeutet würden, die der erwünschten Vergangenheitsinterpretation entspreche.16 Wie bereits in Kapitel I.1 dargelegt wurde, lässt sich dieser Effekt beispielsweise an der Ausrichtung der Altertumsforschung in Deutschland während der Zeit des NS-Regimes beobachten, welche besonders durch das SS-Ahnenerbe und das Amt Rosenberg befördert wurde. Die Verbindung des Konzepts der kulturellen Identität mit dem des kulturellen Gedächtnisses ist also sehr eng und die wissenschaftliche Literatur zu einem der beiden Themen kommt kaum ohne das jeweils andere aus. Es herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass sich eine kulturelle Identität stets auf das im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Wissen über die Vergangenheit stützt und dass das kulturelle Gedächtnis daher von prägender Bedeutung sowohl für die Identität von Individuen als auch für die von Gruppen ist. Beide können ihre kulturelle Identität nur mittels Erinnerung und Gedächtnis über längere Zeiträume hinweg aufrechterhalten. Zur Aufrechterhaltung der personalen Identität hat das neurowissenschaftliche Gedächtnis eine neuronale Basis, an deren Stelle das individuelle und das kollektive kulturelle Gedächtnis zur Ausbildung und Kontinuität der kulturellen Identität über die Kultur verfügen. Jan Assmann beschreibt diese als »Komplex identitätssichernden Wissens, der in Gestalt symbolischer Formen wie Mythen, Liedern, Tänzen, Sprichwörtern, Gesetzen, heiligen Texten, Bildern, Ornamenten, Malen, Wegen, ja – wie im Falle der Australier – ganzer Landschaften objektiviert« sei. In diesen Formen der Erinnerung, die ursprünglich durch Feste und rituelle Begehungen tradiert wurden, zirkuliere das kulturelle Gedächtnis.17 Die objektivierte Kultur stellt Assmann zufolge eine identitätskonkrete Wissensstruktur dar, also eine Wissensstruktur, auf die eine Gruppe das Bewusstsein ihrer »Einheit und Eigenart« stütze und aus der sie die formativen und normativen Kräfte
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Friedrich Nietzsche, Unzeitgemässe Betrachtungen, 1988, S. 264. Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, 1999, S. 78. Vgl. Béatrice Fleury-Ilett, The Identity of France: Archetypes in Iron Age Studies, 1996, S. 207. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 89.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
beziehe, die sie für die Reproduktion ihrer Identität braucht. Somit habe die objektivierte Kultur die Struktur eines Gedächtnisses.18 Das individuelle Gedächtnis wiederum konstituiere sich in der Kommunikation mit Gruppen, die von sich selbst beziehungsweise von ihrer Einheit und Eigenart ein Bild oder einen Begriff hätten, das oder der auf das Bewusstsein einer gemeinsamen Vergangenheit gestützt sei. Da jedes Individuum an vielen solcher Gruppen teilhabe, habe es somit auch »an einer Vielzahl kollektiver Selbstbilder und Gedächtnisse teil«.19 Demnach müsste sich die Ausbildung von kultureller Identität mit den Ausformungs- und Umformungsprozessen des kulturellen Gedächtnisses wie folgt erklären lassen: Da Menschen jeweils zu mehreren Kollektiven gleichzeitig gehören, bedeutet das, dass sie auch an mehreren kulturellen Gedächtnissen und letztlich auch an mehreren kollektiven Selbstbildern Anteil haben. Sie setzen dann ihr individuelles Selbstbild, also ihr jeweiliges Verständnis ihrer kulturellen Eigenart, aus den kollektiven Selbstbildern der Gruppen zusammen, denen sie sich zugehörig fühlen. Auf der kollektiven Ebene übertragen Individuen außerdem durch Kommunikation Elemente einer kollektiven Identität in andere Kollektive und treiben somit Austausch- und Umbildungsprozesse an. Jan Assmann vergleicht die Konstitution sozialer Identität daher auch mit dem Zusammenspiel von Zellen im Körper, die eine Identität aufbauen und aufrechterhalten, indem sie unablässig Kontakte und damit »Kohärenz und organische Integration« herstellen. In der sozialen Identität zirkuliere kultureller Sinn und dadurch entstünde Gemeinsinn. Somit baue sich in jedem Mitglied eines Kollektivs das Wissen auf, dass das Kollektiv vor den Wünschen, Trieben und Zielen des Einzelnen Vorrang habe.20 Diese Auffassung, dass kollektive Identität Vorrang vor individueller Identität hat, vertritt Assmann aus der Überzeugung heraus, dass eine individuelle Identität von außen nach innen wachse. Damit meint er, dass sich die individuelle Identität eines Menschen ausgehend von den Interaktions- und Kommunikationsmustern sowie dem Selbstbild einer Gruppe aufbaue und daher soziogen sei. Er relativiert diese Hierarchisierung von kollektiver und individueller Identität jedoch, indem er beide als sich gegenseitig bedingend beschreibt. Die kollektive Identität existiere demnach nicht ohne die Individuen, die das Kollektiv bilden und tragen. Sie werde also von den Individuen geformt.21 Es handelt sich um die in der Sprachwissenschaft wohlbekannte Dialektik von Dependenz und Konstitution (oder Deszendenz und Aszendenz). Der Teil hängt vom Ganzen ab und gewinnt seine Identität erst durch die Rolle, die er im Ganzen spielt, das Ganze aber entsteht erst aus dem Zusammenwirken der Teile.22 Identität wächst also nicht nur von außen nach innen, sondern zugleich auch von innen nach außen. Die Kulturwissenschaftlerin und Romanistin Eva Kimminich hat Identität 18 19
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Vgl. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 1988, S. 11f., Zitat S. 12. Vgl. ebd., S. 10f., Zitat S. 11. An dieser Stelle sei auch noch einmal darauf verwiesen, dass im Sinne Ludwik Flecks jeder Mensch mehreren Denkkollektiven angehört und durch die Übertragung von Elementen eines Denkstils in ein anderes Denkkollektiv neue Erkenntnisse und Veränderungen im Denkstil herbeiführen kann. Vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, 2013, S. 140. Vgl. ebd., S. 130f. Ebd., S. 131.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
daher als ein »beständiges Herstellen und Umbilden eines mentalen Gebildes […], das den sozialen, nationalen oder ethnischen Habitus eines zum Individuum gewordenen Subjekts beständig neu formt«, beschrieben. Sie betrachtet Identität allerdings nicht als permanenten und gleichbleibenden Zusammenschluss unterschiedlicher Einflüsse, also als ein konstantes Bild, das zwar aus vielen, aber immer denselben Bausteinen in derselben Zusammensetzung konstruiert ist. Vielmehr vertritt sie die Ansicht, dass Identitätsakteur:innen immer mehrere soziale Identitäten haben und situationsbedingt ihre Identität in stets neuer Konstellation aus diesen zusammensetzen. Die Konstruktion von individueller Identität aus vielen miteinander zu vereinenden Bausteinen erfolge diskursiv.23 Das heißt, Kimminich geht davon aus, dass Menschen gleichzeitig viele soziale Identitäten haben und je nach Situation und sozialem Umfeld einige Elemente dieser Identitäten auswählen, kommunizieren und so ein jeweils anderes Bild ihrer Identität transportieren. Sie schließt aus diesem Konzept der situationsbedingt konstruierten individuellen Identitäten, dass sich auch kollektive Identitäten permanent wandeln, da sie von vielen individuellen Identitäten beeinflusst werden.24 Als die konstitutive Praxis bei der jeweiligen Konstruktion kultureller Identität macht Eva Kimminich das Erzählen aus. Die Kulturwissenschaftlerin charakterisiert Geschichten als sprachliche Realisierungen, mit denen »Handlungen im Zusammenhang mit einer Kette von Handlungen relationiert [werden], die wiederum in Geschichten eingebettet sind.« Der Erzähler könne sich dabei zum Beispiel über die Themenauswahl oder den Erzählstil selbst positionieren und sein Selbst erzählend erzeugen und überprüfen. Eine derartige Identitätsbildung durch Erzählung sei, so Kimminich, jedoch nur erfolgreich, wenn sie auch von anderen anerkannt und somit sozial legitimiert werde.25 Da Identität immer in Geschichten und Diskurse verstrickt sei und durch kulturspezifische diskursive Figuren bestimmt werde, bezeichnet Kimminich sie als narrativ und dialogisch. Durch ständiges Aufeinanderbeziehen würden Geschichten und Diskurse zu »Baustellen kollektiver wie individueller Handlungsmuster« und seien somit die Grundvoraussetzung für individuelle und kollektive Identitätsbildungsprozesse. In den Metadiskursen einer Gesellschaft wurzelten daher »sämtliche, jeweils mit unterschiedlichen (politischen, sozialen oder ästhetisch-ethischen) Kategorien versehenen Hegemonialansprüche« von Individuen und Gruppen.26 Sie verdichten sich in spezifischen Zeichen, Symbolen, Vorbildern oder Strukturen, in Arte-, Mente- und Kinefakten, die das Individuum, den jeweiligen kulturellen und sozialen Voraussetzungen und situationsspezifischen Anforderungen sowie seinen affektiven Bedürfnissen entsprechend, als Anlass seiner semantischen Operationen mehr oder weniger beliebig auswählen kann.27 Der Philosoph Siegfried J. Schmidt ist darüber hinaus der Überzeugung, dass man sich, um Identität herzustellen, »an alle relevanten Ich-Erzählungen erinnern [müsse], die
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Vgl. Eva Kimminich, Macht und Entmachtung der Zeichen, 2003, S. XIIIf., Zitat S. XIII. Vgl. ebd., S. XIV. Vgl. ebd., S. XV. Vgl. ebd., S. XVI. Ebd., S. XVI.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
man anderen als ›das bin ich‹ erzählt hat.«28 Die Identität eines Individuums bilde sich also durch die Erinnerung an identitätsbeschreibende Erzählungen heraus. Bezogen auf eine Gesellschaft sei daher die Geschichtsschreibung, in deren Rahmen beziehungsweise mit deren Hilfe eine Gesellschaft Selbstbeobachtungen und Selbstvergewisserungen festhält, für die Herstellung und Stabilisierung einer Identität essenziell.29 Auch die Anglistin Vera Nünning hat sich mit dem Geschichtenerzählen als Technik der Identitätskonstruktion befasst. Anders als Kimminich betrachtet sie Identität allerdings nicht als jeweils situationsbedingt konstruiertes Selbstbild, sondern als eine Sammlung von mehreren Versionen des Selbst, »die in eine synchrone und diachrone Beziehung gebracht werden müssen, was nur mit Hilfe immer wieder neu konstruierter symbolischer Repräsentationen möglich ist.«30 Nünning beobachtet also, dass widersprüchliche Elemente oder Versionen des eigenen Selbst in irgendeiner Weise miteinander in Einklang gebracht werden müssen, um eine situationsunabhängige Identität zu konstruieren. Diese Harmonisierung kann der Anglistin zufolge nur narrativ gelingen, und so erläutert sie die erwähnten symbolischen Repräsentationen als Erzählungen, mit denen Menschen ihre Identität etablieren. Dabei stehen ihnen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten offen, zum Beispiel durch die Auswahl und Deutung von Erinnerungen. Nünning betont, dass dieser Gestaltungsspielraum besonders wichtig sei, weil in westlichen Gesellschaften ein kultureller Imperativ bestehe, der die »Etablierung und Inszenierung einer einzigartigen, bedeutungsvollen und authentisch wirkenden Identität« fordere. Unsere Gesellschaft erwarte also, dass sich jedes Individuum eine individuelle und authentische Identität konstruiert. Diese müsse jedoch an die kulturellen Normen anschlussfähig sein, die in unserer Gesellschaft die akzeptierten Formen der Lebensgeschichten bestimmten.31 In Bezug auf die Rolle des Narrativen in der Kultur hat der Literaturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk in Die Kultur und ihre Narrative festgestellt, dass zwischen der Identität eines Individuums und der einer Gemeinschaft mehrere Relationen bestünden. Einerseits würden nicht die Individuen die Erzählmuster erfinden, in denen sie ihre Identitätsnarration gestalten, sondern diese seien bereits »in speziellen Segmenten einer Kultur ausgearbeitet (Literatur, Medien) und in interdiskursiven Bereichen verfügbar«. Andererseits fordere die Gesellschaft aber auch »gebieterisch eine unverwechselbare, möglichst eindeutige Identität« von ihren Individuen ein.32 Müller-Funk argumentiert also, dass Individuen Identitätsmuster annehmen, die ihnen von der Gesellschaft angeboten werden, und sie sich somit in eine kollektive Identität einfügen. Gleichzeitig beobachtet er aber wie Nünning, dass von Individuen verlangt wird, sich eine eindeutige und unverwechselbare Identität zu erschaffen, die sie von allen anderen Individuen unterscheidet. Er argumentiert, dass für eine solche Darstellung individueller Identität und für individuelles Erinnern Narrationen zentral seien (vgl. S. 17f.). Prozesse der
28 29 30 31 32
Vgl. Siegfried J. Schmidt, Über die Fabrikation von Identität, 2003, S. 11. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. Vera Nünning, Erzählen und Identität, 2013, S. 148. Vgl. ebd., S. 149f., Zitat S. 149. Vgl. Wolfgang Müller-Funk, Die Kultur und ihre Narrative, 2008, S. 13. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Identitätskonstruktion sind »maßgeblich für kulturelle Phänomene schlechthin. Kultur erweist sich demnach […] als eine Manufaktur von Identitäten« (S. 18). Der Bezug eines Menschen zu anderen ist dabei eine entscheidende strukturelle Referenz, denn wenn Identität relational ist, ist ein Mensch nichts ohne Bezug auf andere. Dass Menschen sich über ihre Lebenszeit hinaus »in einen größeren ›weltzeitlichen‹ und ›welträumlichen‹ Zusammenhang stellen« und somit ihr Dasein auf eine Identität gründen, betrachtet Müller-Funk als dem »Effekt zur narrativischen Konstruktion unserer Lebenszeit« analog, der phantastische Subjekte wie die Nation, die Kultur, die Geschichte, die Vernunft und das Abendland erzeuge (vgl. S. 98). Umgekehrt vollziehe sich Erinnern aber »nur vor dem Horizont einer transzendentalen kollektiven Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft«. Diese liefere aber nicht nur das Sinnmaterial für das scheinbar rein private Gedächtnis und die Lebenszeitkonstruktionen einzelner Individuen, sondern biete zugleich die Dimension eines Anderen (vgl. S. 99). Erzählen heißt nämlich auch, sich, wenigstens latent, in einem Gespräch mit einem anderen zu befinden. Das Selbstgespräch ist ein Dialog, der das Ich aufspaltet, [sic!] und das zweite Ich zum alter ego, zum Statthalter eines potentiellen anderen macht. In der Erinnerung wird die Erzählung zur fragmentarischen Spur des Ereignisses, das sie zugleich retrospektiv als solches markiert, und zwar immer unter Einschluß des Anderen […]. (S. 99, Hervorhebung i. O.) Indem in der Erzählung die Zeit rekonstruktiv eingeholt und Dauer gestiftet werde, werde ein Selbst konstruiert, das sich über einen langen Zeitraum als identisch mit sich selbst erfährt, also als ein Akteur beziehungsweise »als ein Subjekt im doppelten Sinn: als ein Wesen, das unerbittlich seiner Selbstkonstruktion unterworfen bleibt und dadurch handlungs- und erzählfähig ist« (vgl. S. 99). Wolfgang Müller-Funk hat allerdings auch auf ein Problem des Konzepts einer erzählerisch konstruierten Identität verwiesen: Wenn man davon ausgeht, dass die Identität eines Menschen erst durch eine Erzählung konstruiert und konstituiert wird, dann müsste das bedeuten, dass der Mensch vor der Erzählung seiner Identität unbekannt und ohne Identität ist (vgl. S. 19f.). Auf dieses Problem lässt sich mit der Arbeit des französischen Philosophen Paul Ricœur allerdings eine Antwort geben. Ricœur erkannte die Bedeutung des Geschichtenerzählens für die Konstruktion von Identität und führte daher den Begriff der narrativen Identität ein: »Identität« wird hier als eine Kategorie der Praxis aufgefaßt. Die Identität eines Individuums oder einer Gemeinschaft angeben, heißt auf die Frage antworten: wer hat diese Handlung ausgeführt, wer ist der Handelnde, der Urheber? […] Die Antwort kann nur narrativ ausfallen. Auf die Frage »wer?« antworten, heißt, wie Hannah Arendt nachdrücklich betont hat, die Geschichte eines Lebens erzählen. Die erzählte Geschichte gibt das wer der Handlung an. Die Identität des wer ist also selber bloß eine narrative Identität.33 Mit dem Verständnis von Identität als narrativem Konstrukt hat Ricœur einen Ausweg aus dem zuvor anhand der Gegenüberstellung der Positionen von Nünning und Kimmi33
Paul Ricœur, Die erzählte Zeit, 1991, S. 395, Hervorhebungen i. O.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
nich skizzierten Dilemma der Identität geboten: Entweder man geht von einem Subjekt aus, das eine Vielfalt von Identitätszuständen in sich vereint und dabei stets mit sich selbst identisch bleibt, oder man nimmt an, dass ein Subjekt seine Identität situationsbedingt wechselt, und erklärt somit das selbstidentische Subjekt zur substantialistischen Illusion. Diese Antinomie will Ricœur überwinden, indem er dafür eintritt, Identität nicht mehr als Selbes (idem), sondern als Selbst (ipse) zu betrachten, also nicht mehr länger als substantiales Gleichsein, sondern als narratives Selbstsein.34 Die Ipseität entgeht dem Dilemma des Selben und des Anderen insofern, als ihre Identität auf einer Temporalstruktur beruht, die dem Modell einer dynamischen Identität entspricht, wie sie der poetischen Komposition eines narrativen Textes entspringt. Vom Selbst läßt sich daher sagen, daß es durch die reflexive Anwendung der narrativen Konfigurationen refiguriert wird. Im Unterschied zur abstrakten Identität des Selben kann die für die Ipseität konstitutive narrative Identität auch die Veränderung und Bewegtheit im Zusammenhang eines Lebens einbegreifen. […] Diese Refiguration macht das Leben zu einem Gewebe erzählter Geschichten.35 Der Begriff der narrativen Identität ließe sich aber nicht nur auf individueller Ebene anwenden, sondern genauso auch auf kollektiver Ebene.36 Ricœur kommt letztlich zu dem Schluss, dass die narrative Identität die poetische Lösung des hermeneutischen Zirkels sei, denn sie gehe aus einer endlosen Überlagerung von früheren durch spätere Erzählungen und den damit einhergehenden Refigurationen hervor, sie sei also »in ständiger Bildung und Auflösung begriffen«.37 Das von Müller-Funk aufgeworfene Problem kann in Anlehnung an Ricœur also gelöst werden, indem die Identität eines Individuums als Ipseität, also als Selbstsein, verstanden wird, die sich ständig narrativ und zirkulierend refiguriert, wobei ein Anfang dieses Kreises nicht zu bestimmen ist. Die hier angeführten Argumentationen sollten noch einmal verdeutlicht haben, dass es sich bei der Vorstellung einer homogenen, stabilen und dauerhaften Identität um eine Illusion handelt. Wie bereits in Teilkapitel II.1.3 erwähnt, hat Jean-François Bayart in The Illusion of Cultural Identity das Konzept der kulturellen Identität kritisch hinterfragt und den konstruierten und wandelbaren Charakter von Identität dargelegt. Die Konstruktion imaginärer kultureller Gemeinschaften hält Bayart für eine der wichtigsten Ideologien der Globalisierung, denn damit trage Kulturalismus zur dialektischen Einheit der Welt bei.38 Die Idee einer homogenen kulturellen Gemeinschaft wird von Bayart jedoch abgelehnt. Sie vermittelt ihm zu sehr den Eindruck, dass Menschen zu einer einzigen Identität gehörten, die ihre Interessen und Leidenschaften determiniere. Tatsächlich ließe sich aber jeder Mensch in einer Vielzahl von Gemeinschaften verorten, die teilweise voneinander abgegrenzt sind, sich aber auch teilweise überschneiden. Bayart betont daher, dass Menschen sich über die vielen Gemeinschaften und Kulturen, an denen sie teil-
34 35 36 37 38
Vgl. ebd., S. 395f. Ebd., S. 396. Vgl. ebd., S. 397. Vgl. ebd., S. 398f., Zitat S. 399. Vgl. Jean-François Bayart, The Illusion of Cultural Identity, 2005, S. 40. Nachweise aus diesem Werk stehen im Folgenden in Klammern direkt im Text.
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haben, identifizieren und nicht nur über die Teilhabe an einer Gemeinschaft oder Kultur (vgl. S. 94f.). Eine sogenannte Kultur sei dabei niemals homogen, sondern stets das Ergebnis vieler unterschiedlicher Elemente und deren vielfältiger Beziehungen zueinander (vgl. S. 105). Der wahre, beständige Kern einer homogenen Kultur existiere also nicht. Mit Bezug auf Paul Veyne erläutert Bayart, dass unser alltägliches Leben aus vielen unterschiedlichen Programmen bestehe, zwischen denen wir ständig wechseln (vgl. S. 108f.). Der Politikwissenschaftler bemerkt jedoch, dass kulturelle Identität zwar eine Illusion sei, als solche jedoch funktioniere, wirke und konkrete Effekte habe. Politische und kulturelle Symbole wie beispielsweise Haartracht, kulinarische Praktiken und Kleidung drückten kulturelle Identität aus und seien somit Materialisierungen des Imaginativen. Die Illusion werde also zur Realität (vgl. S. 185–226). Daraus schließt Bayart, dass die Illusion der Identität sich in persönlichen Beziehungen und gemeinschaftlichem Bewusstsein niederschlägt. Kulturelle Identitäten existierten also, aber nur als mentale, subjektive Fakten. Er fordert daher, dass Identitäten ergründet, verstanden und erklärt werden. Es müsse jeweils individuell nachvollzogen werden, unter welchen Umständen eine Gruppe von Individuen eine Identität als permanenten, stabilen Kern annehme (vgl. S. 95). Die Gesellschaft sei nur in der Lage sich selbst wahrzunehmen, indem sie sich des homogenen Bildes einer Kulturgemeinschaft bediene, die sich in Materialisierungen ausdrückt. Da eine Gesellschaft jedoch, so Bayart, aus vielen kleinen Details, aus Ignoranz und Illusionen bestehe, sei dieses Bild rein imaginär. Die Funktion der konstitutiven Imagination spiele für die Formation eines Staates – oder eines beliebigen anderen Kollektivs – also eine wichtige Rolle. Sie sei unbegrenzt und unkontrollierbar und ließe sich nicht von der Ordnung der Materialität trennen. Imaginierte Produktionen seien jedoch ambivalent und hätten vielfältige Bedeutungen (vgl. S. 233). Bayart kommt daher zu dem Ergebnis, dass kulturelle Identität aufgrund ihres illusorischen und imaginären Charakters die gesellschaftliche Stabilität und den inneren Frieden gefährde. Er fordert, ihr ein philosophisches Ethos entgegenzusetzen, »that unravels the roles of the contingent and the universal«. Die vielfältigen Elemente, die eine kulturelle Identität formen, sollten also erkannt und beachtet werden (vgl. S. 252). Das heißt, anstatt die Illusion einer homogenen und stabilen kulturellen Identität – beispielsweise einer »Volksgemeinschaft« wie »die Deutschen« – aufrechtzuerhalten und narrativ weiterzutragen, die zur Abgrenzung gegenüber anderen kulturellen Identitäten und gegebenenfalls zu Konflikten führt, sollte die kulturelle Identität einer jeden sozialen Gruppe immer als plural, heterogen, wandelbar und offen begriffen werden. Kulturelle Identität wird also sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene konstruiert, indem verschiedene Elemente von Wissen und Vorstellungen über die vermeintlich eigene Vergangenheit beziehungsweise die Vergangenheit eines Individuums oder einer Gruppe, dessen oder deren Identität bestimmt werden soll, zu einer Erzählung, einer Vor-Geschichte, zusammengefügt werden. Diese Vor-Geschichte, das Identitätsnarrativ, wird aber nicht einmal generiert und bleibt dann unverändert bestehen, sondern sie befindet sich in einem stetigen Diskurs und Prozess der Refiguration. Dabei können nicht nur neue Elemente aufgenommen und zum bestehenden Bild hinzugefügt werden, sondern die Elemente können auch immer wieder neu in ihrer Relevanz für die Identität bewertet werden. Es ist sogar denkbar, dass Elemente wieder aus dem Bild ei-
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
ner kulturellen Identität entfernt werden, indem die kulturelle Erinnerung an Handlungen, Ereignisse, Zusammenhänge und dergleichen getilgt oder überlagert wird. Dennoch herrscht bezüglich der eigenen kulturellen Identität sowie der Identitäten, die wir anderen Individuen und Gruppen zuschreiben, die Illusion einer Kontinuität und Kohärenz. Diese ist durch den Akt des Erzählens selbst bedingt, denn dabei werden widersprüchliche Elemente miteinander harmonisiert und es werden kausale und chronologische Zusammenhänge und Ordnungen geschaffen, die der komplexen und unübersichtlichen Wirklichkeit eine klar nachvollziehbare Struktur verleihen und Unebenheiten darin nivellieren. Im folgenden Teilkapitel werde ich untersuchen, wie Archäologische Landesmuseen kulturelle Identitäten narrativ konstruieren.
II.4.2 Klassifizieren, Definieren und Abgrenzen In der Archäologie und insbesondere in Archäologischen Landesmuseen spielen Identitäten in mehrfacher Hinsicht eine Rolle. In erster Linie hat natürlich die Institution selbst, also ein konkretes Archäologisches Landesmuseum, eine Identität. Denn ein solches Museum hat als eine Institution, die nicht nur aus Gebäuden und Objekten besteht, sondern vor allem auch von Menschen gebildet wird, eine Geschichte und Tradition, ein Leitbild, eine Sammlung und auch eine bestimmte Beziehung zu ihren Besucher:innen, die von Ereignissen, äußeren Umständen und Handlungen von Personen wie Direktor:innen, Mitarbeiter:innen, Besucher:innen und Mäzen:innen im Laufe vieler Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte geprägt wurden. Diese Faktoren bestimmen die Tätigkeit, das Selbstverständnis und das Auftreten der Institution, also ihre implizite und ihre explizite Identität. Die Ausstellungsanalysen im dritten Teil dieser Dissertation befassen sich daher auch mit den Identitäten einzelner Archäologischer Landesmuseen, denn die Gestaltung einer Dauerausstellung und die Geschichte, die damit erzählt wird, können zumindest teilweise auch auf einzelne Elemente der Identität des jeweiligen Museums zurückgeführt werden. Vor allem geht es in dieser Arbeit aber um zweierlei in Archäologischen Landesmuseen präsentierte und – wie ich im Folgenden zeigen werde – konstruierte kulturelle Identitäten: um die von Individuen und Kollektiven der Ur- und Frühgeschichte sowie um die von Individuen und Kollektiven der aktuellen Gegenwart. Eines der Ziele der Ur- und Frühgeschichtsforschung ist die Identifizierung sozialer Gruppen der archäologisch erfassbaren Vergangenheit und somit auch die Erschließung kollektiver Identitäten. Allerdings werden die Begriffe des Kollektivs oder der Identität in diesem Zusammenhang in der Regel nicht verwendet. Stattdessen wird in den archäologischen Disziplinen meist von sogenannten Kulturen oder Kulturgruppen gesprochen. Martin Trachsel definiert den Begriff der Kulturgruppe wie folgt: Das ist eine hypothetische Gruppe von Menschen, die von den Archäologen deshalb miteinander verbunden werden, weil ihre archäologisch fassbaren Hinterlassenschaften in bestimmten Kulturelementen übereinstimmen. Realiter handelt es sich also um eine Klassifikation von Fundstellen nach kulturellen, nicht selten typologischen Charakteristika. Inwieweit sich die dahinterstehenden Menschen tatsächlich kulturell zusammengehörig fühlten, ist meist nicht unabhängig zu bestimmen. Die Benen-
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nung solcher Kulturgruppen erfolgt entweder nach der prominentesten Fundstelle (z.B. »Rössener Kultur«) oder nach einem besonders charakteristischen Kulturelement (z.B. »Trichterbecherkultur«, »Urnenfelderkultur«).39 Der Archäologe betont also den hypothetischen und konstruierten Charakter der Kulturgruppe als Kategorie, die aufgrund übereinstimmender kultureller Merkmale definiert wird, und erläutert, dass in der Regel nicht geklärt werden kann, inwiefern die Menschen, die einer solchen Kulturgruppe zugeordnet werden, sich tatsächlich zusammengehörig fühlten. Des Weiteren weist Trachsel darauf hin, dass der theoretische Charakter des Begriffs »Kulturgruppe« den Wissenschaftler:innen zu Beginn der institutionellen archäologischen Forschung zwar noch bewusst gewesen sei, dieses Verständnis des Begriffs aber zunehmend in den Hintergrund getreten sei. Zeitweise sei stattdessen über Kulturen gesprochen worden, als handele es sich dabei um Ethnien oder gar Völker.40 Was Trachsel hier mit dem Begriff der Ethnie anspricht, ist ein von Martin Sökefeld als Primordialismus bezeichnetes Konzept, das davon ausgeht, dass hinter der Bildung von sozialen Gruppen sogenannte primordiale, also ursprüngliche Beziehungen stehen, »die durch Geburt und durch das Aufwachsen in einer Gemeinschaft gestiftet werden« und das Individuum derart prägen, dass sie nicht abgelegt oder verändert werden können. Primordialismus sei also mit einem Essentialismus verknüpft, demzufolge kollektive Identitäten auf substantiellen Gemeinsamkeiten beruhten. Ethnien seien diesen Theorien nach also biologische Realitäten. Demgegenüber habe sich seit den 1980er Jahren zunehmend der Konstruktivismus durchgesetzt, der kollektive Identitäten als die Ergebnisse sozialer Diskurse und sozialen Handelns begreift.41 Auch Trachsel beobachtet, dass mit der heutzutage üblichen Verwendung des Wortes »Kultur« in der Ur- und Frühgeschichte, die allgemein, also ohne Bezug auf eine spezifische Fundstelle oder ein bestimmtes Kulturelement erfolgt, meist die tradierten Verhaltensweisen und Vorstellungen einer bestimmten sozialen Gruppe gemeint sind.42 Der Begriff »Kultur« ist also meistens mit der Vorstellung einer Gruppe von Menschen verbunden und wird fast als Synonym für das Wort »Kulturgruppe« gebraucht. Auch Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida haben sich um eine Erhellung des archäologischen Kulturbegriffs bemüht. Sie erklären allerdings, dass es sich dabei um eine »relativ vage Kategorie materieller, in Zeit und Raum begrenzter Erscheinungen« handele und in aller Regel damit vor allem eine materielle Kultur gemeint sei – also das Phänomen, dass archäologisch erfassbare, materielle Objekte gemeinsame Merkmale aufweisen, aufgrund derer sie als zusammengehörig kategorisiert werden.43 Eggert und Samida wollen also den Gebrauch des Wortes »Kultur« nicht mit dem Gebrauch von Bezeichnungen für menschliche Gruppen vermischen. Dennoch hängen die materielle Kultur und die Vorstellung einer sozialen Gruppe als Produzentin dieser materiellen Kultur eng zusammen, wie ich noch erläutern werde. 39 40 41 42 43
Martin Trachsel, Ur- und Frühgeschichte, 2008, S. 42. Vgl. ebd., S. 42. Vgl. Martin Sökefeld, Problematische Begriffe, 2007, S. 32f. Vgl. Martin Trachsel, Ur- und Frühgeschichte, 2008, S. 42f. Vgl. Manfred K. H. Eggert und Stefanie Samida, Ur- und frühgeschichtliche Archäologie, 2013, S. 97f., Zitat S. 97.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
In Archäologischen Landesmuseen begegnen sogenannte Kulturgruppen im archäologischen Sinn – und damit verbunden kulturelle Identitäten – den Besucher:innen vor allem dann, wenn Exponate durch Objektbeschilderungen kontextualisiert und beispielsweise als Produkte der Glockenbecherkultur von denen der Trichterbecherkultur unterschieden werden. Aber auch Ausstellungstexte und -medien, die nicht auf bestimmte Objekte bezogen sind, sondern die inhaltliche Struktur der Ausstellung erkennbar machen oder ein bestimmtes Thema vermitteln sollen, weisen oft solche Kulturbegriffe auf. Besonders wenn es auch noch einen aus antiken Schriftquellen stammenden Namen gibt, dem man eine bestimmte materielle Kultur zuordnen kann oder zu können glaubt, wird dieser zur Veranschaulichung gebraucht. Die Rede ist dann beispielsweise von »Römern«, »Kelten« und »Germanen« – Letztere oft auch differenziert in »Alamannen«, »Franken«, »Sueben« und so weiter – und nicht immer werden diese Begriffe als Bezeichnungen einer hypothetischen Gruppe von Menschen, wie Trachsel sie definiert, oder auch nur als historische Fremdbezeichnungen erläutert. Werden solche Begriffe aber unkommentiert verwendet, kann bei Besucher:innen ohne das nötige Kontextwissen leicht der Eindruck entstehen, es handele sich dabei um den Namen einer ethnischen Gruppe oder eines Volks, in dem alle Mitglieder irgendwie wesensgleich seien, bestimmte genetisch bedingte körperliche Merkmale, wie zum Beispiel blonde Haare und blaue Augen, sowie vermeintlich typische Charakterzüge teilten und einem bestimmten Raum ursprünglich zuzuordnen seien. Stereotype der Popkultur, die im kommunikativen Gedächtnis einer Gesellschaft kursieren und die viele Museumsbesucher:innen unwillkürlich mit Wörtern wie »Kelten« und »Germanen« assoziieren, begünstigen die Verbindung solcher Begriffe mit unwissenschaftlichen Vorstellungen. Bei der Bestimmung einer Kulturgruppe handelt es sich zwangsweise um eine normierende Konstruktion kultureller Identität, wie Jürgen Straub sie erklärt hat. Eine Rekonstruktion kultureller Identität im Sinne Straubs ist schließlich nicht möglich, da dafür von den Selbst- und Weltverständnissen der betreffenden Individuen ausgegangen werden müsste, die aufgrund der Quellenlage allenfalls hypothetisch oder nur zu Bruchteilen erschlossen werden können.44 Stattdessen wird eine soziale Gruppe vor allem auf der Basis gemeinsamer kultureller Merkmale aus einer Außenperspektive als zusammengehörig definiert und mit einem Namen versehen. Auf individueller Ebene ist eine kulturelle Identität alleine aus archäologischen Quellen noch schwieriger zu bestimmen. Zwar können Grabbeigaben eine Einordnung des oder der Bestatteten in eine sogenannte Kulturgruppe ermöglichen – etwa wenn in einem neolithischen Grab die typischen Gefäße der Linearbandkeramiker gefunden werden –, aber es ist doch höchst unwahrscheinlich, dass die bestattete Person sich selbst als Angehörige der Linearbandkeramiker bezeichnet hätte. Sie fühlte sich wahrscheinlich in erster Linie nicht der großen sozialen Gruppe zugehörig, der diese Kultur zugeschrieben wird, sondern eher einer kleineren, lokalen Gruppe, die neben vielen weiteren kleinen, lokalen Gruppen die für die Linearbandkeramik typische materielle Kultur teilte – denn der Stil dieser materiellen Kultur ist im heutigen Deutschland und in ganz Mitteleuropa 44
Vgl. Jürgen Straub, Personale und kollektive Identität, 1998, S. 98f. sowie Teilkapitel II.1.3 in dieser Arbeit, S. 139f.
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weit verbreitet. Angesichts der großen Entfernungen und der beschränkten Möglichkeiten zu schnellem und regelmäßigem sozialen Austausch scheint es plausibel anzunehmen, dass die Menschen, die diese materielle Kultur gemeinsam hatten, sich selbst vor allem mit der kleineren sozialen Gruppe in ihrem lokalen Umfeld identifizierten und sich nicht vorrangig als ein homogener, europaweit verbreiteter Verband wahrnahmen. Darüber hinaus ist durchaus auch denkbar, dass eine Person zwar beispielsweise ihre Tracht und ihren Schmuck der Mode anpasste, die in ihrem Umfeld vorherrschte, aber ursprünglich aus einer sozialen Gruppe stammte, für die eine ganz andere materielle Kultur typisch war. Letztlich muss gerade bei Grabfunden außerdem bedacht werden, dass die verstorbene Person keinen Einfluss darauf hat, wie sie zu Grabe gelegt wird. Vermutlich waren es ihre Angehörigen oder sonstige von der Gemeinschaft dazu beauftragte Personen, die entschieden, welche Objekte als Kleidung und Beigaben in das Grab gelangten. Wahrscheinlich gab es dafür auch kulturelle Regeln und somit ist es vorstellbar, dass eine bestattete Person aufgrund ihres Grabinventars zwar als Angehörige einer sozialen Gruppe mit der Kultur X erscheint und auch erscheinen soll, sich selbst aber eher einer sozialen Gruppe mit der Kultur Y zugehörig fühlte – beispielsweise, wenn die Person aufgrund einer Eheschließung oder eines Bündnisses aus ihrer ursprünglichen sozialen Gruppe ausgeschieden und einer anderen beigetreten war. Die Archäologen Stefan Burmeister und Nils Müller-Scheeßel argumentieren daher, dass die individuellen und personalen Aspekte der Identitätsbildung zwar für die Psychologie von großer Bedeutung seien, von der Archäologie aber vernachlässigt werden könnten, weil sie von dieser nicht zu erfassen seien. Die sozialen und kollektiven Aspekte hingegen stünden bei der Archäologie im Vordergrund, zumal die Konstruktion und Verfestigung von Identität ein Gruppenphänomen sei.45 Dennoch sind die kulturellen Identitäten sogenannter Kulturen oder Kulturgruppen keine Wiedergaben dessen, was die Menschen der Vergangenheit tatsächlich als ihre Identität beschrieben hätten – sofern sie überhaupt schon ein solches Konzept wie Identität reflektierten. Sie resultieren aus der Praxis der archäologischen Forschung, die ihr Material, die Funde und Befunde, kategorisiert und damit der Vergangenheit eine künstliche Ordnung auferlegt. Selbstverständlich ist die Kategorisierung des archäologischen Materials eine Notwendigkeit der Verwaltung und Erforschung, die beispielsweise die relative Datierung46 von Fund-
45 46
Vgl. Nils Müller-Scheeßel und Stefan Burmeister, Identifizierung sozialer Gruppen, 2006, S. 11. Die Datierung im Sinne einer relativen Chronologie meint die Einordnung von Fundstücken oder Fundkomplexen als jünger oder älter gegenüber anderen Fundkomplexen, also die Erstellung einer zeitlichen Abfolge materieller Kultur. Sie wird unterschieden von der Datierung im Sinne einer absoluten Chronologie, also der in Zahlen ausgedrückten Bestimmung des Alters eines Objekts. Beispielsweise wurden die beiden im Rheinischen Landesmuseum Trier ausgestellten hölzernen Einfassungen einer Mineralwasserquelle aus dem Ortsteil Feyen zwar ursprünglich fälschlich in die provinzialrömische Phase datiert, weil sich in ihren Einfüllungen unter anderem römische Münzen befanden. Ende der 1990er Jahre konnte mit neuen Untersuchungsmethoden und Vergleichen jedoch nachgewiesen werden, dass die beiden älteren Einfassungen relativchronologisch in die mittlere Bronzezeit eingeordnet werden müssen. Eine dendrochronologische, absolute Datierung bestätigte dies schließlich, denn sie ergab, dass die Stämme der ältesten Einfassung um das Jahr 1969 v. Chr. geschlagen und verbaut worden waren (vgl. Mechthild Neyses-Eiden, Der Trierer »Römersprudel«, 2004, S. 7–14).
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
stücken ermöglicht. Sie hat also durchaus ihre Berechtigung, birgt aber ungeachtet dessen auch ein gewisses Risiko, wenn ihre Modellhaftigkeit vergessen wird. Manfred K. H. Eggert hat in seinem Einführungswerk Prähistorische Archäologie erläutert, dass die wesentlichste Voraussetzung für die Klassifikation die Definition von Kriterien beziehungsweise Merkmalen der zur Diskussion stehenden Phänomene ist: Als »Klassifikationskriterien« bezeichne ich bestimmte Charakteristika – eben Merkmale – dieser Phänomene, die als Vergleichseinheiten dienen und damit die Differenzierung oder Zusammengruppierung von Teilmengen dieser Phänomene ermöglichen.47 Zunächst müssten für die Klassifizierung eines gegebenen Materials also Merkmale isoliert werden, wobei ihre inhaltliche Festlegung reine Definitionssache sei und von der jeweiligen Frage an das Material abhängen könne. Die Menge der isolierten Merkmale bilde dann ein Reservoir, dem die Kriterien der Klassifikation entnommen werden könnten.48 Ich möchte dieses Vorgehen an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ich einen Schrank öffne und darin eine große Anzahl von Hosen entdecke, kann ich diese klassifizieren, indem ich zunächst einmal Merkmale isoliere. Ich isoliere beispielsweise Merkmale der Form, nämlich »lange Hosenbeine« und »kurze Hosenbeine« sowie »gerade geschnitten« und »ausgestellt«. Des Weiteren isoliere ich das Merkmal Material, nämlich »Jeans«, »Leder« und »anderes Material« sowie als Farben »schwarz«, »gelb« und »blau«. Aus diesem Reservoir der Merkmale wähle ich zur Klassifizierung wiederum nur wenige Merkmale aus, die oft gemeinsam auftreten, nämlich beispielsweise die Merkmale »kurze Hosenbeine«, »Jeans« und »blau«. Die Hosen, die diese Merkmale aufweisen, klassifiziere ich als »blaue Jeans-Shorts«, wobei die weitere Form für Hosen dieser Klasse keine Rolle spielt. Alle anderen Hosen klassifiziere ich entweder einfach als »Andere«, oder ich wähle weitere Merkmale aus, anhand derer ich weitere Klassen definiere, beispielsweise die Klasse der »schwarzen Lederhosen« oder die der »Jeans-Schlaghosen«. Darüber hinaus kann ich überprüfen, ob sich im Auftreten der einzelnen Kategorieexemplare weitere Muster erkennen lassen, ob also die Kategorien beispielsweise mit einer bestimmten Position im Schrank korrelieren (welche Kategorie ist auf dem untersten Brett auf häufigsten vertreten und welche auf dem obersten?) oder ob in Stapeln mehrfach gleiche Kombinationen von Kategorien auftreten. Ähnlich, wenn auch in der Isolation der Merkmale differenzierter und überlegter, verfährt die Archäologie. Hier werden beispielsweise an Keramikgefäßen Merkmale wie die Gefäß- und Randform, die Art und Magerung des Tons, die Verzierung, die Herstellungsart und viele weitere isoliert, aufgrund derer die Keramik dann klassifiziert werden kann. Im Laufe der Entwicklung des Fachs wurde durch den Vergleich und die Klassifizierung von Fundstücken aus verschiedenen, auch weit entfernten Kontexten ein komplexes und verschachteltes System von Objektklassen entwickelt, das nicht nur die räumliche, sondern auch die zeitliche Verbreitung von Kulturen – im archäologischen Wortsinn – spiegelt.
47 48
Manfred K. H. Eggert, Prähistorische Archäologie, 2008, S. 129. Vgl. ebd., S. 130–133.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Manfred K. H. Eggert betont in Prähistorische Archäologie, dass die Klassifikation beziehungsweise »die Typenbildung ein Verfahren ist, das keine absoluten, sondern nur relative, einer bestimmten Fragestellung mehr oder weniger adäquate Ergebnisse hervorbringen kann«.49 Sie bietet zwar Modelle und Arbeitshypothesen, die es ermöglichen, das Verständnis der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit zu vertiefen, und ihre Konstruktion ist daher durchaus sinnvoll und berechtigt. Ihr Charakter als modernes Konstrukt sollte aber nicht vergessen werden, denn mit den Klassen der materiellen Kultur werden auch Vorstellungen von sozialen Gruppen als Kulturträgern verbunden. Wenn dabei vergessen oder nicht anerkannt wird, dass die mit Namen versehenen materiellen Kulturen künstliche Kategorien sind, die möglicherweise nur wenig oder nichts mit der Ordnung sozialer Gruppen zu tun haben, kann der Eindruck entstehen, eine materielle Kultur sei gewissermaßen deckungsgleich mit einer sozialen Gruppe. Ein Extremfall eines solchen fälschlich entstandenen Eindrucks war die sogenannte siedlungsarchäologische Methode Gustaf Kossinnas, die auf dessen Überzeugung beruhte, die räumliche Verbreitung von Fundstücken eines bestimmten Typs sei deckungsgleich mit dem Siedlungsgebiet eines Volks beziehungsweise eines Volksstammes. Kossinna und die sich auf ihn berufenden Nationalsozialisten schlossen deshalb von materieller Kultur auf die Rassen- und Wesensgleichheit ihrer Produzenten. So weit gingen aber schon viele der damaligen Zeitgenoss:innen nicht und spätestens nach 1945 setzte sich in der Archäologie zunehmend die Erkenntnis durch, dass von materiellen Quellen allein nicht auf eine Abstammungsgemeinschaft oder auf ethnische Homogenität geschlossen werden kann, und erst recht können damit keine Hegemonialansprüche begründet werden. Dem Problem der ethnischen Deutung archäologischer Funde widmet sich die Wissenschaft aber nach wie vor und neue Funde werden typologisiert sowie in das zunehmend komplexe und differenzierte Schema archäologischer Kulturen eingeordnet. Durch neue Forschungsergebnisse beziehungsweise Erkenntnisse wird das Wissen über die einzelnen sozialen Gruppen der Ur- und Frühgeschichte erweitert und das Bild ihrer kulturellen Identitäten ausgebaut und differenziert. Die zunehmende Spezialisierung und inhaltliche Komplexität schlägt sich in den populärwissenschaftlichen Vermittlungsformaten wie den Ausstellungen allerdings nicht immer vollständig nieder. Um Inhalte auch für Lai:innen verständlich, unterhaltsam und leicht nachvollziehbar zu präsentieren, werden die immer komplexeren Informationen oft wieder vereinfacht und gröber strukturiert. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann beschrieben diesen Prozess im Interview als Notwendigkeit und Herausforderung, da ein Mittelweg zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Besucherorientierung gefunden werden müsse.50 Die Kulturanthropologin Antonia Davidovic befasst sich schwerpunktmäßig mit Identifikationsprozessen und macht deutlich, dass Erklärungsansätze, die von einem Zusammenhang zwischen Identität und materieller Kultur ausgehen, auf der Grundannahme beruhen, »dass kulturelle Praktiken identitätsstiftenden Charakter haben und eine Bedeutung für die Bestärkung von sozialen Identitäten besitzen«. Vor allem in der gemeinsamen Ausübung von Übergangsritualen werde die kulturelle Praxis
49 50
Vgl. ebd., S. 140. Vgl. Hans Nortmann und Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 484f.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
einer Gruppe geformt, indem sich gruppenspezifische Elemente des Rituals herausbildeten: »Durch die Normierung und Stereotypisierung erhalten Handlungsabläufe Gruppen bildenden und -bestätigenden [sic!] Charakter und werden so prägnanter Ausdruck von Identitätskonzepten einer Gesellschaft«. Darüber hinaus basierten solche Erklärungsansätze auf der Überzeugung, dass die Identität eines Menschen auch von seinem Verhalten in und gegenüber einem Raum beeinflusst wird, weil der Mensch ein territoriales Wesen sei.51 Davidovic bekräftigt zwar die Richtigkeit dieser Thesen zur Identitätsbildung, warnt jedoch davor, solche Konzeptionalisierungen auf archäologische Quellen zu übertragen. Obwohl »Raum und Ritual als Aushandlungs- und Ausdrucksbereiche von Identität […] auf den ersten Blick eine Verbindung zwischen materieller und identifikativer Welt« böten, müsse beachtet werden, dass der identitätsstiftende Charakter von Raum und Ritual sich »erst durch die subjektive Bedeutungszuschreibung seitens der Akteure« herausbilde.52 Das heißt, soziale Gruppen stützen ihre kulturelle Identität zwar auf normierte Handlungsabläufe, materielle und immaterielle Kultur und einen bestimmten Raum. Diese sind also Ausdruck eines Identitätskonzepts. Umgekehrt kann aber allein ausgehend von archäologischen Objekten nicht auf eine kulturelle Identität geschlossen werden, da die den Objekten zugewiesenen subjektiven Bedeutungen nicht dokumentiert sind und höchstens Hypothesen dazu aufgestellt werden können. Somit zeigt Antonia Davidovic auf, dass in der archäologischen Forschung das Risiko einer trügerischen Identitätsstiftung steckt. Sie stellt fest, dass die Ergebnisse archäologischer Untersuchungen in die Identitätsbildung moderner Gesellschaften einfließen und soziale Identitäten der Gegenwart auf rekonstruierte soziale Identitäten der Vergangenheit gestützt werden. Daher kann die Archäologie auch zur Stärkung eines bestimmten Identitätskonzepts instrumentalisiert werden. Die Anthropologin fordert deshalb, die Begriffe, »die eine soziale Konstitution mit gemeinsamem Identitätsbezug beinhalten«, im wissenschaftlichen Diskurs zu problematisieren.53 Meines Erachtens müssen solche Begriffe aber nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs problematisiert werden; vielmehr müssen sie vor allem in der populärwissenschaftlichen Vermittlung der Ergebnisse archäologischer Forschung problematisiert und kontextualisiert werden. Anstatt in Büchern, Ausstellungen und Filmen von »den Kelten«, »den Germanen«, »den Glockenbechern« oder »den Aunjetitzern« zu sprechen, ohne diese Begriffe weiter zu kommentieren, sollte ihr Zustandekommen erklärt und ihre Modellhaftigkeit thematisiert werden.54 An Archäologischen Landesmuseen werden also im Zuge der Forschung Kulturen beziehungsweise Kulturgruppen definiert und voneinander abgegrenzt, wodurch Vorstel51 52 53 54
Vgl. Antonia Davidovic, Identität – ein unscharfer Begriff, 2006, S. 49. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. ebd., S. 55f., Zitat S. 56. Harald Meller und Kai Michel beispielsweise nutzen in ihrem Buch Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas zwar unter anderem die Begriffe »Aunjetitzer«, »Schnurkeramiker« und »Glockenbecher«, um dem Publikum zur vereinfachten Darstellung komplexer Zusammenhänge Kollektivnamen an die Hand zu geben (siehe zum Beispiel auf S. 221), sie kontextualisieren diese Begriffe jedoch und erklären ihren Ursprung (vgl. Harald Meller und Kai Michel, Die Himmelsscheibe von Nebra, 2018).
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
lungen kultureller Identitäten konstruiert werden. Diese werden wiederum durch die Ausstellungen und sonstigen Vermittlungsformate kommuniziert. Dadurch transportieren die Museen Vorstellungen kultureller Identität aus dem wissenschaftlichen Diskurs in den öffentlichen, alltäglichen Diskurs und sie können potenziell darauf einwirken, wie eine Gesellschaft und deren Individuen die eigene kulturelle Identität wahrnehmen. Das geschieht insbesondere dann, wenn beispielsweise eine Ausstellung suggeriert, zwischen einem heutigen Individuum oder dessen sozialer Gruppe und den mit Kulturbegriffen versehenen Menschen der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit bestehe eine direkte, verwandtschaftliche oder zumindest ideelle Verbindung. Als Beispiel für eine solche Suggestion habe ich bereits in Teilkapitel II.1.3 die Computerstation im Museum für Archäologie Schloss Gottorf vorgestellt, aber solche Vorstellungen können auch subtiler und meistens von den Ausstellungsmacher:innen unbeabsichtigt transportiert werden. In den Ausstellungsanalysen im dritten Teil dieser Arbeit werde ich dies zeigen. Sharon Macdonald hat erklärt, dass Museen Identitäts- und Anerkennungsinstitutionen sind. Indem sie bestimmte kulturelle Produkte zur Bewahrung, Überlieferung und Präsentation auswählten, würden sie einige Identitätsvorstellungen anerkennen und stützen – andere dagegen nicht. Kulturelle Identität werde dann im Museum in einer Sprache der Faktizität und Objektivität vermittelt, die durch die Architektur des Ortes, die Anordnung der Ausstellungsstücke und die Inszenierung und Kommentierung der Objekte geformt sei.55 Die Materialität des Museums als Gebäude und die Materialität seiner Sammlungen objektivierten Kultur und Identität, sie verwandelten sie also in materielle, greifbare Dinge, die in den westlichen Gesellschaften als Wahrheiten aufgefasst würden. Materielle Objekte erschienen als reale Fakten und durch die Arbeit mit ihnen verliehen Museen den Konzepten von Identität und Kultur den Status einer Wahrheit.56 Auch Steve Dubin sieht die Bedeutung des Museums als Ort, an dem kulturelle Identität vermittelt wird, in seinem Umgang mit materiellen Objekten begründet. Er argumentiert, dass Ausstellungen grundlegende Strategien einer Gesellschaft zur Selbstrepräsentation seien, weil sie reale oder originale Objekte präsentierten und somit die Aura des Authentischen in ihnen wirke. Ideen, so schreibt er, würden im Museum greifbar.57 Sharon Macdonald hat des Weiteren dargelegt, dass Menschen materielle Objekte als der Kategorie Eigentum zugehörig wahrnehmen würden und auch das Konzept von Eigentum essentiell für die Identität westlicher Gesellschaften sei, denn Identität stützt 55 56
57
Vgl. Sharon Macdonald, Expanding Museums Studies, 2006, S. 4; ebenso in: Sharon Macdonald, Museen erforschen, 2010, S. 53. Vgl. Sharon Macdonald, Museums, National, Postnational and Transcultural Identities, 2003, S. 3. Paradox und zu beachten ist dabei, dass in Museen die meisten Objekte nur scheinbar greifbar und original sind, wie ich bereits in Teilkapitel II.3.3 dargelegt habe. Mit Glas, Kordeln und sonstigen Abstandhaltern wird sichergestellt, dass vor allem Primärexponate nicht von den Besucher:innen angefasst werden. In archäologischen Museen kommt hinzu, dass viele Objekte nach Ergänzungen und anderen Maßnahmen der Restaurierung weder in ihrem ursprünglichen Zustand, noch in dem ihrer Auffindung sind. Für die Besucher:innen ist dabei oft nicht einmal ersichtlich, welche Teile eines Objekts nachträglich ergänzt oder überarbeitet wurden. Vgl. Steven Dubin, Incivilities in Civil(-ized) Places, 2006, S. 479.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
sich, wie schon in Teilkapitel II.3.2 dargelegt, unter anderem auf Eigentum. Macdonald argumentiert, dass im Museum ein possessiver Individualismus in kollektivem Maßstab ausgedrückt werden könne, da Museumssammlungen ideell dem Kollektiv der Gesellschaft gehören. Besitz und Güter würden dadurch aufgewertet, aus der Welt des Kommerzes herausgehoben und als Zeugen einer spezifischen Identität verehrt.58 Die Auswahl von Objekten zur Vermittlung einer Identitätsvorstellung kann zwei grundlegenden Motivationen folgen, die unterschiedliche Reaktionen bei den Betrachter:innen hervorrufen. Diese Motivationen wurden im Zuge der Ausführungen in Teilkapitel II.1.3 bereits als Definition nach innen und Abgrenzung nach außen beschrieben. Eine Gruppe definiert sich selbst nach innen hin, baut also ein Bild ihrer kollektiven Identität auf, indem sie solche Objekte überliefert, die von ihr oder von ihren Vorgängergruppen produziert wurden und somit vermeintlich – aus der subjektiven Sicht der Gruppe – ihr direktes Erbe und Eigentum sind. Sammelt, bewahrt und präsentiert eine Gruppe dagegen Objekte, die von anderen produziert wurden – etwa im Fall von Objekten aus Kolonialgebieten –, so grenzt sie sich durch diese Erfahrung der Fremdheit und Andersartigkeit kultureller Produktionen bewusst oder unbewusst nach außen hin ab. Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass gerade der Ethnologe und empirische Kulturwissenschaftler Gottfried Korff in Fremdheits- und Alteritätserfahrungen das zentrale Angebot von Museen sieht. Weil materielle Objekte dem sie betrachtenden Subjekt als »Nicht-Eigen« gegenüberstehen, regen sie Korff zufolge Kognition und Motivation an. Das Museum bezeichnet er deshalb als xenologische Institution, also eine Institution »des intelligenten Umgangs mit dem Fremden«, die Identität über die Unterscheidung eines Selbst von einem Fremden konstituiere.59 Nun kann der Einwand geltend gemacht werden, dass gerade in Archäologischen Landesmuseen überwiegend solche Objekte gesammelt und ausgestellt werden, die im Territorium der jeweiligen Landesdenkmalpflege entdeckt wurden und die somit das vermeintlich direkte Erbe der Gesellschaft sind, die durch das Bundesland und sein Museum repräsentiert wird. Tatsächlich sind aber auch diese Objekte fremd und andersartig, sie entstammen weit zurückliegenden Epochen und wurden von Angehörigen sozialer Gruppen produziert, deren Leben mit dem der heutigen Gesellschaft nur noch sehr wenig gemeinsam hat. Nicht selten erschließt sich unerfahrenen Betrachter:innen eines archäologischen Objekts nicht einmal dessen Funktionsweise, geschweige denn die Symbolik seiner Verzierung. Und selbst wenn dies geschieht, kann das Objekt immer noch fremd und andersartig wirken, einfach weil es heute nicht mehr hergestellt und genutzt wird oder weil die heutigen Äquivalente optisch stark davon abweichen. Ziel von Landes- und Heimatmuseen ist es aber meist nicht, mittels Alteritätserfahrungen eine Identität in Abgrenzung von vergangenen Gesellschaften zu formen. Vielmehr wollen sie in der Regel eine Identifizierung der Besucher:innen mit den Gesellschaften der Vergangenheit ermöglichen. Dies kann nur gelingen, wenn sie die vermeintliche Fremdheit der Vergangenheit überwinden und in ihren Ausstellungen eine Verbindung zwischen den Besucher:innen und dem Kontext der präsentierten Objekte plausibel machen. Möglicherweise dient das nicht nur wissenschaftlichen 58 59
Vgl. Sharon Macdonald, Museums, National, Postnational and Transcultural Identities, 2003, S. 3. Vgl. Gottfried Korff, Museumsdinge, 2002, S. 169.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Zwecken, sondern auch der Selbstrechtfertigung der archäologischen Museen und der Bodendenkmalpflege. Wenn den Besucher:innen vermittelt werden kann, dass die fremdartigen Objekte im Museum ihr kulturelles Erbe und ein Teil ihrer kulturellen Identität sind, den das Land für sie sammelt, erforscht und aufbewahrt, kann damit öffentliches Wohlwollen generiert, die kontinuierliche finanzielle und personelle Unterhaltung solcher Institutionen durch die öffentliche Hand begründet und die Aufbewahrung archäologischer Objekte legitimiert werden. Die Autorität bei der Vermittlung einer Vorstellung kultureller Identität gründet sich aber nicht nur auf die Materialität des Museums, also nicht nur auf die Museumsgebäude und die Exponate. Auf die Autorität vermeintlich authentischer und auratischer Objekte und Inszenierungen habe ich bereits in Teilkapitel II.3.3 hingewiesen. Hinzu kommt außerdem die Autorität der Ausstellungsmacher:innen als Fachexpert:innen. Die von Macdonald beschriebene Sprache der Faktizität und Objektivität ist also wegen ihrer Sprechenden – als diese mögen die Objekte oder die Ausstellung selbst erscheinen, tatsächlich sind es aber die Ausstellungsmacher:innen – so wirksam und kann von Menschen ohne das nötige Hintergrundwissen nur schwer hinterfragt werden. Es wurde daher bereits von vielen Autor:innen darauf hingewiesen, dass die Konstruktion und Vermittlung von kultureller Identität durch ein Museum ein Akt der Macht ist. Carol Duncan beispielsweise bezeichnet Museen als machtvolle identitätsdefinierende Maschinen. Sie legt dar, dass die, die ein Museum kontrollieren, auch die Repräsentation einer Gemeinschaft und einige ihrer höchsten und autoritativsten Wahrheiten kontrollieren. Was in Museen zu sehen oder nicht zu sehen ist und wessen Autorität darüber bestimmt, das sei demnach Teil der größeren Frage, wer in einer Gesellschaft die Macht ausübt, die die Identität der Gesellschaft definiert.60 Die an Museen tätigen Kurator:innen, Sammlungsverwalter:innen, Museumspädagog:innen und sonstigen Mitarbeiter:innen sind also, wie Adrienne Kaeppler schreibt, einflussreiche Individuen, die entscheiden, welche Geschichten erzählt werden. Ihre Vision werde den Besucher:innen sichtbar gemacht und sie könnten damit Vorstellungen von Identität beeinflussen. Kaeppler betont, dass Museen deshalb immer politisch seien.61 Elizabeth Crooke sieht darin eine Herausforderung und Verantwortung für die Mitarbeiter:innen an Museen. Da sie in die Entwicklung von Gesellschaften eingebunden seien, müssten sie sich fragen, ob die Gemeinschaft, mit der sie interagieren – also die Besucher:innen im Unterschied zu den Nichtbesucher:innen –, repräsentativ für die Gesellschaft sei, ob die Anführer:innen dieser Gemeinschaft von den Mitgliedern akzeptiert würden und wie die Autorität zwischen der Gemeinschaft und den Museumsmitarbeiter:innen am besten ausbalanciert werden könne.62 Mit anderen Worten: Durch ihre identitätskonstruierende und -transportierende Funktion haben Institutionen wie die Archäologischen Landesmuseen eine macht- und verantwortungsvolle Position, denn sie haben das Potenzial, auf das Selbstverständnis einer Gesellschaft beziehungsweise das Bild, das eine Gesellschaft von sich selbst hat, Einfluss zu nehmen.
60 61 62
Vgl. Carol Duncan, Art Museums and the Ritual of Citizenship, 1994, S. 286. Vgl. Adrienne L. Kaeppler, Paradise Regained, 1994, S. 21. Vgl. Elizabeth Crooke, Museums and Community, 2006, S. 184.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
Da sie aber auch dem direkten Einfluss der Landespolitik unterstehen – beispielsweise weil die obersten Gremien solcher Institutionen politisch besetzt und einem:r Minister:in unterstellt sind und weil diese Gremien nicht nur Einfluss auf das Budget, sondern auch auf die Personalauswahl haben können –, wächst dieses Potenzial zum Teil auch der kulturpolitischen Ebene zu. Deren Macht über das Museum ist letztlich Macht über die Deutung und Vermittlung der Vergangenheit, also Macht über das kulturelle Gedächtnis, das kulturelle Erbe und die kulturelle Identität einer Gesellschaft. Selbst wenn nicht direkt in die Arbeit der Kurator:innen und der Wissenschaftler:innen eingegriffen wird, wie die Expert:innen an den Projekt-Museen aussagten,63 ist dies erstens nur ein momentaner Zustand, der sich auch ändern könnte, und zweitens ist dadurch nicht ausgeschlossen, dass beispielsweise durch die Zuteilung von finanziellen Mitteln sowie durch die Besetzung von Stellen mit politisch erwünschten Personen die Arbeit eines Museums indirekt gesteuert wird. So räumte beispielsweise Michael Merkel im Interview ein: Selbst wenn der Behörde inhaltlich nicht gefällt was wir machen, passiert nichts. Das kommt vielleicht von anderer Seite, aber nicht über den Stiftungsrat. Der achtet nur auf die Finanzen und hält sich ansonsten weitestgehend zurück. Nur wenn wir eine Wissenschaftlerstelle besetzen, guckt da auch der Stiftungsrat noch mal drauf.64 Arnold Muhl erklärte außerdem, dass gelegentlich von kulturpolitischer Seite Anregungen oder Anfragen zur Durchführung von bestimmten Projekten an das Museum gestellt würden. Er betonte, dass dahinter jedoch kein politischer Druck stehe und eine Absage des Museums auch akzeptiert werde. Allerdings würden gegebenenfalls finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um ein solches Projekt mit zusätzlichem Personal dennoch durchzuführen.65 Das Potenzial zur Einflussnahme von politischer Seite ist also da, auch wenn es in den einzelnen konkreten Fällen der Archäologischen Landesmuseen und auch sonstiger Museen derzeit – und hoffentlich auch in Zukunft – nicht für parteipolitische Zwecke genutzt wird. Als Wissenschaftsinstitutionen sollten Museen in ihrer Arbeit vor allem von politischer Seite unbeeinflusst bleiben und es muss Sorge dafür getragen werden, dass die Freiheit der Museumsarbeit unabhängig vom politischen Klima gewahrt bleibt. Bevor ich analysiere, welche Vorstellungen kultureller Identität durch die Dauerausstellungen der vier für dieses Projekt ausgewählten Museen kommuniziert werden,
63
64 65
Die Aussagen der Expert:innen zum Verhältnis ihres Landesmuseums zur Kulturpolitik des jeweiligen Landes wurden bereits in Kapitel I.2 vorgestellt. Die Kurator:innen und Direktor:innen gaben durchweg an, in ihrer inhaltlichen Arbeit nicht von politischer Seite beeinflusst zu werden. Zum Teil ließen sie aber auch erkennen, dass zumindest das Potenzial zur Einflussnahme bestehe – beispielsweise durch die Finanzierung von Drittmittelprojekten und die strukturelle Organisation der Institutionen (vgl. hierzu insbesondere: Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 513; Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 481; Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 501f.; Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 490f.; Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 471; Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 520–522). Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 521. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 501f.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
möchte ich im letzten Abschnitt dieses zweiten Teils der Dissertation noch darlegen, dass kulturelle Identität nicht nur – wie es von Paul Ricœur mit dem Konzept der narrativen Identität vertreten wird – von Individuen, sondern auch von Archäologischen Landesmuseen narrativ konstruiert und kommuniziert wird. Die Museen erzählen mit ihren Ausstellungen Geschichten, die das Wissen der archäologischen Forschung zum Ursprung und zur Entwicklung beziehungsweise zur Herkunft der heutigen Gesellschaft vermitteln sollen. Ausstellungen sind Erzählungen, die aus Elementen des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft und aus Kulturgütern aufgebaut werden, die als kulturelles Erbe deklariert sind. In diesen Erzählungen kursieren nicht nur Narrative zur Ur- und Frühgeschichte, sondern sie haben auch in der aktuellen Gegenwart identitätsstiftende Wirkung.
II.4.3 Ausstellungen als Identitätsnarrationen Aleida Assmann unterscheidet bei der Darstellung von Geschichte drei Verfahren: das Erzählen, das Ausstellen und das Inszenieren. Diese Grundformen der historischen Präsentation lägen allerdings, dies betont Aleida Assmann deutlich, ständig in Mischformen vor.66 Besonders Ausstellungen umfassen in der Regel eben nicht nur die Darstellungsform des Ausstellens, sondern auch die des Erzählens und des Inszenierens. Ich möchte im vorliegenden Teilkapitel daher zunächst klären, wie diese drei Begriffe im Rahmen meiner Arbeit zu verstehen sind, und dann darlegen, inwiefern archäologische Dauerausstellungen Erzählungen sind und welche besonderen Charakteristika sie als solche auszeichnen. Beim Begriff des Ausstellens möchte ich mich vorerst der Definition Aleida Assmanns anschließen, die das Ausstellen als »die Anordnung von historischen Texten, Bildern und Gegenständen im Raum« beschreibt. Es geht dabei also nicht nur um die zeitliche Reihung von Ereignissen, sondern auch um die dreidimensionale Platzierung von Symbolen dieser Ereignisse. »Da jeder Ausstellung ein textuelles ›Skript‹ zugrunde liegt, kann der festgelegte Parcours durch verschiedene Räume chronologische Strukturen sowohl herausarbeiten als auch abbauen.« Einer Ausstellung liege also als Ordnungsform ein narratives Muster zugrunde, aber hinzu kämen als wesentliche Elemente die Bilder und Gegenstände, also die Exponate, »die eine ganz andere, nichtsprachliche Zeichenqualität besitzen«.67 Der Begriff der Inszenierung soll nicht wertend, also nicht mit den negativen Konnotationen von Künstlichkeit und Imitation, sondern lediglich deskriptiv verstanden werden. Assmann unterscheidet zwei Wortbedeutungen, nämlich den Begriff der medialen Inszenierung und den der räumlichen Inszenierung. Die mediale Inszenierung umfasst in ihrer Definition den Bereich gefilmter oder verfilmter Geschichte. Mit räumlicher Inszenierung meint die Anglistin im Unterschied zu musealen Ausstellungen Inszenierungen, die an eine Bühne beziehungsweise an einen historischen Schauplatz gebunden
66 67
Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis, 2007, S. 153. Vgl. ebd., S. 151.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
sind.68 Assmann will den Begriff des Inszenierens nicht auf Museen anwenden, um ihn deutlich vom Begriff des Ausstellens zu trennen. Diese Differenzierung ist aber eine rein künstliche und vermittelt fälschlich den Eindruck, in Ausstellungen werde nicht inszeniert. Tatsächlich sind das Ausstellen und das Inszenieren im Museum aber untrennbar miteinander verbunden. Beim Ausstellen werden nicht einfach nur Objekte irgendwo in einem Raum platziert. Sie werden immer in irgendeiner Art und Weise und mit verschiedenen Mitteln gerahmt. Assmanns Definition des Begriffs »Ausstellen« ist also um den der Inszenierung zu ergänzen und meint dann die Anordnung und Inszenierung von Medien, Bildern, Texten und Gegenständen im Raum zum Zweck inhaltlicher Kommunikation. Der Begriff der Inszenierung wird von dem Kulturwissenschaftler und Museumsforscher Thomas Thiemeyer definiert als Strategie, Exponate in einer Ausstellung mithilfe von ergänzenden Objekten wie Ausstellungsmobiliar und audiovisuellen oder atmosphärischen Medien »räumlich in Szene [zu] setzten, um Deutungen nahezulegen und Objekteigenschaften und -bedeutungen sinnlich erfahrbar zu machen«. Von anderen Inszenierungsformen unterscheide sich die museale Inszenierung durch das Herausstellen der Exponate als vorrangige Objekte. Dies sei auch das ausschlaggebende Kriterium für die Abgrenzung des Begriffs von dem der Szenografie.69 Szenografie integriert unterschiedliche Künste und Objekte gleichermaßen. D.h. für das Museum, dass es sein Spezifikum, das Zurschaustellen originaler Objekte, zugunsten eines Ansatzes relativiert, der gleichberechtigt andere Elemente aufnimmt. […] Primäres Ziel ist es, Ereignisse [zu] erzeugen. Objekte werden nur genutzt, wo sie diesem Ziel dienen. War es einst einziger Zweck des Museums, Objekte zu sammeln und auszustellen, so ist das Exponat jetzt bestenfalls eines von mehreren Mitteln, mit denen ein Museum sein Publikum unterhalten kann. Maßgeblich für die Präsentation ist nicht, was sich mit den überlieferten Dingen aus den Sammlungen machen lässt, sondern die übergreifende Gestaltungsidee, der sich alles unterordnet.70 Thiemeyer unterscheidet den Begriff der Szenografie also von dem der Inszenierung nach der Rolle, die den Exponaten darin zukommt. Die Szenografie setzt seiner Ansicht nach stärker auf Effekte und Ereignisse, daher spielten Exponate dort im Vergleich zu vielfältigen anderen Medien eine eher untergeordnete Rolle. Die Gestaltungsideen der Ausstellung und nicht die Objekte seien hier das essentielle Kriterium, nach dem sich alles richtet. Da die Dauerausstellungen der Archäologischen Landesmuseen in der Regel aber das Ziel haben, die Sammlung zu präsentieren, und dafür die Objekte meist in den Mittelpunkt stellen, ließe sich im Sinne Thiemeyers bei solchen Ausstellungen nicht von Szenografie sprechen. Allerdings ist das Wort Szenografie ein Hybrid aus den griechischen Begriffen skene für »Platz« oder »Szene« und graphein für »schreiben« oder »entwerfen«. Der Terminus bezeichnete daher die Bemalung des aus Holz konstruierten Skenegebäudes, das im griechischen Theater die Rückwand der Bühne bildete.71 Diesem
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Vgl. ebd., S. 152f. Vgl. Thomas Thiemeyer, Inszenierung, 2015, S. 56. Ebd., S. 60f., Hervorhebungen i. O. Vgl. ebd., S. 56f.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Ursprung folgend wird Szenografie meist als Begriff für die Ausgestaltung des räumlichen Kontextes einer Präsentation und somit synonym mit Inszenierung benutzt. Beide meinen im Ausstellungskontext das Herstellen einer Szenerie, die – vergleichbar mit einem Bühnenbild – vor allem aus den Vitrinen und der Ausstellungsarchitektur, der Gestaltung der Wände, Böden und Decken, der Beleuchtung der Räume und gegebenenfalls mittels raumgreifender Installationen sowie Klängen, Gerüchen und haptischen Eindrücken gebildet wird. Die Erzählung wird von Aleida Assmann als chronologische Anordnung und kausale Verknüpfung von Ereignissen charakterisiert, »die entweder auf menschliche Intentionen oder sachliche Wirkungszusammenhänge gestützt sind«. Aber erst die narrative Semantik gebe den Ereignissen eine Bedeutung. Nach verschiedenen narrativen Mustern unterscheidet Aleida Assmann Erzählungen in »Ursprungserzählungen, Passionsgeschichten, Befreiungsgeschichten, Konversionen, Bildungsromane, Niedergangsoder Fortschrittserzählungen usw.« und nennt sie »die einfachste und packendste Form, eine Vielfalt von Informationen übersichtlich gegliedert und stimulierend aufzubereiten.« Dies gelte nicht nur für fiktionale Erzählungen, sondern auch für die Erklärung wissenschaftlicher Zusammenhänge. Primäres Medium der Erzählung sei zwar der Text, aber sie stelle auch die konzeptionelle Ordnungsform anderer Präsentationsmodi dar und gehe somit als Grundgerüst in Ausstellungen und Inszenierungen ein.72 Das Erzählen ist eine wichtige, wenn nicht die wichtigste, konstitutive Kulturtechnik. Der Psychologe Donald E. Polkinghorne definiert es als eine Form der kognitiven Strukturierung, die Handlungen und Ereignisse in temporalen Einheiten organisiert: This process gives meaning to events by identifying their role in and contribution to an outcome. Narrative structuring is an operation that occurs retrospectively to fulfill the potential narrative meaning of actions and happenings that originally appeared as meaningful at a prenarrative level. Narrative structuring results in narrative products that make use of cultural plots and characterizations in their compositions.73 Beim Erzählen werden also die Rolle von Ereignissen und ihr Beitrag zu einer Situation retrospektiv identifiziert. Wird ihnen eine entsprechende Bedeutung beigemessen – wird also erkannt, dass sie zu der Situation beigetragen haben – werden sie zur Erklärung der Situation zu einer Geschichte zusammengestellt und kommunikativ wiedergegeben, beispielsweise in Form einer mündlichen Erzählung oder eines Textes. Polkinghorne erklärt, dass Menschen die Welt bereits im Moment ihrer Wahrnehmung beziehungsweise unmittelbar danach narrativ strukturieren. Dabei werde dieser Prozess von den Interessen, den Bedürfnissen und dem Verlangen der Menschen gelenkt, sodass sich Menschen auf bestimmte Informationen konzentrierten und insbesondere diese narrativ verarbeiteten.74 Aus psychologischer Sicht haben auch Wolfgang Ernst und Jürgen Straub erklärt, dass schon die kognitive Elaboration von Erinnerungen und die Selbstund Weltwahrnehmungen, die Menschen in ihrem neurologischen Gedächtnis gespeichert haben, in der Form kohärenter Geschichtenschemata organisiert sind. Die mental 72 73 74
Vgl. Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis, 2007, S. 150f., Zitate S. 150. Donald E. Polkinghorne, Narrative Psychology and Historical Consciousness, 2005, S. 5. Vgl. ebd., S. 5f.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
repräsentierten Erfahrungen und Erwartungen strukturierten das Erinnern in seinem Ablauf und bestimmten es dadurch auch inhaltlich. Dies führe unter anderem dazu, dass Erinnerungen »unwillkürlich nach der formalen Maßgabe eines vollständigen Geschichtenschemas ergänzt und komplettiert werden«, indem Lücken und Leerstellen imaginativ ausgefüllt werden.75 Der Philosoph Norbert Meuter hat dargelegt, dass im kulturwissenschaftlichen Diskurs zum Thema Erzählen im Wesentlichen drei Positionen vertreten werden. Einerseits wird, unter anderem von Wilhelm Schapp76 , argumentiert, dass es narrative Strukturen nicht a priori gebe, sondern diese immer ein Produkt von Schriftstellern und Geschichtsschreibern seien. Andere Autoren vertreten dagegen die Ansicht, dass bereits in Handlungen und Ereignissen Geschichten ausgeformt würden. Paul Ricœur wiederum hat diesbezüglich eine vermittelnde Position eingenommen, indem er eine narrative Hermeneutik entwickelt hat. Die Komposition einer expliziten Geschichte – Ricœur bezeichnet sie als mimesis-II – sei zwar immer eine schöpferische Leistung, sie müsse jedoch immer an etwas anschließen, was dem Prozess des Geschichte-Komponierens vorausgeht. Jede Geschichte verweise also auf ein Vorher, und diese Verweisung, die mimesis-I, ziele auf die öffentliche Lebenswelt des Handelns, die wiederum bereits in Ansätzen narrativ organisiert sei. Das lebensweltliche Handeln besitze mit seinen symbolischen und zeitlichen Aspekten also eine pränarrative Struktur.77 Die Rezeption einer Geschichte, die mimesis-III, werde schließlich möglich, weil eine explizite Erzählung prinzipiell offen sei und lediglich schematisierte Ansichten enthalte, die der Rezipient konkretisieren müsse.78 Die von Ricœur unterschiedenen drei Formen der Mimesis deutet Meuter als einen kreisförmigen und sich ständig weiterentwickelnden Kulturprozess: [Ü]ber die Rezeption tritt die explizit narrative Konfiguration wieder in die Lebenswelt des erlebenden und handelnden Rezipienten ein und kann die hier pränarrativ angelegten Strukturen fortführen und stabilisieren, aber auch variieren. Eine solchermaßen neu und anders refigurierte Lebenswelt stellt dann wiederum die anschlussfähige Grundlage der nächsten expliziten Konfiguration dar. Eine Erzählung ist demnach stets eine Vermittlung zwischen gewöhnlichen kulturellen Standards und außergewöhnli-
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Vgl. Jürgen Straub und Wolfgang Ernst, Narration, 2001, S. 400. Der Philosoph Wilhelm Schapp hat die Wendung geprägt, der Mensch sei »[i]n Geschichten verstrickt«. Dieses Diktum ist daher auch der Titel seiner Monografie, in der er darlegt, dass jeder Mensch von Beginn seines Lebens an unweigerlich ein Teil vieler Geschichten ist. Welche die erste Geschichte eines Menschen sei, lasse sich dabei nicht erkennen, die »Geschichten verlieren sich im Horizont«, denn der Anfang einer Geschichte beziehungsweise der Vorgeschichte einer Handlung könne unendlich weit in der Vergangenheit liegen. Anhand der Geschichten könne man sich jedoch rückwärts in den Horizont der Geschichten hineintasten: »Nur Geschichten können nach rückwärts die Fortsetzung von Geschichten bilden.« (Vgl. Wilhelm Schapp, In Geschichten verstrickt. Zum Sein von Mensch und Ding, 1985, S. 123.) Vgl. Norbert Meuter, Geschichten erzählen, Geschichten analysieren, 2011, S. 142f. Sein Narrativitätskonzept hat Paul Ricœur insbesondere im Kapitel »Zeit und Erzählung« im ersten Band seines gleichnamigen Werks vorgestellt (vgl. Paul Ricœur, Zeit und historische Erzählung, 1988, S. 87–135). Vgl. Paul Ricœur, Zeit und historische Erzählung, 1988, S. 120–122; Norbert Meuter, Geschichten erzählen, Geschichten analysieren, 2011, S. 143.
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chen Abweichungen von diesen Standards, ein komplexes Zusammenspiel von Tradition und Innovation.79 Die pränarrativen Handlungen der mimesis-I werden also zu einer Geschichte komponiert (mimesis-II), die rezipiert wird (mimesis-III) und die die Handlungen des Rezipienten bestimmt, wodurch weitere pränarrative Handlungen der mimesis-I entstehen, die wieder narrativ kommuniziert werden und so weiter. Das Erzählen und seine Produkte, die Erzählungen oder Narrative, haben also Einfluss darauf, wie Menschen handeln, wie sie sich und ihre Umwelt wahrnehmen und wie sie darüber kommunizieren. Friedrich Jaeger vergleicht das Erzählen einer Geschichte deshalb auch »mit der Erzeugung einer kulturellen Sinnstruktur, in der bestimmte Phänomene vergangener Wirklichkeiten in einen narrativen Zusammenhang gestellt werden«, und bezeichnet es als methodisches Gerüst eines Erkenntnisvorgangs, der zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermittele und somit kulturelle Orientierung stifte.80 Ansgar Nünning hat in Anlehnung an Ricœurs Kreis der Mimesis ein dreidimensionales Modell zum Verhältnis zwischen Erzählungen auf der einen und deren jeweiligem kulturellen Kontext auf der anderen Seite entworfen und damit die Bedeutung von Erzählungen für Identitäten dargelegt. Das Modell des Literaturwissenschaftlers zeichnet sich durch die Prozesse der Präfiguration, Konfiguration und Refiguration aus. Narrative Texte und Erzählungen sind demnach durch eine außerliterarische Wirklichkeit präfiguriert, denn in Kulturen kursieren Nünning zufolge immer schon Erzählmuster, -formen und Plots, die in sozialer Interkation, in Institutionen, Medien und Symbolsystemen objektiviert sind. Narrative Texte könnten ganz unterschiedliche Aspekte solcher kultureller Wirklichkeitsmodelle, beispielsweise die Selbst- und Fremdwahrnehmung eines Individuums oder eines Kollektivs, jeweils auf ihre spezifische Art und Weise konfigurieren, indem sie sie narrativ repräsentierten. Die daraus resultierenden narrativen Inszenierungen von Welten könnten dann auf die außerliterarische Wirklichkeit zurückwirken, diese also refigurieren. Erzählungen seien daher unter anderem »an der Ausformung und Reflexion von individuellen und kollektiven Identitäten« beteiligt.81 Als Operationen des Erzählens, die aus einer Menge an Informationen eine Geschichte komponieren würden, identifiziert Nünning das Bilden von Episoden, das Stiften von Kohärenz, die Integration von Geschehnissen und die Sinnbildung, die Handlungen, Ereignissen und Geschehnissen Bedeutung verleiht. Außerdem stellten Erzählungen zeitliche und kausallogische Zusammenhänge her und dienten dem Erfahrungsaustausch sowie der Erzeugung von Intersubjektivität. Dabei betont er, dass diese Funktionen des Erzählens nicht nur für individuelle Selbsterzählungen, sondern auch für kulturelle Narrative gelten.82 Kulturelle Narrative werden beispielsweise im Zuge der Geschichtsschreibung generiert. Der Historiker Jörn Rüsen hat sich insbesondere mit der Funktion des historischen Erzählens auseinandergesetzt und dieses als eine Handlung definiert, durch die sich ein bestimmtes Zeitbewusstsein bilde, ohne das sich »intentionales Handeln menschlicher 79 80 81 82
Ebd., S. 143. Vgl. Friedrich Jaeger, Historische Kulturwissenschaft, 2011, S. 525. Vgl. Ansgar Nünning, Wie Erzählungen Kulturen erzeugen, 2013, S. 32. Vgl. ebd., S. 41.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
Subjekte im Lauf der Zeit« nicht denken ließe. Er betont dabei, dass die Erinnerung der Ort der historischen Sinnbildung sei, dass das maßgebende Sinnbildungskriterium des historischen Erzählens eine Zeitverlaufsvorstellung sei, die die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfasse, und dass sich Handlungssubjekte mit dieser Zeitverlaufsvorstellung ihrer Identität vergewisserten. Historisches Erzählen schließe also die Erfahrungen der Gegenwart rückwärts an die Erfahrungen der Vergangenheit an, die in der Erinnerung aufbewahrt und deutend bewältigt werden. Des Weiteren mobilisiere es die Erinnerung und mache damit die Gegenwartserfahrungen durch die in der Erinnerung aufbewahrten Erfahrungen der Vergangenheit verständlich. Indem das Erzählen Erfahrungen aus der Vergangenheit als Zeitverläufe darstelle, die sich bis zur gegenwärtigen Erfahrung einer Veränderung erstrecken, mache es die Deutung der Gegenwart als Fortsetzung der Vergangenheit ebenso möglich wie das Entwerfen von Vorstellungen über die Zukunft als eine Fortführung der Gegenwart.83 Historisches Erzählen bilde also »Kontinuitätsvorstellungen über Erfahrungen des zeitlichen Wandels« und werde dabei von dem Bedürfnis seiner Autor:innen und Adressat:innen getragen, ihre Identität in einem solchen Wandel zu behaupten. Es wirke also aktiv am Prozess der Identitätsbildung und an der Stabilisierung von Identität mit.84 Historisches Erzählen ist aber nicht nur ein Gegenstand und eine Tätigkeit der Geschichtswissenschaft. Die in Texten und sonstigen Medien festgehaltenen Erzählungen über die Vergangenheit werden natürlich insbesondere von dieser Disziplin erforscht, ebenso wie sie von dieser Disziplin aus vielfältigen Quellen überhaupt erst produziert werden. Aber auch die Archäologie ist eine narrative Wissenschaft. Sie hat es zwar weniger mit schriftlich überlieferten Erzählungen, sondern vor allem mit materiellen Quellen zu tun, aber aus diesen konstruiert sie, ebenso wie die Geschichtswissenschaft aus Schrift-, Bild- und Tonquellen, Erzählungen. Das bedeutet nicht, dass Wissenschaftler:innen mit ihrer historischen oder archäologischen Arbeit fiktive Geschichten produzieren. Es heißt lediglich, dass die vielen Informationen und Daten bewertet und je nach beigemessener Bedeutung narrativ strukturiert und in ein zeitliches und kausallogisches Schema gegliedert werden. Dieser Vorgang wird in Anlehnung an Hayden White auch als emplotment bezeichnet. Beim emplotment werden also »heterogene Erfahrungsund Wissenselemente zu einer mehr oder weniger einheitlichen Ganzheit [verknüpft], die eine kontinuierliche Abfolge einzelner Ereignisse suggeriert«.85 Dabei können einzelne Aspekte gegenüber anderen betont werden, manche können unerwähnt bleiben und gegebenenfalls können Lücken sogar durch Spekulationen oder Erklärungsmodelle gefüllt werden. Die Operationen der Selektion und Bewertung, die bereits im Zusammenhang mit der Konstruktion von Gedächtnis und Erbe behandelt wurden, kommen also auch im (prä-)historischen Erzählen zum Tragen. Dabei ist das narrative Strukturieren ein unvermeidlicher Prozess der archäologischen Arbeit, wie die Archäologen Michael Shanks und Ian Hodder gezeigt haben. Da die Archäologie eine dekonstruktive Wissenschaft
83 84 85
Vgl. Jörn Rüsen, Die vier Typen des historischen Erzählens, 1990, S. 163–166, Zitate S. 164. Vgl. ebd., S. 169f., Zitat S. 169. Vgl. Birgit Neumann, Narrativistische Ansätze, 2013, S. 553.
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ist und es zum Teil mit sehr flüchtigen Quellen zu tun hat – beispielsweise mit erodierenden Sedimenten, mit verrottendem, organischem Material, mit korrodierenden Metallen und so weiter –, müssen die Arbeit und ihr Gegenstand möglichst genau und »haltbar« dokumentiert werden. Dies geschieht in der Regel vor allem schriftlich sowie mit Zeichnungen und Fotografien, in selteneren Fällen auch durch dreidimensionale digitale Scans. Aus diesen Dokumentationen wird dann meist ein Bericht, beispielsweise über eine Ausgrabung, zusammengestellt. Dabei werde, so Shanks und Hodder, eine Geschichte erzählt, die nicht nur erklärt, was auf der Ausgrabungsstätte stattgefunden hat und welche Befunde und Funde dort beobachtet werden konnten, sondern die auch eine Deutung der Quellen beinhaltet. Sie erklärt also beispielsweise, wann und vielleicht auch warum die dort freigelegten Gebäude errichtet wurden. Die Ausgrabungsstätte werde somit in eine Erzählung gegossen, die eine Rhetorik benutzt, die die Geschichte überzeugend vermittelt. Die archäologische Praxis werde dabei in Worte und Narrative übersetzt.86 In Nünnings Modell ist dies der Schritt der Konfiguration. Aus Daten der präfigurierten Wirklichkeit wird ein Narrativ geformt. In den Ausstellungen archäologischer Museen wird dann das durch die Forschungsarbeit generierte und in wissenschaftlichen Erzählungen fixierte Wissen refiguriert und narrativ an die Besucher:innen vermittelt. Denn die Fülle des von der Wissenschaft generierten und gespeicherten Wissens kann in Form einer Ausstellung nicht zur Gänze dargeboten werden. Auf begrenztem Raum müssen ausgewählte Inhalte derart präsentiert werden, dass sie wenigstens für eine bestimmte Zielgruppe, die in der Regel nicht nur aus einem Fachpublikum besteht, in angemessener Zeit leicht nachvollziehbar sind. Dafür wird die konfigurierte, komplexe Erzählung über die ur- und frühgeschichtliche Vergangenheit refiguriert. Sie kann dabei gekürzt, gestrafft und vereinfacht werden, sie kann aber auch spekulativ ausgeschmückt und in Bilder übersetzt werden. In diesem Zusammenhang haben Gottfried Korff und Martin Roth – die nicht nur Museumsforschung betrieben, sondern auch selbst Ausstellungsprojekte und Museen geleitet haben – zu bedenken gegeben, dass archäologische oder historische Objekte zwar nur bruchstückhaft überliefert sind und der Ergänzung bedürfen, dass sie sich aber gerade deshalb besonders gut für die historische Imagination eignen. Das vermeintliche Defizit fordere dazu heraus, die Objekte stets neu anzueignen, zu erklären und zu deuten.87 Dabei bleibt Raum für Interpretationen und Fiktionen beziehungsweise Spekulationen, die vom Standpunkt der jeweiligen Gegenwart aus beeinflusst sind, also beispielsweise von politischen und sozialen Diskursen. Die Vergangenheit wird in einer Erzählung präsentiert, die von der Gegenwart bestimmt ist. Die Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal hat in ihrem Werk Kulturanalyse ausführlich dargelegt, dass Ausstellungen Sprechakte sind, bei denen eine erste Person (die Kurator:innen) einer zweiten Person (den Besucher:innen) etwas über eine dritte Person (die Exponate und deren Kontext) sagt: Ein Akteur oder Subjekt stellt »Dinge« aus, und dadurch wird eine Subjekt/Objekt-Dichotomie geschaffen. Diese Dichotomie ermöglicht es dem Subjekt, eine Aussage über 86 87
Vgl. Michael Shanks und Ian Hodder, Processual, Postprocessual and Interpretive Archaeologies, 1995, S. 24. Vgl. Gottfried Korff und Martin Roth, Einleitung zu Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, 1990, S. 18.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
das Objekt zu machen. Das Objekt ist da, um die Aussage zu erhärten. Es wird in einen Rahmen gestellt, der die Aussage dazu befähigt, übermittelt zu werden. Für die Aussage gibt es einen Adressaten – den Besucher, Betrachter oder Leser. Der die Exposition umgebende Diskurs – oder, genauer gesprochen, der mit der Exposition identische Diskurs – ist »konstativ«. Konstative Sprechakte sind informativ und affirmativ. Sie haben Wahrheitswertigkeit: Die von ihnen mitgeteilten Aussagen sind wahr oder falsch. In diesem Sinn von Affirmation sind sie apo-deiktisch. Wie in allen Diskursen, die hauptsächlich aus derartigen Sprechakten bestehen, verhält es sich auch bei der Exposition so, daß eine »erste Person« (der Ausstellende oder Kurator) einer »zweiten Person« (dem Besucher) etwas über eine »dritte Person« sagt, nämlich über das ausgestellte Objekt, das nicht am Gespräch beteiligt ist. Aber anders als bei vielen sonstigen konstativen Sprechakten ist das Objekt hier zwar stumm, aber immerhin gegenwärtig.88 Bals Kulturanalyse bezieht sich vor allem auf die Präsenz der Objekte während dieses Sprechakts, denn diese Präsenz der Objekte rücke die Diskrepanz zwischen »Ding« und »Zeichen« in den Vordergrund, das »Ding« trete zurück und sein Status als »Zeichen« werde betont. Dadurch bekomme das Objekt einen Sinn und stehe für die Aussage über es selbst. Der expositorische Sprechakt sei dabei ein narrativer, weil er die Gegenwart des Objekts mit seiner Vergangenheit verknüpft. Ein weiterer Grund für den narrativen Charakter einer Ausstellung liege in dem Umstand, dass sie ein »Nacheinander« beinhaltet. Indem die Besucher:innen sich durch die Ausstellung bewegten, würden sie die Geschichte lesen.89 Ausstellungen sind also als Erzählungen konzipiert oder werden zumindest von Besucher:innen als Erzählungen wahrgenommen, die sich durch besondere Charakteristika auszeichnen. Sie sind dreidimensional und wirken vorrangig über Objekte, auch wenn sie daneben Texte und andere Medien enthalten können. Tony Bennett hat in The Birth of the Museum, seinem Standardwerk zur Museologie, argumentiert, dass ein Artefakt, wenn es in ein Museum gestellt wird, zu einem rhetorischen Objekt werde, das genauso wie ein Buch oder ein Film mit vielen Schichten unterschiedlicher Interpretationen überzogen sei. Dabei bestimmten oft Vorkenntnisse beziehungsweise -annahmen – man könnte vielleicht auch von Sehgewohnheiten sprechen – aus anderen Medien, welche Artefakte für Ausstellungen ausgewählt würden und wie ihre Zusammenstellung wahrgenommen werde. Die Museumsbesucher:innen könnten jedoch nie in eine direkte Beziehung mit der Realität des Artefakts treten, also mit der Wirklichkeit der Vergangenheit. Stattdessen sei die Illusion, die Vergangenheit durch das Artefakt erleben zu können, ein Effekt von Diskursen.90 For the seeming concreteness of the museum artifact derives from its verisimilitude; that is, from the familiarity which results from its being placed in an interpretative context in which it is conformed to a tradition and thus made to resonate with representations of the past which enjoy a broader social circulation. As educative institutions, museums function largely as repositories of the already known. They are places 88 89 90
Mieke Bal, Kulturanalyse, 2002, S. 36. Vgl. ebd., S. 36–38. Vgl. Tony Bennett, The Birth of the Museum, 1995, S. 146.
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for telling, and telling again, the stories of our time, ones which have become a doxa through their endless repetition. If the meaning of the museum artifact seems to go without saying, this is only because it has already been said so many times.91 Bennett zufolge wiederholen Museen also immer wieder dieselben Narrative, die sie selbst, andere Museen und andere Medien des öffentlichen Diskurses zirkulieren lassen. Sie bestätigen sich somit selbst und die Artefakte scheinen sich als Teil dieses Diskurses von selbst zu erklären und den Diskurs zu belegen. Mit der narrativen Funktion des Museums hat auch Susan M. Pearce sich in Museums, Objects and Collections auseinandergesetzt. Sie bezeichnet darin Museen und deren Sammlungen als moderne Meta-Narrative, mithilfe derer die Gesellschaft mit ihren Vorstellungen zu Wissen und Realität konstituiert wird. Ausstellungen stellen der Museologin zufolge einen wichtigen Teil dieser Meta-Narrative dar, weil die physische Organisation von Exponaten im Verhältnis zueinander ein wichtiges Mittel sei, um Wissen und Verständnis zu generieren. Die kuratorische Praxis untermauere die narrative Struktur von Ausstellungen, sei aber gleichzeitig auch selbst von Narrativen bestimmt. Sie sei in mehrere narrative Stränge unterteilt, die alle ihre eigene Geschichte und intellektuelle Begründung hätten und zwischen denen nicht immer nur Harmonie bestehe. Sie könnten sich also auch widersprechen. In Museen unterscheidet Pearce als solche Stränge die Disziplinen der Naturgeschichte, Zoologie, Botanik und Geologie, Archäologie, Anthropologie oder Ethnografie, Kunst – beziehungsweise die sogenannten schönen und angewandten Künste – und Geschichte. Sie betont aber auch, dass diese Klassifikation fast immer inadäquat ist und manches Material, wie zum Beispiel Militaria oder Numismatik, zwischen den Disziplinen steht – es sei denn, die Sammlung eines solchen Materials ist groß genug, um sie in einer eigenen Abteilung von einem Spezialisten bearbeiten zu lassen. Es kann hier noch ergänzt werden, dass es selbst dann immer wieder Objekte gibt, die sich in mehrere Abteilungen einordnen ließen. Jede Disziplin kreiert Pearce zufolge eine bestimmte Geisteshaltung unter ihren Anhängern – Ludwik Fleck würde sie wohl Denkstil nennen –, die deren Denken, Fühlen und Zugehörigkeitsgefühle bestimme. Somit formten diese Museumsabteilungen, denen außerdem Disziplinen im Bildungssystem und an Universitäten, in Versammlungen, in Stiftungen, im Verlagswesen und zum Teil sogar im öffentlichen Dienst entsprechen, einen Teil der Geschichte und der Philosophie des westlichen Wissens. »It is a theoretical framework which structures a surprisingly large slice of the practical world of work.«92 Pearce hat somit gezeigt, dass die narrativen Strukturen, die in einer Museumssammlung vorliegen und diese in einzelne Sammlungsbereiche und Disziplinen gliedern sowie innerhalb solcher Disziplinen generiert werden, sich in vielen weiteren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens fortsetzen. Dies ist eine wichtige Feststellung, denn sie verdeutlicht, dass Museen in einer Gesellschaft eine machtvolle Position einnehmen und mit den Narrativen, die sie generieren und vermitteln, in vielerlei Hinsicht Einfluss ausüben können.
91 92
Ebd., S. 147, Hervorhebungen i. O. Vgl. Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 118–120, Zitat S. 120.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
Susan M. Pearce hat sich auch mit dem speziellen Potenzial archäologischer Museen befasst und weist darauf hin, dass Prähistoriker:innen, wenn sie Texte anfertigen und Erzählungen zu Aspekten der frühen Menschheitsgeschichte produzieren, gezwungen sind, eine Kette von Ursachen und Wirkungen allein aus den materiellen Belegen abzuleiten. Dies könnten sie nur tun, indem sie materielle Typen zusammenstellten, um aus den typologischen Clustern eine »Kultur« abzuleiten, die dann anhand des Materials beobachtet werden könnte.93 Die Museologin hat damit darauf aufmerksam gemacht, dass die Methode der Klassifizierung in der Archäologie die archäologischen Funde und Befunde nicht nur nominell ordnet, sondern damit eine narrative Struktur herstellt, die Objekte in eine zeitliche und kausallogische Abfolge einfügt und mit dieser Erzählung bestimmt, wie die Vergangenheit wahrgenommen wird. Die Exponate im Museum stellen ebenfalls eine Erzählung dar, wie Pearce darlegt. Sie seien in ihrer Zusammenstellung das Ergebnis eines Prozesses der Auswahl und Diskussion, der aus Interpretationen wissenschaftliche Informationen mache. Mit diesem Prozess würden andere mögliche Bedeutungen unterdrückt und Objekte würden auf die gewählte Bedeutung beschränkt, um in die Erzählung zu passen. Weil die Objekte aber unmittelbar und real vor den Besucher:innen stünden, bestätigten sie die Aussage der Ausstellung. Sie repräsentierten außerdem die Vergangenheit, die tatsächlich aber nicht präsent ist, sondern entfernt und vorüber. Pearce beschreibt die Vergangenheit als etwas, das für uns nur zugänglich ist als Spur, die die Objekte bei ihrer Reise durch die Zeit hinterlassen, »like smoke trails which mark where once the aircraft was«. Das Signifikat Vergangenheit sei das, was die Objekte als Signifikanten verkörperten, aber es bestehe nur als die Idee der Vergangenheit, wie sie uns in unserer Gegenwart zu sein scheint. Sie sei gebunden an die Erzählungen in der Ausstellung.94 Ausstellungen sind Pearce zufolge also zwei Probleme inhärent: Erstens würden Objekte darin einer Erzählung unterworfen, die wie in der klassischen geschriebenen Historiografie aufgebaut ist, und zweitens würden Objekte in ihrer potenziellen Vielfalt an Bedeutungen beschnitten, damit sie in die ausgewählte Erzählung als unterstützendes Ensemble integriert werden können. Diese Probleme identifiziert Pearce gerade in urgeschichtlichen Ausstellungen, insbesondere in solchen, die mit dem Paläolithikum beginnen und dann Epoche um Epoche bis zum Ende des Römischen Reiches fortschreiten. Hier würden der Kontext und die Bedeutung der Objekte, die eigentlich nur aus dem Studium der materiellen Kultur abgeleitet werden, in eine historische Erzählung umgeformt, wie sie sonst nur mithilfe schriftlicher Dokumente konstruiert würde. Die Objekte würden dann dieser Geschichte entsprechend arrangiert und ihr unterworfen. Als Lösung für diese Probleme schlägt die Museologin vor, Objekte möglichst unkontextualisiert zu präsentieren. Sie könnten nur für sich selbst sprechen, wenn Geschichte in technologischen Begriffen präsentiert werde und die Objekte nicht länger an ihre soziale Matrix gebunden seien. Dann bleibe den Betrachter:innen nur die Verbindung zur Vergangenheit im Vergleich zur Gegenwart, sie bekämen dadurch aber kein Gefühl für die
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Vgl. ebd., 1992, S. 195. Vgl. ebd., S. 205f., Zitat S. 206.
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Vergangenheit selbst. Die Vergangenheit werde stattdessen als eine Serie bedeutungsloser und unzusammenhängender Momente präsentiert.95 Darin liegt ein Dilemma für das archäologische Ausstellungswesen, denn seine Aufgabe und sein Ziel ist es schließlich, den Fragmenten der Vergangenheit ihre Bedeutung zu entlocken und diese in einer Art und Weise zu präsentieren, die es Besucher:innen erlaubt, eine Vorstellung vom Leben der Menschen in der Vergangenheit zu erhalten. Viele der von mir interviewten Kurator:innen lehnten eine Ausstellungsgestaltung, bei der die Exponate weitestgehend unkontextualisiert präsentiert werden, daher ab, mit dem Hinweis, dass archäologische Objekte in der Regel ohne umfangreiches Kontextwissen nicht gedeutet werden könnten. Dem stimmten selbst Roland Mönig und Franz-Josef Schumacher zu, die schließlich eine White-Cube-Ausstellung verwaltet und daher Erfahrungen mit der kontextarmen Präsentation archäologischer Artefakte gemacht hatten.96 Auch der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ernst ist der Ansicht, dass die Archäologie als Wissenschaft materieller Kultur eine didaktische oder pädagogische Herangehensweise erfordert. Denn die archäologische Ästhetik bestätige den semiotischen Unterschied und die Diskontinuität zwischen der (re-)präsentierten Materialität der Objekte auf der einen und ihrem Status als Dokumente der Vergangenheit auf der anderen Seite. Das Problem aller historischen Ausstellungen sei es, eine Vergangenheit zu repräsentieren, die per definitionem abwesend ist. Auch mit archäologischen Artefakten wird diese Vergangenheit Ernst zufolge nicht gegenwärtig, weil diese einer Semiose unterliegen, die sie von Originalen in situ in Objekte verwandelt, die als historische Dokumente entschlüsselt werden können. Ernst argumentiert also, dass der Statuswechsel, den Objekte vollziehen, wenn sie der Disziplin entsprechend bearbeitet, erforscht und ausgewertet werden, sie von authentischen Originalen zu bloßen Daten macht. In Ausstellungen können dann schließlich komplexe historische Konfigurationen kaum ohne ergänzende Medien, wie zum Beispiel Filme, vermittelt werden. Als das wirksamste Medium, um historische Komplexität zu vereinfachen, bezeichnet Ernst die Erzählung in Textform. Nur durch die Ergänzung eines textlichen Mediums sei die Ausstellung in der Lage, sich auf die Präsentation materieller Artefakte und deren Bedeutungswert zu konzentrieren. Dabei erschaffe sie für die Besucher:innen die Illusion, in direkten Dialog mit den Objekten der Vergangenheit zu treten. Somit seien die archäologischen und die historischen Dimensionen des Museums entkoppelt: Es bedürfe Erzählungen, um monumentale Objekte in dokumentarische Informationen umzuwandeln.97 Tatsächlich können Texte in Ausstellungen gewissermaßen eine Erzählung in der Erzählung darstellen. Monika Flacke hat dargelegt, dass Kurator:innen Ausstellungen eine Narration verleihen müssen, denn diese sind räumlich und zeitlich begrenzt und müssen daher, anders als die Wirklichkeit, einen Anfang, eine inhaltliche Reihenfolge und ein Ende haben. Zwar wird die Erzählung einer Ausstellung nicht nur durch die Texte gebildet, sondern auch durch die Exponate, aber Flacke argumentiert, dass Texte die Erzählung einer Ausstellung besonders deutlich strukturieren, da sie Anfang, Ende und
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Vgl. ebd., S. 206f. Vgl. hierzu Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 480; Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 469f.; Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 485f. Vgl. Wolfgang Ernst, Archi(ve)textures of Museology, 2000, S. 32f.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
Durchführung der Narration definieren. Außerdem vereinfachten sie die Argumentation, indem sie die Vielfalt der Erzählungen, die anhand jedes Objekts möglich sind, im Text stark reduzieren. Diese Struktur werde von den Besucher:innen bei ihrer Bewegung durch die Ausstellung wahrgenommen, also gewissermaßen gelesen, und dadurch werde ihnen die inhaltliche Aussage der Ausstellung vermittelt.98 Flacke ist also der Überzeugung, dass Ausstellungen Geschichten meist durch Texte erzählen. Die Exponate gelten ihrer Ansicht nach zwar als unverzichtbare Elemente einer Ausstellung, aber ihre Funktion für die Narration bleibe unreflektiert und ihr Potenzial könne eher irritieren anstatt nützlich zu sein. Da sich die Besucher:innen selten an die vom Ausstellungskonzept intendierten Wege hielten, habe die Anordnung von Exponaten im Gegensatz zum Text auch keine narrative Struktur.99 Diese skeptische Haltung zum Aussagepotenzial von Exponaten gegenüber Ausstellungstexten fügt sich ein in die immer wieder im Ausstellungswesen geführte Debatte über Texte. Es wird beispielsweise diskutiert, wie stark sie in einer Ausstellung präsent sein dürfen, welche Rolle sie für die Vermittlung der Ausstellungsbotschaft spielen und wie sie aufgebaut, formuliert und grafisch gestaltet sein sollten, um möglichst gut verständlich zu sein, ohne die Aufmerksamkeit der Besucher:innen von den eigentlichen Exponaten abzuziehen. Der Kurator Jürgen Steen beschreibt den Text im Museum daher als einerseits geläufiges und andererseits fragwürdiges Medium. Die in den 1970er Jahren geführte Debatte über das Museum als Lernort oder als Musentempel hat sich in der Textfrage zugespitzt und in den 1980er Jahren in Gestalt der Kontroverse »Inszenierung versus Text« fortgelebt. Bis heute existiert der Vorbehalt, bei Text handele es sich um ein museumsspezifisches Medium, das aber als Vermittlungsstrategie nur extern begründet und legitimiert werden könne.100 Paulette M. McManus bricht allerdings eine Lanze für Ausstellungstexte und Objektschilder, obwohl ihre Bedeutung schon von manchen angezweifelt wurde. Sprache, insbesondere Text, hält McManus für das Mittel Nummer eins zur Kommunikation im Museum. Das klingt vielleicht offensichtlich, ist aber für ein visuelles Medium wie die Ausstellung bemerkenswert. Große Bedeutung haben vor allem die Wandtexte und Vitrinenschilder, die sozusagen als Sprechblasen der Kurator:innen den Besucher:innen die Exponate erklären. Deshalb sollten die Worte dort mit großer Umsicht gewählt werden. Natürlich vermitteln im Museum auch andere Medien, wie zum Beispiel Modelle, Diagramme und Fotografien, Informationen. Doch hält McManus Sprache für den Schlüssel zum Verständnis dieser Medien.101 Susan M. Pearce hat in diesem Zusammenhang auch argumentiert, dass nur das Objekt und sein Schild zusammen eine Bedeutung formen, wobei das Schild für die Betrachter:innen keinen geringeren Anteil an diesem Zusammenwirken hat als das Objekt selbst. Pearce schreibt daher dem Schild ebenso den Status eines Museumsartefakts zu wie dem Exponat.102
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Vgl. Monika Flacke, Ausstellen als Narration, 2016, S. 253. Vgl. ebd., S. 256. Vgl. Jürgen Steen, Ausstellung und Text, 1995, S. 47. Vgl. Paulette M. McManus, Making sense of exhibits, 1991, S. 39. Vgl. Susan M. Pearce, Presenting Archaeology, 1999, S. 20.
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Problematisch ist mit Blick auf Texte in Ausstellungen allerdings ein Phänomen, das Robin Skeates beschrieben hat: Vor allem in Dauerausstellungen erscheinen Texte oft mit einer Aura und einer unhinterfragten Wahrheit behaftet, obwohl sie nicht nur neutrale Fakten auflisten, sondern interpretative Narrative sind. Sie geben sich zwar den Anschein, anonym zu sein, sind aber tatsächlich soziale Konstrukte, die unterschwellig und unbewusst die Wertvorstellungen und Vorurteile ihrer Autor:innen enthalten können, zum Beispiel mit Blick auf Bildung, Ethnie oder Gender. Skeates ist der Ansicht, dass solche Texte sogar als politische Werkzeuge genutzt werden können. Geht man davon aus, dass Museen ideologische Institutionen sind, dann dienen Museumstexte dazu, ungleiche Machtverhältnisse zwischen Expert:innen und Besucher:innen aufrechtzuerhalten, indem historische Narrative konstruiert werden, die dominante Bedeutungen stärken und alternative Diskurse verschweigen. Umgekehrt können Museumstexte aber auch die bestehende soziale Ordnung transformieren, wenn sie ein Skript für eine neue soziale Ordnung bieten.103 Nicola Lepp kritisiert des Weiteren, dass es der Einsatz der Narration als musealer Diskursstrategie mit sich bringe, dass Objekte den Texten im Museum nachgeordnet würden. Sie ist der Ansicht, dass der traditionelle Prozess bei der Entwicklung einer Ausstellung von einem wissenschaftlichen, inhaltlichen Konzept ausgehe, das mit Exponaten lediglich illustriert werde. In einem solchen Fall dienten die Objekte vor allem als Belege für die inhaltliche Botschaft beziehungsweise als Zeugnisse der Erzählung. Ausstellungstexte wertet sie als Beleg für diese These, denn in ihnen »treten die Wissensdiskurse als die eigentlichen Träger der Narration in Erscheinung. Sie bilden die unverrückbare Voraussetzung für die sogenannte Lesart der Objekte«. Lepp findet eine Museologie, die den Text und die Erzählung vor den Exponaten privilegiert, problematisch, weil dabei das Wissen dem Ausgestellten vorausgehe, anstatt aus den Exponaten abgeleitet zu werden. Sie kritisiert auch Pomians Semiophorenkonzept, denn dieses betrachte das Objekt lediglich als Zeichen, das für etwas anderes stehe und entschlüsselt werden müsse. Die Objekte würden dadurch ihre Dreidimensionalität und Materialität verlieren und würden deshalb entsprechend häufig in Wandvitrinen präsentiert, die lediglich eine Aufsicht oder Frontalansicht ermöglichten.104 In vielen Ausstellungen ist die Erzählung den Objekten aber nicht uneingeschränkt vorgelagert – wie Lepp behauptet –, sondern beide Dimensionen nehmen in der Konzeption der Ausstellung aufeinander Einfluss. Ausstellungsmacher:innen können sich für die Präsentation bestimmter Objekte einerseits entscheiden, weil sie eine bestimmte Erzählung planen und die Objekte diese stützen können. Andererseits entscheiden sie sich aber auch deshalb für bestimmte Objekte, weil diese beispielsweise wissenschaftlich besonders interessant, besonders wertvoll oder besonders ästhetisch sind oder weil sie – wie Tony Bennett schreibt – den Vorkenntnissen, Vorannahmen oder Sehgewohnheiten der Ausstellungsmacher:innen entsprechen. Die Erwägung, welche Objekte Besucher:innen besonders gut gefallen könnten, welche sie besonders interessieren, faszinieren oder affizieren könnten, spielt bei der Auswahl von Exponaten für eine Ausstellung
103 Vgl. Robin Skeates, Speaking for the Past, 2017, S. 348. 104 Vgl. Nicola Lepp, Diesseits der Narration, 2014, S. 11f.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
wahrscheinlich immer eine Rolle – und wenn sie auch nicht das alleinige Auswahlkriterium darstellt, so doch zumindest eines unter vielen. In einem solchen Fall passen die Ausstellungsmacher:innen die Erzählung der Ausstellung den ausgewählten Objekten an beziehungsweise leiten sie aus diesen ab. Auch ist Lepps These, die Wahrnehmung von Objekten als Semiophoren nehme ihnen ihre Dreidimensionalität und Materialität, nicht nachvollziehbar, schließlich tragen doch gerade diese beiden Aspekte stark dazu bei, dass ein Objekt eine bestimmte Idee bezeichnet und anschaulich macht. Es stimmt, dass Objekte, die ähnlich wie die sogenannte Flachware (beispielsweise Bücher oder historische Dokumente) in großer Stückzahl nebeneinanderliegend in einer Wand- oder Tischvitrine gezeigt werden, nicht so sehr als individuelle Objekte im Vordergrund stehen, sondern einen wissenschaftlichen Inhalt illustrieren. Eine Reihung von aus dem Paläolithikum bis zum Neolithikum stammenden Steinbeilen kann so beispielsweise die Entwicklung der Bearbeitungstechniken und der Spezialisierung in der Werkzeugherstellung demonstrieren, ohne dass es dabei auf die individuelle Geschichte eines jeden Beils ankommt. Aber in vielen Ausstellungen, gerade in archäologischen Museen, sind solche Präsentationsformen inzwischen eher selten. Stattdessen werden meist Stelen- und Blockvitrinen eingesetzt und die Exponate werden so installiert, dass sie von möglichst vielen Seiten zu sehen sind. Soll ein Objekt besonders in Szene gesetzt werden, wird es in der Regel sogar alleine unter einer Glashaube ausgestellt, die den Besucher:innen die Betrachtung von allen Seiten ermöglicht. Es ist also nicht der Regelfall, dass Museumsobjekte zur Flachware degradiert werden, wie Lepp es darstellt. Wenn Wandvitrinen eingesetzt werden, ist das vermutlich auch dem Umstand geschuldet, dass die Wände eines Raumes sich besonders gut als Präsentationsflächen eignen. Daraus kann jedoch keine Bevorzugung der der Ausstellung zugrundeliegenden Narration oder gar der Ausstellungstexte gegenüber den Objekten abgeleitet werden. Nicht nur im engeren Sinn von Schriftstücken enthalten Ausstellungen Texte, sondern sie selbst sind gewissermaßen als Ganzes verräumlichte und vergegenständlichte Texte und werden auch als solche wahrgenommen. Julia Nitz hat mit Bezug auf Aghan Odero Agan, einen Kulturmanager und Spezialisten für mündliche Erinnerungskultur und Storytelling, gezeigt, dass Menschen vor allem anhand von Geschichten ein Verständnis von der Welt und der Vergangenheit entwickeln. Dies wird auch durch Erkenntnisse der Kognitionsforschung aus den letzten zwanzig Jahren belegt, die zeigen, dass Menschen dazu neigen, Bedeutung durch Narrative zu konstruieren. In der Folge versucht ein Mensch, wenn er auf einen Text trifft – egal ob dieser mündliche, schriftliche, visuelle oder auditive Form hat –, diesen im weitesten Sinne zu lesen. Die Amerikanistin Nitz leitet daraus ab, dass auch Ausstellungsbesucher:innen die Ausstellung wie eine Geschichte rezipieren beziehungsweise versuchen, die Geschichte hinter den Exponaten zu verstehen und auf die Frage, was wann und wie geschah, eine Antwort zu finden.105 Dabei hat die Kuratorin Jana Scholze allerdings darauf hingewiesen, dass Ausstellungen selbst von zwei Besucher:innen nie identisch wahrgenommen werden. Sie gesteht daher semiotischen Codes, »auf deren Grundlage Signifikations- und Kommunikationsprozesse in Ausstellungen entstehen können«, nur eine individuelle Gültigkeit 105 Vgl. Julia Nitz, The Reconstruction of the Past in Museums, 2012, S. 176f.
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zu.106 Dass jeder Mensch eine Ausstellung anders wahrnimmt und versteht, ist ein Problem, auf das auch der Historiker und Museumsdirektor Heinrich T. Grütter aufmerksam gemacht hat. Er argumentiert, dass Besucher:innen nicht nur Leser:innen, sondern auch Produzent:innen des Textes seien, den die Ausstellung bilde, weil sich Exponate den Besucher:innen in ihrer Vielschichtigkeit nur zum Teil von selbst erschließen und dabei auch jedem:r Besucher:in anders. »Verstehen von Ausstellungen«, so Grütter, »ist somit nie reine Denotation, sondern immer auch Konnotation, Assoziation und Überlagerung mit schon vorhandenem Wissen.« Um die je eigene Erfahrung der Besucher:innen an die Aussageabsicht des Museums rückzubinden, würde es unterschiedlicher Vermittlungsformen bedürfen.107 Die Vermittlungsformen in der Ausstellung, also die gesamte Inszenierung und Ergänzung der Exponate mit Texten, Grafiken, Ausstellungsarchitektur, Beleuchtung und so weiter, sollen also die Wahrnehmung und Erkenntnis der Besucher:innen steuern, damit alle ein ungefähres Verständnis der Botschaft entwickeln, die ihnen das Museum vermitteln will. Thomas Thiemeyer ist daher überzeugt, dass Ausstellungen eigenen Regeln des Erzählens folgen, die mit der Eigenart von Museen als Medien zu erklären sind. Die Erzählung von Museen charakterisiert er als objektbasiert, fragmentarisch und dreidimensional. Objektbasiert sei sie, weil materielle Objekte den Grundstoff der Ausstellung bilden. Sie erzählten nur die Geschichten, die ihnen mittels ergänzender Texte zugeschrieben würden oder die die Betrachter:innen mit ihnen assoziierten. Neben einer solchen Sinnstiftung durch narrative Einhegung besäßen Objekte aber auch das Potenzial, über ihre physisch-materielle Ausstrahlung, oft als Aura bezeichnet, auf ihre Umwelt zu wirken. Fragmentarisch sei die Erzählung der Ausstellung, weil deren Zusammenstellung und die darin enthaltenen Informationen und Objekte davon abhingen, welche Überreste und welches Wissen der Vergangenheit sich erhalten hat beziehungsweise überliefert wurde. Eine Ausstellung umfasse eben nur Teile der Vergangenheit oder eines bestimmten Themas. Dreidimensional sei die Erzählung wiederum, weil das Museum seine Geschichte im Raum inszeniere – damit unterscheide es sich als Medium von Literatur und Film. Vor allem kulturhistorische Museen verwendeten in ihren Ausstellungen zwei Diskurstypen, nämlich den der Wissenschaft und den der Kunst, um eine Geschichte zu erzählen. Sie nutzten zur Vermittlung von Wissen sowohl Texte als auch Metaphern, Raumbilder, Kulissen und Inszenierungen. Sie nutzten also sowohl sprachliche als auch visuelle Kommunikationswege. Thiemeyer argumentiert, dass sie damit zwar beide Diskurstypen zu einer Erfahrungswelt kombinieren, die es nur im Medium der Ausstellung gibt, gleichzeitig könnten sie aber keinem der beiden Typen vollständig gerecht werden.108 Auf der einen Seite verändert es [das Museum] den Prozess der Verwissenschaftlichung, weil es als sinnliches Medium wissenschaftliche Aussagen nicht (primär) in der diskursiven Logik der Begründung weitergibt, sondern im visuellen Modus der
106 Vgl. Jana Scholze, Medium Ausstellung, 2004, S. 14f., Zitat S. 14. 107 Vgl. Heinrich T. Grütter, Zur Theorie historischer Museen und Ausstellungen, 1998, S. 193. 108 Vgl. Thomas Thiemeyer, Simultane Narration – Erzählen im Museum, 2013, S. 479f.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
Evidenz, der sichtbaren Einsicht. Es lässt immer einen mehr oder weniger großen Interpretationsspielraum, weil es auf ästhetischer Wirkung seiner Objekte aufbaut und so die Kontrolle über seinen Gegenstand mit dem Betrachter teilt. Das mehrdeutige Bild ersetzt den vermeintlich eindeutigen Text. Auf der anderen Seite lässt kaum eine kulturhistorische Ausstellung die Dinge autonom wirken, weil sie sie mit anderen Dingen in Beziehung setzt und als Beleg für eine Geschichte nutzt.109 Da Objekte und Bilder sogenannte Zeichenkonglomerate seien, seien sie deutungsoffen und eröffneten so im Museum Assoziations- und Erfahrungsräume. Dabei sei die sinnliche Wahrnehmung für das Erleben im Museum zentral. Obwohl die Objekte laut Thiemeyer über eine Aura verfügen, seien Ausstellungen auch auf Texte angewiesen, »um ihre Raumbilder und Objekte einzuhegen und um ihnen eine Bedeutung zu geben«.110 Dabei wirkten Bilder und Texte jedoch unterschiedlich: Während Leser:innen sich einen Text sequenziell und linear erarbeiteten, wirke ein Bild simultan. Auf einen Blick oder durch kontemplative Betrachtung erschließe sich die Botschaft eines Bildes – oder eines Objekts –, wobei seine einzelnen Elemente von den Betrachter:innen gleichzeitig oder zumindest in ungeordneter Reihenfolge wahrgenommen würden. Einen Text dagegen müssten Leser:innen in einer festgelegten Reihenfolge, nämlich Buchstabe für Buchstabe und Wort für Wort, wahrnehmen, um ihn zu verstehen. Thiemeyer betrachtet Ausstellungen daher insgesamt als eher simultane Phänomene. Sie vermittelten ihre Themen als Bild im Raum und böten dabei verschiedene Objekte und Inszenierungen gleichzeitig an. »Sie können die Wahrnehmung des Rezipienten schlechter lenken [als Texte], auch weil sich die zeitliche Abfolge seiner Seheindrücke kaum kalkulieren lässt.« Sie seien aber auch insofern linear geordnet, als sie den Besucher:innen einen Parcours vorgeben und so eine Reihenfolge erstellen, in der die Besucher:innen die Objekte und Inszenierungen wahrnehmen können – sofern sie dem Parcours folgen. Zusammengefasst sind Ausstellungen Thiemeyer zufolge also Erzählungen mit eigenen Regeln, denn sie nutzen mehrdeutige Inszenierungen, wirken eher simultan, lassen den Rezipient:innen Freiheiten und sind weniger kohärent als andere Narrationen, weil sie auf der Basis von Fragmenten argumentieren.111 Diese Haltung Thiemeyers verwundert nicht angesichts der Tatsache, dass sein Lehrer Gottfried Korff das prägnante Diktum formuliert hat, dass ein »Museum [nicht] bebildert«, sondern selbst Bild ist: Das Museum hat es eigentlich nicht mit Visualisierung zu tun, sondern das Museum stellt aus, arrangiert anschaubare Objekte im Raum. Visuell sind seine Bauelemente eo ipso – und nicht nur seine didaktische Strategie. Das Museum bebildert nicht; es ist Bild.112 Zwar möchte ich Korff darin zustimmen, dass Ausstellungen nicht bloß Inhalte illustrieren, sondern Gesamtbilder formen, aber zugleich sind Ausstellungen auch immer zu einem gewissen Grad linear. Ihnen liegt immer eine irgendwie konzipierte Ordnung zugrunde, auch wenn diese sich den Besucher:innen nicht erschließt. Und sie können 109 110 111 112
Ebd., S. 480f., Hervorhebungen i. O. Vgl. ebd., S. 481. Vgl. ebd., S. 481f., Zitat S. 482. Gottfried Korff, Museumsdinge, 2002, S. 144, Hervorhebung i. O.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
auch nur in einer wie auch immer gestalteten Reihenfolge wahrgenommen werden. Menschen können schließlich nicht an mehreren Orten zugleich sein, mehrere Exponate und Installationen zugleich betrachten und mehrere Texte und audiovisuelle Medienformen gleichzeitig rezipieren. Manche Ausstellungen sind zwar derart gestaltet, dass sie auf einen Blick in ihrer Gesamtheit überschaut werden können, aber sobald die Besucher:innen ihre Aufmerksamkeit auf Details lenken, müssen sie sich einem Detail nach dem anderen zuwenden. Spätestens dann generieren sie eine individuelle Struktur und Reihenfolge in der Wahrnehmung der Ausstellung – und auch wenn diese sehr chaotisch ist und keiner Logik oder Systematik folgt, ist sie doch eine (meist lineare) Reihung von Schritten. Wenn eine Ausstellung aber besonders auf Linearität, Kohärenz und Kausalität abgestellt ist – und meines Erachtens trifft das vor allem auf die Dauerausstellungen Archäologischer Landesmuseen zu –, dann charakterisiert Thiemeyer sie als narrative Ausstellung. Er unterscheidet dabei drei Strategien des narrativen Ausstellens, also drei Arten, eine möglichst stringente Erzählung zu vermitteln: Die erste Strategie bestehe darin, den musealen Raum durch die Festlegung eines Weges zu begrenzen, also die Besucher:innen gewissermaßen dazu zu »zwingen«, die Exponate in einer vorgegebenen Reihenfolge wahrzunehmen. Dieses Mittel setzt beispielsweise das LWL-Museum für Archäologie in Herne ein, wo Besucher:innen auf einem Steg durch den Ausstellungsraum geleitet werden und damit fast gezwungen sind, einer chronologischen Ordnung zu folgen. Dieser Steg verläuft etwas erhöht über der eigentlichen Ausstellungsfläche und wird von Vitrinen und Installationen zu beiden Seiten so begrenzt, dass Besucher:innen von ihrem Weg kaum abweichen können. Der Steg ist als Rundweg angelegt, der entgegen dem Uhrzeigersinn verläuft. Sein Startpunkt und die Gehrichtung sind visuell indiziert, sodass Besucher:innen dazu angehalten werden, die Ausstellung nicht »rückwärts« zu besichtigen. Zweitens könne versucht werden, Lücken in der Überlieferung durch Rekonstruktionen zu schließen und somit mehr Kohärenz herzustellen. Thiemeyer wertet diese Strategie als Ausdruck eines semiotischen Verständnisses, denn nicht das Original mit seiner unersetzbaren Materialität und Aura stehe hier im Mittelpunkt, sondern die Objekte, die als stellvertretende Zeichen auf etwas Abwesendes verweisen und einen Kontext illustrativ und exemplarisch darstellen sollen.113 Als dritte Strategie beschreibt Thiemeyer die Erzeugung von Kausalität. Die Ausstellung wird hier auf einen Fluchtpunkt hin ausgerichtet, sie formt eine Geschichte, die Ursache und Wirkung darstellt und »bei der sich Nachfolgendes logisch aus Vorhergehendem ergibt«. Dafür integriert die Ausstellung nur solche Objekte, die die kausale Logik des Narrativs stützen können. Die Exponate illustrieren dann eine vorab definierte Erzählung, bei der die übergeordnete Botschaft vor den individuellen Geschichten der einzelnen Objekte im Vordergrund steht.114 Die Dauerausstellungen von Archäologischen Landesmuseen sind meist mit einer chronologischen Struktur unterlegt. Ausstellungsabschnitte sind jeweils prähistorischen Epochen gewidmet und so angeordnet,
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Vgl. Thomas Thiemeyer, Simultane Narration – Erzählen im Museum, 2013, S. 483f. Vgl. ebd., S. 485f., Zitat S. 486.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
dass Besucher:innen beim Gang durch die Abschnitte automatisch die Abfolge der Epochen nachvollziehen. Eine solche chronologische Gliederung weist die Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg zwar nicht auf, jedoch sind die Themenbereiche der Ausstellung so angeordnet, dass sie einem logischen Ablauf folgen.115 Nun hat Nora Wegner im Rahmen ihrer Dissertation Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung beobachtet, dass für Dauerausstellungen – im Gegensatz zu Sonderausstellungen – nicht einfach Objekte aus der Sammlung ausgewählt werden, die das Thema der Ausstellung beziehungsweise die damit intendierte Botschaft illustrieren. Vielmehr wird im Fall von Dauerausstellungen die Erzählung der Ausstellung aus den Sammlungsobjekten abgeleitet. Wegner nennt es ein Hauptziel von Dauerausstellungen, repräsentative Exponate der Sammlung langfristig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.116 Und auch die Ausstellungsmacher:innen an den von mir untersuchten Museen erklärten in persönlichen Gesprächen und in einigen Interviews, dass sie ihre Dauerausstellung aus ihrer Sammlung heraus entwickelt hätten und nicht nur passende Objekte als Belegstücke für eine zuvor konzipierte Erzählung ausgewählt und somit einer intendierten Botschaft untergeordnet hätten. Mechthild Neyses-Eiden äußerte beispielsweise, dass das Rheinische Landesmuseum Trier bei der Konzeption seiner Dauerausstellung einen repräsentativen Querschnitt seiner Sammlung habe zeigen wollen und aus der Sammlung Themen und Geschichten entwickelt habe.117 Aber wenn Sammlungsstücke nicht nur aufgrund ihrer Ästhetik, sondern auch wegen ihrer wissenschaftlichen Aussagekraft dazu ausgewählt werden, als Exponate in einer Ausstellung zu stehen, spielt dann nicht automatisch schon bei der Auswahl der Objekte zumindest eine grobe Aussageabsicht eine Rolle? Kann wirklich so klar unterschieden werden zwischen einer Ausstellungskonzeption, die eine Erzählung aus den Exponaten ableitet, und einer solchen, die die Exponate einer vorab zumindest grob geplanten Erzählung unterwirft? Arnold Muhl, der die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle konzipiert, ließ im Interview erkennen, dass es sich dabei eher um einen hermeneutischen Prozess handelt. Zwar hingen die Inhalte der Ausstellung davon ab, welche Funde in der Sammlung vorhanden seien. Gleichzeitig werde die Sammlung aber auch »[v]or dem Hintergrund der Landesgeschichte oder der großen Ereignisgeschichte« gesichtet, und so würden einerseits zwar die Themen angesprochen, die die vorhandenen Funde hergäben, andererseits würden aber auch die Funde für die Ausstellung ausgewählt, anhand derer sich geeignete Themen präsentieren ließen.118 Wir haben den Impetus, dass wir Geschichten erzählen wollen. Durch viele kleine Geschichten, die wir um ein Exponat herum erzählen können, entsteht im Ensemble ein Eindruck von der gesamten Geschichte. Nehmen Sie zum Beispiel eine Brille, an der man erzählen kann, dass sie aus dem und dem Hof stammt, und an diesem Hof lebte der und der, und der war ein Mönch, der … Wenn man ein bisschen erzählen kann, kann man anhand dieses einen Fundes ein Sittenbild darstellen. Aber das müssen der
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Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 515f. Vgl. Nora Wegner, Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung, 2015, S. 30. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 483 sowie S. 485. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 495, Zitat ebd.
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Teil II: Theorie und Praxis von Gedächtnis, Erbe und Identität
Fund und sein zugehöriger Befund auch hergeben. Nach diesem Prinzip suchen wir die Exponate aus […].119 Im Prozess der Ausstellungskonzeption werden in der Regel mehrere Stufen oder Phasen durchlaufen, die von einem groben Schema der Ausstellung bis zur detailgenauen Planung der einzelnen Exponate und Medien sowie ihrer genauen Position in den Ausstellungsräumen immer differenziertere Entwürfe hervorbringen. Dabei spielt sowohl die Erwägung eine Rolle, welche Themen behandelt werden sollen und welche Objekte der Sammlung dafür passend sind, als auch, welche Objekte der Sammlung aufgrund ihrer Ästhetik, ihres Kontextes, ihres konservatorischen Zustandes, ihrer Bedeutung für die Forschung und diverser weiterer Faktoren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können und sollen und wie sich um diese Objekte herum eine kohärente Ausstellungserzählung entwickeln lässt. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang allerdings die Position Harald Mellers zum Geschichtenerzählen in Museen: Der Landesarchäologe und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte gab an, dass ein Geschichtenerzählen im Museum äußerst problematisch sei, und postulierte, dass das Landesmuseum für Vorgeschichte genau das Gegenteil davon tue. Das Museum sei kein Ort, an dem die Geschichte konsistent erzählt werden könne.120 Meller sprach in diesem Zusammenhang allerdings von der Geschichte im Sinne der Gesamtheit aller Ereignisse und Handlungen der Vergangenheit. Dass diese in einem Museum nicht umfassend und realistisch dargestellt werden kann, wurde nun schon mehrfach klargestellt. Geschichten, im Sinne von Narrationen, sind dagegen jeder archäologischen Ausstellung inhärent. Harald Meller stellte dennoch die Behauptung auf, dass im Landesmuseum für Vorgeschichte keine Geschichten erzählt, sondern Bilder geschaffen würden. Im Museum, so Meller, wirke zuallererst das Original selbst, aber es sei fast unmöglich, den Besucher:innen im Museum eine Gesamtsicht der Ur- und Frühgeschichte zu bieten. Daher müssten die Ausstellungsmacher:innen die verfügbaren Informationen zur Ur- und Frühgeschichte verdichten und in historisch korrekte und plausible Bilder fassen. Ein Museum soll nach Ansicht von Meller also Bilder – und nicht Geschichten – produzieren.121 Der Landesarchäologe nannte zwei wesentliche Vorteile von Bildern gegenüber Texten: Einerseits entfalten inszenierte Bilder bei jedem eine andere Wahrheit, da jeder einen anderen Erfahrungshorizont hat. Andererseits treffen solche Bilder – die man als Ausstellungsmacher erzeugt – die wissenschaftlich erforschte Realität besser und könnten diese besser verdichten, als das mit Texten möglich wäre.122 Als Beispiel für das Potenzial, komplexe Aussagen in ein Bild zu bannen, erläuterte er die Bedeutungsvielfalt der Neandertalerfigur in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte (s. Teilkapitel III.3.2, Abb. 38). Damit belegte er auch, dass Bilder wie das der Neandertalerfigur vom Museum bewusst konstruiert werden, um die intendierte Aussage des jeweiligen Ausstellungsbereichs zu vermitteln. Jeder Raum der Ausstel119 120 121 122
Ebd., S. 495. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 505–507. Vgl. ebd., S. 505. Ebd., S. 506.
II.4 Archäologische Landesmuseen als Identitätsinstitutionen?
lung sei so »eine exakt kalkulierte Überlegung, wie man tausende Seiten archäologischen Wissens in ein Bild fasst«. Das Wichtigste bei der Konstruktion von Bildern durch das Landesmuseum sei jedoch, dass die Bilder offen und zugleich wissenschaftlich korrekt seien.123 Solange dies gewährleistet ist, kann die Konstruktion von Bildern in Ausstellungen – ebenso wie übrigens auch die Konstruktion von Narrativen – wohl als unproblematisch gelten. Fraglich ist allerdings, ob im Fall von ur- und frühgeschichtlichen Quellen eine unzweifelhaft korrekte Interpretation realisierbar ist. Des Weiteren kann Mellers Argumentation nicht widerlegen, dass Ausstellungen – auch die des Landesmuseums für Vorgeschichte – Erzählungen darstellen. Zwar kann natürlich nie »die Geschichte« komplett abgebildet werden und Inhalte werden in manchen Ausstellungen nicht vorrangig über Texte vermittelt, sondern, indem einzelne Szenenbilder konstruiert werden, die sich den Besucher:innen visuell erschließen sollen. Dennoch formen die einzelnen Bilder zusammen in ihrer Abfolge eine narrative Struktur, eine Erzählung. Vielleicht können Ausstellungen, die besonders stark auf Szenografie setzen, deshalb nicht so sehr mit klassischen Texten, sondern am ehesten mit kommentierten Bilderzyklen oder gar mit Comics oder Graphic Novels verglichen werden – an ihrer Narrativität ändert dies jedoch nichts. Aufgrund dieser Ausführungen möchte ich die zu Beginn vorgestellte Definition des Begriffs »Ausstellung« nun erweitern und spezifizieren. Ausstellungen in Archäologischen Landesmuseen sind nicht nur Anordnungen »von historischen Texten, Bildern und Gegenständen im Raum«124 , sondern sie sind Erzählungen über die ur- und frühgeschichtliche Vergangenheit, die vorwiegend materielle Objekte zur Kommunikation nutzen, diese aber durch vielfältige Medien und Inszenierungsstrategien ergänzen, um zu gewährleisten, dass alle Besucher:innen, unabhängig von ihren individuellen Erfahrungen und Wahrnehmungen, möglichst das verstehen, was die Ausstellungsmacher:innen ihnen vermitteln wollen. Dabei beinhalten Ausstellungen Texte im Sinne von Schriftstücken, über deren Einsatz und Verhältnis zu den Exponaten und sonstigen Ausstellungsmedien diskutiert und bei der Ausstellungsplanung ebenso entschieden werden muss wie über die gesamte Inszenierungsstrategie. Es gibt daher ein breites Spektrum verschiedener Ausstellungstypen, denen jeweils andere Prinzipien zugrunde liegen und die jeweils andere Wirkungen entfalten. Wie eine Ausstellung gestaltet wird, wird in der Regel der Aussage- und Wirkungsabsicht der Ausstellungsmacher:innen angepasst. Für die Fallstudien im Rahmen dieser Arbeit wurden vier Museen ausgewählt, deren Dauerausstellungen ganz unterschiedliche Inszenierungsstrategien aufweisen. Damit soll untersucht werden, auf welche narrativen Mittel in den Museen jeweils zurückgegriffen wurde, wie diese wirken und welche Intentionen hinter ihrem Einsatz stehen könnten. Die Erzählungen, die Archäologische Landesmuseen generieren, sind in aller Regel Erzählungen zum Ursprung und zur Entwicklung der Gesellschaft, die die Gegenwart nicht nur als chronologische, sondern auch als kausale Folge der Vergangenheit darstellen und so Vergangenheit und Gegenwart verbinden. Sie liefern somit Identitätsangebote und Antworten auf Fragen der Identität wie: Wo kommen wir her, wie haben wir uns 123 Vgl. ebd., S. 505–507, Zitat S. 507. 124 Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis, 2007, S. 151.
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entwickelt und wo entwickeln wir uns noch hin? Aufgrund des von Paul Ricœur beschriebenen hermeneutischen Zirkels des Erzählens haben sie somit auch Einfluss darauf, wie Menschen ihre eigene Identität sich selbst und anderen gegenüber narrativ konstruieren und kommunizieren. Welche Erzählungen zu kulturellen Identitäten in den ausgewählten Archäologischen Landesmuseen vorliegen, wie diese gestaltet sind und warum sie so von den Kurator:innen konstruiert wurden, soll deshalb mit den Fallstudien im nun folgenden, dritten Teil der Dissertation dargelegt werden.
Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vorund Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
III.1.1 Ein Museum für Kunst und Design? Die Fallstudien möchte ich mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes beginnen, das in seiner Dauerausstellung verglichen mit den anderen Archäologischen Landesmuseen einen auffallend ästhetikorientierten und zugleich dekontextualisierenden Umgang mit Exponaten pflegt. Die Sammlungsstücke werden hier weitestgehend frei von Deutungen präsentiert, so wie Susan M. Pearce es in Museums, Objects and Collections vorgeschlagen hat, und wirken damit fast schon wie Ausstellungsstücke einer Galerie für Kunst und Design. Dennoch vermittelt die Ausstellung insgesamt ein Narrativ – sowohl durch ihre Exponate und ihre Ästhetik als auch durch ihre Medien. Sie ist ein Beispiel für die Übertragung des in Teilkapitel II.2.3 erwähnten White-Cube-Konzeptes auf die Präsentation einer ur- und frühgeschichtlichen Sammlung. Die Ausstellungsform beziehungsweise Inszenierungsstrategie des White Cubes ist klassischerweise in Museen für moderne oder zeitgenössische Kunst zu finden. Dabei werden Objekte in Räumen präsentiert, die möglichst in Weiß oder einer hellen, neutralen Farbe gehalten sind und weder Dekorationen noch vermittelnde Medien enthalten. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Exponate von den Besucher:innen wahrgenommen werden können, ohne dass vorgegebene Deutungen und Interpretationen diese Wahrnehmung formen und steuern. Die Objekte sollen gewissermaßen selbst zu ihren Betrachter:innen sprechen, die darin bestärkt werden sollen, frei zu assoziieren und zu interpretieren. Diese Dauerausstellung wurde also an die Ausstellungsformen der Kunstmuseen angepasst, mit denen gemeinsam das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes in der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz organisiert ist. Denn wie bereits erläutert, stellt das Museum innerhalb dieser Stiftung eines von fünf Museen dar, die sich Abteilungen der Verwaltung, Kommunikation, Kunstvermittlung, EDV, Technik und Restaurierung sowie eine Bibliothek teilen. Die vier anderen Häuser der Stiftung sind das Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen sowie die Moderne Galerie, die Alte Sammlung und das Museum in der Schlosskirche in Saarbrücken. Letzteres steht in direkter Nachbarschaft zum Museum für Vor- und Frühgeschichte und ist mit diesem nicht nur
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
baulich verbunden, sondern zeigt in einem Teil seiner Ausstellung auch Sammlungsbestände, die von dem Archäologischen Landesmuseum betreut werden. Zu erwähnen ist des Weiteren das Bodendenkmal einer römischen Villa in Perl-Nennig, das den größten erhaltenen römischen Mosaikboden nördlich der Alpen einschließt und als Außenstelle des Museums für Vor- und Frühgeschichte organisiert ist. Aufgrund der Fundverteilung im Saarland enthält die Sammlung des Museums – und somit auch die Ausstellung – vor allem Relikte der vorrömischen Eisenzeit und der Römischen Kaiserzeit. Während im Saarland zur Steinzeit und zur Bronzezeit vor allem einzelne Lesefunde vorliegen, sind Siedlungsspuren aus diesen Zeitphasen selten. Zur Eisenzeit, Römischen Kaiserzeit und dem frühen Mittelalter wurden dagegen zahlreiche Siedlungs- und Grabfunde im Land entdeckt.1 Beispielhaft seien hier nur das merowingerzeitliche Gräberfeld von Blieskastel-Altheim, der keltische Ringwall in Otzenhausen sowie die römischen Villen in Perl-Nennig und Perl-Borg genannt. Entsprechend sind viele Exponate der Ausstellung Gebrauchsgegenstände und Kultobjekte, wie Gefäße, Steindenkmäler, Statuetten, Schmuck, Waffen und Werkzeuge. Die beiden besonders hervorstechenden Themen der Ausstellung sind also Alltag und Glaube der Menschen im Gebiet des heutigen Saarlandes, vor allem in einem Zeitraum von ungefähr 2500 bis ungefähr 1700 Jahren vor heute. Der Sammlungsleiter Franz-Josef Schumacher weist darauf hin, dass bei der Konzeption der Ausstellung ein leitender Gedanke grundlegend war: Die Ausstellung sollte die kulturhistorische Entwicklung des Saarlandes zeigen und dafür bestimmte Leitfunde für die einzelnen Epochen in den Mittelpunkt stellen.2 Ein offizielles Leitbild haben aber weder das Museum für Vor- und Frühgeschichte noch die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz insgesamt ihrer Arbeit zugrunde gelegt. Der Stiftungsvorstand Roland Mönig empfindet dies als Defizit, sieht die Erstellung eines Leitbildes für das Museum aber durch die Situation im Ausstellungsgebäude erschwert, da dort nicht nur das Museum für Vor- und Frühgeschichte, sondern auch die Alte Sammlung untergebracht ist.3 Anders als die meisten Archäologischen Landesmuseen trägt das Saarbrücker Museum weder das Wort »Archäologie« noch den Titel »Landesmuseum« im Namen. Der vergleichsweise komplexe Name Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes wurde nach Aussage von Franz-Josef Schumacher gewählt, um die fachliche Nähe des Museums mit dem Institut für Vor- und Frühgeschichte an der Universität des Saarlandes zum Ausdruck zu bringen.4 Der Begriff der Vor- und Frühgeschichte habe außerdem den Vorteil, »dass es sich dabei um die Bezeichnung des Fachs handelt, das die kulturhistorische Entwicklung hier in Mitteleuropa von der Vorzeit bis ins Mittelalter erforscht«, während mit dem Wort Archäologie auch eine Beschäftigung mit griechischer oder römischer Antike sowie mit Ägyptologie gemeint sein könnte.5 Der Name soll also den Gegenstand des Museums beziehungsweise sein Thema wissenschaftlich genau bezeichnen und die Nähe der Institution zur akademischen Forschung demonstrieren. Durch
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Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 468f. Vgl. ebd., S. 467. Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 478f. Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 472. Vgl. ebd., S. 472, Zitat ebd.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
die Vermeidung des landläufigen Begriffs der Archäologie wird gewährleistet, dass mit dem Museum keine unzutreffenden romantischen Vorstellungen assoziiert werden und auch keine falschen Erwartungen bezüglich der Inhalte entstehen. Es ist allerdings anzunehmen, dass viele potenzielle Besucher:innen vom Begriff der Vor- und Frühgeschichte keine genaue Vorstellung haben und dass damit der gewählte Name der Attraktivität des Museums hinderlich ist. In allen Fallstudien dieser Arbeit möchte ich auch die unmittelbaren Umgebungen der jeweiligen Ausstellungen berücksichtigen, da diese den ersten Eindruck der Besucher:innen bei deren Ankunft am Museum beeinflussen, ihre Erwartungshaltungen mitbestimmen und sie auf die vor ihnen liegende Schau einstimmen können. Untergebracht ist das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes seit 1993 im sogenannten Kreisständehaus am Saarbrücker Schlossplatz. Das Gebäude wurde laut einem Ausstellungstext von 1910 bis 1911 als neobarocker Bau nach Plänen von Alfred Salinger und Eugen Schmohl errichtet und erhielt seinen Namen aufgrund seiner ursprünglichen Funktion als Gericht und Landratsamt, also als Verwaltungsbau der Kreisstände. Mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte zog 1993 zeitweilig auch das Staatliche Konservatoramt im Kreisständehaus ein,6 bevor es zwischen 2005 und 2008 als Landesdenkmalamt neu organisiert und nach Landsweiler-Reden ausgelagert wurde.7 Seit 2006 ist im Kreisständehaus stattdessen die Alte Sammlung des Saarlandmuseums ansässig. 2008 und 2009 wurde das Gebäude zuletzt saniert und die Dauerausstellung wurde in den aktuellen Zustand versetzt.8 Das Äußere des Baus entspricht immer noch der ursprünglichen Gestaltung (s. Abb. 1). Es zeichnet sich durch zwei leicht vorspringende Eckrisalite aus und zeigt eine deutliche Anlehnung an das barocke Architekturkonzept Friedrich Joachim Stengels, der den Saarbrücker Schlossplatz entworfen hat, an dem auch das Kreisständehaus gelegen ist.9 Die neobarocke Originalarchitektur verleiht dem Museum von außen eine historistisch anmutende Autorität, die von der modernen und neutralen Innenarchitektur derart ergänzt wird, dass ein Eindruck von Objektivität und Korrektheit entsteht. Das Gebäude kombiniert also Tradition und Moderne sowie Kunst und Wissenschaft und vermittelt damit insgesamt den Eindruck einer gehobenen Kulturinstitution. Dazu trägt auch seine Umgebung bei, denn es liegt, wie bereits erwähnt, an der Nordostseite des historischen Schlossplatzes in Altsaarbrücken und wird vom 1748 vollendeten Barockschloss, dem Historischen Museum Saar, dem Erbprinzenpalais sowie einem ehemaligen Rathaus umschlossen.10 Da die Fassaden von Schloss, Erbprinzenpalais und Rathaus weitestgehend in dem auf Stengel zurückgehenden Stil erhalten sind, bildet die gesamte Umgebung einen einheitlichen, historisch anmutenden Rahmen für das 6 7 8 9 10
Vgl. Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Texttafel Das Kreisständehaus – Kurzchronik im Treppenhaus auf dem Absatz zum ersten Obergeschoss. Vgl. Staatskanzlei des Saarlandes, Saarland. Themenportale. Denkmalpflege. Organisation. Wir über uns, online. Vgl. Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Texttafel Das Kreisständehaus – Kurzchronik im Treppenhaus auf dem Absatz zum ersten Obergeschoss. Vgl. Josef Baulig, Hans Mildenberger und Gabriele Scherer, Architekturführer Saarbrücken, 1998, S. 51–53. Zum Bau des Schlosses vgl. Stadtverband Saarbrücken, Das Saarbrücker Schloss, 2007, S. 2–4.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Museum für Vor- und Frühgeschichte, dessen Bau optisch in die Gesamtkonzeption des Platzes integriert ist.
Abb. 1: Außenansicht des sogenannten Kreisständehauses, in dem das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes ansässig ist.11
Das Kreisständehaus verfügt über insgesamt fünf Etagen. Während sich im Untergeschoss ein Atelier für Veranstaltungen der Museumspädagogik sowie Schließfächer und im Dachgeschoss Verwaltungsräume befinden, bieten die dazwischenliegenden drei Etagen Platz für Ausstellungen. Die Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte ist im Erdgeschoss aufgestellt, im ersten Obergeschoss liegen Säle für Sonderausstellungen und im zweiten Obergeschoss ist die Dauerausstellung der Alten Sammlung zu sehen. Die Dauerausstellung lässt sich grob in einen Bereich zur Stein- und Bronzezeit, einen zur frühen Eisenzeit, einen zur provinzialrömischen Eisenzeit und einen zu Mittelalter und Neuzeit unterscheiden, wobei letzterer sich in der benachbarten Schlosskirche befindet. Ein weiterer Bereich zum frühen Mittelalter, insbesondere zu merowingischer und fränkischer Zeit, war bis vor einigen Jahren noch im Untergeschoss des Kreisständehauses eingerichtet. Der Raum wird inzwischen aber nur noch als Atelier für museumspädagogische Programme genutzt. Die genannten Ausstellungsbereiche verteilen sich auf den Mittelbau und die Eckrisalite des Hauses (s. Abb. 2). Betreten Besucher:innen das Gebäude durch den Haupteingang, öffnet sich dahinter ein Gang, an dessen südöstlicher 11
Sofern nicht anders angegeben, stammen die Fotografien in dieser Arbeit von der Verfasserin.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
Seite der Raum mit Museumsshop, Kasse und Information liegt. Ihm gegenüber befindet sich der erste Ausstellungsraum, im Folgenden als Raum 1 bezeichnet, in dem Exponate zur Stein- und Bronzezeit zu sehen sind. Es lassen sich hier vier Vitrinengruppen voneinander abgrenzen, die jeweils dem Paläolithikum, dem Mesolithikum, dem Neolithikum und der Bronzezeit gewidmet sind. Im südöstlichen Querbereich des Gangs beginnt der Ausstellungsbereich zur frühen Eisenzeit und führt in den großen Raum im südöstlichen Eckrisalit, der der Hallstatt- und vor allem der Latènezeit als Abschnitte innerhalb der Eisenzeit gewidmet ist und im Folgenden als Raum 2 bezeichnet wird. Von diesem Raum 2 aus lässt sich auch der Verbindungsbau zur Schlosskirche betreten. Der nordwestliche Querbereich des Flurs dagegen zeigt Exponate der provinzialrömischen Eisenzeit und führt zu dem nordwestlichen Eckrisalit, der in drei hintereinanderliegende Räume unterteilt ist. Die Räume sollen im Folgenden von Südwest nach Nordost als die Räume 3, 4 und 5 bezeichnet werden. Sie sind der provinzialrömischen Eisenzeit beziehungsweise der römischen Kaiserzeit gewidmet. Innerhalb der Räume sind die Exponate nicht nur chronologisch, sondern auch thematisch gruppiert, wie später noch ausgeführt wird. Ein wesentliches Vermittlungselement sind die sogenannten AV-Stationen. Dabei handelt es sich um fest installierte Computer mit Touchscreens, auf denen Texte und Bildmaterial zu den Themen der Ausstellung hinterlegt sind, sodass Besucher:innen sich selbstständig je nach Interesse über die Exponate und deren Kontext informieren können.
Abb. 2: Plan des Erdgeschosses des Kreisständehauses. Eingezeichnet sind in Dunkelblau einige fest installierte Vitrinenwände, in Rot die AV-Stationen sowie in Hellblau, Rot und Gelb die Vitrinen im Grabhügel-Einbau. Die Nummern, die den Räumen zur besseren Orientierung verliehen wurden, sind dem Plan in Grün hinzugefügt. (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)
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Auffällig ist, dass im Erdgeschoss des Kreisständehauses gleich fünf verschiedene Bodenniveaus vorliegen, die an verschiedenen Stellen durch jeweils ein bis vier Stufen ausgeglichen werden. Dies ist zwar der historischen Bausubstanz geschuldet, erschwert eine rollstuhlgerechte Gestaltung der Ausstellung aber enorm. Durch die Ausstellungsarchitektur werden zwei Bereiche besonders hervorgehoben: In der Mitte von Raum 2 steht ein längsrechteckiger Einbau mit halbrund gewölbter hinterer Wand und ebenso gewölbter Decke. Dieser Einbau enthält das Inventar des sogenannten Fürstinnengrabs von Reinheim und ist zentraler Punkt der Ausstellung. Seine Form kann als stilisierter Grabhügel gedeutet werden, weshalb er im Folgenden auch als Grabhügel bezeichnet werden soll. Der zweite durch die Ausstellungsarchitektur betonte Bereich ist der hier als Raum 4 bezeichnete Bereich, in dem Wandmalereien aus der römischen Villa in Mechern sowie eine Projektion des Mosaikbodens der Villa Nennig gezeigt werden. Dieser Raum wurde vom Rest des nordwestlichen Eckrisalits abgetrennt, indem dort zusätzliche Wände eingezogen wurden. Auf die Besonderheiten dieser beiden Einbauten werde ich später noch näher eingehen. Die Bewegungen der Besucher:innen werden in dieser Ausstellung nur durch die Architektur und die Vitrinen gelenkt, es gibt keinen markierten oder architektonisch vorgegebenen Rundweg. Dabei ist zu bedenken, dass der Grundriss des Gebäudes die Umsetzung eines solchen strengen Rundwegs auch stark erschweren würde. Dass eine bestimmte Reihenfolge beim Besuch der einzelnen Ausstellungsbereiche aber zumindest intendiert ist und empfohlen wird, lässt sich aus folgender Stellungnahme Franz-Josef Schumachers ersehen: Wenn man vom Eingang kommt, geht es über Steinzeit, Bronzezeit, dann folgt die Eisenzeit. Die schließt dann mit dem Götterrondell, wo keltische und römische Gottheiten sozusagen zusammenstehen […] und von dort muss man dann hinübergehen zur Römerzeit.12 Da jedoch kein Weg vorgegeben wird und diese von Schumacher empfohlene chronologische Reihenfolge sich Besucher:innen nicht unbedingt von selbst erschließt, können die Bewegungsmuster in der Ausstellung individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Besucher:innen können Bereiche mehrfach passieren oder auch auslassen. Vor allem, wenn sie in die Schlosskirche wechseln oder das Museum durch den Haupteingang verlassen, lässt es sich nicht vermeiden, dass sie einige Bereiche der Ausstellung mehrfach sehen. Dies hat jedoch auch den Vorteil, dass Besucher:innen das, was sie zu Beginn ihres Besuchs gesehen haben, am Ende mit ihren Kenntnissen über die gesamte Ausstellung abgleichen und neu bewerten können. Ich möchte nun zunächst eine Beschreibung der Dauerausstellung vornehmen, bevor ich ihre Inszenierung vor allem mit Blick auf die Beleuchtung, die Ausstellungsarchitektur und den Medieneinsatz analysiere und interpretiere, um das dadurch vermittelte Narrativ herauszuarbeiten. Natürlich können Besucher:innen ihren individuellen Weg durch die Ausstellung unterschiedlich gestalten, also die angebotenen Inhalte in einer anderen Reihenfolge wahrnehmen oder zum Teil sogar auslassen, und somit unterschiedliche narrative Erfahrungen mit ein- und derselben Ausstellung machen. Die fol12
Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 469.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
gende Beschreibung, Analyse und Interpretation der Ausstellung in Saarbrücken, ebenso wie die der Ausstellungen in Trier, Halle und Hamburg in den weiteren Kapiteln, kann also nicht die Erfahrungen aller Menschen abbilden, die diese Museen besuchen. Wie in Teilkapitel II.4.3 bereits erläutert, erlebt jede:r Besucher:in eine Ausstellung anders, nicht nur aufgrund individuell unterschiedlichen Verhaltens im Museum, sondern auch aufgrund der individuellen Vorkenntnisse und Erfahrungshorizonte. Im Rahmen dieser Arbeit soll jedoch untersucht werden, wie Archäologische Landesmuseen mit kulturellem Gedächtnis und Erbe Identitätsnarrative konstruieren, welche Botschaften sie also durch ihre Dauerausstellungen mit welchen Motivationen kommunizieren wollen oder unbewusst kommunizieren. Deshalb folgt die Beschreibung der Ausstellungen hier dem von den Kurator:innen intendierten Weg durch die Räumlichkeiten.
Abb. 3: Eingangssituation im Kreisständehaus (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)
Betritt man das Museum durch den Haupteingang vom Schlossplatz aus, öffnet sich hinter den doppelten Flügeltüren ein Gang, der auf eine große Treppe aus hellen Steinstufen mit einem verschnörkelt-floralen Eisengeländer und Messinghandlauf hinleitet, die zum ersten Obergeschoss führt (s. Abb. 3). Vor der Treppe biegt der Gang nach rechts und links zu den Ausstellungsräumen 2 und 3 bis 5 hin ab. Links hinter den Eingangstüren liegt ein kleiner separater Ausstellungsraum (Raum 1), während sich rechter Hand ein kleiner Raum mit Kasse, Shop und Information befindet. Letzterer ist sehr reduziert gestaltet und vornehmlich in Weiß gehalten. Bei den Verkaufsartikeln handelt es sich überwiegend um Publikationen der im Kreisständehaus ansässigen Museen und der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz sowie um Postkarten, Schmuck, Statuettenrepliken, Geschirr und Poster. Bereits diese Produkte vermitteln den Eindruck, dass es in
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diesem Haus um Themen geht, die klassischerweise der Hochkultur zugeordnet werden, und ein gebildetes, erwachsenes Publikum angesprochen werden soll. Spielzeug, Stofftiere oder sonstige Artikel für Kinder, die man sonst in den meisten Souvenirshops archäologischer Museen findet, fehlen hier. Raum 1 ist der kleinste der Ausstellungsräume, aber er deckt im Vergleich zu den restlichen Räumen die mit Abstand größte Zeitspanne ab. Hier werden nämlich in einigen Wandvitrinen, einer Stelenvitrine und einer Blockvitrine Objekte gezeigt, die zwischen 125 000 und 3000 Jahren alt sind, also aus dem Paläolithikum, dem Mesolithikum, dem Neolithikum und der Bronzezeit stammen. Narratologisch gesprochen ist die erzählte Zeit hier also vergleichsweise groß. Aber die Erzählzeit, also der Raum, der dieser großen Zeitspanne gegeben wird, und die Zeit, die Besucher:innen benötigen, um in diesem Raum alle verfügbaren Informationen – in Form der Exponate, der Objektschilder und der digital über die dortige AV-Station zugänglichen Texte und Bilder – aufzunehmen, ist hier vergleichsweise gering. Die Ausstellung startet also mit einem recht hohen Erzähltempo. Die Exponate in diesem Raum sind vor allem Steingeräte wie Faustkeile, Klingen, Pfeilspitzen, Äxte und Beile, die im Gegensatz zu Gebrauchsobjekten aus organischem Material auch über derart lange Zeiträume erhalten bleiben können. Auch erste Keramikgefäße aus dem Neolithikum und der Bronzezeit sind hier ausgestellt. In den Vitrinen zur Bronzezeit befinden sich erwartungsgemäß auch Bronzeobjekte wie Beile, Nadeln, ein Schwert, ein Dolch und mehrere Messer. Eine in der Mitte des Raumes stehende Säulenvitrine enthält zwei Grabinventare der Urnenfelderzeit, einer späten Phase der Bronzezeit. Verlässt man diesen ersten Ausstellungsraum, fällt der Blick automatisch auf den nach rechts abbiegenden Teil des Gangs und die dortige Vitrinenwand, die Objekte der frühen Eisenzeit enthält: vor allem Keramikgefäße, Arm- und Fußringe sowie vier Griffzungenschwerter. Die Objektschilder weisen die Exponate als aus einem Zeitraum zwischen dem 8. und dem 6. Jahrhundert v. Chr. stammend aus. Das Erzähltempo verlangsamt sich hier also schlagartig, einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne wird nun vergleichsweise viel Raum gegeben. In den folgenden Ausstellungsräumen 2 bis 5 verlangsamt sich das Erzähltempo noch weiter, denn diese enthalten Objekte, die zwischen dem 5. Jahrhundert v. Chr. und dem 2. Jahrhundert n. Chr. hergestellt und genutzt wurden. Eine Zeitspanne von rund 700 Jahren wird also in vier Räumen ausgestellt, während für alle älteren Exponate nur der erste und kleinste Raum der Ausstellung bleibt. Für dieses Ungleichgewicht im durch diese Ausstellung präsentierten kulturellen Gedächtnis des Saarlandes gibt es mehrere Gründe, die der Sammlungsleiter Franz-Josef Schumacher im Interview erläuterte: Zunächst enthalten die Sammlung des Museums sowie die Staatliche Altertümersammlung des Saarlandes vor allem Funde aus der Eisenzeit, weil sich im Fundgebiet einfach mehr Spuren dieser Zeit erhalten haben als aus älteren Epochen. Das hängt allerdings auch mit der Fundgattung zusammen: »Für die Steinzeit haben wir fast ausschließlich Lesefunde, also Einzelfunde, während wir aus anderen Zeiten Grabfunde und Siedlungsfunde haben.«13 Letztlich wurde aber auch aus praktischen Erwägungen entschieden, der Stein- und Bronzezeit innerhalb der Ausstellung nicht mehr Raum zu geben: 13
Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 469.
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Bei der Konzeption wurde es eben so aufgeteilt, wie der Raum vorhanden ist. Wenn man noch einen größeren Raum hätte, könnte man Stein- und Bronzezeit auch mehr Platz geben. Aber es ist natürlich klar, wenn ich jetzt alleine einmal die Kelten nehme – da haben wir so viele reiche Funde, nicht nur das Fürstinnengrab von Reinheim, sondern auch neuere Funde wie die Adelsnekropole von Oberlöstern –, das kann natürlich nur in einem entsprechenden Raum ausgestellt werden.14 Die Bedeutung des kulturellen Erbes der Eisenzeit, der eisenzeitlichen Sammlungsstücke – in wissenschaftlicher und in ästhetischer Hinsicht – wurde also höher eingestuft als die der stein- und bronzezeitlichen Sammlungsstücke. Deshalb erhielt dieser Zeitabschnitt gewissermaßen mehr Gewicht und stellt den Schwerpunkt der Ausstellung dar. Von diesem Bereich des Gangs aus können Besucher:innen eine Stufe zu Raum 2 im südöstlichen Eckrisalit hinaufsteigen, in dem vor allem Objekte der Latènezeit präsentiert werden. Als Erstes stößt man hier auf eine dem Eingang gegenüberliegende Blockvitrine, in der die Grabbeigaben zweier Kindergräber ausgestellt werden. Ins Auge springt aber vor allem der in der Mitte von Raum 2 stehende Grabhügel-Einbau, in dem die Funde aus dem Grabhügel der sogenannten Fürstin von Reinheim zu sehen sind (s. Abb. 4). Die Wände des Einbaus sind zwar außen weiß, innen jedoch schwarz gestrichen. Erst wenn der Raum betreten wird, löst ein Bewegungsmelder eine gedämpfte Beleuchtung aus. Der Grabhügel liegt also meist im Dunkeln und fällt Besucher:innen somit im Kontrast zu der ansonsten hellen Ausstellung ins Auge. Seine schwarzen Innenwände stechen hervor, da sie der dunkelste Punkt in der ganzen Ausstellung sind. Man wird darauf aufmerksam, gerade weil dort ausnahmsweise nicht alles klar und gut sichtbar ist, sondern es etwas zu entdecken gibt. Neben der architektonischen Form und Position des Grabhügels weckt auch dieser gezielte Verzicht auf helle Beleuchtung die Neugier der Besucher:innen. Rund um den Grabhügel sind entlang der Wände des Raumes mehrere Wandvitrinen installiert. Außerdem sind an den Außenwänden des Grabhügels insgesamt sieben kleinere Vitrinen aufgehängt. Des Weiteren befindet sich schräg vor dem Grabhügel eine Säulenvitrine und im hinteren Bereich des Raumes, hinter dem Grabhügel, stehen drei weitere Schrank- und Blockvitrinen. Die Exponate sind überwiegend Grabinventarfunde und daher vor allem Keramikgefäße, Fibeln, Arm- und Halsringe, Waffen wie Lanzenspitzen und Schwerter sowie Messer und weitere Kleinfunde aus Eisen und Bronze. Auch Spinnwirtel, Eisenbarren, ein Eisenhelm und verschiedene Münzen werden hier präsentiert. Die stark korrodierten Teile einer Stabgliederkette werden neben der Rekonstruktion ebendieser Kette gezeigt.
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Ebd., S. 469.
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Abb. 4: Blick in Raum 2 von Norden aus; in der Mitte der Grabhügel-Einbau (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)
Dies ist das einzige vollständig rekonstruierte Objekt in der Ausstellung, in der ansonsten fast ausschließlich Originale exponiert sind. Die wenigen Kopien und auch Leihgaben werden als solche stets ausgewiesen. Die Entscheidung, in dieser Ausstellung weitestgehend Originale zu zeigen, stellte eine Abkehr von der vorangegangenen Dauerausstellung des Museums in den 1990er Jahren dar. Zuvor wurden noch Kopien eingesetzt, um wichtige Objekte zu zeigen, die im Original zu anderen Sammlungen gehörten. In der aktuellen Dauerausstellung sollten aber die Sammlungsstücke des Museums im Mittelpunkt stehen. Franz-Josef Schumacher erläuterte, dass dies aufgrund einer kunsthistorischen Betrachtungsweise beschlossen wurde: »Das Kulturhistorische hat man von der Vitrine und von dem Platz um die Vitrine herum verbannt und in sogenannte AV-Stationen ausgelagert.«15 Dieser Ausstellung liegt also das strenge Prinzip zugrunde, nur authentische Zeugnisse der Vergangenheit zu zeigen. Werden Kopien eingesetzt, wird darauf hingewiesen, sodass Besucher:innen in kritische Distanz zu den Objekten treten können. Konservierungsmaßnahmen und Ergänzungen an Artefakten werden jedoch nicht als solche kenntlich gemacht. Vielmehr werden sie möglichst kaschiert und an die Optik der Originalfragmente angeglichen. Folglich können Betrachter:innen Originalteile von ergänzten Stücken häufig nicht unterscheiden und es kann der Eindruck entstehen, dass die Fundstücke in dem Zustand entdeckt wurden, in dem sie nun in den Vitrinen stehen. Dadurch werden die Gebrauchsfunktionen und die Ästhetik der Objekte betont, während ihr Fundkontext gewissermaßen ausgeblendet bleibt. 15
Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 468, Zitat ebd.
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Vor dem Grabhügel ist eine AV-Station installiert, die Informationstexte und Bilder zur vorrömischen Eisenzeit im Gebiet des heutigen Saarlandes bietet, insbesondere zu den allgemein als keltisch angesprochenen Gemeinschaften während der Hallstatt- und Latènezeit. Gegenüber dem Eingang zum Grabhügel führen zwei Stufen zum nordöstlichen Bereich des Raumes 2 hinauf. Auf dieser erhöhten Ebene ist an der nordöstlichen Wand eine Vitrinenwand mit sieben kleinen würfelförmigen Schaukästen installiert. In diesen stehen verschiedene Objekte religiöser Praktiken, beispielsweise Opferschalen aus Keramik, ein Medaillon und mehrere Pilgerabzeichen. Gegenüber dieser Vitrinenwand sind elf Steindenkmäler in einem Halbkreis dicht nebeneinander auf Stelen und Sockeln aufgestellt. Sie stellen römische und keltische Götter dar und datieren alle ins 2. Jahrhundert n. Chr. Um der Ausstellung weiter chronologisch zu folgen, müssen Besucher:innen nun den Weg zurück durch den Gang im Mittelteil des Gebäudes nehmen. Im nordwestlichen Teil des Gangs, der an Raum 1 vorbei zu den Räumen 3 bis 5 führt, sind Schaustücke der Keramiksammlung der Villeroy & Boch AG ausgestellt, die das Unternehmen dem Museum als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt hat. Ich werde auf die Verbindung dieses Unternehmens mit der saarländischen Archäologie später noch eingehen. Außerdem sind hier in die zu Raum 1 hin gelegene Wand sechs Sitzsteine eines römischen Kulttheaters mit Inschriften aus dem 2. Jahrhundert eingelassen. Davor steht eine bauchige Amphore auf dem Boden. Der Gang führt auf einen Treppenabsatz hin, von dem aus über ein paar Stufen linker Hand Raum 3 und rechter Hand Raum 5 erreicht werden kann. Dazwischen sind in die Wand zu Raum 4 hin eine Glasscheibe und vier kleine Vitrinen eingelassen. In diesen sind ein Medaillon, Büsten, Tierfiguren und eine Statuette, jeweils aus Terrakotta, ausgestellt. Bewegen sich Besucher:innen von hier aus dem Uhrzeigersinn folgend links herum die Stufen hinunter, gelangen sie in Raum 3, den Raum zum Alltag in der römischen Provinz. Vor die südöstliche Wand von Raum 3 ist eine Vitrinenwand gebaut, in die je sechs würfelförmige Schaukästen in zwei horizontalen Reihen eingelassen sind. Die Objekte darin sind Alltagsgegenstände aus dem 1. bis 3. Jahrhundert. Unter anderem sind hier Fibeln, Klappmesser, Schlüssel, Münzen, Nadeln und Glocken ausgestellt. Des Weiteren sind in diesem Raum, in Stelenvitrinen sowie auf Sockeln, Statuenfragmente, eine Parademaske, eine Säule, ein Kapitell und das Handfragment einer Großbronze ausgestellt. Dazwischen steht eine weitere AV-Station, auf der Informationen zur römischen Besiedlung im Gebiet des heutigen Saarlandes abrufbar sind. In der nordöstlichen Wand, die Raum 3 von Raum 4 teilt, sind in zwei horizontalen Reihen jeweils fünf würfelförmige Schaukästen installiert (s. Abb. 5). Sie enthalten vor allem bronzene Götterstatuetten, unter anderem aber auch Öllampen und Fingerringe. Rechts neben diesen Vitrinen befindet sich in der Wand ein Durchbruch zu Raum 4.
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Abb. 5: Blick in Raum 3 von Süden aus (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)
Wie zuvor bereits erwähnt wurde, ist Raum 4 genau genommen kein eigener Raum, sondern ein Einbau, der einen Bereich der Ausstellung vom Rest der Ausstellungsfläche im nordwestlichen Eckrisalit trennt. Hier wird ein Bild des Mosaikfußbodens aus der römischen Villa Perl-Nennig auf den Boden projiziert (s. Abb. 6) – das Original befindet sich bis heute an seinem ursprünglichen Platz in den Überresten dieser Villa und kann dort besichtigt werden. Vor der Projektion steht eine AV-Station, über die Besucher:innen nicht nur Informationen zum Mosaik erhalten können, sondern auch einzelne Partien der Projektion vergrößern und so besser im Detail betrachten können. In die Wände des Raumes sind auf allen Seiten insgesamt zehn Teile der Wandmalereien aus der römischen Villa in Mechern eingelassen. Sie datieren in das 3. Jahrhundert und zeigen Motive der Jagd, Gladiatorenkämpfe und Speisen. Die Teile sind von unterschiedlicher Größe und zum Teil stark fragmentarisch. Ein umlaufender Sockel am Boden soll den Abstand der Besucher:innen zu den offen installierten Wandbildern gewährleisten. Im Gesamteindruck kann mit den Wandteilen und dem Bild des Mosaikfußbodens ein Raum in einer römischen Villa assoziiert werden. Auf der nordöstlichen Seite des Raumes liegt dem Durchbruch zu Raum 3 gegenüber ein Durchbruch zu Raum 5. Direkt dahinter steht eine Säulenvitrine, in der mehrere Bilderschüsseln sowie getrocknete Tonklumpen, Fehlbrände und Standringe der Terra-Sigillata-Produktion16 präsentiert werden. Weitere Terra-Sigillata-Gefäße sind in drei Vi-
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Terra Sigillata ist die moderne Bezeichnung einer rotglänzenden Feinkeramik, die im Römischen Reich weit verbreitet war und als Tischgeschirr verwendet wurde (vgl. hierzu Günther M. Moosbauer, Terra Sigillata, 2005, S. 345–351).
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trinen ausgestellt, die in die Wand zu Raum 4 neben dem Durchbruch eingelassen sind. Ihnen gegenüber, an der nordöstlichen Wand zur Schlosskirche hin, steht eine große Vitrine, in der Glasgefäße aus dem 2. Jahrhundert gezeigt werden. Daneben sind zwei Konsolen an der Wand angebracht, auf denen Fragmente von Steindenkmälern liegen. In der östlichen Ecke des Raumes stehen auf Sockeln zwei Fragmente von Schuppensäulen. Ihnen gegenüber liegen die Treppenstufen, die zurück zum Mittelbau führen.
Abb. 6: Blick in Raum 4 von Südosten aus. Der Raum wurde für die Aufnahme heller beleuchtet als im normalen Betrieb. (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)
Um auch noch den in der Schlosskirche befindlichen letzten Abschnitt der Ausstellung zu sehen, müssen Besucher:innen nun durch den Mittelbau zurück in Raum 2 gehen. Eine Glastür in der nordöstlichen Wand dieses Raumes, zwischen der Vitrinenwand und dem Halbkreis aus Steindenkmälern, führt in den Verbindungsbau zwischen Kreisständehaus und Schlosskirche. Dieser Bau, dessen Wände aus einer Stahl-GlasKonstruktion bestehen, beherbergt einen Fahrstuhl sowie Treppen, die zur tiefer gelegenen Schlosskirche hinabführen. Von dort aus kommend betreten Besucher:innen das Bauwerk von Südosten her durch eine Tür neben dem Altarraum, die direkt in das südliche Seitenschiff dieser ehemals zum Schloss der Saarbrücker Fürsten gehörenden Kirche führt. Dort sind sieben Vitrinen sowie vier Steindenkmäler installiert, die Teil der Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte sind und daher von diesem
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betreut werden.17 Manche Exponate dort stammen allerdings auch aus anderen Sammlungen und datieren in das 10. bis 17. Jahrhundert, also ins Mittelalter und in die Frühe Neuzeit. Sie sind nicht chronologisch, sondern nach Fundorten und Thematik sortiert. Die Vitrinen und Steindenkmäler sind in zwei Reihen angeordnet, sodass dazwischen ein Gang frei bleibt. Die Exponate umfassen vor allem Keramik, Münzen, Alltagsobjekte wie Löffel, Knöpfe, Ösenhaken, Fingerhüte und diverse Beschläge sowie Objekte der christlichen Glaubenspraxis, zum Beispiel Kruzifixe, Kerzenleuchter, Fragmente von Christusfiguren, Pilgerabzeichen und einen Reliquienring. In einer Bodenvitrine sind Bodenfliesen aus dem 13. bis 15. Jahrhundert zu sehen. Daneben hängt an der Wand eine Texttafel, die in Deutsch, Englisch und Französisch über Kirche und Alltag in der Frühen Neuzeit informiert. Sie ist – von Objekttafeln abgesehen – die einzige Texttafel in der Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Dahinter sind links und rechts des Gangs fünf Steindenkmäler beziehungsweise Architekturelemente aufgestellt, beispielsweise ein Statuenkopf sowie ein Kapitell aus Sandstein. Damit ist das Ende der Ausstellung erreicht. Besucher:innen können nun das Museum durch das Hauptportal der Schlosskirche verlassen oder über den Verbindungsbau in das Kreisständehaus zurückkehren und durch den Haupteingang wieder auf den Schlossplatz hinaustreten. Nach dieser ausführlichen Beschreibung der Ausstellung sollen nun die Inszenierungsmittel, beginnend mit der Beleuchtung, näher betrachtet werden. Da die Fenster mit grauen Rollos verhangen sind, fällt kaum natürliches Licht in die Ausstellungsräume. Die Beleuchtung erfolgt je nach Bedarf über fest eingebaute Leuchten und bewegliche Strahler sowie eine spezielle Vitrinenbeleuchtung. Während die Leuchten in die Decken eingelassen sind, sind die Strahler auf Schienen montiert und können auf diesen verschoben und so optimal ausgerichtet werden. Sie sind meist auf Vitrinen und Raumbereiche gerichtet, die über keine weiteren Lichtquellen verfügen. So wird eine flächendeckende gleichmäßige Ausleuchtung der Räume insgesamt und der Vitrinen im Einzelnen ermöglicht, die den Exponaten den Charakter von Kunstwerken, Designerstücken und Objekten wissenschaftlicher Forschung verleiht, da sie jedes Detail sichtbar macht. Die Beleuchtung trägt auch dazu bei, dass die gesamte Ausstellung hell, leicht und klar wirkt. Das Licht ist allerdings nicht reinweiß, sondern hat eine leicht gelblich- goldene Tönung. Die Atmosphäre wirkt dadurch sakral und auratisch, aber in Kombination mit den überwiegend weißen Flächen und dem Hall in den Ausstellungsräumen zugleich auch klinisch. Wie schon erläutert, ist diese Ausstellung ihrem Charakter nach eher eine kunst- denn eine kulturhistorische. Nur im Grabhügel und in Raum 4 ist die Beleuchtung deutlich gedämpft. Der Grabhügel wird von kleinen verstellbaren Leuchten in der Decke sowie von indirekter Beleuchtung entlang der Wände erhellt. Aufgrund der schwarzen Farbe der Wand und des davor schimmernden Goldschmucks der Bestatteten wirkt der
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Das Museum in der Schlosskirche zeigt außer den zur Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte gehörenden Exponaten auf der Empore der Kirche noch religiöse Skulpturen und in der ehemaligen Sakristei liturgische Geräte wie Kelche, Weihrauchfässer und Leuchter. Außerdem können die Grabdenkmäler der Saarbrücker Fürsten und die von Georg Meistermann entworfenen Fenster besichtigt werden.
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Raum besonders mystisch. In Raum 4 erfolgt die Beleuchtung über unbewegliche Leuchten in der Decke, ist aber weniger hell als im Rest der Ausstellung. Das gedämpfte Licht dient hier einerseits dazu, die Projektion des Mosaikfußbodens gut sichtbar zu machen und die empfindlichen Wandmalereien zu schonen. Andererseits verstärkt das dämmrige Licht in Raum 4 zusammen mit den Rissen und Beschädigungen der verblassten Wandmalereien aber auch den Eindruck, in einer alten, verlassenen Ruine zu stehen, ohne dass dafür ein solcher Raum detailliert nachgebildet werden müsste – wie beispielsweise im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle geschehen. In dieser Ausstellung werden viele verschiedene Vitrinenformen sowie Sockel und Konsolen eingesetzt, wobei die Blockvitrinen und die Schrankvitrinen wuchtig, die Säulenvitrinen dagegen filigran und schlank wirken. Die fest installierten Wandvitrinen erinnern mit den unterschiedlichen Formen und Größen ihrer Fenster an eine stilisierte Form des Kuriositätenkabinetts beziehungsweise der Wunderkammer. Die Vitrinenwände, Sockel und Konsolen sind innen wie außen stets weiß oder grau gestrichen. Wenn in ihnen mehrere Böden auf unterschiedlichen Niveaus installiert sind, sind diese meist aus Glas beziehungsweise Acrylglas. Auch Sockel und Träger, auf denen Exponate platziert sind, sind stets aus milchigem oder transparentem Acrylglas und es werden möglichst dezente Aufhängungssysteme wie transparente Kunststofffäden und dünne Drähte genutzt, um Exponate in den Vitrinen scheinbar schweben zu lassen. In den Vitrinen, die nicht von allen Seiten verglast sind, ist entweder in den Seitenwänden oder Deckeln indirekte Beleuchtung in Form von LED-Leuchten hinter opakem Glas installiert, oder es sitzen zwei kleine verstellbare Strahler in den Deckeln. Auf rundum verglaste Vitrinen werden an der Raumdecke installierte Leuchten und Strahler gerichtet. Die an den Vitrinen und Sockeln angebrachten Objektschilder, die ich in Anlehnung an Susan M. Pearce ebenfalls als Objekte und bedeutungstragende Teile der Ausstellungen betrachte, bestehen aus milchig weiß hinterlegtem Acrylglas und sind mit schwarzer Schrift bedruckt. Alle Schilder enthalten in dieser Reihenfolge: die Objektbezeichnung, den Fundort, die Datierung, das Material und gegebenenfalls den Leihgeber. Sie liegen oder stehen in den Vitrinen oder hängen am Sockel. In einigen Fällen freistehender Steindenkmäler hängen die Schilder an einer Wand in der Nähe der Exponate. Sie sind dann nicht weiß, sondern grau hinterlegt. Die Objektschilder passen sich gut in die Gesamtgestaltung der Ausstellung ein und unterstützen mit ihrer klaren und dezenten Gestaltung die ästhetikorientierte Inszenierung. Die Gestaltung der ganzen Ausstellung ist sehr reduziert und geradlinig, modern, hell und neutral. Da es keine Klanginstallationen gibt und in der Regel auch durch Mitarbeiter:innen und andere Besucher:innen kaum Geräusche verursacht werden, ist es hier sehr ruhig. Obwohl die Räume weder besonders groß noch sonderlich leer sind, hallen Geräusche aufgrund der verwendeten Materialien allerdings nach, wodurch ein Eindruck von Leere und Weite entsteht. Es gibt fast ausschließlich helle Flächen, die aber nicht grell beleuchtet sind, und es gibt kaum erklärenden Text oder sonstige optische Medien, keine Dekorationen, keine Malereien oder Ähnliches. Die Wände und Decken sind ausschließlich weiß gestrichen, daneben sind nur die Farben Grau und Beige eingesetzt. Die Farbpalette ist also sehr gedeckt, kühl, ruhig und neutral. Das helle Grau in und an einigen Vitrinen und Sockeln fällt in seiner Regelmäßigkeit und Unaufdringlichkeit
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kaum auf. Es werden also keine kräftigen Farben eingesetzt – etwa um verschiedene Ausstellungsbereiche optisch voneinander zu unterscheiden oder Objekte zu betonen. Der Boden besteht im Mittelbau des Kreisständehauses aus graubeigen Steinplatten. In den Eckrisaliten ist dagegen ein glatter sandfarbener Industrie-Estrich aufgetragen, der in Raum 4 heller ist als in den Räumen 3 und 5, wodurch der Raum dezent abgegrenzt wird. Die interaktive Darstellung des Mosaikbodens wird hier auf ein Bodenfeld aus weißem Kunststoffbelag projiziert. Bei den Materialien dominieren ansonsten Stein, Edelstahl, lackiertes Holz beziehungsweise Pressholz, Glas und milchigweißes Acrylglas, wobei in allen Räumen dieselben Materialien eingesetzt werden. Sie bieten, ebenso wie die Farben, neutrale Hintergrundflächen und lassen somit die Materialität der Objekte im Kontrast deutlich hervortreten. Insgesamt wirkt die Ausstellungsarchitektur unaufdringlich und leicht, obwohl vor allem die Blockvitrinen sehr massiv sind. Da die Vitrinensockel aber mit Schattenfugen versehen sind, sodass die Standfüße nicht sichtbar sind, scheinen sie zu schweben. Die Formen der Ausstellungsarchitektur sind, anders als beispielsweise in der Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg, überwiegend rechteckig, alles ist sehr geradlinig und gleichmäßig proportioniert. Die Vitrinen und Objektschilder haben meist dieselbe Höhe und dieselben Maße. Das ganze Ensemble wirkt wie aus einem Guss. Geschwungene oder gar runde Formen gibt es kaum, bis auf den Halbkreis aus Steindenkmälern in Raum 2. Die ansonsten rechtwinkligen Formen fassen die Exponate ein, ähnlich wie Bilderrahmen Stillleben einfassen, und stehen deren mehrheitlich runden, gewölbten und geschwungenen Formen konträr gegenüber. Die Objekte haben also eher organische Formen, mit denen Leben, Natur und Alltag assoziiert werden können. Dieser Eindruck wird auch dadurch verstärkt, dass die Objekte überwiegend eine erdige oder grünliche Färbung haben und somit natürlich wirken, während die kantige und überwiegend weiße Ausstellungsarchitektur eher an Labore oder Galerien denken lässt und damit an Wissenschaft und Technik oder an moderne Kunst erinnert. Zweck dieser Inszenierung ist es, die Ästhetik der Objekte wirken zu lassen, indem ihre Umgebung sehr nüchtern und zurückgenommen gestaltet ist. Die Inszenierung überlagert also nicht die Erscheinungsform der Objekte, sondern bietet eine neutrale, leere Hintergrundfläche. Die Exponate sollen für sich selber sprechen. Da die Ausstellungsarchitektur so stark zurückgenommen ist, wird die Aufmerksamkeit der Besucher:innen auf die Ausstellungsstücke gelenkt. Der Blick wird schon allein von dem Kontrast angezogen, den die Farben, Formen und Materialien mit ihrer Umgebung bilden. Der Halbkreis der Götterstatuen und -reliefs in Raum 2 hebt sich gleich durch mehrere Merkmale vom Rest der Ausstellung ab und zieht daher die Aufmerksamkeit der Besucher:innen auf sich (s. Abb. 7). Nicht nur sind die Objekte hier in Form eines Halbkreises aufgestellt. Sie sind auch um einen hell abgesetzten Kreis im Boden herum platziert. Des Weiteren ist über ihnen ein kreisrundes Deckenelement angebracht, in dem ein Halbkreis aus Leuchten installiert ist. Die Kreisformen in diesem Bereich der ansonsten sehr geradlinigen Ausstellung stechen außerdem besonders hervor, weil die Steindenkmäler auf einer erhöhten Ebene und somit über dem Rest des Ausstellungsraumes stehen. Ihre erhöhte Position und die von der restlichen Ausstellungsarchitektur abweichenden Kreisformen in diesem Ausstellungsbereich korrelieren mit dem Thema: Es geht hier nicht um den Alltag der Menschen, sondern um Glaube und Religion, gewis-
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sermaßen um das Göttliche per se, das dem Alltag Enthobene. Die Größenunterschiede der Steindenkmäler sind durch unterschiedlich hohe Sockel so angeglichen, dass sich auch die kleinsten auf Augenhöhe von Erwachsenen befinden. Sie bilden also eine klare und gleichmäßige geometrische Form und brechen die ansonsten überwiegend rechtwinklige Ausstellungsarchitektur subtil auf.
Abb. 7: Blick auf den Halbkreis der Götterstatuen und -reliefs. Im Vordergrund ist eine AV-Station zu sehen, die zum Zeitpunkt der Dokumentation der Ausstellung, im März 2018, aus technischen Gründen bereits abgebaut war. (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)
Die Objekte sind in den Vitrinen meistens nach Fundkomplexen wie Grabinventaren oder Hortfunden angeordnet, sodass Objekte aus einem Fundkomplex zusammen in einer Vitrine oder auf einer Vitrinenebene installiert und somit zumindest in gewissem Maße kontextualisiert sind. Die Vitrinen stellen meist also nicht das einzelne Objekt in den Mittelpunkt, sondern den Fundkomplex, der gewissermaßen als Fallbeispiel dient und ein Element der Ausstellungserzählung codiert. So repräsentiert das Inventar eines latènezeitlichen Grabes exemplarisch die Bestattungssitten dieser Zeit. Zugleich ist es aber auch das individuelle Produkt menschlichen Agierens. Außer dem Leichenbrand18 in einer Urne in Raum 1 werden in dieser Ausstellung keine sterblichen Überreste von Menschen gezeigt. Da die Fundkomplexe, insbesondere die Grabfunde, überwiegend zusammengehalten werden, ist eine solche direkte Präsentation von Menschen
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Als Leichenbrand werden verbrannte und zersplitterte Knochen bezeichnet, die nach einer Feuerbestattung als sterbliche Überreste eines Menschen in der Asche zurückbleiben.
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aber auch nicht notwendig, denn die Fundkomplexe verweisen, da sie jeweils untrennbar mit einer bestatteten Person verknüpft sind, auf Menschen der Vergangenheit. Nur in manchen Fällen sind Objekte desselben Typs oder zum selben Thema aus unterschiedlichen Fundkontexten nebeneinander ausgestellt, zum Beispiel in den Vitrinen zu den steinzeitlichen Geräten in Raum 1 und in der Vitrine mit den früheisenzeitlichen Schwertern im Mittelbau. In solchen Fällen stehen weder die einzelnen Objekte noch die Fundkomplexe im Fokus, sondern es wird durch eine Reihung vermittelt, welche unterschiedlichen Varianten zu einer Objektkategorie, wie zum Beispiel »Schwerter der frühen Eisenzeit«, vorliegen können. Auch der Halbkreis aus Steindenkmälern in Raum 2 ist eine Zusammenstellung von Objekten zum selben Thema, nämlich der Bedeutung und Verbindung römischer und keltischer Götter. Hier soll insbesondere kommuniziert werden, dass römische und keltische Glaubensvorstellungen konfliktlos nebeneinander bestanden und zum Teil sogar miteinander verbunden wurden, indem beispielsweise dem römischen Gott Merkur die keltische Göttin Rosmerta als Partnerin zur Seite gestellt wurde. Anders als beispielsweise im Archäologischen Museum Hamburg stehen hier allerdings nie Objekte aus gänzlich unterschiedlichen Zeitphasen zusammen. Nicht nur die Ausstellungsräume sind chronologisch streng voneinander getrennt. Auch innerhalb der Räume sind die Vitrinen chronologisch zueinander angeordnet, vom Eingang des jeweiligen Raumes aus im Uhrzeigersinn entlang der Wände. Diese chronologische Anordnung ist für Besucher:innen zwar nur erkennbar, wenn sie die Datierungen auf den Objektschildern vergleichen. Sie entspricht aber der Leserichtung, die hierzulande üblich ist. Wenn Besucher:innen also einer Gewohnheit folgend die Vitrinen von links nach rechts abwandern, nehmen sie die Exponate automatisch in chronologischer Reihenfolge wahr. Die Sammlungsstücke wirken sorgfältig ausgewählt, denn in den meisten Vitrinen sind nur wenige Objekte untergebracht, sodass jedem Stück ausreichend Raum zukommt. Die Anordnung der Exponate scheint ästhetischen Gesichtspunkten zu folgen, denn sie sind meist nach Größe oder Form so platziert, dass ein harmonisches und ausgeglichenes Gesamtbild entsteht. Alle Exponate in dieser Ausstellung wurden im Gebiet des heutigen Saarlandes entdeckt. Geografisch liegt der Fokus der Ausstellung also auf diesem Bundesland. Die Art der ausgestellten Sammlungsstücke lässt bestimmte Themen der Ausstellung erkennen. Es sind überwiegend Alltagsgegenstände, Gefäße, Waffen und Schmuck ausgestellt. Während in der Abteilung zur Steinzeit naturgemäß wenig Keramik gezeigt wird, überwiegen dort die Waffen und Werkzeuge. Solche Objekte erhalten sich aufgrund ihres Materials wie Feuerstein, Granit und ähnlicher Gesteinsarten natürlich wesentlich häufiger als Objekte aus organischen Materialien und stellen daher den Hauptanteil »steinzeitlicher« Funde dar. In den Räumen zur Eisenzeit und zur römischen Besiedlungsphase wird dagegen sehr viel Keramik ausgestellt. Des Weiteren sind hier Kultobjekte und verschiedene Grabbeigaben, vor allem Schmuck, stark vertreten. Der Ausstellungsbereich in der Schlosskirche zeigt Objekte zum Thema Religion und Frömmigkeit im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Insgesamt repräsentieren die Exponate der Dauerausstellung also vor allem die Alltags- und Glaubenswelt der seit den frühesten Siedlungsspuren bis in die Frühe Neuzeit im Gebiet des heutigen Saarlandes lebenden Menschen und stellen so ein kulturelles Gedächtnis zu diesem Thema dar. Der
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
Fokus liegt dabei vor allem auf der keltischen und provinzialrömischen Eisenzeit, denn die Bereiche zu diesen Epochen nehmen die größten Räume ein. Die Objekte stammen meist aus Siedlungs- und Grabkontexten, daher überwiegen vor allem Geschirr und Gebrauchsobjekte sowie Objekte von Tracht und Kult. Themen wie Kampf, Jagd, Politik oder Handel werden durch die Exponate nur teilweise oder nur indirekt berührt. Da viele Exponate ursprünglich als Grabbeigaben deponiert wurden, lassen sich auch Jenseitsvorstellungen und Bestattungssitten als Themen der Ausstellung umreißen. Ein spezielles Thema ist das der Terra-Sigillata-Produktion im römischen Saarland. Die dazu gezeigten Exponate stellen, gemeinsam mit den beiden zuvor erwähnten Leihgaben der Sammlung der Villeroy & Boch AG, eine Verbindung zu einem wichtigen Wirtschaftszweig des Saarlandes her, nämlich dem der Keramikproduktion. Die apulischen Stücke sind, im Gegensatz zu den Terra-Sigillata-Exponaten, zwar nicht im Gebiet des heutigen Saarlandes hergestellt worden, aber sie machen auf ihren Leihgeber, das Unternehmen Villeroy & Boch, aufmerksam, das aufgrund einer großen Privatsammlung ur- und frühgeschichtlicher Keramik auch eine direkte Verbindung zur archäologischen Forschung im Saarland hat.19 Besucher:innen können also die Keramikexponate mit diesem weltweit bekannten saarländischen Unternehmen und seiner Bedeutung als Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor assoziieren. Die Ausstellung impliziert somit, dass es sich bei der Keramikproduktion des heutigen Saarlandes um ein Erbe aus frühgeschichtlichen Zeiten handelt, gewissermaßen um einen Brauch und eine jahrtausendealte Tradition. Die Bedeutung eines Wirtschaftszweigs des modernen Saarlandes wird so um rund 1800 Jahre zurückverlängert und erhält damit zusätzlich zu seiner ökonomischen Bedeutung für das Land ein vermeintlich historisches Gewicht. Es wird also vermittelt, die Herstellung von Keramik sei für die Region seit Jahrtausenden von Bedeutung gewesen und sei so zum Bestandteil der saarländischen Identität geworden. Diese Interpretation wird auch durch die Texte der AV-Stationen gestützt, die ich im folgenden Teilkapitel analysieren werde. Durch die ausgestellten Objekte sind vor allem Erwachsene repräsentiert, eine nähere Bestimmung einzelner Altersgruppen lässt sich jedoch nicht vornehmen. Exponate, die Kindern zuzuordnen sind, sind hier zwar selten, werden auf den Objektschildern aber explizit als Kindern zugehörig ausgewiesen – beispielsweise im Fall von Kindergrabinventaren sowie bei den Terrakotta-Tierfiguren auf dem Treppenabsatz zwischen Raum 3 und Raum 5. Die unterschiedlichen Geschlechter sind, sofern es von den Objekten oder aus den Fundkontexten überhaupt abgeleitet werden kann, gleich stark vertreten. Auffällig ist natürlich das Grabinventar der sogenannten Fürstin von Reinheim, das das Ansehen und den Wohlstand eines weiblichen Mitglieds einer sozialen Elite augenscheinlich macht. Dabei wird jedoch nicht thematisiert, ob es sich bei der sogenannten
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Die Keramik-Sammlung wurde im 19. Jahrhundert vor allem von Eugen von Boch, dem Sohn des Firmengründers Jean-François Boch und zweiten Direktor der Fabrik, zusammengetragen. Der Großindustrielle war, ebenso wie später sein Sohn René, allerdings nicht nur sammelnd, sondern auch altertumsforschend tätig und betrieb selbstständig Ausgrabungen im Gebiet des heutigen Saarlandes (vgl. hierzu den Katalog zur Ausstellung Inspiration Antike: Roland Mönig, (Hg.), Inspiration Antike. Eugen von Boch und die Archäologie im 19. Jahrhundert, 2016; darin vor allem: Sabine Graf, Genius Loci – Vom Ort bestimmt, den Ort bestimmt, 2016, S. 39–57).
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Fürstin um einen Einzelfall handelt oder ob sich weitere Frauen in derart herausragenden Positionen während der Latènezeit belegen lassen. Tendenziell sind durch die Objekte eher Mitglieder höherer sozialer Schichten repräsentiert. Dies resultiert wenigstens teilweise daraus, dass sich materiell hochwertige Grabbeigaben auch über Jahrtausende hinweg erhalten konnten und daher in Sammlungen gegenüber Fundstücken aus »ärmeren« Grab- oder Siedlungskontexten überwiegen. Andererseits werden bei der Auswahl von Fundstücken für eine Ausstellung besonders ästhetische oder kunstfertig verarbeitete Objekte aus wertvollen Materialien auch bevorzugt, da sie, wie schon Pomian und Pearce festgestellt haben, auf Menschen besonders attraktiv wirken.20 Dementsprechend werden das Fürstinnengrab von Reinheim und die Wandmalereien von Mechern – durch ihre Separierung von den Ausstellungsräumen sowie die Beleuchtung und Farbgestaltung – als besonders exquisite Ausstellungsstücke auch so präsentiert, dass sie hervorstechen und von Besucher:innen als Highlights der Sammlung erkannt werden. Sie gehören auch zu den Exponaten, die im Ausstellungskonzept die Rolle von Leitfunden einnehmen, wie der Sammlungsleiter erläuterte. Weitere dieser Leitfunde sind der Faustkeil von Ludweiler und die bronzezeitlichen Hortfunde in Raum 1, die Bronzestatuetten aus Schwarzenacker in Raum 3 und die Terra-Sigillata-Exponate in Raum 5.21 Sie sollen Themen symbolisieren, die den Ausstellungsmacher:innen besonders wichtig waren: Die Besiedlung des heutigen Saarlandes seit dem Paläolithikum sowie die römischen und keltischen Einflüsse auf die kulturelle Entwicklung der Region. Es wurde bereits mehrfach erklärt, dass die Ausstellung in Abteilungen oder Bereiche zu einzelnen Epochen gegliedert ist, die den Räumlichkeiten innerhalb des Kreisständehauses entsprechen. Aufgrund der Architektur des Kreisständehauses ist ein stringent chronologischer Rundgang schwer machbar und wurde daher auch nicht angestrebt. Trotzdem sind die Bereiche sowie die einzelnen Exponate möglichst präzise der Chronologie folgend angeordnet. Zwar gibt es kein Leitsystem, keine Zeitleisten und auch keine verbalen Hinweise darauf, welcher Bereich der Ausstellung welcher Epoche entspricht. Beachten Besucher:innen aber die Datierungen der Exponate auf den Objektschildern, so können sie sich dementsprechend bewusst der Chronologie folgend durch die Ausstellung bewegen. Es lässt sich dabei jedoch nicht vermeiden, einige Vitrinen mehrfach zu passieren, beispielsweise die Wandvitrinen im Mittelbau. Des Weiteren schließt der Ausstellungsbereich in der Schlosskirche nicht direkt an die Abteilungen im Kreisständehaus an. Selbst wenn die Schlosskirche erst am Ende des Besuchs, also nach den Abteilungen zur römischen Besiedlung, besichtigt wird, fehlt eine Abteilung zum frühen Mittelalter. Diese war ursprünglich im Untergeschoss des Kreisständehauses aufgestellt, musste aus technischen Gründen jedoch geschlossen werden. Im chronologischen Verlauf der Ausstellung gibt es also einen Zeitsprung, die Phase zwischen dem 3. und dem 10. Jahrhundert wird ausgelassen. Eine lineare, vom Paläolithikum bis in die Frühe Neuzeit durchlaufende Chronologie ist mit der aktuellen Form der Ausstellung also nicht realisiert. Da Besucher:innen sich darüber hinaus völlig frei in den Ausstellungsräumen bewegen können, können sie die narrativen Elemente der Ausstellung in ganz unterschied20 21
Vgl. Krzysztof Pomian, Der Ursprung des Museums, 1988, S. 88; Susan M. Pearce, Museums, Objects and Collections, 1992, S. 33 und S. 261. Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 468.
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licher Reihenfolge wahrnehmen.22 So können in der Wahrnehmung der Besucher:innen individuelle, mit Anachronien durchsetzte Erzählungen entstehen. Im nordwestlichen Eckrisalit tritt die Chronologie hinter einer thematischen Ordnung der Exponate zurück, da alle Objekte in diesem Bereich in das 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. datieren – eine vergleichsweise kurze Zeitspanne. Als Themen lassen sich hier Alltag, Bauweise, Kult und Keramikproduktion von den Ausstellungsstücken ableiten. Das Museum versteht sich als Repräsentant »der Bevölkerung an der Saar«, wobei auch die überregionale Vernetzung des Gebiets und seiner Einwohner:innen betont wird.23 Die Adressat:innen der Ausstellung als Ganzes sowie der Ausstellungstexte sind den Ausstellungsmacher:innen zufolge aber nicht weiter in Form einer bestimmten Zielgruppe antizipiert worden. Roland Mönig führte zu dieser Frage aus: Auf Gesellschaftsspielen steht doch immer so etwas wie »von null bis achtundachtzig« drauf. Ich finde, ein Museum soll grundsätzlich von null bis achtundachtzig sein. Aber das hängt auch mit dem Selbstverständnis unserer Gesellschaft zusammen. Und es hängt davon ab, ob die Gesellschaft das mitträgt. Ein Museum kann ja alles wollen, aber die Leute müssen es auch von sich aus mittragen. Ich halte nicht viel davon, das Museum ganz auf eine kinder- oder schülergerechte Präsentation abzustellen. Ich glaube, dass die Schulen ein ganz wichtiger Bereich sind, bei dem man erst einmal ansetzen muss. Aber alles darauf hin zu konzipieren, halte ich nicht für klug. Die besten Filme für Kinder sind die, die auch die Erwachsenen mitreißen, und umgekehrt.24 Mönig will also die Ausstellungen in den Museen der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz so konzipiert sehen, dass sie nicht nur eine spezielle Zielgruppe ansprechen, sondern attraktiv für möglichst viele verschiedene Besucher:innen beziehungsweise Altersklassen sind. Allerdings beklagt der Sammlungsleiter Franz-Josef Schumacher, dass das Konzept der Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Schulklassen zurückdränge und selbst erwachsene Einzelbesucher:innen »sich der Anstrengung unterziehen [müssen], in den AV-Stationen zu lesen und sich die Informationen dort zusammenzusuchen«.25 Wenn auch nicht so beabsichtigt, so ist das Ausstellungskonzept wohl tatsächlich vor allem für erwachsene Kunst- und Designliebhaber:innen und Akademiker:innen geeignet. Das zeigt sich auch an den Texten, die aufgrund ihres gehobenen Sprachstils vor allem für Erwachsene mit höherem Bildungsgrad geeignet sind. Die Texte sowie die Medienstationen der Ausstellung möchte ich nun im folgenden Teilkapitel untersuchen und das Narrativ, das durch diese Dauerausstellung insgesamt vermittelt wird, noch weiter ausführen.
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Dies ist keineswegs selbstverständlich, wie die Erwähnung des Stegs in der Dauerausstellung des LWL-Museums für Archäologie in Herne im Teilkapitel II.4.3 schon gezeigt hat. Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 466, Zitat ebd. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 480. Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 470, Zitat ebd.
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III.1.2 Kontext in Computern Es sollte nun deutlich geworden sein, dass die Dauerausstellung des Museums für Vorund Frühgeschichte des Saarlandes dazu konzipiert ist, fast ausschließlich über die möglichst kontextlose Inszenierung von Exponaten als Kunstwerke zu wirken. Dennoch soll mit der Ausstellung auch Wissen über die Ur- und Frühgeschichte des Saarlandes vermittelt werden. Daher sind die Exponate und Ausstellungsbereiche chronologisch geordnet und mit sparsam dosierten Informationen ergänzt: Die Eckdaten der Exponate – also die Objektbezeichnung, die Datierung, der Fundort und das Material, aus dem sie bestehen – sind auf Objektschildern in oder an den Vitrinen angegeben, sodass Besucher:innen zumindest etwas über das Alter und den Fundort erfahren und gegebenenfalls nicht nur aus dem Objekt selbst, sondern auch aus seiner Bezeichnung und dem angegebenen Material seine Funktion ableiten können. Die übrige Inhaltsvermittlung ist in den sogenannten AV-Stationen gebündelt. Diese und insbesondere die darauf hinterlegten Texte möchte ich daher im Folgenden untersuchen. Wie ich zeigen werde, unterstützen und ergänzen sie die bisher aus den Exponaten und ihrer Inszenierung deduzierten Narrative. Abgesehen von den Texten und Bildern, die auf den AV-Stationen hinterlegt sind, gibt es in der Dauerausstellung des Saarbrücker Museums keine sonstigen Texte, Illustrationen, Grafiken oder ähnlichen Informationsträger. Aktuell gibt es noch vier AV-Stationen, nämlich eine zu der Projektion des Mosaikfußbodens in Raum 4 sowie jeweils eine in den Räumen 1 bis 3. Die Station in Raum 4 bietet Informationen zu römischen Villen, zu dem Mosaik aus der Villa Nennig sowie zu den im Raum installierten Wandmalereien aus Mechern. Außerdem kann man mithilfe des Touchscreens dieser AV-Station einzelne Partien des projizierten Mosaikbodens vergrößern und so im Detail betrachten. Eine weitere AV-Station stand ursprünglich vor dem Halbkreis der Götterstatuen und -reliefs in Raum 2. Sie konnte gedreht und auf die einzelnen Steindenkmäler ausgerichtet werden, zu denen sie dann jeweils Informationen in Textform anzeigte. Aus technischen Gründen musste diese Station jedoch abgebaut werden. Die verbliebenen AV-Stationen bieten einen kulturhistorischen Überblick zu den Themen der einzelnen Bereiche in Form von Texten, Fotos und Karten. Alle Texte sind auf Deutsch, Englisch und Französisch verfügbar, was zeigt, dass das Museum auch auf internationale Besucher:innen, besonders aus dem benachbarten Frankreich, ausgerichtet ist. Auf den Startseiten der Stationen ist jeweils ein Zeitstrahl zu sehen, der die Datierung der jeweiligen Epochen verdeutlicht. In einem Kapitelmodus besteht auf der rechten Seite des Bildschirms immer die Auswahl zwischen einer Menüwahl in Form einer Kapitelliste oder in der eines Gebäudeplans, in dem die Kapitel gemäß der Themenbereiche der Ausstellung verzeichnet sind. Die Informationen sind somit zwar übersichtlich und die Bedienung der AV-Stationen ist einfach und intuitiv, aber die Touchscreens reagieren zum Teil schlecht und erfordern daher nicht nur Eigeninitiative, sondern auch Geduld. Sie sind in einer Höhe angebracht, in der sie für Erwachsene bequem zu bedienen sind, für Kinder aber nur schlecht greifbar und einsehbar. Informationen zum Kontext der Exponate werden also nur sehr zurückhaltend und vor allem für interessierte erwachsene Besucher:innen angeboten. Dabei sind sie eben nicht in unmittelbarer Umgebung der Exponate zu fin-
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
den, sondern in die AV-Stationen ausgelagert. Die Anzahl der Texte ist relativ gleichmäßig auf die AV-Stationen verteilt. In den meisten Dauerausstellungen Archäologischer Landesmuseen lassen sich Kategorien von Texten aufgrund ihrer Positionierung im Raum und ihrer Themen unterscheiden. Üblich sind in der Regel drei hierarchische Kategorien: Saaltexte, die überblicksartig über das Thema des Ausstellungsraumes informieren, Bereichstexte, die vertiefende Informationen zu einem bestimmten Aspekt des Themas und einem bestimmten Bereich innerhalb des Ausstellungsraumes liefern, sowie Objekt- beziehungsweise Vitrinentexte, die Hintergrundinformationen zu bestimmten Exponaten bieten. Da die Texte in der Dauerausstellung des Saarbrücker Museums in die AV-Stationen ausgelagert sind, lassen sich solche Kategorien jedoch nur schwer unterscheiden. Einige Texte sind im Startmenü der AV-Stationen als Kapitel anwählbar, andere sind als weitere Seiten den Kapiteltexten untergeordnet. Ein einheitliches Schema lässt sich aber nicht erkennen. Saal-, Bereichs- und Objekttexte können hier nur inhaltlich unterschieden werden. Einige Texte der AV-Stationen beziehen sich beispielsweise auf einen bestimmten Fund, dessen Exponate auch ausgestellt sind. Diese Texte entsprechen also Objekttexten. Andere Texte sind auf eine umfangreiche Thematik, wie zum Beispiel die Thematik »Kelten«, hin konzipiert und wieder andere liefern spezifischere Informationen zu diesem größeren Oberthema. Letztere könnten also als Bereichstexte charakterisiert werden, während die Texte zu den Oberthemen den Saaltexten entsprechen. Die Zuordnung der einzelnen Bereichs- und Objekttexte zu den Vitrinen und Exponaten erfordert aber eine Übertragungsleistung von den Besucher:innen. Sie müssen die Inhalte der Texte gezielt mit den Objekten und Objektschildern abgleichen, um zu ermitteln, welcher Text welche Exponate oder Exponatgruppen begleitet. Es gibt kaum optische Hilfsmittel dafür, außer der Menüansicht, die die Kapitel als Punkte im Grundriss des Raumes angeordnet zeigt. Die Bereiche sind aber nicht in der Ausstellung selbst gekennzeichnet. Bei der inhaltlichen Analyse der Ausstellungstexte gilt es zunächst zu beachten, wer in den Texten zu wem spricht. Dabei muss die Instanz der Autor:innen von der der Erzähler:innen unterschieden werden, denn es kann in Ausstellungen beispielsweise erzählende Figuren geben, die zu Beginn mit einem Text eingeführt werden und die die Besucher:innen gewissermaßen durch die Ausstellung begleiten. Im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart gibt es eine solche Erzählerin, die dazu beitragen soll, die Dauerausstellung für Kinder angemessen zu vermitteln. Es handelt sich dabei um eine fiktive Figur namens Kathi, die mit einer Illustration vorgestellt wird und in Texten, die auf kindgerechter Höhe an den Wänden der Ausstellung stehen, zu den Leser:innen spricht. Am Eingang zur Ausstellung stellt sie sich vor und fordert dazu auf, in der Ausstellung nach ihr zu suchen, denn überall wo sie zu finden ist, können Kinder selbst aktiv werden und etwas ausprobieren oder anfassen. In der Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes tritt allerdings keine derart konkrete erzählende Figur auf. Die Erzähler:innen und Autor:innen scheinen hier, sowohl mit Blick auf die Ausstellung an sich als auch mit Blick auf die Texte, identisch zu sein, können jedoch nicht eindeutig identifiziert werden. Die Texte wurden von den Mitarbeiter:innen des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes und der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz verfasst, die auch die Ausstellung konzipiert und realisiert haben. Es handelt sich dabei also um
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Kurator:innen, Archäolog:innen, Kunsthistoriker:innen und Museumspädagog:innen. Sie werden in der Ausstellung aber in keiner Form als Autor:innen beziehungsweise Ausstellungsmacher:innen genannt. Dadurch erscheint die Institution des Museums als Ganzes als Autorin dieser Ausstellung. Auch die erzählende Instanz der Texte tritt als eine abstrakte Person auf. Sie kann als ein:e oder mehrere Wissenschaftler:innen interpretiert werden, die über die nötige Expertise verfügen und für die Ausstellung und die Texte darin verantwortlich zeichnen. Angesichts der Inszenierungsstrategie der Ausstellung könnte angenommen werden, dass die Objekte selbst hier als Erzählende fungieren sollen. Sie tun dies aber nur in sehr begrenztem Maße, denn alleine können sie kaum Informationen vermitteln. Die Objektschilder spielen deshalb eine wichtige Rolle bei der Kommunikation der Objektkontexte, bieten aber ebenfalls nur oberflächliche Informationen dazu. Für nähere Erläuterungen zu abstrakteren kulturhistorischen Themen und Inhalten sind die Besucher:innen auf die Texte und Bilder der AV-Stationen angewiesen. In dort verfügbaren Texten werden gelegentlich Personal- und Possessivpronomen wie »wir« und »unser« verwendet, die die erzählende Instanz mal als Teil eines allgemeinen saarländischen Kollektivs, mal als Teil einer wissenschaftlichen Gemeinschaft von Archäolog:innen erscheinen lassen. Die Leser:innen beziehungsweise Besucher:innen können sich dabei angesprochen fühlen, wenn sie sich beispielsweise mit dieser Gemeinschaft von Saarländer:innen identifizieren – oder auch nicht. Direkt angesprochen werden sie, anders als wiederum in dem Beispiel aus dem Landesmuseum Württemberg, in keinem der Texte. Das Indefinitpronomen »man« wird sowohl im Sinne einer ur- oder frühgeschichtlichen Gemeinschaft als auch im Sinne einer abstrakten und anonymen Gemeinschaft von Wissenschaftler:innen der Gegenwart verwendet, wie zum Beispiel in dem Text mit dem Titel 5.1. Frühe und mittlere Bronzezeit (ca. 2200 – 1300 v. Chr.) in Raum 1, wo es heißt: Zu den wenigen bisher gefundenen Metallgegenständen aus der frühen Bronzezeit im Saarland zählen ein kupfernes Flachbeil aus Morscholz und ein bronzenes Randleistenbeil aus Homburg-Einöd. In der mittleren Bronzezeit werden in den Bestattungsbräuchen soziale Abstufungen erkennbar. Man beginnt Verstorbenen einen Grabhügel zu errichten. Diesem Brauch verdankt jene Epoche den Namen »Hügelgräberbronzezeit« (ca. 1600 – 1200 v. Chr.). Solche Gräber entdeckte man u.a. in Fechingen und Bebelsheim.26 An diesem Ausschnitt lässt sich außerdem der Einsatz von Zeitformen in den Texten des saarländischen Museums exemplarisch zeigen. Es werden in fast allen Texten vor allem Vergangenheitsformen, insbesondere das Präteritum und das Plusquamperfekt, verwendet. Präsens wird in der Regel eingesetzt, wenn es um Zustände in der Gegenwart geht, in manchen Fällen wird das Präsens aber auch für Handlungen oder Prozesse der Vergangenheit gebraucht. Im obigen Zitat stehen zunächst alle Sätze im Präsens. Erst im letzten Satz wechselt die Zeitform plötzlich zum Präteritum. Das ist besonders
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Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Text 5.1. Frühe und mittlere Bronzezeit (ca. 2200 – 1300 v. Chr.), AV-Station in Raum 1. Hervorhebungen der Verfasserin.
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bemerkenswert, weil dieser Satz auf eine nicht ganz so weit entfernte Vergangenheit bezogen sein muss, denn eine »Entdeckung« von Hügelgräbern der Bronzezeit im Sinne einer archäologischen Erforschung kann erst in der Moderne erfolgt sein – schließlich gab es erst ab dem 19. Jahrhundert eine systematische Altertumsforschung. Der letzte Satz bezieht sich also auf Ereignisse, die vielleicht zweihundert Jahre oder weniger zurückliegen, während die Sätze davor auf eine Zeit zwischen 1600 und 1200 Jahren v. Chr. bezogen sind, also auf eine viel ältere Zeitphase, die aber gleichwohl im Präsens beschrieben wird. Der Einsatz der verschiedenen Zeitformen hat unterschiedliche Wirkungen. Wird über die Vergangenheit in Vergangenheitsformen geschrieben, dann wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass die Texte in der jeweils aktuellen Gegenwart über die Vergangenheit erzählen. Das heißt, es bleibt eine Distanz zwischen den beschriebenen Ereignissen beziehungsweise der Lebenswelt der Menschen der Vergangenheit, die in den Texten beschrieben wird, und der heutigen Lebenswelt bestehen. Wird jedoch über die Vergangenheit im Präsens beschrieben, dann werden die Leser:innen gewissermaßen in die Vergangenheit versetzt; es wird beispielsweise die Illusion erzeugt, die mittlere Bronzezeit sei aktuell und es könne gewissermaßen dabei zugesehen werden, wie Bestattungsformen abhängig vom sozialen Status ausdifferenziert werden. Die Texte des Museums für Vor- und Frühgeschichte halten dabei keine konsequente Linie des Einsatzes von Zeitformen ein. Die Verfasser:innen der Texte waren offenbar um eine klar verständliche, informative und übersichtliche Ausdrucksweise bemüht. Oft fallen aber gehobene und bildungssprachliche Begriffe, die nicht weiter erläutert werden, wie beispielsweise »Tremolierstich«, »Multiplikatoren« oder »Spolien«.27 An vielen Stellen werden positive und euphemistische Formulierungen genutzt, um Objekte oder Fundstätten als einzigartig und herausragend zu bezeichnen. Die Titel der Texte sind knapp und funktional gewählt. Das heißt, sie nennen in wenigen Wörtern und gegebenenfalls mit Daten das Thema des Textes, also entweder eine bestimmte Epoche, einen Fundort, eine archäologische Kultur oder Praktiken, Techniken und Riten einer solchen. Leser:innen erhalten dadurch direkt eine Vorstellung vom Thema des jeweiligen Textes. Vor allem Themen wie Siedlungsformen, Bestattungssitten, Handwerkstechniken, Handel und Wirtschaft, überregionale Einflüsse sowie Bergbau werden in den Texten häufig behandelt. Ihr Zweck ist es also, den kulturhistorischen Kontext zu den Exponaten überblicksartig zu vermitteln und dabei die ur- und frühgeschichtliche Entwicklung typischer Lebensweisen im Gebiet des heutigen Saarlandes nachzuzeichnen. Es werden dabei auch Leitbegriffe der Archäologie angeführt und erläutert, wie zum Beispiel »Mikrolithen«, »Neolithische Revolution«, »Paläolithikum« oder »Latènezeit«. Das Saarland wird in vielen Texten auch ganz unmittelbar thematisiert. In der AV-Station in Raum 1 wird es beispielsweise als Fundort von Mikrolithen und neolithischen Objekten genannt. Außerdem wird in zwei Texten dieser AV-Station auf
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Der Begriff »Tremolierstich« steht im Text 6.2.5. Die Röhrenkanne (AV-Station in Raum 2), der Begriff »Multiplikatoren« im Text 1.3. Verkehrswege (AV-Station in Raum 3) und der Begriff »Spolien« im Text 3.1. Grabhügel bei Oberlöstern (AV-Station in Raum 3). (Alle Texte © Stiftung Saarländischer Kulturbesitz.)
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Bergbau beziehungsweise den Abbau und die Verarbeitung von Kupfer im Gebiet des heutigen Saarlandes hingewiesen. Die Thematisierung von Bergbau und Metallurgie schlägt eine Brücke von der vorgeschichtlichen zur modernen Region, da Bergbau, Eisenverhüttung, Stahlproduktion und Metallverarbeitung seit dem 19. Jahrhundert die wichtigsten Wirtschaftszweige des Saarlandes sind. In den Texten der AV-Station in Raum 2 wird das Saarland als Heimat keltischer Eliten und damit als wichtiges Gebiet für die Erforschung der Kelten beschrieben. Dabei werden auch viele Fundorte genannt und erläutert. Die Texte der AV-Station in Raum 3 informieren vor allem über römische Bauweise und die Terra-Sigillata-Produktion im römischen Saarland, wobei besonders hervorgehoben wird, dass die lokalen Manufakturen von überregionaler Bedeutung waren. Indem erläutert wird, dass sich Produkte aus Blickweiler von Britannien bis an die mittlere Donau nachweisen lassen, wird das Saarland in einen größeren europäischen Zusammenhang gestellt. Das Thema Keramikproduktion schlägt außerdem – dies wurde bereits erläutert – eine Brücke zur heutigen Keramikherstellung im Land. Des Weiteren werden hier im Text 2.3 Römischer Bergbau der Emilianusstollen und der Stollen Bruss im saarländischen St. Barbara als einzigartige Zeugnisse »des römischen Bergbaus nördlich der Alpen« beschrieben.28 Auch damit wird indirekt eine Verbindung zum modernen Bergbau im Saarland aufgezeigt. In vielen weiteren Texten wird das Saarland zwar nicht direkt genannt, aber die Region wird umschrieben, indem beispielsweise Begriffe wie »Saar-Mosel-Raum« oder »Gebiet zwischen Rhein und Mosel« verwendet werden.29 Außerdem werden häufig Fundorte oder Bodendenkmäler im Saarland erwähnt. In allen Texten wird also deutlich, dass es um die spezielle Situation im Gebiet des heutigen Saarlandes geht, wobei diese gleichzeitig auch in einen größeren, überregionalen Kontext eingeordnet wird. Einige Ausstellungstexte möchte ich nun exemplarisch noch detaillierter betrachten. Dafür werden sie hier vollständig im Originalwortlaut wiedergegeben. Der Text mit dem Titel Vor- und Frühgeschichte ist der erste der AV-Station in Raum 1, also im Sinne Werner Hanak-Lettners die Parodos der Ausstellung, die das Publikum auf diese einstimmt. 1. Vor- und Frühgeschichte Vor- und Frühgeschichte, auch Ur- und Frühgeschichte bzw. Prähistorische Archäologie genannt, ist eine archäologische Disziplin. Sie versteht sich als eine Disziplin der Geschichtswissenschaft, die sich der Kulturentwicklung des Menschen von seinen Anfängen an widmet. Eine gängige Selbstbezeichnung ist »Wissenschaft des Spatens«. Gegenstand der Erforschung sind im Gegensatz zu den anderen historischen Disziplinen gegenständliche Quellen (Keramik, Metall, Holz, Knochen, Glas, Steinartefakte etc.) in ihrem jeweiligen Kontext.30 28 29
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Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Text 2.3 Römischer Bergbau, AV-Station in Raum 3. Der Begriff »Saar-Mosel-Raum« wird im Text 5.1.1. Der Grabhügel von Fechingen (AV-Station in Raum 1) verwendet, die Formulierung »Gebiet zwischen Rhein und Mosel« im Text 6.4. Mittel- und Spätlatènezeit (AV-Station in Raum 2). (Beide Texte © Stiftung Saarländischer Kulturbesitz.) Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Text Vor- und Frühgeschichte, AV-Station in Raum 1.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
Der Text ist kurz und übersichtlich und in zwei Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt beginnt damit, verschiedene Bezeichnungen für die Vor- beziehungsweise Urund Frühgeschichte zu nennen und die archäologische Disziplin zu definieren. Dann wird sie als der Teil der Geschichtswissenschaft beschrieben, der die kulturelle Entwicklung der Menschheit seit ihren Anfängen erforscht. Am Ende des ersten Abschnitts wird noch eine umgangssprachliche Bezeichnung der Ur- und Frühgeschichte genannt, nämlich »Wissenschaft des Spatens«. Damit werden bei den Leser:innen Assoziationen zu Ausgrabungen ausgelöst und dieser Teil der archäologischen Arbeit wird somit betont. Vor- und Frühgeschichte beziehungsweise Archäologie werden also insbesondere als Ausgrabungsarbeit dargestellt, während der große Teil der archäologischen Arbeit, der in Laboren, Bibliotheken und Büros stattfindet und bei dem Funde und Befunde erforscht, interpretiert, kategorisiert, datiert und publiziert werden, nicht erwähnt wird. Der zweite Abschnitt besteht nur aus einem Satz, der besagt, dass gegenständliche Quellen und deren Kontext der Gegenstand der vor- und frühgeschichtlichen Forschung sind. Der Text soll also einen Überblick über das wissenschaftliche Fach »Vor- und Frühgeschichte« bieten und erklären, worum es in diesem Museum geht. Damit erklärt er zugleich den entsprechenden Teil im Namen des Museums. Der Text ist wissenschaftlich, neutral und analytisch, er liest sich wie ein Lexikonartikel. Sein Zweck ist lediglich, die Leser:innen zu informieren – ein Spannungsaufbau wird dadurch kaum erzielt. Nur mit dem Begriff der »Wissenschaft des Spatens« könnten gegebenenfalls romantische Assoziationen geweckt werden – beispielsweise das über Spielfilme tradierte Bild des archäologisch forschenden Abenteurers, der nach Schätzen sucht. Anders funktioniert dagegen der Text Die Kelten im Saarland. Er ist der zweite auf der AV-Station in Raum 2 bereitgestellte Text und folgt somit auf den allgemeineren Text Die Kelten. 2. Die Kelten im Saarland Wie kaum eine andere Region verfügt der Raum zwischen Rhein und Mosel über einen hervorragenden archäologischen Materialbestand zur keltischen Kultur in Mitteleuropa. Das Saarland gehört mit zu den Kerngebieten der keltischen Kultur. Einige der bedeutendsten archäologischen Fundstätten, darunter die reichen Fürstengräber aus Reinheim, Schwarzenbach oder Weiskirchen und eine der eindrucksvollsten keltische Befestigungsanlage [sic!] – der Hunnenring bei Otzenhausen –, sind hier beheimatet. Gerade in den letzten Jahren sind der Archäologie des Landes bedeutende Neuentdeckungen gelungen, die zu einem besseren Verständnis der Geschichte der Kelten in unserem Raum beitragen. Erwähnt sei z.B. die Entdeckung der Adelsnekropole von Gehweiler und das spätkeltisch-frührömische Gräberfeld von Wustweiler. Zwei aktuelle Forschungsprojekte der Landesarchäologie haben die Erforschung keltischer Machtzentren im Umfeld von Reinheim und Otzenhausen als Schwerpunkt.31 Dieser Text ist einer der längsten der Ausstellung und ebenfalls in zwei Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt wird das Saarland als Kerngebiet beziehungsweise Heimatland 31
Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Text Die Kelten im Saarland, AV-Station in Raum 2.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
der Kelten beschrieben und es werden bedeutende Fundstätten zur keltischen Kultur im Gebiet des heutigen Saarlandes genannt. Im zweiten Abschnitt wird von neu entdeckten Funden zur Kultur der Kelten im Gebiet des heutigen Saarlandes berichtet. Der Text soll Leser:innen also die Bedeutung der Region für die Erforschung der Eisenzeit beziehungsweise der keltischen Kultur aufzeigen, indem er vor Augen führt, dass sehr viele und besonders herausragende Funde dieser Epoche und Kultur im Saarland gemacht werden konnten. Dafür werden viele Superlative und positiv konnotierte Begriffe eingesetzt, wie beispielsweise »bedeutendsten«, »eindrucksvollsten« und »reichen Fürstengräber«, sodass bei den Leser:innen der Eindruck entsteht, dass dieses Thema für das Saarland besonders bedeutsam und zugleich spannend und bewundernswert ist. Dieser Text ist also eher populärwissenschaftlich gestaltet. Es wird ein überwiegend leicht verständliches Vokabular benutzt und es werden viele Ortschaften im Saarland genannt, sodass die Inhalte des Textes mit heutigen Orten verknüpft werden, die die Leser:innen eventuell selbst kennen. Im zweiten Abschnitt ist die Rede von »unserem Raum«. Damit scheinen sich die Verfasser:innen des Textes mit der Bevölkerung des Saarlandes zu identifizieren und auch die Leser:innen können sich eventuell diesem Kollektiv zugehörig fühlen. Da der Text vollständig im Präsens verfasst ist, wirkt es, als würde in der Gegenwart über einen gegenwärtigen Zustand berichtet. Dadurch erhält das Thema eine stete Aktualität, die über das Alter des Textes hinwegtäuscht, denn seit der Eröffnung der Ausstellung im Jahr 2009 wurden die Texte nicht aktualisiert. Die populärwissenschaftliche, aber weitestgehend neutrale Sprache dieses Textes wird auch in den meisten anderen Texten dieser Ausstellung eingehalten. Eine Gruppe von Texten hebt sich davon jedoch deutlich ab: die Texte der AV-Station in Raum 4, die die Bildfelder des Nenniger Mosaiks erläutern. Die Motive, die Szenen aus Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen zeigen, werden mit auffallend blumigen, ja geradezu reißerischen Formulierungen beschrieben. Zwei der insgesamt acht Texte sollen hier zur Veranschaulichung zitiert werden: 2 Tiger und Wildesel Unter den Prankenhieben des Tigers ist der Esel zu Boden gestürzt. Stolz aufgerichtet blickt der Sieger des ungleichen Kampfes in die Runde, bevor er sein blutiges Mahl beginnt. 3 Löwe und Sklave Es war dies übrigens das erste Bild, das 1852 freigelegt worden ist. Ergrimmt darüber, dass der greise Wärter ihn aus der Kampfbahn drängt, setzt der gewaltige König der Wüste seine Tatze auf den Kopf des Wildesels als letzten Rest einer gierig verschlungenen Beute. Im Zirkus war der Vormittag den Tierhetzen (Venatio) vorbehalten. Dazu zählten sowohl Kämpfe wilder Tiere untereinander als auch der Kampf Mensch gegen Tier. Bei den Kämpfern handelte es sich entweder um professionelle Tierkämpfer (bestiarii) oder um Verbrecher, die »ad bestias« verurteilt worden waren. Ausrüstung und
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
Bewaffnung wurden so gewählt, dass auch den Tieren eine Chance blieb. Gefangene oder Verbrecher mussten den Tieren oft unbewaffnet entgegen treten [sic!].32 Anders als in den anderen Texten dieser Ausstellung werden hier Metaphern wie »König der Wüste« sowie veraltete, gehobene Begriffe wie »Mahl«, »ergrimmt« und »greis« eingesetzt. Die effekthascherische, emotionale Sprache soll vermutlich Spannung erzeugen und die Gewalt solcher Schaukämpfe vermitteln. Dass die Texte nur hier derart verfasst sind, verstärkt ihre affizierende Wirkung noch zusätzlich. Das hohe Sensationspotenzial des Themas wird genutzt, um mit der interaktiv steuerbaren Projektion des Mosaiks und den Texten einen besonderen Moment der Ausstellung zu schaffen, in dem nicht nur belehrt, sondern vor allem auch unterhalten wird. Zusammenfassend sollen nun noch einmal die Kernaussagen dieser Dauerausstellung hervorgehoben werden. Es werden hier vor allem die Themen Chronologie (im Sinne der epochalen Gliederung der Vergangenheit durch die archäologische Forschung), Alltag, Bestattungssitten, Kult, Kelten und provinzialrömische Zeit im Gebiet des heutigen Saarlandes behandelt. Alle Themen werden vorwiegend durch die Exponate zu vermitteln versucht, ergänzend dazu aber auch anhand der Texte in den AV-Stationen. Die Arbeit von Archäolog:innen oder Prähistoriker:innen wird kaum thematisiert. Das heißt, Forschungsmethoden, Grabungstechnik oder Hilfswissenschaften der Archäologie wie beispielsweise Archäobotanik oder -zoologie werden den Besucher:innen hier, anders als zum Beispiel im LWL-Museum für Archäologie in Herne und im Rheinischen Landesmuseum Trier, nicht erläutert. Das Thema Chronologie wird durch die Anordnung der Exponate zu bestimmten Epochen in verschiedenen Räumen vermittelt. Dies sollten sich Besucher:innen zwar erschließen können, aber sie werden dabei nicht durch optische Hilfsmittel wie Zeitleisten oder Schlagwörter in den Räumen unterstützt, sodass die Thematik Chronologie eher subtil bleibt. Auf den AV-Stationen befinden sich zwar Zeitleisten und Texte zu den verschiedenen Epochen und deren Datierung. Dabei wird jedoch nicht dargelegt, wie die Datierung von Funden vorgenommen wird. Relative und absolute Chronologie, also Chronologie im Sinne einer Methodik, werden somit nicht thematisiert. Durch die Objekte, die zu großen Teilen aus Grab- oder Siedlungskontexten stammen, soll vor allem das Alltagsleben der Menschen in der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit vermittelt werden. Dementsprechend sind viele Objekte Gefäße und Werkzeuge, aber es gibt auch einige Waffen und Schmuckstücke zu sehen. In Raum 3 ist das Alltagsthema besonders deutlich durch die Vitrinen ausgedrückt, in denen Münzen, Schlüssel, Sparkästchen und andere Alltagsgegenstände zu sehen sind. Auch in den Texten der Ausstellung geht es vor allem um das Alltagsleben in verschiedenen Zeitabschnitten, zum Beispiel um Siedlungs- und Herrschaftsformen, Handel und Produktionstechniken. Die Themen Kult, Religion und Jenseitsvorstellungen werden vor allem durch den Halbkreis aus steinernen Götterdarstellungen vermittelt, aber auch zusammen mit dem Thema Bestattungssitten durch die Grabinventar-Exponate. Außerdem ist dieser Themenkomplex von den Bronzestatuetten in Raum 3 abzuleiten und wird auch in einigen 32
Beide Texte © Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, AV-Station in Raum 4.
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Texten in den AV-Stationen behandelt. Indem Exponaten aus der keltischen Eisen- und der Römischen Kaiserzeit im Gebiet des heutigen Saarlandes deutlich mehr Raum gegeben wird als solchen aus der Stein- und Bronzezeit, wird ein Zeitabschnitt zwischen rund 800 Jahren v. Chr. und rund 300 Jahren n. Chr. thematisch hervorgehoben. Da einige Monumente aus dieser Phase auch heute noch im Land sehr präsent sind, wie zum Beispiel der keltische Ringwall in Otzenhausen, die römischen Villen in Perl-Nennig und Perl-Borg sowie der römische Vicus in Schwarzenacker, prägen sie das Bild der saarländischen Ur- und Frühgeschichte in der Öffentlichkeit maßgeblich mit. Da alle Exponate aus dem heutigen Saarland stammen, ist deutlich erkennbar, dass der geografische Fokus der Ausstellung auf dem Gebiet des Bundeslandes und dessen Umland liegt. In den Texten wird darüber hinaus auch die Position des Landes in einem größeren Netzwerk europäischer Regionen im Laufe der Jahrtausende thematisiert. Es geht also um Kontakte, Einflüsse und Handelsbeziehungen, auch zu weit entfernten Gebieten wie dem heutigen Großbritannien, dem Nahen Osten oder Italien. Durch die Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte wird das Saarland als besonders durch die Kelten und Römer geprägt dargestellt. Im Text 1. Die Kelten, der auf der AV-Station in Raum 2 hinterlegt ist, wird zu dem Begriff »Kelten« erläutert: Vom 8. bis ins 1. Jahrhundert v. Chr. waren die Kelten eine der bedeutendsten Bevölkerungsgruppen Europas. Unter dem Begriff Kelten, [sic!] darf man sich kein bestimmtes Volk vorstellen. Vielmehr waren die Kelten die Angehörigen einer bestimmten Kultur. In mehreren Völkerwanderungen breiteten sich die Stämme über Mitteleuropa und bis zu den britischen Inseln aus.33 Es wird also darauf hingewiesen, dass unter dem Begriff Kelten kein Volk, sondern eine Kulturgruppe zu verstehen ist. Allerdings wird gleichzeitig impliziert, dass die Angehörigen dieser Kultur in Stämmen organisiert waren. Das Wort »Stamm«, das ebenso wie das Wort »Volk« noch in einigen weiteren Texten dieser Ausstellung für gesellschaftliche Organisationsformen verwendet wird, kann die Vorstellung einer biologischen Abstammungsgemeinschaft oder Verwandtschaftsgruppe suggerieren und birgt somit das Risiko, missverstanden zu werden. Die Verwendung dieser Begriffe ebenso wie die von Namen vermeintlicher Kulturgruppen wird in dieser Ausstellung jedoch nicht weiter kontextualisiert oder problematisiert. Es ist daher fraglich, ob Besucher:innen die Verwendung dieser Begriffe in den Texten reflektieren oder ob dabei nicht doch der Eindruck entstehen kann, es handele sich bei den »Kelten« und »Römern« zumindest um klar definierte, homogene Ethnien oder gar um Völker im primordialen Sinne, die im Gebiet des heutigen Saarlandes gesiedelt hätten und gewissermaßen die Vorfahren der heute dort lebenden Bevölkerung darstellten. Bemerkenswert ist jedoch, dass außer »Kelten« und »Römern« keine anderen ethnischen Gruppen in dieser Ausstellung mit Namen versehen oder besprochen werden und insbesondere, dass diese beiden Gruppen im Narrativ der Ausstellung nicht einander als feindliche Zivilisationen gegenübergestellt werden, sondern zu einer regionalen
33
Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Text 1. Die Kelten, AV-Station in Raum 2.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
Lebensform verschwimmen. Das Verhältnis von sognannten Kelten im Gebiet des heutigen Saarlandes zu sogenannten Römern wird als fließender Prozess der Assimilation dargestellt. Die Ausstellungstexte machen ebenso wie die Auswahl der Exponate – beispielsweise die Götterdarstellungen, die die Verbindung des römischen Pantheons mit der keltischen Götterwelt demonstrieren – deutlich, dass die kulturellen Einflüsse der »römischen Zivilisation […] eine eigenständige Lebensform mit ausgeprägtem regionalspezifischem Charakter«34 entstehen ließ. Das Narrativ der Ausstellung stellt also die sozialen Entwicklungen in der frühen Eisenzeit nicht als Abfolge von ethnisch oder gar genetisch unterschiedlichen Kulturgruppen, sondern als relativ friedlichen kulturellen Austausch- und Angleichungsprozess solcher Gruppen dar. Da auf die Ausstellungsbereiche zur provinzialrömischen Eisenzeit nur noch die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sammlungsstücke in der benachbarten Schlosskirche folgen, endet das Narrativ der Ausstellung im Hinblick auf die ethnische Identität der Menschen im Gebiet des heutigen Saarlandes mit dieser Darstellung einer gewissermaßen keltisch-römischen Bevölkerung. Aus Sicht von Besucher:innen kann also der Eindruck entstehen, dass die heutigen Einwohner:innen der Region – sofern sie oder ihre Familien keine bekannte Zuwanderungsgeschichte haben – auf diese beiden sogenannten Kulturgruppen zurückgehen. Mit den Prunkobjekten der Ausstellung, wie beispielsweise dem Inventar des Fürstinnengrabs aus Reinheim, den Bronzestatuetten aus Schwarzenacker und den Wandmalereien aus Mechern, wird vermittelt, dass das Gebiet des heutigen Saarlandes in früheren Zeiten wohlhabend und von überregionaler Bedeutung war. Des Weiteren wird damit suggeriert, dass sich das Bundesland mit Blick auf seine Bedeutung in ur- und frühgeschichtlichen Zeiten und hinsichtlich der Bedeutung seiner Funde mit anderen Bundesländern, insbesondere denen im Südwesten Deutschlands, messen kann. In den Texten tritt die Anbindung der Gegenwart an die Vergangenheit besonders deutlich hervor, vor allem bezüglich der Themen Bergbau und Keramikherstellung. Es wird impliziert, dass sich wesentliche Wirtschaftszweige des heutigen Landes auf urund frühgeschichtliche Tätigkeiten in diesem Gebiet zurückführen lassen und somit jahrtausendealte Traditionen darstellen. Die Vernetzung des Gebietes mit anderen, zum Teil weit entfernten Regionen wird in den Texten ebenfalls häufig betont. Das Saarland wird also als Knotenpunkt Europas dargestellt. Zum Teil wird auch von Galliern im Gebiet des heutigen Saarlandes gesprochen und die »Stämme« der Treverer und der Mediomatriker werden erwähnt – auf deren Siedlungen die Städte Trier und Metz zurückgehen. Damit wird impliziert, dass das heutige Saarland einst Teil des Herrschaftsgebietes dieser Gesellschaften war, zu dem auch Teile von Rheinland-Pfalz, Luxemburg und Lothringen gehörten. So wird eine enge kulturelle und (prä-)historische Verbindung zu diesen Nachbarregionen hergestellt, die die Grenzen der modernen Staaten, die in diesem Gebiet heute bestehen, als in kultureller Hinsicht inadäquat erscheinen lässt.35
34 35
Museum für Vor- und Frühgeschichte Saarbrücken, Text 1. Romanisierung, AV-Station in Raum 3. Nebenbei sei hier darauf hingewiesen, dass in der Großregion Saar-Lor-Lux unter anderem der luxemburgische Ort Schengen liegt, nach dem das Schengener Abkommen über die Abschaffung der Kontrollen an europäischen Binnengrenzen benannt ist.
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Kernaussage der Ausstellung ist, dass im Gebiet des heutigen Saarlandes seit dem Paläolithikum Menschen siedeln, die wissenschaftlich, historisch und vor allem künstlerisch wertvolle und bedeutsame Objekte hinterlassen haben. Diese Relikte der saarländischen Vergangenheit sollen als ästhetische und bewundernswerte Kunstwerke wahrgenommen werden. Die Ausstellung vermittelt den Eindruck, dass die Zivilisation in diesem Gebiet besonders ab der Eisenzeit blühte, später auch befördert durch das Römische Reich. Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Region haben der Ausstellung zufolge vor allem der Bergbau und die Keramikproduktion beigetragen, ebenso wie die gut ausgebaute Infrastruktur, die Austausch mit anderen Regionen in ganz Europa ermöglichte. Das Saarland war den Ausstellungstexten zufolge seit der Vorzeit europaweit vernetzt und ein Knotenpunkt, an dem vielfältige, vor allem westeuropäische Einflüsse aufeinandertrafen. Bemerkenswert ist gerade angesichts der Thematisierung von Herstellungstechniken und Rohstoffgewinnung in dieser Ausstellung, dass die Präsentation der Objekte nicht etwa deren Gebrauchsfunktion unterstreicht, sondern vor allem ihre Ästhetik sichtbar machen will. Interessant ist auch die Betonung der paneuropäischen Vernetzung und vor allem der frankophonen Einflüsse. Damit wird vermittelt, dass das Saarland wenigstens in Nachbarschaft, wenn nicht sogar in einer ideellen Verwandtschaft zu Frankreich und Luxemburg steht. Dies trägt zur Identität des Saarlandes als Teil der sogenannten Großregion der Saar-Lor-Lux-Staaten bei, also der Länder und Regionen Saarland, Lothringen, Luxemburg, Wallonien und Rheinland-Pfalz, die in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Tourismus und Soziales grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Besonders auffällig ist letztlich, dass mit dem Bergbau und der Keramikproduktion zwei wichtige Wirtschaftszweige der saarländischen Moderne als jahrtausendealte Traditionen dargestellt werden und somit prägende Elemente der modernen saarländischen Identität in die Vergangenheit zurückverlängert werden.
III.1.3 Keine Inszenierung ist auch eine Inszenierung Das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes hat eine Inszenierungsstrategie gewählt, die für archäologische Museen eher untypisch ist, denn hier wird gänzlich auf illustrative oder spielerische Elemente verzichtet und Text nur sehr spärlich eingesetzt. Franz-Josef Schumacher erklärte, die Ausstellungsmacher hätten »das Objekt in den Mittelpunkt stellen und von allem Ballast drum herum befreien« wollen und hätten deshalb diesen sogenannten Ballast in die AV-Stationen ausgelagert.36 Die Räumlichkeiten der Ausstellung sind entsprechend einheitlich neutral und ohne jede Dekoration gestaltet. Das bedeutet aber nicht, dass hinter der Gestaltung der Ausstellung keine aufwendigen Überlegungen stecken würden. Die Inszenierung ist, so unauffällig und schlicht sie auch daherkommt, das Ergebnis einer präzise kalkulierten Gesamtkonzeption hinsichtlich Farben, Formen, Materialien und Beleuchtung. Die Räume sollen als Projektionsfläche für die wissenschaftlichen Inhalte dienen und die Ästhetik der Exponate unterstreichen, indem sie eine sakrale Atmosphäre schaffen, in der die Exponate als 36
Vgl. Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 469, Zitat ebd.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
Meisterwerke der Kunst und als Designobjekte erscheinen. Ihre Präsentation erinnert an die von Objekten im Schauraum einer Kunstgalerie. Die Herstellung, Gebrauchsweise und Rolle der Objekte bei alltäglichen, profanen oder kultischen Handlungen erschließt sich den Betrachter:innen ohne Fachkenntnisse jedoch nicht immer. Manche Objekte wirken daher wie Mysterien oder zumindest wie Rätsel, die nur von Expert:innen gelöst werden können. Die Verbindung der Objekte zur Alltagswelt heutiger Menschen wird hier nicht aufgezeigt. Die Inszenierung dieser Ausstellung entspricht somit auch den Charakteristika der von Martin Schärer beschriebenen ästhetischen Ausstellungssprache, die für White-Cube-Museen besonders typisch ist. Die ästhetische Ausstellungssprache stelle »die Form der Objekte in den Vordergrund und ermöglicht Kunstgenuß.« Schärer erläutert, dass es sich dabei um eine Art des Ausstellens handele, bei der von den Besucher:innen ein stilles und ehrfürchtiges Bewundern erwartet wird und davon ausgegangen wird, dass die als Kunstwerke präsentierten Objekte durch ihre Ästhetik zu den Besucher:innen sprechen und Sinn vermitteln. Die Objektmenge sei in solchen Ausstellungen eher klein und auf Erläuterungen werde weitestgehend verzichtet. Wenn es überhaupt Texte gebe, seien diese eher optisch zurückgenommen. Die Inszenierung setze vor allem auf hochwertige Materialien, geschickte Positionierung und sorgfältig gewählte Beleuchtung. Für solche Ausstellungen kämen nur Originale infrage.37 Die Dauerausstellung des Museums in Saarbrücken erfüllt diese Kriterien so vollständig wie keine andere Ausstellung eines Archäologischen Landesmuseums in Deutschland. Das Landesmuseum Koblenz weist zwar einige Gemeinsamkeiten in der Präsentation seiner Exponate mit dem Saarbrücker Museum auf, insbesondere mit Blick auf die Vitrinenarchitektur, die Beleuchtung und die Farbgestaltung. Es setzt aber – wenn auch gering dosiert – daneben Texte und Illustrationen ein. Die Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes ist also ein seltenes Beispiel für die Übertragung des White-Cube-Konzepts auf eine archäologische Ausstellung, das im Kontext der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz gesehen werden muss. Diese Institution zeichnet sich durch Sammlungen und Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen und aus unterschiedlichen Objektkategorien in verschiedenen Häusern aus und leidet daher an einer gewissen Profilunschärfe. Es überwiegen allerdings Sammlungen und Ausstellungen zur bildenden Kunst der Moderne, insbesondere zum Impressionismus und Expressionismus. Es darf daher angenommen werden, dass das ungewöhnliche Inszenierungskonzept des Museums für Vor- und Frühgeschichte durch diesen Schwerpunkt beeinflusst wurde und seine Dauerausstellung denen der Kunstmuseen der Stiftung angepasst wurde. Damit wird eine bestimmte Zielgruppe angesprochen, die Kunst bewundern und Ästhetik erfahren will – die Zielgruppe also, die typischerweise auch die anderen Museen der Stiftung besucht. Die Strategie der Ausstellungsmacher:innen kann also der Kundenbindung dienen. Sie hat des Weiteren den Vorteil, dass sie die präsentierten Objekte aufwertet und den Besucher:innen keine inhaltliche Deutung über die der ästhetischen Qualität hinaus aufzwingt. Zwar wird die Rezeption der Objekte durch die Besucher:innen dahingehend beeinflusst, dass die Artefakte der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit als 37
Vgl. Martin R. Schärer, Die Ausstellung, 2003, S. 123f., Zitat S. 123.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
auratische und bewundernswerte Kunstwerke wahrgenommen und wertgeschätzt werden. Eine inhaltliche Interpretation wird jedoch nicht vorgegeben, die Besucher:innen können die Geschichten hinter den Objekten frei assoziieren. Da sich Funktionsweisen, Herstellungstechniken und Bedeutungen vieler Artefakte jedoch nicht nur durch pure Betrachtung erschließen, können sich auch Missdeutungen, Unverständnis und Frustration bei den Besucher:innen einstellen. Ein Museum für Urund Frühgeschichte so zu gestalten wie ein Museum für moderne Kunst setzt voraus, dass Gegenstand, Thema und Aufgabe beider Häuser ähnlich sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Ur- und frühgeschichtliche Artefakte sind gänzlich andere Objekte als Werke der modernen oder der zeitgenössischen Kunst. Sie bedürfen eines anderen Umgangs, stellen hohe konservatorische Anforderungen, haben einen anderen Entstehungs- und Gebrauchskontext und in den meisten Fällen ursprünglich nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen konkret zweckorientierten Sinn als Werkzeuge, Waffen, Gebrauchsgegenstände, Trachtbestandteile und vieles mehr. Zwar können sie im Einzelfall ebenso wie Kunstwerke auf Ideen und Vorstellungen verweisen, zum Nachdenken anregen oder ästhetisch erfreuen, aber sie sind alle Zeugnisse konkreter Praktiken, Techniken und Handlungen in der Vergangenheit. Daher beschränkt sich die Aufgabe eines Museums zur Ur- und Frühgeschichte nicht darauf, Artefakte als ästhetische Objekte zu präsentieren, sondern sie umfasst auch, ihren Kontext zu erschließen und ihn den Besucher:innen zu vermitteln. Das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes versucht dieser Aufgabe durch die Texte und Bilder in den AV-Stationen nachzukommen, aber die Bedienung und umfassende Nutzung dieser Stationen erfordern von den Besucher:innen ein hohes Maß an Eigeninitiative und Motivation. Anstatt die Inhalte niedrigschwellig zu den Besucher:innen zu bringen, müssen diese die Inhalte selbst zusammentragen. Das kann in günstigen Fällen dazu führen, dass Besucher:innen besonders stark zur eigenen Reflexion des ihnen angebotenen Wissens angeregt werden und viel aus der Ausstellung lernen. Es kann aber auch dazu führen, dass sie schnell das Interesse und die Motivation verlieren und die Ausstellung ohne einen positiven Lerneffekt wieder verlassen. Ob ein solcher Lerneffekt eintritt, hängt neben der Art und Weise der Vermittlung von den individuellen Voraussetzungen der Besucher:innen ab. An dieser Dauerausstellung wird besonders augenscheinlich, dass die Entscheidung für eine bestimmte Zielgruppe bei der Konzeption einer Ausstellung unumgänglich ist beziehungsweise dass eine Ausstellung selbst dann nur für eine bestimmte Zielgruppe angemessen ist, wenn sie eigentlich auf keine eng definierte Zielgruppe abgestellt wurde, wie Schumacher und Mönig mit Blick auf diese Ausstellung angaben.38 Für ein erwachsenes Publikum mit ausreichender Vorbildung, einem Interesse an Kunst und Geschichte sowie der Motivation zur Recherche ist diese Dauerausstellung durchaus attraktiv. Die Ansprache anderer Zielgruppen kann jedoch nur durch ergänzende museumspädagogische Programme wie Führungen und Workshops gewährleistet werden. Das Konzept der Ausstellung wurde zwischen 2008 und 2009 entwickelt und entstand somit unter einer anderen als der zum Zeitpunkt des Interviews im Jahr 2019 am38
Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 480; Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 470.
III.1 Die ästhetische Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes – Saarbrücken
tierenden Stiftungsleitung. Vom Sammlungsleiter des Museums und von dem kunstund kulturwissenschaftlichen Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz wird es sehr kritisch gesehen. Der Sammlungsleiter Franz-Josef Schumacher erklärte im Interview: [I]ch hätte lieber bestimmte Informationen noch direkt optisch in der Ausstellung, zum Beispiel in welcher Zeit wir uns hier befinden. Auch die Objektschilder sollten mehr Informationen beinhalten als nur Fundort, Zeit, Eigentümer und Material. Da sollte auch drauf, was das Objekt überhaupt ist. In den Sonderausstellungen machen wir das auch schon so.39 Schumacher würde sich also wünschen, dass der Kontext der Objekte in der Dauerausstellung verstärkt textlich vermittelt würde, und setzt dies bereits in den Sonderausstellungen des Museums um. Auch Roland Mönig unterstützt die Abkehr vom White-CubeStil im Museum für Vor- und Frühgeschichte, den er als »komplett unbefriedigend« bezeichnet. Er räumt ein, dass auch die Sonderausstellungen der letzten Jahre nicht gerade erlebnisorientiert gestaltet worden seien, es sei aber verstärkt auf Vermittlungsformen wie Illustrationen und Fotografien, Mitmachstationen und Texte gesetzt worden. Diesen Ansatz möchte er bei einer in den nächsten Jahren anstehenden Neukonzeption der Dauerausstellung weiter verfolgen. Ein Problem sieht er jedoch in der statischen Innenarchitektur, die mit den fest installierten Einbauten, den Vitrinenwänden und der räumlichen Struktur des Gebäudes die Möglichkeiten der Inszenierung stark einschränke.40 Die Schwächen der aktuellen Dauerausstellung sind den Verantwortlichen der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz also bewusst, jedoch scheint eine Lösung der Problematik für diese sehr vielfältige Institution, deren Schwerpunkt eigentlich auf den Sammlungen zur modernen Kunst liegt, neben ihren übrigen Aufgaben nicht prioritär zu sein. Obwohl die Ausstellung ihrer Inszenierungsstrategie nach zu urteilen keine konkrete Geschichte darstellen soll, wird durch die Auswahl der Exponate, die konsequent chronologische Anordnung derselben sowie durch die Texte der AV-Stationen doch – um hier mit analytischen Begriffen der Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal zu operieren – eine story zur fabula der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit im Gebiet des heutigen Saarlandes vermittelt, die den Besucher:innen vor allem die typische Lebensweise der in den Texten oft genannten »Kelten« und »Römer« beziehungsweise der regionalspezifischen Ausbildung einer provinzialrömischen Bevölkerung als Vorläufer der heutigen Bevölkerung nahebringen soll. Die Definition, Charakterisierung und Benennung von Bevölkerungsgruppen auf der Grundlage von vermeintlich gemeinsamer Kultur, Sprache, Herkunft oder sonstigen ethnischen Kriterien durch die Ur- und Frühgeschichtsforschung wird dabei nicht thematisiert. Die Konstruktion von kulturellen Identitäten und die vereinfachende Verwendung von Begriffen wie »die Kelten« oder »die Römer« wird den Besucher:innen also nicht als problematisches Verfahren vermittelt, das kritisch hinterfragt werden muss. Die Ausstellung verwendet die Begriffe weitestgehend unkommentiert, lediglich im Text »Die Kelten« wird darauf hingewiesen, dass damit
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Ebd., S. 469f. Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 480, Zitat ebd.
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kein homogenes Volk gemeint sei, wobei jedoch die Problematik solcher Kulturgruppenbegriffe nicht weiter thematisiert wird. Die Ausstellung nimmt zwar nicht ausdrücklich Bezug auf eine vermeintliche kulturelle Identität der heutigen Bevölkerung im Saarland, doch hebt sie gezielt Themen hervor, die für das moderne Saarland charakteristisch sind, wie beispielsweise den Bergbau sowie die Beziehungen zu Frankreich und Luxemburg. Vor allem durch die Texte wird vermittelt, dass es sich bei diesen Merkmalen der modernen kulturellen Identität des Landes um jahrtausendealte Traditionen beziehungsweise um ein kulturelles Erbe handele. Das Museum will damit den Zusammenhang zwischen der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit und der Gegenwart aufzeigen. Franz-Josef Schumacher erklärte dies im Interview: [Die Konzeption des Museums] geht davon aus, dass man der Bevölkerung zeigen will, auf welchen Wurzeln die Gesellschaft eigentlich basiert – wie das Ganze sich entwickelt hat. Und es war ein Leitgedanke bei der Konzeption unserer Ausstellung, dass wir zeigen wollen, dass diese Identität auf einen großen Zeitabschnitt zurückgeht und gewachsen ist. Identität passiert ja nicht auf einen Schlag, sondern baut sich auf bestimmten Grundlagen auf. Also das spielt natürlich schon eine Rolle. Es gibt da diesen schönen Spruch: »Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen.« Und das ist ein Hintergrundgedanke, der bei der ganzen Sache mitspielt.41 Das Museum will also ganz bewusst für seine Besucher:innen eine identitätsbildende oder -stützende Funktion einnehmen. Roland Mönig als Vorstand der Stiftung sieht darin auch die Aufgabe eines Museums. Er ist der Ansicht, dass Museen »per se mit der Identität zu tun« haben, weil sie die Gegenwart mit Objekten der Vergangenheit konfrontieren.42 Weiter führt Mönig aus: Ich glaube, dass wir die Objekte weiterhin brauchen werden, weil wir am Objekt zur Erkenntnis kommen, an dem Objekt, zu dem wir zurückkommen, das uns als physischer Gegenstand gegenübertritt und uns ein Gegenüber, einen Anlass für die Reflexion bietet. Das ist mit dem Prozess der Erinnerung ja immer so, nicht nur im gesellschaftlichen Raum, sondern auch in der individuellen Erfahrung. […] Und deswegen sind die Objekte so wichtig.43 In Objekten und Bildern, die mit physischen und historischen Orten verbunden sind und sich deshalb für Prozesse der Identitätsbildung anbieten, sieht Mönig die Überlebensgarantie von Museen.44 Die Arbeit mit Gedächtnis, Erbe und Identität im und durch ein Museum wird bei der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz und ihrem Museum für Vorund Frühgeschichte also bewusst reflektiert und als eine wesentliche Aufgabe begriffen, die die Aufrechterhaltung des Museumswesens insgesamt rechtfertigen soll.
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Franz-Josef Schumacher im Interview, Anhang 1.1, S. 465f. Vgl. Roland Mönig im Interview, Anhang 1.2, S. 477, Zitat ebd. Ebd., S. 477. Vgl. ebd., S. 477f.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
III.2.1 Klassische Bildung mit moderner Technik Anders als die drei übrigen hier analysierten Museen repräsentiert das Rheinische Landesmuseum Trier nicht die archäologische Forschung eines ganzen Bundeslandes, sondern nur die eines Teils von Rheinland-Pfalz, nämlich vorwiegend der Stadt Trier und deren Umgebung. Da dieses Gebiet jedoch ausgesprochen fundreich war und nach wie vor ist, gehören die Sammlung und die Dauerausstellung des Museums nach eigenen Angaben zu den größten und wichtigsten der Archäologie in Deutschland.1 Das Museum wird vom Land finanziert und ist der sogenannten Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz angegliedert, die im Jahr 2007 gegründet wurde. Durch die GDKE sollten die Kultureinrichtungen von Rheinland-Pfalz wirtschaftlicher aufgestellt werden, um das kulturelle Erbe des Landes als Standortvorteil und kulturpolitisches Kapital besser nutzen zu können. Das Rheinische Landesmuseum umfasst seitdem sechs Abteilungen (Direktion, Zentrale Dienste, Sammlungen, Archäologische Denkmalpflege, Römerbauten/ UNESCO Welterbe und Verwaltung GDKE), die sich sowohl um die archäologische Bodendenkmalpflege in einem Gebiet in und um Trier als auch um die Konservierung, Aufbewahrung, Erforschung und Präsentation der Funde und Forschungsergebnisse kümmern. Der Name des Museums geht zurück auf dessen Gründung: Der preußische Staat entschied 1877 gemeinsam mit der rheinischen Provinzialverwaltung, zwei sogenannte Rheinische Provinzialmuseen zu gründen. Während eines davon in Bonn eingerichtet wurde, sollte das in Trier aufgrund der »nördlich der Alpen einzigartigen Baudenkmäler und bemerkenswerte[n] Ausgrabungsfunde in der antiken Augusta Treverorum« nur für den Regierungsbezirk Trier zuständig sein. Ab 1934 hießen beide Museen nicht länger Provinzial-, sondern Landesmuseen.2 Der Namensbestandteil »Rheinisch«, der auf die 1
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Entsprechende Aussagen finden sich beispielsweise auf der Website des Museums unter der Rubrik »Über uns« (vgl. Rheinisches Landesmuseum Trier, Über uns, online) und im Experteninterview (vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 489). Vgl. Jürgen Merten, Kurze Geschichte, 2009, S. 218, Zitat ebd., Hervorhebung i. O.
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ehemalige Rheinprovinz des Staates Preußen zurückgeht, ist jedoch geblieben und weist auf den Dualismus des heutigen Bundeslandes Rheinland-Pfalz hin, das ehemals preußische und bayerische Gebiete vereint. Zugleich suggeriert das Wort heute, dass es sich bei diesem Museum um das Landesmuseum einer als Rheinland bezeichneten, territorial nicht klar definierten und die Grenzen einiger Bundesländer überschreitenden Region handelt, deren einzelne Teilgebiete gewissermaßen durch eine gemeinsame oder einander ähnliche Kultur und Sprache gekennzeichnet sind und die sich dementsprechend von benachbarten Regionen unterscheidet. Obwohl der Name den archäologischen beziehungsweise ur- und frühgeschichtlichen Arbeitsschwerpunkt der Institution nicht zum Ausdruck bringt, hat er nach Angaben der stellvertretenden Direktorin nie zur Diskussion gestanden. Der Kurator Hans Nortmann begründete dies damit, dass in der Sammlung des Museums Fachgebiete wie Archäologie, Kunst und Geschichte ineinander übergingen und dies auch so gewünscht sei.3 Zum Selbstverständnis des Rheinischen Landesmuseums Trier gehört also, dass das Haus sich nicht nur für Archäologie sowie Ur- und Frühgeschichte zuständig sieht, sondern vielmehr die gesamte Kunst- und Kulturgeschichte der Region repräsentieren will. Das wird auch durch die großen Landesausstellungen zum Ausdruck gebracht, die hier ausgerichtet werden und längst nicht nur Archäologie zum Thema haben – zuletzt beispielsweise im Jahr 2018 die Ausstellung Karl Marx. 1818–1883. Leben. Werk. Zeit. Der ehemalige Direktor Hans-Peter Kuhnen vertrat 2002 im Katalog zur Ausstellung Propaganda, Macht, Geschichte – Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus des Weiteren die Auffassung, dass das Museum ein »Fenster nach Westen« und eine »Brücke zu Frankreich« sei, und wandte sich damit gegen eine veraltete Deutung des Hauses als »Bollwerk deutscher Kultur«.4 Zentral für das Selbstverständnis des Museums ist außerdem, dass es von Beginn an nicht nur Ausstellungsraum, sondern auch Forschungsinstitution und »grabendes Museum« war.5 Wie unter anderem im Begleitband zur Dauerausstellung erläutert wird, resultiert seine Sammlung aus Entdeckungen und Ausgrabungen im Trierer Raum seit dem frühen 19. Jahrhundert, die zum großen Teil durch Wissenschaftler:innen des Museums selbst ausgeführt wurden. Bis heute sind einige Archäolog:innen des Landesdenkmalamts sozusagen am Museum stationiert. Anders als das Saarbrücker Museum stellt das Rheinische Landesmuseum archäologische Objekte also nicht nur aus und erforscht sie, sondern es sammelt sie auch. Das Ziel des Museums ist dabei einerseits, die Vergangenheit der Region zu rekonstruieren, und andererseits, die Ergebnisse der Forschungen derart zugänglich zu machen, dass alle Altersgruppen und Gesellschaftsschichten Geschichte erleben und verstehen können.6 Auf diesem Ideal basiert auch der Titel »forum für fundstücke«, der bei der Konzeption der aktuellen Dauerausstellung als Claim gemeinsam mit einem stringenten Corporate Design vertreten wurde. Wie die stellvertretende Direktorin Mechthild Neyses-Eiden im Interview erklärte, sollte damit zum Aus-
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Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 489. Vgl. Hans-Peter Kuhnen, Ausblick, 2002, S. 232. Vgl. Karin Goethert und Mechthild Neyses-Eiden, Bericht der Direktion 2003–2007/08, 2008/09, S. 482. Vgl. Rheinisches Landesmuseum Trier, Sammlungen und Aufgaben, 2009, S. 9.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
druck gebracht werden, dass die Sammlungsobjekte das Herzstück des Museums sind. Der Begriff »Forum« sollte dabei im weitesten Sinne verstanden werden. Das Rheinische Landesmuseum sollte also nicht ausschließlich ein Ort für Fachleute sein, sondern vor allem eine Plattform für wissenschaftliche und kulturelle Veranstaltungen und Begegnungen. Der Claim »forum für fundstücke« und das Corporate Design mussten allerdings bei der Eingliederung des Museums in die GDKE aufgegeben werden. Er ist nur noch auf älteren Publikationen sowie an der Wand des Treppenabgangs zur Dauerausstellung im Museum zu finden.7 Die Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier zeichnet sich durch eine klare Gestaltungslinie aus, die die Exponate, die als Dreh- und Angelpunkt der Institution angesehen werden, in den Mittelpunkt stellt und Kontextinformationen durch einen gezielten Medieneinsatz vermitteln soll. Es werden hier fast ausschließlich Originale ausgestellt, die allerdings in stärkerem Maße als in Saarbrücken durch Texte, Illustrationen und zum Teil auch durch Modelle und audiovisuelle Medienstationen ergänzt sind. Hans Nortmann und Mechthild Neyses-Eiden erklärten, dass die Entscheidung für Originale und gegen Rekonstruktionen und Kopien im Rheinischen Landesmuseum Trier auch bedeute, dass keine simulierten Wirklichkeiten – etwa mithilfe von Dioramen, Rekonstruktionen und Modellen – kreiert würden. Die Originale sollten in den Vordergrund gestellt und »zum Sprechen« gebracht werden. Anders als in Saarbrücken wurde hier dafür aber neben den Objektmontagen auch besonderer Wert auf die farbliche Gestaltung der Vitrinen gelegt.8 Bei der Konzeption der Ausstellung wurde also einerseits bewusst davon abgesehen, ur- und frühgeschichtliche Umwelten zu simulieren, um die Exponate zu kontextualisieren. Andererseits wurden diese aber auch nicht als pure Kunstobjekte im White Cube inszeniert. Vielmehr hat dieses Museum nach einem Weg gesucht, Exponate gleichzeitig ästhetisch und als Gebrauchsobjekte zu präsentieren. Darüber hinaus geht aus internen Konzeptpapieren hervor, dass bei der Planung der Ausstellung eine hohe wissenschaftliche Qualität und Seriosität und gleichzeitig ein besucherorientierter, niedrigschwelliger Zugang zu den dargebotenen Inhalten mittels didaktischer Maßnahmen angestrebt werden sollte. Daher wurde auch besonders viel Mühe in die Ausstellungstexte investiert, die im folgenden Teilkapitel neben weiteren Medienformen der Ausstellung einer Analyse unterzogen werden.9 Zu einem bedeutenden Institut der Altertumskunde wurde das Museum bereits unter seinem ersten Direktor Felix Hettner, der für eine Professionalisierung der archäologischen Forschung in Trier sorgte. 1889 war das zweckentsprechend neuerrichtete Museumsgebäude in der Ostallee (heute Weimarer Allee) fertiggestellt und konnte bezogen werden. Es war als ein »repräsentatives schlossartiges Gebäude […] im Stil der Renaissance errichtet, die in architekturtheoretischer Sicht zu einem Antikenmuseum besonders passend erschien«, wurde also bewusst dem Thema der Sammlung entsprechend gestaltet (s. Abb. 8).10 Zwischen 1904 und 1926 wurde das Museum zweimal erweitert, um zusätzliche Ausstellungs- und Verwaltungsräume zu gewinnen.
7 8 9 10
Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 488f. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 484f., Zitat S. 485. Vgl. ebd., S. 483f. Vgl. Jürgen Merten, Kurze Geschichte, 2009, S. 219f., Zitat S. 220.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Abb. 8: Das Hauptgebäude des Rheinischen Landesmuseums Trier von Osten gesehen; die Anbauten sind aus dieser Perspektive nicht sichtbar, denn sie befinden sich hinter dem Hauptbau und rechts vom Bildausschnitt. (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer)
Schließlich kam es auch inhaltlich zu einer Erweiterung des Sammlungsprogramms und der Ausstellungsinhalte. 1935 wurde Wilhelm von Massow von der Kulturabteilung der rheinischen Provinzialverwaltung zum neuen Museumsdirektor berufen und unter ihm wurde ein Programm zur Ausgrabung von prähistorischen Befestigungsanlagen und Hügelgräberfeldern ausgearbeitet. Auch die Sammlungen zur Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit wurden unter von Massow ausgebaut. Durch die Forschungsprogramme zur Eisenzeit oder zum Mittelalter wurde die bis dahin dominierende provinzialrömische Archäologie jedoch nicht eingeschränkt, sondern lediglich ergänzt.11 Bedenkt man, dass zur Zeit der NS-Herrschaft die klassische und die provinzialrömische Archäologie als unpatriotisch galten und in der Kritik standen, wird augenscheinlich, wie bedeutsam dieses Detail in der Forschungs- und Ausstellungstätigkeit des Museums ist. Da das Gebäude des Rheinischen Landesmuseums in seiner 130-jährigen Geschichte mehrfach umgebaut und erweitert wurde, bildet es heute einen heterogenen, verwinkelten Komplex, der verschiedene Baustile und -materialien vereint. Unterschiedliche Bodenniveaus und asymmetrische Raumformen erschweren eine schematische Darstellung (s. Abb. 9), durch Aufzüge sind aber alle Bereiche rollstuhlgerecht gestaltet.
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Vgl. ebd., S. 221.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
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Abb. 9: Gebäudeplan des Rheinischen Landesmuseums Trier, Untergeschoss (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Grafik: Franz-Josef Dewald)
Die Dauerausstellung ist auf drei Stockwerke verteilt: das Untergeschoss, das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss des Museumsbaus. Daneben umfasst der frei stehende Komplex noch ein großes Foyer, Garderoben, einen Museumsshop, Waschräume, Räume für Sonderausstellungen, Werkstätten, Verwaltungsbüros und Veranstaltungsräume der Museumspädagogik. Der Bau liegt in der Trierer Innenstadt in unmittelbarer Nachbarschaft zu weiteren Sehenswürdigkeiten, nämlich dem Kurfürstlichen Palais und der Konstantinbasilika im Norden, dem Palastgarten im Westen und den Kaiserthermen im Süden. Die Lage des Museums ist also sowohl verkehrsgünstig als auch (prä-)historisch prominent. Das Hauptgebäude mit seiner historisierenden Fassade wirkt imposant und autoritär, der Neubau im Nordwesten dagegen ist mit seinen großen, raumhohen Fensterfronten großzügig, hell und weit. Da vom Palastgarten aus die Ausstellungsbereiche und Werkstätten im Neubau eingesehen werden können, vermittelt der Komplex den Eindruck von wissenschaftlicher Professionalität, Transparenz und Integrität.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Die Innenarchitektur ist aufgrund der komplexen Baugeschichte zwar nicht vollkommen einheitlich, aber doch weitestgehend angeglichen und neutral. Sie bietet eine Art »weiße Leinwand« als Hintergrund für die Ausstellungsarchitektur, die sich in jeden Raum abhängig von dessen architektonischen Gegebenheiten einfügt und die unterschiedlichen Räume und Gebäudeteile einander optisch weiter angleicht. Fast immer entspricht ein Raum auch einem thematischen Bereich der Ausstellung. Da die Räume unmittelbar aneinandergrenzen, müssen Besucher:innen sie zwangsläufig in der vorgegebenen Reihenfolge durchqueren und können kaum einen Abschnitt der Ausstellung auslassen. Vor allem im Erdgeschoss sind viele Ausstellungsbereiche nicht nur durch die Innenarchitektur des Gebäudes voneinander getrennt, sondern oft auch durch Elemente der Ausstellungsarchitektur. Die Besucher:innen werden also sowohl durch die Gegebenheiten des Baukomplexes als auch durch die Ausstellungarchitektur in ihren Bewegungen gesteuert und auf einem Rundweg durch die Dauerausstellung geleitet. Hinweise an den Wänden der Ausstellungsräume zeigen zusätzlich den Weg zum konzeptionell folgenden Raum an. Innerhalb der einzelnen Ausstellungsräume wird den Besucher:innen aber kein genau abgesteckter Weg vorgegeben. Der Ein- und Ausgang des Gebäudes ist zentral im Altbau beziehungsweise Haupthaus des Museums gelegen und führt vom Vorplatz an der Weimarer Allee kommend über zwei aufeinanderfolgende Treppen hinauf in ein großes Foyer. An dessen Rückseite führt eine große Treppe hinauf zu den Räumen für Sonderausstellungen. Links und rechts daneben führen Treppen hinunter in die Dauerausstellung. Der Beginn des Rundgangs durch die Ausstellung ist dort an den Wänden ausgeschildert. Des Weiteren gehen vom Foyer mehrere Räume ab. Linker Hand befindet sich ein Raum mit Garderobe, Schließfächern und einem Tresen zur Information sowie zur Ausgabe und Rücknahme von Audioguides. Daneben, vor der Treppe zur Ausstellungsebene, ist in einem Raum das sogenannte Forum eingerichtet. Dort werden einige Sammlungsobjekte gezeigt und durch Texte ergänzt, die die Sammlung und die Geschichte des Museums schlaglichtartig vorstellen und somit gewissermaßen als Prolog zur Einstimmung auf den bevorstehenden Ausstellungsbesuch dienen. Der Raum könnte, in Anlehnung an Werner Hanak-Lettner, der Ausstellungen mit Dramen vergleicht, auch insgesamt als Parodos betrachtet werden. Der dort neben der Tür angebrachte Raumtext soll daher im folgenden Teilkapitel einer Analyse unterzogen werden. Auf der rechten Seite des Foyers befindet sich der Museumsshop sowie ein Ausstellungsraum, der – folgt man dem vorgegebenen Rundgang – der letzte der Dauerausstellung ist. Ich möchte nun wie in Kapitel III.1 vorgehen und die Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier zunächst beschreiben und analysieren. Sie ist in insgesamt 19 Abschnitte oder Bereiche gegliedert, die weitestgehend chronologisch geordnet und mit Titeln und Nummern versehen sind. Der Rundgang durch die Ausstellung ist ausgewiesen, indem an einer Wand eines Ausstellungsraumes die Nummer und der Titel des jeweils nächsten Abschnitts angegeben sind und ein Pfeil in die entsprechende Richtung weist. Besucher:innen erhalten dadurch auch schon eine stichwortartige Vorankündigung zum Thema des folgenden Raumes. Innerhalb der einzelnen Ausstellungsbereiche sind die Exponate meist jedoch nicht streng chronologisch, sondern thematisch angeordnet. Die meisten Ausstellungsbereiche sollen eine bestimmte Epoche präsentieren; eine Ausnahme davon stellt jedoch die Phase der römischen Verwaltung des Gebiets dar,
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
die in mehreren Räumen ausgestellt ist. In diesen wird die Chronologie aufgebrochen, sodass die Ausstellungsbereiche weniger chronologisch als vielmehr thematisch konzipiert erscheinen. Ähnlich wie in Saarbrücken verlangsamt sich gewissermaßen das Erzähltempo in diesen Abschnitten der Ausstellung und so nimmt eine Phase von wenigen Jahrhunderten wesentlich mehr Platz ein als beispielsweise Paläo-, Meso- und Neolithikum zusammen, die viele Jahrtausende umfassen. Grund dafür ist, dass in der Sammlung des Museums römerzeitliche Objekte deutlich dominieren, denn aus dieser Epoche haben sich in und um Trier besonders viele Relikte erhalten. Mechthild Neyses-Eiden erklärte, aus praktischen Gründen hätten einige Themen wegfallen müssen, die in der ursprünglichen Konzeption der Ausstellung vorgesehen gewesen seien, die Dauerausstellung stelle aber einen weitestgehend repräsentativen Schnitt der Sammlung dar. Wichtig sei den Ausstellungsmacher:innen bei der Planung auch gewesen, alle Ausstellungsbereiche durch einen roten Faden zu strukturieren und die Fülle der Themen und Informationen zu begrenzen. Hans Nortmann sieht darin, also in der Auswahl der zentralen Aspekte für eine Präsentation, neben der fachspezifischen Detailarbeit eine wesentliche Aufgabe von Fachleuten.12 Als roter Faden wurden sogenannte Schlüsselobjekte ausgewählt, anhand derer mit audiovisuellen Medienstationen Methoden der Archäologie erläutert werden. Kurze Filme, insgesamt zwölf an der Zahl, geben so Einblick hinter die Kulissen des Museumsalltags, stellen Wissenschaftler:innen und Mitarbeiter:innen des Museums vor und erklären deren Arbeit, wie zum Beispiel die dendrochronologische Datierung von Holzfunden. Jedem Themenbereich der Ausstellung ist eine eigene Farbe zugeordnet, in der jeweils die Innenwände oder Oberflächen von Vitrinen und Sockeln gehalten sind (s. Abb. 10). Der Rest der Ausstellungsarchitektur ist fast durchgehend weiß und nur in wenigen Ausnahmen schwarz. Die Themenfarben sind nicht spektral geordnet, das heißt beispielsweise, dass auf einen Bereich mit der Farbe Gelb nicht automatisch ein Bereich mit der Farbe Orange oder Grün folgt. Auch werden unterschiedliche Schattierungen einer Farbe nicht immer in aufeinanderfolgenden Bereichen eingesetzt. Grüntöne tauchen beispielsweise sowohl im Bereich zum frühen Mittelalter (15) als auch in dem zur Frühen Neuzeit (19) auf. Dazwischen sind die Ausstellungsbereiche zum Hochund Spätmittelalter in Magenta und Rot gehalten. Dennoch wurden die Farben nicht willkürlich gewählt. Aus internen Konzeptpapieren geht hervor, dass sie zum Teil von der Umwelt in der jeweiligen Epoche abgeleitet wurden. Die blaugrünen Töne der ersten Räume zur Steinzeit sollen beispielsweise Eis suggerieren und so an die letzte Eiszeit erinnern, die Orange- und Rottöne der Räume zur Eisenzeit und Antike sind dagegen vom Einsatz von Feuer in der Metallurgie abgeleitet und die Magentatöne der Räume zum Mittelalter verweisen auf die Bedeutung der Farbe in der christlichen Liturgie. Des Weiteren kann beobachtet werden, dass die Farben der Ausstellungsarchitektur oft im Kontrast zu den Farben der Exponate im jeweiligen Bereich stehen. Das dunkle Blaugrün im Bereich (1) beispielsweise kontrastiert gut mit der Elfenbeinfarbe der dort präsentierten Tierknochen und das kräftige Orange im Raum (4) ist fast komplementär zur grünlichen Patina der dortigen Metallobjekte. Durch solche komplementären
12
Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 483.
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Arrangements scheinen die Farben und Materialien der Exponate besonders kräftig hervorzutreten. Die Ausstellungsarchitektur ist weitestgehend gleichmäßig, geradlinig, schlicht und zeitlos gestaltet. Ähnlich wie in Saarbrücken bieten ihre Farben und die geometrischen Formen einen neutralen Rahmen für die Exponate und machen diese von vielen Seiten gut sichtbar. Dabei werden jedoch nur in seltenen Fällen einzelne Exponate oder Exponatgruppen besonders hervorgehoben. Die Aufmerksamkeit von Betrachter:innen wird angesichts der einheitlich gestalteten Ausstellungsarchitektur vor allem dann erregt, wenn Vitrinen ungewohnte Formen haben – wie zum Beispiel kreisförmige oder dreieckige Schaukästen – oder wenn Exponate ohne weitere Objekte in einer zentralen Vitrine platziert sind – wie beispielsweise die Silberkanne in Ausstellungsbereich (14). Unter den verwendeten Materialien dominieren lackiertes Holz beziehungsweise Pressspan und Glas, während Metall hier im Unterschied zur Saarbrücker Ausstellung kaum sichtbar eingesetzt wird. Zur Beleuchtung der Räume und Exponate werden neben indirekter Vitrinenbeleuchtung vor allem verstellbare Strahler auf an der Decke montierten Schienen eingesetzt. Die Vitrinenbeleuchtung ist meist in den Seitenwänden oder Deckeln, in manchen Fällen aber auch in den Bodenplatten installiert. Zum Teil sind auch Texte, Fotos oder Illustrationen von hinten beleuchtet, sodass sie selbst zu strahlen scheinen. Das Licht hat in der Regel einen hellen weißen Ton mit nur geringen gelblichen Anteilen. Des Weiteren fällt in die meisten Ausstellungsräume viel natürliches Licht, insbesondere in die Bereiche im Neubau, die sich durch große Fensterfronten zum Palastgarten und zum Vorplatz des Museums auszeichnen. Die Exponate werden somit klar, neutral, gleichmäßig und deutlich beleuchtet. Dadurch entsteht eine Atmosphäre der wissenschaftlichen Transparenz und Zuverlässigkeit. Trotzdem wirken manche Bereiche der Dauerausstellung heller als andere, teils durch das natürliche Licht, teils als ein Effekt der Objekte selbst. Beispielsweise reflektieren die hellen Steindenkmäler in Bereich (6) das vorhandene Licht stärker als die Metall- und Keramikobjekte in den Vitrinen in Bereich (4). Auffallend ist, dass die Bereiche zur provinzialrömischen Zeit mit wesentlich mehr natürlichen Lichtquellen ausgestattet und dadurch heller sind als die Bereiche zur Stein- und Bronzezeit sowie die zum Mittelalter und zur Neuzeit. Das liegt zum Teil an den baulichen Gegebenheiten, wird aber auch durch die farbliche Gestaltung der Räume verstärkt, wie ich später noch erläutern werde. Besonders hervor sticht der Tresorraum des Münzkabinetts, das dunkel und mit gedämpftem goldgelblichem Licht gestaltet ist, welches den Glanz der Münzen verstärkt. Der Mosaiksaal (8) kreiert mit seiner Beleuchtung und der rostroten Wandfarbe die Atmosphäre einer römischen Villa.
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Abb. 10: Zwei Beispiele für die Themenfarben; links: Blick in den Ausstellungsbereich (2) »Der Mensch wird sesshaft« (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer); rechts: Blick in den Ausstellungsbereich (4) »Die Welt der Kelten« (Foto der Verfasserin)
Aufgrund der weitestgehend chronologischen Gliederung beginnt die Dauerausstellung im Untergeschoss des Baus mit dem Bereich (1) »Spuren der ersten Menschen«, in dem Paläo- und Mesolithikum ausgestellt werden. Im Besonderen geht es hier um das Leben der ersten Menschen in der Alt- und Mittelsteinzeit, vor allem um die damalige Umwelt, die Nahrungsbeschaffung und die Herstellung von Werkzeugen aus Stein. Zu diesem Raum führt eine Treppe hinunter, zu deren Seiten abgestufte Sitzflächen und Vitrinenwände installiert sind. Neben Vitrinen mit Steinwerkzeugen sind hier auch Illustrationen und Bereichstexte angebracht. Am Fuß der Treppe ist, auf der rechten Seite, auf einer leicht durchscheinenden milchigweißen Acrylglasplatte der Raumtext aufgedruckt. Die Gestaltung der Texte ist in fast allen Bereichen der Ausstellung identisch und die Raumtexte sind stets in unmittelbarer Nähe des Eingangs installiert. Links von der Treppe hängt ein Gebäudeplan des Museums, in dem die einzelnen Ausstellungsbereiche verzeichnet sind. Im eigentlichen Ausstellungsraum (1) ist eine große frei stehende Vitrinenwand aufgebaut, in der in mehreren Vitrinen Knochen von Tieren ausgestellt sind, die während der letzten Eiszeit im mitteldeutschen Raum lebten. Zeichnungen dieser Tiere und kurze Texte sind auf milchigweiße Kunststoffplatten aufgedruckt, die von hinten beleuchtet werden. Auch vor den Rückwänden dieses Raumes stehen solche Vitrinenwände, in denen neben Knochen auch Zähne und kleine Steingeräte, sogenannte Mikrolithen, ausgestellt sind. In drei Stelenvitrinen liegen Feuersteine und Quarze. Solche Stelenvitrinen befinden sich auch in anderen Räumen und zeigen die Rohmaterialien, die die jeweilige Epoche besonders geprägt haben. Im Ausstellungsbereich (2) »Der Mensch wird sesshaft« wird das Neolithikum thematisiert, insbesondere die neuen Techniken und Lebensweisen, die sich in dieser Zeitphase langsam auf dem europäischen Kontinent etablierten, wie Sesshaftigkeit, Keramikherstellung, Ackerbau, Handel und Austausch sowie Herstellung von polierten und geschliffenen Steingeräten. Die Ausstellungsarchitektur umfasst hier vor allem an den Wänden hängende Schaukästen, Blockvitrinen sowie, in der Mitte des Raumes, eine Insel aus acht Vitrinen und dazwischenliegenden unebenen Flächen aus geometrisch zugeschnittenen Blöcken (s. Abb. 10, links). Eine Karte Europas zeigt weitreichende Tauschnetzwerkbeziehungen der Menschen zu dieser Zeit. In einer Ecke des Raumes werden die Nutzung und Schäftung neolithischer Äxte, von denen in der Regel nur die Klingen erhalten sind, veranschaulicht, indem der Nachbau eines solchen Werkzeugs neben
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mehreren durchtrennten Baumstämmen gezeigt wird. Illustrationen an einigen Wandpaneelen zeigen unter anderem eine einfache, an Höhlenmalerei erinnernde Zeichnung von jagenden Menschen. Links vom Eingang zu diesem Raum ist die erste der zwölf Videostationen installiert, die die Spezialdisziplin der Archäobotanik vorstellt sowie deren Anwendungsmöglichkeiten und Nutzen für die Ur- und Frühgeschichtsforschung erklärt. Im folgenden Ausstellungsbereich (3) »Schwerter – Urnen – Opfergaben« stellt eine Videostation die Dendrochronologie vor. In der Mitte des Raumes sind in zwei Blockvitrinen hölzerne Quelleinfassungen ausgestellt, die die Schlüsselobjekte dieses Raumes sind und somit mit der Videostation korrespondieren. An drei Wänden des Raumes sind Vitrinenwände installiert. Eine davon ist besonders auffällig: Sie besteht aus uneben zusammengesetzten dreieckigen Flächen, die vier ebenfalls dreieckige Vitrinen einrahmen und eine Art facettenreiche Landschaft bilden (s. Abb. 11).
Abb. 11: Blick in den Ausstellungsbereich (3) »Schwerter, Urnen, Opfergaben«
In drei Stelenvitrinen links vom Eingang zu diesem Ausstellungsbereich werden Kupfererze gezeigt. Weitere Block- und Stelenvitrinen sowie hängende Vitrinen zeigen vor allem Bronzeobjekte und Urnengrabinventare. Die hervorstechenden Themen sind hier also die aufkommende Metallurgie und die Bestattungssitten der Bronzezeit. Über einige Treppenstufen gelangt man von diesem Raum hinauf in den Ausstellungsbereich (4) »Die Welt der Kelten« und damit zur Präsentation der Eisenzeit (s. Abb. 10, rechts). Zwei Stelenvitrinen rechts neben dem Eingang zeigen dementsprechend Schlacken, Eisenerz und Holzkohle, also Rohstoffe und Produkte der Eisenver-
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hüttung. Durch die Vitrinenarchitektur ist der Raum in zwei Abschnitte unterteilt. Im ersten sind in Vitrinenwänden, hängenden Vitrinen und Blockvitrinen vor allem Grabinventare ausgestellt. In der Mitte steht eine Vitrineninsel, auf der neben Schaukästen, Texten und Grafiken auch das topografische Modell einer Landschaft bei Horath im Hunsrück installiert ist, aus der einige der gezeigten Funde stammen. Über oder neben vielen der Vitrinen sind in die Ausstellungsarchitektur Karten integriert, die die Verteilung von Funden anzeigen, die demselben Typ angehören wie die in den Vitrinen ausgestellten Exemplare. An der Videostation dieses Raumes können Besucher:innen sich über die Arbeitsweise und Anwendungsgebiete der Anthropologie und Paläodemografie informieren und erfahren, welche Erkenntnisse selbst noch aus Leichenbrand gewonnen werden können. Die Themen dieses Raumabschnitts sind also in erster Linie Bestattungssitten, die Verarbeitung des neuen Werkstoffs Eisen und die Formensprache der materiellen Kultur dieser Zeit, aus der ein keltischer Stil abgeleitet wird. Im hinteren Bereich dieses Ausstellungsraumes ist das dominierende Thema das Siedlungswesen im Gebiet rund um Trier. Zwar werden auch hier zum Teil Grabinventare gezeigt, aber auch Alltagsgegenstände wie Siedlungsabfälle, Amphorenscherben, Rasseln, Schmuck und Münzen. Neben diesen Originalobjekten werden hier außerdem Sekundärexponate13 eingesetzt: Modelle von Häusern, Wehrmauern und Oppida stehen auf Sockeln oder sind an den Wänden installiert. Ein Foto zeigt eine Luftaufnahme des Oppidums in Kastel und auf einer Karte sind Siedlungen verzeichnet, die den Treverern zugeschrieben werden. Folgen Besucher:innen dem Rundgang nun weiter in den nächsten Ausstellungsraum, stoßen sie zunächst auf ein großes römisches Grabmal. Rechts von diesem Steindenkmal liegt der sogenannte Neumagener Saal, der in einem weiten Bogen verlaufend den südlichen Flügel des Museumskomplexes mit dem im Norden liegenden Neubau verbindet (s. Abb. 9). Links vom römischen Grabmal ist der Bereich (5) »Ein Keltenstamm wird römisch« eingerichtet. Schaukästen, die in Vitrinenwänden und einer Vitrineninsel installiert sind, zeigen dort Funde aus römischen Militärlagern, Gräbern und Siedlungen. Auch große Steindenkmäler und Architekturelemente sind hier aufgestellt. Es geht vor allem um die römische Eroberung des Gebiets um Trier, um das römische Militär, um kulturelle Einflüsse und die langsame Assimilierung der Bevölkerung während des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. Diese Themen werden hier nicht nur durch die Exponate und die üblichen Ausstellungstexte vermittelt, sondern auch durch Originaltexte aus der Zeit: Neben dem Raumtext sind auf großen Wandpaneelen Zitate aus Gaius Iulius Caesars Bellum Gallicum aufgedruckt, die dessen Kampf gegen die Treverer schildern. Zusätzlich sind dort auch eine Karte Westeuropas, einige Münzen in einer Vitrine sowie ein Bereichstext installiert. Der Neumagener Saal ist benannt nach den Grabdenkmälern, die in der Gemeinde Neumagen entdeckt und hier aufgestellt worden sind. Solche Grabdenkmäler wurden an den Ausfallstraßen römischer Siedlungen errichtet und dienten der Repräsentation des sozialen Status ihrer Stifter. Durch die große Fensterfront des Saals können Besucher:innen auch in den Innenhof des Museumsbaus blicken, in dem ein detailgetreuer Abguss
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Vgl. zu diesem Begriff Teilkapitel II.2.3, S. 168f.
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der sogenannten Igeler Säule steht, eines Pfeilergrabs, dessen Original bis heute an seinem ursprünglichen Standort im Dorf Igel besichtigt werden kann. Eine Texttafel hierzu ist so platziert und gestaltet, dass man sie vom Saal aus durch die Fenster lesen kann. Der Abguss im Innenhof und die Grabmäler im Saal bilden somit zusammen den Ausstellungsbereich (6) »Römische Grabmonumente«, in dem es jedoch nicht nur um die römischen Bestattungssitten, sondern auch um das Leben der Bevölkerung in der römischen Provinz geht, denn die Motive der Grabdenkmäler bilden zu einem großen Teil Berufe und den Alltag ihrer Stifter ab. Dieser Raum hat keine Themenfarbe. Die Monumente stehen entweder frei im Raum oder auf weißen Sockeln. Da viele davon nur fragmentarisch erhalten sind, wurden sie entsprechend ergänzt, wobei die Ergänzungen zum Teil auch farbig bemalt wurden. An den Sockeln einiger Exponate sind auch Rekonstruktionszeichnungen angebracht und auf die Wand hinter dem sogenannten Neumagener Weinschiff, einem Steinmonument, das ein mit Weinfässern beladenes Schiff darstellt, ist der Schattenriss einer Gräberstraße aufgemalt (s. Abb. 12). Zwei Durchgänge führen von diesem Raum in den dahinter liegenden Ausstellungsbereich (7). Eine Videostation erläutert die Methoden der Geophysik, der Oberflächenprospektion und der elektromagnetischen Untersuchungen, die ein wichtiger Bestandteil der archäologischen Forschung sind und Ausgrabungen vorausgehen.
Abb. 12: Das sogenannte Neumagener Weinschiff und dahinter der Schattenriss einer Gräberstraße
In dem schmalen, leicht geschwungenen Raum hinter dem Neumagener Saal werden Exponate zum Thema »Religio Romana – Römische Religion« gezeigt. Es geht vor allem
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um die römische Götterwelt, den Mysterienkult und die Verschmelzung der römischen mit der keltischen Religion zum gallo-römischen Glauben. Entlang der äußeren Wand stehen vor allem Steindenkmäler, während an der inneren Wand des Raumes Vitrinen aufgehängt sind, in denen kleinere Exponate wie zum Beispiel Statuetten, Votivgaben und Gefäße gezeigt werden. An einem Ende des Raumes sind zudem die Überreste eines Tempelbezirks und am anderen Ende Vitrinen und eine Videostation aufgestellt. Das Schlüsselobjekt ist hier ein Fluchtäfelchen, anhand dessen die Methoden der Paläografie und der Epigrafik vorgestellt werden, mit denen die Inschrift des Täfelchens entschlüsselt werden kann. Im Bereich (8) »Römische Mosaike« sind insgesamt neun Mosaikböden sowie eine Wandmalerei installiert. Wie der Neumagener Saal hat auch dieser Raum keine Themenfarbe; stattdessen sind die Wände hier in einem Rostrot gestrichen. Die ansonsten einheitliche Inszenierungsstrategie der Ausstellung wurde hier aufgebrochen, da die monumentalen Mosaike nur unter großem Aufwand bewegt werden können und hohe konservatorische Ansprüche stellen. Der Bereich wurde zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Dissertation jedoch sukzessive renoviert und die Mosaike wurden einer Restauration unterzogen. Ihre Motive werden mit Texttafeln erläutert. Mit dem Bereich (9) »Das Land – Wirtschaft und Verkehr« betreten Besucher:innen den Neubau im Norden des Gebäudekomplexes. Rechts vom Eingang steht eine Videostation, auf der die Untersuchung von Fundstücken und deren Herstellungstechnik am Beispiel eines Bronzekessels erklärt wird, der in einer Vitrine daneben ausgestellt ist. Links vom Eingang hängt an der Wand eine Reproduktion der Tabula Peutingeriana, einer antiken Weltkarte, auf der auch Trier verzeichnet ist. Die in diesem Bereich inszenierten Exponate sind größtenteils steinerne Architekturelemente, Keramik, Glas und eiserne Werkzeuge, beispielsweise solche zur Wollverarbeitung. In einer Blockvitrine sind Wagenteile ausgestellt und ein Geländemodell veranschaulicht die römische Siedlungslandschaft an der Mittelmosel. Vor einer großen Fensterfront ist ein Karree aus Hermen, also Pfeilern mit Büstenköpfen, aufgestellt. Diese Hermen umrahmten ehemals das Wasserbecken auf dem Gelände einer römischen Villa in Welschbillig. An einer Säule hängt ein Foto der Ausgrabung, bei der sie entdeckt wurden und in ihrer Mitte steht ein Modell des Wasserbeckens. Außerdem werden in diesem Teil des Ausstellungsraumes unter anderem landwirtschaftliche Geräte, Steinreliefs und -denkmäler, Weingefäße, Rebmesser, ein Grabmal, Werkzeug zur Holzverarbeitung und das Modell einer Doppelkelteranlage in Vitrinen gezeigt. Eine Videostation informiert über römische Villen und den Ackerbau zu römischer Zeit. Thema dieses Raumes ist also das Leben in der römischen Provinz rund um Trier, insbesondere Ackerbau, Weinanbau und -genuss sowie Holz- und Wollverarbeitung. Der hintere Teil dieses Raumes bildet den Ausstellungsbereich (10) »Im Zeichen der Antike«, in dem der große Grabaltar des Christoph von Rheineck aus dem 16. Jahrhundert aufgestellt ist. Außerdem sind hier ein Modell des Altars im rekonstruierten Gesamtzustand sowie die Platte eines Bildertischs zu sehen. Thematisiert wird damit das Aufgreifen antiker Motive und Themen in der Renaissance sowie im Barock. Damit wird hier die chronologische Gliederung der Ausstellung stark aufgebrochen und rund 1200 Jahre vorgegriffen. Jedoch wäre eine Platzierung des Altars an anderer Stelle angesichts seiner Ausmaße und seines Gewichts aus statischen Gründen nicht möglich.
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Besucher:innen haben nun alle Bereiche des Untergeschosses gesehen und werden vom Leitsystem eine Steintreppe hinauf ins Erdgeschoss geführt. Im Erdgeschoss geht die Dauerausstellung mit Bereich (11) »Augusta Treverorum – Gründung und Aufstieg der Stadt« weiter. Besonders dominant sind hier die hölzernen Brückenpfähle aus dem Fundament der Trierer Moselbrücke. Weitere Exponate wie eine Sitzstatue der Juno, Münzen, Wandmalereien, Glas- und Keramikgefäße, Fibeln und Öllampen können als Relikte des alltäglichen Lebens im römischen Trier betrachtet werden. Die Gründung und Entwicklung der Stadt, verschiedene Bau- und Wohnformen sowie öffentliche Einrichtungen wie die Barbarathermen sind hier Thema. Eine Karte zeigt die Ausdehnung des Römischen Reichs und Modelle der ersten, zweiten und dritten römischen Moselbrücke in Trier veranschaulichen deren Entwicklung und Bauweise. Des Weiteren sind in diesem Ausstellungsbereich mehrere Steindenkmäler und -reliefs sowie Fragmente von Bodenbelägen, Wandverkleidungen und Statuen aus den Trierer Barbarathermen zu sehen. Einige Glasgefäße sind auf von unten beleuchteten Glasplatten platziert, sodass das Licht durch sie durchscheint und ihre Färbungen sichtbar macht. Es gibt hier gleich zwei Schlüsselexponate mit dazugehörigen Videostationen: Anhand eines Relieffragments, das eine Eichenranke zeigt, wird die Stilkunde vorgestellt. Der Kopf einer nicht vollständig erhaltenen Vespasian-Darstellung dient als Beispiel für die Arbeit der Porträtforschung. Eine Holztreppe führt von hier aus hinauf zur Ausstellungsebene im Obergeschoss. Der Ausstellungsbereich im Obergeschoss mit der Nummer (12) und dem Titel »Treveris – Metropole der Spätantike« ist der Phase der Stadt gewidmet, in der sie Kaiserresidenz war. Besonders das öffentliche, kulturelle Leben wird anhand von Exponaten zu den Themen Theater und Circus dargestellt. Es werden Architekturelemente wie Säulenkapitelle, Mosaike und Bodenbeläge sowie Statuenfragmente und Kleinfunde mit Motiven des Gladiatorenkampfs und Wagenrennens gezeigt. Des Weiteren sind hier einige kleinere Modelle sowie ein großes Stadtmodell von Trier im 4. Jahrhundert n. Chr. installiert. Die kleineren Modelle veranschaulichen die Kaiserthermen, die Konstantinische Palastaula und das Amphitheater. An einer Wand hängt eine Videostation zur Stadtarchäologie. Eine Steintreppe führt von diesem Ausstellungsbereich wieder zurück ins Erdgeschoss zum konzeptionell folgenden Abschnitt (13). Der Bereich »Geld regiert die Welt« hebt sich deutlich von den übrigen Ausstellungsbereichen ab. Nicht nur, dass hier die Texttafeln anders gestaltet sind als sonst14 – auch der Bereich selbst ist ein mit besonderen Sicherheitsmaßnahmen versehener Tresorraum. Hier werden der Trierer Münzschatz sowie viele weitere wertvolle Münzen präsentiert. Neben der Fundgeschichte des Münzschatzes geht es thematisch um die Entwicklung des Münzwesens in Trier; die Themenfarbe ist Violett. Vor dem Münzkabinett sind Texttafeln und eine Videostation zum Trierer Münzschatz und zur Spezialdisziplin der Numismatik angebracht. Außerdem stehen hier zwei Blöcke mit Texten und Bildern zur Entdeckung des Münzschatzes sowie einer Hands-on-Station, an der Besucher:innen 18,5 kg, also das Gewicht des Schatzfundes, anheben und so einen besseren Eindruck von seinem Umfang gewinnen können. In einer Blockvitrine stehen der Plastikeimer und die Plastiktüte, in denen der größte Teil des Schatzes nach seiner Auffindung auf einer 14
Vgl. hierzu Teilkapitel III.2.2, S. 319.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
Baustelle ins Museum gebracht wurde – hier wird also nicht nur der Fund selbst, sondern auch seine Fundgeschichte ausgestellt. Das Münzkabinett ist ein annähernd quadratischer Raum, in dem unterschiedliche Münzen in ringsum verlaufenden Wandvitrinen präsentiert werden. Mit Überschriften werden hier Themenbereiche abgegrenzt, wie zum Beispiel das römische Münzsystem, Münzfälschungen und Münzprägungen durch geistliche Würdenträger. In der Mitte des Raumes steht eine Blockvitrine, in der der Trierer Goldschatz ausgestellt ist. Er wird von unten indirekt beleuchtet und erhält weiteres Licht von kleinen Strahlern, die in den Seitenwänden der Vitrine installiert sind. Da in diesem Raum Boden, Wände und Decken schwarz gestrichen sind und er wesentlich spärlicher beleuchtet ist als alle bisher durchquerten Ausstellungsräume, wirkt er verhältnismäßig dunkel und mysteriös. Die Edelmetalle der Münzen scheinen im Kontrast zu den Farben noch stärker zu schimmern. Der Ausstellungsbereich (14) »Kaiserresidenz und Bischofssitz« thematisiert die Entwicklung der Stadt Trier in der Spätantike, die zunehmende Christianisierung und die ersten »germanischen« Einflüsse in der Region. Gezeigt werden unter anderem Schmuck, Plomben, Löffel, Geschirr, Spruchbecher und Scherzgefäße, Tonreliefs sowie Tonformen zur Herstellung von Keramikfiguren und Öllampen. In einer Säulenvitrine wird eine Silberkanne mit Darstellungen der zwölf Apostel präsentiert und eine Vitrineninsel enthält Schaukästen mit Glasgefäßen, Glasschmuck sowie einem Glasofen mit einem Schmelztiegel. Von einer kleinen Loge aus können Besucher:innen aus diesem Bereich hinunter in den Mosaiksaal (9) sehen. Des Weiteren ist eine Wand dieses Bereichs mit zahlreichen Steinplatten behängt, auf denen sich Grabinschriften befinden. Davor stehen eine weitere Grabplatte, ein Statuenfragment und eine Vitrineninsel in der Mitte des Raumes, auf der Sarkophage aus Stein, Holz und Blei sowie ein Gipsabguss einer Kinderbestattung gezeigt werden. Weitere Vitrinen in diesem Raum zeigen eine steinerne Schranke aus einer Kirche und Objekte wie Schalen und Dosen mit christlichen Motiven. Durch die Vitrinenarchitektur ist ein letzter Abschnitt dieses Raumes vom Rest separiert. Hier sind Funde aus der Ausgrabung der sogenannten Langmauer bei Newel ausgestellt. Daneben sind ein Foto der Ausgrabung und Pläne von vier Kastellen zu sehen. In drei weiteren Vitrinen werden hier außerdem Exponate gezeigt, die als »germanisch« gedeutet werden, sowie Funde des spätrömischen Militärs und spätantike Trachtbestandteile. Davor steht eine weitere Herme aus Welschbillig, die vermutlich einen sogenannten germanischen Sklaven darstellt. Wenden sich Besucher:innen von hier aus in Richtung Ausstellungsbereich (15) »Nach der Römerzeit«, sehen sie an der linken Wand eine Karte, die die Befestigungen in Eifel und Hunsrück während der Spätantike zeigt. Die Exponate in diesem Raum sind chronologisch fortlaufend vom Früh- zum Hochmittelalter geordnet. Die Chronologie, die in den Ausstellungsbereichen zur Römerzeit aufgebrochen und einer thematischen Gliederung untergeordnet war, wird hier also wieder aufgenommen und fortgeführt. Des Weiteren werden ab hier mit jedem Ausstellungsbereich wieder mehrere Jahrhunderte repräsentiert, das heißt, das Erzähltempo der Ausstellung, das ab Bereich (5) stark verlangsamt beziehungsweise fast zum Stillstand gekommen war, erhöht sich wieder. In Block- und Schrankvitrinen sowie auf Sockeln werden in diesem Raum Objekte gezeigt, die Relikte unterschiedlicher Lebens- und Wohnformen im frühen Mittelalter und im Hochmittelalter sind und auch den zunehmenden Kirchen-
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
bau sowie eine Änderung der Bestattungssitte von der Brand- zur Körperbestattung belegen. Vor allem einige Grabinventare werden als fränkisch ausgewiesen und führen somit eine neue Bevölkerungsgruppe in das Narrativ der Ausstellung ein. Neben den archäologischen Fundstücken – hier vor allem Architekturelemente, Grabinventare aus Schmuck, Trachtbestandteile, Waffen und Gefäße sowie Münzen und Siedlungsfunde wie zum Beispiel Schlüssel – steht hier auch ein großes Modell der Porta Nigra während ihrer Nutzung als Kirche im 11. Jahrhundert. Von der hohen Decke dieses Raumes hängt außerdem eine große Leinwand mit der vogelperspektivischen Darstellung der Stadt Trier im Mittelalter und an einer Säule hängt eine Videostation zur Archäozoologie und Statistik (s. Abb. 13).
Abb. 13: Blick in den Ausstellungsbereich (15) vom Treppenabsatz im Obergeschoss aus
Mit dem Übergang zum nächsten Raum, in dem Bereich (16) »Trier im späten Mittelalter« aufgestellt ist, gelangen Besucher:innen wieder in das Haupthaus des Museums. Dabei steht der Raum in großem Kontrast zu den vorherigen Ausstellungsabschnitten, denn während die meisten Bereiche entweder durch große Fensterfronten viel natürliches Licht erhalten oder zumindest mit Lampen hell erleuchtet werden, sind die nun noch verbliebenen Ausstellungsbereiche nicht nur fensterlos, sondern auch eher spärlich beleuchtet. Des Weiteren ist die Vitrinenarchitektur ab hier nicht mehr in Weiß, sondern in Schwarz gehalten, sodass der Raum noch dunkler wirkt. Besucher:innen erleben den Übergang von Bereich (15) zu Bereich (16) daher als deutlichen Bruch in der Inszenierung. Erklären lässt sich dieser zum Teil mit den baulichen Gegebenheiten im Haupthaus des Museumskomplexes, die eben keinen natürlichen Lichteinfall ermög-
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
lichen. Dennoch hätten die Ausstellungsmacher:innen hier durch künstliche Beleuchtung und reflektierende Flächen für Helligkeit sorgen können. Stattdessen entschieden sie sich für eine gegenteilige Strategie und setzten eine schwarze Ausstellungsarchitektur ein. Damit wird der Spannungsbogen kurz vor Ende der Ausstellung noch einmal angezogen, Besucher:innen werden gewissermaßen »bei der Stange gehalten« und dazu animiert, sich auch noch den letzten Abschnitt der Ausstellung genau anzusehen. Gleichzeitig suggeriert die Dunkelheit hier gemeinsam mit der Themenfarbe Magenta und den überwiegend religiösen Ausstellungsobjekten aber auch, dass Mittelalter und Frühe Neuzeit mysteriöse, obskure und schlecht dokumentierte Zeitalter gewesen seien, die von schwierigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und hygienischen Zuständen, von Religiosität und von Wissensverlust geprägt gewesen seien und somit im Gegensatz zu dem vermeintlich gut organisierten und zivilisierten Leben zur provinzialrömischen Zeit stünden, das überwiegend in sehr hellen Räumen thematisiert wird. Links vom Eingang hängt an einer als Teil der Vitrinenarchitektur eingezogenen Wand ein Gemälde der Martinsmühle am Trierer Moselufer neben einer Zeichnung der Stadt um 1430 aus der Vogelperspektive. Letztere ist auf eine durchscheinende Folie gedruckt, die von hinten beleuchtet wird, sodass das Bild in dem dunklen Raum hervorsticht. Rechts vom Eingang werden Architekturelemente sowie Siegelstempel, Siegel und Waagen ausgestellt. Außerdem ist dort eine Karte auf die Vitrinenwand gedruckt, die die Herkunftsorte der in Trier aufgefundenen Tuchsiegel zeigt und somit Handelsbeziehungen verdeutlicht. In einer Nische auf dieser rechten Seite des Raumes sind fünf jüdische Grabsteine ausgestellt und an den Wänden hängen alte Fotos von der sogenannten Trierer Judengasse und dem jüdischen Friedhof sowie eine kleine Vitrine mit einem Siegelstempel. Hier wird also ein Schlaglicht auf die jüdische Bevölkerung im Trier des Mittelalters geworfen. Vor dieser Nische steht außerdem eine Videostation zur Siegelkunde, denn das Schlüsselobjekt ist hier ein päpstliches Siegel. Weitere Exponate in diesem ersten Bereich des Raumes sind religiöse Skulpturen und Architekturelemente. Der Raum ist der Länge nach durch eine Vitrinenwand geteilt, auf deren Längsseite ein großer Wirkteppich zu sehen ist. Dem gegenüber befindet sich ein Durchbruch zum nächsten Ausstellungsbereich. Links und rechts davon sind außerdem weitere religiöse Skulpturen und Reliefs sowie die Scheiben eines Bildfensters aus dem Trierer Dom installiert. Letztere werden von hinten beleuchtet, sodass die Glasfarben hervortreten. Der Bereich (16) thematisiert also vor allem die religiöse Kunst und den Handel im späten Mittelalter. Magenta als Themenfarbe aus Bereich (16) setzt sich auch in Bereich (17) »Vor und hinter den Fassaden« fort, ebenso wie die schwarze Vitrinenarchitektur und die vergleichsweise spärliche Beleuchtung. Besonders ins Auge springt in diesem Raum allerdings die deckenhohe Säule (s. Abb. 14). Sie ist innen hohl und aus ihrer Wand ragen Vitrinen, in denen Funde aus einer Latrine ausgestellt sind. Die Innenseite der Tonne ist mit einer Fototapete ausgekleidet, die eine ganz in Magenta gefärbte Steinwand zeigt. Damit wird der Fundkontext der Exponate demonstriert, denn die ganze Installation soll den Schacht einer Latrine darstellen, in der sich allerlei Abfall angesammelt hat. Im Halbkreis um die Installation herum ist eine Sitzbank gebaut. An den Wänden des Raumes hängen von hinten beleuchtete Schwarz-Weiß-Fotos von Ausgrabungen und erhaltenen mittelalterlichen Gebäuderesten in Trier. Des Weiteren werden hier Keramik, Terrakotten, eine
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Ofenplatte, Architekturelemente und religiöse Skulpturen präsentiert. Das Thema hier ist also das Leben in der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt.
Abb. 14: Blick in den Ausstellungsbereich (17) mit der Vitrinensäule in der Mitte
Im Bereich (18) »Vom Mittelalter zur Neuzeit« sind neben Statuenköpfen und Epitaphen einige große steinerne Architekturelemente installiert: zwei Apostelfiguren mit Konsolen und Baldachinen, ein Wasserspeier und ein Tympanon, die überwiegend ins Hoch- und Spätmittelalter datieren. Außerdem hängen hier Fotos von Trierer Kirchen. Damit wird hier religiöse Gebäudezier thematisiert. Im nächsten und letzten Ausstellungsbereich (19) »Kunst für Fürsten und Prälaten« werden dagegen neuzeitliche Sammlungsstücke, vor allem Skulpturen und Gemälde, gezeigt. In den Vitrinen sind außerdem Objekte aus dem Domkapitel und aus dem Besitz einiger Kurfürsten platziert, zum Beispiel Taler, Medaillen, Trinkpokale, Schlüssel und eine Salutkanone. Thematisiert werden damit insbesondere die geistlichen und weltlichen Würdenträger des Triers der Neuzeit. Von diesem Raum aus gelangen Besucher:innen in den Museumsshop und haben somit das Ende der Dauerausstellung erreicht. Insgesamt bildet die Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier also die Entwicklung des Gebiets in und um Trier von der Altsteinzeit bis zur Neuzeit ab, wobei die provinzialrömische Phase weitaus mehr Raum einnimmt als alle anderen Epochen und dadurch deutlich betont wird. Die Ausstellung ist weitestgehend chronologisch gegliedert und macht die Verbindung der Exponate zur Stadt und ihrem Umland durch Karten, Modelle, Fotos und schriftliche Verweise sehr deutlich. Im Kern wird dadurch vermittelt, dass Trier nicht nur eine bedeutende, florierende und reiche Stadt, sondern
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
zeitweise sogar eine Hauptstadt des Römischen Imperiums und somit die wichtigste Stadt nördlich der Alpen war. Des Weiteren wird augenscheinlich gemacht, dass Spuren der Geschichte Triers bis heute an der Oberfläche zu sehen und besonders reichhaltig unter der Oberfläche zu finden sind und dass das Museum deshalb eine der bedeutendsten Sammlungen Europas zum Thema Provinzialrömertum hat. Die Region wird als gut vernetzt dargestellt, indem Straßennetze auf Karten veranschaulicht und Exponate zu Handwerk, Import und Export gezeigt werden. Es wird also die Bedeutung Triers als Knotenpunkt der in der Antike bekannten Welt vermittelt. Zur Inszenierung der Sammlungsstücke werden verschiedene Vitrinenformen verwendet. In den meisten Räumen sind diese entlang der Wände und rund um ein zentrales Ensemble aus weiteren Vitrinen oder Sockeln aufgestellt. Mit Podesten und Blöcken sind in vielen der Vitrinen unterschiedliche Ebenen oder Stufen geschaffen, auf denen die Exponate positioniert sind. Darüber hinaus sind viele Sammlungsstücke, wie in Teilkapitel II.3.3 bereits erläutert, »schwebend« in den Vitrinen montiert, also so, dass ihre Aufhängungssysteme möglichst wenig zu sehen sind und kaum störend ins Auge fallen. Dadurch sind alle Objekte gut sichtbar und das Gesamtbild wird aufgelockert. Mit Blick auf die Exponate lässt sich außerdem feststellen, dass viele Steindenkmäler und Architekturelemente sowie Gebrauchsgegenstände wie Keramik, Werkzeuge und Lampen ausgestellt werden. Auch zu den Kategorien Schmuck und Tracht, Religion beziehungsweise Kult, Waffen und Militär sowie Bestattungen werden zahlreiche Sammlungsstücke präsentiert. Eine beabsichtigte Betonung bestimmter Geschlechter oder Altersgruppen lässt sich von der Auswahl der Objekte nicht ableiten. Zwar sind wenige Exponate ausgestellt, die eindeutig Kindern zuzuordnen sind, aber dies liegt wahrscheinlich schlicht an der mangelhaften Fundlage einer solchen Objektkategorie und kann nicht als Ausdruck einer bewussten Intention der Ausstellungsmacher:innen gewertet werden. Durch die Neumagener Grabdenkmäler, die Mosaike und die vielen Münzen aus unterschiedlichen Zeitstufen sind außerdem Sammlungsbereiche vertreten, die dem Rheinischen Landesmuseum in ihrem Umfang und ihrer wissenschaftlichen Bedeutung ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen. Kopien und Rekonstruktionen werden nur in wenigen Fällen präsentiert und sind dann als solche deutlich ausgewiesen. Häufig werden viele Objekte desselben Typs zusammen präsentiert, sodass den Betrachter:innen nicht so sehr das jeweils individuelle Exponat vorgestellt wird, sondern eher eine Aussage über den Objekttypus intendiert wird. Beispielsweise ist dies der Fall in Bereich (14), wo Spruchbecher als typisch trierische Produkte in Verbindung mit dem Weinanbau in der Region präsentiert werden. Während durch die Inszenierung vor allem die Ästhetik der Objekte betont wird, werden ihre Gebrauchsfunktionen in manchen Fällen durch Rekonstruktionszeichnungen (s. Abb. 15, links) oder durch ihre Montage verdeutlicht. Letzteres ist beispielsweise der Fall in Bereich (4), wo die Bestandteile eines Pferdegeschirrs auf einem künstlichen Pferdekopf in einer Vitrine montiert sind, der in der dortigen Themenfarbe Orange bemalt ist und so die grünliche Patina der Metallobjekte kontrastiert beziehungsweise komplementiert (s. Abb. 15, rechts).
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Abb. 15: Die Gebrauchsfunktion von Objekten wird in manchen Fällen durch Rekonstruktionszeichnungen neben den Vitrinen oder durch entsprechende Objektmontagen vermittelt. (links Foto der Verfasserin, rechts © GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer)
Neben Rekonstruktionszeichnungen werden in diesem Museum auch Karten, Illustrationen, Fotos, Modelle und Videostationen eingesetzt, um wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln. Diese Medien sind jedoch zurückhaltend gestaltet und werden sparsam und gezielt verwendet, sodass die Originalexponate nicht davon überlagert werden. Das Stadtmodell von Trier in Ausstellungsbereich (12) ist angesichts seiner Größe und Detailgenauigkeit nicht im eigentlichen Sinne ein Modell zur Veranschaulichung eines Bauwerks oder von etwas Ähnlichem, sondern eher als Kunstwerk und gewissermaßen Primärexponat15 zu bewerten. Wie die Ausstellung insgesamt sind die eingesetzten Medien sachlich und von hoher wissenschaftlicher Qualität. Sie wirken überwiegend akustisch oder visuell und nur in Ausnahmefällen wie an der Hands-on-Station in Bereich (13) haptisch. Eine besondere und für die Archäologischen Landesmuseen Deutschlands einzigartige Installation ist allerdings das multimediale Raumtheater Im Reich der Schatten, das ich im folgenden Teilkapitel neben den Ausstellungstexten und Videostationen untersuche.
III.2.2 Texte, Filme, Projektionen Der Einsatz von Medien und Sekundärexponaten in der Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier wurde bereits in seinen wesentlichen Zügen erläutert. Es 15
Vgl. zu diesem Begriff Teilkapitel II.2.3, S. 168f.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
werden neben den Exponaten in diesem Museum viele verschiedene Formen der Kommunikationsmittel eingesetzt, unter anderem Modelle, Fotos, Illustrationen, Karten, Texte und Videostationen. Sie wurden sorgfältig ausgewählt und gestaltet. Darüber hinaus werden sie sehr gezielt eingesetzt, sodass sie die eigentlichen Exponate der Ausstellung, die Sammlungsstücke, lediglich rahmen, aber nicht überlagern. Vor allem die Videostationen sind nur punktuell aufgebaut: Auf insgesamt 19 Ausstellungsbereiche sind zwölf Stationen verteilt. Karten, Rekonstruktionszeichnungen und Illustrationen sind dagegen häufiger, aber meist einzelnen Exponaten zugeordnet. Zu dem dezenten Charakter der Ausstellungsmedien trägt auch der Umstand bei, dass sie, anders als etwa im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle, vergleichsweise neutral gestaltet wurden. Beispielsweise sind viele der Modelle nicht koloriert und die Illustrationen und Zeichnungen zeigen fast ausschließlich, wie Exponate in ihrem ursprünglichen Zustand aussahen oder genutzt wurden. Ganze Umwelten oder Situationen werden dabei aber nicht illustrativ (re-)konstruiert. Die visuellen Medien vermitteln daher einen Eindruck von nüchterner Sachlichkeit und hoher wissenschaftlicher Qualität. Die Karten machen vor allem überregionale Einflüsse und Beziehungen erkennbar und ermöglichen so eine Einordnung Triers und dessen unmittelbarer Umgebung in einen größeren geografischen Kontext. Im Folgenden sollen einige der wesentlichen Informationsträger dieser Ausstellung analysiert werden. Eine besondere audiovisuelle Installation ist das sogenannte multimediale Raumtheater Im Reich der Schatten, das zweimal am Tag im Neumagener Saal abgespielt wird und eine derzeit einmalige Form der Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte in Archäologischen Landesmuseen darstellt. Ich werde noch darauf zurückkommen; zunächst einmal werde ich allerdings die Ausstellungstexte und in aller Kürze auch die Filme der Videostationen in den Blick nehmen. Die stellvertretende Direktorin Mechthild Neyses-Eiden erklärte im Interview, dass bei der Ausstellungskonzeption besonders auf die Vermittlung von Informationen durch Texte geachtet wurde: Das geht jetzt schon über die Zielgruppenfrage hinaus, aber ich glaube, es war ein ganz wesentlicher Gedanke, dass wir ein besucherorientiertes Museum sein wollen. Das heißt, die wissenschaftlich anspruchsvollen Inhalte sollten, besonders in den Texten, auf eine gute Verständlichkeit für Laien heruntergebrochen werden. Ich finde, da haben wir sehr viel Mühe reingesteckt, und die vielen C-Texte, die wir zu den Objekten und Objektgruppen haben, bieten schon sehr viel Information. Das ist auch als Angebot für die Interessierten zu verstehen. Aber nicht, indem die Texte wie ein Buch geschrieben sind, sondern indem sie kurz, knapp und interessant rüberkommen.16 Um dies umzusetzen, wurden zu Beginn der Planungsarbeit Vorgaben bezüglich der Texte festgelegt und in Form eines Dokuments zusammengestellt, an dem sich alle an der Ausstellung beteiligten Wissenschaftler:innen orientieren konnten. Die Analyse der Texte ergab, dass diese Vorgaben tatsächlich auch eingehalten wurden. In dem internen Dokument wurde zunächst festgehalten, dass die Texte leicht lesbar sein sollten, und es 16
Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 484. Mit C-Texten meint Neyses-Eiden die Objekttexte im Unterschied zu den Bereichs- (B-Texte) und Saaltexten (A-Texte).
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wurde erläutert, durch welche Maßnahmen dies zu erreichen sei: Unter anderem wurde erklärt, dass die Texte lediglich als Bausteine der Ausstellung und nicht als selbstständige Medien zu verstehen seien und dass sie das Konzept der Ausstellung vermitteln sollten. Sie sollten außerdem den Objekten und deren Entschlüsselung dienen und dabei keine Informationen wiederholen, die die Betrachter:innen den Objekten selbst entnehmen können. Um gut verständlich zu sein, sollten sie unter anderem kurze Sätze im Präsens und Aktiv enthalten, Fachbegriffe vermeiden und semantisch optimiert sein, also je Satz eine Sinneinheit reflektieren. Es wurden drei Textebenen unterschieden, nämlich sogenannte A-, B- und C-Texte, die den im Teilkapitel III.1.2 unterschiedenen Saal-, Bereichs- und Objekttexten entsprechen. Für jede Textebene wurden Vorgaben hinsichtlich der Länge der einzelnen Texte, der Überschriften und ihrer Funktion dargelegt sowie Beispieltexte angegeben. Die A-Texte sollten die wesentlichen Aussagen eines Ausstellungsraumes vorstellen und sie unter einer schlagwortartigen Überschrift zusammenfassen. Meist sind sie daher auf eine Epoche oder auf ein Thema wie zum Beispiel Religion oder Leben in der Stadt bezogen. Ihre Länge durfte maximal 700 Zeichen betragen. In den Ausstellungsräumen sind sie immer in der Nähe des jeweiligen Eingangs installiert und auf Deutsch, Englisch und Französisch abgedruckt. Die B-Texte durften mit maximal 800 Zeichen etwas länger sein und sollten jeweils die Relevanz einer Objektgruppe in Bezug auf das Raumthema erläutern. Sie sind daher stets in der Nähe der Exponatgruppe, der sie zugeordnet sind, angebracht. Wie auch die C-Texte sind die B-Texte lediglich auf Deutsch in der Dauerausstellung verfügbar, es stehen allerdings auch mehrsprachige Audioguides zur Verfügung.17 Die C-Texte sind in unmittelbarer Nähe der Exponate, denen sie zugehören, auf Sockeln oder Vitrinenwänden angebracht und werden in vier Kategorien unterschieden, nämlich in Objektdaten, kleine Objekttexte, große Objekttexte und Sondertexte. Die kleinen Objekttexte durften maximal 250 Zeichen lang sein und sollten vor allem den Kontext oder die Bedeutung eines bestimmten Objekts oder einer Objektgruppe erläutern. Die großen Objekttexte sollten dagegen komplexere Sachverhalte erklären und maximal 600 Zeichen lang sein. Die Sondertexte durften mit maximal 900 Zeichen noch umfassender sein als die großen Objekttexte, sie sind allerdings nur wenigen, besonders aussagekräftigen Exponaten vorbehalten. Sofern ein Exponat eine Inschrift enthält, wie beispielsweise im Fall von Grabplatten, ist diese Inschrift im C-Text des Exponats auf Lateinisch und Deutsch wiedergegeben. Die für jedes Exponat aufgeführten Objektdaten umfassen stets dessen Bezeichnung, Fundort, Datierung, Material und Inventarnummer in dieser Reihenfolge. Die B- und C-Texte dienen also dazu, die Exponate in wenigen Sätzen in ihren Gebrauchskontext einzuordnen und ihre Funktion, ihre stilistische Bedeutung oder ihre Besonderheiten zu erklären. Ihr Zweck ist es, den Besucher:innen eine vertiefende Information zu ermöglichen und ihnen genauere Vorstellungen vom Leben zu verschiedenen Zeitpunkten in der Vergangenheit zu vermitteln. Sie sollen auch Informationen, die in den Exponaten enthalten sind, aber ohne Vorbildung nicht gedeutet werden können, entschlüsseln. Auf diese Weise begründen sie die Relevanz der Exponate einerseits und 17
Vgl. ebd., S. 484.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
legitimieren andererseits das Narrativ der Ausstellung durch den Beleg des originalen Objekts. Das Layout der Texte ist überwiegend gleichmäßig gestaltet, mit einem klaren, serifenlosen Schriftbild und wahlweise, je nach Untergrund, schwarzem oder weißem Text. Die Überschriften der A- und B-Texte greifen die jeweilige Themenfarbe des Raumes auf. Ausnahmen bilden die Texte in den Ausstellungsbereichen (8) und (13). Da die Mosaike in Raum (8) keine Fläche bieten, auf der Texte angebracht werden könnten, sind die C-Texte hier in weißer Schrift auf schwarze Tafeln gedruckt, die vor dem jeweiligen Exponat stehen oder an der Wand daneben hängen. Im Bereich (13) »Geld regiert die Welt« stehen die deutschen Versionen der Texte auf Tafeln, die violett hinterlegt und in deren Ecken Goldmünzen abgebildet sind. Die Überschriften sind hier orange, die Texte weiß gehalten. Zusätzliche englische Versionen sind jeweils auf einer golden hinterlegten Tafel abgedruckt, die vor der Haupttafel mit dem deutschen Text, diese überschneidend, angebracht ist. Die Überschriften sind hier violett. Während die Texte im Bereich (8) also dezent gestaltet sind und wahrscheinlich nur aus praktischen Gründen vom üblichen Layout abweichen, heben die Texttafeln in Bereich (13) diesen vom Rest der Ausstellung ab und tragen so dazu bei, dass das Münzkabinett als besonders bedeutender Ausstellungsabschnitt oder auch als Höhepunkt der Ausstellung wahrgenommen werden kann. Im vorigen Teilkapitel wurde bereits erläutert, dass der »Forum« genannte Raum seitlich des Foyers einen Prolog zur Dauerausstellung darstellt und dass der Raum insgesamt beziehungsweise der dort installierte A-Text dem von Hanak-Lettner als Parodos bezeichneten Teil der Ausstellung entspricht. Daher soll dieser A-Text hier zunächst vollständig wiedergegeben und dann analysiert werden: forum für fundstücke GESCHICHTE ERLEBEN IM RHEINISCHEN LANDESMUSEUM TRIER In diesem Haus wird Geschichte lebendig. In seltener Fülle und Kontinuität präsentiert es Kulturgüter aus der Region Mosel-Eifel-Hunsrück, die Einblicke bieten in das Leben unserer Vorfahren von der Urzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Tausende von Fundstücken illustrieren die Zeiten von den frühen Menschen über die keltischen Treverer zur römischen Epoche mit dem grandiosen Aufstieg Triers zur Weltstadt sowie die nachfolgenden Perioden von Mittelalter und Neuzeit und ihren Umgang mit der antiken Vergangenheit. Die erste systematische archäologische Ausgrabung in Trier führte bereits 1808 die »Gesellschaft für Nützliche Forschungen« durch. Die Sammlung der Gesellschaft bildete den Grundstock für das 1877 vom preußischen Staat gegründete Museum, das bis heute die Archäologische Denkmalpflege in dem an Bodenfunden außergewöhnlich reichen Regierungsbezirk Trier betreibt. Die Belegschaft des »grabenden Museums« entdeckt, erforscht und bewahrt seit den Tagen des Gründungsdirektors Felix Hettner das herausragende kulturelle Erbe der Region und vermittelt es als »forum für fundstücke« nachfolgenden Generationen.18 18
Rheinisches Landesmuseum Trier, Text forum für fundstücke. GESCHICHTE ERLEBEN IM RHEINISCHEN LANDESMUSEUM TRIER, im Raum »Forum« im Erdgeschoss, Hervorhebung i. O.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Der Text ist durch den ehemaligen Claim »forum für fundstücke« und einen weiteren Titel überschrieben, der den Namen des Museums nennt und signalisiert, dass hier die Geschichte beziehungsweise die Vergangenheit erlebt werden könnten. Auch der erste Satz des Textes greift dies auf und stellt in Aussicht, dass in diesem Museum die Vergangenheit lebendig werde und direkt sinnlich erfahren werden könnte, anstatt dass nur indirekt und aus der Distanz der Gegenwart heraus etwas über sie gelernt werden könnte. Realistisch ist diese Formulierung zwar nicht, aber als Metapher soll sie vermutlich dazu dienen, das Interesse und die Motivation der Leser:innen anzuregen. Darüber hinaus ist der Text in zwei Abschnitte gegliedert, von denen der erste das Thema der Dauerausstellung grob umreißt und der zweite die Gründung und die Aufgaben des Museums erläutert. Dadurch kommt das Selbstverständnis des Rheinischen Landesmuseums Trier deutlich zum Ausdruck. Mit positiven Begriffen, die die Seltenheit der einzelnen Sammlungsstücke und die Ausmaße sowie die Bedeutung der Sammlung insgesamt betonen, wie zum Beispiel »[i]n seltener Fülle«, »Tausende von Fundstücken« und »außergewöhnlich reichen«, wird kommuniziert, dass es sich bei der Institution und ihren Sammlungsstücken um etwas ganz Besonderes handele, das großen Respekt und Wertschätzung verdiene. Dazu trägt auch bei, dass an die Bedeutung Triers als römische Residenzstadt angeknüpft wird, indem die Entwicklung der Stadt als »grandiose[r] Aufstieg […] zur Weltstadt« bezeichnet wird. Des Weiteren wird durch den ersten Abschnitt des Textes angegeben, dass der geografische Raum, der durch das Museum repräsentiert wird, die Region Mosel-Eifel-Hunsrück sei und die dargestellte Zeitphase vom 18. Jahrhundert bis in die »Urzeit« zurückreiche, also gewissermaßen bis zum Anbeginn der Menschheit. So wird die Erzählung, die diese Ausstellung darstellt, zeitlich und räumlich gerahmt und den Leser:innen wird angekündigt, welche Themen und Inhalte sie in der Ausstellung erwarten. Des Weiteren wird schon hier eine Verbindung der Gesellschaft der Gegenwart mit Gesellschaften der Vergangenheit postuliert, indem die Menschen der Vergangenheit als »unsere Vorfahren« bezeichnet werden. Das Wort »Vorfahren« suggeriert dabei eine direkte, zumindest kulturelle oder sogar genealogische Verwandtschaft. Mit dem Possessivpronomen »unsere« wird impliziert, dass die Verfasser:innen des Textes in jedem Fall sich selbst, wenn nicht auch die Leser:innen als eine soziale Einheit auffassen. Das Thema »Identität« klingt somit schon im ersten Text der Ausstellung an. Im zweiten Abschnitt wird zunächst darauf verwiesen, dass die Sammlung des Museums auf die Gesellschaft für Nützliche Forschungen zurückgehe, die bereits ab 1808 »systematische archäologische Ausgrabungen« in Trier durchgeführt habe. Da auf diesen Satz folgend erklärt wird, dass der Preußische Staat das Museum 1877 gegründet hat, wird den Leser:innen mit diesem ersten Teil des zweiten Abschnitts verständlich gemacht, dass die Sammlung des Museums fast 70 Jahre vor seiner Gründung ihren Ausgang nahm und somit über 200 Jahre alt ist. Dadurch wird der Institution insgesamt eine historische Autorität verliehen. Außerdem wird hier dargelegt, dass das Museum auch heute noch archäologische Denkmalpflege betreibt und es taucht der Begriff des »grabenden Museums« auf, der auch im Interview mit Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann fiel und zentrales Element der Identität des Museums ist.19 Zuletzt werden 19
Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 491.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
hier auch noch die in Kapitel I.2 bereits vorgestellten vier Kernaufgaben von Museen – Sammeln beziehungsweise Entdecken, Bewahren, Erforschen und Vermitteln – genannt und zu zentralen Tätigkeiten des Rheinischen Landesmuseums erklärt, mit denen es »das herausragende kulturelle Erbe der Region« für »nachfolgend[e] Generationen« verwalte. Das Museum präsentiert sich also als Erbverwalter im Dienst nicht nur einer gegenwärtigen, sondern auch einer zukünftigen Gesellschaft. Da alle übrigen Texte der Ausstellung im Präsens und Aktiv gehalten sind, wird der Eindruck vermittelt, die Leser:innen seien durch die Texte gewissermaßen in die Vergangenheit versetzt beziehungsweise die Vergangenheit sei gegenwärtig und könne gewissermaßen »live« erlebt werden. Behandelt werden vor allem verschiedene Lebensweisen in und um Trier zu verschiedenen Zeitphasen, also unter anderem die gesellschaftliche Hierarchie und die damit einhergehenden Unterschiede in Lebensweise, Religion, Handwerk und Handel sowie Bestattungssitten. Die römische Epoche ist dabei ausführlicher repräsentiert als alle anderen Epochen. Vom Bundesland Rheinland-Pfalz ist in den Texten jedoch nie die Rede, anders als in Saarbrücken, wo das Saarland häufig als Einheit thematisiert wird. Das liegt natürlich an der Tatsache, dass sich die Zuständigkeit mehrerer rheinland-pfälzischer Landesmuseen ausschließlich auf den je eigenen Bezirk erstreckt. Das Rheinische Landesmuseum Trier ist aufgrund seiner Gründungsgeschichte also nicht Repräsentant des Landes, sondern der rheinländischen Region, was es mit seiner Ausstellung auch zum Ausdruck bringt. Denn von dieser Region, also dem Gebiet rund um Trier inklusive Hunsrück und Eifel, ist häufig in den Ausstellungstexten die Rede – von Trier selbst natürlich besonders häufig. Das Konzept der kulturellen Identität wird in den Texten indirekt thematisiert, aber nicht klar benannt. Zwar ist häufig die Rede von archäologischen beziehungsweise urund frühgeschichtlichen Kulturgruppen wie »den Kelten«, »den Germanen«, »den Römern«, »den Treverern« und »den Franken«. Es wird aber in den Texten erwähnt, dass es sich dabei um Bezeichnungen aus Schriftquellen handelt und nicht klar ist, wie sich die Menschen selbst verstanden. Beispielsweise heißt es im A-Text des Bereichs (4) mit dem Titel Kelten und Treverer: »Die damalige Bevölkerung Mitteleuropas wird in antiken Schriften als Kelten (keltoi) oder Gallier (galli) bezeichnet.«20 Außerdem wird im Fall der »Kelten« und »Römer« durch mehrere Texte kommuniziert, dass sich keine dramatischen oder gar gewalttätigen Bevölkerungswechsel abspielten, sondern sich die Bevölkerungsgruppen schrittweise assimilierten. Der Begriff der »Germanen« wird nicht näher differenziert, aber auch im Zusammenhang mit den »germanischen Franken« wird auf die Verschmelzung einer gewissermaßen neuen Bevölkerungsgruppe mit der ortsansässigen gallo-römischen Bevölkerung hingewiesen: Im Kontakt mit der am Ort verbliebenen gallisch-römischen »Restbevölkerung«, den Romanen, lernen die Franken städtische Lebensformen spätantik-christlicher Prägung kennen. Die Bekehrung der Franken zum christlichen Glauben wird durch die Taufe ihres Königs Chlodwig aus dem Geschlecht der Merowinger (482–511) gefördert. Die Re-
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Rheinisches Landesmuseum Trier, Text Kelten und Treverer, in Bereich (4), Hervorhebungen i. O.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
ligion der Christen wird zum wesentlichen Bindeglied im Prozess der Verschmelzung der beiden Volksgruppen.21 Als Kernaussage der Ausstellung insgesamt kann zusammengefasst werden, dass Trier mit seinem Umland besonders während der römischen Zeit eine der bedeutendsten Städte der Welt war, darüber hinaus aber sowohl davor als auch danach ein wichtiges Siedlungsgebiet gewesen ist, das vielfältigen Einflüssen unterlegen hat, stark vernetzt war und eine abwechslungsreiche Geschichte vorzuweisen hat. Es wird gezeigt, dass sich in der Region Relikte menschlichen Lebens nachweisen lassen, die bis ins Paläolithikum zurückdatieren, dass die keltische Kultur hier besonders signifikante Spuren hinterlassen hat, dass eine langsame Assimilation und Vermischung der ansässigen mit der römischen Bevölkerung stattfand, dass »Germanen« das Gebiet im frühen Mittelalter einnahmen und dass das Gebiet auch danach noch eine interessante Entwicklung durchlaufen hat. Die politische und soziale Bedeutung Triers und das Leben in der antiken Stadt werden besonders deutlich herausgestellt. Die Ausstellung präsentiert also Trier und sein Umland als heute noch bedeutend, weil dort ein reichhaltiges Erbe des antik-römischen Lebens in Relikten erhalten ist. Sie weist aber auch darauf hin, dass Trier darüber hinaus noch weitere bemerkenswerte Kulturgüter vorweisen kann. Neben der römischen werden auch die keltische Kultur, der Weinanbau und -handel und das Christentum beziehungsweise der Katholizismus in der Ausstellung als prägende Elemente der Region vorgestellt. Damit werden auch Anknüpfungspunkte beziehungsweise Identitätsangebote für das Publikum des Museums bereitgestellt, denn ähnlich wie im Saarland durch die Thematisierung von Bergbau und Keramikproduktion wesentliche Merkmale der heutigen kulturellen Identität in die Vergangenheit zurückverlängert werden, geschieht dies durch die Thematisierung von Weinanbau und Katholizismus auch hier in Trier. Außerdem wird durch die Videostationen die Arbeit des Museums beziehungsweise der archäologischen Forschung erklärt, wodurch die vorgestellten Ergebnisse noch glaubhafter und zuverlässiger erscheinen. Das Museum präsentiert sich als vielfältiges, grabendes und forschendes Institut, das in der obersten Liga der deutschen Museumslandschaft zu spielen scheint. Anders als in Saarbrücken werden in den Texten in Trier die Leser:innen nicht angesprochen. Aber genauso wie dort treten auch hier weder erzählende Figuren noch die Autor:innen der Texte auf. Zwar wurden die Texte jeweils von den für die einzelnen Ausstellungsabschnitte zuständigen Wissenschaftler:innen des Museums verfasst, doch werden diese nicht namentlich genannt. Somit entsteht hier, fast noch stärker als in Saarbrücken, der Eindruck, als spreche in den Texten ebenso wie durch die gesamte Ausstellung hindurch eine anonyme Person, das Museum als Institution oder die Wissenschaftsgemeinschaft insgesamt. Obwohl die Texte niedrigschwellig formuliert sind, scheint doch zumindest ein gewisses Maß an Bildung und Vorkenntnissen für die Ausstellung vorausgesetzt zu werden, wenn auch ein geringeres als im Museum für Vorund Frühgeschichte des Saarlandes. Die große Anzahl an Texten, die auf drei Ebenen immer tiefergehende Informationen bieten und eher sachlich und neutral formuliert sind, deutet darauf hin, dass tendenziell eher Jugendliche und Erwachsene mit einem
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Rheinisches Landesmuseum Trier, Text Franken und Romanen, in Bereich (15).
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
Interesse an den dargebotenen Themen und einer Motivation zur aktiven Rezeption der Ausstellungsmedien angesprochen werden sollen. Eine speziell auf jüngere Kinder hin konzipierte Vermittlungsebene gibt es in dieser Dauerausstellung nicht. Für diese und andere Zielgruppen werden jedoch museumspädagogische Programme und gelegentlich auch Sonderausstellungen angeboten, wie Mechthild Neyses-Eiden im Interview erklärte.22 Die stellvertretende Direktorin führte im Interview aus, dass das Rheinische Landesmuseum sich einem breiten Publikum verpflichtet fühle und deshalb in den Texten Kernaussagen möglichst einfach vermittelt werden sollten, ohne dass dafür eine spezielle Vorbildung erforderlich sei. In erster Linie standen zwar Besucher:innen aus Trier und der Region im Fokus der Ausstellungsplaner:innen, aber da auch viele Tourist:innen Trier besuchen, wurden entsprechende Zusatzangebote auch für ein internationales Publikum entwickelt.23 Während also Franz-Josef Schumacher vom Museum für Vorund Frühgeschichte des Saarlandes angab, dass sein Museum in erster Linie für die saarländische Bevölkerung arbeite, erklärte Mechthild Neyses-Eiden, dass ihr Museum nicht nur für Einwohner:innen Triers und der Region tätig sei, sondern auch für die vielen (internationalen) Tourist:innen, die die Stadt besuchten, zugänglich sein wolle. Es entsteht also der Eindruck, dass das Museum in Saarbrücken sich als Bewahrer von Gedächtnis, Erbe und Identität vorwiegend dem regionalen Publikum verpflichtet fühlt, während das Museum in Trier sich eher als Treuhänder eines Weltkulturerbes versteht. Das ließe sich mit dem UNESCO-Welterbe-Status der römischen Baudenkmäler, des Doms und der Liebfrauenkirche in Trier und natürlich auch mit der Vergangenheit Triers als einem der Regierungssitze des Römischen Reiches plausibel erklären. Hans Nortmann ergänzte, ihm als Kurator der Ausstellung sei es wichtig gewesen, interessierten Besucher:innen eine befriedigende Menge an Informationen zu den Exponaten und Themen der Ausstellung zu bieten und gleichzeitig zu gewährleisten, dass die Ausstellung nicht nur für ein Fachpublikum verständlich ist. Seine Aufgabe sah er deshalb darin, mit der Ausstellung einerseits einen professionellen Beitrag zum kulturellen Diskurs zu bieten und diesen andererseits so »herunterzubrechen«, dass auch die Mehrheit der Besucher:innen in der Lage ist, diesem zu folgen.24 Im Rahmen der Ausstellungsbeschreibung und -analyse wurde bereits erklärt, dass im Rheinischen Landesmuseum zwölf Videostationen zum Einsatz kommen, an denen je ein bis drei Filme abgespielt werden können, die anhand ausgewählter Schlüsselobjekte Methoden des archäologischen Arbeitens erläutern und einen Blick hinter die Kulissen des Museums ermöglichen (s. Abb. 16). Die insgesamt 17 Filme wurden 2010 auch als DVD veröffentlicht, die im Shop des Museums erworben werden kann.25 Für die Konzeption und die Texte dieser Filme waren Wissenschaftler:innen des Museums zuständig, für Drehbuch, Kamera, Schnitt, Ton und Grafik wurden entsprechende Spezialist:innen
22 23 24 25
Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 483f. sowie 486. Vgl. ebd., S. 483f. Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. S. 484. Rheinisches Landesmuseum Trier (Hg.), Methoden der Archäologie. Wie Wissenschaftler Fundstücke entschlüsseln – Ein Blick hinter die Kulissen des Rheinischen Landesmuseums Trier, DVD, Trier: Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Rheinisches Landesmuseum Trier, 2010.
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beschäftigt. Alle Filme sind mit circa dreieinhalb Minuten ungefähr gleich lang. Davon entfallen rund drei Minuten auf den eigentlichen Film, an den sich eine rund eine halbe Minute lange Sequenz anschließt, bei der die wichtigsten Aussagen des Films noch einmal schriftlich zusammengefasst werden.
Abb. 16: Beispiel einer Videostation im Ruhemodus, daneben das Schlüsselobjekt. Die Station steht im Ausstellungsbereich (9) zur technologischen Untersuchung von Fundstücken am Beispiel eines Bronzeeimers.
Im Ruhemodus zeigen die Bildschirme der Videostationen jeweils das Schlüsselobjekt vor einem Hintergrund aus Piktogrammen, die die einzelnen Methoden symbolisieren. Dabei sind die Piktogramme der Methoden, die an der jeweiligen Station vorgestellt werden sollen, farbig gestaltet, während die übrigen grau hinterlegt sind. Derselbe Hintergrund wird auch in der Schlusssequenz der Filme verwendet, wenn die wichtigsten Kernaussagen schriftlich eingeblendet werden. Die Piktogramme kommen außerdem zum Einsatz, wenn in einem Film zwei oder sogar drei Methoden erklärt werden. Dann wird der Wechsel von einer Methode zur nächsten nicht nur sprachlich, sondern auch mittels der Piktogramme signalisiert. In jedem Film treten ein oder zwei Wissenschaftler:innen beziehungsweise Mitarbeiter:innen des Rheinischen Landesmuseums auf und erklären ihre Arbeitsweise, ihre Methoden, ihr Vorgehen und die Ergebnisse ihrer Forschung. Dabei werden auch die Namen und die Institutionszugehörigkeiten der jeweiligen Wissenschaftler:innen schriftlich eingeblendet. Informationen werden also unter anderem vermittelt, indem die Expert:innen in den Filmen zu Wort kommen. Außerdem führt eine Sprecherstimme aus
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
dem Off durch die Filme und zieht am Ende jedes Films ein Fazit oder fasst die Ergebnisse in einem Satz zusammen. Darüber hinaus werden Informationen aber natürlich auch durch die gezeigten Sammlungsstücke, Arbeitswerkzeuge und Instrumente sowie mithilfe von dreidimensionalen computergenerierten und -animierten Grafiken vermittelt. Indem die Mitarbeiter:innen des Museums in den Filmen auftreten, wird gewissermaßen den Personen hinter der Dauerausstellung ein Gesicht verliehen. Sie fungieren als Gewährsleute, denn indem sie die Methoden und Forschungsergebnisse selbst erklären, werden den Inhalten der Filme Authentizität und Autorität verliehen. Dazu trägt des Weiteren bei, dass in den Filmen die Originalschauplätze, also die Büros, Labore, Werkstätten und Ausgrabungsflächen, gezeigt werden, an denen die Arbeit der Wissenschaftler:innen erfolgt. Auch dies wirkt authentisch und ermöglicht einen Blick in die Bereiche des Museums, die sonst nicht für den Publikumsverkehr zugänglich sind. Um Ortswechsel in den Filmen anzuzeigen, wird stets eine Zeitrafferaufnahme der Kamerafahrt von einem unbestimmten Ausgangspunkt bis zum Schauplatz gezeigt. Zum Beispiel sieht man durch die Windschutzscheibe eines Wagens die Fahrt über eine Autobahn, eine Kamerafahrt auf das Rheinische Landesmuseum Trier zu, durch die Tür in den Verwaltungsbau, die Treppe hinauf, einen Flur entlang und in ein Büro. Dabei ist eine solche Sequenz nur wenige Sekunden lang. Am jeweiligen Schauplatz angekommen fährt die Kamera langsamer und bleibt schließlich stehen. Um den Zuschauer:innen zu erklären, um was für einen Ort es sich handelt, wird ein entsprechender Schriftzug eingeblendet, beispielsweise »Münzkabinett – Rheinisches Landesmuseum Trier«. Nur bei diesen Zeitraffer-Kamerafahrten wird eine musikalische Untermalung eingesetzt, sonst gibt es eine solche in den Filmen nicht. Die Filme sind also objektive und realistische Dokumentationen der wissenschaftlichen Arbeit. Sie verzichten auf reißerische Inszenierungen oder die Atmosphäre von Abenteuerfilmen und erklären stattdessen die Methoden und Arbeitsweisen der Archäologie am Museum anschaulich und leicht verständlich. Dabei weisen sie auch auf Probleme der archäologischen Forschung hin, beispielsweise, dass viele Ausgrabungsfunde zwar magaziniert, aber nicht näher erforscht werden können und dass aufgrund der vorhandenen Funde und Befunde nicht immer zweifelsfrei auf die Lebensverhältnisse in der Vergangenheit zurückgeschlossen werden kann und daher manche Ergebnisse der Forschung Hypothesen bleiben. Die Arbeit der Wissenschaftler:innen wird also als seriös, professionell und dementsprechend zuverlässig porträtiert. Gleichzeitig wird das Publikum aber auch auf die Grenzen der Forschung hingewiesen, sodass es indirekt dazu angeregt wird, die präsentierten Ergebnisse aus kritischer Distanz zu betrachten und sich ihrer Vorläufigkeit und Modellhaftigkeit bewusst zu werden. Zuletzt soll jetzt noch das multimediale Raumtheater Im Reich der Schatten vorgestellt werden, das im Juni 2010 erstmals eröffnet wurde und seitdem zweimal täglich im Rheinischen Landesmuseum Trier besucht werden kann. Es wird in dem 500 m² großen Neumagener Saal gezeigt und bindet die dort installierten Grabdenkmäler aus dem 2. und 3. Jahrhundert ein.26 Initiiert wurde es vom ehemaligen Direktor des Museums, Eckart Köhne, der in einem Artikel in den Museumsmitteilungen Rheinland-Pfalz erklärte, dass es sich dabei um ein Experiment handele, Geschichte zu einer zukunftsweisenden Raum26
Vgl. Eckart Köhne, Im Reich der Schatten, Museumsmitteilungen, 2010, S. 61.
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Zeit-Erfahrung zu verdichten, indem mit modernen Medientechnologien die Realität des gegenständlichen kulturellen Erbes mit der Virtualität des Films zu einer »Augmented Reality« verbunden worden sei.27 Die Grabdenkmäler im Neumagener Saal werden also mit Elementen aus Kino, Theater und Trickfilm gepaart; sie werden als Projektionsfläche für einen 45-minütigen Film genutzt, der eine fiktive Geschichte erzählt, die allerdings aus den Motiven der Grabdenkmäler entwickelt wurde. Der Film wird dabei raumhoch auf alle Wände des Saals und die Reliefs projiziert, sodass sich Besucher:innen »in einer 360°-Rundum-Projektion inmitten eines virtuellen Bühnenbildes« befinden (s. Abb. 17). Animationen, Licht, Musik und Toneffekte sollen zusammen einen »Raum der Illusionen« bilden.28
Abb. 17: Teil der Raumansicht während einer Szene aus Im Reich der Schatten (© GDKE/ Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer)
Realisiert wird dieser »Raum der Illusionen« durch im Saal installierte Projektoren und Lautsprecher sowie durch mehrere vernetzt arbeitende Computer, die Bild und Ton steuern. Unter der Regie von Tamschick MEDIA+SPACE waren mehr als 30 Expert:innen für die verschiedenen Projektbereiche zuständig. Das laut Köhnes Artikel rund 965 000 Euro teure Projekt wurde vom Land Rheinland-Pfalz sowie von der EU aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (kurz EFRE) finanziert.29 Mechthild Neyses-Eiden berichtete im Interview, dass die Idee dazu von Eckart Köhne selbst stamme. Dieser sei zwar, wie auch das ganze Team des Museums, der Meinung gewesen, dass die Dauerausstellung sich auf die originalen Exponate konzentrieren solle und Medien daher nur
27 28 29
Vgl. ebd., S. 64. Vgl. ebd., S. 61f., Zitate S. 62. Vgl. ebd., S. 62f., Zitate S. 62.
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sehr reduziert eingesetzt werden sollten. Im Zuge einer Veranstaltung sei ihm jedoch die Idee gekommen, die monumentalen Grabdenkmäler im Kernbereich des Museums multimedial zu inszenieren. Die Show Im Reich der Schatten sei als eine Kombination aus Film und Führung gedacht gewesen, mit der die Steindenkmäler in Szene gesetzt werden sollten. Dabei werde eine Geschichte erzählt, die eine Mischung aus Fiktion und Bezügen auf historische Quellen sei und den Besucher:innen einen ganz neuen Zugang zu den Exponaten ermögliche. Das pädagogische Konzept habe »dabei auf die Verbindung von Wissensvermittlung und hohem Erlebniswert« gezielt. Das Projekt läuft bereits seit 2011 und soll voraussichtlich bis 2022 fortgeführt werden, obwohl dafür immer wieder hohe Folgekosten, beispielsweise für die Wartung der technischen Geräte, anfallen.30 Die Handlung des Raumtheaters orientiert sich an antiken Textvorlagen sowie an den auf den Grabdenkmälern dargestellten Szenen. Dabei ist die Dramaturgie derart aufgebaut, dass sie von Denkmal zu Denkmal durch den Raum wandert. Das Publikum wird dadurch animiert, sich mit den Projektionen durch den Neumagener Saal zu bewegen. Ziel des Projekts sei es gewesen, »das Interesse der Öffentlichkeit in neuer Weise auf die ständigen Sammlungen des Museums« zu lenken, zusätzliche Besucher:innen zu gewinnen und für Menschen aller Bildungs- und Altersstufen attraktiv zu sein, da eine leicht verständliche Bildsprache mit vertiefenden Informationen in Form von Texten ergänzt werde.31 Die Reliefs auf den Steindenkmälern werden dabei mit Projektionen überlagert, die den Eindruck vermitteln, die dargestellten Menschen und Tiere würden sich bewegen. Außerdem werden ihnen Stimmen verliehen und sie werden mit passenden Geräuschkulissen gerahmt. Die Exponate werden also gewissermaßen zu Akteuren, sie werden »in doppelter Richtung sprachfähig gemacht, [indem] Botschaften aus der Vergangenheit mit dem rhetorischen Potenzial der digitalen Medien synchronisiert« werden.32 Die Wissenschaftler:innen des Rheinischen Landesmuseums Trier waren an der Erstellung des Drehbuchs beteiligt und sicherten die Authentizität und wissenschaftliche Korrektheit der Inhalte.33 Anne Kurtze etwa, die vonseiten des Museums an der Konzeption des Raumtheaters mitgearbeitet hat, erklärt in einem Artikel in der Museumskunde, dass im Planungsprozess zuerst Ziele definiert wurden: Die musealen Objekte sollten im Vordergrund der Inszenierung stehen. Historische Inhalte sollten vermittelt werden, ohne zu einer reinen Belehrung überzugehen. Dabei sollten sich Entstehungsgeschichte und Funktion der Reliefs, aber auch der dargestellte römische Alltag unmittelbar aus der erzählten Geschichte ergeben. Die Fiktion der Rahmenhandlung sollte bewusst durch eine künstlerische Umsetzung markiert werden […].34 Zunächst einmal wurde also festgelegt, dass der Film ebenso wie die gesamte Ausstellung die Exponate in den Vordergrund stellen sollte und seine Inszenierung diesen unter-
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Vgl. Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 487, Zitat ebd. Vgl. Eckart Köhne, Im Reich der Schatten, Museumsmitteilungen, 2010, S. 63f., Zitat S. 63. Vgl. ebd., S. 63f., Zitat S. 64. Vgl. ebd., S. 62. Anne Kurtze, Im Reich der Schatten, Museumskunde 76, 2011, S. 81.
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zuordnen sei. Inhalte sollten unterhaltsam und nicht belehrend vermittelt werden und sie sollten aus den Motiven der Grabdenkmäler abgeleitet werden. Dabei sollte aber klar markiert werden, welche Teile der Geschichte pure Fiktion sind und welche auf historischen Vorbildern beruhen. Es wurde, so berichtet wiederum Eckart Köhne, deshalb auch »bewusst darauf verzichtet, Realfilmsequenzen zu verwenden oder Schauspieler agieren zu lassen«, um eine klare Trennung »zwischen der illusionären Bilderwelt und der Realität der musealen Ausstellungsstücke« beizubehalten. Stattdessen sind alle Motive des Films animiert und dabei zum Teil auch von Bildern der römischen Wandmalerei inspiriert. Auch der Text der Handlung bedient sich vieler antiker Vorlagen.35 Akustisch umfasst das Raumtheater mehrere Ebenen. Den Personen des Stücks wurden die Stimmen von Schauspielern verliehen. Peter Striebeck und Christoph Maria Herbst sprachen die Rollen der beiden Hauptfiguren. Daneben wurden Geräuschkulissen passend zur Handlung eingefügt, beispielsweise Geräusche von einem römischen Markt oder einem Wagenrennen im Circus. Diese werden stellenweise im Sinne der Handlung durch synthetische Klänge verstärkt oder verändert. Außerdem enthält die Show auch Musik, und zwar einerseits als Teil der Handlung, beispielsweise Musik zu einem Tanz oder Fanfarensignale, andererseits ähnlich wie Filmmusik als dramaturgischer Teil der Inszenierung.36 Das Drehbuch für das Raumtheater schrieben Christian Schiller und Marianne Wendt, die darin ausführten, dass das Stück von römischen Komödien inspiriert wurde und deshalb einer klaren Struktur folgt: Auf die erste Belebung der Geister folgen Szenen des privaten und des gesellschaftlichen Lebens. Daran schließen sich Szenen des Exzesses an, die letztlich durch die Götter unterbrochen und beendet werden. Am Schluss versinkt die Handlung wieder in Ruhe. Die beiden Hauptfiguren sind der Kaufmann Gaius Albinius Asper, dessen Grabdenkmal im Neumagener Saal direkt gegenüber dem Eingang steht, und der Gott Merkur. Asper führt die Besucher:innen durch das gesamte Stück, kommentiert das Geschehen und spricht den Prolog sowie den Epilog. Merkur ist eine sogenannte Buddy-Figur, ein Partner, der ein komödiantisches Element in die Handlung einbringt und für den Protagonisten Asper Ansprechpartner und zugleich Antagonist ist. Die Handlung ist in einzelne konkrete und in sich abgeschlossene Szenen unterteilt, die »schlaglichtartige Einblicke in die römische Geschichte« und in die Lebenswelt der Personen auf den Grabmälern vermitteln sollen. Als Ruhepunkte wurden außerdem sogenannte Caesurae eingebaut, in denen nur Bilder und Klänge eingesetzt und keine textlichen Informationen vermittelt werden.37
35 36 37
Vgl. Eckart Köhne, Im Reich der Schatten, Museumsmitteilungen, 2010, S. 62. Vgl. Eckart Köhne, Im Reich der Schatten, Antike Welt, 2010, S. 87. Vgl. Christian Schiller und Marianne Wendt, Ludi Publici in der Gräberstrasse in Trier, 2009, S. 1–3, Zitat S. 3.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
Abb. 18: Teil der Raumansicht: Im Vordergrund ein Grabmal mit einer Jagdszene, im Hintergrund links ist die Seite von Aspers Grabmal zu sehen, auf der eine Tänzerin abgebildet ist. (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer)
Ausgangspunkt der Handlung ist die Trauer Aspers um seine verstorbene Ehefrau. Er bewegt den Gott Merkur dazu, ihn ins Zwischenreich mitzunehmen, um dort nach ihr zu suchen. Die beiden Hauptfiguren begeben sich also auf eine Reise durch die Unterwelt, treffen dabei auf die Geister verschiedener Menschen und erleben diverse Abenteuer (s. Abb. 18). Sie beobachten beispielsweise einen Leichenzug auf einer Gräberstraße, bei dem sich der Gott und der Mensch über die Bestattungssitten und deren Sinn unterhalten – der freilich offen bleibt, weil Merkur nicht beantworten möchte, ob die Toten die Beigaben und Grabdenkmäler tatsächlich brauchen. Außerdem werden sie Zeugen, wie Jupiter in einen Adler verwandelt den Knaben Ganymed entführt, wobei Merkur auf die Liebschaften des Göttervaters mit diversen Sterblichen anspielt: »Ich hätt mit einer Frau schon genug, doch er gibt den Stier mit Europa, den Schwan mit der Leda, die Wolke mit Io, die Schlange mit Proserpina, und wenn’s ihm beliebt, spielt er Feuer oder goldenen Regen.«38 Bei den Besucher:innen können dadurch Erinnerungen an antike Sagen und Mythen wachgerufen werden, die sie möglicherweise im Schulunterricht oder in Literatur und Film kennengelernt haben und die zum Teil in Exponaten der Ausstellung motivisch angedeutet sind – so zeigt beispielsweise eine Öllampe in Bereich (11) eine Darstellung von Leda mit dem Schwan. Das Raumtheater wird durch solche Hinweise mit den
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Christian Schiller und Marianne Wendt, Im Reich der Schatten, Drehbuch, 2011, S. 19.
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realen Exponaten des Museums verknüpft; nicht nur mit denen im Neumagener Saal, sondern auch mit Sammlungsstücken in anderen Ausstellungsbereichen. Da Asper letztlich seine Frau Secundia im Reich der Schatten nicht finden und erreichen kann, fasst er den Entschluss, ihren Tod zu akzeptieren und den Rest seines Lebens noch zu genießen. Dies ist also die Lehre, die er aus seinem Abenteuer mit Merkur zieht: »Nicht den Tod sollte man fürchten, sondern dass man nie beginnen wird, zu leben.«39 Diesen Ausspruch hat zuvor schon Merkur in der Gräberstraßenszene wiedergegeben – Asper scheint Merkurs Rat also wortgetreu angenommen zu haben. Auffällig ist die Einbindung von zwei antiken Mythen in das Stück Im Reich der Schatten, nämlich dem zu Medusa und dem zu Ganymed. Die Motive beider Mythen wurden häufig in der römischen Sepulkralkunst verwendet – auch auf einigen Denkmälern im Neumagener Saal sowie auf der Igeler Säule – und stehen somit in enger Verbindung zum Thema Tod. Darüber hinaus werden zahlreiche Texte antiker Schriftsteller zitiert, beispielsweise von Vergil, Ovid, Catull und Horaz. Die Zitate werden meist in deutscher Übersetzung, zum Teil aber auch auf Lateinisch wiedergegeben und handeln vom Tod oder davon, das Leben zu genießen; vor allem durch Liebe, Essen, Wein und Tanz, so beispielsweise die frei übersetzte Version eines Zitats aus dem ersten Buch von Ovids Liebeskunst: »Oft rauben beim Wein die Mädchen die Herzen der Männer. Die Venus ist im Wein wie Feuer im Feuer. Dem Urteil über die Form schaden die Nacht und der Wein.«40 Die Handlung von Im Reich der Schatten steht also in einer steten Spannung zwischen Tod und Jenseits auf der einen Seite und Leben, Liebe und Genuss auf der anderen. Während Asper vor allem zu Beginn des Stücks in Trauer und Erinnerung zu verharren scheint und so gewissermaßen dem Gedanken des Memento mori huldigt, vertritt Merkur die Antithese eines Carpe diem und überzeugt Asper mehr und mehr davon, seine Trauer und seinen Todeswunsch – der ihn ganz ähnlich wie Orpheus dazu bewegt, mit Merkur in die Unterwelt hinabzusteigen, um bei seiner verstorbenen Frau zu sein41 – zu überwinden und sein verbleibendes Leben noch zu genießen. Somit kommuniziert das multimediale Raumtheater nicht nur Wissen über das alltägliche Leben im antiken Trier, indem beispielsweise die Bestattungssitten, die römische Mode, der Unterricht, der Weinhandel und die Schauspiele in Circus und Theater thematisiert werden, sondern es vermittelt den Besucher:innen vor allem die Jenseitsvorstellungen der Zeit und suggeriert daraus resultierend eine lebensbejahende Grundeinstellung der Menschen, die vor allem in Essen, Wein, Spielen, Tanz, Musik und körperlicher Liebe Genuss gesucht haben sollen. Da Asper am Ende hoffnungsvolle Schluss39 40
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Ebd., S. 34; außerdem auch ebd., S. 18. Ebd., S. 27. Im Original lautet das Zitat: »Illic saepe animos iuvenum rapuere puellae, Et Venus in vinis ignis in igne fuit. Hic tu fallaci nimium ne crede lucernae : Iudicio formae noxque merumque nocent.« (Niklas Holzberg [Hg. u. Übers.], Publius Ovidius Naso, Liebeskunst, Ars Amatoria, Heilmittel gegen die Liebe, Remedia Amoris, Lateinisch-deutsch, 1992, Liber I, Vers 243–246, S. 22f.) Die Parallele zu Orpheus wird auch darin deutlich, dass Secundia Asper zufolge an einem Schlangenbiss starb, ebenso wie der Sage nach Orpheus‹ Frau Eurydike (vgl. Konrat Ziegler, Orpheus, 2013, S. 353. Erwähnt wird der Schlangenbiss von Vergil. Vgl. hierzu: Michael von Albrecht und Otto Schönberg [Hg. u. Übers.], P. Vergilius Maro, Leben auf dem Lande, Bucolica, Georgica, Lateinisch/ Deutsch, 2013, Georgica, Liber IV, Vers 455–460, S. 240f.).
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
worte spricht, wird das Publikum positiv gestimmt wieder in die Ausstellung entlassen. Der Neumagener Saal ist vielleicht zufällig, aber überaus passend von dem Bereich zum römischen Kult (7) und den Mosaikböden mit Motiven aus der Mythologie und dem Circus (8) umgeben, sodass es nicht zu einem thematischen Bruch kommt. Das Raumtheater Im Reich der Schatten ist ein sehr immersives multimediales Element der Dauerausstellung, das Besucher:innen vor allem unterhält. Es knüpft aber auch an bestehende Vorkenntnisse des Publikums zu antiken Mythen an und vermittelt darüber hinaus konkrete wissenschaftliche Inhalte über das Leben und Sterben der Menschen in der Region um Trier während der römischen Kaiserzeit. Da die Show nur zweimal am Tag gezeigt wird und der Neumagener Saal ansonsten ein normaler Teil der Ausstellung ist, wirkt diese Inszenierung lediglich als punktuelle Ergänzung des üblichen Angebots des Museums, das heißt, die Exponate und die Inszenierung der Dauerausstellung werden dadurch nicht überlagert oder zu illustrativem Beiwerk degradiert. Wie die Macher:innen des Projekts beabsichtigten, wird dadurch vielmehr ein neuer Zugang zu den monumentalen Grabdenkmälern ermöglicht, der sie kontextualisiert und inszeniert, ohne dass dafür permanente Eingriffe in die Architektur des Neumagener Saals oder die Aufstellung der Denkmäler – die aufgrund ihrer Masse nur schwer bewegt, umgestellt oder verändert werden können – nötig würden. Durch die bekannten Stimmen der Hauptfiguren, die animierten Motive der Bildebene und die untermalende Musik des Stücks bleibt in jedem Moment der Vorführung deutlich, dass es sich bei Im Reich der Schatten um eine fiktive Geschichte handelt. Gleichzeitig tragen die prominenten Schauspieler aber auch zur Attraktivität des Stücks bei, für das Besucher:innen ein zusätzliches Ticket kaufen müssen. Die zum Teil lateinischen Zitate antiker Texte sowie die subtil vermittelten Forschungsergebnisse über das Leben zur Zeit der Grabdenkmäler vermitteln über den Unterhaltungswert hinaus einen Eindruck von Seriosität und Zuverlässigkeit der Darstellung.
III.2.3 Eine Ausstellung wie ein Lehrbuch Einem Artikel im Trierischen Volksfreund vom 14. Oktober 2009 zufolge erklärte die damalige Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur Doris Ahnen im Zuge der Eröffnung des ersten Bauabschnitts der Dauerausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier, mit der neuen Ausstellung werde ein wichtiger Beitrag zur rheinlandpfälzischen Identität geleistet.42 Diese Aussage stellt nicht nur eine Rechtfertigung der Finanzierung des Großprojekts dar, sondern bringt auch zum Ausdruck, dass von politischer Seite das Rheinische Landesmuseum Trier als wichtiger Repräsentationsort des Bundeslandes beziehungsweise von dessen kultureller Identität wahrgenommen wurde. Dies ist allerdings angesichts der auf eine bestimmte Region bezogenen Ausrichtung des Museums und seiner Sammlung nicht selbstverständlich. Aufgrund der Gründungsund Entwicklungsgeschichte des Museums repräsentiert es bis heute die Stadt Trier einschließlich ihres Umlandes, der Eifel, des Hunsrücks und des Moselgebiets, also eine
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Vgl. Eva Großeastroth, Mehr Geld für alte Schätze, Trierischer Volksfreund, 14.10.2009, o. S.
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Region, die gewissermaßen losgelöst vom Bundesland steht. Die Ausstellung kommuniziert auch keinen Bezug zwischen dieser Region und dem Land, vielmehr vermittelt sie, dass die Teilgebiete der Region mindestens seit der Eisenzeit ein dichtes und zusammenhängendes Siedlungsnetz bilden, das seit der Gründung Triers vor allem um die Stadt zentriert ist und mehr Verbindungen zu den angrenzenden Gebieten in Luxemburg, Frankreich und dem Saarland als zum pfälzischen Teil des Bundeslandes zu haben scheint. Entgegen seinem Titel »Landesmuseum« hat das Rheinische Landesmuseum Trier also eher den Charakter eines Stadt- oder Regionalmuseums und vertritt selbst nicht den Anspruch, das Land zu repräsentieren. Dieser Konflikt zwischen dem Selbstverständnis des Museums und der Perspektive der Landeskulturpolitik war vor allem im Interview mit Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann spürbar und manifestiert sich gewissermaßen in der Existenz der GDKE. Diese ermöglicht zwar eine Bündelung von Ressourcen, das Einsparen von Personal und Finanzmitteln sowie eine klar strukturierte Vernetzung der einzelnen Kulturinstitutionen des Bundeslandes. Sie bringt aber auch Konfliktpotenziale mit sich, beispielsweise zwischen der Landesarchäologie und den Landesmuseen. Hans Nortmann bewertet die Kulturpolitik des Landes und die Gründung der GDKE als Versuch, eine bundeslandweite kulturelle Identität zu etablieren, der die regionalen Besonderheiten unterzuordnen seien.43 Seiner Sammlung und seiner rund 200 Jahre währenden Arbeitstradition entsprechend vertritt das Rheinische Landesmuseum in seiner Dauerausstellung aber weiterhin eher die Spezifika in der historischen Entwicklung der Region rund um Trier, ohne dabei eine Brücke zum modernen Bundesland zu schlagen. Die Kernaussagen der Ausstellung zielen also vor allem auf die besondere Vergangenheit Triers als ehemaliger Regierungsstadt des Weströmischen Reiches, aber auch die Prägung der Region durch »keltische« und »germanische« Bevölkerungsgruppen wird deutlich gemacht. Zwar stehen mit Blick auf die fabula der Ausstellung alltägliches Leben und Bestattungssitten im Vordergrund und sind durch besonders viele Exponate repräsentiert – beispielsweise durch Grabinventare und -denkmäler, Bauelemente, Werkzeuge und Geschirr –, aber darüber hinaus werden mit der Thematisierung von Weinanbau, Katholizismus und Handel auch Verbindungen zwischen der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit und der Gegenwart geknüpft, die diese zentralen Elemente der regionalen kulturellen Identität als kulturelles Erbe der Vergangenheit erscheinen lassen. Das Museum selbst präsentiert sich dadurch als Bewahrer und Verwalter dieses jahrtausendealten Erbes und als Ort des kulturellen Gedächtnisses der Region, in dem die Erinnerungen an die Vergangenheit gespeichert sind. Die Stadt Trier wird als zentraler Knotenpunkt verschiedenster kultureller Einflüsse und zugleich als Ausgangs- beziehungsweise Kanalisationspunkt porträtiert, von dem aus diese Einflüsse sich auch in die eher ländliche Umgebung im Hunsrück, an der Mosel und in der Eifel verbreitet haben, wo sie beispielsweise in Relikten provinzialrömischer Wohnkultur beobachtet werden können. Diese Analyse zeigt, dass Themen wie »Identität« und »kulturelles Gedächtnis« – obwohl das Rheinische Landesmuseum Trier diese nicht bewusst »bespielt« – gewissermaßen unweigerlich durch die Dauerausstellung eines solchen Archäologischen Lan43
Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 489.
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desmuseums berührt werden. Wie bereits in Kapitel I.3 ausgeführt, lehnen Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann die direkte Verwendung solcher Schlagwörter ab und wollen ihre Arbeit nicht durch die Kulturförderpolitik von öffentlicher Seite zur Stärkung einer Landesidentität oder für sonstige politische Ziele vereinnahmen lassen.44 Sie brauchen sich nur Forschungsanträge bei der DFG oder so anzugucken. Da laufen immer bestimmte Stichworte auf, wie zum Beispiel das Stichwort der Vernetzung oder Gender oder vor einigen Jahren ging es immer darum, Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft zusammenzubringen und so. Das sind alles Moden. Manche können das wunderbar bespielen und schreiben einen Forschungsantrag, wo all diese Schlagworte richtig hintereinander weg kommen. Das ist aber genauso falsch, als wenn man sich gar keine Gedanken darüber macht, dass ein Thema auch eine Relevanz für heute haben soll.45 Dass das Rheinische Landesmuseum dennoch als Ort von Gedächtnis, Erbe und Identität – zumindest der Region, die es repräsentiert – fungiert, ist jedoch eine logische Konsequenz aus seiner Gründungsgeschichte, seiner Sammlung und seinem Aufgabengebiet. Der einleitende Text zum Museum im »Forum«, der im vorangegangen Teilkapitel als Parodos der Ausstellung analysiert wurde, bringt dies prägnant zum Ausdruck. Das Museum ist sich seiner Funktion als Generator von Gedächtnis, Erbe und Identität also bewusst. Die zurückhaltende bis ablehnende Haltung der beiden Interviewten gegenüber einer plakativen Verwendung dieser Schlagwörter zum Einwerben finanzieller und sonstiger Unterstützung von öffentlicher Seite zeigt jedoch, dass sie sich auch der Problematiken und der Verantwortung gegenüber dem Museumspublikum bewusst sind, die mit dieser Funktion einhergehen. Daher bemühen sie sich um eine sachliche, neutrale Position und vermeiden die Thematisierung dieser Konzepte in ihrer Dauerausstellung weitestgehend. Das Gesamtnarrativ der Ausstellung verläuft dabei überwiegend chronologisch und hat zunächst in den Bereichen vom Paläolithikum bis zur keltischen Eisenzeit ein sehr hohes Erzähltempo, das dann in den Bereichen zur provinzialrömischen Phase stark abund schließlich in den Bereichen zu Mittelalter und Neuzeit wieder deutlich zunimmt. Somit liegt der Schwerpunkt der Ausstellung eindeutig auf der Phase der römischen Besiedlung des Gebiets. Auffällig ist, dass die Begriffe »Römer«, »Kelten« und »Germanen« sowie »Franken« und »Treverer« in den Ausstellungstexten Verwendung finden, während archäologische Kulturen wie die »Glockenbecher« oder die »Linearbandkeramiker« nicht erwähnt oder erläutert werden. Es werden also nur solche Kulturgruppenbegriffe verwendet, die aus antiken Quellen stammen und mit Blick auf den Begriff »Kelten« wird auf diesen Ursprung in einem Text auch hingewiesen. Die Problematik solcher Begriffe und insbesondere die Gefahren einer Fehlinterpretation archäologischer Kulturen als ethnisch homogene Völker oder gar Rassen werden allerdings nicht explizit thematisiert. Durch die Vermeidung solcher Kulturgruppenbegriffe und die Kontextualisierung des Keltenbegriffs wird eine solche Fehlinterpretation durch Besucher:innen der Ausstellung
44 45
Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 492–494. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 493.
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zwar unwahrscheinlicher, ausgeschlossen ist sie aber nur, wenn der entsprechende Text auch wirklich von Besucher:innen gelesen wird. Mit Blick auf die Vergangenheit der Archäologie, die während der nationalsozialistischen Herrschaft zumindest teilweise ideologisch instrumentalisiert wurde beziehungsweise sich der Rassenlehre und Blut-und-Boden-Ideologie andiente, könnte ein offenerer Umgang mit dem Thema einen wertvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs zur Frage nach der »deutschen Identität« darstellen. Von der Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums wird diese Thematik aber nicht abgedeckt. Es soll hier allerdings auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Institution im Jahr 2002 den Sammelband Propaganda, Macht, Geschichte herausgegeben hat, in dem die NS-Vergangenheit der Archäologie im Raum Trier behandelt wird.46 Die sachliche Arbeitshaltung der Ausstellungsmacher:innen kommt auch in der Inszenierung der Dauerausstellung zum Ausdruck, die eher zurückhaltend und neutral, aber niedrigschwellig ist und bisweilen auch unterhaltsame Details und Installationen enthält. Die Ausstellungstrategie erinnert damit gewissermaßen an ein für den Schulunterricht verfasstes Sachbuch: Alle Inhalte sind didaktisch aufbereitet, werden durch einfache Texte sachlich erklärt und durch weitere Elemente wie Illustrationen, Grafiken, Videos und das multimediale Raumtheater anschaulich ergänzt. Aus Gesprächen mit den Ausstellungsmacher:innen sowie aus internen Konzeptpapieren und Planungsdokumenten geht deutlich hervor, dass jeglicher Einsatz von Medien, Farbe und Ausstellungsarchitektur vorab in einem langen Prozess detailliert geplant und schließlich auch konsequent umgesetzt wurde. Diese Gewissenhaftigkeit lässt erkennen, welchen hohen wissenschaftlichen und zugleich besucherorientierten Anspruch das Rheinische Landesmuseum vertritt. Obwohl die Inszenierung weitestgehend einheitlich ist, ist sie dennoch abwechslungsreich gestaltet. Dazu tragen beispielsweise der Einsatz der verschiedenen Themenfarben und der unterschiedlichen Vitrinenformate sowie der Wechsel von weißer zu schwarzer Ausstellungsarchitektur in den Bereichen (13) und (16) bis (19) bei. Weitere Abwechslung zur klassischen Ausstellung aus Exponaten und analogen Medien wie Texten und Modellen bieten natürlich die Videostationen und insbesondere das multimediale Raumtheater Im Reich der Schatten. Das Raumtheater ist ein außergewöhnlich starkes Unterhaltungselement, das die Ausstellung insgesamt dennoch nicht überlagert, da es nur zweimal am Tag abgespielt wird. Seine zentrale Botschaft des Carpe diem hebt die Stimmung und trägt zur Motivation der Ausstellungsbesucher:innen bei. Der sonstige Medieneinsatz ist aber sparsam dosiert und bewirkt, dass die Ausstellung zwar spielerischer und weniger auratisch als beispielsweise die des saarländischen Landesmuseums erscheint, aber nicht reißerisch oder effekthascherisch daherkommt. Sie nimmt eine Position zwischen Bildung und Unterhaltung ein und präsentiert Inhalte niedrigschwellig und seriös zugleich. Die Exponate werden andeutungsweise kontextualisiert, das heißt, sie werden nicht in (re-)konstruierten Umwelten gezeigt, sondern sind so in den Vitrinen platziert oder montiert, dass sie vor allem als ästhetische Objek-
46
Vgl. Hans-Peter Kuhnen (Hg.), Propaganda, Macht, Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus, 2002.
III.2 Die didaktische Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier
te erfahrbar sind, gleichzeitig aber in vielen Fällen auch ihre ursprüngliche Verwendung ersichtlich wird. Die Inszenierung im Rheinischen Landesmuseum Trier entspricht somit der von Martin Schärer definierten didaktischen Ausstellungssprache. Diese soll auf die Bedeutung von Objekten verweisen und Wissen vermitteln, indem sie Objekte taxonomisch, funktionell, deskriptiv oder narrativ anordnet. Schärer erläutert weiter, dass bei der didaktischen Ausstellungssprache der ursprüngliche Kontext von Objekten, ihr funktioneller Aspekt, im Vordergrund ihrer Präsentation stehe und davon ausgegangen werde, dass die Ausstellung sich einer historischen Realität diskursiv annähern könne. Da vom Besucher aktives Mitdenken erwartet werde, enthielten solche Ausstellungen oft neben langen und klar strukturierten Texten auch Grafiken, Bilder und andere audiovisuelle oder auch elektronische Inszenierungsmittel.47 Diese Charakteristika treffen auf die Dauerausstellung in Trier offensichtlich zu. In zwei weiteren Punkten weicht sie jedoch von Schärers Kategorie ab. Erstens soll in der didaktischen Ausstellungssprache die Aura des Originals eine untergeordnete Rolle spielen, weshalb auch Kopien eingesetzt werden könnten.48 In Trier wurde dagegen großer Wert auf die nahezu ausschließliche Präsentation von Originalen und deren Ästhetik gelegt. Dieser Strategie zur Inszenierung der Aura von Objekten wurde gegenüber der Simulation einer »didaktisch aufbereitete[n] Wirklichkeit« der Vorzug gegeben.49 Zweitens macht Schärer darauf aufmerksam, dass die didaktische Ausstellungssprache das Risiko berge, dass Objekte zu reinen Illustrationen des Textes degradiert würden.50 Tatsächlich sind in der Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier viele Texte verfügbar, die von einer allgemeineren bis hin zu einer detaillierten Information verschiedene Ebenen der Inhaltsvermittlung bieten. Die Texte sind jedoch kurz und prägnant formuliert und dezent gestaltet, während die Objekte vor farbigen Hintergründen ästhetisch platziert, gut ausgeleuchtet und zum Teil sogar schwebend montiert sind oder von allen Seiten betrachtet werden können. Dadurch wird ihre Degradierung zu Illustrationen des Textes vermieden. Die Schlüsselobjekte werden des Weiteren auch durch die Videostationen aus der Masse der Exponate hervorgehoben und stehen umso mehr als Kristallisationspunkte des Ausstellungsnarrativs im Fokus. Diese Ausstellung will also in erster Linie ein Lernort sein und legt großen Wert auf hohe wissenschaftliche Qualität. Der spielerische oder illustrative Umgang mit komplexen wissenschaftlichen Inhalten wurde daher eher vermieden und nur im Raumtheater Im Reich der Schatten zugelassen. Mechthild Neyses-Eiden erklärte hierzu im Interview, dass die Sammlungsobjekte in den Vordergrund gestellt und aus ihnen Geschichten und Themen abgeleitet worden seien: Hier wird auf Objekte zurückgegriffen, die Bestandteil der Sammlung sind und die größtenteils ergraben wurden. Diese müssen kontextualisiert werden, um entsprechend Geschichte zu erzählen. Hierauf lag der Fokus und somit wurde auf eine
47 48 49 50
Vgl. Martin Schärer, Die Ausstellung, 2003, S. 124. Vgl. ebd. Vgl. Mechthild Neyses-Eiden und Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 484f., Zitat S. 484. Vgl. Martin Schärer, Die Ausstellung, 2003, S. 124.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
schmückende Inszenierung weitgehend verzichtet. Die Gestaltung sollte zeitlosmodern und langlebig sein.51 In Sonderausstellungen inszeniert das Museum Neyses-Eiden zufolge Themen wesentlich stärker, aber dies sei dort nur möglich und nötig, weil in Sonderausstellungen stets ein eng definiertes Thema präsentiert werde. Dafür würden Exponate ausgewählt, die zu der intendierten Erzählung der Ausstellung passen und diese würden dann entsprechend in Szene gesetzt. Bei einer Dauerausstellung dagegen würden die Themen und Erzählungen der Ausstellung aus den Sammlungsobjekten entwickelt.52 Auch Hans Nortmann sprach sich deutlich gegen starke Inszenierungen in archäologischen Dauerausstellungen aus und bezog das sowohl auf White-Cube-Ausstellungen als auch auf Ausstellungen, die stark illustrativ und interaktiv konzipiert sind. Gegen Letzteres sprechen aus seiner Sicht vor allem praktische Gründe, während der Umgang mit archäologischen Objekten als reinen Kunstobjekten auf der anderen Seite nicht angemessen sei. Nortmann argumentierte des Weiteren, dass Inszenierungen immer eine Einschränkung auf einen Aspekt erforderten und daher für die Darstellung von ganzen Epochen nicht sinnvoll seien.53 Sein Anliegen sei es, die Besucher:innen in der Dauerausstellung im übertragenen Sinne an die Hand zu nehmen und es ihnen zu ermöglichen, den Erkenntnisprozess, der sich in der archäologischen Forschung ausgehend von einem Fragment der Vergangenheit zu einem größeren Verständnis dieser Vergangenheit vollziehe, mitzuverfolgen.54 Die Archäologie hat immer die Reste, die unvollkommenen Teile, die kaputten Teile, und versucht daraus ein Bild zu zeichnen. Und diesen Prozess versuchen wir im Kleinen mit den Zuschauern mitzugehen. Eigentlich auch um zu zeigen: »Leute, wir wissen nicht alles, aber das hier tritt uns aus dieser Epoche entgegen und daraus können wir ein Bild machen und versuchen, ob wir das nachvollziehen können.«55 Die Besucher:innen sollen hier also dazu angeleitet werden, die wissenschaftliche Arbeit der Archäolog:innen und Kurator:innen hinter der Ausstellung nachzuvollziehen. Somit sollen sie nicht nur etwas über die Ur- und Frühgeschichte lernen, sondern auch über die Disziplin, die diese erforscht. Dabei wird, vor allem durch die Videostationen, auch gewährleistet, dass die Besucher:innen eine kritische Distanz zu den in der Ausstellung präsentierten Inhalten einnehmen können. Sie sollen also als Mitglieder der exoterischen Kreise des Denkkollektivs – um an dieser Stelle auf die von Ludwik Fleck geprägte Metapher zurückzugreifen – die Informationen, die ihnen der esoterische Kreis vermittelt, nicht nur unhinterfragt aufsaugen. Stattdessen sollen sie dazu befähigt werden, das Zustandekommen der Inhalte nachzuvollziehen sowie deren Grenzen und deren Vorläufigkeit zu erkennen. Somit können Besucher:innen durch die aktive Rezeption der Ausstellung gewissermaßen im Denkkollektiv weiter in Richtung Mitte, zum esoterischen Kreis der Expert:innen, wandern. 51 52 53 54 55
Mechthild Neyses-Eiden im Interview, Anhang 1.3, S. 485. Vgl. ebd., S. 485. Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 485f. Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 486. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 486.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
III.3.1 Von der Tundra bis nach Walhalla Das Landemuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale ist sicherlich eines der bekanntesten Archäologischen Landesmuseen in Deutschland – nicht zuletzt wegen seines prominentesten Sammlungsstücks: der Himmelsscheibe von Nebra. Gegründet wurde das Museum im Jahr 1882, als der Landtag der preußischen Provinz Sachsen beschloss, in der Neuen Residenz am halleschen Dom ein Provinzialmuseum einzurichten. Es handelt sich hierbei also ähnlich wie in Trier um die staatliche Gründung eines Provinzialmuseums in Preußen. Zwei Jahre später wurde es als Museum für heimatliche Geschichte und Altertumskunde der Provinz Sachsen eröffnet. Grundlage des Museums war die Sammlung des 1819 auf der Burg Saaleck gegründeten Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erforschung des vaterländischen Alterthums und Erhaltung seiner Denkmale – eine weitere Parallele zum Rheinischen Landesmuseum, dessen Sammlung ebenfalls auf der eines bürgerlichen Vereins basiert. Der heutige Museumsbau wurde von 1911 bis 1913 nach Entwürfen von Wilhelm Heinrich Kreis speziell für die Institution konstruiert. Die Eröffnung wurde jedoch wegen des Ersten Weltkriegs auf den 9. Oktober 1918 verschoben.1 Die wechselvolle Geschichte und die wechselnden ideologischen Prägungen, die das Museum im folgenden Jahrhundert unter anderem durch den Nationalsozialismus und den Sozialismus prägten, sollen hier nicht im Detail ausgeführt werden.2 Ich möchte mich stattdessen auf den Zustand der Dauerausstellung im Jahr 2019 konzentrieren. Sie wurde seit 2001 neu konzipiert und war lange Zeit ein Work in Progress, denn sie wurde in mehreren Bauabschnitten realisiert. Der erste Abschnitt wurde im Jahr 2003 eröffnet, der letzte wurde 2021, nach Fer-
1 2
Vgl. Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 217f. Sie können u.a. in folgenden Sammelwerken nachgelesen werden: Harald Meller (Hg.), Schönheit, Macht und Tod. 120 Funde aus 120 Jahren Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, 2001; Holger Brülls, Moderne und Monumentalität. Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle von Wilhelm Kreis und seine expressionistischen Wandbilder, 2016; Dieter Kaufmann (Hg.), Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte, Bd. 67, 1984.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
tigstellung dieser Arbeit, abgeschlossen. Die gesamte Ausstellungsfläche beträgt rund 3200 m².3 Laut Harald Meller soll die Sammlung des Landesmuseums für Vorgeschichte rund 15 Millionen Objekte enthalten. Da das Museum ehemals Provinzialmuseum der preußischen Provinz Sachsen war, reichen seine Sammlungsbestände über die Grenzen des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt hinaus und umfassen auch Funde aus Thüringen und Sachsen.4 Aufgrund dieser überregionalen Sammlung versteht das Museum sich nicht nur als Repräsentationsorgan Sachsen-Anhalts, sondern als zentrales Museum für die Ur- und Frühgeschichte Mitteldeutschlands – ein Anspruch, den es häufig auch in Presse- und Katalogtexten zum Ausdruck bringt.5 Ähnlich wie in Trier, aber anders als in Saarbrücken wird hier also zwischen dem geografischen Bezugsrahmen des Museums und den territorialen Grenzen des heutigen Bundeslandes unterschieden. Dabei ist aber die Region, die das Museum repräsentieren möchte, nicht nur ein Teilgebiet des Bundeslandes, wie in Rheinland-Pfalz, sondern sie geht über dieses hinaus. Da das Museum gemeinsam mit der Bodendenkmalpflege in Sachsen-Anhalt behördlich organisiert ist, erhält die Sammlung allerdings inzwischen nur noch neue Funde aus dem eigenen Bundesland dazu. Bevor ich die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte analysiere, möchte ich wie schon in den vorangegangenen Fallstudien auf die unmittelbare Umgebung dieser Ausstellung eingehen, denn sie kann bereits die Erwartungshaltung der Besucher:innen prägen und sie auf die vor ihnen liegende Schau einstimmen. Bei dem Museumsbau handelt es sich um ein großes, frei stehendes Gebäude im Stadtteil Giebichenstein, einem Wohngebiet nördlich der Hallenser Innenstadt. Südlich des Museums, vor dem Haupteingang, liegt der Rosa-Luxemburg-Platz, eine Grünfläche mit einem Spielplatz. Von dort aus gesehen wirkt der massive quadratische Kalksteinbau des Landesmuseums besonders imposant und vermittelt den Eindruck einer Trutzburg (s. Abb. 19), die aufgrund ihrer Größe und Monumentalität den Besucher:innen Respekt abverlangt. Verstärkt wird dieser Eindruck unter anderem durch die turmartigen Rotunden auf den Ecken an der Südseite des Gebäudes. Die Architektur des Gebäudes wurde unter anderem von Claudia Wohlfeld6 und Holger Brülls7 ausführlich besprochen und soll hier nicht mehr im Detail analysiert werden. Ich möchte jedoch auf einige Besonderheiten aufmerksam machen: Die festungsähnliche Gestaltung wird als Ausdruck einer Schutzfunktion des Baus gegenüber den darin aufbewahrten Schätzen gedeutet.8 Der bedrohliche Raumeindruck setzt sich auch im Eingangsbereich des Museums fort und ist, darauf hat Holger Brülls verwiesen, ein didaktisches Mittel des Architekten Wilhelm Kreis: Die Verdichtung des Baudekors und die Reduzierung des Maßstabs erzeugen eine Enge, die sich beim Eintritt durch das Hauptportal im Vestibül des Museums zunächst 3 4 5 6 7 8
Vgl. Bernd Zich, Vorgeschichte, 2016, S. 36. Vgl. Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 221f. Vgl. beispielsweise: Arnold Muhl, Geisteskraft, 2005, S. 3. Vgl. Claudia Wohlfeld, Die Architekturgeschichte des Landesmuseums für Vorgeschichte, 2001, S. 37f. Vgl. Holger Brülls, Moderne und Monumentalität, 2016, S. 111–157 sowie S. 159–189. Vgl. Claudia Wohlfeld, Die Architekturgeschichte des Landesmuseums für Vorgeschichte, 2001, S. 37.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
fortsetzt. Dieses Raumerlebnis ist die Voraussetzung für die expandierende Raumerfahrung, die den Besucher in der Tiefe des Baus, im Lichthof und im Treppenhaus, erwartet. Sie hält räumliche Überraschungen bereit, von denen die Außenarchitektur nichts mitteilt. Das enge und lichtarme Vestibül, in dem sich auch die schalterartige Museumskasse befindet, führt axial geradewegs in den Lichthof. Zwischen dem drückend niedrigen Vorraum und dem hohen Kernraum ist als dunkle Schattenzone der von Säulen getragene Umgang gelegt. […] Im Durchschreiten solcher Kontrasträume schuf Wilhelm Kreis eine regelrechte Entrückungsarchitektur, die mit der Impression des Unterirdischen arbeitet. Sie erzeugt jene konzentrierte und hermetische Atmosphäre, die dem didaktischen Zweck der musealen Konzeption entspricht.9
Abb. 19: Außenansicht des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle von Süden her
Besucher:innen erleben also ein Gebäude, das zunächst einschüchternd wirkt, dann aber immer offener wird. Es wird nicht nach innen hin immer dunkler, je weiter man sich von der Welt draußen entfernt, sondern immer heller, je tiefer man in die Ausstellung eindringt. Es liegt nahe, das Licht hier als Metapher für die Erkenntnis und das Wissen zu deuten, die die Ausstellungen dieses Museums den Besucher:innen liefern sollen. Hinter dem Eingangsraum mit der Kasse liegt im Erdgeschoss ein Flur, von dem aus man in die oberen Stockwerke sowie in den Lichthof im Zentrum des Baus gelangen kann. Im ersten und zweiten Obergeschoss sind die Ausstellungsräume entlang der Außenwände verteilt. Dahinter liegen galerieartige Umgänge, in deren Mitte sich der rund
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Holger Brülls, Moderne und Monumentalität, 2016, S. 162.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
279 m² große und drei Stockwerke hohe Lichthof öffnet (s. Abb. 20 und Abb. 21). Dieser helle und leicht gestaltete Kern des Baus wird heute für Sonderausstellungen genutzt. Im Gebäude befinden sich neben den Ausstellungsräumen und dem Kassenschalter auch Garderoben, ein Museumsshop und -café sowie Räume für die Museumspädagogik und Büros. Im ersten Obergeschoss ist außerdem ein Kinosaal in der östlichen Rotunde eingerichtet. Die übrigen Rotundenräume im ersten und zweiten Obergeschoss zeigen besondere Sammlungsstücke und sind je nach Thema beziehungsweise Fundplatz gestaltet. Sie heben sich dadurch sowohl räumlich als auch gestalterisch von den übrigen Ausstellungsräumen ab. Diese sind nicht nur über die Umgänge im Lichthof zu erreichen, sondern auch untereinander mit großen Durchgängen verbunden, die einen Rundgang ermöglichen und Sichtachsen zwischen den einzelnen Ausstellungsbereichen schaffen. Auffallend sind auch die expressionistischen Wandmalereien im Treppenhaus des zweiten Obergeschosses (s. Abb. 22), deren interessante Geschichte Holger Brülls10 und Ingrid Schulze11 dargelegt haben, die hier jedoch nur in groben Umrissen skizziert werden soll: Der Bildfries wurde vom Architekten Paul Thiersch entworfen und 1918 von seinen Schülerinnen Johanna Wolff, Klara Kuthe und Lili Schultz ausgeführt. Er bildet einen in Kaseintechnik ausgeführten Zyklus, der »Szenen aus germanischer Frühzeit« zeigen soll und überwiegend in kräftigen Ocker-, Rot- und Blautönen gehalten ist.12 Ursprünglich erstreckten sich die Malereien auf alle Stockwerke. Im zweiten Obergeschoss sind noch Motive einer Jünglingsweihe und einer geistigen Geburt, der Herrscherwahl und der Gesetzesverkündung, eines Zweikampfs sowie von Tod und Bestattung zu sehen. Zwischen den Fenstern sind tanzende Frauen abgebildet und in den Eckfeldern neben den Fenstern sind die Befragung eines Sehers und ein Skaldengesang dargestellt.13 Nicht erhalten beziehungsweise von Putz überdeckt sind Darstellungen der Weltenesche Yggdrasil sowie zwei gegenläufige Hakenkreuze an den beiden Treppenansätzen im Erdgeschoss.14
10 11 12 13 14
Vgl. ebd., S. 219–322. Vgl. Ingrid Schulze, Die expressionistischen Fresken im Landesmuseum für Vorgeschichte (Halle Saale), 1984, S. 258–265. Vgl. ebd., S. 258–260, Zitat S. 259. Vgl. Holger Brülls, Moderne und Monumentalität, 2016, S. 244. Vgl. ebd., S. 220f. sowie S. 319.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Abb. 20: Orientierungsplan zur Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale), Stand 2023. (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt)
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Abb. 21: Blick von der Nordostecke im ersten Obergeschoss in den Lichthof
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Abb. 22: Teil der noch erhaltenen Wandmalereien auf dem Treppenabsatz im zweiten Obergeschoss
Von Beginn an und über viele Jahrzehnte waren diese Wandbilder stark umstritten. Als Exemplare avantgardistischer Kunst standen sie in krassem Kontrast zu Kreisʼ klassizistischer Architektur.15 Vor allem aber wegen der Verwendung des Swastika-Motivs stießen sie in den ersten Jahren des Museums auf Ablehnung, da diese »als unzulässige politische Kundgebung des ›völkisch‹ eingestellten Museumsdirektors« gewertet wurde. Die Hakenkreuze sollen deshalb Vandalismus vonseiten entrüsteter Museumsbesucher:innen provoziert haben. Ein historisches Foto in Holger Brüllsʼ Aufsatz zu diesem Thema zeigt eines der Motive mit Übermalungen, die laut Bildunterschrift durch einen Museumsbesucher im Jahr 1931 vorgenommen wurden.16 Ironischerweise wurden die Kunstwerke allerdings nach 1935 als »entartete Kunst« eingestuft und sollten beseitigt werden.17 Tatsächlich übertüncht wurden sie dann jedoch erst 1952, da das Bildprogramm mit seinen völkischen Darstellungen den Idealen einer sozialistischen Gesellschaftsordnung widersprach.18 Brülls bringt die heutige Situation der Wandbilder in Kombination mit der Architektur auf den Punkt: »Der Irritationseffekt, der von der künstlerischen Verschmelzung von Reaktion und Avantgarde ausgeht, bleibt angesichts von Malerei und Architektur im Grunde bis heute wirksam.«19 Dieser Irritationseffekt wird allerdings nicht aufgelöst, denn es werden keine erläuternden Informationen zu den Kunstwerken im Treppenhaus
15 16 17 18 19
Vgl. Ingrid Schulze, Die expressionistischen Fresken im Landesmuseum für Vorgeschichte (Halle Saale), 1984, S. 261. Vgl. Holger Brülls, Moderne und Monumentalität, 2016, S. 241. Das besprochene Foto befindet sich im selben Band auf S. 319. Vgl. ebd., S. 267. Vgl. ebd., S. 322. Ebd., S. 322.
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angeboten. Angesichts ihrer aufschlussreichen Geschichte, die die wechselnden Ideologien des 20. Jahrhunderts am Beispiel von deren Position zu Ur- und Frühgeschichte sowie Kunst widerspiegelt, könnten solche Informationen die Ausstellung des Hauses bereichern und gewissermaßen als Prolog zur Dauerausstellung die Frage aufwerfen, welche Haltungen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit heute zu diesen Themen einnehmen. Im persönlichen Gespräch äußerte ein Museumsmitarbeiter aber die Einschätzung, dass sich die meisten Besucher:innen nicht für dieses Thema beziehungsweise die Geschichte der Wandmalereien interessierten. Textliche Informationen dazu sollen zeitweise im Treppenhaus verfügbar gewesen sein, seien aber kaum rezipiert worden. Die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte ist als chronologischer Rundgang angelegt und beginnt im zweiten Obergeschoss mit Ausstellungsräumen und -bereichen, die die Entwicklung der Menschheit vom Leben in der eiszeitlichen Tundra während des Paläolithikums bis zum Leben in einer frühbronzezeitlichen Mittelgebirgslandschaft thematisieren. Im ersten Obergeschoss folgen Ausstellungsbereiche, die eine Zeitspanne von der Spätbronzezeit bis zur Spätantike beziehungsweise dem Beginn der sogenannten Völkerwanderungszeit abdecken und zum Teil wie »römische« Villen und »germanische« Hallen gestaltet sind. Weitere Räume zu Mittelalter und Früher Neuzeit befanden sich zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit noch in Planung. Durch Beschilderungen im Treppenhaus werden Besucher:innen darauf aufmerksam gemacht, welche Ausstellungsbereiche es gibt, wo sie ihren Ausstellungsrundgang beginnen und in welche Richtung sie sich bewegen sollten: Im zweiten Obergeschoss verläuft der Rundgang vom Eingang im Süden aus entgegen dem Uhrzeigersinn, im ersten Obergeschoss dagegen mit dem Uhrzeigersinn. Die folgende Analyse orientiert sich weitestgehend an der von den Ausstellungsmacher:innen intendierten Reihenfolge der Ausstellungsräume. Vom hellen Treppenhaus aus kommend betreten Besucher:innen den im Halbdunkeln liegenden Umgang im zweiten Obergeschoss, der den hellen Lichthof säumt. Sie befinden sich damit schon im ersten Teil der Dauerausstellung, denn in den Umgängen werden auf allen Etagen besondere Fundplätze und Objektkategorien gezeigt, die die Ausstellungsbereiche in den dahinterliegenden Sälen ergänzen. Im zweiten Obergeschoss wird so beispielsweise in der Südostecke des Umgangs der paläolithische Siedlungsplatz von Bilzingsleben präsentiert. Dafür ist dort die Oberfläche des Fundplatzes beziehungsweise das Planum während der Ausgrabung rekonstruiert (s. Abb. 23). Es wird durch einen Gang, der von der Eingangstür des Umgangs zur Eingangstür des ersten Ausstellungssaals hinführt, geteilt und ruht auf Sockeln, in die Vitrinen und Schubladen eingebaut sind, in denen die Originalfunde aus Bilzingsleben sowie ergänzende Informationen zu finden sind. Eine Schublade ist durch ihre rote Farbe von den übrigen abgehoben und so niedrig installiert, dass sie für Kinder gut zu erreichen ist. Darin befindet sich ein kleines Modell des Siedlungsplatzes. Die Schublade stellt sozusagen die Kinderebene der Ausstellung dar, die auch in anderen Ausstellungsbereichen durch kleine Installationen und Illustrationen bedient wird. Darüber hinaus ergänzen einige Texte und Installationen diesen Bereich der Ausstellung: Eine Säule, die vom rekonstruierten Planum umgeben ist, ist wie ein Profil oder wie ein Bohrkern der unterschiedlichen Bodenschichten in Bilzingsleben gestaltet (s. Abb. 23, links im Vordergrund). Eine von hinten beleuchtete Illustration zeigt die Rekonstruktion des Platzes von oben und im
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Querschnitt und an einer Computerstation können Fotos der Ausgrabung und ergänzende Informationen abgerufen werden. Außerdem werden links vom Eingang zum ersten Ausstellungssaal in zwei Wandnischen durch schwarze Vitrinenwände, Texte und Illustrationen die Feuernutzung und die Werkzeugspezialisierung in der Altsteinzeit thematisiert. Die Themen sind an den Fundplatz angelehnt, da sich in der Siedlung Feuerstellen und spezielle Werkplätze nachweisen ließen.
Abb. 23: Die Präsentation des Fundplatzes Bilzingsleben im Umgang des zweiten Obergeschosses
Rechts und links vor dem Durchgang zum ersten Ausstellungssaal stehen vor schmalen Wandnischen weitere schwarze Vitrinenwände. Links wird unter anderem die von hinten beleuchtete technische Zeichnung des ausgegrabenen Fundplatzes gezeigt. Solche Dokumente der Ausgrabungsarbeit werden an mehreren Punkten in der Ausstellung eingesetzt und verweisen auf die archäologische Feldarbeit, die die Grundlage der präsentierten Funde und Deutungen ist. In der Nische rechts werden Zähne und Knochenfragmente von drei Homo-erectus-Individuen präsentiert. Besonders hervorgehoben sind dabei die Fragmente zweier Schädel, die zur Verdeutlichung der ursprünglichen Schädelform in Glaskorpusse eingelassen sind. Die Aufhängungen der Objekte sind nicht sichtbar, sodass sie in einer hellblauen Atmosphäre zu schweben scheinen. Diese unsichtbare Montagetechnik wird in der halleschen Dauerausstellung sehr häufig zur Inszenierung der Exponate eingesetzt und trägt dazu bei, dass die Fundstücke zumindest ästhetisch, wenn nicht gar auratisch wirken.
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Der erste Ausstellungssaal, im Folgenden Raum 320 genannt, präsentiert Fundstücke aus einer Phase vor rund 400 000 bis 40 000 Jahren, also aus dem Paläolithikum. Viele Exponate sind hier frei im Raum stehend oder hängend installiert, so beispielsweise die Replik eines Auerochsenskeletts, ein Mammutskelett und die lebensnahe Wachsfigur eines Neandertalers in der Pose des »Denkers« von Auguste Rodin. Solche Exponate sind in der Ausstellung nicht umgrenzt oder nur mit schmalen, flachen Metallleisten am Boden von der Umgebung abgehoben. In Gesprächen mit Kuratoren des Museums wurde deutlich, dass dies auf dem Anspruch des Museums gründet, die Vergangenheit möglichst distanzlos zu präsentieren. Innerhalb dieses Saals werden die Exponate, ebenso wie in den übrigen Ausstellungsräumen, nicht streng chronologisch, sondern thematisch oder nach ihren Fundorten gruppiert und durch erläuternde Texte und Illustrationen ergänzt. So gibt es hier beispielsweise einen Bereich zur Fellverarbeitung, mehrere Bereiche zu bestimmten Fundplätzen sowie eine Vitrineninstallation zur Herstellung von Birkenpech und zur Schäftung von Feuersteinklingen. Dabei ist ein kleiner Klumpen Birkenpech aus dem Mittelpaläolithikum zentral in einer Säulenvitrine platziert und wird von einem Bildschirm begleitet, auf dem Informationen und Detailansichten des Exponats gezeigt werden. An einer der Längsseiten des Saals verläuft eine hängende Vitrine in Form eines Bandes, in dem Steinwerkzeuge wie Faustkeile, Kratzer und Klingen installiert sind. Sie sind grob chronologisch geordnet und bilden so eine typologische Reihe. Davor kann ein Faustkeil an einer Taststation befühlt werden und auf einem kleinen Bildschirm läuft ein kurzer Film, der die Herstellung solcher Steinklingen zeigt. Ein weiterer kleiner Bildschirm ist neben dem Mammutskelett am Boden installiert und zeigt einen kurzen computeranimierten Film, in dem ein Mammut auf einer vereisten Wasserfläche einbricht und von seiner Herde zurückgelassen werden muss. Auf der gegenüberliegenden Längsseite wird der Tagesablauf einer Neandertalergruppe durch Wandtexte erzählt. Darüber sind dazu passende Illustrationen in comicartigen Ausschnitten installiert. Im Fokus dieses Ausstellungsraumes stehen also die Werkzeugherstellung und -nutzung der ersten Menschen, die Nahrungsbeschaffung, ihre Umwelt und ihr Tagesablauf. Des Weiteren werden in diesem Raum auch Steinwerkzeuge von australischen Ureinwohnergruppen aus dem 19. und 20. Jahrhundert gezeigt und dadurch mit den paläolithischen Werkzeugen im Raum parallelisiert. Ein solcher Vergleich von archäologischen Fundstücken mit der materiellen Kultur indigener Bevölkerungsgruppen der Moderne wird vom Landesmuseum für Vorgeschichte mehrfach vorgenommen. Das Museum greift damit auf Forschungs- und Sammlungstätigkeiten der Ethnologie zurück und zeigt an manchen Videostationen auch ethnologische Dokumentarfilme. Im Interview erklärte der Kurator Arnold Muhl, dass er diese Anleihen als Bereicherung für die Ausstellung empfinde, weil daraus einerseits auf Techniken und Handlungen geschlossen werden könne, die sonst archäologisch nicht direkt nachweisbar seien, und andererseits damit bei den Besucher:innen auch der Gedanke ausgelöst werden solle, Menschen
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Die Nummerierung der Ausstellungsbereiche ist den Begleitheften zur Dauerausstellung entnommen. Sie beginnt dort im zweiten Obergeschoss mit dem Ausstellungsbereich zum Fundplatz Bilzingsleben als Raum 1. Darauf folgt die westliche Rotunde als Raum 2. Alle folgenden Ausstellungsräume sind durchgehend nummeriert.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
könnten auch ohne den heutigen Stand der technischen Entwicklung mit den Fertigkeiten und dem Wissen überleben, über das die Menschen bereits im Paläolithikum verfügt hätten.21 Dies gehört zur Strategie der Ausstellungsmacher:innen, die vermeintliche Fremd- und Andersartigkeit der durch die Exponate repräsentierten Menschen abzubauen und eine Identifizierung der Besucher:innen mit diesen zu erzielen. Dafür werden auch Illustrationen und Rekonstruktionen wie zum Beispiel die Neandertalerfigur und die Büsten dreier Menschen des Mesolithikums eingesetzt, auf die ich im folgenden Teilkapitel noch eingehen werde. Das Band der Steinwerkzeuge nimmt seinen Ausgang am Durchgang zur Rotunde auf der südlichen Schmalseite des Raumes. In dieser Rotunde werden Funde eines Elefantenschlachtplatzes in Szene gesetzt (s. Abb. 24). Der Raum besitzt ein kreisrundes Oberlicht, auf dem künstliche belaubte Zweige aufliegen. Damit wird eine natürliche Umgebung angedeutet. Die Wände sind graublau gestrichen und aus der dem Eingang genau gegenüberliegenden Stelle der Wand scheint ein lebensgroßer Waldelefant herauszutreten. Linker Hand ist ein nach hinten gekipptes Oval aus milchigem Acrylglas installiert, auf dem die Knochen eines solchen Waldelefanten in Fundlage platziert sind.
Abb. 24: Die Inszenierung des Elefantenschlachtplatzes von Gröbern in der östlichen Rotunde im zweiten Obergeschoss (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)
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Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 498.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Das Glas wird von hinten blau beleuchtet, womit Wasser suggeriert wird. Raumtexte und Illustrationen erklären, dass dies mit dem Tod und dem Fundort des Tieres zusammenhängt, denn der Elefant brach vermutlich auf der Flucht vor seinen Jägern im seichten Wasser eines Sees zusammen und verendete dort. Durch die Installation wird also der Originalfundkontext angedeutet. Über dem Eingang zur Rotunde sind die Nachbildungen zweier Neandertalermänner und einer Neandertalerfrau angebracht, die auf die Überreste des Elefanten herunterblicken. Auf der rechten Seite des Raumes liegen hinter der Wand zwei Vitrinen, die durch schmale Glasscheiben eingesehen werden können. Darin werden Skelette eines Höhlenlöwen und eines Steppennashorns gezeigt. Sie liegen im Dunkeln und können von den Besucher:innen per Knopfdruck beleuchtet werden. Auf einem Bildschirm ist ein Schwarz-Weiß-Film zu sehen, der die Elefantenjagd durch eine Gruppe »afrikanischer Pygmäen«22 zeigt. Des Weiteren sind in einer Wandvitrine Schneidewerkzeuge zu sehen, die bei dem Elefanten gefunden wurden und wohl bei dessen Zerlegung genutzt wurden. Dieser Schaukasten ist innen rot ausgekleidet und hebt sich somit farblich deutlich vom Rest des Raumes ab. Die Farbe lässt Gewalt und Blut assoziieren. Der nächste große Ausstellungssaal, der sich auf der nördlichen Seite an Raum 3 anschließt, behandelt die späte Altsteinzeit und das frühe Mesolithikum, also eine Phase vor rund 40 000 bis 7000 Jahren. Das Vitrinenband mit den Steinwerkzeugen aus Raum 3 durchschneidet die Wand zwischen den beiden Sälen und läuft hier an der Ostwand dieses Raumes 4 weiter. Allerdings wird es in der Mitte des Saals von einem großen, die Wand hinunterreichenden Gletschermodell durchbrochen (s. Abb. 25). Der Gletscher besteht aus Kunststoff und wird von innen beleuchtet, sodass die Spalten und Risse im nachgestellten Eis blau-türkis leuchten. In diesem Ausstellungssaal werden vor allem Stelenvitrinen, aber auch hängende Vitrinen eingesetzt, in denen überwiegend Stein- und Knochenwerkzeuge, Jagdgeräte sowie Schmuck und kleine Elfenbeinfiguren ausgestellt sind. An einer der Vitrinen ist das Skelett eines Bärenjungtiers installiert, sodass es aussieht, als sei der Bär daran wie an einem Baum hochgeklettert. Viele der Ausstellungsmöbel enthalten in ihren Sockeln außerdem Schubladen, in denen sich weitere Exponate, Texte und Illustrationen befinden. Wie schon in Raum 3 sind auch hier eine Videostation zur Herstellung von Feuersteinklingen sowie an einer Längsseite des Raumes eine Art Comicstrip installiert, der das Leben einer mesolithischen Gemeinschaft im Jahresverlauf abbilden soll. Der Fokus liegt hier auf der Darstellung von Differenzierungen und Spezialisierungen in der Werkzeugherstellung und in der Jagd, auf Kunst und Schmuck, auf Wohnformen und vor allem auf dem durch das Ende der letzten Kaltzeit bedingten Wandel der Umwelt.
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Bezeichnung auf dem dazugehörigen Objektschild.
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Abb. 25: Die Gletscherinstallation an der Ostwand von Raum 4 im zweiten Obergeschoss; davor eine der für die Ausstellung typischen Stelenvitrinen
Vom Ausstellungsraum 4 aus gelangen Besucher:innen in einen schmalen Zwischenraum mit der Nummer 5. Dieser ist grau gestrichen und wesentlich spärlicher beleuchtet als die vorangegangenen Ausstellungsbereiche – wohl um die mangelhafte Fundlage und den somit lückenhaften Kenntnisstand zu dieser Zeitphase zu symbolisieren. Präsentiert werden hier nur exemplarisch Bestattungssitten des Mesolithikums. In einer großen, langen Tischvitrine liegt ein Skelett, umgeben von diversen Grabbeigaben auf einer ockerfarbenen Platte. In ihren Fuß ist eine weitere Vitrine eingelassen, in der über schwarzem Grund sechs ausgestopfte Vögel im Flug installiert sind (s. Abb. 26). Assoziativ scheinen die Tiere die Tote ins Jenseits zu begleiten oder gar zu tragen. Die Installation ist ein weiteres Beispiel für die Kinderebene der Ausstellung, denn sie wird von der Platte mit der Bestattung darauf so weit überragt, dass sie aus dem Blickwinkel der meisten ausgewachsenen Menschen nicht zu sehen ist. Rundum läuft auf den die Vitrine umgebenden drei Wänden ein Band mit der von hinten beleuchteten Illustration eines Birkenhains. An einer Stelle in der Illustration ist eine menschliche Figur in schamanistischem Gewand zwischen den Birkenstämmen zu entdecken, die der Museumsdirektor Harald Meller im Interview als Beispiel für die Wahrnehmungsgabe von Kindern angesprochen hat: Kinder sind äußerst fähig und in vielen Dingen fähiger als Erwachsene. Sie sind äußerst fähig in der Mustererkennung und sie sind sehr fähig in schneller, unvoreingenommener Interpretation. Wir haben einen Raum im Landesmuseum, in dem befindet sich die Schamanin von Bad Dürrenberg. Und in einem Wandbild wird sie im Wald darge-
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stellt, und die Kinder sind die einzigen, die das ganz schnell erkennen. Das sehen die Erwachsenen nie. Weil die Kinder diese Wimmelbildfunktion haben, sie sehen sofort: Wo läuft der Hund im Bild?23 Wie aus diesem Zitat und natürlich auch aus den Texten in der Ausstellung hervorgeht, ist dies die Bestattung einer 25- bis 35-jährigen Frau, die aufgrund ihrer Beigaben als Schamanin gedeutet wird. Sie ist mit einer Datierung von ungefähr 7000 bis 6600 v. Chr. die älteste bekannte Bestattung in Sachsen-Anhalt und wurde in Bad Dürrenberg gefunden. Die Ockerfarbe der Vitrineninnenfläche wurde verwendet, weil im Befund Ocker im Grab zu sehen war. Die Vitrine ist also eine grobe Nachstellung des Befundes. Des Weiteren sind in diesem Raum insgesamt drei Wandvitrinen installiert. In zwei davon sind die Blockbergungen von Bestattungen einer Frau und eines Mannes zu sehen. Sie spiegeln sich im Glas der ihnen gegenüberliegenden dritten Vitrine, die die weißen Büsten von zwei Frauen und einem Mann enthält (s. beispielhaft Abb. 27). Da der Schaukasten innen schwarz ausgekleidet ist und die Büsten auf schwarzen Konsolen stehen, scheinen sie zu schweben. Ein Text daneben erklärt, dass dies die »ersten Gesichter von Sachsen-Anhalt« seien. Die Büsten sind mit den Mitteln der Kriminaltechnik rekonstruierte Gesichter der drei Bestattungen im Raum, die bisher als die ältesten menschlichen Überreste des Bundeslandes gelten. Die Spiegelungen der menschlichen Überreste überlagern also die ihnen entsprechenden Büsten.
Abb. 26: Die Vitrine mit der Bestattung der so- Abb. 27: Die Büste des Mannes von Bottendorf genannten Schamanin von Bad Dürrenberg (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäo(© Landesamt für Denkmalpflege und Archäolo- logie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták) gie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)
Daneben ist an der Wand auch eine Illustration der Schamanin zu sehen, auf der sie den rituellen Schmuck trägt, mit dem sie bestattet wurde. Darunter sind vier Schub23
Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 509f.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
laden in der Wand installiert, in denen die Beigaben und die vom Skelett abgeleiteten physischen Leiden der Frau erklärt werden. Die Büsten und die Illustration sind auf der Körperhöhe von Erwachsenen positioniert, sodass Besucher:innen ihnen wortwörtlich auf Augenhöhe begegnen und ihre eigene Spiegelung im Vitrinenglas über den rekonstruierten Gesichtern der Menschen sehen können. Metaphorisch soll damit wohl ein Wiedererkennen von und Identifizieren mit diesen vor rund 9000 Jahren verstorbenen Menschen bewirkt werden. Treten Besucher:innen aus diesem Zwischenraum in den nächsten großen Ausstellungssaal, stoßen sie auf eine große, hohe Wand, die einen künstlichen Laufhorizont in der Vertikalen darstellt. Darauf sind Spuren einer Brandrodung, Trittspuren von Vieh, Flechtwerk und Lehm eines Hauses, Tierknochen, Keramikgefäße und Körbe zu sehen. Auf dem Boden davor steht auf einem Schild ein Text über das Bevölkerungswachstum und die Umweltbeeinflussung durch die Menschen im Neolithikum. Die Wand soll also Spuren des menschlichen Eingriffs in die Natur demonstrieren. Zu beiden Seiten des Eingangs hängen des Weiteren weiße Gipsabformungen menschlicher Gesichter, die auch um die Ecken auf die Seitenwände übergreifen. Diese Installation soll im folgenden Teilkapitel noch näher analysiert werden. Gehen Besucher:innen um den künstlichen Laufhorizont herum, öffnet sich vor ihnen der Ausstellungsraum, der eine Zeitspanne von rund 7000 bis 5000 Jahren v. Chr. präsentiert und somit Funde aus dem Neolithikum enthält. An der Rückseite der künstlichen Wand hängt eine Illustration, die ein Lebensbild aus einer neolithischen Siedlung darstellt. Sie ist wie ein Gemälde ausgearbeitet und gerahmt. Darunter steht in Textform die Erzählung eines Jahresablaufs in einer solchen Siedlung. Mit den Exponaten im Saal werden vor allem die sesshafte Siedlungsweise und die damit verbundenen Bautechniken, die Domestizierung von Tieren und Pflanzen sowie die Keramikproduktion thematisiert. In der Mitte des Raumes stehen dafür große Blockvitrinen, von denen eine mit einer kleinen Holztür versehen ist. Sie ist auf der Schmalseite in niedriger Höhe angebracht und somit wieder vor allem für Kinder geeignet. Klappt man sie auf, erklingt eine Geräuschkulisse aus Feuerknacken, Kindergeschrei und sonstigen Klängen einer belebten Siedlung. Durch ein kleines Fenster hinter der Tür können Besucher:innen das Modell eines Langhauses sehen, das allerdings auch von der Langseite der Vitrine aus sichtbar ist. An einer der langen Seitenwände des Saals sind fast 3700 Steinbeile aufgehängt (s. Abb. 28). Ihre Klingen sind nach schräg links unten ausgerichtet, sodass sie auf die Baumstämme darunter gewissermaßen herabzuregnen scheinen. Die Baumstämme befinden sich in unterschiedlichen Bearbeitungszuständen, vom ganzen Stamm mitsamt Rinde bis hin zu gespaltenen und behauenen Balken in einem Stecksystem. Davor steht eine lange Tischvitrine aus Holz, in der Beile, Äxte und Holzfunde als Objekte der Holzverarbeitung präsentiert werden. Auch ein Bildschirm ist in diese Vitrine eingelassen, der einen Film über die Holzverarbeitungstechniken einer indigenen Gemeinschaft in Neuguinea zeigt. An der gegenüberliegenden Längsseite des Saals hängen Karten, auf denen die Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten sowie die Ausbreitung der bäuerlichen Lebensweise im Neolithikum dargestellt sind. Daneben stehen zwölf Stelenvitrinen, in denen die typische Keramik von je einer neolithischen Kultur24 , die 24
Vgl. zum Begriff Kultur im archäologischen Sinne Teilkapitel II.4.2, S. 227f.
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in Sachsen-Anhalt ansässig war, präsentiert wird. In Schubladen wird Auskunft über die Verbreitung, die typischen Geräte, die Siedlungsform, die Bestattungssitte und die Besonderheiten der jeweiligen Kultur gegeben. Es handelt sich hierbei um die ersten Exemplare der sogenannten »Kulturvitrinen«, die in der Ausstellung mehrfach auftreten.
Abb. 28: Der »Regen« aus Steinbeilen an der nördlichen Längsseite des Raumes 6
Arnold Muhl erläuterte hierzu im Interview, dass diese der Ausstellung als lexikalisches Rückgrat dienen sollten. Besucher:innen könnten sich anhand der Vitrinen über die Kulturen informieren, deren Namen in den Objektbeschilderungen zur Datierung der Exponate aufgeführt werden: Zu den einzelnen Exponaten kommen […] manchmal nur zur Vervollständigung zum Beispiel Scherben der Linienbandkeramik und eine Datierung. Da muss ich dann aber nicht erklären, was Linienbandkeramik ist. Wenn es ein Besucher aber wirklich wissen will, dann hat er mit der Kulturvitrine die Möglichkeit zu sehen, was ein Archäologe darunter versteht. […] Was ist das Besondere daran, warum heißt die Kultur so, wo ist sie überhaupt verbreitet, welchen Hausbau gab es, wie bestattete man… Da kann dann jeder in der diachronen Schau sehen, dass die Kulturgruppen sich doch voneinander unterscheiden, aber man muss es nicht tun.25
25
Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 496.
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Des Weiteren werden in Raum 6 mehrere Bestattungen in situ gezeigt. Eine davon nimmt die gesamte westliche Schmalseite des Raumes ein, denn es handelt sich dabei um die Bestattung eines Mannes in einer steinernen Grabkammer nebst zwei Kammern, in denen insgesamt sieben Rinder bestattet wurden. Die Blockbergungen sind vertikal vor der Wand aufgestellt. An den hellen Raum 6 zum Neolithikum schließt sich Ausstellungsraum 7 zum Übergang von der Jungsteinzeit zur Kupfer- und frühen Bronzezeit an, der wesentlich dunkler gestaltet und nur schwach beleuchtet ist. Der Kontrast zu den bisher durchquerten Ausstellungsräumen ist deutlich und schafft eine mystische, fast schon unheimliche Atmosphäre. Links und rechts vom Eingang steht je ein kleiner Menhir auf einem Sockel. An der südlichen Seitenwand sind fünf »Kulturvitrinen« aufgestellt. Daneben hängt eine von hinten beleuchtete Karte von Mitteleuropa, auf der die Verbreitung unterschiedlicher Bestattungssitten eingezeichnet ist. In zwei Stelenvitrinen und einer langen, vor der Wand hängenden Vitrine sind Bronzeschmuckstücke und -beile ausgestellt, die typisch für Mitteldeutschland während der Bronzezeit sind. Vor der nördlichen Seitenwand des Raumes stehen insgesamt zehn Stelenvitrinen mit Grabinventaren und Hortfunden. Einige davon stammen aus weit entfernten Regionen Europas und des Nahen Ostens, wurden jedoch im heutigen Mitteldeutschland gefunden. Andere sind aus der Region, wurden jedoch im internationalen Ausland entdeckt. Die Exponate verdeutlichen also den Handel und Austausch zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen während der Bronzezeit. Direkt hinter dem östlichen Eingang des Raumes steht eine große dreiteilige Wandvitrine, deren Seitenflügel schräg nach hinten abknicken. In jeder Seite ist eine große Vitrine mit Keramik der sogenannten Schnurkeramik-Kultur, der Glockenbecher-Kultur und der Aunjetitzer-Kultur eingelassen. Auf der anderen Seite der Wand ist in jedem der Teile die Blockbergung einer Bestattung eingelassen. Es handelt sich dabei um rund 4500 Jahre alte Gräber aus Eulau, die hier wie ein Triptychon präsentiert werden (s. Abb. 29). Die Bestattungen sind von außen nach innen beleuchtet, sodass die Randbereiche heller sind als die Mitte der Gräber, wo die Skelette liegen. Harald Meller schreibt dazu in einem Aufsatz im museologischen Sammelband Die Praxis der Ausstellung: Die liebevoll niedergelegten Familien erzeugen ein äußerst kraftvolles, [sic!] emotionales Bild, das Raum und Zeit vergessen lässt und verdeutlicht, dass zentrale menschliche Werte nicht nur choro- sondern auch chronologisch universell sind. Die Gräber selbst sind in einem abgedunkelten Raum in Form eines Triptychons aufgestellt. In Verbindung mit der Beleuchtungsstrategie, die den Befund außen heller als innen ausleuchtet, erzeugt dies eine den Toten geschuldete, [sic!] respektvolle Distanz […].26 Durch diese Beleuchtungsstrategie entsteht allerdings optisch auch ein leichter Trichtereffekt, der die Betrachter:innen regelrecht in die Gräber hineinzieht. Zwar sind die sterblichen Überreste dieser Menschen nicht unter gleißendem Licht gewissermaßen »entblößt«, jedoch verleitet diese Lichtregie dazu, nah an die Blockbergungen heranzutreten, um die Skelette und Beigaben deutlicher zu sehen. Die Inszenierung der Gräber erzeugt außerdem durch das goldgelbe Licht eine Mystifizierung und durch die Form des 26
Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 235f.
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Triptychons eine Sakralisierung, da Betrachter:innen solche dreiteiligen Bilder vor allem aus der christlichen Kunst kennen und sie mit dieser assoziieren könnten. Abgesehen davon kann das Ausstellen menschlicher Überreste immer auch ein gewisses Gruseln hervorrufen. Die Besucher:innen werden also räumlich, nicht aber emotional auf Distanz gehalten. Vielmehr ruft die Inszenierung gezielt Emotionen hervor, nämlich solche wie Respekt, Bewunderung, Neugierde und Sympathie, mit denen die Betrachter:innen womöglich auch eine Beziehung zu den Bestatteten aufbauen sollen.
Abb. 29: Die Gräber von Eulau in Raum 7, davor die Blockvitrinen mit Schädelfunden sowie eine Stelenvitrine mit Grabbeigaben (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie SachsenAnhalt, Juraj Lipták)
Vor den Gräbern ist ein dreiflügeliger Block mit schräger Oberfläche aufgestellt. Texte und Rekonstruktionszeichnungen erklären hier, wie die Gräber gedeutet werden, denn es handelt sich dabei um die Bestattungen von Familien, also von Eltern mit ihren Kindern, die allesamt gewaltsam ums Leben kamen. In die Sockel der Seitenflügel dieses Blocks sind weitere Vitrinen eingelassen. In der linken sind zwei Schädel mit sichtbaren, verheilten Trepanationslöchern27 zu sehen, daneben steht ein erklärender Text. In der rechten Vitrine sind der Schädel eines fünfjährigen Kindes mit Hydrozephalus und eine Tasse zu sehen. Ein Text daneben erklärt, dass das Alter des Kindes darauf hinweist, 27
Die Prozedur der Trepanation bezeichnet die Öffnung eines Schädels am lebenden Individuum und wurde schon im Neolithikum oft sehr erfolgreich durchgeführt. Trepanationen müssen daher relativ steril und ohne eine Verletzung des Gehirns vorgenommen worden sein. Da sie aus medizinischer Sicht oft nicht erforderlich waren, werden sie als Maßnahmen gegen psychische Krankheiten oder übersinnliche »Leiden« gedeutet (vgl. hierzu Harald Meller [Hg.], Bronzerausch, 2011, S. 92).
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dass es gepflegt wurde, da es sonst nicht so lange hätte überleben können. Die Vitrinen sollen also auf die medizinischen Fähigkeiten der Menschen sowie auf die Fürsorge für Kranke und Schwache vor rund 5000 bis 4000 Jahren aufmerksam machen. Sie stehen damit in einer Linie mit dem Grundsatz des Museums, die Menschen der Vergangenheit nicht als primitive »Barbaren« zu porträtieren, sondern zu zeigen, dass sie sich nicht wesentlich von heutigen Menschen unterscheiden. Dem Eulau-Triptychon gegenüber steht ein weiteres Triptychon, in dem die Bestandteile von sechs Bronzehortfunden in symmetrischer Anordnung gezeigt werden. Dabei ist zu erkennen, dass die Horte immer wieder dieselbe Zusammensetzung von Objekten aufweisen, da sich die Muster stets wiederholen. Texte erläutern, dass die Horte deshalb als rituelle Niederlegungen gedeutet werden. Davor steht, wie vor den Eulau-Gräbern, ein Block mit erläuternden Texten und weiteren Exponaten in Schubladen und Vitrinen. Auf der Rückseite der Hort-Wand werden die Bronzeherstellung und -verarbeitung anhand von Karten, Illustrationen und Exponaten thematisiert. Weitere Vitrinen in diesem Raum zeigen Prunkbeile, Steingeräte sowie Gold- und Bronzeschmuck aus Grabkontexten. Der Ausstellungssaal behandelt somit die aufkommende Metallurgie und das gesellschaftliche Leben der frühen Bronzezeit, insbesondere die Themen Familie, Gesundheit, materielle Kultur unterschiedlicher Kulturgruppen, Austausch und Handel sowie Kulthandlungen. Auf Raum 7 folgt ein weiterer Zwischenraum mit der Nummer 8, der allerdings, anders als Raum 5, keine Exponate enthält. Es handelt sich dabei um einen Vorraum zur westlichen Rotunde, in der die Himmelsscheibe von Nebra ausgestellt wird. Entsprechend befinden sich im Vorraum entlang der Wände Texte und Illustrationen, die auf Deutsch und Englisch den Stand der Forschung zur Scheibe präsentieren, ihre Niederlegung erläutern und die Bedeutung ihres Bildprogramms entschlüsseln. Die Informationen sind weiß und farbig auf schwarze Tafeln gedruckt und werden von innen beleuchtet, sodass die Texte selbst schwach zu leuchten scheinen. Betreten Besucher:innen von diesem Vorraum aus die Rotunde, die als Raum 9 bezeichnet wird, steht vor ihnen zunächst eine leicht konkav gekrümmte schwarze Stellwand, auf der auf einer Tafel in weißer Schrift ein altgriechisches Zitat aus Homers Ilias steht. Das Zitat ist auch ins Deutsche übersetzt und beschreibt, wie der Gott Hephaistos einen Schild für Achilles herstellt, auf dem Erde, Meer, Sonne, Mond und verschiedene Gestirne, darunter auch die Plejaden, dargestellt sind.28 Somit wird die Himmelsscheibe von Nebra mit dem sagenhaften Schild des Achilles parallelisiert, was jedoch nicht als Hinweis auf ihre ursprüngliche Funktion gedeutet werden sollte. Die Himmelsscheibe hat wohl nie als Schild gedient, der Vergleich bezieht sich also nicht auf ihre Funktion, sondern lediglich auf ihr Bildprogramm. Einer der Ausstellungsmacher erklärte im persönlichen Gespräch, dass die Installation des Textes dazu dienen solle, Besucher:innen im Halbdunkel des Eingangs zur Rotunde dazu zu veranlassen, zunächst stehen zu bleiben, den Text zu lesen und ihre Augen dabei an die Dunkelheit im Raum zu gewöhnen. Der Ausstellungsraum selbst ist nur sehr spärlich beleuchtet und vom Boden bis zur Decke schwarz ausgekleidet. Am Boden befindet sich schwarzer Estrich mit hellen Sprenkeln, der an einen Sternenhimmel erinnert. Damit spiegelt er gewissermaßen 28
Es handelt sich dabei um den 18. Gesang aus Homers Ilias, Vers 478–486.
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die Decke des Raumes (s. Abb. 30): Unter der eigentlichen Decke hängt horizontal, die gesamte Fläche ausfüllend, eine große Platte, die sich langsam dreht und auf der verschieden große Lichtpunkte so angeordnet sind, dass sie eine astronomisch korrekte Abbildung des Nachthimmels über Nebra vor rund 3600 Jahren darstellen. Der Sternenhimmel ist sehr detailliert gestaltet und verwendet sogar verschiedenfarbige Lichtquellen, da auch echte Sterne unterschiedliche Lichtfarben haben. Der dunkle, isoliert liegende und daher sehr stille Raum wirkt besonders durch den sich langsam drehenden Sternenhimmel auratisch, nahezu sakral. In die vom Eingang aus gesehen linke Seitenwand ist eine Nische eingelassen, in der hinter Glas die Objekte ausgestellt sind, die gemeinsam mit der Himmelsscheibe deponiert wurden: zwei Bronzedolche, zwei Bronzespiralen, zwei Beile und ein Meißel. Die Himmelsscheibe selbst wird in einer frei stehenden Stele in der Mitte des Raumes ausgestellt. Die Vitrine soll laut Harald Meller an den schwarzen Monolith aus Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum erinnern.29 Der runde, augenähnliche Ausschnitt, in dem die Himmelsscheibe zu sehen ist, lässt allerdings auch die Assoziation mit der Hardware der KI Hal 9000 aus demselben Film zu. Da die Stele hinter der Stellwand mit dem Homer-Zitat steht, ist die Himmelsscheibe vom Eingang aus nicht zu sehen. Sie taucht erst aus dem Dunkel des Raumes auf, wenn Besucher:innen sich tiefer hineinbewegen, und kann von beiden Seiten betrachtet werden. Da nur der Sternenhimmel schwach leuchtet und die Exponate im Raum indirekt beleuchtet sind, ist die Himmelsscheibe der hellste und zugleich zentrale Punkt im Raum und zieht somit den Blick auf sich. Sie scheint fast von selbst zu leuchten und zu strahlen. Ihre gesamte Inszenierung bringt deutlich zum Ausdruck, dass es sich hierbei um ein besonders wertvolles, mystisches und seltenes Exponat von außergewöhnlichem Rang handeln soll. Sie ist als Höhepunkt der Ausstellung in Szene gesetzt, auf den der Spannungsbogen mindestens ab Raum 7 zuläuft: Zuerst wird die Lebenswelt der Menschen ab der frühen Bronzezeit präsentiert, wobei durch die schwache Beleuchtung des Ausstellungsraumes eine mystische Atmosphäre kreiert wird. Danach werden vorbereitende Texte und Illustrationen eingesetzt, um den Besucher:innen die Bedeutung des vor ihnen liegenden Exponats zu erklären. Dann werden die Besucher:innen durch das Homer-Zitat zunächst noch einmal aufgehalten, zugleich aber auch auf die Begegnung mit diesem Objekt eingestimmt, und schließlich stellt die gesamte Gestaltung des Raumes, also die Dunkelheit, der Sternenhimmel, die Stille und die sparsam und gezielt eingesetzte Beleuchtung, eine auratische Atmosphäre her, in der die Himmelsscheibe endlich betrachtet und bewundert werden kann.
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Vgl. Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 237.
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Abb. 30: Die Himmelsscheibe von Nebra in ihrer Vitrine unter dem nachgestellten Sternenhimmel (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie SachsenAnhalt, Juraj Lipták)
Nach diesem Höhepunkt der Ausstellung, der auch ungefähr der Mittelpunkt des Rundgangs ist, fällt der Spannungsbogen zunächst wieder langsam ab. Besucher:innen können durch den Vorraum der Rotunde in den Umgang zurückkehren, wobei sie durch die Installation eines Grabhügels geführt werden. In die Schnittflächen des Hügels zu beiden Seiten des Gangs sind Vitrinen eingelassen, in denen Grabinventare aus solchen Grabhügeln zu sehen sind. Auch Texte und Auszüge aus dem Grabungstagebuch eines Archäologen am Grabhügel von Leubingen sind hier installiert und die Miniatur einer Grabkammer ist im Hügel verbaut. Darüber hinaus sind einige Wandnischen im Umgang zu den folgenden Themen gestaltet: die Bestattungen der Frühbronze-
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zeit in Sachsen-Anhalt und was ihre Inventare über den sozialen Status der Personen aussagen, Stabdolche, ornamentierte Sandsteinplatten eines Steinkammergrabs, die Errichtung eines neolithischen Großsteingrabs (mit einem Modell und mehreren Rekonstruktionszeichnungen) sowie die Kreisgrabenanlage von Goseck (mit Text, Funden, Befundzeichnungen und einem erläuternden Film, bei dem der Kommentar per Knopfdruck gestartet werden kann). Die Ausstellungsbereiche im Umgang werden als Raum 10 gezählt. Nach dem Besuch des zweiten Obergeschosses werden die Besucher:innen durch Beschilderungen in das erste Obergeschoss geleitet, wo sie erneut zuerst in den Umgang zum Lichthof treten. Wenden sie sich dort hinter dem Eingang nach rechts, finden sie eine Sitzecke mit Sofas und Glastischen, auf denen Publikationen des Hauses zur Ansicht ausliegen. Dahinter geht ein kurzer Gang zum Kinoraum ab, der im Südostrondell des ersten Obergeschosses liegt. Dort werden in Dauerschleife verschiedene Filme des Landesmuseums gezeigt, die seine Geschichte und archäologische Themen wie die Herstellung von Steindechseln, die Elefantenjagd sowie die Fundgeschichte und Bedeutung der Himmelsscheibe von Nebra behandeln. Im Umgang sind bisher nur die Nischen auf der West- und Südseite als Teil der Ausstellung gestaltet. Weitere Themen können in Zukunft sukzessive noch die übrigen Wandflächen auffüllen. Zum Zeitpunkt der Ausfertigung dieser Dissertation waren nur die Räume auf der West- und Nordseite des Gebäudes als Ausstellungssäle realisiert. Die bisher gestalteten Wandnischen im Umgang werden als Raum 11 gezählt und thematisieren unter anderem bronzezeitliche Fernwege und Transportmittel sowie die Salzgewinnung in der Region durch das Sieden von Sole. Da der Ausstellungsrundgang im ersten Obergeschoss im Uhrzeigersinn verläuft, werden Besucher:innen vom Umgang aus zunächst in Raum 13 in der Südwestecke des Gebäudes gelenkt. Der erste Abschnitt dieses Raumes ist beiderseits von Vitrinenwänden begrenzt, in denen die Blockbergungen mehrerer Gräber ausgestellt sind. Illustrationen eines Mannes und einer Frau veranschaulichen die während der mittleren und späten Bronzezeit in der Region rund um Halle als üblich angenommene Kleidung. Nach Norden hin schließen sich zwei weitere Abschnitte des Raumes an, nach Süden hin können Besucher:innen aber zunächst noch in die westliche Rotunde abbiegen. Der Raum 12 in dieser Rotunde ist bronzezeitlichen Hortfunden gewidmet. Er ist rundum mit Wandvitrinen ausgestattet und enthält in der Mitte einen vierseitig verglasten Schaukasten, in dem eine hölzerne Brunneneinfassung steht (s. Abb. 31). In und an dieser Brunnenfassung sind Bronzeobjekte zu sehen, die in dem Brunnen versenkt vorgefunden wurden. Die Wandvitrinen zeigen verschiedene Hortfunde, die vor allem aus Bronzeobjekten wie Sicheln und Ringen, aber auch aus Goldschmuck bestehen. Der Raum ist sehr dunkel und es herrscht ein schummeriges grünblaues Licht. An der Decke über der Brunneneinfassung ist ein großes kreisrundes Foto, das von oben durchleuchtet wird, von der Decke abgehängt. Es zeigt den Blick vom Grund des sogenannten Blautopfs, einer Karstquelle in Blaubeuren, nach oben zur Wasseroberfläche und vermittelt so erstens, dass es sich bei dem Holzkasten in der Vitrine um eine Brunnen- beziehungsweise Quelleinfassung handelt, und zweitens, dass viele Deponierungen in Gewässern versenkt wurden.
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Abb. 31: Die westliche Rotunde im ersten Obergeschoss zu den bronzezeitlichen Hortfunden (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)
Besonders auffällig ist die Präsentation des Bronzeschatzes aus Oberwünsch in der ersten Vitrine links vom Eingang: Die zusammengeklumpten Bronzeobjekte sind en bloc geborgen und in einem Klumpen belassen worden. Darüber sind der Schädel und die Hand eines Mannes, die bei dem Hort gefunden wurden, in situ zu sehen. Über die Bedeutung dieser menschlichen Überreste wird in Texten an der Vitrine dahingehend spekuliert, dass sie die Gebeine eines Diebes sein könnten, der den Schatz zu stehlen versuchte und dem dann zur Strafe zuerst die Hand und dann der Kopf abgetrennt wurden, die dann zum Schutz des Schatzes mit diesem vergraben wurden. Besonders ungewöhnlich an dieser Präsentation ist jedoch der Einsatz von Holografie – der Bronzehort wird nämlich als dreidimensionales Hologramm in die Vitrine projiziert. Das Bild steigt zunächst aus dem Originalfund auf, wird größer, dreht und wendet sich und löst sich schließlich schichtweise auf. Dann beginnt die holografische Schau von vorne, und den Besucher:innen bietet sich so die Gelegenheit, die Zusammensetzung des Horts zu erkennen, ohne dass der Fund aus seiner originalen Fundsituation herausgelöst und auseinandergenommen werden müsste. Der Ausstellungssaal 13 zeichnet sich durch ein Inszenierungselement aus, das sonst an keiner Stelle der Ausstellung derart konstant eingesetzt wird, nämlich durch eine Klanginstallation. Man hört dort ein Feuerprasseln, das in Intervallen anschwillt, abebbt und verstummt, bevor es dann erneut anschwillt. Die Ursache dieses Geräuschs liegt im Zentrum des Raumes, wo an die Wand ein Holzfeuer projiziert wird, das auflodert, schwächer wird und erlischt. Daraufhin erscheint an der Wand der Text zum Begräbnis des Patroklos aus Homers Ilias und danach lodert das Feuer erneut auf. Hier wird also die Bestattungssitte der griechischen Antike mit den früheisenzeitlichen Brandbestattungen parallelisiert, die im zweiten Abschnitt des Raumes ausgestellt werden. Vor
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der Feuerprojektion ragt von der Westwand aus ein großes Podest in den Raum hinein, auf dem zwei Blockbergungen von Brandbestattungen frei installiert sind (s. Abb. 32). In drei in das Podest eingelassenen Vitrinen werden außerdem ein Bronzegefäß, Bronzetassen, Schmuck und Hortfunde präsentiert. Das Podest wird flankiert von zwei weiteren, frei stehenden Vitrinenwänden, die unter anderem Urnen, Schmuck, Hüttenlehm und Wandverputz mit Farbdekor sowie die Blockbergungen einer Doppelbestattung und eines Frauengrabs enthalten.
Abb. 32: Die Projektion des Feuers vor den Abb. 33: Die Inszenierung eines EiBlockbergungen zweier Urnengräber in senbarrens und diverser Eisenobjekte Raum 13 vor leuchtend rotem Hintergrund in Raum 13
In weiteren Schaukästen entlang der Wände werden vor allem Waffen, Schmuck und Trachtbestandteile sowie Keramik gezeigt. An der Ostwand des Raumes, also der Wand zum Umgang hin, stehen insgesamt zwölf der sogenannten »Kulturvitrinen«. An der Westseite, im dritten Abschnitt des Raumes, ist eine lange Vitrinenwand installiert, die die Eisenmetallurgie durch Texte, Karten, einen Film sowie mehrere Vitrinen mit entsprechenden Exponaten thematisiert. Eine davon ist mit einer rot hinterleuchteten opaken Glasplatte als Rückwand ausgestattet, vor der ein eiserner Spitzbarren und davon trichterförmig abgehend verschiedene Objekte aus Eisen aufgehängt sind, die durch das Gegenlicht nur in Umrissen wie Scherenschnitte zu erkennen sind (s. Abb. 33). Eine derart starke Signalfarbe wird in den vorangegangenen Ausstellungsräumen an keiner Stelle eingesetzt und sticht hier aus der schwarzen Vitrinenarchitektur deutlich hervor. Sie lässt nicht nur an Glut denken, die zur Herstellung und Bearbeitung von Eisen nötig ist und durch das Feuerprasseln im Raum gegenwärtig zu sein scheint, sondern auch an Blut, das durch eiserne Waffen vergossen werden kann.
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Eine weitere Vitrinenwand ragt von der Nordseite des Raumes, also der Wand zum nächsten Ausstellungsraum hin, parallel zur Westwand in den Saal hinein. Sie enthält unter anderem eine Illustration eines sogenannten keltischen Kriegers, keltische Fibeln und Halsringe sowie Nachahmungen solcher Objekte aus dem Fundgebiet im heutigen Mitteldeutschland. Auch die Blockbergung einer Säuglingsbestattung mit Pferd ist hier ausgestellt. In der Nordwand zum nächsten Ausstellungsraum hin befindet sich zwischen dieser Vitrinenwand und der westlichen Seite des Ausstellungsraumes eine rechteckige Öffnung in der Wand, durch die eine Tischvitrine hindurchreicht. Darin werden Funde eines mehrere Generationen lang belegten Gräberfeldes aus Profen präsentiert. Das Gräberfeld wurde wohl gegen Ende der vorrömischen Eisenzeit und zu Beginn der Römischen Kaiserzeit genutzt und steht somit am Übergang der Epochen, der durch die Stellung der Vitrine zwischen den beiden Ausstellungsräumen symbolisiert wird. Nach den eher schwach beleuchteten und mit schlichter schwarzer Vitrinenarchitektur ausgestatteten Räumen 7 bis 13 wirkt die Gestaltung von Raum 14 besonders überraschend und kontrastierend. Der Raum ist hell erleuchtet, wodurch einem der Kuratoren zufolge zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die Besucher:innen mit der Römischen Kaiserzeit nun die schriftlich dokumentierte Geschichte betreten. Die Wände des Saals sind bis unter die Decke durchgehend bemalt und bilden das Innere einer römischen Villa beziehungsweise einer Schreibstube in einer solchen Villa nach. Die Malereien sind jedoch gealtert, fleckig, rissig und fragmentiert, so als sei der Bau inzwischen eine Ruine (s. Abb. 34).
Abb. 34: Blick in die »römische Villa« in Raum 14 von der Nordostecke aus
Als Sitzgelegenheit steht hier eine Holzbank mit figürlich gestalteten Metallfüßen. Die Bank ist also annäherungsweise dem Thema des Raumes angepasst und unterscheidet sich damit von den sonst modernen Sitzgelegenheiten in diesem Museum. Die damit
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zum Ausdruck gebrachte Sorgfalt der Inszenierung lässt sich auch in weiteren Details dieses Raumes beobachten: Die Knäufe der Schubladen sind hier, anders als in allen bisherigen Räumen, wo sie neutrale Metallgriffe waren, als die Büste eines als Germanen gedeuteten Mannes gestaltet. Als Vorlage für das Motiv diente eine Henkelattasche des Bronzekessels von Mušov. Karten, Texte und Illustrationen sind in diesem Raum direkt auf die Wand aufgemalt und somit Teil des Innendekors. Vor der südlichen Wand links der Tür steht außerdem die Büste des Nero Claudius Drusus, der Feldzüge gegen germanische Stämme kommandierte. Alle Vitrinen in diesem Raum sind in die Wände eingelassen und sollen laut Auskunft eines Kurators den Eindruck eines Privatmuseums erwecken. Ausgestellt werden vor allem Grabinventare, die sowohl als römisch als auch als germanisch angesprochene Objekte enthalten und so die Kontakte zwischen dem Römischen Reich und den Bevölkerungsgruppen im heutigen Mitteldeutschland widerspiegeln. An allen Wänden sind über den Schaukästen Nachbildungen von Schrifttafeln angebracht, auf denen lateinische Inschriften zu lesen sind; die deutschen Übersetzungen stehen an der Wand darunter. Es handelt sich um Zitate aus Schriftquellen von römischen Geschichtsschreibern über die »Germanen« und deren Lebensart. Die Idee hinter diesem Raum ist, dass die »Germanen« hier aus der Sicht der »Römer« dargestellt werden. Besonders zu beachten sind dabei die Texte, die den Germanenbegriff und die Unterscheidung verschiedener germanischer Stämme erklären. Ich werde im nächsten Teilkapitel noch näher darauf eingehen. Raum 15 ist der vorerst letzte Ausstellungsraum im Landesmuseum für Vorgeschichte.30 Nachdem die Außensicht der römischen Schriftquellen auf die sogenannten Germanen dargestellt worden ist, soll hier nun vermittelt werden, was aus archäologischen Quellen über diese Menschen bekannt ist. Besucher:innen laufen von Raum 14 aus kommend zunächst auf eine quer im Raum stehende Wand zu, die wie eine römische Stadtmauer gestaltet ist. Ein Metallgerüst im Inneren der Wand ist dafür mit echten Steinen, Ziegeln und Mörtel verkleidet. Auch Spolien sind in dieser Mauer verbaut und es sind Vitrinen sowie Schubladen darin eingelassen. Die hintere Wand des Raumes dagegen, die an Raum 14 angrenzt, ist als die Außenwand der »Villa« gestaltet und entsprechend bemalt (s. Abb. 35). Rechts vom Eingang befindet sich dort eine niedrige Bank, über der eine rudimentäre Karte des römischen Reiches als Graffiti in den Putz geritzt ist. Weitere eingeritzte Graffiti übersäen die gesamte Wand und stellen unter anderem Gladiatorenkämpfe dar. Zwei Vitrinen in dieser Wand zeigen römische Objekte, die in germanischen Gräbern entdeckt wurden und wahrscheinlich aus der Zeit ihrer Besitzer als Söldner im römischen Heer stammen. Zu den Exponaten zählt hier unter anderem eine Phalere, also ein Ehrenabzeichen, die einen Medusenkopf darstellt und als Vorlage für die Schubladenknäufe in diesem Ausstellungsbereich dient.
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Stand September 2020.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Abb. 35: Blick in Raum 15 von Raum 14 aus kommend; links die Nachbildung der römischen Mauer, rechts die Nachbildung der Außenwand einer Villa
Auch in der vermeintlichen Stadtmauer sind die Grabbeigaben germanischer Befehlshaber und Krieger ausgestellt. Dazu stehen auf Spolien erklärende Texte. An der südlichen Wand des Raumes steht der Saaltext mit dem Titel »Barbarenmacht« und darüber ein Graffito aus roten lateinischen Lettern, die die Worte bilden »NEMO MURUM AEDIFICARE VULT«. Übersetzt spielt dieser Spruch humoristisch auf das berüchtigte Zitat Walter Ulbrichts an: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« Manche Besucher:innen werden angesichts des roten Graffitos aber vielleicht auch an eine Szene aus Monty Pythons Das Leben des Brian denken. Daneben befindet sich in der Mauer eine Bresche, die den Blick auf den Rest des Ausstellungsraumes freigibt. Genau gegenüber der Bresche hängt an der Ostwand des Raumes 15 eine große Illustration heranstürmender »hunnischer« Reiterhorden. Die Inszenierung suggeriert somit, dass aus dem Osten kommende kriegerische Verbände nach Westen vordrangen und die »germanischen« Stämme vor sich hertrieben, die daraufhin die Grenzen des römischen Reiches durchbrachen und das Reich zu Fall brachten, was den ruinenartigen Zustand der »römischen Villa« erklären würde. Durch das Ulbricht-Zitat wird der Limes mit der innerdeutschen Mauer parallelisiert, die die DDR zur BRD hin errichtete. Eine ähnliche Anspielung findet sich in Raum 13, wo ein Text den Titel »Blühende Landschaften« trägt und damit einen Begriff Helmut Kohls aufgreift, mit dem der ehemalige Bundeskanzler seine Zukunftsperspektive für die ehemaligen DDR-Gebiete beschrieb. Besonders mit der Inszenierung der Bresche in der Mauer neben dem Ulbricht-Zitat erinnert das Landesmuseum für Vorgeschichte somit subtil an die DDR-Vergangenheit Sachsen-Anhalts und der benachbarten Bundesländer. Es vergleicht dabei allerdings einen langsamen, aber zum Teil kriegerischen Migrationsprozess von Bevölkerungsgruppen aus dem heutigen Mittel- und Osteuropa in die Gebiete westlich des Limes mit dem vergleichsweise
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plötzlichen, aber friedlichen Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung. Ein Vergleich, der hinkt und daher nicht zu genau genommen werden darf. Im größten Teil des Ausstellungsraumes wird eine Versammlungshalle angedeutet, in der drei dicke Säulen aus rotem Holz stehen (s. Abb. 36). In diese Säulen sind Vitrinen, Texte, Illustrationen sowie eine Videostation integriert und sie tragen geschnitzte Verzierungen, deren Motive archäologischen Funden in Norddeutschland und Dänemark entlehnt sind. Laut Auskunft Arnold Muhls sind sie einer gestalterischen Notwendigkeit geschuldet, denn in dem Raum sind drei Stahlstützen verbaut, die aus statischen Gründen nicht entfernt werden können. Diese Stützen wurden deshalb mit den Holzsäulen umbaut und so in die Inszenierung integriert. Zwischen den Säulen hängen unter der Decke vier von oben beleuchtete Felder, die die fotografischen Aufnahmen von goldenen Anhängern, sogenannten Brakteaten, zeigen. Somit scheint die Decke des ganzen Raumes golden zu glänzen. Die abgebildeten Brakteaten sind auch im Raum ausgestellt. Ihre Motive und auf ihnen befindliche Runen sollen germanische Götter darstellen beziehungsweise benennen. Arnold Muhl erklärte im persönlichen Gespräch, dass in dem Raum unter anderem die Glaubenswelt der germanischen Stämme thematisiert werden solle, um davon auf die Selbstwahrnehmung der sogenannten Germanen zu schließen.
Abb. 36: Blick in den Ausstellungsraum 15 im ersten Obergeschoss von Westen her
An den ansonsten weiß gehaltenen Wänden sind mehrere den gesamten Raum umlaufende Metallbänder angebracht – ein breites sowie darunter, in etwa zehn Zentimeter großen Abständen, ein bis zwei schmalere. Während Ersteres die in die Wände eingelassenen Vitrinen rahmt, sind in Letztere Schubladen eingelassen, in denen sich die Objekttexte und in vielen Fällen auch weitere Illustrationen und Karten befinden. Die Knäufe der Schubladen und Türen in diesem Ausstellungsbereich sind Abgüsse einer
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Kultfigur aus Sömmerda, die in das 3. bis 6. Jahrhundert datiert. Das breite Metallband dient zum Teil auch als Träger von Bereichs- und Objekttexten sowie von Zitaten aus römischen Schriftquellen. Es wurde bewusst nicht poliert, sondern gewissermaßen in seinem »Rohzustand« belassen und soll Arnold Muhl zufolge auf die Brutalität und Gewalt kriegerischer Auseinandersetzungen anspielen. Rechts hinter der Mauerbresche werden mit Grabinventaren zunächst germanische Bestattungssitten thematisiert. Linker Hand wird dagegen durch Exponate wie Ringe, Kämme, Pinzetten und Alltagsgegenstände wie Spielsteine und Geschirr das alltägliche Leben von Vertreter:innen der Oberschicht abgebildet. Zwischen der westlichen und der mittleren Säule beherbergt die Wand eine große Vitrine, in der die Fundstücke aus dem sogenannten Fürstengrab von Gommern ausgestellt sind. Darunter befinden sich acht Schubladen, die ergänzende Informationen zu diesem Fund bieten, und darüber hängt eine große Rekonstruktionszeichnung der Grabkammer. Bereichstexte erklären hier nicht nur den Fund, sondern auch die »germanische« Gesellschaftsordnung. Die südöstliche Ecke des Raumes ist durch die große Illustration des angreifenden HunnenVerbands sowie die Illustration eines Sakralbezirks geprägt. Unter Letzterer befinden sich Vitrinen mit Votivgaben und Objekten, die als Dinge mit kultischer Bedeutung interpretiert werden. Auch hier geht es also um Glaubenswelt und Kult. In der Ostwand werden wiederum Grabinventare ausgestellt, darunter auch sogenannte Turmschädel, also Schädel von Frauen, die in deren Wachstumsphase künstlich verformt wurden. Die Säulen enthalten von West nach Ost in ihren Vitrinen die bereits erwähnte Kultfigur eines Gottes, die an der Decke abgebildeten Goldbrakteaten sowie das Halbrelief eines bärtigen Mannes aus Schernikau, das als Votivgabe gedeutet wird. An der östlichen Säule hängen des Weiteren dünne figürlich gestaltete Goldbleche, die an skandinavische Funde angelehnt sind. Auch die Säulen vermitteln somit vorwiegend germanische Glaubensvorstellungen. Eines der goldenen Amulette in der mittleren Säule wird besonders hervorgehoben. Es zeigt ein Pferd und einen Mann und wird als Darstellung einer Sage gedeutet, in der der Gott Wodan das verletzte Bein eines Pferdes heilt. In der Seite der Säule können Besucher:innen eine Tür öffnen, hinter der das Motiv durch Texte und Abbildungen erläutert wird. Auf der Rückseite befindet sich des Weiteren eine Flügeltür, hinter der eine Videostation zu der Sage installiert ist, die ich im folgenden Teilkapitel besprechen werde. Ebenso werde ich dort auch auf eine weitere Videoinstallation zur sogenannten Völkerwanderung eingehen, die in Raum 15 neben dem Durchgang zum folgenden, 2020 noch im Bau befindlichen Ausstellungsraum zu sehen ist und auch als Vorschau auf diesen dient. Derzeit endet die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte mit dieser Videoinstallation. Zusammenfassen lässt sich diese Dauerausstellung also als chronologische Erzählung zur Entwicklung der Menschheit im mitteldeutschen Raum vom Paläolithikum bis zur Spätantike. Es werden vor allem Themen wie Nahrungserwerb, Werkzeug- und Waffenherstellung, Bestattungssitten, Gesellschaftsordnung, Kult, sogenannte Kulturgruppen – insbesondere die »Germanen« – und natürlich die Himmelsscheibe von Nebra behandelt. In den ersten Ausstellungsräumen wird vor allem vermittelt, dass die Neandertaler und andere frühe Menschenformen genauso begabt, intelligent und sozial waren wie die modernen Homo sapiens sapiens heute. In den Räumen zur Bronzezeit und zur Himmelsscheibe zeichnet die Ausstellung ein mystisches Bild einer Epoche der Edel-
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metalle, der Konflikte und des Kultes. Dies setzt sich in den Räumen zur Eisenzeit fort, aber der erste Raum zu den »Germanen« stellt als hell erleuchtete römische Schreibstube dann einen Bruch dar. Dadurch wird die Botschaft vermittelt, mit der römischen Eroberung sei Licht und Wissen in die bis dahin zivilisatorisch nebulöse Region gekommen. Im zweiten Ausstellungsraum zu der Thematik, dem Raum 15, wird dann vor allem die Glaubenswelt der als germanisch geltenden Bevölkerungsgruppen thematisiert. Wie in den vorangegangenen beiden Fallstudien tritt auch in Halle keine konkrete erzählende Figur in der Ausstellung auf und die Autor:innen beziehungsweise Ausstellungsmacher:innen werden nicht genannt. Eine eng definierte Zielgruppe wurde für die Ausstellung ebenfalls nicht angegeben. Vielmehr sollte sie sowohl für Fachleute als auch für Lai:innen und für Kinder ebenso wie für Erwachsene attraktiv sein.31 Tatsächlich bietet die Ausstellung für unterschiedliche Zielgruppen jeweils entsprechende Ebenen. Beispielsweise gibt es besonders für Kinder zusätzliche Schubladen und Fenster in der Vitrinenarchitektur und für fachlich interessierte Besucher:innen stellen die sogenannten Kulturvitrinen ein Angebot zur Vertiefung ihrer Kenntnisse dar. Über die vielen Schubladen und Türen, die Texte, Illustrationen, Fotos, Grabungsdokumente, Karten und Modelle enthalten, können Besucher:innen den Exponaten und Themen der Ausstellung, die sie besonders interessant finden, bis ins Detail nachgehen. Die raumgreifenden Installationen und die Illustrationen, die vom Salzburger Künstler Karol Schauer stammen, haben außerdem einen hohen Unterhaltungswert und vermitteln die Ausstellungsinhalte in niedrigschwelliger Form. Es werden überwiegend Gebrauchsobjekte, Waffen und Schmuck ausgestellt. Abhängig ist dies auch von der jeweiligen Epoche. In den Ausstellungsbereichen zur Altsteinzeit werden vor allem Werkzeuge ausgestellt, weil diese sich aufgrund ihres Materials am besten erhalten haben und den größten Teil der Fundmasse ausmachen. Außerdem werden dort viele Tierknochen, Fossilien, erste Kunstwerke sowie Werkzeuge aus Bein gezeigt. Im Bereich zum Mesolithikum werden drei Gräber gezeigt, da es außer diesen kaum Funde aus dieser Epoche gibt. Ab dem Neolithikum werden neben Werkzeugen und Waffen vor allen Dingen Keramik, Siedlungsfunde, Grabinventare beziehungsweise ganze Gräber und Schmuck ausgestellt. In den Räumen zur Bronzezeit kommen außerdem große Hortfunde dazu, die vor allem Sicheln und Dolche enthalten. Auch in den Bereichen zur vorrömischen Eisenzeit, zur Römischen Kaiserzeit und zur Spätantike werden vor allem Grabinventare gezeigt. Die Ausstellung enthält damit eine repräsentative Auswahl der Sammlung. Die Epochen nehmen zwar unterschiedlich große Ausstellungsflächen ein, doch wird damit zum Teil ihrem zeitlichen Umfang entsprochen, zum Teil ist die Fläche auch abhängig vom Fundbestand. Das heißt, die Altsteinzeit nimmt zwei große Ausstellungssäle ein, weil sie auch der längste Abschnitt der Menschheitsgeschichte ist. Das Mesolithikum wird in einem kleinen, schmalen Raum behandelt, weil es aus dieser Zeit kaum Funde gibt. Das Erzähltempo nimmt hier also zwangsweise zu. Zum Neolithikum gibt es bedeutend mehr Funde, daher nimmt dieses den größten zusammenhängenden Raum 6 ein. Die Bronzezeit schließlich nimmt mehrere große Ausstellungsflächen ein, weil es dazu aus Sachsen-Anhalt sehr viele herausragende Funde gibt. Dadurch wird 31
Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 494; Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 509f.
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das Erzähltempo wieder verlangsamt, bevor es in den Bereichen zur Eisenzeit und zur Römischen Kaiserzeit wieder zunimmt. Diese sind auf kleineren Flächen ausgestellt, umfassen aber jeweils auch nur wenige Jahrhunderte und nicht, wie im Fall der vorangegangenen Räume, ganze Jahrtausende. Der Raum 15 zur Spätantike ist wiederum vergleichsweise groß. Über diese räumlichen Zwänge hinaus lässt sich jedoch kein Schwerpunkt auf einer speziellen Epoche oder archäologischen Kultur erkennen. Altersgruppen, Geschlechter und sozialer Status werden gemäß der jeweiligen Fundlage repräsentiert. Die Ausstellung enthält überwiegend Originale und weist Kopien, Nachbauten, Repliken und Rekonstruktionen in den Objekttexten als solche aus, sofern sie nicht ohnehin klar als Rekonstruktionen zu erkennen sind, wie beispielsweise im Fall des Elefanten oder des Neandertalers. In den Vitrinen sind die Objekte oft in symmetrischen Mustern oder in Reihen angeordnet oder sie stehen für sich allein. Nur in einzelnen Vitrinen und Installationen wird auf die Wirkung der Masse gesetzt, etwa bei der Präsentation von Hortfunden sowie im Fall der Wand voller Steinbeile in Raum 6. In allen Vitrinen sind die Exponate aber in der Regel so installiert, dass man die Befestigung nicht sehen kann. Die Objekte scheinen also zu schweben. Ihre Präsentation unterstreicht damit vor allem ihre Ästhetik und weniger ihre Funktion. Diese wird stattdessen durch ergänzende Illustrationen, Filme und sonstige Sekundärexponate vermittelt. Typologische Reihen sollten nach Auskunft eines Kurators zwar bewusst sparsam eingesetzt werden, sind aber beispielsweise in den Räumen 3 und 4 mit dem Band der Steingeräte und in Raum 7 mit einer Reihe von Bronzebeilen zu finden. Meist haben die Vitrinen nur eine Ebene, entweder horizontal oder vertikal. Die Vitrinen selbst sind in der Regel entlang der Wände und in der Mitte des Raumes platziert, sodass dazwischen Wege frei bleiben, die es ermöglichen, einen Ausstellungsraum kreisförmig zu durchwandern. Zum Teil sind Vitrinenwände so dicht und großräumig vor Eingängen installiert, dass sie den Besucher:innen in den Weg zu treten scheinen und deren Bewegungen um sich herum lenken. Dies ist zum Beispiel in Raum 6 mit der Installation des Laufhorizonts der Fall. Die Decken werden nicht als Ausstellungsflächen genutzt, Boden und Wände aber in allen Sälen. Informationen stehen in der Regel nicht an den echten Wänden selbst, sondern auf der Vitrinenarchitektur. Wie bereits erwähnt ist die Ausstellung in erster Linie chronologisch strukturiert, wobei spezielle Themen chronologisch passend im Umgang präsentiert werden und die Rotunden zu besonderen Themen gestaltet sind. Da die Objekte, soweit möglich, datiert sind und in den ersten Sälen eine Epochenbezeichnung und deren zeitliche Erstreckung an den Wänden stehen, ist die chronologische Struktur der Ausstellung für Besucher:innen erkennbar. Innerhalb der Räume herrscht jedoch keine strenge chronologische Positionierung der einzelnen Exponate, außer natürlich im Fall von typologischen Reihen und den Kulturvitrinen. Nur ganz grob ist eine chronologische Anordnung der Vitrinen zu erkennen. Im Himmelsscheibenraum scheint, anders als in allen anderen Räumen, in denen größere Zeitspannen gezeigt werden, ein ganz bestimmter Zeitpunkt eingefroren zu sein, nämlich der Zeitpunkt der Deponierung. Darüber hinaus entstehen in dem intendierten Rundgang durch die Ausstellung aber keine Anachronien oder Zeitsprünge. Im Zuge der Ausstellungsbeschreibung wurde bereits angedeutet, dass im Landesmuseum für Vorgeschichte vor allem Licht sowie Farben und Installationen gezielt als
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Kommunikationsmittel eingesetzt werden. Insbesondere die Beleuchtung ist von Raum zu Raum sehr unterschiedlich. Intensität und Lichtfarbe werden gezielt dem jeweiligen Ausstellungsbereich angepasst, um dem Inszenierungskonzept entsprechende Atmosphären zu schaffen. Natürliches Licht fällt, wie schon zu Beginn dieses Teilkapitels erläutert, nur durch den Lichthof in das Gebäude und strahlt zum Teil in die Umgänge ab, nicht aber in die Ausstellungssäle. Diese und auch die Umgänge werden daher mit Strahlern und Oberlichtern beleuchtet, also mit Lichtöffnungen in den Decken, die ein gleichmäßiges, weißliches Licht verbreiten (s. Abb. 28 von Raum 6). Darüber hinaus sind fast alle Vitrinen indirekt von innen beleuchtet, wobei die Lichtquellen weitestgehend unsichtbar bleiben. Eine solche indirekte Beleuchtung hat den Vorteil, dass weder Schlagschatten noch Blendungen auftreten können, wenn Betrachter:innen sich über die Schaukästen beugen. Besonders die Exponate sind sehr bewusst ausgeleuchtet, je nach Objekt und Inszenierung wurden unterschiedliche Lichtintensitäten, Lichtfarben und Installationsarten gewählt. Auch Dunkelheit wird gezielt für die Inszenierung genutzt, beispielsweise in Raum 7, in der Himmelsscheiben- sowie in der Bronzehort-Rotunde. Dabei wird die lichtreflektierende Eigenschaft von Metall genutzt: Da nur die Metallobjekte präzise angestrahlt werden, scheinen sie in der ansonsten dunklen Umgebung zu glänzen – und das, obwohl viele der Objekte durch ihren Erhaltungszustand bedingt keine glatten und polierten Oberflächen mehr haben. Ihr Material und ihre Farben werden so durch die geschickte Lichtregie hervorgehoben und ästhetisiert. Angesichts dieser hohen Aufmerksamkeit, die dem Licht, den Farben und den Materialien gewidmet wird, überrascht es nicht, dass das Landesmuseum für Vorgeschichte für die Dauerausstellung mit zwei Gestaltern zusammenarbeitet, von denen der eine auch als Fotograf (Juraj Lipták), der andere als Illustrator (Karol Schauer) für das Museum tätig ist. Dazu passt auch, dass das Museum Harald Meller zufolge keine Geschichten erzählen, sondern Bilder kreieren möchte.32 Viele Objektensembles werden in der Ausstellung zu Bildern gemacht, indem sie zum Beispiel als Blockbergung präsentiert, dafür aber vertikal aufgestellt werden oder indem sie so montiert sind, dass sie in einem Moment der Bewegung fixiert zu sein scheinen. Ersteres wurde schon am Beispiel der Gräber aus Eulau gezeigt. Letztere Strategie ist beispielsweise für die Präsentation des Bronzehorts von Frankleben in Raum 12 angewendet worden: Dieser ist so in der Vitrine montiert, dass die Sicheln des Horts in einem enger werdenden Strudel von oben nach unten in einen Bronzekessel zu sinken scheinen (s. Abb. 37).
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Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 507f.
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Abb. 37: Die Präsentation des Bronzehorts von Frankleben in Raum 12 (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)
Die Ausleuchtung der Exponate ist neben ihrer Positionierung und Aufhängung ein essentieller Teil des Transformationsaktes, der aus den dreidimensionalen Objekten Bilder macht – die eigentlich nur zweidimensional sind. Des Weiteren werden sie durch überwiegend rechtwinklige und geradlinige Vitrinenformen gerahmt. Die Entscheidung für diesen Inszenierungsweg begründete Meller damit, dass im Museum zuallererst die Originale wirkten und es fast unmöglich sei, den Besucher:innen im Museum eine Gesamtsicht der Ur- und Frühgeschichte zu bieten. Daher müssten die Ausstellungsmacher:innen die verfügbaren Informationen zur Ur- und Frühgeschichte verdichten und in historisch korrekte und plausible Bilder fassen. Wie bereits in Teilkapitel II.4.3 aus-
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geführt, möchte Harald Meller die Vergangenheit in seinem Museum vor allem durch Bilder vermitteln.33 Um Raum für Assoziationen zu lassen und die Ausstellung nicht zu überladen, sind die Ausstellungssäle, von den Installationen abgesehen, eher zurückhaltend gestaltet. Sowohl die Innenarchitektur des Gebäudes als auch die Vitrinenarchitektur sind weitestgehend neutral, geradlinig und symmetrisch. Es dominieren schwarze und weiße glatte Oberflächen. Auf den Böden sind helle, glatte Steinplatten verlegt, Wände und Decken sind in den meisten Räumen weiß. Die Vitrinenarchitektur ist, sofern es sich nicht um Vitrinen in Installationen wie beispielsweise den Schaukästen in der »römischen Schreibstube« sowie in der »römischen Stadtmauer« handelt, außen stets schwarz und innen in der Regel schwarz oder weiß ausgekleidet. Weiße Hintergründe werden vor allem in Raum 3 und Raum 4 verwendet und deuten dort Eis und Schnee der letzten Kaltzeit an. Farbige Hintergründe werden nur für wenige Exponate eingesetzt, dienen dann aber zur Kontextualisierung oder Betonung dieser Fundstücke. So werden die Schädelfragmente der Homo-erectus-Individuen in Raum 1 vor Hellblau gezeigt und stechen aus der ansonsten dunklen Umgebung hervor. Des Weiteren sind dort einige Knochen- und Pflanzenfunde aus dem Fundplatz Bilzingsleben auf dunkelgrünen Untergründen ausgestellt, was vermutlich ihren Charakter als Naturobjekte symbolisieren soll. In Raum 2 sind die Knochen des Waldelefanten auf einer blau beleuchteten Platte montiert, die ihre Lagerung im Wasser andeutet. Die Schneidewerkzeuge, die bei dem Elefantenskelett entdeckt wurden, sind dagegen auf rotem Untergrund ausgestellt, mit dem Blut assoziiert werden kann. Die Verwendung einer weiteren leuchtend roten Schaufläche für die Eisenobjekte in Raum 13 deutet neben Blut auch Feuer an (s.o., Abb. 33). Unter den verwendeten Materialien dominieren Glas, Metall, Holz, Stein und Kunstharz. Letzteres wird für Installationen wie beispielsweise die des Waldelefanten verwendet. Das Glas der Vitrinen ist entspiegelt, damit die Exponate optimal zu sehen sind und zwischen ihnen und den Betrachter:innen eine unmittelbare Nähe suggeriert wird. Die Verwendung von echten Steinen, Ziegeln und von Holz in den Installationen wie beispielsweise in Raum 15 sorgt dafür, dass die Einbauten realistisch und authentisch wirken. Die Vitrinenformen umfassen vor allem Stelen- und Wandvitrinen sowie hängende Schaukästen. In viele davon sind zusätzliche Schubladen und Türen integriert, um darin weitere, vertiefende Informationen zu den Exponaten und Themen der Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Die Inhalte der Ausstellung werden zu einem großen Teil durch die verwendeten Medien und Installationen kommuniziert. Eingesetzt werden dafür Grafiken, Illustrationen, Fotografien, Modelle, Karten, Videos, ein Computerterminal, eine Taststation, Rekonstruktionen, lebensechte Figuren und Rauminszenierungen wie der künstliche Gletscher, die Wandmalereien und der Grabhügel. Vor allem der Einsatz von Modellen und Rekonstruktionen hat im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle eine lange Tradition, denn schon in den ersten Jahrzehnten des Museums wurden Gipsmodelle von Großsäugern und Menschen in der Ausstellung verwendet, die der Bildhauer Heinrich Keiling
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Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 505–507, und Teilkapitel II.4.3, S. 368.
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für das Haus herstellte.34 Die Verwendung von Tierpräparaten und die Präsentation von menschlichen und tierischen Skeletten verleihen der Ausstellung einen Charakter, der an Naturkundemuseen erinnert. Sie unterscheidet sich darin stark von der einer Kunstausstellung gleichenden Präsentationsweise in Saarbrücken und der ebenfalls mehr zu kunsthistorischen Präsentationsstrategien tendierenden Ausstellung in Trier. Mit den unterschiedlichen Medien werden unter anderem Dokumentationen von Ausgrabungen wiedergegeben, Prozesse, Migrations- und Handelsbewegungen verdeutlicht, Herstellungstechniken und Funktionen von Objekten vermittelt sowie Objektkontexte illustriert. Einige dieser Sekundärexponate sowie die Ausstellungstexte werde ich im Folgenden analysieren.
III.3.2 (Bühnen-)Bilder und Skript Da die visuellen Medien, also vor allem die Installationen, Illustrationen und Videos, einen besonders wichtigen Bestandteil der kommunikativen Strategie des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle in dessen Dauerausstellung darstellen, soll ihnen hier noch einmal besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Exemplarisch analysiere ich dafür einige von ihnen näher, bevor ich zuletzt die Ausstellungstexte bespreche. Im vorangegangenen Teilkapitel habe ich bereits darauf hingewiesen, dass das Landesmuseum für Vorgeschichte die Menschen der Vergangenheit als den heutigen Menschen ebenbürtig präsentieren will. Dies soll einen persönlichen Bezug des Museumspublikums zur Vergangenheit ermöglichen und darauf hinwirken, dass die Besucher:innen das vermeintlich Fremde in der Ausstellung nicht ablehnen, sondern es als Gleichartiges annehmen. Arnold Muhl erläuterte hierzu: Man meint das ja heute negativ, wenn man Leute als Vandalen oder Neandertaler bezeichnet. Man denkt immer, man selbst ist die Krone der Entwicklung und die anderen sind primitiv. Und wir wollen zeigen, dass das überhaupt nicht stimmt. Die Leute waren wie wir heute kreativ und innovativ in ihrer Zeit. Wir wollen einfach zeigen: Wenn ich die Menschen von damals ins Heute transferiere, könnten die auch den Umgang mit Computern lernen. Die waren kein Stück dümmer. Das fängt beim Neandertaler an, und auch ein sogenannter germanischer Barbar könnte das. Wir wollen die Angst, die Scheu vor Personen der Vergangenheit nehmen, denn diese Scheu ist ja meist mit einer Abwehr verbunden.35 Das Landesmuseum für Vorgeschichte arbeitet also mit den für archäologische Ausstellungen typischen Fremdheitserfahrungen, die im Zusammenhang mit der These des Museums als xenologische Institution in Kapitel I.3 bereits besprochen wurden und die zum Aufbau einer kulturellen Identität beitragen, indem sie eine Identifikation mit dem vermeintlich Eigenen und eine Abgrenzung vom vermeintlich Fremden ermöglichen. Dafür werden unter anderem und vor allem in den Ausstellungsbereichen zu Paläo-, 34 35
Vgl. Dieter Kaufmann, Provinzialmuseum – Landesanstalt – Landesmuseum – Landesamt für Archäologie, 2001, S. 28. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 498.
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Meso- und Neolithikum mehrere lebensechte Figuren und detailorientierte Illustrationen eingesetzt. Besonders eindrucksvoll ist die von Elisabeth Daynès geschaffene Wachsfigur eines Neandertalers in Raum 3 (s. Abb. 38).
Abb. 38: Der Neandertaler von Elisabeth Daynès in Raum 3 des Landesmuseums für Vorgeschichte
Der Neandertaler ist nackt in der Pose von Auguste Rodins »Denker« auf einem Felsen sitzend dargestellt und scheint an den Betrachter:innen verträumt vorbei zu blicken. Harald Meller erklärte im Interview hierzu, dass diese Darstellung ganz bewusst vom Museum gewählt worden sei und zum Ausdruck bringen solle, dass die Neandertaler intelligent und den heutigen Menschen ebenbürtig gewesen seien. Damit sollte einer Diskriminierung der frühen Menschen entgegengewirkt werden.36 Dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle ist es offenbar nicht nur ein Anliegen, eine Verbindung zwischen den Menschen der Gegenwart und denen der Vergangenheit aufzuzeigen, sondern die Menschen der Vergangenheit gewissermaßen auch sozial aufzuwerten: 36
Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 506f.
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Wir sehen uns am Ende einer logischen Autobahn, und die anderen sind alles mindere Vorgänger. Beides müssen Sie dekonstruieren. Wenn Sie unseren Neandertaler nehmen, der sich im Paläolithikumsraum befindet, dann stellen Sie fest, dass er in der Pose des Denkers von Rodin dasitzt. Jetzt sagt Ihnen die Pose allein schon: Er ist genauso fähig wie Sie als Homo sapiens, denn er sitzt als Denker da. […] Der Neandertaler als Denker irritiert uns, weil er nicht unseren Erwartungen entspricht, und somit ist der Neandertaler in dieser Denkerpose perfekt getroffen. […] Der moderne Museumsbesucher fühlt sich sogar leicht unterlegen, weil der Neandertaler schräg an ihm vorbeischaut und sein Blick nicht zu fassen ist.37 Die Installation vermittelt aber nicht nur, dass Neandertaler intelligent waren, sondern sie wirkt darüber hinaus sympathisch und komisch und sorgt dafür, dass Betrachter:innen der Figur und damit den Neandertalern gegenüber eine positive Einstellung entwickeln. Diese Sympathie wird erstens erzielt, indem der Neandertaler mit einem leichten Schmunzeln dargestellt wird. Zweitens entspricht sein gedrungener, behaarter Körper nicht den heute vorherrschenden Schönheitsidealen, wirkt aber zugänglich und authentisch. Aufgrund dessen können sich Besucher:innen eventuell mit dem Neandertaler identifizieren und solidarisieren. Darüber hinaus löst seine Nacktheit in der Öffentlichkeit Scham und Irritation aus, worauf viele Menschen mit Humor reagieren und somit in eine positive Stimmung versetzt werden, die mit der Figur verbunden wird. Ein weiterer Neandertaler ist im selben Raum auf einer Illustration dargestellt, die am nördlichen Ende des Saals neben dem Durchgang zum nächsten Ausstellungsraum hängt. Der vermutlich männliche Neandertaler ist im Bild von hinten zu sehen und läuft auf eine helle Höhlenöffnung zu. Auf der anderen Seite der Wand, in Raum 4, hängt an der gleichen Stelle die Illustration eines weiblichen Homo sapiens sapiens, also einer Vertreterin der heutigen Menschenform. Die Frau ist von vorne zu sehen und hat den Höhleneingang im Rücken, scheint also gerade aus der Höhle herauszutreten. Sie ist nur mit einem Lendenschurz und Beinlingen bekleidet, ihr Oberkörper ist nackt und mit Schmucknarben verziert. Um den Hals trägt sie eine Kette aus Zähnen und einer Muschel und weiteren Schmuck um den rechten Oberarm. Sie hat ein schönes Gesicht, makellose Haut und einen athletischen Körper. In der linken Hand hält sie einen Speer und an ihrem Gürtel hängt ein totes Kaninchen. Die Frau ist also als erfolgreiche Jägerin mit ihrer Waffe dargestellt und lässt so vielleicht manche Betrachter:innen unwillkürlich an Darstellungen von Amazonen und Walküren denken. Aus Gesprächen mit den Ausstellungsmacher:innen ging hervor, dass die frühen Menschen in diesem Museum bewusst attraktiv und gepflegt dargestellt werden, um dem Klischee von primitiven und verwahrlosten Wilden ein realistischeres Bild entgegenzusetzen. Darüber hinaus wird durch die Kombination der zwei Bilder zu beiden Seiten der Wand die Botschaft vermittelt, dass die Menschheit sich aus dem Dunkel des frühen Paläolithikums, symbolisiert durch die Höhle, weiterentwickelt habe und die heutige Form des modernen Menschen die frühere Menschenform des Neandertalers abgelöst habe. Ähnlich attraktiv ist auch die sogenannte Schamanin von Bad Dürrenberg dargestellt, deren Illustration in Raum 5 hängt. Sie trägt darauf eine künstlerische Rekon-
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struktion des rituellen Schmucks, der im Grab gefunden wurde. Ihre Augen blitzen zwischen Tierzähnen hervor, die von ihrem Kopfschmuck herabhängen, ihre Lippen sind voll und rot und ihre Wangen werden von Wildschweinhauern gerahmt. Die Frau wirkt so nicht nur schön, sondern auch intelligent und geheimnisvoll, ja fast schon anziehend. Die Illustrationen von Menschen, insbesondere von Frauen, in dieser Ausstellung sind also bewusst darauf abgestellt, die Menschen der Vergangenheit als den heutigen ebenbürtig, also als intelligent, begabt und attraktiv, darzustellen. Dafür wird gezielt auch aktuellen Schönheitsidealen entsprochen und es werden Geschlechtsmerkmale wie die Brüste der Jägerin betont, womit zumindest diese Illustration fast schon dazu tendiert, einen Voyeurismus zu bedienen. Auch das kann in gewisser Weise zum Unterhaltungsfaktor der Ausstellung und zu deren Erfolg beitragen, frei nach dem Motto »sex sells«. Zur sogenannten Schamanin gibt es des Weiteren eine Büste, die gemeinsam mit den Büsten eines Mannes, dessen Bestattung in Bottendorf entdeckt wurde, und einer Frau, deren Bestattung in Unseburg gefunden wurde, in Raum 5 ausgestellt wird. Die Büsten wurden laut Angaben der Ausstellungsmacher:innen und des Begleithefts zu diesem Ausstellungsabschnitt »auf der Grundlage anatomischer und physiognomischer Identifikationsmethoden der Kriminalistik« aus den gut erhaltenen Schädeln dieser drei Bestattungen aus dem Mesolithikum rekonstruiert.38 Sie sind nicht koloriert, sondern schlicht in Weiß gehalten und auf Augenhöhe Erwachsener in einer schwarzen Wandvitrine platziert. Wie der Neandertaler sind allerdings auch sie derart ausgeführt, dass sie an den Betrachter:innen schräg vorbeizuschauen scheinen. Durch einen Objekttext neben dem Schaukasten werden sie als die »ersten Gesichter von Sachsen-Anhalt« bezeichnet. Arnold Muhl erklärte im Interview, dass damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden solle, dass dies die bisher ältesten bekannten Bestattungen aus dem Bundesland seien.39 Dennoch wird durch den Titel der Installation eine Verbindung zwischen diesen Menschen, die vor rund 9000 bis 11 000 Jahren lebten, und dem heutigen, modernen Bundesland Sachsen-Anhalt suggeriert. Die Bestatteten werden also indirekt als Ahn:innen der Besucher:innen präsentiert oder zumindest als ihre Vorgänger:innen, die mit ihnen einen Herkunftsort oder Lebensraum gemein hätten. Damit wird eine Verbindung zwischen den heutigen Menschen in Sachsen-Anhalt und den Menschen der Vergangenheit in diesem geografischen Raum hergestellt, so als sei die Herkunft aus diesem Raum – unabhängig von der Zeit und den jeweiligen Verhältnissen von Umwelt und Gesellschaft – prägend für die Persönlichkeit der dort lebenden Menschen. Der Ort wird hier also als Identitätselement präsentiert, das weit in die Vergangenheit zurückreicht, obwohl dieser Ort sich in den letzten 11 000 Jahren so stark verändert haben dürfte, dass er vermutlich kaum noch wiederzuerkennen ist. Die Büsten in Raum 5 sind außerdem als Gegenstück zu einer Installation in Raum 6 konzipiert. Wie schon im Zuge der Ausstellungsbeschreibung erwähnt, befinden sich an der Wand zwischen Raum 5 und 6 zahlreiche weiße Gipsabformungen menschlicher Gesichter (s. Abb. 39).
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Vgl. Harald Meller (Hg.), Menschenwechsel, 2011, S. 49. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 497.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Abb. 39: Ausschnitt aus der Installation der Gipsabformungen menschlicher Gesichter in Raum 6
Die Gesichter zeigen Menschen unterschiedlicher Geschlechter und Altersklassen und sollen, wie der Kurator Arnold Muhl erläuterte, im Gegensatz zu den wenigen Büsten von Menschen des Mesolithikums das starke Bevölkerungswachstum im Neolithikum zum Ausdruck bringen. Grundlage der Installation waren Gipsmasken in der Sammlung des Museums, die aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammten und die die Kurator:innen in der Ausstellung einem neuen Zweck zuführen wollten.40 Da die Masken für die In40
Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 497. Im Interview äußerte sich Arnold Muhl nur indirekt zu der Frage, zu welchem Zweck die Masken ursprünglich angefertigt worden waren. Da das Landesmuseum für Vorgeschichte unter der nationalsozialistischen Herrschaft zeitweise eine »Landesanstalt für Volkheitskunde« war, liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um Masken von Menschen zu sogenannten »rassenkundlichen« Studien und somit um historisch stark belastete Sammlungsstücke handelte. Wenn sie auch Muhl zufolge schon aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammten, hätte das Museums sie doch in den 1930er und 1940er Jahren sammeln können.
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stallation jedoch nicht ausreichten, wurden mit einem öffentlichen Aufruf Freiwillige gesucht, die ihre Gesichter abformen und im Museum aufhängen ließen.41 Besucher:innen des Museums konnten also zu Repräsentant:innen der Menschheit im Neolithikum werden. Der abstrakten Vergangenheit werden im Landesmuseum für Vorgeschichte durch diese Installation und durch die Büsten, die Illustrationen und die Neandertaler-Figuren im wahrsten Sinne des Wortes Gesichter verliehen. Muhl bestätigte hierzu, dass diese Maßnahmen dazu dienen sollen, dass das Publikum des Museums sich mit den Menschen der Vergangenheit identifiziert, sich in ihnen wiedererkennt und einen Bezug zur Ur- und Frühgeschichte aufbaut: [D]er Mensch kriegt nur einen Bezug zu etwas, wenn er einen anderen Menschen damit verbindet. Ein Topf ist abstrakt, aber wenn ich die Person hinter dem Topf sehe, dann kriegt das ein ganz anderes Gewicht. Dann erkenne ich auch, dass das eine gewisse Bedeutung hat. Deshalb ist es immer am besten, ein Gesicht dazuzugeben.42 Zu dieser Personifizierung der sonst abstrakten Ur- und Frühgeschichte tragen auch die bereits genannten Lebensbilder von Karol Schauer und die Videostationen bei. Unter Letzteren lassen sich mehrere Kategorien unterscheiden: kommentarlose Filme der experimentellen Archäologie, populärwissenschaftliche Dokumentationsfilme sowie Animationen. Als kommentarlose Filme der experimentellen Archäologie möchte ich die beiden kurzen Filme bezeichnen, die in Raum 3 und Raum 4 die Herstellung von Steinwerkzeugen veranschaulichen. Dort werden Techniken demonstriert, ohne dass dazu weitere Informationen in Text- oder Audioform geboten würden. Der Fokus liegt allein auf den Händen eines Mannes, der Steinknollen zuschlägt und so Klingen und andere Steingeräte aus ihnen formt. Die Dokumentationsfilme werden dagegen durch gesprochene oder schriftlich eingeblendete Texte ergänzt. Sie werden in der Ausstellung an Videostationen sowie im Kinoraum eingesetzt. Der Film in der Elefanten-Rotunde im zweiten Obergeschoss zeigt die Jagd auf einen Elefanten. Dieser Film ist in Schwarz-Weiß gehalten und die Filmtechnik ist noch nicht ganz ausgereift, daher ist offensichtlich, dass er schon älteren Datums ist. Etwas jünger wirkt der Film in Raum 6 zur Holzbearbeitung durch eine indigene Bevölkerungsgruppe in Neuguinea, der immerhin in Farbe gedreht ist. Beide Filme machen eine Analogie auf zwischen der Lebensweise der dort gezeigten Menschen und der der Menschen in der Region um Halle vor rund 125 000 Jahren. Ein weiterer, ähnlicher Film dokumentiert in Raum 13 die Eisenverhüttung und auch im Kinosaal werden solche Dokumentarfilme neben Kurzfilmen zur Geschichte des Museums und seiner Sammlung sowie zur Auffindung und wissenschaftlichen Deutung der Himmelsscheibe
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Der Kurator bestätigte jedoch lediglich, dass die Masken unter anderem deshalb angefertigt wurden, weil die Menschen dachten, dass sie aus der Physiognomie etwas ableiten könnten. Er drückte sich allerdings nur ungenau darüber aus, welche Menschen durch die Masken in der Sammlung porträtiert wurden: »Damals hat man auch im Volk oder eben von berühmten Persönlichkeiten Masken angefertigt. Man dachte, dass man über die Physiognomie irgendetwas erkennen könnte oder auch nicht, und da hat man alles Mögliche gesammelt.« (Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 497.) Vgl. ebd., S. 497. Ebd., S. 498.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
von Nebra gezeigt.43 Die Dokumentation zur Kreisgrabenanlage von Goseck beinhaltet darüber hinaus auch computergenerierte Sequenzen und erläutert den Aufbau und die Funktion des Bodendenkmals. Rein animiert sind drei Filme in dieser Ausstellung: Der Film zum Mammut in Raum 3 zeigt eine mit den Mitteln der Computertechnik realistisch animierte Mammutherde, die durch ein verschneites Gebiet zieht. Eines der Mammuts bricht plötzlich auf einer zugefrorenen Wasserfläche ein und kann sich nicht mehr aus dem Wasser ziehen. Die Herde muss das Mammut zurücklassen und zieht weiter. Zuschauer:innen können daraus schließen, dass dies die Todesursache des Mammuts gewesen sein muss, dessen Skelett über der Videostation ausgestellt ist. Im Gegensatz zu der realistischen Animation dieses Films ist die Animation zur Wodanssage in Raum 15 als Zeichentrickfilm ausgeführt und dem Motiv auf dem Goldbrakteaten aus Obermöllern entlehnt. Die Videostation ist in der mittleren der drei Säulen in Raum 15 installiert, in der auch die Vitrine enthalten ist, die den Goldbrakteaten zeigt. Sie liegt hinter einer doppelflügeligen Tür und startet den Film automatisch, sobald beide Seiten der Tür geöffnet werden. Zu der Animation erklingt eine männliche Stimme, die die zweite Beschwörungsformel der sogenannten Merseburger Zaubersprüche auf Althochdeutsch rezitiert. Der Text steht in Althochdeutsch und modernem Hochdeutsch auch auf der Innenseite der Tür und wird auf eine Sage zurückgeführt, der zufolge der Gott Wodan das verletzte Bein eines Pferdes geheilt haben soll, das niemand sonst heilen konnte. Die Animation ist spielerisch und kindlich gestaltet, verdeutlicht aber das stilisierte Motiv des Brakteaten und entschlüsselt seine Bedeutung, ohne dass dazu weitere textliche Informationen nötig wären. Ganz anders gestaltet ist die zweite Videostation in diesem Raum: Dort wird eine Landkarte animiert, um die sogenannte Völkerwanderung zu visualisieren. Die Karte umfasst Europa sowie Teile Nordafrikas und Asiens bis zum Kaspischen Meer. Darunter befindet sich eine Zeitleiste, auf der ein roter Balken zwischen den Markierungen für die Jahre 200 und 600 n. Chr. entlangläuft. Zu Beginn ist das Römische Reich um das Jahr 200 eingezeichnet und verschiedene Stämme außerhalb des Reiches werden als verschiedenfarbige Cluster wimmelnder Punkte dargestellt. Die Migrationsbewegungen dieser Cluster werden dann im Laufe des Films auf der Karte gezeigt. Dabei werden auch historische Daten von Schlachten eingeblendet. Wenn sich ein neues Reich gründet, wird das entsprechende Gebiet farbig markiert. So kann auf vergleichsweise geringem Raum ein sehr komplexes Thema visualisiert werden. Es wird dabei aber natürlich auch stark vereinfacht. Die Station wird allerdings ergänzt durch mehrere Wandtexte zu dem Thema, die ich später in diesem Teilkapitel noch in den Blick nehmen werde. Zunächst werden hier noch drei besondere Textinstallationen vorgestellt, die in den Räumen 3, 4 und 6 den Forschungsstand zum Alltag der Menschen während des Paläo-, Meso- und Neolithikums zu narrativen Ablaufplänen verdichten. Ergänzt werden diese Texte durch Illustrationen von Karol Schauer, sodass sie als eine Art Comic oder kom-
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Die Filme im Kinosaal des Landesmuseums für Vorgeschichte werden hier nicht näher besprochen, weil der Fokus auf der Dauerausstellung liegen soll.
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mentierter Bilderzyklus beschrieben werden können.44 In Raum 3 und Raum 4 sind diese Bilderzyklen jeweils an der westlichen Wand installiert, wobei die Illustrationen von hinten beleuchtet werden und in Raum 3 schwarz-weiß (s. Abb. 40), in Raum 4 wiederum farbig ausgeführt sind. Diese unterschiedliche Gestaltung könnte praktischen Gründen wie Zeitmangel geschuldet sein, sie könnte jedoch auch als Symbol dafür interpretiert werden, dass der aus den Funden und Befunden rekonstruierbare Kenntnisstand in jüngeren Perioden zunehmend klarer und detaillierter wird, also im übertragenen Sinne an Farbe gewinnt. In Raum 6 sind die Texte nur durch eine einzelne Illustration begleitet, die nicht von hinten erleuchtet wird, sondern wie ein Gemäldedruck in einem Rahmen an der Wand hängt. Damit könnte die Einrichtung eines Wohnraumes assoziiert werden, wovon sich wiederum die sesshafte Lebensweise ableiten ließe, die sich im Neolithikum zunehmend ausbreitete.
Abb. 40: Ausschnitt der Installation zum Tagesablauf einer Neandertalergruppe in Raum 3
Unter den Bildern stehen Texte an den Wänden, die sich in Raum 3 und in Raum 4 in jeweils zwei verschiedene Ebenen unterteilen lassen: zunächst in Texte der narrativen Ebene, die den Tages- oder Jahresablauf einer sozialen Gruppe beschreiben. In Raum 3 wird im Stundentakt der Tagesablauf einer Neandertalergruppe erzählt. In Raum 4 dagegen sind die narrativen Textabschnitte nach Monaten gegliedert und erzählen so den
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Die Texte und Illustrationen aus den Räumen 3 und 4 sind identisch in den Begleitheften zur Dauerausstellung abgedruckt und werden im Folgenden aus diesen zitiert, die Texte des Raumes 6 sind allerdings nur in der Ausstellung und nicht im entsprechenden Band der Begleithefte verfügbar.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Jahresablauf einer halbsesshaft lebenden Gemeinschaft. Die Textabschnitte in Raum 6 sind zu jeweils zwei Monaten zusammengefasst und skizzieren den Jahresablauf einer dauerhaft sesshaft lebenden Dorfgemeinschaft. Unter diesen narrativen Textabschnitten stehen in Raum 3 und in Raum 4 des Weiteren Texte der wissenschaftlichen Ebene, die den Forschungsstand umreißen, auf dem die Erzählung der narrativen Ebene basiert. In Raum 6 fehlen diese Texte der wissenschaftlichen Ebene. Die beiden Textebenen sind nicht nur optisch durch Absätze und eine geringere Schriftgröße der Texte der wissenschaftlichen Ebene voneinander zu unterscheiden, sondern auch durch die Verwendung verschiedener Zeitformen. Die narrativen Texte stehen durchgehend im Präsens, während in den Texten der wissenschaftlichen Ebene in Raum 3 und 4 überwiegend das Präteritum und nur gelegentlich das Präsens auftaucht. Das heißt, auf der narrativen Ebene wird eine vermeintlich gegenwärtige Situation beschrieben, die Leser:innen werden gewissermaßen in die durch die Texte geschaffene Situation der Vergangenheit versetzt und in dieser wird über die dort geltende Gegenwart erzählt. In den wissenschaftlichen Textteilen dagegen wird aus der Gegenwart der Leser:innen heraus über eine Situation der Vergangenheit gesprochen. Die Distanz zwischen beiden Situationen bleibt dabei gewahrt. Jede der Installationen bindet jeweils einen Fund in die Erzählung ein, der im jeweiligen Ausstellungsraum oder in einem auf diesen folgenden Raum ausgestellt wird. In der Erzählung in Raum 3 wird die Herstellung von Birkenpech als Schäftungskitt für Steinklingen erläutert und so auf einen Klumpen Birkenpech angespielt, der in einer Stelenvitrine neben der Textinstallation ausgestellt ist. In Raum 4 wird von der Erkrankung und dem Tod sowie der Bestattung einer Schamanin erzählt. Damit wird auf die im nächsten Raum ausgestellte Bestattung der sogenannten Schamanin von Bad Dürrenberg übergeleitet; dem Fund wird also eine Hintergrundgeschichte verliehen. In einem Textabschnitt in Raum 6 wird von der Geburt eines pflegebedürftigen wasserköpfigen Kindes erzählt, das als selbstverständlicher Teil seines Clans und der Dorfgemeinschaft gelte. So nimmt der Text Bezug auf den Schädel eines etwa fünfjährigen Kindes mit Hydrozephalus im nächsten Ausstellungsraum 7. Mit der Einbindung realer Ausstellungsexponate und der Kontextualisierung der narrativen Textebene durch die Forschungsergebnisse in der wissenschaftlichen Textebene werden den Erzählungen dieser Installationen Faktenbasen verliehen. Dennoch sind die Texte auch gezielt narrativ gestaltet. In den Texten in Raum 3 und Raum 4 werden zunächst Zeitpunkte genannt, an denen die Erzählungen ansetzen. Der Tagesablauf der Neandertaler wird sogar auf einen bestimmten Tag festgelegt, nämlich auf den 10. August vor 89 564 Jahren. Der Text im Spätpaläolithikum- und Mesolithikumraum wird als Bericht zu einem Jahresverlauf vor 9500 Jahren datiert. Da diese Daten nicht an einem Fixpunkt festgemacht sind, also nicht beispielsweise »rund 7500 Jahre v. Chr.«, sondern schlicht »vor« dem Zeitpunkt der Rezeption des Textes liegen, wandern sie gewissermaßen auf einer Zeitachse mit der Ausstellung mit und werden von den Leser:innen jeweils individuell von dem Moment ihrer Rezeption aus wahrgenommen. Der fiktive zeitliche Abstand zwischen den Leser:innen und den in den Texten geschilderten Ereignissen bleibt also immer gleich groß, und es ist für Rezipient:innen einfacher, eine Vorstellung von diesem Zeitabstand zu entwickeln, ohne von einem bestimmten Bezugspunkt der Jahreszählung aus zurück- oder möglicherweise sogar in eine andere
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Jahreszählung umrechnen zu müssen. Allerdings sind die Datierungen dadurch nicht so konkret und fixiert, wie sie vermuten lassen. Sie erwecken zwar den Anschein fassbarer Daten, sind aber tatsächlich nur ein narrativer Kniff. Auf diese vermeintlichen Datierungen folgend wird in Raum 3 und Raum 4 zunächst die jeweilige Gesamtsituation der Gruppe beschrieben, das heißt, die Gruppenzusammensetzung wird genannt und der Schauplatz der Handlung beschrieben. Dann wird, gegliedert in Stunden beziehungsweise Monate, von den alltäglichen Tätigkeiten der Menschen erzählt, also vor allem davon, wie sie Nahrung beschaffen, wie sie Werkzeuge, Gebrauchsobjekte und Behausungen herstellen und wie sie soziale Beziehungen pflegen. Dabei wird eine deskriptive Sprache verwendet, die dazu dient, zu der Geschichte eine Atmosphäre zu kreieren und die Situationen und Empfindungen der handelnden Figuren zu beschreiben. So heißt es in dem Text in Raum 3 beispielsweise: »Vor den Hütten glimmen noch die Feuer. Das nächtliche Insektenzirpen ist noch nicht verklungen. […] Einzelne Personen kriechen schläfrig und fröstelnd aus ihren Hütten.«45 Zum Teil wird auch von Begebenheiten erzählt, die keine archäologische Grundlage haben und somit rein fiktiv sind. Beispielsweise ist in dem Text in Raum 4 die Rede von einem Fest mehrerer Gemeinschaften zur Feier eines erfolgreichen Lachsfanges.46 In dem Text zum Tagesablauf einer Neandertalergruppe wird erzählt, dass Jugendliche eine Hyäne erlegen und ins Lager schleppen, aber dafür von den Erwachsenen getadelt werden, »weil man mit einem solchen Tier nicht in Berührung kommen« wolle. In einem weiteren Abschnitt heißt es, eine ältere Frau würde abends beim Lagerfeuer den Jungen Geschichten über Hyänen und Menschen erzählen.47 Damit wird das Geschichtenerzählen thematisiert, das nicht nur der Unterhaltung und Pflege sozialer Beziehungen dient, sondern auch Wissen und Erfahrungen an jüngere Mitglieder der Gemeinschaft vermittelt und somit eine Form der mündlichen Überlieferung darstellt. Gleichzeitig wird durch den Text aber auch impliziert, dass die Neandertaler Hyänen gemieden hätten, wobei nicht nur die Frage offenbleibt, aus welchen Gründen dies geschehen sein soll, sondern auch, worauf diese Behauptung basiert. Möglicherweise stammt die Idee für diesen Teil der Handlung von dem Vergleich mit neuzeitlichen indigenen Gemeinschaften, allerdings wird hier auf der wissenschaftlichen Textebene nicht auf einen solchen Bezug verwiesen – an anderer Stelle dagegen schon. Diese comicartigen Texte sind Beispiele für eine Kommunikationsstrategie, die der Museumsdirektor Harald Meller unter anderem auch in seinem Buch Die Himmelsscheibe von Nebra48 anwendet und die er als »faktenbasiertes Spekulieren« bezeichnet. Im Interview erklärte er hierzu, dass er damit den Bürger:innen, die die Forschung durch ihre Steuern finanzierten, die Wissenschaft nahebringen und ihnen die Fragen beantworten wolle, die sie interessieren würden.49 45 46 47 48 49
Arnold Muhl, Geisteskraft, 2005, S. 54f. Vgl. Harald Meller (Hg.), Menschenwechsel, 2005, S. 67. Vgl. Arnold Muhl, Geisteskraft, 2005, S. 60f., Zitat S. 60. Vgl. Harald Meller und Kai Michel, Die Himmelsscheibe von Nebra, 2018. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 507f. Ähnlich äußerte sich auch der Kurator Arnold Muhl im Interview: »Die Leute wollen Antworten haben. Und wir geben plausible Antworten. Es ist kontrolliertes Spekulieren. […] Und warum sollte man das nicht machen? Diese Antwort sind wir den Leuten schuldig.« (Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S.497.)
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Die einfachste Frage ist: Wie haben die damaligen Menschen gelebt? Da erfahren Sie in den wissenschaftlichen Texten zwar vielleicht etwas zum Zeltbau oder zum Feuermachen, aber Sie erfahren kein holistisches Gesamtbild des damaligen Lebens. Dieses Bild muss man aber nach mehr als 150 Jahren Archäologie konstruieren können. Auch wenn es häufig geschieht, kann man nicht sagen: »Wir haben nicht genug Fakten.« Das stimmt nicht. Wir haben genug Fakten, um ein plausibles Lebensbild zu entwerfen. Nur müssen all die dafür nötigen Fakten zusammengetragen und verdichtet werden.50 Meller fordert also, aus den Details der Forschungsergebnisse plausible Gesamtbilder beziehungsweise -erzählungen zu konstruieren. Dabei müssten jedoch für das Publikum die wissenschaftlichen Ergebnisse und die konstruierten möglichen Realitäten klar erkennbar und voneinander unterscheidbar sein. Deshalb wurden in den Installationen die beiden Textebenen optisch voneinander abgegrenzt und durch Illustrationen ergänzt.51 Die Texte sollten aber auch einen Vergleich der heutigen Lebenswelt der Besucher:innen mit der Lebenswelt von Menschen der nur archäologisch erfassbaren Vergangenheit ermöglichen und dazu führen, dass die Leser:innen einen Bezug zwischen sich selbst und diesen Menschen herstellen. Am Beispiel des Textes zum Tagesablauf einer Neandertalergruppe erläuterte Meller dies: Wir setzen ihn in Bezug zum normalen Tagesablauf eines modernen Menschen. Und man sieht die grundlegenden Unterschiede. Der Neandertaler arbeitet nur etwa zwei Stunden am Tag. Den Rest verbringt er mit allem Möglichen, aber nicht mit Arbeit in unserem heutigen Sinne. Und am Ende bleibt als Ergebnis die Botschaft an den Besucher, dass der Neandertaler eigentlich so lebt, wie wir heute im Urlaub leben. […] Das zeigt den Menschen in ihrer heutigen Realität des Alltags, wenn sie bei uns im Landesmuseum sind, dass das Leben der Vormenschen in weiten Teilen völlig anders ist als das unsrige heute. Zudem zeigt dieses Lebensbild im Vergleich zu heute, dass unser Leben auch anders gesehen werden kann, wie die Menschen es sich derzeit denken: »Wir sind die Glücklichen, die die 40-Stunden-Woche haben, und die armseligen Vormenschen hatten Hunger und waren krank und es gab keinen Zahnarzt und sie mussten in großer Unsicherheit leben.« Das Gegenteil ist der Fall.52 Auch hier lässt sich also wieder der Grundsatz des Landesmuseums für Vorgeschichte beobachten, die Menschen der Ur- und Frühgeschichte und ihre Lebensweisen sozial aufzuwerten und die Vorstellung zu dekonstruieren, dass diese primitiv und bedauernswert gewesen seien. Es wird ein Bild von einer idyllischen und relativ glücklichen Vorzeit gezeichnet. Im Vergleich der drei Installationen fällt auf, dass die Erwähnungen von Krankheiten, Tod und Unglücken vom ersten zum letzten Text hin zunehmen. Der Text zur Neandertalergruppe erwähnt, dass eine Frau Zahnschmerzen hat und deshalb Weidenrinde kaut und sich ausruht. Danach geht es ihr wieder besser.53 Im Text zur mesolithischen Gruppe dagegen wird vom Tod eines kleinen Kindes infolge von Mangelernährung und vom Tod der Schamanin erzählt. Außerdem wird dort der schwere Jagdunfall 50 51 52 53
Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 507f. Vgl. ebd., S. 508. Ebd., S. 508. Vgl. Arnold Muhl, Geisteskraft, 2005, S. 58f.
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eines Jugendlichen in die Geschichte eingebunden.54 In den Texten in Raum 6 schließlich wird vom Tod einer ganzen Dorfgemeinschaft infolge einer Seuche, von Hausbränden, von Überfällen auf die Siedlung durch andere Gemeinschaften, von Ernteausfällen aufgrund von Unwettern und von Verlusten an Vieh und Vorräten durch Raubtiere und Ungeziefer berichtet. Auffallend ist im Vergleich der Texte auch, dass die Menschen darin immer mehr Zeit und Energie für Arbeit aufwenden müssen. Die zivilisatorische Entwicklung der Menschheit wird also nicht als Erfolgsgeschichte, sondern als Unglück dargestellt. Damit wird auch infrage gestellt, ob der heute vorherrschende Lebensstil der Museumsbesucher:innen gegenüber früheren Lebensstilen tatsächlich zu bevorzugen sei. So arbeitet diese Ausstellung mit einem Bedürfnis nach einem vermeintlich einfacheren und glücklicheren Leben, das sich mit Hermann Lübbes These erklären ließe, dass es in Gesellschaften zu Erfahrungen der Entfremdung und Desorientierung komme, wenn »die Geschwindigkeit in der evolutionären Änderung von Kulturen« so hoch sei, dass die Veränderungen von einer einzigen Generation wahrgenommen werden könnten.55 Das heißt, die Ausstellung bedient die auf die Ritter-Schule zurückgehende These von der temporalen Identitätsdiffusion und führt gesellschaftliche Probleme wie Krankheiten, Konflikte und Arbeitsbelastung auf die zivilisatorische Entwicklung zurück. Dem setzt sie die Illusion eines geradezu paradiesischen Zustands im Paläolithikum entgegen, als Menschen noch in kleinen Gruppen gelebt und die meiste Zeit des Tages mit Spielen, Ausruhen und Unterhaltungen verbracht hätten. Somit bedient sie ein Bedürfnis nach Orientierung und Vereinfachung des Lebens aber nicht nur, sondern generiert dieses überhaupt erst, um dann mit der Präsentation der Ur- und Frühgeschichte einen Ersatz für den vermeintlichen Verlust an paläolithischem Lebensglück zu offerieren. Die Ausstellung weckt also gewissermaßen die Sehnsucht nach einem einfacheren Leben und bietet zugleich einen Ort, an dem diese Sehnsucht zumindest teilweise durch die imaginäre Zeitreise beziehungsweise durch das Sich-Hineinversetzen in urgeschichtliche Lebensarten – die immerhin in diesen Comic-Texten im Präsens geschildert werden – gestillt werden kann. Die Strategie scheint erfolgreich zu sein, denn in seinem Aufsatz Vaterländische Altertümer hinter entspiegeltem Glas erklärte Meller, dass die Texte von den Besucher:innen des Museums häufig rezipiert würden.56 Was der Text in Raum 3 allerdings verschweigt, sind die Probleme, denen sich die Menschen des Paläolithikums im Laufe wechselnder Jahreszeiten und Klimaperioden, zumal zum Ende der letzten Kaltzeit, gegenübersahen. Indem in diesem Text kein ganzes Jahr, sondern nur ein einzelner Tag im Hochsommer beschrieben wird, wird die Vorstellung unterstützt, dass zu jeder Zeit genug Nahrung zur Verfügung stand, die ohne großen Aufwand je nach Bedarf beschafft werden konnte. Wie die mobilen Jäger-und-Sammler-Gruppen aber unter anderen klimatischen Bedingungen ohne elaborierte Methoden der Vorratshaltung ihr Überleben sicherten, bleibt unerwähnt. Die Aufwertung des paläolithischen Lebensstils, so nobel die Motivation der Ausstellungsmacher:innen dazu auch ist, geht hier einher mit seiner Glorifizierung.
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Vgl. Harald Meller (Hg.), Menschenwechsel, 2005, S. 77–86. Vgl. Hermann Lübbe, Zeit-Verhältnisse, 1990, S. 43, sowie Kapitel I.3, S. 80. Vgl. Harald Meller, Vaterländische Altertümer, 2012, S. 230.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Die übrigen Texte in dieser Dauerausstellung, die angesichts Harald Mellers Anspruch, Bilder zu kreieren und die textliche Vermittlung zu vermeiden,57 doch auffallend viele Texte enthält, sind im Vergleich zu den bisher besprochenen Geschichten wesentlich objektiver und auf die Vermittlung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes fokussiert. Wenn die Installationen und Ausstellungsobjekte hier als Bühnenbilder betrachtet werden, bilden die Texte das Skript des Stücks. Sie können wie in den übrigen Fallstudien grob in Saal-, Bereichs- und Objekttexte unterschieden werden und ermöglichen eine vertiefende Information zu den Themen und Exponaten der Ausstellung. Wie die zuvor besprochenen Ausstellungstexte in Saarbrücken und Trier weisen auch sie keine konkrete erzählende Figur auf. Auch die Autor:innen der Texte werden in der Ausstellung nicht genannt. Da das Landesmuseum für Vorgeschichte keine klar definierte Zielgruppe hat, sind auch die Texte nicht auf eine solche abgestimmt. Zumindest lässt sich aber sagen, dass sie tendenziell eher an Erwachsene als an Kinder gerichtet zu sein scheinen. Die populärwissenschaftlichen Saal- und Bereichstexte zeichnen sich durch eine schlichte Semantik und die Vermeidung von Fachbegriffen aus. Die Sprache der Objekttexte ist im Vergleich dazu gehobener, es werden mehr bildungssprachliche Begriffe und Fachbegriffe verwendet. Alles in allem sind die Texte aber gut verständlich. In den regulären Ausstellungstexten, also den Saal-, Bereichs- und Objekttexten abzüglich der ComicTexte, werden sowohl Vergangenheitsformen als auch das Präsens gebraucht. Letzteres wird zur Erklärung von aktuellen Deutungen, Befunden und Erkenntnissen verwendet, die Vergangenheitsformen dagegen zur Beschreibung von Tätigkeiten, Ereignissen und Zuständen der Vergangenheit. Es wird also aus der Gegenwart über die Vergangenheit erzählt, die Leser:innen befinden sich zusammen mit der erzählenden Instanz in der Gegenwart und betrachten die Vergangenheit aus einer unüberbrückbaren Distanz. Die Objekttexte sind besonders vielfältig gestaltet, aber nur in deutscher Sprache vorhanden. Manche beziehen sich nur auf ein Objekt, andere auf eine Objektgruppe. Manche geben Kontextinformationen zu Fundorten und Bedeutungen, andere benennen die Exponate nur. Oft sind die Objekttexte direkt auf die Vitrinen aufgedruckt, viele sind aber auch in Schubladen und hinter Türen der Vitrinenarchitektur untergebracht. In der Regel erläutern sie die Erkenntnisse, die die Forschung aus den Exponaten ableiten konnte. Sie geben dafür, sofern Angaben zu diesen Aspekten möglich sind, die Objektbezeichnung, den Fundort, die Datierung, die Fundumstände und die Bedeutung des jeweiligen Sammlungsstücks oder Fundkomplexes an. Neben den Objekttexten ist oft auch der Umriss Sachsen-Anhalts abgedruckt, in dem die Lage des Fundortes mit einem roten Punkt markiert ist. In den Saaltexten wird eine geografische Verortung der Themen nur selten vorgenommen. Nur zweimal wird von Mitteldeutschland gesprochen, vom Bundesland Sachsen-Anhalt sogar nur einmal. Meist ist die Rede nur vage von der Region rund um Halle, ohne näher zu definieren, was diese Region umfasst. In den Bereichstexten dagegen werden das Land Sachsen-Anhalt, die Region und Mitteldeutschland oft angesprochen und in einen größeren, europäischen oder sogar weltweiten Kontext gesetzt. Das heißt, es wird wenn möglich auf Verbindungen zwischen weit entfernten Regionen hingewiesen und es wird kommuniziert, dass das durch die Sammlung repräsentierte Gebiet weit 57
Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 505–507.
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über das heutige Mitteldeutschland hinaus vernetzt war. Damit entspricht das Museum dem im Landeskulturkonzept Sachsen-Anhalt 2025 festgehaltenen Auftrag, die archäologische Landesgeschichte international zu kontextualisieren.58 Die Saaltexte sind immer auch auf Englisch verfügbar und in der Regel in der Nähe des jeweiligen Eingangs zu einem Raum direkt auf der Wand aufgedruckt. Sie erläutern die Themen der Ausstellungsräume und geben einen Überblick zur jeweiligen Epoche und zu der dafür charakteristischen Lebensweise der Menschen. Außerdem erläutern sie oft prägende Phänomene, wie zum Beispiel das Anlegen von kultischen Deponierungen oder bestimmte Bestattungssitten. Sie erklären damit, warum die jeweiligen Exponate für den jeweiligen Abschnitt ausgewählt wurden, wie die Besucher:innen diese deuten und kontextualisieren können und worauf sie achten sollten. Auf den Wandel der Umwelt wird dabei nicht eingegangen, die Kalt- und Warmzeiten werden beispielsweise nicht in den Texten thematisiert und auch die jeweilige Flora und Fauna wird kaum behandelt. Da in den Fallstudien dieser Arbeit stets die jeweils ersten Texte der Ausstellungen in Anlehnung an Werner Hanak-Lettners Werk Die Ausstellung als Drama als Parodos der Ausstellung betrachtet und analysiert werden sollen, möchte ich hier näher auf den Text mit dem Titel Altsteinzeit im Umgang des zweiten Obergeschosses eingehen. Allerdings ist dieser Text kein Einführungstext zur Ausstellung insgesamt, sondern bereits auf den ersten Ausstellungsabschnitt bezogen. Eine klassische Parodos ist er also nicht, aber er stimmt die Besucher:innen auf die vor ihnen liegenden Ausstellungsbereiche und -inhalte ein. Er steht in einer Wandnische neben dem Durchgang zu Raum 3 in schwarzer Schrift auf weißem Grund und lautet wie folgt: Im ersten Ausstellungsabschnitt begeben Sie sich an die Wurzel der europäischen Menschheitsgeschichte. Die Altsteinzeit ist die Epoche der Sammler und Jäger. Es ist die längste und gleichzeitig auch die entscheidende Phase der menschlichen Evolution. In der Auseinandersetzung mit der natürlichen Umwelt mußten die Urmenschen immer wieder auf neue Herausforderungen angemessen reagieren. In jenem Zeitalter bildeten sich die spezifischen Fähigkeiten des Menschen aus, wie etwa körperliche Ausdauer, geistige Beweglichkeit, Gestaltungskraft und komplexes Gemeinschaftsverhalten. Viele Aspekte unseres Verhaltens wie auch unserer leiblichen und seelischen Bedürfnisse sind das Erbe der urzeitlichen Wildbeuter. Der Schlüssel zum eigentlichen Verständnis des Menschen liegt in der Altsteinzeit.59 Die Leser:innen werden hier mit der Höflichkeitsform adressiert und mit dem Possessivpronomen »unser« wird eine Gemeinschaft zwischen ihnen und der erzählenden Instanz des Textes gestiftet. Diese Gemeinschaft wird durch den Inhalt der Aussage zwar mit den Menschen der Altsteinzeit verbunden, aber sie ist mit diesen nicht identisch. Kernaussage des Textes ist, dass die Altsteinzeit die längste und außerdem wichtigste, prägende Epoche der Menschheitsgeschichte sei, in der die Menschen ihre bis heute typischen Eigenschaften und Fähigkeiten ausgebildet hätten. Bemerkenswert ist ein metaphorisches
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Vgl. Kultusministerium Sachsen-Anhalt, Landeskulturkonzept Sachsen-Anhalt 2025, 2014, online, S. 9f. sowie Kapitel I.3, S. 75. Vgl. Arnold Muhl, Geisteskraft, 2005, S. 5. Die Ausstellungstexte werden hier aus den Begleitheften zitiert. Sie sind dort mit den tatsächlich in der Ausstellung abgedruckten Texten identisch.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Vokabular, das von den »Wurzeln« der Menschheitsgeschichte, dem »Erbe« der Wildbeuter und dem »Schlüssel« zum Verständnis spricht. Mit solchen Begriffen wird eine vermeintlich uralte, natürliche Verbindung zur Vergangenheit beschrieben, die zwar heute nicht mehr ganz eindeutig und offensichtlich sei, aber durch die Erforschung der Urgeschichte verstanden werden könne. Die Besucher:innen sollen sich mit ihrem Eintritt in die Ausstellung »an die Wurzeln der europäischen Menschheitsgeschichte« begeben und so ihr Erbe verstehen und kennenlernen. Es wird also suggeriert, dass ab hier eine Zeitreise beginne, die die Teilnehmer:innen befähigen werde, sich selbst, also ihre Identität, besser zu verstehen. Dabei scheint der Fokus geografisch zunächst auf Europa zu liegen. Das Museum, die Exponate und die Besucher:innen werden also in einen größeren Kontext gestellt. Bemerkenswert sind auch die Texte, die im Vorraum zur Himmelsscheibe von Nebra installiert sind und den Fund erläutern. Sie stehen außerhalb der ansonsten in der Ausstellung üblichen Texthierarchie und können zwischen den Saal- und den Bereichstexten verortet werden. Zunächst wird in einem Einführungstext erklärt, wie die Scheibe gefunden wurde, welche Kriminalgeschichte damit zusammenhängt und welche gesellschaftlichen Prozesse mutmaßlich für ihre Deponierung verantwortlich waren. Dann werden in mehreren Texten die fünf Phasen der Himmelsscheibe erläutert, also ihre Machart, die Bedeutung ihrer Symbolik, die darauf verschlüsselte Schaltregel, die Horizontbögen, die Himmelsbarke, die mutmaßliche Verwendung der Scheibe als Standartenbild in der letzten Phase ihrer Nutzung und schließlich ihre Niederlegung. Zuletzt werden dem auf der Himmelsscheibe codierten Weltbild noch das altbabylonische und das altägyptische Weltbild gegenübergestellt, wobei klar wird, dass diese mit der Scheibe gewisse Gemeinsamkeiten haben, wie beispielsweise die Vorstellung des Himmels als Wölbung über der Erde, auf der die Gestirne sich bewegen beziehungsweise bewegt werden. Die Texte werden ergänzt durch Abbildungen, Grafiken und Illustrationen, insbesondere um die astronomischen Regeln zu verdeutlichen. Zudem sind sie in kurze, übersichtliche Abschnitte gegliedert und auf schwarzen spiegelnden Scheiben verteilt, die ringsum vor den Wänden des Raumes befestigt sind. Sie werden von hinten leicht durchleuchtet, sodass die weiße Schrift und die farbigen Abbildungen vor dem schwarzen Hintergrund deutlich hervortreten. Die verwendeten Zeitformen sind Präsens und Präteritum, in Abhängigkeit davon, ob es um den aktuellen Zustand oder die Vergangenheit der Himmelsscheibe geht. Wie auch die übrigen Ausstellungstexte sind die Texte zur Himmelsscheibe populärwissenschaftlich geschrieben, zeigen jedoch in einzelnen Formulierungen eine leichte Tendenz zum Pathos, etwa wenn die Himmelsscheibe mit einem Fürsten verglichen wird oder es heißt, sie sei »brutal« durchlocht worden.60 Der Zweck dieser Texte ist, die Museumsbesucher:innen auf die Himmelsscheibe einzustimmen, ihnen die Bedeutung, die unterschiedlichen Symbole, den Zustand der Scheibe, ihren bronzezeitlichen Kontext und ihre Fund- und Sicherstellungsgeschichte zu erläutern, sodass sie die Scheibe nicht nur als ästhetisches Objekt betrachten können, sondern ihren ideellen Wert, ihre Bedeutung und das in ihr codierte Wissen erkennen.
60
Vgl. Harald Meller (Hg.), Bronzerausch, 2011, S. 162–174, Zitat S. 170.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Sofern das Publikum die Texte rezipiert, wird durch sie also der Wert der Scheibe definiert und den Besucher:innen vermittelt, noch bevor sie sie im Original gesehen haben. Es wirkt, als sollten sie gewissermaßen in die Geheimnisse der Himmelsscheibe eingeweiht werden und eine innere Haltung der Wertschätzung einnehmen, bevor sie in das »Heiligtum«, den Ausstellungsraum 9, eingelassen werden. Sofern die Texte vom Publikum rezipiert werden, treten die Besucher:innen dem Exponat danach nicht mit Unverständnis gegenüber, was dazu führen könnte, dass sie es als »Fremdkörper« wahrnehmen. Stattdessen können sie aufgrund der dargebotenen Informationen schon vorab Anerkennung für das Objekt und die Menschen, die es hergestellt und genutzt haben, entwickeln. Die Bereichstexte sind wie die Objekttexte nur in deutscher Sprache verfasst und in der Regel auf der Ausstellungsarchitektur abgedruckt, also beispielsweise auf Vitrinenwänden. Sie erläutern oft größere Fundkomplexe, einen bestimmten Sachverhalt oder eine Technik. Damit kontextualisieren sie ausgewählte Exponate und Exponatgruppen und bieten vertiefende Informationen: Sie verfeinern gewissermaßen das Epochenbild. Oft werden sie dafür auch durch Illustrationen, Karten und Grafiken ergänzt. Mit Blick auf die Fragestellung dieser Dissertation besonders interessant sind im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle einige Bereichs- und Saaltexte zu den Themen »Germanen« und »Völkerwanderung«, die in den Räumen 14 und 15 sowie in den Begleitheften zu finden sind.61 In diesen wird die Vorstellung, es handele sich bei »den Germanen« um ein homogenes Volk beziehungsweise eine Ethnie im primordialen Sinne, mit einheitlicher Kultur und Sprache, systematisch dekonstruiert und durch den aktuellen Stand der Forschung zu dieser Thematik ersetzt. Die Texte ergänzen somit die Inszenierung dieser Räume und die Exponatauswahl. Zunächst wird in Raum 14 mit dem Titel Die Erfindung der Germanen durch einen Saaltext klargestellt, dass das Wissen über die sogenannten Germanen lange Zeit durch die römische Geschichtsschreibung geprägt wurde, die mit der Definition und Beschreibung der »Germanen« kriegspolitische Zwecke verfolgte.62 Der Begriff wird also als Fremdbezeichnung ausgewiesen, die ebenso wie die Berichte über die so adressierten Stämme intentional gefärbt war. Damit wird die Inszenierung des Raumes als römische Schreibstube erklärt und gleichzeitig die Frage aufgeworfen, wer die sogenannten Germanen denn tatsächlich waren. In den weiteren Bereichs- und Objekttexten in diesem Raum können Besucher:innen dieser Frage nachgehen, denn dort wird verglichen, welche Informationen zur Lebensweise sogenannter Germanen aus römischen Schriftquellen sowie aus archäologischen Funden bekannt sind und wie sich beide Quellengattungen gegenseitig stützen können oder zur gegenseitigen Klärung beitragen können. Dabei werden verschiedene Teilaspekte des Themas beleuchtet, unter anderem Gesellschaftsstrukturen, die Stellung von Frauen, Heiratspolitik sowie die Übernahme einzelner Gebrauchsgüter bei gleichzeitiger Ablehnung zivilisatorischer Errungenschaften wie beispielsweise der Schrift. Des Weiteren werden einige namentlich bekannte und archäologisch differenzierbare Stämme genannt und zum
61 62
Vgl. Harald Meller (Hg.), Die Erfindung der Germanen, 2017 sowie ders., Barbarenmacht, 2019. Vgl. Harald Meller (Hg.), Die Erfindung der Germanen, 2017, S. 10.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Teil sogar näher beschrieben, wie die Hermunduren und die Sueben. Im Text Germanisierung beispielsweise wird auch erläutert, dass die verschiedenen Stämme »keinen einheitlichen Sprachraum bildeten« und »stammesübergreifende Identifikationen auf Kultgemeinschaften und Wehrgefolgschaften beruhten«.63 In Raum 15 wird dann zunächst im Saaltext erklärt, dass die germanischen Gesellschaften im 3. Jahrhundert strukturelle und ideelle Veränderungen vollzogen und gegenüber dem Römischen Reich erstarkten. Damit sei oft auch eine Aufgabe alter Namen zugunsten neuer, übergreifender Stammesidentitäten einhergegangen.64 Darauffolgend thematisieren die übrigen Bereichs- und Objekttexte in diesem Ausstellungsabschnitt die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert, die Kontakte und Beziehungen zwischen sogenannten Germanen und Römern, den Lebensstil der Oberschicht, Bestattungssitten und vor allem die Glaubenswelt, sofern diese Themen aus den verfügbaren Quellen rekonstruiert werden können. Zwar liegt der Fokus auf den archäologischen Quellen und deren Aussagegehalt, aber es werden auch hier Zitate aus antiken Schriftquellen hinzugezogen. Schließlich wird auch der Begriff »Hunnen« als Sammelbezeichnung für heterogene Reiterheere aus Zentralasien kontextualisiert.65 Viele der Texte bringen also zum Ausdruck, dass monochrome Begriffe wie »die Germanen« und »die Hunnen« Vereinfachungen und Verkürzungen komplexer Sachverhalte darstellen, aus denen nicht auf klar voneinander abgrenzbare, homogene Völker geschlossen werden darf. Die sogenannte Völkerwanderung wird dementsprechend ebenfalls begrifflich dekonstruiert. Exemplarisch soll hier ein Text in Gänze zitiert werden, der neben der Videostation zu lesen ist, die die Migrationsbewegungen verschiedener Stammesverbände in Europa kartiert: In jener Epoche bewegten sich keine kompletten Ethnien, sondern lediglich heterogene Kriegerverbände mit Tross, die sich nicht als Abstammungsgemeinschaft verstanden. Ihre renommierten Namen reflektieren lediglich die jeweilige Herkunft einer dominanten Volksgruppe oder des Führungszirkels. Befehligt von ambitionierten Kriegsherren, ging es jenen Truppen um die eigene Versorgung, primär durch römische Ressourcen. Diese Kriegerwanderungen waren weniger Ursachen, sondern eher Folge der Schwäche des Weströmischen Reiches. Die Schlagkraft der einfallenden Hunnen war ein neuer Machtfaktor, auf den man mit Zusammenschlüssen oder weiträumigem Ausweichen reagierte.66 Auch hier wird also wieder ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hinter Namen wie »Gothen«, »Langobarden« oder »Vandalen«, die zur einfacheren Handhabung des Themas auch auf der digitalen Karte neben dem Text verwendet werden, keine homogenen Ethnien stehen. In einem weiteren Text, der bereits auf den nächsten, noch im Bau befindlichen Ausstellungsraum überleitet, heißt es daher auch: In stetem Prozess des Ansiedelns und Verdrängens wechselten die heterogenen Stämme wiederholt ihre Zugehörigkeit. Die immer größeren Verbände nahmen als neue 63 64 65 66
Vgl. ebd., S. 33. Vgl. Harald Meller (Hg.), Barbarenmacht, 2019, S. 7. Vgl. ebd., S. 107. Vgl. ebd., S. 98.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Schutz- und Rechtsgemeinschaften eigene Identitäten an, so auch die hiesigen, erstmals Ende des 4. Jhs. n. Chr. genannten Toringi (Thüringer).67 Das Landesmuseum für Vorgeschichte nutzt solche Bezeichnungen also, kommentiert sie jedoch gezielt und kontextualisiert sie durch die Präsentation des archäologischen Forschungsstandes. Der Kurator Arnold Muhl erklärte im Interview hierzu, dass der Umgang des Museums mit dem Begriff »Germanen« das Ergebnis einiger Diskussionen gewesen sei. Es sei im Vorfeld der Ausstellungsgestaltung am Museum vertieft darüber nachgedacht worden, wie mit dem Thema umgegangen werden sollte und ob auch die Verwendung des Germanenbegriffs durch den Nationalsozialismus thematisiert werden sollte. Letztlich habe man sich dann aber dazu entschieden, sich auf die Begriffsgeschichte in den Zeitzeugendokumenten zu beschränken. Da der Begriff durch die römischen Schriftzeugnisse geprägt worden sei, werde zunächst erklärt, wie er dort verwendet wurde und was damit gemeint gewesen sei. Dann werde darauf hingewiesen, dass die Menschen, die während der Römischen Kaiserzeit im Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts gelebt hätten, sich selbst nicht als Germanen verstanden hätten, sondern beispielsweise als Sueben oder Hermunduren. Durch diese Dekonstruktion löse sich der Begriff »Germanen« auf, bleibe aber als wichtiger zusammenfassender Arbeitsbegriff weiterhin in Gebrauch und sei gleichzeitig kontextualisiert.68 Auch Harald Meller hält die Erklärung von Kulturbegriffen in archäologischen Ausstellungen für sehr wichtig, insbesondere die Thematisierung des Germanenbegriffs. Er zeigte sich überzeugt, dass man von allen Besucher:innen erwarten könne, dass sie die Entwicklung dieses Begriffs nachvollziehen könnten, wenn sie in einer Ausstellung entsprechend vermittelt werde. Besonders viel Wert scheint Meller dabei darauf zu legen, die Resilienz der »Germanen« gegenüber den zivilisatorischen Errungenschaften der römischen Kultur nicht als Unfähigkeit, sondern als dramatische Widerstandskraft zu proträtieren.69 In einem Text mit dem Titel Reizlose Impulse in Raum 14 heißt es daher: Obgleich zahlreiche Germanen die vorteilhaften Errungenschaften der römischen Zivilisation aus persönlicher Erfahrung kannten, verzichteten sie in der Heimat weitgehend auf eine Angleichung ihres Lebensstils an die Hochkultur. […] Dieser Verzicht erfolgte offenbar bewusst, wohl aus Rücksicht auf heimische Traditionen und als Ausdruck ablehnender Abgrenzung gegen die Invasionsmacht.70 Es ist ein wichtiges Anliegen Harald Mellers und seines Teams, die Menschen der Urund Frühgeschichte sozial aufzuwerten. Daher soll mit diesem Text und der Präsentation der Germanenthematik dem Klischee der »Germanen« als primitive, tumbe und unterentwickelte Barbaren ein Bild entgegengesetzt werden, das aus den archäologischen Funden und Befunden abgeleitet und entwickelt wurde und die dadurch repräsentierten Menschen als stolze Bewahrer:innen ihrer Kultur sowie als Widerstandskämpfer:innen darstellt. Die Ausstellung könnte in diesem Punkt allerdings Gefahr laufen, im Sinne eines verklärenden Germanenmythos missdeutet zu werden. Der Widerstand der so67 68 69 70
Vgl. ebd., S. 104. Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 495f. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 511f. Harald Meller (Hg.), Die Erfindung der Germanen, 2017, S. 124.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
genannten Germanen gegen fremde kulturelle Einflüsse könnte als Rechtfertigung des Widerstands gegen internationalen und kulturellen Austausch in der heutigen Zeit missbraucht werden, also als Rechtfertigung von Nationalismus und Xenophobie. Die Vermittlung des Themas »Kulturgruppen« allgemein – also eine Erklärung dazu, wie die Archäologie Kulturen definiert – hält Arnold Muhl für zu abstrakt und daher ungeeignet für publikumsorientierte Ausstellungen. Besucher:innen seien an der Vergangenheit vor allem auf einer personalisierten Ebene interessiert. Sie wollten wissen, wer die konkreten Menschen gewesen seien, die die Exponate produziert und genutzt hätten, und wie sie gelebten hätten. Kunstbegriffe, wie beispielsweise der Begriff »Glockenbecherkultur«, sollten daher möglichst wenig in einer Ausstellung verwendet werden.71 Dennoch tauchen sie in der Ausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte auf, beispielsweise in den Objekttexten. Darüber hinaus werden sie in sogenannten Kulturvitrinen überblicksartig dargestellt und mit der sie jeweils charakterisierenden Keramik präsentiert. Muhl bezeichnet diese Kulturvitrinen, wie zuvor schon erwähnt, als das lexikalische Rückgrat der Ausstellung, anhand dessen sich Besucher:innen über die Kulturen informieren und in einer diachronen Schau die unterschiedlichen Kulturgruppen miteinander vergleichen könnten.72 Aber auch in diesen Vitrinen wird weder erklärt noch reflektiert, wie die Kategorisierung und Definition von sogenannten Kulturen in der Forschung zur Ur- und Frühgeschichte vonstattengeht. Die Archäologie legt also auch hier ihre konstruierende Arbeit am kulturellen Gedächtnis nicht offen.
III.3.3 Infotainment: Der Drahtseilakt zwischen Kenntnis und Klischee Die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte geht sehr narrativ vor, auch wenn sie Harald Meller zufolge keine Geschichte erzählen, sondern Bilder kreieren soll.73 Die Abfolge der einzelnen Raumbilder formt schließlich doch eine Erzählung, die das heutige Mitteldeutschland als zentrale Bühne der europäischen Menschheitsgeschichte präsentiert. Das heißt, Sachsen-Anhalt und die Region rund um die heutige Stadt Halle werden als repräsentatives Beispiel für die Entwicklung der Menschheit dargestellt, als zentraler Knotenpunkt verschiedener Einflüsse, an dem Zivilisationen, Wissen, Technik und Wirtschaft blühten, aber auch Konflikte, Kriege und Gewalt stattfanden. Die Vorgeschichte der Menschheit wird hier als spannend und wechselvoll dargestellt. Darüber hinaus wird vor allem der Wahrnehmung der Region als Teil Ostdeutschlands der Begriff Mitteldeutschland entgegengestellt. Mit den Schlagworten »Blühende Landschaften« und »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten«, wird zwar ironisch auf die DDR-Vergangenheit der Region angespielt, aber es wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass hier das zivilisatorische Zentrum Deutschlands – wenn nicht ganz Europas – liege. Außerdem strahlt das Museum insgesamt, besonders aufgrund seines Gebäudes, Autorität und eine lange Tradition in der Erforschung der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit aus. Es präsentiert sich als Institution, die 71 72 73
Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.5, S. 496. Vgl. ebd., S. 496. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 505.
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ebenso wie ihr Herzstück, die Himmelsscheibe von Nebra, Weltrang habe und somit als Bewahrerin von wichtigen Kulturgütern nicht nur für ihre unmittelbare Umgebung von Bedeutung sei. Dabei stehen im Vordergrund der fabula dieser Dauerausstellung die Menschen der Vergangenheit selbst und die story soll vorrangig deren Leben abbilden. Daher werden insbesondere Themen wie das Siedlungswesen, die Nahrungsbeschaffung, Kult beziehungsweise Religion sowie die technologische Entwicklung im Umgang mit verschiedenen Werkstoffen durch die Exponatauswahl und die Inszenierungen angesprochen. Historische Ereignisse stehen dagegen im Hintergrund, selbst in den Räumen zur Römischen Kaiserzeit und Spätantike. Harald Meller erklärte im Interview, dass er das Leitprinzip des Landesmuseums aus dem Potenzial der Archäologie ableite, zur Erklärung des menschlichen Verhaltens beizutragen: Wenn wir zum Beispiel fernsehen, dann haben wir das Gefühl, wir tun etwas Schlechtes. […] In Wirklichkeit tun wir dabei etwas ganz Wunderbares – etwas, das wir seit zwei Millionen Jahren getan haben: […] [W]ir sitzen heimelig in der Dunkelheit um das helle Feuer und fühlen uns als beschützte Gruppe, weil die Raubtiere, Hyänen und Löwen, in fünfzig Metern Entfernung sind, denn sie können nicht ran ans Feuer. Deshalb geht man ungern alleine ins Dunkel, denn da wird man in der Regel nach zwanzig Metern gefressen. Nur wissen wir das nicht mehr. […] Wenn man Urgeschichte betreibt, dann versteht man die menschlichen Antriebe. Man versteht, wie Menschen funktionieren. Und das ist nicht unwichtig, denn unsere Konstruktionen unserer Vergangenheit dienen vor allem dazu, unsere heutige Lebensweise, die in hohem Maße häufig absurd und gegen natürlich-menschliches Leben ist, zu legitimieren. Und der Ort, wo man das kennenlernen kann, ist das Archäologiemuseum, ist unser Landesmuseum.74 Meller will mit seinen Ausstellungen also erzielen, dass die Menschen sich selbst verstehen lernen. Er weist dabei auch darauf hin, dass der ur- und frühgeschichtliche Teil der Menschheitsgeschichte weder in Schulen noch in populärmedialen Darstellungen adäquat vermittelt werde, und begründet damit die gesellschaftliche Relevanz archäologischer Museen als Orte des kulturellen Gedächtnisses.75 Mit Blick auf die Darstellung von kulturellem Erbe und kultureller Identität sticht besonders der sorgfältige Umgang mit der Germanen-Thematik aus dem Gesamtnarrativ dieser Dauerausstellung heraus. Durch die raumgreifenden Inszenierungen und die Ausstellungstexte wird die Vorstellung eines klar definierbaren Volkes mit dem Namen »Germanen« als Produkt einer politisch motivierten antiken Geschichtsschreibung dekonstruiert. Die Ausstellungsmacher:innen gaben an, dabei auch dem Klischee der unterentwickelten, barbarischen und unzivilisierten Wilden entgegenwirken zu wollen, das dem Begriff »Germanen« anhafte. Fraglich ist allerdings, ob das Museum damit einer notwendigen Aufklärung dient. Ist dieses Klischee im 21. Jahrhundert überhaupt noch verbreitet oder hat sich nicht schon längst eine Aufwertung des Germanenmotivs durchgesetzt, die die Menschen der Spätantike und des frühen Mittelalters, sogenannte »Germanen« und »Wikinger« beispielsweise, als tapfere Helden porträtiert, denen es nach74 75
Ebd., S. 512f. Vgl. Harald Meller im Interview, Anhang 1.5, S. 512.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
zueifern gelte? Man bedenke nur den Erfolg entsprechender Historien- und FantastikMedien. Mit der Betonung der bewussten Ablehnung der römischen Kultur und Gesellschaftsordnung setzt die Ausstellung dem römischen Narrativ der unzivilisierten Barbaren ein objektiveres und wissenschaftlich begründetes Bild gegenüber. Sie läuft damit aber auch Gefahr, unbeabsichtigt zu einer unverhältnismäßigen Glorifizierung und Heroisierung von Bevölkerungsgruppen beizutragen, die vor rund 1500 Jahren im Gebiet des heutigen Deutschlands lebten und die von politisch rechten Gruppierungen gerne als »Vorfahren der Deutschen« stilisiert werden und so zur Legitimation ihrer Ideologien herangezogen werden. Das Landesmuseum für Vorgeschichte legt großen Wert auf seine politische Neutralität und wissenschaftliche Objektivität. Deshalb entschieden sich die Kurator:innen dafür, die moderne Geschichte zur Germanenthematik nicht in die Dauerausstellung einzubinden, also den ideologischen Missbrauch des Themas durch den Nationalsozialismus nicht zu behandeln.76 Auch die eigene Geschichte des Landesmuseums, die Forschungsgeschichte des Fachs sowie deren Arbeitsweisen und Methoden werden hier nicht offengelegt. In persönlichen Gesprächen wurde deutlich, dass dies aus der Überlegung resultiert, die Dauerausstellung des Museums ganz auf den Gegenstand der Archäologie zu konzentrieren, also auf das Leben der Menschen in der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit – auch aufgrund der Beobachtung, dass nur dies die Besucher:innen interessiere. Dabei stellt sich aber erneut die schon in Kapitel I.3 aufgeworfene Frage, wie unpolitisch und wissenschaftlich objektiv ein Museum tatsächlich sein kann – zumal eines, welches als ein der Staatskanzlei unterstelltes Amt in direktem Kontakt mit der Landesregierung steht – und ob ein Museum oder irgendeine wissenschaftliche Institution sich unter Wahrung der Neutralität und Objektivität nicht dennoch in den öffentlichen Diskurs einmischen darf oder gar sollte. Der ehemalige Museumsleiter Bernd Zich zog zur gesellschaftlichen Position des Fachs Ur- und Frühgeschichte folgendes Fazit: Das Fach Vor- und Frühgeschichte hat sich weiterentwickelt. Es ist heute weder »hervorragend nationale Wissenschaft« noch marxistisch-leninistischer Ideologie verpflichtete Vergangenheitsinterpretation. Und so kommt dem Landesmuseum für Vorgeschichte, wie letztlich jedem anderen Archäologiemuseum u.a. die Aufgabe zu, weltanschaulich-ideologisches Gedankengut, wo es in der Geschichte dieser Wissenschaft zum Vorschein kommt, kritisch zu orten, zu verbannen und – zumal wissenschaftlich unhaltbar – zu widerlegen.77 Wie viele Museen kommt auch das Landesmuseum für Vorgeschichte dieser Aufgabe durch Sonderausstellungen und Buchpublikationen nach.78 Da aber Dauerausstellungen länger verfügbar sind und besonders oft von Schulklassen besucht werden, könnten
76 77 78
Vgl. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 495f. Bernd Zich, Vorgeschichte, 2016, S. 36. Mit der Formulierung der »hervorragend nationalen Wissenschaft« spielt Zich auf den Titel eines Werks von Gustaf Kossinna an. Vgl. hierzu beispielsweise: Harald Meller (Hg.), Schönheit, Macht und Tod, 2001; Holger Brülls, Moderne und Monumentalität, 2016.
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die Präsenz und Reichweite des Themas erhöht werden, wenn entsprechende Sektionen in die Dauerausstellungen integriert würden. Die Inszenierungsstrategie der Ausstellung soll die Themen unterhaltsam und einprägsam vermitteln. Harald Meller erklärte in einem Beitrag zu der populärwissenschaftlichen Zeitschrift Archäologie in Deutschland, dass es das Ziel der Ausstellungsmacher:innen gewesen sei, eine ästhetische Ausstellung zu entwickeln, die nicht »textlastig« sei und die Exponate weder wie Kunstwerke präsentiere noch ausschließlich auf Inszenierungen setze.79 Letztere werden hier gezielt als Kommunikationsmittel eingesetzt. Das heißt, mit zum Teil schlichten, zum Teil aber auch sehr illustrativen Mitteln werden Umwelten und Situationen angedeutet, wie beispielsweise der Elefantenschlachtplatz von Gröbern in Raum 2 oder die römische Villa in den Räumen 14 und 15. Gerade in Raum 14 ist die Inszenierung besonders stark und steht in großem Kontrast zum Auftreten der vorangegangenen Ausstellungsräume. Damit wird der Wechsel von der nicht schriftlich überlieferten zur historiografischen Vergangenheit zum Ausdruck gebracht. Neben der Vitrinenarchitektur und den Rekonstruktionen werden in der gesamten Ausstellung auch viele Illustrationen, Fotos und Grafiken, Texte, Modelle und Filme eingesetzt. Die zahlreichen visuellen Eindrücke können auf die Besucher:innen schon fast ein wenig überwältigend wirken, da es sehr viel zu entdecken, viele Schubladen zu öffnen, Texte zu lesen und Illustrationen zu studieren gibt. Vor allem die Raumbilder und Illustrationen nehmen dabei dem Publikum die Imaginationsleistung ab und bieten fertige Bilder an. Die Ausstellung soll wohl vor allem Antworten liefern und lässt daher wenige Fragen offen. Damit werden allerdings auch Deutungen vorgegeben und Besucher:innen werden kaum zum selbstständigen Nachdenken angeregt. Die Autorität der Institution trägt vermutlich dazu bei, dass die angebotenen Inhalte vor allem von Besucher:innen ohne fachbezogene Kenntnisse selten hinterfragt werden. Die Gefahr einer Überinszenierung sieht Arnold Muhl in der Ausstellung dennoch nicht: Damit ein solcher Effekt wirklich eintritt, müssten wir ja alles illustrieren. Wir haben aber nur wenige Illustrationen und für die wird richtig recherchiert. […] Das sind schon tatsächliche Rekonstruktionen, die auf tatsächlichen Funden beruhen, und keine Fiktionen. Von daher kann man das ruhig mal machen. […] Ein Museum ist auch wie eine barocke Oper. So muss man das ein bisschen sehen. Die muss auch irgendwie emotional tragen.80 Um diese emotionale Tragfähigkeit der Ausstellung zu gewährleisten und mit Erlebnisparks konkurrieren zu können, legt Muhl Wert auf eine Inszenierung, die die Ausstellung in vertretbarem Maß zum Erlebnis macht.81 Infotainment sieht er dabei als eine, aber nicht die ausschlaggebende Aufgabe eines Museums.82 Im Landesmuseum für Vorgeschichte wird nicht nur durch die lebensechten Figuren und Illustrationen Unterhaltung geboten, sondern auch durch die als Kinderebene konzipierten Details wie zum
79 80 81 82
Vgl. Harald Meller, Lebendige Umwelten, 2003, S. 62. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 499f. Vgl. ebd., S. 500. Vgl. ebd., S. 497.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
Beispiel die Darstellung der Schamanin in der Illustration des Birkenhains oder die rote Schublade im Nachbau des Siedlungsplatzes von Bilzingsleben. Auch für erwachsene Besucher:innen wird die Suche nach solchen Details in der Ausstellung zum Spiel. Dies und die Distanzlosigkeit vieler Objekte, beispielsweise der Neandertalerfigur und des Mammutskeletts in Raum 3, tragen zum Erlebnis des Ausstellungsbesuchs bei. Gleichzeitig sind manche Objekte jedoch auch gezielt so inszeniert, dass ihnen eine Aura verliehen wird. Dazu gehören eindrucksvolle Exponate wie die Himmelsscheibe von Nebra, die Bestattungen aus Eulau und die Hortfunde in Raum 12. Aber auch ein Klümpchen Birkenpech wird in Raum 3 so inszeniert, dass es trotz seiner Unscheinbarkeit wichtig und interessant wirkt. Ausgewählte Exponate werden also von den übrigen, als Gebrauchsobjekte dargestellten Stücken abgehoben und wirken auch der Alltagswelt der Besucher:innen entrückt. Im Interview erklärte der Kurator Arnold Muhl, dass eine solche Auratisierung von manchen Exponaten notwendig sei, sofern diese nicht aufgrund ihrer Materialität oder aufgrund eines für Betrachter:innen auf den ersten Blick ersichtlichen ideellen Wertes schon von sich aus eine Aura hätten.83 Er äußerte sich damit zu der Frage, ob die Aura tatsächlich eine Objekten inhärente Qualität sei oder ob sie nicht vielmehr von Kurator:innen generiert werde, ähnlich wie Stefan Burmeister, der den Maßnahmen des Ausstellens eine auratisierende Wirkung zuweist.84 Den meisten Objekten in einem archäologischen Museum sehe man ihre Bedeutung nicht an und deshalb müssten die Ausstellungsmacher:innen die Exponate so präsentieren, dass ihre Bedeutung sich den Besucher:innen erschließe. Dabei würden die Objekte gewissermaßen automatisch auratisch aufgeladen. Für viele Objekte müssten die Ausstellungsmacher:innen also den Wert definieren, um ihre Bedeutung vermitteln zu können: [W]ir denken ein bisschen wie ein Juwelier, der seine schönsten Sachen auch nicht irgendwie durcheinanderwürfelt, sondern sie sorgfältig ausstellt. Weil ich einem Objekt diese Sorgfalt angedeihen lasse, denkt sich der Besucher: »Mensch, wenn die das schon so wertvoll machen, dann ist das bestimmt etwas Besonderes.« Man muss schon den Wert definieren. Vielen Stücken sieht man das ja gar nicht an. […] Wir wollen erzählen, welche Bedeutung ein Objekt in der damaligen Kultur hatte. Das muss ja nicht für heute gelten, aber damals hatte es eine gewisse Bedeutung.85 Muhl lässt damit erkennen, dass Museen an der Konstruktion von Kulturgütern beziehungsweise von kulturellem Erbe mitwirken, indem sie ihre wissenschaftliche Bedeutung durch eine ästhetisierende und auratisierende Präsentation vermitteln und so ihren Erhalt, ihre Erforschung und ihre Auswahl zum Ausstellungsstück rechtfertigen. Die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte steht dabei in einem Spannungsverhältnis von geradezu sakraler Distanz und greifbarer Nähe und zwischen diesen beiden Polen wechselt sie immer wieder. Dazu werden nach Möglichkeit qualitativ hochwertige Materialien verwendet, sodass die Installationen sich erstens nicht schnell abnutzen und zweitens nicht wie billige Imitationen, sondern authentisch wirken. Selbst 83 84 85
Vgl. ebd., S. 499. Vgl. Stefan Burmeister, Der schöne Schein, 2014, S. 102–104, ebenso wie Teilkapitel II.3.3., S. 210. Arnold Muhl im Interview, Anhang 1.4, S. 499.
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viele Illustrationen und Texte sind nicht einfach auf schlichten Tafeln abgedruckt, sondern auf halbtransparenten Trägermaterialien, die von hinten durchleuchtet werden, sodass die Farben der Bilder und die Schrift deutlich hervortreten. Auch durch die Lichtregie und die Detailgenauigkeit vieler Installationen wirkt die Ausstellung insgesamt sehr aufwendig und hochwertig. Von der Presse scheinen die sorgfältig geplant und umgesetzten Inszenierungen und Installationen der Ausstellung in Halle überwiegend positiv aufgenommen worden zu sein. Beispielsweise verfasste der Leiter des Feuilletons der Frankfurter Rundschau, Christian Thomas, einen sehr wohlwollenden Artikel über die Dauerausstellung. Er beschreibt das Ausstellungskonzept darin lobend als Vorgehensweise, die den »lebensweltlichen Ursprüngen« der Exponate »so intensiv nachspürt, dass es sie in Szene setzt.« Die Ausstellung veranschauliche, indem sie erzähle, und sie erzähle, indem sie veranschauliche. Sie erinnere damit an Methoden der Doku-Fiktion und lebe dabei »von der Authentizität der Artefakte«.86 Auch Günter Kowa, Kulturredakteur der Mitteldeutschen Zeitung, fand anerkennende Worte für die Präsentation und verglich diese ebenfalls mit einem TV-Format. Er verfasste anlässlich der Eröffnungsfeiern mehrerer Bauabschnitte jeweils kurze Rezensionen, in denen er die Inszenierungsstrategie kritisch in den Blick nahm. In dem Artikel Die Helden der Wälder zum ersten Ausstellungsabschnitt zeigte er sich zunächst irritiert von der Darstellung der mesolithischen Jägerin: Die forsch aus der Höhle des Neandertalers hervortretende felltragende Jägerin allerdings beirrt dann doch einen Moment lang: ist dieses barbusige Heldenweib einer anderen Steinzeit entsprungen als dem Mesolithikum?87 In dieser rhetorischen Frage scheint sich eine leise Kritik des Redakteurs an der spekulativen und aufreizenden Illustration anzudeuten. Schon im nächsten Satz lenkt er jedoch ein und begründet die Zuverlässigkeit des Bildes mit der Expertise des Künstlers Karol Schauer: Wir dürfen uns dann aber vergewissern, dass Karol Schauer mit dieser irritierenden Erscheinung tatsächlich die Epoche versinnbildlicht, in der die Urahnen der Freizeitgesellschaft die ersten Schritte ihrer Entwicklung wagten.88 Kowa lobt daraufhin die Fantasie der Ausstellung und vergleicht das Museum mit einer Seifenoper, die Geschichten erzähle, »die das Leben nicht besser schreiben könnte«. Er wertet die Inszenierungsstrategie damit als Erfolgsprinzip.89 Dennoch übt er auch eine differenzierte Kritik, beispielsweise am Ende desselben Artikels, wo er zur Gestaltung von Raum 4 schreibt: Die Inszenierung des größeren der beiden Räume leidet daran, dass anders als für die Frühsteinzeit kein beherrschendes Motiv zur Verfügung stand. Und vor ringsum kalk-
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Vgl. Christian Thomas, Vorgeschichte. Und nicht etwa Staub zu Staub, Frankfurter Rundschau Online, 2008. Günter Kowa, Die Helden der Wälder, 2004, S. 20. Ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 20.
III.3 Die theatrale Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte – Halle (Saale)
weißen Wänden haben es die vielen sehr kleinteiligen Gegenstände schwer, sich zu behaupten.90 2012 schrieb Kowa einen Artikel anlässlich der Eröffnung des fünften Ausstellungsabschnitts zur Spätbronze- und Eisenzeit, in dem er bemerkte: »Ein bisschen reißerisch darf’s seit jeher sein, wenn Landesarchäologe Harald Meller und sein Team Altertumskunde unters Volk bringt.« Es klingt in diesem Zitat wie auch im Rest des Artikels an, dass der Redakteur die Inszenierungsstrategie des Landesmuseums für Vorgeschichte als bewusst aufsehenerregend wahrnimmt und hinterfragt, ob bei all der Inszenierung die wissenschaftliche Genauigkeit auch nicht zu kurz komme.91 Letztlich kommt er jedoch, in weiteren Artikeln aus den Jahren 2014 und 2015, zu dem Schluss, dass die wissenschaftliche Qualität der Ausstellung sehr hoch und konstant sei und eine Balance zwischen Unterhaltung und wissenschaftlich valider Bildung, Dramatik und Fantasie in der Ausstellung eingehalten werde.92 In dem Beitrag Ein Volk wird erdacht beispielsweise bemerkt er, das Landesmuseum steuere mit dem Raum zur Römischen Kaiserzeit »hart an der Disneyfizierung vorbei, wäre da nicht der Ernst, mit dem das Geschichte(n)-Erzählen aus Vorgeschichte und Altertum fortgesetzt wird«.93 Günter Kowa spricht also stets das Risiko an, dass die starken Inszenierungen als inauthentisch und unseriös wahrgenommen werden könnten, er registriert jedoch auch die inhaltliche Qualität der Ausstellung und wertet die Inszenierung daher insgesamt sehr positiv. Der Balanceakt zwischen Disneyfizierung und wissenschaftlich valider Präsentation beschert dem Landesmuseum für Vorgeschichte große öffentliche Aufmerksamkeit und vermutlich auch vergleichsweise großen Erfolg.94 Fraglos steckt darin ein starkes Potenzial, aber eben auch ein Risiko: Besucher:innen könnten die Qualität der Ausstellung individuell sehr unterschiedlich bewerten und angesichts der Inszenierungen und Illustrationen an der Seriosität der Inhalte zweifeln – so wie auch Günter Kowa zunächst daran zu zweifeln schien. Das Museum bemüht sich in seiner Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit aber, einem solchen Effekt entgegenzuwirken, indem die wissenschaftliche Fundiertheit der Darstellungen immer wieder betont wird. Rhetorisch wird dabei auch zur Autorität des Landesmuseums beigetragen, indem nicht nur die inhaltliche Qualität seiner Ausstellungen hervorgehoben, sondern auch das Museum insgesamt als hochrangige Institution dargestellt wird. So bezeichnete Harald Meller sein Haus beispielsweise
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Ebd., S. 20. Vgl. Günter Kowa, Nobler Zierrat, raue Sitten, Mitteldeutsche Zeitung Online, 06.12.2012. Vgl. Günter Kowa, In der Zeitmaschine, 2014, o. S. Vgl. Günter Kowa, Ein Volk wird erdacht, 2015, S. 26. Über den Erfolg oder Misserfolg von Ausstellungen könnte im Rahmen dieser Arbeit nur gemutmaßt werden, worauf ich verzichten möchte. Besuchszahlen oder Bilanzen zu diesem wie auch zu den übrigen hier analysierten Museen standen für diese Dissertationsschrift nicht zur Verfügung, daher können keine Aussagen zum wirtschaftlichen Erfolg der einzelnen Museen gemacht werden. Noch schwieriger zu ermitteln, aber äußerst interessant wäre der ideelle Erfolg der Ausstellungen, also wie eine Ausstellung ankommt und was daraus bei den Besucher:innen hängen bleibt. Darüber könnten aber nur auf der Basis von breit angelegten qualitativen Befragungen zuverlässige Aussagen gemacht werden – und solche würden den Rahmen dieses Projekts übersteigen.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
in einem kurzen Interview mit dem Spiegel als »eines der bedeutendsten Archäologiemuseen Mitteleuropas«, das nicht weniger bedeutend sei als einige Museen auf der Berliner Museumsinsel.95 Auf die Frage hin, wie viel Show die Archäologie in Ausstellungen vertrage, antwortete er: Wir müssen die Archäologie sichtbar und verständlich machen. Das sind wir den Steuerzahlern schuldig, die unsere Arbeit finanzieren. Es kann nicht reichen, Fundstücke ins Lagerregal zu legen und Fachpublikationen zu schreiben. Wir müssen die Menschen begeistern. Aber: Auch wenn Archäologie bei uns manchmal sehr leicht aussieht, ist sie doch immer wissenschaftlich abgesichert. Wir haben die wichtigsten Spezialisten bei der Gestaltung der Ausstellung herangezogen.96 Die Überzeugungskraft des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle liegt unter anderem in seinem Selbstbewusstsein, das nicht nur in den öffentlichen Aussagen seines Direktors und seiner Mitarbeiter:innen zum Ausdruck kommt. Es lässt sich auch an der Dauerausstellung ablesen, deren Analyse gezeigt hat, dass das Museum vor einer eindrücklichen Inszenierungsstrategie nicht zurückschreckt. Begründet wird diese mit einer Verpflichtung den steuerzahlenden Besucher:innen gegenüber. Durch die Gewährleistung wissenschaftlicher Validität wird sie gegen Kritik abgesichert – eine bewusste Konstruktion eines möglichst spannenden Narrativs zur kulturellen Identität stellt sie dennoch dar.
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Vgl. Harald Meller und Christoph Seidler, Interview »Genauso echt wie die Mona Lisa«, Spiegel Online, 22.05.2008. Ebd.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
III.4.1 Mit dem Einkaufswagen in die Römerzeit Zuletzt möchte ich nun das Archäologische Museum Hamburg in den Blick nehmen, das zur Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg gehört, einer Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in Hamburg. Die Stiftung nimmt neben der musealen Arbeit auch die Aufgaben der staatlichen Bodendenkmalpflege in Hamburg und dem angrenzenden niedersächsischen Landkreis Harburg wahr. Sie ist daher in mehrere Abteilungen untergliedert: übergreifend sind unter anderem die Verwaltung, die Presse und das Marketing sowie die Bibliothek, hinzu kommen Abteilungen zur Bodendenkmalpflege in Hamburg und im Landkreis Harburg sowie Abteilungen des Museums wie die Sammlungsverwaltung. Der oder die Direktor:in der Stiftung und ihrer Museen ist gleichzeitig auch Landesarchäologe:in.1 Das Museum geht zurück auf den 1898 gegründeten Museumsverein für den Stadtund Landkreis Harburg, dessen Ziel die Errichtung eines Museums »für die damals preußische Stadt Harburg und den Landkreis« war.2 Willi Wegewitz, einer der ersten Direktoren des späteren Museums, berichtet, dass die Gründer des Vereins »Harburger Bürger unter Führung von Senator August Helms« gewesen seien. Das ursprüngliche Aufgabengebiet des Museums sei die Heimatkunde des Raumes um Harburg mit der erdgeschichtlichen Entwicklung, der Urgeschichte, der Stadt- und der Landesgeschichte von Niedersachsen sowie der Volkskunde gewesen.3 Dabei sah Wegewitz den Zweck dieses wie aller Museen nicht nur im Sammeln und Bewahren von Objekten, sondern auch in der »Auswertung der Museumsbestände für die wissenschaftliche Verarbeitung und für die Zwecke der Volksbildung«.4 Diesem Verständnis von Museen als Bildungsinstitutionen entsprechend war das Museum des Vereins ab 1899 zunächst in verschiedenen Schul-
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Vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Über uns, online. Vgl. ebd. Vgl. Willi Wegewitz, Festvortrag, 1948, S. 11–13, Zitat S. 11. Vgl. ebd., S. 12.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
gebäuden Harburgs eingerichtet.5 Schließlich kauften jedoch die Söhne des 1920 verstorbenen Gründers August Helms die Villa Lühmann in der Buxtehuder Straße und schenkten sie dem Museumsverein. Das dort 1925 wiedereröffnete Museum wurde ihnen und ihrem Vater zu Ehren Helms-Museum genannt und trug diesen Titel noch bis 2009.6 Er spiegelte die Geschichte und Zusammensetzung der Institution wider: Während HelmsMuseum der historische Name ist, der auf die bürgerliche Tradition des Museums als einer Gründung durch Privatleute und nicht durch den Staat verweist, beschreibt der heutige Name die Aufgabenfelder beziehungsweise Sammlungsbereiche der Institution. Infolge des Zweiten Weltkriegs verzeichnete das Museum nicht nur schwere Schäden am Gebäude, sondern auch große Verluste an der Sammlung.7 Ein Neubau wurde in der Knoopstraße in Harburg errichtet und konnte im November 1955 bezogen werden.8 Es ist dasselbe Gebäude, in dem die Verwaltung der Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg und die Ausstellung zur Stadtgeschichte Harburgs noch heute untergebracht sind. Am 14. März 1972 wurde von Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg beschlossen, das Museum zum Hamburgischen Museum für Vor- und Frühgeschichte auszubauen. Dafür wurden ur- und frühgeschichtliche Sammlungsbestände aus anderen Museen Hamburgs der Sammlung des Helms-Museums zugeteilt und somit zentralisiert.9 1998 wurde die ur- und frühgeschichtliche Dauerausstellung erstmals in der ehemaligen Bücherhalle am Harburger Rathausplatz, nur wenige Meter vom Haupthaus des Museums entfernt, eingerichtet.10 Die aktuelle Dauerausstellung wurde dort im Mai 2009 eröffnet.11 Die Sammlung des Helms-Museums wuchs und wächst durch ur- und frühgeschichtliche Forschungs- und Sammlungstätigkeiten im Bereich der Harburger Stadtgeschichte zusammen. Heute umfasst sie nach Angaben des Hauses mehr als 2,5 Millionen Objekte und soll damit eine der größten Sammlungen zur Ur- und Frühgeschichte Norddeutschlands sein – neben denen der Landesmuseen in Schleswig und Hannover. Ihre Schwerpunkte liegen nach wie vor auf der Archäologie Norddeutschlands und der Stadtgeschichte Harburgs.12 Zu den herausragenden Sammlungsstücken zählen unter anderem der Schädel von Hahnöfersand, die Scheibenfibel aus Tangendorf, der Berlock-Anhänger aus Quarstedt und das Paddel von Duvensee. Diese und einige weitere Objekte sind als sogenannte Highlight-Exponate in der Dauerausstellung besonders hervorgehoben. Das Archäologische Museum sammelt inzwischen aber nicht mehr aktiv, sondern gewinnt lediglich durch Ausgrabungen der Bodendenkmalpflege in Hamburg und dem 5 6 7
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Vgl. Claus Ahrens, Geschichte des Helms-Museums, 1973, o. S. Vgl. ebd. Die Geschichte des Helms-Museums während des Zweiten Weltkriegs und in den Nachkriegsjahren ist unter anderem nachzulesen in: Willi Wegewitz, Helms-Museum während der Nachkriegszeit, 1948; Willi Wegewitz, Festvortrag, 1948; Claus Ahrens, Aus der Geschichte des Helms-Museums, 1973. Vgl. Claus Ahrens, Aus der Geschichte des Helms-Museums, 1973, o. S. Vgl. ebd. Vgl. Ralf Busch, Ein Jahrhundert, 1998, S. 11. Vgl. Ernst Brennecke, Super: Harburg hat ein Museum zum Anfassen, Harburger Anzeigen und Nachrichten, 14.05.2009, S. 1. Vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Über uns, online.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
Kreis Harburg neue Funde hinzu. Bedingt durch die wechselhafte Forschungs- und Gebietsgeschichte befinden sich in der Sammlung aber auch viele Objekte aus den Nachbarbundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Diese stammen meist aus der Sammlung des Hamburger Völkerkundemuseums, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ganz Norddeutschland altertumsforschend tätig war. Seine prähistorische Sammlung übernahm das Archäologische Museum Hamburg im Jahr 1972. Des Weiteren gehörten zum Landkreis Harburg in früheren Zeiten auch weitere Gebiete im heutigen Niedersachsen, zum Beispiel im Kreis Lüneburg. Angesichts dieser Fundverteilung betont der Direktor und Landesarchäologe Rainer-Maria Weiss im Interview, die Museen und Landesdenkmalbehörden pflegten heute sehr gute Kontakte und die Fundbestände aus den Nachbarländern seien jederzeit für die Forschung und das Ausstellungswesen zugänglich. Konflikte wegen solcher Objekte habe es daher noch nie gegeben. Der Sammlungsleiter Michael Merkel weist jedoch darauf hin, dass Anfang des 20. Jahrhunderts, unter anderem durch Gustaf Schwantes, auch »Spaßgrabungen« im heutigen Schleswig-Holstein und Niedersachsen unternommen worden seien und damit im Einzugsgebiet anderer Museen und Forschungsinstitutionen »gewildert« worden sei. Die Kieler Archäologin und Museumsdirektorin Johanna Mestorf habe gegen eine solche »Raubmentalität der Hamburger« daher auch Protest eingelegt.13 Die Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg verteilt sich heute auf zwei Standorte mit jeweils einer Dauerausstellung. Das Haus am Rathausplatz mit der archäologischen Dauerausstellung wird als Archäologisches Museum Hamburg bezeichnet, das Haus am Museumsplatz mit der stadtgeschichtlichen Dauerausstellung und der Fläche für Sonderausstellungen dagegen als Stadtmuseum Harburg. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel erklärten im Interview, dass der archäologischen Dauerausstellung der Name Archäologisches Museum Hamburg gegeben wurde, um eine bessere Auffindbarkeit zu gewährleisten. A steht am Anfang der Liste, wenn du in einer Liste nach Museen in Hamburg guckst, während du für »Helms-Museum« in der Liste nach unten gehen müsstest. Wenn du nach Archäologie in Hamburg suchst, gibst du bei Google »Archäologie Hamburg« ein und nicht »Helms-Museum«. Die digitale Auffindbarkeit ist mit dem Namen besser gegeben und auch inhaltlich gegeben.14 Des Weiteren spiegele dieser Name das Selbstverständnis des Hauses als archäologische Forschungsstätte und vermittele mit wenigen Schlagworten Inhalt und geografischen Bezugsrahmen der Institution. Archäologie sei als internationales Wort auch leicht verständlich und erkennbar, so Weiss.15 Das Logo des Hauses, das beispielsweise auf den Eintrittskarten und Informationsblättern zu sehen ist, zeigt ein rückwärtsblickendes Tier mit ausgestreckter Zunge in einem runden Feld. In der Regel steht das Tier in Weiß auf bordeauxrotem Grund oder umgekehrt. Dazu gehört der Schriftzug »Archäologisches Museum Hamburg | Stadtmuseum Harburg«. Bei dem Motiv handelt es sich um die Abbildung der Scheibenfibel von 13 14 15
Vgl. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 522f., Zitate ebd. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 523. Vgl. Rainer-Maria Weiss und Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 524.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Tangendorf aus Niedersachsen, die eines der wichtigsten Sammlungsstücke des Museums ist. Michael Merkel erläuterte dazu im Interview: Das ist ein ganz, ganz wichtiger germanischer Fund mit Anleihen an der römischen Ikonografie und eigentlich unser Highlight-Fund. Dieses nach hinten blickende Tier hat als Wort-Bild-Marke ganz wunderbar funktioniert. Als wir das Haus von »Helms-Museum« auf »Archäologisches Museum Hamburg« umgestellt haben, wollten wir eine sehr präzise Definition unseres Hauses haben und wir machen eben Archäologie, wir sind Archäologen. Also »Archäologisches Museum Hamburg«, auch mit dem Selbstverständnis »Hamburg« und mit diesem Icon, diesem Logo, mit dem man auch sehr gut spielen kann.16 Das Motiv hat wohl auch deshalb für das Haus eine solche Bedeutung, weil die Fibel von Willi Wegewitz, der für die Institution besonders prägende Arbeit geleistet hat, aus Privatbesitz für die Museumssammlung gewonnen und schon zu seiner Amtszeit als Emblem des Hauses genutzt wurde.17 Das Motiv wirkt verspielt und kindlich und es symbolisiert einen der wichtigsten Funde der Region. Es verbindet also den geografischen Bezugsrahmen des Museums mit dem spielerischen Konzept der Dauerausstellung, die im Folgenden analysiert werden soll. Die ehemalige Bücherhalle, in der die aktuelle Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg untergebracht ist, ist ein frei stehendes Gebäude an der Südseite des Harburger Rathausplatzes und liegt somit in einer offenen, begrünten Umgebung (s. Abb. 41). An der Ostseite des Gebäudes schließt sich ein Spielplatz an, der passend zum Museum gestaltet ist. Innerhalb Harburgs ist das Museum sehr zentral gelegen, allerdings liegt der Stadtteil Harburg am Rand der Freien und Hansestadt Hamburg, und zwar südlich der Elbe. Mit dem öffentlichen Nahverkehr ist das Museum dennoch gut zu erreichen. Das Gebäude ist ein dreistöckiger kubischer Betonbau mit Flachdach, von dem das Museum allerdings nur das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss nutzt. Im Erdgeschoss nimmt das Museum die gesamte Fläche des Gebäudes ein. Im ersten Obergeschoss grenzen die Räumlichkeiten des Museums an Räume des Bezirksamtes Harburg. Die Innenarchitektur steht vor allem im Erdgeschoss in überwiegend neutraler Beziehung zur Ausstellung, weder kontrastiert noch stützt sie diese. Sie ist vor allem zweckdienlich, hat aber nicht die Funktion, visuell eine Botschaft zu vermitteln, sondern soll einen möglichst neutralen und unauffälligen Rahmen bieten. Da der Ausstellungsraum im Erdgeschoss nur spärlich beleuchtet wird und vor den Fenstern in der Westwand schwere schwarze Vorhänge installiert sind, tritt die Architektur weitestgehend hinter der Ausstellungsinszenierung zurück. Im Obergeschoss bildet sie durch ihre klaren Linien zusammen mit der modernen und geradlinigen Ausstellungsarchitektur dagegen ein passendes Gesamtkonzept, insbesondere mit Blick auf die dortigen Beton-Vitrinen, auf die ich später zurückkommen werde.
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Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 523. Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 523.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
Abb. 41: Außenansicht des Archäologischen Museums Hamburg
Im Erdgeschoss befinden sich an der Nordseite des Gebäudes der Ein- und Ausgangsbereich des Museums mit Shop, Kasse und Informationstresen, die Garderoben sowie die Waschräume. Dahinter erstreckt sich ein großer, annähernd quadratischer Ausstellungsraum. Auf der Südseite des Gebäudes liegen im Erdgeschoss außerdem die Räume der Museumspädagogik, das sogenannte ArchäoLogicum (s. Abb. 42). Im Obergeschoss gibt es lediglich einen großen Ausstellungsraum, der sich von der Nordseite des Baus bis zum südlichen Ende des Ausstellungsraumes im Erdgeschoss erstreckt (s. Abb. 43). Insgesamt hat das Museum über 1300 m² Nutzfläche.18 Für die Museumspädagogik stehen vier Räume zur Verfügung, von denen einer als Höhle mit Felsmalereien ausgebaut ist.
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Vgl. Beate Trede, Neueröffnung, 2008, S. 147.
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Abb. 42: Grundriss des Erdgeschosses im Archäologischen Museum Hamburg (© Archäologisches Museum Hamburg)
Die Ausstellungsräume im Erdgeschoss und im Obergeschoss des Museums sind grob in einen zur ur- und frühgeschichtlichen Archäologie (im Erdgeschoss) und einen zur Archäologie der Neuzeit (im Obergeschoss) gegliedert. Somit wird in der Ausstellung die weit entfernte Vergangenheit – Jan Assmann würde sie vermutlich als die mystische Vergangenheit vor dem Generationengedächtnis bezeichnen – von einer näheren Vergangenheit unterschieden, also von einer Vergangenheit, die in historischen Quellen und Zeitzeugenberichten sowie in den Erinnerungen einiger Menschen noch präsent ist. Eine detaillierte chronologische Ordnung gibt es in dieser Dauerausstellung jedoch nicht. Stattdessen liegt der Ausstellung eine thematische Struktur zugrunde. Auf beiden Stockwerken sind je sechs Themenbereiche an denselben Stellen im Raum angeordnet. In der Mitte erstreckt sich jeweils diagonal, einer Insel gleich, der Bereich »Nahrung«. Rundherum sind entlang der Wände fünf weitere Themenbereiche angeordnet, nämlich, ab dem Eingang entgegen dem Uhrzeigersinn: »Werkstoff«, »Innovation«, »Gewalt«, »Tod« und »Mobilität«.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
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Abb. 43: Grundriss des Obergeschosses im Archäologischen Museum Hamburg (© Archäologisches Museum Hamburg)
Diese Themenbereiche sind nicht durch Architekturelemente voneinander abgegrenzt, sondern gehen fließend ineinander über. Im Erdgeschoss sind sie jedoch durch Steine und Findlinge so umrahmt, dass sich dazwischen Wege für die Besucher:innen eröffnen. Der breiteste und gewissermaßen als Hauptweg konzipierte Pfad führt rundherum um die Mittelinsel »Nahrung«. Von ihm gehen Seitenwege zwischen den Themenbereichen zu den Wänden hin ab. Dadurch wird ein Rundweg im wahrsten Sinne des Wortes möglich, er ist aber nicht zwingend vorgegeben. Der gesamte Ausstellungsbereich ist so gestaltet, dass sich Besucher:innen frei zwischen den Vitrinen bewegen können und sollen, auch quer durch die Themenbereiche hindurch. Dadurch wird kein streng gegliedertes, stringentes Narrativ wie in den übrigen hier analysierten Museen – vor allem in Trier und in Halle – vorgegeben. Stattdessen können die Besucher:innen die Exponate und Installationen in ganz unterschiedlicher, jeweils individueller Reihenfolge rezipieren und dabei auch eigene Schwerpunkte je nach ihren Interessen setzen. Auch im Obergeschoss werden die Bewegungen der Besucher:innen lediglich durch die Vitrinen und Installationen eingeschränkt. Weiße Pfeile am Boden machen es hier aber möglich, einem vorgeschlagenen Weg zu folgen. Im Obergeschoss steht die Fläche auf
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
der Nordseite des Gebäudes für die Ausstellung zur Verfügung, die im Erdgeschoss vom Eingangsbereich, Museumsshop, Kassen- und Informationstresen sowie den Garderoben und Waschräumen eingenommen wird. Dort schließen sich die Themenbereiche »Bodendenkmalpflege«, »Schaufenster Archäologie«, »Hamburg archäologisch« und »Sammeln und Bewahren« an. Von den großen Ausstellungsräumen abgesondert sind nur die Räume des ArchäoLogicums im Erdgeschoss und der Bereich »Sammeln und Bewahren« im Obergeschoss. In letzterem Fall wird durch die Trennung dieses Bereichs vom restlichen Ausstellungsbereich ein Fundmagazin simuliert. Im Folgenden soll ein Gang durch das Museum beschrieben werden. Hinter dem Eingang auf der Nordseite des Gebäudes liegt zunächst das Foyer mit dem Museumsshop sowie dem Kassen- und Informationstresen. Da die Vorderfront und die östliche Seitenwand des Foyers verglast sind, fällt viel Tageslicht in den Raum und er wirkt sehr hell, offen und modern. Zusätzlich wird er über Strahler an der Decke und hängende Lampen über dem Tresen beleuchtet. Besucher:innen werden schon beim Betreten des Museums mit den Verkaufsartikeln des Shops konfrontiert. Da vor allem Produkte angeboten werden, die auf Kinder abgestimmt sind, wie zum Beispiel Bücher, Spielzeug und Stofftiere, wird durch die Auslagen direkt der Eindruck vermittelt, dass es sich hier um ein familienorientiertes Museum handelt – ganz anders als durch die bereits erwähnten Produkte im Shop des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes. Rechts vom Eingang ist eine kleine Kaffee-Ecke eingerichtet, in der auch eine schlanke Stelenvitrine steht. Sie enthält das erste Ausstellungsstück des Museums, einen eisenzeitlichen Tonbecher, der sich in seiner Form nicht von heutigen Bechern unterscheidet und damit zeigt, wie ähnlich sich Alltagsgegenstände der Vergangenheit und solche der Gegenwart sind. Damit stimmt die Installation die Besucher:innen bereits auf den Grundtenor der Ausstellung ein, denn indem dort Exponate der Vergangenheit immer wieder neben Objekten der Gegenwart präsentiert werden, wird vermittelt, dass zwischen dem Heute und der Ur- und Frühgeschichte viele Ähnlichkeiten und eine Verbindung bestehen. Die archäologischen Fundstücke sollen hier also nicht als fremd und anders, sondern als vertraut und lebensnah wahrgenommen werden. Über dem Tresen stehen sich auf einer Konsole an der Wand ein ausgestopfter Wolf und ein Roboterhund gegenüber. Daneben ist ein in Folienschrift gesetzter Text zur Domestikation von Tieren zu lesen. Auch damit wird wieder eine Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart oder möglicherweise sogar der Zukunft – denn Roboter wecken nach wie vor futuristische Assoziationen – zum Ausdruck gebracht. Links hinter dem Tresen befinden sich der Eingang zur Dauerausstellung im Erdgeschoss sowie eine Treppe zum Ausstellungsbereich im Obergeschoss. Vor dem Eingang zur Dauerausstellung im Erdgeschoss ist ein Einführungstext auf den Boden gedruckt, der die Veränderung von Landschaften durch Klima und Eiszeit thematisiert. Den Besucher:innen wird damit erklärt, warum der vor ihnen liegende Ausstellungsraum als Gletscherlandschaft gestaltet ist. Rechts und links vom Eingang ist ein Gletscher simuliert, sodass man den Ausstellungsraum wie durch eine Gletscherspalte betritt (s. Abb. 44). Das »Gletschereis« besteht aus aufeinandergestapelten Eiswürfelbereitern. Sie sind von hinten mit weißem und türkisfarbenem Licht durchleuchtet, um die Assoziation mit Eis noch zu verstärken. Der Boden im Ausstellungsraum des Erdgeschosses besteht aus einem grobkörnigen Estrich mit Kieseinlagen, der uneben und leicht hügelig geformt ist.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
Durch den gesamten Raum ziehen sich Felsbrocken und Findlinge und der Raum ist im Vergleich zu dem hellen Foyer sehr schwach beleuchtet. Die Decke ist schwarz gestrichen und die Fenster in der westlichen Seitenwand sind mit einer lichtdämpfenden Folie beklebt und zusätzlich mit dicken schwarzen Vorhängen verdunkelt.
Abb. 44: Der Eingang zur Dauerausstellung mit der Gletscherinstallation aus Eiswürfelbereitern und dem Wasserhahn mit der Wasserprojektion (© Archäologisches Museum Hamburg)
Der Raum ist nicht weiter unterteilt, die eintretenden Besucher:innen können ihn auf einen Blick erfassen und einen Überblick über die vielen Installationen und Themenbereiche gewinnen. Da den Installationen in dieser Dauerausstellung eine besonders tragende Rolle bei der Kommunikation der Ausstellungsthemen zukommt, möchte ich mich im vorliegenden Teilkapitel zunächst darauf beschränken, sie zu beschreiben, und ihre Interpretation erst im folgenden Teilkapitel neben der Analyse der Ausstellungstexte vornehmen. Die Themenbereiche sind durch sechs weiße Pfeiler markiert, auf denen jeweils der Titel des Bereichs geschrieben steht. Die Schrift ist bei jedem einzelnen in einer anderen Farbe gehalten – wobei sich zwischen der Farbe und dem jeweiligen Thema keine Verbindung erkennen lässt – und jeder Pfeiler ist passend zum Thema gestaltet. In der Nähe jedes Pfeilers befindet sich je ein kreisrundes Sichtfenster in der Zwischendecke zum Obergeschoss, sodass Sichtachsen zwischen den Themenbereichen der beiden Stockwerke bestehen. Auch dadurch wird wieder eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart vermittelt. In jedem Bereich gibt es mindestens einen und höchstens drei kurze erläuternde Texte, die entweder in Folienschrift auf der Wand kleben oder auf frei stehende Schilder gedruckt sind. Die Vitrinen sind mit fortlaufenden weißen Nummern versehen. Den Besucher:innen wird stets ein Begleitheft leihweise in die Ausstellung mitgegeben, in dem sich unter der jeweiligen Nummer Informationen zu den
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Exponaten finden lassen. Kleine Glaswürfel mit Nummern darauf ermöglichen die Zuordnung der einzelnen Objekte zu den Bezeichnungen im Heft. Objektschilder gibt es nicht. Die folgende Beschreibung des Ausstellungsraumes im Erdgeschoss beginnt mit dem Eingangsbereich und folgt dann den Themenbereichen entgegen dem Uhrzeigersinn. Sie endet mit der Mittelinsel zum Thema »Nahrung«. Der Eingangsbereich gehört nicht zu den sechs Hauptthemenbereichen, lässt sich aber mit dem Schlagwort »Naturlandschaft« umreißen. Er dient als Einstieg in die Ausstellung und sein Thema ist die Landschaft in Hamburg und Umgebung sowie ihre Entstehung durch die landschaftsformenden Prozesse während der wechselnden Kalt- und Warmzeiten – insbesondere während der letzten Eiszeit. Mit Installationen und Texten wird hier die Ausgangslage für die in der Ausstellung folgende Entwicklungsgeschichte der Menschheit geschaffen. Rechts hinter dem Eingang durch die »Gletscherspalte« ragt ein Wasserhahn aus dem Boden. Dreht man am Knebel des Hahns, wirft ein Projektor an der Decke Fließbewegungen zeigendes weißblaues Licht auf den Boden, so als würde dort Wasser vom Wasserhahn aus über den Boden in die Ausstellung fließen (s. Abb. 44). Neben dem Wasserhahn ist eine rechteckige Bodenvitrine installiert, unter deren Glas eine blau-transparente Folie gespannt ist. In sie sind zwei Tauchmasken eingelassen, durch die man die Exponate in der Vitrine klar sehen kann. Gezeigt werden hier Scherben, Knochen, Werkzeuge, Gefäße und Löffel aus verschiedenen Zeiten, die in der Elbe bei Hamburg gefunden wurden. Die Vitrine soll also Funde, die aus dem Wasser der Elbe stammen, wie unter Wasser zeigen; man schaut mittels der Taucherbrillen durch die simulierte Wasseroberfläche (s. Abb. 45).
Abb. 45: Zwei Kinder betrachten die Mammutknochen und -zähne in der »Wasservitrine« im Ausstellungsbereich »Nahrung« im Erdgeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg)
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
Es gibt mehrere solcher »Wasservitrinen« im Ausstellungsraum im Erdgeschoss. Möglicherweise können sie in Kombination mit der Wasserhahn-Installation als Überbleibsel einer nicht vollständig umgesetzten Planungsidee gedeutet werden: Aus einem Protokoll zur Neugestaltung der Archäologischen Dauerausstellung vom 12. Februar 2008 geht hervor, dass ursprünglich ein sogenanntes Elbeband geplant war. Dieses Band sollte die Elbe symbolisieren und aus einem Trägermaterial bestehen, auf dem digitaler Text laufen sollte. Es sollte sich als »roter Faden« sachbezogen durch die gesamte Ausstellung ziehen. Starten sollte es an dem Wasserhahn bei der Gletscherinstallation, enden sollte es in einer Badewanne oder einem Waschbecken als Symbol für das Hamburger Hafenbecken.19 Der Wasserhahn mit der Lichtprojektion, die das Bild von fließendem Wasser auf den Boden wirft, wurde beibehalten, das Band wurde jedoch nicht umgesetzt. Grundlegend können neben den Wasser- und sonstigen Sondervitrinen im Erdgeschoss zwei dominierende Vitrinenformen unterschieden werden, nämlich Haubenvitrinen, die am Boden installiert sind, und sogenannte Highlight-Vitrinen (s. Abb. 46). Letztere sind meist Stelenvitrinen mit einem künstlichen Steinsockel, der wie ein dunkler Granit mit weißen Sprenkeln gestaltet ist und grob behauen zu sein scheint. Ihre Grundfläche ist meist quadratisch und die Glashaube meist würfelförmig. Die Sockel sind ungefähr einen Meter hoch. Es gibt insgesamt zehn solcher Highlight-Vitrinen. Gleich zwei davon stehen im ersten Bereich des Ausstellungsraumes rechts vom Eingang und zeigen einen Faustkeil und das Stirnbein eines Homo sapiens von etwa 5400 v. Chr. Es handelt sich dabei um den sogenannten Schädel von Hahnöfersand, der im Begleitheft als Überrest des »ältesten Hamburger[s]« beschrieben wird.20 Damit wird gleich zu Beginn der Ausstellung gewissermaßen ein Zeitzeuge »vorgestellt«, jemand, mit dem sich das Publikum identifizieren kann und der klarstellt, dass es hier nicht nur um leblose Objekte geht, sondern auch um Menschen. Seine Deklarierung als »Hamburger« verlängert die Existenz der Stadt rhetorisch um einige Jahrtausende in die Vergangenheit und regt die Vorstellung von einer von Zeitaltern unabhängigen gemeinsamen Identität aller Menschen als »Hamburger« an, die je im Gebiet der heutigen Stadt gelebt haben und leben. Hinter diesen Vitrinen steht der Pfeiler des ersten Themenbereichs. Das Schlagwort »Werkstoff« verläuft darauf in rötlichbraunen Druckbuchstaben. Um den Pfeiler herum ist ein großer Nachbau des als »Gelbe Seiten« bekannten Branchenbuchs aufgestellt. Links vorne, sozusagen im Schnitt des Buches, sind fünf verschiedenfarbige Leisten zum Herausziehen installiert. Sie sollen das Register des Branchenbuchs darstellen (s. Abb. 46).
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Vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Protokoll Neugestaltung Teil 2, internes Dokument, Archivakte unter der Signatur AMH HA – AH746, S. 4f. Vgl. Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 17.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Abb. 46: Der Themenbereich »Werkstoff« im Erdgeschoss. Im Vordergrund sind die Stelenvitrine mit dem »Schädel von Hahnöfersand« und eine der typischen Haubenvitrinen zu sehen. Der Pfeiler ist als Branchenbuch gestaltet. (© Archäologisches Museum Hamburg)
Ziehen Besucher:innen die Leisten heraus, finden sie darauf jeweils die Bezeichnung eines Berufs beziehungsweise einer Spezialisierung in der Materialverarbeitung und dazu passende Werkstücke, die sie auch berühren dürfen. Die Register-Leisten nennen die Berufe Schmied, Bronzegießer, Knochenschnitzer, Zimmermann und Flintschläger. Vermittelt wird in diesem Bereich also die Entwicklung der ersten Bearbeitungsprozesse natürlicher Rohstoffe wie Holz, Stein, Knochen und Metall zur Herstellung von Werkzeugen und Gebrauchsgeräten. Rechts neben dem Pfeiler steht auf einem Schild der Bereichstext »Werkstoff – Vom Holz zum Eisen«. Vor dem Pfeiler ist am Boden eine gewölbte Haubenvitrine mit darin sechs Werkzeugen und Gebrauchsobjekten aus Bein installiert. Links vor dem Pfeiler ist eine umgestülpte Plastikwanne am Boden festgeschraubt, auf der sich rote Warnschilder mit der Aufschrift «! Achtung, hier wird gebaut!« befinden. Dahinter und daneben liegen große Holzstämme, an die Rekonstruktionen von Äxten und Beilen aus verschiedenen Epochen angeschraubt sind. Auf einem Schild wird die Datierungsmethode der Dendrochronologie erklärt und es gibt eine Spielstation, an der Keile mit aufgemalten Jahresringen passend aneinandergelegt werden sollen, um so eine durchgehende Zeitleiste zu bilden. Zwischen und hinter den Holzstämmen sind unterschiedlich große Haubenvitrinen mit Werkzeugen und Waffen aus verschiedenen Werkstoffen installiert. Eine ovale Bodenvitrine zeigt die Rekonstruktion eines Schlagplatzes zur Herstellung von Flintgeräten.
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Abb. 47: Blick auf den Bereich »Innovation« mit dem »Lagerfeuer« und dem Streichholz-Pfeiler (© Archäologisches Museum Hamburg)
Der Bereich »Innovation« erstreckt sich an der Westseite des Raumes entlang. Sein namensgebender Pfeiler ist wie ein großes, auf dem Kopf stehendes Streichholz mit roter Aufschrift gestaltet (s. Abb. 47 im Hintergrund). In Hauben- und Stelenvitrinen sind hier zunächst vor allem Steinbeile und Äxte ausgestellt. In der Mitte des Bereichs sind sechzehn Röhrenbildschirme, auf denen Bilder eines Holzfeuers zu sehen sind, kegelförmig aufgetürmt. Sie sind in Rahmen aus Holz eingebaut, deren Vorderseiten in verschiedenen Gelb-, Orange-, Rot- und Brauntönen lackiert sind. Somit bilden sie ein »Lagerfeuer« und verbinden die Funktion eines Lagerfeuers als Versammlungspunkt, an dem nicht nur gekocht und sich aufgewärmt wird, sondern an dem vielleicht auch Unterhaltungen geführt werden, mit einer ganz ähnlichen Funktion des Fernsehers in modernen Wohnungen (s. Abb. 47). Hinter diesem »Lagerfeuer« sind weitere Haubenvitrinen mit Feuerutensilien, Steinlanzenspitzen, Gussformen, Beilen und Bronzewaffen aufgebaut. Davor steht eine Stelenvitrine, in der eine goldene Berlocke und die goldene Scheibenfibel von Tangendorf zu sehen sind, deren Motiv das Logo des Museums ist. Links neben dem Pfeiler sind vor der Seitenwand große, frei stehende Rennöfen aufgebaut. Es handelt sich dabei um die Blockbergung und die Rekonstruktion originaler Öfen. Daneben liegen Schlackeklötze. Der Bereich vermittelt also die Weiterentwicklung und Spezialisierung von Herstellungstechniken. Der Pfeiler zum Bereich »Gewalt« trägt eine olivgrüne Aufschrift und auf einer Seite ist der Umriss des Hamburger Stadtgebietes in Rot aufgemalt. Darüber liegen schwarze konzentrische Kreise, sodass das Bild eine Zielscheibe oder die Kartierung eines gefährlichen Gebietes suggeriert. Über dem Pfeiler ragen eiserne Schäfte mit Pfeil- und Lanzenspitzen aus Stein und Metall in verschiedenen Formen aus der Decke. Sie sind auf den Hamburg-Umriss ausgerichtet, scheinen also auf das Ziel zuzufliegen. Rechts neben dem Pfeiler stehen ein Schild mit dem Bereichstext und daneben eine Stelenvitrine mit drei Steinäxten. In Boden- und Haubenvitrinen sind diverse Bronzeobjekte wie
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zum Beispiel Lanzen- und Pfeilspitzen ausgestellt und in einer Tischvitrine liegen acht Schwerter aus verschiedenen Zeiten und Metallen. Vor der südlichen Wand des Raumes ist eine große Gerölllandschaft imitiert, in die mehrere Hauben- und Bodenvitrinen integriert sind. Sie zeigen Grabinventare und zwei Münzschätze. An der Wand steht ein Text zu »Römern« und »Germanen« im Gebiet des heutigen Hamburgs und der rekonstruierte Profilschnitt einer Urnenbestattung mitsamt Beigaben hängt als Modell daneben. Eine hohe, schmale Stelenvitrine mit rundem Grundriss ist wie eine Münzrolle gestaltet und zeigt zwei goldene Solidi. Die Objekte in diesem Teilbereich sind zeitlich nicht ganz so stark durchmischt wie in anderen Bereichen. Sie datieren vor allem in die Römische Kaiserzeit und die Spätantike beziehungsweise das frühe Mittelalter. Im Fokus stehen Konflikte zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen und deren gewaltsame Austragung. An den Bereich »Gewalt« schließt sich der Bereich »Tod« an, in dem vor allem Exponate zu unterschiedlichen Bestattungsformen gezeigt werden. Unter anderem ist hier in einer Tischvitrine das Modell eines Megalithgrabs zu sehen. Drei Haubenvitrinen präsentieren Bronzeschmuck und in einer Bodenvitrine ist eine Bestattung mit Beigaben in Fundlage ausgestellt. In weiteren Vitrinen sind bronzene Beschläge eines Klapphockers neben der Rekonstruktion eines solchen Hockers zu sehen. An der Wand hängen zwei Modelle von Urnengräbern und weitere Vitrinen zeigen unter anderem einen Prachtgürtel aus Bronze und zwei Urnen mit Leichenbrand darin. Vor dem Pfeiler des Bereichs, der eine violette Aufschrift trägt, stehen zwei aufeinandergestapelte Holzkisten, in denen sich Vitrinen mit Grabbeigaben und Urnen befinden. An ihren Außenseiten sind Adressaufkleber angebracht, die die Kisten als Pakete ins Jenseits ausweisen; darüber hängt von der Decke das Heck eines schwarzen Leichenwagens mit offen stehender Heckklappe (s. Abb. 48). Das Kennzeichen des Wagens trägt die Aufschrift SE – NSE 13. Die Rücklichter brennen und vor den Fenstern hängen dunkle Vorhänge. Es wirkt, als seien die Kisten aus dem Laderaum des Leichenwagens gefallen. Aus dem Protokoll einer Konzeptionssitzung der Ausstellungsmacher geht jedoch hervor, dass der Leichenwagen optisch und assoziativ in Richtung Himmel fahrend konzipiert ist und somit die in den Kisten präsentierten Grabinventare ins Jenseits befördern soll.21
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Vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Protokoll Neugestaltung Teil 2, internes Dokument, Archivakte unter der Signatur AMH HA – AH746, S. 19.
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Abb. 48: Der Leichenwagen mit den als Vitrinen ausgebauten Holzkisten (© Archäologisches Museum Hamburg)
Der Pfeiler zum Bereich »Mobilität« steht neben der Treppe zum Obergeschoss in der nordöstlichen Ecke des Raumes. Er trägt eine orangegelbe Aufschrift und es sind Hinweisschilder an ihm montiert, die Gründe für Wanderungsbewegungen von Menschen benennen sollen: die Begriffe Hunger, Handel, Krieg, Rohstoffe, Flucht, Heirat, Wohlstand und Neugier finden sich darauf. Eine alte Parkuhr steht neben einer Vitrine, in der ein hölzernes Wagenrad zu sehen ist. Dahinter ist in einer Stelenvitrine ein Paddel neben einem Einbaum platziert, der, von einer großen Acrylglasröhre umgeben, an der Decke aufgehängt ist. Schräg unter dem Einbaum ist eine weitere »Wasservitrine« installiert, in der diverse Fundstücke aus der Elbe ausgestellt sind, die ganz unterschiedlich zu datieren sind. In weiteren Hauben- und Konsolenvitrinen sind eine Schüssel und Fibeln sowie Messer platziert, die auf ihren Klingen eingeritzte Schiffsdarstellungen tragen. In der Mitte des Bereichs, vor dem Pfeiler, ist eine große, rechteckige begehbare Bodenvitrine installiert, in der die Überreste eines hölzernen Bohlenwegs ausgestellt werden. Quer darüber ist eine rot-weiße Schranke aufgestellt und links daneben steht ein Grenzstein. In weiteren Hauben- und Bodenvitrinen sind in diesem Bereich diverse Exponate aus der sogenannten Völkerwanderungszeit ausgestellt, beispielsweise Hortfunde aus Mooren, die Beigaben einer Reiterbestattung und Sporen. Die Exponate in diesem Bereich verweisen also auf den Straßenausbau und auf verschiedene Fortbewegungsmittel – vom Pferd über den Wagen bis hin zum Boot. Wie bereits beschrieben, erstreckt sich der Themenbereich »Nahrung« in der Mitte des Raumes. An der westlichen Seite des mit hellblauer Schrift versehenen Pfeilers ist ein großer Knochenimitat installiert, der fast so lang ist wie der Pfeiler selbst. Umrundet man die Themeninsel vom Eingang durch die Gletscherspalte aus entgegen dem Uhrzeigersinn, hat man zunächst das vollständige Skelett eines Riesenelchs vor sich (s. Abb. 49).
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Abb. 49: Der vordere Teil der Themeninsel »Nahrung« mit dem Pfeiler, dem Elchskelett und der »Erdbeerkörbchen-Vitrine« am rechten Bildrand (© Archäologisches Museum Hamburg)
Davor steht die sogenannte Erdbeerkörbchen-Vitrine, eine Vitrine, die mit einem Korb so umbaut ist, dass sie aussieht, als sei sie ein großer Erdbeerkorb, in dem Haselnüsse, Pfeilspitzen und ein Lyngby-Beil liegen. Daneben, schräg vor dem Elchskelett, ist eine längsrechteckige Bodenvitrine installiert, die als »Wasservitrine« gestaltet ist und in der Knochen und Zähne eines Mammuts zu sehen sind (s. Abb. 45). Daneben steht auf einem Schild der Bereichstext und darüber ist auf einem dreibeinigen Eisengestell der Schädel eines Auerochsen aufgepflanzt. Hinter dem Schädel ist die in Teilkapitel II.3.3 bereits erwähnte »Fischdosen-Vitrine« aufgestellt. Es handelt sich dabei um eine Vitrine, die wie eine große, schräg aufgestellte Sardinenbüchse gestaltet ist. Darin sind Exponate zum Fischfang durch den halb »aufgerollten« Blechdeckel zu sehen. Rechts daneben ist eine frei stehende hölzerne Tür mitsamt Türrahmen und Schwelle aufgestellt, die mit Drahtseilen an der Decke fixiert ist. Daneben steht auf einem Schild der Text »Die ersten Bauern«, der die Sesshaftwerdung im Neolithikum thematisiert – die Tür soll also die Sesshaftwerdung und den Bau von Häusern symbolisieren.
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Abb. 50: Ein Kind betrachtet die Exponate in der »Müsliriegel-Vitrine« (© Archäologisches Museum Hamburg)
Schräg links dahinter ist ein großer Edelstahlkochtopf mit halb offenem Deckel aufgestellt. Auch dieser ist eine Vitrine, denn unter einer Glasplatte liegen darin Knochen und Kochgeschirr. Daneben steht eine Haubenvitrine mit Keramikscherben und einem Gefäß. Hinter der Holztür steht des Weiteren die »Müsliriegel-Vitrine« (s. Abb. 50). Sie ist wie eine große, schräg aufgestellte Verpackung eines Müsliriegels gestaltet, die »aufgerissen« ist, sodass man durch die darunterliegende Glasscheibe in die Vitrine sehen kann. Darin sind Exponate zum Getreideanbau und zur Getreideverarbeitung zu sehen. Auf der Verpackung sind groß der Name des Riegels »Treidi« und der Slogan »Der Müsliriegel aus eigenem Anbau« aufgedruckt. Auf der Rückseite der Vitrine stehen als Zutaten verschiedene Getreidesorten, die bereits im Neolithikum domestiziert wurden. Sie sind mit dem Hinweis »aus eigener Landwirtschaft« versehen, um dies zu vermitteln. Über der »Müsliriegel-Vitrine« ragt das Vorderteil eines Einkaufswagens schräg aus der Decke. Dahinter sind drei Blechmülltonnen als Vitrinen in den Boden eingelassen. In einer davon sind unter einer Glasscheibe Keramik- und Glasscherben und weitere Objekte aus einer Abfallgrube zu sehen. In der zweiten ist in einem »gelben Sack« heutiger
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Verpackungsmüll offen für die Besucher:innen zugänglich. Die dritte Vitrine ist mit einem Vorhängeschloss versperrt. Sie wird nur im Rahmen von museumspädagogischen Programmen geöffnet und enthält Material zur Vermittlung, zum Beispiel rekonstruierte Objekte zum Anfassen. Hinter den Tonnen stehen Vitrinen mit Keramikgefäßen und -sieben. In einer Stelenvitrine werden die Überreste eines sogenannten Spitzweckens aus der vorrömischen Eisenzeit neben einem nachgebackenen Exemplar präsentiert. Zwischen den Bereichen »Tod« und »Mobilität« geht es in der südöstlichen Ecke des Raumes durch eine Tür in einen Flur, der ins sogenannte ArchäoLogicum führt, also in die Räume für die Museumspädagogik. In der nordöstlichen Ecke des Raumes, zwischen dem Bereich »Mobilität« und der »Gletscherspalte« führt dagegen eine Treppe aus Beton zum Obergeschoss hinauf. Sie ist auch vom Foyer aus erreichbar. Auf einigen Stufen sind mit weißer Farbe Straßennamen aus Hamburg im typischen Schriftbild und mit einem Rahmen wie auf alten Straßenschildern aufgemalt. Auch im zweiten Abschnitt der Treppe, nach dem Treppenabsatz, gibt es solche Straßennamen. Darunter sind beispielsweise der Alte Wall, der Teutonen- und der Langobardenweg, die Angeln- und die Friesenstraße sowie Beim Opferstein und Am Bronzehügel. Ich werde im folgenden Teilkapitel noch darauf zurückkommen. Die »Gletscherwand« aus Eiswürfelbereitern ragt durch den Treppenschacht bis ins Obergeschoss hinauf. Auf die gegenüberliegende Wand ist ein Text zum Thema »Kulturlandschaft« aufgedruckt. Der Boden im Obergeschoss besteht aus einem glattgestrichenen Industrieestrich, der zusätzlich mit Kunstharz beschichtet ist. Im Gegensatz zu der hügeligen und steinigen Bodenlandschaft im Erdgeschoss ist der Boden hier eben und hat einen hellgrauen Farbton. Die Themenbereiche aus dem Erdgeschoss wiederholen sich und sind dabei genauso angeordnet wie im unteren Ausstellungsraum. Auch stehen hier an denselben Stellen je nach Thema gestaltete Pfeiler, die farblich identisch mit denen im Erdgeschoss gehalten sind. Auf der Ost-, West- und Nordseite des Raumes sind große Fenster in die Außenwände eingelassen, wobei die Fenster in der westlichen Seitenwand mit opakem Glas versehen sind. Insgesamt stellt der Ausstellungsraum im Obergeschoss einen starken Kontrast zu dem im Erdgeschoss dar, denn er wirkt offen, hell, modern und sauber, fast schon ein wenig klinisch (s. Abb. 51). Zuerst sollen hier die sechs Hauptthemenbereiche beschrieben werden, bevor die zusätzlichen Bereiche auf der Nordseite des Raumes erläutert werden.
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Abb. 51: Blick in den Ausstellungsraum im Obergeschoss vom Treppenaufgang aus
An dem Pfeiler im Bereich »Werkstoff« ist eine fast zwei Meter hohe Welle aus Plastikartikeln installiert, die sich über den Betrachter:innen auftürmt. Sie besteht aus einem Kunstharzkörper, auf den verschiedenste Plastikartikel aufgeklebt sind, die überwiegend in Blautönen gehalten, aber auch Weiß und Silber gefärbt sind. Gezeigt werden in diesem Bereich »Werkstoff« Alltagsgegenstände, wie zum Beispiel Armreifen, Flaschen, Kämme, Löffel, Nadeln, Messer und Spielfiguren. Dabei sind immer Objekte desselben Typs aus verschiedenen Zeiten und Materialien nebeneinander zu sehen, beispielsweise Armringe aus Bronze neben solchen aus Plastik (s. Abb. 52). Dadurch wird augenfällig, dass sich im Laufe der Jahrtausende das Material solcher Objekte zwar oft stark verändert hat, die Form aber im Wesentlichen gleich geblieben ist. Der Bereichstext steht hier auf einer Tafel an einer Vitrine, die – wie fast alle Vitrinen im Obergeschoss – aus Betonsockeln und -seitenwänden besteht. Die Beton-Vitrinen sind sehr symmetrisch dimensioniert und erinnern an eine graue, eintönige Stadtlandschaft aus gleichförmigen Hochhäusern und Wohnblöcken. An beziehungsweise vor manchen dieser Beton-Vitrinen sind Betonblöcke aufgestellt, auf die sich Kinder stellen können, um eine bessere Sicht in die Vitrine zu haben. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg vor allem für Kinder konzipiert ist. Im Erdgeschoss sind die meisten Vitrinen am Boden installiert, sodass Kinder leicht hineinschauen können. Für ältere Menschen und vor allem für solche mit Gehbehinderungen oder Sehschwächen ist die Ausstellung vor allem im Erdgeschoss dagegen weniger gut geeignet, weil der Boden dort uneben, die Beleuchtung spärlich und die Exponate vergleichsweise niedrig positioniert sind.
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Abb. 52: Bronze- neben Plastikarmreifen
Im Bereich »Innovation« hängt an dem Pfeiler ein dreieckiges gelbes Warnschild mit schwarzem Rahmen und einem schwarzen Blitz darauf. Von diesem Pfeiler zu einem Betonträger in der Decke rechts davon sind blaue Leitungen gespannt, die an den beiden Endpunkten auf isolierende Spulen aus Keramik auflaufen, so wie man sie von Hochspannungsmasten kennt. Die Installation soll also an einen Strommast erinnern. Die bewusste Produktion und Nutzung von Elektrizität wird als Weiterentwicklung der bewussten Produktion und Nutzung von Feuer dargestellt, die in diesem Themenbereich im Erdgeschoss thematisiert wird. In der nordwestlichen Ecke dieses Bereichs steht das Modell eines großen weißen Unterkiefers, in den umgestülpte Keramikgefäße als Zähne eingelassen sind. Dieser Unterkiefer verbindet mit seiner Position vor dem Wandtext zum Bereich »Innovation« und hinter dem Bereich »Nahrung« diese beiden Themen. Man assoziiert mit einem Kiefer Nahrungsaufnahme, aber er berührt auch das Thema Innovation mit der vielfältigen Verwendung von Keramik, vom Aufbewahrungsgefäß bis hin zur Zahnprothese. Die Vitrinen in diesem Ausstellungsbereich sind nicht dauerhaft beleuchtet, sondern weisen an einer Seitenwand eine Kurbel auf, mit der die Besucher:innen das Licht in ihnen ankurbeln können. Präsentiert werden unter anderem eiserne Leuchter, diverse Utensilien zum Feuermachen aus verschiedenen Zeiten, Webgewichte und Spinnwirtel, Ofenkacheln und Ziegel. Der Bereich »Gewalt« ist im Obergeschoss zum Thema Weltkriegsarchäologie gestaltet. Links neben dem Pfeiler, der hier direkt an der südlichen Seitenwand des Raumes steht, ist ein weiterer Pfeiler aufgebaut, der von einer rostigen Kanonenkugel in Bruchstücke geschlagen zu sein scheint (s. Abb. 53). Die Armierungen sind zu sehen und die Kanonenkugel steckt im Beton, als sei sie dort eingeschlagen. In unterschiedlich großen Tischvitrinen mit verglasten Deckeln liegen menschliche Überreste im Verbund auf schematischen Zeichnungen der jeweiligen Grabbefunde sowie eine Lanzenspitze, ein Bajonett, ein Schwert und ein Degenfragment. In weiteren Schaukästen sind ein Helm, meh-
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rere Zünder und Bombensplitter, eine Handgranate sowie geschmolzene und verformte Glasflaschen zu sehen. An der Decke hängt das Leitwerk einer Bombe. Durch die Exponate wird also vor allem auf die zerstörerische Wirkung moderner Waffen hingewiesen. Diagonal vor der südwestlichen Ecke des Raumes sind drei Betonpfeiler aufgestellt, an deren oberen Enden Eisenträger angeschraubt sind, die mit Stacheldraht verbunden sind (s. Abb. 53). Der Draht und die Eisenträger sind rostig, so als wären die Pfeiler die Relikte eines Zauns. Die dahinter installierte Stelenvitrine zeigt Knöpfe, Figürchen, ein Ringfragment und eine Häftlingsnummer. Durch die Zauninstallation wird also vermittelt, dass es sich dabei um Funde aus dem Konzentrationslager Neuengamme handelt, und damit wird auch die Bedeutung von Archäologie für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen bewusst gemacht. In einer weiteren Vitrine liegen Fesseln und Ketten.
Abb. 53: Der Bereich »Gewalt« im Obergeschoss mit der Zaun-Installation und dem gesprengten Pfeiler
Der Pfeiler zum Bereich »Tod« steht – wie die Pfeiler im Bereich »Gewalt« – direkt an der südlichen Seitenwand des Raumes. An ihn ist eine gelbe Plastikhülle montiert, auf der das Zeichen des Grünen Punktes und der Schriftzug »Der tote Punkt« in Schwarz aufgemalt sind. Die Plastikhülle soll also an den Gelben Sack erinnern. Darunter liegen, als seien sie aus dem Sack geschüttet worden, Dutzende Holzkreuze als unordentlicher Haufen auf dem Boden (s. Abb. 58 in Teilkapitel III.4.2). Rechts daneben, vor der Rückwand des Raumes, steht ein Modell einer frühen Holzkirche auf einem kleinen Podest. An der Wand hängt außerdem ein Schild mit dem Bereichstext. Davor ist auf den Boden die schematische Fundzeichnung zweier sich überschneidender Gräber aufgebracht. In einem großen verglasten Rahmen ist das Lackprofil der beiden dargestellten Gräber zu sehen. In weiteren Vitrinen in diesem Themenbereich werden unter anderem ein Schädelrest, Grabbeigaben und Glasperlenschmuck präsentiert. Vor dem Pfeiler und den Kreu-
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zen steht der Nachbau eines weiß-grau marmorierten Taufbeckens, auf dem ein großer hölzerner Stempel steht, der innen hohl ist und an der vorderen Längsseite eine Glasscheibe eingesetzt hat, sodass er als Vitrine dient. Darin sind Fibeln mit Kreuzsymbolik zu sehen. Dahinter, vor dem Übergang zum Bereich »Mobilität« ist eine große, niedrige Vitrine installiert, in der die Bestattung dreier Pferde in Fundlage zu sehen ist. In die daneben stehende Stelenvitrine kann nur durch die Glasscheibe in einem kreuzförmigen Ausschnitt hineingesehen werden. Darin, hinter dem Mittelpunkt des Kreuzes, ist eine Scheibenfibel mit einer Heiligendarstellung ausgestellt. Dieser Bereich thematisiert also die Christianisierung und ihre Auswirkungen auf die Jenseitsvorstellungen und Bestattungssitten der Menschen im Raum Hamburg. Im Bereich »Mobilität« sind rund um den Pfeiler zwölf kleine Nachbauten von Frachtcontainern in den Farben Blau, Rot, Weiß und Orange aufgestapelt. Vier davon sind als Vitrinen ausgebaut, das heißt, sie haben eine oder zwei verglaste Seiten oder einen verglasten Deckel und in ihnen sind verschiedene archäologische Funde aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Orten der Welt ausgestellt. Unter anderem sind beispielsweise Fayencen aus Italien, den Niederlanden und China dort zu sehen. In weiteren Vitrinen in diesem Bereich werden ein Münzfund, Kupferbarren, Warenplomben sowie originale Schreibgriffel neben der Nachbildung eines Griffels und einer Wachstafel präsentiert. Auf einer Europalette sind hier außerdem Reißkupferplatten gestapelt. Die Objekte thematisieren also nicht so sehr die Mobilität von Menschen, wie im Erdgeschoss, sondern vor allem die von Waren beziehungsweise den Handelsverkehr. An der Südwand des Raumes hängt ein Druck des Gemäldes »Abschied der Auswanderer«, ein aus dem Jahr 1894 stammendes realistisches Werk des Malers Christian Ludwig Bokelmann. Während die bisher beschriebenen Bereiche entlang der Wände angeordnet sind, erstreckt sich der Bereich »Nahrung« wie auch im Erdgeschoss in der Raummitte. Neben dem Pfeiler zu diesem Themenbereich steht auf einer Europalette die Figur eines Schweins aus aufeinandergestapelten Büchsen Schweinefleisch. Auf der Rückseite des Pfeilers steht ein alter Kühlschrank von Bosch, der als Vitrine ausgebaut ist. In der Tür ist ein Text angebracht und eine Glasscheibe schließt den Innenraum des Kühlschranks ab, sodass Besucher:innen nicht hineingreifen können. Auf den Ablagegittern liegen – zum Teil lose, zum Teil in Plastikdosen – Knochen, Büchsenfleisch und ein Beutel mit verkohltem Getreide. Außerdem liegen am Boden des Kühlschranks Eiswürfelbereiter, wie sie auch in der Gletscher-Skulptur verbaut sind. Neben dem Kühlschrank ist ein Einkaufswagen schräg auf den Boden zulaufend installiert, sodass es so aussieht, als würde er mit dem Vorderteil im Boden stecken. Unten im Erdgeschoss hängt, wie bereits beschrieben, an fast derselben Stelle das Vorderteil eines Einkaufswagens von der Decke. Beide Teile zusammen sehen so aus, als würde der Einkaufswagen durch die Decke vom Obergeschoss ins Erdgeschoss fahren, im übertragenen Sinne also von der Gegenwart in die Vergangenheit – man möchte schon sagen in die »Römerzeit«, in die Rudolf Pörtners bekanntes Sachbuch seine Leser:innen mit dem Fahrstuhl schickt.22 Vor der Schweineskulptur steht eine Stelenvitrine, in der eine Jagdlanze und ein Eberzahn ausgestellt werden. Auf ihrer Rückseite ist das Schild mit dem Bereichstext angebracht. In weiteren 22
Vgl. Rudolf Pörtner, Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit, 1959.
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Schaukästen sind Schalen und Kerne verschiedener Früchte, Besteck aus unterschiedlichen Zeiten sowie Ess- und Kochgeschirr platziert. In diesem Bereich wird vor allem auf die stark weiterentwickelten Methoden zur Haltbarmachung und Aufbewahrung von Lebensmitteln, aber auch auf die Überproduktion und Verfremdung von Nahrungsmitteln aufmerksam gemacht. Der Übergang von den bekannten Themenbereichen zu den Zusatzbereichen auf der Nordseite des Raumes wird durch eine große, auf dem Boden stehende Baggerschaufel markiert. Der Bereich »Bodendenkmalpflege« liegt vor der Ostwand des Raumes und enthält einen großen Baucontainer. Er ist außen weiß-blau und innen blassgelb gestrichen und die vordere Längswand ist herausgenommen, sodass der Container halb offen steht. Man kann ihn durch die offene Wand oder auch durch die Tür betreten. Darin ist eine Art mobiles Archäologie-Büro eingerichtet, wie es auch bei Ausgrabungen genutzt wird. Es enthält ein Schreibtisch mit einem Bürostuhl, Grabungsgeräte, Ordner und Bücher, eine Pinnwand mit Plänen von Grabungsflächen, Schubkarren, Schaufeln, Helme, Maßstäbe, Gummistiefel, eine Regenjacken und viele weitere Utensilien. Hinter dem Baucontainer ist in der nordöstlichen Ecke des Obergeschosses der Bereich »Schaufenster Archäologie« eingerichtet. Der Titel des Bereichs steht auf dem Boden in weißen Druckbuchstaben auf dunkelrotem Grund. Davor befindet sich eine große Tischvitrine mit einer Glashaube, in der Funde von einer Ausgrabung in der Schloßstraße in Harburg gezeigt werden. An der Ostwand hängt neben dem Fenster ein Banner mit einem Informationstext zu dieser Ausgrabung. An der Nordwand sind in zwei horizontalen Reihen insgesamt zwölf würfelförmige Vitrinen auf einer grauen Platte installiert, die an der Wand aufgehängt ist. Darin sind Funde der Ausgrabung präsentiert und darüber hängen jeweils die Objekttexte. Über dieser Platte mit den würfelförmigen Vitrinen hängen ein Foto der Grabungsfläche, ein Lageplan der Fläche sowie zwei kurze Informationstexte zur Ausgrabung. Anders als in der restlichen Ausstellung sind hier alle Texte in weißer Schrift auf dunkelrotem Grund gehalten. Der Bereich weicht optisch deutlich von der ansonsten weitestgehend einheitlichen Inszenierung ab und erweckt dadurch den Eindruck, nachträglich zur Ausstellung hinzugefügt worden zu sein beziehungsweise immer wieder zur Präsentation aktueller Grabungsergebnisse verändert zu werden. Der Bereich »Hamburg archäologisch« nimmt den größten Teil des Raumes vor der Nordwand ein. Ihm liegt auf dem Boden ein großer Nahverkehrsplan des Hamburger Verkehrsverbunds (kurz HVV) zugrunde. Darauf stehen an den Stationen, in deren Umgebung archäologische Objekte gefunden wurden, insgesamt 29 Stelenvitrinen von unterschiedlicher Größe mit quadratischem Grundriss und rundum verglasten Hauben (s. Abb. 54). In diesen sind die entsprechenden Funde zu sehen. Die Sockel der Stelenvitrinen bestehen aus einem beigebraunen glatten Material. Sie unterscheiden sich dadurch sowohl von den Stelenvitrinen im Erdgeschoss, deren Sockel Stein imitieren sollen, als auch von den Beton-Vitrinen im Obergeschoss. Des Weiteren sind sie über dem Boden mit Schattenfugen versehen, sodass sie nicht direkt auf dem HVVPlan zu stehen, sondern wenige Millimeter darüber zu schweben scheinen. Sie sind somit unauffälliger gestaltet als die übrigen Vitrinenformen in der Ausstellung und wirken zugunsten des HVV-Plans zurückgenommen. Neben den Vitrinen ist jeweils eine vom Boden bis zur Decke reichende Metallstange installiert, die wie eine Halte-
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stange aus einem öffentlichen Verkehrsmittel aussieht. Auf jeder davon ist der typische gelb-rote Stopp-Knopf angebracht, den man aus Bussen und Bahnen kennt. Drücken die Besucher:innen diesen, erklingt aus einem Lautsprecher im Vitrinensockel eine »Durchsage« mit Informationen zum Objekt. Diese »Durchsagen« werden zur Hälfte von einer Männer- und zur Hälfte von einer Frauenstimme gesprochen, wie es auch in den Verkehrsmitteln des HVVs üblich ist. Die Texte sind nur auf Deutsch vorhanden.
Abb. 54: Blick auf den Bereich »Hamburg archäologisch« (© Archäologisches Museum Hamburg)
Der Eingang zum Bereich »Sammeln und Bewahren« ist in der nordwestlichen Ecke des Obergeschosses mit der übergroßen Attrappe eines Pappkartons umbaut, sodass es aussieht, als stünde dort ein riesiger Umzugskarton (s. Abb. 55). Im Eingang hängt linker Hand ein Schild mit dem Bereichstext. In der Mitte des Raumes steht ein großes Stahlregal, in dem Modelle von Booten, eine Mammutrippe sowie insgesamt zehn Schachteln verteilt sind, in denen Objekte erfühlt werden können, indem man durch ein Loch in der Vorderseite hineingreift. An einer Seite des Regals hängen Schilder mit der Auflösung zu diesen Fühlschachteln. Beide Längswände des Raumes sind mit einer Fototapete mit Depotregalen voller Kartons und Einzelobjekten beklebt, sodass der Eindruck von einem Depotraum erweckt wird. Die südliche Schmalseite ist mit einer Glaswand vom restlichen Raum abgetrennt. Dahinter steht ein großes offenes Regal mit Keramik darin, auf dem Boden stehen Fundkisten und Kartons. Dieser Raum kann nur vom Museumspersonal durch eine abschließbare Glastür vom Ausstellungsraum aus betreten werden. Auf der nördlichen Schmalseite des Raumes ist ein Studienkabinett eingerichtet. In einem großen Stahlregal stehen Keramikgefäße und Depotkartons. Im unteren Drittel des Regals sind des Weiteren Schubladen installiert, in denen man unter Glas liegend typologische Reihen von bestimmten Objekten wie zum Beispiel Äxten betrachten kann. Die
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zusätzlichen Ausstellungsbereiche im Obergeschoss thematisieren also die Arbeit der Archäologie – sowohl die Feldarbeit als auch die Forschung und Magazinierung. Darüber hinaus wird hier insbesondere die Bodendenkmalpflege im Hamburger Stadtgebiet präsentiert, wohl um den Besucher:innen zu zeigen, dass selbst in einer Großstadt interessante archäologische Entdeckungen gemacht werden können.
Abb. 55: Der »Umzugskarton« als Eingang zum Bereich »Sammeln und Bewahren«. Durch den Eingang ist die Fototapete zu sehen, die die vollen Regale eines archäologischen Depots zeigt. (© Archäologisches Museum Hamburg)
Nachdem ich die Ausstellung nun insgesamt beschrieben habe, möchte ich im Folgenden noch auf einige Details der Gestaltung eingehen. Der Kontrast zwischen der geheimnisvollen, mysteriösen, abenteuerlichen, ungeordneten und natürlichen Atmosphäre im Erdgeschoss sowie dem hellen, klaren, sterilen, geordneten und künstlichen Ambiente im Obergeschoss wird nicht nur durch die Ausstellungsarchitektur und den Einsatz unterschiedlicher Materialien, Formen und Farben erzeugt, sondern auch durch die Beleuchtung. Im Erdgeschoss erfolgt sie insgesamt über Strahler auf Schienen an der Decke. Ihr gelbgoldenes Licht ist hier schummerig und ungleichmäßig. Die Exponate in den Highlight-Vitrinen werden zusätzlich jeweils von dezenten LED-Schläuchen und von schlanken Lampen, die von der Decke abgehängt sind, angestrahlt. Auch in den Haubenvitrinen am Boden sind kleine LED-Schläuche installiert, sodass die Vitrinen zwischen den Steinen als kleine Lichtpole aufscheinen. Die Exponate werden also gezielt mit Licht betont und stechen in dem dunklen Raum deutlich hervor. Da die Vitrinen zum Teil versteckt hinter den Felsbrocken und Findlingen liegen, verrät oft nur ein Lichtschein, wo sich eine weitere befindet. Die Besucher:innen müssen den Lichtpolen folgen, um die Exponate zu »entdecken«. Neben dem Pfeiler »Innovation« hängt ein Strahler an der Decke, vor den eine rote Folie eingespannt ist, sodass in diesem Bereich rötliches Licht auf den Boden geworfen wird. Möglicherweise soll damit Feuer suggeriert werden.
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Die Beleuchtung im Obergeschoss erfolgt vor allem durch natürliches Licht durch die großen Fenster in drei von vier Wänden, durch Strahler auf Schienen an der Decke und im Treppenbereich über große Spots in der Decke. Die Exponate im Obergeschoss werden über kleine verstellbare Strahler in den Deckeln oder an den Böden der Vitrinen beleuchtet. Das Licht hat hier einen weißeren, kälteren Ton als im Erdgeschoss. Während die Beleuchtung dort alles mystisch, geheimnisvoll und wertvoll erscheinen lässt, ist die Beleuchtung hier eher nüchtern und klar und zeigt die Objekte dadurch schonungslos und neutral. Die Wände sind in allen Ausstellungsbereichen weiß und abgesehen von der Szenografie und den Installationen der Ausstellung gibt es keine Dekorationen oder Malereien. Die Innenflächen der Vitrinen sind fast ausnahmslos schwarz gestaltet, wodurch die Farbigkeit der Exponate hervorgehoben wird. Im Erdgeschoss liegen die Objekte nur in den »Wasservitrinen« auf feinem Sand und in der »Kochtopf-Vitrine« direkt auf deren Edelstahlboden. Im Obergeschoss sind die Innenseiten der Container-Vitrinen in der jeweiligen Container-Farbe gehalten, also blau, rot oder weiß. Das Blau der »Wasservitrinen« sticht im Erdgeschoss aus den sonst erdigen Farbtönen hervor. Die Farben der Sondervitrinen, wie beispielsweise der »Müsliriegel-Vitrine«, sind ebenfalls ein Blickfang. Die Objekte in den »Wasservitrinen« und die in den Sondervitrinen stechen also unter anderem wegen der Farben, aber natürlich auch wegen der gesamten Gestaltung ihrer Vitrinen hervor. Im Obergeschoss wirkt das Grau der Beton-Vitrinen dagegen gleichförmig, monoton und kalt, selbst die Kühlschrank-Vitrine hebt sich aufgrund ihrer weißen Farbe und der eckigen Form kaum davon ab. Mit Blick auf die verwendeten Materialien dominieren im Erdgeschoss Stein, Kunststein, Holz, Kunstharz und Glas. Im Obergeschoss werden vor allem Beton, Glas, Plastik und Metall eingesetzt. Während also im Erdgeschoss der Eindruck vermittelt wird, dass vorwiegend natürliche Materialien verwendet werden, wird im Obergeschoss offen mit synthetischen Materialien gearbeitet. Die industrielle Herstellung und Verwendung solcher Materialien in der Moderne wird hier auch durch die Plastikwelle im Bereich »Werkstoff« thematisiert. Da im Erdgeschoss auf natürliche und natürlich wirkende Materialien gesetzt wird, scheinen die Exponate in ihrer authentischen Umgebung zu stehen – mit Ausnahme der Objekte in den Sondervitrinen. Im Obergeschoss unterstreichen die künstlichen, normierten Materialien dagegen die neuzeitliche Materialwelt und kontrastieren damit vor allem die Objekte aus der Frühgeschichte und dem Mittelalter. Die Objekte aus der Neuzeit fügen sich dort jedoch gut hinein. Im Erdgeschoss dominieren natürliche, organische und runde Formen. Die Gerölllandschaft ist uneben und die Haubenvitrinen sind gewölbt. Selbst die Sockel der Stelenvitrinen sind nicht ebenmäßig, sondern haben unregelmäßige Oberflächen. Im Obergeschoss dominieren stattdessen rechteckige und quadratische Formen sowie gerade Winkel. Die Vitrinenteile sind glatt und geradezu normiert. Während im Erdgeschoss durch die natürlichen, organischen Formen der Ausstellungsarchitektur den Formen und Materialien der Objekte entsprochen wird, wird im Obergeschoss durch die künstlichen, geraden Formen ein Kontrast zu den meisten Objekten aufgebaut. Die Inszenierung insgesamt ist vor allem darauf ausgerichtet, die Funktionsweise und die Materialität der Objekte zu vermitteln. Aber auch die Ästhetik wird betont, vor allem durch die Beleuchtung, die schwarzen Untergründe in den Vitrinen und die Po-
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sitionierung der Exponate. Das gilt sowohl für das Erdgeschoss als auch für das Obergeschoss, obwohl in beiden Bereichen die Ausstellungsarchitektur ganz unterschiedlich ist. Durch die Highlight-Vitrinen und die Beleuchtung wird die Aufmerksamkeit der Besucher:innen auf bestimmte Objekte gelenkt, die, so unterschiedlich sie auch sind, doch alle wissenschaftlich herausragende Funde der Region darstellen. In den Bereichen, in denen die spielerische Ausstellungsgestaltung sehr deutlich hervortritt, beispielsweise bei den Sondervitrinen, tendiert die Inszenierung aber auch dazu, von den Objekten abzulenken beziehungsweise diese zu überlagern. Da die Installationen in dieser Ausstellung eine besonders tragende, kommunikative Rolle spielen, habe ich sie hier zunächst nur beschrieben und werde sie erst im folgenden Teilkapitel gemeinsam mit den Ausstellungstexten einer Analyse unterziehen. Hier möchte ich abschließend nur noch auf die Exponate, deren Positionierung beziehungsweise Anordnung und die Bedeutung von Chronologie in der Ausstellung eingehen. Die Exponate stellen überwiegend Waffen, Werkzeuge, Urnen und Geschirr dar. Es sind aber auch weitere Objektkategorien wie Schmuck, Nahrungsmittel, Holzfunde, menschliche Überreste oder Speiseabfälle vertreten. Die Objekte entsprechen den Themen der Ausstellung, also Werkstoff, Innovation, Gewalt, Tod, Mobilität und Nahrung, sie repräsentieren also wichtige Themen der kulturellen Entwicklung. Bestimmte Geschlechter oder Altersgruppen treten in der Auswahl der Exponate nicht hervor. Auch Kategorisierungen von Kulturgruppen wie »die Germanen«, »die Römer« oder »die Langobarden« werden durch die Exponate nicht vermittelt. Jedoch werden diese Begriffe in den Ausstellungstexten verwendet, auf die ich später noch eingehen werde. Ein Schwerpunkt auf einer bestimmten Epoche oder auf einem bestimmten Thema ist nicht zu erkennen, da die Objekte nicht chronologisch angeordnet und alle Themenbereiche ungefähr gleich groß sind. Auch mit Blick auf die Datierungen im Begleitheft lässt sich keine Dominanz einer Epoche erkennen. Die ausgestellten Sammlungsstücke sind fast ausschließlich Originalfunde und die wenigen Repliken, Rekonstruktionen und Kopien werden im Begleitheft als solche ausgewiesen. Rainer-Maria Weiss begründete die Entscheidung für die Arbeit mit Originalen wie folgt: Erstens haben wir Originale und zweitens finde ich, dass in einem Museum ausschließlich Originale gezeigt werden sollten. Gehen Sie mal in eine Picasso-Ausstellung und da hängen Drucke an der Wand – das geht doch überhaupt nicht! Also eine Rekonstruktion nur dann, wenn das Original nicht ausstellbar ist, weil es zu fragil oder so unansehnlich ist, dass nur die Rekonstruktion die Farbigkeit, die ursprüngliche Optik und so weiter wiedergibt. Dann aber bitte beides zusammen, wie wir es bei dem Brot gemacht haben. Das Brotstummelchen und daneben ein nachgebackenes Brot und dann versteht man das. Aber in einem Museum müssen Originale gezeigt werden. Was denn sonst?23
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Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 518.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Ein weiterer Vorteil der thematischen Gliederung dieser Ausstellung besteht auch darin, dass der Einsatz von Rekonstruktionen und Kopien nicht nötig ist, um Lücken in der Chronologie der Sammlung zu schließen.24 Anders als in Saarbrücken, Trier und Halle dient in Hamburg fast ausschließlich der Boden als Ausstellungsfläche. Die Wände werden bis auf wenige Vitrinen in den Bereichen »Tod« und »Mobilität« im Untergeschoss nicht zur Installation von Vitrinen oder Inszenierungsmitteln genutzt, lediglich Texte sind an einigen Stellen als Folienschrift darauf angebracht. An den Decken gibt es jedoch einige Installationen, wie beispielsweise der Leichen- und der Einkaufswagen im Erdgeschoss sowie das Leitwerk der Bombe im Obergeschoss. Mit Blick auf die Anordnung und Aufstellung der Exponate fällt auf, dass sie oft schräg angehoben oder »schwebend« und in Mustern wie Kreis- oder Sternformen positioniert sind. Die Präsentation der Exponate kontextualisiert diese nicht, da die Objekte jedoch thematisch geordnet und gemeinsam mit Objekten derselben Kategorie aus anderen Zeiten präsentiert werden, wird ihre Funktion und Gebrauchsweise vermittelt. Aber auch ihre Ästhetik wird hervorgehoben – dies geschieht vor allem im Erdgeschoss nicht zuletzt auch durch die Beleuchtung. Es werden meist Einzelobjekte oder wenige Objekte nebeneinander präsentiert. Wenn sich mehrere Exponate in einer Vitrine befinden, sind das oft Fundstücke desselben Typs, aber aus unterschiedlichen Zeiten. Da die Vitrinen meist recht klein sind, sind die Exponate dicht nebeneinander positioniert. Es gibt aber in der Regel nur wenige Objekte pro Vitrine, sodass die Vitrinen nicht überfüllt wirken und die Fundstücke eher als Einzelstücke denn als Massenware wahrgenommen werden – selbst wenn es möglicherweise in der Sammlung des Museums von einigen Objekttypen noch viele weitere Exemplare gibt. Es wurde nun schon mehrfach erläutert, dass die Ausstellung thematisch strukturiert ist. Dennoch gibt es auch hier eine grobe Chronologie, auch wenn sich diese Besucher:innen ohne Fachkenntnisse nicht ohne Weiteres erschließt. Das Erdgeschoss ist vor allem der Stein-, Bronze- und Eisenzeit gewidmet, also der Ur- und Frühgeschichte. Das Obergeschoss thematisiert dagegen vor allem die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Damit wird eine ferne Vergangenheit von einer erst kürzlich vergangenen Zeit und der Gegenwart unterschieden. Außerdem verläuft im Erdgeschoss eine grobe Chronologie entgegen dem Uhrzeigersinn von der Altsteinzeit bis zur Völkerwanderungszeit. Das heißt, im Bereich »Werkstoff« ist vor allem ein Zeitabschnitt vom Paläolithikum bis zur Bronzezeit repräsentiert, im Bereich »Innovation« vor allem die Bronze- und Eisenzeit. Der Bereich »Gewalt« enthält vor allem Fundstücke der vorrömischen und provinzialrömischen Eisenzeit. Im Bereich »Tod« überwiegt Letztere. Im Bereich »Mobilität« sind vor allem Objekte aus dem frühen Mittelalter beziehungsweise der Völkerwanderungszeit ausgestellt. Der Bereich »Nahrung« schließlich umfasst vor allem Exponate der Mittel- und Jungsteinzeit und ist somit zeitlich zwischen dem Bereich »Werkstoff« und dem Bereich »Innovation« einzuordnen. Zusätzlich hat die Themeninsel eine innere Chronologie, die entgegen dem Uhrzeigersinn verläuft: Die Nahrungsbeschaffung wird vom Paläolithikum bis zum Neolithikum dargestellt, indem zunächst durch das Elchskelett und die »Erdbeerkörbchen-Vitrine« auf das Jagen von Wild und das Sammeln von Früchten verwiesen wird. Dann symbolisiert die »Fischdosen-Vitrine« erweiterte und 24
Vgl. ebd.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
verfeinerte Jagdmethoden des Mesolithikums und schließlich werden mit der »Müsliriegel-Vitrine« und den Keramikgefäßen der Anbau und die Vorratshaltung von Lebensmitteln thematisiert. Gleichzeitig liegen in einzelnen Abschnitten der Ausstellung aber auch Achronien vor, nämlich dort, wo Objekte ganz unterschiedlicher Epochen nebeneinander in einer Vitrine ausgestellt werden. Besonders deutlich geschieht das vor allem im Obergeschoss im Bereich »Werkstoff«. Chronologie wird hier – im Gegensatz zu vielen anderen archäologischen Ausstellungen – nicht zum Zweck der Demonstration ihrer Selbst präsentiert, sondern ist vielmehr nur eine Folge der Bemühungen der Ausstellungsmacher:innen, kausallogische Verhältnisse zwischen den ausgestellten Themen und Exponaten darzustellen. Während in den übrigen Dauerausstellungen der im Rahmen dieser Arbeit analysierten Museen ein Erzähltempo als Verhältnis zwischen der dargestellten Zeitspanne und dem dafür zur Verfügung gestellten Raum beschrieben werden konnte, ist das in dieser Ausstellung aufgrund ihrer thematischen Gliederung nicht ohne Weiteres möglich. Besucher:innen machen hier nicht so sehr eine Reise durch die Zeit, indem sie die Ausstellung durchwandern und in chronologischer Reihenfolge von einer Epoche zur nächsten übergehen. Sie machen vielmehr eine Entdeckungstour durch den gegebenen Raum, der gewissermaßen außerhalb der Zeit steht. Einen Zeitsprung erlebt das Publikum nur, indem es vom Erdgeschoss, das die entfernte Vergangenheit vor Beginn der Geschichtsschreibung repräsentiert, ins Obergeschoss wechselt, das die vergleichsweise erst kürzlich vergangenen Zeitabschnitte der letzten rund 1000 Jahre thematisiert. Durch die vielen vertrauten Objekte im Obergeschoss, die heute noch in gleicher Weise produziert und genutzt werden, und durch die modern aussehende Vitrinenarchitektur wirkt der Ausstellungsraum wie ein Raum der Gegenwart. Dieser Eindruck wird auch dadurch verstärkt, dass ein Blick durch die Fenster nach draußen möglich ist, sozusagen in die Realität außerhalb der Ausstellung. Im Erdgeschoss befinden sich Besucher:innen dagegen in einem von der Außenwelt abgeschotteten Raum, der die Relikte der Menschheitsgeschichte von deren Beginn bis zum Beginn des Frühmittelalters nebeneinander auf eine Stufe stellt. Ihre relative Datierung im Sinne einer Aussage wie »dieses Objekt ist jünger oder älter als das daneben« wird hier den Besucher:innen nicht vermittelt. Stattdessen wird gewissermaßen eine fiktive Ausgrabungsfläche kreiert, auf der freilich keine Stratigrafie zu beobachten ist, sondern Funde aller Zeitstufen auf derselben Ebene vorliegen. Zur Nivellierung einer zeitlichen Differenz zwischen den einzelnen Exponaten tragen auch die Installationen bei, die Motive der Gegenwart, wie beispielswiese Straßenschilder und Autos, in den Ausstellungsraum hineintragen und mit der materiellen Kultur aus ur- und frühgeschichtlichen Kontexten vermischen. Im nächsten Teilkapitel unterziehe ich neben den Texten auch die Installationen einer detaillierten Betrachtung und reflektiere ihre kommunikative Funktion.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
III.4.2 Kunst und Krempel Die Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg enthält zwar klassische Wandtexte und Schilder und ist darüber hinaus derart konzipiert, dass weitere Informationen durch ein Begleitheft bereitgestellt werden. Dennoch ist die Ausstellung nicht in erster Linie darauf ausgelegt, Informationen in Textform zu vermitteln. Eine zentrale Rolle spielen hier die Installationen, die aus einer Zusammenarbeit des Museums mit Künstler:innen sowie mit der Ravensburger Freizeit- und Promotion-Service GmbH entstanden sind. Sie sollen wissenschaftliche Informationen nonverbal kommunizieren, assoziativ wirken und die Besucher:innen zum Nachdenken anregen. Damit schaffen sie die Voraussetzung für eine rein visuelle Wirkung der Ausstellung, die dann auch von Menschen verstanden werden kann, die die Texte nicht lesen können oder wollen. Außerdem stellen sie ein wichtiges Unterhaltungselement für die Ausstellung dar. Die Entscheidung für die Inszenierungen war gleichzeitig eine bewusste Abkehr von der vorherigen Ausstellungsgestaltung: [D]as Haus hat jahrzehntelang Objekte in rechteckige Vitrinen gelegt. Da haben wir einen Cut gemacht und gesagt, jetzt wollen wir die Objekte endlich einmal inszenieren. Darum war der Inszenierungswunsch, also die Szenografie, ganz, ganz wichtig. Also nicht das Objekt in die Vitrine und höchstenfalls ein kleines Bild einer Rekonstruktion dahinter. Das war einfach vorbei, darum war der Inszenierungswunsch ganz oben.25 Die Szenografie ist folglich in dieser Ausstellung allgegenwärtig und überlagert die Vitrinen und Exponate schon beinahe, vor allem im Erdgeschoss. Die Darstellungsformen unterscheiden sich dabei grob in Pfeiler-Installationen, Vitrinen-Installationen und einzelne illustrative Objekte wie den Einkaufswagen oder die Parkuhr. Die Kunstinstallationen an den Pfeilern dienen dazu, das Thema des jeweiligen Bereichs optisch zu verdeutlichen und die Betrachter:innen zum Nachdenken darüber anzuregen. Der Zweck der Vitrinen-Installationen wie beispielsweise der »Wasservitrinen« oder der »Fischdosen-Vitrine« ist es, die Gebrauchsweise und den Kontext der Exponate zu vermitteln. Dabei dürfen alle Installationen auch angefasst und gegebenenfalls ausprobiert werden. Weitere Sinne, also Riechen, Hören und Schmecken, werden in dieser Ausstellung allerdings nicht gezielt angesprochen. Generell ist dies in den Archäologischen Landesmuseen eher unüblich, nur gelegentlich werden Soundinstallationen verwendet, beispielsweise im LWL-Museum für Archäologie in Herne. Eine Geruchsstation gibt es außerdem im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz, kurz Smac, wo unter anderem Latrinengeruch simuliert wird. In Hamburg werden, von den Installationen abgesehen, auch fast keine Bilder beziehungsweise Abbildungen eingesetzt. Es gibt lediglich eine Serie von Rekonstruktionszeichnungen des Rennofens im Begleitheft sowie schematische Fundzeichnungen von Gräbern im Obergeschoss. Die Entscheidung für eine starke dreidimensionale Inszenierung begründet der Sammlungsleiter Michael Merkel mit der »mittelmäßigen« Qualität der Sammlungsstücke:
25
Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 518.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
Wir haben eben kein keltisches Grab wie Hochdorf, wo man einen keltischen Wagen als Vehikel ins Totenreich mit drin hat. Wir sind nicht das klassische Landesmuseum, das ein Wikingerschiff hat. Sondern wir müssen mit den Funden spielen, die wir haben. Und darum begleiten die Inszenierungen unsere Funde sehr gut, finde ich. Unsere Funde sind erst mal tatsächlich mittelmäßig. Es ist nicht die klassische Landesmuseumsausstellung mit irgendwelchen Highlights, die haben wir hier in der Form nicht. Für Archäologen sind unsere Funde schon sehr interessant, aber wir haben eben keinen Goldhut, keine Mumie, kein Hochdorf … Mit so etwas kann man woanders gut spielen. Da steht das Objekt auch für sich. Aber wir hier müssen Geschichten erzählen.26 Die Inszenierung soll also ausgleichen, dass die Ausstellungsobjekte selbst nur mäßig interessant und anschaulich auf Besucher:innen ohne Fachkenntnisse wirken. Im Gegensatz zu den meisten Dauerausstellungen trägt diese in Hamburg einen Titel, der Abenteuer Archäologie: Entdecken. Erleben. Verstehen lautet. In diesem Titel steckt der Anspruch des Museums und sein Selbstverständnis kommt darin deutlich zum Ausdruck: Die Ausstellung soll für die Besucher:innen ein abenteuerliches Erlebnis sein, sie sollen aktiv die Geschichte entdecken und erleben, um sie somit zu verstehen. Damit wird artikuliert, dass das Archäologische Museum Hamburg nicht belehren, sondern seine Besucher:innen dazu animieren will, sich selbstständig mit den angebotenen Inhalten auseinanderzusetzen. Es sollen keine Deutungen vorgegeben werden. Der Unterhaltungs- und Spaßfaktor steht in dieser Ausstellung an erster Stelle. Indem die Archäologie als wissenschaftliche Disziplin als »Abenteuer« bezeichnet wird, wird eine romantische Vorstellung von der Arbeit der Archäolog:innen hervorgerufen, die durch die Ausstellungsgestaltung im Erdgeschoss verstärkt wird: Durch den unebenen, natürlich wirkenden Boden und die darin hinter Felsen versteckten und punktuell beleuchteten Vitrinen wird der Eindruck vermittelt, dass man sich auf archäologischen Ausgrabungen auf unwegsamem Gelände bewegt und gleich unterhalb der Erdoberfläche auf Schätze stößt. Die eigentliche Grabungsarbeit, die Dokumentation sowie die Bedeutung von Befunden – die wissenschaftlich oft aussagekräftiger sind als die Funde – werden nicht abgebildet. Mit den Begriffen »Entdecken« und »Erleben« im Titel wird aber suggeriert, dass die Besucher:innen hier die authentische Arbeit der Archäologie kennenlernen und die prähistorische Vergangenheit sozusagen am eigenen Leib erfahren können. Bereits im vorangegangenen Teilkapitel wurde erklärt, dass mit der gesamten Gestaltung der Ausstellung und der Abschottung des Raumes im Erdgeschoss das Ziel verfolgt wird, es dem Publikum zu ermöglichen, sich in die Vergangenheit beziehungsweise in die fiktive Situation der Ausstellung versetzt zu fühlen. Da die Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Ravensburger Freizeit- und Promotion-Service GmbH, einer Agentur innerhalb des Ravensburger Spieleverlags, erarbeitet worden ist, könnte man erwarten, dass dort viele Spiele zur Verfügung stehen. Tatsächlich gibt es jedoch nur eines zur Dendrochronologie. Die Ausstellung insgesamt stellt aber ein Spiel dar, in dem die Besucher:innen imaginär in die Rolle stereotyper Abenteurer:innen schlüpfen und die Exponate entdecken sollen.
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Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 517f.
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Mit den vielen Installationen und plakativen Symbolen entspricht die Ausstellung der assoziativen Ausstellungssprache, die Martin Schärer in seinem Buch Die Ausstellung. Theorie und Exempel als eine von vier Ausstellungssprachen unterschieden und beschrieben hat. Dabei würden Objekte mit dem Ziel kombiniert, Denkprozesse anzustoßen. Die assoziative Ausstellungssprache neige zur Abstraktion und wolle bei Besucher:innen Überlegungen auslösen, indem sie die Objekte beispielsweise durch ungewohntes Nebeneinanderstellen verfremde – so wie es in Hamburg geschieht, wenn Objekte aus ganz unterschiedlichen Zeitphasen und aus unterschiedlichen Materialien, aber mit derselben Funktion nebeneinander gezeigt werden. Schärer ist der Ansicht, dass bei geschickter Installation weitere Inszenierungsmittel sogar überflüssig würden. Die assoziative Ausstellungssprache versuche, persönliche Realitäten zu visualisieren und habe ein großes kreatives Potenzial. Sie könne die fiktive Realität der Ausstellung enttarnen, durchschaubar machen und reflektieren. Die Objekte erhalten dem Museologen zufolge in einer solchen Ausstellung ihren Wert aus einem heuristischen Ensemble und ihr polysemischer Charakter wird betont.27 Tatsächlich war gerade auch die Polysemie der Objekte ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung der Museumsleitung für dieses Ausstellungskonzept, wie der Direktor Rainer-Maria Weiss im Interview erläuterte: Jetzt habe ich hier ein Gefäß. Was mache ich damit? Da gibt es eben viele, viele Geschichten, die zu erzählen sind. Das merken wir zum Beispiel daran, dass wir zu verschiedenen Ausstellungen dasselbe Objekt benutzen, und es hat jedes Mal eine völlig andere Aussage. Es mag einmal um Töpferhandwerk gehen – also Arbeit, Handwerk, Arbeitsteilung. Mal mag es um Rohstoffgewinnung gehen – wo kommt der Ton her? Mal geht es um Kunst und Zier – Motivschatz, wie ist das Gefäß verziert? Und dann geht es bei der nächsten Ausstellung um Import und Handelsbeziehungen, wo dasselbe Gefäß eine völlig andere Geschichte erzählt.28 Da viele Objekte derselben Kategorie, also beispielsweise Keramikgefäße, Waffen und Werkzeuge, in mehreren Themenbereichen der Ausstellung vertreten sind, macht die Ausstellung ihre vielfältigen Kontexte und Bedeutungen offensichtlich. Als Bezugspunkt für diese Ausstellungssprache macht Martin Schärer Walter Benjamins Forderung nach dem Schock aus. Die gewohnten Wahrnehmungsmuster der Besucher:innen sollten also durchbrochen werden, was dazu führe, dass diese aktiv mitdenken und eine große Decodierungsarbeit leisten müssten.29 Das Beispiel der Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg belegt meines Erachtens diese These Schärers. Obwohl die Installationen in dieser Ausstellung vertraute Objekte darstellen – ein Branchenbuch, einen Leichenwagen, Fernsehgeräte, einen Kochtopf und so weiter –, überraschen sie zunächst einmal, da die meisten Besucher:innen sie in einer archäologischen Ausstellung wohl nicht erwarten würden. Des Weiteren müssen sie in ihrem Bezug zum Thema interpretiert und decodiert werden. Die Besucher:innen müssen darüber nachdenken und bewusst reflektieren, was beispielsweise ein Branchenbuch mit Werkstoffen zu tun hat. Sie müssen die Transferleistung erbringen, vom Register des 27 28 29
Vgl. Martin Schärer, Die Ausstellung, 2003, S. 127. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514. Vgl. Martin Schärer, Die Ausstellung, 2003, S. 127.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
»Branchenbuchs« auf die Spezialisierung und Differenzierung handwerklicher Berufe aufgrund unterschiedlicher Materialien zu schließen. Um die Assoziationsleistung der Betrachter:innen zu erleichtern, sind die Installationen metaphorisch konzipiert und verbinden oft ein starkes visuelles Motiv mit einem komplexen, aktuellen und gesellschaftlich relevanten Thema. Im Falle des Schweins aus Büchsenfleisch (s. Abb. 56) soll beispielsweise der Gedanke evoziert werden, dass – während in ur- und frühgeschichtlichen Zeiten Nahrung von fast allen Mitgliedern einer Gesellschaft gejagt, gesammelt und angebaut werden musste – heute die große Mehrheit einer Gesellschaft Nahrung fertig produziert und handlich verpackt im Laden nebenan erstehen kann, womit aber auch eine Entfremdung von den Nahrungsmitteln und Produktionsprozessen sowie Überproduktion und Lebensmittelverschwendung einhergehen.
Abb. 56: Das Schwein aus aufeinandergestapelten Büchsen, die laut Aufdruck Schweinefleisch enthalten, im Obergeschoss der Ausstellung (© Archäologisches Museum Hamburg)
Eine weitere und trotz des Alters der Ausstellung heute besonders aktuelle Installation ist die Plastikwelle an dem Pfeiler des Themenbereichs »Werkstoff« im Obergeschoss (s. Abb. 57). Sie stützt nicht nur die Aussage des Bereichstextes im Begleitheft, der die Moderne in Analogie zu den Epochenbezeichnungen »Steinzeit«, »Bronzezeit« und »Eisenzeit« als »Plastikzeit« ausweist.30 Mit ihren alltäglichen Wegwerfprodukten, sozusagen dem Alltagskrempel, macht sie außerdem auf Überproduktion, unverhältnismäßigen Konsum und die Umweltbelastung durch unsachgemäß entsorgte Produkte aus Kunststoff aufmerksam. Da sie sich über den davorstehenden Betrachter:innen auf-
30
Vgl. Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 115.
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bäumt und nach vorne überzuschwappen scheint, wirkt sie besonders bedrohlich und mahnend.
Abb. 57: Die Plastikwelle im Themenbereich »Werkstoff« im Obergeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg)
Abb. 58: Die Installation zum Thema »Tod« im Obergeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg)
Durch die Installationen sollen in dieser Ausstellung also kritische Überlegungen befördert werden und gleichzeitig wird durch sie offensichtlich, welche Relevanz die Erforschung der Prähistorie für heutige Gesellschaften hat. Meiner Ansicht nach wird dabei auch der von Benjamin als Schock bezeichnete Effekt gezielt eingesetzt, insbesondere um das Thema »Tod« zu adressieren (s. Abb. 58 und Abb. 48). Rainer-Maria Weiss bestreitet dabei allerdings eine provokative Absicht: Die Diskussion hatten wir so gar nicht. Wir haben nichts gewählt, um zu provozieren. Das macht man ja auch manchmal. Aber wir empfinden die Inszenierungen als sehr präzise auf das Thema bezogen. Es geht um das Thema Tod: Ein Leichenwagen. Es geht um das Thema Sesshaftwerdung: Eine riesige Holztür. Nichts ist an den Haaren herbeigezogen oder zu weit hergeholt, um zu provozieren oder weil wir uns in die Inszenierung verliebt haben. Wir haben keine Inszenierung gewählt, die eigentlich nicht sub-
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
stanziell hinterfüttert ist. Ich glaube, gerade weil es so ehrlich und so bündig ist – auch mit der Plastikwelle, die da an die Säule schwappt –, ist es völlig überzeugend.31 Die Konfrontation mit einem Leichenwagen und den Holzkisten mit Adressaufklebern ins Jenseits könnte auf einige Besucher:innen dennoch provokant wirken und besonders der Zusammenhang zwischen dem Gelben Sack und den Holzkreuzen, wie man sie von neuen Gräbern kennt, erschließt sich nicht ohne Weiteres. Da es scheint, als seien die Kreuze aus dem Müllsack herausgeschüttet worden, könnte der Umgang mit ihnen, die schließlich symbolisch für Verstorbene stehen, pietätlos wirken. Michael Merkel gab daher auch zu, an dieser Stelle der Ausstellung ein wenig provokant zu sein, und erklärte den Ursprung dieser Installation wie folgt: Der einzige Punkt, von dem ich denke, da gehen wir ein bisschen provozierend mit dem Thema um, ist oben die Säule mit den Kreuzen und dem Gelben Sack, dem »toten Punkt«. Das hat nicht ursächlich mit Archäologie zu tun, aber dann doch, weil Herr Weiss ein Foto aus Bayern mitbrachte, auf dem der Abfallhaufen hinter einer Friedhofskapelle zu sehen war, wo wildromantisch die Holzkreuze mit Efeu überwuchert wurden. Wir hatten dann darüber diskutiert, dass das, wenn man es in zweitausend Jahren ausgräbt, ein hardcore archäologischer Befund ist, der kultiger kaum sein kann. Es ist eigentlich der Müll eines rezenten Friedhofs. Da sind wir vielleicht ein bisschen provokant, aber alles andere erklärt sich von selbst und passt zu dem Thema.32 Die Installation ist also gewissermaßen ein scherzhafter Kommentar zur Deutung von Befunden als Spuren kultischer Handlungen – einem in der archäologischen Forschung häufig auftretenden Vorgehen, wenn sich Wissenschaftler:innen Befunden gegenübersehen, die sie nicht ohne Weiteres erklären können. Ohne das nötige Hintergrundwissen ist das für Besucher:innen aber nicht zu verstehen. Allenfalls könnte das Recycling-Symbol auf dem Sack als Aussage dahingehend interpretiert werden, dass nach dem Tod eine neue Existenz beginnt – ob im Jenseits als Leben nach dem Tod oder durch Reinkarnation im Diesseits, bliebe bei dieser Deutung offen. Es ist jedoch wahrscheinlicher, dass die Idee eines ewigen Lebens im Jenseits intendiert war, da der Bereich »Tod« im Obergeschoss thematisch mit der Christianisierung in und um Hamburg verbunden ist. Das kommt nicht nur durch die Holzkreuze, sondern auch durch die Installation des Taufbeckens mit dem Stempel zum Ausdruck. Aus einem Konzeptionspapier geht hervor, dass der Stempel als ein Symbol für amtliche Handlungen und Willenserklärungen in Verbindung mit dem Taufbecken die Aufnahme in die christliche Religionsgemeinschaft vermitteln soll, die viele Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod begleitet.33 Einige Installationen nehmen zwischen dem Erd- und dem Obergeschoss auch aufeinander Bezug und sollen eine Entwicklung veranschaulichen: Im Bereich »Innovation« beispielsweise wird im Erdgeschoss durch den Streichholz-Pfeiler und das »Lagerfeuer« aus Fernsehgeräten Feuer als Symbol für Innovation in den Mittelpunkt gestellt. Im Obergeschoss ist der Pfeiler zu diesem Bereich als Strommast gestaltet. Damit wird die 31 32 33
Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 517. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 517. Vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Protokoll Neugestaltung Teil 3, internes Dokument, Archivakte unter der Signatur AMH HA – AH746, S. 4.
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Beherrschung der Energiequellen Feuer und Elektrizität thematisiert und darauf verwiesen, dass Menschen nicht nur gelernt haben, Feuer zu erzeugen, sondern auch eine Energieform zu beherrschen, die sehr schnell über weite Distanzen transportiert werden kann, für die meisten Menschen jederzeit verfügbar ist und ohne große Anstrengung genutzt werden kann. Sie ermöglicht es sogar, dass nicht nur Wärme und Licht, sondern auch Kälte und sogar Eis produziert werden können. Darauf weist die Kühlschrank-Vitrine hin, in der dieselben Eiswürfelbereiter liegen, die auch in der Gletscher-Installation verbaut sind. Sie zeigen, dass Kälte zwar während der letzten Eiszeit für die Menschen eine Bedrohung war, heute aber gezielt erzeugt und genutzt werden kann. Die landschaftsverändernden Prozesse der Natur werden heute außerdem durch die großen Eingriffe des Menschen in die Landschaft ergänzt, die durch die Baggerschaufel im Obergeschoss symbolisiert sind. Die Dauerausstellung des Hamburger Museums ist also vor allem globalen, allgemeingültigen Themen gewidmet und vermittelt Entwicklungsprozesse. Mit dem Bereich zur Bodendenkmalpflege in Hamburg und dem Umland und dem zur sammlungsverwaltenden Arbeit des Museums werden außerdem lokale Spezifika thematisiert. Alle Themen werden ausschließlich mit Fundstücken aus Hamburg und der Umgebung präsentiert, wobei diese aber nur in seltenen Fällen ganz besonders typisch für die Region und in den meisten Fällen eher Repräsentanten von Objektklassen sind, die auch in anderen Regionen so auftauchen. Meist werden dabei Objekte aus verschiedenen Epochen nebeneinander ausgestellt, um kulturhistorische Entwicklungen nachvollziehbar zu machen und die Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit deutlich aufzuzeigen. Die Themen sind so gewählt, dass alle Besucher:innen, ungeachtet ihres Alters oder soziokulturellen Hintergrunds, eigene Erfahrungen daran anknüpfen können. Die Menschen der Vergangenheit werden ohne Schwerpunkt auf Altersgruppe, Geschlecht, sozialem Rang oder sonstigen Kriterien repräsentiert. Die sechs Themenbereiche werden als wesentliche Aspekte des menschlichen Lebens und der Kulturgeschichte gezeigt und sind so angeordnet, dass ein kausallogischer Zusammenhang zwischen ihnen kommuniziert wird. In der Mitte steht die Themeninsel »Nahrung« als zentrale Frage, um die sich alles Weitere dreht: Wie kann Nahrung beschafft werden, wie kann sie genießbar und haltbar gemacht werden und wie kann sie verteidigt werden? Rainer-Maria Weiss erklärte zum weiteren Zusammenhang der Themenbereiche im Interview: Es beginnt mit Werkstoff, aus der Überlegung heraus, dass der Mensch ja Dinge erfindet und in die Landschaft kommt und dabei Materialien vorfindet. […] Und dann sind wir ganz schnell bei Innovation. Nämlich die Frage: Was hat er denn mit dem Werkstoff gemacht? […] Die Innovationen führen […] zu Eigentum, zu Sesshaftwerdung und auch zu Gewalt. […] Gewalt führt zu Tod, außerdem ist Tod die Hauptquelle der Archäologie, durch die Grabfunde. […] Und dann ist zugegebenermaßen ein Sprung, weil Mobilität ein Thema ist, das man in anderen Museen so explizit vielleicht nicht machen würde. Aber eine Stadt, die so auf Logistik begründet ist wie Hamburg, als Handelsstadt und Welthafen… Da hat sich das Thema Mobilität angeboten.34
34
Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 515f.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
Durch die gesamte Ausstellungskonzeption wird zum Ausdruck gebracht, dass die prähistorische und die historische Vergangenheit sowie die Gegenwart eng verbunden sind und miteinander zusammenhängen. Die Ausstellung kommuniziert also, dass die Themen, die die Menschen schon vor 10 000 Jahren bewegt haben, sie auch heute noch bewegen. Außerdem wird gezeigt, dass die Archäologie allgegenwärtig ist und nicht nur alle Epochen bis zur Gegenwart umfasst, sondern auch überall präsent ist, selbst mitten in der heutigen Stadt. Um diese Erkenntnis bei den Besucher:innen auszulösen, wurden die in Teilkapitel III.4.1 bereits erwähnten Straßennamen auf die Treppe geschrieben (s. Abb. 59).
Abb. 59: Straßennamen auf der Treppe vom Erdgeschoss zum Obergeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg)
Rainer-Maria Weiss erklärte hierzu im Interview, dass die Straßennamen als Lokalkolorit an die Präsenz archäologischer Themen in der Stadt erinnern sollten.35 Michael Merkel gab dagegen zu bedenken, dass viele der Straßen so abgelegen seien, dass die meisten Besucher:innen sie wahrscheinlich nicht kennen würden.36 Die Installation berührt allerdings noch eine andere Problematik: Viele der Straßennamen enthalten Bezeichnungen wie »Langobarden«, »Teutonen« und »Sachsen«, also Begriffe für als germanisch geltende Stämme. In Ausstellungstexten werden außerdem die Bezeichnungen »Römer« und »Germanen« verwendet. Allerdings wird keiner dieser Kulturgruppennamen in der Ausstellung kommentiert oder kontextualisiert. Ein im Planungsprozess der Ausstellung verfasstes sogenanntes Drehbuch sah zwar ursprünglich vor, die künstliche Kategorisierung von gemeinsam auftretenden Sachfunden als Ausdruck vermeintlich kulturell homogener Gruppen zu thematisieren. Die Idee wurde jedoch letztlich nicht
35 36
Vgl. ebd., S. 517. Vgl. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 517.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
umgesetzt. Die beiden Ausstellungsmacher Weiss und Merkel begründeten dies mit dem mangelnden Unterhaltungswert des Themas: MM: Der Kulturbegriff ist ein Thema, das mich sehr interessiert hatte und das ich gerne abgebildet hätte, aber das war eines der Themen, die – auf Deutsch gesagt – keinen Menschen auf der Straße interessieren. Ob das nun die Trichterbecherkultur ist oder die Glockenbecherkultur oder die Jastorf- und Aunjetitzer-Kultur und was es da so alles gibt… Das ist schlicht weggefallen, weil das nicht zu inszenieren ist. Das ist akademisches Geschwurbel. RMW: Zu theorielastig am Ende. […] Die Treppenstufennamen haben damit überhaupt nichts zu tun.37 Wie aus dem letzten Satz hervorgeht, wurde das Thema vollständig gestrichen und auch die Straßennamen auf den Treppenstufen sollten nicht daran anknüpfen. Dennoch sind sie eines der Beispiele, wie in dieser Dauerausstellung mit solchen »Volksnamen« und der Kulturgruppen-Thematik umgegangen wird. Die Analyse der Ausstellungstexte wird später noch weitere Beispiele hierzu liefern. Neben den Installationen tragen aber natürlich auch die Ausstellungstexte und die Texte des Begleitheftes zur Kommunikation der Themen bei. Die Texte in der Ausstellung sind entweder auf den Wänden als selbstklebende geplottete Folienschrift angebracht oder in Form von bedruckten Schildern installiert. Letztere können frei im Raum stehen oder an Wand- oder Vitrinenflächen angebracht sein. Eine Ausnahme bildet der erste Text am Eingang zur Ausstellung mit dem Titel Nach der Eiszeit – Die unberührte Natur. Dieser Text, der als die Parodos der Ausstellung bezeichnet werden kann, ist als Folientext auf den Boden am Eingang geklebt. Bis auf die Texte im Bereich »Schaufenster Archäologie«, die in Weiß auf dunkelrotem Grund stehen, sind alle Texte entweder schwarz auf weißen oder weiß auf schwarzen Grund gedruckt und haben ein klares, serifenloses, gerades Schriftbild. Die einheitliche Formatierung der Texte und ihr klares Erscheinungsbild tragen zu ihrer Übersichtlichkeit bei und vermitteln den Eindruck, dass sie einfach und schnell zu lesen sind. In Anbetracht der sehr assoziativen und stark illustrativen Szenografie der Ausstellung erscheint die Anzahl der Texte sehr hoch. Allerdings sind sie stets kurz gehalten und zum größten Teil in das Begleitheft ausgelagert. Besucher:innen können nach eigenem Ermessen und Belieben auf die Informationen zu den Bereichen und Exponaten zugreifen. Eine vertiefte und detaillierte textliche Vermittlung ist also möglich, kann aber auch leicht vermieden werden. Das Begleitheft, das allen Besucher:innen leihweise in die Ausstellung mitgegeben wird und auch im Museumsshop erstanden werden kann, dient als Führer durch die Ausstellung und enthält Bereichs- und Objekttexte, die die Erzählung der Ausstellung stützen und den Kontext der einzelnen Exponate erschließen. Den Bereichstexten im Begleitheft entspricht in der Regel auch je ein Bereichstext in der Ausstellung. Sie sind inhaltlich gleich und weisen größtenteils auch dieselben Formulierungen auf. Allerdings sind die Texte im Begleitheft geringfügig ausführlicher. Die Objekttexte im Begleitheft verleihen den Exponaten Kontext. In ihnen werden Funktionsweisen, Fundgeschichten 37
Michael Merkel und Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 516f.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
und Bedeutungen erklärt. Des Weiteren führen sie die Objektdaten auf, also die jeweilige Bezeichnung, die Datierung sowie den Fundort. Darüber hinaus enthält das Begleitheft mit dem Titel Ein Rundgang durch die Zeiten Abbildungen einiger Exponate sowie Ansichten der Ausstellungsräume. Der Titel widerspricht dem Ausstellungskonzept, denn er suggeriert, dass Besucher:innen hier einen chronologischen Rundgang machen könnten. Stattdessen ist die Dauerausstellung thematisch strukturiert, ein konkretes Bewegungsmuster ist darin nicht vorgesehen. Die Räume sind so gestaltet, dass Besucher:innen sich darin möglichst frei, auch quer durch die Themenbereiche, bewegen können. Da die Vitrinen in dieser Ausstellung mit Zahlen von 1 bis 160 klar durchnummeriert sind und in dieser Reihenfolge auch im Begleitheft beschrieben werden, können Besucher:innen sich entlang dieser Nummern und mithilfe des Begleithefts auf einer vorgeschlagenen Route durch die Ausstellung bewegen. Diese richtet sich nach der intendierten Reihenfolge der Themenbereiche, beginnt also im Erdgeschoss mit dem Bereich »Werkstoff«, geht dann über zum Bereich »Nahrung« und von dort aus zum Bereich »Innovation«. Auf diesen folgen dann die Bereiche »Gewalt«, »Tod« und zuletzt »Mobilität«. Im Obergeschoss verläuft die Reihenfolge ebenso. Es schließen sich die Bereiche »Bodendenkmalpflege«, »Schaufenster Archäologie«, »Hamburg archäologisch« sowie »Sammeln und Bewahren« an. Die Nummerierung der Vitrinen innerhalb der Bereiche scheint keinen nachvollziehbaren Kriterien zu folgen, sondern willkürlich zu sein. Wie schon in den drei anderen hier analysierten Ausstellungen ist die erzählende Figur aller Ausstellungs- und Begleithefttexte in Hamburg abstrakt und tritt nicht direkt auf. In manchen Texten wird allerdings von »Archäologen« gesprochen, ohne dass die erzählende Figur als Teil dieser Gruppe präsentiert wird. Personal- und Possessivpronomen im Plural wie »wir« oder »unser« zeigen, dass die erzählende Instanz als Teil einer allgemeineren Gruppe verstanden werden soll, der sich die Leser:innen ebenfalls zugehörig fühlen sollen. Die Ausstellungstexte wurden von Mitarbeiter:innen des Museums verfasst und in mehreren Arbeitsrunden und Abstimmungsprozessen zu ihrer Endfassung gebracht. Da die Ausstellung auf Kinder, Familien und erwachsene Besucher:innen zielt, wäre zu erwarten, dass auch die Texte für all diese Gruppen verständlich und zugänglich sind. Umso auffälliger ist, dass die Leser:innen mit der Höflichkeitsform »Sie« angesprochen werden und oft auch eher bildungssprachliche Begriffe verwendet werden. Die Texte sind also nicht für Kinder gemacht, sondern für Erwachsene. Möglicherweise wird davon ausgegangen, dass Kinder ohnehin nicht gut lesen können oder nicht gerne lesen und beim Familienbesuch die Eltern den Kindern deshalb erklären, was in den Texten steht. Im Sinne von Mieke Bal kann als fabula der Texte sowie der Ausstellung insgesamt die kulturhistorische Entwicklung der Menschheit und der Umwelt in Hamburg und Norddeutschland von der letzten Eiszeit bis in die jüngste Vergangenheit benannt werden. Es geht also um Lebensweisen, Praktiken, Techniken, Kulte ebenso wie um die Entdeckung archäologischer Fundstätten im Gebiet Hamburgs, des Landkreises Harburg und Norddeutschlands. Die story ist dagegen die in der Ausstellung in der konkreten Form und Anordnung der Installationen, Exponate, Texte und sonstigen Elemente der Präsentation erfolgende Erläuterung dessen, was über ausgewählte Themen der Vergangenheit Hamburgs und seiner Umgebung – nämlich der Themen Nahrung, Werkstoff, Innovation, Gewalt, Tod und Mobilität – vom Paläolithikum bis in die Mitte des 20. Jahrhun-
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derts nach aktuellem Forschungsstand bekannt ist und in welcher Verbindung dies zur heutigen Lebenswelt der Besucher:innen gesehen werden kann. Ergänzt wird diese story durch Informationen zur Bodendenkmalpflege in Hamburg und zur Sammlungstätigkeit des Museums. Die Texte sind dafür weder besonders wissenschaftlich noch bildhaft formuliert und sie vermeiden moralisch wertende Aussagen. Nur der Text Von der Selbstversorgung zur Überproduktion im Begleitheft beschreibt, dass bis heute in manchen Teilen der Welt Menschen hungern, während in Europa Lebensmittel überproduziert und zum Teil vernichtet werden.38 Oft werden Gebiete wie Norddeutschland oder Hamburg und Umgebung genannt, wodurch den Leser:innen der geografische Bezugsrahmen vermittelt wird. Des Weiteren werden meist Zeitspannen oder Zeitpunkte genannt, zum Beispiel »vor 40.000 Jahren« im Ausstellungstext Nach der Eiszeit – Die unberührte Natur oder »410 n. Chr.« im Ausstellungstext Völkerwanderungszeit – Eine Welt in Aufruhr. Dadurch wird den Leser:innen der zeitliche Bezugsrahmen verdeutlicht. Häufig werden dabei auch Zahlen und Begriffe sowie Superlative verwendet, die die Besucher:innen beeindrucken sollen. Beispiele hierfür sind: »Treten Sie ein durch die Gletscherspalte aus 25 000 Eiswürfelformen«39 , »Die weltweit ältesten bekannten Radspuren stammen aus Norddeutschland und sind über 5 000 Jahre alt; möglicherweise ist das Rad also hier erfunden worden«40 und »Das Archäologische Museum Hamburg besitzt mit über 2,5 Millionen Fundstücken […] eine der größten archäologischen Sammlungen Norddeutschlands«41 . Die Titel der Bereichstexte enthalten meist das Schlagwort des jeweiligen Themenbereichs und sind bildhaft formuliert. Vor allem im Bereich »Gewalt« im Obergeschoss nähern sich einige einem reißerischen Vokabular an, etwa mit Formulierungen wie Archäologie des Grauens sowie Krieg, Mord und Todesstrafe.42 Die Titel sollen also mit wenigen prägnanten Worten das Thema des Textes vermitteln und die Neugier der Leser:innen wecken. Im Titel zum Text Kulturlandschaft, der nur in der Ausstellung und nicht im Begleitheft abgedruckt ist, steckt ein Bibelzitat: Kulturlandschaft – Macht euch die Erde untertan nimmt Bezug auf die Schöpfungsgeschichte im Alten Testament.43 Dies könnte so gedeutet werden, dass damit der Eingriff der Menschen in die Natur indirekt durch Berufung auf einen göttlichen Auftrag legitimiert werden soll. Möglicherweise soll damit aber auch nur das Selbstverständnis der Menschen zum Ausdruck gebracht werden, an der Spitze der Hierarchie über der Natur zu stehen. In den Bereichstexten geht es stets darum, die kulturhistorische Entwicklung der Menschheit einerseits und die Arbeit von Archäolog:innen andererseits zu erläutern. Oft 38 39 40 41 42 43
Vgl. Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 125. Ebd., S. 11. Ebd., S. 95. Ebd., S. 207. Der Text »Archäologie des Grauens« ist nur in der Ausstellung abgedruckt, für den Text »Krieg, Mord und Todesstrafe« vgl. Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 141. In der Lutherbibel lautet der vollständige Vers: »Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.« (Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, 1. Buch Mose, Vers 1,28.)
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
werden auch die Inszenierungen erklärt oder die Leser:innen beziehungsweise Besucher:innen werden aufgefordert, die Installationen aktiv zu nutzen. So beispielsweise im Ausstellungstext Die Elbe – Hamburgs Lebensader, in dem steht: »Die Inszenierung greift dies spielerisch mit dem großen Elbwasserhahn auf, dem der Strom entspringt«. Oder in dem Ausstellungstext Dendrochronologie – Bäume erzählen Geschichte, in dem zu lesen ist: »Probieren Sie es selbst aus und bestimmen das Alter der fünf Eichenstämme!«44 Immer wieder wird in den Texten die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart betont. Der Ausstellungstext Dem Menschen geht ein Licht auf – Vom Feuer zur Glühbirne im Bereich »Innovation« im Erdgeschoss lautet zum Beispiel: Erst vor wenigen tausend Jahren beginnen die Menschen, Feuer auch für andere Zwecke einzusetzen: Sie schmelzen Metall, zunächst Kupfer und dann Kupfer vermischt mit Zinn zu Bronze, später verhütten sie Erz und schmieden Eisen. Feuerwaffen, Heizungen und Verbrennungsmotoren brauchen die Kraft der Flammen. Die Erfindung der Dampfmaschine schafft schließlich die Basis für die Industrialisierung, die alles revolutioniert und ohne die unsere heutige Welt nicht denkbar wäre.45 Im Ausstellungstext Römer und Germanen – Freund und Feind wird am deutlichsten eine Terminologie verwendet, die den Eindruck erwecken kann, als handele es sich bei diesen Bezeichnungen um die Namen vermeintlich kulturell und ethnisch homogener Gruppen. Es wird zwar darauf aufmerksam gemacht, dass der Begriff »Germanen« eine Bezeichnung der »Römer« ist, die eine Vielzahl von Stämmen umfasst. Näher wird auf den Kontext des Begriffs und auf den wissenschaftlichen Forschungsstand zu den als »germanisch« angesprochenen Gruppen aber nicht eingegangen. Auch im Ausstellungstext Völkerwanderungszeit – Eine Welt in Aufruhr werden Gruppen wie »die Hunnen«, »die Sachsen« und »die Angeln« genannt. Das Problem der künstlichen Kategorisierung von Gruppen als »Völker«, »Stämme« oder »Kulturen« wird aber in den Texten nicht behandelt und es wird auch nicht kritisch reflektiert, in welche Verhältnisse solche vermeintlichen »Völker« zueinander gesetzt werden. Grund dafür war eine bewusste Entscheidung der Ausstellungsmacher:innen, die bereits im Zusammenhang mit der Installation der Straßennamen diskutiert wurde. Der Ausstellungstext Tod – Vom Hügelgrab zum Kirchenfriedhof und auch der Begleithefttext Vom Hügelgrab zum Kirchfriedhof beginnen mit dem Satz »Die christliche Religion ist die wichtigste Wurzel unserer Kultur.« Hier wird also das Christentum als das prägendste Element der kulturellen Identität vorgestellt, der sich die erzählende Figur zugehörig fühlt, die sie repräsentiert und der sich, so könnte man interpretieren, auch die Leser:innen zugehörig fühlen sollen.46 Die Texte im Begleitheft sind in unterschiedlichen Zeitformen verfasst. Ein Schema oder ein System hinter der Verwendung der Zeitformen ist aber nicht zu erkennen. Die 44
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Beide Texte sind nur in der Ausstellung und nicht im Begleitheft abgedruckt (vgl. Archäologisches Museum Hamburg, Text Die Elbe – Hamburgs Lebensader und Text Dendrochronologie – Bäume erzählen Geschichte, beide im Erdgeschoss). Der Text ist in dieser Form nur in der Ausstellung abgedruckt (Archäologisches Museum Hamburg, Text Dem Menschen geht ein Licht auf – Vom Feuer zur Glühbirne, im Erdgeschoss). Im Begleitheft ist ein Teil des Bereichstextes mit dem Titel Zündende Ideen jedoch sehr ähnlich formuliert (vgl. hierzu Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 45). Vgl. Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 151.
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Ausstellungstexte sind dagegen überwiegend im Präsens verfasst und vermitteln somit den Eindruck von Aktualität der ur- und frühgeschichtlichen Inhalte. Die Besucher:innen werden in die Vergangenheit zurückversetzt. Nur an wenigen Stellen werden Vergangenheitsformen verwendet. Auffallend ist, dass gerade im Text Archäologie des Grauens – Ausgrabungen in Konzentrationslagern in den beiden letzten Abschnitten das Präteritum verwendet wird, obwohl die darin beschriebenen Ereignisse zwischen 1938 und 2004 liegen und somit noch vergleichsweise gegenwärtig sind: Das zentrale norddeutsche Konzentrationslager befand sich seit 1938 in Neuengamme. Hierher wurden Menschen aus ganz Europa zur Ziegel- und Rüstungsfabrikation verschleppt. Bis zum Kriegsende 1945 kamen 55.000 der in Neuengamme inhaftierten 106.000 Menschen um. Das Archäologische Museum Hamburg führte dort in den Jahren 2003 und 2004 Ausgrabungen durch, aus denen die hier gezeigten Funde stammen.47 Dass ausgerechnet die Verbrechen der NS-Zeit und deren archäologische Aufarbeitung im Präteritum beschrieben werden, schafft eine Distanz der Leser:innen zu den beschriebenen Inhalten, während selbst Prozesse der letzten Eiszeit im Präsens beschrieben werden und somit aktuell und nah wirken. Die meisten Texte sind darauf ausgelegt, die Leser:innen in die Vergangenheit zu versetzen und sie diese scheinbar »erleben« zu lassen. Gerade wenn es um die menschenverachtenden Ereignisse in Konzentrationslagern geht, wird diese Nähe aber nicht simuliert. Das könnte dem emotionalen Schutz der Besucher:innen dienen, aber es besteht auch das Risiko, dass das Thema damit als abgeschlossen und überholt erscheint. Beispielhaft sollen nun noch die beiden Einführungstexte der Ausstellung mit Blick auf ihre inhaltliche Aussage und somit auf die durch sie bewirkte Einstimmung der Besucher:innen analysiert werden. Der Einleitungstext im Begleitheft ist wesentlich länger als der in der Ausstellung abgedruckte und ist in vier Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt werden die Leser:innen als »Besucher« angesprochen und im Museum willkommen geheißen. Es wird in wenigen Sätzen beschrieben, was sie in der Ausstellung erwartet, nämlich eine »spannende Entdeckungsreise durch 40 000 Jahre Menschheitsgeschichte […] [auf] einer Ausstellungsfläche von über 1 300 qm«. Auch die zentrale Frage der Ausstellung wird genannt: »Woher kommen wir und wohin entwickeln wir uns?« In dieser Ausstellung soll es demnach um existenzielle Fragen gehen – und somit um Identität. Im zweiten Abschnitt wird erklärt, dass die Ausstellung sich in die sechs Themenbereiche »Werkstoff«, »Innovation«, »Gewalt«, »Tod«, »Mobilität« und »Nahrung« gliedert. Im dritten Abschnitt wird das Ansinnen der Ausstellung erläutert, die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufzuzeigen. Dabei wird die grobe chronologische Teilung der Ausstellung in einen Ausstellungsbereich zur Vergangenheit im Erdgeschoss und einen zur Gegenwart und einer möglichen Zukunft im Obergeschoss beschrieben und auf die Blickachsen durch die Sichtfenster in der Zwischendecke hingewiesen. Im vierten Abschnitt wird erläutert, dass die Themenbereiche und die Vitrinen
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Archäologisches Museum Hamburg, Text Archäologie des Grauens – Ausgrabungen in Konzentrationslagern, im Obergeschoss.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
als Rundgang konzipiert sind, dem man mittels der Nummerierungen an den Vitrinen folgen kann. Die Besucher:innen werden aber auch konkret dazu aufgefordert, ihren eigenen Weg durch die Ausstellung zu machen. Es wird betont, dass die Ausstellung die Zusammenhänge zwischen den Menschen, ihrer Umwelt und ihrer Kultur in den Mittelpunkt stellen will und daher auf eine chronologische Struktur verzichtet wird. Der Text ist so formuliert, dass er den Besucher:innen knapp und sachlich erklärt, wie diese Ausstellung funktioniert, und sie zugleich mit zugkräftigen Begriffen wie »Entdeckungsreise« oder »Themenwelten« dazu anregt, in der Ausstellung aktiv zu werden. Der Ausstellungsbesuch wird als »spannende Entdeckungsreise« dargestellt und die Besucher:innen als »Spurensucher« und Entdecker:innen angesprochen, insbesondere im ersten Abschnitt des Textes. Damit wird an das Bild der Archäolog:innen als Abenteurer:innen angeknüpft, wohl um das Interesse der Leser:innen zu wecken und sie zu motivieren.48 Der in der Ausstellung abgedruckte Einleitungstext ist dagegen ganz anders gestaltet. Er trägt den Titel Nach der Eiszeit – Die unberührte Natur und steht am Eingang zur Ausstellung im Erdgeschoss auf dem Boden, sodass die Besucher:innen ihn beim Betreten des Ausstellungsraumes auf jeden Fall wahrnehmen und als Einstieg in die Ausstellung lesen können. Nach der Eiszeit – Die unberührte Natur Vor dem ersten Auftreten des Menschen formt die Natur die Erdoberfläche. Wind, Wasser, Eis und Hitze sorgen für eine ständige Veränderung der Landschaft. Dieser natürliche Prozess kann Jahrmillionen dauern, wie die Entstehung der Gebirge, aber auch nur wenige Stunden, wie die Veränderung der Küste nach einer Sturmflut. Die ersten Menschen, die den Hamburger Raum vor 40.000 Jahren erreichen, leben als Sammler und Jäger im Einklang mit der Natur. Dies ändert sich erst in der Jungsteinzeit mit der Urbarmachung für Ackerbau, Hausbau und Viehzucht. Treten Sie ein durch die Gletscherspalte aus 25.000 Eiswürfelformen und verfolgen Sie die Kulturgeschichte unserer Region von der eiszeitlichen Gletscherlandschaft bis zur Gegenwart!49 Es geht in diesem Text zunächst um die Veränderung und Formung von Landschaften durch die Natur, insbesondere durch den Wechsel von Warm- und Kaltzeiten, vor dem Auftreten der ersten Menschen. Des Weiteren wird die Ausgangslage für die Ausstellung skizziert, indem beschrieben wird, dass die »ersten Menschen, die den Hamburger Raum vor 40.000 Jahren erreichten«, als Jäger und Sammler im Einklang mit der Natur gelebt hätten. Zuletzt werden die Leser:innen aufgefordert, durch die Installation der Gletscherspalte einzutreten und die Kulturgeschichte der Region nachzuvollziehen. Der Text spricht vom »Hamburger Raum« und »unserer Region«. Die erzählende Instanz wird also als Teil eines in Hamburg und seiner Umgebung ansässigen Kollektivs angedeutet. Ob die Besucher:innen sich diesem ebenfalls zugehörig fühlen oder nicht, ist wohl individuell unterschiedlich. Indem erläutert wird, dass die ersten Menschen vor 40 000 Jahren im Gebiet des heutigen Hamburgs lebten, wird ein Zeitpunkt gesetzt, an 48 49
Vgl. Rüdiger Articus u.a., Ein Rundgang durch die Zeiten, 2009, S. 10f., Zitate S. 10. Archäologisches Museum Hamburg, Text Nach der Eiszeit – Die unberührte Natur, im Erdgeschoss.
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dem die Ausstellung anfängt. Die Leser:innen werden durch diesen Text also an einen bestimmten Ort und in eine bestimmte Zeit »versetzt« und aufgefordert, von dort an den Weg bis in ihre eigene Gegenwart zu verfolgen. Dies ist insofern ironisch, als die Ausstellung eigentlich nicht chronologisch, sondern thematisch gegliedert ist, sodass eine Wanderung durch die Zeit nicht möglich sein sollte. Andererseits beinhaltet die Dauerausstellung bei genauerem Hinsehen doch eine grobe Chronologie, wie bereits im vorangegangenen Teilkapitel erläutert wurde. In diesem Punkt ist das Konzept also nicht völlig stringent eingehalten – die Ausstellung ist sogar geradezu paradox, weil sie, also die Ausstellung als Ganzes, unterschiedliche Epochen und Zeitebenen in ihrem Raum zu einem Moment der Gleichzeitigkeit verschmilzt, aber innerhalb dieses Raums doch auch das Vergehen der Zeit andeutet. Die Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg kann somit als der museale Versuch einer Verkörperung des von Botho Strauß in seinem Roman Der junge Mann konzipierten Gefäßes gesehen werden, das durch die Geschichte reicht und Bruchstücke unterschiedlichster Zeitpunkte in eine Gleichzeitigkeit überführt. Strauß lässt einen Sachverständigen, der einen äußerst kuriosen Fall untersucht, folgenden Vergleich anstellen: »Wir befinden uns sozusagen in der Lage eines Archäologen, der an seiner Ausgrabungsstätte alle Bruchstücke und Scherben eines Gefäßes gefunden hat, tatsächlich alle. Und siehe da, sie passen auch haargenau aufeinander, sie fügen sich nahtlos zu einem formschönen Ganzen. Nur stammen sie offenkundig aus den verschiedensten Epochen und Zeitschichten, und das Gefäß, das sich daraus so mustergültig und harmonisch rekonstruieren ließ, das kann es zu keinem einzigen Zeitpunkt der Menschengeschichte gegeben haben.«50 Konzipiert wird also ein Gefäß, das vollständig und wie aus einem Guss ist, obwohl es aus Bruchstücken zusammengesetzt ist, die aus unterschiedlichen Zeitphasen stammen und nie so zusammengesetzt gewesen sein können. Im Roman gibt ein Zuhörer des Vergleichs daher zu bedenken, dass es ein solches Gefäß natürlich nicht gegeben haben kann, da dies »am Ende der fertige Krug [wäre], in dem man alle Geschichte verschließen und davontragen könnte«.51 Ein Gefäß dieser Art, in dem asynchrone Fragmente zu einem synchronen Ding verschmelzen, kann also eigentlich nicht gedacht werden.52 Der junge Mann erwidert auf den Einwand daher auch, dass ein solches Gefäß nicht hergestellt werden soll, obwohl es nun möglich wäre: »Nun ja, Sie sehen selbst […] wir tun unser Bestes, es nicht bis dahin kommen zu lassen. Denn das wertvolle Material unserer Erkenntnisse lassen wir vorerst in Scherben liegen, wir bieten es unter völlig offenen Gesichtspunkten dar, offen bis auf den Grund,
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Botho Strauß, Der junge Mann, 1987, S. 130f., Hervorhebungen i. O. Vgl. ebd., S. 131, Hervorhebung i. O. Darauf hat auch Stefan Willer verwiesen und aufgezeigt, dass Straußʼ Roman »in seinem archäologischen Verfahren der Traditionsbildung ›quer durch die Geschichte‹ operieren« kann, indem er den eigenen Textverlauf und die Literaturgeschichte mit Querverweisen und Selbstbezügen jederzeit verfügbar hält (vgl. Stefan Willer, Botho Strauß zur Einführung, 2000, S. 88).
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
wenn Sie mich recht verstehen. Wir werden den quer durch die Geschichte reichenden Krug nicht zusammenfügen, obgleich wir dazu unglücklicherweise imstande wären.«53 Archäologische Ausstellungen lassen die Erkenntnisse der archäologischen Forschung aber per se nicht in Scherben liegen. Ihr Sinn besteht ja eben in der Präsentation der aufgesammelten Fragmente, in der (Re-)Kontextualisierung dieser sowie in der Vermittlung der damit verbundenen Erkenntnisse. Und kaum eine Ausstellung Archäologischer Landesmuseen in Deutschland funktioniert dabei so ähnlich dem von Strauß gedachten Krug wie die Dauerausstellung des hamburgischen Archäologischen Landesmuseums. Sie scheint vollkommen, logisch und umfassend zu sein, obwohl sie Fragmente unterschiedlichster Epochen nicht nur aneinanderreiht, sondern sie alle miteinander verbindet und zusammenfügt und dabei beinah eine Gleichzeitigkeit herstellt, die lediglich durch den offensichtlichen Zeitsprung zwischen Erd- und Obergeschoss gebrochen wird – wobei aber trotz des Sprungs in beiden Ausstellungsbereichen auch Exponate der jeweils anderen Zeitstufe vorhanden sind.54 Das Risiko einer Konstruktion einer vollkommen und logisch erscheinenden Vor-Geschichte sollte dabei inzwischen offenkundig sein: Indem für das Ausstellungsnarrativ Elemente ausgewählt werden, die genau zueinander zu passen scheinen und ein nahtlos sich zusammenfügendes Gesamtbild ergeben, wird der Eindruck erweckt, die Ausstellung böte die richtigen Antworten auf alle potentiellen Fragen. Das wird vor allem durch die Texte unterstrichen, die sehr stark normativ formuliert sind. Die Ausstellung lässt damit kaum eine andere Deutung zu, sondern erhebt den Anspruch einer Absolutheit und ist zumindest in Teilen nicht offen für andere Perspektiven – beispielsweise eine Perspektive, die auf einer nicht-christlichen Sozialisierung fußt. Diesem Risiko sind alle hier besprochenen Ausstellungen aufgrund ihrer Narrativität ausgesetzt – Denkanstöße für einen reflektierten und für die Ausstellungserstellung produktiven Umgang mit dieser Problematik formuliere ich im Schlussteil dieser Arbeit.
III.4.3 Gegenwärtige Archäologie und archäologische Gegenwart Die Dauerausstellung im Archäologischen Museum Hamburg verkörpert wie kaum eine andere Ausstellung in einem deutschen Archäologischen Landesmuseum die Strategie einer starken und spielerischen Inszenierung. Zwar gibt es in der Hamburger Ausstellung viele Texte, insbesondere im Begleitheft, aber sie sind stets kurz und neutral gehalten. Die Ausstellung ist insgesamt so gestaltet, dass Besucher:innen dazu eingeladen werden, sich spielerisch in die Rolle von Entdecker:innen zu begeben. Allerdings gibt es kaum eine Station, an der die Besucher:innen selbst tatsächlich aktiv werden können
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Botho Strauß, Der junge Mann, 1987, S. 131. Dieser kurze Verweis auf die interessante Zeitlichkeit der Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg macht augenscheinlich, dass die Zeitverhältnisse und das Thema Zeit insgesamt in solchen Ausstellungen äußerst spannend, aber auch komplex und vielschichtig sind. Mit Blick auf die zentrale Fragestellung dieses Projekts wurde dem nur in stark begrenztem Umfang durch Analysen der Ausstellungschronologien und der in den Ausstellungstexten verwendeten Zeitformen nachgegangen.
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und Objekte nicht nur ansehen und anfassen, sondern auch bearbeiten oder damit agieren können. Das Dendrochronologie-Spiel im Bereich »Werkstoff« im Erdgeschoss bildet hierzu die Ausnahme. Das Museum will ein »Erlebnis für die ganze Familie« sein, das »einen lebendigen und faszinierenden Einblick in die Vor- und Frühgeschichte Norddeutschlands bietet« und bei dem die Besucher:innen »in Eigenregie und aktiv durch Anfassen und Ausprobieren spielerisch und sinnlich erforschen« können, wie die Kulturgeschichte des Menschen verlaufen ist.55 Gerade zum Ausprobieren besteht aber kaum Gelegenheit. Die Inszenierungen können vor allem passiv erlebt werden, in diesem Punkt unterscheidet sich das Hamburger Ausstellungskonzept nicht von anderen Konzepten mit »klassischer« Vitrinenarchitektur – nicht einmal von der White-Cube-Inszenierung im Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes, auch wenn diese scheinbar die entgegengesetzte Form einer Dauerausstellung hervorbringt. Die Inszenierungsstrategie des Archäologischen Museums Hamburg bietet sowohl Vor- als auch Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, dass die künstlerischen Installationen – anders als die Texte der Ausstellung – eine assoziative Vermittlung von Themen ermöglichen. Sie verwenden zwar bekannte, zeitgenössische Motive, sind dabei aber relativ bedeutungsoffen und können von den Betrachter:innen abhängig von deren persönlichem Erfahrungshorizont interpretiert werden. So können Besucher:innen einen jeweils persönlichen Bezug zu den Ausstellungsthemen aufbauen. Außerdem sind die Installationen in vielen Fällen sehr unterhaltsam. Bei allem Unterhaltungswert birgt die starke Inszenierung hier aber auch Risiken. Gerade weil die gestalterischen Elemente assoziativ wirken, ist nicht garantiert, dass Betrachter:innen aus ihnen tatsächlich das Intendierte ableiten. Das heißt, die Installationen können missverstanden oder sogar gar nicht verstanden werden und auf die Besucher:innen irritierend wirken. Dass mit den klassischen Erwartungshaltungen an eine Ausstellung zur Ur- und Frühgeschichte gebrochen wird, ruft nicht zwangsweise positive Reaktionen hervor, wie ich im Zuge meiner Arbeit in der Ausstellung beobachten konnte. Auch droht die Szenografie die Objekte in manchen Fällen zu überlagern. Einige Haubenvitrinen können in der Gerölllandschaft im Erdgeschoss leicht übersehen werden und die Sondervitrinen sind nicht optimal einsehbar; zudem stellen sie eine so eindrucksvolle Hülle dar, dass von den Exponaten darin abgelenkt wird. Rainer-Maria Weiss verteidigt das Konzept jedoch und betont, dass das Museum keinerlei Kritik dafür erfahren habe. Die Inszenierung diene nur dem sinnlichen Erleben der Ausstellungserzählung und lenke nicht von den Objekten ab.56 Ungewöhnlich für Dauerausstellungen Archäologischer Landesmuseen sind die Abkehr von einer klaren chronologischen Ausstellungsgliederung und die Entscheidung für eine thematische Struktur. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind in dieser Ausstellung geradezu gleichzeitig und so eng verwoben, dass nur angesichts der beiden Ausstellungsräume auf zwei Stockwerken eine grobe Unterscheidung erkennbar ist. Auch die Ergebnisse der archäologischen Forschung zur Gegenwart werden hier präsentiert, sodass nicht nur die archäologische Vergangenheit gegenwärtig gemacht wird, sondern auch die Gegenwart als archäologisches Forschungsobjekt erscheint. Dies erlaubt es, eine Verbindung zwischen der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit und der aktu55 56
Vgl. Beate Trede, Neueröffnung, 2008, S. 147. Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 517.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
ellen Lebenswelt der Besucher:innen offensichtlich werden zu lassen und sogar an zukünftige Entwicklungen anzuknüpfen. Beispielsweise evoziert die Plastikwelle im Bereich »Werkstoff« im Obergeschoss einen Ausblick auf die Zukunft und wirft die Frage auf, wie die Menschen derzeit und zukünftig mit der Überproduktion, der unsachgemäßen Entsorgung von Kunststoffartikeln und den daraus resultierenden Umweltschäden umgehen. Die Bedeutung von archäologischer Forschung für das alltägliche Leben der Besucher:innen wird durch diese und viele weitere Installationen in dieser Ausstellung leicht nachvollziehbar, was dazu beitragen kann, dass die Wissenschaft öffentliche Unterstützung erfährt. Die Entscheidung für dieses Konzept und die Auswahl der Themen habe nach gründlichen Überlegungen auf der Basis der Sammlung stattgefunden, so Weiss: Von der chronologischen [Ordnung] haben wir uns recht schnell verabschiedet. Das liegt ganz einfach daran, dass in diesen Regionen hier etliche Epochen im archäologischen Kontext weitgehend ausfallen. Weil beispielsweise die Beigabensitten dazu führten, dass sich in den Gräbern kaum etwas findet, oder weil die jeweiligen Kulturen nicht gerade Höchstleistungen hervorgebracht und wenig hinterlassen haben und … und … und … Also haben wir uns für Thematisches entschieden, und da können wir uns ja eine Rubrik »Tracht« oder »Geschlechterrollen« wünschen. Aber wenn wir keine Funde dazu haben, nützt das nichts. Also haben wir uns für etwas entschieden, was einem logischen Ablauf folgt.57 Neben diesem inhaltlichen Auswahlkriterium der Themen spielte aber auch ihr Inszenierungspotenzial und eine vonseiten des Museums antizipierte Erwartungshaltung der Besucher:innen bei der Entscheidung eine Rolle: Wenn Sie zwei Themen haben, die wissenschaftlich gleich spannend sind, aber das eine lässt sich mit viel besseren Bildern erzählen, wo die Gestalter nur so sprühen vor Fantasie, dann haben wir uns dafür entschieden. Natürlich unter Museumsaspekten, unter Berücksichtigung auch – das finde ich auch Gebot der Fairness – der Erwartungshaltung der Besucher. Wir machen ja nicht für uns ein Museum, damit wir glücklich sind, völlig egal, was die Besucher denken. Sondern wir müssen ja als wirtschaftlich tätiger Betrieb auch an die Besucher denken. Also überlegt man natürlich auch bei allem: Was sind die Themen, die wir auch den Besuchern vermitteln wollen?58 Die Ausstellungsmacher:innen haben also in ihre Planungen einbezogen, was Besucher:innen im Museum möglicherweise gerne sehen möchten. Offenbar wurde beispielsweise davon ausgegangen, dass das Publikum nicht an der Klassifizierung von sogenannten Kulturgruppen in der Archäologie oder an der »Germanen«-Problematik interessiert ist.59 Zwar kennen Museen ihre Besucher:innen natürlich durch die tägliche Arbeit mit ihnen und sind häufig auch mit ihnen im Gespräch – das heißt, vor allem
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Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 515. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 516. Vgl. hierzu das vorherige Teilkapitel sowie Michael Merkel und Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 516f.
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Teil III: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
die Mitarbeiter:innen im direkten »Kundenkontakt« wie Aufsichts- und Servicepersonal sowie Museumspädagog:innen stehen in täglichem Austausch mit dem Publikum, während in vielen Häusern die oberen Leitungsebenen vergleichsweise selten mit den Besucher:innen in produktiven Austausch treten. Valide und aktuelle Befragungsergebnisse zu den Interessen und Erwartungen des Publikums scheinen darüber hinaus aber nur in den wenigsten Fällen vorzuliegen. Können sich Ausstellungsmacher:innen somit sicher sein, dass diese Vermutungen auch tatsächlich zutreffen? Möglicherweise liegt in der Besucher:innen- und Nichtbesucher:innenforschung für alle Archäologischen Landesmuseen noch ein erhebliches Erkenntnispotenzial. Ein Museum hat aufgrund seiner Rolle als Wissenschaftsinstitution und »Träger« von Gedächtnis eine autoritäre Stimme. Wenn es auch nicht der ausschlaggebende Faktor im öffentlichen Diskurs ist, so trägt es doch zumindest zu diesem bei. Die Entscheidung der Hamburger Ausstellungsmacher:innen, die Konstruktion von Gruppenidentitäten durch die archäologische Forschung nicht zu thematisieren, führte dazu, dass ethnische Begriffe wie »die Germanen« in der Ausstellung unkommentierte Verwendung finden und so als Bezeichnungen für homogene und klar umgrenzte Völker missdeutet werden könnten. Die von den Gesprächspartnern vertretene Haltung, dass dieses Thema zu wissenschaftlich, zu theoretisch und nicht zu inszenieren sei, irritiert mit Blick auf den Bildungsauftrag Archäologischer Landesmuseen. Im Zuge meiner Recherchen und Diskussionen an Museen, auch im Rahmen von Tagungen und Kolloquien, wurde jedoch deutlich, dass diese Meinung von vielen Museumsmitarbeiter:innen und -direktor:innen geteilt wird. Begründet wird dies damit, dass Besucher:innen eine Erklärung dieses komplexen Themas nicht verstehen und sich auch nicht dafür interessieren würden oder dass sie eine solche Erklärung als Missionierungsversuch bewerten und daher mit Unmut und Ablehnung darauf reagieren würden. Anstatt nach Wegen zu suchen, dieses und ähnlich sensible Themen leicht verständlich, interessant und ansprechend aufzubereiten, neigen vielen Museen also eher dazu, sie zu meiden. Dass dies auch anders geht, zeigt allerdings das Archäologische Landesmuseum Brandenburg im Paulikloster, dem die anschauliche und künstlerisch gestaltete Behandlung des Themas durchaus gelungen ist. Dort versinnbildlichen changierende Linsenrasterbilder (sogenannte Wackelbilder) von Darstellungen von »Germanen« die problematische Mystifizierung derselben, die zusätzlich durch mehrere Texte erläutert wird. Von der Installation wird die Aufmerksamkeit der Besucher:innen dann auf die Exponate im Raum umgelenkt, anhand derer der wissenschaftliche Kenntnisstand zu der Thematik vermittelt wird. Gerade angesichts der Entscheidung gegen die Darstellung dieser Problematik ist zudem die von Rainer-Maria Weiss vertretene – und in persönlichen Gesprächen mit anderen Museumsarchäolog:innen ebenfalls wahrnehmbare – Überzeugung bemerkenswert, dass die Archäolog:innen ihren Umgang mit kulturellem Erbe und kultureller Identität nicht reflektieren müssten, weil sie ganz selbstverständlich und automatisch »die tote Materie« zum Sprechen brächten und damit »sicherlich das Richtige« täten.60 Dies könnte nun so verstanden werden, dass Archäolog:innen qua Beruf gewissermaßen
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Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 514, Zitate ebd.
III.4 Die assoziative Ausstellung im Archäologischen Museum Hamburg
unweigerlich dazu befähigt beziehungsweise Expert:innen dafür seien, Wissenschaftskommunikation in Form von Ausstellungen zu betreiben. Tatsächlich ist dies jedoch zumindest von der Ausbildung in diesem Fachbereich nicht zu erwarten, denn in den meisten archäologischen Studiengängen sind Museumsarbeit und Didaktik allenfalls ein kleiner Teil des Curriculums, wie auch Hans Nortmann vom Rheinischen Landesmuseum Trier im Interview bestätigte.61 Eine systematische Ausbildung zu den vielfältigen Aufgaben und nötigen Kompetenzen für die Museumsarbeit steht gegenüber der fachlichen Ausbildung der Archäologie im Hintergrund und kann nur durch Eigeninitiative sowie durch praktische Erfahrungen im Berufsleben ausgeglichen werden. So werden zwar tatsächlich die meisten Museumsarchäolog:innen mit der Zeit zu Expert:innen für das Ausstellungswesen, den Anspruch, unfehlbar zu sein, kann man an sie deshalb aber ebenso wenig stellen wie an Vertreter:innen irgendeiner anderen Berufsgruppe. Daher gibt es auch keinen Grund, die Reflexion der eigenen Arbeit, auch auf theoretischer Ebene, zu scheuen. Sie stellt schließlich nicht die eigenen Kompetenzen infrage, sondern dient der konstruktiven Kritik und Weiterentwicklung. Zusammenfassend erklärten Merkel und Weiss im Interview, sie »wollten keine Ausstellung vom Urknall zum Westwall machen, sondern […] inszenieren und Stories erzählen.«62 Die »große Geschichte« sollte unter regionalem Aspekt veranschaulicht werden.63 Dieses Vorhaben wurde auch tatsächlich umgesetzt. Die Dauerausstellung des Archäologischen Museums Hamburg vermittelt universale Themen am Beispiel der Kulturgeschichte der Stadt und ihrer Umgebung und ist dabei vor allem auf die Zielgruppen Familien und Hamburger:innen ausgerichtet. Konkrete Botschaften der Ausstellung sind beispielsweise, dass die Menschen heute in der »Plastikzeit« leben (in Anlehnung an Stein-, Bronze- und Eisenzeit), dass ein globales Ungleichgewicht zwischen Hunger und Überproduktion von Nahrungsmitteln besteht, dass Migration durch viele Faktoren ausgelöst werden kann und diese zu Hamburgs erfolgreicher Entwicklung beigetragen hat, dass das Christentum prägend für Hamburg und seine Umgebung war und dass die Natur- und Kulturlandschaft Hamburgs, vor allem die Elbe und ihr Delta, zunächst über lange Zeiträume durch Klimaprozesse und dann in verhältnismäßig kurzer Zeit durch menschliche Eingriffe geprägt wurden. Die Ausstellung vermittelt, dass alles, was seit der letzten Eiszeit geschehen ist, Auswirkungen auf das Leben heute hat. Hamburg wird als ein gutes Beispiel für die kulturhistorische Entwicklung der Menschheit insgesamt porträtiert. Außerdem wird vor allem durch das Thema Mobilität auch darauf verwiesen, dass Hamburg sich schon von jeher durch seine weit verzweigten Kontakte in alle Welt ausgezeichnet habe. Aufgrund dieser Kontakte und des Handelsverkehrs gelangen schon seit Jahrhunderten auch Objekte aus unterschiedlichsten Kontexten nach Hamburg. Die Vermutung liegt daher nahe, dass im Laufe der Sammlungsgeschichte auch sensibles Sammlungsgut, wie zum Beispiel materielle Kultur aus ehemaligen Kolonialgebieten, den Weg in die Sammlung gefunden hat. Weiss erklärt hierzu jedoch:
61 62 63
Vgl. Hans Nortmann im Interview, Anhang 1.3, S. 493. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 524. Vgl. Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 524, Zitat ebd.
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Wir haben […] unsere kolonialen Sammlungsbestände – das waren Kapitänsmitbringsel – mitsamt dem Aktenbestand und allem an das Völkerkundemuseum abgegeben, sodass wir dieses Problems heute entledigt sind. Die Archäologie beschränkt sich in der Sammlungsqualität weitgehend auf Europa, und da haben wir das koloniale Thema natürlich nicht. Nach unseren bisherigen Recherchen haben wir bislang kein Sammlungsobjekt mit problematischer Provenienz, was beispielsweise auch jüdische Provenienz oder kriegsbedingte Verlagerung angeht.64 Weiss ist also der Überzeugung, dass es in der Sammlung des Archäologischen Museums Hamburg keine Objekte mit problematischer Provenienz mehr gibt, und erklärt, dass die Verantwortung für ehemals im Besitz des Museums befindliche Stücke mit zweifelhafter Provenienz inzwischen voll und ganz bei dem heutigen Museum am Rothenbaum/ Kulturen und Künste der Welt liege. Der Sammlungsleiter Michael Merkel räumt jedoch ein: Wir haben noch einen ganz kleinen Bestand an französischen Funden, die im Krieg nach Hamburg gebracht worden waren, da müssen wir noch ran. Aber das ist wenig. Die größeren Bestände von der Krim beispielsweise haben wir in den Achtzigern zurückgegeben.65 Auffallend ist, dass Merkel darum bemüht ist, den Umfang dieses französischen Sammlungsguts als sehr klein darzustellen. Mit dem Hinweis darauf, dass größere Bestände bereits vor einigen Jahrzehnten restituiert wurden, versucht er ein Versäumnis des Museums zu relativieren. An diesem Fall wird deutlich, dass Provenienzforschung und Restitution nicht nur für ethnologische und kunsthistorische Museen drängende Themen sind, sondern auch archäologische (Landes-)Museen betreffen können. Die in den letzten Jahren öffentlich geführte Diskussion hierzu sollte daher auch auf archäologische Sammlungen ausgeweitet werden.
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Rainer-Maria Weiss im Interview, Anhang 1.6, S. 519. Michael Merkel im Interview, Anhang 1.6, S. 519.
Zusammenfassung und Fazit
Vorschläge zur Orientierung der Archäologischen Landesmuseen in bewegten Zeiten
Die hier vorgelegten Fallstudien haben nun wichtige Ergebnisse erbracht, die abschließend noch einmal zusammengefasst werden sollen, bevor ein Fazit gezogen wird. Die Archäologischen Landesmuseen wurden im ersten Teil dieser Dissertation als traditionsreiche Institutionen vorgestellt, die in den meisten Fällen durch eine lange Bestandsgeschichte geprägt sind und immer an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kulturpolitik und Bevölkerung stehen. Sie sind historisch gewachsene und von der kulturellen, politischen und sozialen Entwicklung der Gesellschaft abhängige Organismen, die geprägt sind von der Entwicklung der archäologischen Disziplinen sowie von deren Methoden und Theoriebildung. Um ihre Arbeitsethik und die in ihren Ausstellungen und Projekten zum Ausdruck gebrachten Haltungen bezüglich fachlicher und gesellschaftlicher Fragen zu verstehen, müssen sie stets in ihrem individuellen Kontext gesehen werden. Ihre Schnittstellenposition ist eine Herausforderung, da unterschiedliche Akteur:innen unterschiedliche Ansprüche an sie stellen. Sie kann aber auch als Chance begriffen werden, da Museen geradezu prädestiniert dafür sind, als Kontaktzone zwischen verschiedenen Akteur:innen zu fungieren, zwischen diesen zu vermitteln und den öffentlichen Diskurs anzutreiben. Problematisch ist dabei ihre Autorität als Wissenschaftsinstitution, die ihnen Redemacht verleiht und so unter Umständen – anstatt einen Diskurs zu fördern – eher determinative Wirkung entfalten kann. Aber wie alle Umstände kann auch dieser von mehr als nur einer Seite aus betrachtet werden: Was ich hier aus Überzeugung problematisch nenne, könnten andere auch als den Nutzen von Museen ansehen und versuchen, auf die Museumsarbeit derart Einfluss zu nehmen, dass dadurch ihre eigenen Ideologien und Agenden vertreten werden. Gerade mit Blick auf die Vorstellung einer kulturellen Identität wird archäologischen Museen vonseiten der Politik ein großes Potenzial eingeräumt, wie aus den Analysen in Kapitel I.3 hervorgeht. Die sogenannte Bewahrung von kultureller Identität wird in der Regel nicht kritisch eingeschätzt, sondern als wünschenswerter Effekt der Museumsarbeit und als Begründung für die öffentliche Finanzierung von Museen genannt. Viele (Museums-)Archäolog:innen lehnen es jedoch ab, ihre Arbeit in den Dienst einer Kulturpolitik zum Zweck einer Identitätsstiftung zu stellen. Sie bestreiten darüber hinaus, sich
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Zusammenfassung und Fazit
politisch beeinflussen zu lassen, und reagieren auf die Vermutung, dass sie kulturelles Gedächtnis, kulturelles Erbe und kulturelle Identität nicht nur bewahren, sondern auch an deren Konstruktion mitwirken würden, geradezu empört. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird daher die konkrete Arbeit Archäologischer Landesmuseen auf kulturtheoretischer Ebene reflektiert und der kulturwissenschaftliche Diskurs zu Gedächtnis, Erbe und Identität analysiert. Die drei Konzepte hängen eng miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. Das kulturelle Erbe wird im kulturellen Gedächtnis gespeichert und durch dieses weitergegeben. Die kulturelle Identität setzt sich aus Elementen dieses Speichers zusammen. Umgekehrt werden die im Gedächtnis zu speichernden Elemente aber auch danach ausgewählt, ob sie als Ausdruck einer kulturellen Identität gelten können. Da nicht alles beständig erinnert werden kann, werden die Elemente der Kultur ständig neu bewertet und für die weitere Erhaltung und Tradierung ausgewählt. Somit werden das kulturelle Gedächtnis, das kulturelle Erbe und letztlich auch die kulturelle Identität ständig umgeformt und der jeweils aktuellen Gesellschaft angepasst. Die Arbeit der Archäologischen Landesmuseen ist ein Bestandteil dieses Umbildungsprozesses, wobei die drei Stufen der Museumsarbeit, also die Stufe der Ausgrabungsarbeit, die Stufe der Erforschung im Museum und die Stufe der Veröffentlichung, grob mit der Arbeit an Gedächtnis, Erbe und Identität parallelisiert werden können. Das Wörtchen »grob« ist dabei deutlich zu betonen, denn die Aus- und Umbildungsprozesse der drei Konzepte stellen keine lineare Abfolge dar, sondern bedingen sich wie bereits beschrieben gegenseitig und laufen gewissermaßen parallel zueinander in hermeneutischen Zirkeln ab, wobei der Anfang dieser Kreise nicht zu bestimmen ist. Gemeinsam ist den Theorien zum kulturellen Gedächtnis, dass sie als zentrale Bildungsprozesse die Auswahl, das Vergessen und das Speichern sowie das Erinnern bestimmen. Auf die Praxis lassen sich diese als Prozesse der Überlieferung, der Entdeckung und des (Auf-)Sammelns übertragen. Die Arbeit vieler Archäologischer Landesmuseen beginnt schon bei der Ausgrabung, wo Funde und Befunde dokumentiert und gesammelt werden. Hierbei spielt sich ein Auswahlprozess ab, der aus Operationen des aktiven und passiven Vergessens und Speicherns besteht. Natürlich setzt ein erster Auswahlprozess aber schon lange vor der Arbeit der Archäolog:innen ein, in dessen Zuge Objekte vor allem im weitesten Sinne vergessen werden, also verloren gehen, (un-)gewollt zerstört werden oder durch Umwelteinflüsse vergehen. Das Vergessen und Speichern setzt sich auch auf den weiteren Stufen der Arbeit Archäologischer Landesmuseen fort. Durch die Diskursanalyse zum Begriff des kulturellen Erbes konnte der Weg vom Objekt zum Kulturerbe mit Prozessen der Inwertsetzung erklärt werden. Die damit vergleichbare zweite Stufe der Arbeit Archäologischer Landesmuseen umfasst die Inventarisierung und Systematisierung, die Konservierung und Lagerung sowie die Erforschung und Interpretation des Materials. Es konnte gezeigt werden, dass diese Operationen der Musealisierung bestimmten Prozessen der Inwertsetzung sowie des Erhaltens und Aneignens von Erbe entsprechen. Da Archäologische Landesmuseen also kulturelles Erbe und kulturelles Gedächtnis produzieren und vermitteln, haben sie auch das Potenzial, an der Konstruktion und Konstitution von kultureller Identität mitzuwirken. Denn kulturelle Identität wird sowohl auf kollektiver als auch auf individueller Ebene durch narrative Prozesse ausgebildet, in denen Elemente des kulturellen Gedächtnisses ausgewählt und zu einer Erzählung verbunden werden, die das jeweilige Selbst als Er-
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gebnis der Vergangenheit erklärt. Archäologische Landesmuseen bieten mit ihren Ausstellungsstücken Objekte, mit deren Kontexten sich die Betrachter:innen identifizieren oder von denen sie sich abgrenzen können. Beim Auswählen, Zusammenstellen und Anordnen von Sammlungsobjekten und Themen, also von Elementen des kulturellen Gedächtnisses eines Museums, zu einer Ausstellung werden Artefakte zueinander in Beziehung gesetzt. Die Deutungen, die das Museum an ihnen vornimmt, werden durch Mittel der Inszenierung für Besucher:innen lesbar gemacht. Ausgewählte Inhalte des kulturellen Gedächtnisses, Objekte des kulturellen Erbes, werden also räumlich und materiell kommuniziert. Dabei wird Sinn konstruiert und es werden Narrative geformt, die Antworten auf existenzielle Fragen bieten, wie »Wer sind wir?« und »Wo kommen wir her?«. Mit diesen kulturtheoretischen Reflexionen konnte also die Hypothese erhärtet werden, dass Archäologische Landesmuseen nicht nur Bewahrer, sondern zunächst vor allem Produzenten von Gedächtnis, Erbe und Identität sind und dass sie es nicht vermeiden können, als solche zu fungieren – auch wenn sie eine solche Rolle ablehnen. Durch die Ausstellungsanalysen im dritten Teil der Dissertation wurde dann untersucht, welche Identitätsnarrative die Dauerausstellungen der Landesmuseen enthalten, welche Motive hinter ihren jeweiligen Inszenierungsstrategien stecken – also ob die Inszenierung der Ausstellungsinhalte bewusst konzipiert wurde, welche Kriterien oder Arbeitshaltungen dabei entscheidend waren und ob äußere Einflüsse wie Ressourcenzwänge oder kulturpolitische Maßgaben die Entscheidungen prägten – und ob sie durch ihre Inszenierungsstrategien die Risiken von Missinterpretationen und ideologischen Vereinnahmungen ihrer Ausstellungsinhalte minimieren können. Denn im Laufe der letzten Jahre hat sich zunehmend gezeigt, dass mein Dissertationsprojekt in eine Zeit fällt, in der das Thema kulturelle Identität besonders brisant und aktuell ist. Begriffe wie »Identität«, »Erbe«, »Germanen« und »Kultur« stehen in einem starken politischen Spannungsfeld. Da archäologische Museen unweigerlichen mit diesen Themen zu tun haben, ist es heute so wichtig wie seit Langem nicht mehr, wie die Vergangenheit präsentiert wird und wie eine Präsentation auf redliche beziehungsweise unredliche Art und Weise gebraucht oder missbraucht werden kann. Dabei ist zu beachten, dass archäologische Ausstellungen es mit zwei verschiedenen Arten von Identität zu tun haben, die jedoch eng miteinander zusammenhängen: Einerseits thematisieren sie die kulturellen Identitäten von Individuen und Gesellschaften der Vergangenheit. Andererseits berühren sie damit aber auch die kollektive oder individuelle kulturelle Identität ihres aktuellen Publikums, denn die Vorstellung einer Identität wird zumindest zu einem Teil aus kultureller Erinnerung gebildet. Durch die Präsentation der ur- und frühgeschichtlichen Vergangenheit nehmen Archäologische Landesmuseen zumindest passiv Einfluss auf den narrativen Prozess der Identitätsbildung, denn sie bieten ihrem Publikum Erzählungen zur Vergangenheit an, die die Besucher:innen als Bausteine »ihrer« Vergangenheit beziehungsweise »ihrer« persönlichen Vor-Geschichte verwenden können. Diese bereitgestellten Bausteine können sehr unterschiedliche Themen zum Gegenstand haben und sich auf unterschiedliche Identitätsmerkmale wie beispielsweise den Ort, Glauben und Jenseitsvorstellungen, Tracht oder auch Esskultur beziehen. Zentral für die Frage nach der eigenen Identität ist aber auch das Thema der sogenannten Kulturgruppen. Die meisten Museen präsentieren in ihren Ausstellungen Kulturgruppen wie die »Kelten« und die »Germanen« sowie auch archäologische
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Kulturen wie die »Glockenbecher« oder die »Linearbandkeramiker« als Vorgängerinnen der heutigen Bewohner:innen der jeweiligen Region. Das ist nicht per se problematisch, da aber der wissenschaftliche Kenntnisstand in publikumsorientierten Ausstellungen stark heruntergebrochen und vereinfacht werden muss, kommt es dabei häufig zu einem zweistufigen problematischen Effekt: Erstens wird oft durch eine Vereinfachung und die verkürzte Verwendung von Begriffen wie »die Germanen« suggeriert, dass es sich dabei um ein ethnisch, kulturell und eventuell sogar genetisch homogenes Volk handele, also um eine Gruppe von Menschen, die sich durch gemeinsame äußerliche und charakterliche Eigenschaften auszeichnen würden. Oft werden diese Begriffe unkommentiert verwendet und Besucher:innen können dann gewisse Vorstellungen damit assoziieren, die sie nicht selten aus der populären Geschichtskultur wie beispielsweise aus historischen Romanen und Spielfilmen übernommen haben. Werden solche Begriffe nicht deutlich erklärt, besteht die Gefahr, dass Besucher:innen ihre unreflektierten Vorstellungen zumindest nicht hinterfragen oder schlimmstenfalls durch die Ausstellung bestätigt sehen. Dazu kann vor allem die Inszenierung der Ausstellungsinhalte beitragen, wenn wie im Fall des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle Illustrationen eingesetzt werden, die gewisse Klischees bedienen. Zweitens wird oft durch Formulierungen wie »unsere Vorfahren« suggeriert, dass zwischen diesen »Völkern« und den heute im Einzugsbereich des Museums lebenden Menschen eine persönliche Verbindung und gewissermaßen ein (genealogisches) Erbverhältnis bestehe. Eine solche Vorstellung kann wiederum Einfluss darauf haben, wie die Besucher:innen sich selbst wahrnehmen und ihre eigene kulturelle Identität definieren. Dabei könnte sogar der Eindruck entstehen, dass Leistungen der vermeintlichen »Ahnen« ein Beweis für deren »Wertigkeit« sind – der Gedanke also, dass die »Vorfahren« keine Barbaren, sondern hoch entwickelte und vorbildhafte Zivilisationen waren –, und daraus könnte wiederum ein stärkeres Selbstwert- oder gar Überlegenheitsgefühl der »Nachfahren« abgeleitet werden. Da populärwissenschaftliche Vermittlungsformate wie Ausstellungen aber nur schwer auf handliche Begriffe wie »Römer« und »Kelten« verzichten können, ist es wichtig, diese zu kontextualisieren, um zu vermeiden, dass damit falsche Vorstellungen verbunden werden. Es muss also offen diskutiert werden, was diese Begriffe zu bedeuten haben, und es muss transparent gemacht werden, wo diese Begriffe herstammen. So würde dem Publikum die Möglichkeit offeriert, sich damit kritisch auseinanderzusetzen beziehungsweise die Problematik zumindest zu erkennen. Wie gehen die hier analysierten Dauerausstellungen also mit der KulturgruppenThematik um, welche Identitätsnarrative enthalten sie und wie vermitteln sie diese? Die Dauerausstellung des Rheinischen Landesmuseums Trier erzählt in chronologischer Reihenfolge – allerdings mit einem Schwerpunkt auf der Römischen Kaiserzeit – eine Entwicklungsgeschichte der Stadt und ihres Umlandes vom Paläolithikum bis in die Frühe Neuzeit. Dabei wird eine Vielzahl alltagsweltlicher Themen abgedeckt, beispielsweise Bestattungssitten, Wohn- und Bauformen sowie Produktionstechniken und Handel. Vor allem die Thematisierung von Religion und Landwirtschaft sowie von Triers Zeit als Residenzstadt des Römischen Reiches präsentiert wesentliche Elemente einer modernen Trierer Identität – die durch den Katholizismus, den Weinanbau an der Mosel und den UNESCO-Welterbestatus der Stadt maßgeblich geprägt ist –, als bis in urgeschichtliche Zeiten zurückreichende Traditionen. Ihre Bedeutung für die kulturelle
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Identität der Menschen in der Region wird damit hervorgehoben und verstärkt. Kulturgruppen werden in dieser Ausstellung nur dann namentlich genannt, wenn sie aus historischen Quellen entsprechend bekannt sind, also beispielsweise »die Treverer«, »die Römer« und »die Franken«. Archäologische Kulturen wie zum Beispiel die Linearbandkeramik werden durch die Ausstellungstexte nicht benannt, sodass auch nicht erläutert werden müsste, wie die Klassifizierung solcher Kulturen zustande gekommen ist und was solche Begriffe zu bedeuten haben. In den Ausstellungstexten wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass Bezeichnungen wie »Kelten« oder »Treverer« Fremdbezeichnungen aus römischen Quellen sind. Durch die Objektauswahl und -positionierung wird auch zum Ausdruck gebracht, dass beispielsweise selbst infolge der Eroberung des Gebiets durch das Römische Reich keine radikalen Bevölkerungswechsel stattfanden, sondern sich verschiedene Kulturen und Gesellschaften über lange Zeiträume langsam vermischten und wandelten. Austausch, Handel und Assimilation sind durchgehende Themen in allen Ausstellungsbereichen. Dafür wurde eine Inszenierungsstrategie gewählt, die Inhalte sachlich und niedrigschwellig, aber nicht plakativ vermittelt. Die Ausstellung hält eine schwierige Balance zwischen Unterhaltung und didaktischer Kommunikation valider, wissenschaftlicher Ergebnisse weitestgehend ein, tendiert jedoch – möglicherweise aufgrund der Sammlung und der Forschungstradition des Hauses als Institution der provinzialrömischen Archäologie – zu einer ästhetischen, nüchternen Präsentation von Kulturgütern. Die Besucher:innen werden hier gefordert, sie müssen die verschiedenen Ausstellungsmedien aktiv rezipieren und mitdenken, andererseits werden sie aber dazu auch animiert und angeleitet. Vor allem durch die Methodenvideos können sie die Arbeitsweise der Wissenschaftler:innen hinter der Ausstellung nachvollziehen. Damit legt das Rheinische Landesmuseum Trier die Methoden der Archäologie offen und bietet seinem Publikum die Möglichkeit, seine Deutungen als begründete und dennoch vorläufige Hypothesen wahrzunehmen und auch kritisch zu hinterfragen. Im Vergleich zu den drei anderen hier besprochenen Museen wirkt die didaktische Ausstellungssprache und die Inszenierung des Trierer Landesmuseums wie ein Mittelweg zwischen einer Strategie, die vor allem auf Kunstgenuss und ein älteres Publikum zielt, und einer, die vorrangig ein jüngeres Publikum unterhalten und Spaß machen will. In Saarbrücken wird in der Dauerausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes vor allem die Ästhetik der Exponate betont. Das Museum zeigt eine White-Cube-Ausstellung, die an die Museen für moderne Kunst der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz angepasst ist. Für die Zielgruppe der Stiftung ist die Ausstellung entsprechend geeignet, vor allem für Schulklassen muss sie jedoch durch museumspädagogische Formate aufbereitet werden. Obwohl die Inszenierung des Museums für Vorund Frühgeschichte sehr schlicht gehalten ist und auf textliche oder grafische Zusatzinformationen weitestgehend verzichtet, lassen sich auch hier aus der Objektauswahl, den Objektarrangements und den wenigen Texten der Medienstationen Narrative zur kulturellen Identität des heutigen Saarlandes extrahieren. Die Dauerausstellung vermittelt insbesondere die Botschaft, dass das Gebiet mindestens seit der Eisenzeit dicht besiedelt, überregional vernetzt und ein wichtiges Siedlungsgebiet »keltischer« und »provinzialrömischer« Bevölkerungsgruppen war. Der möglicherweise in vielen Teilen Deutschlands verbreiteten Vorstellung, es handele sich beim Saarland um eine unbedeutende,
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abgehängte Randregion der Republik, wird ein Bild des Saarlandes als Zentrum Europas entgegengesetzt. Prägende Wirtschaftsmerkmale des Landes wie der Bergbau und die Keramikproduktion werden durch die Ausstellung bis in urgeschichtliche Zeiten zurückverlängert. In den Ausstellungstexten wird, ähnlich wie in Trier, die Bedeutung des Begriffs »Kelten« erläutert. Weitere ethnische Begriffe werden nicht verwendet. Jedoch wird die Arbeit der Archäologie hier – wie auch in Hamburg und Halle – nicht offengelegt. Der ästhetischen Ausstellungssprache des Saarbrücker Museums steht die plakative und spielerische Inszenierung des Archäologischen Museums Hamburg diametral gegenüber. Wie erwähnt wurde sie in Kooperation mit der Ravensburger Freizeit- und Promotion-Service GmbH entwickelt, zielt insbesondere auf Kinder ab und zeichnet sich durch besonders viele Installationen und Illustrationen aus. Die Inszenierungen stehen gegenüber einer textlichen Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Inhalte deutlich im Vordergrund. Sie vermitteln die Ausstellungsinhalte assoziativ, wobei sie durchaus auch sensible und komplizierte tagesaktuelle Themen wie beispielsweise Massenproduktion und -konsum berühren. Da die Dauerausstellung des Museums in Hamburg in erster Linie thematisch und nur grob chronologisch strukturiert ist, ergibt sich durch die Begehung der beiden Ausstellungsräume keine so stringente lineare Erzählung wie beispielsweise in Trier und Halle, wo chronologische Rundgänge vorgegeben werden. Dennoch werden auch hier einige Aussagen zur kulturellen Identität der Hansestadt und ihres Umlands gemacht. Vor allem die Besonderheiten der Elblandschaft und die Bedeutung Hamburgs als Hafenstadt und Knotenpunkt von Handel und Austausch werden thematisiert. Da die Ausstellung nicht nur ur- und frühgeschichtliche Exponate, sondern auch Objekte der Moderne wie Funde aus einem Konzentrationslager und, als Teil der Installationen, Plastikartikel und Fernsehgeräte enthält, macht sie die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart besonders stark. Begriffe wie »Römer« und »Germanen« werden hier allerdings völlig unkommentiert verwendet. Im ersten Konzept dieser Dauerausstellung war vorgesehen, die Kategorisierung verschiedener Kulturgruppen in der archäologischen Forschung zu thematisieren; im weiteren Planungsprozess wurde dieser Ausstellungsteil jedoch gestrichen, da ihm nicht der gewünschte Unterhaltungswert zugetraut wurde. Mit Blick auf die Zielgruppe ist das zum Teil nachvollziehbar, allerdings hätte auch eine unterhaltsame und einprägsame Inszenierung des Themas gelingen können, wie das Beispiel der Linsenrasterbilder aus dem Archäologischen Landesmuseum Brandenburg im Paulikloster belegt. Mit Blick auf den Bildungsauftrag von Museen scheint zumindest die Kontextualisierung des Germanenbegriffs geboten. Wiederum gemäßigter erscheint die Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle. Sie hat eine klare, chronologische Struktur und setzt vielfältige Inszenierungsmittel wie Illustrationen, lebensecht wirkende Figuren, Filme und Grafiken ein. Ihre Installationen wirken allerdings eher demonstrativ denn assoziativ, zumal die Vergangenheit hier möglichst eindeutig und niedrigschwellig begreifbar gemacht werden soll. Das Bundesland Sachsen-Anhalt und seine unmittelbar angrenzenden Regionen werden als Mittelpunkt Deutschlands und zum Teil als Mittelpunkt Europas dargestellt, als eine Schnittstelle zwischen Ost und West. Durch die Hervorhebung der Bronzezeit in der Darstellung der Epochen wird die Identität des Landes mit den archäolo-
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gischen Kulturen verknüpft, die die Wissenschaft für diesen Zeitraum unterscheidet – insbesondere mit der Aunjetitzer Kultur, deren Angehörige die Himmelsscheibe von Nebra hergestellt und genutzt haben sollen. Gerade die Verwendung solcher Kulturbegriffe ist in dieser Ausstellung aber ambivalent. Die Namen archäologischer Kulturen wie der »Glockenbecher«, der »Linearbandkeramiker« oder eben der »Aunjetitzer« werden den Besucher:innen durch die sogenannten Kulturvitrinen vorgestellt. Allerdings wird mit diesen nicht erklärt oder gar problematisiert, wie die Kategorisierung solcher Kulturen durch die archäologische Forschung überhaupt zustande gekommen ist. Vielmehr werden sie als eindeutige Entitäten dargestellt. Dagegen werden Begriffe wie »Kelten« und »Germanen« durch Ausstellungstexte kritisch kommentiert und es wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um einheitliche »Völker« handelte, sondern – dies wird insbesondere durch die Inszenierung kommuniziert – weitestgehend um Fremdbezeichnungen und politisch motivierte Begriffsfelder. Beispielsweise wurde eine römische Schreibstube simuliert, um deutlich zu machen, dass viele Beschreibungen der »Germanen« aus römischen Kriegsberichten stammen. Bei aller wissenschaftlichen Korrektheit wird in Halle aber auch ganz bewusst mit Klischees und starken Effekten gespielt, um die Besucher:innen zu unterhalten und sie während des Gangs durch die sehr umfangreiche Ausstellung sozusagen bei der Stange zu halten. Die Strategie fängt bei den vielen schwebenden Exponatmontagen an und geht über die mystifizierende Beleuchtung bis hin zu plakativen Illustrationen. Diese lassen allerdings nicht viel Raum für offene Fragen und kaschieren die Vorläufigkeit und Modellhaftigkeit der wissenschaftlichen Thesen. Nicht thematisiert wird dabei, dass sich der wissenschaftliche Kenntnisstand und darauf basierend das Bild von der Vergangenheit durch die fortlaufende Forschung stetig wandeln und außerdem auch von gesellschaftlichen Strömungen abhängig sind. Alle im Rahmen dieser Arbeit analysierten Ausstellungen verkörpern die Erkenntnisse und Hypothesen, die die archäologische Forschung in den letzten rund 200 Jahren zur Vergangenheit gewonnen hat. Im Sinne Mieke Bals entspricht dieses Wissen über die Vergangenheit der fabula der Ausstellungen, die in jedem Museum in Form einer anderen story präsentiert wird. Die Archäologischen Landesmuseen vertreten dabei jeweils individuelle und zum Teil sehr unterschiedliche Inszenierungs- und Kommunikationsstrategien, die hier im Hinblick darauf verglichen werden sollten, ob und inwieweit sie die Vermittlung von Narrativen zur kulturellen Identität vermeiden können – und falls nicht, welche Narrative sie vermitteln und auf welche Weise dies geschieht. Deutlich wurde, dass jedes der Ausstellungskonzepte letztlich als eine Erzählung wahrgenommen werden kann, die Elemente oder Bausteine für die narrative Konstruktion kultureller Identität bereitstellt. Der Vergleich der unterschiedlichen Strategien der Museen sollte darüber hinaus aber nicht als Beurteilung zur Erstellung einer Rangliste oder eines Maßstabs verstanden werden. Jedes der Ausstellungskonzepte hat seine Stärken und Schwächen und ist – vor dem Hintergrund der Institution, der Intention der Ausstellungsmacher:innen, der zur Verfügung stehenden Ressourcen, der Sammlung und besonders auch mit Blick auf die Zielgruppe des jeweiligen Museums – gerechtfertigt. In dem langwierigen und aufwendigen Planungsprozess einer Dauerausstellung müssen archäologische Museen vie-
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le Entscheidungen treffen, und solange diese Entscheidungen wissenschaftlich oder rational begründet werden können, sind sie in der Regel auch legitim. Wenn Entscheidungen allerdings unreflektiert getroffen werden, kann das unter Umständen zu Problemen führen. Da Archäologische Landesmuseen gewissermaßen unweigerlich Antworten auf existenzielle Fragen geben und Identitätsangebote machen, haben sie der Gesellschaft gegenüber eine große Verantwortung. Sie sind zwar natürlich nicht die einzigen Faktoren, die auf das Selbstverständnis und die Vorstellung einer kulturellen Identität der Bevölkerung Einfluss nehmen – realistisch betrachtet sind sie vielleicht nicht einmal sonderlich ausschlaggebende Faktoren. Aber das Potenzial zur ideologischen Beeinflussung ist ihnen inhärent. Als Wissenschaftsinstitutionen kommt ihnen Autorität und infolgedessen eine Redemacht zu. Sie müssen deshalb dafür Sorge tragen, dass sie in ihren Ausstellungen nicht den Eindruck vermitteln, nur absolute, unumstößliche Wahrheiten zu präsentieren, und sie müssen darauf achten, dass ihre Aussagen nicht ideologisch vereinnahmt werden können. Begriffe und Themen wie die Mythen um die sogenannten »Kelten« und »Germanen« sowie deren Siedlungs- und Herrschaftsgebiete dürfen sich weder Archäologische Landesmuseen noch die Wissenschaft insgesamt von Rechtspopulisten aus der Hand nehmen lassen. Die Gerda Henkel Stiftung veröffentlichte 2012 eine Vorlesung des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger zum Thema Archäologie und Politik, in der der Prähistoriker feststellte: »Die Archäologie ist eine zutiefst politische Wissenschaft – ob sie will oder nicht. Von den Archäologen erfordert dies ein besonderes Verantwortungsbewusstsein.«1 Er kommt zu dem Schluss, dass ein wissenschaftliches Ethos erforderlich ist, das archäologische Kulturen als »Hilfskonstrukte zur räumlichen und zeitlichen Ordnung zunächst namenloser materieller Kultur« erläutert und die Öffentlichkeit darüber aufklärt, »was die Archäologie leisten kann und was nicht«.2 Parzinger hat diese Aussagen zwar vor allem auf archäologische Sammlungskomplexe bezogen, die ursprünglich aus anderen Ländern stammen und in Universalmuseen in Deutschland und anderswo aufbewahrt werden, sie gelten aber nichtsdestoweniger ebenso für die inländische Archäologie. Die Offenlegung der archäologischen Methoden kann nicht nur dazu beitragen, die wissenschaftliche Neutralität und Objektivität zu wahren, sondern sie kann die Ergebnisse der archäologischen Forschung, wie Ausstellungen und Publikationen, auch davor schützen, politisch beziehungsweise ideologisch vereinnahmt zu werden. Gerade Archäologische Landesmuseen sind potenziell immer einem gewissen politischen Einfluss ausgesetzt, insofern sie von den Ländern finanziert werden und politische Entscheidungsträger:innen oft in ihren obersten Aufsichtsgremien sitzen. In der Regel wird zwar die Freiheit der Wissenschaft gewahrt und die kulturpolitische Ebene mischt sich nicht in die inhaltliche Arbeit der Museen ein. Aber das Potenzial für politischen Einfluss ist vorhanden. Und es lässt sich nicht ausschließen, dass diese politischen Entscheidungsträger:innen irgendwann nicht mehr aus der gesellschaftlichen Mitte kommen. Dass die Kulturpolitik oft eines der ersten Ziele extremer politischer Strömungen ist,
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Hermann Parzinger, Archäologie und Politik, 2012, S. 5. Vgl. ebd., S. 14.
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belegt beispielsweise das Grundsatzprogramm der AfD, in dem es in Kapitel 7 zu Kultur, Sprache und Identität unter anderem heißt: Unser aller Identität ist vorrangig kulturell determiniert. Sie kann nicht dem freien Spiel der Kräfte ausgesetzt werden. Vielmehr soll ein Bewusstsein gestärkt werden, welches kulturelle Verbundenheit wahrnimmt, fördert und schützt. Für die AfD ist der Zusammenhang von Bildung, Kultur und Identität für die Entwicklung der Gesellschaft von zentraler Bedeutung.3 Wie die Partei die kulturelle Identität der Bevölkerung »schützen« will, wird in alarmierender Weise in Abschnitt 7.2 deutlich: Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit.4 Verschiedene Kulturen sind der AfD zufolge also nicht gleichwertig, vielmehr sei das, was der Partei als »deutsche Kultur« vorschwebt, anderen Kulturen überlegen und müsse vor einer Relativierung durch den Multikulturalismus geschützt werden. Eine Maßnahme hierfür erläutert die AfD sodann in Abschnitt 7.4: Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.5 Was hier propagiert wird, ist letztlich der Versuch, die deutsche Verantwortung für die Verbrechen des NS-Regimes im kulturellen Gedächtnis zurückzudrängen und stattdessen ein neues Selbstbewusstsein aus der Identifizierung mit den »Vorfahren« zu schaffen. Die mahnende Erinnerung soll durch Erinnerungen an positive Aspekte der deutschen Vergangenheit mindestens ergänzt – oder ersetzt – werden. Indem die NS-Herrschaft und deren Geschichts- und Identitätspolitik weniger Raum im kulturellen Gedächtnis erhalten, indem diese Themen vermieden werden, sollen sie mehr und mehr dem kulturellen Vergessen anheimfallen. Wenn archäologische Museen beispielsweise gegenüber dem Thema »kulturelle Identität« eine wissenschaftlich-neutrale und objektive Position beibehalten wollen, dann ist eine Vermeidungstaktik nicht zielführend, denn erstens eröffnet sie die Möglichkeit, problematische Aspekte der Vergangenheit kulturell in Vergessenheit geraten zu lassen, und zweitens, ideologische Inhalte auf die polysemischen Objekte der Vergangenheit zu projizieren. Da aus archäologischen Ausstellungen unweigerlich Identitätsnarrative abgeleitet und verkürzte Arbeitsbegriffe wie »die Germanen« kaum vermieden werden können, ist ein offener Umgang mit der Thematik vonnöten. Lassen Ausstellungen solche Begriffe und Themen unkommentiert, lassen sie damit ein Vakuum bestehen, das mit unwissenschaftlichen und, im schlimmsten Fall, exkludierenden 3 4 5
Alternative für Deutschland, Programm für Deutschland, 2016, S. 91. Ebd., S. 92. Ebd., S. 94.
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Vorstellungen gefüllt werden kann. Um das zu vermeiden und um gleichzeitig zur Bildung und Aufklärung der Gesellschaft beizutragen, in deren Auftrag Museen als Träger des kulturellen Gedächtnisses fungieren, sind meines Erachtens drei Dinge absolut notwendig, nämlich Selbstreflexion, Transparenz und ein offener Diskurs. Dazu gehört auch, dass in Ausstellungen offengelegt wird, wer dort eigentlich spricht. Entgegen dem geflügelten Wort, das von Ausstellungsmacher:innen verlangt, die Objekte zum Sprechen zu bringen, sind es nämlich nicht die Objekte, die als authentische Zeugen der Vergangenheit sprechen, sondern die Kurator:innen in ihrem jeweiligen soziokulturellen Kontext. Das sollte nicht kaschiert werden. Museen sollten sich nicht davor scheuen, die Arbeitsweise der Archäologie offenzulegen und auch die Grenzen der Wissenschaft klar zu benennen. Da sie vom Wohlwollen der öffentlichen Hand abhängig sind, stehen sie zwar in gewisser Weise unter einem Rechtfertigungsdruck und müssen ihre Arbeit überzeugend und ansprechend präsentieren, um nicht zu riskieren, als obsolet wahrgenommen zu werden. Dies darf aber nicht dazu führen, dass sie sich einer kritischen Reflexion verschließen. Dazu besteht auch kein Grund, denn die Offenlegung der eigenen Methoden schließt nicht aus, dass die Ergebnisse der Arbeit anerkannt und wertgeschätzt werden. Sie kann sogar einen sehr positiven Effekt haben. Wie ich beobachten konnte, büßen Museen, die wie beispielsweise das LWL-Museum für Archäologie in Herne und das Rheinische Landesmuseum Trier die Methoden der archäologischen Forschung erklären und die Vorläufigkeit der wissenschaftlichen Erkenntnisse eingestehen, keineswegs an Autorität und Legitimität ein. Aufgrund ihrer Transparenz wirken sie vielmehr integer und gewinnen an Ansehen und Vertrauen hinzu. Im Übrigen ist es angesichts des Erfolgs populärwissenschaftlicher und popkultureller Formate, die archäologische Themen aufgreifen, wahrscheinlich, dass die Thematisierung der praktischen Archäologie sowie eine Auseinandersetzung mit der Kulturgruppen-Problematik auch bei Besucher:innen auf großes Interesse stoßen würden und mit einer geschickten Vermittlungsstrategie erfolgreich angenommen werden könnten.6 Archäologische Landesmuseen sollten mit ihrer eigenen Deutungsmacht also verantwortungsvoll umgehen, ihre Besucher:innen in einer kritischen Bewertung der ihnen präsentierten Deutungen schulen und es ihnen ermöglichen, die Rolle der Archäologie im Feld von Gedächtnis, Erbe und Identität einzuordnen. Damit können auch die Problematiken wirksam vermieden werden, die mit der Konstruktion von Narrativen in den Ausstellungen Archäologischer Landesmuseen einhergehen. Wenn Museen nicht nur Orte der Unterhaltung, sondern auch Orte der Bildung sein wollen, dann darf sich ihre Lehrtätigkeit nicht nur darauf erstrecken, wissenschaftliche Kenntnisse und Daten zu vermitteln. Dann muss ihr Bildungsauftrag auch die Vermittlung von Methoden und Kompetenzen umfassen. Um dies zu erreichen, dürfen Besucher:innen nicht nur mit fertigen und vermeintlich vollständigen Deutungen konfrontiert werden, sondern sie müssen in die Deutungsfindung eingebunden werden. Partizipation darf nicht als
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Zur Popularität von Archäologie hat Marco Kircher eine einschlägige Dissertation verfasst, in der er darlegt, dass Archäologie ein äußerst lukrativer Markt ist und dass ein großes Interesse an der Arbeit der Archäologie, auch vermittelt durch Museen, besteht (vgl. Marco Kircher, Wa(h)re Archäologie, 2012).
Vorschläge zur Orientierung der Archäologischen Landesmuseen in bewegten Zeiten
die Möglichkeit missverstanden werden, Schubladen zu öffnen und Knöpfe zu drücken. Besucher:innen sollten involviert und dazu angeleitet werden, die Arbeitsweise der Archäolog:innen nachzuvollziehen, beispielsweise die Methoden der Typologisierung und relativen Datierung. Zumindest in Maßen können sie somit auch in dem begrenzten Rahmen eines Ausstellungsbesuchs dazu befähigt werden, aus dem verfügbaren Material ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Ein solcher Ausstellungsansatz könnte Ideologien, wie zum Beispiel die von Neonazis mit dem Begriff »Germanen« verbundenen, relativieren, ohne dabei den Eindruck zu vermitteln, dass das Museum mit erhobenem Zeigefinger, also von »oben herab«, zu seinen Besucher:innen spricht. Gehen Ausstellungen in der Vermittlung ihrer Inhalte zu diktatorisch vor, können sie damit, selbst wenn ihre Deutungen sachlich begründet sind, beim Publikum eine unwillkürliche Ablehnung evozieren. Das passiert schlicht, weil die meisten Menschen auf eine von außen forcierte Änderung ihrer Überzeugungen zumindest mit gesunder Skepsis und gegebenenfalls mit Unmut oder sogar mit aktivem Widerstand reagieren. Werden Besucher:innen in die Deutungsfindung eingebunden, können Museen damit jedoch einen wertvollen Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten und gleichzeitig ihre neutrale Haltung wahren. In der Einleitung dieser Arbeit wurde die Frage aufgeworfen, ob sich eine Stellungnahme in politischen Debatten mit der Verpflichtung der Wissenschaft zur Objektivität und Neutralität vereinbaren lässt. Die in Kapitel I.3 dazu erörterte Haltung Manfred K. H. Eggerts ist angesichts der Vergangenheit der Archäologie in Deutschland nur allzu verständlich: Der Prähistoriker lehnt jegliches Andienen der Archäologie an jedwede politische Agenda strikt ab, um eine erneute (Selbst-)Instrumentalisierung des Fachs zu verhindern. Auch in der Kulturwissenschaft wird über die Zulässigkeit der Verbindung von wissenschaftlicher Arbeit und politischer Stellungnahme diskutiert. Der Philosoph Felix Denschlag beispielsweise hat in seiner Dissertation Vergangenheitsverhältnisse die Arbeit von Aleida und Jan Assmann kritisch betrachtet. Er argumentiert, dass die beiden Koryphäen der deutschen Kulturwissenschaft sich aktiv daran beteiligten, ein deutsches kulturelles Gedächtnis und eine deutsche Identität basierend auf der Erinnerung an die Shoah zu konstruieren. Unterschwellig klingt dabei Kritik an, die zwar nicht den Inhalt des Assmann’schen Werks betrifft, wohl aber dessen Form. Denschlag vermisst in der Arbeit des Paares die wissenschaftliche Neutralität und Objektivität und plädiert gegen die Vermischung von wissenschaftlicher Forschung und politischer Stellungnahme.7 Aber ist eine absolute wissenschaftliche Neutralität wirklich in jeder Situation angemessen? Es kann wohl kaum im Interesse der Wissenschaft liegen, einer Vereinnahmung wie beispielsweise der der Frühgeschichte durch Rechtsradikale nichts entgegenzusetzen, nur um politisch neutral zu bleiben. Die Wahrung von Neutralität und Objektivität darf nicht mit der Vermeidung einer Positionierung verwechselt werden. Ich bin überzeugt, dass es durchaus möglich und darüber hinaus notwendig ist, Haltung zu zeigen, ohne eine parteipolitische Agenda zu bedienen. Im Rahmen meiner Recherchen bemerkte ich, dass keines der Archäologischen Landesmuseen in seiner Dauerausstellung die Rolle der Archäologie unter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Herrschaft thematisiert. Darauf angesprochen, äußerte ein Mitarbeiter die Vermutung, 7
Vgl. Felix Denschlag, Vergangenheitsverhältnisse, 2017, beispielsweise S. 57.
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dass das Publikum an diesem Thema kein Interesse hätte. Im Unterschied dazu bin ich der Meinung, dass eine solche Selbstreflexion und ein offener Umgang mit der eigenen Vergangenheit eine aufschlussreiche und anregende Ergänzung der Ausstellungen sein können. Denn damit kann auch zum Ausdruck gebracht werden, dass Landesmuseen trotz ihrer finanziellen Abhängigkeit unter allen Umständen unabhängig vom politischen Klima unterhalten werden sollten. Die Wahl unterschiedlicher Organisationsformen scheint hingegen kaum Einfluss auf den Grad an Unabhängigkeit beziehungsweise Abhängigkeit Archäologischer Landesmuseen von der Politik zu haben. Die interviewten Expert:innen der Landesmuseen, die verschiedene Arten der Trägerschaft und Rechtsform repräsentierten, gaben größtenteils übereinstimmend an, dass politische Entscheidungen über finanzielle und personelle Mittel, vor allem im Fall von Drittmittelprojekten, zwar Einfluss auf ihre Arbeit haben könnten, gleichzeitig betonten sie aber auch, dass sie inhaltlich nicht von kulturpolitischer Seite beeinflusst würden. Konflikte oder Spannungen wurden außer im Fall des Rheinischen Landesmuseums Trier nicht erkennbar. Da die Interviews nicht anonymisiert werden konnten, lässt sich kaum sagen, ob die Äußerungen der Gesprächspartner:innen diesbezüglich zuverlässig sind. Letztlich ist aber jedes Archäologische Landesmuseum per se als öffentliche Institution von der Kulturpolitik im jeweiligen Bundesland abhängig, ganz gleich, ob zwischen dem zuständigen Ministerium und dem Museum noch eine Behörde oder Stiftung öffentlichen Rechts zwischengeschaltet ist oder nicht. Die Lage und der historische Kontext der Bundesländer, also deren Vorgängerstrukturen und ihre Entwicklung, spiegeln sich dagegen durchaus in den Landesmuseen, sowohl in organisatorischer als auch in inhaltlicher Hinsicht, wider. Die Museen der sogenannten neuen Bundesländer sind direkt den zuständigen Ministerien unterstellt, während in den sogenannten alten Bundesländern häufig Stiftungen oder Behörden, wie zum Beispiel die GDKE in Rheinland-Pfalz oder die Landes- und Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen, als direkte Träger fungieren. Damit einher gehen häufig auch beschränkte Gebietszuständigkeiten. Nicht jedes Landesmuseum ist also für die Bodendenkmalpflege eines ganzen Bundeslandes verantwortlich, sondern gegebenenfalls nur für einen Teil davon. Es repräsentiert dann also kein Land, sondern eine Region und stellt gewissermaßen den Nachlassverwalter einer nicht mehr existenten Verwaltungseinheit dar. Doch sollten aus der Lage der Museen in den alten oder neuen Bundesländern keine vorschnellen Schlüsse auf ihren Umgang mit kulturellem Gedächtnis, kulturellem Erbe und kultureller Identität sowie auf die Art der durch die Dauerausstellungen vermittelten Identitätsnarrative gezogen werden. Im Laufe meiner Arbeit an diesem Projekt wurde ich häufig gefragt, ob die Präsentation der Kulturgruppen-Thematik, besonders mit Blick auf das Stichwort »Germanen«, in den Museen der neuen Bundesländer problematischer sei als in denen der alten Bundesländer. Diese Frage begegnete mir übrigens in verschiedenen Zusammenhängen und in unterschiedlichen Institutionen mit und ohne DDR-Vergangenheit und war durch die Wahlerfolge der AfD und die Berichterstattung über rechtspopulistische Demonstrationen und Gewalttaten in den neuen Bundesländern hervorgerufen worden. Tatsächlich zeigen aber gerade dort die Archäologischen Landesmuseen einen vergleichsweise bewussten und sensiblen Umgang mit Identitäts-
Vorschläge zur Orientierung der Archäologischen Landesmuseen in bewegten Zeiten
narrativen, wie an den Beispielen aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt deutlich wird. Eine solche Sensibilität sollte für alle archäologischen und kulturhistorischen Museen zum Standard werden. Das ist leichter gesagt als getan und kann für das eine oder andere Museum ein Umdenken und viel Arbeit erfordern. Aber worin liegt der Sinn von Wissenschaft, wenn nicht in der Lösung von Problemen und in der positiven Weiterentwicklung des Status quo?
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Anhang 1: Interviewprotokolle
Anhang 1.1: Interview mit Franz-Josef Schumacher, zum Zeitpunkt des Interviews 2018 Sammlungsleiter des Museums für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes Anhang 1.2: Interview mit Roland Mönig, zum Zeitpunkt des Interviews 2018 Kunstund Kulturwissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz Anhang 1.3: Interview mit Mechthild Neyses-Eiden, zum Zeitpunkt des Interviews 2018 Stellvertretende Direktorin des Rheinischen Landesmuseums Trier, und Hans Nortmann, ehemals Leiter der Archäologischen Denkmalpflege am Rheinischen Landesmuseum Trier Anhang 1.4: Interview mit Arnold Muhl, Leiter des Referats Dauerausstellung am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle Anhang 1.5: Interview mit Harald Meller, Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle Anhang 1.6: Interview mit Rainer-Maria Weiss, Direktor der Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg, und Michael Merkel, Leiter der Archäologischen Sammlung
Anhang 1.1: Protokoll des Interviews mit Franz-Josef Schumacher (FJS)
TM: Herr Schumacher, nach Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis haben Museen als Träger eines solchen Gedächtnisses dem Kollektiv gegenüber eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren und steuern die Vermittlung des Gedächtnisses. Wo spielt diese Thematik in der täglichen Arbeit der Stiftung und des Museums eine Rolle? Wird beispielsweise in Planungsprozessen oder Arbeitsschritten die Vermittlung von kulturellem Erbe und kultureller Identität reflektiert? FJS: Es spielt natürlich eine Rolle und zwar schon alleine bei der Konzeption des Museums. Diese geht davon aus, dass man der Bevölkerung zeigen will, auf welchen Wurzeln die Gesellschaft eigentlich basiert – wie das Ganze sich entwickelt hat. Und es war ein Leit-
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gedanke bei der Konzeption unserer Ausstellung, dass wir zeigen wollen, dass diese Identität auf einen großen Zeitabschnitt zurückgeht und gewachsen ist. Identität passiert ja nicht auf einen Schlag, sondern baut sich auf bestimmten Grundlagen auf. Also das spielt natürlich schon eine Rolle. Es gibt da diesen schönen Spruch: »Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen.« Und das ist ein Hintergrundgedanke, der bei der ganzen Sache mitspielt. TM: Welchem Kollektiv sieht sich dieses Museum als Gedächtnisträger verpflichtet? FJS: Wir sehen uns aufgrund der Entwicklung des Museums zunächst mal rein regional der Bevölkerung an der Saar verpflichtet. Aber aufgrund bestimmter Funde strahlt das natürlich auch überregional aus, was zeigt, dass das Regionale nicht immer nur ein in sich geschlossener Kreis war, sondern immer mit überregionalen Gruppen und Gegenden vernetzt war. Diese Vernetzung spielt für uns auch eine Rolle. TM: Welchen Teilen des kulturellen Gedächtnisses und Erbes, also welchen Themen, möchte sich Ihr Museum ganz besonders widmen? Stehen beispielsweise bestimmte Epochen, kulturelle Gruppen oder konkrete Objekte für das Museum und die Stiftung im Vordergrund? FJS: Ein Schwerpunktthema ist die Chronologie. Wir wollen die Entwicklung zeigen, von der Urzeit bis heute. Weitere Schwerpunkte haben wir aufgrund des Fundmaterials, da das Land hier immer dicht besiedelt war. Insbesondere die Kultur der Kelten, die Zeit der Römer und später dann die Zeit der Franken, also die germanische Zeit, bilden die Schwerpunkte. Schon allein weil dazu viel Fundmaterial vorliegt, ist dieses besonders stark in der Ausstellung vertreten. TM: Gibt es weitere Aspekte beim Umgang mit sogenanntem Kulturerbe und kultureller Identität, die Sie in der Praxis der Museumsarbeit beschäftigen? FJS: Ja, das Thema Identität spielt gerade hier an der Saar eine große Rolle, weil es das Saarland in dem Sinne vor dem Museum nicht gab. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, mit der Gründung des Saargebiets und der Installierung einer Denkmalpflege hier im Land, wurde eine kulturelle Identität für das Saarland neu geschaffen. Vorher war das Gebiet durch Preußen und Bayern regiert und jetzt kam auf einmal eine ganz eigene Identität zur Ausbildung, die des Landes an der Saar, oder Saarland oder Saargebiet, wie es zunächst hieß. Und das war auch die Intention des ersten Museumsdirektors und Landeskonservators Karl Klein, der explizit auf Ausgrabungen ging, um eine Materialbasis zu schaffen, vor deren Hintergrund die Bedeutung des Gebietes gezeigt werden konnte. TM: Also Gründungsmotiv des Museums war, dass eine saarländische Identität gefördert werden sollte? FJS: Ja, das war das Gründungsmotiv. Es gibt da auch ein Zitat von Karl Schumacher, der war Direktor des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz. Der hatte schon so um 1911 oder 1914 eine Untersuchung über die Museen der Vor- und Frühgeschichte im Deutschen Reich angefertigt und schrieb darin, dass es schade wäre, dass es in Saarbrücken kein Museum gäbe, weil gerade das Land an der Saar sehr fundreich wäre. Und alles was bis 1920 gefunden wurde, gelangte ja in andere Museen: Bonn, Berlin,
Anhang 1: Interviewprotokolle
Trier, Speyer und so weiter. Und das war für ihn [Karl Klein] auch so ein Punkt, zu dem er gesagt hat: »Da müssen wir jetzt wirklich auch mal für die eigene Bevölkerung zeigen, was wir eigentlich an Vergangenheit aufzuweisen haben.« TM: Also ganz bewusste Identitätsbildung über die Vor- und Frühgeschichte? FJS: Genau, über die Vor- und Frühgeschichte. Er [Karl Klein] kam ja vom Bauamt her, war also kein Archäologe, hat sich dann aber trotzdem – weil er im Hinterkopf hatte, ein Museum zu gründen – auf Ausgrabungen gestürzt, um für ein solches Museum eine Materialbasis zu schaffen. TM: Folgt die Arbeit der Stiftung als Ganzes und insbesondere des Museums für Vor- und Frühgeschichte einem bestimmten Leitbild? Wird nach bestimmten Leitlinien gesammelt oder nach bestimmten Prinzipien ausgestellt? FJS: Das Museum für Vor- und Frühgeschichte in der Stiftung sammelt nicht in dem Sinne. Das Inventar ist festgelegt durch die Stiftungsgründung 1980. Was damals im Museum war, ging in das Eigentum der Stiftung über. Anfang der 1990er Jahre hat sich das Museum dann auch verpflichtet, keine Funde anzukaufen, es sei denn, sie wären von besonderer Bedeutung für das Saarland. Wir beschränken uns ausschließlich auf Funde aus dem Saarland. Wir nehmen also keine Funde an oder auf, die außerhalb des Saarlandes geborgen wurden. TM: Gab es für die Konzeption der Dauerausstellung ein Leitbild? FJS: Es gibt das Leitbild insofern, als der Grundgedanke bei der Konzeption dieser und auch der vorherigen Dauerausstellung war, den chronologischen Fortschritt zu zeigen und dann ausgehend von den einzelnen Epochen bestimmte Leitfunde, die für diese einzelnen Zeitabschnitte wichtig sind, zu zeigen. Um die Leitfunde, zum Beispiel um das Fürstinnengrab von Reinheim – das muss gezeigt werden – wird dann gruppiert, was man zu der Kultur oder zu dem Leben in der damaligen Zeit zeigen und aussagen kann. TM: Sie haben es gerade schon angesprochen: Das Museum selbst sammelt nicht mehr aktiv. FJS: Nein, das Museum hat ja die enge Verbindung mit dem Landesdenkmalamt, das im Land ausgräbt und bedeutende neue Funde werden dann bei uns präsentiert. Wir sind also – wie heißt es immer so schön? Das Schaufenster der Landesarchäologie. Unsere Exponate beschränken sich also nicht nur auf das, was 1980 ausgestellt war. Die Sammlung entwickelt sich schon weiter, aber die Funde sind nicht Eigentum des Museums oder der Stiftung, sondern des Landesdenkmalamtes und werden in der Staatlichen Altertümersammlung aufbewahrt. TM: In manchen Bundesländern gibt es oft kleinere Heimat- oder Stadtmuseen und übergeordnete Landesmuseen. Gibt es Regelungen dazu, wie ein Fund in solchen Fällen zugeteilt wird? Ob er also dem nächsten Heimatmuseum oder dem Landesmuseum zugesprochen wird? FJS: Jeder Fund hier im Land muss dem Landesdenkmalamt gemeldet werden, wird dort auch bearbeitet und dokumentiert und kommt in die Altertümersammlung. Und je nach Bedeutung kommt er natürlich auch hier in das Museum für Vor- und Frühgeschichte. Es kann aber auch sein, auf Anfrage hin, dass kleinere, regionale Museen Fun-
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de erhalten. Da haben wir einige Beispiele. Nehmen wir hier im Saarland das Römermuseum Schwarzenacker oder das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Pachten, nur um zwei Beispiele zu nennen, die mit Funden aus dem Museumsbestand und aus dem Landesdenkmalamt bestückt sind. Wo Funde ausgestellt werden, wird also im Einzelfall entschieden. TM: In Ihrer Dauerausstellung gibt es einige Leihgaben aus Privatsammlungen, aus der Staatlichen Altertümersammlung, aber auch aus den Museen in Trier und Speyer – wobei letztere meist Kopien sind. Gibt oder gab es je Bestrebungen, die Objekte beziehungsweise die entsprechenden Originale zu erwerben oder zurückzufordern? FJS: Nein. Die sind ja rechtmäßig da. Es ist ja nicht so, dass die Objekte unrechtmäßig in diesen Museen sind. Die waren damals eben zuständig für das Gebiet und haben daher die Funde bekommen. Von uns wurden die damals in den 1960er Jahren ausgeliehen, als das Museum wiedereröffnet wurde – oft auch im Tausch mit anderen Funden. Zum Beispiel haben wir ein Steindenkmal aus Trier bekommen und dafür einen Münzhort mit sogenannten Trierer Peterpfennigen nach Trier gegeben. TM: In Ihrer Dauerausstellung sind fast ausschließlich originale Objekte ausgestellt. Die wenigen Kopien sind als solche ausgewiesen und es gibt nur eine Rekonstruktion, nämlich die der Gürtelkette im Keltenraum. Was war die Motivation, auf Kopien und Rekonstruktionen weitestgehend zu verzichten und stattdessen auf Originale zu setzen? FJS: Die Entscheidung, auf Kopien zu verzichten, lag damals bei der Führung des Museums, die sagte: »Wir versuchen ausschließlich mit Originalen zu arbeiten.« Es gab vorher, in der vorangegangen Ausstellung, mehr Kopien. Wenn da ein Objekt wichtig war und es gab es hier nur in Kopie, dann wurde diese trotzdem ausgestellt. Von Rekonstruktionen ist man ganz abgekommen. Das hängt aber auch mit der Entscheidung der obersten Leitung [der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz] zusammen, die einen anderen Grundgedanken hatte. Man wollte, auch schon in den 1990er Jahren, wegkommen von dem Gefühl, hiermit ein Heimatmuseum zu haben. Man hat das Objekt in den Mittelpunkt gestellt und das ist sehr stark unter kunsthistorischen Betrachtungen geschehen. Das Kulturhistorische hat man von der Vitrine und von dem Platz um die Vitrine herum verbannt und in sogenannte AV-Stationen ausgelagert. TM: Würden Sie einige Sammlungsstücke nennen, die Sie als besonders herausragende Stücke der saarländischen Vorgeschichte bewerten und die für das Museum besonders wichtig sind? FJS: Ja, wenn wir durch die einzelnen Zeiten gehen – fangen wir mal in dem Raum zur Steinzeit an – da ist der Faustkeil von Ludweiler exquisit. Für die Bronzezeit sind es die Hortfunde, zum Beispiel aus Reinheim und Erfweiler-Ehlingen. Für die Eisenzeit sind es natürlich die reichen Gräber, wie zum Beispiel das Fürstinnengrab von Reinheim, das natürlich der Mittelpunkt der Ausstellung ist. Für die römische Zeit sind es die Wandmalereien von Mechern, die Bronzestatuetten aus Schwarzenacker und – je nach dem, unter welchen Gesichtspunkten man es sieht – die Funde aus den Terra Sigillata Manufakturen in Blickweiler und Eschweilerhof. Das sind so die herausragenden. Und für die frühgeschichtliche Zeit ist es das Inventar aus dem Gräberfeld von Altheim, weil das eines der wenigen, fast komplett ausgegrabenen Gräberfelder hier in unserem Raum ist,
Anhang 1: Interviewprotokolle
mit sehr reichen Beigaben. Wir haben uns für jeden Bereich ein-zwei Leitfunde ausgesucht. TM: Sie hatten eben bereits angesprochen, dass die Ausstellung die Sammlung spiegelt, also sowohl die Sammlung des Museums als auch die Staatliche Altertümersammlung. Das heißt, dass es an der Fundverteilung im Saarland liegt, dass die Räume zu den Kelten beziehungsweise zur Eisenzeit und zur Römerzeit wesentlich größer sind, als der Raum zu Stein- und Bronzezeit? FJS: Es liegt nicht nur an der Fundverteilung, sondern auch an der Fundgattung. Für die Steinzeit haben wir fast ausschließlich Lesefunde, also Einzelfunde, während wir aus anderen Zeiten Grabfunde und Siedlungsfunde haben. Wir haben natürlich auch viel Material für die Steinzeit und Bronzezeit, Grabhügel und so weiter und so fort. Aber die Wertigkeit [Schumacher meint in diesem Zusammenhang mit »Wertigkeit«, dass der Stein- und Bronzezeit im Vergleich zu anderen Epochen in der Ausstellung verhältnismäßig wenig Raum gegeben wird] liegt nicht an den Objekten, sondern ist zum Teil auch raumbedingt. Bei der Konzeption wurde es eben so aufgeteilt, wie der Raum vorhanden ist. Wenn man noch einen größeren Raum hätte, könnte an Stein- und Bronzezeit auch mehr Platz geben. Aber es ist natürlich klar, wenn ich jetzt alleine einmal die Kelten nehme – da haben wir so viele reiche Funde, nicht nur das Fürstinnengrab von Reinheim, sondern auch neuere Funde wie die Adelsnekropole von Oberlöstern –, das kann natürlich nur in einem entsprechenden Raum ausgestellt werden. TM: Warum gibt es kein Leitsystem und keinen Rundweg? War es eine bewusste Entscheidung, keinen Rundweg festzulegen? FJS: Es ist zum Teil den Räumlichkeiten geschuldet, aber im Grunde genommen gibt es schon einen Rundweg. Wenn man vom Eingang kommt, geht es über Steinzeit, Bronzezeit, dann folgt die Eisenzeit. Die schließt dann mit dem Götterrondell, wo keltische und römische Gottheiten sozusagen zusammenstehen. Das zeigt, dass hier etwas verschmilzt und von dort muss man dann hinübergehen zur Römerzeit. In den 1990ern war das Museum so, dass man im ersten OG einen Rundgang hatte, von der Steinzeit bis in die Frühgeschichte, und unten im Erdgeschoss wurde dann die Römerzeit noch einmal extra thematisiert, mit den großen Steindenkmälern, den Wandmalereien und den Kleinfunden. TM: Es gibt kaum Texte in der Ausstellung, die wenigen, die es gibt, sind in die sogenannten AV Stationen ausgelagert. Auch auf sonstige Informationen in Form von Grafiken, Zeitstrahlen, Modellen, Illustrationen et cetera, wie man sie sonst oft in archäologischen Museen sieht, wurde verzichtet. Stattdessen werden die Objekte als Einzelstücke und wie Kunstwerke präsentiert. Welche Gründe hatten die Macher der Ausstellung für dieses Konzept? FJS: Die Ausstellungsmacher wollten das Objekt in den Mittelpunkt stellen und von allem Ballast drum herum befreien. Deshalb wurde dieser sogenannte »Ballast« in die Computer Stationen verlagert. Mir persönlich ist das nicht so angenehm, ich hätte lieber bestimmte Informationen noch direkt optisch in der Ausstellung, zum Beispiel in welcher Zeit wir uns hier befinden. Auch die Objektschilder sollten mehr Informationen beinhalten als nur Fundort, Zeit, Eigentümer und Material. Da sollte auch drauf, was
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das Objekt überhaupt ist. In den Sonderausstellungen machen wir das auch schon so. Aber man wollte das Objekt damals bei der Konzeption der Dauerausstellung für sich wirken lassen. TM: Wurde bei der Konzeption an eine bestimmte Zielgruppe gedacht? FJS: Nein. Aber eine bestimmte Zielgruppe wurde durch die Konzeption der Ausstellung zurückgedrängt, nämlich vor allem Schulklassen. Es wurde den Führungen durch Museumspädagogen übertragen, den Bedürfnissen dieser Zielgruppe gerecht zu werden. Der Normalbesucher, der alleine ins Museum geht, muss sich der Anstrengung unterziehen, in den AV Stationen zu lesen und sich die Informationen dort zusammenzusuchen. TM: Wie ist das Museum mit dem Landesdenkmalamt verzahnt? Worin besteht die Zusammenarbeit beider Institutionen und ist diese vertraglich geregelt oder basiert sie mehr auf freundschaftlicher Kooperation? FJS: Das Museum war immer Teil des damaligen Konservatoramtes und der Altertümersammlung. Es ist auch als Schausammlung der Altertümersammlung entstanden. Als es 1980 in die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz überging, schuf man ein Konstrukt, in dem der Leiter der Bodendenkmalpflege im Konservatoramt ehrenamtlich Direktor des Museums war. Dadurch konnte das Museum auf die Mitarbeiter des Konservatoramtes zurückgreifen, wie Techniker oder Konservatoren, um Ausstellungen zu machen oder Funde zu bearbeiten. Die Büros waren auch hier im Gebäude. Diese Regelung hatte bis Anfang der 2000er Jahre Bestand und dann wurde das Landesdenkmalamt neu organisiert. Es zog um nach Landsweiler Reden, sodass das Depot, die Werkstätten, die Bibliothek und so weiter räumlich vom Museum getrennt wurden. Die Zusammenarbeit beruhte von da an nur noch auf den persönlichen Kontakten der zuständigen Wissenschaftler und Mitarbeiter. Momentan gibt es Bestrebungen, diese Zusammenarbeit durch einen Kooperationsvertrag zu festigen, denn die Einheit von Landesdenkmalamt und Museum soll gewahrt werden. Wie eben schon gesagt, greifen wir ja auf die neuen Funde des Landesdenkmalamtes zurück und wir ordnen auch unsere Sammlungsstücke zusammen mit der Staatlichen Altertümersammlung ein, vor allem natürlich die, die nicht ausgestellt sind. Die archäologischen Funde aus dem Saarland sollen dadurch räumlich eine Sammlung darstellen und nicht auf mehrere Standorte verteilt sein. Das ist wichtig, zumal die Restaurierungswerkstatt des Landesdenkmalamtes auch unser Museum betreut, obwohl das vertraglich nicht festgelegt ist. Also es muss eine offizielle Regelung her, damit die Zusammenarbeit auch zukünftig so bleibt. TM: Aber die Personalunion von Leitung der Bodendenkmalpflege und Direktion des Museums besteht nicht mehr? FJS: Nein. Ich bin als Sammlungsleiter für das Museum für Vor- und Frühgeschichte bei der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz angestellt und für die Bodendenkmalpflege sind im Landesdenkmalamt zwei Kollegen/Kolleginnen zuständig, die aber nicht für das Museum verantwortlich sind. TM: In welchem Verhältnis steht das Museum zur Kulturpolitik des Saarlandes? Wird von Seiten der Landesregierung auf die Arbeit des Museums Einfluss genommen?
Anhang 1: Interviewprotokolle
FJS: Da das Museum zur Stiftung Saarländischer Kulturbesitz gehört und diese eine Stiftung des öffentlichen Rechts ist, ist das Museum mit der Kulturpolitik des Landes verzahnt. Der Minister für Kultur und Bildung ist auch der oberste Kurator der Stiftung. Er führt das Kuratorium und das Ministerium hat dadurch einen gewissen Einfluss auf das Museum und die Stiftung. TM: Wirkt sich dieser Einfluss auch finanziell auf die Arbeit des Museums aus? Ist zum Beispiel von Seiten des Landes vorgeschrieben, wie groß der Anteil des Museums für Vorund Frühgeschichte am Jahresbudget der Stiftung zu sein hat? FJS: Im Großen und Ganzen entscheidet über den Einsatz der Mittel die Stiftung. Aber sie erhält ihr Budget natürlich durch öffentliche Gelder, vom Ministerium selbst, von Saartoto und so weiter [als Saartoto wird umgangssprachlich die saarländische Lottogesellschaft Saarland-Sporttoto GmbH bezeichnet]. Sie stimmt den Einsatz der Gelder aber natürlich mit dem Ministerium ab und ist dem Land Rechenschaft schuldig. TM: Welche Ereignisse oder Personen haben Ihrer Meinung nach das Museum besonders geprägt? FJS: Vor allem die ersten Museumsdirektoren, Karl Klein, Josef Keller, Reinhard Schindler und Alfons Kolling, weil diese gleichzeitig auch Landeskonservatoren und Landesarchäologen waren. In den 1990er Jahren war Andrei Miron der Leiter der Bodendenkmalpflege und ein Museumsdirektor, der viele Sonderausstellungen veranstaltete. Er war auch derjenige, der die archäologischen Denkmalstätten im Land initiierte. Borg, Reinheim, Tholey, Otzenhausen und so weiter, das ging alles auf die Arbeit von Miron zurück. TM: Was sprach dafür, bei der Gründung der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz neben den Kunstmuseen auch ein archäologisches Museum aufzunehmen? FJS: Es sollten alle Museen des Landes in die Stiftung aufgenommen werden, also neben dem Saarlandmuseum, der Modernen Galerie und der Alten Sammlung eben auch das Museum für Vor- und Frühgeschichte mit der Römischen Villa Nennig. Die Stiftung wurde gegründet, um die Schenkung der Kunst-Sammlung Kohl-Weigand, aber auch andere Schenkungen und Spenden, annehmen zu können. TM: Warum wurden dieser Standort und dieses Gebäude, also das ehemalige Kreisständehaus am Schlossplatz in Altsaarbrücken, für das Museum gewählt? FJS: Der Standort für das Museum für Vor- und Frühgeschichte wurde ausgiebig diskutiert. Zuvor war es am Ludwigsplatz im Palais Freithal ansässig und sollte mit dem Palais Röder nebenan einen Erweiterungsbau erhalten, aber 1985 brauchte die Staatskanzlei nebenan mehr Platz und das Museum musste weichen. Dann war das Museum fünf bis sechs Jahre ausgelagert. In der Zeit gab es sowohl von politischer, als auch von öffentlicher Seite her Diskussionen um den Standort. Es wurden Gutachten angefertigt, ob das Schloss oder das Erbprinzenpalais als Museumsbau genutzt werden könnten. Es war auch im Gespräch, die beiden Gebäude in der Bismarckstraße, in denen jetzt die Verwaltung der Stiftung sitzt, umzubauen und das Museum dort einzurichten. Land und Stiftung haben sich aber letztendlich auf das Kreisständehaus geeinigt, wobei die Vorgabe war, dass das Museum und das Landesdenkmalamt gemeinsam in dieses Haus
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einziehen sollten, damit beide Institutionen zusammenbleiben. Das war dann auch zu Beginn noch so, das Landesdenkmalamt nutzte das zweite und dritte OG und im ersten OG und im Erdgeschoss waren die Ausstellungsräume des Museums. Das Gebäude wurde von 1990 bis 1993 umgebaut und das Museum wurde hier 1993 eröffnet. Der Architekt damals war Miroslav Volf. TM: Wurde die Innenarchitektur hier noch für das Museum verändert oder blieb sie weitestgehend bestehen, zum Beispiel mit Blick auf die Raumaufteilung? FJS: Das Kreisständehaus war ursprünglich ein Verwaltungsbau für den Kreis Saarbrücken, mit Büro- und Versammlungsräumen. Im ersten und zweiten Stock gab es deshalb jeweils drei Säle, also in den Risaliten und im Mittelbau jeweils einen. Der Architekt hat den Charakter dieser drei Säle auf jeder Ausstellungsetage wiederhergestellt und sie mit Durchbrüchen versehen, damit die Räume optisch ineinander übergehen und man beispielsweise von der Steinzeit in die Bronzezeit, von der Bronzezeit in die Eisenzeit, von der Eisenzeit in die Römerzeit und so weiter schauen kann und einen Rundgang initiieren kann. Für seinen Entwurf erhielt Volf auch eine Auszeichnung. Bei der Neukonzipierung der Dauerausstellung 2009 wurde diese dreiteilige Raumaufteilung beibehalten, aber die Ausstellungsarchitektur wurde neu gestaltet. Die Vitrineneinbauten und die Präsentation des Fürstinnengrabs von Reinheim beispielsweise wurden erst damals angelegt. TM: Waren die Säulen und der Treppenaufgang im Mittelteil des Erdgeschosses von Anfang an im Gebäude? FJS: Die waren von Anfang an im Gebäude. Als das Gebäude 1910/1911 errichtet wurde, wurden die aus einem Privathaus in dieses Haus verbracht. TM: Wie wurde der Name des Museums gewählt? Warum heißt es »Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes« und nicht »Archäologisches Landesmuseum« oder »Museum für Ur- und Frühgeschichte« oder ähnlich? FJS: Der erste Name war eigentlich »Schausammlung der Staatlichen Altertümersammlung«. Später entschied man sich aber für den Namen »Museum für Vor- und Frühgeschichte«, weil an der Universität des Saarlandes ein Institut für Vor- und Frühgeschichte gegründet wurde und man mit dem Namen zeigen wollte, dass Institut und Museum demselben Fachgebiet angehören. Begriffe wie »archäologisches Museum« und eine erneute Umbenennung wurden später diskutiert, aber es gibt in Deutschland auch den gegenläufigen Trend, bei dem Museen in »Museum für Vor- und Frühgeschichte« umbenannt werden. Vor- und Frühgeschichte hat gegenüber dem Begriff Archäologie den Vorteil, dass es sich dabei um die Bezeichnung des Fachs handelt, das die kulturhistorische Entwicklung hier in Mitteleuropa von der Vorzeit bis ins Mittelalter erforscht. Während mit Archäologie auch griechische oder römische Antike, Ägyptologie und so weiter gemeint sein könnte. TM: Herzlichen Dank für das Gespräch. Franz-Josef Schumacher war von 1986 bis 2018 als Sammlungsleiter am Museum für Vorund Frühgeschichte des Saarlandes tätig.
Anhang 1: Interviewprotokolle
Anhang 1.2: Protokoll des Interviews mit Roland Mönig (RM)
TM: Herr Mönig, nach Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis haben Museen als Träger eines solchen Gedächtnisses dem Kollektiv gegenüber eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren und steuern die Vermittlung des Gedächtnisses. Wo spielt diese Thematik in der täglichen Arbeit der Stiftung und des Museums eine Rolle? Wird beispielsweise in Planungsprozessen oder Arbeitsschritten die Vermittlung von kulturellem Erbe und kultureller Identität reflektiert? Mit Blick auf den Namen der Stiftung könnte man vermuten, dass die Stiftung sich der Identität des Saarlandes in besonderer Weise verpflichtet fühlt. RM: Die Geschichte, die man erzählen muss, hat mehrere Ebenen. Es geht dabei auch darum, wie die Stiftung entstanden ist, zu welchem Zweck sie entstanden ist und wie sie heute funktioniert. Aber bevor wir darauf kommen, vielleicht zuerst eine kurze Anmerkung zur Museumspraxis, unabhängig vom Namen und von der Geschichte: Natürlich spielt die Reflexion auf die Frage »Wie funktioniert ein Museum als kulturelles Gedächtnis?« immer eine Rolle, egal welcher Couleur das Museum ist, egal welcher Thematik es sich annimmt. Ich glaube, Museen sind immer Gedächtnisorte. Museen sind Orte, an denen Geschichte aufgearbeitet wird – unter dem Horizont der Gegenwart. Und in dem Maße, in dem das geschieht, schaut man natürlich auch in die Zukunft. Es ist ja auch eine Selbstvergewisserung mit einem Blick in die Zukunft, die wir leisten. In den allerseltensten Fällen wird das bewusst reflektiert, in dem Sinne dass man sagt: »So, jetzt stehen wir an einem Punkt X und jetzt denken wir uns die Kunst neu oder denken wir über bestimmte Themen nach, die wir bisher nicht erschlossen haben, oder über neue Weisen, diese Themen zu erschließen.« In der Regel wird es so sein, dass man das im täglichen Betrieb tut, dass man das einfach als ein Kontinuum empfindet. So wie es zum Autofahren dazugehört, dass immer der Tank voll ist – oder die Solarzelle. Dann gibt es natürlich auch die seltenen Ausnahmesituationen, in denen ein Museum einen Neustart erlebt – das haben wir jetzt beim Museum für Vor- und Frühgeschichte nicht, das haben wir wohl hier unten an der Modernen Galerie gehabt. Dann werden solche Prozesse vielleicht noch mal aus dem Hintergrund in den Vordergrund gehoben. Dann ist es nicht das Hintergrundrauschen nach dem Big Bang, sondern dann ist es der Big Bang selber. Das ist die eine Ebene. Die andere Ebene, die Sie ansprechen, ist offen gestanden in dieser programmatischen Eindeutigkeit, die Sie gerne unterstellen möchten und die gerne von außen unterstellt wird, nicht zu beantworten. »Stiftung Saarländischer Kulturbesitz« hört sich staatstragend an, ist aber am Ende eine Zweckkonstruktion, die heute, nachdem sie eine Geschichte von fast fünfzig Jahren hinter sich hat, andere Zwecke erfüllt als zu Beginn gedacht. 1980 ist die Stiftung ins Leben gerufen worden – nicht weil man den saarländischen Kulturbesitz als eine Staatsaufgabe hochheben wollte oder weil man eine Trägerschaft für die großen Kulturthemen des Landes suchte. Die Stiftung war erst einmal eine Zweckkonstruktion um eine große Sammlung aufzunehmen, die Privatsammlung Kohl-Weigand, die durch eine Steuerschuld an das Land gefallen war. Man brauchte ein juristisches Behältnis, um diese Sammlung aufzunehmen, und das war die Stiftung Saar-
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ländischer Kulturbesitz. Zwei Jahre später ist dann auch das Saarlandmuseum, für das am Ende diese Sammlung bestimmt war, weil sie inhaltlich passte, in die Stiftung integriert worden. Und dann wurde auch noch das Museum für Vor- und Frühgeschichte mit der Römischen Villa Nennig in die Stiftung integriert. Das war der erste Wachstumsring. Und der zweite Wachstumsring ist dann 2004 erfolgt, als man das Deutsche Zeitungsmuseum gegründet hat, das auch noch in diese Stiftung hineingenommen wurde. Das heißt, im Grunde hatte diese Stiftung einen definierten Zweck und ist dann in zwei Phasen gewachsen – und durchaus nicht homogen gewachsen. Man kann aus der heutigen Perspektive gewisse Zweifel daran haben, ob das jeweils die richtigen Wachstumsschritte waren. Die Stiftung wird ja immer gerne mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz verglichen. Aber der Vergleich hinkt total, weil die Situation hier viel fragmentarischer ist, viel ungeordneter und viel inhomogener. Nicht nur sind die Häuser sehr unterschiedlich – das ist bei der Preußen-Stiftung auch so –, sondern auch die Aufgabenverteilung unter den Häusern ist weniger ausgewogen. Und die Stiftungsstruktur ist weniger solide. Deswegen ist die Unterstellung, es gäbe eine staatstragende Absicht hinter der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, sehr problematisch. Tatsächlich ist es so, dass die Eingliederung in die Stiftung speziell dem Museum für Vorund Frühgeschichte geschadet hat. Das hat für das Museum nicht nur den Verlust der Eigenständigkeit bedeutet – das kann man immer so oder so sehen. Es gibt ja immer einen Träger, ob es das Land in direkter Trägerschaft ist oder ob es eine Landesstiftung ist. Aber was viel eingreifender ist: Es hat eine Organisationsstruktur verloren, in der es vorher fest angesiedelt war, und es hat Personal verloren. Das Museum für Vor- und Frühgeschichte war vorher Teil des Landesdenkmalamtes und war in dessen Struktur eingebunden – sowohl was die vorbereitenden Arbeiten, wie Grabungen und Felduntersuchungen, als auch was den dauernden Betrieb betrifft. Es konnte vom Personal des Landesdenkmalamtes profitieren. Denn sie waren eins. Und mit der Ausgliederung aus dem Landesdenkmalamt und mit der Eingliederung in die Stiftung ist fast der komplette Personalbestand weggebrochen. Inzwischen haben wir nur noch einen einzigen festangestellten Archäologen, keinen Restaurator, kein eigenes Technikpersonal, keine Werkstätten, keine eigenen Depots. Das heißt, wir sind das reine Schaufenster einer fremden Sammlung, die zwar auch in Landesträgerschaft ist, genau wie die Stiftung, auf die wir am Ende aber nur aufgrund von Vereinbarungen Zugriff haben. Wir können die Sammlung auch nicht erweitern. Wir können, wenn wir Objekte in unserer Dauerausstellung oder in Wechselausstellungen nicht zeigen können oder wollen, die Objekte auch nicht selber einlagern. Wir geben sie immer zurück in das Zentraldepot der Staatlichen Altertümersammlung in Landsweiler-Reden. Getoppt wird die Undeutlichkeit noch dadurch, dass im Moment des Übergangs in die Stiftung zu Beginn der 1980er Jahre alles, was zu dem Zeitpunkt mehr oder weniger willkürlich in den Vitrinen des Museums war, als Stiftungsbestand inventarisiert wurde, während die ganze Backlist sozusagen formal in Landeshand geblieben ist. Das ist so als ob Sie in irgendeinem x-beliebigen Museum durch die Dauerausstellung gehen und zufällig das inventarisieren, was da gerade an den Wänden hängt und in den Vitrinen liegt. Dann erfassen Sie, je nach Größe des Museums und seiner Sammlung, zwischen zwei und vier Prozent des Bestandes und Sie erfassen natürlich immer nur eine Momentaufnahme. Eigentlich war das damals sogar ein Akt, der dem musealen Gedanken zu-
Anhang 1: Interviewprotokolle
widerläuft. Der museale Gedanke geht ja davon aus, dass man eine Sammlung hat, die Sammlung hat eine Geschichte und im Laufe der Entwicklung des Museums wächst einerseits die Sammlung und andererseits wächst die Reflexion dessen, was gewesen ist. Um es plakativ und mit einem geflügelten Wort zu sagen: »Geschichte wird nach vorne gelebt, aber rückwärts verstanden.« Sie schauen immer neu in die Bestände hinein und erfahren deswegen auch immer neue Möglichkeiten in ihrer musealen Aufbereitung angesichts der gegenwärtigen Fragen. Das wäre wieder der Punkt, den wir zu Anfang hatten. Wir stellen aus der Gegenwart Fragen an die Vergangenheit. Wir können diese Fragen an die Vergangenheit im Fall des Museums für Vor- und Frühgeschichte aber nur sehr begrenzt stellen, weil wir eben nur eine zufällige Momentaufnahme einer viel, viel größeren Sammlung haben. Der Rest ist grundsätzlich zugänglich, aber nicht in direkter Verfügbarkeit. Das ist eine sehr merkwürdige Konstruktion. Der Name unterstellt mehr, als die Konstruktion, als die Einrichtung einlösen kann, die mit ihm belegt ist. TM: Werden bei der Arbeit der Stiftung gezielt bestimmte Aspekte des kulturellen Gedächtnisses in Form des Bestandes, auf den die Stiftung Zugriff hat, ausgewählt, um eine saarländische kulturelle Identität zu thematisieren? Hat die Stiftung den Anspruch, einen großen Überblick über die Geschichte und Identität des Landes zu bieten oder hat sie ganz bestimmte, klar definierte Themen im Blick? RM: Das ist noch eine gute Frage, die sich so einfach nicht beantworten lässt. Ich glaube, dass man die Stiftung sowohl personell und strukturell wie auch finanziell überfordern würde, wenn man mit ihr verbinden würde, dass sie die kulturelle Identität des Landes komplett abbildet. Das geht auf der einen Seite nicht, weil die Stiftung aufgrund ihrer Struktur, ihres Aufbaus, nur viel weniger leisten kann. Auf der anderen Seite geht es nicht, weil sie Dinge leistet, die dazu gar nicht gehören, wie zum Beispiel das Zeitungsmuseum. Das Deutsche Zeitungsmuseum ist im allgemeinen Sinne ein Museum über die Geschichte eines Mediums, und inzwischen ist es auch ein Museum über die Geschichte der Auflösung und Transformation dieses Mediums, weil die Zeitungen sich in ihrer traditionellen Form auflösen und verändern. Das hat mit saarländischer Identität nichts zu tun. Natürlich kommen immer wieder regionale, landesspezifische Themen vor, wie jetzt im Moment zum Beispiel eine Ausstellung über eine Bergbau-Zeitschrift, eine Zeitschrift der Saar-Bergwerke. Dann geht es ganz direkt um die kulturelle Identität des Saarlandes. Aber das Museum ist, obwohl es Teil der Stiftung ist, im engeren Sinne nicht Teil der identitätsbildenden Aufgaben, die die Stiftung hat. Und wenn die Stiftung diese identitätsbildenden Aufgaben verfolgt – und das tut sie sicherlich in einem starken Maße in den Museen oben am Schlossplatz, im Museum für Vor- und Frühgeschichte und in der Alten Sammlung –, dann kann sie das auch nicht im umfassenden Sinne tun. Es gibt kein großes historisches Museum im Land, wie man das sonst gerne überall hat. Das gibt es in anderen Ländern auf Landes- oder auf regionaler Ebene, hier aber nicht. Wenn man das konsequent denken wollte, dann müsste man sagen: Das Museum für Vor- und Frühgeschichte gehört an den Anfang einer solchen Gesamtkonzeption, also die Bestände von den Kelten und Römern und bis zum frühen Mittelalter. Denn so weit reichen ja die Bestände, Vorund Frühgeschichte ist ja ein sehr dehnbarer Begriff. Daran könnte man die Mittelal-
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ter Bestände in der Alten Sammlung des Saarlandmuseums anschließen, die auf das Heimatmuseum zurückgehen, das in den 1920er Jahren gegründet worden ist, in einem Moment, in dem man nach Selbstbesinnung und Selbstbestimmung suchte. (Im selben Moment gab es aber auch eine Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Trägern und politischen Spielern im Land, denn die Stadt wollte ein Heimatmuseum und die Regierungskommission unter dem Völkerbund hatte einen anderen Wurf im Kopf. Die wollten ein staatliches Museum mit einem viel weiter gespannten Themenfeld. Da hätten auch die archäologischen Themen eine Rolle gespielt. Und in der Konkurrenz sind dann auch Sammlungen gegeneinander ausgespielt worden. Es hat dann nie die große Lösung gegeben.) Mit der Alten Sammlung könnte man vom Mittelalter im Grunde bis in den Barock kommen, ja sogar bis ins frühe 19. Jahrhundert. Das ist ja auch im Obergeschoss des Kreisständehauses zu sehen: Fürstenzeit, frühe Industrialisierung, frühes Bürgertum. Und dann hört es in der Stiftung auf. Dann gibt es eigentlich regionalgeschichtlich fast nichts mehr, bis auf ein paar Irrläufer. Dann beginnt es museal erst mit der Moderne wieder, mit Künstlern und Strömungen, die durchaus nicht nur im Land beheimatet sind. Das ist alles in der Modernen Galerie angesiedelt. Für eine komplette historische Betrachtung bräuchte man dann alles, was jetzt im Historischen Museum Saar untergebracht ist. Das setzt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an und erzählt anhand von Dokumenten und Objekten, weniger anhand von Kunstwerken, die Geschichte bis in den heutigen Tag weiter. Die museale Gesamtsituation gleicht also einem Flickenteppich. Man könnte einen Teil aus dem archäologischen Bestand nehmen, man könnte einen Teil aus der Alten Sammlung nehmen, man könnte einen Teil aus dem Historischen Museum nehmen – das aber nicht in unserer Trägerschaft ist –, und die Moderne Galerie wäre immer außen vor, weil die wieder einen anderen Auftrag hat. Der ist zum Teil mit der Identität des Landes verknüpft, weil es eben auch um saarländische Künstler geht, die sich in einer bestimmten Szene bewegt haben, die inzwischen auch sehr stark durch das Museum selber geschaffen ist – da gibt es auch Rückkopplungseffekte. Und natürlich ist immer im Blick zu behalten, in welchem Maße die Moderne Galerie, aber auch das Museum für Vor- und Frühgeschichte mit ihren Wechselfällen die politischen Einflussnahmen gerade im 20. Jahrhundert spiegeln. Die Völkerbundzeit, dann die Zeit kurz nach 1945, als eine frankophile Regierung tonangebend war und die Tür zu einer europäischen Lösung für das Saarland offen stand – das alles spielt ja eine Rolle dabei. Aber es gibt keine kontinuierliche Erzählung, in die man das einbetten könnte. Und das wäre eigentlich der Wunsch den man haben würde, wenn man sagt »Wir schaffen ein Landesmuseum, das die kulturelle Identität abbildet.« Die kulturelle Identität ist irgendwo überall da, aber sie ist immer in Fragmenten erlebbar. Möglicherweise – ich denke darüber nach, seit ich hier tätig bin – hat das auch mit der fragmentierten Identität des Landes selber zu tun und mit den Interessengruppen. Vielleicht lässt sich die Identität des Landes, wie sie sich insbesondere in den letzten zwei Jahrhunderten entwickelt hat, auch gar nicht anders abbilden als in Fragmenten. TM: Möchten Sie zum Thema Erbe und Identität noch etwas anmerken? Möglicherweise begegnet Ihnen in Ihrer Arbeitspraxis öfter mal eine Fragestellung oder Problemstellung, die sich in dem Themenfeld bewegt.
Anhang 1: Interviewprotokolle
RM: Museen haben per se mit der Identität zu tun. Mit der Identität der Vergangenheit, weil sie sie in Objekten konservieren, aber auch mit der Identität der jeweiligen Gegenwart. Weil sie die jeweilige Gegenwart mit genau diesen Objekten konfrontieren. Und da sehe ich auch die Aufgabe eines Museums heute – in einem Moment, in dem man meint, alles könne und müsse digitalisiert werden und wenn es digitalisiert sei, dann sei gewissermaßen das Ende der Geschichte erreicht. (Hegels Diktum vom Ende der Kunst kehrt auf überraschende Weise wieder in dieser Haltung.) Ich glaube, dass wir die Objekte weiterhin brauchen werden, weil wir am Objekt zur Erkenntnis kommen, an dem Objekt, zu dem wir zurückkommen, das uns als physischer Gegenstand gegenübertritt und uns ein Gegenüber, einen Anlass für die Reflexion bietet. Das ist mit dem Prozess der Erinnerung ja immer so, nicht nur im gesellschaftlichen Raum, sondern auch in der individuellen Erfahrung. Es ist ganz schön, wenn Sie dreitausend Fotos auf Ihrem Smartphone haben. Aber die Dinge, an denen Sie Ihre Identität festmachen wollen, die möchten Sie dann doch gerne als Bild in einem Rahmen oder in einem Album oder Fotobuch stehen haben. Und Sie werden zu dem Album oder Fotobuch greifen, um sich in einem bestimmten Moment Ihrer Identität zu vergewissern, um zu sagen: »Das war da und hier bin ich jetzt.« Museen sind für mich etwas Ähnliches. Und deswegen sind die Objekte so wichtig. Man kehrt zu den Objekten zurück, man kehrt zu Konstellationen zurück. Man kehrt auch zu den konkreten Räumen zurück, in denen die Objekte ausgestellt sind. Dabei kann es auch interessant sein, dass die Objekte in den Räumen wandern und dort ihre Nachbarschaften wechseln, weil sich dasselbe Objekt in einem anderen Raum oder in einer anderen Nachbarschaft wieder für andere Identitätsprozesse anbieten kann. Wie wichtig so eine physische Verwurzelung von Kunst ist und wie wichtig die physische Präsenz eines Dings ist, in so einer Bilderwelt, in der ja dauernd alles virtuell zu kreisen scheint, das wird mir in dem Moment bewusst, wo ich nach Nennig gehe. Das ist ein Bild [das Gladiatorenmosaik in der römischen Villa Nennig], das knapp zweitausend Jahre alt ist und immer am selben Ort gewesen ist. Es hat immer zu diesem Ort gehört. Es ist ein Bild, das uns diesen Ort auch immer noch vergegenwärtigt. Wir sehen an dem Bild die schiere Größe der Villa. Das Bild allein gibt uns einen Anhaltspunkt, um zu verstehen, dass hier ein gewaltiges Gebäude gestanden haben muss. Und diese Ortsgebundenheit von Bildern, diese Geschichtsgebundenheit von Bildern in einer Welt, in der die Bilder sich immer mehr von den physischen und historischen Orten abzulösen scheinen, das ist aus meiner Sicht die Überlebensgarantie für das Museum. TM: Also an den Tod des Museums glauben Sie nicht? Es wird ja oft prognostiziert, dass die Museen alle virtualisiert werden und man irgendwann nur noch virtuell ins Museum geht und eben nicht mehr real. RM: Wir sind alle reale Menschen, oder? Ich glaube, dass die Museen alle vor riesen Herausforderungen stehen, aber die Herausforderungen liegen nicht so sehr in der Technik der Digitalisierung selber. Es gibt ja im Moment auch eine große Diskussion darüber, wie man sich zum virtuellen Raum verhalten soll. Es gibt Kollegen – oder wahrscheinlich gab es sie; und inzwischen schwindet diese Front – die gesagt haben: »Ich will partout nicht in den virtuellen Raum mit meinen Dingen, weil ich mir dann die realen Besucher abgrabe.« Immer mehr aber zeigt sich, dass genau das Gegenteil der
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Fall ist: dass Bilder in den Sozialen Medien, in Instagram, Snapchat et cetera kreisen müssen, um ihre Aktualität und ihre Bedeutung gewissermaßen zu beweisen, um sich mit Diskursen anzureichern – um es abgehoben zu formulieren. Manchmal ist das ja bloß »Blabla«. Ich glaube, dass da auch eine Chance liegt und man so auch ein anderes Publikum erreichen kann. Die Frage, die sich für die Museen vielmehr stellt – und das gilt, glaube ich, für alle Museumstypen – ist vielmehr: Wie kann man ein Publikum erreichen, das mit einer anderen Form von Mediennutzung aufwächst? Das damit aufwächst, dass Bilder erstens schnell verfügbar, zweitens schnell vergessen sind; dass Bilder zu jedem beliebigen Zeitpunkt gemacht werden können und auch sofort verfügbar sind. Das aber zum Teil die Sprache, also buchstäblich die Grammatik und die Syntax von Bildern nicht mehr kennt und Bilder nicht lesen, und schon gar nicht kritisch lesen, kann. Bilder sind ja auch Quellen, und mit Bildern meine ich jetzt alles, was visuell daherkommt: Das kann auch eine Skulptur sein, das kann ein Kapitell sein. Das alles hat ja eine Geschichte hinter sich, hat einen Hintergrund in der visuellen Wahrnehmung und in der Reflexion über das visuelle Wahrnehmen über manchmal Jahrhunderte, Jahrtausende oder Jahrzehntausende hinweg, wenn Sie an die ersten Höhlenzeichnungen denken. Und heute erscheint es uns so, dass Bilder ohne Reflexion möglich sind, weil die Technik sie wie von selbst produziert. Als man mit dem Bildermachen begonnen hat, Stichwort: Grotte Chauvet, da war das Technische nicht selbstverständlich vorhanden und es bedurfte zudem einer Reflexion, um ein Bild überhaupt machen zu wollen. Heute haben Sie die Technik und Sie müssen nicht mehr reflektieren, Sie können auf alles Ihr Smartphone richten und Sie haben sofort einen Abklatsch der Realität, aber Sie haben immer noch kein Bild. Und es wird, glaube ich, die große Frage sein, wie man diese unterschiedlichen Aggregatzustände des Bildes und der visuellen Wahrnehmung heute bewusst machen kann und wie man Menschen heute dafür interessieren kann, sich damit auseinanderzusetzen. Das ist dann auch eine allgemeingesellschaftliche Frage. Die Museen kommen aus einer bürgerlichen Bildungstradition heraus und wenn diese bürgerliche Bildungstradition sich verändert oder wenn sie sogar schwindet: Wie und mit welchem Inhalt, mit welcher Ideologie gleichsam, füllen Sie die Leere, die zurückbleibt? Ist dann der einzige Weg, diese Leere zu füllen, indem man einen DJ auflegen lässt? Das kann man machen. Aber ist es dann noch ein Museum? Es geht nicht um die Frage: elitär – nicht elitär. Es geht um die Frage: »Wie kann etwas selbstverständlich bleiben oder wieder selbstverständlich werden, für Menschen, für eine Publikumsschicht, für die es nicht mehr selbstverständlich ist?« TM: Folgt die Arbeit der Stiftung und insbesondere des Museums für Vor- und Frühgeschichte einem bestimmten Leitbild? Wird nach bestimmten Leitlinien gesammelt oder nach bestimmten Prinzipien ausgestellt? RM: Nein, das ist ein bestehendes Defizit, das aber auch angesichts einer etwas kompliziert verlaufenen Geschichte der Stiftung und einzelner ihrer Häuser in den letzten knapp zehn Jahren besteht. Zeichen dieser immer noch unabgeschlossenen, zum Teil schwierigen Geschichte ist auch die Tatsache, dass wir am Kreisständehaus die merkwürdige Situation haben, die auch schwer in ein Leitbild zu bringen sein wird, dass zwei Häuser buchstäblich ineinandergesteckt worden sind. Zudem wurde das Kreisständehaus mit der Schlosskirche verbunden – das sind zwei zwar räumlich benach-
Anhang 1: Interviewprotokolle
barte, aber nicht inhaltlich oder irgendwie architektonisch verbundene Gebäude. Es gibt also die Schlosskirche und das ehemalige Kreisständehaus, es gibt die Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte und die Sammlung der Regionalia und Altertümer der Alten Sammlung des Saarlandmuseums. Die sind zusammengesteckt worden, ohne dass über die Beziehung zwischen den beiden Sammlungsschwerpunkten wirklich vertieft nachgedacht worden wäre. Es ist wirklich so: Sie haben eine Kommode mit drei Schubladen und oben haben Sie Socken, in der Mitte haben Sie Hemden und unten haben Sie Unterhosen oder so. Das alles ist Wäsche, aber da gibt es keinen Zusammenhang. Sie haben ganz oben die Alte Sammlung, Sie haben in der Mitte einen Bereich, der zwischendurch auch mal Alte Sammlung war – wir haben ihn in den letzten Jahren verstärkt für Wechselausstellungen genutzt – und im Erdgeschoss sind die »Antiken« (wobei es natürlich auch da die unterschiedlichsten Schattierungen gibt). Und dann gibt es das ganze Thema im Grunde noch mal in der Schlosskirche. Da gibt es die Kirche mit den Fürstengräbern, die selbst ein Denkmal ist. Dann gibt es eine Tranche zur Archäologie des Mittelalters und dann noch eine Tranche mit mittelalterlicher Skulptur auf der Empore. Die Schlosskirche ist ein Ort, der in keiner Weise Museum ist. Sie ist eine säkularisierte Kirche, die noch dazu parallel als Proben- und Konzertort von der Hochschule für Musik Saar benutzt wird. Selbst die Oude Kerk in Amsterdam funktioniert besser, wenn Sie sie für Ausstellungsprojekte benutzen, als die Schlosskirche. Obwohl die Oude Kerk sogar nicht säkularisiert ist. Aber wenn Sie dort eine Ausstellung reinsetzen, dann ist das wirklich eine Ausstellung. Das haben Sie dort auch unter Kontrolle, in der Schlosskirche haben Sie das nie unter Kontrolle. Deswegen sollte es eigentlich ein Leitbild geben, eigentlich ist das State of the Art. Dass es keines gibt, liegt aber auch an einer in vielen Hinsichten noch nicht geklärten Situation innerhalb der Stiftung und ihrer Häuser. Da müssen wir ran. TM: Andererseits können Leitbilder aber auch Nachteile mit sich bringen, wenn sie die Arbeit beispielsweise einschränken und Möglichkeiten begrenzen. RM: Ja, das ist ein zweischneidiges Schwert. Ein Leitbild wird im Moment in vielen Unternehmen als Handlungsmaßgabe vorausgesetzt und viele Museen nehmen das auch für sich auf. Das hat mehrere Aspekte. Ein Museum ist auf der einen Seite kein Unternehmen und kein Wirtschaftsbetrieb. Und auf der anderen Seite ist ein Museum manchmal, gerade weil es kein Wirtschaftsbetrieb ist, viel stärkerem Wandel unterworfen. Allein schon die Tatsache, dass die meisten Museen heute intendantengeführt sind, macht es schwierig, mit einem dauerhaften Leitbild zu arbeiten. Die Verträge dauern fünf oder sieben Jahre und dann kann es sein, dass man wieder bei Null aufsetzt und der folgende Intendant unter einer anderen politischen Agenda wieder etwas Neues will. Das ist nicht unmöglich, aber es kann das Arbeiten schwieriger machen. TM: Die Inszenierungsstrategie des Museums für Vor- und Frühgeschichte kann man der Kategorie des White-Cube-Museums zuordnen. Es gibt kaum Texte in der Ausstellung, von den wenigen Medien Stationen abgesehen. Auch auf sonstige Informationen in Form von Grafiken, Zeitstrahlen, Modellen, Illustrationen et cetera, wie man sie sonst oft in archäologischen Museen sieht, wurde verzichtet. Stattdessen werden die Objekte als Einzelstücke und wie Kunstwerke präsentiert.
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RM: Ja, das ist aus meiner Sicht und aus der Sicht unseres Sammlungsleiters komplett unbefriedigend. Es ist aber ein Punkt, den wir übernommen haben und da gehen dann die Uhren im Museumsbetrieb doch sehr langsam. So etwas macht man nicht rückgängig innerhalb kurzer Frist. Eine umso größere Rolle spielen die Wechselausstellungen, die wir in den letzten Jahren komplett anders konzipiert haben. Auch die haben durchaus keine erlebnisorientierte Szenographie – man kann ja sehr viel Budenzauber in dem Sektor machen. Aber sie kommen schon etwas süffiger daher und arbeiten mit Fototapeten, Modellen, ausführlichen Textstationen, sogar fallweise mit Mitmachstationen. In den Wechselausstellungen haben wir also versucht, einen anderen Standard zu setzen, als das Museum in seiner Dauerausstellung bietet, und das ist auch die Richtung, in die man wahrscheinlich denken wird, wenn man das Museum neu aufstellt. Ich finde, ein Museum sollte immer auch Wunderkammer sein. Allerdings ist die Innenarchitektur, wie sie geschaffen worden ist, natürlich einer veränderten Szenographie nicht gerade zuträglich. Die fest installierten Vitrinen, die eine bestimmte Weise der Bespielung vorgeben, machen es auch sehr mühselig, mit Dokumentation und Szenographie zu arbeiten. Da muss man schon einiges tun. Auch in der räumlichen Abfolge ist es nicht ganz einfach. TM: Wie würden Sie die Zielgruppe des Museums beschreiben? Wen will es ansprechen und wen spricht es tatsächlich an? Oder wen will es zukünftig ansprechen? RM: Auf Gesellschaftsspielen steht doch immer so etwas wie »von null bis achtundachtzig« drauf. Ich finde, ein Museum soll grundsätzlich von null bis achtundachtzig sein. Aber das hängt auch mit dem Selbstverständnis unserer Gesellschaft zusammen. Und es hängt davon ab, ob die Gesellschaft das mitträgt. Ein Museum kann ja alles wollen, aber die Leute müssen es auch von sich aus mittragen. Ich halte nicht viel davon, das Museum ganz auf eine kinder- oder schülergerechte Präsentation abzustellen. Ich glaube, dass die Schulen ein ganz wichtiger Bereich sind, bei dem man erst einmal ansetzen muss. Aber alles darauf hin zu konzipieren, halte ich nicht für klug. Die besten Filme für Kinder sind die, die auch die Erwachsenen mitreißen, und umgekehrt. TM: Wie ist das Museum mit dem Landesdenkmalamt verzahnt? Worin besteht die Zusammenarbeit beider Institutionen und ist diese vertraglich geregelt oder basiert sie mehr auf freundschaftlicher Kooperation? RM: Es gibt dazu keine vertragliche Regelung, die vorschreiben würde, dass etwa das Landesdenkmalamt einen Personalbestand oder einen Stundensatz X vorhalten sollte, um dieses oder jenes möglich zu machen. Das funktioniert aufgrund der guten Beziehungen, aufgrund der Überzeugung, dass, obwohl das Museum aus dem alten Verbund mit dem Landesdenkmalamt herausgelöst ist, diese Verbindung weiterhin besteht. Und natürlich beruht das Ganze am Ende auch darauf, dass beide Einrichtungen weiterhin beim Ministerium für Bildung und Kultur angesiedelt sind. Derselbe Minister steht darüber, dieselbe Struktur dahinter. Das heißt, man weiß schon, dass man am Ende am selben Strang zieht. Trotzdem ist es eben doch etwas anderes, ob man eine richtige Struktur hat, in der das Museum sich bewegen kann, oder ob man nur einen einzigen Wissenschaftler hat, der dann bei den Kollegen anfragt: »Helft ihr mir mal?« Auch wenn sie die direkten und vertrauten Ansprechpartner sind.
Anhang 1: Interviewprotokolle
TM: In welchem finanziellen Verhältnis steht das Museum zur Kulturpolitik des Landes? Die Stiftung untersteht dem Ministerium für Bildung und Kultur, der Minister ist der oberste Kurator. RM: Richtig. Die Stiftung ist eine Stiftung öffentlichen Rechts, die komplett von der Förderung des Landes abhängt, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Das heißt, das ist eine Fehlbedarfsfinanzierung. Die Stiftung hat kein eigenes Kapital, außer den Immobilien, den dazugehörigen Grundstücken und der eigenen Sammlung. Aber genau dieses Kapital kann in keiner Weise belastet oder veräußert werden, es ist in keiner Weise in Geld oder Geldwertes zu verwandeln. Das ist die Basis für alles Weitere. Die gesamten strukturellen und operativen Mittel kommen durch Förderung des Landes zu uns. Das heißt, am Ende sind wir direkt abhängig von der Förderung des Landes. Und der Minister ist als Kurator der Aufsichtsratsvorsitzende unserer Stiftung, des Kuratoriums. TM: Wird von Seiten des Landes beeinflusst oder vorgegeben, wie groß der Anteil des Museums für Vor- und Frühgeschichte am Jahresbudget der Stiftung zu sein hat? Wird durch die Finanzierung vom Land gesteuert, welche Arbeit das Museum macht? RM: Nein. Es gibt nur eine nicht ohne Weiteres veränderbare Personalsituation und eine nicht ohne Weiteres veränderbare Situation, was die Immobilie betrifft. Das Museum für Vor- und Frühgeschichte hatte schon Perioden, in denen es nicht nur personell, sondern auch räumlich besser aufgestellt war. Von daher gibt es schon Parameter, in denen wir uns bewegen, aber es gibt keinen Ukas des Ministeriums, das sagt: »Das Museum für Vor- und Frühgeschichte bekommt nur einen Betrag X.« Und inhaltlich gibt es erst recht keinerlei direkte Einmischung. TM: In manchen Fällen kann durch die Finanzierung gesteuert werden, welche Ausstellung gemacht wird. Wenn ein Thema der Kulturpolitik gut ins Programm passt, wird es vielleicht eher gefördert, als ein anderes. RM: In der Form gibt es das bei uns nicht. Aber man muss natürlich immer bedenken, dass die Stiftung drei Museen hat, verteilt über vier Standorte, und es gibt ein Budget, das jedes Jahr neu austariert werden muss. Wenn es einen Supertanker mit knapp 5000 m² Gesamtfläche gibt, bedeutet das natürlich auch, dass dieser Tanker viel mehr Schweröl braucht als die kleineren Beiboote. Er muss aber auch mehr leisten und mehr erbringen, sonst wird er sich nicht rechtfertigen. Innerhalb der Stiftungsstruktur gibt es einen Riesen und zwei sehr kleinwüchsige Zwerge. [Mönig meint hiermit das Verhältnis der Modernen Galerie des Saarlandmuseums zum Museum für Vor- und Frühgeschichte und dem Deutschen Zeitungsmuseum.] Das muss man ehrlich sagen. TM: Herzlichen Dank für das Gespräch. Roland Mönig war von 2013 bis 2020 Kunst- und Kulturwissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz.
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Anhang 1.3: Protokoll des Interviews mit Mechthild Neyses-Eiden (MNE) und Hans Nortmann (HN)
TM: Frau Neyses-Eiden, Herr Nortmann, nach Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis haben Museen als Träger eines solchen Gedächtnisses dem Kollektiv gegenüber eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren und steuern die Vermittlung des Gedächtnisses. Wo spielt diese Thematik in der täglichen Arbeit Ihres Museums eine Rolle? Wird beispielsweise in Planungsprozessen oder Arbeitsschritten, gerade bei der Konzeption einer Dauerausstellung, die Vermittlung von kulturellem Erbe und kultureller Identität bewusst reflektiert? MNE: Ich würde behaupten, dass das Thema »Kulturelle Identität« nicht bewusst im Planungsprozess der Dauerausstellung thematisiert wurde. Ich denke aber schon, dass man im Blick hatte, die Vergangenheit beziehungsweise die historische Kontinuität der regionalen Kulturlandschaft, die besonders reich an Schätzen aus der Römerzeit ist, zu vermitteln. Die Funde aus der Region sind das, was die Sammlung hier weitestgehend bestückt und somit sind die Exponate in ihrem jeweiligen inhaltlichen Kontext durchaus mit der Identität der Region zu verbinden. Die Gesamtkonzeption war allerdings von ganz anderen Zielsetzungen geprägt. HN: Ich würde sogar ein Fragezeichen dahinter setzen, ob man an den Zeitraum, um den es hier geht, tatsächlich Identität anknüpfen kann. Bei den kunstgeschichtlichen und mittelalterlichen Beständen der Sammlung ist das vielleicht schon ein bisschen anders, aber was die vor- und frühgeschichtlichen Bestände angeht ist hier nicht unser vorrangiges Ziel, Identität zu verdichten. Man kann allerdings sagen, dass wir in einer Region leben, die sich sehr stark in ihrem Selbstbewusstsein über das Römische versteht oder dadurch erhoben fühlt. Da muss man manchmal sogar gegensteuern, weil in den Köpfen bestimmte Vorstellungen existieren, die nicht haltbar sind. Ich vertrete eine Epoche unmittelbar vor der Römerzeit und mir geht es eigentlich darum, bestimmte Vorstellungen aus den Köpfen raus zu kriegen. Zum Beispiel denken viele, dass von den Kelten zu den Römern eine Art Bevölkerungswechsel stattgefunden hat und das ist Quatsch. Es ist eine Art missionarische Aufgabe, die man sich als Wissenschaftler stellt, mit solchen Vorstellungen aufzuräumen. Aber letztlich kann das natürlich doch wieder auf eine Identitätskonstruktion hinaus laufen, wenn man in einer Region wie dieser, die römisch ist oder römisch geprägt ist – und diese Prägekraft des Römischen ist hier ja unbestreitbar –, wenn man hier also als Keltenforscher kommt und sagt: »Ja, aber die Leute die hier römisch sind, sind die Einheimischen von vorher, die Kelten.« Dann verlängert man sozusagen das Selbstbewusstsein der hiesigen Region nach hinten. Wenn man das bespielt, kann man davon auch profitieren, man kann Mittel abgreifen oder ein gewisses Wohlwollen produzieren. Aber das ist auch eine Gefahr. Man sollte sich, meiner Meinung nach, nicht zu sehr darauf einlassen, dass man hier ein touristisch verwertbares Identitätskonzept bespielt. MNE: Ja, als die Dauerausstellung im Entstehen begriffen war, war es uns unter anderem wichtig, dass auch die Epochen vor und nach der Römerzeit ein entsprechendes Gewicht bekommen, um deren Bedeutung hervorzuheben. Auch wenn die römerzeitli-
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che Epoche im Vordergrund des Interesses der Besucher steht, wollten wir auch für die übrigen Epochen ein Bewusstsein schaffen. TM: Trotz Ihres Bestrebens, in der Dauerausstellung auch den vorgeschichtlichen und mittelalterlichen Bereichen genug Raum zu geben, dominieren die Bereiche zur provinzialrömischen Zeit deutlich. Spiegelt die Ausstellung damit die Zusammensetzung der Sammlung? HN: Man kann schon sagen, dass die Mehrheit der Sammlungsstücke aus römischem Kontext stammt. Daher ist die römische Zeit in der Ausstellung auch die einzige, die in Sparten gegliedert vorgeführt wird. Sonst haben wir Epochendurchgänge, also die interessanten Themen zu einer Epoche in einem Raum zusammen repräsentiert. Aber zur Römerzeit zeigen wir verschiedene Themen wie Religion, Alltag, Gewerbe, Land und Stadt getrennt voneinander, weil wir dazu einfach so viele Funde haben. TM: Wurden dabei bewusst Schwerpunkte auf bestimmte Themen gesetzt oder ging es darum, einen repräsentativen Querschnitt der Sammlungsbestände zu zeigen? MNE: Letzteres, aber das ist nicht ganz zum Tragen gekommen, weil zum Beispiel der Bereich zum römischen Alltagsleben aus Raumgründen am Ende wegfallen musste. Am Anfang hatten wir noch Ausstellungsräume für diverse Themen geplant, die im Zuge des Prozesses dann aber als Sonderausstellungsfläche umgewidmet wurden. So sind einige Spezialthemen zu kurz gekommen. HN: Wir haben uns aber Gedanken darüber gemacht, dass wir etwas nur in einem verdaubaren Umfang zeigen können und wir haben ja auch nur eine begrenzte Anzahl von Räumen. Ich glaube, wir hatten schon im Kopf und haben uns gegenseitig dazu angehalten, dass Masse nicht gleich Klasse ist, sondern dass man einen roten Faden braucht. Darum haben wir uns bemüht, obwohl es sicher für jeden Kollegen in seiner jeweiligen Spezialepoche schmerzlich ist, dass er seine Themen eindampfen muss. Dieses Eindampfen war ein ganz wichtiger Prozess in den Vorbereitungen der Ausstellung. MNE: Richtig, das gilt selbst für die »Römer«. HN: Ja, es war zum Teil sicher schmerzhaft, aber ich glaube, dass dafür eben Fachleute da sind. Nicht nur dafür, dass sie ihre fachspezifischen und feinziselierten Sachen machen, sondern dafür, dass sie wissen und auswählen können, was die wesentlichen Sachen sind. Dieser Herausforderung haben wir uns stellen wollen, der haben wir uns gestellt und ich meine, es ist auch ganz gut geworden. TM: Welchem Kollektiv oder welcher Gesellschaftsgruppe sieht sich das Rheinische Landesmuseum Trier als Gedächtnisträger verpflichtet? Hatten Sie den Anspruch oder sogar die Vorgabe, sich auf eine klar definierte Zielgruppe zu konzentrieren? MNE: Bei der Konzeption der neuen Dauerausstellung haben wir natürlich über Zielgruppen gesprochen. Am Anfang hatten wir den hehren Anspruch, das »Museum für Alle« zu sein, bis wir in einem Workshop reflektierten und erkannten, dass das nicht möglich ist. Im Wesentlichen haben wir auf ein breites Publikum gesetzt und somit Wert auf eine möglichst einfache Vermittlung der Kernaussagen gelegt, die keine spezielle Vorbildung erfordert. Kinder und Jugendliche wollten wir natürlich auch erreichen,
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zumal sehr viele Schulklassen hierher kommen. Hierzu wurden spezielle Zusatzangebote entwickelt. Natürlich hatten wir Besucher aus Trier und der Region im Fokus, aber es war uns auch bewusst, dass wir einer großen Anzahl von Touristen gegenüber verpflichtet sind, zumal über die touristische Dachmarke »Zentrum der Antike« die Zahlen immer weiter gesteigert werden sollen. Deswegen muss die Ausstellung in einer Form erfahrbar sein, die auch für ein internationales Publikum zugänglich ist. Wir haben das nicht in allen Texten umgesetzt, sondern nur die Leittexte in Deutsch, Englisch und Französisch verfasst. In der Audioguide-Führung erhält der Besucher die wichtigsten Informationen in den vorgenannten Sprachen und zusätzlich auch auf Niederländisch. Für Führungen in Fremdsprachen steht ansonsten eine Reihe von Gästeführern zur Verfügung. HN: Ich würde zwei Pole schildern: Als Kurator eines kleineren Teils der Ausstellung habe ich einerseits den Anspruch, dass es für Leute, die mehr wissen wollen, eine befriedigende Vorführung der Epoche gibt. Andererseits – und ich zitiere jetzt unseren Oberredaktor, der hat mal gesagt: »Wir machen hier nicht eine Ausstellung für Dr. Lieselotte Müller, sondern…« Das ist im Grunde das Korrektiv dazu. Man möchte einerseits schon zeigen, dass bei dem riesigen Aufwand, der hier am Museum und von der Archäologie hier betrieben wird, etwas herauskommt, womit man sich nicht zu verstecken braucht. Das Ergebnis unserer Arbeit soll also einerseits ein professioneller Beitrag zum kulturellen Diskurs sein. Andererseits muss das aber auch so heruntergebrochen werden, dass die Mehrheit der Leute auch etwas davon hat. Und dieser Anspruch ist ein Spagat, weil viele Inhalte viele Leute eben auch nicht interessieren, aber gleichzeitig soll man den Leuten, die sich dafür interessieren, nicht etwas bieten, was sie nicht verstehen. Man muss es an die interessierten Leute heranbringen und kann nicht darauf warten, dass sie es sich abholen, weil die Sachen so toll sind. Das funktioniert, glaube ich, nicht. Ich glaube, dieser Spagat war unsere Aufgabe. MNE: Das geht jetzt schon über die Zielgruppenfrage hinaus, aber ich glaube, es war ein ganz wesentlicher Gedanke, dass wir ein besucherorientiertes Museum sein wollen. Das heißt, die wissenschaftlich anspruchsvollen Inhalte sollten, besonders in den Texten, auf eine gute Verständlichkeit für Laien heruntergebrochen werden. Ich finde, da haben wir sehr viel Mühe reingesteckt, und die vielen C-Texte, die wir zu den Objekten und Objektgruppen haben, bieten schon sehr viel Information. Das ist auch als Angebot für die Interessierten zu verstehen. Aber nicht, indem die Texte wie ein Buch geschrieben sind, sondern indem sie kurz, knapp und interessant rüberkommen. HN: Andererseits gab es auch mal eine Diskussion zwischen den Wissenschaftlern hier am Haus und den Architekten darüber, wie viel Didaktik man zeigt. Es war am Ende Konsens, dass wir im Wesentlichen Originale zeigen wollen und nicht sozusagen didaktisch aufbereitete Wirklichkeit. Man kann ja jede Menge Dioramen, Modelle und was weiß ich noch machen. Aber wir zeigen im Wesentlichen unsere Fundstücke und versuchen, sie zum Sprechen zu bringen. MNE: Genau. Am Ende unseres Konzeptionsprozesses war unser Ergebnis, dass die Sammlung und die Exponate das Herzstück des Museums sind und deshalb war es unser Ziel, die Exponate in den Vordergrund zu stellen. Also möglichst wenige Modelle – nur an ausgesuchten Stellen –, keine Puppen oder ähnliche Rekonstruktionen, auch
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wenn man damit durchaus auch gut arbeiten kann. Wir wollten aber vornehmlich die eigenen Exponate zum Sprechen bringen. Deswegen wurden die Objekte auch auf farbigen Untergründen präsentiert und es wurde besonderer Wert auf die Objektmontagen gelegt. Es ging also bis ins Gestalterische hinein, um die Vermittlung der Objekte ästhetisch und ansprechend zu machen. TM: Ihre Dauerausstellung weist eine Ausstellungskonzeption auf, die ich als das Konzept »Lernort« bezeichne und von drei weiteren Konzepten (»White Cube«, »Erlebniswelt« und »Spielplatz«) unterscheide. Hier hat also die textliche Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte gegenüber assoziativen und illustrativen Vermittlungskonzepten Vorrang, auch wenn auf eine ästhetische Präsentation der Objekte großer Wert gelegt wurde. Was sprach und spricht Ihrer Meinung nach bei der Ausstellungsplanung für ein solches didaktisch orientiertes Konzept? MNE: Unser Ziel war es, wie gesagt, die Objekte in den Vordergrund zu schieben. Illustrationen haben wir nur an einigen ausgewählten Stellen eingesetzt, an denen wir nicht gut darauf verzichten konnten. Interaktion war aus dem gleichen Grund kein großes Thema, aktuell möchten wir aber für Kinder eine Ecke gestalten, in der sie sich selbst betätigen können. Inszenierungen setzen wir eher in den Sonderausstellungen ein, und davon haben wir in den letzten Jahren ja eine ganze Menge gezeigt. Alle waren sehr stark inszeniert und wir finden, dass das für die Themen, die dort präsentiert wurden, durchaus hilfreich war. Beispielsweise war die Objektlage bei der Nero-Ausstellung recht schwierig und somit spielte die Inszenierung mit Bildern und hinterleuchteten Wänden eine große Rolle. Das gleiche gilt auch für die Marx-Ausstellung in diesem Jahr. Bei der Dauerausstellung ist das etwas ganz anderes. Hier wird auf Objekte zurückgegriffen, die Bestandteil der Sammlung sind und die größtenteils ergraben wurden. Diese müssen kontextualisiert werden, um entsprechend Geschichte zu erzählen. Hierauf lag der Fokus und somit wurde auf eine schmückende Inszenierung weitgehend verzichtet. Die Gestaltung sollte zeitlos-modern und langlebig sein. TM: Das heißt, Sie entwickeln in der Dauerausstellung die Geschichte aus den Objekten heraus und ordnen nicht die Objekte der Geschichte unter? MNE: Genau. Das Umgekehrte passiert bei der Konzeption einer Sonderausstellung. Hier steht das Thema im Vordergrund und man sucht beziehungsweise recherchiert die passenden Objekte. Im Falle der Dauerausstellung greifen wir auf einen extrem großen Sammlungsbestand zurück und müssen aus diesem Themen und Geschichten entwickeln. Das ist manchmal einfach, aber manchmal auch nicht. In Ihrem Fall zum Beispiel, Herr Nortmann, war es klar, dass für den Raum »Kelten« hauptsächlich Grabinventare zum Sprechen gebracht werden müssen. In der kunsthistorischen Abteilung zum Beispiel war es dagegen ganz schwierig, weil hier gezielt Objekte, wie zum Beispiel Steinzeug oder Herdgussplatten, gesammelt wurden. Diese in einen historischen Kontext zu stellen und eine Geschichte zu entwickeln, war eine große Herausforderung für den damaligen Kurator. Der Bereich hat sich dann aber doch noch in den ganzen Kontext der Ausstellung eingefunden. HN: Zu diesen verschiedenen Vermittlungsstrategien, die Sie ansprachen: Ein White Cube-Museum finde ich ganz blöd für die Archäologie und dieses Interaktive ist meiner
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Erfahrung nach viel Spielerei und erschöpft sich sehr schnell. Man kann das machen, gerade auch für kleinere Kinder, aber man muss auch sehen, dass das in einem großen Haus wie unserem sehr serviceaufwändig ist. Man kann bestimmte Sachen nicht machen. Wenn man da Leute zum Beispiel mit einem Steinbeil rumlaufen lässt, muss man sich nicht wundern, wenn mal etwas kaputt geht. Das heißt, es gibt im Hintergrund auch praktische Dinge, die dagegen sprechen, eine Dauerausstellung so zu machen. Was die Inszenierung angeht: Wenn Sie ein ganz enges Thema haben wie zum Beispiel Nero – das war wunderschön, da wurden die Räume zu bestimmten Lebensphasen des Kaisers inszeniert und das hat auch funktioniert, weil klar war, worum es geht und das war relativ überschaubar. Aber wenn Sie eine ganze Epoche haben und wollen die inszenieren, dann müssen Sie einen Aspekt aus dieser Epoche auswählen und sagen »Das ist das Entscheidende«. Damit ist sofort eine Einschränkung da, weil dann die Ausstellung eben nicht die Breite der Epoche zeigen kann. Ein Aspekt ist mir wichtig: In dieser Ausstellung nehmen wir die Leute an die Hand und bringen sie auf unseren Stand. Also etwas abstrakt formuliert sagen wir: »Hier ist ein Bruchstück, ein Mosaiksteinchen. Das stellen wir jetzt in einen Kontext und liefern noch ein paar Informationen dazu.« Dann soll im Grunde ein Aha-Effekt eintreten, dass die Leute an diesem Bruchstückhaften ein Epochenbild bekommen. Und das ist im Grunde das Vorgehen der Archäologie. Die Archäologie hat immer die Reste, die unvollkommenen Teile, die kaputten Teile, und versucht daraus ein Bild zu zeichnen. Und diesen Prozess versuchen wir im Kleinen mit den Zuschauern mitzugehen. Eigentlich auch um zu zeigen: »Leute, wir wissen nicht alles, aber das hier tritt uns aus dieser Epoche entgegen und daraus können wir ein Bild machen und versuchen, ob wir das nachvollziehen können.« Das ist meine Idee, wie man mit Besuchern umgeht: Dass man sie an die Hand nimmt und ihnen eine Basis schafft und dann haben die Besucher vielleicht selbst den Effekt, dass sie etwas erkennen und denken »Ja, das sehe ich. Das stimmt so. Das leuchtet mir ein.« MNE: Ich möchte noch ergänzen, dass wir »Erlebnis und Interaktion« einmal ganz in eine Sonderausstellung verlegt haben, nämlich in die Ausstellung »Tatort Archäologie«. Hier ging es darum, wie die Archäologie arbeitet und wie wir zu den Ergebnissen kommen, die wir in der Dauerausstellung zeigen. Die Schau war durchaus interaktiv. Es gab zum Beispiel sogenannte »Aktivitätstische«, an denen man etwas machen konnte, ob es nun die Rekonstruktion eines vorgeschichtlichen Hauses war oder ob es die Erforschung von Gräbern betraf, selbst wie man Keramik bestimmt oder wie wirklich wissenschaftlich gearbeitet wird, konnte anhand von Interaktion nachvollzogen werden. Das war wirklich eine Mitmachausstellung, die sich besonders an Familien und Kinder gerichtet hat. Die Kinder konnten »Archäologe spielen«, sich Warnweste und Helm aufziehen und mit einer speziellen Rallye die Ausstellung erkunden. Das heißt, wir verlegen Erleben und Spielen in Sonderangebote, um die Dauerausstellung auf das zu »reduzieren«, was Herr Nortmann gerade beschrieben hat. TM: Einmalig unter den Angeboten der Archäologischen Landesmuseen ist Ihr mediales Raumtheater »Im Reich der Schatten«. Wie kam es dazu, dass das Rheinische Landesmuseum Trier so ein innovatives Projekt anging und welche Effekte sollten damit erzielt werden? Wie ist Ihre Erfahrung damit nun nach achtjähriger Laufzeit?
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MNE: An dieser Stelle spreche ich quasi für unseren vormaligen Direktor, den Herr Dr. Eckart Köhne, der den Einfall zu diesem innovativen Format hatte. Er war wie wir alle der Meinung, dass sich die Schausammlung auf die Bestände des Museums konzentrieren und der Einsatz von Medien nur sehr reduziert erfolgen sollte. So entstanden zwölf kleine Videos, in denen sowohl geistes- als auch naturwissenschaftliche Methoden der Archäologie erläutert werden und die einen Blick hinter die Kulissen der Museumsarbeit ermöglichen. Inspiriert von einer Veranstaltung des SWR, im Zuge derer der sogenannte Neumagener Saal inszeniert und mit Effektbeleuchtung ausgestattet wurde, hatte Herr Köhne die Idee, in diesem Kernbereich des Museums mit den monumentalen Grabdenkmälern, mit High-Tech eine Multimediashow zu realisieren. Die Reliefs der Grabdenkmäler, die Szenen aus dem Alltag wohlhabender Bürger erzählen, wurden also durch eine Mischung aus Film, Führung, Fiktion und historischen Quellen in Szene gesetzt und zum Sprechen gebracht. Den Besucherinnen und Besuchern wird hier ein völlig neuer Zugang zu den Exponaten ermöglicht. Das pädagogische Konzept zielt dabei auf die Verbindung von Wissensvermittlung und hohem Erlebniswert. TM: Das ist wirklich ein interessantes Projekt, das sich auch als relativ zeitlos erwiesen hat, auch wenn man das technisch heute bestimmt ganz anders machen kann. MNE: Ja, mittlerweile würde man sicherlich vieles anders machen, auch die Technik hat sich weiterentwickelt. Wenn ich das Projekt heute zu verantworten hätte und wenn es die Möglichkeit gäbe, es noch einmal zu überarbeiten, würde ich es kürzen auf maximal eine halbe Stunde. Und ich würde es inhaltlich vielleicht nicht ganz so komplex gestalten wollen. Ich finde es gut, dass die Schau durchaus anspruchsvoll ist und auch mit antiken Originaltexten gearbeitet wird. Die Schauspieler wurden gut ausgewählt mit Peter Striebeck und Christoph Maria Herbst. Aber jetzt bemerkt man doch – damals konnte man das vielleicht gar nicht hören –, dass der eine etwas nuschelt und der andere sehr schnell spricht. Das ist für viele Besucher in der Wahrnehmung nicht einfach. Und ich glaube, es wäre sinnvoll, dass der Besucher eine Einführung bekommt, damit er weiß, in welchem Raum er sich eigentlich befindet. Manchmal haben wir hier ja Gäste, die das »Reich der Schatten« buchen und dann direkt in das »Theater« gehen, ohne das Museum zu kennen. Das heißt sie betreten einen Raum, der sofort dunkel wird, und wissen unter Umständen nicht, was dieser Raum thematisch beinhaltet und dass die Grabmonumente beispielsweise an den Ausfallstraßen der Stadt standen, mit den Darstellungen Auskunft über die potenten Grabmalbesitzer gaben und wie Litfaßsäulen funktionierten. Eine Erklärung vor der Aufführung zu geben, scheint im Nachhinein sinnvoll. TM: Hat das Projekt eine vorgegebene Laufzeit? MNE: Da es sich um ein EFRE-Projekt handelt [Europäischer Fonds für regionale Entwicklung], ist die Laufzeit festgelegt. Anfangs ging man von fünf Jahren aus, die Laufzeit beträgt jedoch zwölf Jahre, und zwar ab dem Zeitpunkt, ab dem alle Vorgaben erfüllt waren, wie zum Beispiel die Mehrsprachigkeit, also die Erfahrbarkeit des Stücks in mehreren Sprachen über Headsets, was erst in einem zweiten Schritt umgesetzt werden konnte. Aufgrund der langen Laufzeit entstehen immense Folgekosten, da die Instandhaltung mit der Erneuerung der Beamer, der Tontechnik, der Überarbeitung der nunmehr veralteten Technik, hohe Investitionen erfordert.
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TM: Die Sammlung des Museums wächst selbstverständlich noch durch Funde aus Ausgrabungen. Wird darüber hinaus auch auf andere Arten aktiv gesammelt, indem zum Beispiel Objekte aus anderen Sammlungen vom Museum erworben werden? MNE: In begrenztem Umfang. Es gibt nicht mehr den klassischen Ankaufsetat wie noch vor ein paar Jahren, gerade für die kunsthistorische Sammlung wird nicht mehr eigens angekauft. Hin und wieder werden Bestände von bekannten Sammlern oder wichtige Fundstücke, die auftauchen, mithilfe von Drittmitteln angekauft. Aber solche Ankäufe sind vergleichsweise selten geworden. HN: Man kann auch so sagen: Die Möglichkeit, dass wichtige Dinge, die aus der Region stammen – sonst würden wir hier nicht daran interessiert sein –, noch frei auf dem Markt liegen ist eigentlich reduziert, weil Funde entweder mit unserem Wissen und Wollen gesammelt werden oder der Staat sowieso einen Zugriff darauf hat, wenn es beispielsweise um ganz exzeptionelle Sachen geht. Also das ist eine Ergänzung der Sammlung im kleinen Stil durch kleine Ankäufe, über Fundprämien und so weiter. TM: Gibt es sensibles Sammlungsgut, beispielsweise aus im Zweiten Weltkrieg besetzten französischen Gebieten? HN: Es gab, glaube ich, vor zehn-fünfzehn Jahren mal ein Stück, das nach Italien zurückgeführt wurde, weil klar wurde – als wir es angekauft hatten, wussten wir das nicht –, dass es Raubgut war. Aber im Prinzip haben wir nichts Problematisches in unseren Beständen. Wir haben kein jüdisches Vermögen einkassiert – das kann ich, glaube ich, guten Gewissens sagen –, wir haben auch nicht irgendetwas aus anderen Ländern bekommen. Von dieser Problematik sind wir sozusagen nicht belastet. MNE: Die Frage steht ja mittlerweile sehr im Fokus. Ich bin der Ansicht, dass wir hier unserer Pflicht nachkommen sollten und die Sachlage, selbst wenn sie kaum etwas Problematisches beinhaltet, transparent machen sollten. TM: Was können Sie mir über das Logo und den Titel »forum für fundstücke« erzählen, die mit der Planung der Dauerausstellung eingeführt wurden? Was soll damit zum Ausdruck kommen und warum wurde sich dafür entschieden? MNE: Mit der Konstantin-Ausstellung und dann auch letztlich der Dauerausstellung ging ein Prozess der Neupositionierung des Museums einher. Damals wurde mit Unterstützung des Ministeriums ein Leitbildprozess begleitet und moderiert. Ein Büro wurde schließlich mit der Erstellung eines Corporate Designs für das Museum beauftragt. In diesem Leitbildprozess kamen wir zu dem Ergebnis, dass die Sammlung und die Exponate unser Herzstück sind und daraus resultiert auch der Begriff »forum für fundstücke«. »Forum« meint hier, dass wir nicht nur ein Museum oder ein Ort sind, an dem sich Fachleute mit den Gegenständen der Archäologie, dem Fundstück auseinandersetzen, sondern gleichzeitig eine Plattform für Vieles bieten. So können wissenschaftliche Veranstaltungen stattfinden, aber auch musikalische oder szenische Darbietungen – das Museum kann auch Ort kultureller Begegnung sein. Der Begriff »Forum« ist hier sehr weit zu fassen. Die »Fundstücke« sind tatsächlich die zentralen Gegenstände der Archäologie beziehungsweise der Sammlung, eben das Herzstück des Hauses. Allerdings mussten wir den Claim »forum für fundstücke« und die Gestaltungslinie aufgeben. Es taucht zwar hin und wieder noch auf, zum Beispiel auf älteren Publikationen, aber mit
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der Eingliederung des Rheinischen Landesmuseums in die Generaldirektion Kulturelles Erbe durfte das CD nicht mehr benutzt werden. Ich will nicht verhehlen, dass das Museum darunter gelitten hat. Für das CD gab es ein eigenes Manuel, alle Flyer sahen gleich aus, ebenso die Publikationen. Es war durchaus ein akademisches CD, aber seinerzeit ein sehr besonderes Erscheinungsbild mit hohem Wiedererkennungswert. Auch außerhalb des Museums, zum Beispiel in der Stadt, bedauerte man die Aufgabe des CDs. TM: Am Treppenabgang zur Dauerausstellung steht der Titel »forum für fundstücke« aber noch im typischen Schriftbild an der Wand und zwar an so prominenter Stelle, dass er den Besucher:innen direkt ins Auge springt. MNE: Ja, das ist noch übrig geblieben und es hat noch keiner etwas dagegen gesagt. Aber auf neueren Werbematerialien wie Flyern, Plakaten oder sonstigen Werbemitteln findet man das CD nicht mehr, hier wird jetzt das CD der Landesregierung und damit der GDKE verwendet. HN: Ich glaube, da gibt es einen gewissen Grundkonflikt, der meines Erachtens auch noch nicht ausgestanden ist. Das was wir hier in Trier gemacht haben, das war der Versuch, die Marke Rheinisches Landesmuseum zu positionieren. Und ich glaube, der Versuch war unterm Strich sehr gut gelungen. Dann hat das Land aber gesagt: »Nee, wir sind das Land, die Kulturinstitution.« Mit diesem marketinggängigen Namen Generaldirektion… da kann man sich vorstellen, wie marketingmäßig toll das ist. Die wollten damit aber das Land als Land positionieren und unter dem Land gibt es dann so ein paar unbedeutende Untermarken. Ich glaube, das ist ein schwerer Fehler und wird nicht funktionieren. Identität schafft es schon gar nicht für das Land, sondern es entfremdet von dem, was regional tatsächlich an Anknüpfungspunkten da ist. Ich glaube, wenn das Land weniger verkrampft wäre, würden sie diese Souveränität auch besitzen zu sagen: »Wir lassen diese Marken bestehen.« MNE: Das Rheinische Landesmuseum Trier ist – ich sage es jetzt mal salopp – eine dicke Kiste und ein Leuchtturm der rheinland-pfälzischen Kulturlandschaft. Man kann doch mit den Pfunden wuchern, die man hat, und jede Kulturinstitution hat etwas Spezielles. Das hier ist eines der bedeutendsten archäologischen Museen in Deutschland. TM: Gab es, vielleicht auch im Zuge der Eingliederung des Hauses in die GDKE, je Überlegungen, das Museum umzubenennen? Der Name des Museums ist ein historischer, der sich auf bestimmte Bedingungen und Strukturen seiner Gründung zurückführen lässt. Stand je zur Debatte, beispielsweise den archäologischen Schwerpunkt auch im Namen zum Ausdruck zu bringen? MNE: Nein, der Name stand nie zur Diskussion. HN: Es wäre in unserem Bereich auch falsch, wenn wir mit dem Namen einen Sammlungsschwerpunkt herausheben würden, denn… gut, die kunstgeschichtliche Abteilung ist nicht unser Filetstück, aber beispielsweise in der Mittelalter-Sammlung gehen Archäologie, Geschichte und Kunst ineinander über und das soll ja auch so sein. TM: Wir haben nun schon mehrfach die GDKE, also die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, angesprochen. Sie ist die Schnittstelle des Museums zur Landesverwaltung. Aber welchen Einfluss hat die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-
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Pfalz auf die Arbeit des Museums? Besteht die Möglichkeit, dass von Seiten des Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur über die GDKE auf die Arbeit des Museums Einfluss genommen wird? MNE: Die GDKE ist eine Zwischenebene, denn bis zu ihrer Gründung war das Museum dem Ministerium direkt unterstellt. Mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe als Obere Landesbehörde ist eine Zwischenebene eingezogen worden. Das heißt die Direktoren haben keinen direkten Weg mehr zum Ministerium und umgekehrt, der Dienstweg verläuft über den Generaldirektor. Ansonsten ist die GDKE ein Zusammenschluss von sechs Direktionen, davon drei Landesmuseen, das Landesamt für Denkmalpflege, die Landesarchäologie und »Burgen, Schlösser, Altertümer«. Mit der Gründung der Generaldirektion kam den einzelnen Direktionen die Haushalts- und Personalhoheit abhanden. Diese liegt nun bei dem Generaldirektor und es wurden eigene Stabsstellen gegründet, nämlich »Zentrale Verwaltung/Marketing« und »Bau und Technik«. TM: Das Rheinische Landesmuseum Trier nimmt auch landesarchäologische Aufgaben wahr. Würden Sie bitte noch einmal sein Verhältnis zur Landesarchäologie schildern? HN: Das frühere Konstrukt des Landesmuseums Trier war früher sehr weit verbreitet. Es war eigentlich der Normalfall. Das Museum war immer die oberste archäologische Denkmalbehörde. Die Kollegen, die hier waren, waren immer für den archäologischen Neuzugang, sozusagen die Denkmalpflege, zuständig und auch für die Sammlung. Und ich glaube, dass dieser Verbund hier nach wie vor da ist. Natürlich gibt es inzwischen Schwerpunktsetzungen, aber hier haben alle, die in der Denkmalpflege waren, an der Dauerausstellung mitgewirkt und an den entsprechenden Fachausstellungen. Das war eigentlich gar kein Thema. Und ich wage zu behaupten, dass auch die Kollegen sich noch für ihre jeweiligen Sammlungsbestände sozusagen mit zuständig fühlen. Mir geht es so und ich würde sagen, den anderen wahrscheinlich auch so, dass die Trennung von Landesarchäologie und Museumsarbeit nicht so richtig ausformuliert wird. Und dieser Verbund funktioniert, weil eben die Kompetenz für alles da ist. MNE: Der Gedanke selbst ist schon ein anderer gewesen. Mit der Eingliederung in die Generaldirektion ist das Museum in drei Referate aufgeteilt worden: Sammlungsverwaltung, Zentrale Dienste mit diversen Querschnittsaufgaben. Die dritte Abteilung ist die Archäologie, wobei diese fachlich nicht mehr direkt dem Direktor des Museums zugeordnet ist, sondern dem Landesarchäologen. Also die ursprüngliche Struktur ist schon verändert worden. Nur ist es hier traditionell so eng miteinander verwoben, dass es sich so verhält, wie Herr Nortmann gerade erklärt hat. Das heißt die Archäologen fühlen sich immer noch verantwortlich für ihren speziellen Sammlungsteil und werden auch immer gefragt, wenn es zum Beispiel eine Ausstellung zu konzipieren gilt. Bei der Neukonzeption der Dauerausstellung gab es anfangs die Generaldirektion noch gar nicht, so dass die Archäologen ohnehin mitgearbeitet haben. Und zum Beispiel bei der Sonderausstellung »Tatort Archäologie« im Jahr 2012 wurden Sie, Herr Nortmann, als Archäologe ja intensiv mit eingebunden. Ich glaube, eine gewisse Abtrennung der Archäologie vom Museum war mit der Errichtung der Direktionen schon beabsichtigt, jedoch funktionierte und funktioniert die Verbindung hier schon gut im Sinne dessen, was die GDKE insgesamt ja eigentlich möchte, nämlich Synergieeffekte herzustellen.
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HN: Praktische Denkmalpflege ist tatsächlich vieles, was das Museum gar nicht berühren muss, was wirklich auch separat funktioniert. Allerdings geht es ohne Zusammenarbeit gar nicht und ich kann nur sagen: Die Erfahrung zeigt, dass da, wo es gekracht hat und solche Institutionen zerbrochen sind, immer auch persönliche Konflikte eine Rolle gespielt haben. Solange das hier gut funktioniert, ist es gut. Aber wenn einmal hier ein Direktor käme, der den Archäologen andere Anweisungen geben würde als der Chef in Koblenz, dann könnte einer den anderen sticheln. Zum Beispiel die Restaurierungswerkstätten gehören zum Museum. Wenn wir Archäologen von unseren Grabungen kommen und eine Restaurierung und Fundversorgung brauchen, sind wir auf die angewiesen. Auch wenn es um Raumverteilung geht. Da sind so viele Konfliktpotentiale und wenn das auf der persönlichen Ebene nicht funktioniert, dann kann es auch schief laufen. Das ist die Gefahr. Aber hier läuft es zum Glück bisher gut. MNE: Wir sind ja jetzt schon seit zehn Jahren bei der Generaldirektion und auch wenn die Archäologie fachlich am Landesarchäologen hängt, ist sie aber organisatorisch und strukturell komplett mit dem Haus verwoben. Die Archäologen arbeiten im Gebäude, nutzen die Infrastrukturen, wie Bibliothek, Foto- und Grafikatelier und Restaurierungswerkstätten et cetera. Ich glaube, das ist schon ein sehr enges Band. Die Gefahr, da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, ist, dass es bei persönlichen Krisen schwierig werden kann. Aber trotzdem ist der Verbund unglaublich eng und das auseinanderzudividieren wäre ein Stück Arbeit. TM: Das heißt zusammengefasst: Diese formale Trennung aber faktische Verzahnung von Landesmuseum und Bodendenkmalpflege birgt Risiken, kann aber auch viele Vorteile und Synergieeffekte bringen, wenn die Zusammenarbeit – wie hier – gut läuft? MNE: Ohne die Verzahnung mit der laufenden Bodendenkmalpflege wäre das Museum bzw. das »grabende Museum« als das wir uns sehen, quasi tot. Natürlich befindet sich die Dauerausstellung nun schon seit einigen Jahren im Status Quo, aber erst kürzlich wurde darüber diskutiert, dass wir – bedingt durch neue Grabungsergebnisse – mittelfristig einige Veränderungen vornehmen könnten. Die Ausstellung kann nur durch die archäologische Forschung lebendig bleiben. Wenn Museum und Archäologie voneinander getrennt würden – wie andernorts teilweise geschehen –, wird es schwierig. Unter Umständen stehen die Funde nicht mehr für Ausstellungen zur Verfügung, das Wissen um die Befunde ist im Museum nicht mehr vorhanden. Das Landesmuseum möchte sich auch in Zukunft als »grabendes Museum«, was auch ein wichtiges Profil darstellt, verstehen. HN: Jetzt muss ich aber noch eine Lanze für meine Gegenseite brechen. Ich habe ja mein frühes Arbeitsleben auch hier verbracht und da muss man sagen, dass das Museum damals wahrscheinlich darunter gelitten hat, dass es ein grabendes Museum war. Die Grabungstätigkeit war damals für die Leute das Wichtige und das Museum war… es war nicht vernachlässigt, aber es war vielleicht kein gutes Museum insofern, dass es diese radikale Orientierung »wir sind eine Publikumsausstellung« lange Zeit nicht so gut einlösen konnte. Weil die Aufmerksamkeit immer auf der Grabung lag. MNE: Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Das hat sich erst 2007 mit der großen Ausstellung »Konstantin der Große« geändert, als sich das Museum endlich als bedeutender Aus-
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stellungsort professionalisieren konnte. Nachdem viele Jahre die Aufgaben »Graben/ Sammeln, Bewahren, Forschen« im Fokus der Museumsarbeit standen, sollte der nunmehr erreichte Qualitätsstandard hinsichtlich »Präsentieren/Vermitteln« unbedingt fortgeführt und weiterentwickelt werden. Die damalige Hausleitung musste davon überzeugt werden, dass das Museum weiterhin besucherorientiert und modern nach außen treten sollte und nicht mehr zu den alten Standards zurückkehren kann, um nach außen nicht wieder ein zerrissenes, verstaubtes Bild zu bieten. Damit haben wir uns selber nicht nur unter Druck gesetzt, sondern wir haben eine wichtige Aufgabe des Museums in den Fokus geschoben. Es war schwierig mit dem Personalstand von damals und dieser ist seitdem nicht besser geworden. Es ist eine große Herausforderung, alle Grundaufgaben des Museums gleich gut zu erfüllen, das heißt über eine funktionierende Archäologie zu verfügen, eine moderne Sammlungsverwaltung aufzubauen, ein besucherorientiertes, lebendiges Museum zu betreiben mit dem zugehörigen Marketing und so weiter. Wir waren überhaupt nicht so aufgestellt und wir versuchen das jetzt mit vergleichsweise wenig Personal irgendwie hinzukriegen. Aber das ist schwierig. Aufgaben wie Marketing und Museumspädagogik gab es bis vor zehn Jahren praktisch gar nicht und müssen jetzt ohne zusätzliche Stellen auf Kosten von anderen Aufgaben bewältigt werden. HN: Ich glaube, in der Zeit von »Konstantin« und nachdem wir dann unsere Dauerausstellung hatten, kam als Echo darauf ein Blick auf die Vergangenheit, der uns vielleicht auch ein bisschen nachdenklich machte. Nämlich, dass wir eben diesen Ruf hatten: »Ja, wenn man da rein geht, das ist alles wie in den sechziger Jahren, das ist für Spezialisten« und so. Daraus schließen wir, dass wir jetzt eigentlich auf einem ganz richtigen Weg sind. Als Denkmalpfleger und Archäologe muss ich sagen, dass ich auch nicht den Eindruck habe, dass das alles nur zu Lasten der Denkmalpflege geht. Das kann man jetzt auch nicht sagen. Wir sind vielleicht nicht gerade personell besser ausgestattet, aber es ist auch nicht schlechter geworden. TM: Sie haben also eine gute Balance gefunden? MNE: Manchmal ist es schon eng, besonders die Realisierung der großen Ausstellungen ist sehr kräftezehrend, was nicht alle Referate so mitbekommen. Die Projekte »Traum von Rom 2014« »Nero 2016« und »Karl Marx 2018« waren sehr umfangreiche Projekte, in die viele Mitarbeiter stark involviert waren. Das geht natürlich auf Kosten der Wahrnehmung von Kernaufgaben. TM: Herr Nortmann, Sie sprachen am Anfang an, dass Sie die Verbindung von Ur- und Frühgeschichte und Identitätspolitik problematisch finden und sich nicht sicher sind, ob man da Verknüpfungen herstellen sollte. Würden Sie darauf bitte noch einmal näher eingehen? HN: Sagen wir mal so: Ich würde sagen, die Frage, warum man einen gewissen Aufwand betreibt – etliche Hunderttausend Euro im Jahr oder Millionen im Jahr für so etwas ausgibt wie Archäologie –, warum das wichtig ist oder warum das gut ist, diese Frage spielte aus meiner Sicht und in meiner Berufserfahrung nie eine Rolle. Das war irgendwie schon einmal geklärt und da waren sich die Bildungsbürger oder die, die die Politik machen, irgendwie einig. Da kann man heftiger drüber nachdenken. Allerdings würde
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ich da so ein Wort wie »Identität« auf gar keinen Fall drin haben wollen. Das ist aber meine persönliche Meinung. Assmann gut und schön und er hat ja auch gute Ideen, aber das greift einfach zu weit. Und das ist im Grunde genommen das gleiche Missverständnis wie es vor Jahren schon einmal war. Da musste auf einmal alles auf den Europagedanken fixiert werden. »Älteste Kulturen Europas« und so. Dann war man schnell in der Eisenzeit oder noch älter, in der Bronzezeit oder so. Das ist, glaube ich, Quatsch. Wenn man sich vielleicht einfach mal klar macht, dass wir hier Fallstudien kulturellen Verhaltens ausbreiten, die nur zufällig in unserer Region sind – man könnte das leicht an ein Völkerkundemuseum geben –, dann kann man sagen: »Was bringt das Ganze für ein breites Publikum, dass man diese Dinge, dieses Wissen zur Verfügung stellt?« Ich glaube, das wäre für eine theoretische Diskussion ganz gut, aber ich glaube auch, dass das in der Praxis und in der Ausbildung von Archäologen und auch von Historikern keine Rolle spielt. Archäologie ist ja relativ weit ab von der aktuellen Situation, aber Historiker sind eigentlich näher dran. Wenn ich die erlebe, die agieren genauso wie die Archäologen. Die sagen: »Das ist ganz wichtig.« Wir hatten hier kürzlich mal eine Landesausstellung, bei der eine Gruppe von Historikern da war, die sagten: »Ja, die Kaiserregion da am Mittelrhein und im Mittelalter, das ist europäisch ganz fundamental.« Und die anderen fanden, man müsste die jüdische Problematik mehr herausstellen. Alle wollten mehr und ihr Fachgebiet musste mehr herausgestellt werden. Aber was in der Essenz für ein breites Publikum dabei herauskommt, wenn man kulturgeschichtliche oder historische Ausstellungen macht, das wird in der universitären Landschaft relativ wenig reflektiert und in der Ausbildung schon gar nicht. Man lernt das in der Praxis. Ich habe das in der Praxis gelernt und ich glaube, es ging allen Kollegen ganz genauso. TM: Meiner Wahrnehmung nach werden solche kulturtheoretischen Schlagworte wie Identität, Gedächtnis und Erbe auf der kulturpolitischen Ebene gerne herangezogen, um zu legitimieren, warum beispielsweise Mittel bewilligt werden. Mein Eindruck ist aber, dass die Praxis sich davon eher distanziert und sich davon vereinnahmt fühlt. Teilen Sie diese Einschätzung aus Ihrer beruflichen Erfahrung heraus? HN: Genau, es läuft im Grunde genommen auf eine Vereinnahmung hinaus. Sie brauchen sich nur Forschungsanträge bei der DFG oder so anzugucken. Da laufen immer bestimmte Stichworte auf, wie zum Beispiel das Stichwort der Vernetzung oder Gender oder vor einigen Jahren ging es immer darum, Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft zusammenzubringen und so. Das sind alles Moden. Manche können das wunderbar bespielen und schreiben einen Forschungsantrag, wo all diese Schlagworte richtig hintereinander weg kommen. Das ist aber genauso falsch, als wenn man sich gar keine Gedanken darüber macht, dass ein Thema auch eine Relevanz für heute haben soll. Ich glaube niemand sagt, dass das nicht auch relevant in einem übergeordneten Sinne sein müsste. MNE: Ich finde, es ist schon viel erreicht, wenn ich ein großes, breites Publikum erreiche und sich viele Menschen, angeregt von den Ausstellungen, für die historische Vergangenheit begeistern lassen. Es bleibt etwas in den Köpfen hängen oder Fragen tauchen auf. Ob man in diesem Zusammenhang immer die Begriffe Identität und Gedächtnis anführen muss, wage ich zu bezweifeln.
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HN: Ja, ich glaube der Grundgedanke ist doch, dass man Leuten zeigt: Nichts ist selbstverständlich, alles ist geworden. Es gibt auch andere Möglichkeiten, es gibt auch andere Entwicklungen, die wir schon hinter uns haben, die sich vielleicht nicht durchgesetzt haben und so weiter. MNE: Es gibt Prozesse, die durchaus vergleichbar sind, besonders in Epochen mit eklatanten Umbrüchen. Aber das mit solchen Oberbegriffen zu unterlegen, halte ich nicht für sinnvoll. TM: Herzlichen Dank für das Gespräch. Mechthild Neyses-Eiden war von 1984 bis 2021 am Rheinischen Landesmuseum Trier beschäftigt, seit 2006 war sie Stellvertretende Direktorin sowie Leiterin des Labors für Dendrochronologie. Hans Nortmann war von 1984 bis 2017 am Rheinischen Landesmuseum Trier beschäftigt und war dortiger Leiter der Archäologischen Denkmalpflege.
Anhang 1.4: Protokoll des Interviews mit Arnold Muhl (AM)
TM: Herr Muhl, nach Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis haben Museen als Träger eines solchen Gedächtnisses dem Kollektiv gegenüber eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren und steuern die Vermittlung des Gedächtnisses. Wo spielt diese Thematik in der täglichen Arbeit des Landesmuseums eine Rolle? Wird beispielsweise in Planungsprozessen oder Arbeitsschritten, gerade bei der Konzeption einer Dauerausstellung, die Vermittlung von kulturellem Erbe und kultureller Identität bewusst reflektiert? AM: Ich glaube, das ist jedem Museumsmann schon immer bewusst gewesen. Man hat hier die Dokumente der Vorzeit, der Ahnen oder des Landes und man ist damit das Schatzhaus einerseits und andererseits hat man hier auch das Erbe der Leute, die hier leben. Aber das muss man nicht jedes Mal vor sich hertragen. Wer das im Museum nicht weiß, der ist am falschen Platz. TM: Welcher Zielgruppe sieht sich das Landesmuseum für Vorgeschichte verpflichtet? AM: Eigentlich allen. Nicht nur dem Bildungsbürgertum oder den Kindern, sondern wir versuchen, alle abzuholen und das durchaus auch auf verschiedenen Niveaus. TM: Also wollen Sie sowohl für ein Fachpublikum interessant sein als auch für Lai:innen verständlich? AM: Genau. Wir sagen immer: »Wir stellen nicht für die fünf Fachleute aus, sondern für das Gros der Leute.« Wir wissen, wer die Steuern zahlt, damit wir hier arbeiten können und die Leute sollen natürlich auch ein gutes Produkt zurückbekommen. TM: Welchen Aspekten des kulturellen Gedächtnisses und Erbes, also welchen Themen, möchte sich das Museum ganz besonders widmen? Sind beispielsweise bestimm-
Anhang 1: Interviewprotokolle
te Epochen, kulturelle Gruppen oder konkrete Objekte für das Museum besonders wichtig? AM: Wir verstehen uns als Museum für Archäologie. Früher meinte das immer die Vorgeschichte, aber mittlerweile hat sich das ja bis auf die Neuzeit ausgedehnt. Also das geht vom Altpaläolithikum bis ins 17. Jahrhundert und alles, was an Bodendokumenten gefunden worden ist, das wird in unserer Dauerausstellung gezeigt. Also die Ausstellung wird einmal bis ins 16./17. Jahrhundert durchgehen. Das hängt natürlich auch davon ab, welche Funde wir haben. Vor dem Hintergrund der Landesgeschichte oder der großen Ereignisgeschichte müssen wir sehen, welche Funde wir da eigentlich haben. Was können die erzählen, was können sie illustrieren? Und danach werden die Funde ausgewählt beziehungsweise die Themen angesprochen. TM: Gibt es in der Sammlung aus bestimmten Zeitabschnitten mehr Funde als aus anderen? Ihre Ausstellung wirkt mit Blick auf die Epochen sehr ausgeglichen, jeder Zeitabschnitt hat einen ähnlich großen Bereich – mit Ausnahme der Bronzezeit, die vergleichsweise viel Raum einnimmt, auch wegen des Raums zur Himmelsscheibe von Nebra. Ist diese Verteilung in der Sammlung ähnlich? AM: In unserem Fundus ist die Verteilung eigentlich relativ gleich. Außer zum Mesolithikum, denn dazu gibt es naturgemäß immer ganz wenig Funde in ganz Europa, und das Paläolithikum ist auch immer sehr überschaubar. Ansonsten ist die Fundmenge relativ gleich. Anders sieht es aber aus mit den attraktiven Stücken. Wir haben den Impetus, dass wir Geschichten erzählen wollen. Durch viele kleine Geschichten, die wir um ein Exponat herum erzählen können, entsteht im Ensemble ein Eindruck von der gesamten Geschichte. Nehmen Sie zum Beispiel eine Brille, an der man erzählen kann, dass sie aus dem und dem Hof stammt, und an diesem Hof lebte der und der, und der war ein Mönch, der … Wenn man ein bisschen erzählen kann, kann man anhand dieses einen Fundes ein Sittenbild darstellen. Aber das müssen der Fund und sein zugehöriger Befund auch hergeben. Nach diesem Prinzip suchen wir die Exponate aus und dadurch ist es nicht immer ganz gleichmäßig gewichtet. TM: Was kulturelle Identitäten betrifft, finde ich den Ausstellungsbereich zur vorrömischen Eisenzeit und zur römischen Kaiserzeit bemerkenswert, insbesondere die Texte dort. Begriffe wie »die Kelten« oder »die Germanen« sind ja heute noch als Arbeitsbegriffe – auch in archäologischen Museen – gebräuchlich und werden oft unkommentiert verwendet. Problematisch ist daran natürlich, dass diese Begriffe suggerieren können, dass es sich dabei um kulturell und möglicherweise sogar genetisch homogene Gruppen handelte. Erläutern Sie bitte, wie Sie in ihrer Dauerausstellung mit diesen Begriffen umgehen. AM: Ja, gerade »Kelten« und »Germanen« sind Begriffe, die nicht von den Leuten selber gekommen sind. Das Einzige, was wir wissen, stammt von den Zeitzeugen und das sind die Römer. Deswegen lassen wir bei den Germanen die Römer sprechen. Der Begriff der Kelten ist politisch nicht so aufgeladen, aber gerade zum Thema Germanen hatten wir schon im Vorfeld Diskussionen darüber, ob man das überhaupt so sagen kann oder ob wir das anders benennen müssen und ob wir dann auch über die Nazis sprechen müssen, die den Begriff verballhornt haben. Da haben wir letztlich gesagt: Da halten
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wir uns völlig raus. Wir gehen an die Dokumente ran und die einzigen Zeitzeugendokumente sind die Schriftzeugnisse der Römer. Wir erklären dann: Wie benutzten die den Begriff »Germanen«, was verstehen die unter Germanen? Danach kann der Besucher dann selbst entscheiden, ob er den Begriff weiter verwenden will. Im Folgenden wird erklärt, dass die Leute, die hier saßen, sich gar nicht selbst Germanen genannt haben, sondern Sueben und Hermunduren. Da löst sich der Begriff der Germanen dann auf, aber ganz ohne ihn kommen wir nicht weiter. Denn wenn man etwas Zusammenfassendes über die germanische Kultur schreiben will, bleibt er trotzdem als Arbeitsbegriff richtig. Jeder weiß ja, was damit gemeint ist. TM: Was würden Sie Kurator:innen entgegnen, die vertreten, das Thema »Kulturbegriff« sei zu theorielastig, würde die Durchschnittsbesucher:innen nicht interessieren und sei nicht zu inszenieren? AM: Die Besucher wollen ja immer wissen: Wer war das, wie haben die gelebt, wo waren die und was haben sie gemacht? Und sie wollen etwas personalisiert haben. Es nützt also nichts, solche abstrakten Begriffe zu verwenden wie zum Beispiel den der »Glockenbecherkultur«. Das ist ja ein Kunstbegriff der Archäologen und eigentlich muss man das auflösen, den Begriff möglichst wenig gebrauchen und mehr von den Menschen selbst reden, wenn es geht. TM: Sie haben in bestimmten Bereichen die sogenannten Kulturvitrinen stehen, in denen diese archäologisch definierten »Kulturgruppen« mit ihrer charakteristischen Keramik nebeneinander präsentiert werden. Sind diese Vitrinen auch für Besucher:innen gedacht, die keine archäologischen Vorkenntnisse haben? Sollen die sich also damit auseinandersetzen, wie diese Kategorisierungen zustande kommen? Oder sind die Kulturvitrinen mehr als Studiensammlung für das Fachpublikum intendiert? AM: Die Kulturvitrinen sind als Hilfe gedacht, als lexikalisches Rückgrat. Gerade der Ausstellungsraum zum Neolithikum ist ja thematisch geordnet. Da geht es um Landwirtschaft, Hausbau und so weiter. Zu den einzelnen Exponaten kommen dann manchmal nur zur Vervollständigung zum Beispiel Scherben der Linienbandkeramik und eine Datierung. Da muss ich dann aber nicht erklären, was Linienbandkeramik ist. Wenn es ein Besucher aber wirklich wissen will, dann hat er mit der Kulturvitrine die Möglichkeit zu sehen, was ein Archäologe darunter versteht. Aber er muss es nicht. Wenn er mit dem Thema Hausbau oder Grabkultur auskommt, ohne zu wissen, was Linienbandkeramik eigentlich genau ist, kommt er auch so gut klar. Es ist also eine Hilfe. Wir haben uns auch bewusst dazu entschieden, die jeweilige Kultur sehr reduziert darzustellen. Man hätte ja zu jeder zwanzig Gefäße hinstellen können, aber das machen wir nicht. Zwei charakteristische, maximal, oder nur eins. Das steht pars pro toto und mehr wollen die Besucher meist gar nicht wissen. Und dazu erklären wir: Was ist das Besondere daran, warum heißt die Kultur so, wo ist sie überhaupt verbreitet, welchen Hausbau gab es, wie bestattete man… Da kann dann jeder in der diachronen Schau sehen, dass die Kulturgruppen sich doch voneinander unterscheiden, aber man muss es nicht tun. TM: In den Räumen zu Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit erzählen Sie Tages- und Jahresabläufe von menschlichen Gemeinschaften. Die Erzählungen basieren zwar auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sind aber dennoch – naturgemäß – spekulativ. Die meisten ar-
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chäologischen Museen schrecken vor solchen Spekulationen zurück. Erläutern Sie bitte, warum Sie sich dafür entschieden haben und was Sie damit erzielen wollen. AM: Wir sind ja kein kleinlicher Debattierclub, wo man sich genieren muss, dass man sich zu weit aus dem Fenster lehnen könnte. Die Leute wollen Antworten haben. Und wir geben plausible Antworten. Es ist kontrolliertes Spekulieren. Es könnte durchaus so gewesen sein, wenn man alle Erkenntnisse, die man aus der Ethnologie hat oder aus der Verhaltenskunde, von den Botanikern und so weiter, berücksichtig. Da kommt vieles zusammen und daraus muss man ein Bild formen. Und warum sollte man das nicht machen? Diese Antwort sind wir den Leuten schuldig. Das ist ein Infotainment, keine Asservatenkammer, sondern eine Schau, die unterhaltend belehren soll. TM: Stichwort Infotainment: Sehen Sie darin den Auftrag der speziellen Institution »Museum«? AM: Nein, das ist nur einer der Aufträge. Das ist ja das Problem, dass viele denken, ein Museum habe nur einen Auftrag. Aber es hat mehrere Säulen: Bewahren, Erforschen, Ausstellen. Ausstellen gliedert sich dann wieder je nach Bedürfnis in Sonderausstellungen, wo etwas fokussiert werden kann, und in Dauerausstellungen, die allgemein präsentieren. Und das Infotainment ist ein Element, das man da einsetzen muss, wo es passt und auch sinnvoll ist. TM: Was hat es mit den Büsten der »Ältesten Gesichter Sachsen-Anhalts« auf sich? Warum wurde entschieden, die Gesichter zu rekonstruieren und zu zeigen? AM: Die Büsten greifen den Masken im nächsten Raum vor. Wir hatten zuvor in unserem Fundus alte Gipsmasken aus dem 18. und 19. Jahrhundert gefunden. Damals war es Mode, Menschentypen abzuformen und wir dachten, es wäre schade, wenn wir die verstauben lassen. Wir wollten damit die Vervielfältigung der Menschheit im Neolithikum zeigen, aber dafür muss das in einem Kontext stehen. Den Vielen müssen Wenige gegenüberstehen und wir haben ja tatsächlich nur drei Bestattungen aus dem Mesolithikum. Das heißt, wir haben ganz wenige Leute. Weil diese Leute konkrete Menschen waren, müssen wir die auch zum Leben erwecken. Deshalb haben wir die von einem forensischen Mediziner rekonstruieren lassen. TM: Handelt es sich bei den Masken aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die Sie gerade erwähnten, um Abformungen, die im Zusammenhang mit »rassenkundlichen« Studien angefertigt wurden oder um Totenmasken und dergleichen von berühmten Persönlichkeiten der Zeit? AM: Damals hat man auch im Volk oder eben von berühmten Persönlichkeiten Masken angefertigt. Man dachte, dass man über die Physiognomie irgendetwas erkennen könnte oder auch nicht, und da hat man alles Mögliche gesammelt. Und die Masken, die wir hatten, haben auch bei Weitem nicht gelangt. Als wir gemerkt haben, dass wir damit nur einen Teil der Wände machen können, konnten sich zuerst unsere Mitarbeiter noch verewigen – wer wollte und konnte. Das hat aber immer noch nicht gelangt, also haben wir einen Aufruf in der Zeitung gemacht und die Leute standen Schlange. Dann hat es wirklich gelangt. TM: Sie verleihen damit der Vergangenheit Gesichter, im wahrsten Sinne des Wortes. War dabei das Ziel, dass die Besucher:innen sich leichter mit den Menschen der Vergan-
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genheit identifizieren können und das Gefühl bekommen, die Menschen der Vorgeschichte waren genau wie sie? AM: Ja, denn der Mensch kriegt nur einen Bezug zu etwas, wenn er einen anderen Menschen damit verbindet. Ein Topf ist abstrakt, aber wenn ich die Person hinter dem Topf sehe, dann kriegt das ein ganz anderes Gewicht. Dann erkenne ich auch, dass das eine gewisse Bedeutung hat. Deshalb ist es immer am besten, ein Gesicht dazuzugeben. TM: Wollen Sie damit gezielt eine Verbindung von den Menschen des Mesolithikums und Neolithikums zu den Einwohner:innen des modernen Bundeslandes Sachsen-Anhalt suggerieren? AM: Nein, wir nennen die Büsten nur die ältesten Gesichter von Sachsen-Anhalt, weil die hier gefunden worden sind. Aber die Masken im Neolithikum-Raum zeigen Menschen aus ganz Mitteldeutschland. TM: Sie zeigen in Ihrer Ausstellung auch Steinwerkzeuge von australischen Ureinwohner:innen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und Sie zeigen einige ethnologische Filme, die die Lebensweise von indigenen Gruppen darstellen. Welches Potential sehen Sie in der Ethnologie für die Archäologie, warum greifen Sie auf die Ethnologie zurück? Sehen Sie darin auch Risiken? AM: Nein, ich sehe darin eher Vorteile. Darin steckt ein riesiges Potential, denn es führt zum Verständnis für die Wissenschaftler und auch für das Publikum. Alleine schon die Techniken – wenn die Leute sehen, das sind Techniken, die bis heute überlebt haben und die Leute kommen damit super gut zurecht und brauchen gar nichts anderes… Wenn das in die Köpfe rein geht, ist das fantastisch. Alles, was wir hier in der modernen Welt drum herum haben, bräuchten wir eigentlich gar nicht. Das ist letztendlich was wir zeigen wollen. Und auch, welches technologische Wissen die Leute hatten, welches Know-how die Kulturen früher hatten, das wir heute gar nicht mehr kennen. TM: Die Dauerausstellung gehört zu einer Ausstellungskategorie, die ich als die Erlebniswelt bezeichne. Bei dieser sollen die wissenschaftlichen Inhalte stark illustrativ demonstriert werden und daher wird mit großen Rekonstruktionen, Modellen und lebensechten Figuren gearbeitet. Ihre Ausstellung scheint den Anspruch zu haben, die Besucher:innen in die Vergangenheit zurückzuversetzen, Lebensbilder zu zeigen und unterhaltsam vorzugehen. Was sprach oder spricht Ihrer Meinung nach bei der Ausstellungsplanung für ein solches erlebnisorientiertes Konzept? AM: Unser letztliches Ziel ist es, dem heutigen Menschen zu zeigen: Die Leute früher waren keine »Doofköppe«. Die waren genauso wie wir. Man meint das ja heute negativ, wenn man Leute als Vandalen oder Neandertaler bezeichnet. Man denkt immer, man selbst ist die Krone der Entwicklung und die anderen sind primitiv. Und wir wollen zeigen, dass das überhaupt nicht stimmt. Die Leute waren wie wir heute kreativ und innovativ in ihrer Zeit. Wir wollen einfach zeigen: Wenn ich die Menschen von damals ins Heute transferiere, könnten die auch den Umgang mit Computern lernen. Die waren kein Stück dümmer. Das fängt beim Neandertaler an, und auch ein sogenannter germanischer Barbar könnte das. Wir wollen die Angst, die Scheu vor Personen der Vergangenheit nehmen, denn diese Scheu ist ja meist mit einer Abwehr verbunden.
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TM: Sie erklären in Ihrer Ausstellung meist den Gebrauchskontext der Objekte und präsentieren die Exponate damit als Gebrauchsstücke. Ein anderes Extrem wäre es, die Objekte wie Kunstwerke auszustellen, ohne Kontextualisierungen, aber in einer Umgebung, die sie auratisch auflädt. Wie stehen Sie zu einer solchen Ausstellungsstrategie? AM: Ich denke da eher kundenorientiert. Der Besucher weiß ja nicht, was es mit dem Exponat auf sich hat. Er will aber wissen, warum es ausgestellt wird und was daran jetzt so interessant ist. Diese andere Form der Ausstellung ist so wie wenn ein moderner Künstler drei Striche malt und sagt: »Ohne Worte. Öl auf Leinwand.« Dann lässt er den Besucher damit alleine. Ich persönlich halte nichts davon. Es nützt doch gar nichts wenn ich nur irgendetwas kommentarlos da rein stelle. Was sagt das einem? TM: Im Fall der Himmelsscheibe von Nebra haben Sie einen Zwischenweg gewählt. Es gibt viele textliche Informationen in einem Vorraum, aber im Ausstellungsraum selbst nicht. Der Raum mit der Himmelsscheibe ist sozusagen das auratische Herzstück der Ausstellung. AM: Ja, ich kann ja etwas erklären und trotzdem eine gewisse Aura schaffen. Das geht durchaus. Ich muss bloß wissen, wo ich das mache. Das eine schließt das andere nicht aus. Aber ohne irgendeine Erklärung…? Da brauche ich nicht ins Museum zu gehen. TM: Würden Sie sagen, Objekte haben von sich aus eine Aura und die Aufgabe der Kurator:innen ist es, diese Aura den Besucher:innen sichtbar zu machen? Oder würden Sie sagen, als Kurator:innen schaffen Sie diese Aura erst? AM: Wenn ich einen riesigen goldenen Reliquienschrein nehme und ins Museum stelle, hat der an sich schon eine gewisse Aura. Allein aufgrund seiner Materialität; und wenn man weiß, das ist etwas Heiliges… dann hat das eine gewisse Aura. Viele Dinge haben das natürlich nicht. Aber wir denken ein bisschen wie ein Juwelier, der seine schönsten Sachen auch nicht irgendwie durcheinanderwürfelt, sondern sie sorgfältig ausstellt. Weil ich einem Objekt diese Sorgfalt angedeihen lasse, denkt sich der Besucher: »Mensch, wenn die das schon so wertvoll machen, dann ist das bestimmt etwas Besonderes.« Man muss schon den Wert definieren. Vielen Stücken sieht man das ja gar nicht an. Wenn ich da nur an das Stück Birkenrindenpech denke… was ist das für ein komischer Klumpen? Wenn ich das ein bisschen präsentiere, erschließt sich das auf einmal. Ich muss schon gewisse Lesehilfen geben, indem ich die Exponate, wie Sie sagen, »auratisch« mache. Wir wollen erzählen, welche Bedeutung ein Objekt in der damaligen Kultur hatte. Das muss ja nicht für heute gelten, aber damals hatte es eine gewisse Bedeutung. TM: Wenn man in einer Ausstellung ganz konkrete, naturalistische Bilder zeigt – also Illustrationen, Lebensbilder, lebensecht wirkende Figuren et cetera –, birgt das auch das Risiko, dass man suggeriert, diese Bilder seien unzweifelhaft korrekt. Es kann ein Effekt eintreten, der die Fantasie der Besucher:innen nicht anregt, sondern eine Deutung vorgibt, die wenig Spielraum für andere Interpretationen und offene Fragen lässt. AM: Damit ein solcher Effekt wirklich eintritt, müssten wir ja alles illustrieren. Wir haben aber nur wenige Illustrationen und für die wird richtig recherchiert. Was war da, welche Funde gibt es europaweit und welche sind gleichzeitig, was ist kombiniert? Das sind schon tatsächliche Rekonstruktionen, die auf tatsächlichen Funden beruhen, und
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keine Fiktionen. Von daher kann man das ruhig mal machen. Wie gesagt, man braucht doch Gesichter. Früher war es mal eine Zeit lang chic, aus Plexiglas Umrisse zu machen und dann da ein Fibelchen hin zu kleben und das war es dann. Und dann zu sagen: »Das ist die Frau in der Hallstattzeit.« Das ist so überakademisiert. Ein Museum ist auch wie eine barocke Oper. So muss man das ein bisschen sehen. Die muss auch irgendwie emotional tragen. TM: Also ruhig mit Pauken und Trompen vorgehen? AM: Ja, es soll ein Erlebnis sein. Man muss ja immer bedenken, dass man auch mit inszenierenden Erlebnisparks konkurriert und da wird ja noch ganz anders auf die Pauke gehauen. Wir machen das wirklich ganz reduziert, was vertretbar ist. Aber wenn es vertretbar ist, warum soll man es dann nicht machen? Warum soll man sich im selbstkasteienden Puritanismus erschöpfen? TM: Sie gehen in Ihrer Ausstellung auch möglichst distanzlos vor und haben viele freistehende Objekte. Gehört es zum Leitbild Ihrer Ausstellung dazu, dass man die Besucher:innen distanzlos an Objekte der Vergangenheit heranzuführen versucht, und bis zu welchem Grad funktioniert das? Es ist schließlich auch mit praktischen Aspekten verbunden und mit gewissen Risiken, wenn man Objekte ohne Absperrung für Besucher:innen zugänglich macht. AM: Wir haben damit keine schlechten Erfahrungen gemacht. Nur der kleine Bär, der jetzt die Vitrine hochklettert, stand ursprünglich auf dem Boden und der wurde ein paar Mal umgestoßen, weil die Leute ihn übersehen haben. Wir wollten aber auch nicht, dass man ihn wieder abgrenzt, also haben wir dafür eine andere Lösung gefunden. Aber ansonsten gehen die Leute, auch die Schulklassen, wirklich ganz vorsichtig mit den Sachen um. Ich bin wirklich erstaunt. TM: Wie halten Sie es mit Kopien und Rekonstruktionen? Die wenigen, die Sie in der Ausstellung haben, wie beispielsweise das Skelett des Auerochsen im ersten Ausstellungssaal, weisen Sie auch als solche aus. Ist es Ihnen wichtig, die Besucher:innen darauf hinzuweisen und nicht Lücken in der Sammlung mit Kopien zu kaschieren? AM: Der Witz ist ja bei dem Auerochsen: Die Knochen liegen wirklich vor und sind abgeformt worden. Wir haben also kein Fake hingestellt, sondern haben Knochen von diesem Fundplatz, von dem wir auch diese Steinwerkzeuge haben, abgegossen und den Abguss hingestellt. TM: Das Landesmuseum für Vorgeschichte nimmt natürlich alles auf, was in Sachsen-Anhalt durch Grabungen, Zufallsfunde et cetera zutage gefördert wird. Wird darüber hinaus noch aktiv versucht, bestimmte archäologische Objekte zu erlangen? AM: Wenn ein Sammler, der hier aus Sachsen-Anhalt Funde hat, verkauft, dann durchaus. Aber das ist in meiner Zeit nie vorgekommen. TM: In Ihrer Ausstellung gibt es auch Sammlungsstücke, deren Fundorte in anderen Bundesländern liegen. Hat das historische Gründe? AM: Ja, denn dieses Museum war das zentrale Museum der preußischen Provinz Sachsen. Und diese Provinz ging nach Sachsen rein und umschloss noch Teile von Nordthürin-
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gen und Westbrandenburg. Die war also viel größere als unser heutiges Bundesland. Dadurch sind die Altfunde aus diesen Ländern noch da. TM: Gab es deshalb jemals Forderungen der Nachbarbundesländer, diese Stücke herauszugeben? AM: Nein, das gab es nie. Das ist ja das gleiche wie damals in Berlin. Dort im Museum gibt es sehr viele Stücke aus Sachsen-Anhalt, super Sachen, die beispielsweise auch als Beutekunst ins Puschkin-Museum gegangen sind, der Schatz von Dieskau zum Beispiel. Da hätten wir ja auch sagen können: »Das gehört eigentlich uns.« Das war aber damals rechtens, weil unser Gebiet damals zu Preußen gehört hat. Also da kann man nichts sagen, nach damaligem Recht war das okay. TM: Gibt es in Ihrer Sammlung auch sensibles Sammlungsgut, beispielsweise aus im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten? AM: Nein, das war immer nur ein regionales Vorgeschichtsmuseum. Daher spielte das Museum bei der Verteilung der internationalen Raubfunde keine Rolle. TM: Das Logo des Museums zeigt ein Motiv des Reitersteins von Hornhausen. Warum wurde dieses Motiv gewählt und gab es je Überlegungen, das zu ändern und vielleicht durch die Himmelsscheibe zu ersetzen? AM: Dieser Reiterstein wurde schon im 19. Jahrhundert gefunden und ins Museums gebracht und wurde schon früh zum Logo des Museums, weil so ein Fund sehr selten war. Es gibt relativ wenige Bildwerke aus der germanischen Zeit und erst recht nicht auf Stein. TM: Schildern Sie bitte noch, wie das Museum mit der Bodendenkmalpflege im Land verzahnt ist. AM: Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Ohne die Kollegen kämen keine Neufunde herein. Wir machen das mittlerweile auch so: Wenn auf dem Feld spezielle Funde getätigt werden, dann rufen die Ausgräber uns an und dann entscheiden wir vor Ort, ob der Fund en bloc geborgen werden soll oder ausgegraben wird. Bei einer Blockbergung wird entschieden, ob sie gleich konserviert wird oder ob sie erst einmal nur als Dokument im Archiv bleibt. Also das wird ganz eng abgesprochen. Das ist ein riesen Vorteil. TM: Und wie ist das Museum mit der Kulturpolitik, also der Regierung und Verwaltung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, verbunden? AM: Mittlerweile gehören wir zur Staatskanzlei. TM: Besteht dadurch auch die Möglichkeit, dass von Seiten des Landes auf die Arbeit des Museums Einfluss genommen wird? AM: Nein, das macht man gar nicht. Man fragt höchstens einmal, ob wir gelegentlich eine Kooperation mit einem Land, zum Beispiel Armenien, machen können. Oder es kommt zum Beispiel aus Niedersachsen eine Anfrage, ob wir dort einem Museum in der Logistik oder auch kreativ helfen können. Aber es gibt keine politische Einflussnahme. Man lässt uns völlig freie Hand.
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TM: Aber Sie sprachen jetzt gerade eine Kooperation mit Armenien an. Also kann es schon passieren, dass aus politischen Gründen ein Freundschaftsprojekt mit einem anderen Land gewünscht wird? AM: Ja, es wird angefragt, ob das möglich ist. Aber wenn wir dann sagen, es gibt zurzeit keine Kapazitäten und es geht nicht, dann wird das auch akzeptiert. Aber meistens ist das ja auch damit verbunden, dass es dann auch Geld gibt und man auch Leute einstellen kann, die dann genau für dieses Projekt zuständig sind. TM: Denn die Finanzierung des Museums erfolgt vollständig aus dem Landesetat? AM: Ja, aber zu solchen Sonderkooperationen gibt es dann auch Drittmittel dazu. TM: Herzlichen Dank für das Gespräch. Arnold Muhl ist seit 1995 am Landesmuseum für Vorgeschichte als Kurator tätig und ist der Leiter des Referats Dauerausstellung.
Anhang 1.5: Protokoll des Interviews mit Harald Meller (HM)
TM: Herr Meller, nach Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis haben Museen als Träger eines solchen Gedächtnisses dem Kollektiv gegenüber eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren und steuern die Vermittlung des Gedächtnisses. Wo spielt diese Thematik in der täglichen Arbeit des Landesmuseums eine Rolle? Wird beispielsweise in Planungsprozessen oder Arbeitsschritten, gerade bei der Konzeption einer Dauerausstellung, die Vermittlung und Konstruktion von kulturellem Erbe und kultureller Identität bewusst reflektiert? HM: Die Konstruktion von Identität ist uns stets bewusst. Wir haben alle natürlich Assmann gelesen und selbstverständlich kennen wir die gängigen Theorien dazu. Das spielt aber in der praktischen Arbeit eine eher geringe Rolle, weil es dort natürlich darum geht, Ausstellungen in einem engen Zeit- und Kostenrahmen zu realisieren. Zudem muss unterschieden werden zwischen Sonderausstellungen und Dauerausstellungen. Bei Letzterer geht es darum, das spezifische Kulturerbe des Landes darzustellen, und das Kulturerbe stellt man am besten mit den Funden dar. Hier kommen wir zur sogenannten Konstruktion von Realitäten oder von historischen Abläufen. Da ist es natürlich nicht dienlich, mit Assmann zu argumentieren, denn Assmann beschäftigt sich ja explizit mit schriftlichen Kulturen – vornehmlich mit Ägypten. Und damit hat er schon – wie alle Historiker – mit der Konstruktion von Realität und Konstruktion von Geschichte zu tun, indem die Schriftquellen in der Regel Herrschaftsschriftquellen sind. Anfänglich Herrscherinschriften oder geschriebene Geschichte oder Palastlisten – die von Haus aus auf eine bestimmte Absicht zielen, wenn sie historische Daten betreffen. So beispielsweise die Schlacht von Kadesch – eine der ersten Schlachtüberlieferungen – oder auch das Preisen von Herrschern sowie Gesetzestexte als Schriftquellen. Dort hat man in der Regel hoch intentionale Quellen, die dann vor allem die Nachbarvölker, die über vergleichbare Quellen nicht verfügen, herabmindern und einseitig darstellen. Des Weiteren ist es so, dass jede Schriftlichkeit per se
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eine Subjektivität birgt. Ganz anders ist es mit archäologischen Quellen. Die archäologischen Quellen sind in der Regel das krasse Gegenteil. Es sei denn natürlich es handelt sich um Palastbauten, Repräsentationen oder Ähnliches. Bei einer normalen archäologischen Siedlung jedoch handelt es sich um zufällige Hinterlassenschaften, die meist nicht intentional sind. Außer die Hinterlassenschaften sind etwa Opferfunde – aber dann ist auch nicht die Intention, dass ein Archäologe sie birgt, sondern die Intention ist, dass sie den Göttern gefallen. Und bei diesen Hinterlassenschaften ist es so, dass sie in der Regel nicht absichtlich beeinflusst werden. Das sehen Sie am deutlichsten etwa am Beispiel der Schlachtfeldarchäologie. Wenn Sie Schlachtfelder und Schlachtgeschehen mittels Schriftzeugnissen untersuchen, haben Sie intentionale historische Quellen, wo der Sieger etwas anderes sagt als der Besiegte. Wenn Sie die Zehntausende von Kugeln auf dem Schlachtfeld untersuchen, wie wir das in Lützen machten, dann stellen sie etwas ganz anderes fest, einen ganz anderen Schlachtverlauf. Oder ich nehme ein anderes Beispiel – Neuzeitarchäologie, Luther-Archäologie. Sie haben auf der einen Seite was Luther über sich selbst sagt und die Realität, die er konstruiert sowie die sein Umfeld rekonstruiert, das Luther als historische Person sehen möchte. Das geht bis in die Rekonstruktion seiner Person in heutigen Biografien Luthers, die sogar Schriftquellen über Luthers Judenhass ausblendet oder zumindest selten thematisiert. Wenn Sie dagegen als Archäologe arbeiten, dann finden Sie andererseits die Überreste von Martin Luthers Haushalt und seiner Kindheit – und diese zeigen Ihnen ein zufälliges, aber objektives Bild. Wenn Sie zum Beispiel eine Person heute fragen – zum Beispiel Sie fragen mich –, dann werde ich Ihnen die Realität so konstruieren, wie ich möchte: Ich schaue Arte, ich lese abends Kant zur Entspannung und esse Biokost. Und wenn Sie in meinen Mülleimer schauen – das ist das, was der Archäologe wie im Luther-Beispiel macht – dann finden Sie Chipstüten, die Hülle von Terminator II und Sie finden Überreste der Bild-Zeitung. Das heißt, es gibt eine starke Diskrepanz zwischen dem, was ich sage und dem, was ich tue. Hier ist Archäologie immer objektiver, denn Archäologie geht bei Siedlungshinterlassenschaften mit dem um, was tatsächlich dort ist, sozusagen mit dem Müllhaufen der Geschichte. Und der Müllhaufen hat eine hohe Objektivitätskraft. Ob dann die Konstruktion dessen, was Sie aus dem Müll ableiten, richtig ist oder ob das wieder ideologisch durch Ihre Zeit gefiltert oder beeinflusst ist, ist eine ganz andere Frage. Das wird in der Regel so sein, dass auch ein Archäologe zeitbedingt interpretiert oder eine persönliche Geschichte hat. Und wir kennen aus der Archäologie, dass es beispielsweise marxistische Ausrichtungen gibt oder konservative Ausrichtungen und so weiter. Der Forscher als Mensch, als Person ist immer ein Faktor, auch indem er sich selber in seinem Forschungsgegenstand spiegelt. Und das Wichtige für den Forscher ist, dass er das weiß. Dass er gegebenenfalls weiß, wie seine eigenen biographischen Verzerrungen die Quellen und deren Deutung verzerren – was natürlich nicht sein sollte, was sich aber möglicherweise dennoch ergibt. Etwas anderes ist es, wenn Sie Gräber untersuchen. Bei deren Untersuchung sind Sie wieder im Bereich der Selbst- oder Fremdinszenierung. Das ist zwar nicht unbedingt eine Botschaft an die Zukunft, weil man nicht damit rechnet, dass die Gräber ausgegraben werden. Aber es ist eine Botschaft an die, die an der Bestattung teilnehmen oder die dieses Grabmal sehen. Das heißt, eine Pyramide ist ein Manifest, ein großer Grabhügel ist ein Manifest. Reiche Grabbeigaben sind ein
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Manifest zu zeigen: »Wir können uns das leisten.« Neben dem Glauben, dass man die Beigaben aufgrund sozialer oder religiöser Regeln machen muss, hat es auch immer die Intention, die Beigaben und das Beigeben selbst nach außen zu zeigen, sodass man es bei Gräbern wieder mit intentionalen Quellen zu tun hat. Bei den Hortfunden ist das jedoch komplizierter. Manchmal sind das tatsächlich Händlerhorte, in seltenen Fällen. Oder Horte, die im Krieg verborgen werden, wie zum Beispiel im Zeitraum der römischen Eroberungen. Aber in der Regel sind Horte Gaben an die Götter und als Gaben an die Götter wieder hoch intentional, aber eben mit anderen Intentionen – den Intentionen, die Götter gnädig zu stimmen. Und diese möglichen Intentionen der Bodenfunde muss der Archäologe auflösen und dann jeweils im historischen Kontext deuten. Der Wert der archäologischen Arbeit liegt darin, dass sie 99 Prozent der Menschheitsgeschichte beleuchtet – und diese ist nicht schriftlich. Das Problem ist in der Regel – und das führt zu einer dramatischen Verzerrung unserer Kenntnisse –, dass wir die Menschheitsgeschichte so sehen, als würde sie zwangsweise und folgerichtig auf uns und unsere Lebenswirklichkeit zulaufen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Menschheitsgeschichte besteht voller Schlammwege und Irrwege und Umwege. Aber wir betrachten nur die Autobahnen und die Raststätten. Und wir glauben, dass das eine zwingende Logik und Notwendigkeit hätte. Hat es aber nicht. Wir betrachten die Weltgeschichte meistens vom letzten Prozent und nicht aus den 99 Prozent davor. Dabei sind für unsere Phylo- und Ontogenese als Menschen die 99 Prozent davor, als der Mensch als Jäger und Sammler lebte, absolut entscheidend. Und da ist es wieder wichtig zu wissen, dass wir uns nicht auf den Homo sapiens sapiens konzentrieren dürfen, sondern dass der Homo neanderthalensis, wie wir heute genetisch wissen, eine genauso große Rolle spielt – und ebenso der Homo erectus. Also mindestens zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, eher drei bis fünf Millionen Jahre, die entscheidend sind. Und nicht nur das eine Prozent der schriftlich fassbaren Menschheitsgeschichte. Jene 99 Prozent werden in der Regel nicht betrachtet. Deshalb ist das Archäologiemuseum so wichtig, weil Ur- und Frühgeschichte eine äußerst geringe Rolle spielt – so im Rahmen von Geschichtsunterricht –, sie aber für uns als Menschen konstitutiv ist. Die modernen Menschen sind in der Bewertung der Moderne und ihres eigenen Lebens an ihre unmittelbaren und mittelbaren Kenntnisse und Erfahrungen gebunden. Somit derer der Geschichte der letzten paar Hundert Jahre. Das führt prinzipiell zu Fehlinterpretationen des Menschen als solchem, da die heutigen Menschen glauben, dass die Art wie sie jetzt leben, die richtige und einzig logische Art zu leben ist. Aus einer langen Zeitbetrachtung des menschlichen Lebens ist unsere Lebensform heute jedoch von einer ungeheuren Absurdität. Und es ist natürlich so, dass jeder normal lebende Mensch der letzten zwei Millionen Jahre ein soziales Lebensumfeld, wie wir es heute haben, schreiend und panisch ablehnen würde. TM: Sie sagten gerade, eine Argumentation mit Assmann mache keinen Sinn, weil die Vorund Frühgeschichte sich mit nicht-schriftlichen Quellen befasst. Aber ist nicht gerade da die Konstruktion einer Geschichte, eines Gedächtnisses und eines Erbes, aus den Sachquellen wesentlich spekulativer als wenn zusätzlich zu den Sachquellen schriftliche Quellen vorliegen oder auch, wie in der Neuzeit, Bild- und Tondokumente?
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HM: Nein, überhaupt nicht. Die Bildquelle ist eine erzeugte Quelle, die in der Regel eine Intention verfolgt. Die Tonquelle ist eine erzeugte Quelle mit Intention. Ich habe jetzt hier bei der Aufzeichnung dieses Interviews eine Intention. Von daher wäre wahrscheinlich das Objektivste ein Gedankenmitschnitt Napoleons zum Beispiel und nicht das, was er wirklich sagt. Aber das ist nicht möglich. Was wir bekommen, in der Ur- und Frühgeschichte, ist ein zufälliger Handlungsmitschnitt. Und der ist nicht intentional, wenn Sie Siedlungsflächen untersuchen. Nehmen wir wieder den Fall Martin Luther: Die Schriftquellen sind solcher Art, dass Martin Luther uns glauben macht, er käme aus einem eher armen Hause. Und damit ist sein Aufstieg ein Wille Gottes. Das hängt eng mit dem protestantischen Glaubensbekenntnis zusammen, dass man durch starken Glauben und durch eigene Kraft aufsteigt. In Wirklichkeit ist es natürlich ganz anders. Martin Luther ist der Sohn eines sehr reichen Vaters aus einer sehr reichen Familie, der eine sehr reiche Frau geheiratet hat und der eben nicht ein armer Bergwerksarbeiter, ein Hauer ist, sondern ein Bergwerksbesitzer ist. Der sogar ein Vierherr ist, also der den Zugang zu einem Stadtviertel kontrolliert und der nicht, wie in der auf Schriftquellen fußenden Rekonstruktion der Lutherstätten, in einer kleinen Kate lebt, sondern in einem großen, stattlichen Vierseithof. Die Archäologie vermag das zu objektivieren. Sie konnte nachweisen, dass es eben nicht das kleine Haus ist, sondern – durch die Methoden der Bauarchäologie – dass es ein riesiges Anwesen war. Und die Archäologie vermochte auch zu zeigen, dass Martin Luther in einem Haus lebte mit Fensterglas – das nur Reichen möglich war –, in dem hervorragend gegessen wurde, in dem geheizt wurde, in dem die Frauen über prächtigste Kleider verfügten. Somit konnte die Archäologie das sofort einschätzen und sagen: »Martin Luther ist aus reichem Elternhaus.« Das könnte man auch wissen, wenn man die historischen Quellen genau liest – Martin Luther ist der klassische Revolutionär, der von oben kommt. TM: Es leuchtet ein, dass man die Archäologie der Geschichtswissenschaft gegenüberstellen und die schriftlichen Quellen anhand der Archäologie überprüfen kann. Aber mit Blick auf die vor- und frühgeschichtlichen Zeiten, zu denen es eben keine schriftlichen Quellen gibt, kommen Sie in einem Museum beziehungsweise in einer Ausstellung unweigerlich an einen Punkt, an dem Sie die Erkenntnisse der Forschung vermitteln und in dem Moment interpretieren Sie und erzählen Geschichten. HM: Das sollte man nicht so strikt unterscheiden, insbesondere für ein Museum halte ich das für problematisch. Wenn Sie unser Museum besuchen, sehen Sie, dass wir genau das Gegenteil machen. Weil ein Museum, als Ort, an dem Geschichte erzählt wird, ein völlig falsches Verständnis von einem Museum ist. Das Museum ist kein Ort, an dem die Geschichte konsistent erzählt wird. Das geschieht in Büchern, das geschieht in Filmen, das geschieht in wissenschaftlichen Aufsätzen. Aber dafür ist das Museum nicht der geeignete Ort. Denn dafür müssten Sie dort ja die ganzen Wände mit Texten vollschreiben, was alles mit uns in der Geschichte passiert ist. Das Museum ist ein ganz anderer Ort. Es ist ein Ort, in dem zuallererst das Original selbst wirkt. Zum einen – in selteneren Fällen –, durch die Schönheit und die Art des Originals und dessen Ablesbarkeit. Aber da es sich ja häufig um Gebrauchsgegenstände handelt – und das hier kein Kunstmuseum ist –, ist nur in Ausnahmefällen der ästhetische Wert der entschei-
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dende. Dieser liegt meist in der Information des Gegenstandes selbst und in seiner daraus ableitbaren Interpretation. Aber da ist der Gegenstand von einem begrenzten Wert. Man benötigt die Gesamtsicht. Und diese ist so umfänglich und so komplex und bedarf so vieler Forschung, dass es fast unmöglich ist, den Besuchern eine Gesamtsicht der Ur- und Frühgeschichte nahezubringen. Da müssten die Besucher ein Studium machen und eine Menge Bücher lesen zur Vorbereitung des Museumsbesuchs. Daher ist in einem Museum etwas ganz anderes entscheidend: Dass man als Ausstellungsmacher die Hundert Prozent Erkenntnis – die momentan in der wissenschaftlichen Community da sind – verdichtet zu den 0,5 Prozent der wichtigsten Informationen. Diese werden aber auch nicht aufgeschrieben – im Wesentlichen umrisshaft in Thementexten –, sondern in Bilder gefasst. Bilder, die eine hohe historische Korrektheit und Plausibilität enthalten. Dies hat mit zwei Dingen zu tun: Einerseits entfalten inszenierte Bilder bei jedem eine andere Wahrheit, da jeder einen anderen Erfahrungshorizont hat. Andererseits treffen solche Bilder – die man als Ausstellungsmacher erzeugt – die wissenschaftlich erforschte Realität besser und könnten diese besser verdichten, als das mit Texten möglich wäre. Für Texte ist das Museum nicht der richtige Ort. Dazu haben Sie als Besucher zu wenig Zeit. Wenn Sie das alles lesen müssten, würden Sie sich die Füße platt stehen und Ihr Hals würde austrocknen. Sie müssen das in überschaubarer Zeit sehen. Wenn Sie beispielsweise zeigen wollen, dass der Neandertaler ein hoch fähiges Wesen ist – und als wir den entsprechenden Teil der Dauerausstellung 2003 einrichteten, war es sogar so, dass der Neandertaler noch als vom Homo sapiens unterschiedlich betrachtet wurde. Wir haben das nicht geglaubt, weil wir schon das sogenannte Portugal-Kind von Lagar Velho kannten und aus unserer Sicht waren sich der Neandertaler und der Homo sapiens äußerst ähnlich und gleichermaßen befähigt. Die dies untermauernde Forschung war aber noch nicht publiziert zu diesem Zeitpunkt. Wenn Sie nun den Neandertaler als ein hochfähiges Wesen zeigen möchten, dann müssen Sie ihn anders darstellen. Hinzu kommt, dass die Vor- und Urmenschen meistens in den Museen diskriminiert werden. Wir sehen uns am Ende einer logischen Autobahn, und die anderen sind alles mindere Vorgänger. Beides müssen Sie dekonstruieren. Wenn Sie unseren Neandertaler nehmen, der sich im Paläolithikumsraum befindet, dann stellen Sie fest, dass er in der Pose des Denkers von Rodin dasitzt. Jetzt sagt Ihnen die Pose allein schon: Er ist genauso fähig wie Sie als Homo sapiens, denn er sitzt als Denker da. Wenn Sie Rodin kennen, dann wissen Sie: Ah, er sitzt als nackter Denker da, wie bei Rodin. Und bei Rodin verursachte der nackte Denker in viktorianischer Zeit einen Aufschrei, eine Empörung: Weil ein nackter Denker dasitzt und zwar als Athlet. Der Neandertaler als Denker irritiert uns, weil er nicht unseren Erwartungen entspricht, und somit ist der Neandertaler in dieser Denkerpose perfekt getroffen. Aber der Neandertaler als Denker ist natürlich eine offene Figur. Wenn Sie sich vorstellen, dass Dürer für das Bauernkriegsdenkmal eine Säule plante, auf der jemand genau in der Pose des Denkers sitzt – nämlich ein Bauer, der von hinten mit dem Fürstenschwert durchbohrt ist – und dass die gleiche Pose in der Moderne noch einmal von Jeff Wall mit dem Arbeiter auf Betonsteinen sitzend genommen wurde, dann sehen Sie, dass Sie je nach Kenntnisstand und Interpretationsfähigkeit mit einem weiten Deutungsspektrum arbeiten, dass aber die Deutung immer auf das gleiche hinausläuft: Der Neandertaler wird diskriminiert – er ist viel fähiger und er
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ist auf Augenhöhe zu uns. Die Augenhöhe sehen Sie dadurch, dass wir die Künstlerin Frau Daynès gebeten haben, den Gesichtsausdruck und die Augen des Neandertalers so umzusetzen, dass er leicht an Ihnen vorbei schaut und dass er zwar diese körperliche Präsens und Kraft ausstrahlt, gleichzeitig aber eine gewisse Sympathie durch ein Schmunzeln weckt. Und der Neandertaler – und das hat nie ein Betrachter unserer Installation anders gesehen – ist absolut auf Augenhöhe mit dem modernen Menschen. Der moderne Museumsbesucher fühlt sich sogar leicht unterlegen, weil der Neandertaler schräg an ihm vorbeischaut und sein Blick nicht zu fassen ist. Das ist konstruiert von uns. Das ist bewusst gemacht, weil wir vor der Umsetzung der Ausstellung ein theoretisches Konzept des Museums haben. Die vorhergehende Überlegung ist: Wie wollen wir Geschichte zeigen und was ist die Aussage des Raumes? Der ganze Raum hat nur eine einzige Aussage: Der Neandertaler, der Urmensch war äußerst fähig. Es gibt keinen, nicht den allergeringsten Grund daran zu zweifeln, dass er, wäre er heute unter uns geboren, Atomphysiker werden könnte oder Fußballstar oder was auch immer. Interessanterweise hat uns dann zehn Jahre später die Genetik Recht gegeben, indem man feststellte, dass der Neandertaler genetisch zu drei bis fünf Prozent Anteil an unserem Erbgut des modernen Menschen hat. Das Bild der Ausstellung, das wir ja weit vorher gemacht haben als diese Forschungen, hat hier also präzise das Richtige getroffen. Und so machen wir das in jedem Raum. Das heißt, jeder Raum – der mit der Wand der fallenden Steinbeile, der mit dem Eulauer Familiengrab und so weiter – ist eine exakt kalkulierte Überlegung, wie man tausende Seiten archäologischen Wissens in ein Bild fasst. Deshalb konstruiert das Landesmuseum Bilder, aber das Wichtige ist, dass die konstruierten Bilder für den jeweiligen Betrachter offen und zugleich wissenschaftlich richtig sind. TM: Das Geschichtenerzählen sollte im Museum aus den erwähnten Gründen also eher vorsichtig gehandhabt werden. Bei der Vorstellung Ihres neuen Buches »Die Himmelsscheibe von Nebra. Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas« sprachen Sie jedoch mit Ihrem Co-Autoren Kai Michel über den »Mut zur faktenbasierten Spekulation«. Natürlich ist ein Buch ein ganz anderes Medium als eine Ausstellung. Dennoch sehe ich ein faktenbasiertes Spekulieren auch in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte. Beispielsweise haben Sie in den Räumen zu Paläolithikum bis Neolithikum Texte an den Wänden, die Tages- und Jahresabläufe von menschlichen Gemeinschaften erzählen. HM: Ja, das kann man ganz gut erklären. Ich bin der Meinung, dass in einer populärwissenschaftlichen Form, wie zum Beispiel meinem Buch zur Himmelsscheibe, der Mut zu einer faktenbasierten Spekulation entscheidend ist, weil Sie dem normalen Steuerzahler und Bürger die Wissenschaft nahebringen wollen und das, was der Bürger normalerweise erfahren möchte, erfährt er in wissenschaftlichen Texten nie. Die einfachste Frage ist: Wie haben die damaligen Menschen gelebt? Da erfahren Sie in den wissenschaftlichen Texten zwar vielleicht etwas zum Zeltbau oder zum Feuermachen, aber Sie erfahren kein holistisches Gesamtbild des damaligen Lebens. Dieses Bild muss man aber nach mehr als 150 Jahren Archäologie konstruieren können. Auch wenn es häufig geschieht, kann man nicht sagen: »Wir haben nicht genug Fakten.« Das stimmt nicht. Wir haben genug Fakten, um ein plausibles Lebensbild zu entwerfen. Nur müs-
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sen all die dafür nötigen Fakten zusammengetragen und verdichtet werden. Im Museum kommt hinzu: Hier werden Originale gezeigt. Damit zeigen Sie Details und Forschungsergebnisse, die Teilbereiche des damaligen Lebens beleuchten, aber letztlich muss auch gezeigt werden, wie es insgesamt hätte gewesen sein können. Das muss jedoch klar getrennt sein von den rein wissenschaftlichen Ergebnissen. Für den Besucher muss erkennbar sein, dass an dieser Stelle eine mögliche damalige Realität aus den Ergebnissen konstruiert wird. Im Fall des Tagesablaufs der Neandertaler zeigen wir ihn so wie er hätte gewesen sein können. Natürlich ist uns allen klar, dass der immer spekulativ sein wird. Wir setzen ihn in Bezug zum normalen Tagesablauf eines modernen Menschen. Und man sieht die grundlegenden Unterschiede. Der Neandertaler arbeitet nur etwa zwei Stunden am Tag. Den Rest verbringt er mit allem Möglichen, aber nicht mit Arbeit in unserem heutigen Sinne. Und am Ende bleibt als Ergebnis die Botschaft an den Besucher, dass der Neandertaler eigentlich so lebt, wie wir heute im Urlaub leben. Wenn wir also in den Urlaub fahren, dann liegen wir am Strand, »arbeiten« zwei Stunden – spielen Tischtennis und Beachvolleyball, das ist dann etwa die Jagdzeit und damit die Arbeit – und ansonsten liegt man in der Sonne oder brät sich etwas auf dem Grill, die Kinder spielen alleine in der Hüpfburg und die Frau macht auch etwas Anderes. So in etwa schaut paläolithisches Leben aus. Das zeigt den Menschen in ihrer heutigen Realität des Alltags, wenn sie bei uns im Landesmuseum sind, dass das Leben der Vormenschen in weiten Teilen völlig anders ist als das unsrige heute. Zudem zeigt dieses Lebensbild im Vergleich zu heute, dass unser Leben auch anders gesehen werden kann, wie die Menschen es sich derzeit denken: »Wir sind die Glücklichen, die die 40-Stunden-Woche haben und die armseligen Vormenschen hatten Hunger und waren krank und es gab keinen Zahnarzt und sie mussten in großer Unsicherheit leben.« Das Gegenteil ist der Fall. Sie brauchen keinen Zahnarzt, weil sie keinen Zucker essen. Sie leben ziemlich lang, wenn sie erst einmal die Kinderkrankheiten überwunden haben. Sie sind groß und gesund, weil sie sich adäquat ernähren – das heißt also überwiegend Fleischnahrung zu sich nehmen, was für den Menschen angemessen ist – und weil sie sich außerdem bewegen, sind sie ziemlich fit. Und das größte Problem der Menschheitsgeschichte – die Bevölkerungsexplosion – findet nicht statt, weil sie sich bewegen und vernünftig ernähren, sodass die Frauen in der Regel immer nur Kinder kriegen, wenn sie abgestillt haben, das heißt alle fünf bis sechs Jahre. Das heißt, die Bevölkerung ist im Wesentlichen konstant oder nur leicht steigend. Das sieht man alles in solchen Lebensbildern, das kriegt man alles dadurch mit, das ist alles wissenschaftlich begründet und richtig. Aber gleichzeitig ist völlig klar: Durch das Comichafte, durch das Verdichtete, ist das entworfene Bild ein Konstrukt. Und mittels der unterschiedlich gestalteten Beschriftungszeilen ist unterscheidbar, was die Fakten sind – also was wir als Wissenschaftler wissen – und was die Deutung ist, die faktenbasierte Spekulation. TM: Ihre Dauerausstellung gehört zu einer Ausstellungskategorie, die ich als die Erlebniswelt bezeichne. In vielen Museen scheint man vor starken Inszenierungen und Szenographien eher zurückzuschrecken. Bei Ihnen ist das Gegenteil der Fall, Sie arbeiten mit großen Raumbildern wie beispielsweise dem Elefanten und dem Neandertaler. Sehen Sie in der Unterhaltung einen Auftrag und eine Form des Ausstellens, die stärker be-
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tont und genutzt werden sollte – auch gegenüber eher didaktisch-bildungsorientierten Konzepten? HM: Das ist ein Missverständnis. Das ist kein Entertainment und kein Unterhaltungsaspekt, überhaupt nicht. Das spielt nahezu keine Rolle. Der Mensch ist ein unglaublich neugieriges Wesen und der Mensch möchte eine Annäherung an die Vergangenheit haben. Diese Annäherung muss möglichst plausibel sein. Die sollte aber auch so sein, dass sie sich als Bild assoziativ erschließt. Die meisten Bilder entstehen zum Beispiel dadurch, dass das Gegenteil von Konstruktion passiert, indem nämlich beispielsweise eben nicht tertiäre Informationen im Museum gezeigt werden – also konstruierte –, sondern indem die originalen Informationen erhalten bleiben. So auch bei den Bestattungen aus Eulau. Sie wurden im Block geborgen, sie sind nicht zerlegt – und werden damit nicht vereinzelt als Steinbeile und Messer und Töpfe gezeigt, sondern als Gesamtbild. Das Gesamtbild aber ist natürlich die wesentlich bessere Erhaltung der Bestattung als wenn man es zerlegt hätte. Und das Gesamtbild spricht auch viel stärker für sich. Zudem lässt sich das Gesamtbild auch noch besser wissenschaftlich untersuchen. Allerdings, und das ist das Wichtige, muss man zeigen, dass man nicht auf einer Ausgrabung ist und dass das Grab nicht Teil einer Ausgrabung ist. Deshalb stellen wir diese Blockbergungen, meist sind es Tote, in der Regel aufrecht. Weil wir in unserem Kulturkreis aufrecht stehende Bilder, Gemälde, gewöhnt sind. Wir machen also aus dem Toten im Boden ein aufrecht stehendes Bild, wie ein Gemälde. Und hierbei ist äußerst wichtig, wie man es beleuchtet. Wenn Sie genau hinschauen, dann stellen Sie fest, dass wir außen bei diesen Blöcken ein helleres Licht setzen und innen ein dunkleres. Das hat den einfachen Grund, dass wir nicht bloß ein Ausstellungsobjekt in Form eines Skelettes vor uns haben, sondern dass die Skelette sich zu einem Bild zusammenfügen. Es geht um das Gesamtbild. Es geht also niemals um die Gruselshow oder um eine Show, den Toten oder das Skelett zu sehen. Sondern es geht immer darum, die wissenschaftlichen Informationen, die sich aus dem Ganzen ergeben, aus dem Bild zu extrahieren und den Besucher dazu assoziieren zu lassen. Wenn Sie nun an die Eulauer Toten denken, die da Teil eines Triptychon sind, gerahmt und das in einer dunklen Atmosphäre, dann haben Sie natürlich sofort eine sakrale Kirchenatmosphäre in einer Weise vor sich, die dem Tod und dem respektvollen Umgang mit den Toten sowie der Bewertung des Todes völlig angemessen ist. TM: Mit Blick auf die lebensechten Figuren und die vielen Schubladen scheint die Ausstellung auch stark auf Kinder abgestimmt zu sein. Ist das eine Zielgruppe, die Sie bewusst erreichen wollen? HM: Zum Thema Kinder im Museum gibt es die verschiedensten Konzepte. Etwa ein Kindermuseum zu machen oder eine Kinderabteilung einzurichten. Das ist etwas, was ich ablehne und für verfehlt halte. Kinder sollen im gleichen Museum sein, in den gleichen Räumen und in der gleichen Ausstellung wie Erwachsene. Kinder sind äußerst fähig und in vielen Dingen fähiger als Erwachsene. Sie sind äußerst fähig in der Mustererkennung und sie sind sehr fähig in schneller, unvoreingenommener Interpretation. Wir haben einen Raum im Landesmuseum, in dem befindet sich die Schamanin von Bad Dürrenberg. Und in einem Wandbild wird sie im Wald dargestellt, und die Kinder sind die einzigen, die das ganz schnell erkennen. Das sehen die Erwachsenen nie. Weil die
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Kinder diese Wimmelbildfunktion haben, sie sehen sofort: Wo läuft der Hund im Bild? Die Vitrine mit der Schamanin darin sehen wir als Erwachsene von oben und wir betrachten die genau. Aber die Vitrine hat einen schmalen Sockel. Und dieser ist verglast, in ihm befinden sich ausgestopfte Vögel, die die Vitrine sozusagen wegtragen. Das sieht man als Erwachsener nicht. Die Kinder sehen das sofort und das begibt die Kinder in eine Situation, wo sie ihren Eltern Dinge erklären können. Solche Stellen haben wir im Landemuseum ganz oft. Es ist voller Dinge, die Erwachsene nicht sehen können und die die Kinder aber entdecken. Und das sind oft die besten Dinge. So können Kinder sozusagen auf einer eigenen visuellen Ebene eigene Entdeckungen machen. Dies trifft aber auch auf Sonderausstellungen zu, hier erwähne ich gerne unsere »Elefantenreich«-Ausstellung. Ich erinnere mich an eine Szene, wo eine Mutter ihren Vierjährigen regelrecht von der Vitrine loseisen musste, weil er nach zwei oder drei Stunden nicht nach Hause wollte. Der Grund war einfach und gar nicht von uns intendiert – denn man kann gar nichts für Kinder extra machen, weil man nicht mehr so denkt wie ein Kind. Der Grund war: Dort haben wir das Stirnbein einer Schleichenart gezeigt. Und diese Schleichenart – sie kommt heute bei uns nicht mehr vor, nur in wärmeren Gefilden –, die haben wir dann als Zeichnung gezeigt mit dem Knochen, wo er sich im Skelett befindet. Dann haben wir die Schleichenart auch ausgestopft gezeigt. Alles beisammen. Sodass man – egal ob das ein Froschschenkel ist, das Gaumenbein eines Vogels oder eben das Stirnbein einer Schleiche – alles immer im Kontext gesehen hat. Man sieht das Stirnbein als Exponat in der Vitrine, man sucht es dann am Skelett in der Zeichnung und am Ende findet man das ausgestopfte Tier. Alles beieinander, sodass man diese winzigen Teile kontextualisieren konnte wie in einem Puzzle oder Wimmelbild. Und das hat die Kinder völlig begeistert. Das war pädagogisch mit das Beste, was wir gemacht haben. Wenn man etwas pädagogisch bewusst macht wie Kinderspiele oder dergleichen, dann zielt man häufig daran vorbei, was Kinder eigentlich wollen und was sie fesselt. Wir haben kürzlich die »Klimagewalten«-Sonderausstellung zur Evolution und zur Klimageschichte gezeigt. Da waren die Kinder völlig begeistert von den Affenskeletten und den ausgestopften Tieren dahinter. So etwas funktioniert unheimlich gut. Das Kind gehört ins gleiche Museum mit seinen Eltern und das Kind soll den Eltern etwas erklären, die Eltern sollen dem Kind etwas erklären, sie können das gemeinsam machen. Was man überhaupt nicht braucht in Museen, sind irgendwelche merkwürdigen Kinderabteilungen wie in Kaufhäusern, wo die Kinder abgestellt werden, während die Eltern shoppen gehen. So etwas lehne ich völlig ab. TM: Was kulturelle Identitäten und die Problematik des Kulturgruppenbegriffs angeht, finde ich den Ausstellungsbereich zur vorrömischen Eisenzeit und den zur römischen Kaiserzeit besonders spannend, insbesondere die Texte dort. Begriffe wie »die Kelten« oder »die Germanen« sind ja heute noch als Arbeitsbegriffe – auch in archäologischen Museen – gebräuchlich und werden oft unreflektiert und unkommentiert verwendet. Problematisch ist daran natürlich, dass diese Begriffe Fremdbezeichnungen waren, die suggerieren, dass es sich dabei um kulturell und möglicherweise sogar ethnisch homogene Gruppen handelte. Trotzdem verzichten einige Kolleg:innen bewusst darauf, diese Begriffe in ihren Ausstellungen zu problematisieren und argumentieren, das Thema
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»Kulturbegriff« sei zu theorielastig, würde die Durchschnittsbesucher:innen nicht interessieren und sei nicht zu inszenieren. Wie stehen Sie dazu? HM: Das Gegenteil ist der Fall. Ich halte es für hoch wichtig den Menschen zu zeigen, was zum Beispiel der Begriff »Germanen« bedeutet. Das ist schließlich ein Begriff, der in unserer Geschichte eine traurige und schlimme Rolle spielt. Ein Begriff, der zurückgeht bis zu Tacitusʼ »Germania« und bis zu Caesar – aber ein historisch aufgeladener Begriff ist und deshalb immer eine Wirkung entfalten wird. Man kann auch von jedem Museumsbesucher erwarten, dass er nachvollziehen kann, wie sich der Begriff über die Zeiten hinweg entwickelt. Der Begriff »Germane« bedeutet immer etwas anderes. Es ist daher vor allem wichtig zu verstehen, wie er in der jeweiligen Zeit gesehen wurde. Die Germanen sind ein Stamm unter vielen und dieser Germanenbegriff wird auf alle übertragen, weil die Germanen, dieser eine Stamm, zufällig im Westen sitzt und die Römer ihn früh treffen. Er wird dann zur Sammelbezeichnung. Generell gilt jedoch, dass auch die Namen der anderen Stämme der »Germanen« – seien das jetzt beispielsweise Markomannen, Hermunduren oder Langobarden –, dass diese immer viele weitere Stämme umfassen und dass die Germanen ein römisches Konstrukt sind. Anfänglich ist es ein Konstrukt der damaligen Historiker und des überlegenen Siegers. Später ändert sich das. Ich glaube, dass die wesentlichsten Aspekte germanischer Geschichte häufig falsch dargestellt werden. Der wesentliche Aspekt germanischer Geschichte und der Vorgeschichte des Raumes nördlich der Alpen ist die ungeheure Resilienz gegen Hochkulturen. Also die dramatische Widerstandskraft, Innovationen nicht anzunehmen, Schrift nicht anzunehmen. Das ist die eigentliche Leistung. Sie wurde in der Geschichte von den damaligen Historikern häufig falsch gesehen, gleiches gilt aber auch für die heutigen Wissenschaftler. Die Resilienz, die Widerstandskraft wird als Unfähigkeit gesehen. »Die haben keine Schrift, die leben in Holzhütten, die nehmen die Segnungen Roms nicht an.« Das Gegenteil ist der Fall: Man will sie nicht annehmen, nein, man lehnt sie sogar ab. Und das bedarf einer großen dramatischen Widerstandskraft. Dass die Germanen die Innovationen Roms kennen, ist dadurch belegt, dass die Leibgarde der Caesaren aus Germanen besteht, dass entscheidende Generäle im Römischen Reich Germanen sind, dass Germanen dort Karriere machen. Das beste Beispiel ist Arminius, der römischer Truppenführer ist und gleichzeitig die Truppen Roms vernichtet. Wir übernehmen da zu leicht ein Konstrukt der früheren Historiker, die, mit bestimmten An- und Absichten, eben aus römischer, griechischer oder südlicher Sicht argumentieren. Für uns im Museum war die Germanenproblematik äußerst schwierig, wir überlegten uns: »Wie stellen wir den Germanen dar?« Wir haben daraufhin beschlossen, dass wir Germanen auf dreierlei Weise zeigen. Einmal auf dem Weg dorthin, von der Eisenzeit kommend. Zweitens aus der Sicht der Römer. Wir haben die Schreibstube des Tacitus nachgebaut. Und aus seiner Sicht und der der weiteren römischen Historiker beschreiben wir die Germanen mit den Texten der Historiker. Aber auch die Funde werden hinzugezogen, so als wären sie ausgestellt im Privatmuseum eines reichen römischen Senators, der in Germanien war. Drittens gehen wir dann aus der Schreibstube hinaus – dieser Teil ist noch nicht fertig, er wird gerade realisiert. Wir befinden uns nun außerhalb einer römischen Villa und stehen vor einem Limes, der aus hunderten von Spolien römischer Steine besteht. Und dahinter ist die Welt,
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wie die Germanen sie selbst sehen, wie sie sich selbst sehen. Das heißt, wir zeigen die Außen- und die Selbstsicht der Germanen – und die Selbstsicht ist eine völlig andere als die Außensicht der Römer. Es ist die Selbstsicht, wie wir sie wissenschaftlich aus Funden ableiten und wie wir sie für plausibel halten. Wir stellen ganz bewusst beide Sichtweisen gegenüber. Wir zeigen nicht bloß eine. TM: Haben Sie bei der Ausstellungsplanung – auch gerade mit Blick auf die jetzt noch kommenden Ausstellungsabschnitte – ein übergeordnetes Leitprinzip, dem Sie die Dauerausstellung grundlegend unterordnen? HM: Ja, das haben wir und es ist einfach: Es besagt, dass wir den Menschen 500 000 Jahre Geschichte nahebringen – und zwar als unsere Geschichte nahebringen, die sie normalerweise weder in der Schule, noch in populären Darstellungen, noch in Filmen lesen oder sehen, die aber für ihr Leben konstitutiv ist und für ihr Leben entscheidend. Die meisten Menschen leben in unserer Gesellschaft mit den Werten unserer Gesellschaft und die Werte unserer Gesellschaft sind häufig gegen die natürlichen Instinkte des Menschen gerichtet. In einem Staatswesen und in einer Massengesellschaft muss sich der Einzelne natürlich zurücknehmen und in einer gewissen Weise anders leben, als er eigentlich als Tier »Mensch« leben würde. Für das gesellschaftliche Funktionieren ist es wichtig, dass der gesellschaftliche Rahmen akzeptiert wird. Darum entwickeln sich monotheistische Religionen in Staaten oder Stadtstaaten und werden durch diese befördert. Sie ähneln in ihrer Struktur Familien, wo ein Patriarch oben sitzt und wo man die Dinge wie in einer Familie patriarchalisch-dirigistisch regelt. Während heutige sogenannte Naturvölker animistische Religionen haben oder die prähistorischen Jäger und Sammler gar über Jahrzehntausende konsistent animistische oder andere Vorstellungen besaßen, wie wir in den Höhlenbildern sehen. Wir sehen meistens, wie gesagt, diese kurze, jetzige Welt, in der wir den historischen Überblick haben und unsere Aufgabe ist es, die vielen Jahrtausende zurückzudrehen und die Urmenschen, die keine Schrift haben, wieder in Erinnerung und aus dem Vergessen zu rufen. Jede Scherbe die wir bergen, jeder Faustkeil den wir bergen, jedes Skelett das wir finden, erinnert an Menschen, die einmal lebten und die eine lange Kette unserer Geschichte darstellen. Wenn wir zum Beispiel fernsehen, dann haben wir das Gefühl, wir tun etwas Schlechtes. Wir essen dabei keine Biokost, sondern Chips. Und spielen mit den Kindern keine Spiele, sondern sitzen vorm Fernseher. In Wirklichkeit tun wir dabei etwas ganz Wunderbares – etwas, das wir seit zwei Millionen Jahren getan haben: Wir sitzen vor dem flackernden Lagerfeuer. Die Serie, die dort läuft, die Geschichte, die sich dort entrollt, ist die fantastische Geschichte, die uns ein Schamane erzählt. Die Chips, die wir essen, und die Weintrauben, die wir essen, sind die vergorenen Früchte, die wir gefunden haben, die uns ein bisschen Alkohol geben oder Fruchtzucker, den wir sonst nicht bekommen. Wir haben allerbeste Laune und wir leben wie im Paradies. Und wir sitzen heimelig in der Dunkelheit um das helle Feuer und fühlen uns als beschützte Gruppe, weil die Raubtiere, Hyänen und Löwen, in fünfzig Metern Entfernung sind, denn sie können nicht ran ans Feuer. Deshalb geht man ungern alleine ins Dunkel, denn da wird man in der Regel nach zwanzig Metern gefressen. Nur wissen wir das nicht mehr. Nur die Kinder gehen ungern in den dunklen Keller und holen dem Papa ein Bier hoch. Aber sie wissen nicht warum. Wenn man Urgeschichte betreibt, dann versteht man die
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menschlichen Antriebe. Man versteht, wie Menschen funktionieren. Und das ist nicht unwichtig, denn unsere Konstruktionen unserer Vergangenheit dienen vor allem dazu, unsere heutige Lebensweise, die in hohem Maße häufig absurd und gegen natürlichmenschliches Leben ist, zu legitimieren. Und der Ort, wo man das kennenlernen kann, ist das Archäologiemuseum, ist unser Landesmuseum. TM: Ihr Museum gehört zum Kulturministerium des Landes, das wiederum an die Staatskanzlei angegliedert ist. HM: Wir waren lange Zeit Teil eines eigenständigen Ministeriums. Ich empfinde die Zugehörigkeit zur Staatskanzlei als sehr positiv. TM: Wie würden Sie die Rolle einschätzen, die das Landesmuseum für die Landesverwaltung spielt? Ist beispielsweise zu bemerken, dass die Landesregierung sich mit dem positiven Image des Museums schmückt? HM: Die Landesregierung soll sich ja gerade mit den Federn des Landesmuseums schmücken, das ist ja gerade unser Ziel. Das Land Sachsen-Anhalt soll stolz sein auf seine grandiose Vergangenheit und das Land Sachsen-Anhalt darf mit Recht darauf stolz sein, dass es die Archäologie und das Landesmuseum für Vorgeschichte sehr fördert. Das ist nicht selbstverständlich, das ist nicht überall in Deutschland der Fall. Das Land Sachsen-Anhalt ist jedoch ein Land von außergewöhnlicher historischer Tiefe und Qualität, das ebengerade seine Geschichte nicht vergisst, sondern aufklärt und damit eine gewisse Unverwechselbarkeit und ein Alleinstellungsmerkmal erhält – wie die Himmelsscheibe von Nebra bestens zeigt. TM: Besteht die Möglichkeit, dass von Seiten des Landes auf die Arbeit im Museum Einfluss genommen wird? HM: Auf die Arbeit am Museum wird nicht der allergeringste Einfluss genommen, das ist gesetzlich klar geregelt. Im Land Sachsen-Anhalt bestimmt der Paragraph 5, Absatz 3 des Denkmalschutzgesetzes eindeutig, dass das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, und somit das Landesmuseum als dessen Teil, frei ist von jeder politischen Weisung. Ein Einfluss auf unsere Arbeit ist damit ausgeschlossen. Ich als der Landesarchäologe habe in meinen achtzehn Jahren Tätigkeit noch nie eine inhaltliche Anweisung erhalten. Diese würde ich auch nicht befolgen. TM: Herzlichen Dank für das Gespräch. Harald Meller ist seit 2001 Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt und Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte.
Anhang 1.6: Protokoll des Interviews mit Michael Merkel (MM) und Rainer-Maria Weiss (RMW) TM: Herr Weiss, Herr Merkel, nach Jan Assmanns Theorie zum kulturellen Gedächtnis haben Museen als Träger eines solchen Gedächtnisses dem Kollektiv gegenüber eine große Verantwortung, denn sie kontrollieren und steuern die Vermittlung des Gedächtnis-
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ses. Wo spielt diese Thematik in der täglichen Arbeit der Stiftung und des Museums eine Rolle? Wird beispielsweise in Planungsprozessen oder Arbeitsschritten, gerade bei der Konzeption einer Dauerausstellung, die Vermittlung von kulturellem Erbe und kultureller Identität bewusst reflektiert? RMW: Das ist mir viel zu theorielastig. Ich gehe überhaupt – und ich glaube, wir ticken hier alle so im Hause – nicht theorielastig an die Sachen heran. Wir fühlen uns alle als Archäologen, also als Prähistoriker, also als Historiker. Das heißt, das ist eigentlich gelernt, für mich zumindest. Nicht nur über das Studium, sondern dadurch, dass ich das Studium ergreifen wollte, es ergriffen habe und dann in der Praxis stecke, ist für mich – was so theoretisch hochtrabend klingt – alles eine Selbstverständlichkeit, über die ich nicht lange nachdenken muss. Sondern das machen wir halt einfach und zwar automatisch. Also wir setzen uns nicht zusammen und sagen: »Leute, jetzt denkt bitte alle an Assmann. Wir haben eine Verpflichtung, unser kulturelles Erbe einer bestimmten Gruppe adäquat zu vermitteln, übernehmen dabei eine Verantwortung…« Nix da! Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass wir alle wissen, dass wir die tote Materie, die wir ausgraben, ganz einfach zum Sprechen bringen müssen und mehr ist es nicht. Die Frage ist jetzt nur: Wie bringt man die tote Materie zum Sprechen? Da gibt es handwerkliche Fertigkeiten zunächst. Ein Fragment von einem Tongefäß muss ich, wenn ich mehrere habe, erst einmal zusammenkleben, damit ich das Gefäß erkennen kann. Und dann muss ich mir überlegen: Jetzt habe ich hier ein Gefäß. Was mache ich damit? Da gibt es eben viele, viele Geschichten, die zu erzählen sind. Das merken wir zum Beispiel daran, dass wir zu verschiedenen Ausstellungen dasselbe Objekt benutzen, und es hat jedes Mal eine völlig andere Aussage. Es mag einmal um Töpferhandwerk gehen – also Arbeit, Handwerk, Arbeitsteilung. Mal mag es um Rohstoffgewinnung gehen – wo kommt der Ton her? Mal geht es um Kunst und Zier – Motivschatz, wie ist das Gefäß verziert? Und dann geht es bei der nächsten Ausstellung um Import und Handelsbeziehungen, wo dasselbe Gefäß eine völlig andere Geschichte erzählt. Woran man sieht: Wir sind es, die die Geschichten erzählen können. Und das ist für mich immer die Königsdisziplin, dass wir die Materie zum Sprechen bringen. Und ja, da mag man… das sind aber immer solche Dinge, die ich ehrlich gesagt nie verstehe: Es gibt da ganze Literaturzweige, die sehr theorielastig sind und viele ganze Zeitschriftenreihen, wo die das, was wir intuitiv richtig, spannend, mit großem Besuchererfolg einfach machen, theoretisch durchdringen. Aber setzen Sie so einen mal an eine Ausgrabung oder an eine Ausstellung: das geht an die Wand. Von daher machen wir es und wir machen sicherlich das Richtige, da haben wir das Gefühl. Und das Richtige ist: Geschichte möglichst seriös, nach den Indizien, die wir als Archäologen bergen und zur Verfügung haben, zu rekonstruieren und daraus möglichst viele Schlüsse zu allem zu ziehen. Handwerk, Technik, soziale Strukturen, Miteinander, Gesundheit, Ernährung… einfach alles. Und wir kommen ja, Gott sei Dank, immer weiter im Fache. MM: Und das bildet sich hier auch in der Dauerausstellung ab. Also dieses Beispiel mit dem Gefäß ist ja ganz typisch. Das haben wir tatsächlich in dem Bereich Handwerk, in dem Bereich Nahrung – weil da die Suppe drin gekocht wurde – und wir haben es oben dann bei den Importen und das zieht sich durch unsere Ausstellung und das zieht sich durch unsere Denke, da hat Herr Weiss völlig Recht. Ich glaube, da denken wir wirklich nicht
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groß nach. Das ist ja das Spannende an der Archäologie, darum würde ich für Vor- und Frühgeschichte auch nicht von kulturellem Gedächtnis sprechen, das mögen Archive sein. Wenn ich das thematisiere, ist für mich immer die Archäologie und das was wir ausgraben im Grunde das kulturelle Rückgrat. Wir reden von Dingen, die wir ausgraben und die versuchen wir zum Sprechen zu bringen. Und dass sich das nicht selbst erklärt, das ist selbstredend. Darum versuchen wir zu inszenieren, in der Form wie Herr Weiss das gerade sehr treffend gesagt hat. RMW: Mit dem Hauptunterschied, dass wir in vorgeschichtlichen, also vor-schriftlichen Epochen zugange sind. Das ist nochmal eine Super-Sonderschwierigkeit. Wenn ich im Frühen Mittelalter auch hauptsächlich archäologische – alemannische, bajuwarische, selbst slawische – Relikte beurteilen muss, habe ich immer als Kontrollinstanz noch einige archivarische Quellen und das fehlt uns nun einmal vollständig in der Archäologie, weshalb wir, finde ich, noch eine höhere Verantwortung haben – andererseits aber auch mehr Spielräume. TM: Sie haben für die Dauerausstellung eine Gliederung in Themenbereiche gewählt, nämlich Werkstoff, Innovation, Gewalt, Tod, Mobilität und Nahrung. Begründen Sie bitte die Auswahl der Themenbereiche. Warum wurden stattdessen Themen wie Wohnformen oder Tracht nicht behandelt? RMW: Das geht auf einen ganz langen Prozess zurück. Wir haben uns natürlich überlegt, viele Jahre lang: Wie wollen wir die Geschichten erzählen? Und da gibt es eigentlich nur zwei grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen. Die eine ist eine chronologische Ordnung, die andere ist eine thematische Ordnung. Von der chronologischen haben wir uns recht schnell verabschiedet. Das liegt ganz einfach daran, dass in diesen Regionen hier etliche Epochen im archäologischen Kontext weitgehend ausfallen. Weil beispielsweise die Beigabensitten dazu führten, dass sich in den Gräbern kaum etwas findet, oder weil die jeweiligen Kulturen nicht gerade Höchstleistungen hervorgebracht und wenig hinterlassen haben und … und … und … Also haben wir uns für Thematisches entschieden, und da können wir uns ja eine Rubrik »Tracht« oder »Geschlechterrollen« wünschen. Aber wenn wir keine Funde dazu haben, nützt das nichts. Also haben wir uns für etwas entschieden, was einem logischen Ablauf folgt. Es gibt ja doch insgesamt zumindest ein grobes chronologisches Gerüst, aber der Ablauf ist ganz einfach der: Es beginnt mit Werkstoff, aus der Überlegung heraus, dass der Mensch ja Dinge erfindet und in die Landschaft kommt und dabei Materialien vorfindet. Das war zunächst einmal nur Holz, Knochen und Stein. Also ist Werkstoff der Anfang von allem. Damit fängt der Mensch an, den Faustkeil zu machen. Und dann sind wir ganz schnell bei Innovation. Nämlich die Frage: Was hat er denn mit dem Werkstoff gemacht? Also waren wir bei Innovation. Die Innovationen führen auch in der Jungsteinzeit – wir machen eben doch Chronologie – zu Eigentum, zu Sesshaftwerdung und auch zu Gewalt. Natürlich ist auch ein Schwert am Ende ein Symbol für Gewalt oder Machtausübung und derer haben wir reichlich. Und das Thema Germanen und Römer spielt hier eine große Rolle. Also hatten wir das Thema Gewalt, Gewalt führt zu Tod, außerdem ist Tod die Hauptquelle der Archäologie, durch die Grabfunde. Wir haben hier Gräber von der Jungsteinzeit (Großsteingräber) bis in die Neuzeit. Und dann ist zugegebenermaßen ein Sprung, weil Mobilität ein Thema ist, das man in anderen Museen so explizit viel-
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leicht nicht machen würde. Aber eine Stadt, die so auf Logistik begründet ist wie Hamburg, als Handelsstadt und Welthafen… Da hat sich das Thema Mobilität angeboten. Und in der Mitte – auch das war eine gesetzte Selbstverständlichkeit – ist das Thema Nahrung, weil sich alles, worüber wir gerade reden, um Nahrungserwerb dreht. Darum sind die Bereiche auch alle im Kreis rund um die zentrale Mittelinsel »Nahrung« angeordnet. So hat sich das ergeben. Natürlich gab es da noch andere Themen in der Diskussion, die auch spannend gewesen wären, die wir aber wieder ausgeschlossen haben, weil wir zu wenig Material haben oder die Geschichten zu platt sind und … und … und … Also das war ein langer Diskussionsprozess, am Ende auch mit den Gestaltern natürlich. Wenn Sie zwei Themen haben, die wissenschaftlich gleich spannend sind, aber das eine lässt sich mit viel besseren Bildern erzählen, wo die Gestalter nur so sprühen vor Fantasie, dann haben wir uns dafür entschieden. Natürlich unter Museumsaspekten, unter Berücksichtigung auch – das finde ich auch Gebot der Fairness – der Erwartungshaltung der Besucher. Wir machen ja nicht für uns ein Museum, damit wir glücklich sind, völlig egal, was die Besucher denken. Sondern wir müssen als wirtschaftlich tätiger Betrieb auch an die Besucher denken. Also überlegt man natürlich auch bei allem: Was sind die Themen, die wir auch den Besuchern vermitteln wollen? Da ist bei Innovation etwa das Thema Feuer für uns immer schon eine große Stärke gewesen, weil unsere Museumspädagogik das Thema Feuermachen in deutschen Museen erfunden hat. Und da haben wir aus der Museumsgeschichte heraus eine große Sammlung zum Thema Licht und Feuer. Das sind halt einfach Dinge, die auch unsere Stärken sind. MM: Diese sieben Themen, die wir da haben, lassen ja auch alle anderen Themen zu und damit spielen wir auch. Wir hatten ursprünglich ein Drehbuch von dreihundert Seiten, in dem wir uns Gedanken gemacht hatten, welche Themen wir haben wollten. Schlussendlich passt aber alles unter diese sieben Großthemen. TM: Das von Ihnen erwähnte Drehbuch sah ursprünglich ein Wabenkonzept für die neue Dauerausstellung vor, bei dem vielfältige Themen in wabenförmigen Ausstellungsbereichen behandelt werden sollten. Eines dieser Themen hatte den Titel »Kulturen« und sollte die künstliche Kategorisierung von gemeinsam auftretenden Sachfunden als Ausdruck vermeintlich kulturell homogener Gruppen thematisieren. Letztlich wurde das Thema in der Dauerausstellung nicht umgesetzt. Auf den Treppenstufen zum Obergeschoss stehen jedoch Straßennamen, unter anderem auch Swebenbrunnen, Sachsenstieg oder Langobardenweg. Besteht darin vielleicht die Verbindung zu der Thematik »Kulturen«? MM: Der Kulturbegriff ist ein Thema, das mich sehr interessiert hatte und das ich gerne abgebildet hätte, aber das war eines der Themen, die – auf Deutsch gesagt – keinen Menschen auf der Straße interessieren. Ob das nun die Trichterbecherkultur ist oder die Glockenbecherkultur oder die Jastorf- und Aunjetitzer-Kultur und was es da so alles gibt… Das ist schlicht weggefallen, weil das nicht zu inszenieren ist. Das ist akademisches Geschwurbel. RMW: Zu theorielastig am Ende. Wir hatten Spaß daran und die Inszenierungsideen gingen so weit, dass wir uns am Ende als einen zentralen Key Visual, toll präsentiert in einer hochwertigen Vitrine, einen Kulturbeutel vorstellten. So einen kunstledernen Kultur-
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beutel mit hässlichem Reißverschluss. Einfach: Kulturbeutel. Jetzt denkt mal über das Thema Kultur nach! Die Treppenstufennamen haben damit überhaupt nichts zu tun. Die sind kleines Lokalkolorit und sollen vor Augen führen: »Guckt mal, liebe Leute! Die kennt ihr alle, die Adressen. Die gibt es alle in Hamburg und sie haben alle mit Archäologie zu tun. Merkst du was? Archäologie ist überall um dich herum und selbst Hamburg hat ganz viel Bezug zur Archäologie.« TM: Möglicherweise erschließt sich das dann aber nur den in Hamburg heimischen Besucher:innen. RMW: Diese Straßen sind so abgelegen, ich glaube, selbst die Hamburger kennen viele davon nicht. TM: Die Ausstellung ist sehr assoziativ und spielerisch gestaltet. Das Konzept provoziert geradezu mit seinen starken Illustrationen und das Risiko besteht, dass die Inszenierung den Inhalt zu überlagern droht. Welche Gründe sprachen trotz dieses Risikos für das Konzept? RMW: Die Diskussion hatten wir so gar nicht. Wir haben nichts gewählt, um zu provozieren. Das macht man ja auch manchmal. Aber wir empfinden die Inszenierungen als sehr präzise auf das Thema bezogen. Es geht um das Thema Tod: Ein Leichenwagen. Es geht um das Thema Sesshaftwerdung: Eine riesige Holztür. Nichts ist an den Haaren herbeigezogen oder zu weit hergeholt, um zu provozieren oder weil wir uns in die Inszenierung verliebt haben. Wir haben keine Inszenierung gewählt, die eigentlich nicht substanziell hinterfüttert ist. Ich glaube, gerade weil es so ehrlich und so bündig ist – auch mit der Plastikwelle, die da an die Säule schwappt –, ist es völlig überzeugend. Und wir haben überhaupt keine – selbst von den pieseligsten Fachkollegen – Kritik in der Richtung gehört wie: Sag mal, das ist doch hier alles Disneyland, wo sind denn die harten Fakten?! Überhaupt nicht. Die Inszenierungen dienen tatsächlich dem sinnlichen Erleben des thematisch Erzählten. Das lenkt nicht davon ab und funktioniert deshalb richtig gut. Außerdem hat es sich als bisher zeitlos erwiesen. Die Ausstellung ist jetzt neun Jahre alt, aber in keiner Weise in die Jahre gekommen. Wir haben nicht irgendwo einen dicken Ghettoblaster hingestellt, der damals State of the Art war. MM: Der einzige Punkt, von dem ich denke, da gehen wir ein bisschen provozierend mit dem Thema um, ist oben die Säule mit den Kreuzen und dem Gelben Sack, dem »toten Punkt«. Das hat nicht ursächlich mit Archäologie zu tun, aber dann doch, weil Herr Weiss ein Foto aus Bayern mitbrachte, auf dem der Abfallhaufen hinter einer Friedhofskapelle zu sehen war, wo wildromantisch die Holzkreuze mit Efeu überwuchert wurden. Wir hatten dann darüber diskutiert, dass das, wenn man es in zweitausend Jahren ausgräbt, ein hardcore archäologischer Befund ist, der kultiger kaum sein kann. Es ist eigentlich der Müll eines rezenten Friedhofs. Da sind wir vielleicht ein bisschen provokant, aber alles andere erklärt sich von selbst und passt zu dem Thema. RMW: Bei Inszenierungsvorschlägen, die unserer Ansicht nach klar am Thema vorbei gingen, haben wir uns natürlich auch dagegen entschieden, weil wir klare Bezüge haben wollten. MM: Dann muss man aber auch sagen, wir haben das auch gemacht, weil wir den Konflikt mit dem Objekt nicht haben. Wir haben eben kein keltisches Grab wie Hochdorf, wo
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man einen keltischen Wagen als Vehikel ins Totenreich mit drin hat. Wir sind nicht das klassische Landesmuseum, das ein Wikingerschiff hat. Sondern wir müssen mit den Funden spielen, die wir haben. Und darum begleiten die Inszenierungen unsere Funde sehr gut, finde ich. Unsere Funde sind erst mal tatsächlich mittelmäßig. Es ist nicht die klassische Landesmuseumsausstellung mit irgendwelchen Highlights, die haben wir hier in der Form nicht. Für Archäologen sind unsere Funde schon sehr interessant, aber wir haben eben keinen Goldhut, keine Mumie, kein Hochdorf … Mit so etwas kann man woanders gut spielen. Da steht das Objekt auch für sich. Aber wir hier müssen Geschichten erzählen. RMW: Und das Haus hat jahrzehntelang Objekte in rechteckige Vitrinen gelegt. Da haben wir einen Cut gemacht und gesagt, jetzt wollen wir die Objekte endlich einmal inszenieren. Darum war der Inszenierungswunsch, also die Szenografie, ganz, ganz wichtig. Also nicht das Objekt in die Vitrine und höchstenfalls ein kleines Bild einer Rekonstruktion dahinter. Das war einfach vorbei, darum war der Inszenierungswunsch ganz oben. TM: Mir ist aufgefallen, dass es in der Ausstellung fast ausschließlich originale Objekte gibt. Die wenigen Rekonstruktionen sind als solche ausgewiesen. Was war die Motivation, auf Kopien und Rekonstruktionen weitestgehend zu verzichten? RMW: Erstens haben wir Originale und zweitens finde ich, dass in einem Museum ausschließlich Originale gezeigt werden sollten. Gehen Sie mal in eine Picasso-Ausstellung und da hängen Drucke an der Wand – das geht doch überhaupt nicht! Also eine Rekonstruktion nur dann, wenn das Original nicht ausstellbar ist, weil es zu fragil oder so unansehnlich ist, dass nur die Rekonstruktion die Farbigkeit, die ursprüngliche Optik und so weiter wiedergibt. Dann aber bitte beides zusammen, wie wir es bei dem Brot gemacht haben. Das Brotstummelchen und daneben ein nachgebackenes Brot und dann versteht man das. Aber in einem Museum müssen Originale gezeigt werden. Was denn sonst? TM: Sie sagten bereits, dass Ihre Sammlung nicht alle Epochen nahtlos abdeckt. Das hätte auch dazu verführen können, die Lücken mit Rekonstruktionen, Kopien und Leihgaben zu füllen. RMW: Das hätten wir unter Umständen tun müssen, wenn wir uns auf eine chronologische Gliederung beschränkt hätten. Aber wir haben ja gesagt, dass wir mit unseren Funden Geschichten erzählen wollen. Also stand natürlich die Sammlung unbedingt im Vordergrund. Bei uns ist völlig klar: Alles was die Besucher sehen, sind Originale, bis auf die Inszenierungen, aber das erkennt man wohl. MM: Und bis auf oben, wo wir die Keramiktypologie im Bereich »Sammeln und Bewahren« haben. Das sind zum Teil in den dreißiger Jahren angekaufte Gefäße. Aber ansonsten ist alles Original. TM: Die Sammlung des Museums ist mit der des Bodendenkmalamtes identisch und wächst selbstverständlich durch Funde aus Ausgrabungen. Wird darüber hinaus auch noch auf andere Arten aktiv gesammelt, indem beispielsweise Objekte aus anderen Sammlungen von der Stiftung erworben werden? RMW: Nein, das verbietet sich aus ethischen Gründen für mich grundsätzlich. Wir können uns nicht auf dem Antikmarkt, im Auktionsgeschehen irgendwelche alten Sachen kau-
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fen. Denn was hat das mit uns zu tun? Gut, wahrscheinlich würden wir ein Objekt, das wirklich wichtig ist und aus der hiesigen Gegend stammt, etwa aus einer illegalen Grabung oder aus den Zwanzigerjahren, vielleicht mal ankaufen, aber das wäre die absolute Ausnahme. Wir sind als Denkmalpfleger dafür zuständig, hier das archäologische Erbe zu sichern und das tun wir in Form der Rettungsgrabungen. Sonst gibt es keinerlei Ankaufsmöglichkeiten. Und selbst die Haupterwerbsquelle von früher, nämlich Lustgrabungen, ist versiegt, weil man so etwas heute nicht mehr macht. Wir sind Denkmalpfleger, haben also das archäologische Erbe im Gelände zu erhalten und eine Ausgrabung ist die ultima ratio wenn jemand bauen will. Also kommt bei uns nur Fundzuwachs durch die eigenen Notgrabungen, also Verursachergrabungen, hinzu. MM: Außer mal Schenkungen, aber die stellen wir in der Regel nicht aus. Das sind dann zum Beispiel Sammlungen, die wir übernehmen und ins Archiv aufnehmen. RMW: Ja, aus Sicherheitsgründen nehmen wir die. Aber wenn es zum Beispiel klassisch antike Objekte sind, geben wir die an befreundete Museen weiter, zu denen das thematisch passt. TM: Hamburg hat seit vielen Jahrhunderten internationale Kontakte und es gelangen durch den Handelsverkehr tagtäglich Objekte aus aller Welt in die Stadt. Möglicherweise haben dadurch im Laufe der Sammlungsgeschichte auch archäologische Objekte aus ehemaligen Kolonialgebieten oder anderen Ländern den Weg in die Stadt und letztlich auch in die Sammlung des Helms-Museums gefunden. Gibt es solches sensibles Sammlungsgut und wenn ja, wie gehen Sie damit um? RMW: Ja, das gab es, aber das ist bereinigt. 1972 fand hier in Hamburg eine Art Flurbereinigung der Museumslandschaft statt. Da haben alle Museen, die archäologische Objekte hatten, diese an uns abgegeben, alle Museen, die völkerkundliche Objekte hatten, diese an das Museum für Völkerkunde abgegeben und so weiter. So wurde das also bereinigt. Wir haben dabei unsere kolonialen Sammlungsbestände – das waren Kapitänsmitbringsel – mitsamt dem Aktenbestand und allem an das Völkerkundemuseum abgegeben, sodass wir dieses Problems heute entledigt sind. Die Archäologie beschränkt sich in der Sammlungsqualität weitgehend auf Europa, und da haben wir das koloniale Thema natürlich nicht. Nach unseren bisherigen Recherchen haben wir bislang kein Sammlungsobjekt mit problematischer Provenienz, was beispielsweise auch jüdische Provenienz oder kriegsbedingte Verlagerung angeht. MM: Das haben wir ja auch in den Achtzigern nach Russland zurückgegeben. Wir haben noch einen ganz kleinen Bestand an französischen Funden, die im Krieg nach Hamburg gebracht worden waren, da müssen wir noch ran. Aber das ist wenig. Die größeren Bestände von der Krim beispielsweise haben wir in den Achtzigern zurückgegeben. TM: Schildern Sie bitte, wie das Museum mit der Bodendenkmalpflege verzahnt ist. Worin besteht die Zusammenarbeit beider Institutionen, wie sind die Aufgaben verteilt? RMW: Die Bodendenkmalpflege kam im Jahr 1986 zu uns ans Museum und hat sich seither aufs Engste und inzwischen untrennbar verzahnt. Auch in der Politik hat man inzwischen die Synergie archäologisches Museum und archäologische Denkmalpflege als Vorteil erkannt und verstanden. Wir haben also eine Bibliothek, einen Mitarbeiterstab,
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ein gemeinsames Thema. Von daher ist das völlig untrennbar und für mich eine Symbiose, die ich eigentlich allen Bundesländern wünsche. Weil dort, wo es anders ist – und ich kenne die Fälle zur Genüge – sind die sich meistens spinnefeind. Da haben Sie auf der einen Seite das Landesamt, das dem Museum nicht zeigt, was es hat, und auf der anderen Seite haben Sie das Museum, das die Funde haben will, die das Landesamt ausgräbt. Und dazwischen haben Sie das ganze Thema Restaurierung, Kosten, Magazinierung, Inventarisierung und wer darf publizieren und die wissenschaftlichen Lorbeeren einheimsen? Das haben wir alles nicht. Wir ziehen komplett an einem Strang – in der Werbung, im Marketing, mit allen Synergieeffekten. Wo also sonst ein Denkmalamt irgendwo rumgräbt, sind wir das zugehörige Museum, das mit seiner Öffentlichkeitsabteilung auch Marketing für die Ausgrabungen und die Ausgrabungsergebnisse macht. Wenn es gute Ergebnisse sind, stellen wir die auch relativ schnell aus und wir haben gemeinsame Publikationsorgane. Also das ist völlig eng und für mich untrennbar zum Wohle des Themas aufs Beste verwoben. Es ist eine Idiotie, wo man so etwas auftrennt. Ich bilde mir schon ein, dass wir für die Denkmalpflege mit dem Museum das allerbeste rausholen, was – marketingtechnisch, finanziell, politisch, Lobbyarbeit und … und … und … – möglich ist. TM: Was halten Sie von der Organisation von Landesmuseum und Bodendenkmalpflege unter dem Dach einer Stiftung des öffentlichen Rechts? Ergeben sich besondere Voroder Nachteile aus dieser speziellen Rechtsform? RMW: Diese Rechtsform bedeutet für die Bodendenkmalpflege insofern keinen Unterschied, als wir nach dem Denkmalschutzgesetz handeln, völlig egal, in welcher Rechtsform wir sind. Also wären wir das staatliche Bodendenkmalpflegeamt, müssten wir auch nur nach dem Denkmalschutzgesetz agieren, wo das Schatzregal einerseits verankert ist – alle Funde fallen an den Staat – und andererseits das Verursacherprinzip verankert ist, also alle Grabungen, die ein Verursacher auslöst, muss er gefälligst bezahlen. Da ist die Rechtsform einer Stiftung öffentlichen Rechts weder ein Vornoch ein Nachteil. Einen Vorteil sehe ich, vielleicht doch auch in Sachen Bodendenkmalpflege, allerdings ganz deutlich darin: Da wir kein staatliches Organ sind, sondern als Stiftung öffentlichen Rechts quasi nachgeordnet, haben wir, was die Weisungsbefugnis angeht, andere Möglichkeiten als sie die Baudenkmalpflege hat, die staatlich, als Behörde organisiert ist. Also die Baudenkmalpflege kann sich leichter durch den Senat sagen lassen: »Das hast du zwar unter Denkmalschutz gestellt, aber wir streichen das jetzt aus der Liste. Das Gebäude wird abgerissen, weil wir viel Geld für das Grundstück bekommen.« Der kriegt eine Weisung von seinem Vorgesetzten und das sieht bei uns, da wir eine Stiftung sind, anders aus, denn wir sind nicht dem Senat, sondern dem Stiftungsrat gegenüber weisungsgebunden und das ist eine andere Ebene. Ich finde unser Agieren dadurch leichter. Ich kann mich auch viel leichter, auch öffentlich, gegen Senatsbeschlüsse wehren und mich dagegenstellen, sofern es denn einmal nötig wäre. Aber bislang funktioniert das ganz reibungslos. Also, da sind fast keine Unterschiede, weder Vor- noch Nachteile, in der Organisationsform und für das Museum gilt fast das gleiche, außer dass wir als Stiftung öffentlichen Rechts mit unserem Budget sehr selbständig spielen können. Wir haben also unser Budget und dürfen Geld verdienen, sind dazu sogar gehalten. Das kann ein Amt nicht.
Anhang 1: Interviewprotokolle
TM: Herr Merkel, empfinden Sie das aus Sicht der praktischen Arbeit am Museum ebenfalls so? MM: Ja, die Organisationsform als Stiftung macht keinen Unterschied in der praktischen Arbeit aus. Außer, dass man Geld verdienen darf und das zur Not auch ins nächste Jahr mitnehmen darf. In der ehemaligen Behörde wurde das Geld entweder bis zum Dezember ausgegeben oder es war dann einfach weg. Wir sind jetzt selbst verantwortlich und könnten theoretisch alle Mitarbeiter kündigen und das Geld in große Ausstellungen stecken. Wie wir die dann bespielen, ist unsere Baustelle. Wir können so weit wie möglich frei über unser Budget verfügen und müssen nur eine schwarze Null schreiben. RMW: Aber wenn Sie drei Zeichner haben wollen, dann kaufen wir uns drei Zeichner. Punkt. Während wir in einer Behörde erst einmal die Antragsarie lostreten müssten. Also da haben wir völlige Budgethoheit, wir können mit unserem Budget weitgehend machen, was wir für richtig halten. Wenn wir drei Dienstbusse haben wollen, dann kaufen wir uns drei Dienstbusse und setzen da die Priorität. Diese Freiheit ist wirklich grandios, da geht es uns viel besser als einer amtlichen Einrichtung. TM: Heißt das, das Museum und die Stiftung sind vor einer politischen Einflussnahme über die Finanzierung gänzlich geschützt? RMW: Nein, das nicht. Wir sind eine Zuwendungsstiftung und keine Kapitalstiftung, die sich nur aus den Zinserträgen ihres Kapitals finanziert. Wir schnappen jedes Jahr aufs Neue nach der Wurst und müssen natürlich schon darauf achten, dass die Politik uns ausstattet – mit vielleicht dem kleinen beruhigenden Thema, dass im Stiftungsgesetz eine Bestandsgarantie gesetzlich verankert ist. Der Senat kann also nicht einfach sagen »Wir machen den Laden zu«, ohne das Gesetz vorher zu ändern, was ein riesen Aufwand ist. Insofern sind wir also sehr wohl politisch abhängig von der Finanzierung, genießen aber dennoch einen gewissen Schutz. TM: Wenn es nun aber um die Aufteilung des Budgets für die Bodendenkmalpflege, die Tätigkeit des Museums, Sonderausstellungen und so weiter geht, kommen wir in den Bereich des Stiftungsrats und dieser hat wiederum eine Schnittstelle mit der Kulturpolitik Hamburgs. RMW: Richtig. Die Stiftungsratsvorsitzende ist üblicherweise die Kultursenatorin oder der Kultursenator und wir stellen jedes Jahr einen Wirtschaftsplan auf, in dem wir erklären, was wir mit unserer Zuwendung machen, und für den wir uns einen Segen holen. Allerdings mischt sich der Stiftungsrat qua Aufgabe nicht wirklich ins operative Geschäft ein. Die können uns also nicht sagen: »Diese Ausstellung macht ihr nicht, weil ich Barock doof finde.« Die können nur sagen: »Die Ausstellung macht ihr nicht, weil sie zu viel kostet.« Finanziell sind sie also das Kontrollorgan, aber nicht inhaltlich. Das ist auch ein Vorteil. MM: Da passiert auch inhaltlich nichts. Selbst wenn der Behörde inhaltlich nicht gefällt was wir machen, passiert nichts. Das kommt vielleicht von anderer Seite, aber nicht über den Stiftungsrat. Der achtet nur auf die Finanzen und hält sich ansonsten weitestgehend zurück. Nur wenn wir eine Wissenschaftlerstelle besetzen, guckt da auch der Stiftungsrat noch mal drauf.
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TM: Und von welcher Seite käme inhaltliche Kritik? MM: Dann doch von der Behörde gelegentlich. Es gibt dann doch immer noch Behördenmitarbeiter, die auf unser Haus gucken und natürlich an irgendeiner Stelle mitreden wollen – sei es, weil wir hier jetzt ein neues IT-Projekt haben, das ist im Moment das große Thema. Wir wollen ein Hammaburg-Digitalprojekt machen und da versuchen wir Drittmittel zu kriegen. Die kriegen wir gelegentlich auch von der Behörde und da mischen die dann natürlich irgendwie mit, geben Input oder hinterfragen das. Aber das sind Drittmittelprojekte, das ist nice to have, das Sahnehäubchen zu unserer täglichen Arbeit. Aber auf die Grundarbeit Ausstellen, Sammeln, Bewahren und Forschen wird kein Einfluss seitens der Behörde auf uns ausgeübt. RMW: Das stimmt. Weil es aber auch gut läuft. Würden wir jetzt die dritte Ausstellung hintereinander, weil ich einen Rappel kriege, im Stockdunklen stattfinden lassen, als Gag, weil es noch keine Ausstellung im Dunkeln gab und die Medien da bestimmt drüber schreiben, und bei der dritten Ausstellung im Dunkeln kommen schon nur noch hundert Besucher und ich plane trotzdem noch die vierte, dann würde der Stiftungsrat wohl sagen: »Nun ist mal gut.« Aber da gibt es für den Stiftungsrat dann andere Möglichkeiten, einen Direktor loszuwerden. TM: Die Bodendenkmalpflege hier betreut den niedersächsischen Landkreis Harburg und in der Sammlung befinden sich auch Objekte aus anderen Landkreisen Niedersachsens, beispielsweise aus den Kreisen Cuxhaven, Stade und Oldenburg. Wie kommt das? Kam es je zu Konflikten bei der Aufteilung von Funden oder zum Versuch gegenseitiger Einflussnahme? RMW: Zu Konflikten kam es da überhaupt nicht. Wir haben das gleiche Thema mit Schleswig-Holstein, von da haben wir extrem viele Funde. Das liegt einfach daran, dass wir im Zuge dieses neunzehnzweiundsiebziger Flurbereinigungsvorstoßes die gesamte prähistorische Sammlung des Völkerkundemuseums übernommen haben und das war damals für den ganzen großen norddeutschen Bereich zuständig, hat also auch mit Kiel und Schleswig zusammen ganz viel ausgegraben. Also haben wir ganz bedeutende Fundbestände aus den beiden Nachbarländern. Die sind bei uns bestens aufgehoben, gut publiziert, jederzeit zugänglich, sind ein integraler Bestandteil der Ausstellung und wer darüber forschen will, kann das tun. Da gibt es also überhaupt keine Reibereien. Ganz im Gegenteil sind wir glaube ich, gerade was Niedersachsen angeht, so ein Vorzeigemuseum und sind auch Teil des Staatsvertrages, was die kulturelle Kooperation angeht, weil wir eben als einziges Museum in Deutschland diese Scharnierfunktion haben, dass wir die Bodendenkmalpflege eines Bundeslandes in einer Halbinsel durch ein anderes Bundesland ausführen. Das führt traditionell zu sehr guten und en-gen Kontakten, die wir auch persönlich pflegen, zum Beispiel zu den benachbarten Kreisarchäologen und zum Landesdenkmalamt in Hannover, mit dem wir engste Kontakte haben und in Austausch stehen. Also das war noch nie ein Thema, ein »Heim ins Reich« stand nie an. MM: Ja und dann ist das auch ein kleiner Aspekt der Forschungsgeschichte. Es hat im Landkreis Harburg eine Kreisreform gegeben, bei der bestimmte Einzelkreise beispielsweise zum Kreis Lüneburg zugeordnet wurden, die von diesem Haus in den dreißiger, vier-
Anhang 1: Interviewprotokolle
ziger und fünfziger Jahren betreut worden waren. Und dann hat auch das Völkerkundemuseum, von dem wir später die Sammlung übernommen haben, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen gewildert. Gustav Schwantes war da ein großer Name. Da gibt es also Altgrabungen, die vom Völkerkundemuseum organisiert waren. Da hatte man Spaßgrabungen, da ist man losmarschiert und hat Urnenstechen im Alten Land gemacht. RMW: Aber es gab nie Rückgabeforderungen, weil es eigentlich üblich ist, dass Bestände in anderen Häusern lagern. MM: Johanna Mestorf hat es versucht, die hat böse geschimpft auf Schwantes und die Raubmentalität der Hamburger. Aber das ist das Einzige, wo es dann auch mal aktenkundig wurde oder im Archiv nachweisbar ist. [Johanna Mestorf und Gustav Schwantes waren Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als Prähistoriker im Gebiet des heutigen Norddeutschlands tätig.] TM: Was können Sie mir über das Logo des Museums erzählen? Worum handelt es sich, was soll es ausdrücken und warum wurde sich für dieses Motiv und diese Farbe entschieden? MM: Das ist die Scheibenfibel von Tangendorf aus Niedersachsen. Ein Einzelfund, der von einem Lehrer gemacht wurde und lange in einer Kneipe im Schrank lag. Willi Wegewitz [Direktor des Helms-Museums von 1930 bis 1966] hat sie wiedergefunden und »heim ins Reich« geführt. Das ist ein ganz, ganz wichtiger germanischer Fund mit Anleihen an die römische Ikonografie und eigentlich unser Highlight-Fund. Dieses nach hinten blickende Tier hat als Wort-Bild-Marke ganz wunderbar funktioniert. Als wir das Haus von »Helms-Museum« auf »Archäologisches Museum Hamburg« umgestellt haben, wollten wir eine sehr präzise Definition unseres Hauses haben und wir machen eben Archäologie, wir sind Archäologen. Also »Archäologisches Museum Hamburg«, auch mit dem Selbstverständnis »Hamburg« und mit diesem Icon, diesem Logo, mit dem man auch sehr gut spielen kann. RMW: Wir haben es aber nicht erfunden, sondern schon Wegewitz hat es in den fünfziger Jahren zum Logo des Hauses erkoren. MM: Genau, das hing hier auch als große bronzene Halbplastik an der Wand und damit haben wir das wieder aufleben lassen. Wir haben uns ganz lange Gedanken gemacht, wie ein Logo aussehen kann. Es ist schwierig für unser Haus, aber schlussendlich ist das dabei herausgekommen. Die Farbe war eine Bauchentscheidung. TM: Warum wurde entschieden, die neue Dauerausstellung im Haus am Rathausplatz »Archäologisches Museum Hamburg« zu nennen? Man hat damit dem ohnehin schon langen und komplexen Namen ein weiteres Element hinzugefügt. Warum auch gerade »Archäologisches« Museum und nicht »Museum für Vor- und Frühgeschichte«? MM: A steht am Anfang der Liste, wenn du in einer Liste nach Museen in Hamburg guckst, während du für »Helms-Museum« in der Liste nach unten gehen müsstest. Wenn du nach Archäologie in Hamburg suchst, gibst du bei Google »Archäologie Hamburg« ein und nicht »Helms-Museum«. Die digitale Auffindbarkeit ist mit dem Namen besser gegeben und auch inhaltlich gegeben. Wir haben das ganz feste, sichere Selbstverständ-
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Anhänge und Verzeichnisse
nis: Wir sind die Archäologen. Wir sind das einzige Haus in der Hamburger Museumslandschaft, das ein ganz klares, eindeutiges Leitbild hat. Wir machen Archäologie, das ist unser Thema. Wir sammeln keine Schiffe, wir sammeln keine Schränke, wir sammeln keine Gemälde… sondern wir machen Archäologie. Und darauf haben wir das Ganze fokussiert. Das geht so weit, dass wir sogar gesagt haben, selbst die Domain, die wir uns sichern, kürzen wir ab. Weil wir wissen, in amh steckt das Wort Archäologie mit drin und es ist im Grunde ein Gesamtkonzept. RMW: Und zuletzt hat sich die Prähistorische Staatssammlung München vor einiger Zeit auch in Archäologische Staatssammlung umbenannt. Es ist ein für jeden erkennbares, internationales Wort. Da weiß man, was drin ist. Inhalt, Name, Ort, alles da. Archäologisches Museum Hamburg. Da muss man nichts mehr erklären. Es ist völlig klar, was die machen. TM: Möchten Sie abschließend noch etwas ergänzen? MM an RMW gewandt: Eigentlich hätten Sie noch einmal sagen müssen: »Wir wollten keine Ausstellung vom Urknall zum Westwall machen, sondern wir wollten inszenieren und Stories erzählen.« RMW: Das stimmt. Es langweilt mich immer zu Tode, Ausstellungen zu sehen, die alle die Neolithisierung erklären und all diese Dinge, die unregional, unspezifisch sind, die allgemeingültig sind. Das wiederum, finde ich, können Häuser tun, die nicht einmal Funde haben, wie Science Center oder Erlebnis-Center. Die können das machen. Das Neanderthal Museum in Mettmann zum Beispiel hat ja keine Funde, wenn man ehrlich ist. Die inszenieren die Menschheitsgeschichte. TM: Das heißt, Ihnen ist es wichtig, die spezifische Situation hier in Hamburg und Umgebung darzustellen und eine Ausstellung für Hamburger zu machen? MM: Ja, das machen wir ja mit dem HVV-Plan im Obergeschoss deutlich. Der Hamburger klebt an der Scholle und Hamburg ist nichts anderes als eine Ansammlung von vielen Dörfern… TM: … und die Straßennamen spielen auf dasselbe an. MM: Ja, wobei sich das ja auch noch in Kulturlandschaft und Naturlandschaft aufgliedert. Wir gucken schon über den Tellerrand und sehen die Elbe und das Umland. RMW: Ja, da gehen wir dann doch über Hamburg hinaus. Eingewoben erzählen wir natürlich doch die allgemeine Geschichte, aber unter dem regionalen Aspekt. Deshalb finden Sie bei uns nichts Syrisches und nicht, wie es in Afrika war. Wir erzählen die große Geschichte, aber am Fallbeispiel. Uns ist auch immer die Unterscheidung ganz wichtig: Wir sind nicht das Museum für Hamburger Archäologie, sondern das Archäologische Museum, das in Hamburg ansässig ist. Wir haben also einen viel weiteren Horizont als Hamburg. Das wird in der Politik manchmal gerne vergessen. TM: Herzlichen Dank für das Gespräch. Michael Merkel ist seit 1991 am heutigen Archäologischen Museum Hamburg tätig und Leiter der Archäologischen Sammlung.
Anhang 1: Interviewprotokolle
Rainer-Maria Weiss ist seit 2003 Direktor der Stiftung Archäologisches Museum Hamburg und Stadtmuseum Harburg und Landesarchäologe.
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Anhang 2: Fragenkatalog zur Verwendung bei den Ausstellungsanalysen
Fragen zur Organisation des Museums: • • • • •
Wer ist Träger des Museums? Welche Rechtsform hat das Museum? Wie wird das Museum finanziert? In welchem Verhältnis steht das Museum zum Bundesland? In welchem Verhältnis steht das Museum zur Denkmalfachbehörde?
Fragen zum Hintergrund des Museums: Historie: • • • •
Wann und wie ist das Museum entstanden? Was war das Gründungsmotiv? Durch wen wurde das Museum gegründet? Gab es prägende Ereignisse in der Geschichte der Institution?
Sammlung: • • •
Was ist der Ursprung der Sammlung? Wie sind das Volumen und die Zusammensetzung der Sammlung? Welche Objekte sind besonders stark vertreten, welcher Art und welcher Zeit? Nach welchen Leitlinien wird und wurde gesammelt?
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Anhänge und Verzeichnisse
Fragen zum Selbstverständnis des Museums: Leitbild: • • •
Lässt sich ein Leitbild erkennen oder wird sogar eines offiziell vertreten? Wenn ja, welches? Wie erklärt sich das Leitbild vor wissenschaftlichem, historischem, politischem und kulturellem Kontext? Gibt es Slogans oder Bilder, die das Leitbild zum Ausdruck bringen sollen?
Corporate Identity: • •
Wie sieht das Logo des Museums aus? Ist das Leitbild darin verkörpert? Welches Leitbild und Selbstverständnis des Museums vermittelt es? Wie und wo kann man die Corporate Identity vor Ort sehen?
Name des Museums: •
Wie lautet der Name des Museums und was sagt er über dessen Aufgabenfeld, Organisation oder Auftrag aus?
Fragen zum Museumsgebäude: Ort und Setting: • • •
Wo und wie ist das Museum gelegen? Wie ist die Umgebung gestaltet? Warum dieser Standort und dieses Gebäude?
Architektur: • • •
Wann wurde das Museum errichtet und war es ein Zweckbau oder wurde es umfunktioniert? Welchen architektonischen Stil weist das Gebäude auf? In welcher Beziehung steht die Architektur historisch und kulturell zur Ausstellung?
Räume: • • • • • •
In welche Räume ist das Museum gegliedert? Wie viele Stockwerke hat das Gebäude? Wie ist die thematische Aufteilung? Wie sind die Wege gemacht, wie werden die Besucher:innen geleitet? Wie sind der Eingangsbereich und der Ausgangsbereich gestaltet? Sind manche Räume abgesondert und dadurch hervorgehoben?
Anhang 2: Fragenkatalog zur Verwendung bei den Ausstellungsanalysen
Fragen zur Inszenierung: Licht: • • • •
Welche Art von Beleuchtung wird verwendet (Art der Lampen, Lichtfarbe, Intensität)? Welche Effekte haben natürliche und künstliche Beleuchtung für die Erscheinung der Objekte? Wie werden Objekte durch Beleuchtung hervorgehoben und welche Objekte werden hervorgehoben? Verleiht die Beleuchtung der Ausstellung eine bestimmte Interpretation oder Atmosphäre?
Design (Farben, Materialien und Formen): • •
• • • • • • •
Gibt es Dekorationen und wenn ja, in welchem Verhältnis stehen diese zu den Objekten? Lenkt das Design der Ausstellungsarchitektur die Aufmerksamkeit auf die Objekte oder eher von den Objekten ab oder lenkt es die Aufmerksamkeit nur auf bestimmte Objekte und falls Letzteres: auf welche Objekte? Welche Farben werden verwendet und wo jeweils? Werden bestimmte Objekte durch Farbe betont? Welche Materialien dominieren? In welchem Verhältnis stehen die Materialien zu den Objekten? Welche Formen dominieren? In welchem Verhältnis stehen die Formen zu den Objekten? Wie sind Wände, Böden und Decken gestaltet?
Ausstellungsarchitektur und Vitrinen: • • •
Welche Vitrinenformen werden eingesetzt? Wie sind die Objekt- beziehungsweise Vitrinenschilder gestaltet? Gibt es Einbauten, Trennwände, Bühnen o.Ä.?
Sekundärexponate: •
• • • • •
Welche Sekundärexponate gibt es (z.B. Abgüsse, Grafiken, Illustrationen, Fotografien, Modelle, Dioramen, Karten, Videos, Computerterminals, Zeitleisten, Rekonstruktionen,…)? Wie werden die verschiedenen Sekundärexponate eingesetzt? Gibt es viele Sekundärexponate oder eher wenige? In welchem Verhältnis stehen die Sekundärexponate zum Inhalt und zur Zielgruppe der Ausstellung? Welche Art von Grafiken wird eingesetzt (z.B. Zeichnungen, Malerei, Abstraktion…)? Sind die Sekundärexponate auch mit anderen Sinnen als der Optik erfahrbar?
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Anhänge und Verzeichnisse
Fragen zur Erzählung, zum Inhalt und zur Rhetorik der Ausstellung: Primärexponate: • • • • •
Welche Art von Primärexponaten wird ausgestellt (Keramik, Waffen, Steindenkmäler, Schmuck,… welcher Datierung)? Welche Themen werden durch die Primärexponate vermittelt? Lässt sich ein Fokus auf bestimmten Themen oder Epochen erkennen? Lässt sich ein Fokus auf einer bestimmten Altersgruppe oder einem bestimmten Geschlecht erkennen? Wie wird mit Kopien, Repliken und Rekonstruktionen umgegangen?
Anordnung: • • • •
Wie sind die Primärexponate in den Vitrinen und wie sind die Vitrinen im Raum angeordnet? Wie werden Boden, Wände und Decke genutzt? Unterstreicht die Präsentation der Primärexponate eher ihre ursprüngliche Gebrauchsfunktion oder eher ihre heutige Ästhetik? Ist die Ausstellung chronologisch, thematisch oder anders strukturiert?
Chronologie: • •
Sind Exponate, Bereiche oder Räume streng chronologisch geordnet und ist das erkennbar? Gibt es Anachronie, also Prolepsen oder Analepsen?
Akteure: • • • •
Wer ist die erzählende Instanz der Ausstellung? Wer sind die Autor:innen der Ausstellung? Welche Besucher:innen sind nach Aussage der Institution die Zielgruppe des Museums? Für wen wurde die Ausstellung konzipiert? Welche Besucher:innen werden, wenn auch vielleicht unbewusst, mit der Konzeption der Ausstellung am ehesten angesprochen?
Texte und digitale Medien: • • • • •
Werden die Leser:innen angesprochen oder tritt die erzählende Instanz in Pronomen auf? In welchem Ausmaß werden Texte und digitale Medien verwendet? In welche Kategorien können die Texte unterschieden werden, wie sind sie hierarchisiert (z.B. Objekt-, Bereichs-, Raumtexte etc.)? Wie ist die Rhetorik der Texte und Medien? Mit welchen Themen befassen sich die Texte und Medien?
Anhang 2: Fragenkatalog zur Verwendung bei den Ausstellungsanalysen
• •
Werden das jeweilige Bundesland und kulturelle Identität(-en) angesprochen? Welche Zeitformen werden verwendet?
Kernbotschaft der Ausstellung: • • • • •
Welche Themen werden wie behandelt? Welche Aussagen werden gemacht? Welche story wird erzählt? Welche fabula wird verarbeitet? Was ist die Kernaussage der Ausstellung?
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Anhang 3: Glossar
Da bisher für Ausstellungsanalysen keine einheitliche Terminologie etabliert wurde und selbst alltägliche Museumsdinge wie beispielsweise bestimmte Vitrinenformen in der Praxis unter verschiedenen Begriffen geführt werden, musste im Rahmen dieser Dissertation eine für das Projekt und seine Fragestellung sinnvolle Terminologie entwickelt werden. Diese Arbeitsbegriffe der Ausstellungsanalysen sollen hier erläutert werden. Dabei ist zu beachten, dass unzählige Vitrinen- und Installationsformen in Ausstellungen vorliegen können und die hier verwendeten Begriffe nur die wesentlichen Formen abdecken, die in den Dauerausstellungen der hier analysierten Museen zu finden sind. Sie sollten nur im Rahmen dieser Arbeit und mit den hier gegebenen Erläuterungen Anwendung finden. Ausstellungsarchitektur: Mit der Ausstellungsarchitektur ist die Gesamtheit der Einbauten gemeint, die die Ausstellungsräume eines Museums füllen, also nicht nur die Schaukästen, sondern auch sämtliche raumdefinierenden Elemente wie Trennwände, Podeste oder Laufstege. Blockvitrine: Ein auf dem Boden stehender Schaukasten mit rechteckigem oder quadratischem Grundriss, dessen breiter und massiver, oft fast würfelförmiger Sockel eine Haube trägt. Die Exponate darin können von oben oder frontal und seitlich betrachtet werden. Bodenvitrine: Ein in den Boden eingelassener Schaukasten. Die Exponate darin können nur von oben betrachtet werden. hängende Vitrine: Ein Schaukasten, der an einer Wand aufgehängt ist. Die Exponate darin können in der Regel frontal und seitlich betrachtet werden. Haube: Ein meist aus Glas oder Kunststoff bestehender, transparenter Aufsatz, der über Exponate gesetzt wird, um diese vor Umwelteinflüssen zu schützen. Haubenvitrine: Ein Schaukasten bestehend aus einer direkt auf dem Boden stehenden rechteckigen oder runden Bodenplatte mit ent-
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Anhänge und Verzeichnisse
Installation:
Konsole:
Objekt:
Säulenvitrine:
Schrankvitrine:
Sockel:
Stelenvitrine:
sprechender Haube darüber. Die Exponate können darin vor allem von oben oder aus niedriger Position frontal und seitlich betrachtet werden. Solche Vitrinen sind im Erdgeschoss des Archäologischen Museums Hamburg installiert. Als Installation wird im Rahmen dieser Arbeit eine materielle Konstruktion bezeichnet, die entweder Exponate rahmt oder eine Botschaft wie zum Beispiel ein Raumthema kommuniziert, eine Umwelt oder Atmosphäre kreiert oder eine Sachlage veranschaulicht. Oft spielen Installationen mit einer gezielten Beleuchtungsstrategie und zum Teil auch mit Klängen oder Bewegtbildern zusammen. Unter diesen Begriff fallen beispielsweise die lebensecht wirkenden Figuren und die Projektion des Feuers im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle sowie die künstlerischen Gestaltungen der Pfeiler im Archäologischen Museum Hamburg. Ein an der Wand montiertes und in den Raum hineinragendes Bord mit oder ohne Haube. Die Exponate darauf können in der Regel nur frontal und seitlich betrachtet werden. Mit Objekten sind im Rahmen der Analysen alle in einer Ausstellung vorhandenen materiellen Dinge gemeint, also nicht nur ur- und frühgeschichtliche Artefakte, die hier in der Regel als Exponate oder Primärexponate bezeichnet werden, sondern auch alle ergänzenden Dinge wie Kopien, Rekonstruktionen, Bilder, Modelle, Karten und Figuren, die auch unter dem Begriff der Sekundärexponate zusammengefasst werden können. Ein auf dem Boden stehender, rundum beziehungsweise von vier Seiten verglaster Schaukasten mit quadratischem oder rundem Grundriss und einem flachem Sockel oder nur einer Bodenplatte. Die Exponate können darin von allen Seiten betrachtet werden. Ein auf dem Boden stehender Schaukasten mit rechteckigem Grundriss und in der Regel flachem Sockel oder nur einer Bodenplatte. Die Schrankvitrine kann von einer oder bis zu vier Seiten verglast sein und hat stets zwei längere und zwei kürzere Seiten. Die Exponate können darin in der Regel frontal und seitlich betrachtet werden. Die Verwendung des Begriffs »Sockel« allein impliziert, dass dieser keine Haube trägt. Sockel finden häufig in der Präsentation von Architekturteilen oder Steindenkmälern Verwendung. Die Exponate darauf können meist von allen Seiten betrachtet werden. Ein auf dem Boden stehender Schaukasten mit rechteckigem oder rundem Grundriss, einem Sockel und einer Haube. Die
Anhang 3: Glossar
Tischvitrine:
Vitrinenarchitektur:
Vitrineninsel:
Vitrinenwand: Wandvitrine:
Exponate darin können vor allem frontal und seitlich, gegebenenfalls auch von oben betrachtet werden. Ein auf dem Boden stehender Schaukasten, dessen Präsentationsfläche entweder eine horizontale Platte auf einer oder mehreren Stützen oder die Oberfläche eines geschlossenen Sockels ist. Die Tischvitrine ist breit und tief, aber nicht sehr hoch installiert, sodass Erwachsene von oben auf die Präsentationsfläche schauen können. Sie kann entweder mit einer flachen, vierseitig verglasten Haube oder mit einer Glasscheibe als Deckel abgeschlossen sein. Mit dem Begriff »Vitrinenarchitektur« ist die Gesamtheit der Schaukästen in einer Ausstellung in ihrer spezifischen Gestaltung gemeint. Als »Vitrineninsel« werden im Rahmen dieser Arbeit mehrere miteinander verbundene Blockvitrinen bezeichnet, die frei im Raum stehen und von allen Seiten umrundet werden können. Häufig stehen solche Inseln in der Mitte eines Raums und werden von weiteren Vitrinen entlang der Wände begleitet, sodass dazwischen ein Rundgang möglich ist. Eine künstliche Wand, in die in der Regel mehrere Schaukästen eingelassen sind. Ein einzelner, in eine künstliche Wand eingelassener Schaukasten, der unterschiedliche Formen haben kann. Die Exponate darin können nur frontal betrachtet werden.
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Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tab. 1: Abb. 1: Abb. 2:
Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7:
Abb. 8:
Abb. 9: Abb. 10:
Abb. 11: Abb. 12:
Auflistung der Archäologischen Landesmuseen in Deutschland....................... 69 Außenansicht des sogenannten Kreisständehauses, in dem das Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes ansässig ist. ........................................264 Plan des Erdgeschosses des Kreisständehauses. Eingezeichnet sind in Dunkelblau einige fest installierte Vitrinenwände, in Rot die AV-Stationen sowie in Hellblau, Rot und Gelb die Vitrinen im Grabhügel-Einbau. Die Nummern, die den Räumen zur besseren Orientierung verliehen wurden, sind dem Plan in Grün hinzugefügt. (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) ............................................265 Eingangssituation im Kreisständehaus (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) ......267 Blick in Raum 2 von Norden aus; in der Mitte der Grabhügel-Einbau (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) ........................................................270 Blick in Raum 3 von Süden aus (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) .............272 Blick in Raum 4 von Südosten aus. Der Raum wurde für die Aufnahme heller beleuchtet als im normalen Betrieb. (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) ........273 Blick auf den Halbkreis der Götterstatuen und -reliefs. Im Vordergrund ist eine AV-Station zu sehen, die zum Zeitpunkt der Dokumentation der Ausstellung, im März 2018, aus technischen Gründen bereits abgebaut war. (© Stiftung Saarländischer Kulturbesitz)........................................................................277 Das Hauptgebäude des Rheinischen Landesmuseums Trier von Osten gesehen; die Anbauten sind aus dieser Perspektive nicht sichtbar, denn sie befinden sich hinter dem Hauptbau und rechts vom Bildausschnitt. (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer) .............................................................300 Gebäudeplan des Rheinischen Landesmuseums Trier, Untergeschoss (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Grafik: Franz-Josef Dewald) .............301 Zwei Beispiele für die Themenfarben; links: Blick in den Ausstellungsbereich (2) »Der Mensch wird sesshaft« (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer); rechts: Blick in den Ausstellungsbereich (4) »Die Welt der Kelten« (Foto der Verfasserin) ........................................................................305 Blick in den Ausstellungsbereich (3) »Schwerter, Urnen, Opfergaben« ................306 Das sogenannte Neumagener Weinschiff und dahinter der Schattenriss einer Gräberstraße .......................................................................308
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Anhänge und Verzeichnisse
Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15:
Abb. 16:
Abb. 17: Abb. 18:
Abb. 19: Abb. 20:
Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23: Abb. 24:
Abb. 25: Abb. 26: Abb. 27: Abb. 28: Abb. 29:
Abb. 30:
Abb. 31: Abb. 32: Abb. 33: Abb. 34:
Blick in den Ausstellungsbereich (15) vom Treppenabsatz im Obergeschoss aus ....... 316 Blick in den Ausstellungsbereich (17) mit der Vitrinensäule in der Mitte ...............318 Die Gebrauchsfunktion von Objekten wird in manchen Fällen durch Rekonstruktionszeichnungen neben den Vitrinen oder durch entsprechende Objektmontagen vermittelt. (links Foto der Verfasserin, rechts © GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer) .............................................320 Beispiel einer Videostation im Ruhemodus, daneben das Schlüsselobjekt. Die Station steht im Ausstellungsbereich (9) zur technologischen Untersuchung von Fundstücken am Beispiel eines Bronzeeimers. ....................................................328 Teil der Raumansicht während einer Szene aus Im Reich der Schatten (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer).......................330 Teil der Raumansicht: Im Vordergrund ein Grabmal mit einer Jagdszene, im Hintergrund links ist die Seite von Aspers Grabmal zu sehen, auf der eine Tänzerin abgebildet ist. (© GDKE/Rheinisches Landesmuseum Trier, Foto: Th. Zühmer) ........333 Außenansicht des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle von Süden her.........345 Orientierungsplan zur Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale), Stand 2023. (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt) ....................................................................347 Blick von der Nordostecke im ersten Obergeschoss in den Lichthof ..................348 Teil der noch erhaltenen Wandmalereien auf dem Treppenabsatz im zweiten Obergeschoss ......................................................................349 Die Präsentation des Fundplatzes Bilzingsleben im Umgang des zweiten Obergeschosses ....................................................................351 Die Inszenierung des Elefantenschlachtplatzes von Gröbern in der östlichen Rotunde im zweiten Obergeschoss (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták) .......................................................353 Die Gletscherinstallation an der Ostwand von Raum 4 im zweiten Obergeschoss; davor eine der für die Ausstellung typischen Stelenvitrinen ................................355 Die Vitrine mit der Bestattung der sogenannten Schamanin von Bad Dürrenberg (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták) ....356 Die Büste des Mannes von Bottendorf (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)...........................................356 Der »Regen« aus Steinbeilen an der nördlichen Längsseite des Raumes 6 ............358 Die Gräber von Eulau in Raum 7, davor die Blockvitrinen mit Schädelfunden sowie eine Stelenvitrine mit Grabbeigaben (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták) .......................................................360 Die Himmelsscheibe von Nebra in ihrer Vitrine unter dem nachgestellten Sternenhimmel (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták)........................................................................363 Die westliche Rotunde im ersten Obergeschoss zu den bronzezeitlichen Hortfunden (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták) ....365 Die Projektion des Feuers vor den Blockbergungen zweier Urnengräber in Raum 13 ...366 Die Inszenierung eines Eisenbarrens und diverser Eisenobjekte vor leuchtend rotem Hintergrund in Raum 13 .............................................................366 Blick in die »römische Villa« in Raum 14 von der Nordostecke aus....................367
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Abb. 35: Blick in Raum 15 von Raum 14 aus kommend; links die Nachbildung der römischen Mauer, rechts die Nachbildung der Außenwand einer Villa ............................369 Abb. 36: Blick in den Ausstellungsraum 15 im ersten Obergeschoss von Westen her ............370 Abb. 37: Die Präsentation des Bronzehorts von Frankleben in Raum 12 (© Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Juraj Lipták) .......................375 Abb. 38: Der Neandertaler von Elisabeth Daynès in Raum 3 des Landesmuseums für Vorgeschichte ......................................................................378 Abb. 39: Ausschnitt aus der Installation der Gipsabformungen menschlicher Gesichter in Raum 6 .............................................................................381 Abb. 40: Ausschnitt der Installation zum Tagesablauf einer Neandertalergruppe in Raum 3 ....384 Abb. 41: Außenansicht des Archäologischen Museums Hamburg ..............................407 Abb. 42: Grundriss des Erdgeschosses im Archäologischen Museum Hamburg (© Archäologisches Museum Hamburg) .............................................408 Abb. 43: Grundriss des Obergeschosses im Archäologischen Museum Hamburg (© Archäologisches Museum Hamburg) .............................................409 Abb. 44: Der Eingang zur Dauerausstellung mit der Gletscherinstallation aus Eiswürfelbereitern und dem Wasserhahn mit der Wasserprojektion (© Archäologisches Museum Hamburg) ............................................. 411 Abb. 45: Zwei Kinder betrachten die Mammutknochen und -zähne in der »Wasservitrine« im Ausstellungsbereich »Nahrung« im Erdgeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg)........................................................................... 412 Abb. 46: Der Themenbereich »Werkstoff« im Erdgeschoss. Im Vordergrund sind die Stelenvitrine mit dem »Schädel von Hahnöfersand« und eine der typischen Haubenvitrinen zu sehen. Der Pfeiler ist als Branchenbuch gestaltet. (© Archäologisches Museum Hamburg) ............................................. 414 Abb. 47: Blick auf den Bereich »Innovation« mit dem »Lagerfeuer« und dem StreichholzPfeiler (© Archäologisches Museum Hamburg) ...................................... 415 Abb. 48: Der Leichenwagen mit den als Vitrinen ausgebauten Holzkisten (© Archäologisches Museum Hamburg) .................................................................. 417 Abb. 49: Der vordere Teil der Themeninsel »Nahrung« mit dem Pfeiler, dem Elchskelett und der »Erdbeerkörbchen-Vitrine« am rechten Bildrand (© Archäologisches Museum Hamburg)........................................................................... 418 Abb. 50: Ein Kind betrachtet die Exponate in der »Müsliriegel-Vitrine« (© Archäologisches Museum Hamburg) .................................................................. 419 Abb. 51: Blick in den Ausstellungsraum im Obergeschoss vom Treppenaufgang aus ........... 421 Abb. 52: Bronze- neben Plastikarmreifen.....................................................422 Abb. 53: Der Bereich »Gewalt« im Obergeschoss mit der Zaun-Installation und dem gesprengten Pfeiler.................................................................423 Abb. 54: Blick auf den Bereich »Hamburg archäologisch« (© Archäologisches Museum Hamburg)...........................................................................426 Abb. 55: Der »Umzugskarton« als Eingang zum Bereich »Sammeln und Bewahren«. Durch den Eingang ist die Fototapete zu sehen, die die vollen Regale eines archäologischen Depots zeigt. (© Archäologisches Museum Hamburg) ................................427 Abb. 56: Das Schwein aus aufeinandergestapelten Büchsen, die laut Aufdruck Schweinefleisch enthalten, im Obergeschoss der Ausstellung (© Archäologisches Museum Hamburg)..435
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Tabea Malter: Vorgeschichten in Archäologischen Landesmuseen
Abb. 57: Die Plastikwelle im Themenbereich »Werkstoff« im Obergeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg) .............................................436 Abb. 58: Die Installation zum Thema »Tod« im Obergeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg)...........................................................................436 Abb. 59: Straßennamen auf der Treppe vom Erdgeschoss zum Obergeschoss (© Archäologisches Museum Hamburg) .............................................439
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen Archäologisches Museum Hamburg. Protokoll Neugestaltung Teil 2. Internes Dokument. Archivakte unter der Signatur AMH HA – AH746. ―. Protokoll Neugestaltung Teil 3. Internes Dokument. Archivakte unter der Signatur AMH HA – AH746. ―. Zielbild Stifung Helms-Museum. Internes Dokument. 26.03.2013. Schiller, Christian und Marianne Wendt. Ludi Publici in der Gräberstrasse in Trier. Konzept für ein Hörspiel-Drehbuch von Christian Schiller und Marianne Wendt. Weiterentwicklung des Konzeptes vom 8. Oktober 2009, Stand 1. November 2009. ―. Im Reich der Schatten. Leben und Lieben im römischen Trier – ein mediales Raumtheater, Drehbuch von Christian Schiller und Marianne Wendt, abgeglichen mit finalen Schnitt, Stand 25. Juli 2011.
Literatur Ade, Dorothee und Andreas Willmy. Die Kelten. Theiss WissenKompakt. 2., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Konrad Theiss Verlag, 2012. Adler, Wolfgang. Gustaf Kossinna. Studien zum Kulturbegriff in der Vor- und Frühgeschichtsforschung. Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 48, hg. v. Rolf Hachmann, Walter Schmitthenner und Frauke Stein. Bonn: Dr. Rudolf Habelt, 1987. 33–56. Ahrens, Claus. Aus der Geschichte des Helms-Museums (anläßlich des 75jährigen Bestehens des Museums- und Heimatvereins und des Museums im November 1973). Hg. v. Helms-Museum – Hamburgisches Museum für Vor- und Frühgeschichte. Hamburg: Helms-Museum – Hamburgisches Museum für Vor- und Frühgeschichte, 1973. Albrecht, Michael von und Otto Schönberg (Hg. u. Übers.). P. Vergilius Maro. Leben auf dem Lande. Bucolica. Georgica. Lateinisch/Deutsch. Stuttgart: Reclam, 2013. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie (Stand: 06.05.2020).
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Anhänge und Verzeichnisse
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Anhänge und Verzeichnisse
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Abstract
Mit dieser Dissertation wird die Arbeit Archäologischer Landesmuseen in Deutschland reflektiert. Es wird untersucht, wie sie als Produzenten und Träger des kulturellen Gedächtnisses fungieren und durch das Sammeln, Bewahren, Erforschen, Ausstellen und Vermitteln ur- und frühgeschichtlichen Kulturerbes Identitätsnarrative konstruieren. Dafür wird der Museumstypus beschrieben und es wird hinterfragt, welche Aufgaben und welches Potenzial diesen Museen von der Kulturpolitik zugeschrieben wird. Die Verfasserin analysiert außerdem, wie die Museumsarchäolog:innen ihre Tätigkeit kulturtheoretisch verorten und welches Potenzial mit Blick auf die Konstruktion und Vermittlung von Selbst- und Fremdbildern in der Arbeit dieser Institutionen steckt. Zentral sind dabei die Ergebnisse von Ausstellungsanalysen und Expert:inneninterviews, die als Fallstudien zu vier Archäologischen Landesmuseen präsentiert werden. Dafür kooperierte die Verfasserin mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes in Saarbrücken, dem Rheinischen Landesmuseum Trier, dem Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) und dem Archäologische Museum Hamburg. Die Analysen zeigen, dass die narrative Beantwortung existenzieller Fragen archäologischen Ausstellungen unabhängig von ihrer Inszenierungsstrategie inhärent ist. Da Archäologische Landesmuseen als Wissenschaftsinstitutionen eine Redemacht haben, haben sie auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Um eine ideelle Vereinnahmung ihrer Inhalte zu vermeiden, sind Transparenz, Selbstreflexion und ein offener Diskurs vonnöten. This dissertation reflects the work of archaeological state museums in Germany. It examines how they function as producers and carriers of cultural memory and how they construct identity narratives by collecting, preserving, researching, exhibiting and communicating prehistoric cultural heritage. To this end, the type of museum is described and the tasks and potential attributed to these museums by cultural policymakers is questioned. Furthermore, the author analyses how museum archaeologists position their activities in terms of cultural theory and the potential that lies in the work of these institutions with regard to the construction and mediation of images of the self and the other. At the center of this work are the results of exhibition analyses and interviews with experts, which are presented as case studies on four archaeological state museums. The author cooperated with the Museum für Vor- und Frühgeschichte des Saarlandes in Saarbrücken, the Rheinisches Landesmuseum Trier, the Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle (Saale) and the Archäologisches
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Museum Hamburg. The analyses show that narrative answers to existential questions are inherent in archaeological exhibitions regardless of their szenographic strategy. Since archaeological state museums have a power of speech as scientific institutions, they also have a responsibility to society. In order to avoid an idealistic appropriation of their contents, transparency, self-reflection and an open discourse are necessary.