Von Luther bis Lessing: Sprachgeschichtliche Aufsätze [4., durchges. Aufl. Reprint 2019] 9783111641348, 9783111258577


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German Pages 261 [268] Year 1904

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1. Kirchensprache und Volkssprache
2. Maximilian und seine Kanzlei
3. Luther und die deutsche Sprache
4. Schriftsteller und Buchdrucker
5. Schriftsprache und Mundart in der Schweiz
6. Oberdeutscher und mitteldeutscher Wortschatz
7. Niederdeutsch und hochdeutsch
8. Latein und Humanismus
9. Ideal und Mode
10. Oberdeutschland und die Katholiken
11. Goethe und die deutsche Sprache
Anhang
Namen und Sachregister
Wortregister
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Von Luther bis Lessing: Sprachgeschichtliche Aufsätze [4., durchges. Aufl. Reprint 2019]
 9783111641348, 9783111258577

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Von Luther bis Lessing.

Von Luther bis Lessing Sprachgeschichtliche Aufsähe von

Friedrich Rluge.

Vierte durchgesehene Auflage.

Mit eiatm Kärtchen.

Straßburg Verlag von Karl I. Trübner

1904.

St. Denont Schaedii-. Straßbu»-.

Dem treuen Helfer

Herrn Professor Emil Burger dankbar gewidniet.

Vorwort. Das vorliegende Büchlein hat wiederholt auf dem Bücherinarkt längere Zeit gefehlt.

Daß es jetzt eine vierte Auslage

erlebt, zeugt für die wachsende Nachfrage und zugleich dafür,

daß die hier vertretenen Grundanschauungen eine weite Ver­ breitung gefunden haben.

Sie sind ja keineswegs neu und

wollen nirgends durch Nettheit überraschen, jetzt sowenig wie

bei dem ersten Erscheinen des Büchleins. Die folgenden Bogen vertreten im wesentlichen den Standpunkt Jacob Grimms, daß nnsere Schriftsprache ein protestantischer Dialekt ist. Wenn

ich diese glückliche Formel, bereu

Ernsthaftigkeit der große

Begründer der deutschen Sprachforschung mit seinem Namen deckte, mit unifassenderen Beweismaterialien begründe, als zuvor

geschehen ist, so hat die neue Auflage

manches von ihren

Neuerungen der in den letzten fünfzehn Jahren zum Teil im Anschluß an die folgenden Aufsätze entstandenen Facharbeit zu

verdaukeu, wie manche Seite bekundet. Indem ich das Büchlein nun zum vierten Male aus­

sende, für seinen Helden als Schöpfer unserer Schriftsprache ein

wissenschaftliches Glaubensbekenntnis int

Sinne Jacob

Grimms abzulegen, gebe ich ihm einen zuerst in den wissen-

schaftlicheit Beiheften des Allgemeinen Deutschen Sprachvereitts

(Heft 22) veröffentlichten

Goethevortrag mit auf bett Weg.

VIII Er kann vielleicht insofern als Abschluß der übrigen Aufsätze gelten, als er zeigt, wie eben mit Goethe die Höhe unserer Sprachentwicklung erreicht und alles frühere Kämpfen und Ringen um die Muttersprache völlig zur Ruhe gelangt ist. Bei der Redaktion und Drucklegung des Büchleins in seiner vorliegenden Gestalt haben mich die Herren A. Maas und Dr. A. Götze mit unermüdlichem Eifer tatkräftig unter­ stützt. Die neuen Register hat Herr O. Haffner mit Sorgfalt ausgeführt. Ich habe allen Grund, für diese und manche andere treue Hilfe von Herzen dankbar zu sein.

Freiburg i. B., den 10. November 1903.

F. 2Uuge.

Inhalt. Leite.

1. Kirchensprache und Volkssprache. .

-..........................................

1

2. Maximilian und seine Kanzlei.......................................................

24

3. Luther und die deutsche Sprache........................................ -

. .

37

4. Schriftsteller und Buchdrucker...........................................................

55

5. Schriftsprache und Mundart in der Schweiz..............................

67

6. Oberdeutscher und mitteldeutscher Wortschatz..............................

83

7. Niederdeutsch und hochdeutsch............................................................... 104

8. Latein und Humanismus................................................................... 128 9. Ideal und Mode.....................................................................................152 10. Oberdeutschland und die Katholiken................................................... 191

11. Goethe und die deutsche Sprache.......................................................209 Anhang: Zeittafeln zur lleuhochdeutschen Sprachgeschichte ...

236

Nameil- und Sachregister.................................................. 240 Wortregister............................................................................246

Sprachkarte.

i. Rircheir spräche tmb Volkssprache. Während des Mittelalters lag int ganzen Abendlande ein Baitn auf deit Volkssprachen. Überall herrschte das Latein,' es ließ bett altüberlieferten angeborenen Mundarten kaum irgend welchen Raunt zur Entfaltung. Nur das isolierte Eng­ land erhob sich früh zu einer nationalen Auffassung der Muttersprache. Weder im staatlichen noch int kirchlichen Leben herrschte dort das mittelalterliche ßctteiti; in Kanzleien und ittt Gottes­ dienst war die angestammte Sprache heimisch,' die gelehrte tvie die Volksbildung fand in der Muttersprache ihren Mittelpunkt. Kein Wunder, daß England der Kultur des Koutinetits mehr als ein Jahrhundert vorattsgeeilt ist. Das Festland dagegeit getvährt gleichzeitig einen tveniger erfreulichen Anblick. Lateinisch waren hier die Nrkititden, lateinisch die Messe/ Kirche und Staat unterdrückten einmütig die Volkssprachen. In Frankreich und in Spanien wird erst im 13. Jahrhundert dem Latein in den Kanzleien durch die Landessprachen der Rang streitig gemacht, und in demselben Jahrhundert verliert es auch bei uns seine Alleitiherrschaft. In Deutschland sind deutsche Urkunden in der ztveiten Hälfte des 13. Jahrhuttderts noch ganz vereinzelt. Unter Rudolf von Habsburg werden mehrere Reichsabschiede in deutschen Originaleit abgefaßt. Die folgenden Jahrhunderte legen diesem Kaiser eine maßgebende Bedeutung für den Um­ schwung in der Stellung der deutschen Sprache bei: er soll auf dem Nürnberger Reichstage von 1274 Deutsch als UrkundenKluge, Bon Luther bis Lessing.

4. Aufl.

1

spräche anbefohlen haben. Aber erst mit Ludwig dem Baier wird das Deutsche dem Latein gleichberechtigt. Es ist nicht klar, ob bestimmte Ursachen diesen Umschwung für die Stellung der deutschen Sprache in den kaiserlichen Kanzleien veranlaßt haben. Ernst Wülcker, der dem Latein noch unter Ludwig dem Baier eine weite Bedeutung als Urkundensprache beilegt und erst mit dem dritten' Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts eine große Zunahme der deutschen Urkunden feststellt, bringt jenen Umschwung in Zusammenhang mit dem Streite Ludwigs gegen den Papst/ der Gegensatz von Deutschtuni und Roma­ nismus soll mitgewirkt haben, die langsam um sich greifende deutschsprachliche Bewegung zu beschleunigen. Ihren Abschluß erreicht sie erst im 16. Jahrhundert, als ein heftiger Kamps gegen das Latein als Kirchensprache entbrannte. An der Kirche hatte das Latein einen wesentlichen Rückhalt. Die kosmopolitischen Tendenzen Roms erforderten eine internationale Sprache. Das Latein war das äußere Erkennungszeichen der päpstlichen Weltherrschaft. Wie dem Papsttunl in seinen Anfängen das altrömische Reich und die altrömische Sprache die Wege zur Eroberung des ganzen Abendlandes gebahnt hatten, so war später die mittelalterliche Weltsprache durch das Papsttum zu einer weltgeschichtlichen Macht geworden. Die kosmopolitische Kirche hätte aus alles andere eher verzichtet als auf ihre Sprache, die fast zwei Jahrtausende hindurch eine große Rolle glanzvoll durchgeführt hatte. Deutschland aber fühlte den Druck der Kirchensprache um so schwerer, als mit dem erwachenden Nationalbewußtsein die kaiserlichen Kanzleien der Muttersprache die Sanktion gegeben hatten. Für Predigt und Gemeindegesang war das Deutsche mehr erlaubt als offiziell empfohlen. Stillschweigend 1 Schon die Basler Otfridausgabe von 1571 setzt um das Jahr 1330 den Umschwung. Im übrigen Beiträge IV, 4, und Max Bancsa, DaS erste Auftreten der dentschm Sprache in den Urkunden, Leipzig 1895.

gestattete die Kurie der Volkssprache einen bescheidenen Anteil am Gottesdienst, um mit desto größerer Entschiedenheit dem Latein die maßgebende Stellung zu sichern. Das heilige Meß­ amt durfte itur in lateinischer Sprache zelebriert werden. Zwar hatten Slaven von Rom aus das Zugeständnis erlangt, den ganzen Gottesdienst in der Volkssprache halten zu dürfe«. Deutschland, dem römischen Stuhle näher, konnte sich der fremdsprachlichen Herrschaft nicht erwehren, solange das Latein auch unsere amtliche Reichssprache war. Was den Slaven eine päpstliche Bulle gestattet hatte, darauf wollte die Kirche bei uns nicht eingehen, solange Kaiser und Reich mit ihr gemeinschaftlich nur das Latein als amtliche Sprache des Abendlandes gelten ließen. Die Kirche verweigerte der Volkssprache die Sanktion. Es ist wahr, päpstliche Dekrete liegen nicht vor, die den aus­ schließlichen Gebrauch des Lateins für alle religiösen Zwecke verlangen. Aber die weit verbreitete Opposition gegen deutsche Erbauungsbücher, zumal gegen deutsche Bibeltexte, zeugt für die Geringschätzung, mit der die angestammte Sprache unseres Volkes zurückgedrängt wurde. Der Pfaffenkaiser Karl IV. erließ 1369 ein Verbot gegen alle Bücher, welche in deutscher Sprache von den heiligen Schriften handelten. 1486 verbot Erzbischof Berthold von Mainz bei Strafe der Exkommunikation den Druck deutscher Bibelübersetzungen- und dieses Verbot scheint nicht ohne Wir­ kung gewesen zu sein.' Auch hat Geiler von Kaisersberg es für gefährlich erklärt, „daß man die Bibel zu teutsch druckt". 1 Der Wortlaut des Mandats bei Gudenus Cod. Diplom, anecdotorum IV, 474 sowie bei Ludw. Keller, Die Waldenser und die deutschen Bibelübersetzungen S. 69; über den Erfolg des Mandats Osk. Hase, Die Koberger S. 244, wo daraus hingewiesen wird, datz weniger Bibelaus­ gaben zwischen 1485—1522 erschienen als vorher. Im übrigen verweise ich für die obige Darstellung auf die bekannten Schriften von Haupt, Jostes und Keller, ohne mich auf die Bibelkontroverse einzulassen.

Und Emser, der Luthers neues Testament für katholische Kreise bearbeitete und als eigene Leistung in ein paar Ausgaben ver­ öffentlichte, ist noch am Ende seines Lebens int Ungewissen, „ob es gut oder bös sei, daß man die Bibel verdeutschet und dem gemeinen ungelarten Mann fürlegt"? Jlt solchen Tatsachen spiegelt sich der Standputtkt der Kirche wieder. Sie trat nicht nur nicht für das Ansehen der Muttersprache ein, die allein Trägerin wahrer Volksbildung sein kann, sondern verpönte sogar die deutschen Erbaunngsschriftett. Wie die Geistlichkeit von deutschen Missalien um das Jahr 1470 dachte, lehrt ein Konflikt zwischen einem Domini­ kanerprior von Zütphett und Johann Busch/ jener verpönte die deutsche religiöse Literatur, dieser trat für sie ein, ließ sich aber vom Dominikaner überreden, daß solche Bücher doch ge­ fährlich seien. Persönlichkeiten wie jener Zütpheuer Domiitikauer waren nicht selten. Wir werden später einen Dominikaner in der Schweiz kennen lernen, der 1520 gegen alle deutschen religiösen Schriften predigte/ ein anderer, Augnstin von Getelti, wütete im Winter 1525/6 in Hamburg gegen die Verbreituitg des neuen Testaments in der Volkssprache. Bei solchem Verhalten der Mönche und der Geistlichkeit kann es uns nicht wnndernehmen, daß in allen Schichten unseres Volkes der Glaube herrschte, die Kirche verpöne alle deutschen Erbatlungsschriften und verketzere dantit die dentsche Sprache. Schon tun 1430 regt sich zu ihren Gunsten im Kreise der Brüder vom gemeinen Lebeit eilte Stimme. Gerhard Zerbold beklagt es, daß den Laien die Lektüre deutscher Bibeln verboten sei. Und 1514 tritt ein Plenarium für religiöse Bücher in der Volkssprache ein: „Hast du gute Bücher, lies sie an dem Sonntag nach der Predig, nach dem Nachtessen und unterweis dein Gesind / es solt kein Meitsch sein, er solt haben 1 Vgl. die 3. Auflage 1529 Blatt 210.

das heilige Evangelium bei ihm in seinem Haus". So hat am Borabeild der Reformatioil auch der große Erasmus von Rotterdam der Bibelübersetzung und Bibellektüre für die Laien das Wort geredet, wenn er 1516 in seiner Ausgabe des neuen Testaments in der „Ermahnung" mit vollem Nachdruck für die Verbreitung der Bibel in der Volkssprache eintritt,' die Weiber sollen so gut wie die Männer das Evangelium und die paulinischen Briese lesen, der Bauer auf dem Felde, der Arbeiter in der Werkstatt, der Wanderer auf der Landstraße sollen sich mit biblischen Worten und Liedern die Zeit verkürzen.' Das sind vereinzelte Stimmen, die mit so warmen, eindring­ lichen Worten deutsche Lektüre und deutsche Erbauungsbücher empfehlen, wir werden ihnen aber erst dann Gewicht beimessen dürfen, wenn man uns zeigt, daß auch päpstliche Dekrete solche Anschauungen vertreten. Innerhalb der Kirche lvar kein Unischwuilg zugunsten

der Volkssprache zu erwarten. Nur der Bruch mit der Kirche niachte einen Bruch mit der Herrschaft des Lateins möglich. Und unserm Reformator gelang beides. Mittels der Mutter­ sprache besiegte er das Papsttum und wurde danrit der größte Vorfechter des Deutschtums. Als er die entscheidende Be­ deutung der Muttersprache für unsere Bildung und die Ge­ fährdung des nationalen Lebens durch die Herrschaft des Lateins erkannt hatte, schuf er geistige Nahrung, die für alle bestimmt war, zumal für diejenigen, denen die christlichen Seligpreisungen das Himmelreich versprechen. Fortan sind die Laien nicht mehr von den heiligen Schriften ausgeschlossen. Ihnen gilt des Reformators Tätigkeit ganz besonders. Ihnen wird die deutsche Bibel geschenkt,- die deutschen Kirchenlieder und der kleine Katechismus sind für sie bestimmt/ die lateinische Messe wird durch eine deutsche ersetzt, damit auch der Ungebildete den Handlungen des Gottesdienstes mit Verständnis folgen könne. 1 Bezold, Gesch. der Deformation S. 237.

Seit dem November 1525 herrschte in Wittenberg die deutsche Messe, nachdem bereits seit dem Anfänge des Jahres 1522 mit der Reform des Gottesdienstes daselbst begonnen war. Eingeleitet hat sie Luther 1520 durch die Schrift vom heiligen Sakrament. „Wollt Gott", so rief er damals aus, „daß wir Deutschen Meß zu deutsch läsen und die heimlichsten Wort aufs aller höhest süngen! Warum sollten wir Deutschen nicht Meß lesen auf unsere Sprache, so die Lateinischen, Griechen und viel andre auf ihre Sprach Meß halten?" Was Luther hiermit angeregt, hat sich bald in der Messe verwirklicht. Überall finden seine Reformideen Anklang, überall werden Thesen im Sinne seiner Ansichten verhandelt. „Es ist viel besser, ein einigen Vers eines Psalmen nach eins jeden Lands Sprach dem Volk zü vertolmetschen, dann fünf ganz Psalmen in fremder Sprach singen und nit von der Kirchen verstanden werden. Hier verschwinden Mettin, Prinl, Terz, Sext, 9?on, Vesper, Completen und Vigllien" — so lautet eine These, die 1524 Dr. Balthasar Hubmeier aus Friedberg für ein Religionsgespräch zu Waldshut vorschlug.' Etwa gleichzeitig versuchten in Zwickau einige Prediger ver­ gebens die dortigen Klosterbrüder zu einem Religionsgespräch zu bewegen, wozu u. a. die These aufgestellt war: „Dieweil Lateinisch Sprach unbekannt, thun die wohl und recht, die in der Tauf, Messe und Gesang deutscher Sprach brauchen"? Von der großartigsten Wirkung aber war es, als Bischof Georg von Polenz Weihnachten 1523 in der Domkirche zu Königsberg über denselben, die Gemüter erregenden Gegenstand predigte: „Es ist ie ein seltsam Ding, daß wir Christen an 1 Achtzehen Schlußrede, so betreffende eyn gantz christlich Leben, woran es gelegen ist, disputirt zu Waldshüt von Doctor Balthasar Friedberger 1524; die obige These ist die zehnte. * Unterricht und Warnung an die Kirch zü Zwickau mit etzlichen Artikeln dem Klostervolk doselbst angeboren imb von ihnen unbillig ab­ geschlagen. Zwickau.

die lateinische Sprache gebunden seind. Es war nit besolhen, allain lateinisch zu reden und taufen, ja es ist aus sunderlichem Rate göttlicher Majestät geschehen, daß kain Evangelist, auch kain Apostel noch Evangelion noch Epistel zü Latein geschrieben hak".1 Oecolampadius hatte 1522 aus der Ebernburg Epistel tlnd Evangelium im Meßamt der Gemeinde deutsch vorgelesen. Die Borwürfe, die ihm dieser Anschluß an Luthers Idee« zu­ gezogen, entkräftigte er in einem lateinischen Sendschreiben an Caspar Hedio, das sofort auch verdeutscht wurdet Überhaupt förderte Oecolampadius die Stellung der Volkssprache im kirchlichen Leben auf alle mögliche Weife. Aufsehen scheint gemacht zu haben, daß er bei den Kranken eine deutsche Litanei lad.3 Er hatte bereits 1521 bei der Übersetzung der Schrift „ein sonderliche Lehre und Bewehrung" rc. die Bedeutung der deutschen Sprache hervorgehoben und die Papisten gestraft,

welche das Wort Gottes den Laien vorenthielten, um die Perlen nicht vor die Säue zu werfen. Später, als die Re­ formierten 1526 zu Basel in der St. Martinskirche deutsche Psalmen zu singen anfingen, gelang es seinem Einfluß, den ehrsamen Rat, der anfänglich die Neuerung verboten hatte, dlirch eine schriftliche Supplikation dafür zu gewinnen. Wo immer sonst die Reformation festen Fuß faßt, übt die delltschsprachliche Bewegung auf die Gewinnung der Laien * Ein Sermon dcS wirdigen in Got Bakers Herren Georgen von Polenz, Bischof zü Samland 1524. Nach Cyr. Spangenbergs Adels­ spiegel II 94b sendet Georg von Polenz 28. 1. 1524 eine lat. Epistel an die Priester zu Fischhausen n. ermahnt sie Luthers Bücher zu lesen, darnach zu lehren und in deutscher Sprache zu taufen. Bgl. noch Tschackert in den Kirchengeschichtl. Studien Herni. Reuter zum 70. Geburtstag (Leipzig 1888). * Ain schöne Epistel Oecolompadii an Caspar Hedion. Ebernburg (übersetzt von Joh. Diepolt zu Ulm) 1522. ’ Joh. Büchstab Eigentliche und gründliche Kundschaft 1528 G iii. * So berichtet der Basler Chronist Wurstisen zum Jahre 1526 (Nachweis des Herrn Emil Sulger).

den wesentlichsten Einfluß, und die Stellung der Muttersprache im Gottesdienst muß überall da verteidigt werden, wo die neue Lehre verteidigt wird. In Nürnberg war 1524 mit der Reformation auch die deutsche Meffe, deutsche Episteln und Evangelien, auch deutsche Kindertaufe eingeführt- die beiden Pröpste, denen Nürnberg den Anschluß an die Reformation dankt, hatten sich noch im selben Jahre vor dem Bischof von Bamberg auch wegen ihrer Anwendung der Volkssprache im Kultus zu verantworten- in ihren gedruckten Rechtfertigungs­ schriften wird dieselbe als Bedürfnis erklärt. Dieses einmütige Vorgehen aller Nationalgesinnten stieß auf den heftigsten Widerstand bei der alten Geistlichkeit. Aller­ orten nahm sie die altüberlieferte Meßsprache in Schutz, suchte mit Gründen zu halten, was der gesunde Menschenverstand eben als widersinnig erkannte und beseitigte. Die Gründe, welche für die lateinische Messe angeführt wurden, waren denn auch so dürftig und arinselig, daß sie in den reformatorischen Kreiser: nur Spott und Hohn finden tonnten. Im Jahre 1520, als Luther eben erst begann, dem Deutschen eine Stellung in der Messe zu schaffen, erschien in Straßburg eine anoiryme, zweifelsohne von Murner verfaßte „christliche und briederliche Ermahnung zu dem hochgelehrten Dr. M. Luther", die sich in einem besorrderen Kapitel gegen die Vcrrvendmrg des Deut­ schen in der Messe rvandte. Dieses Kapitel — „in was Sprachen oder welcher Maßen mög die Meß gelesen werden" — kann als schlagendes Zeugnis dienen, wie bei Luthers Auf­ treten hervorragende Katholiken über das Verhältnis von Latein und Muttersprache dachten. Man höre die Begründung des lateinischen Meßopfers: „So mm drü Haupt- und reguliret Sprachen zü dem Dienst Gottes verordnet sein — hebräisch kriechisch latinisch — und wir Latiner seind, sotten wir billich die latinische Sprach zü der Messen brnchen. . . und nicht zu tütsch soll Meß gehalten werden uß der Ursachen, daß sich die barbarischen Sprachen oft verändern und spöttlich

oder verächtlich lautet der Sprachen zü den göttlichen Ämtern sich gebruchen, die wir zu menschlichen und däglichen Händlen reden und üben". Der Verfasser veranschaulicht, was er hiermit meint,1 verzichtet aber auf eine eingehende Darlegung seiner lueitereit Gründe, „die dargethon mögen werden, luo es not thet", und bittet den Reformator „fründlich und brüder­ lichen von diesem leichtfertigen Fürnehmen abzuston." Murners Beweisführung mag einiges Aufsehen gemacht haberr mit der Begründung, „daß wir Lateiner fitib".2 Aus neue Weise muß fortan das Latein als Kirchensprache be­ gründet werden- die Altgläubigen weriden allen Scharfsinn an, um weitere Beweisgründe aufzufinden. In den „Artikeln und Bewehrung derselbigen, so die Prälaten, Äbt, Stift und Klöster habeir eingelegt in Lutherischen Sachen am Tag des Gesprächs vor bem durchleuchtigen hochgebornen Fürsten und Herrn Herrn Casimir Markgrafen rc. 1524" wird Latein als Sprache der Messe mit folgender Begründung verlangt: die Überschrift an des Heilandes Kreuz sei hebräisch, griechisch und lateinisch gewesen, und Pilatus habe gesagt: „was geschriebeu ist, ist geschrieben",' die Deutschen seien zudem zuletzt bekehrt, und die Bekehrer hätten „sölche latinisch Form hinder ihn gelassen, darumb ivir die billich behalten söllen. Wann viel ander Nation, die auch nicht lateinisch sein, nicht bester minder in lateinischer Sprach Messe halten". In Betteff der Taufe Wirb zwar zugegeben, daß „es eben so viel Kraft hat in teutscher Sprache zu taufen als in lateinischer"- aber das Lateinische sei notwendig, um die heilige Handlung nicht zum * Als Beleg dafür erwähnt Murner die damalige und die ältere Bedeutung von minnen (3) iii b). ’ Die Anschauung kehrt bei Murner wieder: Instituliones 1519 B iii b „bi, uns Latinischen". Aber auch sonst, z. B. Reißbuch des hlg. Landes 1584 D. 50 „Dargegen geschieht kürtzlich Meldung der Lateinischen Nation, zu deren wir, die allein durch den Glauben selig zu werden verhossen, uns bekennen".

Spott werden zu lassen. Dieser Hinweis ans die drei Haupt­ sprachen, die durch des Pilatus' Überschrift am heiligen Kreuze gleichsam geweiht seien, muß etwas mehr gewirkt haben als jene Entdeckung Murners- er kehrt in einer andern katho­ lischen Schrift wieder, die sich gegen die Neuerung der deutschen Messe wendet, weil „Christus dies im Evangelio nirgend geordnet noch geboten hat, auch kein Apostel noch kein

christlicher Priester solche Messe nie gehalten- sunder allein in hebräischer, gregischer und lateinischer Zirnge ist sie in der wahren Christenheit stets gehalten nach Ordenunge der heiligen gemeinen apostolischen christlichen Kirche, nach Anweisunge des Titels Christi ant Kreuze".1 Erst jetzt, als der entscheidettde Sieg dem Reformator die Bahn ebnete, als die Nation seine Schritte mit steigender Teil­ nahme begleitete, als seine Schriftert allerwärts begeisterte Auf­ nahme fanden — erst jetzt war die Bedetituttg der Mutter­ sprache für die Bildung der Nation entdeckt. Man pflegt die Geschichte der Neuzeit mit den großen weltbewegenden Entdeckungett zu beginnen, die der Menschheit ungeahnte Aufschlüsse und materielle Umwälzungeit von weittragender Bedeutung gegeben haben. Aber eine Entdeckung, die für nationales Leben und nationale Entwicklung mächtiger hätte wirsen können als damals die Entdeckung der Muttersprache, ist überhaupt undenkbar. Besser als alle Auseiitattdersetzungen sprechen die Zahlen, die P. Pietschs im Anschluß an Ranke auf Grund von Panzers Annalett uni) Wellers Repertorium ermittelt hat. Schon im Jahre 1500 wurden etwa 80 deutsche Bücher ge­ druckt- 1505 etwa 60- 1510: 135- 1511: 70- 1512: 140-

1513: 90- 1514: 110- 1515: 150- 1516: 110- 1517 : 801518: 150. Dann geht es mit gewaltiger Steigerung, die 1 Ein wahrhaftige gruntliche Unterrichtung, in Wilcher Gestalt die Leyen den Leychnam Christi können und sollen vor Got nützlich und seliglich entfahrn:c. Leipzig 1526. C iii. * M. Luther und die nhd. Schriftsprache S. 48.

lediglich eine Folge von Luthers Auftreten ist, weiter: 1519: 260; 1520: 570; 1521: 620; 1522: 680; 1523: 935;

1524: 990. Mit der Gewalt einer Naturkraft ergreift die deutsch­ sprachliche Bewegung jetzt alle Genrüter. Wie die reforma­ torischen Theologen dem Beispiele Luthers folgen, so bleiben auch die Laien nicht zurück. Wer die Schäden der bestehenden sozialen und religiösen Verhältnisse unter dem Regiment der Pfaffen und der Möncherei einsieht, wagt es auch, seine Anschau­ ung durch den Druck zu vertreten nnd den Gesinnungsgenossen in Wittenberg zuzujubeln. Deutsche Flugschriften, zumeist in Gesprächsform, ziehen zu Hunderten durch die Lande; häufig entstammen sie der Feder von Laien, die nicht durch hohe Schulen gegangen waren. Es kann uns daher nicht wundernehmen, wenn in altgläubigen Kreisen großer Unmut über die massen­ hafte literarische Produktion herrscht, die durch die Reformation ins Leben gerufen ist. Noch 1533 ruft Dr. Johann Cochläus1 mit verhaltenem Groll aus: „Wer kann eigentlich berechnen, wie viel Gelds jährlich und täglich ist aufgangen für soviel und mancherlei Zankbücher pro et contra zu drucken und zu teufen? Wie viel tausend Gülden hat allein Wittenberg in 15 Jahren für Druckpapier geben? Wie viel Straßburg, Basel, Augsburg, Nürnberg?" In der Tat arbeitete die ganze Presse in jenen Zentren des Buchdrucks fast ausschließlich für den Protestantismus. Andersdenkende kamen zuweilen jahrelang nicht zu Wort. Man höre ein katholisches Zeugnis aus der Schweiz. Johann Büchstab, der Schulmeister zu Freiburg im Üchtland, schreibt

im Jahre 1528, „er habe wider die neu unwahrhaftig Lehren vor fünf Jaren understanden zü schreiben, dieselbigen Geschriften

aber in keinen Druck mögen underbringen; wan alle Trucker in unser Gegne bishar all mit diesen Jrrtumben verblendt gesin 1 Ans Luthers Trostbrief an etliche zu Leipzig rc.

A n.

seind." Diesen Stand der Dinge bezeugt Erasmus 1523 für Basel, wenn er an König Heinrich VIII. von England schreibt: „Hier ist kein einziger Buchhändler, der es wagte, nur ein Wörtchen gegen Luther drucken zu lassen,' aber gegen den Papst darf man schreiben, was man will"? Da blieb denn auch eine offizielle Äußerung der Kurie nicht aus, die auf den Bücherdruck Rücksicht nahm. In einem vom 30. November 1527 gezeichneten, alsbald von Luther verdeutschten päpstlichen Sendbrief an den Rat zu Bamberg begegnet eine Stelle „gegen die verkerten Buchdrucker, welche, als zu glauben ist, mit Geld durch die Lutherischen verrückt seind (ists anders wahr, das wir gehört haben), uffs willigst der Lutherischen Bücher drucken und mit nichte drucken wollen die Bücher, die von den rechten Christen wider sie für die Wahrheit geschrieben werben". So beherrscht die literarische Produktion der protestantischen Kreise das von Begeisterung mitgerissene Volk. Aber die Katholiken mußten auch Schriften aus den Markt bringen, wenn sie sich das Zutrauen der Laien erhalten oder wiedergewinnen wollten; sie durften hinter den Protestanten nicht ganz zurückbleiben. „Sie müssen auch etwas schreiben — sagt Symon Hessus 1521 in einer feinen, geistvollen Flugschrift (vgl. S. 21) — nit so gar von unsers Nutzs wegen, aber daß sie auch mit zierlichen Titeln vor den Buchläden standen, mit solichen Titeln: Fortalicium des wirdigen Herren Jacobi Hochstrat von der hohen Gassen, unwirdiger Gardian zu Kolbingen, item das sein nützlich Sermon des hochgelehrten Vaters Brüder Robert, Kälbermeister von der Mistlachen und dergleichen." Die Buchläden, vor denen ein begieriges Publikum sich drängte, waren voll von reformatorischen Schriften; auch nach­ dem sie durch das Wormser Edikt alle verpönt waren, konnte man unmittelbar neben dem päpstlichen und dem kaiserlichen 1 Karl Hagen, Der Geist der Reformation I 227.

Mandat Luthers Schriften sehen. Die Vollstreckung des kaiser­ lichen Befehls an den von Luther verfaßten Büchern, die ver­ brannt werden sollten/ war nicht durchzuführen,' in Mainz z. B. verlief sie als schmachvolle Komödie/ niemand lieferte Schriften Luthers zur Vollstreckung des Urteils aus. „O, was großer Schänd und Schmach ward do dem Legaten bewiesenund wolt er nit mit Schanden gar gestalt, mußt er dem Henker lassen überreden mit Listen und Gaben uff den andern Tag, daß er by zwei oder vier Büchlin verbrannt!" Anderwärts fanden statt Luthers Schriften die alten Scholastiker und theo­ logischen Druckschriften den Weg ins Feuer. So brachten zu Löwen die Studenten „so mancherlei Bücher, einer sermones discipuli, der andere den Tartaret, der dritt die Sermones ‘dormi secure" Parati und andere dergleichen, also daß solcher Bücher mehr dann Dr. Luthers verprennt worden seind"? Freilich blieben anfänglich auch einzelue Männer hinter den Wünsck)en und Hoffnungen der Zeitgenossen zurück. So lvar Ulrich von Hutten, der ritterliche Vorkämpfer der Refor­ mation, auf dessen Schwert und Feder alle patriotischen Geniiitcr31 *ihre Hoffnung setzten, bei lateinischer Schriftstellerei verharrt, als bereits überall um ihn herum die nationale Belvegung, die ihn neben Luther als ihren Hauptvertreter ehrte, in zahllosen deutschen Druckschriften sich äußerte. Es hat

gewiß nicht an Stimmen gefehlt, welche denr von warmer Vater­ landsliebe beseelten Humanisten sein Verhalten veriviesen und den Versuch geniacht haben, ihn für deutsche Schriftstellerei zu gewinnen. In diesem Sinne erließ Jakob Köbel, Stadtschreiber 1 Nach dem KarsthanS (BB ii a). * 1521 Oecolampadii der Hatligen Schrift Doctor Sant Brigitten Ordens zu Altenmünster llrtail und Mainung auch andere Reden, Antwotten und Handlung Dr. M. Luther belangend u. s. tu. A in. 3 „Ulrich von Hutten übt die Füder und das Schtvärt zü erwecken alte teutsche Erbcrkeit in Treu, Glauben und Warheit". Eberlin von Günzburg, der erst Bundsgenoß (Neudruck I 4 f.).

und Buchdrucker zu Oppenheim, 1519 öffentlich einen ernsten Mahnruf an seinen ritterlichen Freund, „der nicht allein der latinischen Zungen allerhöchste Erfahrung, sunder auch uß dem Brunnen der kriechischen reichlich getrunken, er möge seine hohe Kunst und Lehre unserer teutschen Zungen durch sein Trans­ lation auch ingießen, da er von der Gepurt ein sunder gut hochteutsche d. i. fränkische Sprach habe". Dieser vor der Nation ergangene Mahnruf, der vielleicht nicht vereinzelt geblieben ist, dürfte auf den ritterlichen Humanisten Eindruck gemacht habener rechtfertigt' alsbald seine lateinische Schriftstellerei, mit Melcher er die „Kirchenhäupter gleichsam unter vier Augen habe marnen wollen": Latein ich vor geschrieben hab, Das was eint jeden nicht Betont — Jetzt schrei ich an das Vaterland, Teutsch Nation in ihrer Sprach Zü bringen diesen Dingen Rach.

So wurden Männer, die zu einer mehr friedlichen Aus­ gleichung der Gegensätze hinneigten, in die revolutionäre Be­ wegung gezogen, welche jedem unabhängigen, jedem national gesinnten Kopf Einfluß auf die Tagesfragen versprach. Unser Volk konnte trotz des Übermaßes deutscher Druckschriften nicht befriedigt werden,' ungestüm wird auf das Recht der Laien gepocht, ail dem göttlichen Wort selbst Anteil zu haben. An Luther ergeht die Aufforderung, er möge die Nation mit einer deutschell Bibel beschenken. „Lieber Herr Luther, schriben in unser Sprach zü dütsch die gotlich Wahrheit, uff daß wir ein­ fältigen Laien ouch mögen lesen"8 — solche Wünsche sind ge­ wiß häufig in die Öffentlichkeit gedrungen. * Strauß Werke VII 345; dazu das dort übersehene Vorwort Köbels zu seiner Schrift: „(Sin zierliche Rede und Ermanung zu des großmächtigsten Carola ec.“ Über Kübel, der später der reformatorischeil Sache untreu wurde, vgl. Altdeutsche Blätter I 278 ff.

• Karsthans BB iii b.

Die Reformatoren hatten der lateinischen Schriftstellerei nicht galtz entsagt. Aber das große Publikum, das nun einmal warmes Interesse für alle kirchlichen und sozialen Stteitsragen hatte, verzichtete keineswegs auf jene lateinischen Schttften. Um dem regen Wissensdrange der Laien zu dienen, veranlaßten Verfasser oder Verleger häufig deutsche Übersetzungen — so sehr hatte der Erfolg der reformatorischen Literatur Publikum und Literaten begeistert. Jetzt werden lateinische Schriften voit Luther, Hutten, Erasnius, Oecolampadius und anderen verdeutscht. Zuweilen äußern sich die Übersetzer auch über die Sprachbewegung. 1522 erscheint in Basel bei Adam Petti „ein schön Epistel Erasmi von Rotterdam, daß die evangelisch Lehr von jedermann soll gelesen und verstanden werden", worin uns der Übersetzer versichert, daß die Gelehtten und Scheingelehrten diejenigen lästerten, welche den geistigen Be­ dürfnissen des Publikums mit Übersetzungen dienten. Der Augsburger Buchhändler Dr. Sigismund Grimm ließ eine Schrift des Oecolampadius 1521 ins Deutsche übersetzen und bat den Autor um eine Durchsicht und Genehmigung des deut­ schen Textes. Oecolampadius willigte ei»; hätte — sagt er im Vorwort zur Übersetzung — bereits die lateinische Aus­ gabe den Zorn der Papisten erregt, so werde ihnen der Erfolg der deutschen Ausgabe noch größeres Ärgernis geben. So erhält auch das lateinische Schuldrama vielfach deutsche Be­ arbeitungen: man verlernt es, sich der Muttersprache zu schämen, nachdem die Reformation das Deutsche aus der Erniedrigung befreit hatte. In seiner schweizer-deutschen Acolastus-Bearbeitung ermahnt Binder den Leser am Schluß des deutschen Vorwortes: «ne pudeat te incomptae et agrestis dialecti, patria est!»1 In demselben Verhältnis, in dem sich in den prote1 Vgl. Baechtold, Geschichte der deutschen Litteratur in der Schweiz . 90. Kluge, Bon Luther bis Lessing. 4. Ausl.

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dischen nit gemain" sind. Zeitworte wie freien, vertrauen, gehorchen, ernten, die Emser und Luther gebrauchen, ersetzt er mit zur Ehe nehmen, vermählen, gehorsam sein, schneiden. Für die mitteldeutschen Hauptwörter Grenze, Seuche, Lappen, Scheffel, Matte (Motte), Scheune, Hubel, Schleuche, Splitter hat die Ingolstädter Bibel Gegend, Krankhait — Siechtum, Blätz, Metz, Schabe, Scheure, Bühel, Saumheut, Agen. An syntaktischen Eigentümlichkeiten beachte man, daß Eck ihn, ihm gegen das mitteldentsche sich als Reflexivpronomen, mögen gegen Luthers können verwendet. Sonst fällt uns eine leidlich einheitlich durchgeführte Orthographie auf, die sich besonders im maßvollen Gebrauch der Doppelkonsonanten äußert. Unter Maxiniilian begann aber nicht nur die Regelung, sondern auch die Ausbreitung einer modernen Sprache. So hatte früher Augsburg in seiner Kanzlei wie in seinen Drucker­ eien der örtlichen Mundart wichtige Züge entnommen, die uns in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entgegentreten: da herrscht au für ä z. B. in den Augsburger Reichstagsakten von 1474 — Legaut, nauch, wolbedaucht für Legat, nach, wolbedacht. Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts gewinnt die Kanzleisprache der Donaulande dort Eingang/ der Augsburger Chronist Werlich verlegt 1595 die sprachliche Reorganisation in das Jahr 1501': „Nmb diese Zeit begunden 1 Bgl. E. Wülcker Germ. 18,198; Hansen FlcckeisenS Jahrb. 124, 18. Zu den Augsburger Sprachverhältnissen bergt noch Svein Schrift­ sprache S. 177, wo das Zeugnis der Annales Augsburgenses des Achilles Plrminius (f 1577) zum Jahre 1500 angeführt wird: ,.Sub hoc saeculum coepit vernaculus Sueviae hujus sermo apud Augstburgum a simplicium vocalium tum prolatione tum scriptione ad Bojaricas Austriacasque dyphthongos declinare primulum et inde paulatim magis ac magis ad exterorum sonos accedere, adeo ut nostra hac aetate, jam sub Ferdinando Caesare, plane alio idiomate cives hic loquantur, quam majores soliti fuerunt. Nam cum hi olim populariter tum literis

die Augsburger ihre Sprache zu ändern und etwas verständ­ licher zu reden lind zu schreiben, also daß sie zu unserer Zeit bey Regierutlg Kaiser Ferdinandi ganz anderst reden denn die Alten. Dann dieselben vor diesem in Aussprechung des i und u das Maul weit aufsperrteu, brauchen sie jetzunder dasür das ei und au im schreiben und reden und sagen mit halbem Muildt allein für allan, anch für ach." Altere Augsburger Drllcke zeigen Lautformen, die von der durchdringenden Norm der Maxinnlianischen Kauzlei völlig abweichen. In der aurea Biblia, die etwa 1475 unter dem Titel „Die deittsch guldin Bibel nach Ordnmig des ABC" in Augsburg gedruckt wurde/ wird gelvechselt zwischen deut alten und dem neuen Bokalismus: Haus lind Hus, Fleiß und Flyß, Teufel und Tüfel kommen nebeneinander vor,- aber vor allem herrschen die ou au (selten ö) für echtes ä: Strouff 'Strafe', stroufsen 'strafen', fron gen 'fragen', gouben 'sie gaben', Scho uff 'Schaf', hallt — haust 'hat — hast'. In den meisten Augs­ burger Drucken aus der letzten Hälfte des 15. Jahrhunderts kehrt dieses ou au wieder, das erst mit der Blüte der Maximilianischen Kanzlei, nach dem obigen Chronisten mit dem Jahre 1501 in Augsburg ausstirbt. So haben fortan die dort ge­ druckten Werke diese ou nicht mehr. Es stimmt z. B. der Lantcharakter der Augsburger Bibel von 1518 im ganzen mit den Gepflogenheiten der Kanzlei lind Ecks überein: uo, üe, ä (nicht ou), ö (für ?), ai (für echtes ei). Auch in der Augs-

tum voce tarn in nominibus quam in verbis i et u rotundo expresserint ore, liodie omnes diductiore rictu ei et au pronunciant scribuntque*. 1 Über den Drucker der aurea Biblia bergt. Butsch: Ludwig Hohen-

wang. Kein Ulmer, sondern ein Augsburger Buchdrucker (München 1885). Über den Augsburger Bücherdruck bergt. Kauffmann Geschichte der schwäbi­

schen Mundart (Straßburg 1890) S. 289 ff., wo auch Nachweise über andere schwäbische Druckerstädte zu finden sind; außerdem Fried. Scholz, Geschichte der dtsch. Schriftsprache in Augsburg (Berlin Diss. 1895). 3*

kurzer Psalmenübersetzung von 1523, die Dr. Caspar Amman zum Verfasser hat, kehren die alten Augsburgischen ou nicht mehr wieder,' es heißt hat, Straff, Gaben- die aspirierten kh (Khinder, erkhennen, kheren, khünden) sind vorherrschendai in rain, klain, Stain ist selbstverständlich- ö für e (sötzen, röden, Föls, Khöttin, zögen für setzen u.f.tu.) ist sehr zahlreich. Das sw sm sn sl der bairisch-östreichischen Kanzlei begegnet allerwärts- ich verzeichne z. B. aus eitler gedruckten bairischen Leichenpredigt von 1544 Swalb, Smertz, sweigen, fließen u.s.w. Derselbe Text bietet Begengnus, Bekenntnus, Begrebnus, Bekömmernus- ebenso Buech, Bluet, Beruef. Aus zahlreichen Texten der Donaulande läßt sich versöhnen belegen- vereinzelt begegnen khön, grön, berömt — berömen.' Überhaupt im ganzen Donaugebiet gewinnt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die durch Maximilians Kanzler geregelte Sprachttorm an Allgemeingültigkeit. So gehört auch Augsburg, nachdem es sich an die Sprache der östlichen Donau­ lande angeschlossen hat, zu den (Stabten, die um ihrer Sprache willen gerühmt werden. Die Grammatiker nennen es dnrchweg als Vertreter der Donausprache, und ein Vers jener Zeit (Uhland Volkslieder II. 991) sagt: „man findt zn Augsburg die hübschste Sprach"? Diese Donatlsprache kennzeichnet sich dadurch, daß der 1 Vgl. Weinhold, Bair. Gramm. § 59 Anin., wo freilich das in unsere Schriftsprache übernommene versöhnen fehlt. Zu dem § 111 wären aus Eck mehrfache Fuir 'Feuer', huit 'heute'. Zuigen 'Zeugen', erfluißt, gebuit, fluicht, zuicht nachzutragen. • Fortan wird die Sprache Augsburgs von den Grammatikern oft gerühntt. Kauffmann Geschichte der schwäbischen Mundart S. 291 erinnert noch an eine Augsburger Ausgabe von Tauler's Predigten 1508: neulich korrigirt und gezogen feind zu den merern teil auf gut verstentlich Augspurger sprach, die da unter andern teutschen zungen gemeintglich für die verstentlichste genommen und gehalten wird. Über die Augsburger

Drucksprache vgl. von Bahder, Grundlagen des nhd. Lautsystems S. 17 ff.

Unterschied von ei und ai, von uo und u, ue und ü, ie und i stets eingehalten wird/ die am Schluß des 15. Jahrhunderts überwuchernde Fülle von graphischen Doppelungen der Konso­ nanten hört allmählich auf. Die Roheit der Drucker und Schreiber in der Orthographie ist einer strengen Norm ge­ wichen, und diese gilt in den Jähret: der Reformation für alle deutschen Lande. Dem: auch Mitteldeutschland schließt sich schon int zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts einigermaßen an die Normen der süddeutschen Kanzlei an. Erfurt z. B., das int Bereich der nicht diphthongierenden Landschaften liegt, lveist in jener Zeit zahlreiche Drucke auf, die den modernen Lautstand (ei au eu) und zugleich häufig auch das bairische ai haben. Und Straßburg imb Basel kennen in ihren Druckereien die gleichen Lautverhältnisse schon vor dem Auftreten Luthers.

Z. Luther und die deutsche Sprache. Ich glaube tticht, daß die Frage berechtigt ist, ob lvir mit Luther unsere neuere Sprachgeschichte beginnen, seine Sprache wirklich als neuhochdeutsch bezeichnen dürfet:. Aber diese Frage ist aufgetvorfen worden und zwar von einem der hervorragend­ sten Vertreter deutscher Sprachwissettschaft, der sie mit „nein" beantwortet. Scherer hat die 300jährigen Epochen feiner Literatur­ geschichte, seine männlichen und frauenhaften Perioden auch auf unsere Sprachgeschichte übertragen: an seine literarische Übergaitgsperiode von 1350—1650 hat er eine sprachliche Über­ gangsperiode geschlossen,' seine Neuzeit für Sprache und Literatur rechnet er von 1650. Luther ist ihm der Höhepunkt, das Kraft­ zentrum der Übergangszeit — Schottel eröffnet das Neu­ hochdeutsche. Hiermit erhalten, glaube ich, weder Luther noch Schottel

eine richtigere Stellung in unserer Sprachgeschichte, als ihnen bis vor nahezu dreißig Jahren allgemein und widerspruchslos zuerkannt wurde. Wird man schon die Gründe vermissen, die demWolfenbüttler Sprachgelehrten, so groß auch seine Verdienste um die Grammatik sein mögen, einen so hervorragenden Platz im Beginn unserer neuen Kulturentwicklung zutveisen könnten, so fehlen andererseits überhaupt Tatsachen, die uns bestimmen müßten, Luther aus seiner kulturgeschichtlichen Stellung zu verdrängen. Schon die gewaltige, folgenreiche Tatkraft, mit der er das mittelalterliche Latein der Kirche und die literarische Knechtschaft Deutschlands aufhebt, stellt ihn in den Beginn der Neuzeit. Der Reformator, der mit seiner welterschütternden Tätigkeit das gesamte geistige Leben der Nation umgeschaffen, hat durch die Entdeckung der Mlrttersprache einen sprachge­ schichtlichen Erfolg errungen, wie in Deutschland niemand vor

noch nach ihm. Wer die bewegte Stimmung jener stürmischen Zeit kennt und die allgemeinen Zustände vor und neben Luther im ganzen Leben der Nation vorurteilsfrei würdigt, der kann sich bei einiger Umsicht nicht gegen die Tatsache verschließen, daß da­ mals und zwar durch Luther die Entscheidung geschah, welche unserer Muttersprache die gebührende Stellung eroberte. Aber es kommen noch weitere Gesichtspunkte in Betracht. Unsere jetzige Schriftsprache ist im wesentlichen mit der Sprache des Reformators identisch, welche früh die Norm für Deutschland überhaupt geworden ist. Nicht die Sprache Niederdeutschlands oder der Schweiz erlangte die Hegemonie; die Zukunft gehörte auch nicht der bairisch-östreichischen Mundart, die durch das Reichsregiment zur Herrschaft über Deutschland berufen schien. Das Meißnische oder Obersächsische, das durch Luthers Bibel klaffisch wurde, ist die Mundart, aus der das Schriftdeutsch damals hervorging und in der Folgezeit sich stets erneute. Zielbewußt ging unser Reformator auch für die Mutter­ sprache vor. Die Zeitgenossen schon bewunderten ihn, wie er

bei hervorragenden Anlässen die Stellung der deutschen Sprache betonte. Nicht einmal auf dem Wormser Reichstage vergaß er seine sprachliche Mission. Am ersten Tage der Verhand­ lungen richtete der kaiserliche Beamte an ihn seine Fragen erst in lateinischer, dann in deutscher Sprache,' aber Luther ant­ wortete zuerst deutsch, daim lateinisch — eine Kühnheit, von der alsbald ein fliegendes Blatt1 der Nation Kunde gab. So trat Luther im Beginn seiner weltbewegenden Tätigkeit auf. Schon längst hatte er die Notwendigkeit erkannt, die Muttersprache zur Hauptvermittlerin göttlicher Lehre zu machen. Schon in einer seiner ersten schriftstellerischen Leistungen äußert er sich in diesem Sinne. In seiner Ausgabe des Buches von der deutschen Theologie 1516 sehen wir ihn freudig be­ wegt, daß er in deutscher Zunge seinen Gott also höre und finde, wie er ihn bisher nicht gefunden habe — weder in lateini­ scher, griechischer, noch hebräischer Zunge. So war schon 1442 ein Geistlicher, der „die 24 guldin Harpfen" aus dem Lateini­ schen übersetzte, für deutsche Erbauungsbücher eingetreten: nie­ mand solle sich durch ihre sprachlich-stilistische Roheit (stili barbaries) abschrecken lassen, ihre stoffliche Wahrheit (sententiarum veritas) solle jeden zur Lektüre reizen. Aber sein Wunsch „utinam multa latina sic barbara essent“ sollte in irgend welchem Umfange vor 1519 nicht in Erfüllung gehen.

Ja noch 1520 durften gleiche Wünsche, gleiche Hoffnungen geäußert werben. „Ich will einem jeden — so schrieb damals 1 Römische Kaiserliche Majestät, Verhörung, Rede und Widerrede Dr. M. Luthers: „der Offizial, so zu den Reden verordnet, gebraucht allewege crstlichcn den Befelch in latein und darnach zu teutscher Sprach; aber M. Luther redet die Antwort allwcge im ersten zü teutsch und zü dem letzten in latein". Spalatin bezeugt in einem lateinischen Bericht über den Wormser Reichstag dieselbe Tatsache — ein Beweis, das; die Zeitgenossen dem Vorgehen Luthers hohe Bedeutung beilegten. Vergl.

die neue Weimarer Lutherausgabe VII 857. Amu., wo auf das Ouellenniaterial für den Wormser Reichstag lWrede und Bernaus, Teutsche

Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. B. II.) verwiesen wird.

Luther in der Vorrede zu der Schrift „Bon den guten Werken" an den Herzog Johann — die Ehre großer Ding herzlich gerne lassen und mich gar nichts schämen deutsch den ungelehreten Laien zu predigen und schreiben, wiewohl ich auch desselben wenigs kann. Dünket mich doch, so wir bisher und furtmehr uns desselben gefliffen hätten und wollen, solte der Christenheit nit eins kleinen Vorteils mehrer Besserung er­ wachsen sein denn aus den hohen großen Büchern und Omestion in den Schulen under den Gelehreten allein gehandelt." Solche Wünsche, die in den Herzen einiger weniger Männer lebten, blieben in den Augen der Mehrzahl der gebildeten Theologen unberechtigt, bis die Reformation die natürlichen Rechte des Volkes erfüllte. Es gehörte die ganze Umsicht und Tatkraft unseres Re­ formators dazu, auch den Kampf um die Sprache gleichzeitig mit den geistigen Fragen zu entscheiden. Was Maximilians nationale Gesinnung nicht hatte vollenden können, wurde jetzt durch Luther in ungeahnter Schnelle und ungeahntem Um­ fange weltgeschichtliche Tatsache. Auf dem Augsburger Reichs­ tag 1530, wo die Gegensätze zum letzteumal schroff einander gegenüber standen, zeigte sich, daß der Streit zugunsten der Volkssprache entschieden war. Als dort die katholischen Reichs­ stände zuerst die lateinische Fassung der Augsburgischen Kon­ fession vorgelesen wissen wollten, bestand der Kurfürst von Sachsen darauf, die deutsche Fassung zuerst zu höreu, und der Kaiser entschied in seinem Sinne. So hatte die Muttersprache, welche mit dem 14. Jahrhundert für weltliche Zwecke eine mehr und mehr steigende Geltung gewann, die kirchliche wie die staatliche Weihe errungen- als Sprache der Messe und des

Gemeindegesangs war sie für alle Herzens- und Gewissens­ fragen hinfort mehr als ein unwürdiger Notbehelf. Noch Größeres hat Luther zugleich erzielt. Die Jahrhunderte lange Verwahrlosung der Sprachformen hatte der Muttersprache jeden Lebensgeist genommen. Aber mit Luthers

entscheidenden Erfolgen verklingen die Klagen über die Bar­ barei unseres Deutsch, die unter der Herrschaft des Lateins nie verstummten. Der Vorwurf der sprachlichen Regellosigkeit und Ungelenkigkeit wird unverdient und unberechtigt. Luther selbst wird die Sprachnorm, die so lange gefehlt hat. Als sein rastloses Leben voll reichster Segnungen in Eis­ leben geendet, verkündigt Justus Jonas' über der Leiche des gottgesandten Mannes neben seinen sonstigen Verdiensten auch seine Bedeutung für die Muttersprache: „Er lvar ein trefflicher gewaltiger Redner — so äußerte sich Justus Jonas — ein überaus gewaltiger Dolmetscher der ganzen Bibel. Es haben auch die Kanzleien zum Teil von ihm gelernt recht deutsch schreiben und reden/ denn er hat die deutsche Sprache wieder recht hierfür gebracht, daß man nu wieder kann recht deutsch reden und schreiben, wie das viel hoher Leut müssen zeugen und bekennen." Was Justus Jonas zu Eisleben und was bald darauf Melanchthon zu Wittenberg an Luthers Grabe als die sprachlichen Errungenschaften des tatkräftigsten Lebens hin­ stellten, war keineswegs die subjektive Anschauung einiger Kainpfgenossen des Reformators. Freunde und Feinde waren darüber einig, daß der Umschwung in der Stellung und in der schriftlichen Handhabung der Muttersprache ihm allein zu danken mar. Allerorten bezeugen die Anhänger der nationalen Beweg­ ung ihre Bewunderung der Sprache, die in Luthers Schriften herrschte. So rühmt Dr. Joh. Brentz, Prediger zu Schwäbisch Hall, in seinem „Prediger Salomo" 1528 Aia die neue deutsche Bibel: „die Bertolnietschuttg Doctoris M. Lutheri reicht für sich selbst also hell den verstand dar, daß sie die Anslegung mit sich auf dem Rucken trägt." Fabian Franck von Bunzlau verlangt

1 Zwo tröstliche Predigt über der Leich des Doctor Martin Luther durch Dr. Zustum Jonam und Mich. Celium, Wittenberg 1546. — Melanchthons Leichenrede auf Luther verdeutscht von Casp. Dreutzer 1546.

in seiner „Orthographia" 1531, daß „man guter Exemplar waruehrne, unter welchen mir etwan des teuern Kaiser Maxi­ milians Kanzlei und dieser Zeit Dr. M. Luthers Schreiben (neben des Joh. Schönbergers von Augsburg Druck) die reinsten und emendirtsten zu Handen kommen sein." Rebhuhn, Lehrer und Geistlicher in Mitteldeutschland, ein Freund Lllthers, plante eine deutsche Grammatik, wie er 1544 in der zweiten Ausgabe seines Dramas von der Susanna sich äußert, mit der ausge­ sprochenen Absicht, „um mitzuwirken zur Erhaltung dcS seinen artigen und hochberedten der teutschen Zungen unseres lieben Vaters Dr. M. Lutheri ausgelassener teutscher Schriften." 1536 sagt Erasmus Alberus: „Luther hat die teutsche Sprache resormirt und ist kein Schreiber auf Erden, der es ihm nach­ thun kann."' So bezeugt auch Burkhart Waldis in seiner Neubearbeitung des Teuerdank 1553 den Fortschritt der Sprache seit 1523: „Die teutsche Sprache — wie allen bewußt — hat sich in dreißig Jahren stattlich und wohl gebessert". Nach Luthers Korrektor Christoffel Walther hat der Reformator „unser Muttersprache sehr schön polirt und geschmückt" (1563); „auch ist in deutscher Sprache seines Gleichen nie gewesen" (1571). Und im Jahre 1564 singt ein bcm Leben und Wirken Luthers gewidmeter Hymnus: Die deutsche Sprach nach rechter Art Hat er anf's neu poliret So klar, verständlich, rein und zart, Wie deutscher Sprach gebäret.

1 Bald darnach kam Zwinge! daher gctrolt mit seiner newen Bibel, aber jr dolnietscheit klingt nicht, vnd hat weder Hcnde noch Füsse. D. Martinus bleibt wol der rechte meister, so bleiben die Schtvermer Sudeler vud Hudeler. D. Martinas ist der rechte Man, der >vvl vcrteutschen kan. Er ist ein rechter Teutscher Cicero, Er hat vns nicht allein die tvare Religion gezeigt, vnnd alle stende mit Gottes Wort gezieret. Sondern auch die Teutsche Sprache reformieret, vnd ist kein Schreiber auff Erden, der es jm nachthun kan: Alberus, Wider die Carlstader Rn 4

Was er durch Gottes Geist und Kraft Geschrieben und gelehret, Hat Mark und Kraft, es trifft und haft, Wers liefet oder höret.

Nach der Basler Otfridausgabe 1571 hat „der Mann Gottes Dr. M. L. der deutschen Züngelt erst recht geluppet, die Rhetorik rind alle Zierlichkeit daran gepflanzet und der­ maßen ausgeputzet und palirt, daß sie zu unsern Zeiten jetz­ under mit Eloquenz, Wolredenheit und Schönheit der Wort, Sentenzen und Clausuln andern Sprachen nit vil bevorgibt". Sleidait bezeugt im 16. Buch de Stat. Rel. mit gleich aner­ kennenden Worten, was Luthers Deutsch vermocht hat: „6ermanicam linguam et exornavit plurimum et locupletavit et primam in ea laudem obtinet et ea vertit e latino sermone quae verti non posse putabantur et significantissimis utitur verbis maximeque propriis et unica voce rem nonnumquam ob oculos ponit“. Und 1578 erscheint des Claius „Grammatica Germanica ex bibliis Lutheri Germanicis et aliis ejus libris collecta'1, worin des Reformators Sprache als klassische Norm, ja als eine direkte Offeitbarung des heiligelt Geistes betrachtet wird.' Ihn so bedeutsamer ist die Tatsache, daß 1595 eben diese 1 Quod videlicet praeter cognitionem rerum Sacrarum et ad salutem nostram pertinentium, quae in libris Lutheri planissime et plenissime explicantur, disci potest ex ijsdem libris etiam perfecta et absoluta linguae Germanicae cognitio, tarn indigenis quam exteris nationibus utilis et necessaria. Quam quidem ego Grammaticis regulis hoc libro complexus sum, ex Biblijs alijsque scriptis Lutheri collectis, cuius ego libros non tarn hominis, quam Spiritus Sancti per horninem locuti agnosco, et plane in hac sum sententia Spiritum Sanctum, qui per Mosern caeterosque Prophetas pure Ebraice et per Apostolos Graece locutus est, etiam bene Germanice locutum esse per electum suum organon Lutherum. Absque hoc enim esset, fieri non potuisset, ut unus homo tarn pure, tarn proprie, tarn eleganter Germanice loqueretur, sine cuiusquam ductu atque adminiculo, cum praesertim lingua nostra Germanica habita sit semper difficillima et nullis Grammaticorum regulis comprehendenda. (Neudruck b. Weidling Straßburg 1894. S. 4.)

Grammatik, die alle ihre Belege aus Schriften Luthers nimmt, im Münchener Jesuitenkollegium1 2gebraucht worden ist, obwohl darin Stellen zu finden sind wie „Ein Veste Burg ist unser Gott". Daß in der Tat auch katholische Kreise die sprachliche Bedeutung Luthers tief empfanden, beweist der Ingrimm des katholischen Grammatikers Laurentius Albertus aus Augsburg 1573 gegen die Sprache des Protestantismus. Ein östreichi­ scher Katholik bezeugt denselben Einfluß Luthers: Er walt ein güter Teutscher sein; Sein Zung ihn vielen dunkt gar fein; Auch manch Katholisch sich drauf geben, Daß sie teutsch sprächen zierlich eben?

Im Jahre 1550 erschien eine Revision der Eckschen Bibel,' Erasmus Wolf, der sie besorgte, warnte im Vorwort die Jugend und die Laien vor der zierlichen Sprache der Protestanten, vor den „glatten Honigworten von einer güldenen Zunge". Gewiß hat sich Luther keiner Selbsttäuschung hingegeben, wenn er schon im Sendbrief vom Dolnietschen stolzerfüllt von den Papisten sagt: „Das merkt man wol, daß sie aus meinem Dolmetschen und Deutsch lernen deutsch reden und schreiben und stehlen mir also meine Sprache, davon sie zuvor wenig gewußt. Es thut mir sanft, daß ich auch meine undankbare Jünger, dazu meine Feinde reden gelehrt habe". Die Sprache katholischer Schriftsteller ist ihm um so verhaßter, als sie ihn abschreiben, seine Sprache lernen und bald sein Deutsch meistern wollen. Aber „wenn ich sie hätte sollen fragen, wie man die ersten zlvei Worte Matth. 1 Liber Generationis sollte ver­ deutschen, so hätte keiner gewußt 'gack' dazu zu sagen". Das Berhalteir katholischer Übersetzer zur protestantischen Bibel ist denn auch ein schlagender Beleg für Luthers Äußerung. Hieronynrus Emser hat Lllthers neues Testament leicht über1 Pietsch 89. Germania 8, 465. Wackernagel, Kirchenlied III. 196 (sreudlicher Nachweis des Herrn Dr. E. Wülcker). 2 Bergl. Germania VIII. 462 f.

arbeitet im Sinne der katholischen Kirche/ 1527 war die erste Ausgabe erschienen, die Luther im Sendbrief vom Dolmetschen als Plagiat bezeichnen musste: „er könne seine Gedanken nicht deutsch ausdrücken, so ungeschickt, zerlottert und wüst seien seine Worte." Eine zweite Ausgabe erschien 1528 nach Emsers Tode, andere folgten; auch für Niederdeutschland wurde sie 1530 bearbeitet; und Eck legte 1537 Emsers Plagiat seiner bairischen Bearbeitung zugrunde, nachdem zuvor Johann Dietenberger Luthers Text selbst wieder einer eigenen Be­ arbeitung für Katholiken unterzogen hatte. Was stillschweigend durch ein solches Verhalten geg­ nerischer Übersetzung für Luthers Sprache anerkannt wurde, mußte jeder unbefangene Katholik zugestehen. Besonders wert­ voll ist das Urteil, das der erzkatholischc Georg von Sachsen, der erbittertste Gegner Luthers, Lucas Cranach gegenüber äußerte. Dem Herzog war Luthers Büchlein 'ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein könnten' in einem Exemplar ohne Titelblatt und ohne Nennung des Verfassers vorgelegt. Nach der Lektüre äußerte er seine volle Freude gegen den Maler: „Siehe, Lucas, Du rühmest immer deinen Mönch zu Witten­ berg, den Luther, wie er allein gut teutsch reden und gute teutsche Bücher schreiben könne. Aber Du irrest hierin sowohl als auch in andern Stücken mehr. Siehe, da habe ich auch ein Büchlein, das ist ja so gut und besser, denn es der Luther nimmermehr machen könnte." Cranach belehrte ihn, daß Luther der Verfasser des Büchleins sei; Luther habe ihm selbst ein Exemplar mit Titelblatt und Autornamen zugeschickt: er legt dasselbe dem Herzog vor, der ärgerlich und im Unmut ausrust: „Jst's doch schade, daß der heillose Mönch solch ein gutes Büchlein hat machen sollen".' 1 Prof. SRub. Hildebrand war so freundlich, mich auf dieses höchst wertvolle Zeugnis hinzuweisen, das M. B. Lindau in seinem Buche über Lucas Cranach, Leipzig 1883, S. 229 mitteilt (vgl. Cyr. Spangenbergs AdclSspiegel 1591—1594 I 131, II 58).

Ein ähnlicher Zeuge ist Georg Witzel. Dieser bedient sich in fernem „Betebüchlein beide dem Alter und der Jugend nützbar" (Leipzig 1537) nach dem Vorwort der Lutherischen Bibelübersetzung, „weil dieselbe itzt jedermann bekannt und ohne diese niemand bei unsern Laien Glauben hat". In Wahrheit bewundert Witzel die Sprache des verhaßten Re­ formators: „Es kutzelt fein, fein Deutsch, und hält den Leser" — so urteilt er 1533 über die- neue Bibelübersetzung') sie sei an sich selbst leicht und verständig, auch gut; ihr Autor sei darauf bedacht gewesen, „wie seine Arbeit den deutschen Ohren wol klinge". So sehr aber auch Luthers Sprache von den Zeitgenossen bewundert wurde — über einen Punkt Waren Freund und Feind einig, daß er das Maß des Erlaubten nicht einhielt. Die Sprache seiner Polemik war zu persönlich, sie war hart und ungestüm, schonungslos und vernichtend,- in den Schmäh­ worten und in Beleidigungen stand er hinter keinem Zeit­ genossen zurück, und in jenem Jahrhlwdert war viel gestattet, ohne daß man deswegen gerügt wurde. Die Heftigkeit und Leidenschaftlichkeit der Lutherischen Sprache hängt natürlich bis ins innerste mit seinem Charakter zusammen. Als Melauchthou 1546 zu Wittenberg am Grabe des Reformators die Summe des reichsten Lebens zog, erwähnte er die Vor­ würfe, die auch gutherzige Leute der Sprache Luthers gemacht haben, aber er sand keine andere Entschuldigung dafür, als

1 Evangelium Martini Luthers, Leipzig 1533. F iii v. Vgl. ferner Witzels „Annotationes ad sacras literas“ (Leipzig 1536) zu Genesis 24, Josua und Jeremia 4, wo es z. B. heißt: „Eitel ungewis Ding bringt der mann auö, indem ehr mehr auff wol klingend gemein deudtsch trachtet (welches die oberlendischcn Kaufleut und Metzler vil besser künden, wider ers seine tage lernet) denn auff der heiligen sprachen not"; ebenda Cap. 46: „Er deudtschts nach den» klänge. Das mich sein eben gemanet, wie einS der fein lauten stimmet, Also stimmet dieser seine dolmetschung. Wens nur lustig und frisch laut (wie itzt die weit wil), so ists alles recht".

das Gesamtbild des großen Mannes. Luther selbst hatte mit biblischen Vorbildern die Leidenschaft seiner Sprache gerecht­ fertigt: „Ich bin wol beißig gewesen und ich werde so fort­ fahren, indem ich das Beispiel Christi vor mir sehe, der seine Widersacher 'Schlangenbrut', 'Teufelskirtder' nennt. Was soll auch das Salz, ivenn es nicht scharf beißt, die Schneide am Schwert, ivenn sie nicht schneidet" (Bd. I d. Briefe ed. Joh. Aurifaber). Bon katholischer Seite lvurde dem Reforniator vorge­ worfen, daß er überhaupt „freche und ärgerliche" Worte ge­ brauche, ohne auf „die Jungfrauen und unschüldigen Herzen" Rücksicht zn nehmen. Emser freilich hatte im neuen Testament an ihnen keinen Anstoß geiioninieit; sie stehen in seinem deut­ schen Text, >vo sie bei Luther stehen. Als aber nach Emsers Tode eilte neue Ausgabe (1529) erschien, wurden sie „in züch­ tigere verändert und zu Zeiten umbschricben" (3. Anst. Blatt 211) nach der Angabe des Herausgebers,' drei, nur drei Worte sind es, die diesem anstößig tvaren: der revidierte Text hat Unkeuschheit, Bulin, unkeuschen, wo Luther Sache und Person mit ihren wahren Alanten nennt. Das tvaren also ungerechte Vortvürfe. Wenn cttvas an Luthers Stellung zur dainaligeu Sprache uns unerfreulich ist, so ist es seine Unduldsamkeit gegen die Sprache anderer. Für Zwinglis Deutsch hat er nur harte Worte) seine unverständliche Mundart gefalle dent Schweizer besser als dent Storch sein Klappern (s. unten S. 76). Die Sprache der Rottengeister und Wiedertäufer greift er im zweiten Teil seiner Schrift „wider die himelischen Propheten" an und spottet über ihre „tölpischen" Worte Ivie Entgröbung, Studierung, Verwunderung, Langweil. Auch in den Tischreden äußert er —• weniger wohl durch sprachliche als vielmehr durch sachliche Gründe geleitet — sein Mißfallen gegen Verwunderung, Langweiligkeit, gegen Bespreng­ ung, Gelassenheit, gegen Entgröbung, Willigkeit.

Darin hat unsere Sprachgeschichte der schroffen Abneigung des Reformators ebensowenig Recht gegeben, als sie seinen Widerwillen gegen Kanzleiworte wie beherzigen, behän­ digen, erschießlich, ersprießlich bestätigt hat. Mit Luthers Sprache und mit der Anerkennung seiner sprachlichen Autorität wurde das Ansehen der Kanzleien ge­ schädigt, welche für große Kreise die Sprachnorm abgaben. Luther selbst hatte der kaiserlichen und kurfürstlich sächsischen Kanzlei eine Art sprachlicher Bedeutung zuerkamlt, weitn er sie in den Tischreden als seine Vorbilder bezeichnete. Aber nur in beschränktem Umfange läßt sich dies zugeben. Die Pedanterie und Leblosigkeit, die Steifheit und Kälte des Kanzlei­ deutschen sind ihm völlig fremd, und mehrfach hat er in offener Polemik gegen die Kanzlei seine eigene sprachtheoretische Selb­ ständigkeit an den Tag gelegt. Schon Niclas von Wyle hatte die Neuerungssucht der Kanzlisten empfunden und die Stadtschreiber ermahnt, bei ihren Untergebenen die Aufnahme beliebiger Kanzleiunarten nicht zu dulden. Und nun wirft Luther in der Vorrede zum alten Testanient den Kanzlisten Sprachverderberei vor: „Sie achten es nicht deutsch zu reden und lassen sich dünken, sie haben Macht deutsche Sprache zu ändern und dichten uns täglich neue Wörter". Wenn Justus Jonas in seiner Eisleber Leichenprcdigt der Sprache des Reformators eilten Einfluß auf die Kanzleien zuschreibt, so hat er Recht: Luther bricht die Autorität der Kanzlei. Auch der katholische Bibelübersetzer Eck, der auf dem Boden der Maximilianischen Kanzlei steht, ereifert sich gegen die gemeinen Kanzler, die „lützel Aufnierkens und judicii darauf haben", nach rechter Art und Kunst deutsch zu schreiben. Aegidius Tschudi gab dann „den naswisen Kanzlern und consistorischen Schribern" die Schuld an der barbarischen Ein­ mischung von lateinischen Wörtern in deutsche Texte. Und wie Fischart das „Tintendeutsch" der Kanzlisten verhöhnt, so

sehen wir auch Schulbehörden gegen die Gespreiztheit des akten­ mäßigen Periodenbaus eifern. Eine Schulverordnung von 1575 äußert sich über die Übungsstücke der Schüler: „der Stilus soll nicht kanzleiischer Art sein, in welcher oftmals etliche Wörter wie nachdem und demnach ganz weit von einander gesetzt werden, also daß die unerfahrene Jugend im Deutschen nicht kann merken, wie eins auf das andere folgt" (Pietsch 87). Bei der ungewöhnlichen Produktion deutschsprachlicher Druckwerke mußte sich denn auch zeigen, wie sehr die Mutter­ sprache unter einer Jahrhunderte langen Vernachlässigung ver­ kümmert war. Wo die besten Köpfe der Nation dem Latein huldigten, konnte das Deutsch nicht hcranreifen, um höheren Problemen zu dienen. Überall fehlten gleichwertige Ausdrücke für Wendungen, die das Latein in einer vielleicht gar durch Cicero geweihten Formel von selbst darbot. Wie reich ist Hutten, wo er Latein schreibt! Und wie ungelenk, rote gezwungen ist sein Deutsch! Dieseit Abstattd der beibett Sprachen konnte niemand

schtvcrer empfindeit als der Übersetzer. Jetzt, wo man neue Quellen für geistige Aitregtntg im Altertum aufdeckte, roo das Verlangen nach der Erschließung dieser Quellen allgemeiil war — wärett an der Ungclenkigkeit und Ungefügigkeit unserer Sprache die edelsten Bestrebungen beinahe gescheitert. Hatte doch Erzbischof Berthold von Mainz gerade mit Rücksicht auf die Arniut der deutschen Sprache bereits 1486 Übersetzungen religiöser Schriften, besonders biblischer Texte verpönt!

„Fateri oportet, idiomatis nostri inopiam minime sufficere necesseque fore, translatores ex suis cervicibus nomina rebus fingere incognita, aut si veteribus quibusdam utantur, veritatis sensutn corrumpere, quod propter magnitudinem periculi in litteris sacris magis veremur!“ Diese Begründung ist nicht ganz unzutreffend- man würde sie in Schutz nehmen müssen, tvenn sonst aus den alt­ kirchlichen Kreisen etwas zur Förderung der deutschen Sprache Kluge, Bon tiutlicr bis Lessing. 4. Ausl.

4

und einer spezifisch nationalen Bildung geschehen wäre. Als unser großer Reformator schließlich die gewaltige Ausgabe über­

nahm, vor welcher Berthold von Mainz mit der Strafe der Exkommunikation abgeschreckt hatte, drängte sich ihm jener Eindruck von der Unzulänglichkeit der Muttersprache in noch höherem Grade auf, als den Übersetzern profaner Texte des Altertums. Je höher er von seiner Aufgabe dachte, um so störender machte sich die Härte und Roheit des Stoffes, mit dem er arbeiten mußte, immer von neuem wieder fühlbar. „Ich hab mir auch fürgenommen — so schreibt er während der Arbeit an Hartmut von Cronberg1 — die Biblia zu verteutschen. Das ist mir Not gewesen. Ich hätte sonst wol sollen in dem Jrrtumb gestorben sein, daß ich wär gelehrt ge­ wesen. Es sollten solichs Werk thnn, die sich lassen dünken gelehrt sein." Und mit fast denselben Worten begleitet er 1525 die Übersetzung der fünf Bücher Moses: „Ich meinet auch, ich wäre gelehret, und weiß mich auch gelehrter denn aller hohen Schnlen Sophisten von Gottes ©naben. Aber nn sehe ich, daß ich anch noch nicht mein angeborire dentsche

Sprach sann. Ich hab auch noch bisher kein Buch noch Brief gelesen, da rechte Art deutscher Sprach innen tväre. Es achtet auch niemand, recht deutsch zu reden, sonderlich der Herril Kanzleien und die Lumpenprediger und Puppenschreiber, die sich lassen dünken, sie haben Macht deutsche Sprach zu ändern und tichteu uns täglich neue Wörter: beherzigen, behendigen, ersprießlich, erschießlich und dergleichen. Ja, lieber Mann, es ist wol bethöret und ernarret dazu." Während der Übersetzung der Propheten klagt er (Walch XVI, 508): „Ach Gott! wie ein groß und verdrießlich Werk ist es, die hebräischen Schreiber zu zwingen deutsch reden! Wie sträuben sie sich und wollen ihre hebräische Art gar nicht verlassen 1 Ein Misstve allen den so von wegen des Wort Gottes Verfolgung

leiden, Wittenberg 1522.

Pietsch 36.

Bindseil Colloquia Latina I, 192.

und dem groben Deutschen nachfolgen, gleich als wenit eine Nachtigall, so ihr der übereinlautende Kukuksgesang ganz ent­ gegen, gleichwol softe ihre liebliche Melodei verlassen und dem Kukuk nachsingen"! Die Vorrede zum Jesaias (1528) weiß auch von der ungelenken deutschen Zunge. Und als der Eis­ leber Agricola die Andria des Terenz 1543 verdeutschte, äußerte Luther Freunden gegenüber, die deutsche Sprache sei zu schwerfällig für solche Versuche- mir das Französische sei geschmeidig genug, dem Originale nahe zu kommen. Überall ist das Latein das Hemmnis für echt deutschen Stil. Es hält alle in Fesseln, die sich der mit dem Bücherdruck aufstrebenden nationalen Literatur widmen. Niclas von Wyle steht praktisch wie theoretisch auf dem Standpunkt, daß „ain jetklich Tütsch, daß uß gütem zierlichen und wol gesatzten Latine gezogen und recht und wol getransferirt wär, ouch güt zierlich tütsche und lobeswirdig haisen und sin müßte, und nit wol verbessert werden möcht". Auch ein Sprachlehrer wie Jckelsamer redet der Nachahmung lateinischer Partizipial­ konstruktionen das Wort. Natürlich mag vielfach die Schuld auch an den Über­

setzern gelegen haben, wenn die Verdeutschung zu weit hinter dem Original bleibt. Aber man würde unrecht tun, wenn man die Fähigkeiten der damaligen Sprache so sehr über­ schätzen wollte, wie es Pirkheimer in einer Zuschrift an den Grafen Johann von Schwarzenberg (Tugendbüchlein S. 112) mit folgenden Worten tut, die imnierhin viel Richtiges ent­ halten : „Es haben Ew. Gnaden zum öftern Malen von mir gehört, daß meines Bedunkens möglich sei, alle Ding, so in einer Sprach geschrieben sein, in eine andre verständigerweise zu bringeu, unangesehen, daß ihr etliche vermeinen unmöglich zu sein das Lateinische vollkommen in das Deutsche zu ver­ wandeln. Aber nach meinem Bedunkeu kommt solcher Jrrsal aus derselben Unverstand oder daß sie dem lateinischen Buch­ staben zu genau anhängig sind, mehr ihren Fleiß auf zierliche 4*

Wort als den rechten Verstand wenden. Aus dem folget oft, daß solche Verdeutscher selbst nicht vernehmen das, so sie andern zu verstehen geben sich unterstehen, und so solches geschicht, wollen sie ihre Ungeschicklichkeit damit verdecken, als solt sich das Lateinische mit dem Deutschen gar nicht vergleichen. Aber dem ist in Wahrheit nicht also/ tut aber not einem jeglichen, der eine Sprache in eine andere verkehren will, daß er allein den Sinn unangesehen der Worte in die Sprache, die er vor ihm hat, klar, lauter und derrnaßen verändere, daß ein jeglicher derselben Sprache verständig das, so verkert ist, leichtlich ver­ stehen möge." Weit verbreiteter als diese aus nüchtern sprachphilo­ sophischem Standpunkt beruhende Anschauung sind die Klagen über die Verwahrlosung der deutschen Sprache. In seinen deutschen Sprichwörtern 1529 (Vorrede) sagt der patriotische Agricola voll Entrüstung: „Unsere Sprache achten wir Deutschen so gar für nichts, daß sie auch fast gefallen ist und niemand oder gar wenig Leut sind, die deutsch reden können. Alle Nationen haben ihre Zungen und Sprachen in Regeln gefasset, allein wir Deutschen haben solchs vergessen, das unser gering geachtet re." Zumal die aufstrebeude Ubersetzungsliteratur bestätigt, wie mühsam unsere Schriftsteller zu ringen hatten, um deir Wettkampf mit hervorragenden klassischen Werken aufnehmen zu können. Was Luther im Wetteifer mit dem Original der heiligen Schriften gelang, versuchten zahlreiche Köpfe mit den Werken des Altertums, und kaum wird einem die trübe Er­ fahrung von der Unzulänglichkeit der deutschen Sprache erspart geblieben sein. Als Leo Jud im Jahre 1521 ein Werk des berühmten Erasmus verdeutschte, entschuldigt er in der Vor­ rede seinen Literaturdialekt gegenüber der klassischen Sprache des großen Philologen: „Mines Vertütschens halb bekenn ich

wol, das ich an vil Orten die Art urd Manyr des Latins nit hab mögen erfolgen, doch wer mag das? besunder in der wol-

gezierten und geplümpten latinischen Red des hochgelerten Erasmi? dann uß gutem zierlichen Latin gut zierlich Tütsch

zu machen, was Arbeit das bruche, und wie viel deren syen, denen sölichs glücklich gerat, mag nieman urteilen, dann der sölichs versucht hat. Deßhalb ich nlich meer des gemeinen ländlichen, dann des hohen und höfischen Tütsches in miner Tranßlation geflissen hab, das niins Beduncks Wäger ist dem einfältigen Leyen (dem dise min Arbeit fürnämlich gschehen ist) iufaltiklich und kurz die Meinung zu verston geben, dann mit hoch geblümpter Red den Verstand zu verdüncklen".1 Man höre ferner z. B. die allgenieille Charakteristik unserer sprachlichen Zustände, die Valentin Boltz von Ruffach in seiner Terenzübersetzung Tübingen 1544 (Widmungsepistel 1539) entwirft: „Das ist das alt Gift und pestilenzisch Übel, daß wir Teütschen nie viel acht auf unser Müttersprach gehabt haben und wie sie gepflanzt und aufgebracht werd, die ja gleich ihr facundiam und Zier so lvol hat als andere Sprachen. Wer das erfahren tvöll, der besehe und lese den verdeutschten Josephum, Senecam, Officia Ambrosii und viel treffelicher Autores, die der hochberedt Mann teutscher Nation Doctor Caspar Hedio zü Straßburg verteutscht hat und in wunderbarlichen Wolstand teütscher Zungen bracht hat. Darab werden auch viel stolz Gelehrten murren und sagen, es seit nit löblich, daß man alle Ding also in teütsche Sprach bring- das Latein werd dadurch verachtet. Ich sage 'nein' darzü. Es ist der lateinischen Sprach ein treffelicher Rühm und hoher Preis, daß sie hohe wunderbarliche Ding hinder ihr verborgen hat gehan, llnd macht uns Teütschen, daß mir erst anfahen, unser eigeil Sprach reguliren und wolstellen". Alldre Stilnnleil bestätigen den Eindruck, den dieses Zeugnis macht. Selbet, der 1533 den Valerius Maximus verdeutschte, imb Polychorius, der 1536 eine Suetonübersetzung ■ Leo Iud, Teutsche Paraphrases Zürich 1521. Vorrede.

veröffentlichte, beklagen die Unzulänglichkeit der Muttersprache fast mit deil gleichen Worten: „Ich muß bekennen, daß ichs oft besser im Kopf, dann zu Worten hab bringen mögen, villeicht zu Zeiten durch Schwäche der teutscherr Sprach" — „Ich muß ja vor alleil Dingen bekennen, daß mir wol hierin mag widerfahren, als der Poet sagt, daß ich hätt wollen ein Hafen sormiren, aber im Lauf des Rads ein Krug daraus worden, besser im Kopf gehabt, dann ich es ins Telltsch möcht bringell!" Daneben hören wir Stimmen triumphierender Freude über das Gelingen einer Übersetzung.1 Es braucht jedenfalls nicht buchhändlerische Reklanie zll sein, wenn zuweilen Titelblätter von Übersetzungen die Worte enthalten „vormals in teutsche Sprach zu transferiren noch von niemand sollst understanden, sonderil für unmügelichen geachtet worden". Mag Pirkheimer immerhin die Fähigkeiten der deutschen Sprache überschätzen, in seinen Worten erkennen wir das Haupthemmnis jeder gesunden Entfaltung deutscher Sprachart. Luthers Sendschreibeil vom Dolmetschen gibt zuin erstell

Male klare, unzweifelhafte Grundsätze für jeden, der deutsch schreiben will, zumal für Übersetzer: „Man muß nicht die Buchstaben m der lateinischen Sprache fragen, wie nmn soll deutsch reden, sondern man mllß die Mlitter im Halise, die Kinder auf der Gassen, den gemeineil Mann auf dem Markte darum fragen und denselbigen aufs Maul sehen, wie sie reden, lind darnach dolnietschen, so verstehen sie es denil uiid merken, daß man deutsch mit ihnen redet". Unser Bibelübersetzer ist seinem Programni stets treu: er geht in die Werkstätten der Handwerker, er erfragt Kunstworte vom Goldschmied, er schaut den Spielen der Kinder zu, er ist beim Schlachten von Schafen zugegen, um die natür­ liche Sprache des Volkes für die Zwecke seines hohen Berufes ' Degen, Überfettungen der Römer, 1794.

II 414. 520. 636.

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zu lernen. Die Sprache exklusiver Kreise kann er sich nicht dienstbar machen/ er bittet während der Übersetzung des neuen Testaments seinen Freund Spalatin, passende schlichte Worte der Volkssprache (verba simplicia) für ihn zu beobachten, aber die Sprache von Höflingen und Soldaten (verba castrensia et aulica) dabei fern zu halten. Int Vorwort zu Hiob betont Luther, daß seine Übersetzung deutliche und jedermann ver­ ständliche Rede biete. Aber was von jeder Übersetzertätigkeit gilt, durfte Luther im besonderen Sinne in Anspruch nehmen, wenn er in der Schrift „voin Anbeten des Sakraments vom heiligen Leichnam" 1525 sagt: „es bedarf Glück, das; mans eben treffe, lvenns gleich aufs aller klärest und gelviffest ist, wie ich täglich erfahre in meinem verdeutschen". Wie uns das Sendschreiben voni Dolmetschen berichtet, hat er mit seinen Freunden zuweilen vierzehn Tage, drei, vier Wochen ein ein­ ziges Wort gesucht, „habens dennoch zuweilen nicht funden. Säuft einer itzt mit den Augen durch drei oder vier Blätter und stößt nicht einmal an, wird aber nicht gewahr, welche Wacken und Klötze da gelegen sind, da er itzt über hingehet wie über ein gehoflet Bret, da lvir haben müssen schwitzen und uns ängsten, ehedenn »vir solche Wacken und Klötze aus dem Wege räumeten!"

4. @d)riftfMUr und Buchdrucker. Das Latein hatte auf dem deutschen Boden eine um so festere Stellung, als es keine überall anerkannte und überall verstandene Gemeinsprache gab, die dem schriftlichen wie dem mündlichen Verkehr hätte dienen können. Konnte z. B. ein Züricher erlvarten, sein Deutsch werde in Obersachseil ver­ standen werden? Bebel, Fazetien III 104 erzählt von drei Baiern, die nach Niederdeutschland kamen, und dort nicht verstanden wurden. Überall bot sich die mittelalterliche Welt-

spräche als bequemstes und geläufigstes Bindeglied gleichsam von selbst. Als Zwingli von dem Landgrafen Philipp von Hessen ein deutsches Schreibet: in moderner Lautform erhielt, worin er zu dem Marburger Religionsgespräch aufgefordert wurde, antwortete er dein Landgrafen am 7. Mai 1529 in einem lateinischen Brief mit der ausgesprochenen Befürchtung, feilt Schweizerdeutsch würde vom Fürsten kaum verstanden werden. Und von der Reise aus bat Zwingli den Zürcher Rat, man möge ihm einen des Lateins kundigen Ratsboten nachsenden,' „ich besorge sehr, sie verstehen (in Marburg) unsere Sprache nicht". Bei dem Religionsgespräch selbst schlug dann Zwingli vor, „der sich mit seiner schweizer Mundart im Nachteil fühlen mochte", daß in lateinischer Sprache verhandelt würde.1 Ein solcher Abstand innerhalb der lebendigen Mundarten hat sich damals gewiß überall fühlbar geinacht. Und was von dem gesprochenen Deutsch gilt, trifft in noch höheren: Maße den schriftlichen Gebrauch der Muttersprache. 1511 entschuldigt ein Schriftsteller sein Deutsch mit der Be­ merkung, daß „ein Deutsch nit in allen Landen genüg und jedermann verständlich ist oder angenehm".2 Auch die Sprachlehrer sind bei der Mannigfaltigkeit unserer Mundarten völlig ratlos, tvie man ein Lehrgebäude des Deutschen aufzubauen habe. Meister Hans Fabritius, der in Erfurt 1531 ein Büchlein über gleichlautende Worte erscheinen ließ,3 ruft verzweifelt aus: „Ich weiß schier nicht, wie ich meine Schulers lehren soll der Ursachen halben, daß 1 Übrigens wurde bei dem Religionsgcspräch doch auch deutsch ver­ handelt.

Bgl. Mörikofer, Zwingli II, 225, 229, 233.

* Birlinger in Herrigs Archiv 43, 124. 3 Ein nützlich Buchlein etlicher gleichstyniender Worther, aber nngleichs Verstandes, den äugenden deutschen Schreybschülcrn zu gut niitgeteylt durch Meister Hanssen Fabritiuni, Rechenmeister und deutschen

Schreyber zu Erffurth 1531.

jetzunder, wo unser drei oder vier deutsche Schreibers zusamen koment, hat jeder einen sonderlichen Gebrauch. Walte Gott, daß es darhin fonteti möchte, daß die Kunst des Schreibens einmal lvider in ein rechten Prauch kamen möcht — es muß doch zuletzt dahin fönten". Solche Stoßseufzer, solche Wünsche mußten allerwärts laut werden,- denn nirgends konnte von einer zwingenden, allgemeingültigeit Sprachnorm die Rede sein. Diese Zustände veranschaulicht uns auch die Klage, die Luthers Korrektor Christoffel Walther*1 über die orthographische Ver­ wirrung voit damals ausstößt: „Wenn hundert Briefe und gleich mehr mit einerlei Wörter geschrieben Wörden, so wörde doch keiner mit dem Buchstaben übereinstimmen, daß einer mit Buchstabett geschrieben wörde wie der attder. Derhalb ist die Sprache auch so unverständlich, dunkel und verworren, ja gattz verdrießlich und unlustig zu lesen. Und sonderlich föntet sie den fremden undeutscheu Leuten sehr schwer und sauer an zu verstehen itttb unmüglich recht zu erlernen." Und in der Tat, was im Jnlande unangenehni empfunden wurde, mußte den Ausländern besonders lästig sein. Jede Mundart nannte sich deutsch. Sollten nun fremde Kaufleute, fremde Gelehrte, frenide Gesandte niederdeutsch oder alemannisch, bairisch oder mitteldeutsch lernen? Die Romanen, die besonders mit den oberrheinischen Landschaften Verkehr hatten, konnten sich mit der alemannischen Mundart sonst nirgends verständ­ lich machen. Ein französischer Gelehrter, Carolus Bovillus (De Bouelles) Samarobrinus, hat im Jahr 15332 einen Besuch geschildert, den er dem Abt Trithemius gemacht hat. Der deutsche Gelehrte äußerte feilten Wunsch und sein Pro­ gramm, das Deutsche dem Lateinischen ganz ebenbürtig zu

1 Bericht von Unterscheid der Biblien nnd anderer des Ehnvirdigen und seligen Herrn Dr. M. Lutheri Bücher. Wittenberg 1563.

1 Liber de differentia vulgarium linguarum et Galilei sermonis varietate etc. Paris 1533. Cap. 50.

machen und unfern Schriftstellern ein brauchbares Werkzeug zu schaffen. Und der Franzose verwies auf die großen Dialekt­ unterschiede in Deutschland, die jede Einigung unmöglich machten- und wer wolle entscheiden, was richtig sei: „dag oder Tag, wattre oder Wasser, wite Win oder wisse Win, brot oder brott?" Der Franzose hatte so Unrecht nicht. Es gab keine Mundart, die sich eines verbreiteten Ansehens erfreute. Nur der Name 'deutsch' galt überall, imb in dem Namen 'hoch­ deutsch' waren damals bereits die Hoffnungen und Wünsche aus­ gesprochen, die erst nach und nach in Erfüllung gehen sollten. Friedrich Zarncke verdanken wir ben Nachweis der ältesten Belege für den Namen hochdeutsch- er findet ihn zuerst 1493 in dem „Briefformulari des hochdeutschen Stilums", um 1510 in einer zn Straßburg gedruckten Schrift Geilers und 1519 in der zu Rostock erschienenen niederdeutschen Übersetzung von Sebastian Brants Narrenschiff. Somit dürste das Wort etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts ausgekommen sein. Scholl 1481 treffen wir in einer schweizerischen Schrift „ein Bürdliil der Zit" (Fasciculus temporum) 'Hochdütschland' als Gegensatz zu 'Niederdütschland'. Und so ist hochdeutsch zunächst bloß als Gegensatz zu niederdeutsch aufgekommen unb besagt genau dasselbe wie „obcrländisch" neben „niederländisch". Freilich hochdeutsch oder oberländisch war ein Wort, unter dem ganz verschiedene Muildarten verstanden lverdeil sonnten. Schweizer, Elsässer, Schwaben, Baiern, Thüringer, Obersachsen, Schlesier — alle bezeichnen ihre Mundarten als hochdentsch, jeder die seinige als unser hochdeutsch. Wer kein Mißverständnis zulassen will, macht einen beschränkenden Zusatz- so spricht man von fränkischem Hochdeutsch.1

1 Hochdeutsch und Oberländisch begegnen als Synonyma in Geilers Irrig Schaf Aa VI (hab ich unverstanden das in oberlendisch oder hoch­ deutsch zu bringen). Diesen Nachweis danke ich der Freundschaft des Herrn Dr. M. Spirgatis, der mich auch auf eine merkwürdige Benennung

Dabei hören wir nur selten von einer Sprache der Ge­ bildeten, welche sich von der Mundart entfernt. So war nach Trithemius der große Reuchlin in lingua vernacula politiori wohl bewandert. Der Tübinger Philologe Altenstaig kannte auch ein feineres Deutsch, war darill aber nicht sollderlich geschickt. Irr einer 1522 erschienenen Auflage seines lateinischdeutschen Schulwörterbuchs entschuldigt er als geborener Schwabe seine schwäbische Mundart: 8i. teutonicum addidi quod tibi lectori vel praeceptori non placuerit — melius adjungito et secundum tuam linguam addito et adolescentibus interpretato. Nec propter doctos adjunxi, sed propter adhuc rüdes. Ego enim vernaculam admovi ut a puero didici, non rhetoricum vel Oratorium ut habent et scribunt cancellarii et scribae principum — quod multo minus didici quam latine loqui. * 1 Bon Wien im besondern berichtet uns ein so gediegener Beobachter wie Lazius, daß der Stadtdialekt durch schwäbische Einflüsse sich verfeinere, während der ländliche Dialekt sich ver­ schlechtere. Denselben Gegensatz von städtischer inib ländlicher Aussprache macht auch Avelltill für das Donautal. Und wenn auch die Grammatiker Wolf 1558 und Olinger 1574 die Ausder neuen Reichssprache aufmerksam machte - in einem Psalterium latinum cum apparatu vulgari (Straßburg, Joh. Knobloch 1508) schließt das Register mit der Bemerkung, der Psalm sei „mit geheimischen Teutsch

neben dem Latein von Wort zu Wort nach den Buchstaben ausgelegt". 1 Ob diese Bemerkungen des Trithemius (Frehers Ausgabe der opp. histor. I, 171, wie Herr Prof. Hartfelder Nlich unterrichtet) mld Alten­ staig sich ans die Aussprache beziehen, muß dahtll gestellt bleiben. Reuchlins Vokalismus bewahrte die alten i ü ü üe und kannte die altbairischen ai (mhd. ei) ulld au (mhd. ä). Über Altenstaigs Wörterbuch vgl. Blaufus

Perm. Beitr. 1756 II, 201; die in Frage kommende Ausgabe des Bocabularius habe ich trotz verschiedener Bemühungen llicht auftreiben können. Wie Altenstaig, gesteht auch Wimpheling „hoflichs und verblüemten Dütschens mlgeübt" zu sein (vgl. Hartfelder, Deutsche Übersetzungen klassischer

Schriftsteller, Heidelberg 1884, S. 33).

spräche der Gebildeten von dem unverfälschten Dialekt, wie er auf dem Lande herrscht, richtig sondern, so kann darüber kein Zweifel bestehen, daß in Oberdeutschland unabhängig von der Reformation, wie auch bereits vor der Reformation die Ge­ bildeten das Ideal einer von der heimischen Mundart ver­ schiedenen Kultursprache kannten.' Aber dieses Ideal war zweifellos überall in Oberdeutschland verschieden. Nirgends erkennt man das Deutsch anderer Landschaften als gleichberechtigt mt; was an ihm fremd ist, hält man für aus­ ländisch. So gelten die zu Basel unbekannten Worte Luthers als ausländische dem Basler Drucker Adam Petri, der einem Abdruck der Übersetzung des neuen Testaments ein kleines Wort­

register beifügte. Ja man spottete auch gern über die Sprache einer andern Landschaft. Einer schweizerischen Bibel sagt man nach, sie gebe die Psalmenstelle „du salbest mein Haupt mit Öl" durch die Worte wieder: „du schmierest mitt Grind mit Schmeer". Und in einer niederdeutschen Bibelübersetzung sollen die Worte „und seine Jünger klabasterten ihm nach" gestanden haben. Eine andere plattdeutsche Übersetzung pflegt man in niederhessischen Gegenden mit der komischen Wendung „Ut düsser deipen kaulen krajoele ek tau deck" (de profundis clamavi ad te, Psalm 130) zu verspotten. * Solche ungehörige Scherze, durch die der Volks­ witz Nachbarmundarteu höhnte, waren in jener Zeit sprachlicher Gährung mir zu natürlich. Luther ist über Zwinglis Deutsch entrüstet und persifliert Karlstadts Aussprache. Eniser verur­ teilt den Gebrauch von Otter an Stelle von Natter bei

Luther. Der deutsche Ausdruck der Prophetenübersetzung, welche Hätzer und Denkh in Worms herausgegeben haben, ist für Luther „dunkel" (forte natura illius regionis), und genau so urteilt ' Über Aventin, Wolf und Clinger s. Burdach, Die Einigung der

nhd. Schriftsprache S. 13. 14. 22. • Bilmar, Idiotikon von Kurhessen S. 222.

er 1525 über das Deutsch in einem Katechismus der böhmischen Brüder. Vor allem war die Sprache der Schwaben in Verrufüberall galten sie als crassilingues, als duriloqui. Ihr Vo­ kalismus fand in andern Landschaften nur Spott iinb Hohn. Auch in der Syntax hatten sie Eigentümlichkeiten, für die man z. B. aus dem linken Rheinufer keine Sympathie hegte. Im Beginn des 16. Jahrhunderts waren im Elsaß zahlreiche schwäbische Geistliche tätig, deren Sprache teils mißfiel, teils arich nachgeäfft wurde, bis Wimpheling 1503 durch eine öffent­ liche Anklage eine literarische Fehde gegen die schwäbische Mund­ art einleitete. Wimpheling war ungehalten, von den Kanzeln ans dem Munde schwäbischer Geistlicher Wendungen zu hören wie der Herre was sprechen, er was gon, er was wan­ delen für der Herr sprach, ging, wandelte. Ein Freund Wimphelings kleidete die Wünsche und Forderungen der gebil­ deten Elsässer in die Worte: Advena Sueve, solo cupiens hic vivere nostro. Alsatici dulcis captus amore meri, quaeso tua nostram noli corrumpere terram lingua. sed patrio desine more loqui!

In Tübingen herrscht Mißstimmung gegen Wimphelingauch in Freiburg fiiibet er einen Gegner. Bis 1506 dauert der Federkriegs ans dem wir lernen, daß das deutsche Sprach­ gefühl zu erstarken beginnt, indem gebildete Humanisten wie Bebel und Wimpheling an den großen Fragen teilnehmend 1 Auch auf die Aussprache bezog sich der Spott über das Schwä­ bische. Ich verweise auf die bekannte reformatorische Flugschrift 'Ein schöner Dialogus. Cnnz und der Fritz, die brauchen wenig Witz' (A ii), worin der Tübinger Professor Lemp verspottet wird mit den Worten: „Lebt er noch, der alte Sophist mit den Wirtenbergischen Vokalen au, ai, ei, ao, aw?" Im übrigen s. Alemannia 12, 14. — Über das Schwäbeln auf elsässischem Sprachgebiet vgl. Paulis Schimpf und Ernst: „Überkumt

einer ein Amt, so redet er nicht mer sine Sprach, er hebt an Swäbisch

Bei diesen Gegensätzen zwischen den verschiedenen Mund­ arten ist die Aufgabe schwer, welche den Buchdruckern zufällt. Sie wollen über einen möglichst großen Teil Deutschlands wirken, obwohl es an einer gemeindeutschen Literatursprache fehlt. Sollen sie ihre Ortsmundart für die Drucke verwenden? und wie haben sie sich etwa zu der Sprache ihrer Autoren zu verhalten, um sich gegründete Hoffnung zu machen in Meißen, am Rheinstrom und im Oberland' Absatz zu finden? So viel ist sicher, daß auf die orthographische, überhaupt auf die sprachliche Gewandung der Druckschriften im 16. Jahr­ hundert nicht die gleiche Sorgfalt verwandt worden ist wie heute. Schon die große Hast, mit welcher man im Sturm und Drang der reformatorischen Zeiten schrieb und druckte, ließ zum Glätten und Feilen der Forni keine ausreichende Muße, so lange ein ausschließlich sachliches Interesse obwaltete. „Ich hab vor Unmüß das Büchlein nit mögen wider lesen; lüg jeder allweg eigenlich nff den Sinn" — solche Worte der Entschuldigung für sprachliche Versehen, wie sie Zwingli am Schluß seiner Schrift „von dem Predigamt" und sonst mehrfach vorbringt, kennzeichnen das Verhalten der Verfasser zu der rein sprach­ lichen Form ihrer Werke. So sind häufig Autoren nm die korrekte Wiedergabe ihrer Schriften wenig bemüht.* Es kann daher nicht befremden, daß auch den Druckern die äußere Form der Publikationen gleich­ gültig wirb. Vielleicht noch eilfertiger als die Autoren, die häufig vom Druckort entfernt leben, und auf schleunige Aus­ gabe der stets Gewinn versprechenden deutschen Bücher hin-

1 Sigism. Feyerabend, Wahrhaftiger Gegenbericht auf das ungegründt Verschreien u. s. w., Frankfurt am Main 1570: „Es zweifelt uns keineswegs, man werde uns in Meißen sowohl als am Rheinstram und im Oberland verstehen" (D i 6). * Caspar Hedio (vgl. oben S. 53) hat die Orthographie in seiner JosephuSnbersetzung 1531 völlig dem Drucker anheim gegeben.

arbeitend, machen sie sich nicht selten die Nachlässigkeit zu Nutz, mit welcher die Schriftsteller die Sprachforin ihrer Arbeiten be­ handeln. Aber auch gewissenhafteren Autoren wie den Witten­ bergern konnte durch die Drucker übel mitgespielt werden. So klagte Melanchthon einmal: „Ich konnt diese mein Auslegung für den Buchdruckern ilicht übersehen um des willen, daß fie's ehr an beit Tag zu geben eileten, denn ich's ividerumb zu über­ lesen möcht. Eben das Glück haben auch andere etliche meiner Auslegung gehabt, ivelche ausgegangen sind erstlich ganz roh und nnzeitig, zum andern nicht ganz und darzu an vielen Ortern von den Druckern also gefälscht, daß ich ihr selb nicht

erkennen mag?" Ähnlich entschuldigte Hieronymus Emser 1525 am Schluß seiner Annotationes die kleineren Druckversehen: „Es ist im Winter bei dem Liechte, so die Stuben warm und die Drucker faul und schläfrig sein, bald was übersehen". Und Eck hat bei der Ausgabe seiner Bibel ähnlich geklagt. Prof. A. Birlinger hat zwei andere lehrreiche Äußerungen beigebracht, in denen sich Autoren wegen der regellosen Ortho­ graphie ihrer Werke entschuldigen. Da beklagt sich gegen 1511 der Übersetzer einer Biographie des heiligen Franciscus von Assisi, daß Schreiber und Drucker getrübt und verbittert hätten, was aus feinem Brunnen lauter und süß geflossen sei? Und noch am Schluß des 16. Jahrhunderts jammert ein gewisser Hoffmeister darüber, daß an der regellosen Orthographie seines Werkes „anch etwas an dem Setzer in der Truckerei gelegeu, der nach seiner Art Sprach unterweilen handelt,- ich sag fleisch, ein anderer spricht flaisch — er gaist, da ich sag geist". Mit diesen letzten Worten ist eine Praxis gekennzeichnet, welche im 16. Jahrhundert allerorten im Schwange war. Wie

' Die Sprüche Salomo aus Ebrnischer Sprach. 1 Herrigs Archiv 43, 124.

Erfurt 1525.

häufig sind Schriften des Reformators in Oberdeutschland nach­ gedruckt! Es würde einen großen Raum kosten, die sprach­ lichen Abweichungen solcher Nachdrllcke von den Originaldrucken darzustellen. Da zeigen die Augsburgischen und Nürnbergischen Nachdrucke durchgängig z. B. das von Luther nicht gebrauchte ai (waiß, ain, wainen u.s.w.), das dem bairischen Schrift­ deutsch entspricht. Basler und Zürcher Nachdrucke haben die schweizerischen i ü und ü (schriben, Hüs, Lüte). Und nicht selten fanden solche landschaftliche Nachdrucke eine weite Ver­

breitung, die unserm Reformator gewiß nicht willkommen war. Denn zweifelsohne dürfen wir Luthers Stimmung in den fol­ genden Worten seines Korrektors erkennen: „Es sind die Nachdrucker nicht gesättiget, daß sie ihre nachgedruckte Bücher bei ihren Landsleuten, da solche Gewohnheit ihrer Sprache ist, ließen bleiben und bei ihnen verkauften, sondern führen sie in ander Länder, da Lutheri Sprache lieb und wert gehalten ist, ihre Gewohnheit aber zu reden seltsam, lächerlich und unver­ ständlich". Um so begreiflicher ist daher die freudige Stimmung der Wittenberger, als 1535 Luthers Bibel durch Wendel Rihel in Straßburg einen Nachdruck erfuhr, der sich bis ans die Rechtschreibung genau an Luther anschließen wollte,' dieser habe nänllich den Preis in teutscher Wolredung und Dolmetschung und werde ihn bei den Nachkommen haben,' brimt habe sich der Verleger und Drucker beflissen, Luthers besunder Wörter und Orthographei, so mehr auf Sächsisch denn ans „unser" Hochteutsch gebräuchlich, überall zu belassen,' denn „die Übung wird solchs auch wol verständig und gepreuchlicher machen, denen so zur heiligen Schrift Anmüt haben". Trotz allen redlichen Bemühens hat aber auch dieser Drucker zahlreiche ü, von denen Luthers Original ganz frei ist, in den Abdruck gebracht. Gerade mit Rücksicht auf das Verhalten der Drucker hat Luther gegen den Nachdruck seines neuen Testaments protestiert: „Dies Testament soll des Luthers deutsch Testament sein." Er besteht auf seiner Sprache, und nach seinem Tode tritt sein

Korrektor Christoffel Walther1 für dieselbe ans. Hatten Nach­ drucke glitschen, scharpf, anderer für Luthers gleiten, scharf, zweiter — Walther verwirft die Rücksicht auf andre Mundarten und verlangt, daß Luthers Sprache und Arbeit in seinen Büchern „ungeärrdert, ungetadelt und ungemeistert" bleibe, gleichviel ob in andern Landschaften andere Normen „zu reden, schreiben und drucken" herrschen. Für das Verhalten der Druckereien, die des Autors Sprache zurückdrängen und der eigenen lokalen Mundart folgen, sei hier als besonders lehrreicher und interessanter Beleg das erste Sendschreiben Zivinglis an die Eßlinger vom Jahre 1526 erwähnt. Der Abdruck desselben in der Gesamtausgabe der Schriften des schweizerischen Reformators ist für sprachliche Zwecke unzulänglich, weil die Herausgeber Zwinglis Sprache, die im Originaldruck gänzlich verwischt ist, hergestellt haben. Dieser ist völlig unabhängig von Zwingli, dessen Sprachweise so sehr verdunkelt war, daß Zweifel auftauchcn konnten, ob denn wirklich Zwingli das Schriftchen verfaßt habe. Ein zweites Send­ schreiben an die Eßlinger gab Zwingli? Gelegenheit, seine Ver­ fasserschaft anzuerkennen: „Als ich in vergangenem Julio einen Sendbrief übcrschickt imb der iin Druck ausgangen, habent etlich — als ich vernim — öffentlich dörffen sagen, ich habe ihn nie gesehen, den ich aber mit der Hand wie auch jetz diesen geschriben hab. Darumb ich üwer Lieb widerum zü Versichren gereizt wird, daß die Epistel zü üch von mir tonten ist. Ich hab sy getruckt verleset: und erkenn sy mitt fein. Wol ist mitt Sprach in üwer verwandlet, dann ft) och in üwer Ardt getruckt ist. * Christ. Walther, Bericht von Uitterscheid der Biblien und anderer des ehrwirdigen und seligen Herren Dr. M. Luther! Bücher, Wittenberg 1563 B ii b. — Antwort aus Sigism. Feyerabends u. f. w. Angeben, Wittenberg 1571 B i. • Ain christenliche fast nützliche und tröstliche Epistel Ulrich Zwinglis an die frommen Ersamen Gläubigen zü Eßlingen rc. 1526. Der andere Scndbrief Huldrich Zivinglis an die Christen zü Eßlingen rc. 1527. Kluge, Son Luther bi« Lessing.

4. Must.

5

Es verfahrend auch etwan die Trucker eintweders mit Versomnus oder mit Unverstand, doch ist hierin nichts versumpt, das den Sinn übel verändere." Abgesehen von der allgemeinen Klage über die Drucker hat der vorliegende Fall für uns einen ganz besonderen Wert. Die Sprache der Originalniederschrift ist beim Druck in die lokale Mundart übertragen- zweifelsohne ist Eßlingen selbst der nicht genannte Drilckort. Wir dürfen freilich keine strenge Übertragung in die Eßlinger Mundart erwarten. Im bunten Wechsel zeigt der Druck von 1526 schweizerische und schwäbische Lauterscheinungen- Kilche und Kirche, staan und steen, gän und gen, wüssen und wissen, üch und euch wechseln mit einander- die schwäbisch-bairischen ai (kain, ain, hailig, Gaist) überwiegen- einige schweizerische i laufen unter (glich, syn). Von A iii b an überwiegt das schwäbische gen, sten, das schwäbische er fellt über die anfangs vorherrschenden schweizerischen gon, ston, er fallt. Zwinglis Sprache schimmert überall durch- wir treffen sein Hütbitag 'heute', zemen 'zusammen'- daneben das schwäbisch-bairische versönen für das schweizerische versüenen. Das Verfahren, welches das erste Sendschreiben Zwinglis an die Eßlinger verrät, wurde gewiß allerwärts geübt- seinem zweiten Sendschreiben z. B. wird gerade so mitgespielt worden sein- wenigstens zeigt der mir vorliegende Druck ähnliche Mischungen. Wir könnten hier z. B. auch an Klagen Osianderö erinnern'. Aber kaum wieder treffen wir eine so authentische Darlegung des Verfahrens, die sich mit der sprachlichen Form der Überlieferung deckte, wie im ersten Sendschreiben Zwinglis an die Eßlinger. So hatte die Zersplitterung Deutschlands in zahlreiche Mundarten eine Gefahr heraufbeschworen, die nicht gering anzu-

1523.

1 Osiander, Ein Sendbrief an ein christlich Gemain. Nürnberg Unterricht an ein sterbenden Menschen, Nürnberg 1538.

schlagen ist. Die Stimmung der Zeitgenossen war geteilt. Neben den Klagerusen über die sprachliche Zerrissenheit Deutschlands vernehmen wir Stimmen, die in Luthers Sprache den Ansang und die Grundlage einer gemeindeutschen Schriftsprache erkennen. Aber überall sehen wir freudig erregte Stimmung, daß eine göttliche Schickung rins die Segnungen des Bücherdrucks in einer Zeit beschert hat, wo die Not am höchsten war.

5. Schriftsprache und Mundart in der Schweiz. Die Schweiz gehört im allgemeinen zu den nicht diphthongierenden Landschaften, wie sie überhaupt sprachlich am konservativsten geblieben ist. Die Wenigen Diphthonge in offner Silbe oder im Hiat wie in frei, drei, bauen, treu, welche in nordwestlichen Landschaften der Schweiz Regel sind, vertreten das Schweizerdeutsch weniger als die i, ü und ü in byssen, lyden, schryben, Hus, Fust, Hut, hüt, Fründ, Hüser u. s. w., die dem ganzen Gebiete' zukommen.

Die älteren Druckwerke der Schweiz stellen in diesen wie in allen übrigen Punkteil den konservativen Sprachcharakter der heimischen Mundart dar. Der Kenner des Althochdeutschen findet in Zwinglischen Drucken häufiger uralte Formell wie die Ordnungszahlen zwenzigost, dryßgost, viertzigost, wie die gesteigerten Eigenschaftswörter einvaltigost, unschuldigost, Partizipia wie verwilligot, entledigot, verwildot als gleichzeitig auf schwäbisch-bairischem Gebiet. Und dasselbe gilt in noch viel höherem Maße von y-Abstraktbildungen wie Mengy, Wüesty, Schnelly, Gähy, Lämy, Müedy, * Die Angaben dieses Kapitels über schweiz. Kanzleien beruhen auf Durchnmsterung des Züricher Staatsarchivs, dessen Schätze mir der Staatsarchivar Prof. P. Schweizer 1886 erschlotz. Bgl. dazu Metzger, Gesch. d. deutsch. Bibelübers. der schweiz.-reforni. Kirche 1876.

Ghorsamy, Lieby, Nüwy, Dünkly, Höhy, Lugy, Urstendy, Müy, Burdy, Gegny, Hüly, Grundvesty, Kilchhöry, Predgy mit den alten Pluralen auf «innen; so begegnen auch der Mundart gemäß Diminutiva auf y (Stucky, Ätty, Heiny), und Lehnformen wie Bilgery 'Pilgrim', Kemy 'Kamin', Müly 'Mühle', Küssy 'Kissen'; ähnliches gilt von dem i der Konjunktive wurdy, läbty, fähy u. s.w. Bezüglich des Bokalismus der Tonsilben ist uo ü üe ü herrschend; ü ü wird streng von u ü geschieden; güt, büch, Rüm —Büechlin, rüemen, versüenen — über, Schüssel. Es begegnen umlautslose Formen wie Ruggen 'Rücken', Brüggen 'Brücken', buggen 'biegen', Kuche-Kuchy 'Küche', Stuck-Stucky 'Stück', Guldin 'Gulden', Burdy 'Bürde', Lugy 'Lüge'; aber Houpt, glouben gegen Luthers Heupt, gleuben, auch zeme 'zusammen', tüff 'tief', rüeffen 'rufen'. Auch in Lautformen wie zwüschen, wüssen, ent« wüschen, schwümmen, geschrüwen und Schwöster, Wällen, frömbd, tröschen, sowie Wäschen'waschen', Täsch 'Tasche' sehen wir Übereinstimmung der alten Drucke mit der heutigen Mundart. Der schweizerische Konsonantismus wird besonders mit Zügen der Lautverschiebung in den mundartlichen Schriften widergespiegelt: liggen 'liegen', leg gen 'legen', vertilckenvertilggen Luther 'vertilgen', Rappen 'Raben', Tracke Luther 'Drache', Ratten 'Unkraut'; beachte auch Mackel, toben 'töten', Ard 'Art', vermechlen 'vermählen' (aber Gemahel), Zechner 'Zehner', zechnen obliqu. 'zehen', Büchlen 'Hügel' Plur. zu Bühel, unsürsächne 'unvorhergesehene' (Plur. zu unfürsähen). Dagegen zeigen die alten welich, sölich nicht jene uralten Nebenformen bei Zwingli, welche wir bei Notker und noch heute in der Mundart treffen. Alte Affrikaten pf, tz (ck — kx) begegnen in Weitzen, büetzen, grüetzen, schleitzen, Geitze 'Pflugsterz', entblötzen 'ent­ blößen', seipfen 'einseifen', Seipfe 'Seife', erstarcheu

'erstarken',

werchen

'wirken',

Märchen

'Grenzen', Hirz

'Hirsch',' hierher gehört auch röucken (röukxen) 'räuchern'. Außerdem sind anerkannte Eigenarten der Schweiz wie Kilche

sehr zahlreich. Ich beschränke mich hier auf diese lautlichen Dialekt­ kriterien, obwohl eine Fülle von flexivischen, lexikalischen und syntaktischen Tatsachen zu Gebote stehen, um zu erweisen, daß die ältere gedruckte Literatur der Schweiz — unsere Bei­ spiele stammen nur aus Schriften Zwinglis — sich mit der heimischen Volkssprache deckt. 9htr in einem, allerdings einem höchst bedeutsamen Punkt iveichen diese mundartlichen Drucke vont Dialekt merkwürdigerweise ab. Wir vermissen grade das hervorstechendste Merkmal, wodurch wir das Hochale­ mannische seit dem 8. Jahrhundert gekennzeichnet finden, die anlautendcn eh gegenüber dem gemeinhochdeutschen k (vgl. hochalem. xind-Chind gegenüber Kind). Es ist ganz un­ zweifelhaft, daß im Zeitalter der schweizerischen Reformation chind, chalt, chumen n. s. w. gesprochen wurde, gerade wie in der althochdeutschen Zeit und auch noch heute. Zudem beweist uus Geßners ausdrückliches Zeugnis im Mithridates, daß chranck, chrut, chechsilber, chilch, chrie für krank, Kraut, Quecksilber, Kirche, mhd. kröne auch damals der schweizerischen Volksmundart zukam. Aber Zwingli und seine Landsleute schreiben im Anlaut stets bloßes k (Kind, krank, Krut) mit Ausnahme des einzigen chütt 'Herde', das nicht sowohl dem ahd. chutti, als vielmehr einem eigentlichen Gehütt entspricht. Geßners Bemerkungen, die auf diese Gutturale sich beziehen, sind nicht durchweg klar ausgcdrückt, lassen aber in bezug aus einen Punkt gar keinen Zweifel übrig: „Vulgus

nostrum saepe eh profert, ubi alii plerique omnes k ab initio praesertim dictionum ut chranck pro kranck, chrut pro krut; scribendo tarnen ut et alia quaedam linguae nostrae vitia emendamus, ut in omnibus linguis sieri seiet". Geßner be­ zeugt also, daß die schweizerische Literatursprache in diesem

Punkte und sonst über der Volksmundart stehe, indem sie gewisse Härten derselben meide. Diese Tatsache läßt keinen Zweifel zu. Es ist uns hier gleichgültig, wann sich dieser graphische Anschluß der Schweiz an das übrige Deutschland vollzogen hat. Mit dem Beginn der Buchdruckerkunst kennen wir auf schweizerischem Gebiet nur anlautendes k. Geßner hat nach seinen eben angeführten Worten noch weitere Erscheinungen gekannt, in denen sich die graphischen Lautsymbole von der mundartlichen Aussprache entfernten. Vielleicht schwebte ihm dabei wesentlich die oberdeutsche Aus­ sprache der an- und inlautenden st sp sk vor, wofür ge­ meinoberdeutsch schon längst st sk sp (seht schk schp) ge­ sprochen wurde. Auch die bairische Kanzlei hat hierin der Volksmundart nicht Rechnung getragen,' der Bruch mit der graphischen Tradition des Mittelalters ist hier nirgends voll­ zogen worden. So schreibt Zwingli ston, springen, Geist,

Gast, während er wie seine Landsleute ston, springen, Geist, Gast u.s.w. aussprach. In derartigen Dingen er­ kennen wir die ersten Züge, ivelche einen sprachlichen und literarischen Anschluß der oberrheinischen Lande an die sonst auf deutschem Boden herrschenden Normen zunächst rein graphisch anbahnen. In einem Punkte war freilich der Anschluß der Schweiz an die aufkommende moderne Sprache, die wir mit dem Namen 'neuhochdeutsch' bezeichnen, zunächst kaum schon möglich. Wäh­ rend die Sprache des innern Deutschlands mit den neuen Diphthongierungen ein ganz neues Gepräge erhalten hatte, war die Volksmundart am Oberrhein auf der mittelhochdeutschen Vokalstufe stehen geblieben. Erfolgte in diesem Punkte An­ schluß an das übrige Deutschland, so war unsere Sprachein­ heit endgültig gesichert. Der Versuch ist gemacht worden. Auf dem gleicheir Boden, bei den selben Schriftstellern und in den selben Druckereien treffen wir eine Sprachform, ivelche mehr an unser heutiges Deutsch erinnert; an Stelle der

mundartlichen i ü ü gebrauchen sie die modernen ei au eu wie wir jetzt. Da lesen wir Zeit (schweiz. Zit), Kraut (schweiz. xrüt), Haus (schweiz. Hüs), Leute (schweiz. Lüt), Heuser (schweiz. Hüser). Drucke mit dieser modernen Lautgebung treffen wir, unter dem Einfluß der maximilianifchen Kanzlei, schon vor der Reformation, in Straßbllrger und Basler Drucken. In Straßburg beginnt diese Neuermlg ettva 1485 uni) ergreift seit 1490 auch Basler Druckereien. —

In diesem gemeinen Deutsch erschien 1485 in Straßburg die zehnte vollständige deutsche Bibel, 1488 ein Plenarium, 1507 ein deutsch-lateinischer Psalter. Die tvahrscheinlich älteste deutsche Leichenrede im Elsaß, gehalten 1475, gedruckt zu Anfang des 16. Jahrhunderts, ist ebenfalls int gemeinen Deutsch verfaßt. In Basel ist der Äsop von Heinrich Steinhövel um 1490 bei Lienhart Dssenhuot der früheste sichere gemeiitdeutsche Druck. In der gleichen Sprache erschieit 1514, 1516 und 1518 das Plenarium oder Evangelybuch.^ Hier­ mit wäre der literarische Anschluß der schweizerischen Schrift­ steller an die allgemeine hochdeutsche Schreibart eitdgültig angebahnt gewesen, und die schweizerische Schriftsprache, die sich auszubilden begann, war im Begriff, einem Gemeindeutsch Platz zu machen. Zivar laufen überall vereinzelte Dialekt­ formen wie uff oder us für auf, atls oder ouch, Ouge, Zit, üch usw. unter. Aber im wesentlicheit ist die moderne Diph­ thongierung hier durchgeführt. Damit ist nun keineswegs das Schweizerdetltsch unter den Einfluß der Lutherischen Schriften * Im wörtlichen Anschluß an Socin, Schriftsprache S. 182 und 184 nach Stöbers Alsatia 1858 S. 275 ff. Vgl. auch Raumer, Ztschr. f. d. Ma. 6, 40 nach Stockmeuer und Reber, Beiträge zur Basler Buchdruckergeschichte (Basel 1840) S. 144 ff. — Über Freiburg i. B. bergt, die Diss. v. O. Haffner „Anfänge der nhd. Schriftsprache in Freiburg i. B." (Freiburg 1904), wonach der Buchdruck das gemeine Deutsch um 1520 ent­ schieden bevorzugt, während in den Kanzleien die neue Lautreihe zwischen 1500 und 1550 langsam durchdringt.

zu stellen. Denn der Bokalismus dieser schweizerischen Schrift­ sprache folgt überhaupt in keinem Punkte der spezifisch meiß­ nischen Lautregel. Unzweifelhaft ergibt sich dies besonders aus den beibe­ haltenen ü, wo Luther ü hat: Büch, schüf, güt. Die Bafter Nachdrucke des Lutherschen neuen Testaments, die Adam Petri seit 1522 veranstalten ließ, zeigen wie die darauf beruhenden Straßblirgischen Nachdrllcke der Offizin Knobloch (1524) an Stelle des mitteldeutschen ü, obzwar nicht durchgängig, das oberdelttsche ü. In diesem Punkte wie in der graphischen Einführung der modernen Diphthongierungen stimmt die helvetische Schrift­ sprache der Reformationszeit zur bairischen Kanzlei. Auch entscheidet sich die Schweiz für das neue au gegen ein­ heimisches ou, das gelegentlich auch in Texten begegnet, welche in der schweizerischen Schriftsprache abgefaßt sind: auch, glaube«, kaufen, Baum usw. herrschen bei Zwingli wie sonst, obwohl allerorten gelegentlich ouch, Glouben usw. einfließt. Deutlicher auf bairisch-schwäbischen Einfluß weisen zahlreiche Schweizerdrucke, die das alte ei durch ai ersetzen, abweichend von der dort wie in Mitteldeutschland herrschenden Gewohnheit/ denn immerhin zieht die Mehrzahl der Drucke das ei vor und meidet ai völlig. Durch solche graphische Momente — die gesprochene Sprache blieb dem alten Lautcharakter auch fernerhin treu — versuchen die Verleger — denn diese werden wir dafür ver­ antwortlich zu machen haben — einen Anschluß nach außen, ein Zugeständnis an das Gemeindeutsch, um auch im Reich Aufnahme ihrer Verlagsschriften zu erzielen. Einen schlagenden Beweis für das Aufkommen dieses Sprachtypus liefert Zwinglis Schrift „von Erkiesen und Fryheit der Spysen re." Sie liegt in mehreren Auflagen vor, von denen freilich nur die erste Zürich als Druckort nennt. Ein Exemplar, auf das mich vor Jahren Rud. Hildebrand

freundlichst hingewiesen hat, ist die zweite Redaktion/ sie bietet aus einander folgend die Seitenüberschriften von freyheit der speisen, von fryheit der speisen, von freyheit der spysen, von fryheit der spysen, von freyheit der spysen, von fryheit der speisen, von freyheit der speisen, von freyheit der spysen, von freyheit der speisen, von freyheit der spysen usw. Ein zweifellos späterer Druck, der aber höchstens um ein paar Jahre jünger ist, hat in den Seitenüberschriften Freiheit und Speise regelnlästig mit Diphthongen. Daneben weist der Züricher Urdruck nur die rein schweizerischen Formen (von fryheit der spysen) auf. Jene zweite Redaktion neigt ihrerseits wiederum in weit größerem Umfang zur Mundart als die dritte, die mit einigem Erfolg bemüht ist, für die mundart­ lichen Wortformen des ersten Druckes (üch, Trüw, Hüser, Zyt, by, rych, litt)«, fry, nß, uff, Buch) leidlich richtige Schristformen einzuführen,' so wird ouch durch auch, Kemy durch St «1111)11 ersetzt. Aber auch die dritte Ausgabe ist in bezug aus den Bokalismus nicht streng, allerorten schimmert der Dialekt durch. Und das gleiche gilt von allen Drucken schweizerischer Autoren, welche in dieser modernen Lautgestaltung erschienen sind. Überall nehmen wir wahr, dast der Druck hinter dem Ideal einer Schriftsprache zurückbleibt. Überall schweizerdcutscher Wortschatz, Stammbildung, Flexion — nur das Vokalgepräge ist dem Gemeindeutschen genähert. Ob Druckereien oder Schriftsteller den Publikationen diese Gewandung gegeben haben, läßt sich kaum immer feststellen. Zwingli, von dessen Schriften mehrere mit diesen Lautformen erschienen sind, konnte selbst nur seinen Dialekt schreiben, kein Hochdeutsch, wie cs etwa in Mitteldeutschland üblich war. Und so wird es allen Schweizern ergangen sein. Eingewan­ derte wie Stumpf hatten zweifellos Gewandtheit im Hoch­ deutschen wie int Schweizerdeutschen / und wenn dieser sein Geschichtswerk auch mit neuhochdeutschem VokaliSmus schreibt,

so werden unsere späteren chronologischen Darlegungen ergeben, daß sein Verhalten auf die Schweizer mit einziger Ausnahme des Historikers Badian zunächst keinen Eindruck gemacht hat. So war die Schriftsprache, welche auf schwäbisch-bairischem und mitteldeutschem Boden, also in den diphthongierenden Land­ schaften ihre natürlichen Wurzeln hatte, in der Schweiz etwas Fremdartiges, Unorganisches. Die Mundart war hier zu­ gleich Literaturdialekt. Dieser Literaturdialekt war in Basel, sofern nicht in die Drucke der ersten Jahrzehnte des 16. Jahr­ hunderts das gemeine Deutsch hineinragt, bis um 1550 herrschend. Die Kosmographie Seb. Münsters, der allerdings kein Basler war, ist in vollständig durchgebildctem Gemeindeutsch verfaßt. Holzwarths „Saul" 1571 ist wesentlich schriftsprachlich. Aber erst das „Heldenbuch deutscher Nation" von dem Basler Pro­ fessor H. Pantaleon 1577 und Christian Wurstisens „Bassler Chronik" vertreten die damals in ganz Oberdeutschland übliche Schriftsprache.' Später als in Basel vollzieht sich der Umschwung in Zürich- der Literaturdialekt. hält sich hier bis etwa 1580 un­ eingeschränkt im Volksschauspiel und in anderen Literatur­ werken. Freilich in allen Drucken, die für die Masse bestimmt sind, bleiben die alten 5 u ü ü sogar noch länger vorherrschendwährend des ganzen 17. Jahrhunderts gehen aus Züricher und Berner Druckereien Katechismen hervor, welche schweizerdeutschen Vokalismus zeigen. Daneben kommen zwar auch hochdeutsche Katechismen vor, finden aber wenig Anklang, wie sich z. B. die Klettgauer Geistlichkeit 1569 gegen das meiß­ nische Deutsch einer neuen Katechismus-Redaktion sträubt? 1 Vgl. Geßler, Schriftsprache in Basel 1888. * Vgl. Emst Götzinger, Litteratnrbeitr. aus St. Gallen, S. 50. Zahlreiche andere Ermittelungen des hochverdienten Gelehrten, die teilweise im Text benutzt worden sind, s. in der wertvollen Einleitung seiner Hebel­ ausgabe 1873. Ein weiteres Zeugnis vgl. in seiner Badianauögabe II, Einleitung S. 85.

Auffällig früh ist allerdings der moderne Vokalismus in den Züricher Bibeldrucken heimisch, seit 1530 sind die alten schweizerischen Vokale aus den schweizerischen Bibeln völlig verdrängt. Für Basel ist dies wenig befremdlich, weil seine Druckereien auch sonst sich früh der neuen Nornr gefügt hatten, desto mehr jedoch für Zürich, das im übrigen noch ein halbes Jahrhundert dem alten Lautsystenr treu bleibt. Friedrich Zarucke hat Narrenschiff S. 275 annähernd das Richtige getroffen, wenn er mit 1575 den Wendepunkt für Züricher Literaturwerke ansetzt. Zwar zeigen Ludwig Lavaters Werke (1578 von Gespänsten und Unghüren, 1584 Nabal) noch länger den Schweizervokalismus,' doch auch er huldigt 1582 in feiner Hiobübersetzung der neuen Mode, ob­ wohl ihm seine „Landspraach geheinier (vertrauter) ist dann die ausländisch,' drumb ich mich derselben lieber gebrauchen". Nach Lavaters Tode erschien seine Schrift 'der Eid' 1592 in hochdeutscher Vokalform. Auch Heinrich Bullinger hält am schweizerischen Lautsystem fest (1575 Bekanntnus des wahren Glaubens, 1576 Summa christlicher Religion, 1578 Verfolgung, 1579 der christlich Ehestand),' aber nach seinem Tode erscheinen Schriften von ihm in hochdeutscher Redaktion. Rudolf Gwalther hat bis etwa 1575 am schweizerischen Vokalsystem festgehalten/ zwischen 1575—1585 dringt der moderne Vokalismus auch in seine Schriften ein, und 1593 erklärt er die Genesis hochdeutsch. So zäh war das Leben der Mundart. Man würde obendrein fehl gehen, wenn man die scheinbar moderne Sprache, die seit 1590 in Züricher Drucken überwiegt, für gutes Neu­ hochdeutsch halten wollte. Nur ganz äußerlich hatte sich die Mundart der modernen Norm angeschlossen. Wortschatz und Wortgebrauch, Stannnbildung und Syntax behalten noch die alte Eigenart) nur die äußere Gewandung ist modern. Solche Tatsachen muß man stets gegenwärtig haben, wenn man nicht in den Fehler Heinrich Rückerts * verfallen • Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache II S. 186 ff.

will, der gerade Zwingli partikularistische Bestrebungen und Jsoliernngsgelüste unterschiebt. Wie Luther, so schrieb Zwingli eine vom Dialekt sich entfernende Schriftsprache. Was für diesen das Schweizerdeutsch, das war für jenen das Meißnische. Dadurch, daß Luther auf dem Boden organischer Diphthon­ gierung lebte, war ihnl ein breiterer Wirkungskreis und Erfolg bestimmt. Aber noch fehlte seiner Sprache die Sanktion, welche ihr erst etwa nach einem Menschenalter zuteil wurde. Und was hätte die Schweiz bestinimen sollen, sich den Normen der kaiserlichen Kanzlei anzuschließen, nachdem sie sich politisch eben erst vom Reich losgelöst hatte! Das konnte ja allerdings niemand zweifelhaft sein, daß die Schweiz ein großes Hemmnis in den sprachlichen Einheits­ bestrebungen der Zeit war. Ein wenig schneller schloß Nieder­ deutschland sich der fremden Nornl an. Kein Grammatiker des niederdeutschen Sprachgebiets setzt die Mundart seiner Landschaft als Norm für Schriftdeutsch. Aber wie früh war auch der sprachliche Anschluß Niederdeutschlands an Mittel­ deutschland angebahnt worden! Wenn hier eine ruhige Ent­ wicklung von der Mundart zur niodernen Schriftsprache führt, so kann mein in der Schweiz keine gewaltsame Revolution erwarten, die mit Luthers Auftreten den Dialekt beseitigt und die fremde Mundart zur Schriftsprache macht. Und um so

weniger ist eine solche sprachliche Revolution zu erwarten, als eben auf allen deutschen Gebieten, auch in der Schweiz,erst das Latein als der gemeinsame Feind überwunden tverden mußte. Zunächst mußte diese Fehde entschieden sein, ehe die sprachliche Vorherrschaft einer einzelnen Landschaft in Frage kommen konnte. Soviel war allerdings ohne weiteres unzweifelhaft, daß sich die Schweiz in einen Kampf um die sprachliche Führer­ schaft überhaupt nicht einlassen konnte. * Vgl. oben S. 7. u. 20. über Occolampadius und über den ge­ strafften Schwitzer Baur.

Der gewaltige Abstand des gedruckten Schweizerdeutsch von der Sprache der diphthongierenden Landschaften, zumal von dem mit der ^Reformation emporblühenden Meißnischen, wird überall empfindlich fühlbar geworden fein; gerade die Verwandtschaft der geistigen Bestrebungen, die Luther und Ztvingli vertraten, hätte unter anderen Verhältnissen religiös wie sprachlich vielleicht den unheilvollen Zwiespalt unmöglich gemacht, der durch das Verharren ganzer Landschaften bei der Kirche des Mittelalters geschaffen ist. In dieser gewaltigen Zeit, wo alles auf weite Wirkungen und rasch um sich greifende Erfolge zielte, konnte nichts hemmender fein, als der ausge­ prägte Dialekt, dem wegen feiner Laute und Flexionen, vor allein aber wegen seines mannigfaltigen und eigenartigen Wortschatzes jede weiter reichende Wirkung versagt fein mußte. „Einer möcht schwitzen, ehe ers verstehet" — sagt Luther von Zwinglis Deutsch und bezeichnet es — wohl von einer anderen als rein sprachlichen Abneigung geleitet — als „silzicht, feindselig". Diese Anklage richtet sich nicht sowohl gegen die schiveizerischc Vokalgewandung von Zwinglis Schriften, als viel­ mehr gegen feinen Wortschatz. Das schlimmste war: es gab keinen gemeinschweizerischcn Wortschatz, nicht einmal der Züricher und Basler Wortschatz deckten sich. Man vergleiche z.B. die Züricher Bibclansgabe von 1530 mit dein Basler Glossar Adam Petris, das S. 94 besprochen wird. Mit diesenr stimmt kaum etwas in der Züricher Bibel: Märchen Luther Grenzen, feist Luther fett, Wundmasen Luther Beule, Tag Luther

Frist, losen Luther horchen, verschweinen Luther ver­ schmachten haben in dem Glossar des Basier N. T. andere Vertreter. Auch kann es lticht weiter befremden, daß das ttnzulängliche Basler Glossar in den meisten Fällen zu der Züricher Bibel überhaupt keine gleichstehende Glosse hat; so zu Luth. Feste Zürich. Underschlacht, Luth. Butter Zürich. Ancke, Luth. Schwegerin Zürich. Gschwei — Brüders Frau, Luth. Antlitz, Zürich. Angesicht (vgl. Mezger 424).

Wer hätte auch in Meißen von „Gott und Göttinnen" geredet, die bei der Taufe zugegen sein müssen! Ja man traute den Schweizer Bibelübersetzern bezw. ihrer Mundart böswillig zu, die Psalmenstelle „du salbest mein Haupt mit £)l" sei von ihnen wiedergegeben „Du schmierest mitt Grind mit Schmeer" (Mezger 72).1 Wer die Eigenart der schweizerischen Mundart kennt und den gewaltigen Abstand ermißt, der sie von der Sprache der übrigen niaßgebenden Landschaften scheidet, den wird es nicht wundern, daß Zwingli treu an der heimischen Mundart fest­ hielt oder, wie Luther sich einmal äußert, daß sie ihm „vil baß gefiel als dem Storke sein Klappern"? Das Verhalten der folgenden Generationen gibt dem Züricher Reforntator Recht. Auch wenn guter Wille dem Geiste der Zeit nachzu­ geben bereit gewesen wäre — der sprachliche Charakter von experimentierenden Drucken wie der oben besprochenen zweiten Redaktion „von Fryheit der Spysett" und zahlreicher ähnlicher Drucke, einerlei ob solche Versuche dem Setzer oder dem Autor anzurechnen sind, war zu zwitterhaft und zu wenig ermutigend, gleich anstößig für Deutsche wie für Schweizer. Vielleicht daß Zwingli und andere Schriftsteller gerade durch den Miß­ erfolg solcher Versuche bestimmt wurdet«, an der heimischen Mundart festzuhalten und mit Rücksicht auf das übrige deutsche Publikum das Lateinschreiben vorzuziehen. Unt 1585 werden in der Baster Kanzlei/ um 1600 in

* Aus der Schrift „von dem To uff" (Zürich bei Hager S. ii) „jctz fragt man Gott uitb die Göttinnen" (Patin und Paten). * Grimms DWB. unter Heißelwort. — Den Nachweis dieser Stelle danke ich Reinhold Köhler. * Nach den Rechtsquellen von Basel Stadt und Land I **, 465; II 94 sind ein Verbot von 1600 wegen des Bezugs der Windfälle und eine Erkenntnis von 1601 wegen Einreihens alter Häuser die letzten Zeugnisie für die altalemannische Amtssprache- vgl. Socin, Schriftsprache S. 248. Gehler, Schriftsprache in Basel 1888 S. 61 führt vom Jahre

der Kanzlei von Schaffhausen die modernen Diphthonge herrschend. In der Luzerner Kanzlei beginnen die neuen Lautreihen um 1596—1620? Die Züricher Ratsprotokolle vollziehen langsam zwischen 1650 und 1675 denselben Über­ gang- in Bern beginnt der Prozeß früher als in Zürich, ohne jedoch früher zum Abschluß zu kommen. Die gedruckten Ver­ ordnungen des Züricher Rats haben im September 1664 unser schriftsprachliches Lautgepräge angenommen. Bis 1620 liefern die Züricher Druckereien für den Schulunterricht Katechismen mit schweizerdeutschem Lautcharakter- in St. Gallen druckt man noch 1598 den alten Katechismus von 1528 Buchstabe um Buchstabe nach. Und noch am Schluß des Jahrhlmderts gibt cs in der Schweiz Schulausgaben antiker Klassiker mit Noten, welche schwierige Stellen oder Worte in Schweizerdeutsch übersetzen, wie die Birgilausgabe des bekannten Lexikographen Frisius. Dieses langsanie Zurückweichen der Mundart macht uns auch das Verhalten der Sprachtheoretiker begreiflich. Noch am Schluß des 16. Jahrhunderts erwähnen Grammatiker aus dem Inneren Deutschlands das Bestehen einer schweizerischen Schriftsprache. 1593 bezeichnet der Freiburger Schulmeister Sebastian Helber dieselbe als die „höchstrheinische"? So verstehen wir auch die auffällige Tatsache, daß ein hervorragender Theoretiker wie der Verfasser des Mithridates für seine Heimat nur das echte Schweizerdeutsch mit einigen idealisierten Zügen kennt und jenes Zwitterding zwischen Schweizerdeutsch und Hochdeutsch völlig übergeht- hätte dieses Zwitterdeutsch einigen Raum eingenommen oder irgendwelche 1603 (Rcchtsquellen II S. 95) eine schriftsprachliche Verordnung an, die noch sehr viele Formen der Mundart einmischt: ebenda weitere Ausführungen über Basler Kanzleisprache. * Über Luzern vgl. Brandstetter, die Rezeption der nhd. Schrift­

sprache in Stadt und Landschaft Luzern (Einsiedeln 1891). * Vgl. Burdach, Einigung der nhd. Schriftsprache S. 19.

Hoffnungen erweckt, so wäre es Geßner am wenigsten ent­ gangen^ mit Recht läßt ihn das Verhalten eines Ausländers wie Stumpf in seiner Auffassung der schweizerischen Sprach­ verhältnisse ungestört. Für ihn gibt es nur dyn, schryben, by, wyt, hüt, Fründschaft usw. mit ihrem rein schweizer­ ischen i und ü statt nhd. ei und eu. 1530 erschien die älteste deutsche Grammatik der Schweiz, ein „Enchiridion, das ist Handbüchlin tütscher Orthography" von Joh. Kolroß. Sein Schweizerdeutsch ist ihm die einzige Norm, obwohl ihm der Vokalismus anderer Landschasten, zu­ mal der schwäbische, nicht unbekannt ist1 Erst nach dem Anschluß einzelner Kanzleien und der Schriftsteller an die moderne Lautgebung (um 1585) tritt ein Grammatiker auf, der in bewußtem Gegensatz zu der heimischeil Mundart die Schriftsprache mit ihrem heutigen Lautcharakter darstellt rmd zur Norm erhebt. Überall sehen wir in der „teutschen Orthographey" des Baster Notaren und Gerichts­ schreibers Joh. Rud. Sattler (1607) den Kampf gegen das Schweizerdeutsch,- er warnt davor, sehen, leihen, anfahen, schlahen usw. mit ch zu schreiben, und erklärt es für Fehler, mein, sein, preisen, reiben usw., Faust, Haus, Haut, Maul, trauern usw. mit einfachem i und u zu schreiben oder Bein und Biene, Speiß und Spieß, Brauch und Bruch, Beutel und Büttel zu verwechseln) man möge ihn nicht voreilig tadeln, daß er solche Regeln über ei und i, au und u gebe) mit Rücksicht auf seine Landsleute, „die int Reden

1 Eine 1640 verfaßte deutsche Grammatik, die der Schwptzer Land­ schreiber Balthasar Stapfer zu Nutz und Frommen der Jugend verfaßte,

scheint nicht gedruckt worden zu sein- vgl. Anz. f. schweiz. Gesch. II 80. Auch von Theod. Biblianders deutschsprachlichen Studien (De ratione communi omnium linguarum Zürich 1548 S. 19) ist nichts erschienen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß Stapfer und Bibliander den schweizer­ deutschen Sprachtypus dargestellt haben.

und Schreiben gar viel das i für ei und u für au brauchen", seien seine Regeln aufgesetzt. In Zürich dagegen, in dessen Kanzlei mehr als ein halbes Jahrhundert später der Anschluß an die moderne Lautgebung durchgesührt wird, treffen wir noch 1656, also 50 Jahre nach dem Basier Sattler, mehr als 100 Jahre nach Kolroß, einen Grammatiker, der sein Schweizerdeutsch als Norm darstellt. H. Jak. Redinger, aus dessen Sprachbüchlein Prof. Jak. Baechtold in Zürich1 unser Augenmerk gerichtet hat, war als Mensch und als Sprachtheoretiker keine norinale Erscheinung, vielmehr ein Sonderling im Lebeil wie in seiner Orthographie. Sprach­ wissenschaftliche Erwägungen, zumal etymologische Kombinatio­ nen, die zum großen Teil das Richtige treffen, bestimmen ihn, den schweizerdeutscheir Vokalisinus für altertümlicher als den gemeindeutschen zu halten, und aus dieser Erwägung schöpft er den Mut, die ntobeme Bewegung, die sich gerade damals in Zürich vollzieht, von seinem „heldfeterischen" Standpunkt aus zu beleuchten. In der Tat, der innere Anschluß der Züricher literarischen Kreise an die moderne Lautform vollzog sich erst um diese Zeit. 1655—1661 wurden zwischen dem Züricher Rat und denr Züricher Professor Joh. Heinr. Hottinger einerseits und denr Kurfürsten Karl Lrrdwig von der Pfalz andererseits Briefe gewechselt, wobei der Züricher Rat schweizerdeutsch, Hottinger hochdeutsch schrieb. Als im Jahre 1660 der Züricher Rat eine revidierte Bibelausgabe anregte und vielfach die Frage verhandelt wrrrde, ob die Bibel retentis vocabulis, sed mutata tantum dialecto zu bearbeiten sei, ward von einigen Seiten ein enger Anschluß an das Hochdeutsche empfohlen,' doch fehlte es auch nicht an Stimmen, die wieder für die schweizerische Mundart eintraten. Der Schaffhauser Gymnasialdirektor Stephan Spleiß befür1 Die Verdienste der Züricher um die deutsche Philologie S. 7. Kluge, Bon Luther bis Lessing.

4. Aufl.

6

wortete in einem sprachlich ausführlichen Gutachten möglichst engen Anschluß an das modernste Deutsch unter Hinweis darauf, daß auch in Zürich „die hochteutsche Spraach je mer und mer schon bekannt und auch von unstudirten und ungeraisten leichtlich verstandeu werde." (Züricher Bibelrevisionsakten 427). Dem gegenüber gibt ein anderes Gutachten (489) sich mit Rücksicht auf die Landbevölkerung der Hoffnung hin, man werde „bei einer unserem Landvolk bekannten und annehmlichetl Phraseologey verbleiben und keine demselben unbekannte Wörter­ einmischen,' sonsten bedunkt, daß man an etlichen Orten wol umb etwas näher könnte schreiten ad idioma unserer teutschen Sprach". Diese Äußerungen der beiden Gutachten schließen sich nicht aus. Immerhin haben die höheren Gesellschaftsklassen der Städte bereits Fühlung mit der modernen Schriftsprache gehabt, während die Landbevölkerung und die ungeschulten Stadtbeivohner nichts als ihr Schweizerdeutsch kannten. In diesen! Sinne verstehen wir auch die Verordnung des Berner Rats für die Geistlichen vom Jahre 1671', „man solle sich beim Predigen eines ungewöhnlichen neuen Deutsch enthalten, als welches den Verständigen nur ärgere und das gemeine Volk in ihrenl Christentum nicht unterweisen thue". Das blieb für die Schweiz noch lange berechtigt, nachdem bereits die gebildeten Kreise, zumal die Schriftsteller und Gelehrten, das Ideal der gemeindeutschen Schriftsprache anerkannt hatten. Und die Bibelausgabe von 1667 zeigt, in welchem Umfang man damals diesem Ideal nachstrebte. Es handelte sich, wie eine Vergleichung mit den Bibel­ ausgaben von 1530 lehrt, hier nicht mehr um die einfache Einführung der inodernen Lautsornien — diese waren nahezu

1 Behaghel, die d. Spr. S. 37; Tholuck, Gesch. d. kirchl. Lebens l, 280 (nach einer Mitteilung des Herrn Kollegen Ludw. Hirzel in Bern hat Tholuck seine Quelle nicht richtig angegeben).

ein Jahrhundert früher angenommen —, sondern um einen mehr oder weniger engen Anschluß an Formengebung und Wortschatz im Deutschen. Das Gleiche gilt fortan von Neu­ bearbeitungen älterer Druckwerke. So war 1578 zu Zürich Ludw. Lavaters Schrift von Gespänsten, Unghüren, Fälen und anderen wunderbaren Dingen' u.s.w. erschienen in echtem Schweizerdeutsch, und 1670 erschien eine Neubearbeitung, die

nicht etwa retentis vocabulis, sed mutata tantum dialecto sich gibt, sondern große lautliche, flexivische, syntaktische und lexikalische Änderungen vornimmt. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, den endgültigen An­ schluß der Schlveiz an die deutsche Schriftsprache bis zu den letzten Regungen und Lebensäußerungen der Mundart zu ver­ folgen. Zunächst kam es bloß darauf an, zu zeigen, wie trotz des verhängnisvollen Risses, den der lautmechanische Prozeß der modernen Diphthongierungen in Deutschland schuf, die allniähliche Aufnahine von Lautformen oder Lautzeichen fremder Mundarten einer sprachlicherr Sonderstellung der Schweiz ent­ gegenarbeitete und den Begriff einer gemeindeutschen Schrift­ sprache förderte.

6. Ober- und mitteldeutscher Wortschatz. Zahlreiche Abweichungen im Wortgebrauch haben uns bei der Darlegung der landschaftlichen Schriftsprachen beschäftigt. Die Wichtigkeit des Gegenstandes erheischt hier einen Rückblick über jene mannigfaltigen Züge, welche für den Charakter der

Sprache im 16. Jahrhundert so wesentlich sind. Was wir nur mühsam durch vielseitige Beobachtung er­ mitteln können, hat sich den Zeitgenossen sehr deutlich auf­ gedrängt. Freilich bestehen die großen landschaftlichen Ab1 Eines der letzten Literaturwerke in Schweizerdeutsch.

weichungen im Wortgebrauch noch heute. Aber unter der Herrschaft der Literatursprache sind die Gegensätze weniger fühlbar, als in den reformatorischen Zeiten, wo der Wortschatz fast immer für die Heimat der Schriftsteller Zeugnis ablegen kann. Noch hellte bestehen die altehrwürdigen Ätti, Ahni, Eidam in ihren alten Gebieten. Aber damals durfte auch der Schriftsteller sich ihrer bedienen. Noch heute kennen die Mundarten Oberdeutschlands das Zeitwort fühlen nicht und sprechen nach uralter Weise von empfinden oder spüren. Aber während der gebildete Oberdeutsche heute auch das Zeit­ wort fühlen kennt, war damals jedem zunächst ttitr der Wort­ schatz seiner landschaftlichen Mundart geläufig. Diese Gegensätze mußten sich den beobachtenden Gram­ matikern mit der Zunahme der literarischen Prodllktion seit der Erfindung der Buchdruckerkunst immer energischer auf­ drängen. Auch unsern Schriftstellern machte sich damals überall der Mangel eines genieindeutschen Wortschatzes be­ merklich,' er hemmte die erlvünschte Wirkung über möglichst große Gebiete. „Absynthium zu Lateiil wird zu Freiburg genannt Wermuot, zu Frankfurt Wygenkraut, zu Trier Alsen" — so äußert ein Beobachter.' Wegen Otter (für Natter) greift Emser unsern Bibelübcrsetzer an. Das säch­ sische Wort der Katholiken tirnien ’consecrare’ wird mehrfach behandelt. Das westfälische 9tlitt ‘eunuchus* zieht Luthers Aufmerksamkeit auf sich. Infolge des großen Verkehrs, den die reformatorischen Bewegungen anregten, durch Religionsgespräche, durch die Be­ rufung von hochdeutschen Predigern in niederdeutsche Lande und von niederdeutschen Predigern in hochdeutsche Lande er­ hielten häufig derartige Wortprobleme eine gewisse Bedeutung. Bei der Züricher Disputation 1523 entstand z. B. eine längere 1 Der Frauen Rosengarten 1528: Birlinger in Herrigs Archiv 43, 123.

sprachliche Debatte zwischen Zwingli und seinem Anhänge einerseits imb dem Constanzer Vikar Schmid andererseits über das Wort Magd, das Zwingli in einer gedruckten Predigt von der Mutter des Heilands gebraucht hatte, wo der Con­ stanzer Jungfrau erivartete.1 Außer solchen Zeugnissen aus dem 16. Jahrhundert liefern uns alle Sprachdenkntäler jener Zeit den Belveis für die Tatsache, daß es einen gemeindeutschen Wortschatz damals nicht gegeben hat. Wer mit den Hülfsmitteln der Sprachlvissenschaft ausgerüstet den Unterschied der Schriftsteller im Wortschatz feststellt, dem lvird sich vor allem der große Abstand

der oberdeutschen Materialien von den mitteldeutschen auf­ drängen. So groß auch die lautlichen Abweichungen sein mögen, welche die oberdeutschen Mundarten von einander trennen — hinsichtlich des Wortschatzes zeigen sie feste Übereinstimmung den fränkisch-mitteldeutschen gegenüber. Andererseits stimmen die mitteldeutschen und niederdeutschen Lande — von der Pfalz bis nach Schlesien, vom Main bis zur Nord- und Ostsee — so häufig zusammen, daß wir fast von einem fränkisch­ sächsischen Wortschatz reden können, der eher in England als in Oberdeutschland Parallelen hat. Bei diesen großen Unterschieden der Mundarten in den Wortmaterialicn haben wir länger zu verweilen,' wir müsse« sie an einem hervorragenden Beispiel veranschaulichen, 1 Das Gyrenrupfen, Zürich bei Froschauer, Fb: „Dir gebrist, daß du nit eidgenössische Sprach kaust. Im Schwytzerland heißet ein Jung­ frau ein 'Tienstmagd', aber ein Tochter oder Maget heißet ein 'un­ versehrte Meid'. Dergstalt hat Zivingli geredt, der ist ein Schwitzer und prediget in ihren Landen uitd hat die Predige in ihren banden geschrieben.

Bi itcf) heißt ein Magt einen Dienst- die nennend wir ein Jnngfrouen. Ein Magt heißt by uns ein reine unbefleckte, die nennend ihr ein Jung­ fronen". — Bei dem Reiigivnsgespräch zu Lindau 1575 begegnet die Frage, ob Kinder machen oder Kinder bringen richtig sei,- zugunsten der ersten Wendung werden die anwesenden Straßburger Theologen als Zeugen angcrufen- die zweite Wendung war lindauisch.

um Tatsachen reden zu lassen. Welche Sprachverwirrung Luther — der Mittelpunkt für alle Beobachtungen — vor­ gefunden und neben sich herrschen gesehen hat, dafür mögen

oberdeutsche Bibelübersetzungen als Beweise dienen. Sie sind um so bedeutsamer, weil sie den Einfluß von Luthers Sprache zu hemmen, ja zll vernichten imstande gewesen wären, wenn der Kulturprozeß dieser tatenreichen Zeit in der Persönlichkeit Luthers nicht einen Geisteshelden von un­ widerstehlicher Gewalt geschaffen hätte. Sie vertreten also für uns eine wichtige Sprachart, der inan nach der Be­ deutung der Maximilianischen Kanzlei eine große Zukunft hätte Voraussagen sollen. Auch hier ist die Ingolstädter Bibel, die tioii Luther und Emser ausgeht, von ganz besonderer Wichtigkeit,' durch absichtliche Sprachänderungen, die durch die Mundart der Donaulande bedingt sind, hat Eck sie nach den Angaben seiner Vorrede von der mitteldeutschen Bibel entfernt. Daneben verweisen wir auf die Züricher Bibel von 1530, die auch viel­ fach von Luther abhängig ist. Eine Mittelstellung nimmt die Sprache der Wormser Prophetenübersetzung von Hätzer und Denkh 1527 ein, die für Luther wie für die Züricher Theo­ loge» nicht ohne Bedeutung gewesen ist.' Eine Bergleichung

dieser Bibeltexte liefert uns zahlreiche Belege, die uns zeigen können, wie starke Gegner den Wortmaterialien Luthers int Wege stauben. Wenn »vir hier den Versuch einer Wortkoukordanz in bescheidenem Umfange »vagen, dürfen wir in Aitbetracht der Schwierigkeit eines solchen Unternehmens »vohl besonders die Nachsicht des Lesers erbitten,' nur veranschauliche»» »vollen

1 Die Abhängigkeit Luthers von den Wormser Propheten kenn­ zeichnet Witzel in den Annotationes zn Ezechiel Kap. 23: „er ändert hie und do ein iDörtlein, als wenn einer traben für lauffen, odder Deschen für Wetscher spreche".

wir unsere obigen Darlegungen- niemand wird hier ein ver­ gleichendes Wörterbuch jener Bibeltexte erwartend Eck.

Luther.

Worms. Proph. Juchart

Zür. Bibel. Jauchert.

Acker Lands

Juchart

alber

einfältig, unschul­ dig

Antlitz

Angesicht

Angesicht

Angsicht.

bang

trang, angst, be­ trübt

bekümmert

angst, bekümmert,

beben

bidmen (er-)

bidmen (er-)

bidmen (er-),

bersten

brechen

Blachfeld

Flachfeld, ebenes Feld

Flachfeld, flaches Feld

Blitze Plur.

Blihger

Blitzgen

Plitzgen.

Blüte

Blüme

Blüst

Blüst.

brausen

schallen, sausen

rauschen

rauschen.

Buben (böse)

teuflisch Mann, Kinder Belials

Kinder Belials,

bunt

gespräckelt, ge­ : gespreckelt sprengt, von vie­ ler Färb, ge­ scheckt, geschecklet, tüpflet (tupflot) u. s. w.

gespräckelt,geringlet, geteilet, von mancherlei Färb.

Eckel

Greuel, Grauen, Abscheu

einträchtig

ainerlei Sinns, mit ainhelligem Munde, ainmütigklich

Erdbeben

Erdbidem

Erdenkloß

Laim der Erden

ernten

schneiden

schneiden

ernden.

erretten

erlösen, erledigen

erretten

erretten (erlösen),

fett

faiszt

fett, feist

feist.

unweis.

brechen.

Unlust

Flachfeld.

Unwillen, Grelle!, Unlust,Verdruß,

einerlei Sinns.

Erdbidem

Erdbidem.

Erdenklotz,

1 Weitere Ausführungen zu obigell Wortlisten bei Lindmepr, der Wortschatz in Luthers, Ecks imb Emsers Übersetzung des N. T. und bei Byland, der Wortschatz des Zürcher A. T. voll 1525 und 1531 verglichen mit dem Wortschatz Luthers.

Worms. Proph.

Eck.

Luther. Flamme die

Flamm der

Flasche

Läget

Flamm der

Zur. Bibel. Flamm der.

ein Fläschen oder Lägel.

Mucker:

Fliegen Plur.

Mucken

freien

zur Ehe nehmen, heiraten

fülen

empfinden, grei­ fen, wissen

Mrrcken.

zu Ehe nehmen. verstehen

Verston.

Gedächtnis das

Gedächtnus die

Gedächtnüs die

Gedachtnus die.

Gefäß

Geschirr

Geschirr

Geschirr,

gehorchen

hören, sein

gehorchen, folgen, gehorsamen, hören

gehorsam sein, lo­ sen, hören.

gehorsam

Gesang das.

Gesang der

Gesang das

Gesetz

Gsatz, Gesatz

Gsaht

Gsatz.

Gewalt die

Gewalt der

Gewalt der

Gwalt der.

Grentze

Grenihe, Gegend, Landmarck

Grentz

Land march.

Grundvest

Pfulmet, Fundament

Halle

(Gwalt)

(Gewalt)

Grundvest, Fun­ Pfinlmend, Pfimdament niet. Vorschopf,Kapelle Vorschupf (Bor- Borschopf, schöpf) warten, verziehell

warten, Ber trauer: haben,

harren

warten

Hascher: (er-)

ergreifen, hatten

Heuchler

Gleißner

Gleißner

Gleißner.

Heupt

Haupt

Haupt, Kopf

Heuschreck

der Hellschreck

der Heuschreck

Haupt. Höuwstöfsel.

Hügel (Emser Hubel)

Bühet

Bühel

Bühel.

Kahn

^rächen

Kasten

Arch

Kasten

Arch.

Kelter

Kelter-

Kleinot

Gezier, Ding

sahen,

errvütschen, greife».

Barche.

köstliche

Kloß

Schollen

klug

weise, züchtig, ver­ ständig, witzig

Trott, Torckel

Trott.

Kleinvt, K leinet

Gezierde.

Klotz, klug

weise.

er -

Luther.

Eck.

Kot Küchlein Lappen Last die

Kat Hünle Blätz Last der

Leuchter Lippe Lust die Maulwurf

Ampel Leftze Lust der Moltwerf dingen, bestellen Monat Schaben

mieten Mond, Monat Motten (Emser Matten) Neffe Ort der Otter

Ottergezichr

Perle Pflaster Pstll Pfül, Pföle plötzlich, blotzling Pöbel

prüfen Qual quälen Rabe Rätsel Reichtum der

Riebe Sand der Scheffel schenken

Worms. Proph.

Zür. Bibel.

Kaat. Hünly. Fleck, die Bürde, der Last der Last. Ampel. Leuchter Leftze. Leftze Lust der. Lust der Schär,Maulwerff Schär, Mulwerf. dingen. dingen Monat. Monat Schaben. Schaben

Kodt

Kindskind, Enklin Kindskind die Stat, Ort das Ort das Schlange, Rater Schlange, Schlang Natterngeschlächt das Perlen Esterich Estrich Teich Pfulwe Pfulbe in einem Nu, in urblützling(-en) einem Augenblick gemeines Volk genlain Volk, Pöfel probiren,bewüren brüfen, probiren, versuchen Pein, der Qual peinigen Rapp Rapp Rätersch Rätersch Reichtum die, Reichtumb (Reichder tuni) die Rippe Sand das Sand der Mehlen), Malter schenken begaben

Kindskind. Ort das. Schlange, Rater, Fipper. Natergezücht. das Pärlin. Esterich. Teich. Pfulwe. schnell, gemeines Volk,

bewären, erkun­ den, leutern. Pein, peinigen. Rapp. Rätersch. Reichtum die, Reichtum der. Rippe. Sand der. Vierteil, geben, schenken.

Luther.

Worms. Proph.

Eck.

Zur. Bibel. Scherpflin, Örtlh.

Scherf, Scherflin

Haller, Ortlin

Scheune

Scheur

in Schichten

in Rotten

schmecken

versuchen

versüchen, schme­ cken.

Schöps

männliches Schaf

Schleuche

(Saum)heut

männliches Schaf. Schleuch.

schlummern

schläfrig seht

schmücken Schuppe

zieren, herrlich aufmutzen,herrlich aufmutzen, zieren, köstlich kleiden. machen machen, zieren Schüpe. Schüpe, Schüppe Schüpe

Schwägerin

FraudesBrüders

Brüders Gschwei.

Schwager

Brüder des Manns

Schwager.

Scheur.

naftzen

Scheur, Speicher,

schläfrig sein,

Frau,

Schwefel

Schwäbel

feer Adv.

vast

vast.

sich sehnen

begehren, ver langen Krankhatt, Siechtüm

Begierd haben, verlangen. Sucht, Krankheit,

Seuche sichten

Sindflut

Schwäbel.

reiten: Sindfluß, Sündflutz

reiten:

Schwäbel.

reitern.

Sündfluß.

Sperling

Spatz

Spar.

Spitze die

Spitz der

Spitz der.

Splitter

Aget:

spotten

pfeifen

pfeifen

pfeifen,

steupen

schlagen, schelten

züchtigen

strafen, schlahen.

Stoppel

Stupfel

Stoppel

Stufe

Staffel, Stapfet, Staffel Eerstaffel

Staffel,

tauchen Taufe die

timten Tauf d i c der

tunken. Tauf der.

täuschen

triegen (be-)

Tenne die

Tenn der

Sprech,

und

Stupfel.

triegen (be=), Vor­ betriegen, vervorteilen. teilen Tenn der (die, das).

Worms. Proph.

Eck.

Luther.

Zür. Bibel.

Thon

Laim

Leim, Lett

Thräne

Zäher (Träher)

Träher

Trähen.

Thurm

Thurn

Thurn

Thurn.

Topf

Hafen

Hafen

Hafen.

Töpfer

Hafner

Hafner

Hafner.

Ufer

Gestad

Gestad

Gstad.

verschlingen

verschlinden, ver­ schlucken, verschlücken

verschlinden

verschlinden, ver­ schlucken.

versünen.

Leim.

versünen.

versünen

versönen

vertrauen

vermählen

Wandel

Tadel, Bresten

Wandel

Mackel, Prüften.

Weinberg

Weingarten

Weingarten, Reb­ berg

Weingarten, Weinberg.

Weinerndte

das Weinleset

das Weinlesen

Wümmet, Herbst.

Weise

Waiß

Weißle (-in)

Weißle (-Y).

weissagen

prophetisiren

weissagen

prophetiren.

welck, abreisend; abfallen

abreisend, hinfäl­ lig, welk, verder­ ben , erdorren, hinfallen, abfal­ len.

zerschmeißen

zerstören,

zerknütschen

zermürsen, schettern, brechen.

Ziegenbock

Geißbock.

welk, verwelken

vermächlen.

abreisend; ver­ schwelten,schwelck werden, verder­ ben, abnehmen, abfallen

Wolke die

Wolck der

zerschmeißen

zerschlagen

zerschmettern

zerbrechen, knitschen

Ziegenbock

Gaißbock

Wolk der.

zer-

zerzer­

Diese Zusammenstellungen lehren, wie sehr die Wirkung von Luthers Deutsch durch die allgemeinen Sprachverhältnisse der Zeit gehemmt war. Oberdeutschland war eine Spracheirrheit für sich. Mitteldeutschland, das durch die Reformation zum Mittelpunkt unseres Vaterlandes geworden, erhob sich mit der Persönlichkeit Luthers gegen die Autorität jener Land­ schaften^ denen mit der politischen auch die sprachliche Hege­ monie zukam. Daß unseres Reformators Deutsch über die

widerstreitenden Faktoren schließlich den Sieg davon getragen, davon gibt unsere Konkordanz einen schlagenden Beweis. Diesen Sieg des mitteldeutschen Wortbestandes danken wir zweifellos der Bibelübersetzung Luthers. Es ist kein Zufall, daß zahllose Abdrücke des neuen Testaments, die aus oberdeutschen Druckereien hervorgingen, Luthers Wortschatz im allgemeinen unangetastet lassen; die Basier, Straßburger, Nürnberger, Augsburger Ausgaben binden sich an Luthers Lautsystem wenig, aber sein Wort­ material ändern sie feitenx, und wo eine Wortänderung vor­ liegt, ist deutlich öfters die Nachlässigkeit und Unaufmerksamkeit des Setzers als eine Absicht des Verlegers zu erkennen?. 1535 konnte Wendel Rihel zu Straßburg der Hoffnung Ausdruck geben, man werde sich leicht an den fremdartigen Sprach­ gebrauch Luthers gewöhnen (S. 64). Eine solche Anschauung mag mehrfach für die Verleger

1 Daneben bestand freilich in Oberdentschland auch die Praxis der Textrevision, so in den Züricher Ausgaben 1524—25. * Reifferscheid hat im Markusevangelium S. 118 ff. „Abweichungen des Wortschatzes in den vier Evangelien" zusammengestellt uitb damit 12 Spalten gefüllt. Er glaubt dadurch zu beweisen, das; die obige Dar­ stellung „unberechtigt und irrtümlich" ivärc (Ein!. V). Wer diese lange Liste von sogenannten „Abweichungen des Wortschatzes" durchmustert, findet darunter folgende Lautvarianten: kot: kat, tocht: tacht, woge: wage, kellter: kalter, ausser: auffber, ausser: aussert, auszher, gegend: gegne, grentze: grenitz, flicken: flecken, ersticken: ersteren; auch Druckfehler der Nachdrucke, wie erdbeben: erbeben, zählt Reifferscheid zu solchen „Ab­ weichungen". Wenn Luthers getumel, gezeug und tumel, zeug in beit Nachdrucken wiedergegeben wird, so steckt auch darin nur eine Änderung des Lautsystems. So bestätigen seine übereifrig geführten Listen durchweg, was oben über die Lautvarianten gesagt ist. Zieht man aus Reiffer­ scheids Belegmaterialien die zahllosen formalen Varianten ab, so er­ gibt sich z. B., daß mehrere Nachdrucke in allen vier Evangelien nur ganz wenige Wortabweichungen enthalten; auf einzelne Nachdrucke aller­ dings, wie die Augsburger von Otmar und von Raminger, paßt unsere obige zusammenfassende Bemerkung nicht vollständig.

maßgebend gewesen sein. Zudem war der Ruhm der neuen Über­

setzung so unerschütterlich fest begründet, daß man, soweit nicht Konfession oder Sekte eine sachliche Textrevision forderten, den Wortlaut des Refornlators nicht zu ändern wagte, man zog es vor, den Leser dtirch ein kurzes Glossar über die unver­ ständlichen Worte Luthers aufzuklären. Dieses Mittel ersann Adanl Petri, der Basler Buchdrucker, der eine Zeitlang die oberrheinischen Lande mit zahlreichen Nachdrucken des neuen Testanients versah und so die Reformation kräftig förderte. Nachdem er im Christmoud 1522 den ersten Abdruck heraus­ gegeben hatte, gab er im Januar 1523 dem Rest der Auf­ lage ein Wortregister bei, das „die ausländigen Wörter aus unser (Baslerisches) Teutsch anzeigt". In den späteren Aus­ gaben hält Adam Petri fest an diesem Mittel, Luthers Text dem oberrheinischen Publikum näher zu bringen, und andere oberdeutsche Verleger folgen feinem Beispiel. So könnten mir uns einer bequemen Einsicht in den Wortschatz von Straßburg, Augsburg, Nürnberg erfreuen,

wären ihre Druckereien nur selbständig und von dem Basler Petri unabhängig zu Werke gegangen. Leider aber schließen sich die Glossare zum neuen Testament, die Silvan Otmar in Augsburg (in mehreren Ausgaben von 1523), Johann Knoblauch in Straßburg (seit 1524 in mehreren Ausgaben), Heinrich Steiner in Augsburg 1531 ihren Ausgaben von Luthers Testament beigegeben, fast wörtlich an Petris Glossar an. In Basel selbst fand Petris Glossar einen Nachdrucker in Th. Wolf, dessen Ausgaben des N. T. (1523—24) das Glossar in einer Überarbeitung enthalten) und auf Wolfs Abdruck fußen wieder Hans Herrgott in Nürnberg 1526 und Jobst Gutknecht 1527—38. Diese Drucker nehmen nur in wenigen Änderungen Rücksicht auf ihre heimische Mundart.

Wären sie selbständig zu Werke gegangen, so würden jeden­ falls größere Unterschiede gegen das Basler Glossar zu Tage treten, und wir wären über den Wortschatz von Straßburg,

Nürnberg und Augsburg weit besser belehrt als durch die vorliegenden Glossare. Doch dürfen wir einen Gesichtspunkt dabei nicht außer Acht lassen: der Wortbestand aller ober­ deutschen Landschaften berührt sich vielfach, auch wenn sonst lautliche Unterschiede die Sprache Oberdeutschlands in mehrere kleinere Mundarten aufgelöst haben. Es ist — zur Bestätigung und Ergänzung unserer obigen Konkordanz — nicht unwichtig, dem Leser einen Abdruck von Petris Glossar vorzulegen und dabei aus die Varianten Th. Wolfs am Fuß der Seite Bezug zu nehmen'. Petris Glossar zum Neuen Testament. „Lieber Christlicher Leser, So ich gemerckt hab, das nitt yederman Version mag ettliche württer im yetzt gründtlichen verdeutschten neuwe Testa­ ment, doch die selbigen württer nit on schaden hetten mögen verwandlet werden, hab ich lassen die selbigen auff unser hoch teutsch außlegen und ordenlich in ein klein Register wie du hie sthest, fleißlich verordnet.

änlich, gleich. — Job.9,9. Röm. 12,7. Phil.3. Affterreden, nachreden. — 2.Cor. 12,20. 1.Petr.2,3. Jacob.4,11. Alber, nerrisch, fanteschtisch. — 2.Cor. 11,6. Altuättelisch fabel, alter wiber Merlin. — l.Timoth.4,7. 5 Anbiß, morgenessen. — Joh.21,5. ,anbeysen^ Apgesch.23,14. Anfal, anteil, loß, züfall. — Apgesch. 1,17 ff. Anfurt, der schiff anlendung. — Apgesch.27,12. 27,39. Anstoß, ergernuß, strauchlung. — Röm. 14,13. l.Cor.8,9. 1.Petri2,8. Auffschub, Verzug. — Apgesch.25,17. Wolfs Varianten: 5 Anbiß,

ein friie stück. — 6 Anfal, anteil,

loß. — 8 Anstoß, ergernlls, ein büß beyspyl.

1 Der obige Abdruck des Glossars in der Fassung vom Januar 1523 berücksichtigt Petris Erweiterungen der Ausgaben im März 1523 in der Weise, daß diese mit einem Kreuz (t), aber die nur der Fassung vom Januar 1523 eigenen Worte mit einem Stern (*) bezeichnet sind. Die in den früheren Auflagen dieses Büchleins mitgeteilten Varianten anderer oberdeutscher Nach­ drucke von Petris Glossar sind jetzt in der Freiburger Dissertation von F. Dauner, Die oberd. Bibelglossare des 16. Jahrhunderts (Darmstadt 1898) vollständig verglichen, wo auch die Stellenangaben zu finden find.

10 Auffrucken, verweisen, beschuldigen. — Math.27,44. Jacob. 1 usw. Bang, engstich, zwang, gedreng. — Luc.21,25. Beben, bidmen. — Math.27,51. Befragen, zancken, zwitrechtig stn. — Apgesch.6,9. Marc. 1,27 u.ö. Befremden, verwundern. — 1.Petri4,4. 4,12. 15 Beruckung, vahung. — Röm. 11,9. Beschickten, begrüben, volgten, bestatten. — Apgesch.8,2. Bestricken, sahen, binden. — Math.22,15. Besudlen, verunreinen, beflecken. — 017hg.3,4. 14ff. Betager, alt, hat vil tage. — Luc. 1,7. 1,18. Luc.2. 20 Betewben, trucken, krafftloß machen. — Luc. 18,5. Betrauwen, verbietten, trewen. — Math. 12,16. Betretten, radschlagen, vnderreden. — Apgesch.5,28. Betüngen, tüngen mit mißt. — Luc. 13,8. Bewüst, erkant, erfaren. — Apgesch. 15,18. 1.Cor.4,4. 25 Beylag, vertrawt, Hindergelegt güt. — l.Timoth.G,20. 2.Timoth.l, 12. Blehen, hochmütig sin. — 1.Cor.4,18. 13,4. Blaßtückerey, büß, tückisch, listig. — 2.Cor.4,12. Blotzling, gehling, schnelliglich. — Apgesch.9,3. 1.Cor. 15. Brachtig, hochmütig, hochfertig. — Röm. 16,18. 30 Draussen, rauschen, sausen. — Luc.21,25. subst.Apgesch.2,2. Brüfen, mercken, erkennen.— Luc. 12,56. Röm.2,18. 12,2 u.ö. Darb, notturfft, armüt. — Marc. 12,44. Luc.21,4. Darben, nott, armüt leyden. — Luc. 15,14. 16,9. l.Joh.3. Deutlich, öffentlich, mercklich. — 1.Cor. 14,9. 35 D ürstig, keck, kün. — Marc. 15,43. Röm. 10,20. 2.Cor. 10,2 u.ö. Empören, erheben, strensen. — Math. 10,21. 24,7. Marc. 13,12u.ö. Entkamen, enttrunnen, entliessen. — Apgesch.28,1. Enlich, glich. — Siehe unter „änlich". Entwandt, entzogen, entwert. — Apgesch.5,2. 40 Erbschichter, erbteiler, erbscheider. — Luc. 1*2,14. Erdtbeben, erdtbydem. — Math.24,7. 28,2. Luc.21,11 u.ö. Erhaschen, erwischen, sahen. — Joh.10,12. 1.Cor.3,19. Erndten, schneiden. — Marc.6,26. Luc. 12. 19,21. Gal.6,7 u.ö. Wolfs Varianten: 11 Bang, engstich. — 14a Berewen, rasten, rüwen. — 20 Betewben, trucken, entrüsten, schellig machen. — 26 Blehen, aufblasen, sich erheben, frech, trutzig. — 27 Blaßtückerey, büß, tückijch, allfantzig, listig. — 28 Blotzling, gehling, schnelliglich, augenblicklich.— 31 fehlt. — 34 Deutlich, offenlich. — 36 Empören, erheben. — 38 fehlt. — 39 Entwandt, entzogen.

Erregen, entporen, auffrür machen. — Luc.23,5. Apgesch. 21,24 ufto. 45 Ersauffen, ertrincken. — Math.8,32. Luc.8. Marc.6. 2.Cor.2ufto. Eyffer, ernst. — Joh.2,17. Apgesch.5,17. l.Cor.3,3. 2.Cor.7. 9u.ö. Eyttel, wan, lär, vnnütz. — Gal.5,26. Fahr, ferligkeit, sorgklich. — Luc.8,23. Apgesch. 19,40 u.ö. Ferne, so ferr, so weyt. — Math.8,30. Math.26,58. 27,55u.ö. 50 Feynantzer, newfündiger zü bösen. — Röm. 1,30. Fehl, nachlesigkeit, versümniß. — 1.Cor.6,7. 1.Cor. 16,17. Füle, Missethat, fünde. Fal, mangel, gebresten. Feltweg, rast, roßlauff. — Luc.24,13. .loh.6,11. Offbg. 14. 21. 55 Fewrehfer, feuriner ernst. — Hehr. 10,27. Flehen, bitten, ernstlich begeren. — Apgesch. 1,14. Röm.1. u.ö. Flicken, bletzen. — Math.4,21. 9,16. Marc.2. Luc.5. Freyen, weiben, eelich werden. — Math.5,32. Marc.6. Luc. 16 u.ö. Frümmen, nutz, gewin. — Röm.6,21. 60 Fülen, enlpfinden. — Marc.5,29. 5,30. Gebür, billich, gemeeß. — Luc. 12,42. Geborsten, gebrochen, zerrissen. — Apgesch. 1,18. Gedeyen, wachßen, zünenien. — 1.Cor.3,7. Gefeß, geschir. — Math. 13,48u.ö. 65 Gegent, landtschafft. — Math.8,28. 16. Marc.5. 6u.ö. Geheymniß, heimlikeit, Sacrament. — Math. 13,11. Gehorchen, gehorsam, vnderthenig sin. — Math. 17,5. Marc.9,7 u.ö. Gelindigkeit, gütig, senfft, niilt. — Apgesch.24,4. Gepfropfft, *geympfft, gepflantzt. Röm. 11,17.11, 23—24. 70 Gerücht, geschrey, leümed. — Math.4,24. 9,26. 14,1. Luc. 1,28u.ö. Gesteupt, mit rütten gestrichen. 2.Cor. 11,25. Getreyde, körn, frucht. — Apgesch.7,12 (Luc.6,1). Getümmel, vngestimb, auffrür. — Marc.5,38. Getünckte wand, geweißt, bekleibte. — Apgesch.23,3. 75 Gezichte, geschlecht. — Siehe „Otterngezichte". Gichtprüchtig, gichtsüchtig. — Math.4,24. 8,6. 9. u.ö. Gleichbertig, gleichförmig. — Röm.8,29. Götzenopffer, abgötteropffer. — Apgesch. 15,29 u.ö.

Wolfs Varianten: 44 Erregen, entpören, auffrür machen, bewegen. — 49 fehlt. — 50 fehlt. — 55 Fewr eyfer, feuriner ernst, er brantter ernst. — 58 Freyen, weiben, eelich werden, hiraten. — 70 Ge­ rücht, geschrey.— 71 Gesteupt, mit rütten außgestrichen. —76 Gicht­ prüchtig, gegichtsüchtig.

Grentz, gegny, vmbkreyß. — Math.2,16. 8. 15u.ö. 80 Grüntzen, grimmig sein, zürnen, -f-kurren. — Apgesch. 12,20. Hall, Vorlaub, ingeng, -sfürschopff. — Joh.5,2. Apgesch.3,11 u.ö. Harre, warbt, beytte. — 1.Cor. 11,33. Haschen, erwischen, sahen, -j-ergreiffen. — Joh.6,15. Hauchen, blosen, wehen. — Joh.3,8. 85 Helfft, halb. — Marc.6,23. Luc. 19. Hermeten sich, bekümmeren sich, Awaren engstig. — 2.Cor.6. Heuchler, gleißner, trügner. — Math.6,2u.ö. Heyradten, nmimcn, eelichen. — 1.Cor.7,36. Hünen, spotten, schenden, ^schmähen. — Math.22,6. Luc.20. Gal.6. 90 Hügel, gipstet, bühel. — Luc.3,5. Luc.4. 21. Jnthan, geben, überantwort. — Math.25,20. 25,22. Khan, kleinschiff, nachen, -j-weidling. — Apgesch.27,16. Kerich, säget, staub, kutter. — 1.Cor.4,13. Klufft, kling, hilfst, hüte. — Joh. 11,38. Hebr.ll. Offbg.6. 95 Knöchel, knod, gleich. — Apgesch.3,7. Kostet, versüchet, schmackt, ftiefet. — Joh.2,9. Kretzmerey, krämerey, merckten. — 2.Cor.2,17. Küchlin, huncklen, Lunge hünlin. — Math.23,37. Kündig, wissend, erfaren. — Jacob.3,13. 100 Lägert sie bey schichten, hauffenweyß. — Luc.9,14. Lippen, lefftzen. — Math. 15,8 u.ö. Lappen, stuck, pletz, lump. — Math.9,16. Marc.2. Luc.5. Laß, mied. — Luc. 18,1. 2.Cor.4. Ephes.3. Leucken, vmbkern, vmbwenden. — Math.2,12. Luc. 10,6. 105 Lerman, aufflauff, auffrür. — Luc.22,6. Liechtstar, leuchtern, lutzern. — Phil.2,15. Malmen, zermalm, zerknütschen. — Math.21,44. Luc.20. Luc.4. Marckt, fleck, dorff. — Math.9,35. 10. 14. Marc.6u.ö. Meüchelmörder, heimlich mürber. — Apgesch.21,38. 110 Miedling, gedinckter knecht, taglüner. — Joh. 10,12. 10,13. Mietten, bestellen, dingen. — Math.20,1. Monsüchtig, münig, lunig. — Math.4,24. 17,15.

Wolfs Varianten: 80 Grüntzen, grimmig sein, zürnen, flirten. — 81 Hall, Vorlaub, fürschopff, ingeng. — 83 Haschen, erwischen, sahen, ergreiffen. — 86 Hermeten sich, bekümmerten sich, waren engstig. — 89 Hünen, spotten, schmähen, schenden. — 92 Khan, weidling, nachen, kleinschiff. — 96 Kostet, versüchet, schmackt, kieset. — 101 fehlt. — 109 Meüchel, muchlen, heimlich triegen. Kluge, Bon Luther bis Lessing. 4. Aufl.

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Morgenlandt, auffgang der sonnen. — Math.2,1. Macht, schleyer. — 1.Cor. 11,10. Motten, schaben. — Math.6,19. 6,20. Luc. 12. Jacob.5,2. Mintz, bachminh. — Math.23,23. Luc. 11. *Mütten, * schaben. Näss, schwestersun, Vetter. — Col.4,10. Narben, wunden, malzeychen. — Gal.6,17. Ottergezicht, ottergeschlecht. — Math. 12,34u.ö. Panier, baner, venle. — Apgesch.28,11. Pfal, anfechtung des fleisch. — 2.Cor. 12,7. Preyß, lob, rhüm. — Luc.2,14u.ö. *Prüffen, * versuchen, * erkunden. — Siehe „brüffen". Pübelvolck, heilaß, vnnütz volck. — Apgesch.17,5. Qual, peilt, kranckheit. — Math.4,24. 8,6u.ö. Quelen, peinigen, * quetschen. — Math. 8,29 u.ö. Raben, rappen. — Luc. 12,24. Rasen, toben, Unsinnig, ffaft zürnen. — Apgesch.26,24. 26,25. Rasseln, braspeln, rauschell, -j-roßlen. — OfTbg.9,9. Rawm, weite, Platz. — Marc.2,2. 3 u.ö. Rügen, schenden, schänd entecken. — Math. 1,19. Ruchtp ar, außgerüfft, lautprecht. — Math.9,31. 28,15u.ö. Rüchtig, nalnhafftig, -j-eins großen rümß. — Math.27,16 (Luc.l). Rüstag, bereittag, heiliger abent.— Math.27,62. Marc. 15u.ö. Rüstzeug, werckzeug. — Apgesch.9,15. Säuret, sawr, gehäfflet. — Luc. 13,21. Math. 16. Schawbrot, heilig brot, gewicht brot. — Math. 12,4. Marc.2 u.ö. Schawtragen, offeutlid) tragell, -j-zeigen. — Col.2,15. Scheel, schylen, übersichtig, -j-glunen. — Math.20,15. Schüssel, fester, symmeryn. — Math.5,15 u.ö. Schlachtag, metzeltag, tag der wirtschafft. — Jac.5,5. Sscherpfslin, halber Heller, -f-örtlin. — Marc. 12,42. Luc.21,2 usw. Schmucken, ziern, auffmutzen. — Math. 12,44 u. ö. Schnawbet, trelvet, anschnaubet. — Apgesch.9,1. Schnür, sonßfraw. — Math. 10,35. Luc. 12.

Wolfs Varianten: 114 fehlt. — 117 fehlt. — 120 Ottergetzicht, geschlecht. — 129 Rasen, toben, vnsinllig, fast zürnen. — 130 Rasseln, brasplen, rauschen, rossten. — 134 Rüchtig, namhafftig, eins grossen rümß. — 139 Schawtragen, öffentlich tragen, zeigen. — 140 Scheel, schylen, glunen, übersichtig. — 143 Scherflin, örtlin, halber­ heller.

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Schoß, zinß, steur, rent. — Luc.20,22. 20,23. Röm. 13. 1.Cor. 13. Schranckenlauffen, zürn zyll lauffen. — l.Cor.9,24. Schüttert, betriebt sich. — Joh. 11,34. Schwelgerey, Überfluß in essen vnd trincken. — Tit.1,6. Schwulstig, auffgeblasen. — 2. Petri 2,18. Sehnet sich, begern, begird haben. — Röm.8,22. 8,23. 2.Cor.5. Seymß, vngeleuttert hönig, -sWaben. — Luc.24,42. Semptlich, miteinander. — Math.27,62. Röm.8,22. Sichten, seyhen, reütteren. — Luc.22,31. Söller, saal, slnnmerlaub. — Apgesch. 1,13. 9. 10. 20. Spaltung, zanck, zwitracht. — 1.Cor. 11,18. 12. Splitter, spreyß. — Luc.6,41. 6,42. Math.7,3: spreissen. Spügniß, gespenscht. — Math. 14,26. — Marc.6,49: gespenst. Stachel, eisene spitz an der stangen, J-scherpffe. 1.Cor. 15,55. Offbg.9. Stachel lencken, sich gegen den spitz keren. — Apgesch.9,5. 26,14. Steupen, mit rütten (auß)streichen. — Math.21,35. Marc. 12,3 u.ö. Storrig, widerspennig, streittig. — 2.Timoth.3,3. Stilffen, staffel, steyg. — Apgesch.21,40. l.Timoth.3. Tadle«, stroffen, nachreden, fberafflen. — Luc.20,26. Hehr.8. Taugt nit, zimpt nit, ist vnbillich. — Math.27,6u.ö. Tauchen, tuncken. — Math.26,23. Marc. 14. Joh. 13. Teppich, gautter, golter, sergen. — Apgesch. 18,3. Teuschen, betriegen. — Marc. 10,19. 2.Cor.7. Tüpfferen, erden geschirr. — 2.Timoth.2,20. Trenen, trehern, zehent. — Marc. 9,23 u. ö. Tümmel, gethön, geschrey. — Math.27,24. Triestern, grüsch, tröber. — Luc. 15,16. Bberreicht, überantwort, gegeben. — Gal.3,19. Bbertaubet, ertnlckt, dempffet. — 2.Petri2,7. Berbanneten sich, machten ein bundt miteinander. — Apgesch. 23,12. 23,14. Verforteilen, betriegen, -sschedigen. — 1. Cor. 6,8. 2. Cor. 7 usw. Verhüllet, verbunden, -svmbwickelt. — Joh. 11,44. Verschmachten, erkamen, verderben, fertigen. — Math. 15,32u.ö.

Wolfs Varianten: 147 Schoß, zinß, steur, zoll, rennt. — 153 Seymß, vngeleutert hünig, Waben. — 160 Stachel, eisene spitz an der stangen, scherpffe. — 162 Steüpen, mit rütten außstreichen. — 165 Tadlen, stroffen, beraflen, nachreden. — 177 Verforteilen, schedigen, betriegenn. — 178 Verhüllet, verbunden, vnibwickelt. — 179 Ver­ schmachten, verkamen, erligen, verderben.

180 Berstortzt, verirret. — Apgesch.2,6. Vertritt, verspricht, verwesen. — Röm.8,27. Vfer, gestad. — Math. 13,2. Apgesch.27. Vmringeten, vmbgaben, vmbkreissetell. — Joh.l0,24u.ö. Bndeütlich, vnuerstentlich. — 1.Cor. 14,8. 185 Bntüchtig, vngeschickt, vnnütz. — Röm. 11,3u.ö. Bnthadelich, vnstrefflich. — Luc. 1,6. Tit.l. Bnuerruglicheit, Vnbelveglich, -j-vnerstörlich. — 1.Petri3,4. Bnuerwelcklich, alweg grünend, nit welck oder *schwelck.— 1.Petri 1,4. Vorhaut, vnbeschnitten. — Röm.2,25. Gal 2,7 u.ö. 190 Brbittig, bereyt, willigt. — 1.Petri3,15. Vßgerottet, vßgerüt, fDou der rott abgesündert. — Gal.5,12. Wad, gewandt, kleid. — Ofi*bg.3,4u.ö. Wegeren, sich widern oder weren. — Apgesch.25,11. Hebr. 12. Wetterwindisch, vnstet. — Math. 13,21. Marc.4. 195 Weyland, etwen, vorzeitten. — Joh.9,8 u.ö. Wichtige, schwere, lästig. 2.Cor.4,17. Zerrütten sinn, böse verkette sinn. — l.Timoth.6,5. 2.Timoth.3. Zygenfell, geyßfell, kihenfell. — Hebr. 11,37. Zurschellen, zerkloben, zerspalten. — Math.21,44. Luc.20.

Wolfs Varianten: 187 Vnnerruglicheit, vnbeweglich, vnerstürlich. — 191 Vßgerottet, von der rott abgesündert, vßgerüt.

Dieses Glossar Petris war ein sehr geschickter Kunstgriffe der dem Absatz des Lutherschen N. T. am Oberrhein zu statten kam. Kein Wunder, daß der Basler Drucker Th. Wols schon 1523 für seinen Nachdruck des 9L T. sich den Kunstgriff sofort zu eigen machte- als er aber in demselben Jahre 1523 Luthers Pentateuchübersetzung nachdruckte, war er selb­ ständig genug geworden, Petris Verfahren auf diesen Text zu übertragen. Wolfs Basler Glossar zum A. T. ist bloß in einem Exentplar der Stuttgarter öffentlichen Bibliothek auf uns gekommen- Paul Pietsch hat es daselbst neuerdings wieder aufgefunden und in Zachers Zeitschrift XXII 325 ff. mit reich­ lichen Erläilterungen abgedruckt. Auch dieses Glossar fand wieder einen Kopisten in Amandus Farkal, Colmar 1524; dieser verquickte Wolfs Glossar zum Alten Testament mit

Zusätzen aus Petris Glossar zum Neuen Testament/ wir können daher von einer Mitteilung der Lesungen Farkals vollkommen absehen t aber Wolfs Glossar, das sich gleich­ berechtigt neben das Glossar von Petri stellt, verdient hier buchstabengetreu mitgeteilt zu werden. Wolfs Glossar zum Alten Testament.

Dem Läser: Nach dem mal nit int teutschen als im Latin alle dinge mit eynnerley wortten genennet tverden, haben wyr etliche nach vylerley sprach hie angezeyget, auff das nitt yemandt int lüsen vast behindert werde der solche wortt in seiner sprach nit erkundet hette, geheb dich wol.

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Alle, oder, all, lür, öd, verzeret, schwach. — 4.Mose 14,33. Arm, forderst viertelst. — 5.Mose 18,3. Auffrafsen, von der erden auffsamlen. — 4.Mose 19,9. Beythüns, wartens zür zeit irer krankheyt. — 3.Mose 15,25. 15,26. Bersten, zerspringen. Brüsten, brüst vnd stercke gewynnen. — 4.Mose23,24. Byenen, ininteii, byen. — 5.Mose 1,44. Blachen, sunder Hügel, eben velt. — 5.Mose4,49. 11,30. Caninchen, Eünykel. Denckblasen, blasen zür gedechtnuß. — 3.Mose23,24. Gefeilt, wider willen haben, verschmehen. Eckel, walgung, wider will. Feyg verzagt, erschrocken. Früelinge, der ersten zeyt. — 1.Mose30,41. 30,42. Freybock, denn man frey ließ lausten. — 3.Mose 16,8.16,10.16,26. Fäl, mangel, bresten. Fittichen, ürtter an kleydern, flügel.—4.Mose 15,38. ö.Mose 22,12 usw. Gered, allerley geschirre vnd haußradt. — 2.Mose27,3. 35,13. Beschosset, ehern gewunnen. — 2.Mose9,31. Gemang, gemist, zweyerley. — 3.Mose 19,19. Grütz, grieß muß. — 3.Mose23,14. Gedeyen golt, geleüttert, klar, fyn golt. — 4.Mose8,4. 10,1. Gemeyn, nützbar, lesen vnd zübereyten. — 5.Mose20,6. Grentze, ende, dar ein (ant keret. Hayn, ein vynster walt. Halliar, Jubel iar. — 3.Mose25,10. 25,11. Hockericht, der ein Hoger hat. — 3.Mose21,20.

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Hund gelt, das man geben« sollt, die erste gebürt eins hunß zülösen. — 5. Mose *23,18. Kebsweyb, keyn eeweyb. Kolke, cystern. — 3.Mose 11,26. Knotten, bollen. — 2.Mose9,31. Kelter, trott, weinpreß. Kiesichtig, steynig, rüch von steynen. — 5.Mose21,4. Kryget, ergreyfft, vahet. Lippen, lefftzen. Lencken, vmbkeren. Meylich, gemach. — 1.Mose33,14. 2.Mose23,30. Paucken, trumme. Pfeben, erdäpffel. — 4.Mose 11,5. Pobel, klein geacht volck. Quyd, on, abkomen. — 1.Mose24,8. 24,41. Reget, braucht euch, webt, vnd werbt. — 1.Mose8,17. 9,7. Rand, end, örtter vmbher. — 2.Mose2,5. 26,11. 36,17. 39,19. Schulter, achsel. — 2.Mose9,22. 3.Mose 7,32. Hiob31,22 u.ö. Stuffen, staffel, steyg. — 2.Mose20,26. Schilfs, wasser rhür. Schicht, seyte. — 3.Mose24,6. 1.Mose6,16. Schneützen, abbrech, bützer. — 4.Mose4,9. Schwelger, schlenrmer, füller. Toben, grymmig, zornig sein. — 2.Mose 15,14. Turstiglich, mit freyem müt, vnuerzagt. — 1.Mose34,25. Töpffen, hauen. Tappen, füetz wie hende. — 3.Mose 11,27. Berleumbder, verdachter. Bngeheüre, vngeschickt. — 3.Mose21,18. 22,23. Wancketen, Waren wanckelnnitig. — 2.Mose20,18. Wase, base. — 3.Mose 18,14. Wansynnig, engstig, nit wissen wo auß. — 5.Mose28,34. 28,28. Zige, geyß. Zehenden, ein niäßlin, als ob mir sprechen j. vyrtzel. Züchter, der auß gelübd ein strengs leben füret. — 4.Mose6,13 u.ö.

Basels Wortschatz, wie er in den Glossaren von A. Petri und Th. Wols zutage tritt/ zeigt die größten Unterschiede gegen den Wortgebrauch Luthers. Aber die Unterschiede zwischen andern Landschaften sind nicht geringer- sie haben

jedoch nur selten einen so beweiskräftigen Ausdruck gefunden wie damals in Basel. So hat Conrad Geßner in seinem Mithridates sein Alemannisch dem Schwäbischen gegenüber­ gestellt. 1 Spülen briemen, Trüsch Ruppet, Kleider Häß, losen horchen, Anken Schmalz — Butter: das siud Proben voll Abweichungen, die nach Geßner zwischen dem Alemannischen und dem Schwäbischen bestehen. Unterschiede zwischen dem Schwäbischen und dem Bairisch-Ostreichischen verzeichnet Wolf­ gang Lazius in seiner Schrift De Gentium aliquot Migrationibus 1557.2 Seine Wortliste ist diese: Gelten: Quae Austriaci paulo alitcr pronuncianl: Schaff. — Peil: Hamer. — Ax: Hakhen. — Schegren, Tenne: Mueshaus. — Zuber: Amper. — Ainma»n: Amtman. — Bogt: Pfleger. — Schulthais: Richter, Haubtman. — Medien: Diernle. — Khüeffer: Pinter. — Schcnkhl: Fürs. — Faust: Hand. — Hembt: Pfaiten.— Gurren: Mehren oder Gumel. — Pfitzen: Bios. — Waier: Teicht. — Ha gl ich: Scheitlich. — Antlitz: Angesicht. — Sangen: Takten. — Ammen: Amel. — Lützel: Wenig. — Lügen, Gukhen: Gaume». — Pas: Maumb. — Geschwaig: Schlvügcrin. — Zornig: Gering oder Haderich.

Es kann nicht die Aufgabe dieses Buches sein, alle Gegen­ sätze int deutschen Wortschatz aufzudecken, ivie sie im 16. Jahr­ hundert in Druckschriften aller Art zu stnden sind. Die vorgesührten Wortlisten iverden genügen. Sie vergegenwärtigen dem aufmerksamen Leser den Fortschritt, der feit dem 16. Jahrhundert gemacht ist. Für die endlose Buntheit haben wir heute einen verbindlichen Wortgebrauch. Was im 16. Jahrhundert ge­ stattet war, verpönte die Folgezeit. Die ernste Bibelsprache ivie jedes Werk, das ernst genommen sein wollte, meidet fortan Worte wie Imme für Biene, bidmen für beben, Häß für Kleider, Künykel für Kaninchen, Hünckel für Küch­ lein, Lefze für Lippe, Plätz für Fleck. Nicht als ob es an oberdeutscheit Worten in unserer Einheitssprache fehlte/ aber der Grnndtoit und die Hauptmasse ist eittschieden mittel1 Vgl. Svein, Schriftsprache S. 292. ’ Ebenda S. 267.

deutsch. Es ist das ein Hauptunterschied gegen die höfische Dichtersprache des Mittelalters, deren Wortschatz oberdeutsches Gepräge hatte. Den mitteldeutschen Grundton der Neuzeit kenn­ zeichnen Worte wie beben, bunt, Ekel, fühlen, Grenze, Hain, Hälfte, harren, Heuchler, Hügel, Kahn,Kanin­ chen, Kelter, Lippe, prüfen, schmücken, Splitter, spotten, Stachel, schwelgen, Träne, Ufer, Ziege und Wortformen wie Stoppel oder verschlingen. Solche mittel­ deutsche Worte vereinigt Luthers deutsche Bibel. Dürfen wir diese mitteldeutsche Grundfarbe unserer Schriftsprache von Luthers Bibel unabhängig erklären? Wenn man die Entstehung unserer Literatursprache mit Literaturwerken erklären will, wer wird uns dann ein anderes Buch namhaft machen, das von Mitteldeutschland aus die Vereinheitlichung unseres Wort­ schatzes hätte anbahnen können? Luthers Bibel wurde das deutsche Hausbuch. Sie bot das Höchste an Poesie zur Ver­ klärung auch der bescheidensten Hütte. Sie enthielt Welt­ geschichte von den Anfängen der Menschheit bis zu der Fülle der Zeiten, da Gottes Sohn auf Erden wandelte und die Jünger seine Lehre ausbildeten und ausbreiteten. Sie bot Weltkunde, die von der Höhe Golgathas aus Umschau hält über die fernen Reiche des Morgenlandes und über das Mittel­ meer hin nach dem klassischen Hellas nnb Rom. Dieses Weltbuch voll Dichtung und voll Wahrheit war zugleich Gottes Wort. So beruht auf diesem Buch der Bücher in der Fassnng, die ihm Luther gegeben hat, nicht nur die Einheit unserer Bildung, sondern auch die Einheit unserer Sprache in Lautgebung und Wortschatz.

7. Niederdeutsch und Hochdeutsch. Der Name 'Deutsch' gilt wie für alle Mundarten so auch für die niederdeutschen. Erst mit dem 16. Jahrhundert kommen genauere Bezeichnungen auf, die durch den Gegensatz

von hochdeutsch, oberländisch, oberdeutsch und obersächsisch angeregt sind. Man spricht zu Luthers Zeiten von nieder­ ländischer, niedersächsischer Sprache und besonders gern von sassischem Teutsch (sassesche Düdesch, nedersassiske Sprake), um das Teutsch der niederen Landschaften von den hoch­ deutschen Tialekten zu unterscheiden. Landschaftlich redet man gelegentlich auch von der pommerschen, der holsteinschen, der westfälischen Sprache. Tag die niederdeutsche Lautstufe einmal durch ganz Deutsch­ land gegolten llnd daß sie nach und nach vor den neu erstehen­ den hochdeutschen Sprachgesetzen zurückgewichen, ist eine der ältesten Entdeckungen in der deutschen Sprachwissenschaft. Schon das 16. Jahrhundert zweifelte nicht daran. Eine Tatsache lehrte bereits damals, daß das Niederdeutsch eine aussichtslose Sprachstuse sei, der das mächtig voranschreitende Hochdeutsch stetig Raum abgewiune. Schon in jener Zeit wußte mau, daß Halle einst niederdeutsche Urklmden ausgestellt habe, aber gänzlich hochdeutsch geworden sei. Vom 14. Jahrhundert an hat sich tatsächlich die mitteldeutsche Sprachgrenze von Süden

nach Norden verschoben. Tie ganze Bewegung der Lautverschiebung war von Süden nach Norden vorgedrungen, anfänglich mit großer Schnelle, dann aber kraftlos und matt. Halle und Merseburg sind die äußersten Punkte des Niederdeutschen um 1300. In Merseburg vollzieht sich der Umschwung zum Mitteldeutschen bereits 1340; bis etwa 1390 herrschen in Halle niederdeutsche Urklmden, und um 1477 ist Mitteldeutsch die maßgebende Sprache, während das Niederdeutsche nur noch kümmerlich in den niedrigsten Schichten der Bevölkerung lebt. Mansfeld, Walkenried, Eisleben, Kölbick sind niederdeutsche Orte, die aber im 15. Jahrhundert mitteldeutsche Konsonantengebung annehmen und in ihren Urkunden durchführen. Im Beginn des 16. Jahrhunderts dringt das Mitteldeutsche bis in die Diözese Magdeburg vor.

Der Grund dieser ganzen Bewegung ist unbekannt. Es beruht auf einem organischen Prozeß in der Volkssprache, nicht aber auf literarischem Einfluß, daß in einem bestimnlten Ge­ biet die niederdeutschen t K p der mitteldeutschen Norm der Verschiebung folgen. Jedenfalls hat der Prozeß schon vor der Reformation und durchaus unabhängig von der Reformation stattgefunden. Vielleicht ist er durch den Umstaud begünstigt worden,' daß dieselbe Landschaft stark mit slavischen Elementen durchsetzt iniö darum weniger widerstandsfähig war- man rechne dazu, daß gerade auf denselben Boden auch Angeln wohnten, die bis etwa ins 11. Jahrhundert ihrer alten eigen­ artigen Sprache treu geblieben waren. Es war mithin ein Landstrich, der durch Völker- und Stämmcmischnng Geschmeidig­ keit und Nachgiebigkeit seiner Sprache erlangt hatte. Dazu kommt noch, daß seit alter Zeit Niederdeutschland im allgemeinen der benachbarten Mundart Mitteldeutschlands sprachliche Zugeständnisse gemacht hatte. So hat im höfischen Zeitalter ein niederdeutscher Dichter — Albrecht von Halber­ stadt — in mitteldeutscher Mundart gedichtet. Auch haben die niederdeutschen Mundarten früh aus den benachbarten hochdeutschen Landschaften Wortmaterial geborgt. Seit dem Beginn der Buchdruckerkunst begegnen in alten Drucken wie in modernen Dialekten Worte von unzweifelhaft hochdeutschem Lautgepräge wie ganz, reizen, Götze, schwatzen, trotzen, Herz, Schmerz, Filz, Runzel, Renzel, Schatz, Glanz, zieren, Zorn, spitz, Ziege, Kreis, tanzen, zittern, Würfel. Ja vereinzelt übt sogar die hochdeutsche Flexion in niederdeutschen Gebieten Einfluß- wir treffen in verschiedenen Drucken das neutrale =s wie in alles, eines, blindes, oldes, liebes, auch etwas, wo wir niederdeutsches t erwarten müßten. So wird es begreiflich, daß mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts einzelne plattdeutsche Städte in den höheren Ge1 Friedr. Zarncke, Beitr. 7, 19.

sellschaftsklassen bereits dem Hochdeutscher: weiteren Spielraunr gaben. Nur denke man dabei nicht an gutes, reiues Hoch­ deutsch. Es ist ein sonderbarer Zwitterjargon, den wir da sehen. Über die Sprachverhältnisse von Magdeburg, wo aller­ dings der Dialekt heute fast ganz verschrvunden ist, sind wir durch deu Ratsherrrr Georg Torquatus (um 1530) unterrichtetderselbe hat seine Biographie in einem frrrchtbaren Mischmasch von Meißnisch und Niederdeutsch geschrieben: da rvcchselrr Sätze 'ick hebbe de Schote besocht' — 'ich lebe dir mit Mund, Herz und That'. Aber er sieht das Meißnische als sein Ideal andiesen! muß das heimische Niedersächsische immer mehr ange­ glichen lverden- die zukünftigen Staats- und Kirchendiener soll man von Kindheit an mit der Schönheit des Meißnischen ver­ traut machen. Für Hamburg bezeugt der Geschichtsschreiber Crantz ähnliche Verhältnisse in seiner 1517 verfaßten 'Saxonia': „Es heben itzt auch an die unsrigen sich zu befleißigen den oberen Deutschen ihr Kirren nachzurcden". Und so ereifert sich 1582 der Lexikograph Chytraeus gegen alle, die ihr Platt mit Brocken anderer Mundarten mischen und es dabei doch zu keiner reinen Sprache bringen.' Ein Reaktionär anderer Art ist der Ham­ burger Pastor David Wolder, der 1596 eine eigene plattdeutsche Bibelübersetzung veröffentlichte. Er habe in den 19 Jahren seiner Seelsorge ivahrgenommen, daß die frühere plattdeutsche Bibel zmn Teil gegen der sächsischen Sprache freie Natur und Art gezwungen und seltsam in aller vernünftigen Nieder­ sachsen Ohren klinge: „So hebbe ick in alle mynem arbeyde, dat ick disscr Bibel halven gehabt, darhcnne gesehen, dat wy de rechte pürreyne Sassische sprake mit der Misnischen, edder Oldtfrenkischen unde Ukcrwendischcnsprakc unvermenget, da­ rinne müchten hcbben unde lesen?" 1 Burdach, Einigung der nhd. Schriftsprache S. 16. 2 Vgl. Socin, Schriftsprache S. 221 und Beese, Schriftsprache in Hamburg S. 22.

Dieses snrielicfyte*1 Deutsch ist demjenigen ähnlich, das wir auf schweizerischem Boden kennen gelernt haben. Da treffen wir in demselben Schriftstück oder Druck Hoch- und Niederdeutsches in buntem, regellosem Gemisch. Der Pommer Bugen­ hagen schreibt an den Hamburger Magistrat einen hochdeutschen Brief, in dem scriben für schreiben, edder für oder be­ gegnet/ umgekehrt enthält seine niederdeutsch geschriebene Kirchen­ ordnung von Braunschweig zahlreiche hochdeutsche Wortformen. Überall aus niederdeutschem Sprachgebiet begegnen solche Mischverhältnisse, die wir durch eine Probe aus einer anti­ reformatorischen Flugschrift von Goslar 1521 veranschaulichen wollen. Taffeln und Bilde haben sie gerissen dahl, Sanct Eigennutz haben sie lassen stahnden beten sie mit Wuchardus heutiges Tages an. mit den silbern Götzen haben sie gedrefen ihren Spott, so lange das sie die kriegen unter ihren Rock und haben sie gethan in den Bann, damit daß sie sie brachten davan; damit rahmen sie de Dohr, bat dar hett ein Loch rc. re. Dat moste sin altohmal Fantasei :c. ?c. Man sagt, daß haben die gethan, die das Gottes Wort wolten vorstan, die sich Gottes Worts thun beräumen, der wir etlich wollen thun noimen. Dei erste heit Hans Nawenbet stack dat silven Wirckfatt in de Mawen. Da wollet ock einer nich wichen, dei dede mit de sülvern Catharinen derglicken :c. 2c.

Wir mögen solche Mischung voll Hoch- und Niederdeutsch, solches Messingisch lächerlich finden,- aber unstreitig ist dadurch ein endgültiger Übergang zum reinen Schriftdeutsch vorbereitet 1 Fr. Zarncke hat diese Bezeichnung eingeführt in seinem Cato und Narrenschiff. Sonst gilt dafür 'messingisch' (seit Adelung bezeugt). 1 Klageschrift S. Stephani- sie scheint verloren gegangen zu fein; ich zitiere nach Trumphs Goslarischer Kirchenhistorie, Goslar 1704 S. 13.

und angebahnt. Und wir dürfen daher den Georg Torquatus nicht verurteilen, der selbst solch Zwielichtes Deutsch schreibt und zugleich andere dafür begeistern will. Aber in den Drucken überlviegt dieses Messingisch nirgends. Überall herrscht bis auf Luther uneingeschränkt ein leidlich korrektes Niederdeutsch, das sich von hochdeutschen Lehnworten allerdings nirgends ganz frei haltet: kann. Eine reiche Literatur ist aus jener Zeit erhalten geblieben, wovon die Repertorien von Kinderling, Scheller und Wiechmann beredtes Zeugnis ablegen. Wie eingewurzelt die Mundart tvar, zeigt sich auch darin, das; hochdeutsche Werke nur in niederdeutscher Übersetzung Eingang und Verbreitung in Niederdeutschland finden konnten. So war es naturgemäß vor Luthers Auftreten. Aber auch noch etwa 50 Jahre nach dem Beginn der Reformation treffen wir nieder­ deutsche Übersetzungen von hochdeutschen Originalwerken an. Lllthers neues Testament erscheint von 1522 an in 15 niederdeutschen Ausgaben. Auch Emsers neues Testament wird (1530) niederdeutsch gedruckt. 1522 erscheinen Joh. Taulers Sermones in einer niederdeutschen Übersetzung zu Halberstadt, 1565 zu Frankfurt. 1528 gibt Agricola seine Sprichwörter in niederdeutscher Sprache heraus. Auf mehr­ fache Aufforderung hin übersetzt 1542 Ludwig Dietz in Rostock Sebastian Francks Büchlein „vom Laster der Trunkenheit", da die Originalausgabe „der Sprake halvcn dem gemeinen Mann unverständig, na Vermöge mit Hülpe etliker guden Fründe in düsse sassische Sprake".' Ebendort erschien 1553 als Übersetzung aus dem Hochdeutschen „eyn kleyn averst ser schon und nödigh stücke vam Predigamt". — So wurde auch noch 1557 ein 'Trostbüchlein' „aus hohem Deutsch in unsere sächsische Sprache gebracht": „Nademmale de overländesche Sprake einem ideren nicht so lichtlik to verstände is alse unse egen angebaren Sprake" — so äußert sich der Übersetzer' — 1 Wiechmann I 187; II 13 und 25.

„so hebbe ick it for nütte und der Möje wol wert geachtet, up dat velen einfoldigen Christen darmit gebettet worde, dat sülve Bökeschen in unse sassesche Sprake to transfereren". Überhaupt was für uugebildete Laien bestimmt ist, tritt in der Volkssprache auf, auch als das Hochdeutsche bereits feineu Einzug in Niederdeutschland gehalten hat. Die Bibel uttb das neue Testament tverden in nieder­ deutscher Sprache zum letztenmal gedruckt in Stettin 1604, in Lübeck 1615, in Hamburg 1620, in Goslar 1621. Solche Daten beweisen aber, daß tvir den eigentlichen Sieg der Literatursprache früher aitsetzen müssen. Gesangbücher, Katechisnien, biblische Texte müsseit dem Bedürfnis auch der wenigst Geschulten entsprechet! und entgegenkommen, großenteils auch der ländlichen Bevölkerung dienen. Die Bewohner der Städte

und zumal die gebildeten Klassen haben sich natürlich weit früher der fremden Literatursprache anbequemt. Während der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts be­ gegnen nicht selten Druckwerke, die aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche übertragen sind. Schott 1538 wurde die

niederdeutsch geschriebene pommersche Chronik des Thomas Kantzow, die gewiß im tvescntlichen für ein niederdeutsches Publikum bestimmt blieb, ins Hochdeutsche übertragen, offenbar tveil das neue Deutsch für feiner galt. 1543 erscheint nieder­ deutsch in Rostock eilte Schrift 'von Los und Unschuld der Fromven' und tvird noch int selben Jahre ebendaselbst 'ans pommerischer Sprach in meißnische gebracht'? Durch den Hamburger Geistlichen Apinus wurde im Jahre 1548 ein Büchlein „Bekentnisse und Erkleringe up das Interim u. s. s." veröffentlicht, das 1549 in einer hochdeutschen Übertragung erschien. 1563 wird die Braunschweigische Kirchenordnung, die der Pommer Bugenhagen 1528 in niederdeutscher Sprache geschrieben hatte, int Auftrage des Magistrats hochdeutsch aus1 Wiechmann I 138, 230.

gegeben. 1599 wird Joh. Petersens holsteinische Chronik, die 1577 in niederdeutscher Sprache erschien, durch Dräuer ins Hochdentsche übertragen: „Es ist diese Chronik anfänglich in sächsischer Sprach beschrieben und von vielen ratsam erachtet, daß sie itzt zum andern Mal in hochdeutscher Sprach ausgiug, damit sie au allen Orten teutscher Nation gesehen und gelesen werden möge"- der Übersetzer bittet, „das schlechte einfältige Teutsch ihm als einem unerfahrenen zum besten zu wenden". 1597 übersetzt Forstenow eine niederdeutsche Schrift Oldendorps 'van Radtslagcnde' (1530) ins Hochdeutsche. Wie die Schweizer suchen also auch die Niederdeutschen an der großen literarischen Produktion tcilzunehmen und dem Streben des Jahrhunderts zu huldigen, die Wirkungen der Druckiverke nicht durch den heimatlichen Dialekt einzuengen. Der meißnische Nachbardialekt ermöglicht einen weiteren Erfolg. In Oberdeutschland war die Sprache der mitteldeutschen Land­ schaften verständlich, aber das Niederdeutsche war dort unbekannt. Im 15. Jahrhundert wurden in südlichen Kanzleien, sogar in Frankfurt a. M. niederdelltsche Schriftstücke vor der offiziellen Perlesung erst übersetzt? An diesem Umschwung, den wir in dem Verhältnis von Hochdeutsch und Niederdeutsch beobachten, hatte die kirchliche Reformation einen hervorragenden Anteil. Wie in den ober­ deutschen Landschaften, so fand auch in Niederdeutfchlaud die literarische Tätigkeit Luthers begeisterte Aufnahme. Selbst ein Niederdeutscher seiner Abstaminung nach, lebte und lehrte er

in einer norddeutschen Stadt,- die allerdings den meißnischen Dialekt in ihren höheren Gesellschaftsklassen bereits eingebürgert hatte. Ihm war daS Niederdeutsche vou Jugend auf geläufig, wie er auch später mit Hilfe dieses Dialekts gelegentlich komische 1 Wülcker Germania 28, 196. 1 Zahlreiche »iederdeulsche Drucke sind aus Wittenberger Druckereien hervorgegangcn.

Wirkungen erzielt.1 Die Rücksicht auf die Niederdeutschen hat ihn gewiß häufig in der Wahl seiner Worte bestimmt, wie er denn von „Ober- und Niederländern" gelesen und verstanden werden wollte. Ein großer Kreis niederdeutscher Freunde und Schüler wie Bugenhagen stand helfend »nd fördernd neben dem Meister. Durch solche Umstände gewann der Reformator den Norden Deutschlands in kurzer Zeit, und früh schlug seine Sprache hier feste Wurzeln. Früh sind vor allem die Kirchenordnungen hochdeutsch -

wir treffen solche 1524 in Magdeburg und 1525 in Königs­ berg. 1539 läßt der Superintendent Ant. Corvinus in Nord­ heim eine hochdeutsche Kirchenordnung erscheinen- aber am Schluß derselben gibt der Stadtrat seine Bestätigung dazu in niederdeutscher Sprache. Als im Jahre 1542 eine in Erfurt gedruckte Kirchenordnung für Braunschweig und Lüneburg unter der Herzogin Elisabeth in hochdeutscher Mundart erschien, ent­ stand allerdings unter den Pfarrern der Landschaft eine Oppo­ sition, welche nach einer sächsischen Ausgabe verlangte, so daß derselbe Ant. Corvinus 1544 eine niederdeutsche Ausgabe jener Kirchenordnung^ veranlassen mußte. Das niederdeutsche Vor­ wort voll 1544 gab dein Superintendenten Gelegenheit, seinen Mißmut über die Angelegenheit zu äußern. Seine Worte, die für die Auffassung des Verhältnisses von Hoch- und Nie­ derdeutsch lvichtig sind, verdienen hier mitgeteilt zu werden: „Nademmale sick dat meiste Deel mailg iuw so lange her be­ klaget, se können sick in der overländischen Sprake, in welkerer de utgegane förstlike Ordeninge gedrücket, nicht wol schicken unde darum me de sülve lever iit sassischer Sprake lesen woldeu, so hebbe ick — iuw unde iuwen Parkillderen, de sllllder Twivel 1 „Ei lieber, dat is scarp, doch nicht dat skerpste": Berantwortung der aufgelegten Aufruhr von Herzog Georgen (Leipzig 1533) B iii b. • Christlike Kerkenordeninge, Ceremonien unde Gesänge vor arme ungeschickede Parrherren in dem iöfliken Förstendome Hertogeil Eriks gestellt unde in den Drllck gegeben. Hanover 1544.

ock gerne öhrer Moder Sprake1 teuer wenn eine srömde hören, to gilbe — mit dem Drücker Henningo Rudeno gehandelt, bot he de genömede Ordeninge, sünderlick so veel alse der Kercken Ceremonien belanget, in sassischer Sprake noch einmal upgelegt mibe gedrücket heft. So gy denn im neue Entschüldingc, darntebe gy iuwc Nalaticheit länger smücken kündt, nieer hebbet/" Wer vom Standpunkt der Reformation aus diesen Streit betrachtet, wird nicht umhin können, dem Superintendenten Unrecht zu geben. Durch Luthers Vorgehen hatte die Volks­

sprache den Sieg errungen. Und nun drängte sich ein fremdes Idiom auf Kosten der Muttersprache in diejenige Stellung, aus der das Latein eben erst vertrieben wurde. Es war

nichts als eilte notwendige Folge von Luthers Kamps gegen das Latein, daß gerade in der gesprochenen Sprache der Kirche, zumal in der Predigt, die heimische Mundart sich noch lange erhielt, als Literatur und Kanzleien bereits der fremden ge­ folgt waren. Es kann ja an Geistlichen nicht gefehlt haben, denen die Gefahr der neuen Sprache für die Volksbildung klar war, und es hat in der Tat auch an Übersetzungen von hochdeutschen Reformationsschriften in die heimische Mundart nicht gefehlt. Wichtig ist hier das Zeugnis eines Geistlichen, der mehrfach hochdeutsch geschrieben hatte. Der Hamburger Pfarrer Joach. Magdeburgius erklärt in der Vorrede zu einem 1553 erschienenen iib. Traktat über das Sakrament des Altars, er habe das Büchlein niederdeutsch verfaßt, obwohl Luther und • Wir haben dieser Stelle auch deswegen einen Raunt hier ver­ gönnt, weil sie die letzte Vorstufe für unser nhd. Muttersprache gibt. Auch bei Luther findet sich 'seiner Mutter Sprach': Vom Anbeten des Sacrament des heiligen Leichnams, Wittenberg 1525 F iii a. Übrigens liefert dieser Aufsatz niehrere Belege für 'angeborene Sprache' aus nieder­ deutschen Texten. Den frühesten mir bekannten Beleg für Mutter­ sprache enthalten die S. 53 angeführten Worte des Bal. Boltz von 1539. Im allgemeinen vgl. oben S. 24. * Eine verspätete ndd. Kirchenordnung erschien zu Rostock 1557. Kluge, Aon Luther bis Lessing.

4. Aufl.

8

andere Gelehrte „so vele geschrcven hebben, bat ydt mynes schryvendes gar weinich bedörffte, doch dewyle ick weth, bat dennoch gar weinich tian demsülvigen sakramente in besser sprake beth an her geschreven sy, und bat allhyr tho Hamborch vele manne, srouwen und illnkfrouwen befunden iverden, de de hochdüdesche sprake wedder lesen noch vorstan können". So hat auch der haniburgische Übersetzer von Melissanders Ehebuch 1600 den Plan gehabt, andere Bücher aus dem Hochdeutschen ins Niederdelltsche zu übersetzen, da vielen die fremde, ausländische Sprache schwer verständlich sei. Aber die Zeit war für ein solches Vorhaben zu weit vorgeschritten.' Auf der Kauzel herrscht — so gut wie in den populären Erbauungsbüchern — mit Rücksicht auf die große Masse durch das 16. Jahrhundert beinahe uneingeschränkt der Heimatsdialekt. Als der Hamburger Rat 1528 unsern Reformator um Empfehlung einer Persönlichkeit ersnchte, die Umgestaltung der kirchlichen Verhältnisse der Stadt zu leiten, bat Luther den Kurfürsten um Urlaub für deu aus Pommern gebürtigen Boldewan, der zu Belzig Pfarrer war. Ihn hielt Luther für die geeignete Persönlichkeit, „weil er der Sprache und des Landes kundig sei" «Luthers Briefe De Wette III, 346). Im Jahre 1530 bat der Rat von Göttingen Luther um Einpfehluug von zwei Geistlichen- Luther schlägt im Januar 1531 deu Basilius und den Birnstil vor- jener könne ober­ ländisch und niedersächsisch, dieser sei des Niederdeutschen nicht ganz mächtig, aber leicht zu verstehen, wie auch in Braun­ schweig hochdeutsche Prediger willkommen seien. Erst seit 1600 ist das Schicksal der bisherigen Kanzel­ sprache unzweifelhaft. Konnten am Schluß des 16. Jahr­

hunderts zwei Pfarrer aus der Gegend von Nordheim? noch darüber streiten, ob hochdeutsch oder niedersächsisch in der Kirche 1 Beese, S. 22 u. 19.

Schriftsprache

in

Hamburg (Kieler

* Nnd. Hildebrand, Grenzboten 1860 I, 111.

Programm

1902)

zu wählen sei — fortan verstummt die niederdeutsche Predigt allerorten. In Hamburg,' wo nach Lappenbergs Ermittelung im Jahre 1603 der offizielle Umschwung zugunsten des Hoch­ deutschen als Kirchen- oder Rechtssprache stattfindet, ist Johann Biester (1628—1664) der letzte Geistliche, der plattdeutsch predigt) und nach Schuppius in der 'Ehrenrettung' 1659 muß sein Verhalten damals ziemlich vereinzelt gewesen sein. In Pommern waren Schlichtrllll (t 1647) und Matth. Kempe (t 1649) zu Kolberg die letzten Nachzügler. In Flensburg ivurdc schon seit 1600 hochdeutsch gepredigt und zwar von einem Holsteiner) in Husum wurde 1617 hochdeutscher Gottes­ dienst eingeführt) und um 1665 hörte man selbst in kleinen Ortschaften Schleswigs kauni noch niederdeutsch in der Kirche, nachdem seit 1650 der dortige Generalsuperintendent — ein geborener Westfale namens Klotz — nur das Hochdeutsche im Gottesdieilst duldete. Und in der St. Albanskirche zu Göttingen soll die niederdeutsche Predigt etwa 1630 ver­ stummt sein. Teilweise ist die Unfähigkeit der Geistlichen, in hochdeutscher Sprache frei zu rebeii, der wirkliche Grund für das Fortleben der niederdeutschen Mundart in der Kirche. In denselben Diözesen, für deren Geistliche 1544 der Superintendent Ant. Eorvinus die niederdeutsche Übersetzung einer ursprünglich hochdeutschen Kirchenordnung herausgegeben hat, fehlt es noch ini Beginn des 17. Jahrhunderts fast gänzlich an Geistlichen, die hochdeutsch können. Aber es kann doch wohl keinem Zweifel 1 Über Hamburg vgl. Lappenbergs Laurembergausgabe S. 236 und

(nach einem gütigen Nachweise des Herrn Dr. F. A. Cropp in Hamburg) Schuppius" Schriften (Hanau 1663) S. 671; über den Pfarrer Kempe s. Martin Ranges Origines Pomeranicae, (Solberg 1684 S. 230; über Husum vgl. Pietsch S. 76. Im übrigen s. C. F. Allen, Gesch. d. dän. Spr. in Schleswig I, 97 und Joh. Dav. Michaelis, Oratio de ea 0erinaniae dialecto qua in sacris faciundis etc. utimur Göttin gen 1751 S. 28.

unterliegen, daß die schriftsprachliche Bewegung, welche in der Reformation wurzelt, im ganzen an der protestantischen Geist­ lichkeit vielfache Förderung gefnnbeti hat. Der Erfolg, welchen Luthers Schriften hatten, wuchs dlirch die ^Berufung von Geistlichen, welche hochdeutscher Abstammung waren oder auf hochdeutschen Universitäten studiert hatten. Dazu rechne man den Einfluß der Kanzleieil. Wir treffen an niederdeutschen Höfen nicht selten Kanzler von hochdeiltscher Herkunft (Hegewisch, Schleswigs und Holsteins Geschichte III,

79); die beiden von Schöneich am Mecklenburgischen Hofe, Andreas Barby, der Kanzler des Königs Christian III., Adam Thraciger, der Kanzler Herzog Adolfs von Gottorp, waren hochdeutscher Abstammung. Daher vollziehen auch die größeren Kanzleien des niederdeutschen Sprachgebiets noch während des

16. Jahrhunderts bett Übergang zur modernen Schriftsprache. In Königsberg tritt uni 1530 der Übergang zum Hoch­ deutschen ein. In Pommern stammt die erste hochdeutsche Urkunde von 1541/ und 1604 scheint die späteste plattdeutsche Urkunde daselbst ausgezeichnet zu sein. In Mecklenburg sind die herzoglichen Reskripte bis 1542 niederdeutsch, seit 1548 hochdeutsch; nachweisbar aber schon seit etwa 1528 finden sich fürstliche Verfügungen auch an niedere Beamte in hochdelitscher Sprache; Herzog MaginlS schrieb selbst früh hochdeutsch. In Braunschweig beginnt die Kanzlei um 1550, in Osnabrück um 1553, in Ostsriesland um 1560 hochdeutsch zu schreiben. In Schleswig-Holstein treten mit 1533 und 1545 hochdeutsche Urkunden aus, und schon seit 1564 werden die Landtagsakten daselbst hochdeutsch geführt; int gleichen Jahre wird der Landtag mit einer hochdeutschen Rede eröffnet. Überhaupt nach 1560 verschwindet das Plattdeutsche als amtliche Sprache dort ganz? 1 Vgl. Barthold, Gesch. b. Rügen n. Pommern IV. 2, 309. 8 Die Angaben über Osnabrück und Ostfriesland verdanke ich Herrn Staatsarchivar Dr. Herquet in Osnabrück- über Schleswig hat C. F. Allen, Gesch. d. dän. Spr. int Herzogtum Schleswig I, 9ä genauere

In Hamburg beginnt im Verkehr der Kanzlei mit Be­ hörden des oberdeutschen Sprachgebietes um 1550 das Nieder­ deutsche zurückgedräugt zu werbe«, dagegen im inneren Verkehr bleibt es bis etwa 1600 herrschend/ so sind die Akten des Ober­ gerichts seit 1603, die Eintragungen im über memorandorum seit 1605, die Mandate von 1610 an, die als Burspraken um­ laufenden Polizeiverordnungen seit 1614 und die Kämmereirechnungen erst seit 1625 hochdeutsch. In Lübeck vollzieht der Briefvcrkehr mit hochdeutschen Behörden den Umschwung zum Hochdeutschen seit 1555, aber im Stadtverkehr hält sich wie in Hanlburg das Niederdentsche bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts? So zeigt denn schon um 1580 auch der äußerste Nord-Osten des plattdeutschen Sprachgebietes den Übergang von derMundart zur Schriftsprache. In Estland sind Paul Oderborns vier Pre­ digten von dem Bogen Gottes, 1591 erschienen, vielleicht die ersten gedruckten hochdeutschen Predigte» Rigas, ihnen reiht sich Sainsons Eingangsprcdigt von: Jahre 1608 an, 1615 erscheint das erste hochdeutsche Gesangbilch Rigas. In den Schreiben imb Instruktionen des Revaler Rats sindet sich der Gebranch der plattdeutschen Sprache noch bis zum Jahre 1561; in den mit den letzten 90er Jahren beginnenden Protokollen wirb das HochMitteilungcn gemacht. Anderes bei Bernhard!, Sprachkarte S. 140. Nach Jensen, Versuch einer kirchlichen Statistik des Herzogtnnis Schleswig (Flensburg 1840) l 26 ist für Flenöburg 1650 das Scheidejahr für plattd. und hochd. Kirchensprache. (Sonst kam noch bis 1679 plattdeutsch in der Kirche vor.' — Nachweise über Westphalen stehe bei Bahlmann, Mün­ sterische Lieder und Sprichwörter in plattdeutscher Sprache. (Münster 1896) und E. Schröder, Jakob Schöpper in Dortniund und seine deutsche Synonymik (Marburg 1889). — Über die Schriftsprache in Köln vgl.

W. Scheel, JaSpar von Genncp und die Entwicklung der nhd. Schrift­ sprache in Köln (Westdeutsche Zs. für Geschichte und Kunst- Ergänzungs­ heft Vlll 1893). 1 Über Hamburg und Lübeck vergl. das mehrfach erivähnte sehr

lvertvoilc Programm von Beese: Die nhd. Schriftsprache in Hamburg.

deutsche bereits gebraucht. In Riga kommt bei den Schreiben des Rats die hochdeutsche Sprache schon vor 1561 in Anwendung. Lehrreich ist am Ende des 16. Jahrhunderts das Zeugnis Brandis' in seiner hochdeutschen Ausgabe der Ritterrechte des Fürstentums Este«, die er damit begründet, „daß nunmehr in diesen Landen die hochdeutsche Sprache fast gemein und die liebe adeliche Jugend auch mit Fleiß dazu geweitet wird".' Dieser relativ schnelle Anschluß der niederdeutschen Land­ schaften an die moderne Literatursprache und die dadurch aus­ gedrückte Anerkennung der Bedeutung des Obersächsischen er­ klären uns die obenerwähnte Erscheinung, daß kein Grammatiker für Niederdeutschland Sprachnormen aufgestellt hat, welche dem heimischen Dialekt entsprechen. Nirgends hören wir im 16. Jahrhundert von einem Sprachbüchlein, das aus der platt­ deutschen Mundart ausgebaut wäre. Ebenso vergebens suchen wir nach einem Wörterbuch, das den reichen Schatz des nieder­ deutschen Sprachmaterials zu heben für notivcndig hielte, wie cs etwa Maaler für das schweizerische und Erasmus Alberns für das mitteldeutsche Sprachgebiet getan hat. Freilich mußte die Überlegung jedem Einsichtigen sagen, daß die heimatliche Sprache bei dem Überhandnehmen des modernen Schriftdeutsch leicht ebenso der Geringschätzung und Verachtung anheimfallen konnte wie vordem unter der Herr­ schaft des Lateins. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, welche den höheren Gesellschaftsklassen die allzu bereitwillige Aufnahme der Schriftsprache verwiesen haben. So hat Crantz gewarnt

im Beginn des Jahrhunderts. Wenn aber 1582 Nathan Chytraeus die Borzüge des Niederdeutschen gegen das Hoch­ deutsche rühmt, so kann dieses Zeugnis nicht schwer wiegen. Er war ein geborener Oberdeutscher^ in Straßburg und Tübingen hatte er seine erste Bildung genossen. Obwohl er nachmals * Wörtlicher Anschluß an Sallmanns Lexikalische Beiträge zur dtsch. Mundart in Estland. Leipzig 1877.

viele Jahre ausschließlich in Niederdeutschland lebte, hat er sich in seinen Werken, zumal in Übersetzungen nie des Plattdentschen bedient, sondern wie säst alle Zeitgenossen des Hoch­ deutschen. Und dieser selbe Mann hatte die Dreistigkeit, in seinem Nomenklator gegen das Hochdeutsche anfzntreten und die in ganz Niederdelltschlaud anerkannte Literatur- und Kauzlei­ sprache als nicht vorhanden zu betrachten? Als Pädagogen könnte man den Verfasser vielleicht entschuldigen: wollte er dem Niederdeutschen die ihm gebührende Stellung im Unter­ richt sichern — uni) das; ihm dies gelnngeii ist, beweisen die dreizehn Auflagen, welche sein Nomenklator zwischen 1582—1659 erlebte — so hatte er einige Ursache, der niederdeutschen Mundart das Wort zn reden. Aber eine richtige Würdignng der wirk­ lichen Sprachverhältnisse in dem damaligen Niederdeutschland darf man bei ihm nicht suchen. Auch die häufiger erwähnte Stralsrutder Schulordnung voll 1591 gestattet nns keinen all­ gemeinen Schluß. Weuil sie gegen Schulausgaben der alten Klassiker opponiert, welche wie die vielbenutzten Virgilausgaben von Frisins hochdeutsche oder gar schlvcizerdeutsche An­ merkungen^ bieten, so ist damit indirekt bezeugt, daß die neue Literatursprache auch in den Lateinschulen bereits Eingang 1 Über das Abhängigkeitsverhältnis

dieses

Büchleins

von dein

..onomasticon latino-germanicum in usum scholae Argentoralensis" des Trragburger Golius (1578, 1588) vcrgl. Hildebrand int DWb. V. Quellen­

verzeichnis unter Chhiraeus. 1 Die Stralsunder Schulordnung von 1591 bezeichnet das Schweizer­ deutsch mit einer int 16. Jahrhundert auch sonst begegnenden Nomenklatur alö idioma Alsaticum. In der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts dürsten aus elsässischen Druckereien keine Werke mit dein alten Bvkalismuö mehr hervorgegangen sein. Wenigstens ist von Konr. Burdach, der die betreffende Stelle anders versteht (Einigung der neuhochdeutschen Schrift­ sprache S. 18. 20), keine elsässische Schulausgabe eines alten Klassikers beigcbracht. Die Zürcher BirgilauSgabc deS FrisiuS ist seit 1561 einige­ mal mit schweizerischem (1561. 1567. 1581) und mit hochdeutschem (1597. 1610) BokaliSinus erschienen.

gefunden hat. Eine Braunschweiger Schulordnung verlangt 1596 ausdrücklich, daß man die Knaben „zur oberländischen Sprach gewehne, daß sie die Epistoleir und Evangelien in der­ selben Sprach könneit vor dem Altar lesen". Um die Mitte des 17. Jahrhunderts, wo Chytraeus' Nomenklator zum letzten­ mal erscheint, mag auch in den Gymnasien das Hochdeutsche geherrscht haben. Schon seit 1635 wird int Lübecker Gym­ nasium des Rath. Chytraetls lateinische Grammatik in einer Bearbeitung mit hochdeutschen Jttterpretamenten benutzt. Und seit 1665 wird in den untersten Klassen des Bielefelder Gym­ nasiums ein lateinisches Dialogbüchlein gebraucht, das auch hoch­ deutsche Wortübersetzungeit bietet: antiquam illam et genuinam dialectum Westphalicam ego nequaquam improbo — so äußert sich der Verfasser — attamen quia omnes eruditi in Universa Germania, in scriptis saltem, superioris Germaniae idiomate utuntur, nemo mihi vitio facile vertet, quod ad hoc (idioma) meae fidei commissam juventutem a pueris statim in schola assuefacere constituerim.' Wenn die Schule bereits um 1600 deut neuere» Schrift­ deutsch Eingang verstattet, so ntnß der Sieg desselben natur­ gemäß früher angesetzt werben. Wie die Predigt, um den ttngeschttlteti Laieit verständlich zu seitt, den Dialekt noch be­ hält, als das Hochdeutsche bereits überall aiterkatint ist, so kaun zuuächst auch die Schule selbst nicht auf den Dialekt verzichten. ' Über EhvtrnuS vgl. Burdach, die Einigung der neuhochdeutschen Schriftsprache S. 16. Die Braunschweiger Schulordnung hat Koldewey Monum. «ernt. Pädag. I, 127 veröffentlicht. Das Bielefelder Lehrlnich führt den Titel Formulae latine loquendi puerilis etc. pro septima et sexta classibus in schola Bielefeldensi Leingo 1665. Daß das Nieder­ deutsche noch lange in den Lateinschulen notwendig bleibt, zeigt der zu Magdeburg 1542 erschienene ..libellus in usum puerorum qui primum exponere discunt conscriptus" mit lat.-ndd. OKossar (Jahrbuch des ndd. Ber. 1880 S. 123); siehe ferner Jellinghaus tut Korrespondenzblatt des ndd. Vereins 1886 S. 4. — Mnrmcllius, selecli versus pro ludo Hannoverano (Rinteln 1629) mischt in den lat. Text hochdeutsche Erklärungen.

Aber weder Handwerker imb Bauern, noch Sextaner und Septilnaner von Lateinschulen sind für denjenigen gewichtige Persönlichkeiten, der unsere Literatursprache studiert. Nicht der Tag, an welchem das Hochdeutsche seinen Einzug in Schulstuben und Werkstätten gehalten, gibt uns den Zeitpunkt, von dem lvir für Niederdcutschland den Anschluß an die Litera­ tursprache zll rechnen haben. Für die Geschicke der neuen Schriftsprache im großen ist cs gleichgültig, daß im Jahre 1611 aus Rügen niemand Hochdeutsch verstand, oder daß der Küster Hans Lammert tu Ostenfeld bei Husum 1678 von seinem Superintendenten abgesetzt wurde, weil er nur plattdeutsch singen konnte oder lvollte. Wer eine niederdeutsche Sprach­ geschichte schreibt, muß hierauf Rücksicht nehmen. Wer aber den Einzug der Schriftsprache in die literarische Produktion

der niederdeutschen Landschaften schildern will, darf an der Literatur selbst nicht vorübergchen — und diese gibt uns eine bündige Antwort auf die Frage, ivelche Stellung sich das Hochdeutsche schon vor Ablauf des 16. Jahrhunderts erobert hat. Bereits vor Schluß des 16. Jahrhunderts blüht das hochdeutsche Schauspiel in Niederdeutschland. Nun ist es für die Stellung der Schriftsprache interessant, zu sehen, daß nur Rüpelszenen sich im heimischen Dialekt bewegen- der Dialekt ist nur für die Vertreter der imterfteii Schichten des Volkes vorhanden. Das zu Rostock 1578 erschienene Spiel Oemekes von Dämon und Pythias ist hochdeutsch, aber zwei Bauern und der Wirt reden plattdeutsch. 1593 bietet Herzog Heinrich Julius von Braunschweig in seinem hochdeutschen Drama von der Susanne niederdeutsche Szenen. Niederdeutsch begegnet noch in Göbels Fahrt Jakobs, in den Hirtenszenen von Georg Pondos Komödie von der Geburt Christi 1589. 1606 finden sich niederdeutsche Bauernszenen in Jochim Schlu's hochdeutscher 'Komcdia von dem frommen gottfürchtigen und gehorsamen Isaak' (Rostock 1606). Gabriel Rollenhagen, der Sohn des Dichters des Froschmcnselcr, veröffentlicht in Magdeburg 1609

sein Lustspiel Amantes Amentes d. i. Ein sehr anmutig Spil von der blinden Liebe, oder wie mans Deutsch nennet, von der Leffelay: alles nach Art und Weise der jetzigen ge­ troffenen Venus-Soldaten auff gut Sächsisch gereimct. Die vornehmen Personen der Handlung reden hochdeutsch, aber der Knecht und die Magd plattdeutsch. Uiib wiederholt hat Johann Rist komische Szeilen in niederdeutscher Sprache in seine Schau­ spiele verflochten: in die Jrenaromachia um 1630, in das Friedewünscheude Teutschland von 1647 und in das frcudejauchzende Deutschland von 1649.1 In solchen Tatsachen spiegelt sich der Umschwung der Sprachverhältnisse Niederdeutschlands besser wieder als in lokal­ patriotischen Äußerungen von Männern, die den Zeitgeist nicht verstehen. Nicht der puerile Nomenklator des Chytraeus, sondern Oemckes Spiel von Dämon und Pythias ist der Grad­ messer, nach welchem wir die Stellung von Mundart und Literatursprache in einer niederdeutschen Stadt wie Rostock zu bestimmen haben. Nicht die Braunschweiger Schulordnung von 1596, sondern die Schauspiele des Braunschweiger Herzogs

wird der Sprachforscher zu Rate ziehen, der den Sieg der neuhochdeutschen Literatursprache über die Mundart scststellt. Und die Daten, welche sich aus den hochdeutschen Übersetzungen niederdeutscher Werke und ans den Schauspielen ergeben, ver­ tragen sich mit den Schicksalen der Sprache in beit Kanzleien. Überall vollzieht sich der Umschwung zwischen 1550—1600. Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts ist das Los der Mundart nicht mehr zweifelhaft. Seit 1570 herrscht in den niedcrdelltschen Landschaften für die literarische Produktion fast ausschließlich die Schriftsprache. Im 17. Jahrhundert sind denn auch die Klagen über das Verschivinden des Plattdeutschen aus den Druckschriften nicht mehr auffällig. Eilt Grammatiker — Gebhard Overheide in seiner 'vermerten teutschen Schreibkunst' Braunschweig 1668, 1 Vgl. Pilger in Zachers Zschr. f. d. Ph. XI 203.

S. 27 ff. — klagt, „daß es einem niederdeutschen Schreiber nunmehr schwerer fällt recht iliederdeutsch als hochdeutsch zu schreibe» und zu lesen". Otto v. Gtiericke, der berühmte Bürgermeister von Magdeburg, scheint in dieser Lage gervesen zu sein- seinen holländischen Korrespondenten, den Verleger Jansson von Waesberge, bittet er um hochdeutsche Briefe, da das Niederdeutsche meist aus der Übung sei.' So gesteht auch der westfälische Geschichtsschreiber Joh. Dietr. voir Steinen, niederdeutsch nur mit Mühe schreiben zu können-31 2mit großem Bedauern nimmt er den Niedergang des Plattdeutschen und das Überhandnehmen des Meißnischen wahr, obwohl er zweifel­ los — wie seine niederdeutsch-meißnische Wortliste beweist — seiner heimischen Mundart wohl kundig ist. Besonders schmerzlich aber mußte das Zurückweichen des Niederdeutschen jeden berühren, der mit niederdeutschen Drucken aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bekannt wurde. „Jetzt schreiben — so lautet eine Stimme von 16723 — auch die Hamburger Kaufleute nicht mehr sonderlich niedersächsisch, viel weniger lesen sie es. Wo siehet man jetzund sonderliche niedersächsische Bücher, als vor diesem gewesen und drunten gebraucht worden? Rarissima avis erat, wie ich vergangen anstn Leipziger Trödel eine märkische Bibel antraf. Weiter >vcr ein wenig gereist hat und in seilt Baterlattd wiederkommt, der hat flugs diese meißnische Sprache aitgepacket und mit seiner Muttermilch vertauschet!" Und ähnlich schildert Micrälitts 'vom alten Pommerlande' 1639 die sprachlichett Zustände in eitter niederdeutschen Landschaft nicht ohne warnende Worte: „Wir andern Sachsenlente habett nun auch eine Zeit lang an nnscrer Muttersprache einen solchen Eckel gehabt, daß unsre Kinder iticht ein Bater-Unser lvo nicht in hochdeutscher Sprache 1 Hülsse in den Magdeburger Geschichtsblättern XIII 165; Hoff­ mann, Otto v. Guericke S. 227. 2 Versuch einer westfälischen Geschichte, Dortinlind 1749 S. 44. 3 Prätorius Satyrus etymologicus S. 5.

beten und wir keine pommersche Predigt fast mehr in ganz Pommern hören mögen, weil alles muß hochdeutsch gebetet, geprediget, gesungen, geschrieben, geredet und verabschiedet werden und unser männliches attizisirendes Tau muß allenthalben der sigmatisirenden Sprache weichen." Es war für Niederdeutschland also mit einem Worte dahin gekommen, daß ein gelehrtes Deutsch dem gelehrten Latein der mittelalterlichen Kirche auf dem Fuße gefolgt war. Wieder war die angeboreiie Muttersprache der Geringschätzung und Verachtung verfallen. Der heimische Dialekt entweihte — so war der herrschende Glaube — den Gottesdienst, war für den Verkehr des Menschen mit seinem Gotte zu profan. Die deutsche Schriftsprache war also an die Stelle der mittelalter­ lichen Welt- und Kirchensprache getreten. Nur noch in länd­ lichen Gemeinden erklingt die plattdeutsche Mundart von der Kanzel/ aber wo ein ernsterer und getragenerer Ton herrscht, drängt sich auch hier Hochdeutsches ein, ivie in den nieder­ deutschen Predigten von Jobst Sackmann, der um 1700 in Linnner bei Hannover eine weitreichende Wirksamkeit entfaltete. So dringt auch bei Trauungen das Hochdeutsche durch, aber daneben bleibt in den unsauberen Hochzeitsgedichten jener Zeit das Niederdeutsche noch lange lebensfähig. Wir treffen gleich­ zeitig Eidesformeln, die in der niederdeutschen Mundart ver­ faßt sind/ aber ihre Schlußformel 'so wahr mir Gott helfe usw.' ist hochdeutsch — ein schlagendes Zeugnis für die Auffassung des Verhältnisses von Schriftsprache und Mundart.' Wir würden jedoch undankbar gegen unsere gesamte Kulturentwicklung sein, wenn wir neben dieser zweifellos unwürdigen Stellung der angestammten Mundarten hier vergessen wollten, welche große Segnungen uns die dem Dialekt naturgemäß verderbliche

1 Vgl. Joh. Dav. Michaelis oratio de ea Germaniae dialecto. qua in sacris faciundis atque in scribendis libris utimur in seinem Syntagma Comment. Güttingen 1759.

Schriftsprache gebracht hat, indem sie uns das Ideal der poli­ tischen Einheit schuf. Aber auS den Stimmungen, die uns in jenen Worten von Prätorius und Micrälius entgcgcntreten, begreifen wir den frühen Berfuch einer reaktionären Beivcgung durch Lauremberg. Schon die um ein Jahrhundert ältere BraunschweigLüneburgische Kirchenordnung von 1544, von deren Dialekt S. 112 die Rede war, verdankt ihre Entstehnng einer Reaktion, jene Bestimmung der Stralsunder Schulordnung von 1591, welche ohne die Annahme eines weiten Bereichs der Schrift­ sprache nicht zu verstehen ist, fließt genüß aus einer Gesinnung, nnc sie später der Mecklenburger Laurcmberg theoretisch zum Ausdruck gebracht hat. Dieser tritt mit aller Entschiedenheit gegen die ausschließ­ liche Herrschaft des Hochdeutschen in Kirche und Schule, vor den Gerichten und in den Kanzleien und gegen die Gering­ schätzung seiner heimischen Mundart ins Feld. Der stete Wandel, in dem die allgemeine Schriftsprache damals begriffen war, ist ihm einer vermeintlichen Gleichmäßigkeit des Niederdeutschen gegenüber ein Zeichen von Unreife, ein Armutszeugnis:' Unse Sprake blift nltib beständig und fest AIs se ersten was, ebenso is sc ock lest. Juwc verändert sick alle föftig Jahr; Dat können de Schriften bewiscn klar: Einer kann mit groter Mach kuem dre Regen lesen Dan der Spraek, de domals iS im Gebruek gewesen: Se is so lappisch und so verbriidisch, Dat mmt schier nicht wert, of it welsch is cdder bübisch;

Men de Sprake in ganz Neddcrsaxenland Blift unvcrrückt und heft Bestand.

Die Einheit der Mundarten ctuf beit niederdeutschen Ge­ bieten stellt der Dichter dann in Gegensatz zu den großen Unter1 Dgl. W. Braunes Ausgabe von Joh. Laurentbergs ndd. Scherz­ gedichten, Halle 1879; die obigen Verse entstammen dem vierten Gedicht

561—635.

schieden in der Sprache der hochdeutschen Landschaften. Und um zu erklären, warum das Niederdeutsche trotz seiner Vor­ züge nicht Literatur- inib offizielle Sprache sei, wagt er die kühne Behauptung: Darut kann men ere Werdicheit mcrfcit ; Denn wat geineen is an allen Orden, Dat is nich in füllen Prys und hogen Werden, Als wat man nicht hebben kann alle Faert. Beel gemeener snw Bureil als Edellüde Gros Laken werd mer gedragen als Sannnit und Side: Semmel is nicht so gemeen als RoggenbroedMer ^verd gebrückt dat Böse als dat Goet. Wenn unse Sprake so gemeen wär als juwe, Ick wolde dar nicht voer upstahll bi miner Truwe.

Die niederdeutsche Bibel wird als Beweis einer früheren niederdeutschen Literatur herangezogen/ vor allen der Reinecke Boß/ eine kostbare, unerschöpfliche Quelle der Lebensweisheit: Men heft sick twar tomartert, dat Boek to brülgen In hochdüdsche Spraek- men it Wil ganz nicht klingen Jt klappet jegen dat Original to refen, Als wenn men Plecht ein Stücke fuel Holt to breken Edder schmit einen olden Pot jegen de Wand.

Das Niederdeutsche — heißt es weiter — eigne sich auch zur Literatursprache/ für alle hochdeutschen Worte biete es Entsprechungen/ der niederdeutsche Wortschatz sei gewiß kein Hindernis an der Verwendung der Mundart für literarische Zweckes So verzweifelt freilich, wie die Darstellung Laurembergs und feiner Zeitgenossen beit Zustand des Niederdeutschen er1 Später findet die niederdeutsche Mundart mehrfach Verteidiger vgl. Äpin, Von unbilliger Verachtung der plattdeutschen Sprache, Rostock 1704 (nach den Greifswalder Krit. Vers. I, 248 ist Beruh. Raubach der eigentliche Verfasser der Schrift). Über Karl Abel (um 1730) vgl. Jahrb. des Vereins für ndd. Sprachforschung 1882 S. 1 ff.

scheinen läßt, lagen die Dinge denn doch nicht. Dem wirklichen Leben der Mundart schadete die literarische Herrschaft der Schriftsprache wenig. Mochte im amtlichen Verkehr, in der Schule und in der Kirche das Hochdeutsch lineingeschränkt herrschen — die Sprache des gesellschaftlichen Verkehrs, die natürliche Sprache des geborenen Niederdeutschen blieb auch über das 17. Jahrhundert hinaus seine Mundart. Die neuere Blüte der niederdeutschen Dialektlitcratur iväre unbegreiflich, lveilu mit dem Aufkonnnen der Literatursprache die Mundart ganz vernichtet lvärc. Roch lange nach 1700 herrscht in den vornehmsten Gesellschaftsklassen einer Hansestadt die Mundart. Im Jahre 1727 hielt sich in Bremen ein vornehmer, fein gebildeter Engländer anf, der in den ersten Kreisen der Stadt verkehrte. Seit einer Reise nach Wien mit gründlicher Kenntnis des Hochdeutschen ausgerüstet, lvar er überrascht, hier nur plattdeutsch zu höre«. Daß man ihm aber keine plattdeutsche Bibel oder andere mundartliche Bücher zeigen konnte und daß Hochdeutsch die Sprache des Gottesdienstes, die Sprache des brieflichen Verkehrs Ivar, befreindete ihn so sehr, daß er nach seiner Rückkehr in die Heimat über dieses Verhältnis von Schriftsprache und Mundart in seiner Schrift ‘The German Spy’ besonders eingehend berichtete.' Das Zeugnis dieses Mannes ist nm so gewichtiger, als mit dem Aufblühen der hochdeutschen Literatur in den Seestädten die einheimischen Schriftsteller eifrig bedacht waren, ihren gesellschaftlichen Kreisen

1 Tuntze, Gosch, d. Stabt Bremen III, Vorwort S. 23. Ter ge­ nauere Titel des englischen Buches ist ‘The German Spy r Familiär Leiters from a Gentleman on his Travels thro* Germany to Ins friend in England’ etc. 2. Anfl. 1740 S. 52; nach dieser 2. Ausgabe erschien in Lemgo 1764 eine deutsche Bearbeitung ‘der deutsdte Kundschafter’, auö welcher sich (nach Mitteilung des Herrn Dr. H. Klebahn in Bremen) Thomas Ledyard, Gesandtschaftssekretar des großbritannischen Gesandten Cyrill Wich (in Hamburg), alS mutmaßlicher Verfasser deS German Spy ergibt.

eine vollendete Aneignung der Schriftsprache beizulegen. Wenn Brockes daher in Weichmanns 'Poesie der Niedersachsen' I 4 behauptet, daß Hochdeutsch damals auch die Sprache aller seinen Gesellschaften gewesen sei, so wird uns dieses Zeugnis weniger gelten als die unbestochcne Mitteilung des Engländers.

8. Hatein und Humanismus. Unter der Herrschaft des Lateins in Kirche und Staat war das Deutsche ständig in Gefahr, durch fremde Züge einen neuen Charakter zu erhalten. Mit dem Ausleben der klassischen Studien vergrößerte sich diese Gefahr. So hat sich unsere Sprache seit den Tagen des Ariovist und des Arminius niemals dem Einfluß des Lateins entziehen können, aber niemals weniger als in dem ersten Jahrhundert der deutschen Renais­ sance. Am Schluß dieser Zeit, im Jahre 1571, konnte jeder­ mann schnell überschauen, wie sehr das Deutsche zersetzt war, an Simon Roths Fremdwörterbuch.' Sein vollklingender Titel verspricht etwas viel- cs sind jedoch fast ausschließlich lateinische Wortmatcrialien, die Roth den Ungelehrten erklärt. Dabei laufen natürlicherweise kleinere Irrtümer unter, indem er gut deutsche Worte aus den gleichlautenden lateinischen ableitet. Aber nach allen Abzügen, die wir machen müssen, bleiben doch etwa 2000 Worte übrig, die zu Roths Zeit im Deutschen als eingebürgert galten oder Bürgerrecht zu erlangen drohten, ohne in den früheren Jahr­ hunderten heimisch gewesen zu sein. 1 Ein teutscher Dictionarius das ist ein Außleger schwerer unbekanter teutscher griechischer lateinischer hebräischer wälscher und französischer, auch anderer Nationen Wörter, so mit der Weil inn teutsche Sprach kommen seind und oft niancherlei Irrung bringen u. f. w., durch Siino n Roten. Augsburg (bei Michael Manger) 1571.

Luthers lateinischer Wortbestand.

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Luther, der sorgfältigste Beobachter und feinfühligste Kenner der Volkssprache, meidet mehr als seine Zeitgenosseir die Einmischung von lateinischen Worten in seine Schriften. Wer etwa das leider unvollendete Luther-Wörterbuch von Dietz neben Simon Roths 'Dictionarius' hält, dem tritt die Reinheit zuinal des biblischen Wortschatzes entgegen. Roth erklärt etwa 2000 lateinische Worte, die dem Kanzleistil des 16. Jahr­ hunderts angehören; aus 500 lateinische Worte bei ihm kommen etiva 100 belegbare Worte bei Luther, und von diesen dürfte auf die deutsche Bibel nicht eiumal der vierte Teil kommen, so daß wir darin im ganzen wohl 100 lateinische Modeworte jener Zeit anträsen. Und vergleicht man etwa Luthers deutsche Bibel mit der katholische« Bearbeitung Ecks, so findet man in der letzteren zahlreiche lateinische Lehmvorte für gut deutsche Worte Luthers. Eck sagt prophetisicreu, Fundament, Orient, Kapsi)täl, Glori, Ampel, Regent, wo Luthers Bibel weissagen, Grund, Morgen, Knauf, Herrlichkeit, Fackel, Herr zeigt.1 Diesen maßvollen Purismus hat Luther unserer Sprache nicht auf einmal gctootmeii; erst allmählich wird er gegen benedeien, Psorte, Firmament eingenommen zugnnste» von segnen, Tor, Himmel. Überhaupt ist sein

1 „Bödiker hat in seiner deutschen Sprachlehre angemerkt, daß Luther in seiner ganzen Bibelübersetzung nur zwei fremde Wörter — disputiren und Musika — gebraucht habe. Dies ist zwar nicht ganz richtig, denn er hat auch Secte, Psalter, Arche, Syrien und einige andere ge­ braucht,' allein es verdient doch immer unsere höchste Bewunderung, daß er zur Übersetzung eines Buchs von so außerordentlich mannigfaltigem

Inhalte und von so großem Umfange, in eine Sprache, die er aus mehreren Mundarten sich selbst erst schaffen mußte, nur so sehr wenige, und unter diesen nur ein paar gebrauchte, die nicht vorher der deutschen Sprachähulichkeit gemäß umgebildet waren" sagt Canipe, Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung unserer Sprache 2. Ausl. 1813. Vorrede S. 6. Anm.

lateinischer Wortbestand nicht umfangreich- wir treffen Worte wie Majestät, Glori, Gardian, Pestilenz, Curtisan, Finanzer, Lection, disputieren, Element, Exempel, fantasieren, Fantast, Artikel, Capitel. Zweifelsohne hat Luther mit vollem Bewußtsein die lateinischen Worte ge­ mieden, wie er sich denn lange Zeit — obzwar vergebens — nach einem passenden Ersatz für Person umgesehen hat (Köstlin, M. Luther 5. Aufl. I, 563). Hier glauben wir auch seine Ab­ neigung gegen verba castrensia et aulica zu verstehen, die er in einem Schreiben an Spalatin vom 30. März 1522 äußert (S. 55). Das ganze Sprachmaterial, durch welches die Zeit der Renaissance in Deutschland gekennzeichnet wird, ist wesentlich lateinisch. In Schule und Kirche setzt also das Latein seinen Einfluß fort, den es durch das ganze Mittelalter bei uns ge­ habt hat. Auch die Reformation ist den lateinischen Lehn­ wörtern nicht feindlich. Zwingli war in größerem Umfange Purist als Luther. Aber man kann von diesem Purismus eines einzelnen noch so entschiedenen Mannes, dessen Wirk­ samkeit zudem landschaftlich eingeengt war, keine Wirkung auf die Sprache seiner Zeit erwarten. Wäre Reinheit der Sprache das Schlagwort dieses Jahrhunderts gewesen, wie es das des nächsten werden sollte, so würde Simon Roth 1571 nicht eine Liste von etwa 2000 lateinischen Worten zusammen­ gebracht haben. Die wissenschaftliche Sprache strotzt voll Worten wie Antiquität, Humanität, disputieren, Disciplin, Doctor, Edition, Element, Eloquentz, Exempel, Facultat, Fragment, Idiot, Ignorant, Opus, Scribeut. Die akademischen Bürger schaffen sich eine eigene lateinische Terminologie: Calfactor, Coquinatz, deponieren, Fa­ mulus, Faex, Phos. Alchimie und Musik führen weitere lateinische Wortbildungen ein- mit der letzteren stehen im 16. Jahrhundert Worte wie Componist, Dissonanz, Tact,

Melodei, Mensur, Modulation, Mutet-Moteta, tabulieren im Zusammenhang. In der Kanzleisprache wuchern Worte wie cito, Vidimus und Datum neben Auction, Audienz, citieren — Citation, communicieren — Communication, condemnieren, Contract, Controvers, Convent, Conventickel, Copei, Curial, Decret, Defect, dissentieren, Edict, Effect, emancipieren, fallieren, Fiscal — Fis­ cus, Formular, Interesse, Infamie, Instrument, Jnvective, Jnvcntari, Justiz, Libell, Mifsive, Missiou, Motiv, Nation, Residenz, Scrupel. Auch eine Fülle von lateinischen Bezeichnungen für Ämter und Titel ist mit dem 16. Jahrhundert bei uns in Schwang gekommen: Advocat, Commissarius, Copist, Curator, Excellenz, Majestät, Monarch, Potentat, Regent. Fortan treten die alten Monatsnamen Christmonat, Hornung, Heumonat, Brachmonat, Weinmonat, Herbstmonat immer mehr in den Hintergrund zugunsteil der lateinischen December, Februarius, Julius, Juuilis, October, September,' so bleibt keiner von den altdeutschen Monatsnamen übrig, für die einst Karl der Große eingetreten lvar. Auch das heiniische deutsche Sprachgut nimmt ein fremd­ artiges Gepräge ail. Die zahlreichen Zeitworte auf tereit (spazieren, studieren, regieren, poetisieren, sab ul ieren, jubilieren, triumphieren, quittiere«, probieren usw.)er­ zeuge« deutsche Nachbildungen wie halbieren, schimpfieren, hausieren, stolzieren, tollisieren, grillisieren, geilieren — früher waren hantieren und hofieren vorhanden gewesen — und liefern zudem die Vorbilder für die spätere« schattieren, buchstabieren, schandieren, burfchieren, haselieren. Auch die zahlreichen Abstraktbildungen wie Comparatz, Collatz, Disputatz, Fundatz, Promutatz, Purgatz werden Allsgangspunkte für einige deutsche Wort­ bildungen von vorübergehender Existenz. Lateinisch-romanische 9*

Worte wie Gardian führen zu Neubildungen wie Jpsian (zu ipse), Dulcian und zu Zwitterbildungen wie Grobian, Urian, Dummrian, Stolprian, Schlendrian.' Es wäre eine Ungerechtigkeit, die Humaitisten für diesen Schwall von lateinischen Wortmaterialien und Wortbildungen verantwortlich zu machen. Aber das Ansehen, welches die alte Reichs- und Kirchensprache durch die Renaissance von neuem bei uns erlangte, zog solche Wirkungen nach sich. Unsere Humanisten waren der Volkssprache nicht gram. Reuchlin, der ein feines Deutsch schrieb und sprach, hat darauf gedrungen, daß die alten griechischen und lateiilischen Geschichtsschreiber übersetzt würden, damit man die Muttersprache vervollkommne. Und daß ihm dies ernst war, bewies er Freunden und Gönnern durch eine eigene Übersetzung von zwei Philippischen Reden des Demosthenes und des ersten Buches der Tusculanen Ciceros. Eine stilistische Norm, die er selbst befolgte, verdient in diesem Zusammenhänge besonders anerkannt zu werden,' „Man soll sich schämen in tütschen Reden und Predigen vil Latyns darunder zu mischen". Wimpheling ist ein energischer Streiter im Kampf um gutes Deutsch. Hutten, der Ritter unter den Humanisten, wird in die große deutschsprachliche Bewegung gezogen. Melanchthon" und Zwingli, die den huinanistischen Kreisen eng 1 Wahrscheinlich beziehen sich auf die Zwitterbildnngen die Sinken des Joh. Stolz, Querela Martini Lutheri (Basel 1555 S. 109): eum sermonem quem nostra natio iam vulgo usurpat ego quidem in dies minus atque minus intelligo; sic omnia nove insolenterque et mirifice dicuntur neque magis oratio simplices animi sensus verbis notis interpretatur, sed callide et veteratorie atque improbe cogilata fraudente dubie furiose scurriliter pronunciantur. Sic non loquebantur quantum ego memini majores nostri neque ego istam alienam.loquelam usurpare ausim, ne velim quidem discere. ut possim percipere audiendo; nam ista barbaries est, cujus de consuetudine diuturna barbarorum hominum nostra olim elegans atque pura lingua sordes et foeditatem contraxit. * Hortator sum meis pueris ut aliquam saltim curam etiam maternae linguae discendae et exercendae a primis annis suscipiant

verwandt sind, haben als deutsche Schriftsteller eine weite Be­ deutung. Uni) was der Erfurter Gelehrtenkreis im Kampf gegen Mönchsbildung und Mönchslatein erzielt hat, war auch für die Stellung der deutschen Sprache nichts weniger als gleichgültig.*1 Doch fehlten der Renaissance auch keineswegs unerfreu­ liche Züge. Man vergegenwärtige sich nur den Grundton jener Zeit. Allerwärts wird die Volkssprache, der Bolksdialekt betont, weil die ungebildeten Laien durch die religiöse Bewegung ein Recht auf Literatur und literarische Bildung erlangt haben und dieses Recht wird auch allseitig geachtet. Aber es geht nebenher der Zug nach einer höheren Bildung, von der das Volk ausgeschlossen wurde. In den eigentlichen Pflanzstätten des Humanismus, auf unsern Hochschulen, war das Latein zwei Jahrhunderte hindurch von unbestrittener Herrschaft. Wer die vermeintlichen Anrechte der Sprache Ciceros an unsere akademischen Hörsäle durch Wort oder Tat verletzte, erfuhr Anfeindungen der widerlichsten Art. Als der Rostocker Phi­ lologe Tilemann Heverling im Jahre 1501 eine Vorlesung über Juvenals Satiren in deutscher Sprache hielt, setzte er sich folgendem derben Angriff aus: Quidquid Heverlingus legit auditoribus, illud vulgari lingua teutonicaque docet. Ergo ad Heverlingum perget meliore relicto discere qui sordes barbariemque volet. Das war nichts anderes als jener Vorwurf, den die Papisten unsern Reformatoren machten, man sollte die Perlen nicht vor die Säue werfen. Mit demselben Vorwurf wurde an der

et studiose observent ac imitari studeant illos qui proprie eleganter sine afiectatione germanice loquuntur (Melanchthon bei Pfefferkorn, Kurze Anleitung zur Dichtkunst 1669 S. 19). 1 Weiteres

in

Hartfelders Programm

Deutsä)e

Übersetzungen

klassischer Schriftsteller aus dem Heidelberger Humanistenkreis. berg 1884.

Heidel­

Basler Universität Thomas Murner zurecht gewiesen, als er 1519 die Institutionen verdeutschte, mit demselben Vorwurfe auch Theophrastus Paracelsus, als er 1527 in Basel Vor­ lesungen in deutscher Sprache hielt.' Luther mischte zur Freude seiner Zuhörer in Wittenberg Deutsches in den lateinischen Kathedervortrag- aber auch ihm blieben Angriffe dafür nicht erspart. So machte sich der Hildesheimer Oldekop darüber lustig, das; er in Vorlesungen lateinische Sätze so tapfer ver­ deutsche und hiermit freilich Studenten gefallen habe (Köstlin, M. Luther 5. Ausl. I, 134). Und als der Tübinger Professor Leonhart Fuchs botanisch-medizinische Werke in deutscher Sprache veröffentlichte, erfuhr er 1558 von dem Eisleber Johannes Placotomus (Bretschneider) derbe Zurechtweisung- die zugleich auch alle traf, qui in germaiücam linguam aulores medicinae transferunt medicinamque artem humano generi saluberrimam prophanant et turpiter prostituunt.1 2 Welche Folgen die neuen Bestreblingen, dem Latein Raum zu schaffen, nach sich zogen, das zeigt sich auch am lateinischen Schuldrama. So schildert uns Nicodemus Frischlin 1589 in seinen Helvetio-Germani, wohin das Latein im Schauspiel führte: 1 Auch sonst wird vereinzelt deutscher Lehrvortrag bezeugt- so hat in Freiburg Glareanus seine HorazVorlesung mit deutschem Vortrag gewürzt, >vie sich nach Barthold aus den autobiographischen Aufzeichnungen deS Lexikographen I. Maler ergibt- vgl. Baechtold, Josua Maler. Zürich 1884. * Vgl. A. Hofmeister, Grenzboten 46, IV 294; Sigwart, Kleine Schriften I 32- über Murner vgl. oben S. 16. — Von Placotomus kommen in Betracht, worauf mich Herr Professor Milchsack aufmerksam gemacht hat, die im Jahre 1558 zweimal gedruckten Themata contra versores medicinae in Germanicam linguam und Refutatio quarundam rationum quas D. Leonhartus Fuchsins editioni sui germanici herbarii praetendit; der erste Druck enthält noch Conclusiones quaedam contra Rifium et Risianos, id est eos qui in Germanicam linguam aulores medicinae transferunt.

Quia latino sermone isthaec peragimus, occlamant imperiti linguae, ogganniunt mulieres, obstrepunt ancillae, servuli, opisices, lanii, fartores. ferrarii sibique Germana lingua postulant dari comoediam. Hoc quia non fit, nobis praeferunt cybisteteres, lanistas, funambulos, petauristas: quibus gaudet plebecula. Auf der andern Seite freilich hatte die Renaissance auf die Muttersprache den günstigsten Einfluß. Eine gewaltige Masse von Wortformen und Redewendungen ist in jener Zeit altklassischem Sprachgut nachgebildet oder entlehnt. Schon im 16. Jahrhundert redet man von modernen Mäcenaten, von einem Zoilns, einem Zelotypus, von modernen Epikuräern. ‘Unter der Rose (im Vertrauen) reden' konnte man schon damals nach lateinischem Vorbilde sagen. Lateinisch-Humanistische Sprichwörter flnden bei uns Aufnahme. Ne Hercules quidem contra duos! war nach Zwingli gemein im Gebrauch. „Rom ist nicht in einem Tage erbaut" meist auf den Humanismus hin. Eine neue Art von halb lateinischen, halb deutscheil Sprichwörtern kommt auf: „Sus Minervam: hie leret Ey das Hun und Kachel den Töpffer" verwendet Luther 1533 in seiner Schrift von der Winkelmesse (f Ilb). „Barbati praecedant, sagte der Fuchs, stieß den Bock die Treppen hinunter",' „practica est multiplex, sagte der Frosch, saß auf der Reuse",' „usus facit artem, sagte jener, warf ein alt Weib zum Fenster hinaus und wollt sie fliegen lehren",' „nos poina natamus, sagten die Roßäpfel und schwammeil mit den ächten".' — Damals bürgerten sich ein ululas Athenas mittere; ne sutor ultra

1 Weitere Sprichwörter der Art: si non est pulchra, tarnen firma, sagte der Teuffel und band den Ars mit Bast zu (Prätorius 1664 Philosophia Salustiana H 12). — 0 quam dulcis Harmonia, o quam suavis Musica, sagte der Teuffel und blieb einer alten Sau in den Ars. (Ebenda G 12 b - vgl. dazu G 10 b.)

crepidam; procul a Jove procul a fulmine; Penelopes telam retexere; una hirundo non facit ver. — Mit dieser Zeitströmung vollzog sich in unseren Familien­ namen eine wichtige Neuerung: die große Fülle latinisierter oder gräzisierter Namen wurzelt in diesem Zeitalter. Erste Ansätze zu der Bewegung liegen allerdings schon im Ausgang des Mittelalters. Für bürgerliche Namen wie Bäcker, Schneider, Fischer, Schmid, Jäger, Schuster, Müller u.s.w., die gewiß im Alltagsleben zunächst allein herrschend blieben, stellen sich in lateinischen Urkunden durch das ganze 15. Jahrhundert Wortübersetzungcn ein, wie Aurifaber, Mercator, Molitor, Piscator, Pistor, Pistorius, Sartor, Sutor, Textor, Venator. Derartigen Namen begegnen wir beispielweise in der Matrikel der Heidelberger Universität zwischen 1460—70 sehr häufig. Aber in den neunziger Jahren desselbeir Jahrhunderts treffen wir auf der nämlichen Universität schon Gräzisierungen: der aus Weinsberg in Württemberg stammende Johannes Husschin, der sich schon damals durch Frömmigkeit hervortat, wurde von seinen Studiengenossen Oecolampadius genannt,' zunächst vielleicht nur scherzweise, indem man den Namen Husschin in Kirchenlicht (lumen ecclesiae) parodierte. Von Italien ging eine neue Mode aus. Auf dem alt­ römischen Gebiet hatte ja immer für Schriftsteller die Latini­ sierung nahe genug gelegen, wenn man sich der lateinischen Sprache bediente. Aber mit dem Wiederaufblühen der Pflege des klassischen Altertums erheben sich durch die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts neben den Universitäten aus den Kreisen 1 Vgl. Herzog, Das Leben Joh. Oecolampads, Basel 1843 I 104, wo darauf hingewiesen wird, daß Oecolampad auf dem Titel seiner 2. Schrift an Pirkheimer sich Joa. Husschin nennt, cui ab aequalibus a prima adulescentia Oecolampadio nomen obvenit; und ebenda S. 280 einen Brief Melanchthons: optimo viro, Joanni Oecolampadio tP|