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German Pages 153 [160] Year 1887
Von Aeller zu Zola.
Don demselben Derfafser ist erschienen:
Keia Gut, kein Wirth. proverbe. Nach berühmte« Master«, parodistische Studien. Mach berühmten Mastern. Neue Folge. Kam armen Franischko. Geschichten eines siebten Kesselflickers.
Die Kamrta-e der Karoni». Novellen. Der neue Ahasver. Roman. Dilettanten-Kpiegei. Poetik in Dersen. Aanthippe. Roman. Atnreabriefe. Satiren. Dtnnrtrtt. Roman. Der letzte Deutsche van Dlataa. Erzählung. Credo. Gesammelte Aufsätze.
W KM ;u Zck Kritische Aufsätze von
Fritz Mauthner
----- T
Kerl!« 3- 3- seines Verlag
1887
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck verboten.
Gottfried Keller. i.
Wir sind Zeugen gewesen, wie Fritz Reuter langsam
aus dem lustigen Anekdotenerzähler seiner engerm Heimat
$u einem Lieblingsdichter des ganzm -deutschen Volkes heränwuchs.
Es war eine Frmde, mitzuerlebm,
wie
bedeutende zielweisende Männer erst in kleinm, dann in
immer größeren Kreisen sein Lob verkündetm, wie sich um die plattdeutschen Schriften zuerst in Norddmtschland
eine begeisterte Gemeinde sammelte, wie dann bald auch der Südm die Mühe nicht scheute, sich in die unbekannte
Mundart zu vertiefm, wie die Verehrer Fritz Rmters
aus allm Gaum des Reiches
einander an einzelnen
Schlagworten Onkel Bräsigs wie an einem Freimaurer-
zcichm erkanntm, und wie endlich der Hausschaß Rmterschct Poesie eines Tages als ein unverlierbares Gemein
gut des ganzm Volkes gehobm war. Wmn schon der Besitz des Rmter'schm Lcbenswerkek werthvoll zu nennen ist, so gilt das von Gottfried Keller
um so viel mehr, als dieser Schweizer an Gedankmtiefe, an Sprachgewalt und an Größe des Humors über dem Plattdeutschen steht, deffm Bildungsgang zu früh und
—
2
—
zu roh unterbrochen worden ist, dessen Darstellungskunst
erlahmt,
er
wenn
ohne schalkhafte Absicht hochdeutsch
schreibt, und dessen ewig junger und frischer Humor nur von denen er aus
zu ost an die Schnurren erinnert, gegangen ist. an
Wir wollen nicht so bald aufhören, uns
Fritz Reuter zu
rühren zu lassen; daß
ergötzen und
von Bräsigm
uns
aber wir wollm bei Zeiten erkennen,
wir eine Stufe
emporsteigen,
roenn wir unseren
anderen großen Humoristen, wenn wir Gottstied Keller zu unserem Lieblingsdichter machen.
Die
Schriftsteller - Laufbahn
Aehnlichkeit auf.
weist
beider
manche
Sie wollten zuerst Maler werden und
kamen vielleicht dadurch erst in reifen Jahrm zu ihrem wirklichen Berufe;
gekommen,
vollends
ist beiden erst
der Ruhm
als es Abend werden wollte.
Wir wollm
uns aber vor Allem eines plumpen Unterschiedes freuen:
Gottfried Keller ist nicht todt, ist nicht einmal mit feinen
68 Jahrm im Rückgang, sondern unterstützt die Propa ganda, die wir offen für ihn machm, immer noch mit neuen herrlichen Werken.
Gottstied Keller ist auch in seine Heimath erst von Dmtschland aus eingeführt roorbcn.
Sein Ruhm ging
nicht von der Schweiz aus; nein, „im Reich", von hervorragendm Dichtem und Gelehrtm,
bewundert.
wurde er zuerst
Paul Heyse nannte ihn in einem schönm
Sonette dm „Shakespeare der Novelle".
Fr. Th. Vischer
hat feinen halben Landsmann in stürmischer Weise ge
feiert.
Und Berthold Auerbach rühmte sich, ihn „ent-
deckt" zu haben, was dm ersten Monographen Kellers
3 Auerbach müßte den
zu dem hübschen Scherze führte:
von ihm zuerst Erkannten dem Brauche großer Entdecker
gemäß nach seinem Namen „Auerbachs Keller" nennen.
Aber noch ist das wünschenswerthe Ziel nicht erreicht. Noch zählen auch in den gebildeten Schichten des deut schen
Volkes
diejenigen
Namm des Dichters
Einigm
dieser Fremdm
Tausenden,
nach
bisher
kaum
welche
den Dichter
den
habm.
vernommm
Gottfried
Keller
oorzustellm, ist die dankbare Aufgabe dieser Zeilm.
Ob das Ziel durch eine wissenschaftliche Arbeit über dm Dichter,
kritische Aufdeckung seiner Ouellm
durch
und Ableitung seiner Gestaltm am sicherstm zu erreichm,
darf ich um so eher bezweifeln, da es mir versagt wäre, dm lebendigen Mann derart unter
nehmm.
das Sczirmesser
zu
Ich darf also bequem meine Unfähigkeit mit
einer grundsätzlichm Meinung entschuldigm.
Wem es
aber blos um die Entwickelung Gottfried Keller» zu thun
ist,
der findet fie,
zusammmgestellt,
Gedichte.
Man
hübsch übersichtlich durch ihn selbst
in der neuen GesammtauSgabe seiner kann
die
ehrlichste
Selbstbiographie
zwischm dm Zeilm lesm, wenn man gewohnt ist, nur
solche Verse schön zu finden, welche die lauterste Wahr heit mthaltm. Der mtstandm
Zeitraum, find,
innerhalb
beträgt
desim
beinahe
Kellers
Gedichte
vierzig Jahre.
Wir
lernen darum gleichzeitig den gewordmm und dm wer-
dmdm Meister kmnm. mit
Wir sehm Keller um die Wette
der fchwäbischm Dichterschule von Lmz utib Liebe
singen, von
seliger
goldener
Zeit,
von
Freiheit 1*
und
4 Männerwürde; wir hören seine gepanzerten Strcitlieder,
in denen er neben den politischen Dichtern des Vormärz an Rückert
anknüpft;
schließen
wir
uns mit ihm an
Heinrich Heine an, dm Keller liebt, parodiert und über
bietet;
wir
sehm
dm Dorfgeschichtmerzähler Berthold
Auerbach wieder aufleben,
ja hinter ihm erscheint gar
der Schweizer Jeremias Gotthelf, welche beide zu Kellers Bauemnovellm
Patmstelle
vertreten;
endlich
erblickm
wir die einzige Goethe'sche Form, das herrliche Gewand
der Helma, erfüllt von einem neuen Inhalt: dem Humor, einem neuen Keller'schm Humor, der stark ist, reif und
berauschend wie alter Rheinwein. Vor der GesammtauSgabe seiner Gedichte verrieth
Keller und manches Geheimnis seiner Entwickelmrg schon durch dm großen Roman
„Der grüne Heinrich",
der
freilich an erobemder Kraft einbüßte, waö er an tiefer
Weisheit
wenn
Möglich zu viel gewann.
Zu Anfang
der fünfziger Jahre, als Heine seine letzten frechm Verse schrieb und Scheffel schon für feinen „Ekkehard" einen Verleger suchte,
Geheimniß
entstand der Roman,
der Sprache
in welchem das
von Goethe's „Dichtung und
Wahrheit" wieder aüfgefundm zu sein scheint.
Es ist
den Zeitgenossen nicht allzusehr übel zu nehmm, daß sie dm Verfasser trotzdem-nicht sofort auf dm Schild erhobm.
Der Roman war eine That der Selbstbefreiung,
aber
Keller war noch kein fertiger Künstler., Unbegreiflich ist es aber,
daß Keller's Hauptwerk,
das erst dem Siebmunddreißigjährigen glückte, nicht so
fort eine Revolutton hervorrief,
die klassische Rooellm-
fommhmg, die selbst den flüchtigen Leser bei der ersten
Bekanntschaft entzückt und die der Kennör jedes Jahr einmal mit immer neuer Freude auffchlägt.
1856 -veröffentlichte
Im Jahre
er
dieses Buch:
„Die Leute von Seldwyla".
Und hätte er danach für immer geschwiegen, wie
wirklich für fünfzehn Jahre verstummte,
er denn auch
er müßte dennoch unseren ersten Schriftstellern beigezählt werden.
tragischen Stoff
Einen behandelt,
„Romeo
in
und
hat er darin nur einmal
Julia
dem
auf
vielleicht der populärsten Schöpfung Kellers; ist
hier
Stil
der
tragisch,
nicht
Dorfe",
aber auch bleibt
ein Humorist
Keller auch da noch, wo er uns durch die Hölle führt:
Deshalb wird mancher Leser mit mit die lustigsten unter diesen Geschichten
sonder»
um
auch
höher schätzen,
nicht nur um des Vergnügens,
der aüfgewendeten Kunst willen noch
als die ergreifende Liebesnovelle.
drei
gerechten Kammmacher",
dem
feinsten Humor
guten
Narren
gegen
worin
der
der Eharakteristik
die
„Kleider machen Leute",
klugen worin
mit
die Partei, der
Egoisten
der
„Die
Dichter
ergreift
—
tollste Humor der
Situation uns wie ein ungeheuer komisches, eigenes Er-
lebniß packt -.„Der Schmied
seines Glückes",
worin
der verwegenste Humor der Erfindung uns lachm machte,
wollte
auch
ein -griesgrämiger Pedant
den
Fall' vor
tragen; diese drei Meisterwerke sichern ihrem Dichter wohl
die verhältnißmäßige Unsterblichkeit einiger Jahrhunderte. -Sein
sieghafter
Humor
verbürgt
diese
Dauer,-
btefcr
6 eigenartige, ja unerhörte Humor, der niemals zur Mhr-
aber auch niemals zum harten,
seligkeit übergeschnappt, herzlosen Witz wird,
Humor,
der
alle
dieser tiefsinnige und
Narrheiten und
schalkhafte
Schlechtigkeiten der
Menschen kennt, über sie unerbittlich spottet, und dennoch niemals ungerecht wird.
Seine Gerechtigkeit gegen
Gesindel,
das
das
er
schildert, ist so groß, als besäßen seine Gestalten Fleisch und Blut und der
Dichter wäre ein Anhänger der
Befferungstheorie im Strafrecht.
„So ist jedes Unwesen
noch mit einem goldenen Bändchen an die Menschlichkeit
gebunden," das schöne Wort entfährt dem Dichter,
nur
weil ein rechter Ekel von einem Blaustrumpf eine Mutter
hat, die ihn nicht hungern laßen will. Aus dem preiswerthen Buche
ein
einzelnes Stück
herauszugreifen und ihn für die Perle, für den Ausbruch
der Auslese zu erklären, ist ein mißliches Ding.
Wenn
man sich erst in einen Dichter von so eigenem Profil richtig verliebt hat, gefällt Einem am Ende das Werk
am besten, in welchen der Meister am persönlichsten lebt.
So weiß ich nichts Keller'scheres und nichts Köstlicheres als
drei
„Die
glauben,
gerechten
Kammmacher";
man
sollte
der Spaß müßte noch die letzte Nacht eines
Derurtheilten erheitern können.
Wenigstens gegen Zahn
schmerz HUft er gewiß. Weil diese allerergötzlichste Geschichte aber doch so durch und durch Kellerisch ist, darum ist sie vielleicht weniger geeignet, seine Bekanntschaft so vortheilhaft zu
vermitteln,
wie
die vielgerühmte und
mit Recht
be-
/
wunderte Novelle
„Romeo und Julie auf dem Dorfe",
in welcher immer wieder der leicht parodirende Titel stört. In den „Kammmachern" ist kein fremder Tropfen.
Des Dichters Derbheit,
Frivolität ist, scheut
die aber bei ihm niemals
nicht vor einer Wieland'schen Be
strafung der Prüden, der Jungfer, zurück und führt schließlich eine Prügelszene vor von so unbändiger Lustigkeit, daß
wir zur Vergleichung aus Süddeutschland hinaus müssen
und
sie nur mit Rabelais
vergleichen
können.
Was das
aber diese Geschichte noch über die andere erhebt,
ist — um eine Menge Dinge mit
Worte zu bezeichnen -
dem
ihr Reichthum.
in Keller'S Wesen begründet,
umfasiendsten Es ist ohnehin
daß er wie ein Märchen
dichter einfach-phantastisch
wenn diese Zusammen
stellung gestattet ist — erfindet und dann jedes Besondere mit realistischer Vielfältigkeit
sicht.
vor sich
In den
„Kammmachern" erhebt sich diese Gabe auf ihrm Höhe
punkt.
Von der blauen Wanze bis zu dem Hausrath
der Jungfer Zü» ist Alles gleichzeitig toll erfunden und doch höchst wirklich. Es ist wie in der Natur. Der
Leser weiß,
daß
er unter dem Mikroflop
Einzelheiten wahrnehmen würde;
und
noch
darum
mehr
sieht
er
auch ohne Mikroskop die Dinge so lebendig. Und wie etwa ein
reicher Mann den Gast durch
alle seine Prunkzimmcr führen mag und den Staunenden plötzlich mit den Worten entläßt:
Fremdenzimmer zu ebener Erde. oberen Stockwerk,
läßt!" -
wo sich's
noch
„Das waren
die
Ich selbst wohne im ganz
anders Hausen
so entläßt uns Keller oft, besonders in dieser
8 Geschichte,
mit einem Wort,
Reichthum erst ahnm
seinen
wahret»
einem Ruck
hebt er
uns
da»
läßt.
Mit
uns zu seinem Oberstock empor, wir sehen in den übermüthigsten Streichm den symbolischen Gehalt und lesen
das Ganze
sofort
mit
zum
Genuß
erhöhtem
Male.
Seine Novelle endet nicht als Schnurre.
schlecht
ergeht
es dm drei Gerechten,
erhängt sich. gar. wie
so
bitterlich
dem Leser auf,
die herzlose Gerechtigkeit haffm muß;
(wir sagm „Correctheit" dafür)
drei drolligm Gcsellm
Redlich
einer von ihnm
Da blitzt es plötzlich
der Dichter
zweiten
erheben
sich
und
die
zu Vertretern
der
halbm Menschheit. Nyr flüchtig
seien hier die merkwürdigm „Sieben
Legenden" erwähnt, ein Büchlein, das unsere Volksbücher aus
der Reformationszeit
an Wirkung erreichen
hätte
können, wenn der Dichter mit ungeschwächter Kraft „dm ungehcurm Vorrath des Stoffes" hätte ausbmtm wollen.
Es ist zu bedauerit,
daß Keilet
mit
stolzer Verachtung
des „breiten Betriebes" sich auf kleine Proben beschränkt
hat,
welche dm
wirken
lasten:
die
großm
Einfall
nicht
mächtig
poetischen Schöpfungen
genug
mönchischen
Geistes von ihrem Schmutze zu befreien und sie in einer neuen freien Weltanschauung so lange zu baden, bis die
innewohnende Sinnlichkeit
sichtbar
wird
und
als echte
Schönheit zu Ehrm kommt.
II. Wer nach langer Pause wieder von Seldwyla" gelesen hat-
einmal „die Leute
ist leicht geneigt, Gottfried
9
Seiler ohne Rückhalt für den bedeutendsten der lebenden deutschen Dichtet zu erklären. So ursprünglich, so rein, so frisch ist die Quelle seines Humors, so fein sein Kunstverstand, daß er zugleich die volle Liebe und die ganze Aufmerksamkeit herausfordert wie nur ein anderer Klassiker. 28ir wollen nicht einsehen, daß dem Schweizer Erzähler manches mangelt, was andere Poeten reichlich besitzen, daß auch dem herrlichen Keller schließlich Orenjen seines eigenthümlichen Talents gesteckt sind. Aber wenn wir auch davon überzeugt wären: auf die kleinen Schatten hinzuweisen, ist um so weniger Veranlassung, als Gott fried Keller bis heute nicht nur noch nicht überschätzt ist, sondern sich bis vor Kurzem mit einer -verhältnißmäßig kleinen Schaar von treuen Verehrern begnügen mußte. Die einstimmige Anerkennung, welche der Dichter der „Leute von- Sedwyla" bei den berufenen Urtheilen: gesunden hatte, genügte nicht, um ihn dem deutschen Volke so vertraut zu machen, wie es viele untergeordnete Geister sind. Rur in bett gefährlichen ästhetischen Kreisen, welche heute auf eine glückliche Anregung hin Keller vergöttern, um morgen schon Ebers erhaben zu finden, nur bei den gebildeten Frauen und ihren Herren war anfangs von den Seldwylern die Rede. Als aber die Zeit gekommen und der Schweizer enblidj im Munde der Leute war, da kam ein Menschm alter nach dem Meisterwerke der zweite Novelleit-Cyklus, „das Sinngedicht"; und da waren die Deutschen «ms einmal so reif geworden, daß sie das seltsamere Geschöpf ohne Sträuben aufnahmen unb es für umgänglich er-
10 klärten,
trotzdem
die Eigenart des Dichters sich schon
ein wenig vcrknorrt hatte und der Genuß des Buches hie und da ein wenig Arbctk nothwmdig machte.
„Das Sinngedicht"
gehört zu
den „Leuten
von
Seldwyla" nicht nur wegen der ausgesprochen cyklischen
Form, in der die Novellen verknüpft sind, sondern noch mehr wegen des durchtönenden schalkhaften Tones.
Doch
auch die Fassung, der sogenannte Rahmen, ist nicht als In der ersten Sammlung war
Nebensache zu nehmen.
die kurze Einleitung ein Mittel,
die Menschen in des
Dichters Beleuchtung zu rücken oder sein Fernrohr ein
zustellen.
Im Sinngedicht ist die Absicht kleiner, aber
die Ausführung bedeutendcnd.
Der Rahmen wird zur
hübschesten Novelle.
Ein frischer
junger Gelehrter
daß er sich überarbeitet habe.
fühlt eines Tages,
Durch Zufall schlägt er,
da er auSruheu will, in einem Bande der Lachmannschcn Lessingausgabe
das
folgende Epigramm des alten
Logau auf:
„Wie willst Du weiße Lilien zu rothen Rosen machen? Küß eine weiße Galathee: sie wird errathend lachen." „Erröthend lachen!"
blicke
Das wird von diesem Augen
an die Preisaufgabe,
Gelehrte möchte.
allen
ihm
zu deren Lösung der junge
begegnenden
Mädchen
Doch es will lange nicht gelingen.
verhelft»
Die Einen
erröthen, und die Andern lachen, wenn er sie aus der puren „Lust und Liebe zur Sache" küßt, die ein tüchtiger Forscher bei Erprobung eines neuen Verfahrens Endlich findet er auch das Gesuchte:
stets anwendet.
ein liebes, unver-
11 dorbeneS, fittiges und doch nicht prüdes Mädchm; wird sein Weib, und
Das Thema:
sie
die Hauptgcschichte ist zu Ende.
wie muß die Mischung beschaffen sein,
damit eine glückliche Ehe zu Stande komme?
wird
aber nicht nur in diesem Geschichtchen, sondern auch in mehreren kleinen Novellen behandelt,
welche bald die
Biographie der ohne Erfolg geküßten Mädchen, bald die Histcrie irgend einer unbekannten Heldin bringen, und
die alle mit mehr oder weniger Kunst in die umschließende Erzählung verwebt find.
Solche organische Nooellensammlungen, für welche
ja der edle Boccaccio das unübertreffliche Ideal ist, sind in den Litteraturen nicht selten. Aber kaum einem Schrift-
stellcr, Diderot etwa ausgenommen, ist es gelungen, die
Einheit der Stimmung und der Absicht so festzuhalten,
wie Keller in seinem „Sinngedicht".
Das Werk steht
an künstlerischem Werthe Dor Allem hoch Über denjenigen Sammlungm, in welchen Nahmen und Inhalt, wie bei
einem Oelgemälde, nur äußerlich zusammen gehören. Nur
ein kleine»
Bedenken wäre
dagegen vom Standpunkte
des Keller'schen Realismus selbst
zu
äußern:
einzelnen Erzähler ihre langen Novellen
so
daß die
aus
dem
Kopfe zum Besten geben, das entspricht nicht der wort
kargen Schlichthest der Gestalten.
Bei den ölten Ita
lienern und auch bei der Königin von Navarra sind die
meisten
Erzählungen
nicht
länger,
als man uns in
Gesellschaft etwa zur Noth allein sprechen läßt.
Hier
aber sind die Berichte zum Theil so lang, daß sie ebm
von selbst den Charakter von Novellen, d. h. von litte-
12 rarischen Produkten annehmen, die gcdrukt vorliegen und gelesen werden müssen. In einem dritten Cyklus, dem ersten Bande seiner
„Züricher Novellen",
mag Keller diesen unwahren Ton
plötzlich vernommen haben; aber er hat zu dem schlimmen Auskunftsmittel gegriffen,
der Erzähler der beiden
daß
ersten Abenteuer das dritte erst selber niederschreibt, daß
so plötzlich eine handelnde Person zum Dichter wird, wie wenn von der Bühne Rolle
und
fällt
herunter
zum Publikum
ein Vorlesen der Dichtungen
aus
der
FreUich bringt
wieder ohne Gnade einen
hinein,
literarischen Ton
gespreizten
ein Held
redet.
bet
entweder der
Hauptgeschichte oder den eingestreuten Novellen schädlich
werden muß.
In der Erfindung
Dichter
in
behaglicher
kleinen Fabeln, welche der
der
Weise
zu Novellen
verbreitert,
zeigt sich Keller wieder als einer der originellsten Köpfe. Mirn
würde
die Keckheit,
Modegeschmack
mit
herausfordert,
welcher
für
er
jenen
oft
Muth
unsern
halten
sönnen, der aus der "Unkenntniß der Gefahr entspringt,
man würde glauben, es mit naivem Uebermuth zu thun zu haben, wenn wir nicht wüßten, daß Keller sich mühsam genug aus romantischen,
gmialischen und sentimentalen,
also unbewußten Anfängen zu der Höhe seine» Humors
emporgearbeitet hat. Die Novcllm sind natürlich nicht alle von gleichem
Werthe;
ich
zweimal
zu
würde Jedem lesen
und
rathen-
auch
dieses
Buch
fich'S das zweite Mal wohl zu
überlegen, ob die bei der ersten Lektüre minder geachteten
13 Theile nicht em Ende doch die werthvollsten find. ich
doch eine Auswahl
aber
treffen
soll,
Wenn
so muß ich
„Regine", „Don Correa" und vor Allem „die Berlocken" als diejenigen Novellen
welche
bezeichnen,
Dichter so schön oder doch
so
kein anderer
geschrieben haben konnte,
wie Gottfried Keller.
Ich hebe die schlichte, fast burschikose Geschichte von den „Berlockm" deshalb besonders hervor, weil in dieser
Keller wieder besonders scharf hervortritt.
Diese Eigenart
ist freilich keine neue Erfindung wie etwa die Schreibart
durch
eines
Reklame
gehobenen
Schriftstellers,
bessert
Geige nur die 6-Seite befitzt, und der es darum noth auf dieser O-Seike zur Virtuosität gebracht
gedrungen hat.
Nein,
Keller'L Art
ist
vor Manierirtheit
durch' ihren Reichthum geschützt; fast immer von Armuth her.
eben
denn Manier stammt
Keller's lehrhafte Neigung
zu moralischen Nutzanwendungen, seine Freude am «sym-
bolisircn,
Berichterstatter - Ruhe
unerschütterliche
seine
könnten an die Altersschriften Goethe's erinnern, wenn
so
lange
sein Schweizer Epigone
dieser
sich
Gabe
der Sinnlichkeit gewahrt hätte.
wie
der
schaftlich
wie
alte Goethe,
wenn
er
einmal
und dadurch plastisch wurde:
die
Keller schreibt,
wieder leidenin litterarischen
und naturwissenschaftlichen Dingen. Aber
dabei
ist Keller auch
Herr über feinen Stil.
jetzt noch vollkommen
Seine Darstellungsweise stimmt
zu seinen Stoffen, wie ebm die einzelnen Glieder eines wohlgebauten Menschen.
Man kann diese Sprache von
keinem andern Schriftsteller, die einzelnen Geschichten in
14 keiner
andern
Weise
vorgetragen
Keller sichtlich seinen Stil
anderen
Wohl
nach großen Vorbildern manche Unart,
bildet und züchtet andererseits mit
dmken.
alemannischen
die
gemein
Schriftstellern
hat ge ihm
ist.
Trotzdem hört man aus jedem seiner Sätze einen indivi duellen Ton heraus, nehmen Lage
ist,
wer
und
sich beim
auch nicht in der ange-
Lesen
gegenwärtigen und seinen Tonfall
den
Verfasser
ver-
zu können,
vorstellen
wird sich ohne Frage ein bestimmtes, nicht allzu unähn
liches Bild von dem Erzähler entwerfen.
Nicht alle Stoffe der Sinngedicht-Novellm
sind so
rein menschlich, so losgelöst von dem Treiben der Gegen wart,
daß
sie
Keller
mit
seinen
bisher
angewandten
Mitteln, welche die Nervosität unserer Tage nicht kennen, Die Leserinnen französischer Romane,
bewältigen konnte.
die deutschen Dumas-Verehrerinnen, die alle nervenkrank
find,
fühlen
Nervenlosen,
sich
von
d. h.
Nerven nicht spürt,
berührt.
der kräftigen
eines im
Berührung
eines
der
seine
gesundm Mannes,
ersten Augenblick
fast
peinlich
Und wirklich würde vielleicht durch Keller nicht
alles Modems geschildert werden könnm, wirklich ist der reizbare Stil Heyse'S ebenso nothwmdiges Produkt nothwendiges Erfordemiß unserer Zeit. thut doch inmitten
der typhösm Unmhe
wie
Am Ende aber
unserer „jetzt-
zeitigm" Dichter die Klarheit eines gesundm Kopfes wohl.
Wenn „Don Correa" sein hübsches Frauchm einfach
aufknöpfen
läßt,
wmn
Schuld selber aufhängt
„Regine"
sich
wegen
(es ist der ordinäre,
geringer
aber aus
giebige Lieblingstod der Keller'schen Stute), so sieht man.
15 wie wenig zimperlich der Dichter Was
an
genannt In
diesen Geschichten
werden
seiner
Dichter
könnte,
so
wie
mobem
ist
das
von
Anschauung
der
nur
auffaßt.
die Ehefrage
oder pedantisch
altmodisch
die Form.
höchstens
Frage
selbst
George Eliot,
ist
der
wie
nur
Ibsen in seiner „Nora", und das selbstbewußteste Weid könnte mit der Stellung zufrieden sein,
die Keller
ihm
zumeist. Wenn aber dieser Mann mit der ehrbarsten Miene der schönen Leidenschaft das Wort redet, muß ich immer
an
die
maßvollen Rhythmen
mit denen Mozart
umhüllt.
und Harmonien
denken,
seine still leidenschaftlichen Melodien
Sein reines,
heiter
bestrickendes Wesen,
das
selbst im Wirbel der Lust einen festen, leuchtenden Ruhe
punkt nie aus den Augm verliert, besitzt Keller in ähn
licher Weise. Mozart's
Und das kleine Rokoko-Zöpfchen,
Kopfe
glücklichem
so
reizend
welches
fehlt
steht,
auch bei Keller nicht; der Zopf des vorigen Jahrhunderts ist mit Recht der Lächerlichkeit anheimgefallen, da» Zöpfchen
aber war ein Schmuck, dessen graziöse Schönheit erst seit Kurzem wieder lebhaft empfundm wird.
Ul. Zwischen
Schwänke
und
der
Abfassung
der
luftigen
der Sinngedicht-Ehenovellen,
Seldwylerdie
beide,
beziehungüreich und weltweit, symbolische Dichtungen find, liegt die Ausarbeitung
de» „grünen Heinrich",
so
wie
er uns jetzt vorliegt, und die Niederschrift der „Züricher Novellen."
Wer
Gottfried
Keller
nur
au»
diesen
16 müßte ihn für einen recht eingeflcischtm
Werken kennt,
Lokalpatrioten halten,
Reuter
an
well er noch viel enger als Fritz
seiner schönen Heimath
scheint.
hangelt
zu
In den zwei Bänden der Novellen mag ihn nichts der Erde
mehr
angehm,
als
der seine Helden
umhcrfahren
genug im „Reich"
lange
Zürichstadt und der
die
Und im Romane gar,
Züricher See.
Sehnsucht nach seiner Mutter
steht
läßt,
ein
Und ost
ob die Mutter und die Heimath
weiß man nicht mehr,
durch
die
nach der Vaterstadt
und
immer wie der Weg zum Endziel vor Augen. nicht
auf
und
dasselbe
aber Keller
sinnlich
Bild
werden
dargestellt
könnten.
Ist
Iügendcrinncrung
noch
die Heimath gekettet, so
durch
fester als Reuter an
weit
da.
Manches Kernwort beweist in
Novellen,
und
steht er doch geistig viel freier
und
dm
Sprache
daß
er
es,
in
über
dm Gedichten
die Kirchthürme
hinaus zu blickm vermag, so lieb ihm auch der Ausblick auf seinm Kirchthurm sein tnag.
In dieser vorwiegend Schweizcrischm Gruppe fehler Schriften Leiser
kommt
der Schalk etwas
klingeln seine
melodiereichm
der Dichter unter der Maske
seltenes zu Worte.
Schellm,
während
eines etwas altfränkischen
Herrn seine Sachen zum besten giebt.
Und völlig Maske
Ein
ist dies altfränkische Wesen dmn doch wieder nicht. gut Theil einfacher Tüchtigkeit kommt
da
fast
Weise der älteren Schweizerdichter zum Vorschein.
Helden
sind wieder
ganz
sonderbare Käuze;
in
der
Seine
aber
der
Dichter ist zu Hause nicht in der Stimmung, mit ihnm
17 zu
Züricher Gestalten
nicht Tcldwyla
soll
Zürich
spaßen.
sollen
werden.
Die Seldwyler
zimmer,
aber
sie
lachen,
erobern
Seine
sein.
nicht ausgclacht
aber
sich ziervolle Frauen
deren Narren ihr Lebelang;
bleiben
der Züricher Landvogt von Greifcnsee bleibt mit feinen köstlichen fünf „Brauten" ein Junggeselle, aber er narrt
die Andern. ungesalzen
wenn
Und
so
schmeckt,
fein Spaß
am Ende
etwas
leidet darunter der Werth der
Novelle, nicht aber der des Mannes. Ein Wunder der Dichtung aber ist es zu nennen,
wie Keller einmal
diese einfache Tüchtigkeit,
indem er
sich scheinbar über sie lustig macht, zur reinsten poetischen Wirkung erhebt.
Wie Heinrich von Kleist den Lorbeer
aus dem märkischen Sande wachsen läßt, aus der Pflicht
erfüllung dm Heldenruhm, so hat Keller in weit schlichterer Weise
mit dem „Fähnlein der siebm Aufrechten" das
hohe Lied
der einfältigm Bürgertugend gesungm.
sind keine geistreichm und keine gebildctm Lmte,
sieben Handwerksmeister;
Es
diese
die schelmische Liebesgeschichte,
welche dm Einschlag bildet, ist nicht von der spannmdm
Gattung,
der Vorgang
ist
der
aber
alltäglichste:
der
Leser jauchzt auf vor Lust — wie Kinder des Sommers bei
einem
erquickendm Flußbade.
weisen Meister
Rede
finden,
nicht wie
dm
der
Muth
verliebte
Wie die sieben un zu
einer
Sohn
öffentlichen
göttlichen
des
Schneiders, der schon sonst Wunderdinge verrichtet hat, für fie sein Sprüchlein sagt, sowie ihm der Schirabel ge-
wachsm ist, und wie nun die aus den Mund gcschlagenm
Meister in aller Unschuld und so aus dem Handgelenk 2
18 die weisesten Regeln über die edle Rednerei vorbringen, — das wäre homerisch zu nennen, wenn Homer etwas
von Ironie gewußt hätte.
Dutzende könnten
Die
von
als Motti
Stimmung
Kellers
warmen
Vaterlandsworten
stehm.
vor den Züricher Novellen
seines
vierbändigen
seines
Romanes,
großen, nachher umgearbeiteten, aber immer Fragment ge
bliebenen
„grünen
Heinrich"
in
ist
ungelenken Gedichte enthalten, welches
einem
seltsam
„Jung gewohnt,
alt getan" überschrieben ist und folgenderma^n anhebt: Die Schenke dröünt, und an dem langen Tisch
Ragt Kopf an Kopf verkommener Gesellen; Man pfeift, man lacht ; Geschrei, Fluch und Gezisch
Ertönte an des Trunkes trüben Wellen. In dieser Wüste glänzt' ein weißes Brot,
Sah man es an, so ward dem Herzen besser; Sie drehten eifrig drauS ein schwarzes Schrot Und wischten dran die blinden Schenkemesser.
Doch Einem,
der
da mit den andern schrie,
kleiner Bissen Brot unter den Tisch.
„Was, Kerl!
hast du verloren?"
fiel ein
Er hob es auf.
Er versteckte es in
den Falten des Rockes. Er sann und sah sein ehrlich Vaterhaus Und einer treuen Mutter häuslich Walten.
Rach Jahren aber saß derselbe Mann Bei Herrn und Damen an der Tafelrunde,
Wo Sonnenlicht das Silber überspann Und in gewählten Reden floh die Stunde.
19 Auch hier lag Brot, weiß wie der öirtin Hand,
Wohlschmeckend m dem Dufte guter Sitten; Er selber hielt's nun fest und mit Verstand,
Doch einem Fräulein war ein Stück entglitten. „O lassen Sie es liegen!" sagt sie schnell;
Zu spät, schon ist er untern Tisch gefahren Und späht und sucht, der narrische Gesell,
Wo keine seid'ne Füße steh'n zu Paaren. Tie Herren lächeln und die Damen -ieh'n
Die Sessel scheu zurück vor dem Beginnen; Er taucht empor und legt das Brötchen hin.
Errötend hin auf das damast'ne Linnen. „3« artig, Herr!" dankt' ihm das schöne Lind,
Indem sie spöttisch lächelnd sich yeryeigte; Er aber sagte höflich und gelind, Indem er sich gar sittsam tief verbeugte:
„Wohl einer Frau galt meine Arttgkeit, Doch Ihnen diesmal nicht, verehrte Dame!
ES galt der Mutter, die vor langer Zeit
Entschlafen ist in Leid und bitt'rem Grame."
Es hieße prosaisch werben, wie ein Catalog der Goethe-Litteratur, wollte ich die geistige Verwandschaft zwischen diesen Versen und dem „grünen Heinrich" im Einzelnm nachweisen. Niemals ist Pietät bärbeißiger zum Ausdruck gekommen; und Pietät hat den fast auto biographischen Roman geschrieben. In seinen Bekenntnissen hat Rousseau erzählt, wie die Zeitgenossen sich an ihm versündigten, der freilich selbst fein Engel war; in „Dichtung und Wahrheit" hat 2*
20 Goethe nachgcwiesen, wie seine Mutter und seine Zeit
ihn förbcrtcn,
der selbst
Gottfried Keller
war;
logische Schärfe
die Blüte
Jahrhunderts
de»
von Goethe die psycho
nimmt
er nimmt
und liebevolle Dankbarkeit,
von Rousseau die Selbstanklage und schreibt ohne Cynis mus die Geschichte des verlorenen Sohnes. wundersame Roman liegt längst in den vier
Der Bänden
hoffen,
seiner
neuen Ausgabe
daß unser Publikum,
Es ist kaum zu
vor.
so weite Kreise auch die
Bedeutung seines Dichters anerkannt habm, mit derselben Gier
dem
nach
„grünen Heinrich" greifen wird,
wie
nach den Werken unserer sonst berühmten Romanciers;
auf die
mühelose Unterhaltung,
vertreib, den leichten Sinnenkitzel
den aufregenden Zeit verstehen sich Andere
weit bester, die die geistreichen Bilder ihrer arbeitsamen Phantasie für die müßigen Stunden ihrer Mitmenschen Gottfried Keller
Herborgen.
solchem
Zeitvertreib
hat
geschrieben.
den Roman nicht zu Er
hat
mit
seinem
„grünen Heinrich" dm Dmtschm kein geringeres Geschenk gemacht als sich selbst,
d. h. die Summe des Lebens
eines nachdenklichm Mmschen. Meine
cingestandene Verehrung
für diesen Autor
und sein neues altes Buch macht mich nicht blind für die großen Kompositionsfehler desselben. Heinrich