Von Falken, Hunden und Pferden: Teil 1 [Reprint 2013 ed.] 9783111371542, 9783111014326


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German Pages 231 [256] Year 1962

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Table of contents :
Einleitung
I Zur Entstehungszeit des Liber de animalibus
II Die Quellen des Albertus
III Albertus als Ornithologe
IV Die ältere Übersetzung durch Ernesti
V Lebensdaten des Wernherus Ernesti
VI Das Leben des Heinrich Münsinger
VII Die handschriftliche Überlieferung von Münsingers Übersetzung
VIII Das Verhältnis der Handschriften zueinander
IX Der Traktat des Hippokrates
X Münsingers Bedeutung für die deutsche Jagdliteratur
XI Sein Einfluss auf die nachfolgende Zeit
XII Spätere Übersetzungen
Buchelin von den Suchten der Fogel, Hunde vnd Pferde
Glossar
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Von Falken, Hunden und Pferden: Teil 1 [Reprint 2013 ed.]
 9783111371542, 9783111014326

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VON F A L K E N HUNDEN UND PFERDEN DEUTSCHE A L B E R T U S - M A G N U S - Ü B E R S E T Z U N G E N AUS DER ERSTEN HÄLFTE D E S 15. J A H R H U N D E R T S

TEIL I

E I N G E L E I T E T UND HERAUSGEGEBEN VON

K U R T LINDNER

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO. BERLIN 1962

QUELLEN UND STUDIEN ZUR GESCHICHTE D E R J A G D HERAUSGEGEBEN VON

KURT LINDNER

VII

Jßu^UaH^ fu l e / As it^i

ARCHIV-NR. 8437 621

I N H A L T

EINLEITUNG

9

ALBERTUS MAGNUS I

ZUR

ENTSTEHUNGSZEIT

DES L I B E R

DE

ANIMALIBUS 9 , I I

Q U E L L E N D E S A L B E R T U S 2 3 , I I I A L B E R T U S ALS O R N I T H O L O G E

DIE 44.

WERNHERUS ERNESTI IV

DIE

ÄLTERE

ÜBERSETZUNG

DURCH

ERNESTI

55,

V

LEBENS-

DATEN DES W E R N H E R U S E R N E S T I 6 1 .

HEINRICH MÜNSINGER VI

DAS LEBEN

DES H E I N R I C H

MÜNSINGER

65,

VII

DIE

HAND-

SCHRIFTLICHE ÜBERLIEFERUNG VON MÜNSINGERS ÜBERSETZUNG 7 9 , VIII

DAS

VERHÄLTNIS

DER

HANDSCHRIFTEN

I X D E R T R A K T A T DES H I P P O K R A T E S 1 1 0 , X

ZUEINANDER

MÜNSINGERS

TUNG FÜR DIE DEUTSCHE JAGDLITERATUR 1 1 5 , X I AUF

DIE

GEN

122.

NACHFOLGENDE

ZEIT

118, X I I

SEIN

101,

BEDEU-

EINFLUSS

SPÄTERE

ÜBERSETZUN-

FOGEL, HUNDE

VND P F E R D E

WERNHERUS ERNESTI BUCHELIN GLOSSAR

VON DEN

SUCHTEN

DER

127 193

I Die Chronologien des Lebens und der Werke des Albertus Magnus sind ein schwankender Boden. Wer sich mit ihnen beschäftigt, fühlt sich zunächst einer kaum übersehbaren Fülle einander widersprechender Behauptungen und Vermutungen gegenübergestellt, für die die wenigen gesicherten Daten von jeher einen weiten Spielraum ließen. Sie alle sind im Laufe der Zeit von der hochentwickelten Albertus-Forschung der Prüfung unterworfen worden und haben vielfach den sorgsamen und kritischen Überlegungen nicht standgehalten. Aber das Resultat kann, im ganzen gesehen, nicht befriedigen. In mühevoller Kleinarbeit wurde viel Spreu vom Weizen getrennt, aber was übrigblieb, ist herzlich wenig. Zwar wurde vielfach das Irrige widerlegt, aber das Zutreffende deshalb noch keineswegs gefunden. Die beiden hier vorgelegten deutschsprachigen Traktate sind im wesentlichen Übersetzungen der jagdlich interessanten Abschnitte über Beizvögel, Hunde und Pferde aus dem Liber de animalibus des Albertus Magnus. Zwangsläufig stellt sich um ihrer Einordnung und Würdigung willen die Frage nach dem Alter der den Übertragungen zugrunde liegenden Vorlage. Der Versuch, den Zeitpunkt ihrer Entstehung zu bestimmen, führt uns inmitten der angedeuteten Schwierigkeiten. Die Albertus-Magnus-Forschung sieht sich bislang nicht in der Lage, auf unsere Frage eine eindeutige Antwort zu geben. Vielleicht liegt dieses Unvermögen weniger in der Fragestellung als im erwarteten oder angestrebten Resultat begründet. Alle bisherigen Versuche sind darauf gerichtet, wenn nicht ein bestimmtes Jahr, so doch eine recht eng bemessene 9

Zeitspanne zu ermitteln, in der der Liber de animalibus entstanden sein soll. Sobald man diesem Gedanken folgt, gerät man unweigerlich in die Schwierigkeit, eine Reihe von Tatsachen nicht widerspruchslos einander zuordnen zu können. Nur die Vermutung, daß sich die Abfassung des Tierbuches über Jahrzehnte erstreckte und im wesentlichen allein die Zeitpunkte des Beginns und der Vollendung bestimmt werden können, ermöglicht es, die Fakten in Einklang zu bringen und zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Wer den Umfang des Liber de animalibus und die ganze Fülle der eingestreuten persönlichen Bemerkungen übersieht, kann kaum glauben, daß dieses gigantische Werk nach der Art eines Romans in einem Zug zur Niederschrift kam. Es ist viel wahrscheinlicher, daß die endgültige Fassung durch Zusammenschluß von Entwürfen und Notizen entstand, die Jahrzehnte hindurch gesammelt worden waren. Dies schließt keineswegs aus, daß Albertus gewisse Jahre seiner wissenschaftlichen Tätigkeit vorwiegend der Bearbeitung jener Aristotelesparaphrase widmete, die ihm für den größten Teil seines Werkes als Quelle diente, daß es also Jahre gab, die in besonders enger Verbindung mit der Entstehung des großen Tierbuches stehen. Aber sie erlaubt auch die Annahme, daß beispielsweise das nach abweichenden Vorlagen entstandene 22. bis 26. Buch in eine andere Entstehungszeit zu verlegen ist oder daß einzelne Teile des Gesamtwerkes früher oder später zum Abschluß gebracht wurden. Der Gedanke, die einander widersprechenden Daten zur Entstehungsgeschichte des Liber de animalibus durch die Annahme einer sich über Jahrzehnte erstreckenden Abfassungszeit miteinander in Einklang bringen zu können, fand eine zunächst sehr handfest erscheinende Stütze in einer Feststellung, die Hermann Stadler nach Prüfung der Handschrift W.kl.f 0 258 a aus dem Besitz des Historischen Archivs der Stadt Köln, die wir mit gutem Grund für das vermutlich von der Hand des Albertus selbst 10

stammende Original halten, in den Sitzungsberichten der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften traf 1 ). Nach einer Beschreibung des seiner kritischen Ausgabe zugrunde liegenden Kölner Pergamentmanuskriptes stellte er fest: „Die Schrift wechselt ungemein in Größe und Deutlichkeit..., oft auf derselben Seite; auch der Wechsel der Tinte zeigt deutlich, daß das ganze Werk während eines längeren Zeitraumes absatzweise geschrieben wurde, vielleicht sogar an verschiedenen Orten." Diese Bemerkung mußte so aufgefaßt werden, als sei an Hand des Kölner Textes allein schon der Nachweis einer sich über geraume Zeit hinziehenden Fertigstellung des Gesamtwerkes zu erbringen. Dieser bequemen These, daß das Kölner Autograph eine unterschiedliche zeitliche Zuordnung einzelner Teile des Werkes zulasse, bediente sich auch Franz Pelster2), als er die wichtige Tatsache der frühzeitigen Erwähnung des uns besonders interessierenden, zum 23. Buch des Liber de animalibus gehörenden Tractatus de falconibus mit den von ihm ermittelten Daten zur Entstehungszeit des Tierbuches in Übereinstimmung zu bringen versuchte. Aber leider haben Stadlers Bemerkungen die Forschung in eine falsche Richtung gewiesen, denn sie sind in der getroffenen Form zumindest irreführend. Wer das Glück hatte, die Kölner Handschrift zu studieren, stellt sogleich fest, daß sie alle Merkmale einer echten Reinschrift hat. Sie mag durchaus die letzte, abschließende Fassung sein und von Albertus selbst stammen, aber sie ist niemals das Konzept gewesen, das die erste Niederschrift enthielt. Der ganze Text ist sehr sauber und völlig gleichmäßig geschrieben und weist nicht einmal einen geringfügigen ZwischenHermann Stadler, Vorbemerkungen zur neuen Ausgabe der Tiergeschichte des Albertus Magnus, Sitzungsberichte der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-philologische und historische Klasse, Jahrg. 1912, München 1912, 5. s ) Franz Pelster S. J., Kritische Studien zum Leben und zu den Schriften Alberts des Großen, Freiburg i. Br. 1920, 101.

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räum zwischen den einzelnen Büchern, geschweige denn zwischen den einzelnen Abschnitten auf. Die Unterschiede im Schriftbild sind nicht größer als die in der Handschrift eines jeden Menschen zutage tretenden Ausdrucksformen seiner Stimmung oder seiner seelischen Verfassung. Es gibt nur ganz natürliche Varianten in der Farbe der Tinte, die keineswegs auf längere Unterbrechungen oder gar auf einen Ortswechsel während der Niederschrift hindeuten. Wo immer eine Abweichung in der Schrift auftritt, hat man den Eindruck, daß der Schreiber mit seiner Tagesarbeit geendet hatte, um am folgenden Tag mit einer vielleicht etwas steileren oder kräftigeren Schrift fortzufahren. Vor jeder Tierart findet sich, da die Handschrift keinerlei Absätze kennt, ein trennendes Kapitelanfangszeichen. Auch die für die Datierungsarbeit besonders wichtige Abhandlung über die Falken ist in dieser Form gegliedert, nur sind zusätzlich am Fuß des Blattes in gleicher Schrift und offensichtlich auch gleichzeitig dir für sie charakteristischen Kapitelüberschriften hinzugefügt. Der Falkentraktat, dem gern ein höheres Alter zugebilligt wird, erweckt keineswegs den Eindruck, als gesonderte Einheit geschrieben oder gar eingefügt worden zu sein. Schriftbild und Farbe der Tinte zeigen, daß der Schreiber seine Tagesarbeit mit der noch nicht zu ihm gehörigen Vogelart der Dyomedicae 1 ) begann und ohne Abzusetzen einen wesentlichen Teil des sich nach zwei weiteren Vogelarten anschließenden Tractatus de falconibus 2 ) bewältigte. Auch Pelster 3 ) mußte sich nach Einsichtnahme in das Autograph von der Unhaltbarkeit der Stadlerschen These überzeugen. Nach seinen Feststellungen weisen die Schriftzüge keine Verschiedenheit auf, die einen größeren Unterschied in der Abfassungszeit einzelner Albertus Magnus, De animalibus libri XXVI, herausgegeben von Hermann Stadler, II, Münster i.W. 1920, 1452». 2 ) Ebenda 1453". *) Franz Pelster S. J., Zur Datierung einiger Schriften Alberts des Großen, Ztschr. f. katholische Theologie, 47, Innsbruck 1923, 478.

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Teile anzunehmen verlangte. Es handelt sich immer nur um Abweichungen, die bei jedem Schreiber anzutreffen sind, je nachdem er mehr oder weniger deutlich und schön zu schreiben beabsichtigt. Dabei kehren Schriftzüge, die wir in den ersten Büchern finden, noch in den letzten wieder. Unverständlich ist für jeden, der das Autograph einsah, Pelsters Feststellung, dieses Urteil gelte nicht für die als älter bezeichnete Abhandlung über die Falken. Gerade diese ist, wie erwähnt, im Duktus so einheitlich mit den vorhergehenden, nicht zu ihr gehörigen Kapiteln, daß es nicht der wissenschaftlichen Würde Pelsters entspricht, um der Rettung seines eigenen Datierungsversuches willen zu einer solchen Fehlinterpretation Zuflucht zu nehmen. Aus der Kölner Handschrift des Liber de animalibus ist jedenfalls weder das höhere Alter des Falkentraktats noch die Entstehung des ganzen Tierbuches während eines längeren Zeitraumes zu erweisen. Hinsichtlich der Datierung des Liber de animalibus sind sehr unterschiedliche Auffassungen geäußert worden. Ihre Vertreter machen Gründe geltend, die bald für eine Vollendung im sechsten, bald im siebenten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts sprechen. Pelster hat sie zusammengestellt1). Er wandte sich in seiner Beweisführung vornehmlich gegen die These, der Liber de animalibus sei 1256 bereits vollendet gewesen, und stellte ihr die Behauptung entgegen, daß das Tierbuch 1262 „höchstens im Entstehen begriffen war" 2 ). Seine Vollendung verlegte er in die Zeit um 1270/12713). Dieser Schlußstein ist sicherlich richtig, nur dürfte Pelsters für den Arbeitsbeginn gesetzter Termin post quem und die Beschränkung der Abfassung im wesentlichen auf die Jahre 1262 bis 1270 nicht zutreffen. Wir wissen, daß die erst spät entdeckten Quaestionen zum Tierbuch im Jahre 1258 im Anschluß an Vorlesungen über De animalibus in Köln disputiert wurden. ') Franz Pelster S.J., Kritische Studien, Freiburg 1920, 130—132. 2) Ebenda 157. *) Ebenda 159.

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Dies lege, so meinte Pelster1), „die Annahme zum mindesten außerordentlich nahe, daß er (Albertus) zu jener Zeit seinen Kommentar noch nicht vollendet hatte". Stellt diese Formulierung an sich schon eine Abschwächung des ursprünglichen Datierungsversuches dar, so erhebt sich die Frage: was heißt bei einem solchen Werk vollendet? Wenn ein derartig umfangreiches Werk zu irgendeinem Zeitpunkt durchgeführt und praktisch abgeschlossen war, aber nachträglich noch kleine, auf Erfahrung oder Beobachtung begründete Zusätze erhielt, so ist es nur eine Ermessensentscheidung, ob man als „Vollendung" den Abschluß der eigentlichen Hauptarbeit oder den Tag der Niederschrift der letzten kleinen Ergänzung bezeichnet. Alle von Pelster zusammengetragenen Argumente widersprechen nämlich nicht der Vermutung, daß in den 50er Jahren die Hauptarbeit bereits getan war, aber bis 1270 kleine Ergänzungen vorgenommen wurden, die in die wahrscheinlich aus dem achten Jahrzehnt stammende Kölner „Reinschrift" Eingang fanden. Mir scheint die Disputation der Quaestionen im Jahre 1258 viel eher ein Beweis für als gegen den Abschluß der Hauptarbeit zu dieser Zeit zu sein. Ist nicht die Vermutung, daß der Liber de animalibus abgefaßt war, als Albertus seinen Inhalt zum Gegenstand von Vorlesungen und Disputationen machte, viel wahrscheinlicher als die Annahme des Gegenteiles ? Ein solch früher zeitlicher Ansatz widerspricht nicht Pelsters offensichtlich zutreffendem Hinweis2), daß eine im Liber de animalibus wiedergegebene Beobachtung in das Jahr 1268 zu verlegen ist. Albertus berichtet, die Mißgeburt eines Gänsekükens von der Art siamesischer Zwillinge gesehen zu haben. Zufällig wissen wir durch eine zuverlässige Uberlieferung, daß dieses Gänslein 1268 im Unterelsaß zur Welt kam, von Tausenden von Menschen bestaunt wurde und auch Albertus, der nachweislich *) Franz Pelster S.J., Datierung einiger Schriften, Innsbruck 1923, 475. 2 ) Ebenda 4 7 6 - ^ 7 8 .

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zu dieser Zeit im Unterelsaß weilte, zu Gesicht kam. Der Hinweis auf dieses Vorkommnis im Tierbuch 1 ) zeigt, daß das der „Reinschrift" vorhergehende Konzept nach 1268 noch ergänzt wurde und der Liber de animalibus insofern zu dieser Zeit auch noch nicht „vollendet" war, aber er besagt nichts gegen die Annahme, daß der große Wurf längst getan, die Hauptarbeit selbst schon seit Jahren abgeschlossen war. Auf das wichtigste Argument gegen die späte Ansetzung der Entstehung des Liber de animalibus blieb Pelster eine überzeugende Antwort schuldig. Das Tierbuch des Albertus wird nämlich schon unter dem Titel Liber de animalibus im Speculum naturale des Vinzenz von Beauvais erwähnt. Jessen 2 ) machte als erster darauf aufmerksam, daß der ins 23. Buch eingeschobene Falkentraktat, welcher als einziger im 22. bis 26. Buch eine Kapiteleinteilung besitzt, die älteste oder eine der ältesten Partien des ganzen Werkes sein müsse. „Er allein wird vor 1250 als Theil der historia animalium von Vincent de Beauvais citiert, dem alle anderen Theile des Werkes nachweislich unbekannt waren." Auffällig ist in der Tat, daß Albertus in den ersten Büchern eine Gliederung in Traktate und Kapitel vornahm 3 ), in den fünf letzten dagegen darauf verzichtete und lediglich eine Besprechung der einzelnen Tierarten in der alphabetischen Reihenfolge ihrer Namen durchführte. Eine Ausnahme macht allein der Tractatus de falconibus. Beim Stichwort falco angekommen, verläßt Albertus seine weit dürftigere Vorlage und bringt, sorgfältig in 24 Kapitel gegliedert und mit Überschriften versehen, seinen Falkentext, um mit Schluß desselben gliederungslos in der alphabetischen Folge weiter Lib. VI. tract. 1 cap. 5, Ausgabe Stadler I, 457. Carl Jessen, Alberti Magni historia animalium, Archiv für Naturgeschichte 33, Berlin 1867, 97. 3) Vgl. hierzu Alberts eigenen Hinweis im Liber physicorum in deutscher Ubersetzung bei P. Hieronymus Wilms O.P., Albert der Große, München 1930, 45/46. 2)

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fortzufahren. Aufbau und Umfang heben den Falkenteil so sinnfällig aus dem gesamten Vogelbuch heraus, daß eine gleichzeitige Niederschrift durchaus unwahrscheinlich ist. Nur dieser Falkentext findet sich bei Vinzenz von Beauvais1) wieder, und zwar mit dem bedeutsamen Quellenhinweis, er sei dem Liber de animalibus des Albertus entnommen. Vinzenz benutzte bei Abfassung seines 71. Kapitels De diversis generibus falconum zwei Vorlagen, den Liber de naturis rerum des Thomas von Cantimpré und eben den Liber de animalibus des Albertus, die er beide namentlich nannte. Zunächst brachte er die auf den Ptolemäusbrief zurückgehende Systematik der Falconiden nach Thomas, daran Schloß er mit dem Hinweis „Albertus in liber de animalibus" eine Inhaltsangabe des Falkentraktats mit wörtlich übernommenen Zitaten aus den ersten 17 Kapiteln. Dann übersprang er die vorwiegend veterinärmedizinischen Auslassungen des Albertus in den Kapiteln 18 bis 22, um sich auf die ungekürzte Wiedergabe des in das 23. Kapitel eingeflossenen Ptolemäusbriefes zu beschränken, den er übereinstimmend in seinen beiden Vorlagen fand. Am Schluß unterließ er es nicht, daraufhinzuweisen, daß Albertus „in libro suo de animalibus" noch wesentlich mehr über diesen Gegenstand gesagt habe. Diese Bemerkung zeigt, daß der Falkentraktat mit Ausnahme des sichtlich später angehängten 24. Kapitels vollendet war, als Vinzenz von Beauvais ihn exzerpierte. Leider gibt nun dieses Zitat bei Vinzenz nicht einen so festen Anhaltspunkt für die Datierung des Liber de animalibus, wie wir ihn uns wünschen möchten2). Nach landläufiger Auffassung war das Speculum naturale im Jahre 1250 vollendet, weil im letzten Buch die Absicht bekundet wird, die Darstellung der Weltgeschichte bis zum gegenwärtigen Jahr 1250 fortzuführen. Aber dieses Datum ist berechtigter Kritik ausgesetzt, da Ereignisse der !) Speculum naturale, Venedig 1494, Lib. XVI, Kap. L X X I , fol. 200 ν. 2) Zur Datierangsfrage s. Franz Pelster S.J., Kritische Studien, 1920,98/99 ; Lynn Thorndike, A history of magic and experimental science II 5 ,1958, 459 if.

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Jahre 1253 und selbst 1259 noch Erwähnung gefunden haben. Es gilt als wahrscheinlich, daß wir beim Speculum naturale mit mindestens zwei Redaktionen zu rechnen haben, von denen die erste Fassung nicht viel später als 1241 abgeschlossen vorlag. Nichts Zuverlässiges wissen wir bislang über Zeitpunkt und Ausmaß der nachfolgenden Interpolationen. Die Forschung hat dem Speculum naturale des Vinzenz von Beauvais bisher überraschend wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Wir verfügen weder über eine kritische Ausgabe noch über eine Zusammenstellung der erhaltenen Handschriften. Wir wissen auch nichts über deren Verhältnis zueinander und sind beim Textstudium allein auf die Benutzung einiger wenig befriedigender Drucke aus der Inkunabelzeit angewiesen. Wir können deshalb vorläufig nur unterstellen, daß zumindest die zweite, ungeachtet der Möglichkeit weiterer Ergänzungen wohl in die Zeit um 1250 anzusetzende Redaktion den Hinweis auf Albertus schon enthielt. Wäre dieser Nachweis zu erbringen, hätten wir wenigstens einen festen Anhaltspunkt für die Datierung des Liber de animalibus. Sollte sich das Albertuszitat als spätere Interpolation erweisen, wäre wenig gewonnen. Wir können nur mit Thorndike (II, 461) sagen "This problem again calls for an examination of the earliest manuscripts". Uns bleibt deshalb vorläufig nichts anderes übrig, als ungeachtet aller Vorbehalte mit Jessens These von der Zuverlässigkeit dieses Hinweises auf die Existenz von Alberts Tierbuch um 1250 zu arbeiten. Vinzenz, Bibliothekar und Kaplan König Ludwigs IX., des Heiligen, war Dominikaner wie Albertus und dürfte diesem während seines Pariser Aufenthaltes in den Jahren 1245 bis 1248 begegnet sein. Unbestreitbar bleibt die Tatsache, daß der Traktat De falconibus nach Gliederung und Aufbau den Rahmen des 23. Buches im Liber de animalibus sprengt und offensichtlich nicht gleichzeitig mit dessen übrigen Teilen abgefaßt wurde. Was widerspricht der Annahme, daß Albertus mit dem Falkentraktat seine zoologische Arbeit überhaupt begann und daß dieser schon 2

Von Falken. Hunden und Pferden I

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vor 1258 als Bestandteil eines vielleicht zunächst nur in großen Zügen konzipierten Liber de animalibus — denn gerade dieser universelle Titel erscheint ja schon im Speculum naturale — Vinzenz zur Kenntnis kam? Dem Tractatus de falconibus ist — wie noch zu zeigen sein wird — ein so hohes Maß von Originalität eigen, daß mit ihm vielleicht bei Albertus überhaupt der Gedanke an Boden gewann, dem jahrelangen Drängen seiner Ordensbrüder nachzugeben „ihnen ein Buch über die Naturdinge zu verfassen, worin sie eine vollkommene Naturwissenschaft besäßen und mittels dessen sie die Schriften des Aristoteles genügend verstehen könnten" 1 ). Vieles spricht dafür, daß der Traktat De falconibus eine der frühesten Arbeiten des Albertus überhaupt ist, die während seines Aufenthaltes in Italien in den zwanziger oder dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts, vielleicht schon während seines Studiums an der Universität Padua entstand. Einige der Quellen, die in den Traktat De falconibus einflossen, haben in Italien ihre Heimat. Hier sind sie nicht nur entstanden, sondern auch durch eine starke Tradition sowohl im lateinischen Urtext als auch in zahlreichen Übersetzungen und Kompilationen fortgeschrieben worden. Zwar schließt schon die Universalität der lateinischen Sprache nicht aus, daß sie auch außerhalb der italienischen Landesgrenzen bekannt waren, aber ihre Wirksamkeit jenseits der Alpen ist allenthalben erst später spürbar. Auffällig ist auch, daß sie keinem der gleichzeitig wirkenden Naturforscher wie Bartholomäus Anglicus, Thomas von Cantimpré oder Vinzenz von Beauvais bekannt waren, obgleich gerade der letztere über besonders viele Vorlagen bei der Kompilation seines Speculum naturale verfügte. Nirgends finden wir sie bei ihnen erwähnt. Diese Texte waren also offenbar um 1250 selbst in Paris nicht vorhanden. Auch sollten wir daran denken, daß Albertus sich mehrfach auf das Zeugnis von „Falknern Kaiser Friedrichs II." beruft, *) Liber physicorum Lib I. tr. I. cap. I, H. Wilms, a.a.O., 45.

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die ihm einen Teil des im Traktat De falconibus niedergelegten Wissens vermittelten. Es ist unwahrscheinlich, daß eine solche Begegnung erst nach dem Tod des Kaisers im Jahre 1250 stattgefunden haben sollte. Die hier vorgetragene These, den Falkentraktat als ältesten Bestandteil des in langer Dauer entstandenen Liber de animalibus ansehen zu wollen, erfordert eine Abgrenzung nach anderer Richtung. Sie schließt die Frage ein, ob in ihm Anleihen aus dem Liber de naturis rerum des Thomas von Cantimpré gemacht wurden. Nun muß zunächst mit Bedauern gesagt werden, daß es um die Thomas-Forschung fast noch schlechter steht als um die des Vinzenz von Beauvais. Es ist schmerzlich, feststellen zu müssen, daß der Liber de naturis rerum, eines der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Werke des 13. Jahrhunderts, von geringfügigen Bruchstücken abgesehen, niemals gedruckt wurde und wir beim Studium auf die Einsichtnahme in eine der vielen, leider nirgends systematisch untersuchten Handschriften angewiesen sind1). Nicht weniger als bei Vinzenz ist eine kritische Textedition notwendig. Sie wird sehr schnell erweisen, daß Stadlers2) Behauptung, für das 22. bis 26. Buch von Alberts Liber de animalibus sei der Liber de naturis rerum des Thomas von Cantimpré die fast ausschließliche Quelle gewesen, nicht zutrifft. Diese Feststellung ist aber insofern in diesem Zusammenhang unerheblich, als die Abhängigkeit der uns in Sonderheit interessierenden Traktate De falconibus, De equis und De canibus von Thomas niemals unterstellt wurde. Und doch sind wir nicht ganz frei von der mit Thomas von Cantimpré zusammenhängenden Problematik. Eine der von Albertus benutzten Quellen ist — wie wir noch sehen werden — der apokryphe Brief dreier Bibelübersetzer, x

) Unseren Betrachtungen wurde der Cod. lat. 27006 der Bayerischen Staatsbibliothek München zugrunde gelegt. s ) Albertus Magnus, De animalibus libri XXVI, herausg. von H. Stadler, II, Münster i.W. 1920, Einleitung V.



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Aquila, Symmachus und Theodotion, an einen ägyptischen König aus dem Hause der Ptolemäer, der in der Sprachwissenschaft nach seinem Empfänger die Bezeichnung Ptolemäusbrief erhalten hat. Die Entstehung dieses für die Geschichte der Falknerei wichtigen Textes gehört ins 12. Jahrhundert. Vom Ptolemäusbrief kennen wir vier Redaktionen. Von der ursprünglichen, leider nur unvollständig erhaltenen lateinischen Fassung ist nur eine einzige, bisher ungedruckte Handschrift 1 ) erhalten. Werth 2 ) hielt eine damit identische und für die Ergänzung der Lücken wichtige katalanische Übersetzung 3 ) irrtümlich für den Urtext. Die zweite Redaktion 4 ) erfolgte, als eine Sammlung beiz jagdlicher Texte auf Veranlassung Enzios, eines natürlichen Sohnes Friedrichs II., Königs von Torre und Gallura, veranstaltet wurde, in der an erster Stelle der Ptolemäusbrief Aufnahme fand. Sie dürfte spätestens 1249, als Enzio in die Gefangenschaft der Bologneser fiel, zum Abschluß gekommen sein. Ihr fehlt die charakteristische ursprüngliche Einleitung. *) Cambridge, Mass., USA, Library of Harvard University, The Houghton Library. Die Handschrift gibt leicht zu Mißverständnissen Anlaß, weil der Ptolemäusbrief nicht zusammenhängend erscheint und die wichtigsten Teile irrtümlich mit dem Brief des Grisofus an Kaiser Theodosius in Verbindung gebracht werden. Ein verlorengegangenes Blatt ist vorläufig nicht zu ergänzen. Es ergibt sich folgende Konkordanz: Harvard Rigaltius 219 r—221 ν (aucupatione) II, 185—189» 2 2 6 ν , 3 . Z.V.U. II, 189»-· das fehlende Blatt 227 II, 189·—190 l.Z.v.u. 228 r—233 ν II, 191—200 a) Hermann Werth, Altfranzösische Jagdlehrbücher, Halle 1889, 16. s ) Paris, Bibliothèque Nationale, Fonds espagnol 212, fol. llOr—112r, abgedruckt bei N. Rigaltius, Hieracosophion, Rei Accipitrariae scriptores nunc primum editi, Lutetiae 1612, II, 185—200. 4 ) Cambridge, Clare College, Ms. 15, fol. 185 t 1 —185 v a . Eng verwandt mit Clare College Ms. 15 ist ein Fragment im Ms. X X X d l der Bischöflichen Bibliothek in Klagenfurt fol. 26 ν—29 r (entspricht Rigaltius II, 186"—193»).

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Vom Ptolemäusbrief gingen bis ins 15. Jahrhundert nachhaltige Wirkungen auf die didaktische Jagdliteratur in ganz Europa aus. Erinnert sei allein an die Einflüsse, die in Dels Auzels Cassadors des Daude de Pradas, in den Livres dou Tresor des Brunetto Latini und im Aucupatorium Herodiorum des Eberhard Hicfelt ihren Niederschlag fanden. Es kann deshalb auch nicht überraschen, daß sich mehrere Bearbeiter voneinander unabhängig und zum Teil nahezu gleichzeitig mit ihm beschäftigten. Neben den beiden ersten Redaktionen kennen wir eine gekürzte lateinische Fassung, die Werth 1 ) für eine Rumpfübersetzung ansah. Sie wurde von Rigault 2 ) im Jahre 1612 nach einem „über incerti auctoris de natura rerum" herausgegeben. Der incertus auctor ist jedoch niemand anderes als Thomas von Cantimpré, die Quelle sein Liber de naturis rerum. Dieser Zusammenhang wäre sicherlich längst erkannt worden, wenn das Werk des Thomas gedruckt vorgelegen hätte. Da aber die Zuordnung der Handschriften zu einem bestimmten Verfasser lange Zeit hindurch umstritten oder mangels hinlänglicher Kenntnis unmöglich war, hat auch Rigault den wahren Autor der „Rumpfübersetzung" nicht ausfindig machen können. Manuskripte 3 ), in denen diese Kurzfassung selbständig fortgeschrieben wurde, sind deshalb für die Forschung nur von geringer Bedeutung. Um die Bearbeitung durch Thomas zu erfassen, bedarf es der Durchsicht der mehr als ein halbes Hundert ausmachenden Handschriften, in denen der Liber de naturis rerum erhalten ist. Diese allein vermitteln ein zuverlässiges Bild von der Tradition des gekürzten Ptolemäusbriefes. Für jeden, der die Arbeitsweise des Thomas von Cantimpré kennt, konnte es jedoch kaum zweifelhaft sein, daß diese Redaktion nicht von ihm selbst durchgeführt wurde. Thomas ist allzusehr an seine Quellen ') Heimann Werth, a.a.O., Halle 1889, 16. N. Rigaltius, Hieracosophion, a.a.O., Lutetiae 1612, II, 201—211. ') Zu ihnen gehört Oxford, Corpus Christi College Ms. 27 r, fol. 129v bis 132r. a)

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gebunden, als daß ihm ein solch entscheidender Schritt zuzutrauen wäre. Wir haben deshalb in seiner Fassung erst die vierte Redaktion zu sehen. Dazwischen steht die dritte eines unbekannten Kompilators, der den ursprünglichen Text mit Zitaten aus einigen weiteren Quellen, einem „Liber rerum", der „Glossa super leviticum" und dem anscheinend verlorenen Werk des „Experimentator" verschmolz. Vermutlich entstand diese dritte Version einige Jahrzehnte früher als die zweite. Sie geht wie diese unmittelbar auf den Urtext zurück und ist glücklicherweise noch erhalten 1 ), freilich gleichfalls ungedruckt. Thomas' Arbeit bestand im wesentlichen darin, ihren Inhalt auf mehrere Stichworte wie accipiter, erodius und falco aufzuteilen. Welche der Ptolemäusbriefredaktionen Albertus bei Abfassung seines Falkentraktats benutzte, wird zu sagen sein, sobald eine kritische Textausgabe aller Fassungen vorliegt. Hier sollte nur festgestellt werden, daß die weitgehende Übereinstimmung zwischen dem bei Albertus im 23. Kapitel des Falkentraktats erscheinenden Ptolemäusbrief und dessen Wiedergabe bei Thomas von Cantimpré nichts über die Entstehungszeit des Liber de animalibus aussagt. Ob der Tractatus de falconibus schon vor Vollendung des Gesamtwerkes allein fortgeschrieben wurde, ist nur schwer zu beantworten. Daß wir eine altfranzösische Ubersetzung 2 ) besitzen, die nicht nach 1284 — nur vier Jahre nach dem 1280 erfolgten Tode des Albertus — aufgezeichnet worden sein kann, spricht für das frühzeitige Einsetzen einer selbständigen Tradition. Es war wohl naheliegend, daß bald Interesse für einzelne Teile des kaum übersehbaren Liber de animalibus geweckt wurde. Fürstliche Jäger mögen Liebe zum Falkenteil, Marstaller und Roßärzte zum Pferdebuch gezeigt haben. Eine Handschrift der Bischöf') London, British Museum, add. Ms. 18752, fol. 212r—216r. 2) Paris, Bibliothèque Nationale, F. fr. 2003, herausgeg. von H. MartinDairvault, Paris 1883, XIII—XIV u. 31—94 (E. Jullien u. Paul Lacroix, Cabinet de vénerie VI).

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lichen Bibliothek in Klagenfurt 1 ) aus dem Jahre 1419 enthält neben einigen alten Falkentexten und einer Abschrift von De cura canum den ganzen Traktat De canibus des Albertus. Die Bodleian Library in Oxford 2 ) bewahrt ein aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammendes Manuskript italienischer Herkunft vom Traktat De falconibus auf. Es ist inhaltsgleich mit einem ungefähr gleichaltrigen Text der Österreichischen Nationalbibliothek 3 ). Wenn diese kleinen, den Praktiker ansprechenden Abhandlungen schon in lateinischer Sprache Anklang fanden, konnte bis zu ihrer Übersetzung in die dem Laien geläufige Volkssprache kein weiter Schritt mehr sein. Wir kennen Übertragungen des Falkenteils ins Französische und Italienische 4 ). Die beiden ältesten deutschen Übersetzungen von Alberts Falken-, Pferde- und Hundetraktat werden mit dieser Ausgabe vorgelegt. Ehe wir auf sie selbst und auf die Männer, denen wir sie verdanken, zu sprechen kommen, sollen Art und Ausmaß der von Albertus hierfür benutzten Quellen und die Bedeutung des Falkentraktats für die Beurteilung seiner Leistung als Ornithologe untersucht werden. II Um die Bedeutung des Albertus Magnus für das hochmittelalterliche jagdliche und veterinärmedizinische Schrifttum richtig einschätzen zu können, bedarf die Frage nach dem Ausmaß seiner *) Klagenfurt, Bischöfliche Bibliothek, Ms. X X X d 1, fol. 31 r—35 v. Der überlieferte Text entspricht in der Stadlerschen Ausgabe des Liber de animalibus 1362 25 —1368». 2 ) Oxford, Bodleian Library, Ms. Rawl. D 483, fol. Ir—47 ν, Stadler 14531e—149315. Auf fol. 47 y—48 ν schließt sich ein kleiner italienischer Traktat über die nach Herkunft unterschiedenen Sperberarten an. 8 ) Wien, österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. 5315, fol. 257r bis 272ν, Stadler 1453»—1493". 4 ) Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Cod. Ms. Dresd. Ob 21, fol. 107 ν bis 153v, Mitte der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts; vgl. a. Hermann Werth, Altfranzösische Jagdlehrbücher, Halle 1889, 40—45.

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Originalität bzw. seiner Abhängigkeit von älteren Vorlagen der Beantwortung. Stadler hat sich in dankenswerter Weise bemüht, den Liber de animalibus überall dort auf seine Quellen zurückzuführen, wo diese nach dem derzeitigen Stand der Forschung zu ermitteln waren 1 ). Es ist kennzeichnend, daß er sich beim Traktat De falconibus jedes Hinweises enthalten mußte. Wenn deshalb auch nicht angenommen werden konnte, daß alles darin Gesagte aus der Feder des Albertus selbst stammte — einer solchen Annahme widersprachen schon die von Albertus selbst gegebenen Hinweise auf seine Gewährsleute — so erlaubte es doch zu jener Zeit, in der Stadler wirkte, unser Wissen vom hochmittelalterlichen jagdlichen Fachschrifttum noch nicht, etwas Zuverlässiges auszusagen. Dieser Zustand der Ungewißheit kann heute als überwunden angesehen werden. Wir haben ein sehr viel besseres und vollkommeneres Bild jener vornehmlich der Heilkunde kranker Beizvögel gewidmeten abendländischen Schriften, deren Entstehung wir ins 12. Jahrhundert verlegen. Sie waren das Fundament, auf dem Albertus baute. Wir dürfen für unsere Betrachtungen den Traktat De falconibus in einen ornithologischen und einen jagdlich-veterinärmedizinischen Teil zerlegen. Der ornithologische, der die Kapitel 1 bis 16 und das offensichtlich erst später angehängte Nachtragskapitel 24 umfaßt, wird im nachfolgenden Abschnitt behandelt werden, der die Leistung des Albertus Magnus für die Vogelkunde zur Zeit der Scholastik würdigt. Hier wollen wir uns auf eine kritische Überprüfung der Kapitel 17 bis 23 beschränken. Drei derselben lassen sich unmittelbar auf ältere Vorlagen zurückführen. *) Dies ist schon frühzeitig, meist allerdings erfolglos versucht worden, so ζ. B. durch Johann Gottlieb Buhle, Commentario de fontibus, unde Albertus Magnus libris suis X X V de animalibus materiem hauserit. (Commentationes societatis regiae scientiarum ad a. MDCCXCIII et XCIV (Göttingen, 1793 u. 1794) Volumen XII, Classis historicae et philologicae, 94—115).

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Das 18. Kapitel stellt eine stilistisch leicht variierte Abschrift des sogenannten Dankustraktats dar. Dieser Dankustraktat, der durch eine große Zahl von Abschriften weit verbreitet war und im Laufe der Zeit in nahezu alle Kultursprachen übersetzt wurde, dürfte in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Süditalien entstanden sein. Er war von nachhaltigem Einfluß auf das Fachschrifttum. Seine Nachwirkungen lassen sich bis ins 16. Jahrhundert vielfältig verfolgen. Er wird herkömmlich mit der sagenhaften Figur eines Königs Dankus in Verbindung gebracht, dessen Name seitdem durch die ganze mittelalterliche und frühneuzeitliche Literatur über die Falknerei geistert. Nachdem seit Jahrzehnten vornehmlich durch einen Kreis anerkannter Romanisten viel wertvolles Material zur Klärung des Dankusproblems zusammengetragen wurde, unternimmt es Gunnar Tilander gegenwärtig, eine kritische Ausgabe des lateinischen Textes vorzulegen. Eine Gegenüberstellung 1 ) läßt erkennen, daß das 18. Kapitel des Albertus nur eine nahezu lückenlose Wiederholung des Dankustraktats ist. Einige Abschnitte ließ Albertus aus, weil sie nicht in

Dankus Dankus Dankus Dankus Dankus Dankus Dankus Dankus Dankus Dankus

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

= = = = = = = = = =

Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler

1474 sl " 3e 1474 a7 —1475 s 14753"8 1475·"13 1475»"1» 1475 20 "" 1475' 7 - 87 14753S"M 14761"7 147611"16

Dankus 11 Dankus 12 Dankus 13 Dankus 14 Dankus 15 Dankus 19 Dankus 20 Dankus 23 Dankus 26 Dankus 27

= = = = = = = = =

Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler Stadler

1476»-« 1476 22 - 24 1476 25 - 28 14762»-87 1476«—1477« 1477"-" 1477"- 28 1477 28 -" 1477"—1478 5 1478«-"

(Diese und die nachfolgenden Gegenüberstellungen des Albertustextes mit den Traktaten des Dankus, Guilelmus und Gerardus beruhen auf einem unmittelbaren Studium der Handschriften. Die Nummernfolge der Kapitel in der bei Abschluß des Druckes noch nicht vorliegenden Arbeit Tilanders könnte geringfügig abweichen.)

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seine rein veterinärmedizinischen Ausführungen paßten. Zum Teil wurden sie anderweitig eingeordnet1). Wir wissen jedoch nicht die Frage zu beantworten, warum Albertus eine unzutreffende Quelle für das 18. Kapitel nannte. Er sprach De cutis infirmitatum falconum diversis secundum Guilelmum falconarium. Warum bezog sich Albertus nicht der Wahrheit entsprechend auf die dem König Dankus zugeschriebene Arbeit, zumal sich ihr angeblicher Verfasser in den Kreisen der Fachleute höchster Wertschätzung erfreute ? Und warum schrieb er sie dem Guilelmus zu, der der Überlieferung nach als Falkner in den Diensten König Rogers von Sizilien gestanden haben soll ? Es gibt hierfür vielleicht eine verständliche Erklärung. Ungefähr zu gleicher Zeit wie der Dankustraktat muß jener zweite, inhaltlich ähnliche Text entstanden sein, der den Namen des Guilelmus trägt. Auch von ihm legt Gunnar Tilander in Kürze eine kritische Edition vor. Albertus hat diesen nicht in seinen Traktat De falconibus übernommen, obgleich er ihm nicht unbekannt gewesen sein kann, da einige seiner Bemerkungen 2 ) unmittelbar auf ihn zurückgehen. Wir wissen nun auf Grund der erhaltenen Manuskripte, daß die veterinärmedizinischen Arbeiten des Dankus und des Guilelmus sehr häufig, ja fast immer gemeinsam abgeschrieben wurden. Sie gehören in der Überlieferung praktisch zusammen. Albertus dürfte eine solche, beide Texte enthaltende Handschrift zur Vorlage gehabt haben. Da ihm die historisch nirgends faßbare Figur des Königs Dankus etwas vage und wenig vertrauenswürdig erschienen sein mag, hielt er sich bei der Wiedergabe an die zweite in seiner Quelle namentlich genannte Person, eben jenen Guilelmus, Falkner Rogers II. von Sizilien. Dieser Gewährsmann stand — vielleicht auch durch die unmittelbare Verbindung seines Namens mit dem des erfolgreichen !) z.B. Dankus 17 = Stadler 147325"39. ') Guilelmus 20 = Stadler 14651"6 Guilelmus 24 = Stadler 1468 32 ^ e .

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Normannenkönigs — viel plastischer vor seinen Augen als der nebelhafte König Dankus, so daß er ohne Zögern alles, was seine Vorlage enthielt, dem Guilelmus zuschrieb. Albertus hat dessen Traktat gekannt, aber — von geringfügigen Ausnahmen abgesehen — nicht benutzt. Seine Berufung auf ihn 1 ) am Schluß des 18. Kapitels ist deshalb unzutreffend und irreführend. Berechtigt konnte Albertus allerdings hinzufügen, einiges Wenige habe er selbst hinzugefügt 2 ). Es handelt sich vornehmlich um die mit den Worten Aliter oder Vel aliter eingeleiteten Bemerkungen 3 ) im 18. Kapitel, die dem Dankustraktat fehlen. Ebenso eindeutig ist das Resultat, das sich bei einer Überprüfung des 19. Kapitels in De falconibus ergibt. Dieser Abschnitt ist nichts anderes als die Abschrift eines veterinärmedizinischen Traktats, den wir mit dem Namen G e r a r d u s verknüpfen. Der Gerardustext ist möglicherweise etwas jünger als der Dankus- und der Guilelmustraktat, gehört aber zweifellos noch ins 12. Jahrhundert. Wir dürfen seine Ausgabe in Tilanders erwähnter Veröffentlichung erwarten. Albertus verfuhr in gleicher Weise wie bei der Bearbeitung des Dankustextes 4 ). Er hielt sich mehr an den Inhalt als an den Wortlaut seiner Quelle und verbesserte vornehmlich den Stil seiner in *) Stadler 1478 26 - 2 ' In hac autem cura quam posuimus, praecipue experta Guilelmi regis Rogerii falconarli secuti sumus . . . *) Stadler 1478 27 . . . pauca de nostris adicientes. 8) Stadler 1476'" 10 Stadler 1477 1 2 -" Stadler 147637"11 Stadler 1477 a8 - 2 ' Stadler 1477 5 -' Stadler 147818"26. 4 ) Gerardus 2 = Stadler 1478 88 -" Gerardus 7 = Stadler 1480'- 10 Gerardus 3 = Stadler 1478«—1479 2 Gerardus 8 = Stadler 1480 11 "" Gerardus 4 = Stadler 14798-· Gerardus 9 = Stadler 148015"81 Gerardus 5 1 = Stadler 1479'- 20 Gerardus 10 = Stadler 1480»- 8 ' Gerardus 5 n = Stadler 147921"81 Gerardus 11 = Stadler 1480 8 »-" Gerardus 5 m = Stadler 1479 82 -" Gerardus 12 = Stadler 14811"2 Gerardus 6 = Stadler 1480'-' Gerardus 13 = Stadler 1481 8 -'.

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schlechtem Mittellatein abgefaßten Vorlage, wobei er wiederum kleine Ergänzungen 1 ) einfließen ließ. Der Schluß des 19. Kapitels 2) gehört nicht zum Gerardustraktat, läßt aber erkennen, daß Albertus nach einer veterinärmedizinischen Sammelhandschrift arbeitete, die weitere Texte enthielt, darunter den G r i s o f u s b r i e f . Auffällig ist, daß Albertus wiederum seinen Gewährsmann Gerardus nicht nennt. Aber auch hierfür gibt es eine einleuchtende Erklärung. Nicht alle Gerardustexte überliefern zugleich den Namen des angeblichen Verfassers. Zum Teil wurde der Traktat anonym fortgeschrieben. Eine solche Fassung könnte Albertus vorgelegen haben. Im Gegensatz zum 18. und 19. Kapitel kennen wir die Vorlagen des Albertus für das 20., 21. und 22. Kapitel vorläufig nicht. Die beiden ersten stellen Habichtsheilkunden dar, während die vorhergehenden (18. und 19.) nur Behandlungsvorschriften für kranke Falken enthielten. Dieser Unterschied sollte nicht unbeachtet bleiben. Das Fehlen der von Albertus benutzten Quellen will wenig sagen. Natürlich sind eine ganze Anzahl mittelalterlicher Traktate mit Kuriervorschriften für die Beizvögel verloren gegangen. Wie kennen zum Teil — ζ. B. durch Daude de Pradas, Johan de Sant Fagund oder Johannes Petrus Belbassus — Namen von Autoren solch vorläufig vermißter Abhandlungen. Manche mögen noch entdeckt werden, die meisten aber dürften nicht mehr erhalten sein. Mindestens die im 21. Kapitel von Albertus zusammengefaßten Anweisungen zur Behandlung kranker Habichte scheinen wie das 18. und 19. Kapitel nur die Abschrift einer älteren Vorlage zu sein. Es ist sogar die Vermutung naheliegend, daß sie der gleichen Sammelhandschrift entnommen wurden, die Albertus aus ungeklärten Gründen mit Guilelmus, dem als besonders erfahren erachteten Falkner Rogers von Sizilien, in Verbindung !) Stadler 147910—14806. 2 ) Stadler 1481·*·. 28

brachte. Sicher ist nur, daß der Inhalt des 21. Kapitels in keinem Zusammenhang mit dem echten Guilelmustraktat steht und der Name des Sizilianers mit den Worten secundum experta Guilelmi zu Unrecht angerufen wird. Dagegen scheint es mir nicht ausgeschlossen zu sein, daß das 20. Kapitel von Albertus selbst aufgezeichnet wurde, die Suche nach einer Vorlage also ergebnislos sein müßte. Zwar will Albertus secundum experta Federici Imperatoris geschrieben haben, aber was bedeutet dies ? Wir wissen, daß der Hohenstaufenkaiser nicht mehr dazu gekommen ist, die von ihm geplante Abhandlung über die Krankheiten der Beizvögel zu schreiben. Nachdem uns der vollständige Text der Handschriften der Sechs-Bücher-Gruppe von De arte venandi cum avibus vorliegt, können wir sagen, daß das gigantische Werk des Kaisers trotz seines monumentalen Umfanges nur ein Torso ist. Allein die Geschlossenheit des Uberlieferten verhindert, dies sogleich zu erkennen. Welche Gliederung Friedrich II. für das Gesamtwerk auch immer vorgeschwebt haben mag, eines ist sicher, es sollte zumindest noch zwei weitere Bücher, eines über die Faustvögel Habicht und Sperber1) (und wahrscheinlich die mit ihnen vornehmlich betriebene Jagd auf Rebhühner) und eines über die Krankheiten der Beizvögel 2 ) umfassen. Aber beide Teile kamen nicht mehr zur Ausführung. Friedrich II. von Hohenstaufen, De arte venandi cum avibus, Ausg. Willemsen, Leipzig 1942, I, 12380 „Partes autem artis diverse sunt secundum diversitatem partium materie, nam . . . alia de venatione, que fit cum modis accipitrum et nisorum"·, Ausg. Schneider, Leipzig 1788, 752 „ . . . et super hoc loquimur latius in libro de autture"·, Ausg. Willemsen I, 134a4 „. . . dicendum esset de speciebus accipitrum, quibus utimur, (et) videndum de austure et niso, sed quia intendimus specialem tractatum de eis facere.. .". *) Friedrich II. von Hohenstaufen, De arte venandi cum avibus, Ausg. Willemsen, Leipzig 1942, I, 2158 „. . . si non balnearent se, acciderent plures morbi de nimia siccitate, ut dicemus in tractatu de morbis"; Ausg. Willemsen I, 12531 „que dicitur . . . et multe medicinarum, quedam in curando egrotas, ut ipse medicine et vasa necessaria ad dandum ipsas medicinas. De singulis horum instrumentorum dicetur, ubi conveniet."

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Dies konnte natürlich Camerarius im Jahre 1596 bei der Herausgabe der ihm allein bekannten ersten zwei Bücher von De arte venandi ebensowenig wissen wie der gelehrte Johann Gotti. Schneider, als er 1788/89 einen Neudruck der Erstausgabe veranlaßte. Beide standen unter dem richtigen Eindruck, der ihnen vorliegende Text sei nur ein Bruchstück, zumal die Hinweise auf die geplanten Erweiterungen schon im 2. Buch erschienen. Sie kannten das dritte bis sechste Buch noch nicht und vermuteten, daß das, was Albertus unter Berufung auf den Kaiser überliefert hatte, aus einem verloren gegangenen Teil seines großen Falkenbuches stammte. Aus diesem Grunde wurde der Traktat De falconibus als Anhang in die ersten Editionen von De arte venandi cum avibus aufgenommen. Textkritische Erwägungen führen allerdings sehr schnell zu der Feststellung, daß es sich bei dem mit dem Namen des Hohenstaufenkaisers in Verbindung gebrachten 19. und 20. Kapitel um Kuriervorschriften handelt, die ihm stilistisch nicht zugeschrieben werden können. Es fehlen ihnen alle Merkmale, die für Friedrich II. kennzeichnend sind. Ganz im Geist der unproblematischen Falkenheilkunden des 12. Jahrhunderts ist in diesen Kapiteln lediglich mit dürren Worten gesagt, wie jeder Krankheit zweckmäßig zu begegnen ist. In solcher Form hätte ein Friedrich II. niemals ein so fruchtbares und seinem grüblerisch-forschenden Geist liegendes Arbeitsgebiet behandelt. Des Kaisers Werk De arte venandi cum avibus ist dem großen scholastischen Naturforscher unbekannt geblieben. Es wirkte auf ihn ebensowenig wie leider auf alle Jagdschriftsteller der nachfolgenden Zeit. Durch diese negative Feststellung ist freilich nicht geklärt, wie Albertus zur Erwähnung Friedrichs kam. In seiner Arbeitsweise war er viel zu gediegen, in seiner Stellung viel zu unabhängig als daß er um der eigenen Glorie willen der Verbindung seines Namens mit dem des vielbewunderten Herrschers bedurft hätte. Das Rätsel, das uns hier aufgegeben wird, ist wahrscheinlich anders

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zu lösen. Wir wissen, daß sich Albertus auf Gewährsleute stützte. Mehr als einmal werden uns diese von ihm genannt. Albertus hat, als er seinen Traktat De falconibus in Angriff nahm, sicher nicht viel über Falkenheilkunde gewußt und seine Ratgeber waren vermutlich Berufsfalkner, die in den Diensten des Kaisers standen. Die Uberschrift des 19. Kapitels 1 ) drückt ja nichts anderes aus, als daß es Falkner Friedrichs II. waren, die ihm das darin zusammengefaßte Wissen über die Behandlung kranker Beizvögel vermittelten. Vielleicht waren sie es sogar, die ihm die Sammelhandschrift, die er inhaltlich übernahm, mit dem Hinweis überließen, am kaiserlichen Hof werde nach diesen Rezepten verfahren. Zum Teil aber wurden ihm die Kuriervorschriften möglicherweise nur mündlich zugetragen und erstmalig von ihm aufgezeichnet. Dies würde nicht nur mit der Arbeitsweise des Albertus in Einklang zu bringen sein, sondern zugleich das Fehlen einer älteren Vorlage erklären und den Schlußsatz 2 ) des 20. Kapitels, in dem die Eigenständigkeit der aufgezeichneten Rezepte ausdrücklich hervorgehoben wird, bestätigen. Das 22., jagdlich interessanteste Kapitel behandelt die Abrichtung von Habicht und Sperber. Wir kennen keine Quelle, die Albertus hier benutzt haben könnte und es ist wenig wahrscheinlich, daß er nach einer Vorlage arbeitete. Vermutlich stammt dieses Kapitel ganz aus seiner eigenen Feder. Ausdrücklich betont er, daß das darin Gesagte nur widergibt, was zu seinen Lebzeiten 3 ) üblich war. Dieser Hinweis hätte wenig Sinn gehabt, wenn Albertus einem älteren Text gefolgt wäre. Was das 22. Kapitel enthält, entsprach dem Wissen eines jeden jungen Edelmannes *) Stadler 14782® De curis infirmitatum falconum secundum falconarios Federici Imperatorie. ') Stadler 1484" Haec igitur secundum experta Federici Imperatorie sunt conscripta a nobis de asturibus. a) Stadler 14892a . . . de hiis qui tempore nostro in talibus Studium posuerunt... 31

und war ohne Zweifel auch Albertus geläufig, zumal wir aus einer seiner Bemerkungen an anderer Stelle 1 ) wissen, daß er selbst in seiner Jugend bei der Abrichtung von Beizvögeln mithalf. Das 23. Kapitel steht betont im Gegensatz zum vorhergehenden 22. Abschnitt. Während in diesem der Brauch der eigenen Zeit festgehalten werden sollte, wurde im letzten zur Vervollkommnung der eigenen Lehre das überlieferte Wissen der Alten 2 ) angefügt. Dies geschah durch die ungekürzte Übernahme der Kuriervorschriften des Ptolemäusbriefes. Damit wird nach dem Dankus- und dem Gerardustraktat die dritte von Albertus für seinen Traktat De falconibus benutzte Quelle freilegt. Nach unseren im ersten Kapitel gemachten Ausführungen zur Textgeschichte dürfen wir uns hier auf eine Behandlung jener Probleme beschränken, deren Kenntnis für die Beurteilung dieser Albertus-Quelle notwendig ist. Die Überlieferung schreibt den drei Gelehrten Aquila, Symmacbus und Tbeodotion einen gemeinsamen Brief an einen der ägyptischen Könige aus dem Haus der Ptolemäer zu, in dem die Falknerei und die Krankheiten der Beizvögel behandelt wurden. Ihre Namen sind uns aus der exegetischen Forschung bekannt. Es handelt sich um drei jüdische Schriftsteller, die voneinander unabhängig je eine Übersetzung des Alten Testaments in Griechische besorgten. Ihre Arbeiten sind uns nur bruchstückweise erhalten und gewannen besondere Bedeutung im Rahmen der von Orígenes zusammengestellten Hexapla, einer Ausgabe des Alten Testamentes, in der sechs Texte in ebensoviel Kolumnen nebeneinander angeordnet waren. Der dritte war die Übersetzung des Aquila, der vierte die des Symmachus, der sechste die des Theodotion. Lib. VIII/110, Stadler 6173"·. Huius autem simile ego ipse cum essem iuvenis, de falconibus sum expertus . . . 2 ) Stadler 1489 a5 Ut autem perfectior sit nostra doctrina, etiam studia antiquissimorum hiis quae dicta sunt, adiungemus.

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Aquila stammte aus Sinope in Pontus und gilt als ein Verwandter des Kaisers Hadrian (117—138). Er bekannte sich zunächst zum Christentum, trat aber aus gekränktem Ehrgeiz zum Judentum über und erlernte von seinen jüdischen Lehrern die hebräische Sprache und die Auslegungsmethoden der Rabbiner. Seine durch sklavische Wörtlichkeit gekennzeichnete Übersetzung wurde um das Jahr 140 vollendet, fand bei den hellenistischen Judengemeinden hohe Anerkennung, wurde aber von christlicher Seite mit Mißtrauen betrachtet. Ungefähr gleichzeitig, wohl in den Jahren 130—160, entstand eine zweite Ubersetzung des Alten Testamentes durch den aus Ephesus stammenden Proselyten Theodotion. Seine Arbeit diente im wesentlichen einer Revision der Septuaginta und wurde deshalb auch von Orígenes nach dieser aufgeführt. Der in den älteren Quellen noch nicht erwähnte Symmachus war ein Samaritaner, dessen Übersetzungsarbeit erst in die Zeit der Kaiser Mark Aurel (161—180) oder Septimus Severus (193—211) fällt und vermutlich um das Jahr 190 erfolgt ist. Er übertrug den Text, ohne sich übermäßig fest an die Vorlage zu binden, mehr sinngemäß in einem ans Klassische angelehnten Griechisch. Nichts deutet in der altchristlichen Überlieferung darauf hin, daß diese drei Übersetzer des Alten Testaments jemals miteinander in Verbindung gestanden haben. Sie arbeiteten vollständig unabhängig und dürften sich schon wegen der stark voneinander abweichenden Lebensdaten nicht persönlich gekannt haben. Sie werden erst seit der Herausgabe der Hexapla gemeinsam, jedoch immer im Zusammenhang mit der vom einzelnen Gelehrten stammenden Übersetzung genannt. Es mußte deshalb von vornherein als völlig unwahrscheinlich angesehen werden, daß Aquila, Symmachus und Theodotion die gemeinsamen Verfasser eines Traktats über die Falknerei waren. Als Empfänger des Briefes wird im allgemeinen nur ein König Ptolemäus von Ägypten genannt. Da nicht weniger als 14 Regenten dieses Namens in rund dreihundert Jahren 3 Von Falken, Hunden und Pferden I

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auf dem ägyptischen Thron saßen, schien der Adressat nicht näher bestimmt zu sein. Allein bei Albertus Magnus findet sich eine genauere Angabe, denn hier ist von der epistola ad Ptolemeum Phylometorem regem Egipti 1 ) die Rede. Lag schon in der Verbindung der nachchristlichen Bibelübersetzer mit der 30 v. Chr. erloschenen Ptolemäerdynastie ein Anachronismus, so trat mit dieser konkreten Angabe der Charakter der Irreführung vollends zu Tage, denn der angebliche Empfänger des Briefes, Ptolemäus VI. Philometor, der von 180—145 v.Chr. auf dem ägyptischen Königsthron saß, war bei Lebzeiten der drei Gelehrten seit rund drei Jahrhunderten verstorben. Der Ptolemäusbrief kann kaum früher als im 12. Jahrhundert entstanden sein. Die Heimat des Verfassers ist bisher nicht festgestellt. Wir können sie ebenso in Italien wie im westlichen Mittelmeerraum suchen. Welche Vorstellung der Verfasser vom erdichteten Empfänger des Briefes hatte, ist ungewiß. Die Anknüpfung an die Gelehrten Aquila, Symmachus und Theodotion, deren genaue Lebensdaten ihm wahrscheinlich nicht bekannt waren, läßt vermuten, daß er an den ägyptischen König Ptolemäus II. Philadelphus (285 bis 246 v. Chr.) dachte, auf dessen Befehl eine Übersetzung des Alten Testaments in die griechische Sprache durch 72 Dolmetscher erfolgt sein soll. Auch hatte dieser Ptolemäus II. eine starke Liebhaberei für exotische Tiere und errichtete einen zoologischen Garten in Alexandria (Diodor III 36, 3) 2 ). Noch wahrscheinlicher aber ist, daß der Schöpfer des Traktats überhaupt nicht an eine bestimmte Person dachte, denn der Name Ptolemäus wurde im Mittelalter ganz allgemein mit der Vorstellung eines weisen ägyptischen Königs verbunden. Selbst der Astronom und Geograph Claudius Ptolemäus, der Schöpfer des nach ihm benannten Welt») Stadler 148981. 2 ) J . L . Heiberg, Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften im Altertum, München 1925, 90.

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systems und Zeitgenosse unserer Bibelübersetzer, wurde für einen König der Ägypter gehalten. Sicher galt dieser Ptolemäus auch als Erfinder der Falknerei, ebenso wie andere Autoren die Beizjagd auf den sagenhaften König Dankus zurückführen wollten. Während des ganzen Mittelalters knüpfte man gern an imaginäre Figuren oder an bedeutende Helden des Altertums an. So ist wohl auch der seltsame und zusammenhanglose Satz am Anfang der katalanischen Fassung zu verstehen: „Im Hebräischen und im Chaldäischen wird es von dem jüngeren Apollo berichtet, im Griechischen von Alexander, aber im Lateinischen wird berichtet, daß es Mechabeuz überliefert hat" 1 ). Da man die ältesten Falkentraktate gern den angeblichen Erfindern der Beizjagd selbst zuschrieb, ist denkbar, daß der Verfasser des Ptolemäusbriefes hier zugleich seine Quellen nannte. Wer unter Apollo menor verstanden werden könnte, ist ungewiß. Alexander möchte unter einer losen Verknüpfung mit dem großen Träger jenes Namens der griechische Arzt gewesen sein, dessen Falkenheilkunde bei der Ausarbeitung der Practica avium für König Enzio Verwendung fand und von Daude de Pradas für den Roman des Auzels Cassadors gebraucht wurde. Mechabeuz aber läßt sich nur mit Makkabäus erklären, mit dem die Überlieferung ebenfalls die Erfindung der Falknerei in Verbindung brachte 2 ). ') N. Rigaltius, Hierakosophion, Rei Accipitrariae scriptores nunc primum editi, Lutetiae 1612, II, 185 „En Ebraic e en Caldeu de Apollo menor es appellat, en Grec d'Alexandri: mas en Latin es appellai Mechabeuz tresportat." s ) Johannes Sarisberiensis, Policraticus sive de nugis curialium et verstigiis Philosophorum libri octo (12. Jahrh.) (Maxima bibliotheca veterum patrum, Lugduni 1677, Bd. 23) Buch I, Kap. 4, 248 G : „Venationis aëreae autorem iacticant fuisse Machabeum, qui maioribus occupatus, huius voluptatis, ut creditur, vitam duxit exortem." Thomas Nash, Quaternio, or the fourefold way to a happie Life, set forth in a Dialogue between a Countryman and a Citicen, a Divine, and a Lawyer, London 1633, 34, „dicitur Machabaeus domesticasse accipitres in avium capturam." 3*

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Die Einleitung sagt über die Person des Verfassers nichts aus. Mit dem Schwung einer rhetorischen Geste beginnt der Traktat: „Aquila, Symmachus und Theodotion (entbieten) Ptolemäus, dem Kaiser von Ägypten und allen den Seinen, die erfreulicherweise am Leben sind, Gruß und Frieden. Großer Kaiser und Herr, du hast uns, deinen Dienern, aufgetragen, ein kurzes und nützliches Werk über die Vögel abzufassen und aus dem Buch der Alten mit Fleiß zu übersetzen. Und wir, die wir deinem Willen gehorchen, gewähren in kurzer Form deine Bitte nach gemeinsamer Ubereinkunft und wollen, daß deine Hoheit wisse, daß die Arten der Jagdvögel verschieden sind und unterschiedlich und vielfältig die Krankheiten wofür sie der Heilmittel bedürfen." Das einleitende Kapitel schließt mit den Worten, es solle über die Arten der Raubvögel, ihre Gewohnheiten und die zu ihrer Heilung benutzten Medikamente gehandelt werden. Quellenkritisch bedeutsam ist vor allem die Bemerkung „del libre dels antics translatant ab diligencia"1), welche darauf hinweist, daß schon für den Ptolemäusbrief, einen der frühesten europäischen Falkentraktate, ältere Vorlagen benutzt worden sind. Über die Person des Verfassers fehlen uns jegliche Anhaltspunkte. Vielleicht haben wir in ihm einen in der Geschichte der Bibelübersetzungen bewanderten Kleriker zu sehen, der durch ein vorgetäuschtes hohes Alter seinem Werk einen ganz besonderen Wert verleihen wollte. Albertus Magnus benutzte bei der Abfassung seines Traktats De falconibus die lateinische „Rumpfübersetzung" des Ptolemäusbriefes, deren veterinärmedizinischen Text er ungekürzt in das 23. Kapitel 2 ) seines Werkes übernahm. Im ornithologischen Teil des Liber de animalibus finden wir Aquila, Symmachus und Theodotion noch mehrfach erwähnt, so bei dem Hinweis, der ») Rigaltius, a. a. O., Lutetiae 1612, II, 185. ') Stadler, 1489"—1492" = RigaltusII, 206—211.

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Britannicus des Ptolemäusbriefes sei mit der von Albertus als Sakerfalke bezeichneten Art identisch1), ferner im Kapitel über den Montanarius, in dem von Albertus Angaben gemacht werden 2 ), die in dem von Rigault herausgegebenen Manuskript fehlen, und außerdem im 15. Kapitel 3 ), wo drei Beizvogelarten des Ptolemäusbriefes unter dem verwirrenden Namen lanarii als unechte Falken in die Systematik eingeführt werden. Ungewiß ist vorläufig, ob wesentliche Teile des 17. Kapitels bei Albertus Magnus, das der Abrichtung der Falken gewidmet ist, einer vollständigen Fassung des Ptolemäusbriefes entnommen sind, da sich Albertus hier ausdrücklich auf Symmachus bezieht 4 ), korrespondierende Stellen in den Texten Rigaults aber fehlen. Im 24. Kapitel 8 ) ist Albertus noch einmal auf die drei Bibelübersetzer zurückgekommen und erklärt entgegen der gerade hier etwas unklaren Vorlage die vier genera accipitrum des Ptolemäusbriefes richtig als Habichtsweibchen, Habichtsterzel, Sperberweibchen und Sprinz. Das gewonnene Bild läßt erkennen, daß ein Teil der veterinärmedizinischen Kapitel im Traktat De falconibus auf Quellen zurückgeht, die mindestens ein Jahrhundert älter sein dürften als der Liber de animalibus. Die bislang nicht auf solche Vorlagen zurückgeführten Abschnitte scheinen dagegen bis zu einem gewissen Grad originell zu sein und von Albertus selbst zu stammen. Jedenfalls läßt sich Hermann Werth's hartes Urteil 6 ) nicht ohne gewisse Vorbehalte aufrechterhalten. Das gleiche Interesse, das von selten der jagdhistorischen Forschung den Quellen des Albertus für seinen Traktat De falconibus !) Stadler 1457 31 . 2 ) Stadler 1460". 40 . 3 ) Stadler 1469 12 . 4 ) Stadler 1471 2 8 . ') Stadler 1493 4 . ·) Hermann Werth, Altfranzösische Jagdlehrbücher, Halle 1889, 35 „ . . . von dem Falkenbuche gehört dem eigenen Geiste Alberts gar wenig an".

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entgegengebracht wurde, zeigten die Historiker der Veterinärmedizin von jeher für Alberts mögliche Vorlagen zu den Traktaten De equis und De canibus. Aber eine Antwort nach dem Ausmaß ihrer Originalität blieben sie schuldig. Dies ist nicht überraschend, weil ebenso wie auf anderen Teilgebieten der Naturwissenschaften bisher nicht der Versuch unternommen wurde, systematisch die nicht der Antike angehörigen Quellen freizulegen, auf denen sich das hochentwickelte, durch glänzende Namen gekennzeichnete veterinärmedizinische Lehrgebäude des 13. und 14. Jahrhunderts aufbaute. Hier zeigt sich erneut, was schon früher für die Zoologie gesagt wurde : daß die Männer, die in dem wegen seiner geistigen Regsamkeit so viel, bewunderten 13. Jahrhundert wirkten, nicht meteorartig aus dem Nichts hervortraten sondern auf einem vielleicht eng begrenzten, aber durchaus festen Fundament standen, das ihnen das vorhergehende Jahrhundert geliefert hatte. Es wird vielleicht noch geraume Zeit dauern, bis allenthalben erkannt ist, wieviel auf dem Gebiet der Naturwissenschaften das strahlende 13. Jahrhundert dem viel bescheidener auftretenden vorhergehenden zu danken hat. In den Bereich der Bemühungen, diese verschütteten Straten für den Pferde- und Hundeteil im Liber de animalibus freizulegen, gehören die nachfolgenden Feststellungen. Entscheidend für unser Urteil über die geistige Leistung des Albertus ist die Beantwortung der Frage, ob der umfassende veterinärmedizinische Teil, von dem Jahrhunderte hindurch eine breite Wirkung auf das Fachschrifttum ausging, originell ist oder nicht. An Zweifeln hat es von jeher nicht gefehlt. Die Fülle der kritisch-negativen Urteile ist Legion, aber niemand vermochte auch nur anzudeuten, woher Albertus sein Wissen auf diesem speziellen Gebiet geschöpft haben sollte. Werk 1 ) sagte „Daß Albertus nicht *) Albert Werk, Die angebliche practica avium et equorum des Lanfrancus de Mediolano, Diss. Gießen, Danzig 1909, 67.

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aus eigener Erfahrung geschrieben haben kann, sondern die Werke anderer Autoren benut2t haben muß, darin sind alle einig". E r fügte hinzu, die als Quellen in Betracht kommenden Schriften seien uns entweder bisher unbekannt geblieben oder aber für immer verloren gegangen, da die gelegentlich aufgestellte Behauptung, alle Quellen des Albertus seien auf Aristoteles zurückzuführen, für die Pathologie der Tiere nicht haltbar sei. Wiemes 1 ) war von gleicher Skepsis wie Werk erfüllt: „Was die Persönlichkeit des eigentlichen Verfassers des veterinärmedizinischen Hauptteiles angeht, so müssen wir uns leider mit einem ignoramus bescheiden. Daß das Stück nicht geistiges Eigentum Alberts ist, kann mit Sicherheit behauptet werden." Er befand sich bei der Suche nach dem eigentlichen Verfasser in der Gesellschaft Molins 2 ) und konnte sich bei der Ablehnung der Urheberschaft des Albertus am Tractatus de equis auf Autoritäten der Tierheilkunde und ihrer Geschichte wie Ercolani 3 ) und Moulé 4 ) berufen. Froehner 5 ) dagegen hielt die Hippiatrik des Albertus für eine „ziemlich selbständige Arbeit". Wiemes' bedrückendes ignoramus wird zukünftig keine Sorge mehr sein. Albertus folgte im Tractatus de equis ebenso wie in weiten Teilen seiner Abhandlung über die Beizvögel einer älteren Vorlage, die er seiner Gewohnheit entsprechend sprachlich verbesserte und umschrieb, inhaltlich aber im wesentlichen über*) Wilhelm Wiemes, Die Pferdeheilkunde des Albert von Boilstädt, Diss., Berlin 1938, 65. a ) Molin, Jordani Ruffi Hippiatrica, Pavia 1818, XLVI. ®) G. B. Ercolani, Richerche storico-analitiche sugli scrittori di veterinaria, I. Turin 1851, 358ff. 4 ) L. Moulé, Histoire de la médecine vétérinaire. Bulletin de la Société Centrale de Médecine vétérinaire, 17, Paris 1899, 400—403. δ ) Reinhard Froehner, Kulturgeschichte der Tierheilkunde II, Konstanz 1954, 59. Froehner spricht irrtümlich von den §§ 52 bis 93 im 7. statt im 22. Buch. Froehner im Urteil folgend Dusan Ludvik, Untersuchungen zur spätmittelalterlichen deutschen Fachprosa (Pferdebücher), Ljubljana 1959, 28.

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nahm, wobei das Ausmaß der bei ihm üblichen Zutat noch der Klärung bedarf. Seine Quelle war der Liber de cura equorum, der uns in zwei bislang ungedruckten Handschriften1) erhalten ist. Seine Edition sollte ein besonders dringliches Anliegen sein, da durch sie das Bild der mittelalterlichen Veterinärwissenschaft entscheidend erweitert wird. Der Titel des Werkes wurde der Wiener Handschrift entnommen. Das Manuskript des Clare College, das schon zu Lebzeiten des Albertus entstand und eine Reihe besonders wertvolle, sämtlich ins 12. Jahrhundert gehörige Traktate zur Falkenheilkunde enthält, ist leider unvollständig und deshalb nicht ganz so umfangreich wie der Wiener Text. Es umfaßt nur einen Teil der Hippiatrik 2 ). In der Wiener Handschrift finden wir dagegen über den Text des Clare College hinaus eine Einleitung, von der Albertus 3 ) gleichfalls beeinflußt wurde. Die zwei nachfolgenden Leseproben bringen Gegenüberstellungen der korrespondierenden Texte aus dem Liber de cura equorum und dem Liber de animalibus. Sie zeigen zugleich, daß Albertus in seine Vorlage eingriff und umgestaltete, allerdings ohne sie in ihrer Substanz entscheidend zu verändern. Libcr de cura e q u o r u m Cod. Vindob. 5315, fol. 210r

A l b e r t u s , L i b e r de animalibus ed. Stadler 1380"-«

(C)oncellae sunt inflaciones infra os equi in labiis contra extremos dentes et in medio nigrescunt, quae ex comestione gelide herbe vel asperi alicuius cibi et maxilla demorantis innascitur et similiter escam sicut in

Foscellae sunt inflationes intra os equi in labiis natae contra extremos dentes quae inflationes in medio nigrescunt. Nascuntur autem ex comestione gelidarum herbarum et asperarum super labia et maxillas diu

Cambridge, Clare College, Ms. 15, fol. 187 r 2 —189 ν, 13. Jahrhundert; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. 5315, fol. 209 r—218 y erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. 2) Cambridge, Clare College, Ms. 15, fol 187 r 2 —189 ν entspricht Stadler 1379 10 —1393'. s ) Sie entspricht Stadler 1377 24 ff.

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lampasto cadere dimittit. Cura: Cum gracili ferro bene curvato sicut punctus stili, quod quidam uncum dicunt, cutis inflata ipsius foris extrahatur et sic cum forcipibus vel cultello acuto tota summitas foncelie in modum O extrahatur vel excidatur.

iacentium, et in locum proprium pabulum equi in ore locari non permittunt ut in lampastro. Curatur autem haec infirmitas per hunc modum. Ferrum fiat gracile anterius ad modum stili et incurvetur in uncum et sit bene acutum et cum ilio in medio cutis foscella percutiatur et extrahatur, et cum exsiccatus fuerit locus, forfice bene acuta vel cultello cutis in rotundum abscidatur quae texerat foscellam: et tunc sanatur.

Zeitlich dürfte die Abfassung des Liber de cura equorum eher ins 12. als ins beginnende 13. Jahrhundert zu verlegen sein. Angefangen vom sanguis corruptus 1 ) finden wir in unveränderter Reihenfolge bis zur curva 2 ) in dieser Hippiatrik die gleichen Pferdekrankheiten beschrieben wie bei Albertus. Vom Liber de cura equorum sind außer Albertus auch andere mittelalterliche Schriftsteller beeinflußt worden. So verarbeitete große Teilstücke daraus der Verfasser der zeitweise fälschlich dem Lanfrancus de Mediolano zugeschriebenen Practica equorum 3 ) in seiner Kompilation, die uns in einer Handschrift der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek Berlin 4 ) aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts überliefert ist. Von Werk wurde schon die Verwandtschaft dieses Textes mit der Hippiatrik des Albertus Magnus erkannt, aber notwendigerweise falsch gedeutet, da er von der Existenz des älteren und selbständigen Liber de cura equorum nichts wußte. Das gleiche gilt für Wiemes' 5 ) Äußerungen zur Quellenfrage bei *) Stadler 1379 10 . Stadler 1399 16 . ') Albert Werk, a.a.O., Diss. Gießen, Danzig 1909; s. zur vorstehenden Textvergleichung den Abschnitt foncellae S. 21. 4 ) Berlin, Preußische Staatsbibliothek, Ms. lat. fol. 56; ζ. Ζ. im Depot der Universitätsbibliothek Tübingen. 5 ) Wilhelm Wiemes, a.a.O., Berlin 1938, 64ff. a)

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Albertus. Erst wenn der Liber de cura equorum in einer kritischen Ausgabe vorliegt, wird sich sagen lassen, inwieweit in Alberts Tractatus de equis noch Isidor und Plinius zur Auswirkung gekommen sind. Doch scheidet schon jetzt der auch hier von Stadler erwähnte Thomas von Cantimpré als Vermittler aus. Zum Schluß bleibt uns noch die Aufgabe, die den Hunden gewidmeten veterinärmedizinischen Abschnitte zu beurteilen. Bei ihnen mußte es schon deshalb schwieriger als beim Falken- und beim Pferdeteil sein, zu einem endgültigen Urteil zu kommen, da es an klärenden Vorarbeiten fehlt. Es ist bedauerlich, daß das mittelalterliche kynologische Schrifttum, abgesehen vom Kynosophion 1 ) bisher völlig unbeachtet blieb. Sehen wir von den wenigen von Albertus selbst gegebenen Hinweisen auf Galenus 2 ) ab, war die Quellenfrage hier bislang gänzlich ungeklärt. Um so erfreulicher ist es, daß es auch in diesem Fall möglich wurde, eine von Albertus benutzte, bislang unbekannte und, wie es scheint, im Schrifttum noch nirgends erwähnte Vorlage zu ermitteln. Es handelt sich um einen kleinen lateinischen Traktat, der hier unter dem Titel seines Initiums Ut canes pulcherimos habeas eingeführt wird. Er verdient ebenso wie der Liber de cura equorum eine baldige kritische Edition, da es sich wohl um die älteste unter den mittelalterlichen kynologischen Schriften aus dem europäischen Kulturbereich handelt, sofern man von der davon unabhängigen byzantinischen Tradition absieht. Von den vier im Laufe der Jahre mehr durch Zufall als durch systematische Suche gefundenen Handschriften 3 ) ist diejenige des Clare College in Cambridge, die auch *) Max Omiecynski, Hundezucht und Hundekrankheiten in der Literatur des klassischen Altertums mit besonderer Berücksichtigung des Kynosophions. Diss. Berlin 1924. 2) Stadler 1367 8 , 1368«. 3) Cambridge, Clare College, Ms. 15, fol. 187 r, 13. Jahrhundert; Bologna Biblioteca dell Universita, Ms. 2764, fol. 53 r—54 r; Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Vindob. 2414, fol. 44 r2—45 r 1 ; Klagenfurt, Bischöfliche Bibliothek, Ms. X X X d. 1, fol. 29 ν—30 ν, ao. 1419. Eine ins 14. Jahr-

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den Liber de cura equorum enthält, wegen ihres Alters die wichtigste. Sie legt im Zusammenhang mit den anderen in ihr zusammengefaßten Texten die Vermutung nahe, daß auch Ut canes pulcherimos habeas schon im 12. Jahrhundert entstanden ist. Um einen Eindruck vom Abhängigkeitsverhältnis des Albertus zu gewinnen, werden auch hier Proben seines Textes und seiner Vorlage nebeneinander gestellt: Ut canes pulcherimos habeas Clare College, Ms. 15, fol. 187 r Si spinam uel aculeum in pede seu in quolibet membro habuerit, furfurea esca cum recenti lardo trita et apposita utrumque extrahit saniem denudai et educit. Item puluis yrundinum in olla noua cum interioribus combustorum idem operator et pocius efficit. Seruetur hic ergo puluis in pixide donec canis indigeat tali medicamine.

A l b e r t u s , L i b e r de a n i m a l i b u s ed. Stadler 136623"2'. Si autem canis spinam in pede vel aculeum in alio quovis membro habuerit, furfuresca cum lardo recenti trita et apposita spinam et aculeum extrahit et saniem denudando aperit. Hoc idem etiam facit pulvis hyrundinellarum in olla nova cum suis interioribus combustarum. Hic pulvis servetur in pyxide, quia multum valet ad talia.

Sieben der neun von Albertus behandelten Hundekrankheiten1) — lepra, vermes, tumor, spina, rabies, macies inordinata und pigrities — sind dieser Vorlage entnommen. Sie gaben den veterinärmedizinischen Darlegungen Alberts im Hundeteil das Gepräge. Mit dem Nachweis dieser Quellen, die zugleich einen Eindruck vom Stand der praealbertinischen Naturwissenschaft und Veterinärmedizin des 12. Jahrhunderts vermitteln, war es möglich, einige bislang schmerzlich empfundene Lücken in unserem Wissen um das geistige Fundament und den Arbeitsstil des Albertus zu schließen. hundert gehörige Pergament-Handschrift, die unter dem Signum Ms. 97 in die Bibliothek des Domgymnasiums in Halberstadt gehörte, muß leider als verschollen angesehen werden. x ) Der Traktat Ut canes pulcherimos habeas entspricht bei Albertus ed. Stadler 13653·—1367».

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III Nachdem versucht wurde, die lateinischen Quellen unseres Traktats zu ermitteln, stellt sich von selbst die Frage nach der Bedeutung des Albertus als Zoologe, vornehmlich als Ornithologe. Und in der Tat ist kein Teil im umfänglichen Liber de animalibus noch einmal so geeignet wie seine Abhandlung über die Falken, als Grundlage für eine Antwort hierauf zu dienen. Sehen wir von dem vom Tierkörper handelnden 20. und dem eine vergleichende Tierpsychologie enthaltenden 21. Buch ab, die wir Albertus zuzuschreiben geneigt sind, enthält der systematische Teil seines großen Werkes kaum eine zweite Stelle von gleichem oder ähnlichem Umfang, die als eigenschöpferische Leistung zu gelten hätte. An ihr wird man ihn somit am besten messen können. Es ist nicht der Sinn dieser Betrachtung, ein Bild des Ornithologen oder gar des Zoologen Albertus auf Grund seiner vielen ergänzenden oder kritischen Bemerkungen zu entwerfen, mit denen er die aus seinen Vorlagen übernommenen Texte begleitete. Viele sind schon häufig zu seiner Charakterisierung zusammengestellt worden 1 ). Ihre Erfassung und Auswertung würde nur im Rahmen einer Gesamtschau möglich sein, die nicht die Aufgabe dieser Untersuchung sein kann. Für uns stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Albertus für die mittelalterliche Ornithologie in durchaus anderer Form. Wir können die Tatsache nicht übersehen, daß es bisher für die modernen Ornithologen nicht möglich war, Klarheit in das von Albertus gegebene System der Greifvögel, vornehmlich der Falconiden zu bringen. Thienemanns 2 ) breit angelegter Versuch x)

Siehe z.B. Rudolph Zaunick, Albertus Magnus, der PrärenaissanceZoologe, Ostdeutscher Natur wart, Breslau 1924, 124—128; Heinrich Balss, Albertus Magnus als Zoologe, München 1928, 21 und a. a. O. 2) Friedrich August Ludwig Thienemann, Kritische Revision der europäischen Jagdfalken, Rhea, Ztschr. f. d. ges. Ornithologie, 1. Heft. Leipzig 1846, 44—98.

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führte zu einem geradezu beängstigenden Fiasko. Was hier an Unzutreffendem und Irreführendem gesagt wurde, ist nur schwer zu überbieten. Verständlicherweise wichen nachfolgende Forscher wie Killermann 1 ) und Balss 2 ) diesem heiklen Problem aus und beschränken sich auf die Nennung einiger weniger Arten, deren Identifikation ihnen gesichert zu sein schien, obgleich sich bei näherer Betrachtung auch ihre Liste noch als irrig erweist. Mit einer gewissen Genugtuung darf hier festgestellt werden, daß diese Lücke als endgültig geschlossen angesehen werden kann. Die Rätsel zu lösen war allerdings allein aus jagdgeschichtlicher Schau heraus möglich. Die bisherigen Mißerfolge erklären sich in erster Linie aus der Betrachtungsweise derer, die sich an diesem Problem zuvor versucht haben. Die Bemühungen der genannten Zoologen waren zum Scheitern verurteilt, weil sie an die Aussagen eines hochmittelalterlichen Naturforschers mit den unserer Zeit eigenen Begriffen der naturwissenschaftlichen Systematik herangingen. Nichts anderes, als wollte man versuchen, ein Werk der scholastischen Philosophie in die Symbolsprache der mathematischen Logik zu übersetzen. Was Albertus über die Greifvögel und sonderlich über die Falconiden zu sagen hatte, läßt sich nur aus der viel lebensnäheren Betrachtungsweise seiner eigenen Zeit verstehen. Menschen des 13. Jahrhunderts lebten mit Falken wie mit jedem anderen Haustier, wie mit Hunden und Pferden. Beizvögel hatten eine große kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung nicht nur für den hohen und niederen Adel, sondern für weite Kreise des Volkes, die als Berufsfalkner mit deren Fang, Wartung und Ablichtung beauftragt waren oder als jagdliche Hilfskräfte dienten. Die Menschen dieser Zeit hatten

*) Seb. Killermann, Die Vogelkunde des Albertus Magnus, Regensburg 1910, 32 ff. ») Heinrich Balss, Albertus Magnus als Zoologe, München 1928, 132/133; ders., Albertus Magnus als Biologe, Stuttgart 1947, 241.

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durch den täglichen Umgang mit ihren Pfleglingen einen viel geschulteren Blick als wir und verfügten vor allem über ein weit umfangreicheres Anschauungsmaterial. Unterscheidungsmerkmale wurden nicht durch Gelehrtenfleiß erarbeitet sondern entsprangen den Erfahrungen der Praxis. Hier wurde nicht mit dem Maßstab eines wohlabgewogenen Speziesbegriffes gemessen, sondern auf Grund des empirisch erworbenen Wissens der Praktiker gearbeitet. Wenn man bedenkt, daß unter den erfahrensten Ornithologen unserer Tage noch keine völlige Einmütigkeit über die Subspeziesbildung der wichtigsten Falconiden besteht, wäre es vermessen, unter diesem Blickwinkel die Systematik eines Albertus beurteilen zu wollen. Das Studium der leider für die Geschichte der Zoologie bislang nur wenig ausgewerteten Jagdliteratur, insbesondere des breiten beiz jagdlichen Schrifttums zeigt, daß die Falkner viele Jahrhunderte hindurch für die Kennzeichnung ihrer Beizvögel einen reichen Wortschatz zur Verfügung hatten, für den verschiedene Merkmale, vornehmlich Alter, Geschlecht und Herkunft bestimmend waren. Dazu kamen landschaftliche Unterschiede im Sprachgebrauch. Wir kennen Beizvogelbezeichnungen, die in Italien eine andere Bedeutung hatten als in Frankreich. Sie in ihrer ganzen Vielfalt zu sammeln und mit ihrem Inhalt auf die Erkenntnisse der modernen Subspeziesforschung zu beziehen, wird eine ebenso interessante wie unerläßliche Forschungsaufgabe sein. Hier wurde erstmalig am Beispiel des Albertus Magnus dieses Verfahren praktiziert. Es erfordert allerdings, um zu überzeugen, gerade in einer ersten Untersuchung, in der dieser Weg beschritten wird, eine verhältnismäßig umfangreiche Beweisführung für jeden deutungsbedürftigen Artnamen. Um diese Einleitung vor Überlastung zu schützen, wurden deshalb die Einzelnachweise in das der Münsingerschen Übersetzung beigegebene Glossar verwiesen. Wir dürfen uns hier darauf beschränken, zusammenfassend das Ergebnis vorzutragen. 46

Albertus kannte — in der Sprache unserer Zeit — sieben Falkenarten: den Gerfalken, den Würgfalken, den Wanderfalken, den Feldeggsfalken, den Merlin, den Baumfalken und den von ihm in die Nähe der Bussarde gestellten Turmfalken. Alle seine Angaben beziehen sich auf eine dieser Arten oder auf deren Subspezies. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen steht der allgemeinen jagdlichen Bedeutung und Wertschätzung entsprechend der Wanderfalke, der uns in nicht weniger als siebenfacher Gestalt entgegentritt. Zunächst stoßen wir auf ihn als peregrinus (Kap. VIII, Stadler 146120ff·, s. voc. pilgrin falcken). Als solchen bezeichnete man den auf dem Herbstzug gefangenen Wildfang von Falco peregrinus peregrinus Tunst. Der natürliche Irrtum jener Ornithologen, die unter dem Eindruck rezenter SpeziesbegrifFe standen, lag in der irrigen Annahme, der peregrinus des Albertus sei dem peregrinus unseres Systems unabhängig von Alter, Herkommen und Geschlecht gleichzusetzen. Freilich ist der mittelalterliche peregrinus auch ein Falco p. peregrinus Tunst., aber diesen Namen trug er nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen, die für alle die Fälle, in denen sie nicht gegeben waren, ein weites Spiel ließen. Seinen Namen hatte der „Wanderer" nach der fest verwurzelten Vorstellung erhalten, niemand wisse, wo er horste. Der während des Herbstzuges vom September bis zum November gefangene Wildling der größeren und lichteren nordischen Form unterschied sich natürlich in Stärke und Aussehen recht erheblich vom ausgehorsteten süd- oder mitteleuropäischen Nestling. Ebenso wie ein Hippologe die Gebundenheit einer Pferderasse an eine bestimmte Landschaft kennt, trennten die alten Falkner den stärkeren herbstlichen Wildfang von dem in der Heimat erbrüteten Nestling oder Ästling. Für diesen brauchte Albertus die Bezeichnung montanarius (Kap. VII, Stadler 1460lff·, s. voc. montaner). Diese heimische Form des Wanderfalken (Falco peregrinus germanicus Erl. = F. p. rhenanus Kleinschmidt) behandelte Albertus zuerst, noch bevor er auf den 47

peregrinus zu sprechen kam. Das Wort montanarius scheint im italienischen Sprachbereich entstanden zu sein, wo es allein auch Heimatrechte erwarb. Albertus wird es während seines italienischen Aufenthaltes kennengelernt und inhaltlich richtig interpretiert haben. Die im eigenen Land ausgehorsteten montanarii waren die „in den Bergen Wohnenden", die „von den Felsen" gebrachten Jungvögel der etwas kleineren, dunkleren und ausgeprägter gezeichneten Form, die den Falknern in größerer Zahl zur Verfügung standen als die während des Zuges gefangenen peregrini. An die als heimische Nestünge oder Ästlinge ( = montanara) und als Wildfänge ( = peregrini) behandelten Wanderfalken schloß Albertus die Beschreibung des gybosus (Kap. IX, Stadler 1463 5 ff·, s. voc. hofer falckeri) an, für den die deutschen Ubersetzer unschöne und unübliche Wortschöpfungen wie hoferfalcke, hofferiger Falche oder Hocker-Falcke wählten. Keines dieser Worte ist je von einem praktischen Falkner benutzt worden, genauso wie wir auf den gybosus in der mittelalterlichen Falkenliteratur nur bei Albertus stoßen. Er ist seine Erfindung. Albertus sah bei einem Eremiten in den Alpen, dem er eine Anzahl wertvoller Hinweise verdankte, drei kleine Beizfalken, die wegen der hochliegenden Handwurzelknochen der Flügel und ihres kurzen Halses buckelig oder höckerig wirkten. Die von Albertus gegebene Beschreibung läßt keinen Zweifel, daß diese gybosi nichts anderes als kleine Wanderfalkenterzel waren, die er trotz der von ihm selbst betonten Gleichartigkeit des Aussehens mit dem peregrinus irrtümlich als selbständige Art auffaßte und als „Buckelfalken" in die wissenschaftliche Literatur einführte. Den praktischen Falknern, die genau wußten, daß bei allen zur Beize gebrauchten Greifvögeln die Terzel wesentlich kleiner sind als die stärkeren Weibchen, konnte dieser Irrtum nicht unterlaufen. Deshalb lebte der gybosus allein im ornithologischen Fachschrifttum weiter, deren Verfasser aus eigener Erfahrung nicht zu urteilen wußten und sich der Autorität eines Albertus unkritisch beugten. 48

Den besten Einblick in die Arbeitsweise des Albertus vermitteln uns die drei Kapitel, die er den schwarzen, weißen und roten Falken (Kap. X, Stadler 1464·31Kap. XI, Stadler 146529ff·; Kap. XII, Stadler 146631ff·; s. voc. swartzfalckeri) widmete. Sie gaben bis in die jüngste Gegenwart1) Anlaß zu Mißverständnissen. Man muß die Zusammenhänge, vor allem die Quellen des Albertus kennen, um den Inhalt dieser drei Abschnitte richtig deuten zu können. Albertus fand in einer seiner wichtigsten Vorlagen, im Dankus- und dem mit diesem häufig abgeschriebenen Guilelmustraktat die Gliederung in falcones nigri, albi et rubei, ohne an dieser Stelle zugleich eine befriedigende Erklärung für die Unterscheidungsmerkmale der drei hier nebeneinander gestellten Formen zu bekommen. Er scheint sich bei den Berufsfalknern, die ihm die von ihm übernommenen Traktate vermittelten, erkundigt und zutreffende Auskünfte erhalten zu haben, die die Grundlage seiner weit über die spärlichen Bemerkungen der Quellen hinausgehenden Darlegungen wurden. Albertus erfuhr, daß man mit diesen Hinweisen auf farbliche Unterschiede drei Formen des Wanderfalken, eine dunkle, eine helle und eine ins Rötliche spielende kennzeichnen wollte. Uns könnte es verwunderlich erscheinen, wie die mittelalterlichen Falkner zu jener feinen Aufgliederung kommen konnten, die sich die moderne Ornithologie im Rahmen der Subspeziesforschung vielfach erst in neuester Zeit erarbeitete. Eine solche Betrachtung würde aber den historischen Gegebenheiten nicht gerecht werden. Wir machen uns kaum ein rechtes Bild vom Ausmaß des mittelalterlichen Falkenhandels und seiner ausgedehnten Einzugsgebiete sowohl im Norden und Nordosten Europas als auch in den Ländern der Levante, wozu nach Entdeckung der Neuen Welt noch Mittel- und Südamerika hinzuSiehe z.B. Heinrich Balss, Albertus als Zoologe, München 1928, 132, der durchaus abwegig den Falco albus des Albertus für den weißen grönländischen Jagdfalken (Falco rusticólas candtcans Gmelin), den Falco ruber für den Feldeggsfalken (Falco biarmtcus feldeggii Schlegel) hielt. 4 Von Falken, Hunden und Pferden I

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kamen. Der Markt bot Falken aus allen diesen Ländern und ein peregrinus aus Skandinavien, ein zweiter aus Persien und ein dritter aus Nordafrika sahen in den geübten Augen mittelalterlicher Berufsfalkner recht unterschiedlich aus. Man bezeichnete sie unter Fachleuten nicht nach ihrer Heimat, die man häufig vielleicht nicht einmal kannte, sondern nach ihrem Gefieder. Der falco niger des Albertus war eine der dunklen östlichen Formen des von Albertus vornehmlich aus südeuropäischer Sicht gesehenen Wanderfalken, wahrscheinlich Falco peregrinus babylonicus Sei. Sein falco albus bezeichnet zweifellos die großen lichten Skandinavier, Falco peregrinus scandinaviae Kleinschmidt, vielleicht auch deren noch hellere östliche Nachbarn, Falco peregrinus calidus Lath., während wir im falco ruber wohl eher den nordafrikanischen Falco peregrinus pelegrinoides Ternm. als den auch zu einem rötlichen Ton neigenden südeuropäischen Falco peregrinus brookei Sharpe zu sehen haben. Hätte Albertus die Heimat seiner nach Farben unterschiedenen Falken genauer angegeben, würde die Bestimmung der von ihm gemeinten Subspezies noch genauer möglich sein. Die von ihm für den Vergleich der drei Varietäten gewählte Form läßt aber keinen Zweifel, daß es sich in jedem Falle um einen echten peregrinus handelt, zumal das ml. Wort falco ebenso wie das fr. faucon vielfach in der speziellen Bedeutung Wanderfalke gebraucht wurde, ohne daß es eines weiteren Zusatzes bedurft hätte. Gradmesser für Maß- oder Farbunterschiede der drei eng untereinander verwandten Subspezies ist bei Albertus stets sein peregrinus. In dem von Albertus entwickelten System sind somit alle im hochmittelalterlichen Gesichtskreis liegenden Subspezies von Falco peregrinus erfaßt. Auch der in einem nachträglich angehängten Kapitel (Kap.XXIV, Stadler 149221ff·; s. voc. steinfalck) kurz erwähnte Steinfalke gehört hierher, hätte aber ohne Schaden ebenso fehlen können, da sein Erscheinen mehr verwirrend als klärend wirkte. 50

Neben der im Mittelpunkt der Betrachtungen stehenden Wanderfalkengruppe haben wir den von Albertus an die Spitze gestellten östlichen sacer (Kap. V, Stadler 145723ff·; s. voc. sackerfale ken) und den nordischen gyrofalco (Kap. VI, Stadler 145828ff·; s. voc. girofalcken) zu sehen. Beide sind ornithologisch eindeutig zu bestimmen. Beim ersteren handelt es sich um den kräftigen, als Beizvogel hochgeschätzten Saker- oder Würgfalken (Falco cherrug cherrug Gray.), beim zweiten um den nordischen Gerfalken (Falco rusticólas), wobei offen bleiben muß, an welche Form Albertus im besonderen gedacht hat. Weniger beliebt als Beizvogel war der Lannerfalke, den Albertus als falco qui habet pedes azurinos (Kap. XIII, Stadler 146732ff·; s. voc. blafuß) vorstellte, indem er sich durch eine wörtliche Übersetzung der ihm geläufigen deutschen Bezeichnung Blaufuß ins Lateinische half. Ebenso wie falco gybosus findet sich die seltsame, etwas ungelenk klingende Bezeichnung falco qui habet pedes azurinos anderweitig im mittelalterlichen Schrifttum nicht. Es handelt sich um eine auf Albertus zurückgehende Wortschöpfung. In einer umfangreichen Glosse wurde der Nachweis erbracht, daß der Lannerfalke bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ein weit größeres Verbreitungsgebiet als heute hatte und daß es sich bei der von Albertus besprochenen Form um Falco biarmicus feldeggii Schleg. gehandelt haben muß. Zu der eigenwilligen Namengebung entschloß sich Albertus wohl, weil er unter einem lanarius etwas anderes verstand als die mittelalterlichen Fachschriftsteller, während ihm die von seinen Zeitgenossen gebrauchten inhaltsgleichen Bezeichnungen falco rusticus oder falco villanus für den Lanner nicht läufig gewesen zu sein scheinen. Die von Albertus erwähnten drei lanarii (Kap. XV, Stadler (5910ff..s_ v o c vnedeln falcketi, muser und swemer) waren keine zur Beizjagd tauglichen Greifvögel sondern zwei Bussarde und der Turmfalke (Falco tinnunculus tinnunculus L.). Bei den Bussarden kann es sich ebenso um eine helle und eine dunkle Varietät des 4

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Mäusebussards (Buteo buteo) wie um ein Nebeneinanderstellen von Rauhfußbussard (Buteo lagopus) und Mäusebussard gehandelt haben. Von den echten Falken kannte Albertus noch den Merlin, Falco columbarius regulus Pali., (Kap. XIV, Stadler 1468 29ff ) und den Baum- oder Lerchenfalken, Falco subbuteo subbuteo L., (Kap. XXIV, Stadler 149221, 26ff), von denen der erste wegen seiner Tauglichkeit zur Jagd frühzeitig die Aufmerksamkeit des Gelehrten erregt haben muß, während er des zweiten nur mit wenigen Worten in dem ergänzenden Schlußkapitel gedenkt. Innerhalb der Gattung war sich Albertus noch nicht der feinen Subspeziesunterschiede wie bei der Gattung Falco bewußt, was nicht nur im Hinblick auf die große jagdliche Bedeutung der Faustvögel sondern auch in Anbetracht der subtilen Gliederung der europäischen Habichte vorzugsweise im italienischen Fachschrifttum der nachfolgenden Zeit verwunderlich ist. Albertus widersprach der in seiner Quelle vorgefundenen Gliederung in vier Arten, weil er erkannt hatte, daß die Größenunterschiede der Geschlechter kein Kriterium für die ornithologische Systematik sein konnten. Es blieben somit nur der Habicht (Accipiter gentilis L·., Stadler 1493 4ff ), der als Habichtsweibchen (astur) und als Habichtsmännchen (astur mtnoris = tercelinus) vorkommt, und der Sperber (Accipiter nisus nisus L., Stadler 1493 8ff ) übrig, für dessen Geschlechter Albertus die landläufigen Bezeichnungen nisus und muscetus zur Hand hatte. Beachtenswert ist der von Albertus gegebene Hinweis (Stadler 14397ff ), daß die nordischen Habichte größer und stärker seien als ihre — wir dürfen wohl sagen — mitteleuropäischen Artgenossen. Auf die bei Albertus erscheinenden sechs Adlerarten näher einzugehen, müssen wir uns versagen, da diese weder in unserem der Beizjagd gewidmeten Traktat vorkommen noch Gegenstand der Münsingerschen Übersetzung sind. Immerhin aber ist beachtlich, daß auch das den Adlern gewidmete Kapitel im 23. Buch des Liber 52

de animalibus wesentlich selbständiger ist als die übrigen Teile des Vogelbuches. Diese Feststellung führt uns zwangsläufig zur Frage nach der Originalität des den Falken gewidmeten Abschnittes, der schon äußerlich den gegebenen Rahmen insofern sprengt als er als ein in sich geschlossener Traktat mit selbständiger Kapitelzählung in das ornithologische Gesamtwerk eingeschoben ist. Sein Umfang stört bereits das natürliche Gleichgewicht. Er nimmt fast die Hälfte des ganzen Vogelbuches ein und überschreitet diese noch, wenn man die praktisch ebenso originellen Ausführungen unter den Stichworten Aquila und Accipiter hinzunimmt, wobei besonders die letzteren den Eindruck erwecken, gleichzeitig und im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Falkenteil entstanden zu sein. Unsere Frage nach der Eigenleistung des Albertus als Ornithologe ist deshalb verhältnismäßig leicht zu beantworten. Uberprüfen wir den nach der Ausgliederung des Greifvogelteiles verbleibenden Rest des Vogelbuches, so stellen wir eine weitgehende Identität desselben mit zeitgenössischen Quellen fest. Eine solche Abhängigkeit ist aber im systematischen Teil des Falkentraktates und in den Darlegungen über die Accipitres, soweit wir die Quellen zur Zeit übersehen, nicht gegeben. Hier sind Berührungspunkte beispielsweise zwischen Albertus und Thomas von Cantimpré nur festzustellen, wenn beide die gleiche Vorlage, beispielsweise den Ptolemäusbrief, benutzten. Wir haben im vorhergehenden Abschnitt gesehen, in welchem Ausmaß sich Albertus auf zeitgenössische beizjagdliche Texte stützte. Aber deren Inhalt war hauptsächlich veterinärmedizinischer Natur und flöß in die den Kuriervorschriften gewidmeten Kapitel. Ornithologische Angaben sind kaum in ihnen enthalten. Wir können deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, daß die ornithologischen Ausführungen des Albertus im Falkentraktat originell sind und auf keines der zeitgenössischen Vorbilder zurückgehen. Hier liegt die bedeutsame eigenständige Leistung 53

des großen und vielseitigen Gelehrten. Seine Arbeitsweise läßt sich unschwer rekonstruieren. Das Thema muß ihn in verhältnismäßig jungen Jahren angezogen haben. Im übrigen scheinen Traktate über die Falknerei dem Geschmack der Zeit entsprochen zu haben, jedenfalls spricht die Vielzahl der überlieferten Texte und die Fülle der erhaltenen Handschriften für diese Annahme. Vielleicht war auch in den Kreisen der Gelehrten und des interessierten Adels bekannt, daß Friedrich II. an einer monumentalen Monographie über die Beizjagd arbeitete. Beim Sammeln der Vorlagen, die Albertus mit gutem Grund nicht bei Aristoteles und Plinius, bei Isidor oder im Physiologus suchte, stieß er auf zwei abweichende Schemen zur Systematik der Falconiden, eine umfangreichere im Ptolemäusbrief und eine kürzere im Dankus-GuilelmusTraktat. An ihnen orientierte er sich, ohne ihnen sklavisch zu folgen, wobei ihm ohnedies die schwierige Aufgabe blieb, beide sinnvoll miteinander zu verschmelzen. Aber beide Schemen waren nicht viel mehr als Namensverzeichnisse der wichtigsten Beizvogelarten. Über Aussehen und Eigenschaften der einzelnen Arten enthielten sie kaum einen Hinweis. Und eben hier setzte die Arbeit des Albertus ein. Auf dem zuverlässigen Boden der empirischen Methode baute der stets kritische und zu sachlichen Vergleichen geneigte Albertus das eigene Gebäude. Das meiste dessen, was er uns überliefert hat, scheint er durch Gespräche mit Fachleuten in Erfahrung gebracht zu haben. Mehrfach sind solche Gewährsleute ausdrücklich erwähnt. Seine eigene Leistung bestand in erster Linie in der Schaffung eines zuverlässigen Schemas für die Einteilung der wichtigsten Beizvögel, das uns nur im Licht der Zeit, in die es gehört, ganz transparent wird. Das Verdienst des Albertus wird durch die Tatsache nicht gemindert, daß Jahrhunderte hindurch dieses Schema falsch gedeutet wurde, weil man die Sprache seiner Zeit nicht mehr verstand. Albertus verfügte zumindest auf Teilgebieten der Vogelkunde über ein empirisch erworbenes fundiertes Wissen, mit dem er sich freilich nicht mit einem so 54

überragenden Sachkenner wie Friedrich II. von Hohenstaufen messen konnte. Seine Stellung in der Geschichte der Ornithologie wird deshalb weniger durch die von ihm durchgeführten umfangreichen kompilatorischen Arbeiten als durch seinen originellen Beitrag zur mittelalterlichen Systematik der Falconiden bestimmt werden. IV Nach diesen einleitenden Bemerkungen über Albertus Magnus dürfen wir uns den beiden ältesten, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammenden Übertragungen seines Textes ins Deutsche zuwenden. Vermutlich diente eine der kleinen lateinischen Handschriften, die für den Hausgebrauch der jagdlich interessierten Kreise nur das über Beizvögel, Hunde und Pferde im Liber de animalibus Gesagte enthielten, als Vorlage für die erste deutsche Übersetzung, die in einer einzigen Handschrift überliefert ist: A

Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. pal. germ. 206, Papier, 1404

Sie hat, abgesehen von ihrer selbstverständlichen Katalogisierung1), bisher keine Erwähnung im sprachwissenschaftlichen oder im jagdhistorischen Schrifttum gefunden und wird hier erstmals vorgelegt. Es handelt sich um eine datierte Handschrift aus dem Jahre 1404 in einem kleinen gepreßten Lederband mit Messingbeschlägen und -schließen, der Bild und Wappen des Gründers der Palatina, des Kurfürsten Ottheinrich, Pfalzgrafen bei Rhein, trägt. Die Jahreszahl 1558 auf dem Deckel sagt, daß die Handschrift kurz vor seinem Tode gebunden wurde. Sie umfaßt 61 beschriebene Blätter (14,8 X 19,8 cm), stammt aber nicht von einer Hand. Mindestens drei Schreiber waren an ihr beteiligt. Der erste *) Karl Bartsch, Die deutschen Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidelberg, Heidelberg 1887, 47, Nr. 115.

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unter ihnen übergab die sorgfältig beginnende Arbeit schon auf fol. 2r 13 einem Nachfolger, der sie bis 3r 2 fortführte. Dann löste ihn der erste Schreiber wieder bis fol. 4r 7 ab. Die Arbeit übernahm anschließend ein dritter Schreiber mit typisch baltischen Dialektmerkmalen. Von ihm stammt die Handschrift bis fol. 5 ν 2 . Von nun an ist die Ubersetzung bis zum Schluß (fol. 55 r) wieder das Werk des ersten Schreibers, jenes Wernherus Ernesti, der uns seinen Namen im Explicit überlieferte. Wäre es nicht möglich gewesen, durch glücklicherweise überlieferte Lebensdaten seine Herkunft zu ermitteln, würden die mittelrheinischen Merkmale der auf ihn zurückgehenden Teile der Arbeit einen Hinweis auf seine Heimat gegeben haben. Aber auch der zweite Schreiber bairischer Herkunft blieb der Übersetzung verbunden. Von ihm stammen die durchweg erst nachträglich eingefügten Kapitelüberschriften und das umfassende, allerdings durch viele Schreibfehler im Wert geminderte Glossar (fol. 55 ν—61 r). Dies alles deutet darauf hin, daß die Übersetzung als eine Gemeinschaftsarbeit gedacht war, im wesentlichen aber von Wernherus Ernesti durchgeführt wurde. Leider läßt sich über den Erfolg dieses ersten Versuches, die jagdlich interessanten Teile aus dem Liber de animalibus des Albertus Magnus in die Volkssprache zu übertragen, nicht allzu viel Positives sagen. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Anregung hierzu vom nachmaligen Kurfürsten Ludwig III. von der Pfalz ausging, dem sie von Ernesti dediziert wurde. Es scheint, daß der junge Landesfürst — zur Zeit der Abfassung des Werkes noch nicht an der Regierung, aber trotz seiner Jugend schon mit großen politischen Aufgaben betraut — den Wunsch hatte, die ihm selbst unzugänglichen lateinischen Quellen einer in ihren Anfängen steckenden nationalen Jagdliteratur kennenzulernen und ihm der in hohem Ansehen stehende Albertus einer Übertragung in erster Linie wert erschien. Die Aufforderung, sich dieser Aufgabe zu unterziehen, richtete er an einen zweifellos 56

hochbegabten und gebildeten Mann aus der nächsten Umgebung seines Vaters, Wernherus Ernesti, vielleicht sogar mit dem Hinweis, nötigenfalls Hilfskräfte, wie den erwähnten Schreiber bairischer Zunge, zur Unterstützung hinzuzuziehen. Offensichtlich wandte er sich mit seinem Appell an einen Mann, der zwar gewohnt war, einem solchen fürstlichen Wunsch zu entsprechen, der Aufgabe aber nach Herkunft und Erziehung nicht gewachsen war. Die ganze Arbeit läßt erkennen, daß Ernesti keine jagdlichen Kenntnisse hatte und auch nichts von Veterinärmedizin verstand. Große Teile seiner Vorlage bezogen sich ja auf Pflege und Behandlung kranker Beizvögel, Hunde und Pferde, und gerade hier scheint es ihm mangels eigener Erfahrung oftmals schwer gefallen zu sein, den Sinn des lateinischen Textes zu erfassen. Er half sich in vielen Fällen in der Weise, daß er die für ihn nicht verständ · liehen oder zumindest schwer übersetzbaren Teile seiner Vorlage unverändert übernahm. Was bei dieser Arbeitsweise entstand, war ein nur mit Mühe zu lesendes Werk, das auch dem Auftraggeber keine rechte Freude machen konnte. Seine Unzulänglichkeit ist wohl von Anfang an empfunden worden, sonst wären bei dem hohen Interesse, welches solchen Übersetzungen entgegengebracht wurde, sicherlich schnell weitere Abschriften gefolgt. Es scheint aber, daß wir in der Heidelberger Handschrift die Originalübersetzung vor uns haben, die keine weitere Verbreitung durch die sonst übliche Anfertigung von Kopien erfuhr, Daß der Cod. pal. germ. 206 das Original darstellt, also nicht selbst als Abschrift — und wäre es auch nur nach einem Konzept — zu gelten hat, dürfte beispielsweise aus der Tatsache zu schließen sein, daß Ernesti auf fol. 12 r17 schon seiner lateinischen Vorlage entsprechend aquam geschrieben hatte, weil es aquam rosaciam zu übersetzen galt, daß ihm in diesem Augenblick aber das entsprechende deutsche Wort rosenwaßer einfiel, so daß er sich entschloß, aquam wieder zu streichen und mit rosenwaßer in der Zeile fortzufahren. Ein solches Verhalten wäre bei einer Abschrift nur 57

schwer zu erklären. Ein Beispiel von gleicher Beweiskraft ist die Streichung der Buchstaben al auf fol. 20 ν 1 . Ernestis Übersetzung erfolgte in einem schlechten, ungelenken Deutsch, weit entfernt von der sprachlichen Brillanz der nur wenig jüngeren Übertragung durch Münsinger. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, daß es sich um eine lieblose Arbeit ohne rechtes Verständnis für den Stoff handelt, die für ihn ein vielleicht nur mit Mißvergnügen erledigter fürstlicher Auftrag war. Daß sich Mißverständnisse und Irrtümer einschlichen, mag mit Ernestis fehlender Sachkenntnis zu verzeihen sein; daß ihm aber auch zahlreiche Flüchtigkeitsfehler unterliefen, spricht für sein mangelndes Interesse. Anfangs scheint er sich seiner Verpflichtung, ein getreuer Interpret seiner lateinischen Vorlage zu werden, stärker bewußt gewesen zu sein als am Schluß, wo er sichtlich flüchtiger arbeitete und auch vor sinnentstellenden Auslassungen nicht zurückschreckte. Die fortlaufend am Rand dieser Ausgabe vermerkten Hinweise auf die lateinischen Parallelstellen bei Albertus nach der Stadlerschen Edition des Liber de animalibus 1 ) erlauben nicht nur einen Vergleich mit dem Urtext, sondern zeigen auch, daß Ernesti sich anfangs eng an seine Vorlage hielt, beim Hundeteil schon wesentlich eklektischer vorging und beim Pferdeteil sich nicht nur zu noch wesentlicheren Auslassungen entschloß, sondern auch durch steigende Verwendung von Latinismen bis zur Abschrift ganzer lateinischer Passagen das Leben zu erleichtern suchte. Inhaltlich übernahm Ernesti aus dem Falkentraktat des Albertus die Kapitel XVIII bis XXXIII 2 ), d.h. den veterinärmedizinischen Teil. Die naturwissenschaftlich und jagdlich bestimmten Kapitel I bis XVII uund XXIV wurden in die Übersetzung nicht einbeAlbertus Magnus, De animalibus libri XXVI, nach der Cölner Urschrift herausgegeben von Hermann Stadler, II, Münster 1920. 2) Stadler lib. XXIII, 79—107, 1474 31 —1492".

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zogen. Beim Hunde- 1 ) und Pferdeteil 2 ) beschränkte er sich gleichfalls auf die Übertragung der Kuriervorschriften und gab damit seiner Arbeit den Charakter einer vorzugweise tiermedizinischen Abhandlung. Sinn und Ursache dieser Beschränkung sind nicht recht einzusehen. Vielleicht entsprach Ernesti damit einer gestellten Aufgabe, vielleicht aber fühlte er sich bei den entfallenen Partien mangels eigener Kenntnisse noch unsicherer als bei der Ubersetzung der Kuriervorschriften. Auffällig ist, daß Ernesti nirgends den Namen des Albertus brachte und häufig die Quellennachweise seiner Vorlage tilgte 3 ). Seine religiöse Haltung kam durch die Streichung der als unchristlich empfundenen Beschwörungsformeln 4 ) zum Ausdruck. Zu Ernestis Eigenheiten gehörte es, häufig das lateinische Wort der Vorlage und dessen deutsche Übersetzung im Text nebeneinander zu bringen 6 ). Glossen stammen dagegen stets von der Hand des bairischen Mitarbeiters und *) ») 4) s)

Stadler lib. XXII, 27—29, 30—35, 1362 a6 —1367". Stadler lib. XXII, 55—93, 1379 e —1399 2β . z.B. Stadler 1481 s '- 32 und 148928"3S. Stadler 1481 9 " 11 und 1481 1 ·- 18 . Solche Parallelismen sind z.B. lucidissimo allerluters 6 v i a lardi partículas intinge, daz ist stuckein von speck du darjnne 8r 2 crustam, daz ist eyn rofe 8v 3 menta, daz ist myncze 9 v l e allium, daz ist knobelauch 12r 6 von buser fuchtunge fülle replec/o corrupti huOToris 13v 1 8 mediocr/ter mittelmeczig 18v 6 du ym die naselucher off et nares ehu pfrforabis 19v 4 vespertilionen fledermuß 20r l s mittelmeßig temperatura 23 r 8 purgacio«is der reynuMge 26 r 1 lepra impetigo ußsetzung 26 r 8 puluis hyrundinellaraw, daz ist poluer von junge« swalben 27 r 15 drocken exsiccatar 32 r 11 grozer fülle replec/'owe 32 v 5 soluatar zugee 42 V1

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wurden wie Uberschriften und Glossar nachträglich hin2ugefügt. Sie sind in dem hier vorgelegten Text in Fußnoten erfaßt. Der bairische Kollege Ernestis stand wohl unter dem Eindruck, daß allzu viele lateinische Worte aus der Vorlage übernommen worden waren und die wichtigsten verdeutscht zu werden verdienten, wenn die Übersetzung allseits verständlich sein sollte. Das auf ihn zurückgehende Glossar ist leider besonders flüchtig zusammengeschrieben worden und enthält teilweise stärkere Verderbungen als der Text. Immerhin stellt es einen wertvollen und zugleich nicht alltäglichen Anhang dar, der manchen nützlichen Hinweis enthält. Die ganze Handschrift trägt in ihrer inneren Unausgeglichenheit den Charakter eines Konzeptes. Mitunter fehlen Worte 1 ), ohne daß für ihre nachträgliche Einfügung Sorge getragen wäre. Vielleicht sollte die Übersetzung noch einmal durchgesehen, überarbeitet und von Latinismen gereinigt werden. Ihre unverkennbare Unzulänglichkeit auch als Denkmal der deutschen Sprache ist wohl eine hinreichende Erklärung, daß keine Abschriften genommen wurden und ihr eine weitere Verbreitung versagt blieb. Irgend ein Einfluß auf das jüngere Schrifttum ist nirgends feststellbar. Die Flüchtigkeit, die sie kennzeichnet, hat ihre Herausgabe nicht eben erleichtert. Der starke, meist rasch aufeinanderfolgende Wechsel in der Schreibweise zwang zum Ausgleichen 2 ), scissure süße 50 r 2 super junctura/» off dem geleich 50 T5 quasi contractu als zuenander erzogen 52 r 10 capistro eyner halfftim 53 r9 essche von holcze odir fauilla 53 v 1 potatus gedrun«cken 54 v 2 . 1 ) z.B. 8 r 1 4 , 9 r 1 2 , 1 8 v 8 , 2 3 r u , 24 r 2 , 36v», 38v 5 ,42r 1 0 , 42v 5 , 44r e , 4 6 r u , 47v 4 , 50 r 14 , 51 r\ 52 r 12 , 53 r 12 . 2) z. B. : zu, zu, zu = zu, zum, zum, zum = zum, du, du, dû = du, darzu, darzu, darzû = darzu, magstu, magstu = magstu.

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auch waren die Lesungen cz oder tz oft Ermessensfragen. In dem beigegebenen umfangreichen Wortregister wurden nicht nur die schwer deutbaren Worte erklärt oder, soweit notwendig, berichtigt, sondern auch die unübersetzt gebliebenen lateinischen Bestandteile um des Verständnisses willen ins Deutsche übertragen. V Erfreulicherweise ließ sich mancherlei über das Leben des W e r n e r E r n e s t i , dem wir die ältere Übersetzung des AlbertusMagnus-Traktats verdanken, ermitteln. Er stammte aus St. Goar am Rhein, wo er um 1365 geboren sein dürfte. Sein Name ist anderweitig im spätmittelalterlichen Schrifttum bisher nicht belegt und wir haben es als einen besonderen Glücksumstand anzusehen, daß es möglich wurde, wenigstens einige wichtige Daten seines Lebens festzustellen. Er begegnet uns erstmalig in der Matrikel der juristischen Fakultät der Universität Prag, wo er 1385 als Wemerus Arnesti de s. Goare eingeschrieben und als pauper von der Immatrikulationsgebühr befreit wurde 1 ). Er gehörte in Prag zur Natio Bavarorum. Im Herbst 1386 — circa festum s. Michaelis — erwarb er das Bakkalaureat der Artistenfakultät 2 ). Das Register nennt ihn Wernerus Hernesti. Schon die Tatsache, daß er an dieser Universität keinen weiteren akademischen Grad erlangte, weist darauf hin, daß er bald darauf Prag verließ. Offensichtlich folgte er seinem Lehrer Heilmann Wünnenberg aus Worms, der 1382 das Amt des Dekans der Prager Artistenfakultät bekleidet hatte und als erster Lehrer der Artisten für die 1386 begründete Heidelberger Universität gewonnen wurde. Zweifellos Album seu Matricula facultatis juridicae Universitatis Pragensis ab anno Christi 1372 usque ad annum 1418, Pars I (Monumenta Histórica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis, Tom. II), Prag 1834, 73. 2) Registrum ordinis graduatorum in artibus (Monumenta Histórica Universitatis Carolo-Ferdinandeae Pragensis Tom. I) Prag 1830, 247.

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ging von der neuen Hochschule eine starke Anziehungskraft auf die aus dem Rheinland stammenden Scholaren aus. Als Heilmann Wünnenberg 1389 zum zweitenmal das Rektorat der Heidelberger Universität übernahm, gehörte auch Wernherus Ernesti de S. Goare baccal. art. Prag, laut Matrikeleintrag 1 ) zu den Hörern. In Heidelberg setzte er demnach bei jenen Prager Lehrern, die die Berufung an die junge Universität angenommen hatten, seine Studien fort. Wie lange dies der Fall war, wissen wir nicht, aber der Großneffe des Gründers der Universität scheint ihn bald an seinen Hof gezogen zu haben, wo er im Laufe der Zeit ein hohes Maß von Vertrauen gewinnen konnte. Um die Wende des 14. zum 15. Jahrhundert gehörte Wernher Ernesti in den Kreis der engsten Gefolgschaft des Kurfürsten Ruprecht III. von der Pfalz (1398 bis 1410), der von einer sich auflehnenden Kurfürstengruppe am 21. August 1400 zum deutschen König gewählt und am 6. Januar 1401 in Köln gekrönt worden war. Ernestis Namen finden wir wieder in einer Urkunde 2 ) erwähnt, die Ruprecht III. am 12. Februar 1401 in Nürnberg unterzeichnete. Nürnberg gehörte zu jenen Städten, die in der Zeit der Auseinandersetzung zwischen Wenzel und Ruprecht sich auf die Seite des neuen Königs stellten. In den Tagen, in denen ihm die Reichsstadt huldigte, präsentierte Ruprecht III. seinen familiaris domesticus et commensalis Wernher Ernesti dem Dekan und dem Kapitel der Kirche zu Münster-

') Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg, I, Heidelberg 1884, 37. 2 ) Bad. Generallandesarchiv Karlsruhe, Regesten der Pfalzgrafen bei Rhein 67/802, fol. 131 v. Monstermeynfelt. Item in forma tali ut supra sub data Nuremberg duodecima die mensis februarii anno etc. concesse sunt littere ad decanum et capitulum ecclesie in Munstermeinfelt Treuerensis diócesis de canonicato et praebenda pro Wernhero Ernesti clerico Treuerensis diócesis familiari domestico commensali domini nostri regis.

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maifeld in der Diözese Trier auf ein Kanonikat und eine Präbende. Im September des gleichen Jahres trat Ruprecht seinen Zug nach Italien an, in der Hoffnung, aus der Hand Papst Bonifacius IX. die Kaiserkrone entgegennehmen zu können. Nach wechselvollem Schicksal zog er am 18. November in Padua ein, wo er bis zum 10. Dezember blieb. Auf diesem letztlich so kläglich gescheitertem Römerzug scheint Wernher Emesti seinen Herrn begleitet zu haben, denn schon wenige Tage nach dem feierlichen Empfang durch die Stadt, am 22. November 1401, präsentierte Ruprecht in einem Schreiben1) aus Padua Wernherus Ernesti der Kirche St. Kastor zu Koblenz, Diözese Trier, wiederum auf ein Kanonikat. Abgesehen davon, daß diese Urkunden den Verfasser der ersten Albertus-Magnus-Übersetzung auch als Kleriker ausweisen, scheinen sie darauf hinzudeuten, daß Wernher Ernesti ein Mann von einiger Bedeutung aus der unmittelbaren Umgebung Ruprechts war, denn anderenfalls würde sich der König kaum für ihn gerade in Tagen höchster politischer Spannung, diplomatischer Geschäftigkeit und persönlicher Inanspruchnahme verwandt haben. Möglicherweise leistete er ihm in der Zeit, in der Ruprecht versuchte, auf dem Verhandlungswege seine Herrschaftsansprüche durchzusetzen, als Vermittler wertvolle Dienste. Allerdings findet sich weder in den Akten des St. Kastorstiftes in Koblenz noch in denen des Stiftes Münstermaifeld ein Hinweis auf ihn. Wahrscheinlich hat er sein Kanonikat nie angetreten, denn das Staatsarchiv Koblenz besitzt eine Liste von zwölf Kanonikern aus dem Jahre 1401, in der vermutlich alle Kanoniker aufgeführt wurden, aber Ernestis Name fehlt. x ) Bad. Generallandesarchiv Karlsruhe, Regesten der Pfalzgrafen bei Rhein. 67/802 fol. 145v Confluencie. Item anno quo supra padue XXII. die Novembris concesse sunt littere ad canonicos et praebendarios ecclesie sancti Castoris Confluencie Treuerensis diócesis pro Wernhero Ernesti clerico diócesis.

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Das nächste Datum, das bei der spärlichen Uberlieferung mit seinem Namen in Verbindung steht, ist der 13. Dezember 1404, an dem er die hier vorgelegte Albertus-Magnus-Ubersetzung abschloß und Ruprechts drittem Sohn und Nachfolger, dem nachmaligen Kurfürsten Ludwig III. (1410—1436) widmete1). Ludwig war nach dem frühen Tod seiner beiden älteren Brüder schon in jungen Jahren zu hoher Verantwortung gekommen. Im Jahre 1401 ernannte ihn sein Vater vor Antritt seines Zuges nach Italien zum Reichsverweser in Germanien, Gallien und dem Burgund und die Provence umfassenden Königreich Arelat, obgleich der 25 jährige Pfalzgraf weder finanzielle Mittel noch Autorität besaß, seinem Amt unter den sich befehdenden Reichsfürsten Achtung zu verschaffen. Wernher Ernesti dedizierte aber seine Arbeit dem pfälzischen Thronfolger möglicherweise nicht nur, um diesem seine Ehrerbietung zu erweisen, sondern war vielleicht durch diesen selbst hierzu angeregt worden, denn es kann kaum ein Zufall sein, daß die zweite Übersetzung, die Arbeit Heinrich Münsingers, aus der Feder eines Mannes stammte, der bei dem gleichen Kurfürsten und Pfalzgrafen die Stellung eines Leibarztes inne hatte. Die Widmung deutet auf ein emsthaftes Interesse Ludwigs III. an einer deutschen Übersetzung des Traktats hin. Der Heidelberger Universität blieb Wernherus Ernesti trotz seines Hofdienstes verbunden. Als Lizentiat erwarb er am 18. August 1416 die Lehrbefugnis für kanonisches Recht 2 ). Spätere Nachrichten über ihn scheinen nicht erhalten zu sein. Ein naher Verwandter von ihm war sicherlich der erfolgreiche Johann Ernesti 3 ) aus St. Goar, der im August 1421 die Heidelberger Universität bezog, am 10. Juli 1425 das Bakkalaureat der !) fol. 55 r 1 »" 13 . 2 ) Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg, II, Heidelberg 1886, 525. Item ao. 1416° die Augusti 18 licentiatus est in iure canonica dom. Wernherus Ernesti de S. Goware. ') Gustav Toepke, a. a. Ο., I, 152.

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Artistenfakultät erwarb, im Wintersemester 1427/28 licentiatus in artibus 1 ) wurde, am 2. Oktober 1436 sein theologisches Examen 2 ) ablegte und am 20. Dezember 1440 zum Rektor 3 ) der Universität gewählt wurde. Er verfaßte eine größere Anzahl von Schriften in lateinischer Sprache 4 ). VI Mehr als über den Verfasser der ersten Ubersetzung wissen wir über das Leben jenes H e i n r i c h M ü n s i n g e r , dem die zweite jagd- und sprachgeschichtlich weit interessantere Übertragung zu danken ist. Wir wählen für seinen Namen, der auch in der Form Mynsinger überliefert ist, die Schreibart Münsinger, wie sie in der mit A bezeichneten Handschrift vorkommt. Uber die Herkunft seiner Familie liegen so viele unbewiesene oder einander widersprechende Nachrichten vor, daß es zunächst schwierig ist, den richtigen Faden zu finden. Wir tun gut, auszuscheiden, was sich als unhaltbar erweist. Irrig ist sicher die Angabe, unser Heinrich gehöre zu einer Familie Münsinger, die aus der Schweiz stamme und ihren Namen nach dem Ort Münsingen im Kanton Bern führe. Einer ihrer Zweige sei nach der Schlacht bei Sempach im Jahre 1386 nach Schwaben ausgewandert 5 ). Auch ist ein Verwandtschaftsverhältnis zu einem 1417 zum Bischof von Chur gewählten Münsinger 6 ), der 1440 in Meran starb, in Frage zu stellen. Weiterhin ist anzunehmen, daß es Träger des die Herkunft kennzeichnenden Namens Münsinger gab, die aus dem gleichen Ort stammten aber nicht miteinander ») Gustav Toepke, a. a. Ο., II, 377. Gustav Toepke, a. a. Ο., II, 525. 8 ) Gustav Toepke, a. a. Ο., I, 229 u. II, 611. *) Chr. Gotti. Jocher, Allgem. Gelehrten-Lexicon II, Leipzig 1750, Sp. 386. ') Walther Pfeilsticker, Neues Württembergisches Dienerbuch I, § 335. ") J. Kindler von Knobloch und O. Frhr. von Lützingen, Oberbadisches Geschlechterbuch III, Heidelberg 1919, 164. 2)

5 Von Falkcnf Hunden und Pferden I

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verwandt waren. So läßt sich vorläufig kein Zusammenhang mit jenem Johannes Münsinger herstellen, der 1384 Rektor an der Lateinschule in Ulm war, als theologischer Schriftsteller hervortrat und 1385 wegen seiner Thesen mit dem Rat seiner Vaterstadt in Konflikt geriet1). Auszugehen haben wir bei unseren Untersuchungen allein von der Tatsache, daß unser Heinrich Münsinger zuerst als Heinrich Kraüwel oder Crôwel von Münsingen auftritt, daß es ein schwäbisches Adelsgeschlecht Kröwel von Frundeck gab und ein bedeutendes Mitglied der Familie Münsinger rund 150 Jahre nach Verlust des alten Stammsitzes bei Verleihung des Adels wieder den Namen Münsinger von Frundeck erhielt. Allein in dieser Stammesfolge haben wir unseren Heinrich Münsinger zu suchen. Das Geschlecht trug seinen Namen nach der auf einer Anhöhe zwischen Neckar- und Eyachtal in der Gemeinde Ahldorf im Kreise Horb gelegenen Burg Frundeck2). Die Kröwel von Frundeck waren Dienstmannen der Grafen von Zollern-Hohenberg und sind seit 1255 in vielen Urkunden nachgewiesen. Die Familie erscheint erstmalig mit Burkard und Heinrich Kröwel von Frundeck und ist bis zum Ende des 14. Jahrhunderts durch zahlreiche Träger dieses Namens bezeugt. Vor allem kehrt in jeder Generation der Vorname Heinrich wieder. Bis 1383 war das Stammschloß Eigentum der Familie, aber am 24. September dieses Jahres trugen Fritz der Kröwel und dessen Sohn Hans die Veste Frundeck und ihren Anteil an der Burg zu Ahldorf dem Grafen Rudolf von Hohenberg und dem Herzog Leopold von Österreich zu Lehen auf. Damit wird der nun rasch einsetzende Niedergang *) Albrecht Weyermann, Nachrichten von Gelehrten, Künstlern merkwürdigen Personen aus Ulm, Ulm 1798, 414. 2 ) Th. Schön, Die Feste Frundeck, Aus dem Schwarzwald, württembergischen Schwarzwald-Vereins I X . Jahrg. Stuttgart J . Kindler von Knobloch, Oberbadisches Geschlechterbuch II, 1905, 381/382.

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und andern Blätter des 1901, Iff.; Heidelberg

der Familie urkundlich erstmalig faßbar. Fritz der Kröwel, vermutlich der Urgroßvater unseres Heinrich Kröwel von Münsingen, war 1386 bereits verstorben. Sein anscheinend sehr verschuldeter Sohn Hans Kröwel von Frundeck überlebte ihn nur wenige Jahre. Noch im Jahre seines Todes 1389 sah sich seine Witwe Sophia geb. von Wartenberg gezwungen, zugleich im Namen ihrer unmündigen Kinder Burg Frundeck, ihren Anteil am Dorf Ahldorf, einen dort liegenden Hof und einige Weingärten zu verkaufen. Das Alter der drei Söhne Hans, Heinrich und Konrad ist insofern abzuschätzen, als der älteste vor 1394, die beiden jüngeren vor 1399 großjährig geworden sein müssen, da sie in diesen Jahren schon selbständig zeugten. Im ältesten, Hans Kröwel, haben wir vermutlich den Vater unseres Heinrich Kröwel von Münsingen zu sehen. Die uns erhaltenen Urkunden zeigen, daß im Jahre 1399 die Brüder Hans, Heinrich und Konrad Kröwel verarmte und besitzlose Edelleute geworden waren, für die es keinen Platz mehr in den Reihen des Adels gab. Nicht einmal das Andenken an das alte Wappen, zwei Querbalken im Schild, blieb der Familie erhalten. Die mittellos gewordenen Brüder, zumindest der älteste, Hans, zogen anscheinend nach dem schwäbischen Münsingen. Gleichzeitig erfolgte die Änderung des Familiennamens. Zunächst nannten sie sich, nachdem sie ihr altes Stammschloß Frundeck verloren hatten, Kröwel von Münsingen. Unter diesem Namen begegnet uns noch unser Heinrich Münsinger bei seinem ersten Erscheinen in den Akten. Wenig später trugen die Familienmitglieder, da sie aller ihrer Adelsrechte verlustig gegangen waren, nur noch den Namen Münsinger. Heinrich erhielt seinen Vornamen wahrscheinlich auf Grund einer Jahrhunderte alten Familientradition, vielleich aber auch wegen der Übernahme der Patenschaft durch den gleichnamigen nächst jüngeren Bruder seines Vaters. Das Datum der Geburt Heinrich Münsingers steht nicht genau fest, fällt aber sicher in die letzten Jahre des 14. Jahrhunderts. 5»

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Münsinger immatrikulierte sich im April 1413 in Heidelberg 1 ) und erwarb ebenda im Juli 1415 den Grad eines Baccalaureus artium, 1417 den eines Magister artium 2 ). Bald darauf scheint er in die Dienste des Pfalzgrafen Ludwig III. (1410—1436) getreten zu sein, denn am 25. März 1421 stellte dieser an seinen Leibarzt, den Magister Heinrich Crowel von Münsingen das Ansuchen, auf Kosten des Fürsten seine Studien in Padua fortzusetzen und dort zu graduieren, wofür ihm das Doppelte seiner zukünftigen Besoldung, nämlich 40 Gulden versprochen wurden 3 ) In dieser Urkunde tritt ebenso wie in den beiden ersten Heidelberger Matrikeleintragungen statt des später bezeugten Namen Münsinger der Familienname Crowel von Münsingen auf. In der für Heinrich ausgestellten Urkunde vom Jahre 1421 heißt es, er habe sich verbindlich gemacht und gelobt, „mit beiden Künsten der Erczenie, phisice vnd cyrorogie . . . zu dienen" 4 ). In der Matrikel der Universität Padua erscheint Münsinger zweimal 6 ) unter dem Namen Henricus de Alemania. Erstmalig ist des Magisters im Jahre 1423 gedacht. Am 27. April 1425 erwarb er den medizinischen Doktorgrad. Aus Italien zurückgekehrt, nahm Ludwig III. ihn am 30. August 1428 zu seinem und seiner Nachfolger Leibarzt an 6 ) und gewährte ihm zum standesgemäßen

') Gustav Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, 1. Teil, Heidelberg 1884, 121 (Henricus Kraüwel de Münsingen der. Constane, dioc.; bac. art. Juli 1415: Crowel). *) Ebenda 2. Teil, Heidelberg 1886, 372 (Heynricus de Muynsinghen). ') Karlsruhe, Generallandesarchiv, 67/810 fol. 38 v/39 r; abgedruckt bei F. J. Mone, Armen- und Krankenpflege vom 13. bis 16. Jahrhundert, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 12, Karlsruhe 1861, 178/179. 4 ) s. a. K. Baas, Anfänge des Heilwesens in Alt-Heidelberg, Fortschritte der Medizin, 30. Jahrg. 1912, 1128. 5 ) Università degli studi di Padova, Archivio Antico, Voi. 307, fol. 30 r und 32 ν. ·) Karlsruhe, Generallandesarchiv, 67/810, fol. 308 r/308 ν; J. F. Hautz, Geschichte der Universität Heidelberg, I, Mannheim 1862, 258. Hautz sagt,

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Unterhalt 50 Gulden, 20 Malter Korn und ein Fuder Wein. Er verpflichtete sich außerdem, ihm einen Knecht und zwei Pferde zu halten und ihm jährlich eine Kleidung zu reichen. Am gleichen Tag 1 ) schenkte ihm sein Landesherr noch 100 Gulden zum Ankauf eines Wohnhauses und befreite dieses von allen, auch den städtischen Abgaben, so lange er als Arzt lebe. Im Jahre 1439 finden wir ihn in den Steuerlisten der Stadt Heidelberg erwähnt 2 ), nachdem er sich einen Besitz für 300 fl. gekauft hatte. Münsinger stand sicher zur medizinischen Fakultät der Universität in nahen Beziehungen, ohne selbst ein Lehramt inne gehabt zu haben. Drei seiner Söhne erscheinen — verhältnismäßig spät — in der Matrikel der Heidelberger Universität, nämlich Albert, Johannes und Heinrich 3 ), und zwar im Jahre 1458, im August 1468 und im Januar 1472. Johannes wurde „propter reuerenciam patris", also im Hinblick auf die Verdienste seines Vaters gebührenfrei immatrikuliert. Albert erwarb im Januar 1462, Heinrich im Januar 1475 den Grad eines Baccalaureus artium. Heinrich Münsinger scheint sich eines bedeutenden Rufes als Arzt erfreut zu haben. Ein ungewöhnliches Vorkommnis aus dem Jahre 1430, also wenige Jahre nachdem er seine Stelle als pfalzgräflicher Leibarzt angetreten hatte, ist uns durch die Heidelberger Universitätsakten erhalten 4 ). Wir dürfen August daß Heinrich Münsinger noch 1452 als Professor der Medizin in den Akten der Heidelberger Universität vorkomme. Diese Feststellung sei hier lediglich vermerkt, da sich anderweitig keine Hinweise auf eine Lehrtätigkeit fanden. !) Karlsruhe, Generallandesarchiv, 67/810 fol. 308v/309r; August Thorbecke, Die älteste Zeit der Universität Heidelberg 1386—1449, Heidelberg 1886, 83*. 2 ) Karl Christ, Das Steuerwesen von Kurpfalz im Mittelalter, Neues Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg und der rheinischen Pfalz, III, Heidelberg 1898,200ff„ bes. 260 (Nr. 743); vgl. a. K. Baas, a. a. O., 1912,1128. 3) Gustav Toepke, a. a. O., 1. Teil, Heidelberg 1884, 294, 324, 335. *) Schönmetzel, Continuado tentam. hist, facultat. med., Heidelberg 1771 ; Eduard Winkelmann, Urkundenbuch der Universität Heidelberg, I, Heidelberg 1886, Nr. 91, 124—128.

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Thorbecke's 1 ) anschaulicher Inhaltsangabe über dieses umfängliche lateinische Schriftstück, in dem der Übersetzer unseres Traktats bald als Heinricus de Münsingen, bald als Heinricus Munsinger bezeichnet wird, folgen : „Ein gewisser Stephan Minner von Rotweil, der seinen Namen im Sommer 1429 in die Matrikel hatte eintragen lassen, war im Herbst des nächsten Jahres bei einer Schlägerei in Ladenburg nebst einem Genossen tödlich verwundet worden. Der aus Heidelberg herbeigerufene Arzt Heinrich von Münsingen . . . hatte sofort an einer der fünf Kopfwunden Stephans einen Schädelbruch mit Verletzung des Gehirns konstatiert; er hatte die Gefahr nicht verschwiegen und sogar geraten, dem Verwundeten die Sterbesakramente zu reichen. Nachdem er einen ersten Verband angelegt, völlige Ruhe und strenge Diät anbefohlen hatte, war der Student in das Spital, wohl nach Heidelberg, verbracht worden. Dort aber hatte sich derselbe bald nicht mehr in die Anordnungen des Arztes gefügt, hatte sein Lager und zeitweise das Krankenhaus (einmal sogar in der Nacht) verlassen, hatte sich zu allerlei Exzessen mit seinen Zechgenossen, in gewohnter Weise lärmend und singend, in den Straßen, Trinkstuben und verdächtigen Häusern herumgetrieben und war, nachdem eine rasch eintretende Verschlimmerung ihn selbst die Torheit seiner Führung hatte erkennen lassen, bald nachher seinen Wunden erlegen. Der Fall erregte Aufsehen, und zwar nicht nur innerhalb der Korporation. Vielleicht wurden die adligen Herren, welche bei jener bedenklichen Schlägerei eine Hauptrolle gespielt hatten, verantwortlich gemacht und suchten die Schuld des schlimmen Ausgangs auf die ungeschickte Behandlung des Arztes abzuwälzen, jedenfalls wurde der Vorgang in diesem Sinne dem Kurfürsten Ludwig III. hinterbracht und von ihm zur Entlastung seines Leibarztes eine genaue Untersuchung durch die Universität angeordnet. . . Diese Verteidigung war am 15. Oktober 1430 der ») August Thorbecke, a. a. O., Heidelberg 1886, 80*—84*.

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Versammlung der Doktoren und Magister vorgelegt worden; sie beauftragten, nachdem sie den Inhalt der Schrift kennengelernt hatten, eine Fachkommission . . . unter dem Vorsitz des Rektors . . a m nächsten Tage die elf Zeugen zu vernehmen, welche Münsingen zu seiner Entlastung angegeben hatte. Das Verhör, dessen Ergebnis vorliegt, bestätigte in allem die Behauptungen des Arztes. Die Universität nahm in einer zweiten Versammlung auch davon Kenntnis, erklärte Münsingen für durchaus gerechtfertigt und ließ dem Kurfürsten durch den Rektor und Johann Plate, ein angesehenes Mitglied der theologischen Fakultät, Bericht über das Resultat der Untersuchung erstatten. Ludwig III. war hocherfreut, daß sein Arzt sich so glänzend hatte rechtfertigen können." Wir haben keinen Beweis, daß Heinrich Münsinger eine Sammlung seiner ärztlichen Erfahrungen verfaßte, jedenfalls ist uns eine solche nicht erhalten, aber er muß zumindest eine Anzahl von Rezepten aufgezeichnet haben, die in anderen medizinischen Handoder Lehrbüchern unter Nennung seines Namens vorkommen. So hat Hans Suff1) uns in seinem aus dem Ende des 15. Jahrhunderts stammenden chirurgischen Manual2) ein Wundöl, eine Terpentinsalbe, eine Kühlung und ein Pulver für Krebs und Fistel überliefert, die alle auf den alten doctor Hainrichen Münsinger von Haidelberg zurückgehen. Auch enthält eine medizinische Handschrift der ehem. Preußischen Staatsbibliothek3) deutschsprachige Behandlungsvorschriften, die an den Namen Heinrich Münsingers anknüpfen. Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Herausgeg. von Karl Sudhoff, Beiträge zur Geschichte der Chirurgie im Mittelalter, 2. Teil, Leipzig 1918, 592ff., bes. 595/596. 2 ) Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart, Cod. med. et phys. fol. 8; abgedruckt bei E. Stübler, Geschichte der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, 1926, 27—31. ») Cod. germ. 4° Nr. 15, fol. 129 ν und 131 ν (ζ. Zt. als Depot in der UB. Tübingen).

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Dieser diente aber nicht nur Ludwig III. sondern auch dessen Nachfolger, dem Kurfürsten und Pfalzgrafen Friedrich I. (1449 bis 1476) als Leibarzt1), für den er ein Regimen sanitatis 2 ) schrieb. In jeder Zeile dieser kleinen, unmittelbar an den Pfalzgrafen gerichteten Diätetik ist die Autorität des erfahrenen Leibarztes zu spüren. Münsinger versicherte unter Berufung auf die bedeutendsten Ärzte seiner Zeit, sein in deutscher Sprache geschriebenes Regimen um des Verständnisses und der Beachtung willen aufs kürzeste abgefaßt zu haben. Pfalzgraf Friedrich litt unter einem „grossen fluss vom hopt in die brüst", der zu Atemnot und einem mit eitrigem Auswurf verbundenen Husten geführt hatte. Um ihm Linderung zu verschaffen und einer Verschlimmerung des Leidens vorzubeugen, wurden von Münsinger Verhaltungsmaßregeln an feuchtnebligen oder windigen Tagen gegeben, zuträgliche und schädliche Speisen und Getränke aufgezählt, das Ausmaß von Bewegung und Ruhe bestimmt, verdauungsfördernde Mittel genannt und Fuß- und Armbäder anempfohlen. Auch Aufregungen, Sorgen und Zornesausbrüche bezeichnete Münsinger als schädlich für den Patienten. Alle Vorschriften zusammen wirken überraschend zeitnahe und lassen erkennen, daß Münsinger *) Vermutlich stand Heinrich Münsinger auch im Dienst Ludwigs IV. (1437—1449), des älteren Sohnes Ludwigs III. und Bruders Friedrichs I., des Siegreichen, doch ist eine Tätigkeit für ihn nicht nachweisbar. s) Bayerische Staatsbibliothek, München, Regimen sanitatis editum pro Friderico palatino Rheni in fluxu catarrali ad pectus, Clm 224 fol. 212r—217 r (nach alter Zählung 260 r—265 r); in einer kritischen Textausgabe mit aufschlußreichem Kommentar veröffentlicht von Gerhard Eis, Medizinische Monatsschrift, 1960, 603—608; der von Eis ausgesprochene Vorbehalt, es bedürfe noch der Prüfung, ob vielleicht das Regimen sanitatis nicht von unserem Heinrich Münsinger sondern von dessen gleichnamigen Sohn stamme, ist mit dem Hinweis zu entkräften, daß Heinrich d. J. erst 1472 immatrikuliert wurde und 1475 das Baccalaurat erwarb, der Kurfürst aber schon 1476 starb und der Verfasser des Regimens sich ausdrücklich als doctor Minsinger bezeichnet. Heinrich d. J. kann beim Tod des Kurfürsten noch nicht als Leibarzt praktiziert haben, auch ist für ihn der Erwerb des Doktorgrades nicht belegt.

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trotz seiner großen Gelehrsamkeit in erster Linie ein praktischer Arzt war, der gestützt auf langjährige Erfahrungen Kranke wirklich gesund zu machen verstand. Münsinger beherrschte durch seine medizinischen Studien die deutsche und die lateinische Sprache mit gleicher Sicherheit und war deshalb besonders geeignet, einen stark in die Veterinärmedizin hinübergreifenden jagdlichen Text wie unseren vorzugsweise auf Albertus Magnus gestützten Traktat zuverlässig zu übersetzen. In Michel Beheims 1469 verfaßter Reimchronik1), in der das Leben Friedrichs I. von der Pfalz geschildert wird, finden wir Heinrich Münsinger zweimal lobend erwähnt. Zunächst (Strophe 238) wird er uns als erfolgreicher Leibarzt des Pfalzgrafen vorgestellt : Yedoch hett dyser fürst Fridrich ein arzt löblich vnd kunstenreich, hiess meister Heinrich Münsinger, allezeit by im in dem her, der in in kurtzer wyle wenig tagen macht heyle. An anderer Stelle (Strophe 744/745) hören wir, wie zwei deutsche Reichsfürsten unter seiner Pflege von ihren Wunden wieder genasen: die zwen fursten warn in den tod als Metz vnd der von Baden mit wunden vberladen Mit in vnsuber ward geschartzt, darumb furt man sie zu dem artzt doctor Heinrich Münsingen huss do man sie nit liess komen vss. gute pfleg ward in künde biss sie wurden gesunde. ') Herausg. von C. Hofmann, Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte, III, München 1863, 43 u. 130.

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Münsingers Todesjahr steht nicht genau fest; er starb wohl zwischen 1472 und 14761) im Alter von ungefähr 80 Jahren. Der Kaplan Matthias von Kemnat 2 ) überlieferte in seiner Prosachronik ein Lobgedicht in lateinischer Sprache auf den vast bewerten fromen artzt, das nach dessen Tod verfaßt wurde. Nicht allein diese Grabschrift in Distichen verrät die ihm entgegengebrachte Wertschätzung. Daß Heinrich Münsinger auch ein wegen seiner Geistigkeit hochgeachteter Mann war, wird durch den Humanisten Petrus Antonius Finariensis 3 ) deutlich gemacht, der ihn als einen der beiden Redner in seinem dem Pfalzgrafen Friedrich gewidmeten, nach antiken Vorbildern gestaltetem Dialog De dignitate principum auftreten läßt. Da unser Traktat „Dem wolgebornen herren ludwig, Grauen zû wirtenberg" (A 86 r 3 ) zugeeignet ist, erhebt sich die Frage, wie Heinrich Münsinger, der zeit seines Lebens in pfalzgräfischen Diensten stand, den Auftrag zur Durchführung dieser Arbeit erhalten haben konnte. Denn daß es sich um die Erfüllung eines fürstlichen Wunsches gehandelt hat, ist deutlich in der Einleitung ausgesprochen (1 r 4 ) „Als úwer gnade . . ., zû den zitten, Als ich zum leisten zü weiblingen by . . . ùwer gnade gewesen bin, mir gebotten haut zu tutschen . . . Solichs als die philosopha . . . in latin geschriben hät." Wie Münsinger nach Waiblingen kam und warum er einem württembergischen Grafen gefällig war, ist nicht *) „H. M. war 1472 noch am Leben", Sudhoff in Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, III, Berlin 1943, 453; „Gestorben ist er vor 1476", Steinmeyer in ADB, 23, Leipzig 1886, 146. a) Quellen zur Geschichte Friedrichs des Siegreichen, I, Matthias von Kemnat und Eckhart Artzt, herausgeg. von C. Hofmann, Quellen zur bayerischen und deutschen Geschichte. II, München 1862, 80; auch abgedruckt bei K. Baas, Anfänge des Heilwesens in Alt-Heidelberg, Fortschritte der Medizin, 30. Jahrg. 1912. 1128, ') M. Freher, Rerum Germanicarum Scriptores, ed Struve, II, Argentorati 1717, 372—382; W. Wattenbach, Peter Luder, Ztschr. f. die Geschichte des Oberrheins 22, Karlsruhe 1869, 72. 74

schwer zu ermitteln. Die Anregung ging von Graf Ludwig I. (dem Älteren) von Württemberg aus, der schon im jugendlichen Alter seinen Vater, den Grafen Eberhard IV. verloren hatte. Als dieser im Jahre 1419 nach nur zweijähriger Regierung verstorben war, wurde für den 1412 geborenen Ludwig I. und dessen jüngeren Bruder Ulrich V. eine vormundschaftliche Regierung eingesetzt. Pfalzgraf Ludwig III. bei Rhein war mit dem württembergischen Grafenhaus seit langem befreundet. Er wurde bei der Regelung von Meinungsverschiedenheiten, die mit der Einsetzung der Vormundschaft entstanden waren, zu Rate gezogen 1 ). Die Verbindung zwischen beiden Häusern wurde noch sehr viel enger, als am 25. November 1419 in Stuttgart die älteste Tochter des Kurfürsten und Pfalzgrafen Ludwig III., Mechthild, mit dem minderjährigen Grafen Ludwig I. von Württemberg verlobt wurde 2 ). Ludwig I. trat im Alter von 14 Jahren 1426 formell die Regierung an 3 ) und vermählte sich mit der kurpfälzischen Prinzessin Mechthild am 17. Oktober 1434 in Stuttgart 4 ). Heinrich Münsingers Dienstherr, Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz, war somit der Schwiegervater jenes Grafen Ludwig I. von Württemberg, dem unsere Arbeit gewidmet ist. Mechthild schenkte am 3. April 1439 zu Waiblingen ihrem Gatten einen Sohn, der auf den Namen seines Vaters getauft wurde 5 ). Es ist naheliegend, zu vermuten, daß Heinrich Münsinger entweder gelegentlich eines Besuches des Kurfürsten bei seiner Tochter mit nach Waiblingen kam oder als bewährter Ratgeber des kurfürstlichen Hauses zur Entbindung der Prinzessin dorthin geschickt wurde. Unser Text ') Christian Friedrich Sattlers Geschichte des Herzogthums Wiirtenberg unter der Regierung der Graven, Zweyter Theil, Zwote Auflage, Tübingen 1775, 70. 2 ) ebenda 71. s ) ebenda 88. 4 ) Chr. Fr. von Staelin, Wirtembergische Geschichte, 3. Teil, 1856, 442. 6 ) Christian Friedrich Sattler, a. a. O., Tübingen 1775, 126.

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deutet im übrigen darauf hin, daß Münsinger mehrfach in Waiblingen, dem Lieblingsaufenthalt Ludwigs I. bis zur Landesteilung, weilte, denn er erhielt seinen Auftrag, als er „zum leisten" dort war. Seine mögliche Besuchszeit fällt in die Jahre 1434 bis 1442. Ein Zusammentreffen Münsingers mit dem jugendlichen württembergischen Grafen vor dessen Vermählung mit Mechthild ist wenig wahrscheinlich, andererseits kann die Bitte, die lateinischen Texte ins Deutsche zu übertragen, auch nicht nach 1442 ausgesprochen worden sein, da Ludwig I. von Württemberg bei der Teilung der Herrschaft mit seinem Bruder Ulrich V. im Jahre 1442 Waiblingen verlor und fortan nicht mehr dort residierte. Wir dürfen deshalb die Abfassung unseres Traktats in die Zeit zwischen 1434 und 1442 verlegen. Vermutlich entstand die Arbeit um 1440. Dieser Datierungsversuch wird nicht beeinträchtigt durch die abweichende Zueignungsformel in der Lobriser Handschrift (C). Während die als A, D und E bezeichneten Texte übereinstimmend am Schluß (A 86 r 3 ) die Worte Dem wolgebornen herren ludwig, Grauen zu wirtenberg haben, heißt es in C (116r) Dem wolgebornen heren vnd Graven Ulrichen zu wirtenberg. Es sind zway vnd sind doch nit zway. Vnd werend dieselben zway zway, So wer nichß etwaß. In der Tatsache, daß der Lobriser Text dem Grafen Ulrich V., dem jüngeren Bruder des Grafen Ludwig I. zu Württemberg dediziert ist, haben wir nur einen Hinweis auf die Entstehungszeit dieser Handschrift zu sehen. Der Schreiber empfand den Widerspruch zwischen der in der Einleitung als Ort der Auftragserteilung genannten Stadt Waiblingen und der namentlichen Erwähnung des Grafen Ludwig am Schluß, nachdem Amt und Stadt Waiblingen durch die 1442 erfolgte Landesteilung an Ulrich gekommen waren und bis zur Wiedervereinigung im Münsinger Vertrag vom Jahre 1482 zu dessen Anteil gehörten. Er tauschte deshalb die Namen der Brüder aus, widmete des Buch dem 1433 zur Mitregierung gelangten, aber seit 1442 in Waiblingen allein gebietenden Ulrich, konnte aber einen Hinweis auf die offenbar schmerzlich empfundene Tei76

lung nicht unterdrücken, die zwei Brüder seien eigentlich nicht zwei verschiedene Herren. Wären sie es doch, so stünde es schlecht. Um das über die Herkunft Heinrich Münsingers Gesagte zu bestätigen, bedarf es noch einiger ergänzender Worte über die Rückkehr des Adelstitels von Frundeck in seine Familie. Erst damit schließt sich der Ring Kröwel von Frundeck — Kröwel von Münsingen — Münsinger — Münsinger von Frundeck. Von Heinrich Münsingers Söhnen wissen wir nur über den zweiten, Albert 1 ), etwas Näheres. Er hatte es wohl verwandtschaftlichen Beziehungen zu danken, daß er 1474 von Graf Eberhard von Württemberg zum Arzt mit zwei Pferden angenommen wurde. Er erhielt den Auftrag, in Urach eine Apotheke zu errichten. Dem Apotheker wurde freies Holz und der Tisch bei Hof zugesagt. 1479 erscheint er noch als gräfl. württembergischer Leibarzt, 1494 wirkte er als Arzt in Ulm. Dagegen war der 1423 geborene Dr. Johannes Münsinger kein Sohn, wie gelegentlich behauptet wurde 2 ), sondern sicherlich ein Vetter Heinrich Münsingers, Sohn eines der jüngeren Brüder seines Vaters. Dieser wirkte als Stadtphysikus in Ulm und hatte das Amt eines Leibarztes und Rats bei Graf Eberhard im Bart inne. Er studierte in Wien, wurde dort 1454 magister regens, promovierte 1463 zum Dr. med. und begleitete seinen Herrn vom 10. Mai 1468 bis zum 10. März 1469 auf einer Reise nach Jerusalem. Nach seiner Rückkehr betrieb er eine Apotheke zunächst in Ulm, später in Tübingen. Er war 1502 als Greis von 79 Jahren noch am ») Walther Pfeilsticker, a.a.O., §335; Th. Schön, a . a . O . , Stuttgart 1901, 4. 2) z.B. von K. D. Hassler, Heinrich Mynsinger, Von den Falken, Pferden und Hunden, Stuttgart 1863, 97; Beschreibung des Oberamts Ulm, herausg. vom K. Statistischen Landesamt, II, Stuttgart 1897, 296/297; s. a. Th.Frey, Ueber die Handschrift Heinrich Mynsingers „Von den Falcken, Habichten, Sperbern, Pferden und Hunden" (15. Jahrhundert) 1939, 5/6.

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Leben 1 ). Unter den Söhnen des Ulmer Stadtphysikus war der bedeutendste jener Josef Münsinger, der 1503 in Tübingen studierte, dann rasch die Verwaltungslaufbahn vom Kanzleischreiber bis zum Vizekanzler durchlief und von 1531—1534 während der Verbannung des Herzogs Eberhard als Kanzler Kaiser Karls V. in Württemberg amtierte. Er wurde 1538 nach dem alten Stammsitz der Familie als Münsinger von Frundeck vom Kaiser geadelt, nachdem er von ihm als Dank für seine Dienste schon 1537 das Bochinger Haus zu Ehingen a. N. angewiesen erhalten hatte. Hier starb er am 20. September 1560 hochbetagt 2 ). Die Erinnerung an die Herkunft der Familie wurde damit wach gehalten. Das alte Wappen aber wurde nicht bestätigt, sondern durch ein neues ersetzt. Das Wappen der Münsinger von Frundeck zeigt einen rot und gold gespaltenen Schild mit einem querliegenden Ast von gewechselter Farbe, auf dem zwei gegeneinander gewandte Habichte sitzen. Auf dem gekrönten Helm erscheint zwischen einem goldenen und einem roten BüfFelhorn mit je drei Pfauenfedern im Mundloch der gleiche Habicht nach rechts gerichtet 3 ). Unter den zehn Kindern Josef Münsingers, vornehmlich Söhnen, die als Offiziere, Beamte und Geistliche wirkten, ragte Joachim Münsinger (geb. 15. 8. 1517) hervor. Er studierte in Padua und Paris Rechtswissenschaft, wurde schon 1535 Professor für Römisches Recht in Freiburg, kam, nachdem er mehrere Jahre das Amt des Rektors der Freiburger Universität bekleidet hatte, !) Albrecht Weyermann, a. a. O., Ulm 1798, 415; Walther Pfeilsticker, a. a. O., § 335; J. Kindler von Knobloch, a. a. O., 164; J. Graf von Oeynhausen, Die Mynsinger von Frundeck, Deutscher Herold, 8. Jahrg., Berlin 1877, 105; Irmgard Kothe, Der füistliche Rat in Württemberg im 15. und 16. Jahrhundert, Diss. Göttingen, Stuttgart 1938, 138/139. 2) J. Kindler von Knobloch, a. a. O., Heidelberg 1919, 164; J. Graf von Oeynhausen, a. a. O., 105; Irmgard Kothe, a. a. O., Stuttgart 1938, 135. 3) Abgebildet bei J. Kindler von Knobloch, a. a. O., III, Heidelberg 1919, 164.

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1548 als Reichskammergerichts-Assessor nach Speyer und 1556 als braunschweigischer Kanzler nach Wolfenbüttel. 1568 wurde er Erbkämmerer des Herzogtums Braunschweig. 1570 erhielt er von Kaiser Maximilian II. das kleine Palatinat für seine Person und die erledigten Reichslehen der Edlen von Burgdorf. Er starb am 3. 5.1588 zu Alsleben an der Bode 1 ). Sowohl sein Sohn Heinrich Albrecht (156-4—1613) als auch sein Enkel Joachim, mit dem im Jahre 1638 diese Münsinger-Linie ausstarb, waren braunschweigische Erbkämmerer. VII Das Werk Heinrich Münsingers ist uns ganz oder bruchstückweise in folgenden Handschriften erhalten: A Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 247 fol. Ir—86r, Papier, um 1460 Β Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 281, fol. Ir—llOv, Papier, um 1480 C Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Cam. 4° 52, fol. Ir—116r, Papier, siebentes oder achtes Jahrzehnt des. 15. Jahrh. D Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. Η. Β. XI, 51, S. 1—155, Papier, ao. 1473 E Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Ms. 448, fol. 1—117, Papier, ao. 1466 F Halle, Marienbibliothek, Ms. 73, fol. 1 r—70 r, Papier, ao. 1473 G Halle, Marienbibliothek, Ms. 74, fol. 1 r—44 r, Papier, 2. Hälfte des 16. Jahrh. H Wien, OesterreichischeNationalbibliothek, Cod. Vindob. 5213, fol. Ir—84ν, Papier, um 1500 J Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 406, fol. 2r—44r, Papier, 15. Jahrh. ADB 23, Leipzig 1886, 22ff.; J. Kindler von Knobloch, a. a. O., Heidelberg 1919, 164; J. Graf von Oeynhausen, a. a. O., 106.

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Κ Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 408, fol. lv—46 ν, Papier, 15. Jahrh. L (ehemals) Görlitz, Bibliothek der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, A III. I. 23, fol. Ir—40r, Papier, 1473 Den weitaus besten, alle anderen Handschriften überragenden Text der Münsingerschen Übersetzung bietet der als A bezeichnete Cod. Pal. germ. 2471) der Universitätsbibliothek in Heidelberg. Er wurde unserer Ausgabe zugrunde gelegt und kam allein für eine kritische Edition in Betracht. Es handelt sich um ein 86 beschriebene Blätter enthaltenes Papiermanuskript, das dem Schriftbild zufolge um 1460 entstanden sein dürfte. Es enthält nur das Werk Münsingers, von einheitlicher klarer Hand geschrieben und mit roten Uberschriften versehen. Die Initialen blieben unausgefüllt. Über einige wesentliche Merkmale dieser Handschrift wird im nachfolgenden Kapitel noch zu sprechen sein. Daß es sich bei ihr nur um eine, wenn auch dem Original sehr nahestehende Abschrift handelt, ergibt sich nicht zuletzt aus dem Hinweis (1 ν14"15) by jglichem Capitel vindt man verzeichent die zale des blates, an dem es sich an facht, dem im vorliegenden Text nicht entsprochen ist. Bei ihm fehlen die angekündigten Seitenangaben, die aus der Vorlage nicht ohne weiteres übernommen werden konnten, nach Abschluß der Arbeit aber nicht nachgetragen wurden. Im Gegensatz hierzu bringt Β den unzulänglichsten Text im Rahmen der vollständigen, die Übersetzung ungekürzt überliefernden Handschriften. Sie gehört als Cod. Pal. germ. 2812) ebenfalls in die Universitätsbibliothek Heidelberg und bildet den Bestandteil einer Sammelhandschrift, die neben weiteren Roßarzneibüchern einen Albrant-Text enthält. Sie entstand verhältnismäßig spät, ist nicht datiert und wohl kaum vor 1480 anzusetzen. Es ') Karl Bartsch, Die altdeutschen Handschriften der Universitätsbibliothek in Heidelberg, Heidelberg 1887, 52, Nr. 125. 2 ) ebenda, 55/56, Nr. 141.

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handelt sich um eine leider recht flüchtige Abschrift, die — dem Original nur über zahlreiche Zwischenglieder verwandt — die üblichen Abweichungen einer über Jahrzehnte gehenden Schreibertradition aufweist, darüber hinaus aber unter häufigen Auslassungen leidet, die auf mangelnde Sorgsamkeit des Abschreibers zurückzuführen sind. So wurde häufig, wenn ein Wort rasch hintereinander wiederkehrte, der dazwischenliegende Text ungeachtet der sinnentstellenden Wirkung ausgelassen, indem durch Lesefehler beim erstmaligen Erscheinen des Wortes aufgehört und bei seiner Wiederholung fortgefahren wurde. Mitunter ist sogar ein ganzes Kapitel ausgelassen. So übernahm der Abschreiber z.B. die Überschrift des Abschnittes Für die kretzen des Falcken (A 24 ν 13 ), fuhr aber zusammenhanglos mit dem Inhalt des nachfolgenden Abschnittes (A 25r f l f f ) fort. Die Lösung von der strengen herkömmlichen Tradition wird am ehesten deutlich durch das Einschieben eines zusätzlichen Kapitels1), das die Lehre von den Zeichen des Hirsches und die Lehre vom Arbeiten der Leithunde enthält, zwei Bestandteile, die zwar wie Münsingers Übersetzung hohes jagdliches Interesse beanspruchen durften, jedoch in keinem Zusammenhang mit unserem Text stehen. Sie wurden bereits an anderer Stelle besprochen und zum Teil im Wortlaut veröffentlicht a ). Kennzeichnend für Β ist ferner die interne Umgruppierung. Während Münsinger zuerst von den Beizvögeln, anschließend von den Pferden und zum Schluß von den Hunden sprach, schließt sich in Β an den Falken- und Habichtsteil sogleich der Abschnitt über die Hunde an, während der Pferdeteil nach der zwischengeschalteten Zeichenlehre an den Schluß gestellt ist. Damit wird zugleich die Tendenz zur Verselbständigung des Roßarzneibuches angedeutet, die in den Handschriften J. K, und L deutlich wird. Auch

Cod. Pal. germ. 281, fol. 67 r—76v. Kurt Lindner, Deutsche Jagdtraktate des 15. und 16. Jahrhunderts, II, Berlin 1959, 15ff„ 40—51, 94ff. 2)

6 Von Falken, Hunden und Pferden I

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ist dem Pferdeteil ein aus den Kapitelüberschriften aufgebautes Register 1 ) beigegeben, das ursprünglich keinen Bestandteil des Münsingerschen Werkes bildete. Der Hinweis auf die Urheberschaft Münsingers und die Zueignung an den Grafen Ludwig zu Württemberg 2 ) dagegen sind unterschlagen. Daß es sich bei Β nur um eine Abschrift einer — durch Einschieben der Zeichenlehre gekennzeichneten — älteren Kompilation handelt, die uns offenbar verloren ging und in unserem Handschriftenstammbaum als x e gekennzeichnet ist, wird durch den dem Register (109 v) beigegebenen Hinweis deutlich, es sei jedes stuckh zusuchen bey seiner Zall, obgleich die angekündigten Verweise fehlen, die aus der Vorlage nicht übernommen wurden, weil sie für die Abschrift nicht paßten. Heidelberg — Wohnsitz des Übersetzers — und Stuttgart — Heimat des Auftraggebers — waren von je die natürlichen Pflegestätten der Münsingertradition. Deshalb ist es nicht verwunderlich, zwei weitere vollständige Texte im Besitz der Württembergischen Landesbibliothek zu finden. Einer der beiden, die als C bezeichnete sog. Lobriser Handschrift (Cod. Cam. 4° 52) ist eine Neuerwerbung des Jahres 1934. Sie gehörte ursprünglich in die reichsgräflich Nostitzsche Bibliothek zu Lobris bei Jauer. Heinrich Meisner 3 ) machte zuerst auf sie aufmerksam. Als sie im Antiquariatsbuchhandel auftauchte, wurde sie von der Württembergischen Landesbibliothek gekauft. Th. Frey 4 ) veröffentlichte hierüber eine kleine Schrift, die als Dankesgabe den Spendern der zum Erwerb notwendigen Mittel zugedacht war. Cod. Pal. germ. 281, fol. 109v—llOv. A, Cod. Pal. germ. 247, fol. 86 r2"4. ') Heinrich Meisner, Die Lobriser Handschrift von Heinrich Münsinger, Ztschr. f. dtsch. Philologie 11, Halle 1880, 480—482. *) Th. Frey, Über die Handschrift Heinrich Mynsingers „Von den Falcken, Habichten, Sperbern, Pferden und Hunden" (15. Jahrhundert), Württemberg, 3. Jahrg., Stuttgart 1937, 63 ff. a)

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Bei C handelt es sich um eine weder signierte noch datierte Papierhandschrift, die ein großes wappengeschmücktes Exlibris mit den Buchstaben C. W.G.(raf) V.(on) N.(ostitz) trägt. Seltsamerweise erkannte keiner der bisherigen Bearbeiter, daß die Handschrift durch Vertauschen zweier Lagen von jeher falsch gebunden ist 1 ). Die Holzdeckel des aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts stammenden Einbandes sind von braunem, mit Blindpressungen versehenem Glanzleder überzogen und mit einer im Laufe der Zeit defekt gewordenen Messingschließe versehen. Der ganze Band besteht aus 116 Quartblättern und enthält nur den Text des Münsingerschen Werkes. Initialen und Uberschriften sind rot ausgeführt, einzelne Buchstaben rot durchstrichen. Es handelt sich um eine nicht sonderlich sorgfältige, mitunter sogar gedankenlose Abschrift mit Flüchtigkeitsfehlern, zwar nicht so verderbt wie B, aber D und vor allem A keineswegs ebenbürtig. Der unbekannte Abschreiber scheute sich nicht vor kleineren Streichungen und Umstellungen und neigte, wie schon das wechselnde Schriftbild andeutet, zu einer gewissen Flüchtigkeit. Dagegen scheint er über eine gesunde Dosis Humor verfügt zuhaben, denn am Schluß eines jeden Teiles ließ er einen Stoßseufzer einfließen, der seine Freude erkennen läßt, schrittweise die übernommene Arbeit bewältigt zu haben. Am Ende des zweiten, von den Habichten und Sperbern handelnden Teiles (C. fol. 71 r = A. fol. 52 r14) ließ er die Worte Hab danck, am Schluß des dritten, den Pferden gewidmeten Teiles (C. fol. 95 r = Α. 79 ν10) die Bemerkung Got vnß sin hajligen frid send. Laus deo ! lach. lieb. lach, einfließen. Daß die Lobriser Handschrift nicht Ludwig I., sondern Ulrich V. zu Württemberg gewidmet ist, wurde schon besprochen 2 ). Die durch den Austausch der Namen der beiden Brüder vorgenommene Veränderung gibt einen Hinweis, daß die Ab') Die richtige Reihenfolge der Blätter lautet: lr—83v, 96r—107v, 84 r—95 ν, 108r—116r. 2 ) s. oben S. 76.



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Schrift zwischen 1442 und 1480, dem Todesjahr Ulrichs V., entstanden sein muß. Sie ist wohl eher in die sechziger als in die durch eine Vielzahl verderbter Handschriften gekennzeichneten siebziger Jahre des 15. Jahrhunderts zu verlegen. An den Schluß des Werkes setzte der Abschreiber einen unmißverständüchen Stoßseufzer : Ach got hett ich vonjr ain salue. Die Handschrift scheint irgendwann einmal ein Geschenk gewesen zu sein. Uber dem Nostitzschen Wappen finden sich die Worte meinem hertz lieben vater von seinem lieben kind. Den zweitbesten der erhaltenen Münsinger-Texte enthält die als D bezeichnete Handschrift Cod. Η. Β. XI, 51 der Württembergischen Landesbibliothek. Ihn legte Hassler1) seiner Veröffentlichung zugrunde. Es darf als ein glücklicher Zufall angesehen werden, daß dem Herausgeber nicht eine der weitaus verderbteren Handschriften in die Hände gefallen war, da die Forschung seit einem Jahrhundert allein auf diese Edition angewiesen ist. Hassler stand noch unter dem Eindruck, das Original sei verloren gegangen und eine weitere Abschrift existiere nicht 2 ). Die Handschrift wurde 1473 von Clara Hätzlerin 3 ) angefertigt, die in ihrer Vaterstadt Augsburg berufsmäßig als Abschreiberin tätig war und lange Zeit hindurch irrtümlich für eine Nonne gehalten wurde. Daß die Hätzlerin eine gewisse Neigung für die zeitgenössischen Jagdbücher besaß oder für Auftraggeber arbeitete, die an dieser Literaturgattung besonders interessiert waren, geht aus der Tatsache hervor, daß zwei der sieben auf sie zurückgehenden Handschriften jagdlichen Inhalts sind. Außer Münsingers Traktat überlieferte sie uns das Beizbüchlein in einer 1468 entstandenen Abschrift 4 ). D ist 1 ) Heinrich Mynsinger, Von den Falken, Pferden und Hunden, herausgeg. von K. D. Hassler, Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart LXXI, Stuttgart 1863. a ) ebenda, 97. 8) s. a. Eduard Gebele, Clara Hätzlerin, Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben 6, Augsburg 1958, 26—37. 4 ) Kurt Lindner, Die deutsche Habichtslehre, Berlin 1955, 41.

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eine 78 Blätter zählende Papierhandschrift im Folioformat, die in teilweise mit Leder überzogene Holzdeckel gebunden ist. Das verwendete Papier zeigt das Wasserzeichen des Ochsenkopfes und der Krone. Initialen und Überschriften sind durch rote Schrift betont. Die Handschrift befand sich längere Zeit im Besitz einer Ulmer Patrizierfamilie und kam über verschiedene Zwischenglieder in den Besitz des in Ulm als Konservator der vaterländischen Kunst- und Altertumsdenkmale wirkenden Prof. Dr. K. D. Hassler, der sie im Mai 1863 zusammen mit seiner Veröffentlichung dem König von Württemberg als Geschenk überreichte. Dieser überwies sie der Königl. Hofbibliothek; mit ihr gelangte sie 1919 in die Württembergische Landesbibliothek. Die Abschreiberin nannte am Schluß ihren Namen und datierte das Werk. Ein angehängtes, flüchtig geschriebenes Inhaltsverzeichnis und einige roßarzneiliche Kuriervorschriften stammen von anderer Hand aus viel späterer Zeit. E ist eine verhältnismäßig alte Handschrift. Sie gehört als Nr. 448 in die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt, stellt aber nur einen Auszug dar, da ihr der Pferdeteil fehlt. Dagegen enthält sie ein sehr umfangreiches Register, das anderweitig nicht in gleicher Vollständigkeit erscheint. Von Adolf Schmidt, der ihre Qualität überschätzte, wurde sie erstmalig beschrieben1). Die 120 Blätter zählende Papierhandschrift ist in mit weinrotem Leder überzogene Holzdeckel gebunden. Sie ist mit etwas schwerfälliger, wuchtig wirkender deutscher Schrift geschrieben. Für die Uberschriften und Blattzahlen fand rote Tinte Verwendung, auch sind einzelne Worte im Text rot durchstrichen oder unterstrichen. Die wenig kunstvoll wirkenden Initialen, die der Schreiber dem Rubrikator hinweisend in Form kleiner schwarAdolf Schmidt, Mitteilungen aus deutschen Handschriften der Großherzoglichen Hof bibliothek zu Darmstadt, II, Heinrich Munsingers buch von den falken, habichten, Sperbern und hunden, Zeitschr. f. Dtsch. Philologie 28, Halle 1896, 26—31.

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zer Buchstaben a m R a n d vermerkte, sind in R o t o d e r rotverziert e m Schwarz ausgeführt. N u r E besitzt ein d e m V o r w o r t unmittelbar nachgestelltes G e samtregister, das im wesentlichen eine Sammlung der Kapitelüberschriften darstellt und hier vollständig wiedergegeben wird, da es wegen seines U m f a n g e s den der Textedition beigegebenen Variantenapparat gesprengt haben würde. ΕΠι D a s e r s t e c a p p i t e l

saget:

Item wie die falcken vnd die hebiche vnd auch die sperbere nit eynes gestechtes sint. Item wie viele eygentschafft gemeynlichin an yne habent alle falcken, dadurch sie ein vnderscheidt habent von anderm federspiele. Item wie mancherley falcken man findet vnd waz eygentschafft ein jgliche zucht der edeln falcken hait vnd wo mit man den erkennen sal. // UT Item die falcken von der ersten eddeln zcucht, die da heißen sackerfalcken. Item die falcken von der andern eddeln zucht, die da heissen girofalcken. Item die falcken von der dritten eddeln zucht, die da heissen montaner, das ist bergfalcken. Item die falcken von der Vierden eddeln zucht, die da heißent bilgrinfalcken. Item die falcken von der fiinfften eddeln zcucht, die da heißent hofferfalcken. Item die falcken von der sehsten eddeln zcucht, die da heißent swarczfalcken. Item die falcken von der siebenden eddeln zucht sint die, die da heißent wyßfalcken. // Uli Item die falcken von der achten eddeln zcucht sint die, die da heißent roitfalcken. Item die falcken von der nunden eddeln zucht sint die, die da heißent blafuß. Ito» die falcken von der zcehenden eddeln zucht sint die, die da heißent smyrline. ItfOT das vierde capitel saget von den vneddeln falcken wie mancherley sie von züchten sint. 86

I t i » das funffte cappitel saget v o n den Zuchten der vermischten vnd mittein falcken, die da geczuchtet sint beyde v ß den eddeln vnd vneddeln falcken. Item wie man die falcken zcame machen sal vnd auch wie man yne zu der beiße bereiten sal.// ΙΠ τ Item wan der falcke yczu zu der beiße bereit, willig vnd gesunt ist, wie man yne gesunt behalten sal. Item von den suchten der falcken vnd von den arczenyen darwidder. Item wan dem falcken der koph wee thut. Item wann der falcke bose fuchtikeit jn dem kopff hait. Item wan der falcke phiffet. Item wan dem falcken der halss geswollen ist. Item wan dem falcken die gurgel vnd die kele jnwendig verswollen ist. Item wan der falcke an den flugein vnd jn den lenden erlamet ist. Item wan der falcke v o n bösen vergifftigen Außen sieche ist.// mir

Item wan der falcke zu reech worden ist. Item wan der falcke das fleisch vnd das aße widder wirffet. Item wan der falcke worme jn yme hait. Item wan der falcke siech ist jn den fussen v o n gesalczen Außen. Item wann dem falcken die beyne geswollen sint. Item vor die luse des falcken. Item v o r die febres des falcken vnd daz fieber. Item vor das kratzen des falcken. Item vor die schaben an den feddern des falcken. Item vor die wonden vnd serunge der falcken. Item vor die fisteln jn der nasen des falcken. //

i m τ It em wan der falcke ein clawen v o n einer zcehen verloren hait. Item wan der falcke vergifftiget ist. Ite*» wan ein vergifftiges tyer den falcken gestochen oder gebißen hait.

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Item wie man den falcken fur kunfftigen suchten brennen sal. I t em v o n den s u c h t e n d e r f a l c k e n v n d v o n den a r c z e n y e n , die d a r w i d d e r s i n t , als sie e t w a n k e y s e r f r i e d e r i c h s f e l c k e n e r b e w e r e t vnd beschrieben hait. Ite*» wer es, daz der falcke flecken jn den äugen hette. It em ob die lunge oder die gorgel des falcken verseret were. Item wann die worme den falcken bijßen. Item vor drurin vnd maßleiden des falcken. Item vor alle die suchte, die dem falcken jn die lenden koment. // Item wann die schaben die federn nagent. Item hette der falcke an sinen beynen etwaz vbergewechses. Item weren dem falcken die beyne geswollen. Item wachs dem falcken vnreyn fleisch an sinem lijbe. H i r n a c h f o l g e t R e g i s t e r v o n den h a b i c h e n v n d v o n den S p e r b e r n v n d i s t g e t e y l t j n s e c h ß c a p p i t e l v n d w o v o n die s a g e t f i n d e t m a n hirnach ordinglich geschrieben. Itffw D a s e r s t e c a p p i t e l s a g e t v o n d e r e y g e n t s c h a f f t des h a b i c h s v n d des s p e r b e r s . Item von dem Sperber. Das ander cappitel. I t e m w i e m a n den h a b i c h v n d den // s p e r b e r z c a m e m a c h e n v n d zu d e r b e y ß e b e r e y t e n sal. D a s d r i t t e c a p i t e l s a g e t v o n den s u c h t e n d e r h a b i c h v n d d e r s p e r b e r v n d w i e m a n die m i t a r c z e d i e w e n d e n s a l , als sie m e i s t e r W i l h e l m k o n i g R o d i g e r s f e l c k e n e r etwan b e w e r e t vnd b e s c h r i e b e n hait. Item vor die strenge des adems jn dem habiche. Item vor die schaben vnd worme des habichs. Item vor das werffen des habichs des vnabegedruckten asße. Item vor die gallen suchte des habichs von bösen fulen Außen.

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Item vor den steyne des habichs jn den nyeren. Item vor das gesuchte. Item vor das stechende wethum. Item vor den wethum jm dem kopff des habichs. // Vir I u m vor das geswere der äugen. It em vor den durste. Item vor das geuiege. Item vor den beynbruch. Item vor die luse an dem habich. Aber vor die luse. Item vor die fulen fluße vnd vor die schaben des habichs. Item vor den grint des habichs. It em wie man den habich feißt machen sal. Item vor zcaubernisse des habichs. D a s v i e r d e c a p p i t e l s a g e t v o n den s u c h t e n d e r h e b i c h u n d d e r S p e r b e r v n d v o n den a r c z e n y e n , die d a w i d d e r s i n t , a l s s i e k e y s e r friederichs f e l c k e n e r etwann beweret hait. Item vor die kelten der brüste des habichs. Item vor die strenge des adems des habichs. Item vor die hunger meler es habichs. // VI y Item vor die maißleyde. Item wan der habich nit smeyßen mag vnd jn jm hart wirt. Item wie vnd womit man den habich mußen solle. Item arczenye zu den zubrochen federn des habichs. Item wie man den habich mager vnd auch feiste machen sal. Item wann der habich von der sonnen geletzt ist. Item wan der habich von dem vngewijtter schaden entphangen hait. Item hette der habich an der beyße ein zcehen gebrochen oder schaden daran entphangen.

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D a s f u n f f t e c a p i t e l s a g e t y o n den s u c h t e n der h e b i c h e vnd der s p e r b e r e vnd v o n den a r c z e n y e , die d a r w i d d e r sint, a l s s i e der g r o ß m e i s t e r Y p o c r a s vnd a r t z t jn dem b u c h e l i n , das er dauon g e m a c h t vnd b e s c h r i e b e n hait. // Vllr Item wan der habich das aß vnabegedruckt wieder wirfft. Item wan dem habiche das hirne bedompffen vnd bestoppet ist. Item von arczenye, die den habiche reingent, so er jnwendig siech ist. Item vor die worme. Item vor die luse. Item vor den großen dorste des habichs. Item vor die maßleiden des habichs. Item vor das phiffen des habichs. Item vor die schaben vnd milwen des habichs. Item vor das gesuchte des habichs. Item vor das stechende wee. Item vor die fluße vnd das wee jn dem kopff. Item wan der habich jnwendig siech ist von fulen bösen Außen. Item wer es, daz der habich erblindet were. Item wil man, dassich der habich balde muße. // VU y Item vor das abenemen des habichs. Item wil man den habich balde mager machen. D a s s e h e s t e c a p p i t e l , das s a g e t v o n den a r c z e n y e n , die g e m e y n l i c h e n den f a l c k e n , den h e b i c h e n vnd allem f e d e r s p i l e g u t sint v o r yre s u c h t e n , alssie die m e i s t e r e A q u i l a , S y m a c h u s vnd T h e o d o c i o n dem k o n i g e v o n E g i p t e n lande b e s c h r i e b e n h a n t . Item wan dem federspiele jn dem kopff vnd jn den äugen wee ist. Item wan dem fedderspiele die naselocher verstoppet vnd besloßen sint. Item hait das fedderspiele den snuppen oder die snudern vnd viel fuchtikeit jn dem koppe. Item vor das phiffen des federspils.

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Item wan das fedderspiele zu viel schriet. // vm f Item vor die maßleide des federspils. Item wan daz fedderspiele das asß widder wirffet. Item wann sich das fedderspiele anfahet zu mußen. Item wan das fedderspiele hait die febres vnd die vnnaturliche hitze. Item vor den durst des fedderspils. Item hait das federspile die gallensucht. Item wan dem federspil die flugel hangent. Item wan das fedderspiele das gesuchte jn den flugeln hait. Item wann das fedderspiele daz gesuchte jn den fußen hait. Item wan daz fedderspiele zubrochen feddern hait. Item wan das fedderspiele ein beyn an dem fuß oder sust gebrochen hait. Item wan daz fedderspiele vngerugig ist vff der Stangen oder v£f der handt. // v m y Item hait das fedderspiele dem ramppen oder den krampff. Item vor die luse des federspils. Item wann das fedderspiele den stain hait. Item wann daz fedderspiele mager oder feißt wil haben. Item wie man das fedderspiele bereiten sal zu der beyße. Item wil man das daz fedderspiele fach hasen oder kongelin. item wie der wilde habich balde zu bereyten ist. H i r n a c h f o l g e t r e g i s t e r von den hunden. Item was eygenschafft vnd arte die hunde gemeynlich an yne habent. Item von den edeln hunden wie man erkennen vnd erneren vns auch gesunt behalten sal. IX r Item von den suchten vnd gebresten // der hunde vnd wie man die mit arczdie vertrieben sal. Item wan der hundt schebig vnd kretzig oder vßsetzig ist. Item vor die worme, die jn den wonden oder jn den alten schaden des hundes gewachsen sint. 91

Item wann der hundt ein geswolst hait an sinen gliddern. Item wann der hundt jn ein dorne oder sust jn ein spitzig ding getreden hait. Item wann der hundt lunsche oder wutende ist. Item wann der hundt von natuer anfocht, mager zu werden. // IX τ Item so der hundt trege ist. Item wann der hundt viel flöhe hait.

Der erste, den Falken gewidmete Teil schließt fol. 61 ν. Die in A dem zweiten Teil vorangestellte Gliederung (A 30 V " ) fehlt im Hinblick auf das an den Anfang gestellt Gesamtregister. Das gleiche gilt für den an die dritte Stelle gerückten, fol. 103r beginnenden Hundeteil (A79v u ~ 20 ). Die Arbeit ist wie A und D dem wolgebornen Herren Ludewigk Grauen zu Wirtenbergk gewidmet und endet (E 117r) nach einem Deo gracias mit den Worten 6

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Also hait diß buch ein ende, Got wolle vns von sunden wende, Lobe vnd vnd ere sij got geseyt Vnd marien, der reynen meyt. Anna domìni millesimo quadringentesimo Sexagésimo sexta post omnium sanctorum. Johannes glockener zu vrsel hait diß Buchelin geschrieben. Über den 1466 in Ursel, wohl dem im Taunus gelegenen heutigen Oberursel wirkenden, vermutlich nach seinem Beruf benannten Johannes Glockener war nichts Näheres in Erfahrung zu bringen. Das wenige, was wir über die früheren Besitzer der Handschrift wissen, hat schon Schmidt 1 ) zusammengefaßt : „Wenn das einliegende Blatt mit einem von Daniel Moser in Göppingen unterschriebenen Rezept „Für die Vogelsucht" von einem der Eigentümer stammt, muß sie von Ursel in die Heimat des Verfassers zurückgewandert sein. Von dort brachte sie wohl der HessenDarmstädtische Leibmedikus und Professor in Gießen Johann *) Adolf Schmidt, a. a. O., Halle 1896, 28—29.

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Daniel Horst (1616—1685), der in Tübingen promoviert hatte und dem sie nach dem Jungschen Katalog der Darmstädter Bibliothek von 1717, S. 398, vormals zugehört hatte, nach Darmstadt. Zu Ende des 17. Jahrhunderts wird sie bereits in dem ältesten erhaltenen Handschriftenkatalog der landgräflichen Bibliothek als deren Eigentum aufgeführt." Die Handschriften F und G sind eng miteinander verwandt und dürfen deshalb gemeinsam behandelt werden. Beide befinden sich in der Marienbibliothek in Halle/Saale. Die erste von ihnen ist vollständig, enthält auf 70 Blättern alle vier Teile, doch unterdrückte der Abschreiber, der sich nur durch die bislang nicht gedeuteten an den Schluß gesetzten vier Buchstaben A.H.D.B. nannte, die letzten Zeilen des Originals (A 86 r2"4) mit dem Namen Heinrich Münsingers und der Widmung an den Grafen Ludwig von Württemberg. Er vollendete seine Arbeit am 8. Juli 1473, denn er setzte diese Zahl hinter sein Monogramm. Vom letzten beschriebenen Blatt (fol. 70) ist die rechte untere Ecke herausgerissen. Ein teilweise erhalten gebliebener schmaler Rand läßt vermuten, daß hier eine auf anderem Papier gemalte Miniatur eingeklebt war. Das Wasserzeichen des verwendeten Papiers ist ein von einem Kreuz gekröntes Y, das in einem mit drei Blättern versehenen Schwanz ausläuft; es gleicht fast haargenau dem Muster Briquet 9183, welches uns von einem hinsichtlich seiner Herkunft nicht genau bestimmbaren Papier aus der gleichen Zeit bekannt ist. Es wurde vorzugsweise im niederländisch-bretonischen Raum zwischen 1472 und 1476 nachgewiesen. Einige Angaben über die Handschrift machten Weißenborn 1 ) und Brachvogel 2 ). Sie führt das Signum Ms. 73 und gehörte dem in Halle begüterten Bibliophilen Georg von Seimenitz, dem Sohn der Felicitas, deren Name Bernhard Weißenborn, Der hallische Handschriftenschatz in Auswahl, Halle 1939, 22. a ) Heinz Brachvogel, Aus einer alten Handschrift über Falknerei, Deutscher Falkenorden 1940, 100—102.

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durch ihre Freundschaft mit Martin Luther bekannt ist. Georg von Seimenitz 1 ) vermachte seine Bücher der Marienbibliothek, in der sie sich noch heute befinden. In den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts scheint sich Münsingers Buch besonderer Beliebtheit erfreut zu haben. Mehrere Abschriften sind in dieser Zeit entstanden. Auch die Arbeit der Clara Hätzlerin (D) gehört ins Jahr 1473. Das in braunem Leder gebundene Hallische Manuskript zeigt auf der Vorderseite als Supralibros das erhaben geprägte Wappen und den Namen des Georg von Seimenitz in Blau und Rot sowie seinen Wahlspruch Hofnvng mein Trost. Die sehr sauber ausgeführte Abschrift ist mit schönen mehrfarbigen Zierbuchstaben — vornehmlich in in rot und einem zum oliv neigenden gelb — geschmückt und viel sorgfältiger geschrieben als die durch den Buchstaben G gekennzeichnete, ins 16. Jahrhundert gehörige Kopie (Ms. 74), die wahrscheinlich von der Hand Georgs von Seimenitz selbst stammt. F hat rote Kapitelüberschriften, rote Initialen und die Betonung einzelner Buchstaben oder Worte durch rote Durch- oder Unterstreichungen. G dagegen war wohl als Handexemplar für den täglichen Gebrauch gedacht und wurde nach F angefertigt. Sie ist in schlichtem lichtbraunem Leder gebunden und scheint für verschiedene Zwecke gedacht gewesen zu sein. Die ersten *) Über Georg von Seimenitz (1509—1580), sein Leben und seine Familie s. Aug. F. Ammann, Exlibris der Familie von Seimenitz und der Marienbibliothek in Halle a. S., Ztschr. Exlibris, 19. Jahrg. 1909, 1—5; Genealogie oder Stammbaum des uralten, wohladlichen Geschlechts derer von Seimenitz in M. George Christoph Kreysig, Beyträge zur Historie derer Chur- und Fürstlichen Sächsischen Lande, Zweeter Theil, Altenburg 1755, 76—121 ; Rud. von Bagenski, Geschichte der Familie von Selmnitz, Halle a. S., 1914; ferner Fritz Juntke, Die Exlibris und Superexlibris des Georg von Seimenitz, Ztschr. Exlibris, 43. Jahrg. (N.F. 27) 1933, 14—18; über den Einband: Fritz Juntke, Georg Rumler, ein Hallischer Buchbinder aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten 46, Leipzig 1937, 201 ff., bes. 221—223.

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21 Blätter sind mit einem alphabetischen Register versehen, aber unbeschrieben. Nach einem lateinischen Gedicht sind mehrere Blätter entfernt. Im übrigen enthält die Handschrift nur Münsingers Text. Die erste, schwarz, rot und silber ausgeführte Initiale zeigt das Selmenitzsche Wappen. Der Text ist nicht mit durchgehend gleicher Sorgfalt geschrieben. Anfangs finden wir rote Kapitelüberschriften und blaue Initialen. Gegen den Schluß sind alle Farben entfallen. Das Wasserzeichen des verwendeten Papiers ist der Kopf eines Sechserhirsches von vorn in einem Wappenschild. Leider handelt es sich bei G nur um ein Bruchstück, das nicht einmal ein Drittel des Gesamttextes umfaßt, also auch den ersten der vier Teile nicht vollständig bringt. Das Ende des Textes entspricht fol. 25 r12 in unserer Ausgabe. Eine Sonderstellung in der Reihe unserer Handschriften nimmt H ein, die sich als Cod. Vindob 5213 im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befindet1). Ihr Charakter als Abschrift des Münsingerschen Werkes war bisher nicht erkannt. Sie galt als Werk des für Maximilian I. tätigen Abschreibers Sebastian Ranck, genannt Greiff, der sich in der aufschlußreichen Einleitung selbst nennt. Ranck ersetzte durch sein Vorwort die ursprüngliche Widmung an den Grafen Ludwig von Württemberg und die im Original vorangestellten Gliederung (A 1 r2 bis 2r 16 ). Auch ließ er den Namen Münsingers am Schluß (A 86 r 2 - 4 ) entfallen. Dafür stellte er folgende Worte an den Anfang: ir

Dem Allerdurchleuchtigisten vnnd Grosmächtigisten Fürsten vnnd hern, Hern Maximilion Römischm konig, zw allin Zeiten Merer des Reichs, zw hungern, Dalmatien, Croatien etc. Kunig,

*) Theodor Gottlieb, Die Büchersammlung Kaiser Maximilians I., Leipzig 1900, 52/53 u. 127/128; Franz Unterkircher, Inventar der illuminierten Handschriften 1. Teil, 104; Maximilian I., Katalog der Ausstellung, Wien 1959, 32, Nr. 94.

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Ertzhertzog zw Osterreich, Hertzog zw Burgundi, zw Brabandt, zw Geldern, Graue zw Habspurg, zw Flandern, zw tirol etc. Seinem Allergnedigisten herrn Empeut ich S e b a s t i a n u s R a n c k , den man nent G r e i f f , meine gehorsame, willige vnnd vndertönige dinste. Allergnedigister her, nach dem ewr kunigcliche Mayestat aus angeborener art zw den gar alten Historien vnd geschichtra, Auch andern natürlichen subtilen sachen genaigt, deshalb mich, wiewol vnwirdig, doch aus sonndern gnaden angesunnen vnnd auff etliche Gotshäussern vnnd Clöster in dem heiligen Reich vnnd bsunder in teutschír Nación die liberej zw perlustriren vnnd die antiquitates vnnd geschichte der alten, Auch der natur, zw besichtigen, abzw schreiben vnnd sölich schrifFt ewr Kunigclichen Mayestat zw bringen, mit kuniglichen brieffen an die Prelaten gnediclichm verfertigt, Vnnd wann Ich meinen ver1 ν moglichistm // Fleis gethan Vnnd disses Büchlin, darjnn gar subtil beschlossen, was die Maister vnnd philosophi von natur der Valken, der Habich, der Spärber vnnd der hundt vnnd dartzw auch von natur der pferde geschriben habn, Darmit auch was Sy von der selben ire natur geschriben haben, Als die yetzo in gebresten vnnd suchten gefallen sindt, wie man die mit artznei zw gesunthait widerpringen sol. Vnnd wirt nach gutter ordn#«g in vier tail getailt. Das erst tail sagt in gemain von den Falken, das annder von den Habichen vnnd Spärbern, das drittail sagt von den pferden. Vnnd das viertail sagt von den Hunden. Vnnd ain yeclich sach hat sein capitel vnd vnderschaid gar lustig vnnd holtselig zw lesen. Darumb so ich ewr K.Mt, aus natur zw sölichen sachen genaigt gewest, Hab (ich) disses Buchlin mit höchstem 2i vnd muglichsten fleis geschriben Vnnd ewr // Konigklichn mayestat Als meine«? Allergnedigisten herrn geordnet, mit Aller diemutickeit Bittende, sölichs gnedeclich anzenemen, Darmit Jch mich ewr K.Mt, als meinem gnedigiste» herrn beuolhen haben will. Ich will auch vmb dieselben ewr konigkliche mayestat Lanng leben got den Almechtigen fleissiclich bitten. 96

Diese Einführung ist in mehrerer Hinsicht aufschlußreich. Daß Maximilian ähnliche Arbeitsaufträge nach verschiedenen Seiten, an Sunthaim, Manlius, Stobius, Cuspinian, Peutinger und andere vergeben hat, ist bekannt. In die Reihe der mit dem Abschreiben interessanter Bücher Beauftragten gehörte auch unser Sebastian Ranck, von dem allerdings nicht in Erfahrung zu bringen war, ob er außer dem Werk Münsingers noch andere Arbeiten lieferte. In welchem Jahr die Abschrift erfolgte, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Die beiden Wasserzeichen des verwendeten Papiers sind bis fol. 49 eine Traube und von fol. 50 an eine Kaiserkrone. Da sie in verschiedenen Formen sehr häufig vorkommen, sagen sie hinsichtlich Datierung und Lokalisierung nichts aus. Auch die Titulierung Maximilians in der Einleitung gibt keinen festen Anhaltspunkt. Die Bezeichnung Römischer König setzt die Jahre 1486 als terminus post und 1508 als terminus ante, da in diesem Jahr Maximilian den Kaisertitel annahm. Auch der Titel eines Herzogs von Geldern ist für unsere Überlegungen belanglos. Geldern, das Karl von Egmont immer anfocht, ging zwar 1493 verloren, aber Maximilian verzichtete niemals auf Herrschaft und Titel. Da des Königs künstlerische und sammlerische Bestrebungen erst nach 1500 stärker zur Geltung kamen, dürfte die Wiener Handschrift wohl zwischen 1500 und 1508 anzusetzen sein. Die Handschrift ist in nicht sehr sorgfältig gepreßtes, über Holzdeckel gezogenes Kalbsleder gebunden, das viel von seinem ursprünglichen Rot verloren hat. Ranck entledigte sich seiner Aufgabe keineswegs mit der notwendigen Gewissenhaftigkeit. Er ließ beim Abschreiben nicht weniger als 16 Kapitel entfallen, die wegen ihrer Länge mühsam zu kopieren waren, offensichtlich im Glauben, daß der Verlust von seinem fürstlichen Auftraggeber kaum bemerkt werde. So stellt die ohnedies flüchtige Wiener Handschrift nur einen Torso dar. Die stärkste Kürzung erfuhr der dritte, den Pferden 7 Von Falken. Hunden und Pferden I

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gewidmete Teil, der auf ungefähr 60% seines ursprünglichen Umfanges beschnitten wurde 1 ). Die Handschrift E deutete bereits eine Gabelung in der Münsinger-Tradition an. Es gab Jäger, die sich vorzugsweise für die Teile über Falken, Habichte und Hunde interessierten, und Marstaller oder Roßärzte, die ihre Aufmerksamkeit allein dem Pferdeteil schenkten. Für sie wurde in einer Anzahl von Handschriften der dritte Teil des Münsingerschen Werkes allein abgeschrieben. Da bei ihnen stets der Name des Übersetzers und die Widmungsformel fehlen, blieben die Zusammenhänge zwischen dem anonymen Text und seiner weit umfangreicheren Vorlage meist unerkannt. Selbst Bartsch entging die Tatsache, daß wesentliche Bestandteile zweier Heidelberger Roßarzneibücher nur Bruchstücke der Münsingerschen Ubersetzung sind, und noch in jüng!) Dem Cod. Vindob. 5213 (H) fehlen folgende Kapitel: Für die wonden vnd verserunge der falcken Für die schaben in den federn der falcken Vor das gesucht Für den fulen fluß des habchs vnd vor die schaben Wan» dem habch das hirn bedumpffen vnd verstopfft ist Von den ercznien, die den habch reinigent, so er jnnwendig siech ist Für die schaben in den federn des habchs Wan dem pfert die zung von bösen blut versert ist Vor die geswulst, die da heisset das fig oder die figwarczen Vor die rot hiczig geswulst des pferts, die etlich die radbulen heissent Vor die strenge des pferds Vor das horn vnd die herte vff dem rucken des pferts Vor das ful fleisch, in der wonden des pferdes gewachßen Wan« das pfert gryndig vnd ridig ist Wan« das pferde ein vber beine hatt Wan« das pferd von kelte an den beinen erstarret vnd reppig ist

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A 25 ν β —26 t 8 A 29 r 6 —29 v 7 A 36 ν 15 —37 r " Α 38ν ιβ —39 r e A 44 r 3 - 1 8 A44r 1 9 —44 v 14 A 45vn—46rls A 56 ν 18 —57 r1· A 58 ν 8 —60 ν 2 2 A A A A A A

62V 1 ·—64r la 64 r 1 4 —66 r s 66 ν 18 —68 r 10 68 r 11 —69 v' 73r a a —74 v 12 74 ν 18 —76 r 1 '

A 77 r s —77 v 1 8 ( . . . offen)

ster Zeit hielt Dusan Ludvik 1 ) die Texte für eine anonyme Übersetzung des Tractatus de equis, von der nicht gesagt werden könne, daß sie mit der Übersetzung Heinrich Münsingers identisch sei. Tatsächlich leiten sie sich jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, unmittelbar aus der Münsinger-Tradition ab. Wir kennen bisher drei solcher Bruchstücke, die nur den Pferdeteil haben, davon zwei in Heidelberg, die dritte bis Kriegsende in Görlitz, z. Zt. aber nicht auffindbar. Es scheint mir sicher zu sein, daß sich bei Durchsicht der sehr umfangreichen deutschsprachigen handschriftlichen Überlieferung auf dem Gebiet der Hippiatrik weitere Handschriften ausfindig machen lassen, zumal die drei uns bekannten Texte sämtlich mit einem ganz bestimmten AlbrantText verbunden sind. Dieser beginnt stets mit den Worten ( J 1 v) Der ander tajll : etiliche sunderliehe stück von arcznej, die etwen maister Albrecht kaiser Fridrichs schmid, der auch des känigs von Napolis marstaller gewesen ist, gemacht hat. Wenn es erst gelungen ist, die nahezu 200 bekannten Albrant-Handschriften2) zwar nicht in einem Stammbaum unterzubringen, aber doch in Gruppen einander verwandter Texte zu ordnen, werden wohl innerhalb des Albrant-Albrecht-Stammes noch einige gleichzeitig abgeschriebene Texte des Münsingerschen Pferdeteiles zum Vorschein kommen. Von ihnen sind zwar keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, sie würden aber unser Bild vom Ausmaß der Verbreitung des Münsingerschen Werkes unter den Veterinärmedizinern des 15. und 16. Jahrhunderts vertiefen. Die beiden Heidelberger Münsinger-Bruchstücke finden sich im Cod. Pal. germ. 406, fol. 2r—44 r (J) und im Cod. Pal. germ. 408, fol. lv—46 ν (Κ), zwei eng miteinander verwandten Papier*) Dusan Ludvik, Untersuchungen zur spätmittelalterlichen deutschen Fachprosa, Ljubljana 1959, 29. 2) Vgl. dazu Gerhard Eis, Meister Albrants Roßarzneibuch, Konstanz I960, 5 ff.

7*

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handschriften des 15. Jahrhunderts 1 ), die als Sammelhandschriften über das Roßarzneiwesen außer der erwähnten Albrant-Fassung eine deutsche Ubersetzung des Jordanus Rufus enthalten. Bei beiden handelt es sich um gepreßte Lederbände mit Messingbeschlägen und -schließen sowie Bild und Wappen Ott Heinrichs aus dem Jahre 1558. Die sauber geschriebenen Handschriften haben rote Initialen oder rote Überschriften und rot durchstrichene große Buchstaben. Die als L bezeichnete Handschrift konnte leider nicht eingesehen werden. Uber sie war nicht mehr als das in Erfahrung zu bringen, was Gerhard Eis 2 ) in dankenswerter Ausführlichkeit über sie veröffentlichte. Sie gehörte in die Bibliothek der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz, ging durch Verlagerung bei Kriegsende verloren und ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Leider befindet sie sich auch nicht unter den geretteten Teilen der Görlitzer Handschriften, die heute von der Universitätsbibliothek Breslau verwaltet werden. Die Papierhandschrift, die die Signatur A III. I. 23 trug, war nach der von Eis gegebenen Beschreibung in dünne, mit bräunlichem Pergament überzogene Holzdeckel gebunden, die auf der Innenseite des Vorderdeckels das vermutlich im 18. Jahrhundert gestochene Wappen einer nicht mit Gewißheit ermittelten Adels- oder Patrizierfamilie trug. Sie wurde in dem für die erhaltenen Münsinger-Handschriften wichtigen Jahr 1473 vom Kornschreiber Wolfgang Aschel in Neumarkt geschrieben, wobei ungeklärt ist, um welches Neumarkt es sich bei den zahlreichen Orten dieses Namens handelt. Aschel nannte sich granator nouaforo. Uns sind nur vier kleine Belegstellen 3 ) überliefert, die jedoch schon die Einordnung des Textes ') Karl Bartsch, a. a. O., Heidelberg 1887, 132, Nr. 226, und 133, Nr. 227. ) Gerhard Eis, Zum Roßarzneibuch Meister Albrants, Beiträge zur Geschichte der Veterinärmedizin III, 1941, 331 ff., bes. 337—339. s ) Die wichtigste (Eis, a. a. O., 1941, 338, N. 17) entspricht in A den Zeilen 53 r 15 —53 v 6 . 2

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in den entwickelten Stammbaum der Handschriften ermöglichten. Beachtlich ist für unsere Betrachtungen vor allem das Datum. Es zeigt, wie frühzeitig der Pferdeteil des Münsingerschen Werkes allein fortgeschrieben wurde. VIII Mit dem Erarbeiten des Variantenapparates wurden zwei Ziele verfolgt: durch Textvergleich war einerseits das Ausmaß der Fehler- und Lückenhaftigkeit der der Edition zugrunde gelegten Handschrift A zu ermitteln, andererseits das gegenseitige Verhältnis der erhaltenen Manuskripte zu bestimmen. Beide Aufgaben waren rascher zu lösen als bei Arbeitsaufnahme erwartet werden konnte. Mit dem Erstellen des kritischen Apparates für die ersten 14 Blätter der Handschrift A ergab sich nicht nur der Handschriftenstammbaum, sondern es zeigte sich auch die überragende Qualität von A. Sieht man von der Bedeutung dieses Variantenapparates für die erstmalige Klärung des Verwandtschaftsverhältnisses der Texte untereinander ab, so kann die wissenschaftliche Wertlosigkeit dieser zahlreichen Anmerkungen nicht verschwiegen werden. Die ermittelten Abweichungen von A lassen sich nur auffassen als ein Verzeichnis nachgewiesener Textverschlechterungen, hervorgerufen durch mangelnde Sorgfalt zahlloser Abschreiber. Nachdem sich gezeigt hatte, daß diese Vergleichsarbeit keinen Gewinn für A erbrachte und die Stellung der Handschriften zueinander bestimmt war, mußte es sinnlos sein, diese Chronik der Verderbungen in den weniger guten Handschriften fortzusetzen. Das vergleichende Textstudium wurde lediglich bei Beginn des dritten, den Pferden gewidmeten Teiles wieder aufgenommen, weil es galt, den Standort der drei neu hinzugekommenen Handschriften (J, Κ und L) zu fixieren. Nachdem diese Untersuchung erneut zeigte, wie wenig ertragreich für die Revision von A die Ermittelung der zahlreichen Textverschlechte101

rungen in Β bis L war, konnte der Verzicht auf die vollständige Durchführung eines die Edition nur belastenden Variantenapparates nicht schwer fallen. Es wurden fortan in den Fußnoten nur noch die bei Drucklegung von A gegenüber der handschriftlichen Vorlage notwendig gewordenen, offenbar auf Irrtum, Versehen oder Flüchtigkeit des Abschreibers beruhenden Verbesserungen des Herausgebers und die wenigen, durch Textvergleichung mit den anderen Handschriften ermittelten echten Unzulänglichkeiten von A durch Konjekturen verzeichnet. Interessant ist dagegen das Ergebnis unseres Versuches, die Verwandtschaftsverhältnisse der erfaßten Handschriften untereinander zu bestimmen. Es ist freilich stets mit einem gewissen Risiko verknüpft, die zufällig bis in unsere Zeit geretteten Texte in einen unmittelbaren Zusammenhang bringen zu wollen. Ihre gegenseitige Verkettung in einem erstellten Schema erweckt leicht den Eindruck, als liege der graphischen Darstellung entsprechend eine unmittelbare Abhängigkeit vor. Es sei deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der hier vorgelegte Versuch nicht in diesem Sinne gedeutet werden darf. Bei der Beliebtheit, deren sich Münsingers Werk in der zweiten Hälfte des 15. und wohl auch noch im 16. Jahrhundert erfreute, dürfen wir mit der Existenz einer Vielzahl von Handschriften in jener Zeit rechnen. Nur ein ganz geringer Bruchteil ist auf uns gekommen. Wir haben deshalb im effektiven Zusammenhang der Texte mit einer weit größeren Zahl nicht erhaltener und auch nicht rekonstruierbarer Zwischenglieder zu rechnen, als sich aus unserem Stammbaum ergibt. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß ungeachtet des jeweiligen Einzelfalles der prinzipielle Charakter der Handschriftentradition im entwickelten Schema erfaßt sein dürfte. Das entscheidende Kriterium für die Gruppenbildung sind die Zeilen 2v 1-4 in A. Dort heißt es, daß das Geschlecht der Habichte viererley sei. Das erste von ihnen heiße man den großen Habicht. 102

G

Β

J

Κ

L

Das diesem in der Größe folgende heiße Terzel. Das dritte heiße mustet. Es ist sofort zu erkennen, daß hier eine Lücke besteht: von den vier Geschlechtern werden nur drei genannt. Diese Lakune findet sich bei den drei eng miteinander verwandten Handschriften ACD, sie ist dagegen berichtigt bei den sich ebenfalls untereinander nahestehenden Handschriften BEFGH. Diese haben richtig: das dritte (Geschlecht) nennen sie Sperber, das vierte heißen sie Mustet. Der Standort jedes neu auftauchenden Münsingertextes wird zumindest aufs erste an dieser Variante zu bestimmen sein. Wir sollten deshalb zukünftig von Texten der x1- und der x2Gruppe sprechen. Sicher ist, daß keine der bekannten, uns erhaltenen Handschriften das als O bezeichnete Original darstellt, wobei dahingestellt bleiben mag, ob man die Übersetzung Münsingers selbst oder das Widmungsexemplar an Graf Ludwig von Württemberg als solches bezeichnen will. Diese beiden Texte haben wohl unwiederbringlich als verloren zu gelten. In O dürften die vier Geschlechter des Habichts in zutreffender Folge aufgeführt gewesen sein. Dem Abschreiber von x 1 ging eines von ihnen verloren, so daß die davon abhängigen Texte den gleichen Fehler fortschrieben. 103

Beim Abschreiben von x2 dagegen unterlief das Versehen nicht, so daß uns hier der ursprüngliche Wortlaut überliefert ist. Die gleiche Bedeutung für die Gruppenbildung hat die den Handschriften der x 1 -Gruppe (in A im Anschluß an 2r l e ) fehlende Überschrift des neunten Kapitels in dem von Münsinger vorangestellten Inhaltsverzeichnis. Der Ubersetzer schickte jedem der vier Teile seines Werkes ein Register voraus, das er in Form einer Folge der Kapitelüberschriften aufbaute. Da der erste Teil in neun Kapitel gegliedert ist, hätten neun Überschriften erscheinen müssen, wie dies bei vier Handschriften der x 2 -Gruppe BEFG auch der Fall ist. Die neunte Überschrift, die gelautet haben müßte : Das nunde Capitel saget von den suchten der falcken vnd von den ertznjen, die dar wider sint, Als sich etwann keyssers friderichsfelckner bewert vnd beschriben hat. fehlt bei ACD, d. h. bei den Texten der x 1 -Gruppe. Die Vorlage für H, die Handschrift x4, hat zweifellos diese neunte Kapitelüberschrift auch besessen. Nur weil in H die ganze Münsingersche Einleitung durch ein anderes Vorwort (s. S. 95/96) ersetzt wurde, fehlt sie dort ebenso wie die übrigen acht Überschriften. Zu den charakteristischen Fehlern der x 1 -Gruppe gehört A 3 Ve auch das Wort alwegent (allwegen C, allwegent D) statt bewegent. Innerhalb der Handschriften der x^Gruppe stehen sich A und D am nächsten. Ihre im Vergleich zu C engere Verwandtschaft untereinander wird durch das Einschieben eines Zwischengliedes x 3 gekennzeichnet. Diese Vorlage x3, von der A und D abhängen, sollte Mariahandschrift genannt werden. In A finden wir nämlich 3r l e hinter dem Wort natur ganz unmotiviert und zusammenhanglos das in der vorliegenden Ausgabe in den Variantenapparat verwiesene Wort maria, welches in D verderbt als mania wieder erscheint, dagegen C und allen Handschriften der x 2 -Gruppe fehlt. Daraus ergibt sich, daß A und D die gleiche Vorlage hatten, C aber nicht nach dieser geschrieben wurde. Offenbar war dieser gemein104

samen Vorlage χ 3 glossenartig ein schlecht leserliches maria eingefügt, das die Abschreiber nicht recht unterzubringen wußten, zumal dafür im Text nirgends ein rechter Platz zur Verfügung stand. So rückte mania in D hinter freidickait, während maria in A erst sechs Worte später erscheint. Der Mariahandschrift x 3 fehlte sicher A 6 r13 schon das Wörtchen not, das wir nur in A und D vermissen. Im übrigen steht D dem edierten Text am nächsten, wenn es sich auch um eine weitaus schlechtere Abschrift mit zahlreichen Verderbungen und Auslassungen handelt. Ebenso ist C durchweg schlechter als A. Bei diesem Text handelt es sich um eine etwas gedankenlose, oft flüchtige Abschrift, die die Neigung des Schreibers zu gelegentlichen sachlich unerheblichen Wortumstellungen erkennen läßt. Leider fehlt es nicht an Auslassungen. Da diese bei den anderen uns erhaltenen Handschriften nicht wiederkehren (z.B. A 6r 21-22 ), kann mit Sicherheit gesagt werden, daß C für keine von diesen als Vorlage diente. Unter den Handschriften der x2-Gruppe ist F der beste Text. Er hätte, wenn wir A nicht besäßen, einer kritischen Ausgabe zugrunde gelegt werden müssen. Für gemeinsame Fehler der Gruppe BFGH (ζ. B. das Fehlen der Überschrift A 6 ν 6 ) haben wir den Schreiber von x 4 verantwortlich zu machen. Daß sich leicht Fehler bei der Bestimmung von Verwandtschaftsverhältnissen einschleichen können, zeigt die übereinstimmende, aber unabhängig voneinander entstandene Auslassung ( A l l v 6 - 7 ) der Worte Vttd v f f das ander ende sol gebunden sin in Β und G. F weist diesen Fehler nicht auf. G wurde aber, wie wir wissen, unmittelbar nach F geschrieben. Der Abschreiber irrte sich bei den kurz hintereinander vorkommenden Worten gebunden sin in der Zeile und fuhr unter Entfallen der erwähnten Worte an falscher Stelle fort. Dasselbe passierte dem ohnedies flüchtig arbeitenden Schreiber von B, ohne daß beide nach einer gemeinsamen, durch diesen Fehler charakterisierten Vorlage arbeiteten. 105

Da G unmittelbar von F abhängt, hat diese Handschrift einerseits die Eigenheiten der Vorlage, andererseits aber zusätzliche Fehler. Es handelt sich, wie schon der Schriftzug erkennen läßt, um eine flüchtige Abschrift von geringem Wert. Allerdings sind einige der in F vorliegenden Fehler in G wieder verbessert, so ζ. B. A 7r 17 land (F) in lang (G); Α 8ν 1β vngewonheit (F) in vnndtgewonheit (G) oder A 9 r 2 das Wiedererscheinen des in F fehlenden Wörtchens sol. Dagegen sind zufällige Ubereinstimmungen in den Fehlern nur entfernt verwandter Handschriften bedeutungslos. So fehlt ζ. Β. A 2 ν12 den Handschriften C und G gemeinsam das Wort vnder. Zwei Abschreibern unterlief hier der gleiche Fehler unabhängig voneinander. F hat ihn noch nicht. Daß E in gewisser Hinsicht den herkömmlichen Rahmen sprengt, zeigte schon das große, sonst nirgends erscheinende Register und das Fehlen des ganzen Pferdeteiles. Einige geringfügige Ubereinstimmungen zwischen C und E, die sich aus unserem Handschriftenstammbaum nicht erklären lassen würden, sind zweifellos ebenso wie zwischen C und G unabhängig voneinander entstandene Textverschlechterungen, so z.B. Α 2ν 1β , wo beide Handschriften sieht statt ansieht oder A 4 r 2 , wo beide frech statt feech haben. Kleine in E auftretende Wortumstellungen, die den Sinngehalt des Textes nicht berühren, wurden im Variantenapparat nicht berücksichtigt. Η steht E am nächsten, hat aber auch viele Berührungspunkte mit B. Die schöne, ausgeschriebene Hand des Schreibers kann über die bedauerliche Flüchtigkeit, mit der er arbeitete, nicht hinwegtäuschen. Rank kann seiner Arbeit innerlich kaum sehr verbunden gewesen sein, sonst hätte er nicht große Partien, die abzuschreiben ihm einfach zu lästig war, unterschlagen. Seine darin zum Ausdruck gekommene Eigenwilligkeit ist überall zu spüren. Die Handschrift Η hat durch die auf Rank zurückgehenden Änderungen etwas Selbständiges, aber ihre Abweichungen sind durchweg echte Verderbungen. Die meist belanglosen stilistischen Korrekturen 106

kommen nirgends noch einmal vor. Alle sonstigen Eigenheiten lassen sich unschwer aus dem Textstammbaum erklären. So trat beispielsweise die Änderung der Worte sie hond (Α 9ν β ) in haben sie erstmalig in x 4 , der Verlust der Worte vnd jnn dem beissen so jurkam ein Are das rephun (A 9r 19 " 20 ) erstmalig in x 6 auf. Auch bei Η erscheinen, wie schon bei G und E nachgewiesen, Fehler, die in nicht verwandten Handschriften wiederkehren. Sie dürfen nicht dazu verleiten, Zusammenhänge zu vermuten, die nicht gegeben sind. So fehlen beispielsweise den Handschriften C und H in den Zeilen A 3r 12-13 übereinstimmend die Worte Doch die sinwelle des k o p f f s , ganz einfach weil von sinwelle des kopffes unmittelbar vorher die Rede ist, die Abschreiber sich verlasen und die Worte nicht wiederholten, wie es notwendig gewesen wäre. Ebenso ist das Fehlen der Worte ouch (A 4r B ) und selbs (A 4r 20 ) sowohl in C als auch in H mühelos mit den üblichen Freiheiten des Abschreibers zu erklären. Β ist nach dem Ausmaß der Verderbungen sicherlich die schlechteste, trotzdem keineswegs die unwichtigste unter den erhaltenen Handschriften. Sie steht dem Original am entferntesten, was auch äußerlich durch das Hineinfließen des dem Urtext fremden Kapitels über die Lehre von den Zeichen des Hirsches zum Ausdruck kommt. Ihr Wert liegt in der Tatsache begründet, daß sie die einzige vollständige Abschrift der gruppenbildenden Handschrift x e ist, aus der die selbständige Tradition des Pferdeteiles erwuchs. Es gehörte zu den Eigenheiten des Abschreibers von B, gegenüber der Vorlage Umstellungen von meist zwei Worten vorzunehmen, durch die der Sinn keine Änderung erfuhr, z.B. (A 6r 13 ) hie die zuerzelen statt die hie zu erzelen oder (A 6r w ) watt es genug ist statt wann es ist gnug. Sie wurden im Variantenapparat wegen ihrer sachlichen Bedeutungslosigkeit nicht vermerkt. J stammt aus derselben Wurzel x e wie B, ist dieser Handschrift somit aufs engste verwandt, hängt jedoch nicht von Β ab, da diese eine Anzahl Textverderbungen hat, die in J nicht zu finden sind. 107

J darf — wenn auch nur ein Bruchstück — nebst F als die beste der erhaltenen Handschriften der x2-Gruppe angesehen werden. Β ist jedenfalls schlechter und liederlicher geschrieben als J und K. Κ steht J sehr nahe, ist jedoch eine weniger gute Abschrift, da sie eine Anzahl von Fehlern und Auslassungen aufweist, die sich in J noch nicht eingeschlichen haben. Daß Κ von J abgeschrieben wurde, ist wegen eines Zusatzes in der ersteren Handschrift (A 54 r11) nicht anzunehmen. Beide gehen lediglich auf eine gemeinsame Quelle, die hier unbeschadet der Möglichkeit weiterer Zwischenglieder in x e gesehen wird, zurück. L ist der dritte Paralleltext im Rahmen der Tradition des Münsingerschen Pferdetextes. Diese Handschrift steht, soweit das kleine überlieferte Bruchstück einen Schluß zuläßt, Β etwas näher als die Texte J und Κ (z.B. A 5 3 V 4 ) , hat diesen gegenüber aber auch Textverschlechterungen (z.B. A53r 1 8 ). Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß im Rahmen des erstellten Variantenapparates nichts ermittelt wurde, was im Gegensatz zum entwickelten Handschriftenstammbaum stände. Zur hier vorgelegten Ausgabe der Handschrift A sind noch einige Hinweise nötig. Den Namen des Abschreibers unseres Textes kennen wir nicht. Seine Heimat ist wohl im Schwäbischen zu suchen, denn im Vokalismus begegnen uns Merkmale seiner Mundart. Im Konsonantismus hat er sich an gute spätmhd. Schreibgepflogenheiten gehalten und offensichtlich das Vorbild der großen, das Neuhochdeutsche bestimmenden mitteldeutschen Schreibzentren beherzigt. Hinsichtlich der Schreibweise mußten im Einzelfall häufig Ermessensentscheidungen getroffen werden. Das diakritische Zeichen über dem u ist meist e-ähnlich, so daß u gut zu lesen ist. Oft aber ist die «-Form auch flüchtig und nähert sich den aus dem e entstandenen zwei Punkten, so daß man ü für geschrieben ansehen möchte. Da hier, um eine gewisse Ruhe beim Lesen des Textes sicherzustellen, normalisierend eingegriffen werden mußte, wurde in der Regel der Schreibung u der Vorzug 108

gegeben. D a g e g e n blieb ein ύ als die in allemannischen Handschriften gebräuchliche Schreibform für ein langes ü überall w o es auftrat erhalten, obgleich es vielleicht weniger für den Schreiber als für seine Vorlage kennzeichnend sein mag. Auch ob cz oder tz zu lesen ist, war nicht immer leicht zu entscheiden. Offensichtlich bediente sich der Schreiber beider Schreibweisen, so finden wir beispielsweise smalcz neben smaltz, erczny neben ertzny. E s wurde soweit wie möglich der Vorlage gefolgt, im Zweifelsfall die häufigere Form cz gewählt. Im übrigen erfolgte die Wiedergabe in der Absicht, dem Original so treu wie möglich zu folgen. Hinsichtlich der v o m Schreiber vielfach willkürlich gebrauchten Majuskeln mußte ausgleichend eingegriffen werden. Sie wurden, wo sie in Vorlage gegeben sind, soweit wie möglich belassen, darüber hinaus an Satzanfängen neu gesetzt, sofern die Handschrift an dieser Stelle eine Minuskel hat. Lediglich die systemlos angewandten Majuskeln V und D am Anfang von Konjunktionen und Demonstrativpronomina wurden einheitlich durch Minuskeln ersetzt. D i e Interpunktionen erfolgten gleichfalls in Anlehung an das Original. Sie wurden nur geändert, sofern es sich zum Verständnis des Satzzusammenhanges als notwendig erwies. Ebenso wie bei der Übersetzung des Wernherus Ernesti wurde u m der Kontrolle willen am Rand fortlaufend auf die dem Text entsprechende lateinische Parallelstelle im Liber de animalibus des Albertus Magnus verwiesen. D i e gegebenen Seiten- und Zeilenzahlen beziehen sich auf die von Hermann Stadler besorgte Ausgabe (Bd. II, Münster 1920). Die korrespondierenden Partien sind durch einen kleinen I am Anfang und am E n d e kenntlich gemacht. Diese Hinweise dürften die Textkontrolle durch rasche Vergleichbarkeit mit dem lateinischen Original sehr erleichtern, machen allerdings häufig das Ausmaß der Freiheit, die sich Münsinger beim Übersetzen herausnahm, nicht deutlich. Diese kann nur durch unmittelbare Gegenüberstellung von Urtext und Ubersetzung im Einzelfall ermittelt werden. 109

IX Eine Sonderstellung im Rahmen des Münsingerschen Ubersetzungswerkes nimmt das fünfte Kapitel des zweiten Teiles ein, das da saget von den suchten der hebch vnd der Sperber vnd von den ercznien da wider, Als sie der groß meister vnd arczat jppocras in dem b'uchlin, das er da uon gemacht, beschriben hät (43 r ie —48 r14). Mit ihm übertrug Münsinger einen zweiten Traktat, der in keinem Zusammenhang zum Tierbuch des Albertus Magnus steht. Daß dies ebenso wie beim Liber de animalibus nach einer lateinischen Vorlage geschah, dürfte nach den einleitenden Worten (1 r8"11) nicht zweifelhaft sein. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben wir — sonderlich durch die Arbeiten von Haskins, Swaen, Tilander und Willemsen— einen so umfassenden Überblick über das interessante Gebiet der hochmittelalterlichen lateinischen Falken- und Habichtsheilkunden erhalten, daß Katalogisierung und Herausgabe der erfaßten Texte nur eine Frage der Zeit sein können. Leider ließ sich bislang der von der Überlieferung dem Hippokrates zugeschriebene Text, den Münsinger verdeutschte, nicht auffinden, was jedoch keineswegs die Möglichkeit ausschließt, daß er früher oder später noch ans Tageslicht kommt. Sicher war er nicht im gleichen Maße verbreitet wie der Ptolemäusbrief, der Dankus-, Guilelmus- oder Gerardustraktat. Von ihm sind offenbar wesentlich weniger Abschriften im Umlauf gewesen, da er uns sonst zumindest in dieser oder jener Sammelhandschrift überliefert wäre. Trotzdem sind wir nicht ohne Kenntnis über ihn, da die erhaltenen Bruchstücke in lateinischer Fassung nicht nur durch Münsingers deutschen Text sondern auch durch Übersetzungen ins Provenzalische und Spanische weitgehend ergänzt werden können. Bertil Maler 1 ) hat als erster auf einen von ihm bruchstückweise edierten lateinischen Traktat hingewiesen, der sich in der Biblio*) Bertil Malet, Tratado de las enfermedades de las aves de caza, Stockholm 1957.

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thek des Escorial 1 ) befindet und einem kaiserlichen Falkner namens Valerinus zugeschrieben wird. In wessen Diensten er gestanden haben soll, ist nicht ersichtlich 2 ). Der Text ist, soweit bislang bekannt, nur in dieser Handschrift überliefert. Valerinus nennt als seine Gewährsleute Hippokrates und Galen, die beide auch bei Münsinger erscheinen, wenn auch dessen einleitende Worte (43 t20—43 ν 10 ) sicher eine Ausweitung gegenüber der Vorlage darstellen. Aber dieser Text des Escorial enthält leider nur Fragmente der von Valerinus eklektisch benutzten Vorlage. Sie bieten wertvolle Kontrollmöglichkeiten, erlauben aber nicht ihre völlige Wiederherstellung. Dagegen enthält eine aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammende spanische Übersetzung den gesamten Text des Hippokrates. Diese von Maler mit Anmerkungen edierte Handschrift findet sich im gleichen Sammelband 3 ), der den Valerinus und weitere spanische Arbeiten beizjagdlichen Inhalts enthält. Die in kastilischem Dialekt verfaßte und in 49 Kapiteln gegliederte Abhandlung stellt eine kompilatorische Arbeit dar, in die drei lateinische Vorlagen, nämlich ein Gerardus- und ein Hippokratestext 4 ) sowie Teile einer Dankushandschrift eingingen. Uns !) Biblioteca Escorial Ms. V—II—19 fol. 166r—168r. Das Initium (fd. 166r 2 ) lautet: Ego Valerinus, excellens Imperatorie ancipjtrarius, curas, nutriciones, mansuefactiones, morigenaciones aujum sarcofagarum, id est carnes capiencium et carnes comedencium in vnum colligere vt aquile, ancipitrjs falconjs nisi grififalconjs, mjlionjs, fineriljonjs etc. dictis procurauj, videns curam in aujbus nobilem ut in hominibus adhibendam, et ex antiquorum phisicorum dictis, vt Ypocratis et Galienj, medicamjna secundum modernorum usum laudabilem compilauj, ad hoc Imperatoris magnanjmj precibus et munerjbus jnujtatus. a ) Biblioteca Escorial Ms. V—II—19 fol. 150 ν—151 v. 4 ) Ihren Niederschlag fanden: Gerardus in Kap. 30—38, 12, 40—4-9 (39 ist identisch mit dem Anfang von 12). Hippokrates in Kap. 2—11, 13, 19, 21, 23 (teilweise) — 29. Dankus in Kap. 14—18, 23 (teilweise). a)

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interessieren hier ausschließlich die mit der Münsingerschen Ubersetzung korrespondierenden Kapitel 1 ). Ihre Gegenüberstellung mit Münsingers Werk erlaubt den Schluß, daß — abgesehen von möglicherweise geringfügigen Auslassungen — der deutsche Text eine vollständige Wiedergabe der lateinischen, dem Hippokrates zugeschriebene Vorlage darstellt. Die weitgehende Übereinstimmung in der Gliederung läßt außerdem vermuten, daß Münsinger sich eng an das Original anschloß, was ohnedies seiner Arbeitsweise entsprach, da sich Abweichungen in der Kapitelfolge gegenüber dem Tratado de las enfermedades in erster Linie dort ergeben, wo der spanische Kompilator andere Vorlagen, beispielsweise ein Kapitel aus dem Gerardustraktat oder mehrere Abschnitte des Dankustextes, nach eigenem Ermessen einschob. Es darf somit angenommen werden, daß Münsingers l)

Für diese ergibt sich folgende Konkordanztabelle: Münsinger Tratado de las enfermedades 43 ν 12 —44 r 2 Kap. 3 44 r3, 18 Kap. 4 44 r"—44 ν 1 4 Kap. 5 44 ν 15 —45 r 3 Kap. 6 45,4-15 Kap. 7 45rl«-22 Kap. 8 45 ν 1 " 1 Kap. 9 45v6-10 Kap. 10 45vII-M Kap. 11 45 ν 21 —46 r 2 Kap. 29 46 r*-16 Kap. 23 46rie-2o Kap. 13 46 r 21 —46 v e Kap. 28 (z.T.) 46 v ' - " Kap. 27 46v 1 5 - M Kap. 26 46 ν 22 —47 r 3 Kap. 28 (z. T.) 47 r1"16 Kap. 21 (z. T.) 47 r1"—47 ν* Kap. 19 47 ν 10 —48 r· Kap. 21 (z. T.) 48 r 1 0 -" Kap. 24

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Übertragung zumindest im Aufbau der lateinischen Vorlage näher steht als die spanische Übersetzung, deren im Escorial erhaltene Fassung ohnedies einige Textverschlechterungen aufweist 1 ). Außerdem ist der Inhalt des Hippokratestraktates in das im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts entstandene große Lehrgedicht Dels Auzels Cassadors des provenzalischen Geistlichen und Dichters Daude de Pradas eingegangen. Bertil Maler hat die jeweiligen Parallelstellen an Hand der Ausgabe von A. H. Schutz 2 ) nachgewiesen. Es lag in der Arbeitsweise des Daude de Pradas begründet, daß der Text hier nicht zusammenhängend sondern nach Sachgebieten getrennt und mit Kuriervorschriften anderer Autoren für den gleichen Krankheitsfall verbunden erscheint. Immerhin wurde alles Wesentliche in das Gedicht, das wir als die instruktivste Zusammenfassung der vor Friedrich II. in Umlauf gewesenen europäischen Beizjagdliteratur auffassen dürfen, übernommen. Ob Hippokrates zu den Quellen der Falcoaria des Johan de Sant Fagund gehörte, bedarf noch der Nachprüfung 3 ). Somit bleibt für uns nur noch die Frage nach dem angeblichen Verfasser Hippokrates. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß unser Traktat nicht von dem im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert wirkenden großen griechischen Arzt stammt. Ebensowenig besteht irgendeine Verbindung zu dem im zweiten nachchristlichen Jahrhundert lebenden römischen Arzt Galenus, dessen Namen er gleichfalls trägt. In das Bild der antiken Beizjagd würde eine solche Habichtsheilkunde wenig passen. Hippokrates und Galen als Schöpfer dieser kleinen Arbeit zu nennen, war der Kunstgriff eines auf Erfolg bedachten Skribenten des 12. Jahrhunderts, der sich der unbeschränkten Autorität der 1 ) Siehe z.B. Bertil Malers Bemerkungen zu Kap. 11 des Tratado de las enfermedades, a. a. O., 40. 2 ) Alexander Herman Schutz, The Romance of Daude de Pradas called Dels Auzels Cassadors, Columbus (Ohio) 1945. 3) Rodrigues Lapa, Livro de Falcoaria de Pero Menino, Coimbra 1931, IX.

8 Von Falken, Hunden und Pferden I

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beiden antiken Ärzte und ihrer Stellung in der mittelalterlichen Humanmedizin bewußt war. Durch die gewählte Zuschreibung sollte der Abhandlung erhöhte Aufmerksamkeit und allgemeine Wertschätzung gesichert werden, genauso wie der Ptolemäusbrief einen trügerischen Glorienschein erhielt, indem man ihn mit den Übersetzern der Vulgata Aquila, Symmachus und Theodotion in Verbindung brachte. Das künstlich erzeugte Alter sollte für die Zuverlässigkeit des Inhalts bürgen. Und letztlich gelang diese Täuschung auch immer wieder. Selbst der Arzt Heinrich Münsinger konnte sich der Zauberkraft der großen Namen nicht entziehen. Wir brauchen nur an seine Worte (47 v7"9) zu denken Diße arczeny hat auch keisser friderichs felckner zu der müß gebruchet, Als obgeschriben ist, vnd sie hond sie vrsprUnglich von demyppocras gehabt. Tatsächlich handelt es sich um die Wiederholung einiger Rezepte1) zur Beförderung der Mauser, insbesondere der Schlangenregel, die Münsinger analog bei Albertus gefunden hatte. Sie waren jedoch in so hohem Maße Allgemeingut2) der hochmittelalterlichen europäischen Falkenheilkunde, daß sich hieraus keinerlei gegenseitige Abhängigkeit der Texte herleiten läßt. Unwahrscheinlich ist, daß unsere Falkenheilkunde mit jenem Hippokrates hippiater3) in Verbindung zu bringen ist, dessen Werk zu den Quellen der im 11. Jahrhundert auf Geheiß des Kaisers Konstantinos VII. Porphrogennetes in Konstantinopel zu!) Münsinger 47 r17—47 v 4 = 41V 12 - 20 , 47 ν 6 -' = 42 t11"12. Auch sonst ergeben sich Berührungspunkte, z. B. zwischen dem Hippokratestraktat (45 V1-1) und dem Ptolemäusbrief (49 r"-1"). 2 ) Vgl. hierzu die Bemerkungen zur Schlangenregel bei Kurt Lindner, Die deutsche Habichtslehre, Berlin 1955, 253—256, N. 36. s ) L. Moulé, Histoire de la médecine vétérinaire, Bulletin de la Société Centrale de Médecine vétérinaire, 17, Paris 1899, 329/330; Reinhard Froehner, Kulturgeschichte der Tierheilkunde I, Konstanz 1952, 102; Werner Schwartz, Die Pferdeheilkunde des Johan Alvarez de Salamiella, LeipzigMölkau 1945, 122.

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sammengestellten Hippiatrica gehört. Sein griechisch abgefaßtes Buch1) wurde zunächst ins Arabische, später nach dieser Vorlage von Moses von Palermo ins Lateinische übersetzt und König Roger von Sizilien gewidmet. Wir haben jedoch keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang mit unserer Falkenheilkunde. X Wir können von Heinrich Münsinger nicht Abschied nehmen, ohne seine Arbeit als geistige Leistung gewürdigt und ihr den rechten Platz im deutschen Jagdschrifttum des 15. Jahrhunderts angewiesen zu haben. Entscheidend für jede Beurteilung bleibt die Tatsache, daß es sich nur um eine Übersetzung handelt und Lob und Tadel am Inhalt nicht Münsinger sondern Albertus treffen würden. Die Stärke seiner Übersetzung wird durch ihre unmittelbare Gegenüberstellung mit der Ernestis am ehesten deutlich. Während Ernesti mühsam und ungelenk übertrug, entledigte sich Münsinger seiner Aufgabe sicher und elegant. Ernesti klammerte sich an jedes Wort seiner Vorlage, Münsinger legte Wert darauf, vor allem den Sinn seiner lateinischen Quellen erfaßt zu haben. Wo immer man vergleicht, zeigt sich, daß Münsinger, der dank seiner Kenntnisse auf die Übernahme von Latinismen so gut wie ganz verzichten konnte, nicht nur sprachlich viel gewandter als sein Vorgänger war, sondern auch mit größerer innerer Sicherheit arbeitete, weil er über die Ausdrucksweise des erfahrenen Arztes verfügte. Sein berufliches Wissen trug entscheidend zum Gelingen der übernommenen Arbeit bei. Da die veterinärmedizinischen Teile der Albertus- und Pseudo-Hippokrates*) 'Ιπποκράτους ίππιατριχά, Hippocratis veterinaria latine et italice reddidit ac notis illustravit Petrus Aloysius Valentini in Nosocomio S. Spiritus Medicus Primarius, Rom 1814; Pietro Delprato, Trattati di Marescalcia attribuiti ad Jppocrate tradotti dell' arabo in latino da Maestro Moisê da Palermo volgarizzati nel secolo XIII, Bologna 1865. 8a VOD Falken. Hunden und Pferden I

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Traktate die jagdlichen und naturwissenschaftlichen Ausführungen an Umfang erheblich überstiegen, war Münsinger weit mehr angesprochen als der Kirchenrechtler Ernesti. Er brachte von Haus aus nicht nur ein besseres Verständnis sondern auch die Fähigkeit, kritisch Stellung zu nehmen, mit. So kann es auch nicht verwundern, daß er freier übersetzte, mitunter auch etwas strich oder hinzufügte, um den zur Zeit der Ubersetzung immerhin schon zwei Jahrhunderte alten Albertustext zeitnäher erscheinen zu lassen. Aber im ganzen ist das Ausmaß der eigenen Zutat gering, es handelt sich auch für Münsinger nur darum, zu tutschen vnd ins tutsche zä beschriben (A 1 r 8-9 ), was seine Vorlagen aussagten. Dabei lag es Münsinger durchaus fern, sich mit fremden Federn zu schmücken. Bei einem stärkeren Geltungsbedürfnis, wie wir es bei nicht wenigen seiner Zeitgenossen finden, wäre sicher der Hinweis, daß es sich beim ganzen Werk nur um eine Übersetzung handelt, unterblieben; auch hätte es keine Schwierigkeit gemacht, die zahlreichen Hinweise auf den groß Alberchtus1) zu unterdrücken. Aber Münsinger nannte unbefangen seine Gewährsleute Albertus und Hippokrates und nicht weniger deutlich alle die Namen, auf die er in seinen Quellen stieß. Sicherlich war er kein Jäger, am wenigsten ein gelernter Falkner. Sein Wissen von Jagd und Beize übertraf wohl kaum das eines jeden gebildeten, einem Fürstenhof nahestehenden Mannes seiner Zeit. Immerhin war Münsinger sich der Existenz einer bereits entwickelten beruflichen Standessprache bewußt, die er vielleicht nicht bereichern konnte, gegen die er aber auch nicht verstoßen wollte. Dies ergibt sich aus seinen aufschlußreichen Bemerkungen (A 4 V3"10), die ohne Parallele bei Albertus sind. Andererseits nahm sich Münsinger die Freiheit, im Rahmen seiner Übersetzung Worte, wie beispielsweise lockluder, bergfalck, hoferfalck, l u f f t f a l c k , steinfalck, zwirbelfalck zu bilden, die weder der lebenden Jägersprache entnommen waren noch je in ihr heimisch l)

z.B. A 5va2, 9r18, 9v« lit 1 », 12rls, 32v8, 83r5. 116

wurden. Wir sollten diesen nur bei Münsinger auftretenden, sonst aber nirgends belegten Ausdrücken im Rahmen sprachgeschichtlicher Untersuchungen keine allzu hohe Bedeutung beimessen1). Münsinger kann keinen Anspruch darauf erheben, in die Reihe der großen deutschen Jagdschriftsteller gestellt zu werden. Dafür war das Ausmaß seiner eigenen Zutat zu den übersetzten Traktaten zu gering. Gewiß hat dieser kluge Mann auch niemals den Ehrgeiz einer solchen Form des Nachruhmes gehabt. Sein bleibendes Verdienst liegt in der großen sprachlichen Leistung, die uns in dieser Übersetzung entgegentritt. Sie rundet zugleich unser Bild von der charakterlichen Sauberkeit dieses Mannes, denn die Vielzahl der Parallelen fordert geradezu zu einem Vergleich mit Guillaume Tardif heraus. Wie Münsinger stand Tardif in den Diensten eines Fürsten, auch er entledigte sich mit der Abfassung seines Livre de l'art de faulconnerie et des chiens de chasse nur eines Auftrages, und als Gelehrter hatte er zu Jagd und zu Falknerei kein unmittelbares Verhältnis; aber wie unterschiedlich gingen diese beiden charakterlich divergierenden Männer zu Werke. Tardif, nur wenige Jahrzehnte später als Münsinger schreibend, erhielt seinen Auftrag von Karl VIII., dem letzten Sproß des Hauses Valois. War es dort ein Graf von Württemberg, der sein Interesse an den ihm verschlossenen lateinischen Werken über Falken, Hunde und Pferde bekundete, ging hier der Wunsch, ein Buch über Beizjagd und Hetze geschrieben zu bekommen, von einem französischen König aus. Dort erging der Ruf an einen sprachgewandten praktischen Arzt, hier an einen Humanisten und königlichen Vorleser. Bei beiden mögen die sachlichen Voraussetzungen, der gestellten Aufgabe gerecht zu werden, ähnlich gewesen sein. Aber !) Daß allen vollständigen Handschriften das in Α 84 r 4-6 angekündigte neunte Kapitel im Hundeteil als er bert in dem buch ist vnd nit schyssen mag fehlt, scheint bisher nicht aufgefallen zu sein. Es wurde, da es in keiner Handschrift erscheint, sicher von Münsinger nicht mit übersetzt. Der fehlende Teil entspricht Stadler 1367"-ao. 8b Von Falken, Hunden and Pferden I

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wie verschieden ist das charakterliche Bild, das uns in ihren Arbeiten entgegentritt. Der prahlerische Tardif führte seinen königlichen Herrn und alle seine Leser irre. Er nannte Quellen, die er nie benutzt hatte und verschwieg die Titel jener Bücher, die er nach der Art eines Plagiators skrupellos ausschrieb. Jedes seiner Worte verrät Eitelkeit. Man spürt trotz aller inhaltlichen Unzulänglichkeit in jeder Zeile den brennenden Ehrgeiz des von seinen Gegnern mit Recht so hart verspotteten Mannes, seinen Namen in die Reihe der großen französischen Jagdschriftsteller des 14. und 15. Jahrhunderts gestellt zu sehen. Wie bescheiden und korrekt nimmt sich Münsinger daneben aus. Die Nachrichten über ihn schildern ihn als einen erfolgreichen und geschätzten Arzt, der sich eines großen Rufes erfreute und auf literarischem Gebiet keine Gegner kannte. Er bot auch keine Angriffspunkte. Ehrlich und zuverlässig verwies er auf seine Quellen, nirgends versuchte er mehr für sich in Anspruch zu nehmen als ihm zukam. Wir finden nie bei ihm Zeichen eines falschen Ehrgeizes. Freilich das Schicksal ist launenhaft und oft ungerecht. Während Tardifs Kompilation bis ins 17. Jahrhundert nicht weniger als elfmal gedruckt wurde und den Nachruhm des selbstgefälligen Autors bei einer unkritischen Leserschaft für Jahrhunderte sicherte, blieb unserem Heinrich Münsinger eine solche Anerkennung versagt. Er darf freilich gewiß sein, in historischer Schau besser zu bestehen als sein französischer Kollege. XI Wie stets stellt sich auch hier zum Schluß die Frage nach dem Fortwirken einer Arbeit im jüngeren Schrifttum. Mit einem gewissen Erstaunen haben wir festzustellen, daß Münsingers Werk keinen Einfluß auf die deutsche Jagdliteratur der nachfolgenden Zeit ausgeübt hat. Sicherlich hat der Zufall hierbei eine Rolle gespielt. Münsingers Ubersetzung, die ja nicht ohne weiteres als solche zu erkennen war und deshalb häufig als originelle Arbeit 118

aufgefaßt sein mochte, erfreute sich ihrer größten Beliebtheit und weitesten Verbreitung im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts, also zur gleichen Zeit, in der die ersten Auflagen des Beizbüchleins erschienen. Dieses für den interessierten Laien vergleichbare Werk wurde in jenen Jahrzehnten nach einer der im Umlauf befindlichen Handschriften gedruckt. Hätte sich für Münsingers Albertus-Übersetzung durch glückliche Umstände frühzeitig ein Verleger gefunden, wäre dieses inhaltsreiche Buch einer weiten Verbreitung und einer nachhaltigen Wirkung auf das Schrifttum der folgenden Zeit sicher gewesen. Aber dies war nicht der Fall. Der Druck unterblieb, die handschriftliche Tradition erlosch rasch und keiner der jüngeren Jagdschriftsteller oder Kompilatoren scheint je darauf zurückgegriffen zu haben. Wir finden den Namen Münsingers in der Jagdliteratur der nachfolgenden Jahrhunderte nirgend erwähnt. Zoologen wie Conrad Gesner und Ulysses Aldrovandi entzogen sich zwar nicht der noch immer ungebrochenen Autorität des Albertus, beriefen sich bei ihren Zitaten aber stets unmittelbar auf das lateinische Original. Sie bedurften einer Übersetzung der Vorlage in die Volkssprache nicht. Den deutsch schreibenden Fachschriftstellern aber blieb der Traktat unbekannt. Anders war es auf dem Gebiet der Hippiatrik. Wir hatten gesehen, daß der Roßarzneiteil des Münsingerschen Werkes frühzeitig abgetrennt und selbständig fortgeschrieben wurde. Er lebte im veterinärmedizinischen Schrifttum noch längere Zeit nach. Die Fülle der deutschsprachigen Pferdeheilkunden ist kaum zu übersehen. Vieles ist veröffentlicht, aber noch fehlt es an einer fundierten quellenkritischen Untersuchung vornehmlich für die Zeit nach 1500, in der die verwickelten Zusammenhänge und wechselseitigen Einflüsse sorgfältig ermittelt sind. Münsingers Übersetzung vom Albertus-Traktat De equis mag nachhaltiger fortgewirkt haben als bislang zu übersehen ist. Vorläufig sind unmittelbare Einflüsse nur auf das ins Jahr 1564 datierte erste Roßarzneibuch des Grafen 119

Wolfgang II. von Hohenlohe1) und auf das nur wenig jüngere Pferdearzneibuch des Grafen Friedrich von Württemberg2) nachgewiesen3). Wolfgang II. von Hohenlohe übernahm aus einer guten, weitgehend fehlerfreien Handschrift der x2-Gruppe nahezu alles, was Münsinger im Pferdeteil aus Albertus übersetzte, in sein Roßarzneibuch4). Nur neun Stellen sind bei ihm ohne Entsprechung5). 1 ) Wolfgang Seele, Das erste Roßarzneibuch Graf Wolfgangs II. von Hohenlohe (1564), Diss. Berlin 1932. 2 ) Walter Knobloch, Das Pferdearzneibuch des Grafen Friedrich von Württemberg (1571) Diss. Berlin 1933. 8 ) Vgl. hierzu Karl Hoppe-Elberfeld, Die Veterinärschriften Alberts von Boilstädt, Mynsingers und Wolfgangs II. von Hohenlohe in ihrem Verhältnis zueinander, Beiträge zur Geschichte der Veterinärmedizin 3. Jahrg. 1940/41, Berlin 1941, 321—330. Diese sorgfältige und dankenswerte Arbeit enthält eine Anzahl Irrtümer, die sich allein durch das Fehlen einer kritischen Münsingerausgabe erklären lassen. Hoppe vermißte eine Übersetzung der Ausführungen

des Albertus über die vier Gangarten der Pferde (Stadler 137831—13792) durch Münsinger, zumal sie im Register zum Pferdeteil (A 52r ao ) durch die Worte die sich auch in vierley tviße bewegen mögen angekündigt ist, und meinte(326), es sei „zwingend erwiesen", daß im Laufe der Überlieferung ein größeres Stück, nämlich die Übersetzung von 13 Zeilen lateinischen Textes, verlorengegangen sei. Nachdem sämtliche Handschriften die gleiche Lücke aufweisen, ist anzunehmen, daß diese Stelle der lateinischen Vorlage von Münsinger nicht mit übersetzt wurde. Jedenfalls ist die Vermutung eines Textverlustes in der Handschriftentradition nicht länger aufrecht zu erhalten. Die Auslassung ist wahrscheinlich ebenso bewußt erfolgt wie die Unterdrückung der einleitenden Worte zum Tractatus de equis (Stadler 147716-28), die allerdings inhaltlich durch Münsingers originelle Zutat (A 54 r 5 - 1 8 ) in gewissem Sinne ersetzt sind. Hoppes gequälte Erklärung des Wortes gebresten (A 69 v·) in dem Kapitel Für den vß werffenden wurm (330) konnte nur durch die verderbte Textüberlieferung in D entstehen und entfällt durch die richtige Lesung in A von selbst. *) Die Parallelen ergeben sich aus der nachfolgenden Konkordanztabelle: Münsinger Wolfg. von Hohenlohe A Kap. 52 ν 4 —54v" 1 54· — 55 r " 349 56 t1"» 323

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B e i m G r a f e n Friedrich v o n W ü r t t e m b e r g sind die B e r ü h r u n g s p u n k t e mit M ü n s i n g e r weit geringer. E r wiederholte nur das Münsinger Wolfg. von Hohenlohe 56 r10 —56 ν 1 324 56 V 325 56 ν 1 2 " 1 ' 235 56v l e —57 r 1 · 236 57 r2» —57 v« 237 58 r8 —58 v ' 326 58 r8 —59 v " 315a und b 61t 1 —61 ν 12 371 61 v " —62 r1» 276 62 r14 —62 ν 8 327 ( = 153) 62v»-" 328 6 4 r " —66 r» 306 a—f 66 r 4 " 14 339 66 r 15 —66 ν 11 100a 68 r 11 —69 r» 277 69 ν 1 —'70 ν 8 119a—c 70 ν» —'71 r 14 297 71 r " —71 ν 21 266 a 71 ν 22 —72V1 46 72 ν 2 —'73 r 21 333 a—c 74v 18 —176 r " 299 a—d 761*° —77t1 381 a und b 78 r 11 —79 r " 98 a—c 79 r 18 —79 ν 10 372 5 ) Es fehlen im Roßarzneibuch Wolfgangs II. von Hohenlohe folgende Münsingei-Stellen : 55 r 1 · —55 ν 1 Oder zû dem tritten male . . . gemach gewonet. Vor das vil bluten der pferd. 55 y®"1· 57 v ' —58t' Wan« das pfert den hals nit hin vnd her bewegen mag. 59 ν 14 —60 ν 22 Vnd wer es, das der figwarcz . . . dar uff leget. 62 V1· —64r la Vor die rot hiczig geswulst des pferts . . . 66 ν 1 ' —68r 10 Vor das horn vnd die herte vff dem rucken des pferts. 69 r» —69 ν 8 Es sprechent auch etlich . . . hinwege. 73 r " —74v 12 Wan« das pfert gryndig vnd ridig ist. 77 r 2 —78r 10 Wan« das pferd von kelte an den beinen erstarret vnd reppig ist. 2

1 1

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Kapitel Vor das zweng oder die fife In1) und die auf Münsinger selbst zurückgehende, nicht von Albertus stammende Bemerkung Von dem w o l f f s zantt2). XII Ernesti und Münsinger waren nicht die einzigen, die es unternahmen, Teile des Liber de animalibus des Albertus ins Deutsche zu übertragen, aber die nach ihnen durchgeführten Versuche sind nicht mehr Gegenstand unserer Betrachtungen. Immerhin sind einige kurze Hinweise als Ergänzung zum bereits Gesagten nützlich. Die bedeutsamste Leistung unter den Nachfolgern ist die Übersetzungsarbeit des, wie mir scheint, allzu sehr geschmähten Walther Ryff, dessen Arbeit unter dem Titel Thierbuch Alberti Magni 3 ) im Jahre 1545 in Frankfurt erschien. Dieser Walther Ryff verdiente wahrhaftig eine eingehendere Überprüfung und wohlwollendere Beurteilung seines Lebenswerkes als es bisher geschehen ist. Trotz des Vorwurfs, vor dem Plagiat nicht zurückgeschreckt zu sein, kann Ryff eine gewaltige schriftstellerische Leistung nicht abgestritten werden. Josef Benzing 4 ) wies kürzlich in einer Arbeit, die A 66 r 14 —66 ν 1 1 = Friedrich von Württemberg 697. ") A 56 ν 1 2 - 1 7 = Friedrich von Württemberg 131. s ) Thierbuch. Alberti Magni / Von Art Natur vnd Eygenschafft der Thierer / Als nemlich Von Vierfussigen / Vögeln / Fyschen / Schlangen oder kriechenden Thieren / Vnd von den kleinen gewfirmen die man Jnsecta nennet / Durch Waltherum Ryff verteutscht. Mit jhren Contrafactur Figuren. Hierin« findestu auch viel Artznei krancker Roß vnd anders haußuieheß. Auch wider die schedliche gifft der Schlangen vnd anderer gewürme. Am Ende: Getruckt Zu Franckfort am Main bei Cyriaco Jacobi zum Bart. M.D. XLV. (Benzing 178). 4) Josef Benzing, Walther H. Ryff und sein literarisches Werk, Eine Bibliographie, Hamburg 1959; zu der von Benzing erwähnten Literatur über Ryff darf ergänzend hinzugefügt werden: F. W. E. Roth, Hieronymus Brunschwyg und Walther Ryff, zwei deutsche Botaniker des XVI. Jahrhunderts, Ztschr. f. Naturwissenschaften, 75. Band, Stuttgart 1902.

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für die zukünftige Ryff-Forschung grundlegend bleiben wird, nicht weniger als 194 Drucke nach, die auf ihn zurückgehen, freilich zum Teil erst lange nach seinem Tod erschienen. Ryffs Lebensdaten sind noch immer nicht hinlänglich geklärt. Anscheinend stammte er aus Straßburg. Er erlernte wohl den Beruf eines Apothekers, den er eine Zeitlang in Güstrow in Mecklenburg ausübte. Anschließend kehrte er nach Straßburg zurück, wo er angeblich als Stadtarzt tätig war, vermutlich aber nur als freier Schriftsteller lebte. Seine ersten Werke erschienen unter dem Pseudonym Q. Apollinaris. Sein gewaltiges schriftstellerisches Werk entstand innerhalb eines einzigen Jahrzehnts. Nach sehr intensiver Tätigkeit für zwei Straßburger Drucker siedelte RyfF wohl zu Beginn des Jahres 1544 nach Frankfurt über; von dort ging er noch im gleichen Jahr nach Mainz, ungefähr zwei Jahre später nach Nürnberg und endlich über Kulmbach nach Würzburg, wo er am 29. September 1548 starb und in der Stephanskirche beigesetzt wurde. Seine Ubersetzung des Tierbuches des Albertus Magnus erschien nur ein einziges Mal, was wegen des hohen Aufwandes für die vielen Holzschnitte überraschend ist. Vielleicht hing der wenig befriedigende Erfolg mit der Person des Verlegers Cyriacus Jacob zusammen, bei dem RyfF nur dieses einzige Buch herausbrachte. Es hätte viel besser in das Verlagsprogramm von Ryffs ständigem Auftraggeber, dem wendigen und skrupellosen Christian Egenolff in Frankfurt gepaßt. Dieses Tierbuch ist eine überraschend flüssige, durchaus gewissenhafte und vor allem selbständige Übersetzung der wertvollen letzten fünf Bücher (XXII—XXVI) des Liber de animalibus des Albertus. Ryffs Arbeit verdiente wegen ihres Wortschatzes sowohl eine Neuherausgabe als auch eine kritische Untersuchung. Beachtlich ist vor allem ihre Originalität. Es scheint, daß RyfF durchaus unabhängig arbeitete, jedenfalls wurden Ernestis und Münsingers Übertragungen von ihm nicht benutzt. RyfF muß schon ein guter Kenner des Mittellateinischen 123

gewesen sein, um sich seiner Aufgabe so elegant entledigen zu können. Münsingers Text hat, soweit er auf Albertus zurückgeht, infolgedessen bei Ryff eine vollständige Parallele. Ryffs Verdeutschungen wurden in den Glossarien für die Ubersetzungen Ernestis und Münsingers oftmals herangezogen und mit vermerkt. Fassen wir Ryffs Ubersetzung als die dritte auf, so wurde der Traktat De falconibus — allerdings auch nur dieser — zum vierten Mal durch den Pfarrer Johann Erhard Pacius (1715—1796) ins Deutsche übertragen und im Jahre 1756 zusammen mit einer Ubersetzung des Falkenbuches Friedrichs I I . i n Ansbach gedruckt. Wir dürfen es uns ersparen, über Leben und Leistung des für die Geschichte der deutschen Falknerei so bedeutsamen Geistlichen hier ausführlich zu sprechen, da eine Würdigung von Person und Werk in der Einleitung zu der in Vorbereitung befindlichen Herausgabe eines aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammenden anonymen Ansbachischen Beizbüchleins vorgesehen ist. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, daß Pacius bei seiner Ubersetzung von De arte venandi cum avibus Friedrichs II. wohl selbständig arbeitete, für den angehängten Falkentraktat des Albertus dagegen Ryffs Übersetzung zur Hand hatte und — wie aus Hinweisen in den Glossarien zu Ernesti und Münsinger ersichtlich ist — fleißig benutzte. Ryff ist bei Pacius allenthalben zu spüren. Um der Vollständigkeit willen sei erwähnt, daß Teile aus dem Tierbuch des Albertus noch in neuerer und neuester Zeit ins Deutsche übertragen wurden. *) Fliederich des Zweyten Römischen Kaisers übrige Stücke der Bücher Von der Kunst zu Beitzen, Nebst den Zusätzen des Königs Manfredus aus der Handschrifft heraus gegeben. Albertus Magnus Von den Falcken und Habichten. Uebersetzet von Johann Erhard Pacius, Diaconus und Rect. zu Gunzenhaußen. Onolzbach, Gedruckt bey Christoph Lorenz Messerer, Hoch. Fürstl. privil. Hof- und Canzley-Buchdrucker 1756.

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Friedrich August Ludwig Thienemann1) übersetzte auszugsweise die ornithologisch-systematischen Kapitel aus dem Traktat De falconibus, jedoch nicht dessen umfangreichen veterinärmedizinischen Anhang. Der verdienstvolle Veterinärhistoriker Reinhard Froehner2) widmete sich dem für die Geschichte der Tierheilkunde besonders interessanten Pferdeteil und legte 1937 eine Übersetzung der Hippiatrik des Albertus vor. Wilhelm Wiemes3) lieferte ein Jahr später eine sorgfältige, durch zahlreiche Anmerkungen ergänzte Übertragung des ganzen Tractatus de equis und fügte seiner Arbeit eine wertvolle Stellungnahme zur Quellenfrage bei. Friedrich August Ludwig Thienemann, Kritische Revision der europäischen Jagdfalken, Rhea, Zeitschr. f. d. ges. Ornithologie 1. Heft, Leipzig 1846, 44 ff. a ) Reinhard Froehner, Die Pferdekrankheiten bei Albertus Magnus, Dansk veterinaerhistorisk Samfunds Aarbog 1937. Die von ihm übersetzten Teile entsprechen außer dem auf Aristoteles zurückgehenden 23. Kapitel im VIII. Buch den Textziffern 56—93 im XXII. Buch (Stadler 13798 bis 1399"). 8 ) Wilhelm Wiemes, Die Pferdeheilkunde des Albert von Boilstädt, Diss. Berlin 1938. Wiemes verdeutschte den ganzen Tractatus de equis (Stadler 137715—1399"). Eine Übertragung der Ausführungen des Albertus über die Bedeutung des Pferdes für die Humanmedizin (Stadler 139929—14007) fehlt sowohl bei Froehner als auch bei Wiemes.

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