Von der Natur der Dinge: Band 1 [Reprint 2020 ed.] 9783111468860, 9783111101934


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Von der Natur der Dinge: Band 1 [Reprint 2020 ed.]
 9783111468860, 9783111101934

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T.

LUCRETIUS

Y O N

CARUS

DER

NATUR DER DINGE.

Carmina sublimis tunc sunt peritura E x i t i o terras c u m d a b i t u n a

Lucretii,

dies. O v 11).

MIT DEM

LATEINISCHEN

TEXT

NACH

E R S T E R

WAKEFIELü's

AUSGABE.

B A N D .

L E I P Z I G li e i

G e o r g

J o a c h i m

GÖSCHEN

1 8 2 1.

V

Nicht

O

R

R

ohne Bedenklichkeit,

E

D

ich

E

.

gestehe es,

übergebe ich

gegenwärtige Ubersetzung des Lukrez dem Publicum. Fürs erste sind nur wenige, die den ächten Geist dieses philosophischen Gedichtes beurtheilen könnten; und dann sind seihst Meinungen und Grundsätze darin,

die nicht jedem zu-

lässig, ja manche, die sogar ungereimt scheinen dürften. Was noch hinzukommt, selbst der Geist dieser hohen Poesie, ist beinahe unter uns verschwunden.

Die lehrende Muse zeigt

sich höchstens noch im Trauerspiel; das übrige ist auf leichtes Spiel der Phantasie und Unterhaltung berechnet. So war es nicht immer.

Die Denkmale, die uns Griechen

und Römer in ihren Gedichten hinterlassen haben, deuten gröfstentheils auf eine tiefere Grundlage, die auch selbst in ihren Scherzen und Spielen hervorblickt.

Schönheit galt ihnen vor

allem; aber leere Phantasie war ihnen keine Poesie.

Diese

muíste einen innern Gehalt haben, der auf Sittlichkeit und Natur ögegnindet war. ö

V O R R E D E .

IV

Unter den Piömern hat Lukrez durch sein Gedicht von der Natur der Dinge einen hohen Piang erhalten;

ja sich einen

unsterblichen Namen gemacht. Der feurige Geist des edlen Jünglings strebte nach Wahrheit, und sah sie unter allem Pieitze der Poesie.

Was er selbst

nicht erforschen konnte, das schöpfte er aus den reichen Quellen des Gargettischen Weisen, und trank daraus im Uberflufs. Enthusiastisch eingenommen von den Lehren der Epikurischen Philosophie, noch

die

die damals und zu seiner Zeit wohl auch

konsequenteste

seyn mochte, da sie sich an die

blofsen Naturerscheinungen hinhielt, glaubte er sich im Besitz der vollkommenen Wahrheit; und in dieser Uberzeugung forderte er alle Schätze Einbildungskraft a u f ,

seiner reichen poetischen

Kunst

und

um auch seinen Freund Memmius von

der erkannten Wahrheit zu überzeugen. Edle Seelen vergessen nie der Wohlthaten, die sie empfangen haben, auch der längst Verstorbenen gedenken sie noch mit dankbarem Gemüthe;

so w a r auch er nicht undankbar

gegen die Verdienste seines grofsen Meisters, und suchte ihn sogar bis zum Himmel zu erheben. Obgleich nun die Grundsätze und Lehren desselben nicht immer auf sichern Grundfesten r u h e n , ja zu unsern neuern Erfahrungen und Kenntnissen nur wenig passen, so mtifs man doch den Geist derselben ehren, und den Dichter bewundern, der sie so aufzufassen, und in solcher anscheinlichen Klarheit hinzustellen wufste.

V O R R E D E .

V

Unter dieser Ansicht wird man nicht nur den Inhalt des Lukrezischen Gedichtes zum Theil entschuldigen, sondern man wird auch dem W e r k e selbst das gebührende Lob nicht versagen können. Von der Vortrefflichkeit des Gedichtes, betrachtet, will ich

blofs als Gedicht

weiter keine Rede führen.

Sie ist allge-

mein anerkannt, und obgleich falscher Eifer solche zu verkleinern und herunter zu setzen suchte, so bleibt ihm unter allen Lehrgedichten, die wir kennen, noch immer der glänzendste Vorzug.

Diesen gestanden ihm auch die alten Heroen der Dicht-

kunst zu, und Virgil selbst beweifst durch die häufige Nachbildung seiner Ausdrücke und Verse, wie hoch er den Dichter geschätzt. Indessen hat unter allen Dichtern des Alterthums vielleicht keiner so wenig Sorgfalt und so viel Nachtheil, durch Unkunde oder Verkehrtheit der Herausgeber, erfahren müssen, als eben unser Lukrez.

,

Ein M a n n , von verwandtem Geiste mit dem Dichter, und von trefflicher Gelehrtheit, Gilbert Wakefield, erkannte dieses, und unternahm es den Text von den unsaubern Lesarten zu reinigen, und in seinem alterthümlichen Glänze wieder herzustellen. Ob ich gleich nicht immer seinen Meinungen beistimmen konnte, so habe ich doch das Original von ihm der Ubersetzung beifügen lassen, zu mehrerem Verstandnifs der Sache, und weil solches in Deutschland noch selten ist. Aus Mangel eines Freundes, der mich, besonders in philo-

V Q

VI

R H E D E .

logischer Hinsicht, gehörig unterstützen könnte, hahe ich die Noten weggelassen.

Vielleicht könnten sie zu anderer Zeit noch

erscheinen ; indessen mag die Ubersetzung selbst einstweilen zum Kommentar dienen. Von dem Leben des Dichters weifs man nur wenig.

Er w a r

von edeln Eltern geboren, und aus altem Geschlechte; nicht lange vor den Zeiten des Cicero und des Virgil. D O

Wahrschein-

lieh führte Lukrez, nach den Grundsätzen seines Meisteis Epikur selbst, ein von öffentlichen Geschäften entferntes und zunickgezogenes Leben.

Fromme Manner haben ihm,

vermuthlich

aus heiligem Eifer, oder aus Mangel besserer Uikünden, alberne Mahrchen angedichtet, die dann in der Folge fleilsig nachgeschrieben wurden. Beinahe jede Seite seines Buches zeuget von dem ächtmoralischeri tiefen Sinne des Verfassers;

wir aber wollen

uns

für das iibiige damit begnügen, dafs ihm der ßeinahme Cafus, der G e l i e b t e , allgemein beigelegt worden. Den Hauptinhalt jedes Buches habe ich aus der Meinekeschen Ubersetzung beifügen lassen, damit man sich desto leichter finden könne.

Übrigens beziehen sich die Zahlen in den

Ubersichten immer nur auf den lateinischen Text. Jena am ersten Mai i ß 2 i .

DEN

MANEN

WAKEFIELD'S.

U n t e r den Trümmern Roms, im geweiheten Boden Achaja's, Suchet der Wanderer oft Spuren des älteren Geists; Hat er gefunden das dauernde M a l , ehrwürdig den Zeiten, Stellt er der Nachwelt auf solches zum bleibenden Ruhm. Auch du stelltest ein herrliches Mal der künftigen Zeit auf; Nicht der einzige z w a r , aber der würdigste doch; Und ich hab' es gewagt, in vaterländischen W o r t e n Wiederzugeben den Geist, welcher den Römer erhob: Möge sein dauernder Ruf sich günstig erzeigen für uns auch; M i t ihm unser Bemühn gleiten im Strome der Zeit.

VON

KNEBEL.

U B E R S I C H T

DER

VON

Liieret•

1.

SECHS BÜCHER

DER

NATUR

DES

LUKREZ

DER

DINGE.

a

E R S T E S

B U C H .

M a n hat sich gewundert, wie L u k r e z , den man doch f ü r einen Feind der Götter gehalten hat, gleich zu Anfang seines Werkes, seinen Grundsätzen so u n t r e u , die Göttin Venus zur Schutzgöttin seines Gedichtes anrufen konnte. D i e , welche solche Zweifel anregen, müssen wenig mit den Freiheiten eines Dichters bekannt s e y n , dem alles zu Gebote s t e h t , was ihm zur Verschönerung seines Werkes dienen kann. D a f s L u k r e z hier den Begriff der ganzen Natur in der Person einer Göttin vereinigt darstellt, die man zu seiner Zeit als Göttin der Schönheit verehrte, und der man den Trieb und die Erzeugung aller lebendigen Wesen zuschrieb, das darf keinen w u n d e r n , der die Unbefangenheit seines grofsen dichterischen Geistes erkannt hat. Diese persönliche Darstellung ist nicht etwa ein leeres, dichterisches B i l d ; sie umfafst vielmehr alle G e f ü h l e , welche die reitzende Natur darbietet, und schmückt das Gedicht mit den glänzendsten Farben der Poesie. So mochte es dem Dichter erlaubt seyn, durch die Erhebung der Göttin zur höchsten W ü r d e , als Schöpferin der Dinge, dem römischen Volke, das sich von ihr entsprossen hielt, eine schmeichelnde Erinnerung seines Ursprunges zu geben. U n d nun das Gemälde selbst. Welch ein Anblick! die Göttin k o m m t , und die Wolken weichen vor i h r , die W i n d e legen sich, die Erde streut ihr liebliche Blumen, die Flächen des Meeres lachen ihr entgegen, und der besänftigte Himmel glänzt mit ausgebreitetem Lichte. Alsobald kommen die Vögel hervor, und bringen ihr L i e d ; der Göttin Gewalt durchschüttert ihnen die H e r z e n ; die Thiere der Wildnifs hüpfen durch die A u e n , setzen durch reifsende Ströme, und vom zaubrischen Reitze durchdrungen, folgt ihr alles mit L u s t und brünstigem Verlangen. Diefs ist das Bild der N a t u r selbst im Frühling des Jahres. Es füllt die Brust mit Entzücken.

4

Ü B E R S I C II T

Dieser Gottheit w i d m e t sich der D i c h t e r , denn sie beherrscht alle N a t u r k r ä f t e , und von ihr erwartet er Schutz und Beistand zu seinem Werke. D a f s s i e , um seinem vortrefflichen F r e u n d e Memmius zu gefallen, den W o h l r e i t z seiner Verse noch verdoppeln m ö g e , ist ein herrlicher Z u g ; und das darauf folgende Bild von der Vereinigung der Göttin der Schönheit mit dem Kriegsgotte M a r s , in Bezug auf den f ü r die Römer zu stiftenden F r i e d e n , ist von der anziehendsten S c h ö n h e i t ; längst gepriesen und bewundert. So wollen w i r nun w e i t e r den H a u p t i n h a l t des Gedichtes n u r kurz berühren, u n d die vorzüglichsten Stellen desselben anzudeuten suchen. D e r D i c h t e r f ä n g t vom 4Qsten Verse a n , den I n h a l t seines Gedichtes auszulegen. E r spricht von der N a t u r und den Eigenschaften der G ö t t e r , und zürnt auf die Verbrechen jener R e l i g i o n , die man hier, w i e durchaus in dem Gedichte, f ü r den falschen Aberglauben anzunehmen hat. D i e s e schildert er als ein schreckliches U n g e h e u e r , das sein H a u p t aus den Gegenden des Himmels h e r v o r s t r e c k t , u n d von da mit grafslichem Blick den Sterblichen drohet. E i n M a n n t r i t t a u f , ( E p i k u r u s ) und w a g t dem U n g e h e u e r entgegen zu gehen'. N i c h t s vermag ihn abzuschrecken. E r durchbricht endlich die K e r k e r , w o r i n die N a t u r so lange verschlossen l a g , d r i n g t durch die M a u e r n des W e l t a l l s , u n d bringt uns von da die Kenntnifs, auf was W e i s e diese Z u s a m m e n f ü g u n g der .Dinge möglich g e w o r d e n sey. M i t weiser Vorsicht begegnet hier der D i c h t e r dem V o r w u r f e der G o t t l o s i g k e i t , und dafs seine L e h r e n auf böse W e g e h i n f ü h r e n k ö n n ten. E r leugnet dieses, und beweiset vielmehr durch ein Beispiel, w i e verderblich die Folgen einer falschen Religion seyn können. H i e r das O p f e r der Iphigenia. D i e G e g e n w a r t des Vaters, die Priester mit dem M o r d s t a h l , die ' T h r ä n e n in den Augen des V o l k e s ; die J u n g f r a u selbst, die zitternde, o h n m ä c h t i g e ; ergriffen von Händen der M ä n n e r , die sonst keine J u n g f r a u b e r ü h r e n d u r f t e n ; das casta inceste n e b e n e i n a n d e r g e s t e l l t ; sie, die Erstgeborene des K ö n i g s ; nahe ihrem B r a u t t a g e ! — das sind Bilder und W o r t e , die jedes Herz in B e w e g u n g setzen müssen. V. u o . N u n kömmt der D i c h t e r auf die F u r c h t vor den ewigen H ö l l e n s t r a f e n , w e l c h e F u r c h t er meist doch nur aus U n k u n d e von der N a t u r unseres Geistes herleitet. H i e r beschuldigt er noch den D i c h t e r E n n i u s , dem er sonst ein

DES

E R S T E N

BUCHS.

5

vortreffliches L o b ertheilt, dafs er doch auch diesen Träumereien nachgehangen habe. E r w i l l daher nebst den übrigen Gegenständen , die Natur des Geistes und der Seele genauer erforschen; die Erscheinungen untersuchen, die uns zuweilen w i r k l i c h das B i l d der L ä n g s t v e r storbenen w i e gegenwärtig vorstellen K l a g e über die Schwierigkeiten seiner Sprache , die Erforschungen der Griechen in lateinischen Versen vorzutragen. Aber der Preifs seiner Bemühungen sey die Tugend seineä Freundes, das erhoffte Vergnügen seiner süfsen F r e u n d s c h a f t , die ihm jede Arbeit leicht m a c h e , und ihn Nächte zu durchwachen heifse, um die W o r t e zu finden, die seinem Geiste klare B e g r i f f e g e b e n , und ihm verborgene D i n g e enthüllen möchten. D e n n nur reine Ansicht der Natur und gründliche E r w ä g u n g der D i n g e zerstreuen jene Nebel des Geistes. V . 1 5 1 . Hier fängt der D i c h t e r an seinen ersten Grundsatz fest zu stellen: ,, dafs nämlich aus Nichts nichts entstehen k ö n n e . " D e n B e w e i s dieses Satzes führt er auf sinnreiche Art durch mancherley Argumente, die zugleich B e w e i f s e sind seines tiefen Sinnes und des R e i c h thums seiner E i n b i l d u n g s k r a f t . D i e schönen Verse von V. 2 5 1 a n , werden keinem e n t g e h e n , der Sinn d a f ü r hat. — V. 270. Aber es giebt auch K ö r p e r , die w i r nicht sehen und doch e m p f i n d e n ; w i e zum Beispiel die W i n d e , deren G e w a l t der Dichter höchst poetisch beschreibt. So auch die G e r ü c h e . D i n g e nehmen ab und verzehren s i c h , ohne dafs w i r die abnehmenden T h e i l e bemer.ken. M e h r e r e Beispiele poetisch ausgeführt. — D i e N a t u r f ü h r t ihr W e r k aus durch verborgene Körper. V . 330. Aber nicht alles hält dicht gedrängt zusammen. E s giebt auch ein L e e r e s . D a s zu wissen ist von höchster W i c h t i g k e i t . Gab* es ein solches nicht, so könnte nichts fortrücken nichts gedeihen noch sich bewegen. Mehrere sinnreiche B e w e i f s e hievon. Alles bezieht sich in der Natur auf zwei D i n g e , auf K ö r p e r und Leeres. D i e s e sind stets mit einander verbunden. Alles übrige, welchen Namen man ihm auch g i e b t , ist nur Z u s t a n d oder E r e i gn i f s dieser beiden. V . 460• K ö r p e r sind theils die ersten, die Urkeime der D i n g e , tlir-.ils aus diesen zusammengesetzte. J e n e sind von einfacher dichter N a t u r , unveränderlich und unvernichtbar, können durch keine G e w a l t aufgelöset oder zerstört werden, und sind daher e w i g ; diese hingegen, mit dem L e e r e n v e r m i s c h t , sind a u f l ö f s b a r und also vergänglich.

6

Ü B E R S I C H T

V . 540. Fernere B e w e i f s e des L e e r e n , durch vielerlei Ansichten und Gründe unterstützt. D i e M a t e r i e ist von ewiger D a u e r , sonst w ä r e vielleicht alles schon wieder in's Nichts übergegangeti. Aber die Stoffe erhalten das D a s e y n der D i n g e , und bringen e s , durch Vermischung mit dem L e e r e n , immer wieder zu neuer Gestalt und Blüthe. V . 593. N o c h giebt es auch in den D i n g e n ein K l e i n s t e s , sonst müfste sich alles in unendliche Theile auflösen lassen. V . 676. V o n den E l e m e n t e n . W i e verschieden diese v o n andern angegeben worden. H e r a k l i t u s nimmt das F e u e r als ersten Grundstoff aller D i n g e an , und w i r d deshalb scharf getadelt. V . 7 1 7 . Grofses L o b des E m p e d o k l e s . — D i e ganze Insel S i c i l i e n , sein Geburtsland, mit allen seinen W u n d e r n und Schätzen, w i r d diesem grofsen Manne gleichsam zur Fufsstelle hingesetzt, w o rauf E r zu höchst steht. Treffliche Schilderung dieser Insel und des B e r g e s Aetna. V . 735. D o c h hat auch E r und mehrere seiner N a c h f o l g e r geirrt, indem sie vier Elemente annahmen. V . 743. V i e l f ä l t i g e E i n w ü r f e dagegen. V . ö3o. N u n zu der Homöomerie des A n a x a g o r a s . D i e Unmöglichkeit derselben w i r d mit scharfem Urtheile bewiefsen. Alles w a s besteht, besteht seiner Gestalt nach, aus fremden Theilen. Schöne B e i s p i e l e aus der Natur. N u r das verschiedene Verhältnifs der S t o f f e zu einander b e w i r k t die Verschiedenheit der Körper. V . 920. N u n nimmt der Dichter einen neuen S c h w u n g . E r f ü h l t die S c h w i e r i g k e i t der D i n g e ; aber die grofse H o f f n u n g des L o b e s hat ihn mit dem Thyrsus durchbohrt, und zugleich in sein Herz die süfse L i e b e der Musen e i n g e f l ö f s t , w o d u r c h er angetrieben, mit regem Geiste die pierischen Gefilde? durchwandelt, die noch kein F u f s betreten hat. E r sucht neue Quellen a u f , um daraus zu schöpfen ; neue B l u m e n w i l l er b r e c h e n , um sich daraus einen K r a n z zu w i n d e n , den die M u s e noch keinem D i c h t e r verliehen hat. E r erklärt hierauf die W e i s e seines V e r f a h r e n s ; w i e er v o n grofsen D i n g e n r e d e , L i c h t in das D u n k e l bringe, und zuletzt alles mit der Anmuth der Musen ausschmücke: hierin den geschickten Aerzten ähnl i c h , w e l c h e den Kindern den bittern, aber heilsaipen S a f t im honigbestrichenen Becher darreichen. Gleichermafsen scheint es ihm nöthig, der widersetzlichen und unverständigen M e n g e die L e h r e n der W a h r h e i t , gleichsam mit dem Honig der M u s e n b e s p r e n g t , einzuflöfsen, und die Natur in ihrer Schönheit darzustellen.

DES

ERSTEN

BUCHS.

V . 957. D a s A l l ist unendlich. N i r g e n d , von keiner Seite hat es ein Aeufserstes oder Gi'anzen, Herrliche Gleichnisse. N i m m , es hätte G r ä n z e n , und du würdest einen Pfeilschützen auf den äufsersten R a n d derselben hinstellen, w ü r d e nicht der abgedrückte P f e i l entweder ein Hindernifs finden, weiter f o r t zu fliegen, oder auf den Schützen zurückkehren ? Beides zu denken w ä r e ungereimt. N u n folgen mehrere Gründe, aus der V e r n u n f t und Natur genomm e n , mit ausnehmender Beredsamkeit vorgetragen. V . 1050. Z u l e t z t sucht der D i c h t e r noch die M e i n u n g derjenigen u m z u s t o ß e n , welche g l a u b e n , dafs a l l e s , aufser den feineren L ü f ten und dem F e u e r , nach dem Mittelpunkte des Ganzen h i n s t r e b e ; das übrige aber sich nach der E r d e d r ä n g e , die d a n n , auf sich selbst gestützt, auch unter ihr T h i e r e und G e s c h ö p f e ernähre, und ihren eigenen Himmel h a b e ; das F e u e r hingegen und die feinere L u f t flöge in die höheren R e g i o n e n , und sammle sich daselbst, und baue die M a u e r n der W e l t , d i e , w e n n sie einmal aus einander sprängen und z e r f l ö g e n , den allgemeinen R u i n der ganzen W e l t nach sich reifsen würden. . . . D i e s e bestreitet und verspottet e r , und schliefst mit prächtigen Versen.

Z W E I T E S

BUCH.

W e r vom hohen Felsen auf dem vom Sturme durchwühlten M e e r e ein nothleidendes Schiff sieht, der kann sich erfreuen, nicht ob dem U n f a l l anderer, sondern w e i l er sich selbst von diesen Bedrängnissen befreit fühlt. Gleichermafsen ist es angenehm, die streitenden Schaaren der Krieger aus der F e r n e zu schauen, gesichert vor eigenen Gefahren. A b e r süfser ist nichts, als die von den W e i s e n hocherbauten, wohlbefestigten T e m p e l zu b e w o h n e n ; w o du hinab kannst sehen auf andere, w i e sie im Irrthum schweifen und den W e g des L e b e n s vergeblich s u c h e n ; T a g und Nacht arbeiten, Reichthümer zu erwerben , sich zu M a c h t und Herrschaft empor zu heben.

8

Ü B E R S I C H T

O die a r m e n , blinden M e n s c h e n ! wie verderben sie sich selbst den kurzen Moment des L e b e n s ! Sehen sie denn n i c h t , dafs die Natur nichts weiter fodert, als dafs wir, vom Schmerze befreit, ohne F u r c h t noch Sorge des heitern Sinnes geniefsen mögen? W e n i g nur verlangt sie zur Unterhaltung des Körpers; j a , sie reicht zuweilen Ergötzlichkeiten d a r , mehr als w i r selbst zu fodern scheinen. Halten nicht goldene Jiinglingsgestalten, im Gold - und Silbergeschmuckten Saale, flammende Fackeln empor, den nächtlichen Schmaus zu erhellen; schallt nicht Cithergesang von getäfelten Wänden w i e d e r : nun so lagert man sich unter dem Schatten hoher Bäume, neben dem rieselnden B a c h , auf weiche Rasen h i n , pfleget des Körpers f r o h , auch ohne grofsen Reichthum. Sonderlich dann, wann die Jahreszeit lacht, und mit bunten Blumen die grünenden W i e s e n überstreuet. W a h r l i c h , das Fieber weicht nicht schneller von gemahlten und purpurnen D e c k e n , als wenn du dich in gemeines Gewand einhüllst. M ö g e n daher nicht S c h ä t z e , noch Ehren der W e l t , etwas zum W o h l des Körpers beitragen, so möchten sie wohl noch weniger zur Befriedigung des Gemuthes hinreichen. Müfste denn s e y n , dafs wenn du deine Heerschaaren auf dem Marsfeld umherschweifen siehst; deine Flotten durch die Meere schwimm e n , dafs dann sich der erschrockene Aberglaube und die Furcht vor dem T o d e dir aus der Brust entfernen, und diese frei lassen möchten. Findet sich aber, dafs dieses nur Tand und Kinderspiele s i n d ; dafs die Furcht in dem M e n s c h e n , dafs die verfolgende Sorge sich nicht vor dem Schalle der Waffen scheut, noch vor wildem Geschosse, sondern kühn unter Könige tritt und unter der Länder Beherrscher, unverblendet vom Goldglanz und vom Purpur ihres Kleides: dann sieht man klar ein, dafs diefs alles nur wenig h e l f e ; zumal da dieses L e b e n noch so tief in Finsternifs l i e g t , und w i r , wie die Kinder im Dunkeln, so bei hellem L i c h t e des Tages, vor jeder Kleinigkeit erzittern und beben. D i e s e Schrecken des Geistes jedoch und diese Finsternisse können nur durch freie Ansicht der Natur und Erkenntnifs der D i n g e zerstreuet werden.

DES

ZWEITEN

BUCHS.

9

Ich habe den A n f a n g dieses zweiten Buches etwas umständlicher und paraphrastisrher hergesetzt, damit man seine ganze Schönheit übersehen möge. N o c h w i r d man mir erlauben, demselben einige Bemerkungen beiz u f ü g e n . So trocken dieses B u c h vielen s c h e i n t , und in der T h a t auch w e n i g Anziehendes f ü r die meisten h a t , so mufs man immer K u n s t und Geschicklichkeit in demselben bewundern. E s w a r nämlich keine leichte A u f g a b e f ü r den D i c h t e r , das w u n d e r l i c h e , und wenn man w i l l , chimärische System von Entstehung der W e l t aus A t o m e n , einigermafsen sinnlich und zusammenhängend darzustellen. W i e vieles muiste er sich dabei e r d e n k e n , und w i e schön hat er es dennoch durch Gleichnisse, Bilder und Stellen zu erheben g e w u f s t ! — D i e s e s b e w o g vielleicht den nicht zu günstigen Cicero, dem D i c h t e r den R u h m der K u n s t nicht abzusprechen; ja Quintilian gesteht ihm selbst E l e g a n z zu. Uebrigens lassen w i r uns h i e r , w i e a n d e r w ä r t s , durchaus nicht auf das System e i n ; sondern w i r loben und bewundern nur den M e i ster, der solchen Gegenstand so herzustellen g e w u f s t hat. V . 6 1 . H i e r fängt nun der Dichter a n , die E i g e n s c h a f t e n dieser ersten K ö r p e r , Stoffe oder A t o m e n , näher auszulegen. Z u e r s t spricht er von den B e w e g u n g e n , wodurch sich die K ö r per der Materie erzeugen, oder w i e d e r a u f l ö s e n ; von der K r a f t , die sie t r e i b t ; von ihrer Schnelligkeit, durch's w e i t e L e e r e zu gehen. E r ermahnt seinen Memmius zur Aufmerksamkeit. V . 65. Keine Materie hängt dicht gedrängt zusammen. Dinge nehmen z u , und nehmen ab. W i r sehen , w i e Alles sich verzehret, und gleichsam zuletzt aus den Augen verschwindet. Aber die" Summe des Ganzen bleibt unveränderlich s t e h e n ; denn w a s hier abgeht, setzt sich dort w i e d e r an. Jenes veraltet, dieses blüht auf. S o wechselt und verändert sich alles. W i r borgen gleichsam nur das L e b e n v o n andern; w i e jene L ä u f e r der B a h n , bei den Festspielen d e r ' A t h e nienser, nimmt einer die F a c k e l aus der Hand des andern. V . 79- ^ " i g und ungereimt wäre es zu sagen , die Stoffe v e r w e i l ten in ihrem L a u f . D a sie sich im L e e r e n b e w e g e n , so treibt sie entweder eigene S c h w e r e , oder der Stöfs von andern. Auch giebt es ja in dem unendlichen L e e r e n kein Oberstes noch Unterstes. Sie werden von allen Seiten getrieben, haben keine R u h e , und stofsen und verwickeln sich auf mancherlei Art. So bilden sie hier Felsen Lacret.

I.

b

io

Ü B E R S I C H T

und starres E i s e n ; dort die dünne L u f t und. das glänzende L i c h t der Sonne. V. ioß. Noch viele andere schwärmen frei im Leeren umher, die keine Verbindung getroffen haben. Hier das Beispiel von den Sonnenstäubchen , deren geheime und verborgene Triebe auf eine anziehende Kraft hindeuten k ö n n t e n , die aller M a t e r i e eigen zu seyn scheint. V. 141. Nun ihre schnelle Bewegung. Sie ist w e i t schneller als die Strahlen der Sonne. Ein schönes Bild von der aufgehenden Sonne. V. 167. Hier ein Ausfall auf diejenigen, welche glauben, es müsse alles durch Hülfe der Götter entstanden seyn. Der Dichter glaubt behaupten zu können, dafs dieser W e l t b a u nicht durch göttliche M a c h t f ü r uns erschaffen s e y , da er so viele Mängel noch in sich trägt. Er verspricht anderswo sich hierüber zu erklären. V. iß4- Dafs kein Körper von sich selbst in die Höhe s t e i g e ; mehrere Argumente. V. 216. Abweichung der Atome im Niederfallen. Daher entsteht die Veränderung in den Dingen. Selbst das Schicksal, und der freie W i l l e des Menschen. Dieser zeiget sich sogar bei den T h i e r e n ; aber er wohnet in der Brust des Menschen und könne auch äufserer Gewalt und selbst dem Schicksal widerstehen. V. 294. Die Beschaffenheit und B e w e g u n g der Atome bleibt sich immer gleich. Die Summe der Dinge nimmt nicht a b , noch zu. V. 303. W a r u m uns, bei beständiger Bewegung der Dinge das Ganze doch in Ruhe zu bleiben scheint. Gleichnisse. Warin du auf der Höhe eines Berges stehest, und eine Heerde Schaafe in der Ferne weiden siehst, so bemerkest du gleichsam nur einen stehenden weifsen Fleck auf dem grünen Hügel. Ingleichen scheint dir ein Trupp Reuter, der im Anlauf ist, aus derselben Höhe , nur w i e ein Blitzstrahl auf den Feldern. Diese beiden Gleichnisse sind schön ausgemahlt; jenes mit Zarth e i t , dieses mit Kraft. V. 333. Nun kommt der Dichter auf die verschiedenen Formen und Figuren der Urkeime oder Atome: Sie sind unendlich an Zahl und Verschiedenheit. Diese Verschiedenheit ist nicht nur in den Geschlechtern, sie theilt auch die Individuen auseinander. W i e könnte sonst die Mutter ihr K i n d , das Kind die Mutter e r k e n n e n ? Treffliches und rührendes Bild einer M u t t e r , die ihr zum Opfer

DES

Z W E I T E N

BUCHS.

geschlachtetes Kalb sucht. Sie durchstreift die T r i f t e n , die Büsche, um ihren Säugling zu erspähen. Nun f ü l l t sie den W a l d mit Klag e n ; kehrt oft wieder zurück zum Stalle, um da ihn zu finden. Nicht die zarten W e i d e n , keine Kräuter reitzen sie mehr. N i c h t die am hohen U f e r hinstreichende F l u t h mag sie ergötzen, noch ihr Gemüth vom Kummer erlösen. Selbst die Z u c h t anderer Heerden auf der F l u r kann sie nicht zerstreuen: so sehr hängt ihr Herz an dem E i genen, an dem B e k a n n t e n ! — W e l c h e s G e m ä h i d e ! o ' Auch das stöfsige Böckchen erkennt die M u t t e r , auch das springende L ä m m c h e n . Alle treibt die Natur an die Brust hin die ihnen eigen ist. V . 3 7 i - E b e n den Unterschied bemerken w i r auch an den Getraidearten, Früchten, Muscheln und anderm. Jedes Einzelne ist verschieden von dem andern. Gleiches w e n d e t nun der D i c h t e r auf alle K ö r p e r der Natur an, deren wesentlicher Unterschied durch die V e r schiedenheit der F ü g u n g e n und F i g u r e n der Stoffe besteht. So mag auch das F e u e r des Blitzstrais aus kleinern und feinern Stoffen bestehen, als unser gewöhnliches F e u e r aus L a m p e n und Fackeln. D a s L i c h t geht durch K ö r p e r , durch w e l c h e das W a s s e r nicht dringt. H o n i g besteht aus glatten und runden Stoffen. Selbst w a s die Sinne auf angenehme oder w i d r i g e Art berührt, das l i e g t in der Beschaffenheit der Stoffe. Mehreres hierüber hat der D i c h t e r w e i t l ä u f t i g und zierlich ausgeführt. V o m 523. Vers an sucht er seinen Vortrag noch gefälliger zu m a c h e n , indem er l e h r t , dafs zwar die Stoffe aller A r t , von allen S e i t e n , durch unaufhörlichen T r i e b , aus dem unbegrenzten A l l herb e i f l ö g e n ; jedoch aber gewisse Arten und F i g u r e n derselben in manchen Gegenden sich seltner, in manchen häufiger fänden. Hieraus beweifst er die Seltenheit mancher Thiere und G e s c h ö p f e , die sich an gewissen Orten häufiger erzeugen. H i e r f ü h r t er uns den Elephanten vor mit dem Schlangenrüssel. Seine Z a h l ist in Indien zu T a u s e n d e n , und er umgiebt das L a n d gleichsam mit einem elfenbeinernem W a l l . D o c h sieht man derselben bei uns nur w e n i g e , gleichsam nur als Muster. V . 552. Um seinen Gegenstand näher zu bezeichnen und die F o l gen eines ungeordneten H i n w u r f s der S t o f f e anzudeuten, stellt er uns abermals ein B i l d v o r : Einen Sturm im M e e r e ; die gescheiterten S c h i f f e , R u d e r b ä n k e , S t e u e r , S e g e l , M ä s t e , w i r f t das erzürnte

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Ü B E R S I C H T

M e e r w e i t h i n an alle Küsten der E r d e , dafs sie den Menschen ein warnendes Zeichen seyn sollen, nie den schmeichlerischen ungetreuen W o g e n zu vertrauen. Diesem vergleicht der D i c h t e r die hin und hergeworfenen M a s sen der M a t e r i e , die sich zerstreuen w ü r d e , w e n n nicht eine unzählige Z a h l der Stoffe von jeder Gattung vorhanden wäre. W a r e sie es n i c h t , so könnten die D i n g e , die aus der begrenzten Art entstand e n , nie wieder hergestellt werden. So dauert aber der W e c h s e l der verschiedenen Gattungen ewig f o r t , um das immer w i e d e r aufs neue herzustellen, was verloren gegangen ist. Hier der T o d , dort neues L e b e n . J e d e r T a g vernimmt das W i m m e r n des Säuglings eingemischt in die K l a g e um den Todten. Y . 5 0 i . Nichts kann aus Stoffen einerlei Art entstehen. D i e M a n n i g f a l t i g k e i t derselben bringt die M a n n i g f a l t i g k e i t der D i n g e hervor. Y . 589- So ist unsre E r d e . Sie besteht aus den mannigfaltigsten S t o f f q n , und bringt alle D i n g e hervor. Darum haben sie auch die alten Dichter der Grajen als Mutter der Götter und Menschen und aller lebendigen Wesen verehrt, und ihr zu E h r e n feierliche Feste gegeben. D e r D i c h t e r beschreibt dieselben mit wahrem dichterischem Pomp, und f ü g t noch hohe Sprüche der W e i s h e i t seiner Erzählung bei. V . 640. I j u k r e z erkennt die Vortrefflichkeit dieser Vorstellungen, ob sie gleich von der wahren Beschaffenheit der D i n g e abweichen. S i n n und E m p f i n d u n g könne man der E r d e nicht beilegen; w o l l e man jedoch das M e e r , N e p t u n u s , das G e t r a i d e , C e r e s , den W e i n , B a c c h u s , n e n n e n , so habe er nichts dagegen, w e n n man auch die E r d e die grofse M u t t e r der Götter benennen w o l l e . V . 659. O f t trifft man auf einet W i e s e verschiedne weidende T h i e r e a n ; W o l l e n h e e r d e n , R i n d e r , R o s s e , die unter demselben Himmel leben und dieselbe Nahrung geniefsen. D o c h sind sie an Gestalt, Art und W e i s e sehr verschieden; und erhalten Art und Sitten ihrer E l tern. So grofs mufs die Verschiedenheit der Stoffe in jeder Art P f l a n zen s e y n ! S o enthält auch das Holz verschiedenartige T h e i l e , R a u c h , Flamme und Asche. Auch finden w i r D i n g e , die zugleich mehrere Eigenschaften in sich enthalten, z. B . die des Geruches und Geschmacks zugleich. Dieses kommt auch zum Theil aus der verschiednen Verbindung und Zusammensetzung; so w i e du auch in diesen Versen bemerken kannst, dafs dieselben Buchstaben durch verschiedne Zusammensetzung verschiednen Sinn und Bedeutung erhalten.

DES

Z W E I T E N

BUCHS.

i3

V . 700. D o c h mufs man nicht g l a u b e n , dafs alles auf alle A r t könne verbunden werden j sonst würden w i r Ungeheuer von mancherlei Gestalt vor uns sehen. N e i n , alles besteht aus bestimmtem Samen, von bestimmter M u t t e r , damit es im F o r t w u c h s sein Geschlecht erhalten möge. V . 724. D i e Verschiedenheit der Stoffe b e w i r k t auch Verschiedenheit der Z w i s c h e n r ä u m e , G ä n g e , V e r b i n d u n g , B e w e g u n g und des Gewichts. D a d u r c h werden nicht allein die lebenden Geschöpfe, dadurch w i r d auch Himmel und E r d e getrennt. V. 729. N u n zu dem Unterschied von den Farben. D i e s e hat der Dichter mit F l e i f s untersucht. D a s W e i s s e besteht nicht aus weissen S t o f f e n , noch das S c h w a r z e aus s c h w a r z e n , so w i e keine F a r b e aus den ähnlichen. D i e Stoffe haben keine F a r b e . B e w e i s e hievon. D i e W o g e n des blauen Meeres werden w e i f s , w e n n der Sturm sie b e w e g t . D a s könnten sie n i c h t , w a n n die Stoffe blau wären. So verändern sich auch die Farben an dem Halse der T a u b e n , am S c h w e i f e der Pfauen. D e r verschiedene W u r f des L i c h t e s b e w i r k t es. W a n n die S t o f f e selbst von verschiedener Farbe w ä r e n , so w ü r d e man nicht die bestimmte Farbe an den Theilen gewisser Thiere finden. W i r w ü r d e n weisse R a b e n s e h e n , und schwarze S c h w ä n e ; zuweilen auch bunte. Auch bemerkst d u , w a n n du Körper in ihre kleinsten T h e i l e zerl e g s t , dafs diese die Farbe verlieren. S o verliert das G o l d seinen Glanz , der P u r p u r seine Rothe. Ü b r i g e n s , da du nicht allen Körpern Ton und Geruch einräumst, so kann es auch K ö r p e r geben , die du nicht sehen kannst. Aber nicht allein der Farbe sind die Stoffe b e r a u b t , sondern auch der K ä l t e , der W ä r m e , des Schalles und des Geruchs. S o , w a n n du wohlriechende Salben aus Narden oder andern E l ü then bereiten w i l l s t , suchst du das reinste Oehl a u s , um nicht fremde Gerüche darunter zu mischen. Alles andre Zerbrechliche oder A u f l ö s l i c h e ist w e i t von den Stoffen entfernt. V . 864. N u n b e w e i f s t der D i c h t e r , dafs das E m p f i n d l i c h e aus U n empfindlichem hervorkomme. Aus dem stinkenden M i s t kommen bei nasser Witterung lebendige Maden hervor. W a s s e r , L a u b , K r ä u t e r , wandeln sich in T h i e r e ; das Fleisch der

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Ü B E R S I C H T

Thiere in menschliche K ö r p e r ; Raubvögel.

diese o f t in L e i b e r w i l d e r Thiere und

So verwandelt die Natur alle Speise in lebende K ö r p e r , und daraus erzeugt sich Sinn und E m p f i n d u n g . Nicht anders verkehrt sich trocknes H o l z in Feuer und Flamme. U n d endlich, was ist d a s , was unser Gemüth selbst rührt und bew e g t ? w a s so mancherlei E m p f i n d u n g e n in uns h e r v o r b r i n g t , w e n n du das E m p f i n d l i c h e nicht aus dem Unempfindlichen hervor gehen lassest. — Nun wiederholt der Dichter nochmals, dafs er nicht aus allem Unempfindlichen Empfindliches hervor gehen lasse; als aus H o l z , S t e i n e n , E r d e u. d e r g l . , sondern dafs es darauf ankomme, von w e l cher Beschaffenheit und Gröfse die Stoffe s e y e n , welches ihre F i g u r , L a g e und B e w e g u n g , und die Verbindungen unter einander. So geht er nun w e i t e r in seinen folgereichen Sätzen f o r t , und beleuchtet sie auf gar mancherlei Weise. V . 990. Zuletzt ruft er gleichsam aus: sind w i r denn nicht alle aus himmlischem Samen erzeugt ? haben w i r nicht alle E i n e n Vater, von dem die gütige E r d e die feuchten Tro'pfen empfängt; woraus sie glänzende Saaten g e b i e r t , f r ö h l i c h e B ü s c h e , und zuletzt das Menschengeschlecht und alle Geschlechter der T h i e r e ; denen sie ihr Futter r e i c h t , w o d u r c h sie ihre L e i b e r nähren, ein süfses L e b e n f ü h ren , und ihr Geschlecht fortpflanzen. Z u r ü c k zur E r d e w e i c h t , was von ihr entstanden i s t ; was v o n dem Himmel k o m m t , steigt wieder zu seinen gestirnten W o h n u n g e n empor. Nichts vernichtet der T o d gänzlich, nur die Verbindungen werden zerstreut. V . 1022. N u n nimmt der D i c h t e r einen hohen F l u g zu neuen, noch unerhörten D i n g e n . Vorher eine kleine Ausschweifung. N ä m l i c h , -dafs kein D i n g so leicht zu begreifen s e y , das nicht anfänglich Z w e i f e l und Widerspruch e r r e g e ; und wieder nichts so wunderbar und g r o f s , w o r ü b e r sich nicht nach und nach die B e wunderung vermindere. S o , die reine und klare Farbe des H i m m e l s , ' die Pracht seiner Gestirne, der herrliche Glanz der Sonne und des Mondes. Alle diese D i n g e , w e n n sie jemand zuerst und von ungefähr sehen w ü r d e , was w ü r d e er bewunderungswürdiger finden k ö n n e n ? E t w a s , das niemand nur gewagt hätte zu glauben? — U n d nun, gesättigt und ermüdet von dem A n b l i c k , w ü r d i g t kaum einer einmal zu den lichten Gewölben des Himmels emporzuschauen.

DES

Z W E I T E N

BUCHS.

i5

Deshalb sagt er zu seinem M e m m i u s , w o l l e du dich nicht durch die Neuheit der Sache erschrecken lassen , noch meine Gründe verwerf e n ; sondern sie desto genauer p r ü f e n , und findest du sie w a h r , so reiche mir die H a n d ; scheinen sie dir hingegen f a l s c h , so rüste du dich gegen m i c h ! — N u n zur S a c h e ! Nämlich es fragt sich das G e m ü t h , da noch aufser den Mauern dieser W e l t ein unendlicher R a u m ist, was w o h l dort seyn m ö g e , w o h i n der Verstand b l i c k e n , und einen freien W u r f seines Gemuthes hinrichten k ö n n e ? D a n u n , w i e w i r schon anfänglich gelehrt h a b e n , das Ganze keine Grenzen h a t , w e d e r oben, noch u n t e n , noch an i r g e n d e i n e r S e i t e ; w i e auch dieses die Natur der Sache selbst a u s w e i f s t ; so ist es auf keine W e i s e w a h r s c h e i n l i c h , (da von allen Seiten ein unendlicher R a u m offen s t e h t , auch die Z a h l der Stoffe unendlich i s t , die durch e w i g e R e g u n g auf mancherlei W r eise u m h e r s c h w ä r m e n ) , dafs nur dieser einzige E r d k r e i s und dieser einzige Himmel entstanden. D a h e r ist es nothwendig einzugestehen, dafs auch anderwärts ähnliche Verbindungen der Materie vorhanden seyen, durch welche unsre gegenwärtige W e l t besteht; andere E r d e n , b e w o h n t von Menschen und Thieren. Diesen Gedanken v e r f o l g t L u k r e z nun w e i t e r ; auch aus dem G r u n d e , dafs in der Natur kein D i n g sey, das sich nur einzig e r z e u g e ; einzig© und allein in seiner Art. Hierauf kommt er auf die B e h a u p t u n g , dafs diese Natur frei und durch sich selbst da s e y , und findet es lächerlich, dafs man die R e g i e rung aller dieser unermefslichen D i n g e einer einzigen Hand anvertrauen w o l l e , w o doch so mancherlei D i n g e dem W i l l e n eines E i n z i gen widersprächen. V . 1 1 0 4 . N u n folgen noch mehrere Betrachtungen über den B a u dieser W e l t : dafs nach erster Entstehung derselben noch mehrere Theile können hinzugekommen seyn, auch vieles wieder im Abnehmen sey. D a z u f ü h r t er Ursache und Beispiele an ; schliefst aus diesen G r ü n d e n , dafs die E r d e zuletzt sich ganz erschöpfen und zerfallen werde. Schon jetzt bemerke man die Abnahme in vielen Dingen. Er m e i n t , die E r d e habe sonst w e i t gröfsere Menschen hervorgebracht. Kräuter und Früchte seyen w e i t üppiger gewachsen. D e r Landmann habe weit w e n i g e r Arbeit und M ü h e g e h a b t , und er seufze nun o f t , wann er die gegenwältige Z e i t mit der vorigen v e r g l e i c h e , w o dip Menschen noch frömmer g e w e s e n , und bei geringerm U m f a n g des Ackers w e i t glücklicher und zufriedner leben konnten.

16

Ü B E R S I C H T

D R I T T E S

BUCH.

Y . i. D e r Dichter bricht aus in L o b und Bewunderung seines Meisters Epikurus. E r glaubt ihm allein alles schuldig zu seyn, und nur aus L i e b e zu ihm sucht er ihn nachzuahmen. M i t kindlicher E h r f u r c h t preifst und erhebt er seine goldenen Aussprüche. Seine L e h r e von der Natur der D i n ooe habe sich nicht sobald kund gethan, so seyen die Schrecken der Seele entflohen; die Sitze der Götter haben sich aufgeschlossen, w o e w i g e Ruhe und Zufriedenheit herrscht. Nirgends erblicke man mehr die Schlünde des Acherons; denn auch alles unter uns sey klar und aufgedeckt. Hiebei nun ergreife ihn himmlische L u s t und Schauder, w e n n er b e d e n k e , dafs s o , durch die K r a f t seines Geistes, die gänze Natur sich enthüllt habe. V . 15. Bei diesem Verse eine kleine Bemerkung. Gegen alle Autorität der Handschriften, w i e W a k e f i e l d deutlich bewiesen hat, haben hier die Herausgeber und Kommentatoren ein kleines W ö r t c h e n haud eingedrängt, welches der Stelle ihren wahren W e r t h und Nachdruck benimmt. A u c h im fünften Buch V . 336. bedient sich der Autor des Ausdrucks: haec natura rerum et ratio, um sein W e r k damit zu bezeichnen. Creech giebt es blos durch den allgemeinen N a m e n : Philosophia. V . 31. D e r Dichter wiederholt hier in kurzem, was er in vorigem Buche besungen, und rüstet sich nun auch die Natur des Geistes und der Seele zu erklären, da durch deren wahre Erkenntnifs allein Schrecken und Furcht des Todes aus den Gemüthern zu vertreiben wären. V . 41. «Zwar, sagt e r , hätte es schon viele g e g e b e n , die gleiches gelehrt hätten, nämlich, dafs die Seele des Menschen im Blute wäre, und dafs Krankheit und ein schändliches L e b e n ärger zu scheuen seyen, als die Schlünde des T o d e s ; auch s e y , dieses zu beweisen, unsre L e h r e uberflüssig. D a f s sie dieses mehr aus eitler Ruhm - und Prahlsucht, als aus eigener Ueberzeugung, sagen, dazu sehe man ihr L e b e n an! Verabscheut von Menschen, ohne Vaterland, mit Schmach und

DES

D R I T T E N

l

BUCHES.

7

Schande b e l a d e n , suchen sie doch immer n o c h das L e b e n zu^erhalten. W o h i n sie nur ihr E l e n d t r e i b t , b e g e h e n sie T o d t e n f e i e r ,

schlachten

s c h w a r z e s O p f e r v i e h , verehren die u n t e r i r d i s c h e n G ö t t e r , und hängen im U n g l ü c k nur angstlicher dem A b e r g l a u b e n an.

D a r u m mufs man

den M e n s c h e n in mifslichen U m s t ä n d e n und im U n g l ü c k b e o b a c h t e n , w i e er da ist.

D a n n erst dringt die S t i m m e der W a h r h e i t aus dem

Busen hervor.

D i e L a r v e f ä l l t , der M e n s c h bleibt.

V . 59.

In den f o l g e n d e n V e r s e n leitet der D i c h t e r alle bösen L e i -

denschaften , U n h e i l und L a s t e r , auch den S e l b s t m o r d , aus der u n g e zähmten L u s t zum L e b e n und aus der F u r c h t vor dem T o d e her.

Man

mufs die Stellen selbst l e s e n , um sie b e u r t h e i l e n z u können. V . 94. E n d l i c h bestimmt

er die w e s e n t l i c h e n

E i g e n s c h a f t e n des

G e i s t e s ; den man auch S i n n u n d V e r s t a n d n e n n e , und der R a t h u n d Steuer des L e b e n s f ü h r e . E r s a g t : dieser sey ein T h e i l des M e n s c h e n , w i e H a n d , F u f s , u n d jegliches Gliedinafs. E i n T h e i l der W e i s e n hätte d a f ü r g e h a l t e n , dafs der g e i s t i g e S i n n n i c h t einen bestimmten S i t z im M e n s c h e n h a b e , sondern eine g e w i s s e l e b e n d i g e Br-schaffenheit desselben sei, w e l c h e die G r i e c h e n H a r m o n i e n a n n t e n ; so w i e e t w a die G e s u n d h e i t

eine B e s c h a f f e n h e i t des M e n -

schen s e y , die keinen besondern T h e i l desselben ausmacht. Lukrez ist die

erkennt

dieses f ü r einen I r r t h u m ;

Seele k r a n k ,

D e r Fuss s c h m e r z t , sinnlos im S c h l a f , Vorstellungen ein T h e i l

aber

denn ö f t e r s ,

gesund;

sagt er,

und so u m g e k e h r t .

der K o p f ist ohne Schmerz.

D e r Körper liegt

und doch ist e t w a s n o c h in u n s , das m a n c h e r l e i

erweckt.

Körpers verlieren, aber

der K ö r p e r

Auch

können

w i r einen g r o f s e n T h e i l des

und doch erhält sich n o c h das L e b e n .

der W ä r m e

und

des

lebendigen Hauches

so f o l g t der T o d ; so, dafs man sehen k a n n , gleichen T h e i l e n durch den K ö r p e r

Weicht v o n uns,

der G e i s t sey n i c h t in

verbreitet.

V . 131. N u n sein bestimmter B e g r i f f v o n dem w a s man G e i s t oder Seele nennt.

B e i d e sind aufs engste v e r b u n d e n ,

und machen E i n e

N a t u r a u s ; doch ist das, w a s w i r G e i s t oder Verstand nennen, g l e i c h sam in

das H a u p t , der M i t t e

und

beherrscht

der Brust.

Hier

den g a n z e n K ö r p e r . schlägt F u r c h t

S e i n S i t z ist

und H o f f n u n g ;

hier

schmeichelt uns die F r e u d e . D e r ü b r i g e T h e i l der Seele ist durch den ganzen K ö r p e r verbreit e t , und g e h o r c h t dem W i l l e n des Geistes.

D e r Geist hat f ü r sich

allein U r t h e i l u n d V e r g n ü g e n , w e n n a u c h Seele und K ö r p e r k e i n e n Lucret.

I.

C

Ü B E R S I C H T Theil daran nehmen. Nur bei heftigen und gewaltsamen Anfällen dringt die Bewegung durch die Seele in alle Glieder. Daraus erkennen w i r , dafs die Natur des Geistes und der Seele körperlich seyn müsse. Denn wenn sie die Glieder forttreiben, den Menschen aus dem Schlaf aufraffen, die Gesichtszüge verändern, den ganzen Menschen regen und bewegen können, so müssen sie körperlich seyn. Nur der Körper berührt, und läfst sich wieder berühren. V . 169. D i e Seele theilt mit dem Körper seine Leiden. Wen ein P f e i l t r i f t , ob dieser gleich nicht tödtlich ist, den befällt Mattigk e i t , ein Verlangen zur'Erde zu sinken, ein Herumwerfen auf derselben, und ein ungewisses Streben sich wieder empor zu richten. V. 17g. Der Dichter läfst diese körperliche Natur de* Seele aus sehr kleinen, runden und glatten Stoffen bestehen, und sucht durch mancherlei Gleichnisse ein anschauliches Bild hievon zugeben. Zuletzt legt er noch dem Geist eine vierte Eigenschaft b e i , nämlich den warmen Lebenshauch. Hierüber macht er sinnreiche Bemerkungen und Vergleichungen mit andern natürlichen Dingen, und sucht die äufserst zarte Natur des Geistes wo möglich sinnlich, begreiflich zu machen. E s fehlt dabei nicht an tiefen Bemerkungen und trefflich ausgemahlten Bildern, z. B. von den verschiedenen Temperamenten der Thiere, in Anwendung auf den Menschen. Jedem ist sein eigenes Naturell gegeben, Fleifs und Unterricht können es bessern, doch nie ganz ausrotten; demohngeachtet bleibt so wenig davon, dafs es uns nie hindern kann , ein Götter würdiges Leben zu führen. V . 325. Noch mehr kräftige Beweise , dafs Geist, Seele und Körper mit den engsten Banden unter sich verknüpft sind. V . 360. Abweisung einiger ungereimten Vorstellungen von der Wirkung des Geistes und der Seele auf den Körper. V . 372. Meinung des Demokritus, des herrlichen Mannes, dafs die Stoffe oder Atomen des Körpers und der Seele gleich vertheilt im Menschen sich befänden , und die Glieder zusammenhielten. E r sucht diese Meinung durch mehrere aus der Natur entlehnte Gründe zu widerlegen. V. 397. Doch sagt er zuletzt, der Geist herrscht mächtiger über den Körper als die Seele. E r allein erhält das Leben ; mit ihm entflieht die Seele. E r bleibt, wenn auch ein grofser Theil des Körpers und der Seele verlohren geht. Beweise aus Erfahrung und Natur. V . 420, Nun kommt der Dichter auf die Sätze, wodurch er zu

DES

DRITTEN

BUCHS.

»9

beweisen sucht, dafs Geist und Seele , welche beide er nun für Ein und dasselbe nimmt, zugleich mit .dem Körper entstanden, zugleich auch wieder mit ihm vergehen. Der Beweise sind viele, mit tiefer physiologischer Einsicht auf Gründe der Natur gestützt und trefflich ausgeführt; aber ¿um Auszuge hier zu weitläuftig und beschwerlich. W i r wollen uns also sogleich zum Schlufs desselben begeben. V. 84 2 - Nichts ist also der Tod; (beginnt nun der Dichter) indem er unser ganzes Wesen auflöfst. Und wie wir in voriger Zeit kein Uebel empfanden, als der Pöner von allen Seiten eindrang uns zu bekriegen, und Himmel und Erde vom Kriegestumult erschüttert wurden, so werden w i r auch in künftiger Folge-Zeit nichts fühlen, wann unser Wesen wird aufgelöfst seyn, und wir nicht mehr sind. Dieses zu beweisen fährt er fort und zeigt zuletzt V. 883- dafs die erbärmlichen Klagen der Menschen über ihr Schicksal nach dem Tode hauptsächlich nur daher rühren, dafs sie sich von der Idee ihres S e l b s t nicht losmachen können. Sie fühlen sich immer noch fort in dem nicht mehr mit Gefühl begabten Körper. V. 907. Diese Klagen nimmt der Dichter einem von, ihnen aus dem Munde, und trägt sie persönlich vor; berührt dabei mit zartem Gefühle , was auch den edeln Menschen am meisten an's Leben binden könnte. Er beantwortet diese Klagen. V. 925. Weiter noch scherzt er über diejenigen, die nur bei Lust und Schinauis über die Kürze des Lebens klagen. Gleichsam, fügt er hinzu, als wenn es das einzige Elend im Tode sey, von Durst ausgetrocknet, verdorren zu müssen. V. 944. Hier fängt der Dichter eine eigene Prosopopöie an, indem er die Natur selbst redend einführt, die sich gegen die unbilligen Klagen der Menschen vertheidigt. „ W a s klagst du denn, Sterblicher, (sagt sie) seufzest und beweinst den Tod! Ist dir dein bisheriges Leben angenehm gewesen, sind nicht alle Geschenke desselben bei dir, wie durch ein durchlöchertes Fafs ausgeflossen, und ohne Dank zu Nicht geworden; warum gehst du nicht wie ein gesättigter Gast von der Mahlzeit, und nimmst, o du Thor, die sichere Ruhe an! Ist dir aber jeder Genufs gleichsam hingeschuttet, und ist das Leben dir zuwider, warum suchst du noch mehr anzuhäufen, damit es auch zu Grunde gehe und deinen Widerwillen vermehre. W a s ich weiter erfinden soll, dir das Leben gefällig zu machen, weifs ich nicht. Alles ist immer dasselbe. Wenn

Ü B E R S I C H T

20

auch dein K ö r p e r v o n Jahren n o c h n i c h t v e r z e h r t i s t , die e r s c h ö p f t e n Glieder

noch

nicht

ermattet

u n d schlaff s i n d , so bleibt doch alles

ü b r i g e d a s s e l b e , w e n n du auch J a h r h u n d e r t e durchleben w ü r d e s t ; n o c h w e i t m e h r , w e n n du nie a u f h ö r e n w ü r d e s t z u leben. " W a s sollten w i r

hierauf a n t w o r t e n ?

ja



sagt der D i c h t e r .

Nichts

w e i t e r , als dafs die N a t u r R e c h t h a b e , u n d uns g e r e c h t e V o r w ü r f e mache. —

D i e s e U n t e r r e d u n g setzt er f o r t , m i t mehrern u n d w i c h t i -

gen Gründen. V . 984-

Z u l e t z t f ü h r t er uns n o c h

w i r geboren w a r e n ,

und läfst uns

auf

die

diese v o n

als einen S p i e g e l unserer Z u k u n f t v o r h a l t e n ; was schreckliches darin?

Natur

sie f r a g t :

ehe

gleichsam „ s i e h s t du

e t w a s das dich b e t r ü b t m a c h e n k ö n n t e ?

n i c h t alles R u h e und ein sicherer S c h l a f ? Y . 991.

Zeiten zurück, der

ist



N u n k ö m m t er auf die V o r s t e l l u n g e n , die man sich v o n

der H ö l l e macht. A l l e s d i e s e s , w a s man v o m T a n t a l u s , dern e r z ä h l t , genommen.

sei bei uns im L e b e n

T i t y u s , S i s y p h u s u n d an-

v o r h a n d e n , und aus demselben

T a n t a l u s zittre n i c h t unter der L a s t eines ü b e r h ä n g e n d e n

F e l s e n ; sondern diefs sey der A b e r g l ä u b i s c h e , der sich v o r jedem Z u f a l l des S c h i c k s a l s f ü r c h t e t . A u c h T i t y o s h a c k t e n nicht die A d l e r ; sondern die n i e d r i g e n B e g i e r den u n d W o l l ü s t e verzehrten die M e n s c h e n . D e n S i s y p h u s sehen w i r alle T a g e v o r A u g e n . E r ist es, der E h r e n u n d W ü r d e n v o m V o l k z u erhalten sucht, u n d immer z u r ü c k g e w i e s e n , immer w i e d e r aufs neue anstrebt.

D a s ist d e r ,

der den

schweren

Stein a u f den B e r g z u w ä l z e n sucht, der aber immer w i e d e r z u r ü c k r o l l t . D i e D a n a i d e n z u l e t z t , die s c h ö n b l ü h e n d e n J u n g f r a u e n , die immer mit d u r c h l ö c h e r t e m E i m e r s c h ö p f e n , sind sie es n i c h t , die unser undankbares G e m ü t h d a r s t e l l e n , das sich durch k e i n e n G e n u f s des L e bens ersättigen und a u s f ü l l e n läfst ? V . 1023. Hölle.

E n d l i c h k o m m t der D i c h t e r

auch auf

die S t r a f e n der

C e r b e r u s , F u r i e n , einen T a r t a r u s , g i e b t es nicht.

nie g e w e s e n u n d k ö n n e n auch n i c h t seyn.

S i e sind

A b e r das böse G e w i s s e n

im M e n s c h e n ist statt G e i f s e l , R u t h e n , F o l t e r und H e n k e r s k n e c h t e . D a h e r die F u r c h t v o r den S t r a f e n , die n o c h immer h e f t i g e r

bevor*

s t e h n , u n d v o n denen man k e i n E n d e sieht. So ist das L e b e n der T h o r e n das w a h r e L e b e n im O r k u s . V . 1037.

Hier

kommen

einige

Trostgründe,

die w i r

über die

K ü r z e des L e b e n s fassen k ö n n e n , u n d die aus dem g l e i c h e n S c h i c k s a l e

DES

D R I T T E N

BUCHS.

21

so vieler grofsen und vortrefflichen Männer und Helden hergeleitet sind. H a t nicht der gute A n k u s auch das L i c h t des L e b e n s verlassen? E r , der so viel besser w a r , als d u , Undankbarer! So viele K ö n i g e , so viele Herrscher der V ö l k e r , so viele grofse Feldherren ? E r s e l b s t , der sich ehemals den W e g über das M e e r gebahnt hat, und seine L e g i o n e n darüber g e f ü h r t , er, X e r x e s selbst, hat er nicht seine Seele dem sterbenden Körper ausgehaucht? S c i p i o , der Kriegesdonner, der Schrecken K a r t h a g o ' s , auch er h a t , w i e der geringste K n e c h t , seine Gebeine der E r d e gegeben. V . 1049. Nimm noc^i die E r f i n d e r der Wissenschaften und Künste, täie Freundesgenossen der Helikonischen M u s e n ; unter denen H o m e r u s allein den Scepter t r ä g t , der doch eben w i e jene im süfsen Schlummer ruht. Als den D e m o k r i t u s das hohe Alter erinnerte, dafs die B e w e gungen seines Geistes matter w ü r d e n , gab er sich f r e i w i l l i g hin dem Tode. J a E p i k u r u s selbst, der die Grenzen des menschlichen Geistes zu überschreiten schien, stajrb nach vollendeter L a u f b a h n . V . 1 0 5 3 . U n d du stehst noch an und zauderst zu sterben? D u , der schon bei lebendigem L e i b e todt ist ? der den gröfsten T h e i l des L e b e n s im Schlafe zubringt; wachend schlummert, nicht aufhört Träume zu s e h e n , und unter Schrecken und F u r c h t ein trübseliges L e b e n f ü h r t ; o f t selbst nicht finden k a n n s t , was dir f e h l t , und w i e ein T r u n k n e r stets, von Sorgen umhergetrieben, auf ungewisser W o g e des Gemüthes schwankst ? — Y . 1 0 6 5 . Kennten die Menschen die U r s a c h e n , aus welchen die L a s t entsteht, die auf ihre Gemüther drückt, und die sie doch f ü h l e n , sie würden ein anderes L e b e n f ü h r e n , w i e g e w ö h n l i c h , da keiner w e i f s w a s er w i l l , immer umhersucht, und den Ort verändert, gleichsam als w e n n er die L a s t daselbst ablegen könnte. V . 1 0 7 3 . E i n e leichte Schilderung eines Menschen solcher Art. V . 1090. E n d l i c h , welche Gierde nach L e b e n treibt u n s , unter solchen G e f a h r e n ! D e m Menschen steht nun einmal sein E n d e bevor, und überdem treiben w i r uns ja immer in demselben Kreise herum, und kein neues Vergnügen erzeugt sich bei längerem L e b e n . Was w i r entbehren müssen, reizt uns am meisten. W i r streben immer nach N e u e m , und w e n n w i r es erhalten h a b e n , ekelt uns auch dieses an. A u c h in der T h a t nehmen w i r

durch ein längeres L e b e n von der

12

Ü B E R S I C H T

Z e i t des Todes nicht das geringste hinweg. L e b t e n w i r auch Jahrhunderte, so w i r d der T o d doch immer eine E w i g k e i t dauern, und der, welcher heute stirbt, w i r d nicht länger gestorben s e y n , als j e n e r , der vor M o n a t e n und Jahren untergegangen ist.

V I E R T E S

B U C H .

M i t derselben B e g e i s t e r u n g , welche den Dichter ehemals, gegen E n d e des ersten B u c h e s , zu dem Aufenthalte .der Pierinnen auf noch unbetretenen Pfaden hingeführt h a t , fängt sich dieses vierte Buch an. E r w i l l aus unberührten Quellen schöpfen , er w i l l neue Blumen brechen, sich davon einen Kranz zu bereiten, w i e ihn die M u s e noch keinem D i c h t e r zuvor verliehen hat. D e n n er singt von grofsen und wichtigen D i n g e n , sucht die Gemüther von den Banden des Aberglaubens los zu w i n d e n , bringt L i c h t in das D u n k l e , und schmückt dieses alles mit dem R e i z e der Musen aus. Hier vergleicht er sich geschickten Ä r z t e n , die den Kindern den bittern Kelch mit Honig bestreichen, um ihnen den heilsamen L e b e n s s a f t einzuflöfsen. V o m 2.6. Vers an wiederholt er in k u r z e m , was er bisher gelehret; nämlich die Natur und E i g e n s c h a f t der A t o m e , und dann die des Geistes in Verbindung mit dem Körper. N u n w i l l er anfangen auch von demjenigen zu r e d e n , was man die B i l d e r der D i n g e benennt, und deren D a s e y n beweisen. D i e s e sind nun gleichsam zarte Häutchen, die sich von dem äufsersten R a n d e der Körper ablösen, und hin und her in den L ü f t e n herumfliegen. Dieselben sind es a u c h , die uns oftmals wachend und im Schlaf erscheinen, uns seltsame Gestalten v o r h a l t e n , sogar B i l d e r der L ä n g s t e n t s c h l a f e n e n ; und uns in den W a h n setzen, als könnten die Schatten dem Acheron entfliehen, und unter Lebenden umherwandeln. V . 46. I c h sage a l s o , fängt er a n , dafs Abbildungen der D i n g e , zarte F i g u r e n , sich von jedem K ö r p e r los machen. D i e s e könnte man auch M e m b r a n e n , dünne Häutchen oder Schelfen nennen, w e i l sie Form und Gestalt derjenigen D i n g e erhalten, von denen sie abfliefsen. V. 5 1 . L e i c h t lafst sich dieses begreifen. L ö s e n sich nicht von D i n g e n , die uns vor den Augen liegen , Körper los : zum T h e i l aus

DES

VIERTEN

BUCHS.

23

einander gestreut, w i e Rauch und Feuer aus dem H o l z ; zum T h e i l mehr verdichtet und v e r w e b t , w i e die H ä u t c h e n , welche die Cicaden ablegen, oder welche die Kalber bei ihrer Geburt iüK.6chliefsen, oder die man von den schlüpfrigen Schlangen an Dornen und Hecken hängen sieht. S o mufs auch ein dünnes Bild sich von jedem Körper losmachen ; denn es wäre nicht einzusehen, warum j e n e , die doch viel dichter und gröber sind , den D i n g e n entweichen könnten, und nicht vielmehr diese f e i n e r n , dünnern und zarten. V . 70. So sehen w i r auch viele D i n g e aufsteigen und sich losmac h e n , nicht nur von dem Innern der K ö r p e r , w i e vorher g e s a g t , sondern von ihrer äufsersten Oberfläche, z. B . die F a r b e n , die sich von den bunten D e c k e n , w o m i t man die Theater umhängt, losmachen^ und das Parterre und den ganzen Schauplatz mit ihrem Scheine tünchen. So sind auch die Bilder , die w i r in Spiegeln, im W a s s e r , und auf jeder glatten Oberfläche sehen, nothwendig Abdrücke der äufsern Gegenstände. V . io 7 ,. D i e s e Bilder nun sind den D i n g e n vollkommen ähnliche A b d r u c k e , leicht und dünn, dafs man sie einzeln nicht zu sehen verm a g ; aber durch beständigen und häufigen Antrieb geben sie von der glatten Fläche des Spiegels die Gestalten wieder. V . 109. Von der Kleinheit dieser Bilder. Sinnreich läfst sie uns der Dichter errathen. E s giebt ja T h i e r c h e n , sagt e r , deren Dritt theil man kaum mehr mit der Schärfe des Auges entdecken kann. N i m m , wip grofs die innern T h e i l e eines solchen Thierchens seyn m ö g e n ? die A u g e n ? das H e r z ? Gelenke und G l i e d e r ? und endlich gar die T h e i l e , die sein Gemüth bewegen ? — D a n n auch die Theilchen der D u f t e , die Kräuter und Blumen von sich hauchen ? — Daraus magst du erkennen, w i e klein ein solches Bildchen seyn könne. V . 1 3 0 . D o c h nicht allein die B i l d e r c h e n , die sich von Körpern l o s m a c h e n , schwärmen u m h e r ; es giebt auch solche, die sich von selbst erzeugen, und sich in diesem untern Himmel zusammenfügen. W i e o f t staunen w i r die seltsamen Gestalten der W o l k e n an! V . i44- L e i c h t e und schnelle Erzeugung dieser B i l d e r , die ohne Unterlafs von den D i n g e n abfliefsen. Fallen sie auf lockere Sachen, so gehen sie durch; von rauhen und harten werden sie zerrissen; nur von der dichten glatten Oberfläche des Spiegels werden sie gehörig zurückgeworfen. U n d w i e die Sonne stets neue Stralen schiefsen mufs,

24

Ü B E R S I C H T

damit sich alles mit L i c h t e r f ü l l e , so stralen auch in jedem Augenblick von jeder Seite neue Bilder hervor. Y . 1 7 7 . N u n T'On der schnellen B e w e g l i c h k e i t dieser Bilder w i l l der Dichter s i n g e n , und zwar in w e n i g e n , doch lieblichen Versen. L i e b l i c h e r ist das kurze L i e d des S c h w a n s , als das in den W o l k e n verhallende Gekreisch der Kraniche. K l e i n e und leichte Körper sind sehr schnell. D i e f s bemerkt man an den Stralen der Sonne und ihrer W ä r m e . So müssen auch die Bilder in einem Augenblick unermefsliche Räume durchlaufen können, schneller noch als die Sonnenstralen, da sie nichts in ihrem W e g e aufh ä l t , und sie von der kleinsten Bildung sind. V . 2 1 7 . So müssen w i r also zugestehen, dafs es dergleichen K ö i perchen g i e b t , die das Auge treffen und das Gesicht reizen. E b e n so fliefsen auch beständig von gewissen D i n g e n Gerüche a u s , w i e Kälte von F l ü s s e n , Wärme von der Sonne, Salzduft von den Meereswogen, der die Mauern an den U f e r n ausfrifst. Immer schwärmen auch Stimmen u m h e r ; gehen w i r am Meeresufer, so setzt sich Salzduft an unsre L i p p e n , und bittrer Geschmack an den Orten, w o man Wermuth zerstöfst. So geht von allen D i n g e n ohne Unterlafs etwas fliefsend hinw e g ; denn w i r f ü h l e n , sehen, riechen und hören immer. Auch stimmt Gesicht und G e f ü h l in vielen Sachen überein. Was w i r als V i e r e c k fühlen, zeigt sich auch dem Auge als Viereck. In den Bildern liegt also der G r u n d , dafs w i r die D i n g e sehen k ö n n e n , und ohne diese sehen w i r nichts. V . 240. D i e Bilder schiefsen nach allen Seiten h i n ; aber w e i l w i r blos mit den Augen sehen können, so erscheinen sie uns von der Seite, w o h i n sich das Auge richtet. Auch sind die Bilder U r s a c h e , dafs w i r die D i n g e in der E n t f e r nung sehen. Umständlicher B e w e i s hievon. W a r u m w i r die Bilder einzeln nicht sehen können , nur ihre W i r kung im Ganzen fühlen. Beispiele vom W i n d , von der Kälte. Stofsen w i r mit dem Finger an einen S t e i n , so berühren w i r nur die Oberfläche, fühlen sie nicht, aber die Härte, die durch den ganzen Stein geht. V . 270. Hier erklärt der Dichter die Erscheinungen mit dem Spieg e l ; die man aber selbst nachlesen mufs. V. 325. Glänzende D i n g e beleidigen das Auge. D i e Sonne macht erblinden, wenn man sie lange ansieht; denn sie treibt die Bilder mit H e f t i g k e i t h e r a b , und zerstört dadurch d«n B a u und das G e w e b e der Augen. O

DES

VIERTEN

BUCHS.

25

Dem Gelbsüchtigen erscheinet alles bleich u n d g e l b , w e i l der bleiche Saft der Augen die Bilder zuvor tünchet. V. 358- W a r u m man aus dem Dunkeln ins Helle sehen kann, aber nicht aus dem Hellen ins Dunkle. V. 354- Nun folgen mehrere Sinnentäuschungen. Viereckigte Thürme scheinen in der Ferne rund. W o h e r der Schatten uns zu folgen scheint. Fahren w i r zu Schiffe, so scheint uns unser S c h i f f s t i l l zu stehn, die Gegenstände aber vorüber zu gehen. So mit den Gestirnen. Sie scheinen still zu stehen, da doch alles in beständiger Bewegung ist. Weitgetrennte Felsen im Meere scheinen aus der Ferne nur Eine Insel auszumachen. Knaben, die sich im Spiele herumdrehen, denen scheint Zimmer und Säulen sich mitzudrehen. W a n n die Natur die röthliche Sonnenscheibe mit zitternden Stralen Morgens über die Berge hebt, so scheint dir ihr Feuer die Spitzen der Berge beinahe zu berühren, und doch liegen ungeheure Meere, Länder und Reiche noch zwischen den beiden. Zeigt dir nicht jede Pfütze einen tiefen Abgrund , worin du S o n n e , Mond und Sterne erblicken k a n n s t ! Steht dein Rofs mitten im Strome still, und du schaust hinab in die reissende F l u t h , so scheint dir dein Pferd gegen den Flufs hingetrie'uen, und alle umliegende Gegenstände mit ihm. Der S ä u l e n g a n g , der in gleichem M a a f s , Richtung und Höhe, f o r t l ä u f t , scheint sich gegen das Ende zusammenzuziehen, und die Spitze selbst sich zur Erde zu neigen. Dem Schiffer auf dem Meere scheint die Sonne aus den W e l l e n emporzusteigen, und in den W e l l e n unterzugehn. Schiffe, die im Hafen l i e g e n , scheinen dem Unkundigen schief zu s e y n , und mit gebrochenen Rudern den W o g e n anzustreben. Die Theile über der Fluth sind gerade, w a s unter dem W a s s e r ist, gebogen und schräg, sich zurückwendend, und beinahe auf der Oberfläche schwimmend. W a n n nächtlich der W i n d die zerstreuten W o l k e n umhertreibt, so scheinen die glänzenden Gestirne sich gegen sie zu bewegen, und von der gewöhnlichen Laufbahn abzuweichen. Drückst du mit der Hand das eine Auge empor, so erscheint Lucret•

I.

d

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Ü B E R S I C H T

dir alles doppelt; doppelt die blühenden Kerzen mit den Leuchtern, und doppelt der ganze Hausrath. Endlich, wann der süfse Schlaf die Glieder gebunden h ä l t , und der Körper gänzlich in Ruhe aufgelöfst i s t , so scheint doch noch etwas in uns zu w a c h e n , so, dafs w i r glauben uns're Glieder zu b e w e g e n , die Sonne zu sehen, und alle Gegenstände der Natur^ weite Reisen zu machen , Töne zu h ö r e n , selbst bei schweigendem Ernste der Nacht, und am eingeschlossenen Orte. V. 464. Mehrere Dinge dieser Art, die wunderbar scheinen, zeigen sich u n s , und suchen gleichsam allen Glauben an die Sinne in uns zu schwächen. Doch umsonst; das Gemiith täuscht sich nur selber; kann das Zuverlässige nicht vom Zweifelhaften trennen, und verfällt in Irrthum. W e r übrigens vorgiebt, dafs man nichts wissen könne, der weifs ja das selbst nicht, dafs er nichts weifs. V. 475- Hier fängt nun der Dichter an zu b e w e i s e n , dafs aller Grund der W a h r h e i t auf der Zuverlässigkeit der Sinne beruhe. Dazu trägt er mehrere sehr triftige Argumente vor. V. 516. E n d l i c h , wenn br-i einem Baue das erste Richtmaas nicht gerade und eben gestellt i s t , so w i r d der ganze Bau fehlerhaft , krumm und schief werden. So würden w i r auch von keiner Sache ein richtiges Urtheil fällen können , wenn w i r uns nicht auf den zuverlässigen Grund der Sinne stützen könnten. V. 525. Nun kommt der Dichter auch auf die übrigen Sinne, w i e und auf was W e i s e w i r durch sie empfinden. Erstlich das Gehör. Ton und Stimme treffen auf den Sinn, und sind also körperlich. Auch greifen sie selbst das W e r k z e u g der Stimme an ; denn sie machen es rauher, und lange Reden schwächen die Menschen. Andere Formen der Stoffe dringen ins O h r , wenn die Tuba aufbrummt, oder wenn der Schwan sein letztes süfses L i e d anstimmt. V. 576. Vom W i e d e r h a l l oder Echo. Der Dichter selbst befand sich an Orten, die sechs - bis siebenmal die W o r t e wiedergaben. So w i r f t ein Hügel dem andern die anschlagenden L a u t e zurück. Dergleichen Orte hält der Landmann von Faunen und Nymphen b e w o h n t , und behauptet, dafs sie da ihr nächtliches Kurzweil trieben. Auch höre man oft das Getöne der Saiten und süfsen Flöten, und weither das Geräusche des Fichtebekränzten Fans, und den W a l d gesang seiner vieltönigen Flöte.

D E S

VIERTEN

BUCHS.

27

Solches sagen s i e , damit man nicht g l a u b e n m ö g e , die öden Orte seyen ganz v o n den Göttern, verlassen, oder aus irgend einem andern G r u n d e ; denn man w e i f s j a , w i e sehr das Menschengeschlecht nach Fabeln und Mährchen das Ohr hängt. V. 600. W a r u m die Töne die den Augen verschlossenen Orte durchdringen können. D i e T ö n e theilen und verbreiten sich nach allen S e i t e n , aber die Bilder gt;hen in gerader Richtung, deshalb man auch nicht über sich noch r ü c k w ä r t s sehen kann. V. 62.0. N u n zum Geschmack. E r k l ä r u n g , w i e sich dieser der Z u n g e und dem M u n d e mittheilt. D e r Geschmack theilt sich nur bis zu E n d e des Gaumes m i t ; weiter hinab verliert er sich. W a r u m dem E i n e n angenehm und gedeihlich i s t , w a s dem andern w i d r i g und schädlich seyn kann. Dasselbe auch bei den Thieren. Viel hangt von der Beschaffenheit des Körpers a b , ob er sich in gesundem oder kränklichem Zustande befindet. V . 6 7 7 . D e r Geruch. D a f s es viele D i n g e g e b e , von denen ein g e w i s s e r D u f t ausfliefse, ist klar. E i n i g e der Theilchen sind jedoch mehr als andere gewissen Thieren willkommen. S o reizt der Geruch vom H o n i g w e i t h e r die B i e n e n ; den Geier hingegen der Geruch des Aases. D i e Spur der gespaltenen Klaue des W i l d e s zieht die Hunde nach s i c h , und die schneeweifse G a n s , die Beschützerin der romulischen B ü r g e r , wittert weither den menschlichen Geruch. So lockt der verschiedene Geruch die verschiedenen T h i e r e jedes zu seinem F u t t e r , und schreckt sie ab von dem, was ihnen schädlich seyn könnte. D e r Geruch erstreckt sich indefs nicht so w e i t als die andern Sinne. U r s a c h e hievon. V . 7 1 0 . N i c h t aber Geschmack und Geruch allein sind einigen zut r ä g l i c h , andern w i d r i g . Auch die äufsern Gestalten und Farben bekommen nicht jeglichem. S o , sagt man, kann der L ö w e die Gestalt und das Geschrei des Hahnes nicht ertragen. E r flieht sogleich davon. Ursache. V. 726. H i e r beschliefst nun der Dichter seine Erklärungen über die äufsern Sinne und deren E i g e n s c h a f t e n , und kommt auf d a s , w a s unsern innern Sinn und das Gemüth rührt und in B e w e g u n g setzt. E r leitet allen Eindruck von den Bildern h e r , die auf dasselbe w i r k e n ; s i e , die sich beständig von allen Dinger» ablösen, und in Unzahl in den freien L ü f t e n umherschwärmen. D i e s e sind noch v i e l feiner

28

Ü B E R S I C H T

und zarter als j e n e , die in unser Auge d r i n g e n , und uns die D i n g e sichtbar machen. Sie mischen und verbinden sich auch leicht in den L ü f t e n , und bringen dadurch oft wunderliche Gestalten h e r v o r , dafs w i r Scyllen und Centauien zu sehen g l a u b e n , und die Gestalten der» j e n i g e n , die schon längst die Erde bedeckt hat. U e b e r diese Erscheinungen, so w i e über unsre Traumgesichte und Phantasien kommen nun w e i t l ä u f t i g e und sinnreiche E r k l ä r u n g e n , die w i r aber w e g e n ihrer zu speciellen Andeutung übergehen müssen. V . 905. Nun kommt der Dichter auf den Schlaf, und w o h e r solchei entstehe. E r ermahnt zuvörderst seinen F r e u n d , ihm ein zartes Ohr und einen aufmerksamen Sinn z u z u w e n d e n , damit er nicht das W a h r e von sich s t o f s e , und von d e m , w a s er nicht richtig verstanden habe, die Schuld ihm beimesse. D e r Schlaf entsteht, wenn die K r a f t der Seele in den Gliedern auseinander gegangen i s t , zum T h e i l hinausgetrieben, zum T h e i l sich auch tiefer in das Innere zurückgezogen. E s ist k l a r , dafs Sinn und G e f ü h l in uns durch die Seele erregt wird. Da nun der Schlaf dieses h e m m t , so mufs man die Seele f ü r verstört und gleichsam f ü r vertrieben h a l t e n ; jedoch nicht g a n z , sonst w ü r d e , wenn kein T h e i l der Seele mehr zurückbliebe, der Körper im ewigen Frost des Todes erstarrt liegen. Nun aber bleibt die Seele gleichsam w i e unter Asche verstecktes - Feuer. Auf w a s W e i s e aber nun dieser Schlaf entstehe, die Seele verstört w e r d e , der Körper in Ermattung h i n s i n k e , das sucht der D i c h ter auf mancherlei W e i s e zu erklären. V . 959. Von den Träumen. E r f a h r u n g e n . W o b e i der M e n s c h am meisten bei T a g e v e r w e i l t , und w o m i t er sich am meisten bes c h ä f t i g t , dieses kommt ihm gemeiniglich wieder im Traume vor. Advokaten fuhren P r o z e s s e , Feldherren K r i e g , Schiffer liegen im Streit mit den W i n d e n , und ich treibe hier dieses, forsche der Natur der D i n g e n a c h , und schreibe, was ich erforscht, in vaterländischen Versen nieder. D e n j e n i g e n , die mehrere T a g e hindurch öffentlichen Spielen beig e w o h n t , scheinen solche noch lange hernach gleichsam vor den Augen zu schweben. Sie glauben die Spielenden und Tanzenden noch vor sich zu sehen, den Schall der Zither und der Saiten zu h ö r e n , und die ganze Versammlung und den Glanz des Schauplatzes zu uberschauen. So viel liegt an der G e w o h n h e i t und Aufmerksam-

DES

VIERTEN

BUCHS.

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fceit auf die D i n g e , w o m i t man umgeht. Dieses werden w i r nicht nur an Menschen, w i r werden es auch an Thieren gewahr. So siehst du die schnellen R o s s e ; obgleich ihre Glieder im Schlummer gestreckt l i e g e n , doch schnauben sie noch o f t , keuchen und s c h w i t z e n , gleichsam als wenn s i e , bei geöffneten Schranken, nach der Siegespalme strebten. Auch die Jagdhunde w e r f e n öfters im Schlafe die F ü f s e umher, schlagen a n , ziehen häufigen Athem a n , als w e n n sie die Spur des verfolgten W i l d e s schon gefunden hätten. Sie erwachen, und scheinen noch dem Bilde des fluchtigen Hirsches nachzujagen. Auch das schmeichelnde Geschlecht der hausgewöhnten Hündchen schüttelt o f t den leichten Schlaf von den Augen ; sie raffen sich eilig a u f , als wenn sie irgend eine fremde Gestalt vor sich sähen. J e rauher aber die Stoffe der Bilder sind, desto gewaltsamer sind sie auch im Traume. D i e bunten Vögelchen fliehen und beunruhigen nächtlicher Weise die Haine der G ö t t e r , wenn ihnen im leisen Schlaf ein Habicht erscheint, der seine B e u t e zu verfolgen sucht. V. 1 0 0 5 . W a s nun die Menschen mit grofsen B e w e g u n g e n thun oder v o r n e h m e n , das erscheint ihnen wieder im Schlafe. Könige erobern, ordnen das T r e f f e n , werden g e f a n g e n , schreien laut a u f , als wenn sie eben ermordet w ü r d e n , oder als, wenn ein Panther oder L ö w e sie zerrisse. Andere sprechen über wichtige D i n g e , und haben sich selbst o f t im Schlafe verrathen. Viele werden zum T o d e g e f ü h r t , andre stürzen sich vom F e l s e n , erwachen, und zittern noch am ganzen K ö r p e r , kommen kaum wieder zu sich selbst. D e r Durstende glaubt am Flusse oder an einer nahen Quelle zu sitzen, und schöpft die ganze Fluth in sich. K i n d e r , vom tiefen Schlafe gebunden, glauben am Scherben oder an einer nahen P f ü t z e zu stehen, lassen den ganzen gesammelten Vorrath von sich, und befeuchten die prächtigen Babylonischen Decken. V. 1 0 2 3 . N u n kommt der Dichter auf die physischen Triebe zur Erzeugung. E r mahlt sie mit allem F e u e r der Einbildungskraft aus ; doch so , dafs er nie dem Gedanken ein lüsternes oder schlüpfriges Bild unterschiebt. Im Gegentheil zeigt er den strengsten Ernst eines sittlichen L e h r e r s , und ist sowohl im Ethischen als Physiologischen unübertrefflich. Sein Vers nimmt einen höhern Schwung , um der Sache mehr W ü r d e zu g e b e n , und sie von allem Gemeinen zu enthalten.

30

Ü B E R S I C H T

Um den Ton etwas zu verändern, hat er auch die Lächerlichkeit thöricht verliebter Gecken komisch genug dargestellt. Nachdem er die Liebe mit allen ihren verderblichen Einflüssen und Folgen geschildert h a t , giebt er auch zuletzt noch einige allgemeine gute Vorschriften und Regeln.

F Ü N F T E S

BÜCH.

Der Dichter ist voll vom Lobe Epikurus. E r weifs ihm kein L i e d zu singen , das würdig wäre seiner hohen Verdienste. Kein Sterblicher vermag es; denn göttliche Ehre gebührte dem, der uns zuerst jene Lehren der Weisheit gegeben h a t , wodurch das Leben aus Finsternifs und Stürmen zu klarem Licht und in den ruhigen Hafen gebracht worden. Vergleiche man die Wohlthaten jener, denen man doch göttliche Ehren erzeigt. Ceres hat Saaten gestiftet, Bacchus das Gewächs des W e i n e s ; doch konnte man ohne diese Dinge das Leben erhalten, wie man an Völkern ersieht, die jetzt noch ihrer entbehren. Ist aber die Brust nicht gereinigt, so ist glückliches Leben nicht möglich. Um so mehr verdient dieser, dessen Ruhm schon überall verbreitet i s t , ein Gott zu heifsen, der mit so süfsem Trost das Leben erquickt hat. Solltest du aber meinen, die Thaten des Herkules giengen noch zuvor, so würdest du sehr dich irren. Denn was schadete uns noch jetzt jener Nemäische Löwe, das Arkadische Schwein, der Kretische Stier, die Lernäische Schlange? Was sollte uns die drfeifache Brust des Riesen Geryon, des Diomedes Feuerschnaubeude Rosse, die Arkadischen Vögel mit krummen Krallen, oder der ungeheure Drache, der die Hesperischen Aepfel bewacht? Was soll uns dieser, dort an der Atlantischen Küste, die keiner der unsern betritt, auch nicht einmal der Barbar ? .—• Noch giebt es Ungeheuer aller Art auf der E r d e ; aber es steht ja in unsrer Gewalt, die Orte zu vermeiden. Ist dir aber die Brust nicht rein, welch Unglück steht dir bevor! Welche N o t h ! W e l c h e Gefahr! W i e zerreissen die wilden Begierden

DES

FÜNFTEN

BUCHS.

3i

das H e r z ! W a s richtet der Hochmuth nicht a n ! U e b e r m u t h , Unsaub e r k e i t , S c h w e l g e r e i , und die niedrige F a u l h e i t ! Solche D i n g e , die E r , nicht mit W a f f e n , sondern mit Worten, unter sich gebracht und aus der Brust des Menschen verjagt hat, sollte man Ihn nicht unter die Zahl der Götter setzen können? Sonderlich n o c h , da er selbst so viel herrliches über die Götter gelehrt hat, und uns der D i n g e ganze Natur aufgeschlossen. V . 36. In seine Fufstapfen w i l l nun der Dichter treten, und dart h u n , d a f s , unter welchem Beschlufs jegliches geschaffen worden, unter solchem es auch fortdauern müsse; nichts die mächtigen Gesetze der Natur verändern könne. U n d so haben w i r g e l e h r t , dafs die Natur der Seele, mit dem Körper zugleich entstanden, auch mit ihm vergänglich sey. N u r im Traume erscheinen uns zuweilen die Gebilde der Verstorbenen. V . 65. Nun f ü h r t ihn die F o l g e seiner L e h r e zu b e w e i s e n , dafs auch diese W e l t sterblicher Natur s e y ; entstanden, wieder vergehe. D a n n a u c h , w i e sich E r d e , H i m m e l , M e e r , die Gestirne, Sonne und M o n d , gebildet haben; welche Thiere die Erde erzeugt hat, und welche n i c h t ; w i e endlich der Mensch durch den Gebrauch der R e d e die D i n g e bezeichnet h a t ; w i e die Furcht vor den Göttern ihn g e t r i e b e n , B i l d s ä u l e n , H a i n e , Tempel und Altäre als heilig zu verehren. Ferner noch w i l l er den L a u f der Sonne und des Mondes erklär e n ; damit man nicht glauben m ö g e , diese vollendeten aus freiem W i l l e n ihren jährlichen Umlauf zwischen Himmel und E r d e ; oder andern Trrtliümern beipflichte, die eine fremde Herrschaft annehmen, nicht w i s s e n d , dafs jedem D i n g e zu seinem Dasein ein bestimmtes Gesetz obwalte. V . 92. Nun fängt der Dichter an von dem Untergange der W e l t zu sprechen , in feierlichen Versen. E r sieht diesen als g e w i f s v o r a u s , und verwahrt sich vor der M e i n u n g d e r j e n i g e n , die es f ü r ruchlos halten, nur solches zu denk e n ; da E r d e , S o n n e , M o n d und Sterne von göttlicher Beschaffenheit seyen.' D i e s e widerlegt e r , und z e i g t , dafs diese vielmehr alles lebendigen Sinnes beraubt sind. Geist und Seele, sagt er, können nicht in jedem Körper wohnen, so w e n i g als der Baum im Aether , der Fisch auf den Feldern, und W o l k e n unter dem Meere. Jedem ist der eigene Ort bestimmt, w o rin es a u f w a c h s e n und gedeihen kann. S o kann auch die Seele nicht

32

Ü B E R S I C H T

allein f ü r sich bestehen, ohne K ö r p e r , ohne N e r v e n und Blut. Könnte sie e s , so w ü r d e sie ja auch in jedem T h e i l e des Körpers wohnen können. D a nun aber die Orte bestimmt s i n d , w o h e r sie Wachsthum und Gedeihen nehmen k a n n , so b e w e i s t dieses um so mehr, dafs sie nicht aufser dem K ö r p e r , ohne thierische Bildung, bestehen k ö n n e ; noch dafs E r d e , Sonne, W a s s e r oder L u f t beseelt, .oder gar von göttlicher Natur seyn möchten. E b e n so w e n i g magst du g l a u b e n , dafs die heiligen Sitze der Götter in diesen Theilen der W e l t sich befinden. D a die göttliche Natur die allerzarteste i s t , s o , dafs w i r sie kaum mit dem Sinne des Gemüthes erreichen können , so müssen auch ihre W o h n u n g e n , sehr verschieden von den unsrigen, von der feinsten Beschaffenheit seyn. Ferner zu s a g e n , dafs die Götter um der Menschen w i l l e n dieses herrliche W e r k der S c h ö p f u n g f ü r e w i g e Zeiten zubereitet hätten, und dafs es billig deshalben s e y , solches zu l o b e n , es f ü r unsterblich zu h a l t e n , und keinesweges an dessen Untergang zu g l a u b e n ; dergleichen R e d e n scheinen mir albern. W a s mag w o h l den Unsterblic h e n , E w i g s e l i g e n , daran l i e g e n , unserthalben sich solche M ü h e zu g e b e n ? W a s könnte sie antreiben, nach so langer Z e i t der R u h e zu e n t s a g e n , und etwas Neues zu unternehmen ? W a r e n sie etwa des V o r i g e n überdrüssig? Brachten sie die Z e i t vor Entstehung der W e l t in T r a u e r und Finsternifs z u ? Oder konnten w i r über den Verlust des L e b e n s k l a g e n , das w i r niemals gekostet h a t t e n ? D i e s e s führet nun der D i c h t e r noch w e i t e r a u s , und leugnet, nach den L e h r e n seiner P h i l o s o p h i e , den E i n f l u f s seiner Götter ( deren E x i s t e n z w i r allerdings nicht recht begreifen k ö n n e n ) auf den B a u und die Einrichtung dieser W e l t . V . 196. Hier wiederholt e r , w a s schon oben gesagt w a r , dafs, w e n n er auch keine Kenntnifs v o n den ersten Stoffen der M a t e r i e h ä t t e , er sich dennoch getraue, aus der Ansicht des Himmels selbst, Und aus so vielen andern Gründen, zu behaupten, diese N a t u r der D i n g e , mit so vielen Mängeln b e h a f t e t , könne nicht ein W e r k der Gottheit bereitet f ü r uns seyn. F ü r ' s e r s t e , v o n dem w a s hier der w e i t e U m f a n g des Himmels u m s c h l i e f s t , w i e v i e l reissen davon nicht die B e r g e w e g , die von wilden T h i e r e n b e w o h n t e W ä l d e r , F e l s e n , Seen und S ü m p f e , und das M e e r , das die Küsten der E r d e w e i t auseinander hält. B e i n a h e zwei T h e i l e nimmt die glühende Hitze und der starre E i s f r o s t dem Menschen w e g . D e n übrigen T h e i l des L a n d e s würde die Natur mit

DES

F Ü N F T E N

BUCHS.

53

Disteln und D o r n e n u m z i e h e n , w e n n nicht die menschliche K r a f t widerstünde. W ü r d e diese nicht mühsam mit schwerem Pfluge die fruchtbaren Schollen durchwühlen, und den Boden reizen, die Keime hervorzubringen, nimmermehr würden sie von selbst in die freien L ü f t e empor steigen. U n d d o c h , w a s er mit schwerem F l e i f s e hervorgebracht h a t , w e n n alles schon blüht und frachtbare E r n d t e n v e r k ü n d e t , versengt es zuweilen noch die Sonne durch ihre glühende H i t z e , oder Platzregen ersäufen e s , frostiger R e i f oder heftige W i n d stürme zernagen es. U e b e r d i e f s , warum nähret die E r d e reissende T h i e r e , die feindlich dem Menschen zu W a s s e r und zu L a n d e s i n d ? W a r u m führen die Jahreswechsel Krankheiten herbei ? W a r u m so viele frühzeitige L e i c h e n ? Siehe das K n ä b l e i n , w i e ein durch die W u t h der W e l l e n an das U f e r g e w o r f e n e r S c h i f f e r , liegt es d a , das arme K i n d ! nackt, auf der E r d e , aller L e b e n s h ü l f e d ü r f t i g , w a n n es zuerst die Natur aus dem Schoofse der M u t t e r mit Schmerzen losgerissen hat. M i t kläglichem G e w i m m e r erfüllt es seinen Geburtsort. U n d das w o h l mit R e c h t , dem so v i e l Uebles,noch im L e b e n bevorsteht! A b e r die T h i e r e , die zahmen w i e die w i l d e n , sie wachsen empor, brauchen keine Kinderklappern , keine kosenden W o r t e der Säugammen , keine nach der Witterung veränderte K l e i d u n g ; endlich auch keine W a f f e n , keine hohen M a u e r n , ihr Eigenthum zu beschützen. Alles giebt ihnen die E r d e reichlich v o n selbst, und die N a t u r , die S c h ö p f e r i n mannigfacher Dinge. Y . 236. D e r D i c h t e r fängt nun an zu schliefsen, d a f s , da alle T h e i l e , w o r a u s dieses Ganze zu bestehen scheint, E r d e , Wasser, L u f t und F e u e r , hinfälliger Natur und sterblich s i n d , so müsse auch diese W e l t selbst A n f a n g und E n d e haben. E r v e r w a h r t sich gegen seinen M e m m i u s , hier nicht etwa eine unbesonnene M e i n u n g geäufsert zu haben, und sucht durch E r f a h r u n g der überall abnehmenden Verbindungen und K r ä f t e darzuthun, dafs alles sich nach und nach auflöse und verzehre. Ungemein sinnreich und in trefflichen V e r s e n , mit erhabenen Ansichten und Gedanken über die Vergänglichkeit der D i n g e , f ü h r t der D i c h t e r sein Argument a u s ; welches jedoch zu wiederholen hier zu w e i t l ä u f t i g wäre. Z u l e t z t , V . 3ßx. sagt er noch: D a w i r die wichtigsten Theile der W e l t , W a s s e r und F e u e r , in beständigem Streite sehen, w ä r e es nicht möglich, dafs in der F o l g e eines das a n d e r e aufriebe und verzehrte? Auch ist die S a g e , Lucret.

I.

dafs dergleichen schon ehemals

im

Werke e

34

Ü B E R S I C H T

gewesen sey. E i n m a l habe das W a s s e r alles zu überschwemmen gesucht; darauf habe aber das F e u e r die Oberhand erhalten, als mit reissender G e w a l t die Sonnenpferde aus ihrer B a h n w i c h e n , und den Phaetlion über die E r d e h i n w e g durch den Himmel schleppten. Aber der allmächtige V a t e r , von heftigem Z o r n entbrannt, schleuderte den heldenmüthigen J ü n g l i n g mit schnellem Blitzstral vom W a g e n herab. A b e r der Sonnengott kam ihm e n t g e g e n , und nahm die e w i g e F a c k e l der W e l t w i e d e r auf von seinem S o h n e , führte die zerstreuten R o s s e z u r u c k , spannte sie an den W a g e n , und nun auf gewohnter B a h n hinfahrend erquickt er die W e l t mit seinem L i c h t e . So sangen es die alten Dichter der Grajen , welches jedoch w e i t von dem wahren Gange der N a t u r entfernt ist. Dieses setzt der D i c h t e r auseinander. V . 4 1 7 . Auf was W e i s e nun dieses Zusammentreffen der Materie H i m m e l , E r d e , die Meerestiefen, Sonne und M o n d , gegründet habe, das w i l l er jetzt erklären. D i e S t o f f e seyen nämlich seit unendlicher Z e i t , in unzähliger M e n g e , auf mancherlei W e i s e , durch Stöfse und B e w e g u n g e n aller A r t herumgetrieben, endlich zu dieser Ordnung und Verbindung der D i n g e gelangt, w o d u r c h diese W e l t entstanden. D i e s e Grundannahme setzt er nun mit Geist und trefflicher poetischer R e d e w e i t l ä u f t i g auseinander, um die M ö g l i c h k e i t davon zu e r w e i s e n , und die Entstehung der W e l t und aller D i n g e daraus darzuthun. V . 5 1 0 . Hier beginnt er die B e w e g u n g der himmlischen Gestirne zu erklären, w i e und auf was W e i s e solche geschehe. V . 5 3 5 . D i e E r d e ruht in den mittlem Gegenden der W e l t . D a m i t sich ihre Schwere etwas vermindere, mufs sie eine andere Natur unter sich h a b e n , die von ihrem A n f a n g e an schon mit ihr verbunden, gänzlich ihr angeeignet i s t , und dieses sind die luftigen T h e i l e der W e l t , in welchen sie gleichsam eingepfianzet festsitzt. W i r dürfen uns nicht wundern, dafs sie die L ü f t e nicht eindrückt, noch ihnen zur L a s t w i l d . Sind doch dem Menschen seine Glieder nicht zur L a s t , nicht der K o p f dem H a l s , noch den F u f s e n der ganze Körper. N u r was ihm von aufsen kommt, öfters geringe D i n g e , drükken und beschweren ihn. So viel kommt darauf a n , mit welchen D i n g e n eine Sache gleich vom Anfange an verbunden gewesen ist. V . ' j ) 1 - Weitere Argumente. V . 565. D a s R a d der Sonne ist nicht viel gröfser noch kleiner als es unsern Augen erscheint. D e r R a u m zwischen uns und dem K ö r p e r ,

DES

FÜNFTEN

BUCHS.

35

der uns L i c h t und W ä r m e zuströmen kann , nimmt der Flamme nichts von ihrem Umfange weg, noch verkleinert er das Feuer. Da w i r nun L i c h t und W ä r m e der Sonne f ü h l e n , so mufs auch der Umrifs der Sonne nicht viel gröfser noch kleiner seyn als er erscheint. V. 575- Auch der M o n d , mag er nun mit entlehntem oder eigenem L i c h t e scheinen, ist nicht gröfser als w i r ihn sehen. Hievon der Erweis. Y. 585. Auch die Sterne ( d a die irdischen Feuer, so lange ihr Stral uns hell leuchtet, nur w e n i g an Gröfse ä n d e r n ) so können auch sie nur um W e n i g e s kleiner oder gröfser seyn. V. 592. W o h e r die so kleine Sonne einen solchen Strom von L i c h t ausgiefsen könne, um F.rde, Meer und Himmel damit zu erfüllen, und alles mit W ä r m e zu erquicken. Mehrere Gründe und Gleichnisse. V. 613. W i e es aber komme, dafs die Sonne von den Sommerzeichen zu dem Steinbock sich wende, und von da wieder zu dem Zeichen des Krebses k e h r e ; i n g l e i c h e n , dafs der Mond den jährlichen Umlauf der Sonne in Monaten vollende, h i e v o n , sagt der D i c h t e r , liefs sich keine einfache und bestimmte Ursache angehen. Er führt deshalb mehrere Meinungen a n , und unter andern die vom Demokritus, dafs, je näher die Gestirne der Erde s i n d , desto weniger könnten sie Von dem grofsen W i r b e l des Himmels mit fortgerissen werden. V. 649. Die Nacht bedeckt mit tiefem Dunkel die E r d e ; entweder w e i l die Sonne, wann sie die äufsersten Grenzen des Himmels erreicht h a t , ermattet ihre Glut aushaucht; oder w e i l dieselbe G e w a l t , die sie über die Erde h i n t r e i b t , sie nun z w i n g t ihren L a u f unter der Erde zu nehmen. V. 655. Die Göttin Matuta fuhrt zu bestimmter Zeit die rosige Morgenröthe am Himmel herauf, und schliefst die Pforten des L i c h t s a u f ; entweder w e i l die unter der Erde verborgene Sonne, zurückkehrend, ihre Stralen voraussendet, oder w e i l viele Stoffe des Feuers zu bestimmter Zeit zusammenfliefsen, wodurch sich das L i c h t der Sonne immer wieder aufs neue entzündet. So , sagt man, könne man von den hohen Idäischen Bergen bei angehendem Tageslicht zerstreute Feuer sehen, die dann sich zur Kugel ballten und einen Kreis bildeten. Wundern darf man sich übrigens n i c h t , dafs diese Feuerstoffe so, zu bestimmter Z e i t , zusammenfliefsen, um den Glanz der Sonne herzustellen. W i r sehen ja, dafs vieles bei vielen Dingen in bestimmtem

Ü B E R S I C H T Z e i t l a u f e geschieht. Blühen doch die B ä u m e zu gewisser Z e i t , verlieren auch ihre Blüthen zu gewisser Z e i t . Z u gewisser Z e i t wachsen die Z ä h n e , und fallen auch wieder a u s ; die Wangen des J u n g l i n g s umkleidet ein zarter Pflaum, und der B a r t wächst. Ungewitter, Schnee, R e g e n und Sturme, kommen zu gewisser I a h r e s z e i t ; alles folget dem T r i e b e , den einmal die Natur ihm eingelegt hat. V . 679. W i e es k o m m e , dafs die T a g e w a c h s e n , und w i e d e r a b n e h m e n ; im W i n t e r die Nächte lang und im Sommer kurz sind. V . 703. D i e Ursachen des Mondwechsels. Zierliche Schilderung der auf einander folgenden Jahreszeiten. V . 750. Von S o n n e - und M o n d f i n s t e r n i f s . V . 778. Nun kommt endlich der D i c h t e r auf die erste B e s c h a f fenheit der neuentstandenen W e l t ; w a s die .noch weiche E r d e herv o r b r i n g e n , und den unbeständigen Winden anvertrauen konnte. Z u e r s t bekleidete sie die B e r g e und H ü g e l mit grünem Schmuck der K r ä u t e r ; die Felder glänzten von lichteren Farben. Nachher stiegen die mannichfaltigen Bäume mit freiem Z ü g e l in die L u f t . W i e F e d e r n , Haare und Borsten sich an den Gliedern v i e r f ü f s i g e r T h i e r e und V ö g e l erzeugen, so brachte die noch junge E r d e Kräut e r , Stauden und Büsche hervor. D a n n erschuf sie die Geschlechter lebendiger T h i e r e ; v i e l e , von mancherlei Art und Gestalt. U n d so gebührt der E r d e mit R e c h t der M u t t e r n a m e , w e i l alles aus ihr entstanden ist. Auch jetzt noch entstehen mancherlei T h i e r e , erzeugt von feuchtem Regen und dem erwärmenden Stral der Sonne. Was Wunder d e n n , dafs damals mehrere und gröfsere entstanden sind, da die E r d e noch jung w a r , und kräftiger der Aether. V . 8 0 0 - Z u e r s t verliefsen die fliegenden Geschlechter und V ö g e l zur Frühlingszeit ihre E i e r ; w i e ungefähr jetzt noch die Cicaden die rundlichen B ä l g e a b l e g e n , und dann von selbst Nahrung und Speise suchen. Dann brachte die E r d e die übrigen Thiere hervor, da noch v i e l W ä r m e und Feuchtigkeit auf den Feldern übrig w a r . Hieraus entw u c h s e n , w o irgend die Orte günstig w a r e n , B ä r m ü t t e r , an W u r z e l n b e f e s t i g t ; und da das reifende Alter der Kinder, das die Nässe fliehend nach L u f t strebte, diese durchbrochen h a t t e , öffnete die Natur daselbst die Poren der E r d e , und liefs einen, S a f t hervorfliefsen, der M i l c h g l e i c h ; w i e noch jetzt die Frauen nach erfolgter Geburt sich mit M i l c h e r f ü l l e n , da alle Nahrung nach den Brüsten sich hindrängt.

DES

FÜNFTEN

BUCHS.

37

Dem Kinde gab die Erde Speise, die W ä r m e das K l e i d , sein Schlafbett der weiche Rasen. D i e neue W e l t kannte weder den harten Frost, noch die brennende Sonnenhitze, noch die heftig wuthenden Sturme. Alles nimmt auf gleiche Art z u , und erhalt nach und nach gröfsere Kräfte. M i t noch höherem Rechte gebührt alsd der Muttername der E r d e , da sie alles zur richtigen Zeit hervorgebracht hat. V. 324. Aber w e i l doch einmal das Vermögen zu gebären ein Ende h a t , so ruhte die Erde a u s ; w i e ein W e i b erschöpft vom Alter. D i e Zeit verändert die Gestalt aller D i n g e ; ein Zustand nimmt den andern auf. Kein Ding bleibt dasselbe; alles w e c h s e l t , alles verändert die Natur, und bringt Neues zum Vorschein. So vermorscht das e i n e , erschlafft vom Alter; anderes w ä c l i s t a u f , und gellt aus seinem niedrigen Zustand hervor. Eben so verändert auch die Zeit d i e ' N a t u r der ganzen W e l t . Ein Zustand der Erde folgt auf den andern; w a s sie ehemals k o n n t e , J i a n n sie jetzt nicht m e h r ; vermag anderes, was sie ehemals nicht vermocht hat. V- 035- Von den Ungeheuern, die ehemals die Erde hervor zu bringen suchte, die sich aber nicht fortpflanzen konnten. D i e Natur selbst verabscheute ihre Vermehrung. V- 853- Viele Geschlechter der Thiere sind bereits untergegangen. L i s t , Starke oder Schnelligkeit, hat die übrigen erhalten. Manche haben sich auch durch ihre Nützlichkeit uns empfohlen; als die wachsamen treuen H u n d e , die L a s t t h i e r e , die wolletragenden Heerden, und das gehörnte Vieh. V. 076. Centauren und Scyllen gab es n i e ; kann es auch nicht geben, so wenig als Chimären und Geschöpfe doppelter N a t u r , aus fremdartigen Gliedern zusammengesetzt, nicht mit gleichen Kräften begabt. V. 923. Vom Menschen. Jenes Menschengeschlecht auf den Feldern w o h n e n d , w a r w e i t härterer N a t u r , erzeugt von harter Erde. Inwendig mit gröfsern und festern Knochen ausgerüstet, und mit der Flechsen mächtigen Banden. Weder Hitze noch Kälte konnte sie treffen; noch die Veränderung der Speise, noch irgend ein Ungemach des Körpers. Gleich den Thieren ein herumschweifendes L e ben führend, lebten sie viele Lustren hindurch. Keiner w a r L e n k e r des krummen Pfluges, keiner wufste mit Eisen die Felder zu bändigen , noch das junge Reis der Erde einzugraben , noch mit der Hippe dem hohen Baum die morschen Aeste zu benehmen. W a s

Ü B E R S I C H T Sonne und Regen g a b , was die Erde f r e i w i l l i g d a r b o t , das nahmen sie an als ein freundliches G e s c h e n k ; pflegten sich unter den eicheltragenden Bäumen, oder mit rothen Früchten des Erdbeeibaumes, die damals w e i t gröfser w u r d e n , oder mit andern F r u c h t e n , welche die junge Erde häufig hervorbrachte. D e n D u r s t löschten sie an Fliissen, oder Quellen und "Bächen, deren Geräusch sie herbeilockte, oder die auf freiem Felde sich ergossen. N o c h wufsten sie nicht die D i n g e mit Feuer zu behandeln , kannten auch nicht den Gebrauch der Häute noch Felle. Sie bewohnten die Haine, Berghölen und W ä l d e r ; verbargen unter Gesträuch die schmutzigen Glieder, sich vor W i n d und Regen schützend. Von gemeinschafrlichem Gute w a r nichts zu d e n k e n ; w e d e r Sitte kannten sie noch Recht. W a s jedem das Glück zur Beute z u w a r f , das nahm er mit sich , nur für sich und sein W o h l s e i n besorgt. In den Wäldern verbanden sie sich zur L i e b e . D i e G e w a l t des M a n n e s , seine heftige B e g i e r d e , brachte sie zusammen, oder auch ein Geschenk von Eicheln , Beeren oder Birnen. Stark durch die K r a f t ihrer Fäuste und die Schnelligkeit der Füfse, veriolgten sie die Waldthiere, mit Steinwürfen oder schweren K e u l e n ; hüllten sich Nachts in Baumblätter ein oder Z w e i g e . V . 9ßo. Am meisten lag ihnen am Herzen die Furcht vor den w i l d e n Thieren ; wenn ein borstiges Schwein ankam, oder ein mächtiger L ö w e . Dann verliefsen sie die felsigen Häuser und überliefsen ihr mit Blättern bestreutes L a g e r den grausamen Gästen. Und doch verliefsen damals nicht viel mehrere M e n s c h e n , als j e t z t , das süfse L i c h t des Lebens. W u r d e einer oder der andere ein Raub dieser Thiere, so verliefs er unter gräfslichem Geheul das L e b e n ; aber es wurden doch nicht viele Tausende unter den Fahnen h i n g e f ü h r t , das Schlachtopfer Eines T a g e s ; auch schleuderten die ungestümen Meereswogen nicht Männer und Schiffe an Felsen und Klippen. Vergeblich tobte das M e e r bei aufgeregten W o g e n ; •und leicht legte es auch w i e d e r seine unnützen Drohungen. Kernen konnte die schmeichelnde Hinterlist des lachenden Meeres ins Verderben l o c k e n ; denn noch w a r die verderbliche Schiffskunst nicht erfunden. Damals starben viele aus Hunger, jetzt erstickt sie der Uberflufs. Jene schenkten sich unvorsichtigerweise G i f t e i n ; jetzt reicht man es, g e s c h i c k t e r , dem andern.

D E S V. 1009.

F Ü N F T E N

B U C H S .

39

E r s t als sie sich Hütten erbauet L a t t e n , sich bekleidende

F e l l e und F e u e r a n g e s c h a f f t , in E h e n l e b t e n ,

K i n d e r daraus ersahen,

erst dann f i n g das Menschengeschlecht an sanfter zu werden. grenzende

errichteten

Nahan-

freundliche B ü n d n i s s e untereinander, sich nicht

zu b e s c h ä d i g e n , noch sich zu beleidigen ,

W e i b e r und K i n d e r einander

empfohlen seyn zu lassen. V. 1027.

W i e die M e n s c h e n zur Sprache gelangt sind.

Unsinn

wäre

es zu g l a u b e n ,

ein E i n z i g e r

Sprache g e l e h r t , und diese w ä r e n so

habe

die übrigen die

gefällig g e w e s e n ,

sie von

ihm

anzunehmen. D e r D i c h t e r macht diese Vorstellung aus mehrern Gründen lächerlich.

Z u l e t z t , sagt e r , w a s ist denn so w u n d e r n s w ü r d i g e s dabei, dafs

der M e n s c h , der Z u n g e und Stimme h a t , die verschiedenen

Dingenach

seiner verschiedenen E m p f i n d u n g mit einem L a u t bezeichnete 'i F i n d e n w i r doch auch bei T h i e r e n , dafs sie verschiedene T ö n e

von sich

ge-

b e n , nachdem sie F u r c h t , Schmerz oder L u s t treibt. H i e r kommen geistreiche Schilderungen letzt auch

von

Vögeln,

wie

von H u n d e n , P f e r d e n , z u -

sie bei verschiedenen E i n d i ü c k e n

ver-

schiedene Stimmen äufsern. V.

X 0 9 0 .

W i e die Menschen dazu gekommen sind F e u e r z u erhal-

t e n , Speisen zu kochen u. s. w . V. 1 1 0 7 .

Nun

fingen K ö n i g e

an Städte

zu e r b a u e n , B u r g e n ein-

z u r i c h t e n , sich selbst zum Schutz und zur Freistatt. und Aecker a u s ,

jedem

nach

Ansicht

K r ä f t e des K ö i pers oder des Geistes. fcörpeiliche Zuletzt

Sie theilten V i e h

seiner schönen G e s t a l t ,

seiner

A m meisten vermochte jedoch

Schönheit und K r a f t . erfand man Reichthum

und Geld.

der Schönheit und Stärke den V o i z u g ;

D i e s e s benahm leicht

denn dem A n h a n g des R e i c h e n

folgt auch der Schönere und Stärkere. W i i f s t e n die M e n s c h e n , r u f t der D i c h t e r nun a u s , w a h r e r V e r n u n f t einziii i c h t e n ,

R e i c h t h u m s e y , bei ruhigem G e m ü t h e mäfsig braucht, dem mangelt es selten.

zu leben.

A b e r die Menschen

und grofs s e y n , um auf dauernde Grundfesten ihr bereiten sicli selbst eine gefährliche B a h n ; von der H ö h e In rab. ten.

Lafst

Dahei

Wer

wollen

Glück

und in Reichthuin ein gemächliches L e b e n zu führen.

ruhig zu l e b e n ;

ihr L e b e n mit

so würden sie f i n d e n , dafs es g r o f s e r

zu

wenig mächtig stützen,

Umsonst!

Sie

ein Blitzstral schleudert sie

es w e i t besser i s t , bei mafsigem G l ü c k

lieber zu gehorchen, als nach der Herrschaft zu trach-

sie mit

Schweifs

und B l u t

auf dem schmalen W e g e der



Ü B E R S I C H T

Ehrsucht sich bekämpfen; der Neid t r i f f t , w i e der B l i t z , meist nur die hoben Orte. Aber sie «ind nur aus fremdem Munde k l u g ; handeln mehr nach dem, was sie von andern h ö r e n , als nach eigener Ueberlegung. So ist es j e t z t , so w a r es ehemals, und so wird es auch in Zukunft seyn. V . 1 1 3 5 . D i e Könige waren ermordet. D i e alte Majestät der T h r o n e w a r umgeworfen; es lagen die stolzen Scepter im Staub. Der prächtige Hauptschmuck des Fürsten lag blutig unter den Füfsen des Volk e s ; denn was man zu sehr gefürchtet h a t , wird begieriger niedergetreten. Nun kam die Herrschaft zur niedrigsten H e f e des V o l k e s ; denn jeder wollte sie haben. E i n grofser Theil verlangte nachher einen M a g i s t r a t , Gesetz und Constitution. Auch das Menschengeschlecht, müde unter Hafs, Feindschaft und G e w a l t zu leben, untergab sich freiwilliger nun der Vorschrift und dem Gesetz. Gewalt und Unrecht flicht sich sein eigenes N e t z , und das Gewissen straft zuletzt jeden. V . 1 1 6 0 . Welche Ursache die Erkenntnifs der Götter auf der ganzen E r d e verbreitet bat, mit Altären die Städte angefüllt, Feste geordnet, und dergleichen. Woher auch dieser Schauder vor den Göttern den Sterblichen eingepflanzt worden ; das wird nicht schwer seyn zu erklären. D i e Menschen sahen nämlich schon bei wachenden Augen herrliche Bilder der Götter, noch mehr aber im Schlafe; von wunderbarer Gröfse und Wuchs des Körpers. Sie legten diesen Sinn und E m p f i n dung bei; denn sie sahen, w i « sie die Glieder bewegten, stolze W o r t e sprachen, ihrem Ansehen und ihren Kräften gemäfs. Sie legten ihnen noch unsterbliches Leben bei, weil sie ihnen immer in derselben J u gendkraft sich zeigten, die keiner Gewalt unterworfen zu seyn schien. F ü r so glücklicher hielten sie dieselben, weil sie keine Furcht des Todes kannten, und ohne M ü h e wunderbare Sachen verrichteten. Ueberdiefs sahen sie auch den Zustand des Himmels, und w i e sich das J a h r in bestimmten Kreisen dreht. Hievon konnten sie die Ursachen nicht ergründen, deshalb flüchteten sie zu den Göttern und deren allmächtigem Wink. In den Himmel versetzten sie ihre W o h n u n g e n , well sie da Sonne und Mond sich umwälzen sahen, und T a g und Nacht, und die ernsten Lichter der N a c h t , die schwärmenden Fackeln des Himmels, die

D E S

fliegenden F e u e r ,

F Ü N F T E N

Wolken,

Thau ,

B U C H S .

Regen,

Schnee,

Wind,

H a g e l , die g e r ä u s c h v o l l e n S t ü r m e u n d den s c h r e c k l i c h e n O

unseliges

Göttern

Geschlecht

zuzuschreiben,

der

und

Menschen !

noch

dazu

Dergleichen

aus

Blitze,

Donner. Dinge

den

grimmigem Zorne.

Wie

viel E l e n d b e r e i t e t e n sie s i c h s e l b s t , w i e v i e l a u c h uns und den N a c h kommen • F r ö m m i g k e i t ist das n i c h t , mit v e r h ü l l t e m H a u p t e sich o f t m a l s sich

derzuwerfen,

den B i l d e r n der G ö t t e r

zu

liegen,

mit

die

auf Gelübde zu

ausgebreiteten

Altäre

mit

Wenn

der

vor

Thiere zu bespritzen,

nie-

Gelübde

mit

beruhigtem

Gemüthe

auf

die

Dinge

alle

können.

man a u c h den B l i c k z u den h o h e n

hinwendet,

die E r d e

häufen.

F r ö m m i g k e i t ist e s , hinsehen zu

Händen

Blute

auf

um

den Stein z u d r e h e n , alle A l t ä r e a n z u r e n n e n ,

z u den g l ä n z e n d e n G e s t i r n e n ;

M o n d betrachten,

Gewölben

wenn

des

dann e r h e b t die v o n a n d e r n U e b e l n

d r ü c k t e S o r g e ihr H a u p t e m p o r ,

Himmels

w i r die S o n n e , bisher

den

unter-

und f r a g t : ob nicht e i n e u n e r m e f s l i c h e

M a c h t d e r G ö t t e r diese g l ä n z e n d e n G e s t i r n e auf m a n n i g f a l t i g e A r t wege ?

D e n n der M a n g e l

Entstehung

der

Welt,

über ihren

Untergang?

W i e lange noch

M a u e r n d e r s e l b e n die L a s t solcher B e w e g u n g e n tragen k ö n n e n ? o b s i e , v o n der G o t t h e i t mit e w i g e m

H e i l e b e g l ü c k t , d u r c h die

l i c h e F o l g e der Z e i t f o r t d a u e r n d sich erhalten m ö g e n ? V.

1217.

be-

an K e n n t n i f s setzt uns in Z w e i f e l über die die

Oder unend-



N u n leitet der D i c h t e r die F u r c h t v o r den G ö t t e r n a u c h

aus der f u r c h t b a r e n G e w a l t der G e w i t t e r h e r , und dem S c h r e c k e n ,

der

die M e n s c h e n d a b e i b e f ä l l t . D i e D a r s t e l l u n g des B e f e h l s h a b e r s einer F l o t t e , der mit seinen g i o n e n auf dem S c h i f f e d u r c h die G e w a l t der S t ü r m e z u G r u n d e E r f l e h t die G ö t t e r a n ; Klippen.

aber

umsonst!

Sein S c h i f f z e r s c h e l l t an

H i e r s c h l i e f s t der D i c h t e r mit den W o r t e n :

e s , dafg

eine gewisse verborgene G e w a l t

und

den

so sehr scheint

die m e n s c h l i c h e n

G r u n d e r i c h t e t , B ü n d e l und Beil z u B o d e n t r i t t , sich

Legeht.

sie

Dinge zum

zu

Spiele

macht. V . 1240. Z u l e t z t w u r d e n n o c h die Metalle, G o l d , S i l b e r , B l e i ,

und E i s e n

entdeckt;

wahrscheinlich

durch i r g e n d einen andern Z u f a l l . derselben.

durch

grofse

Nun

Erz oder

N u n e n t d e c k t e n sie auch den N u t z e n

E r z z o g man dem G o l d e v o r , w e i l

nicht so l e i c h t u m b o g .

Waldbrände,

gilt d i e s e s ,

es h ä r t e r w a r , und

u n d hat die h ö c h s t e

sich

Würde

erreicht. T.uLret.

I.

f

U B E R S I C H T

42

S o verändert die U m w ä l z u n g der Z e i t das Schicksal der D i n g e .

Was

ehemal» galt, gilt nun nicht m e h r ; dann w i r d dieses erhoben und gelangt z u den höchsten E h r e n .

T ä g l i c h w ä c h s t das V e r l a n g e n danach, und bat

man es g e f u n d e n , so blüht es in P r e l i s und W u n d e r . Y . 12Q0. Vom E i s e n und dessen V. 1296.

Gebrauch.

V o n den K r i e g s r ü s t u n g e n .

E r s t bestieg man n u r b e w a f f n e t

das P f e r d , dann kam man auf die z w e i s p ä n n i g e n W a g e n , dann auf das Viergespann und die S i c h e l w a g e n .

D i e P ö n e r lehrten die g r n f s ü c h e n

L u k a n i s c h e n O c h s e n , mit dem Schlangenrüss'el

und

mit T h ü r i n e n auf

den Rücken ( d i e E l e p h a n t e n ) , die W u n d e n des K r i e g e s e r t r a g e n ,

und

V e r w i r r u n g in Hie K r i e g e s b a u f e n zu bringen. S o erfand die blutige Z w i e t i a c h t ein verderbliches W e r k z e u g nach dem andern

Auch versuchte man Stiere gegen den F e i n d zu schicken

und wilde Eber. D i e P a r t h e r führten L ö w e n mit bewaffneten

Anführern vor

Schlachtreiheu her.

D o c h w a r diefs ein eitler Versuch.

T h i e r e , noch

erhitzt durch den

mehr

ihren

D i e grausamen

mörderischen K a m p f ,

brachten

V e r w i r r u n g auf beiden S e i t e n ; setzten die R o s s e in S c h r e c k e n , die sich n i c h t mehr bändigen l i e f s e n ; w ü t h e t e n und zerrissen Freund und Feind. D e r D i c h t e r schildert diesen A u f r u h r mit brennenden F a i b e n . V.

1350.

V o n der K l e i d u n g .

dann folgte die W e b k u n s t ,

A n f a n g s knüpfte man F e l l e zusammen,

nach E r f i n d u n g des E i s e n s ;

denn dieses

brauchte man , die verschiedenen Geräthschaften zu v e r f e r t i g e n . D i e M ä n n e r bearbeiteten,

noch eher als die W e i b e r ,

denn das männliche Geschlecht ist geschickter zur Arbeit.

die

Wolle;

D e r strenge

Ackersniann aber machte ihnen einen Schimpf d a r a u s ; s o , dgfs sie dieses den H ä n d e n der W e i b e r überlassen mufsten.

Sie sollten nämlich ein

härteres W e r k treiben, H ä n d e und Glieder bei härterer Arbeit stärken. V . i"}6o.

Vom

Landbau.

Ein

Vorbild,

Saamen zu s t r e u e n ,

und

B ä u m e zu i m p f e n , gab ihnen die N a t u r s e l b s t , die S c h ö p f e r i n der D i n g e . R e i f e Beeren und E i c h e l n , die man den B ä u m e n entfallen sah, erzogen um sich einen Schwärm von S p r ö f s l i n g e n . Sie suchten ihr Aeckercben

immer g e f ä l l i g e r a n z u b a u e n ,

w e i l sie

s a h e n , dafs durch C u l t u r auch die F r u c h t sich verbesserte. Sie z w a n g e n die rauhen W ä l d e r immer mehr auf die B e r g e z u r ü c k ; an deren F u f s e sie ihre P f l a n z u n g e n anlegten. S o w u r d e die G e g e n d immer anmuthiger und g e f ä l l i g e r , w i e du sie noch jetzt s i e h s t , durch a b w e c h s e l n d e n Reiz geschmückt. V . i j 7 8 > M i t dem M u n d e die helltönenden Stimmen der V ö g e l nach-

DES

F Ü N F T E N

BUCHS.

43

zuahmen , w a r lange schon im Gebrauch , ehe man noch die lieblichen L i e d e r mit G e s a n g zu begleiten verstand.

Z e p h y r s Säuseln im hohlen

R o h r lehrte zuerst den L a n d m a n n in den gehöhleten Halm zu blasen. N a c h und nach lernten sie auch die süfsen K l a g e n der F l ö t e unter den F i n g e r n des K ü n s t l e i s ;

die in abgelegenen

H a i n e n , T r i f t e n und

dern erfunden w o r d e n , an den öden Orten der H i r t e n ,

Wäl-

bei himmlischer

Mufse. So bringt die Z e i t eines nach dem andern h e r v o r ; Nachdenken erhöht es , und stellt es in gehöriges L i c h t . D a m i t nun schmeichelten und ergötzten sie den S i n n , w e n n sie satt von S p e i s e w a r e n ;

denn dann ist die R u h e am gefälligsten.

V . 1 1 9 1 . O f t ergötzten sie sich a u c h , hingestreckt auf weiche R a s e n , im Schatten hoher B ä u m e , neben dem rinnenden B a c h , und w a r e n fröhlich mit geringem A u f w a n d . die

grünen

Fluren

Sonderlich wann der F r ü h l i n g l a c h t e , und

mit Blumen bestreute.

süfses G e s c h w ä t z x u n d munteres G e l ä c h t e r ; Muse.

Dann wurde

D a n n regten sich

Scherz,

dann blühte die ländliche

Haupt und SchultPr mit K r ä n z e n umwunden , mit

Blättern und B l u m e n , w i e es der fröhliche Uebermuth eingab. A u f s e r T a k t die schweren Glieder zu b e w e g e n , mit tölpischem F u f s e die Muttererde Lustsinn;

zu

s t a m p f e n , das erregte G e l ä c h t e r und

schäkernden

w e l l damals alles noch u n g e w o h n t und neu w a r .

D e n Schlaf suchten sie durch Veränderung der Stimmen zu ersetzen und durch B e u g u n g e n des G e s a n g e s ;

auch mit gekrümmter L i p p e das

R o h r zu durchlaufen. A u c h jetzt noch tri'iben w i r dergleichen, und haben gelernt T a k t und W e i s e zu halten ;

demungeachtet haben w i r nicht im geringsten mehr

V e r g n ü g e n d a v o n , als jene lohen Söhne der F.rde hatten. V. 1 4 1 0 .

D a s G e g e n w ä r t i g e , w e n n w i r v o r h e r nichts Besseres ge«

kannt hab>n, gefällt v o r z ü g l i c h , und scheint das beste zu seyn.

Kommt

w a s Besseres, so verliert jenes, und der Geschmack ändert sich gänzlich. So ist die F.icliel uns z u w i d e r g e w o r d e n ;

so sind jene L a g e r von L a u b

und Z w e i g e n v e r l a s s e n ; der W e r t h der F e l l e und der Kleider von T h i e r hnuten ist gefallen und w i i d verschmäht;

und doch glaube ich, dafs der

e r s t e , der diese K l e i d u n g erfunden und getragen h a t , so vom Neid folgt w u r d e , dafs er seines L e b e n s nicht sicher w a r ;

ver-

j a , dafs man ihn

z e n i s s e n h a t , und das mit B l u t befleckte K l e i d nicht einmal zum Nutzen angewendet. V. 1 4 2 2 .

Damals w a r e n es H ä u t e , nun ist es Gold und P u r p u r , w a s

den M e n s c h e n in S o r g e n setzt und solchen K a m p f verursacht.

Desto

44

Ü B E R S I C H T

mehr liegt die Schuld an u n s , wie icb glaube. Jene Erdenkinder plagte die K ä l t e , weil sie nackt und ohne Bekleidung w a r e n ; aber was schadet es u n s , wenn wir kein purpurnes mit Gold und Edelsteinen gesticktes Kleid haben, da uns doch ein gemeines Gewand zuin Schutz hinlänglich genug seyn könnte! So quält sich immer der Mensch vergeblich und ohne Grund , und verzehrt sein Leben in eiteln Sorgen; weil er nämlich seinem Verlangen kein Mais setzen kann, und nicht kennt die wahre Grenze des Vergnügens. Dieses hat nach und nach'das Leben in ein weites M e e r des Uebels fortgeführt, und die W o g e n des innerlichen Krieges erregt. V . 1455. Sonne aber und Mond , die Wächter des grofsen sich um» wälzenden Tempels der W e l t , haben den Menschen den Wechsel der Jahreszeiten gelehrt, und dafs alles in bestimmter Ordnung auf einander folge. V. i439 Sicher brachten nun die Menschen ihr Leben zu, umschlossen von mächtigen Thürmen. Das Land wurde abgetbeilt und behaut. D a s Meer blühte von Segeln. Man schlofs Bündnisse zu Freundschaft und Beibulfe. Dichter fingen an die Thaten in Liedern zu feiern, bald nach Erfindung der Buchstaben. Deshalb können wir auch nicht von dem, was in der Vorzeit sich zutrug, genau unterrichtet seyn, wann die Vernunft nicht noch einige Spuren auffindet. V . 1447. Schiffbau, Landbau, Architektur, Rechtswissenschaft, W a f f e n , Strafsenbau, Kleidung, und was noch zur Bequemlichkeit des Lebens gebort; desgleichen auch die Annehmlichkeiten desselben, Verskunst, Mahlerei und Bildhauerkunst, lehrte erst später Gebrauch, Geschicklichkeit und Erfahrung, mit unverdrossenem Fleifs langsam fortschreitend. So bringt nach und nach die Zeit jedes Ding zum Vorschein. Eines erhebt das andere zu hellerem L i c h t , bis es zuletzt den höchsten Gipfel erreicht hat.

S E C H S T E S

B U C H .

L u k r e z w i r d nicht müde das L o b seines Meisters E p i k u r u s zu singen. A t h e n , sagt e r , die herrliche Stadt, hat viel preiswürdiges f ü r die Menschhext erfunden. F s hat den Fruchtbau g e l e h r t , hat weise Gesetze g e s t i f t e t , und dadurch gleichsam ein neues L e b e n geschaffen. A b e r das herrlichste i s t , dafs es den M a n n erzeugt h a t , der süfsen T r o s t dem L e b e n brachte; der von so hohem Geiste w a r , und sein M u n d der M u n d der Wahrheit. Auch hat sich sein R u h m schon längst über die E r d e verbreitet, und steigt nun nach seinem T o d e zum Himmel. Als dieser e r s a h , dafs den Menschen alles bereitet sey was sie zum Unterhalt b e d u r f t e n , auch w a s zu ihrer Sicherheit nöthig; dafs sie R e i c h t h u m , E h r e , Ruhm besitzen, auch durch guten R u f ihrer Kinder noch höher erhoben w u r d e n ; demungeachtet aber ihnen ein geheimer W u r m immer am Herzen n a g e , der sie zu feindlichen Klagen z w i n g t : da merkte er, dafs der Schaden an dem G e f ä f s e selbst liege, welches alles w a s man hineingiefst ungeschmackt und w i d r i g macht; t h e i l s , w e i l es w i e durchlöchert und durchstofsen, nie zu erfüllen i s t ; theils a u c h , w e i l es alles v e r g n ü g l i c h e , w a s ihm von aufsen kommt, selbst mit häfslichem G e i f e r bespritzt. N u n suchte er mit W o r t e n der W a h r h e i t die Brust zu l ä u t e r n ; setzte Begierden und Furcht die gehörigen S c h r a n k e n ; l e h r t e , w a s das höchste Gut s e y , wonach w i r doch alle trachten, und w a s uns in gerader Strafse zu ihm führe. D a n n lehrte er a u c h , dafs es mancherlei Ü b e l in den menschlichen D i n g e n selbst g e b e ; theils aus natürlichen G r ü n d e n , theils durch Z u f a l l , und w i e man solchen zu begegnen habe. Zuletzt zeigte er n o c h , w i e das Menschengeschlecht die traurigen Wogen der Sorge meist vergeblich in der Brust umwälze.. D iese I r r t h ü m e r , sagt e r , können nicht durch die leuchtenden Stralen der Sonne vertrieben w e i d e n , sondern durch E i k e n n t n i f s und reine Ansicht der Natur. Y . 4 1 . Nun fängt der Dichter an sein begonnenes W e r k weiter fortzusetzen, und nachdem er gelehrt h a t , dafs Himmel und Erde sterb-

46

L B L II S I C I i T

licher N a t u r , und alles w a s darin ist vergänglich s e y , ermahnt er seinen Freund das übrige zu vernehmen. D e n n , ( auf das vollbrachte Geschäft zurücksehend, und gleichsam sich selbst erkräftigend) setzt er hinzu: ich habe nun einmal den glänzenden W a g e n b e s t i e g e n , in Hoffnung des S i e g e s , und die W u t h der S t ü r m e , die mir entgegen w a r e n , hat sich gelegt. Y . 49. W a s nun das übrige betrifft, das im Himmel und auf E r d e n sich z u t r ä g t , da die Menschen solches sich nicht zu erklären wissen, so erfüllt es sie mit Schrecken und zitternder Furcht. Sie schreiben es nämlich den Göttern z u , denen sie eine gewaltsame Herrschaft einräumen. D e n n obgleich sie wohlbelehret s i n d , dafs die Götter ein friedliches L e b e n f ü h r e n , so reifst sie doch das Erstaunen über D i n g e hin , deren Ursachen sie nicht einsehen können ; vorzüglich aber über diejenigen, die sich über ihrem Haupte und am Himmel ereignen, und sie fallen alsobald wieder in den alten Aberglauben z u r ü c k ; stellen sich, elender W e i s e , die Götter als unerbittliche Tyrannen v o r ; indem sie nicht w i s s e n , was seyn k a n n , und was nicht seyn k a n n , und w i e jedes D i n g durch seine eigene Natur beschränkt ist. S o f ü h r t sie nun ein tiefer Irrthum w e i t vom Wahren h i n w e g . W e n n du nun dergleichen nicht gänzlich aus deinem Gemüthe verbannest, und dir unwürdiges von den Göttern denkst, so werden dir die entehrten heiligen Gestalten immer vor den Augen s c h w e b e n ; nicht als könnten diese erhabene Wesen selbst beleidiget werden und in Z o r n geratlien, sondern w e i l du s i e , die höchst friedlichen, feindschaftlich und zur R a c h e geneigt dir denkest. D u w i r s t nun nicht mehr dich mit beruhigtem Gemüthe ihren Tempeln nahen k ö n n e n , noch die heiligen Bilder derselben, die von ihrer erhabenen Gestalt in die Seelen der Menschen dringen, mit befriedigtem Sinne auffassen. W e l c h E l e n d w i r d daraus f ü r dein L e b e n e r f o l g e n ! Dieses w e i t von uns zu entfernen hat bereits die wahre L e h r e der V e r n u n f t schon vieles durch mich ausgesprochen; vieles blieb dennoch z u r u c k , um es dir unter dem Reitze der Dichtkunst annehmlicher zu m a c h e n , und dir Grund und Ursache der himmlischen Erscheinungen aufzudecken. Noch mufs ich von den Ungewittern und den leuchtenden Blitzen dir r e d e n , von ihrer G e w a l t , und w o h e r sie k o m m e n ; damit du nicht, in alte Irrthümer v e r f a l l e n d , den Unsterblichen zuschreibest, was aus natürlichen Gründen zu erweisen ist.

DES

SECHSTEN

BUCHS.

l

\l

D u , sinnreiche M u s e , K a l l i o p e ! L u s t der Götter und M e n s c h e n ! D u zeige m i r , der ich jetzt dem letzten Z i e l e meiner B a h n zueile , du selbst den W e g , dafs ich den herllichen Kranz mit R u h m erreichen möge! So scheint sich der Dichter mit besonderer K r a f t ausrüsten zu w o l len , da er v on so erhabenen Dingen zu sprechen gedenkt. V. 95. D e r D o n n e r erschüttert die R ä u m e des H i m m e l s , entweder durch zusammenstofsen der hohen ätherischen W o l k e n mit den W i n d e n ; denn von der heitern Seite des Himmels kommt kein Schall h e r ; sondern je dichter die W o l k e n aufeinander gehäuft sind, desto heftiger entsteht das Geräusch. V . 100. Beschaffenheit der W o l k e n . V . 107. Verschiedenartiges Geräusch und Gang der W o l k e n . V . 120. Noch eine andere Ursache des schrecklichen Donners. W a n n nämlich ein gewaltiger Sturmwind sich in die W o l k e n eingedrängt h a t , darinn sich im W i r b e l umdreht, sie aushöhlt und v e r d i c h t e t , sodann mit G e w a l t losbricht und das Schrecken erregende Geräusch hervorbringt. Kein W u n d e r , da o f t eine kleine mit L u f t erfüllte Blase ähnlichen Schall erregt. V . 1 3 1 . Auch kann der W i n d selbst Geräusch e r r e g e n , w a n n ei durch die W o l k e n f ä h r t ; w i e etwa w a n n der Sturm den dichten W a l d d u r c h w ü h l t , und Z w e i g e und Aeste zerbricht. Y . 1 4 1 . E s giebt auch W o g e n in den W o l k e n , die sich brechen, w i e im M e e r e ' d i e Brandung. V. 144. Auch geschieht e s , dafs der glühende Blitzstral von einer W o l k e in die andere f ä h r t , daher das Geräusch, w i e w a n n du glühendes E i s e n in Wasser tauchst. V . 149. F ä h r t das Feuer in eine trockne W o l k e , so entzündet sich diese mit grofsein G e r ä u s c h , w i e etwa wann der Sturmwind F e u e r in die lorbeerhaarigen Bergw.ilder b r i n g t ; denn vor allen entzündet sich der Delphische L o r b e e r mit gewaltig knisternder Flamme. V . 1 5 5 . O f t mag auch zerschellendes E i s und der Schlag vom Hagel Geräusch in den hohen W o l k e n erwecken. D e r W i n d stopft sie nämlich zusammen, treibt sie an enge Orte, und B e r g e von Hagel und E i s zerschellen. V . 159. E s b l i t z t , w a n n die W o l k e n durch Zusammenstofs viele Feuersaamen auswerfen. Gleiches g e s c h i e h t , wann du einen Kiesel an den andern r e i b s t , oder ihn mit dem Stahl schlägst. Später kommt der Donnerschlag zu unserrn O h r e , als der B l i t z , w e i l D i n g e später

48

Ü B E R S I C H T

zum Ohre als zum Gesichte kommen. D u kannst dieses auch bemerk e n , w a n n man einen Baum umschlägt. D u siehst den F a l l vorher, ehe der Schlag dir zum Ohre kommt. Y . 1 7 1 . Auch noch auf andere Art mag es k o m m e n , dafs die W o l ken die E r d e mit schnellem L i c h t e t ü n c h e n , und das U n g e w i t t e r mit wallendem F e u e r leuchtet. W a n n nämlich der W i n d in eine W o l k e e i n d r i n g t , die Seiten v e r d i c h t e t , und sich darin eine Höhle bereitet, dieselbe durch seine Schnelligkeit in Gluth setzt; denn durch schnelle B e w e g u n g w i r d alles erhitzt und geräth in G l u t ; auch eine bleierne K u g e l schmilzt durch weiten Fortschufs. H a t nun der glühende W i n d die schwarze W o l k e durchbrochen, so streut er die gleichsam mit Gew a l t ausgedrückten Saamen des Feuers umher, wodurch dann die zuckenden Flammenblitze entstehen. D a r a u f f o l g t der S c h a l l , der später kommt. D i e s e s aber entsteht nur bei dichten und hochübereinander gebauten W o l k e n . V . iß6. L a i s dich hierin nicht i r r e n , dafs w i r hier unten mehr die B r e i t e als die Höhe der W o l k e n sehen. Betrachte nur einmal, w a n n die W i n d e den Bergen gleiche W o l k e n durch die L ü f t e t r a g e n , oder w a n n du sie an hohen Gebirgen hingelagert siehst, eine über der andern, w i e die obern die untern niederdrücken, obgleich alle W i n d e schweigen. Hieraus kannst du die ungeheure L a s t der W o l k e n erkennen. V . 203. Auch mag jener goldfarbige Stral reinen Feuers daraus entstehen, dafs die W o l k e n selbst viele Saamen des Feuers in sich fassen. W a n n sie nämlich ganz ohne Nässe s i n d , so sind sie meist von f e u r i g e r F a r b e und hellglänzend; denn sie mögen viele T h e i l e des Sonnenlichtes in sich auffassen , wodurch sie erröthen und F e u e r ausgiefsen. H a t nun diese der treibende W i n d vereinigt und an einen Ort zusammengeprefst, so ergiefsen sich die Saamen des F e u e r s , und w i r sehen die Feuerflammen blitzen. V . 2 1 3 . Auch wann die W o l k e n sich verdünnen, blitzen sie. E i n leichter W i n d f ü h r t sie auseinander, löfst sie a u f , von freien Stücken entfallen die Stoffe des F e u e r s , die den B l i t z machen. E r leuchtet ohne Geräusch und Schall. V . 2x3. W a s übrigens die Natur des Blitzes angeht, so zeigt diefs der Stral a n , mit dein er t r i f f t , die eingebrannten M a a l e , und der beschwerliche Schvvefelduft, den sie aushauchen. Sie zünden die Dächer an , und setzen die Häuser selbst in Flammen. Sein Feuer mufs von den allerdurchdringendsten und regsten Stoffen seyn , dein nichts w i derstehen kann. E s dringt durch Mauern , Stein und E i s e n ; schmilzt

DES

S E C H S T E N

E r z und G o l d im A u g e n b l i c k . den W e i n v e r s c h w i n d e n ;

BUCHES.

49

A u s u n b e s c h ä d i g t e n Fässern m a c h t es

denn es e r w e i t e r t die S e i t e n t h e i l e des Fas-

ses , dafs die H i t z e h i n e i n d r i n g e n k a n n , und die Stoffe des W e i n e s a u f l ö s e n d , v e r j a g t es dieselben.

So k a n n ,

w a s die S o n n e n h i t z e in

langer Z e i t nicht v e r m a g , der m ä c h t i g e Stral im A u g e n b l i c k . Y . 2^8-

V o n der M a c h t und G e w a l t des B l i t z e s .

V . 255.

S c h i l d e r u n g eines s c h w e r e n U n g e w i t t e r s .

Der

Dichter

s c h e i n t diesen Gegenstand v o r z ü g l i c h und unter allen E r s c h e i n u n g e n am

meisten

mit

p o e t i s c h e r E n e r g i e a u s g e a r b e i t e t z u haben.

w i e d e r h o l t er h i e r n o c h m a l s die E r f a h r u n g ,

Auch

dafs bleierne K u g e l n im

F o r t s c h u f s ( w i e er hier s a g t ) g l ü h e n d w e r d e n . V . 334.

H i e r k o m m t eine S t e l l e , die v i e l l e i c h t auf die N e w t o n i -

sche A n z i e h u n g s k r a f t hindeuten k ö n n t e .

D e r D i c h t e r sagt n ä m l i c h ,

indem er v o n der S c h n e l l i g k e i t des B l i t z e s s p r i c h t : diese entsteht a u c h d a h e r , w e i l alle K ö r p e r von N a t u r a b w ä r t s n e i g e n ; k o m m t n o c h ein Stöfs h i n z u , so v e r d o p p e l t sich die S c h n e l l i g k e i t , und der T r i e b w i r d stärker.

Endlich, was von weitem herkommt,

nimmt im

Fortgang

an S c h n e l l i g k e i t z u , und g e w i n n t immer neue u n d neue K r ä f t e ,

die

den S c h l a g verstärken ; es z i e h t nämlich die umher b e f i n d l i c h e n S t o f f e an s i c h , und t r e i b t sie h ä u f i g nach E i n e r Stelle hin. den sich auch n o c h T h e i l e

Vielleicht befin-

in der L u f t s e l b s t , die die S c h n e l l i g k e i t

vermehren h e l f e n . V.

347.

Weitere

Erklärungen von

der

Durchdringlichkeit

des

Blitzes. V . 356.

W a r u m im F r ü h j a h r und H e r b s t die G e w i t t e r stärker sind.

V . 373. diefs sey

D e r D i c h t e r schliefst nun diesen G e g e n s t a n d , und m e i n t ,

die

ipreehen;

rechte

W e i s e über die E r s c h e i n u n g e n des B l i t z e s z u

nicht aus jenen alten T y r r h e n i s c h e n Gesängen den g e h e i -

men Sinn der G ö t t e r daraus deuten z u w o l l e n ; k o m m e n , w o h i n er sich g e w e n d e t , auf w a s Art

w o h e r der B l i t z geer durch die M a u e r n

g e d r u n g e n , und v o n da sich w i e d e r siegend erhoben h a b e ;

auf w e l -

ches U n g l ü c k sein S c h l a g d e u t e ? V . 336.

D e r D i c h t e r k o n n t e sich b e i dieser G e l e g e n h e i t n i c h t ent-

h a l t e n , dem B l i t z e s c h l e u d e r n d e n

Jupiter und seinem A n h a n g e einige

s p i t z i g e R e d e n z u g e b e n , und scharfe V o r w ü r f e z u machen. Sind sie e s , sagt e r , die mit s c h r e c k e n e r r e g e n d e m

Geräusche die

G e w ö l b e des H i m m e l s e r s c h ü t t e r n , u n d nach B e l i e b e n die B l i t z e h e r s e h l e u d e r n ; w a r u m treffen sie denn d e n j e n i g e n n i c h t ,

um-

der unge-

scheut jeden F r e v e l b e g e h t , u n d lassen i h n , andern S t e r b l i c h e n z u m Lucret.

I.

g

Ü B E R S I C H T

5° Exempel,

aus d u r c h b o h r t e r B r u s t die B l i t z e s f l a m m e n

aushauchen?

N u r d e r j e n i g e , der sich keiner S c h u l d b e w u f s t i s t , w i r d in F l a m m e n v e r w i c k e l t v o n dem h i m m l i s c h e n F e u e r w i r b e l h i n w e g g e r i s s e n . F e r n e r , w a r u m s c h i e f s e n sie ihre P f e i l e , m i t v e r g e b l i c h e r auf öde O r t e ?

Miihe,

T h u n sie e s , u m ihre Arme u n d S c h u l t e r n z u ü b e n ?

W a r u m lassen sie die P f e i l e des V a t e r s auf der E r d e s t u m p f w e r d e n ? E r s e l b s t , w a r u m läfst er

es z u ,

u n d v e r w a h r t sie n i c h t v i e l m e h r

g e g e n die F e i n d e ? E n d l i c h , w a r u m s c h l e u d e r t J u p i t e r n i e seine B l i t z e v o m H i m m e l , und g i e f s t seine D o n n e r a u s ?

heitern

O d e r s t e i g t er e t w a selbst in

den b e w ö l k t e n H i m m e l h i n a b , um desto sicherer den S c b u f s z u richten?

W a r u m s c h i e f s t er ins M e e r ?

W a s h a b e n ihm die W e l l e n ge-

t h a n , die w ä s s e r n e n F l ä c h e n , und die s c h w i m m e n d e n F e l d e r ? W i l l er j e d o c h ,

dafs w i r uns v o r den Stral h ü t e n s o l l e n ,

m a c h t er n i c h t , dafs w i r ihn sehen k ö n n e n ?

W i l l er aber uns

warum unver-

s e h e n s m i t d e m F e u e r e r s t i c k e n , w a r u m d o n n e r t er von jener S e i t e h e r , u n d r e i z t uns z u r F l u c h t ;

erregt z u v o r D u n k e l ,

Geräusch und

Getöse ? W i e k a n n s t du b e g r e i f e n , dafs er seine P f e i l e z u g l e i c h an mehrere Orte schickt?

U n d doch w i s s e n w i r , d a f s , w i e H a g e l und

Regen,

a u c h die B l i t z e an mehreren O r t e n z u g l e i c h n i e d e r f a l l e n . U n d n u n z u l e t z t , w a r u m zerschmettert er mit seinem D o n n e r heiligen

Tempel

der

Götter;

ja,

seine

eigenen

herrlichen

die

Sitze?

S t ü r z t die k ü n s t l i c h gearbeiteten B i l d e r der G ö t t e r n i e d e r , und ents t e l l t sein e i g e n e s d u r c h g e w a l t s a m e S c h l ä g e ? stens nur n a c h h o h e n O r t e n ,

W a r u m z i e l t er mei-

u n d w a r u m sehen w i r die meisten S p u -

r e n d a v o n auf den G i p f e l n der B e r g e ? V . 423.

N u n g e h t der D i c h t e r auf die ü b r i g e n E r s c h e i n u n g e n u n d

W u n d e r ü b e r , die sich h a u p t s ä c h l i c h auf unserer E r d e z u t r a g e n , die U r s a c h e n

um

davon aufzusuchen.

E r s t v o n der N a t u r ' des P r e s t e r s , oder der W a s s e r h o s e ,

welche,

w i e der D i c h t e r m e i n t , sich aus dem v o r i g e n l e i c h t e r erklären lasse. V . 450.

V o n E n t s t e h u n g der W o l k e n .

V . 494* V o m R e g e n . V . 523.

V o m Regenbogen.

V. 526.

D i e ü b r i g e n E r s c h e i n u n g e n der o b e r n L u f t ,

Wind,

Hagel,

Reif,

das starre E i s , lassen s i c h ,

m e i n t , g l e i c h f a l l s au» dem v o r i g e n l e i c h t erklären.

als Schnee,

w i e der D i c h t e r

DES

SECHSTEN

BUCHS.

5i

V. 533. Die Erdbeben und ihre Ursachen legt er mit grofsem Aufwände dichterischer und physikalischer Beschreibung dar. W i r können ihm hierin nicht folgen, und müssen, wie bei mehrerem, auf den Text ver.weisen. Aus den Erdbeben prophezeiht er den Untergang der Erde. V. 607. Warum das Meer nicht an Gröfse zunimmt? V. 639. Der Aetna. Herrliche Darstellungen, Urtheile und Ge« danken. V. 712. Nun der N i l ; von dessen Überschwemmungen er die Gründe darlegt, die noch heut zu Tage gelten, V. 738- Von den Gegenden, die man die Avernischen nennt, w e i l sie einen giftigen Aushauch haben, der die Vögel, die darüber fliegen sogleich tödtet. Sie werden poetisch beschrieben. V. 767. Mehrere giftige Aushauche von Dingen. Man sagt, auf des Helikons Gebirgen fände sich ein Baum, der den Menschen, der an seine Blüthe riechet, augenblicklich tödtet. V. 84°- Von Brunnen, die im Sommer kalt und im Winter warm sind. Mehrere Erscheinungen dieser Art. Ursachen davon. V. 906. Vom Magnetstein. Weitläuftige Erklärung. Er hat seinen Namen von der Landschaft, wo er gefunden wird. V. 942. Von den unsichtbaren Wirkungen der Natur, die wir- an mehreren Gegenständen gewahr werden. V. 108$. Der Dichter verweilt lange bei dem vorigen Gegenstande, und geht nach und nach über auf die Art und Beschaffenheit einiger Krankheiten. Beschaffenheit der. L u f t und des Ortes haben darauf den meisten Einflufs, und daher giebt es Krankheiten, die nur gewissen Gegenden eigen sind. Elephantiasis, ist eine Krankheit, die sich nur in Egypten an den Ufern des Nils zeigt. Im Attischen Gebiete herrscht das Podagra, und im Achajischen leidep die Augen. So sind andere Gegenden andern Theilen des Körpers schädlich. Wann sich nun eine solche verderbliche L u f t in Bewegung setzt, und wie Nebel und Gewölk allmählich fortschleicht, so ändert und verdirbt sie den ganzen Luftkreis, wohin sie kommt. Kommt sie nun zu uns, so macht sie diesen sich ähnlich und verdirbt ihn. Dieser fremde Pesthauch fällt, nun zum Theil auf das Wasser, setzt sich an die Saaten, an Nahrungen der Menschen und Thiere; oder er bleibt auch in der L u f t selbst hangen, vermischt sich mit

52

Ü B E R S I C H T

dieser und w i r d mit ihr von uns eingehaucht. S o fallt er auch auf Heerden aller Art. Auch ist es dasselbe , ob w i r an jeneOrte komm e n , w o dieser G i f t h a u c h herrscht, oder ob ihn die ISatur von selbst uns zubringt. V . 1 1 3 6 . Hier kommt nun der D i c h t e r auf die bekannte und berühmte E r z ä h l u n g von der Atheniensischen P e s t ; w o r ü b e r ein Gelehrter von uns sogar ein B u c h geschrieben hat. D e r Dichter hat den Stoff hiezu zum T h e i l w ö r t l i c h aus dem Thucydides genommen. Aber zwischen einer prosaischen und poetischen Erzählung bleibt immer noch ein U n t e r s c h i e d ; und mit welcher F e i e r l i c h k e i t und W ü r d e , mit welchem Nachdruck des Verses und der W o r t e , hat sich der Dichter hier nicht ausgesprochen! M a n mufs kein G e f ü h l f ü r Dichtkunst haben, w e n n man nicht dieses Gemälde als hohes poetisches Produkt zu schätzen w e i f s . Auch hat der Dichter eigene Bemerkungen h i n z u g e t h a n , die nicht ohne W e r t h und Bedeutung sind.

E R S T E S

Licret.

L

B U C H .

Inhalt Anruf an Venns, lebendigen W e s e n ,

als Mutter

v. l - 4 5 .

Hauptinhalt des Gedichtes, kurus Lob, v. 63 - 8 0 . 84.

des

ersten

Buches.

römischen

Geschlechts

des

Zueignung seinem

v. 5 o - 5 6 .

Die Natur der Götter,

Anzeige der zu untersuchenden Materien,

scher Behandlung derselben, chen Leben, v. i 4 4 - i 4 6 . l55.

y. l 3 5 - i 4 3 .

v. 5 7 - 6 2 .

Volksreligiön,

wird vernichtet,

Schwierigkeit dichteri-

Empfehlung der Philosophie zum glückli„AusNichts wird N i c h t s . " v. 1 4 7 -

Entgegengesetzte Behauptung:

v. 2 1 1 - 2 1 2 .

v. 85 - 1 0 2 .

Beweise hievon,

Nichts von

y. 2 1 5 - 2 6 1 .

Beispiele aus der Erfahrung, v. 2 0 8 - 3 2 1 .

ist Materie, sondern es giebt auch einen leeren v. 328 - 4og.

Vierter

Grundsatz:

262-

D r i t t e r G r u n d s a t z : „Nicht alles flaum,"

v. 3 2 2 - 3 2 7 .

„Alles übrige ist

Wirkung und Folge dieser beiden Prinzipe,

dem,

Zweiter

G r u n d s a t z : „ E s giebt K ö r p e r , die mit keinem Sinn empfunden w e r d e n , " v. 2C7.

Epi-

L o b des E n n i u s , v. 1 1 8 -

y. 1 2 7 - 1 3 4 .

Erster Grundsatz:

Beweise hievon, v. i 5 6 - 2 i o .

was i s t ,

v. 4 6 - 4g.

V e r t e i d i g u n g gegen die Irreligiosität seines Gedichtes, v. 8 1 -

Beispiel schrecklicher Wirkungen abergläubischer

Warnung yor den Vorstellungen der Dichter, V, i o 3 - 1 1 7 . 126.

und Erzeugerin aller

Freunde M e m m i u s ,

Beweise liievon,

blos Eigenschaft

oder

der Materie und des leeren Raums. "

r. 4 i o - 4 5 g .

Nähere Betrachtung der Materie; der Körper desUrstolfs und der Aggre-

gate daraus.

Erstere sind d i c h t ,

weise , v. 4 8 8 - 6 2 1 .

Widerlegung anderer Philosophen.

zum Grundstoff aller

Dinge machte.

Grüude gegen seine Behauptung, annahmen, v. 6 9 2 - 7 0 2 . des, y. 7 0 3 - 7 2 1 .

mit Zwischenräumen versehen, v. 4 6 0 - 4 8 7 .

Gründe zu seiuer Widerlegung, v. 7 2 2 - 8 1 5 .

Weltalls.

zur folgenden Betrachtung, Beweise.

v. 9 3 5 - i o 3 2 .

Philosophen die mehrere

622-631. Elemente

L o b dieses Philosophen UDJ seines Vaterlan-

rung der Homöomerie desselben, v. 8 1 6 - 8 3 2 . Uebergang

Des Heraklitus, der das Feuer

Schilderung dieses Philosophen, v.

v, 6 0 2 - 6 9 1 .

Empedokles.

Be-

Anaxagoras, E r k l ä -

Widerlegung, v. 8 5 3 - g o 4 .

v. go5 -

g34.

Pathetischer

TTeber die Unendlichkeit des

Erläuterung durch ein Beispiel, und Wegräumung eines Einwurfs,

I m Weltall ist kein Mittelpunkt, v. i o 3 3 - i o 4 2 .

E« giebt auch keine

Antipoden, v. 1 0 * 3 - l o i g . Widerlegung entgegengesetzter Behauptungen, v. i o 5 o - i o 8 g . Schlufs des Buches, v.

iogo-iog4.

A e n e a d u m g e n e t r i x , h o m i n u m d i v ó m q u e voluptas, Alma Venus ! coeli subter labentia signa Q u a e mare n a v i g e r u m , quae terras frugiferenteis, Concelebras ; per te quoniam genus omne animantum 5 C o n c i p i t u r , visitque exortum lumina solis : T e , D e a , te f u g i u n t v e n t e i ; t e nubila coeli, A d v e n t u m q u e tuum : tibi suaveis daedala tellus Submittit

flores;

tibi rident aequora p o n t i ,

P l a c a t u m q u e n i t e t diffuso l u m i n e coelum. io N a m , simul ac species p a t e f a c t a est verna diei, E t reserata viget genitabilis aura F a v o n i i ; Aèriae p r i m u m volucres t e , D i v a , t u u m q u e Significant i n i t u m , perculsae corda tua vi. I n d e ferae pecudes persaltant pabula laeta, 15 E t rapidos t r a n a n t amneis: i t a , capta lepore, [ I l l e c e b r i s q u e tuis omnis natura animantum j T e sequitur c u p i d e , quo q u a m q u e inducere pergié. D e n i q u e per m a r i a , ac m o n t e i s ,

fluviosque

rapaceis,

F r u n d i f e r a s q u e domos a v i u m , camposque virenteis,

M u t t e r der Aeneaden, o Wonne der Menschen und Götter, Holde Venus! die, unter den gleitenden Lichtern des Himmels, Du das beschiffete Meer und die Früchte gebärende Erde Froh mit Leben erfüllst; denn alle lebendigen Wesen Werden erzeuget durch dich, und schauen die Stralen der Sonne. Wann d u , Göttin, erscheinst, entfliehen die W i n d e , die Wolken Weichen vor dir; dir treibt die buntgeschmückete Erde Liebliche Blumen empor;

dir lachen die Flächen des Meeres,

Und es zerfliefset in Glanz vor dir der beruhigte Himmel. Denn sobald sich die Frühlingsgestalt des Tages enthüllt hat, Und entfesselt der zeugende Hauch des Favonius auflebt, Künden die Vögel der L u f t dich zuerst a n , Göttin, und deinen Eintritt; deine Gewalt durchschüttert ihnen die Herzen. Rüstige Heerden springen alsdann durch fröhliche Matten, Setzen durch reifsende Ströme: so mächtig fesselt die Anmuth, Und dein zaubrischer Reiz die Natur der Lebenden aller, Dafs mit Begier dir jegliches folgt, wohin du es anlockst. Und so erregst du im M e e r , auf Bergen, in reifsenden Flüssen, Unter der Vögel belaubetem Haus, auf grünenden Auen,

6

L I B E R I ,

v. 20 —. 44.

20 Omnibus incutiens blandum per pectora amorem, E c f i c i s , ut cupide generatim saecla propagent. Quae quoniam rerum naturam sola gubernas, N e c sine te quidquam dias in luminis oras E x o r i t u r , neque f i t laetum neque amabile quidquam; £5 T e sociam studeo scribundis versibus Quos ego de r e r u m n a t u r a Memmiadae n o s t r o :

esse,

pangere

conor

quem t u , D e a , tempore in omni

Omnibus ornatum voluisti excellere rebus : Quo magis aeternum da d i c t i s , D i v a , leporem. 30 E c f i é e , ut interea fera moenera militiaii P e r maria ac terras omneis sopita quiescant. l i a m tu sola potes tranquilla pace iuvare Mortaleis : quoniam belli f e r a moenera M a v o r s Armipotens r e g i t , in gremium qui saepe tuum se 35 R e i i c i t , aeterno devictus volnere amoris : A t q u e i t a , suspiciens tereti cervice reposta, Pascit amore a v i d o s , inhians in t e , D e a , v i s u s ; E q u e tuo pendet resupini spiritus ore. H u n c t u , D i v a , tuo recubantem corpore sancto 40 Circumfusa s u p e r , suaveis ex ore loquelas F u n d e , petens placidam R o m a n i s , i n c l u t a , pacem. N a m neque nos agere hoc patriai tempore iniquo Possumus aequo a n i m o ; nec M e m m i i clara propago T a l i b u s in rebus communi deesse saluti.

ERSTES

BUCH.

v. 20 — 45.

7

Allen tief in der B r u s t die schmeichelnde L i e b e , w o d u r c h sie Sich fortpflanzen mit brünstiger L u s t in A r t und Geschlechtern. W e i l denn du nur allein die N a t u r der D i n g e regierest, Ohne dich nichts hervor an die Pforten des himmlischen L i c h t s tritt, Nichts den fröhlichen Trieb noch liebliches W e s e n g e w i n n e t : W ü n s c h ' ich, o Göttliche, dich zur G e h ü l f i n ; zu schreiben die Verse, D i e von der D i n g e N a t u r anjetzt ich zu bilden beginne Unserm M e m m i u s s o h n : i h m , den d u , G ö t t i n , v o r allen Immer schmücken g e w o l l t mit allen vortrefflichen Gaben. U m so mehr nun verleihe den W o r t e n e w i g e n L i e b r e i z : Schaff* a u c h , dafs indessen das w i l d e G e w e r b e des Krieges M ö g ' überall entschlummern in allen L a n d e n und Meeren. D e n n du kannst nur allein mit süfsem F r i e d e n erfreuen Unser Menschengeschlecht; da die w i l d e n Geschäfte des Krieges M a v o r s , der w a f f e n m ä c h t i g e , l e n k t ; der sich o f t in den Schoos dir H i n w i r f t , niedergebeugt von e w i g e r W u n d e der L i e b e : U n d so schauend e m p o r , mit zurückgebogenem N a c k e n , W e i d e t mit L i e b ' er den gierigen B l i c k , anlechzend dich , Göttin ! U n d der L i e g e n d e schöpft aus deinem M u n d e den Odem. R u h t e r , H e r r l i c h e , nun auf deinem geheiligten Schoose, N e i g e dich über ihn h i n , und giefse die liebliche R e d e Nieder auf i h n , erflehend gefalligen F r i e d e n den Römern. D e n n ich selber vermag diefs W e r k mit geruhigem Geist nicht, Unter des Vaterlandes G e f a h r und Stürmen zu f ö r d e r n ; N o c h kann auch der herrliche Sprofs des Memmischen Stammes Sich dem gemeinsamen W o h l bei solchen D i n g e n entziehen.

L I B E R I , 45

y. 45 — 70.

Quod super est, vacuas aureis mihi, Memmius, et Semotum a curis, adhibe veram ad rationem: Ne mea dona, tibi studio disposta fideli, Intellecta prius quam sint, contempts relinquas. Nam tibi de summa coeli ratione deûmque

50 Disserere incipiam, et rerum primordia pandam; Unde omneis natura creet res, auctet, alatquc ; Quoque eadem rursum natura perempta resolvat: Quae nos materiem et genitalia corpora rebus Reddunda in ratione vocare, et semina rerum 55 Appellare suëmus , -et haec eadem usurpare Corpora prima, quod ex illis sunt omnia primis. [Omnis enim per se divôm natura necesse est Immortali aevo summa cum pace fruatur, Semota ab nostris rebus, seiunctaque longe; 60 Nam , privata dolore omni, privata periclis, Ipsa suis pollens opibus, nihil indiga nostri, Nec bene promeritis capitur, nec tangitur ira.] Humana ante oculos fede quom vita iaceret In terris, obpressa gravi sub Religione, 65 Quae caput a coeli regionibus obtendebat, Horribili super adspectu mortalibus instane; Primum Graius homo mortaleis tollere contra Est oculos ausus, primusque obsistere contra; Quem néque fana deûm, nec fulmina, nec minitanti •70 Murmure compressât coelum ; sed eo magis acrem

ERSTES

BUCH.

v. 46 —

71.

A b e r , o M e m m i u s , d u , v e r l e i h ' e i n müssiges Olir m i r ; L e g e die Sorgen z u r ü c k , und merk' auf die L e h r e der W a h r h e i t : W i r f das G e s c h e n k , das ich dir mit treuem F l e i f s e bereitet, N i c h t verachtend h i n w e g , bevor du es gänzlich g e p r ü f t hast. Denn von der himmlischen D i n g e N a t u r , vom W e s e n der Götter, W i l l ich dir reden,- und dir eröffnen die Kenntnifs der S t o f f e ; D r a u s die N a t u r schafft jeglichfes D i n g , es m e h r t , und ernähret, U n d w o r e i n es dieselbe Natur auflöset im Tode. D i e s e nennen w i r auch in unserer L e h r e den Grundstoff, Allerzeugende K ö r p e r , ^die Samen und S t o f f e der D i n g e , Auch ursprüngliche K ö r p e r , w e i l alles aus ihnen entstanden. Aber die Götter müssen durch s i c h , und ihrer Natur nach, In der seligsten R u h ' unsterbliches L e b e n geniefsen, W e i t von unserem T h u n und unseren Sorgen entfernet. D e n n von jeglichem Schmerze b e f r e i t , und befreit von Gefahren, Selbst sich in F ü l l e g e n u g , nicht dürftig unseres Beistand's, R ü h r t sie nicht unser V e r d i e n s t , noch reizet sie unser Vergehen. Schmälichen Anblicks lag auf E r d e n das L e b e n der Menschen, Unter der R e l i g i o n gewaltsam niedergetreten; D i e vorstreckte das H a u p t aus den himmlischen R e g i o n e n , M i t entsetzlichem B l i c k herab auf die Sterblichen drohend i D a trat auf ein grajischer M a n n , und w a g t e zuerst es, Aufzuheben dagegen das A u g ' , und entgegen zu streben: N i c h t der Götter R u f , noch B l i t z e , noch drohende Donner Schreckten ihn a b ; sie reizten vielmehr nur schärfer des Geistes Angestrengeten M u t h , die R i e g e l niederzubrechen,

IO

L I B E R I ,

v. 71 — 96.

I n r i t ä t animi v i r t u t e m , ecfringere u t ai ta N a t u r a e primus p o r t a r u m claustra cupiret. E r g o vivida vis animi p e r v i c i t , et extra Processit longe

flammantia

moenia m u n d i ;

75 A t q u e omne immensum peragravit mente animoque : U n d e r e f e r t nobis v i c t o r , quid possit orili, Q u i d nequeat ; finita potestas denique quoique Qua nam sit r a t i o n e , atque alte terminus liaerens. Qua re R e l i g i o , pedibus s u b i e c t a , vicissim 80 O b t e r i t u r , nos exaequat victoria coelo. I l l u d in hiis rebus v e r e o r , ne f o r t e rearis I n p i a te rationis inire e l e m e n t a , viamque I n d u g r e d i sceleris ; quod contra saepius ilia Religio peperit scelerosa atque inpia facta. 85 Aulide quo pacto T r i v i a l virginis aram Iphianassai t u r p a r u n t sanguine fede D u c t o r e s D a n a ü m delecti, prima virorum : Q u o i simul i n f u l a , virgineos circumdata coir,ptu3, E x u t r a q u e pari malarum p a r t e profusa est ; qo E t moestum siroul ante aras adstare parentem S e n s i t , et h u n c p r o p t e r f e r r u m celerare ministros, Adspectuque suo lacrumas ecfundere civeis ; M u t a m e t u , t e r r a m , genibus submissa, p e t e b a t : N e c miserae prodesse in tali tempore quibat, 95 Q u o d patrio princeps donarat nomine regem : N a m , sublata virüm m a n i b u s , t r e i n e b u n d a q u e , ad aras

ERSTES

BUCH.

v. 72 — 97-

U n d der erste zu seyn, die N a t u r aus dem Kerker zu lösen. Also h a t obgesiegt die lebendige K r a f t , u u d der Geist drang Ueber die Grenzen hinaus der Flammenwälle des Aethers, Forschte mit Geist u n d Sinn das unermefsliche W e l t a l l . V on da kam er als Sieger z u r ü c k , u n d lehrte was seyn k a n n , Und was n i c h t ; u n d w i e beschränkt durch die eigenen Kräfte, Jeglichem D i n g ein Z i e l , ein endliches M a f s ihm gesteckt sey. U n d so lieget die Religion n u n w i e d e r zur Erde, U n t e r die Füfse g e t r e t e n ; der Sieg erhebt uns zum Himmel. D o c h ich f ü r c h t e h i e b e i , du mögest g l a u b e n , es könnten Solche L e h r e n vielleicht auf verwegene Sätze dich f ü h r e n , H i n auf des L a s t e r s Bahn.

M i t n i c h t e n ; öfter vielmehr w a r

J e n e Religion die M u t t e r gräulicher T h a t e n . So w i e in Aulis einst

am Altar der göttlichen J u n g f r a u ,

F ü h r e r der D a n a e r , s i e , die erwählten H ä u p t e r der Helden, Iphianassens B l u t abscheulicher W e i s e verspritzten. Als n u n das O p f e r b a n d , die zierlichen L o c k e n umwindend, I h r an der W a n g e n Paar in gleichen E n d e n herabflofs, U n d sie den Vater e r s i e h t , der traurig an dem Altar steht, I h m zur Seite die P r i e s t e r , die vor ihr verbergen den M o r d s t a h l , U n d h i n b l i c k e n d auf sie mit thränendem Auge die Bürger, D a verstummt sie vor F u r c h t , ihr sanken die Kniee zur Erde. A c h , da half der Unglücklichen n i c h t , dafs einst sie mit süfsem Vaternamen zuerst den grausamen König beschenkt h a t ! Aufgehoben von H ä n d e n der M ä n n e r , die Z i t t e r n d e , w a r d sie Hin zum Altare g e f ü h r t ; nicht d a f s , nach vollendeter W e i h e ,

12

L I B E R

L

v. 97 — 12a.

Deducta est; non u t , solemni more sacrorum Perfeeto, posset claro comitari hymenaeo; S e d , casta inceste, nubendi tempore in ipso, 100 Hostia concideret mactatu moesta parentis, Exitus ut classi felix faustusque daretur. Tantum religio potuit suadere malorum! Tutemet a nobis iam quovis > tempore, vatum Terriloquis victus dictis,

desciscerc quaeres.

105 Quippe et enim quam multa tibi iam fingere possum Sojnnia, quae vitae rationes vortere possint, Fortunasque tuas omneis turbare timore. E t merito : n a m , si certam finem esse viderent Aerumnarum homines, aliqua ratione valerent 110 Religionibus atque minis obsistere vatum: Nunc ratio nulla est restandi, nulla facultas; Aeternas quoniam poenas in morte timendum. Ignoratur enim, quae sit natura animai'; Nata s i t , an codtra nascentibus insinuetur; 115 E t simul intereat nobiscum, morte dirempta, An tenebras Orci v i s a t , vastasque lacunas; An pecudes alias divinitus insinuet se, Ennius ut noster cecinit, qui primus amoeno Detulit ex Helioone perenni frunde coronam, 120 Per genteis Italas hominum quae clara clueret. E t si praeterea tamen esse Acherusia tempia Ennius aeternis exponit versibus edens :

ERSTES

BUCH.

v. 98 — 123.

15

festlich sie kehrte zurück, bei jauchzenden Hymensgesängen: Nein, blutschänderisch fiel das keusche Opfer, vom Yater Hingeschlachtet, da selbst nun eben sie reifte dem Brauttag: Nur dafs ein gunstiger W i n d der Griechen Flotte befördre : Solche Verbrechen räth dem Menschen die Religion an! Aber auch du, befangen von Schreckenbilderr. der "Dichter, W i § du immer es warst, wirst suchen dich uns zu entziehen. Denn ich könnte ja selbst dir Träum' erbilden in Menge, Umzustofsen damit die richtigen Gründe des Lebens, Und dir jegliches Glück mit Furcht und Schrecken zu trüben. Und auch mit Recht; denn wofern im Tode die Menschen ein sichres Ende der Mühsal sähen, so könnten mit einigem Grund sie Sich den Religionen und allem Drohen der Dichter Widersetzen: doch nun ist nirgend den Schrecken des Todes Auszuweichen; es bleibt die Furcht vor ewigen Strafen. • Und diefs rühret daher, dafs der Seele Natur nicht erkannt wird. Ob mit dem Körper sie w a r d , ob eingeflöfset dem Körper, Ob sie mit diesem zugleich im Tode wieder vergehe; Ob sie die Nächte des Orkus besucht, die gewaltigen Sümpfe, Oder durch göttliche Macht in andere Thiere verpflanzt w i r d ? W i e es mein Ennius saug; e r , welcher zuerst von des Pindus Lieblichen Höhen den Kranz von immergrünendem Laube Niedergebracht; ihm Ruhm bei allem Italischen Volke. Dennoch gedenket auch er, in seinen unsterblichen Versen, Acherusischer Räume, wohin nicht Körper noch Geist dringt; Sondern nur Schattengebilde, von bleichem schaurigem Anselm.

'4

L I B E R

I.

v. 123 — i48-

Q u o n e q u e p e r m a n e n t a n l m a e , ne que corpora n o s t r a ; Sed quaedam simulacra, modis pallentia miris : 125 U n d e , sibi e x o r t a m , semper

florentis

Homeri

C o n m e m o r a t speciem lacrumas ecfundere salsas C o e p i s s e , et rerum naturam expandere dictis. Q u a p r o p t e r , bene quom superis de rebus habenda N o b i s est ratio ; solis l u n a e q u e meatus 130 Qua f i a n t r a t i o n e , et qua v i quaeque gerantur I n terris ; t u n c , cum p r i m i s , r a t i o n e sagaci, U n d e anima atque animi constet n a t u r a , videndum : E t quae res , nobis vigilantibus o b v i a , mentcis T e r r i f i c e t , morbo adfectis , somnoque sepultis ; >55 Cernere u t i videamur eos, a u d i r e q u e coram, M o r t e obita q u o r u m tellus a m p l e c t i t u r ossa". N e c me animi f a l l i t , G r a i o r u m obscura reperta D i f f i c i l e inlustrare L a t i n i s versibus esse; M u l t a novis verbis praesertim quom sit agundum »40 P r o p t e r egestatem l i n g u a e , et rerum novitatem : Sed tua me virtus t a m e n , et sperata voluptas Suavis a m i c i t i a e , quemvis ecferre laborem S u a d e t , et inducit nocteis vigilare seretias, Q u a e r e n t e m , dictis q u i b u s , ct quo c a r m i n e , demum i45 Clara tuae possim praepandere lumina menti, R e s quibus obcultas p e n i t u s convisere possis. H u n c igitur terrorem animi tenebrasque necesse est N o n radiei solis neque lucida tela diei

ERSTES

BUCH.

v. 124 — 146.

15

Dorther sey, wie er sagt, des ewigblüh'nden Homerus Schattengestalt ihm erschienen, die heifse Thränen vergossen, Und ihm habe der Dinge Natur in Worten eröffnet.

Darum wollen auch wir nicht allein der himmlischen Dinge Weise genau erforschen; den Lauf der Sonne, des Mondes, Und welch', innere Kraft die irdischen Dinge regiere; Sondern vor allem mit Fleifs nachspüren, woraus denn die Seele Stamm', und des Geistes Natur: was das sey, das uns im Wachen Vorkommt, uns noch im Schlaf nachher und in Krankheit erschrecket; Dafs wir glauben, zu sehen, ja gegenwärtig zu hören, Jene, deren Gebein schon längst die Erde bedeckt hat.

Zwar ich weifs es zu wohl, wie schwer es werde, der Griechen Dunkle Erforschungen klar in Lateinischen Versen zu machen: Sonderlich da wir hiezu noch neuer Worte bedürfen, Weil die Sprache zu arm, und die Gegenstände noch neu sind. Deine Vortreflichkeit doch, das erhoffte Vergnügen der süfsen Freundschaft, treibet mich an, nicht Fleifs noch Mühe zu scheuen, Heitere Nächte zu wachen , und Wort und Verse zu suchen, D einem Geiste die Dinge mit hellerer Fackel zu zeigen; Und zu enthüllen ihm ganz den Grund verborgener Dinge. Durchaus müssen daher des Geistes Schrecken und Dunkel, Nicht durch die Stralen der Sonne, des Tages leuchtende Pfeile, Sondern sich durch der Natur Anschaun und Erkenntnifs zerstreuen.

L I B E R

I.

v. 149 — 174.

Discutiant, sed Naturae species, Ratioque: 150 Quoius principium hlnc nobis exordia sumet; Nullam rem e nihilo gigni divinitus umquam. Quippe ita formido mortaleis continet omneis, Quod multa in terris fieri co eia que tuen tur, Quorum operum caussas nulla ratione viderc 155 Possunt; ac fieri divino numine rentur. Quas ob res, ubi viderimus nihil posse crear! D e nihilo, tum, quod sequimur, iam rectius inde Perspiciemus ; et unde queat res quaeque creali, E t quo quaeque modo fiant oporaj sine divòm. 160

N a m , si de nihilo fierent, ex omnibus rebus Omne genus nasci posset: nihil semine egeret. E mare primum homines, e terra posset oriri Squamigerum genus, et volucres : erumpere coelo Armenia ; atqiie aliae pecudes, genus omne, ferarum,

1^5 Incerto partu, eulta ac deserta tenerent: Nec fructus iidem arboribus constare «olerent, Sed mutarentur; ferre omnes omnia possent. Quippe, ubi non essent genitalia corpora quoique, Qui posset mater rebus consistere certa? 170 At nunc , seminibus quia certis quaeque creantur, Inde enascitur, atque oras in luminis exit, Materies ubi inest quoiusque, et corpora prima : Atque -hac re nequeunt ex omnibus omnia gigni, Quod certis in rebus inest secreta facultas.

ERSTES

BUCH.

y. 1 4 7 — 1 7 1 .

17

D i e s e gehet bei uns ursprünglich von folgendem Satz aus: D a f s aus Nichts nichts w i r d , selbst nicht durch Willen der Götter. D e n n so enge beschränket die Furcht die Sterblichen a l l e ; D a sie so viel der Erscheinungen s e h n , am H i m m e l , auf E r d e n , D e r e n wirkenden Grund sie nicht zu erfassen vermögen, D a f s sie g l a u b e n , durch göttliche M a c h t sey dieses entstanden. Haben w i r aber erkannt, dafs aus Nichts nichts könne hervorgehn, W e r d e n w i r richtiger s e h n , w o n a c h w i r f o r s c h e n ; w o r a u s denn, U n d w i e , alles e n t s t e h ' , auch ohne die H ü l f e der Götter.

Könnten aber aus Nichts die D i n g e werden , so könnt' auch Alles aus allem entsteh'n; nichts brauchte des zeugenden Samens. Menschen könnte das M e e r , die E r d e die schuppigen Fische Z e u g e n , und V ö g e l der L u f t ; dem H i m m e l entstürzten die H e e r d e n : Aller Thiere G e s c h l e c h t , die w i l d e n s o w o h l als die zahmen, W ü r d e , v o n ungewisser G e b u r t , bald W ü s t e n bewohnen, B a l d das bebauete L a n d : nicht immer dieselbigen Früchte Trüge der B a u m ; es könnt' ein jeglicher jegliches bringen. D e n n w o f e r n e die D i n g e des eigenen zeugenden Grundstoffs Niclit b e d ü r f e n , w i e rühmten sie sich doch sicherer A b k u n f t ? N u n , da jegliches D i n g aus eigenem Samen erzeugt w i r d , W i r d es nur ausgeboren, und tritt hervor in den L i c h t r a u m , D a , w o der Grundstoff ihm , w o die ersten K ö r p e r vorhanden. U n d so kann es nicht s e y n , dafs alles aus allem entstehe, W e i l i n w o h n t dem besondern D i n g ein besondres Vermögen. F e r n e r , warum schafft Rosen der L e n z , die Erndten der Sommer, Li icret.

I.

3

L I B E R I ,

18 175

T. 175 — aoo.

P r a e t e r e a , q u u r v e r e r o s a m , f r u m e n t a calore, Viteis auctumno f u n d i suadente videmus ; Si n o n , certa suo qifia tempore semina rerum Q u o m c o n f l u x e r u n t , p a t e f i t q u o d c u m q u e creatur, D u m tempestates a d s u n t , et vivida tellus

«ßo T u t o res teneras ecfert in lumini* oras ? Q u o d , si de n i h i l o f i e r e n t , subito exorerentur I n c e r t o s p a t i o , atque alienis p a n i b u s anni : Q u i p p e ubi nulla f o r e n t p r i m o r d i a , quae genitali Concilio possent arceri tempore iniquo. «85

N e c p o r r o augendis rebus spatio f o r e t usus Seminis ad coitum , e nihilo si crescere possent. N a m f i e r e n t iuvenes subito ex i n f a n t i b u s parvis, E terraque , exorta repente , arbusta salirent : Q u o r u m nihil f i e r i manifestum e s t , omnia q u a n d o

190 P a u l l a t i m crescurit, u t p a r e s t , semine c e r t o ; Crescentesque genus s e r v a n t : u t noscere possis Q u i d q u e sua de materia grandescere, alique. H u e a d e e d i t , u t i sine certis imbribus anni L a e t i f i c o s n e q u e a t f e t u s submittere t e l l u s ; «95 N e c p o r r o , secreta c i b o , n a t u r a animantum P r o p a g a r e genus p o s s i t , v i t a m q u e trueri : U t p o t i u s multis conmunia corpora rebus M u l t a p û t e s esse, u t verbis elementa videmus, Q u a m sine principiis ullam rem exsistere posse. 100

D e n i q u e , quur homines t a n t o s n a t u r a parare

ERSTES

BUCH.

v. 1 7 2 —

196.

19

U n d einladend der Herbst die süfsern Früchte des W e i n s t o c k s ? W a r u m anders, als w e i l , wenn zu richtiger Z e i t die bestimmten S t o f f e zusammengeflossen, sich dann das E r s c h a f f e n e kund t h u t ; . Unter der W i t t e r u n g G u n s t , und w a n n der belebete Boden Sicher den zarten K e i m zum L i c h t e der Sonne h e r v o r b r i n g t ? Käme das alles aus N i c h t s , so würden sie plötzlich entstehen, Ohne bestimmete F o l g ' , und nicht zur gehörigen Jahrszeit. D e n n es w ä r e n die S t o f f e nicht d a , die an Zeugungsverbindung Hindern könnte des J a h r ' s ungünstig sich zeigender E i n f l u f s . A u c h zum W a c h s t h u m w ä r e die Z e i t nicht nötliig den D i n g e n N a c h dem geschwängerten K e i m , w o f e r n aus Nichts sie erwüchsen. Plötzlich w ü r d e zum J ü n g l i n g das K i n d , es schöss' aus der E r d e , Plötzlich entstanden, der B a u m : dergleichen doch nimmer geschiehet, W i e es am T a g e l i e g t ; , denn alles erwachset allmählich, W i e sich's g e h ö r t , aus eigenem S a m e n ; erhält dann im F o r t w u c h s A r t und G e s c h l e c h t ;

s o , dafs du hieraus gar deutlich erkennest,

Alles erwachs' und nähre sich nur aus eigenem Grundstoff. D a z u k o m m t , dafs ohne des J a h r s bestimmete R e g e n N i c h t die erfreuliche B r u t hervor kann treiben die E r d e ; D a f s , der N a h r u n g b e r a u b t , kein T h i e r sein L e b e n erhalten, Oder auch sein Geschlecht fortpflanzen k ö n n t e : s o , dafs w i r Müssen in mehreren D i n g e n vielmehr gemeinsamen Urstoff A n e r k e n n e n , w i e o f t den W o r t e n die L e t t e r n gemein sind, Als dafs w i r könnten ein D i n g annehmen ohne den Grundstoff.

F e r n e r , w i e konnte Natur nicht Menschen erschaffen von solcher

SO

L I B E R

I.

v. 2 0 1 —. 226.

Non p o t u i t , pedibus quei pontum per vada possent T r a n s i r e , et magnos manibus divellere monteis, M u l t a q u e v i v e n d o vitalia vincere saecla ; Si n o n , materies quia rebus reddita certa est »05 G i g n u n d i s , e qua constat quid possit o r i r i ? N i h i l igitur f i e r i de nihilo posse fatendum est; Semine quando opus est r e b u s , quo quaeque creata» Aèris in teneras possent proferrier auras. P o s t r e m o , quoniam incultis praestare v i d e m u . 210 Culta l o c a , et manibus meliores reddere fetus, Esse videlicet in terris primordia rerum ; Quae n o s , fecundas vortentes vomere glebas, Terraiique solum s u b i g e n t e s , cimus ad ortus. Q u o d , si nulla f o r e n t , nostro sine quaeque labore, £•5 Sponte s u a , multo f i e r i mcliora videres. Hue a d c e d i t , uti quidque in sua corpora rursupi D i s s o l v a t n a t u r a , neque ad nihilum interimat res. N a m , si quid mortale e cunctis partibus esset, E x oculis res quaeque repente erepta periret ; 220 N u l l a v i f o r e t usus e n i m , quae partibus eius Discidium p a r e r e , et nexus e x s o l v e r e , posset. Quod n u n c , aeterno quia constant semine quaeque, D o n e e vis o b i i t , quae res diverberet ictu, A u t intus penetret per i n a n i a , dissoluatque, 225 Nullius e x i t i u m patitur Natura videri. P r a e t e r e a , quaequomque vetustate amovet aetas,

ERSTES

BUCH.

v. 197 —

221.

21

G r o f s e , dafs sie das M e e r mit den F ü f s e n könnten durchwaten, B e r g e zerreifsen mit H ä n d e n , und ganze Säklen durchleben? D a r u m , w e i l den bestimmeien Stoff sie jeglichem D i n g e A n g e w i e s e n , w o r a u s sich erzeugt, w a s aus ihm entsteli'n kann. Sicher bleibt es s o n a c h , aus Nichts w i r d nichts; denn die D i n g e Haben zu ihrer Entstehung des Zeugungssamen vonnöthen, Aufzuspriefsen durch ihn zum Anhauch milderer L ü f t e .

E n d l i c h dieweil w i r sehen die angebaueten F e l d e r F r u c h t b a r e r als die w ü s t e n , den Keim durch F l e i f s sich verbessern, M u f s die E r d e ja doch ursprüngliche T h e i l e v e r b e r g e n ; D i e w i r , indem mit dem Pfluge die fruchtbaren Schollen w i r wenden U n d a u f w ü h l e n den Boden der E i d ' , erwecken zum A u f t r i e b . W ä r e n solche nicht d a , so w ü r d ' auch jegliche Pflanze Besser v o n selber g e d e i h n , als unter der P f l e g e des Menschen. D i e s e m kommt noch h i n z u , dafs N a t u r in die eigenen Stoffe Alles w i e d e r zerlegt;

dafs nichts sie gänzlich vernichtet.

W ä r e vergänglich ein D i n g in jedem der T h e i l e , so w ü r d ' es, Schnell den A u g e n entrückt, sogleich auch v ö l l i g zu Grund g e h n ; K r a f t nicht w ä r e v o n n ö t h e n , die T h e i l e desselben zu trennen, Oder die inn're Verbindung von ihm auflösen zu können. Nun da ein unvergänglicher Stoff den D i n g e n zum Grund liegt, L ä s s e t , w o f e r n nicht äufserer Schlag dieselben zertrümmert, Oder innere K r a f t durchs L e e r e schleicht, und sie Ihren Untergang die Natur nicht sichtbar uns

auflöst,

werden.

S o l l t ' a u c h ferner , die Z e i t , das w a s allmählich sie wegnimmt,

L I B E R I .

v . 227 —

250.

S i penitus perimit consumens materiem omnemj U n d e animale genus generatim in lumina vitae R e d u c i t V e n u s ; et reductum daedala tellus 230 U n d e a l l t , atque ä u g e t , generatim pabula praebens U n d e m a r e , ingenuei f u n t e s , aeternaque longe Flumina,

suppeditant?

unde aether sidera p a s c i t ?

Omnia enim d e b e t , mortali corpore quae sunt, I n f i n i t a aetas consumpse ante acta , diesque. 235 Q u o d , si in eo spatio atque ante acta aetate fuere, E quibus haec rerum consistit summa r e f e c t a ; Inmortali sunt natura praedita certe : H a u d igitur possunt ad nihilum quaeque revorti. D e n i q u e , res omneis eadem vis caussaque v o l g o s}o C o n f i c e r e t , nisi materies aeterna teneret Inter se n e x u , minus aut magis indupedita ; T a c t u s enim leti satis esset caussa profecto ; Q u i p p e , ubi nulla forent aeterno corpore;

quorum

Contextuul vis deberet dissolvere quaeque. 245 A t n u n c , inter se quia nexus principiorum D i s s i m i l e s constant, aeternaque materies est, I n c o l o m i remanent res c o r p o r e , dum satis acris V i s obeat pro textura quoiusque reperta. H a u d igitur redit ad nihilum res u l l a , sed' omnes 250 D i s c i d i o redeunt in corpore material.

ERSTES

BUCH.

v . 2äa — 246,

Gänzlich v e r z e h r e n , sogar vernichten im eigenen G r u n d s t o f f ; W o h e r brächte denn Venus die A l t e n lebendiger Wesen o Immer w i e d e r ans L i c h t ?

die buntgest.altete E r d e ,

W o h e r nähme sie Stoff das Hervorgebrachte zu n ä h r e n ; Wachsthum ihm zu v e r l e i h ' n , zu bereiten jedem sein F u t t e r ? W o h e r nähmen das M e e r und die lauteren Quellen den Vorrath U n d die nie versiegenden Flüsse ? Seine G e s t i r n e ?

W i e nährte der Aether

W a s nur besteht aus sterblicher Masse

Hätten schon lange die Z e i t und die v o r i g e n T a g e verzehret. W a r e n die Stoffe j e d o c h , w o r a u s das Gesammte bestehet, U n d noch stets sich e r n e u t , schon da im vergangenen Zeitraum N u n so sind sie g e w i f s begabt mit ewiger D a u e r , U n d es können, zu N i c h t s nicht wiederkehren die D i n g e . E n d l i c h b e d ü r f t ' es ja nur zu jegliches D i n g e s Vernichtung E i n und derselbigen K r a f t , w o f e r n nicht dauernder Grundstoff, M e h r oder minder v e r k n ü p f t , in engeren Banden sich h i e l t e : Schon die Berührung wäre des Tod's hinlängliche Ursach. D e n n w o f e r n e die Stoffe nicht e w i g fester N a t u r sind, Könnte die mind'ste G e w a l t in ihrer Verbindung sie lösen. D o c h nun da die Verflechtung der uranfänglichen T h e i l e Selber verschieden i s t , und e w i g die D a u e r des Grundstoffs, Bleiben die D i n g e so lang im eigenen W e s e n gesichert, Bis zu h e f t i g e K r a f t , nach M a f s des G e w e b e s , sie anfällt. K e i n D i n g kehret daher in Nichts zurück ; ja getrennet Kehren sie alle zurück in die ersten K ö r p e r des llrstoffs.

24

L I B E R I ,

v. 2 5 1 — 276.

Postremo, pereunt imbres, ubi eos pater Aether In gremium matris Terrai praecipitavit: At nitidae surgunt fruges, rameique virescunt Arboribus; crescunt ipsae, fetuque gravantur. 255 Hinc alitur porro nostrum genus, atque ferarum: Hinc laetas urbeis puerum florere videmus, Frundiferasque novis avibus canere undique sylvas : H i n c , fessae pccudes, pingues per pabula laeta, Corpora deponunt ; et candens lacteus humor 260 Uberibus manat distentis : hinc nova proles Artubus infirmis teneras lasciva per herbas L u d i t , lacte mero menteis perculsa novellas. Haud igitur penitus pereunt quaequomque videntui ; Quando alid ex alio reficit N a t u r a , nec ullam «65 Rem gigni patitur, nisi morte adiuta aliena. Nunc age sis, quoniam docui nihil posse creari D e nihilo, neque item genita ad nihilum revocari j Ne qua forte tamen coeptes diffidere dictis, Quod nequeunt oculis rerum primordia cerni; 270 Adcipe praeterea, quae corpora tute necesse est Confiteare esse in rebus, nec posse videri. Principio, venti vis verberat incita pontum, Ingenteisque ruit naveis , et nubila differt; Interdum, rapido percurrens turbine, campos 275 Arboribus magnis sternit, monteisque supremo» Sylvifragis vexat flabris: ita perfurit acri

ERSTES

BUCH.

v . 247 —

272.

25

Z w a r der R e g e n v e r g e h t , w a n n V a t e r A e t h e r Ton oben Niedergegossen ihn hat zum M u t t e r s c h o o f s e der E r d e : A b e r die glänzende Saat steigt a u f , mit grünenden Z w e i g e n S c h m ü c k t sich der B a u m , und w ä c h s t , und trägt die lastenden F r ü c h t e . D a v o n nährt sich der M e n s c h e n Geschlecht, die Geschlechter der T h i e r e ; F r ö h l i c h e Städte b l ü h ' n v o n Schaaren munterer K n a b e n , U n d es ertönt überall v o n jungen V ö g e l n der L a u b w a l d . D a h e r l e g t das ermattete V i e h auf b l u m i g e n A u e n N i e d e r den schweren L e i b ; aus seinem strotzenden E u t e r R i n n e t der glänzende milchige Saft.

D a s üppige Saugkalb

Scherzet auf junger F l u r mit noch unsicherem S c h e n k e l , V o n der lauteren M i l c h die zarten Sinne berauschet. N i c h t s g e h t unter demnach v o n allem dem w a s w i r erkennen; E i n e s stellt die N a t u r aus dem andern h e r , und sie läfst nur Immer N e u e s entstehn aus anderer D i n g e V e r w e s u n g . A u f denn, und da ich gelehrt, dafs aus N i c h t s nichts könne hervorgehn, N o c h auch w i e d e r in N i c h t s das G e b o r e n e k ö n n e z u r ü c k g e l m : D a f s k e i n Z w e i f e l dich fafst an -dieses Satzes G e w i f s h e i t , W e i l du nicht siehst mit A u g e n die U r a n f ä n g e der D i n g e ; H ö r e v o n K ö r p e r n a n j e t z t , die ganz unläugbar in D i n g e n Anerkennen du m u f s t , obgleich nicht sichtbar dem A u g e . E r s t , die erregte G e w a l t des W i n d e s peitschet das M e e r a u f ; M ä c h t i g e ßchiffe stürzt er d a h i n , und jaget die W o l k e n . U n t e r w e i l e n durchläuft sein reissender W i r b e l die Felder, Strecket die h o h e n Bäume z u B o d e n , und braust um den B e r g w a l d , Setzt ihn krachend in S p l i t t e r ; so rast mit scharfem Geräusche Lucret.

I.

4

L I B E R I ,

v. 2 7 7 — 302.

Cum fremitu, saevitque minaci m u r m u r e , pontus. S u n t i g i t u r v e n t i j; imi rum c o r p o r a caeca, Q u a e m a r e , q u a e t e r r a s , q u a e d e n i q u e n u b i l a coeli r

8 ° V e r r u n t , ac s u b i t o v e x a n t i a t u r b i n e r a p t a n t . N c c ratione

fluunt

alia, stragemque propagant,

A c q u o m mollis a q u a e f c r t u r n a t u r a -repente F l u i n i n e a b u n d a n t i ; quein l a r g i s i m b r i b u s a u g e t IVIontibus ex altis m a g n u s d c c u r s u s a q u a i , »85 F r a g m i n a c o n i i c i e n s s y l v a r u m , a r b u s t a q u e

tota:

N e c validei possunt pontes venientis aquai Vim subitam tolerare;

i t a , i n a i n o t u r b i d u s inibii,

M o l i b u s i n c u r r i t , validis cum viribus , amnis; D a t s o n i t u m a g n o s t r a g e m ; v o l v i t q u e sul> u n d i i 2

9° G r a n d i a saxa ; r u i t q u a q u i d q u a m

fluctibus

obstat.

Sic i g i t u r d e b e n t v e n t i q u o q u e {lamina f e r r i : Q u a e , v e l u t i validuin q u o m

flumen

procubuere

Q u a m l i b e t in p a r t e m , t r u d u n t res a n t e , r u u n t q u f ; I m p e t i b u s crebris ; interdum vortice torto 295 C o n r i p i u n t , r a p i d e i q u e r o t a n t i t u r b i n e

portant.

Q u a re e t i a m a t q u e e t i a m s u n t v e n t i Qorpora caeca Q u a n d o q u i d e m f a c t i s , et m o r i b u s , a e m u l a m a g n i s Ainnibus i n v e n i u n t u r , aperto corpore quei sunt. Turn porro varios rerum sentimus odores ; 3°o N e c t a m e n ad n a r e i s v e n i e n t e i s c e r n i m u s N e c v a l i d o s aestus t u i m u r , n e c f r i g o r a

umquam; quiinus

U s u r p a r e oculis ; n e c v o c e s c e r n e r e s u e m u s :

ERSTES

BUCH.

v . 273 — 297.

27

Schäumend e m p o r , und tobt mit drohendem D o n n e r die Meerfluth. W i n d e demnach sind K ö r p e r , obgleich unsichtbar dem A u g e : D i e s e durchstreichen L ä n d e r und M e e r und W o l k e n des Himmels, Reissen im plötzlichen W i r b e l mit sich w a s ihnen entgegnet. N i c h t auf andere A r t auch fluten s i e , alles verwüstend, Als w a n n der vollere Strom im eilenden Z u g e dahin schiefst; D e n v o n den B e r g e n herab die häufigen Güsse der R e g e n A n g e s c h w e l l e t ; er reifst die Trümmer des W a l d e s und B ä u m ' und B ü s c h e mit sich h i n f o r t ; die J o c h e der B r ü c k e n vermögen Nipht entgegen zu halten dem Stöfs der drängenden W o g e n . U n d so setzt er z u l e t z t , von trübenden Wassern geschwollen, Gegen den Steindamm an, und unter gewalt'gem Stürzt er diesen in S c h u t t :

Geräusche

dann wälzet die brausende W o g e

U n t e r sich Felsen und S t e i n , nichts widerstehet dem Flutschwall. E b e n so müssen sich auch forttreiben die Stöfse des W i n d e s ; D e r w i e ein mächtiger S t r o m , nach allen Seiten sich h i n w i r f t , V o r sich die D i n g e drängt, durch h ä u f i g e Stöfse sie umstürzt, B a l d im Kreise sie d r e h t , und sie mit sich reisset im W i r b e l . Ganz unläugbar daher sind W i n d ' unsichtbare K ö r p e r ; D a sie an E i g e n s c h a f t e n und K r a f t so ähnlich sich zeigen Strömen mächtiger F l u t , die jeder f ü r K ö r p e r erkennet.

Ferner empfinden w i r auch der D i n g e verschiedne Gcrüche, Sehen indessen n i c h t , dafs solche die Nase berühren: Auch die Hitze sehen w i r nicht, noch können die Kälte W i r mit dem A u g ' erfassen, so w e n i g als Stimmen und Töne.

L I B E R

1.

v. 303 — 327.

Quae tamen omnia corporea constare necesse est N a t u r a ; quoniain sensus inpellere possunt: 3°5 Tangere enim , aut t a n g i , nisi corpus, nulla potest res. Denique,

fluctifrago

subpensae in l i t o r e , vestes

U v e s c u n t ; eaedem, dispessae in sole, serescunt : At n e q u e , quo pacto persederit humor aquai, Visum est, nec rursum quo pacto f u g e r i t aestu. In parvas igitur parteis disspargitur humor, Quas oculei nulla possunt ratione videre. Quin e t i a m , multis solis redeuntibus annis, Annulus in digito subter tenuatur h ab en do : S t i l l i c i d i i casus lapidem c a v a t : uncus aratri 3'5 Ferreus obculte decrescit vomer in arvis : Strataque iam volgi pedibus detrita vlarum Saxea conspicimus : turn, portas p r o p t e r , ahena Signa manus dextras obtendunt adtenuari Saepe salutantum t a c t u , praeterque meantum. 520 Haec igitur m i n u i , quom sint d e t r i t a , videmus ; S e d , quae corpora decedant in tempore quoque, Invida praeclusit speciem natura videndi. Postremo, quaequomque dies naturaque rebus Faullatim t r i b u i t , moderatim crescere cogens, 325 Nulla potest oculorum acies contenta tueri ; Nec porro quaequomque aevo macieque senescunt: N e c , mare quae inpendent, vesco sale saxa peresa

ERSTES

BUCH.

v. 298 — 320.

Alles dieses jedoch mufs körperlicher Natur s e y n ; Denn w i e könnten sie sonst den Sinn anstofsen und rühren ? Nur der Körper b e r ü h r t , und lasset sich w i e d e r berühren. Aufgehängte Gewänder am wellenbrechenden Ufer Feuchten sich a n ; sie trocknen der Sonn' entgegen g e s p r e i t e t : Dennoch sehen w i r n i c h t , w i e solche die Nässe des Wassers E i n z i e h n , oder w i e dieses am Stral der Sonne verdünstet. Also löst sich das Nafs in mindere flüchtige Tlieil' auf, Die nicht fähig man ist mit der Schärfe des Auges zu fassen. R i n g am Finger verdünnt das Tragen mehrerer J a h r e ; W a s s e r das niederstürzt von der T r a u f e holet den Stein a u s . In der Furche zerreibt das Eisen sich endlich am Pfluge: Tritt nicht der Fufs der M e n g e zuletzt den steinernen Pfad aus ? Siehet man nicht die Hände von ehernen Bildern der Götter, Nächst den Thoren der Stadt, vom Berühren der W a n d r e r geschmälert ? Augenscheinlich daher ist's, dafs sich dieselben vermindern: Aber w i e dieses geschieht, und "welche Theilchen von ihnen Jegliche Zeit ablöst, das hat die Natur uns verhehlet.

W i e d e r u m , w a s die Natur und Zeit den Dingen hinzusetzt, Ihren mächtigen W u c h s befördernd, erspüret das Auge Eben so w e n i g als d a s , w a s Alter und Krankheit hinwegnimmt. W a s die Felsen des Meeres vom fressenden Salze verlieren, W i r d in keinem Punkte der Zeit dem Auge bemerkbar:

L I B E R

jo

I.

v. 320 — 353-

Quid quoque amittant in tempore, cernere possis. Corporibus caecls igitur natura gerit res. 250

Nec tamen undique corporea stipata tenentur Omnia n a t u r a ; namque est in rebus i n a n e : Quod tibi cognosse in multis erit utile rebus; Nec sinet errantem dubitare, et quaerere semper D e summa r e r u m , et nostris diffidere dictis.

535 [ Q u a p r o p t e r locus est intactus i n a n e , vacansque. ] Q u o d , si non esset, nulla ratione moveri Res possent; n a m q u e , obficium quod corporis exstat, Obficere atque obstare, id in omni tempore adesset Omnibus : haud igitur quidquam procedere possent, 540 Principium quoniam cedendi nulla daret res. At nunc per m a r i a , ac terras, sublimaque coeli, M u l t a modis multis varia ratione moveri Cernimus ante oculos: quae, si non esset inane, Non tarn solicito motu privata carerent, 545 Quam genita omnino nulla ratione fuissent: Undique materies quoniam stipata quiesset. P r a e t e r e a , quamvis solidae res esse putentur, Hinc tamen esse licet raro cum corpore cernas. In s a x i s , ac speluncis, permanat aquarum 550 L i q u i d u s h u m o r , et uberibus flent omnia guttis : Dissupat in corpus sese cibus omne animantum : Crcscunt arbusta, et fetus in tempore fundunt : Quod cibus in totas, usque ab radicibus imis,

ERSTES

BUCH.

v. 3 « — 345-

3i

Und so führt die Natur durch verborgene Körper ihr W e r k aus.

Doch nicht alles ist dicht zusammen gedränget im Ganzen Durch der Körper N a t u r ; denn es ist in den Dingen ein Leeres. Das zu erkennen w i r d nützlich dir seyn in mancherlei R u c k s i c h t ; W i r d dich den schwankenden Zweifeln entziehn, der steten Verwirrung Ueber des Ganzen N a t u r , dem Mifstraun unserer W o r t e . Unberührbar, ein lediger Ort, ist aber das Leere. W ä r e nicht solch ein Raum , w i e könnten sich Dingr bewegen ? Immer wäre das Eigne der Körper, zu hemmen, zu hindern, Jedem im W e g e , zu jeglicher Z e i t ; nichts rückte von dannen: W e i l in der Dinge keinem der Grund zu weichen vorhanden. Aber nun sehen im M e e r , am H i m m e l , auf E r d e n , w i r manches. Sich auf mancherlei A r t , nach mancherlei Richtung bewegen; W e l c h e D i n g e jedoch, wofern kein Leeres vorhanden, Nicht der steten Bewegungen nur beraubet sich fänden, Sondern auch ganz und gar selbst nicht zur Entstehung gelangten, W e i l von allen Seiten gedrängt, still stünde die Masse. F e r n e r , obgleich die Dinge für dicht

wil pliegen zu halten,

M a g s t du hieraus doch ersehn, dafs dieselben lock'rer Natur sind. Seiget in Holen sich nicht des Wassers lauteres Nafs durch, Und umthränet den Fels mit-dickgeschwollenen T r o p f e n ? Theilet die Speise sich nicht in den ganzen Körper des Thiers aus ? Bäume w a c h s e n , und schütten die Frucht zur schicklichen Jahrszeit, W e i l der nährende S a f t , durch W u r z e l n und Fasern gesauget, Sich in dem ganzen Stamm durch Aest' und Zweige verbreitet.

L I B E R

I.

v. 3 5 4 — '379.

Per truncos ac per ramos diffunditur omneis : 555 Inter saepta meant v o c e s , et elusa

domorum

Transvolitant : rigidum permanat f r i g u s ad ossa. Q u o d , nisi inania sint, qua possent corpora quaeque T r a n s i r e , haud ulla f i e r i ratione videres. D e n i q u e , quur alias aliis praestare videmus 560 Fondere res rebus, nihilo maiore f i g u r a ? N a m , si tantumdem est in lanae g l o m e r e , quantum Corporis in plumbo e s t , tantumdem pendere par e s t ; Corporis obficium est quoniam premere omnia deorsum : Contra autem natura manet sine pondéré inanis. 365 E r g o , quod magnum est a e q u e , leviusque videtur, Nimirum plus esse sibi declarat inanis; U t contra gravius plus in se corporis esse D e d i c a t , et multo vacuum minus intus habere. E s t igitur nimirum i d , quod ratione sagaci 370 Q u a e r i m u s , admixtum rebus ; quod inane vocamus. I l l u d , in hiis rebus ne te deducere v e r o P o s s i t , quod queidam f i n g u n t , praecurrere cogor. Cedere squamigeris latices nitentibus aiunt, E t liquidas aperire v i a s , quia post loca pisces 375 L i n q u a n t , quo possint cedentes confluere undae : Sic alias quoque res inter se posse moveri, E t mutare l o c u m , quamvis sint omnia piena. Scilicet id falsa totum ratione receptum est. N a m , quo .squamigeri poterunt procedere tandem,

ERSTES

BUCH.

v. 346 —

369.

33

W ä n d e durchdringet der Schall,' und fliest O ö durch verschlossene T h ü l e n , U n d der erstarrende Frost durchschleichet das Mark der Gebeine. W ä r e der Raum nicht d a , wodurch sich die Körperchen drängen, W a r l i c h es würden sich nie dergleichen Erscheinungen zeigen

Endlich bemerken w i r noch in Körpern ähnlicher Gröfsc Ganz verschiednes Gewicht.

W a r ' ebendieselbige Masse

Körper im W o l l e n k n ä u l , als im B l e i , so miifste die Schwere Beiden die nehmliche s e y n : denn eigenthümlich den Körpern Ist es, niederzudrücken; dagegen es aber dem Leeren Ganz am Gewichte fehlt.

W a s gleich ist also an Gröfse,

Minder schwer an Gewicht, scheint mehr von dem Leeren zu haben; Dahingegen w a s s c h w e r , nothwendig Theile des Festen Mehr b e s i t z e t , und minder in sich des Leeren verscliliefset.

Klar ist also, dafs d a s , w a s mit dem Verstand w i r erforschen, Sey mit den D i n g e n gemischt, und dieses benennen w i r Leeres. D a f s kein Irrthum dich hier abführe vom W e g e der Wahrheit, M u f s i c h , was einige falsch einwenden, bestreiten im voraus. Nämlich sie sagen: es weiche das Wasser den drängenden Fischen, Oeffne denselben die flüssige B a h n ; vitßil diese beim Fortgehn Hinter sich lassen den R a u m ,

w o zusammenfliefsen die Flut kann.

Jede B e w e g u n g finde nur statt auf ähnliche W e i s e , Jede Yerändrung des Orts , ob erfüllt gleich alles durchaus sey. D i e f s ist alles jedoch aus falschen Gründen genommen: Denn w o könnte der Fisch zuletzt hindringen, w o f e r n ihm I.ucref.

I.

/)

L I B E R I ,

54

38o N i s p a t i u m d e d e r i n t l a t i c e s ?

v. 380 — 405.

Concedere porro

Q u o p o t e r u n t u n d a e , q u o m pisces i r e n e q u i b u n t ? A u t i g i t u r m o t a p r i v a n d u m est c o r p o r a

quaeque,

A u t esse a d m i x t u m d i c u n d u m est r e b u s i n a n e ; U n d e i n i t u m p r i m u m c a p i a t res q u a e q u e í n o v e n d i . 385

P o s t r e m o , d u o de c o n c u r s o c o r p o r a l a t a Si cita d i s s i l i a n t , riempe aer ornile necesse est, Inter corpora quod f i a t , possidat inane. Is p o r r o q u a m v i s , circum celerantibus auris, Confluat, haud poterit tamen uno tempore totum

390 C o n p l e r i s p a t i u m : n a m p r i m u m q u e m q u e necesse est. O b c u p e t ille locum, deinde omnia possideantur. Q u o d , si f o r t e a l i q u i s , q u o m c o r p o r a dissiluere, T u m p u t a t id f i e r i , quia se c o n d e n s e a t aér, E r r a t : nam vacuum tum f i t , quod non fuit ante, 395 E t r e p l e t u r i t e m , v a c u u m q u o d c o n s t i t i t a n t e ; N e c tali ratione potest denserier aér: N e c , si i a m p o s s e t , sine i n a n i p o s s e t ,

opinor,

I p s e i n se trahej-e, et p a r t e i s c o n d u c e r e i n u n u m . Q n a p r o p t e r , quamvis caussando multa moreris, 400 E s s e i n r e b u s i n a n e t a m e n f a t e a r e necesse est. M u l t a q u e praeterea tibi possunt conmemorando A r g u m e n t a f i d e m dictis c o n r a d e i e n o s t r i s : V e r u m a m i n o satis liaec v e s t i g i a p a r v a sagaci S u n t , p e r q u a e p o s s i s c o g n o s c e r e caetcra t u t e . 405 N a m q u e c a n e s , u t m o n t i v a g a e p e r s a e p e fera'i

ERSTES

BUCH.

v. 370 — 595-

35

Raum nicht gäbe die F l u t ? und wohin nur sollte das W a s s e r W e i c h e n , wofern sich in ihm der Fisch nicht könnte b e w e g e n ? Schlechterdings ist daher zu leugnen der Körper B e w e g u n g , Oder man mufs zulassen der Dinge Gemisch mit dem L e e r e n ; Aus dem jedes sich nimmt den Anfang seiner Bewegung. W a l i n z w e i Körper, -von ebener F l ä c h e , zusammen gestofsen, Plötzlich wieder sich trennen, so mufs das L e e r e , das dadurch Zwischen ihnen entsteht, mit L u f t sich wieder erfüllen. Strömte mit eilendem Hauche sogleich auch diese zusammen; Dennoch vermag sie es nicht, auf einmal sämmtliche Räume A u s z u f ü l l e n ; sie mufs den einen Ort nach dem andern, Immer den nächsten zuerst, in der Folge das Ganze besetzen. Glaubt man v i e l l e i c h t , es sprängen daher auseinander die Körper, W e i l sich dazwischen die L u f t zuvor schon habe verdichtet, Irrt m a n ; ein Leeres entsteht, d a , w o es zuvor nicht gewesen, W i e d e r auch f a l l e t sich ar.,1 was zuerst ein ledijrer Raum war. D

Auch nicht iäfst sich die L u f t auf solcherlei W e i s e verdichten. W a r ' es, so könnte doch n i c h t , sie, ohne die Hülfe des Leeren, In sich hinein sich z i e h n , in Eins zusammen sich drängen. U n d so mag man sich auch noch manche der Z w e i f e l ergrübein; Immer doch mufs man gestehn, es sey in den Dingen ein Leeres. Meli rere könnt' ich dir noch von diesen Beweisen hinzuthun, Ueberzeugende Kraft und Glauben den W o r t e n zu schaffen: Aber Gemüthern schärferen Sinns sind diese geringen Spuren der W a h r h e i t genug, das w e i t e r e selber zu forschen. Gleich den l t u n d e n , sobald auf die sichern Spuren des W e g e s

L I B E II- I .

v. 406 — 431.

N a r i h u s i n v e n i u n t , iniectis f r u n d e , quietes, Q u o m semel institcrunt vestigia certa v i a i ; Sic. alid ex alio per te tute ipse videre T a l i b u s in rebus p o t e r i s , caecasque latebras 4

10

I n s i n u a r e omneis, et verurn p r o t r a h e r e inde. Q u o d , si p i g r a r i s , paullumve recesseris abs re, H o c t i b i de piano possum p r o m i t t e r e , M e m m i ; U s q u e a^deo largos liaustus de f o n t i b u s amnis L i n g u a meo suavis diti de pectore f u u d e t ,

•t'5 U t v e r e a r , ne tarda prius per membra senectus S e r p a t , et in nobis v i t a i claustra resolvat, Quam tibi de qua vis una re versibus omnis A r g u m e n t o r u m sit copia missa per aureis. Sed n u n c , u t repetain coeptum pertexere dictis. 420

O m n i s , u t est, i g i t u r , per s e , natura duabus Constitit in r e b u s : nam corpora s u n t , et i n a n e ; H a e c in quo sita s u n t , et qua divorsa moventur. Corpus enim per se conmunis dedicat esse Sensus : quoi nisi prima fides f u n d a t a valebit,

425 H a u d e r i t , obcultis de rebus quo referentes C o n f i r m a r e animos quidquam ratione queamus. Turn p o r r o l o c u s , ac s p a t i u m , quod inane vocamus, Si nullum f o r e t , haud quaquain sita corpora possent Esse , neque omnino quoquam divorsa meare : 430 I d , quod iam supra tibi paullo obtendimus ante. P r a e t e r e a , nihil e s t , quod possis dicerc ab omni

ERSTES

BUCH.

v. 396

421.

E i n m a l geleitet sie s i n d , des Bergumschweifenden W i l d e s L a g e r sie leicht a u f w i t t e r n , und L a u b und B ü s c h e durchstöbern; Also magst du auch selbst in diesen D i n g e n erforschen, W i e aus dem einen das andere k ö m m t ; in versteckete

Winkel

D r i n g e n , hervorzuziehn aus ihnen die B e u t e der Wahrheit. Säumst du jedoch und trittst du zurück vom Glauben der Sache, Kann i c h , mein M e m m i u s , dir mit geringer M ü h e geloben, Einen so reichen S t r o m , aus den Quellen selber geschöpfet, A u s z u g i e f s e n , aus voller B r u s t , mit lieblicher Z u n g e , D a f s ich b e f ü r c h t ' , es möcht' ein trägeres Alter sich eher M i r durch die Glieder schleichen, und lösen die Bande des Lebens, E h e zuvor mein Vers von jeglichem einzelnem Satze Alle die Schaar der B e w e i s e zum Ohr dir liefse .gelangen : L a f s demnach das begonnene W e r k uns w"eiter verfolgen. Also die ganze N a t u r , s i e , durch sich selber, bestehet Aus z\vei D i n g e n allein j aus Körpern nämlich und L e e r e m : Jene liegen in diesem; diefs macht die B e w e g u n g e n möglich. Schon der gemeine Sinn b e w e i s t , dafs Körper vorhanden: Könnt' auf diesen sich nicht der Glaube zuvörderst

begründen,

Auf w a s sollten w i r d e n n , in den D i n g e n w e l c h e w i r nicht sehn, Stützen uns k ö n n e n , B e w e i s von ihnen zu fällen und U r t l i e i l ? W a r ' a u c h , ferner, nicht R a u m noch Ort, der L e e r e s benannt w i l d . W o r i n sollten sich denn die Körper b e f i n d e n ? w i e könnten Ihren verschiedenen .Gang und W e g und Richtung sie nehmen ? H i e v o n hast du jedoch den B e w e i s schon oben gehöret. W i e d e r u m giebt es auch nichts, das ganz von dem Körper verschieden,

L I B E R I .

v. 432 —1 457.

C o r p o r e s e i u n c t u m , s e c r e t u m q u e esse ali i n a n i ; Q u o d q u a s i t e r t i a sit n u m e r o n a t u r a r e p e r t a . N a m , q u o d q u o m q u e e r i t , esse a l i q u i d d e b e b i t id i p s u m 435 A u g m i n e vel g r a n d i , vel p a r v o d e n i q u e , d u m s i t ; Q u o i si t a c t u s e r i t q u a m vis l e v i s ,

exiguusque,

Corporis ^ugebit numeruin , summamque sequetur : S i n i n t a c t i l e e r i t , n u l l a de p a r t e q u o d u l l a m R e m p r o h i b e r e q u e a t p e r se t r a u s i r e m e a n t e m ; S c i l i c e t liocc' id erit v a c u u m , q u o d i n a n e v o c a m u s . P r a e t e r e a , p e r se q u o d q u o m q u e e r i t , a u t f a c i e t q u i d , A u t aliis f u n g i d e b e b i t a g e n t i b u s i p s u m , A u t e r i t , u t p o s s u n t in eo res e s s e , g e r i q u e : A t f a c e r e , et f u n g i , sine c o r p o r e n u l l a p o t e s t r e s ; 445 N e c p r a e b e r e l o c u m p o r r o , n i s i i n a n e v a c a n s q u e . E r g o p r a e t e r i n a n e , et c o r p o r a , t e r t i a p è r se N u l l a p o t e s t r e r u m in n u m e r o n a t u r a r e l i n q u i ; N e c , q u a e sub sensus c a d a t u l l o t e m p o r e n o s t r o s , N e c r a t i o n e a n i m i q u a m q u i s q u a m p o s s i t apisci. 450 N a m ,

q u a e q u o m q u e c l u e n t , a u t liiis c o n i u n c t a d u a b u s

R e b u s ea invenies., a u t l i o r u m - e v e n t a videbis. C o n i u n c t u m est i d , q u o d n u m q u a i n sine p e r n i c i a l i D i s c i d i o p o t i s est s e i u n g i , s e q u e g r e g a r i : P o n d u s u t e i s a x i e s t , calor i g n i s , l i q u o r aquai", 455 T a c t u s c o r p o r i b u s c u n c t i s , i n t a c t u s i n a n i . Servitium contra, paupertas,

divitiaeque,

Libertas, bellum, concordia, caetera,

quorum

ERSTES

BUCH,

v . . 4 2 2 — 445.

39

Auch von dem L e e r e n getrennt, und gleichsam dritter Natur sey. S e y was immer es w i l l , so ist es doch irgend ein E t w a s , Das,

grofs oder auch k l e i n , zum mindesten w i r k l i c h doch da ist.

L a s t sich's b e r ü h r e n , so leicht und gering es immer auch seyn mag, W i r d es gehören zur Z a h l der K ö r p e r , und mehren die Summe; Ist es doch unberührbar, und s o , dafs es nirgend den Durchgang E i n e m der K ö r p e r v e r w e h r t , so ist es der R a u m und das L e e r e .

U e b r i g e n s , w a s nur f ü r sich Bestand h a t , w i r k e t entweder, Oder es w i r d g e b r a u c h t , und von fremder W i r k u n g getrieben; Oder gestattet in sich der D i n g e Verand'rung und Daseyn. L e i d e n aber und T h u n ist ohne den Körper nicht m ö g l i c h ; R a u m zu gewähren vermag allein das lcdige L e e r e ; F o l g l i c h läfst in der Z a h l der selbst bestehenden D i n g e , Aufser K ö r p e r und R a u m , kein drittes W e s e n sich denken; E i n e s das mit dem Sinn jemahls wahrnehmen w i r könnten, Oder auch das der Verstand erreichen könnte durch Schlüsse. Alles was Namen h a t , das findst du vereinet in diesen B e i d e n , oder es i s t , w i e du siehst, von ihnen E r f o l g nur. Aber vereint ist d a s , w a s , ohne Zerstörung des G a n z e n , Niemals trennen sich l ä f s t , auf keinerlei W e i s e sich sondern; W i e von dem Stein die S c h w e r e , vom F e u e r die W ä n n e , vom Wasser N ä s s e , vom K ö r p e r B e r ü h r u n g , und Nichtberührung vom L e e r e n . F r e i h e i t , K n e c h t s c h a f t , j e d o c h , und R e i c h t h u m , oder auch Armuth, K r i e g und F l i e d e n , und w a s dein ähnlich ferner benannt

wird;

L I B E R I ,

4o

v. 450 — 482.

Adventu.manet incolomis n a t u r a , a b i t u q u e ; Haec solitei sumus, ut par e s t , eventa vocare. 460

Tempus item per se non est, sed rebus ab ipsis Consequitur sensus , transactum quid sit in aevo ; T u m , quae res instet; quid porro deinde sequatur : Nec per se quemquain teinpus sentire fatendum est Semotum ab rerum motu, placidaque quiete.

465

D e n i q u é , Tyndaridem raptam, belloque subactas Troiugenas genteis quoin dicunt e s s e , videndum est, Ne forte haec per se cogant nos e s s e f a t e r i ; Quando ea secla hominum, quorum liaec eventa fuerunt, Inrevocabilis abstulerit iam praeterita aetas.

47° Namque aliud terris, aliud legionibus ipsis, Eventum dici poterit, quodquomque erit actum. D e n i q u e , materies si rerum nulla fuisset, Nec locus, ac spatium, res in quo quaeque g e r u n t u r ; Numquam , Tyndaridis formae conflatus amore, 475 I g n i s , Alexandri P h r y g i o sub pectore gliscens, Clara adcendisset saevi certamina b e l l i ; Ncc ciani durateus Troianis Pergama partu Inflammasset equus nocturno Graiugenarum : Fcrspicere ut possis, res gestas fuiulitus omneis 45° Non i t a , utei corpus, per se constare, neque esse: Nec rationc c l u e r e e a d e m , qua constat i n a n e : Sed magis ut merito possis eventa vocare

ERSTES

BUCH.

v. /,4