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German Pages 400 [420] Year 2014
Bernd Hüppauf Vom Frosch
Edition Kulturwissenschaft | Band 1
Bernd Hüppauf (Prof. Dr.) ist Emeritus für Deutsche Literatur und Literaturtheorie der New York University. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Mentalitäts- und Kulturgeschichte der Moderne.
Bernd Hüppauf
Vom Frosch Eine Kulturgeschichte zwischen Tierphilosophie und Ökologie
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Inhalt 1 V ORWORT
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2 E INLEITUNG
| 15
2.1 Mensch-Tier-Verhältnisse | 15 Mensch-Affe/Mensch-Frosch | 17 Vom Wesen zu Verhältnissen | 19 Spiegelneurone als biologische Grundlage der Mensch-Frosch-Beziehung | 21 Anthropomorphismus | 25 Skeptischer Anthropomorphismus und Wünsche, ins Tier zu schlüpfen | 27 2.2 Wer oder was ist der Frosch? | 30 Der Frosch in außereuropäischen Kulturen | 32 Ein Anfang in der Steinzeit? | 36
2.3 Eine Kulturgeschichte des Froschs: Vom Frosch im Kopf zum Frosch in der Hand und zurück | 40 Mentalität und Diskurs | 43 Der Frosch ist viele – Lassen sich Grundzüge einer Geschichte vom Frosch benennen? | 44 Der Frosch als Ding in kulturellen Konstruktionen | 50 Spuren lesen und Bericht erstatten | 51 2.4 Die Kapitel des Buchs | 52 Wandlungen | 52 Theologie | 53 Magie | 54 Literatur | 55 Wissenschaft | 56 Der Ökofrosch entsteht | 58
3 D ER F ROSCH IN T HEOLOGIE UND M AGIE
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3.1 Das böse Tier der Theologie | 61 Der böse Frosch als Instrument der Kirche | 68 Kirche und Ketzer: Perversion, Häretiker, Hexen | 71 Tierprozesse – Exorzismus | 72 Der hässliche Tod als Strafe für ein sündiges Leben | 74 Fortsetzungen: Lug und Trug mit dem Frosch; der Jude als Frosch | 77 3.2 Der Frosch im magischen Denken | 82 Zwischen Beobachtung und Okkultismus – Alchemie | 84 Das Hässliche in der Natur | 91 Das Hässliche als kulturelle Konstruktion | 93 Unrein: Krankheit und Medizin | 94 Unreine Geburt – Kröte und Uterus – die monströse Imagination | 97 Sektion als Enteignung des Körpers | 102 Der Frosch als Monster – Terror | 104 Die Kröte als König: Shakespeares Macbeth | 110
3.3 Das Hässliche und die Sinne: Idiosynkrasie. Froschbilder der Neuzeit in einer Kulturgeschichte der Sinne | 116 Leibreaktion: Ekel | 119 Gehör, Geruch, Tasten, Schleim, Gewimmel und starke Gefühle | 120 Kein Platz für das Gewimmel in der Kunst | 127 3.4 Entteufelungen | 129 Positivierung des Hässlichen in der Ästhetik der Moderne | 131
4 D ER LITERARISCHE F ROSCH
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4.1 Ein Haiku | 135 4.2 Die Zähmung der Magie | 137 Vom Bösen zur Didaktik: Rollenhagen, La Fontaine, Bewick | 140 Metamorphosen | 148 Ovid | 149 Eine Lücke entsteht | 152
Metamorphose ohne Frosch: Goethe und seine Zeit | 154 Metamorphose im Märchen: Phantasien von einer Welt ohne Frösche | 159 4.3 Verkehrte Welt | 163 Der Frosch als moralisches und als ästhetisches Problem der verkehrten Welt: Hans Christian Andersen | 165 Der Frosch als Bürger: Wilhelm Busch | 166 Banalisierungen in der Alltagskultur | 172 4.4 Gegenströmungen: Das Magische kehrt zurück | 174 Poes Poetik des Bösen | 176 Hop Frog | 178 Das Geheimnis der Tiere – zu einer Geschichte der Rettung. Gertrud Kolmar: Tierträume | 183 Neue Idiosynkrasien; Marie Luise Kaschnitz, Herta Müller, Patrick Süskind, Günter Grass | 187 Ein Bote der postmodernen Unverständlichkeit. José Saramago: Vergeltung | 193 4.5 Ein literarischer Ökofrosch? | 196
5 D ER F ROSCH UND DIE W ISSENSCHAFT
| 201
5.1 Die Grenze Mensch – Tier | 201 Gemeinsamkeiten | 202 Differenzen | 203 Verworrene Positionen | 204 5.2 Die Anfänge | 206 Was wollen die Forscher vom Frosch wissen? | 206 Philosophische Neugier: das Vakuum | 208 Geruch, Farben, Haut. Empathie durch sinnliche Beobachtung | 212 Gestik | 214 Rein-unrein | 216 Sexualität | 218 Gewimmel – der Frosch und die niederen Stände | 224 Erziehung zur Sittlichkeit | 225 Bewusstsein | 226
5.3 Schwellenzeit um 1800 | 230 Zwischen Beobachtung und Theorie | 230 Serendipity. Reste des Menschen im Bild: Galvani | 234 Experiment und Hand | 237 Tierische Elektrizität – Alexander von Humboldt | 240 Zwischen Beobachtung und Theorie: Rösel von Rosenhof | 243 Das Mit-Tier – Sulzer und die Empathie | 248 5.4 Wissenschaftsbilder vom Frosch nach 1800 | 251 Das wissenschaftliche Paradigma: Der Körper als Maschine: Descartes & La Mettrie | 251 Experiment und Zerstückelung – Desensibilisierung | 253 Eine Lebenswissenschaft ohne einen Begriff vom Leben | 256 Die Epoche des Tierbilds | 260 Leben auf der Grenze zum Tod | 262 Das Labor als Raum: Bewegung und Stillstand | 264 Der Frosch als epistemisches Ding | 268 Die heimliche Wirkung der Magie – Astigmatismus | 274 Der magische Frosch verschwindet nicht – Desensibilisierung als Programm und seine Grenzen | 275 Experimentaltier und das System Experiment | 277 Der Frosch als Tier des Kopfes und das Ich der Experimentatoren – Herrschaft und Sadismus | 278 Im Keller – Labor als Folterkammer: Herrschaft und Raum | 280 Spuren | 283 Das unpopuläre Froschbild | 286 5.5 Der Frosch heute – subtile Arten der Folter | 286 Wissenschaft im Zeitalter der Genmanipulationen: der gläserne Frosch | 287 Klonen | 292
6 D ER Ö KOFROSCH
| 295
6.1 Froschbilder der Gegenwart | 295 Markt und Werbung | 295 Stirbt das älteste Wirbeltier auf dem Land aus? Tod und Deformationen | 298 Frosch und Tierschutz – Tierliebe und Gesetze | 300 Tier und Subjektivität | 305 Bioethik und der inhärente Wert der Natur | 308
6.2 Auf dem Weg zur Ökologischen Ethik | 311 Fundamentalökologie unter besonderer Berücksichtigung von Frosch und Kröte | 312 Anthropozentrismus | 314 Körper und Leib | 315 Eine Natur, in dem Tier und Mensch gleichermaßen aufgehoben sind | 318 6.3 Mensch und Frosch in der Gegenwart | 320 Hinsehen und die Empathie der Spiegelneurone | 322 Kann aus individueller Empathie gesellschaftliches Handeln werden? | 324 Wer ist der Ökofrosch? | 325 Langzeitverantwortung | 330 Das Tier als Dialogpartner | 332 Geschichtliche Tiefe | 334 6.4 Ein Haiku: Magerer Laubfrosch | 338
A NMERKUNGEN L ITERATUR I NDEX
| 413
| 389
| 341
Quellen und Dokumente
2.A 3.A 3.B 3.C 3.D 3.E 3.F 3.G 3.H 4.A 4.B 4.C 4.D 4.E 5.A 5.B 5.C 5.D 5.E 5.F 5.G 5.H 6.A 6.B 6.C
Zedler, 1741: Rana | 31 Physiologus | 65 Heinrich Heine, Über die französische Bühne | 81 Liber Luminis Luminum | 83 Paracelsus: De extraneis | 85 Krünitz: Froschregen | 87 Krünitz: Das Fröschchen | 95 Gesnerus: Von den Fröschen | 105 William Shakespeare, Macbeth (Act 4, Scene 1) | 111 La Fontaine, La Grenouille qui se veut faire aussi grosse que le Boeuf | 143 Christian Reicharts Abhandlung von Fröschen | 145 Wilhelm Busch, Fink und Frosch | 169 Gertrud Kolmar, Die Unke und Die Kröte | 185 Marie Luise Kaschnitz | 189 Anatomische Beobachtungen, 1687 | 215 Johann Gottfried Gleditsch: Froschpaarung | 221 Krünitz: Frosch | 223 Tableau encyclopédique et méthodique des trois règnes de la nature (1789): Einleitung | 233 A.W. Volkmann, Beitrag zur näheren Kenntnis der motorischen Nervenwirkungen (1845) | 255 G. Valentin, Elektricität der Thiere (1846) | 261 Oscar Langendorff, Rhythmik und Automatie des Froschherzens (1884) | 271 Nijmwegen High Field Magnet Laboratory: Der Frosch, der das Fliegen lernte (1997) | 291 Wolfgang Bechtle, Die Hochzeit der Grasfrösche | 301 Eine E-Mail, Mai 2010 | 319 Durs Grünbein, In der Provinz 4 | 329
1 Vorwort
Vor vielen Jahren habe ich meine Zeit an einem Teich verbracht. Er war zu klein für ein Boot, aber ein Paradies für Molche, Frösche, Libellen und einen neugierigen Jungen. Am Rand gab es einen Steg aus verwitterten Brettern. Sie hatten früher den Wäscherinnen gedient, jetzt dienten sie mir: auf dem Bauch liegend beobachtete ich das Leben im Wasser vor und unter mir. Im Einweckglas trug ich Molche und Froschlaich nach Hause. Ich betrachtete die Tiere, aber später sezierte ich Frösche und machte Präparate für das Mikroskop. Das liegt lange zurück. Doch den Frosch in der Hand spüre ich noch heute, und an den Frosch im Sezierbecken erinnere ich mich mit Widerstreben. An diesem Teich erfuhr ich viel über das Leben der primitiven Tiere im und am Wasser, ohne zu wissen, dass ich am Ende einer langen Kette stand, die mich über Jahrtausende hinweg mit Menschen verband, die Frösche beobachtet, phantasiert und durch Kunst und Zauberei in ihr Leben einbezogen hatten. Heute ist der Teich zugeschüttet, der Bach in Betonröhren verlegt, und Frösche gibt es dort nicht mehr. Eine Entwicklung über zwei Generationen. Trägt jemand für sie die Verantwortung? Oder handelt es sich um den Wandel der Zeiten, dem wir hilflos zusehen müssen? Ein erstes Gefühl für den Zusammenhang von Frosch und Zivilisation habe ich an diesem Tümpel und über dem Mikroskop entwickelt. Es ist im Lauf der Zeit nicht verloren gegangen. Über viele Jahre habe ich Material gesammelt, geschrieben und Aufsätze über Froschbilder publiziert. Es gab das Glück der unerwarteten Funde auf Reisen, in Archiven und auf Flohmärkten, wo ich nach illustrierten Büchern, Graphiken und kleinen Skulpturen von Fröschen suchte. Nicht vergessen werde ich einen Afrikaner auf einem Markt in Manhattan, der lachend einen kleinen Bronzefrosch aus seiner riesigen Tasche holte, den er von seiner letzten Reise an die Elfenbeinküste mitgebracht hatte. Das Tier kam aus seinem Dorf, schon seine Großeltern hatten es besessen und an seine Macht im Regenzauber
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geglaubt. Ich hatte keine Bedenken, einen vollkommen überhöhten Preis zu zahlen. Diese Figur strahlt noch immer einen Zauber aus. Sie lebt. Solchen Funden, aber mehr noch den Gesprächen mit Naturfreunden und bekennenden Krötenschützern habe ich viel zu verdanken. Ihr Engagement und ihre Liebe zum Tier haben mir über manchen Tiefpunkt der Arbeit hinweggeholfen. Außer in den extrem kalten Zonen leben Frösche überall auf der Erde, unter dem australischen Wüstensand, auf Bäumen im tropischen Regenwald, wo sie das Fliegen und Singen gelernt haben oder auf dem Boden von Loch Ness und an anderen unglaublichen Orten. Es gibt kaum eine Kultur ohne Froschmythologie. Froschbilder und -skulpturen haben eine lange Tradition in der Geschichte der Rituale und Kunst Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Europas, und der Frosch hat in vielen Kulturen einen besonderen Ritualwert. Dieser Wert haftet nicht am Tier selbst, sondern entsteht in kulturellen Praktiken und geht den beobachteten Eigenschaften des Tiers voraus. Er macht aus dem Frosch ein Tier mit Geschichte. Die Froschgeschichte bietet die Chancen des Konkreten und Marginalen. Der Blick vom Rand öffnet eine eigene Sicht, lässt Zusammenhänge erkennen, die aus der Perspektive des Zentrums leicht übersehen werden, und verschiebt die Gewichte. In der Geschichte des Denkens und der Bilder steht der Frosch nicht im Zentrum, und er ist leicht zu übersehen. Im Vergleich zu anderen Tieren, deren symbolische Signifikanz offensichtlich ist, Löwe, Bär, Adler, Wolf, Lamm oder Affe, ist der Frosch eine unscheinbare Kreatur am Rande, und unter den Tieren mit einer Beziehung zur Mentalitätsgeschichte Europas ist er in der Gegenwart nahezu vergessen. Diese Abwesenheit täuscht. Er wächst, sobald man ihn bemerkt. Seine Auftritte und Verwandlungen waren von starken Emotionen begleitet, die dafür sorgten, dass über einen Zeitraum von etwa tausend Jahren der Frosch als ein negatives Totem wirkte. Mit dem Bedeutungsverlust von Ritualen geriet dieser Frosch weitgehend in Vergessenheit, und der falsche Eindruck entstand, der Frosch sei eine Nebensache. Die Diskrepanz zwischen Ritualwert und äußerer Erscheinung war bei keinem Tier so extrem wie beim Frosch. Sein Ritualwert und sein Symbolwert haben das unscheinbare Tier über lange Zeiträume aufs Engste mit der Zivilisation verknüpft und in eine wundersame Nähe zum Menschen gerückt. Anders als riesige Tierpopulationen, die dem Menschen evolutionsgeschichtlich fern stehen, wie Insekten, Fische oder Mollusken, teilt er mit dem Menschen eine Geschichte – in Bildern, Texten und mündlicher Überlieferung, in Magie und Ritualen, Wissenschaft und Okkultismus.
1 V ORWORT
Er hat an grundlegenden Diskursen der europäischen Geistesgeschichte über das Böse, das Hässliche und die Beziehung von Mensch und Tier teilgenommen, oft als Störung und Herausforderung. Unter den Tieren mit einer engen Beziehung zur Geschichte des menschlichen Selbst und der Natur des Menschen ist der Frosch zu entdecken. Ein unbearbeitetes Thema bereitet besondere Probleme: Die Arbeit kann sich von keinen Vorgängern absetzen, das Feld ist unstrukturiert, Material muss in oft aufwendiger Kleinarbeit im Verborgenen und Abgelegenen aufgespürt werden. Meine Quellen sind ein buntes Gemisch von Kunst und Literatur, Naturphilosophien, Märchen, Buchillustrationen, Enzyklopädien, Sezieranleitungen, Bilderbögen, Werbung, Amuletten, Fotografien und Interviews. Einige, etwa das Märchen vom Froschkönig in der Sammlung der Brüder Grimm, kennt jedes Kind, andere sind vergessen oder verdrängt und gehören ins Obskure. Wer kennt noch die Froschöle, die deutsche Apotheken bis ins späte 19. Jahrhundert verkauften, oder die Rezepte für Pulver aus zerstoßenen, getrockneten Fröschen, die zur Steigerung der Liebeslust eingenommen wurden? Liest man aus der Perspektive des Froschs, stößt man auf unerwartete Funde, und Zusammenhänge stellen sich ein, die zu überraschenden Folgerungen führen. Über dem Vergnügen liegt ein Schatten. Der Frosch war das erste Wirbeltier, das aus dem Wasser aufs Land übersiedelte, und er gehört zu den Tieren, die seit dem Beginn der menschlichen Siedlungen in die Kulturgeschichte verwickelt sind. Nun sind Frosch und Kröte die Opfer der Umweltkatastrophe – das größte Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier droht. Die Gefahr besteht, dass der Frosch in der Hand bald nur noch eine Erinnerung sein könnte. Die Drohung gibt diesen Tieren eine neue Bedeutung, und in ihrer Kulturgeschichte zeichnet sich ein tiefer Wandel ab. Eine Geschichte von Frosch und Kröte verbindet Bios und Zoë, physische Lebewesen und ihr Leben, das durch den Eingriff des Menschen in die Natur entsteht. Sie kann unter den Bedingungen der Gegenwart nur vom drohenden Ende der physischen Existenz her geschrieben werden und muss das vorgestellte Tier der Vergangenheit mit Phantasien von Zukunft verknüpfen. Die Zukunft von Frosch und Kröte ist mit der des Menschen ebenso unlösbar verknüpft wie eine viele Jahrtausende zählende Vergangenheit, und sie ist gefährdet. Sollen Frosch und Kröte gerettet werden, ist Handeln erfordert. Dieses Handeln muss Wege in die Zukunft finden, auf denen das Tier mitgehen kann. Nach einem langen Kampf, in den der Mensch diese Tiere verwickelt hat, fordert die Gegenwart ein Umdenken, das zu gemeinsamem Handeln führt. Kaum ein anderes Tier gibt
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so nachdrücklich Anlass, über eine Ethik nachzudenken, die die Zukunft der Natur einschließt. Zur Entwicklung einer ökologischen Ethik will diese Kulturgeschichte einen Anreiz geben. Meine jahrelange Arbeit an diesem bizarren Thema hat Verwunderung und verständnisloses Kopfschütteln ausgelöst, ich habe aber auch großzügige Unterstützung von Einzelnen und von Institutionen erfahren, für die ich dankbar bin. Ich danke insbesondere der Staatsbibliothek zu Berlin. Unter vielen Namen sollen erwähnt werden: David Bordiehn und Bernd Ulrich.
2 Einleitung
Die giftige abscheuliche greuliche wüste unflätige Giftlauche wohnend in der Erdengrufft nehrt sich von der faulen Lufft lebet von dem Schleim und Pfitzen kann den Menschen niemals nützen. (A NONYM , 18. JAHRHUNDERT)
2.1 M ENSCH -TIER -V ERHÄLTNISSE Die Kulturgeschichte hat sich kaum je mit dem Tier beschäftigt. Die Geschichte der Kultur und des Ichs ist aber ohne das Tier als handelnder Akteur und erleidendes Objekt nicht denkbar. Das Verhältnis von Mensch und Tier ist von den Anfängen der Geschichte bis in die Gegenwart konstitutiv für die Beziehung des Menschen zur Welt und zu sich gewesen. Unter den Tieren steht der Frosch dem Menschen, biologisch betrachtet, denkbar fern. Aber seine Beziehung zum Menschen lehrt das Staunen. Sie war über lange Zeiträume und in vielen Kulturen so eng wie die zu wenigen anderen Tieren. Im morphologischen Vergleich zeigt sich keine Spur von Ähnlichkeit. Der Frosch hat kein Haar, kein Gesicht, keinen aufrechten Gang, keine Differenzierung von Hand und Fuß, von Unterschieden in der Körperform und Fortbewegung oder der Größe gar nicht zu reden. Nichts deutet auf eine Verwandtschaft mit dem Menschen. Der primitive Frosch ist ein
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Tier des Anfangs, das erste Wirbeltier, das vor 360, womöglich 400 Millionen Jahren das Wasser verließ, um auf dem Land zu leben. Trotz der biologischen Ferne hat der Frosch jedoch in einer mentalen Nähe zum Spätling Mensch gelebt. Die Geschichte vom Frosch öffnet auf überraschende Weise die Frage nach dem Zusammenleben von Mensch und Tier als einer Bedingung von Kultur. Das gilt weltweit und für viele Epochen. Auch im Mittelalter und in der Neuzeit hat eine tief liegende Ahnung von einer Ähnlichkeit gewirkt und die Einstellung zum Frosch bestimmt. Auf diesen Zeitraum konzentriert sich der folgende Versuch einer Kulturgeschichte. Die Geschichte vom Frosch kann nur im Rahmen der allgemeinen Mensch-Tier-Beziehung geschrieben werden. Vernachlässigen wir ältere Konzeptionen, die das Verhältnis zu Göttern, und neuere, die das Verhältnis zu Robotern einbeziehen, spannt sich die Beziehung zwischen den beiden Polen: Der Mensch ist ein Tier unter anderen Tieren oder: der Mensch ist vom Tier kategorial geschieden und nimmt, wie das Alte Testament lehrt, einen singulären Status in der Schöpfung ein. Die beiden Verständnisse des Mensch-Tier-Verhältnisses schließen sich logisch aus, waren in der Praxis jedoch nie klar getrennt, und die Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen macht eine der Herausforderungen einer Kulturgeschichte des Tiers aus. Für den philosophischen und den anthropologischen Selbstentwurf des Menschen im Europa der Neuzeit war der Unterschied konstitutiv: eine Grenze trennte nicht den Menschen von Tieren, sondern schuf das Tier als generalisiertes Gegenbild zu dem Menschen. Die Frage nach der Grenze zwischen Mensch und Tier war lange identisch mit der Wesensfrage. Die Frage nach dem Wesen des Tiers wurde allerdings selten gestellt. Das Tier war in der Philosophie Europas seit Aristoteles der blinde Fleck in der Konzeption des Daseins bis zu Heidegger und darüber hinaus. Die »Wesensaussage« richtete sich auf den Menschen und die Frage »nach dem Wesen des Lebens überhaupt«.1 Es ging der philosophischen Reflexion selten darum, »etwas über die Tierheit als solche […] über das Wesen des Tieres« zu sagen, schrieb Heidegger. Interesse zeigte sich nicht an der Natur des Tiers, sondern am Menschen, der aus der Abgrenzung zum Tier verstanden wurde. Das Tier wurde in der Philosophie wie in der Geschichtsschreibung vernachlässigt und wird in unserer Gegenwart entdeckt.2 Was berechtigt uns, von dem Tier zu sprechen?3 Gibt es das Tier? Es ist darauf hingewiesen worden, dass das Wort eine sprachliche Fehlkonstruktion mit weitreichenden praktischen Folgen bildet und nicht frei von Arroganz und einem Herrschaftsanspruch ist. Der Kollektivsingular, der Würmer,
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Katzen, Adler und Affen zusammenstellt, zieht eine willkürliche Grenze. Es gibt keine Charakteristika, die ihnen allen, aber nicht dem Menschen zu eigen wären. Rudimentäre Formen der kognitiven Intelligenz werden inzwischen selbst bei Reptilien angenommen, und einige Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass es unter den Wirbeltieren, den Menschen eingeschlossen, keine erkennbaren prinzipiellen Unterschiede kognitiver Fähigkeiten gebe. Wären aus solchen Einsichten in das biologische Verhältnis von Mensch und Tier Konsequenzen für ihr kulturelles Verhältnis zu ziehen? Die Gegenüberstellung von Mensch und Tier galt nie universell, war aber für das Selbstverständnis des Menschen in den europäischen Kulturen fundierend und ist es wohl auch weiterhin. Es ließe sich vermuten, dass der primitive Frosch in der Geschichte des menschlichen Eigenbilds ein Tier war, das den Unterschied hervorhob. Das hat er in seiner langen Geschichte aber selten getan. Er hat wie wenige andere Tiere stets die Gleichzeitigkeit von zwei Bestimmungen vorgeführt. Er war ein Tier und zugleich eine Idee, Name für eine Vorstellung, die mit dem Tier oft nur lose verbunden war. Dieser Abstand schuf den Raum, in dem sich der Mensch im Frosch entwickelte. Aus den Veränderungen der Antwort auf die konstante Frage nach dem Menschen im Tier setzt sich die Geschichte von Frosch und Kröte zusammen. Für ein Überdenken der Beziehung von Mensch und Tier ist der Frosch ein auf besondere Weise geeignetes Tier.
Mensch-Affe/Mensch-Frosch Der Vergleich mit dem Affen ist aufschlussreich. Steht der Frosch dem Menschen evolutionsgeschichtlich fern, so nimmt der Affe die Position am anderen Ende der Entwicklung ein, er ist des Menschen nächster Verwandter. So ist es nicht erstaunlich, dass die generelle Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier besonders intensiv am Affe-Mensch-Verhältnis behandelt wird.4 Kein Tier hat in dem Maß und in der Art und Weise wie die Menschenaffen den Diskurs über die Mensch-Tier-Beziehung in Europa dominiert. War die Abgrenzung vom Tier stets dubios, so wurde sie durch Schimpansen grundsätzlich in Frage gestellt. Bereits im Mittelalter bedeutete die Ähnlichkeit des Affen eine besondere Herausforderung des christlichen Menschenbilds, und Schriften der Kirchenväter beschäftigen sich mit dem Affen. Montaignes Essay über den Menschenaffen öffnete die Frage nach dem Tier-Mensch-Verhältnis für die neuere europäische Geistesgeschichte, die seit dem 17. Jahrhundert (da begannen die Froschvivisektionen) eine Herausforderung für Wissenschaft, Kunst und Alltagsmythologie
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blieb. Die wissenschaftlichen Forschungen am Affen waren von Anfang an nicht von der Frage: »Wie menschlich ist der Affe?« zu trennen. Sie gehört seit der frühen Neuzeit auch in die Populärkultur und hat mit Tarzan die bekannteste Tier-Mensch-Figur der Moderne hervorgebracht. Ist es sinnvoll, den primitiven Frosch in die Frage nach dem MenschTier-Verhältnis einzubeziehen? Einen Metadiskurs zum Verhältnis von Mensch und Frosch gibt es nicht. Das ist angesichts der zoologischen Distanz von Frosch und Mensch nicht erstaunlich. Es ist dennoch bemerkenswert, dass die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Frosch nicht explizit gestellt worden ist. Denn dies Verhältnis ist in der Kulturgeschichte auf seine Weise so eng wie das biologisch begründete Affe-Mensch-Verhältnis. In der Lebenspraxis waren Frosch und Kröte in den Alltag einbezogen, und sie waren, anders als die exotischen Affen und eher den Haustieren vergleichbar, Teil von jedermanns Erlebniswelt. Aber die Herausforderung, die vom Affe-Mensch-Verhältnis ausgeht und die Kafkas Akademiebericht so elementar wie keine andere Geschichte ausfaltet, stellte das Mensch-FroschVerhältnis nicht, obwohl das Märchen vom Froschkönig zu den bekanntesten literarischen Texten gehört. Kein Frosch lässt sich denken, der, wie Kafkas Rotpeter, die Schnapsflasche schwenkt und ein Wort artikuliert und so den Schritt vom Tier zum Menschen macht. Das Beispiel Rotpeters zeigt unvergesslich, wie am Bild vom Affen die »Wesensfrage« über den Menschen an der Grenze zum Tier gestellt wird und dabei die kognitive Ausstattung das Kriterium bildet: Bewusstsein als Grundlage der Gemeinsamkeit. Aber die enge Beziehung von Mensch und Affe verdeckt, dass dies Verhältnis nicht exemplarisch für das Verhältnis von Mensch und Tier sein kann. Die andere, für dieses Verhältnis grundlegende Frage ist die nach Interessen. Weil Menschen und Menschenaffen biologisch enge Verwandte sind, bestehe die große Wahrscheinlichkeit, »dass unsere elementaren Interessen gleich sind«, schreibt Wise stellvertretend für viele. Kann man in diesem menschlichen Verständnis des Wortes von den Interessen eines Tiers sprechen? »Aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns täuschen und Fehler machen«, setzt Wise den Vergleich fort, »steigt mit der evolutionären Distanz und den Unterschieden in der Ökologie, mit unseren Möglichkeiten der Informationsverarbeitung und der Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen«.5 Warum sollten diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede wichtig sein? Ihre Betonung ist die Folge eines anhaltenden Anthropozentrismus, der das Tier aus der Perspektive des Menschen und der Definition seiner spezifischen Interessen wahrnimmt. Hat die riesige Mehrzahl der Tiere mit evolutionärer Distanz zum Menschen keine Inter-
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essen? Und wenn wir ihnen Interessen zugestehen: wie unterscheiden die sich von unseren elementaren Interessen? Ist es zu rechtfertigen, Amphibien und Reptilien, all die Tiere, die kein Gesicht haben, sich nicht in Kleider stecken lassen und keine Kunststücke aus dem Repertoire der Zirkuswunder ausführen können, aus dem Verhältnis auszuschließen? Liegt das im Interesse der Tiere? Was können wir über ihre Interessen wissen? Die Bilder von Frosch und Kröte aus dem Lauf der Jahrhunderte legen nicht nahe, die »Wesensfrage« weiter zu verfolgen und den Versuch fortzusetzen, die Linie zwischen Mensch und Tier anhand von Bewusstsein oder Interessen der Tiere klarer zu bestimmen. Es ist vielmehr wünschenswert, sie ins Fließen zu bringen. Wie wäre es zu begründen, Tiere, die nur wenige Eigenschaften mit dem Menschen teilen, aus der Mensch-Tier-Beziehung auszuschließen, zumal wir selbst über die Bewusstseinsvorgänge der uns genetisch nahe verwandten Arten so gut wie keine sicheren Kenntnisse haben. Die Entwicklung neuer Methoden für die vergleichende Bewusstseinsforschung sei eine Aufgabe der Zukunft.6 Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie zur Beantwortung der Frage beitragen werden. Will man eine Willkür von Ausschließungen vermeiden, muss die Frage anders gestellt werden. Die jüngsten Versuche, das Verhältnis von Mensch und Tier nicht aus Sprache, Bewusstsein und anderen kognitiven Fähigkeiten und auch nicht aus der Leidensfähigkeit des Tiers, sondern in der Körpermotorik zu verstehen,7 stützen diese Forderung. Denn die Motorik teilt der Mensch mit den Tieren. Sie ist bei ihm aber, wie die neuere Neurophysiologie zeigt, auf andere, differenziertere Weise ausgebildet, so dass sie zugleich die Gemeinsamkeit und den Unterschied in der Verbindung des Körperlichen mit der Psyche bei Mensch und Tier belegt. Die Frage nach dem Mensch-Tier-Verhältnis entscheidet sich am urtümlichen Frosch. Er fordert sie auf radikalere Weise als das Verhältnis von Affe und Mensch. Wie wäre die Position vom Frosch, der keine Schnapsflasche halten und nicht an der Herrschaft des Menschen über die Natur teilhaben kann, im Verhältnis zum Menschen zu bestimmen? Lassen sich – trotz des von Wise geäußerten Zweifels – gemeinsame Interessen bestimmen?
Vom Wesen zu Verhältnissen Die Geschichte vom Frosch lässt sich nicht aus einer Hinwendung zu der bisher vernachlässigten Frage nach dem Wesen des Tiers schreiben. Eine andere Frage muss gestellt werden: die nach der Beziehung. Um sie stellen zu können, ist eine Abwendung von der Bestimmung des Tiers aus dem
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Unterschied zum Menschen, aber auch vom Stufenmodell, wie es Theologie und Philosophie und insbesondere die Philosophische Anthropologie, Scheler und Plessner, entwickelt haben, notwendig. Die Geschichte des Froschs kann nur aus dem Zusammenhang der drei Fragen nach dem Tier, nach dem Menschen und nach der Art der Beziehung geschrieben werden. Auch wenn wir, dem Sprachgebrauch folgend, am generalisierenden Unterschied von Mensch und Tier festhalten, sind für eine Geschichte der Tiere und des Tiers die Schnittstellen und Übergänge bedeutender als die Trennungen. Die Frage nach der Differenz verdeckt die sozialen und kulturellen Praktiken, in denen Menschen nicht an, sondern mit Tieren handeln. Nicht aus der Frage nach dem Wesen und nicht aus dem Denken der Differenz, sondern nur aus der Beobachtung der Verhältnisse, die Bindungen und Gegensätze schaffen, kann eine Kulturgeschichte von Frosch und Kröte entstehen. Wenn auch die Beziehungen von Frosch und Mensch nicht an Fragen wie Sprache, kognitiven Fähigkeiten und anderen Qualitäten des Menschen, die traditionell den Unterschied belegen, entwickelt werden können, ist die Frage nach dem Bewusstsein dennoch aufschlussreich. Empirische Forschung hat die evolutionsgeschichtliche Schwelle, an der sich Bewusstsein entwickelte, immer weiter verschoben, und die neuere Kognitive Ethologie nimmt rudimentäre Formen von Bewusstsein bereits bei Reptilien an.8 Aber selbst wenn die Schwelle, an der sich eine solche signifikante Ähnlichkeit von Mensch und Tier entwickelte, so tief in die Naturgeschichte verlegt wird, hat die Biologie nichts zum Verständnis des Tiers und seiner Beziehung zum Menschen beizutragen. Darüber hinaus gilt für den Frosch, dass er selbst bei dieser, in die frühe Evolution verlegten Grenze ausgeschlossen bleibt. Er ist zu alt, steckt noch zu sehr im Anfang des Lebens auf dem Land. Sein neurologisches System weist keine Zellstrukturen auf, die auf Emotionalität und Bewusstsein schließen ließen. Diese Distanz macht die enge Beziehung von Mensch und Frosch in der Kulturgeschichte noch rätselhafter. Dies Verhältnis ist einzigartig und zugleich in vielen Hinsichten symptomatisch. Kulturelle und künstlerische Praxis war seit dem Beginn das Experimentierfeld, auf dem die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier durchgespielt wurden. Sie schuf symbolische Räume, in denen die Grenze mal befestigt und ausgebaut, dann aber durchbrochen oder ganz eingerissen wurde. Während anatomisch oder physiologisch betrachtet die Grenze, die zwischen Mensch und Affe verfließt, zum Frosch unübersehbar ist, hat sich eine so enge emotionale Beziehung zum Frosch wie zu kaum einem anderen nicht domestizierten Tier entwickelt. Seit den frühen
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Kulturen gibt es den Menschen im Frosch und in einer dialektischen Beziehung den Menschen als Frosch. Eine wichtige Frage ist die nach den Übergängen: Wie erscheint der Mensch im Frosch? Das ist eine andere Frage als die nach biologischen Gemeinsamkeiten oder nach dem Animalischen im Menschen, zu denen der Affe anregt. Sie fragt nach Ähnlichkeiten und Bindungen, die in einem kulturell definierten Verhältnis entstehen. Der Frosch war faszinierend, weil an ihm zwei Geheimnisse sichtbar wurden, die auch für das menschliche Leben fundierend sind: Verwandlung und Fruchtbarkeit. In ihnen lassen sich die Wurzeln der Jahrtausende alten Beziehung von Mensch-Frosch vermuten, und an ihnen entscheidet sich die Veränderung der Beziehung in der Gegenwart.
Spiegelneurone als biologische Grundlage der Mensch-Frosch-Beziehung Der Frosch hat sich aus der Sicht der Biologie nicht verändert und blieb stets dasselbe Tier. Seine evolutionäre Entwicklung war längst abgeschlossen, als der Mensch die Bühne der Natur betrat. Aber er änderte sich über Tausende von Jahren durch seine Einbettung in unterschiedliche Lebensvollzüge, Assoziationsfelder, Bildwelten und Diskursstrategien so, dass er aus einer späteren Perspektive kaum wiederzuerkennen ist. Der Frosch ist viele. Neuere hirnphysiologische Forschungen fügen den Beschreibungen der komplizierten kulturellen Beziehung von Mensch und Frosch eine bisher nicht bekannte biologische Dimension hinzu. Die Entdeckung der Spiegelneurone liefert Aufschluss über empathische Wahrnehmung. Der im späten 19. Jahrhundert entwickelte Begriff der Empathie wurde in jüngster Zeit neu belebt und auf eine »biologische Basis« gestellt.9 Die Spiegelneurone lassen den Schluss zu, dass das Erkennen der Anderen in erster Linie durch das motorische Vermögen und weniger von Kognition geleistet wird. Von elementaren bis zu hoch komplexen Bewegungen, Handlungen und Intentionen machen es die Spiegelneurone dem menschlichen Gehirn möglich, beobachtete Bewegungen und Akte mit den eigenen in eine direkte Beziehung zu setzen und in ihnen Bedeutung zu erkennen. Die Forschungen von Rizzolatti, Damasio und anderen haben gezeigt, dass ein neurologischer Mechanismus es ermöglicht, eine bildliche Repräsentation der Anderen und ihrer Verhaltensweise zu entwickeln und ohne über das Gesehene nachzudenken, ohne die Beteiligung von bewusster Interpretation, nachzuvollziehen und zu verstehen, was die anderen tun. Aus dem System der Spiegelneurone leitet sich das motorische System her,
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das die physiologische Grundlage eines pragmatischen, vorbegrifflichen und vorsprachlichen Verstehens bildet.10 In der Motorik des Körpers und besonders in der Intelligenz der Hand entdeckt diese Forschung das Spezifische des Menschen. Die Leistung der Spiegelneurone zeigt, wie tief im Gehirn die Beziehung verwurzelt ist, die den einzelnen mit den anderen verbindet. Sie macht ein Umdenken des zentralen Verbs verstehen nötig und stellt die Erklärung für das Entstehen von Subjektivität, die ja nur aus der Beziehung zu anderen gebildet werden kann, auf eine neue Grundlage. Diese biologisch fundierte Theorie der Empathie untersucht die Beziehung unter Individuen, aber sie hat Auswirkungen auf deren Vergesellschaftung. Forschungen zur Empathie als neurologischem Mechanismus haben bisher am Menschen und an Tieren (an Affen) gearbeitet, aber die Beziehung des Menschen zum Tier nicht einbezogen. Die Theorie der Spiegelneurone kann den philosophischen und kulturellen Diskurs über das Mensch-Tier-Verhältnis nicht ersetzen, ihm aber eine biologische Grundlage anbieten. Das Erklärungspotenzial dieser Theorie ist beachtlich. Es gibt eine bisher nur sporadische Evidenz, dass ein Automatismus der Empathie nicht nur für zwischenmenschliche Beziehungen angenommen werden kann, sondern auch für eine vorbewusste, nicht-reflektierte Beziehung des Menschen zum Tier sorgt. Damit wäre eine empirische biologische Bestätigung der Beteiligung des Tiers an der Konstruktion von Subjektivität und der Dynamik von Kultur geliefert. Theorien der Subjektivität haben das nicht-menschliche Leben bisher nicht einbezogen. Die Forschung bietet jedoch Evidenz, dass das Tier einen aktiven Anteil an der Genese der Subjektkonstitution hatte, dessen Grundlage in der Struktur des Gehirns zu finden ist. Die Kenntnis der Spiegelneurone verspricht, einen theoretischen, experimentell bestätigten Rahmen zu entwickeln, in dem nicht nur die individuelle Beziehung zum Frosch, sondern seine kulturelle Beziehung zum Menschen begrifflich erfasst werden kann. Das System der Spiegelneurone gibt der erstaunlichen Präsenz des Froschs im Imaginären eine elementare Grundlegung. Über den Mechanismus einer biologisch begründeten Empathie wirkte der Frosch, so lässt sich argumentieren, am Subjekt und an den Formen der kulturellen Vergesellschaftung mit. Die Geschichte des Froschs lässt sich verstehen, wenn man ihn zu den Dingen der Lebenswelt zählt, die in somatischer Unmittelbarkeit empathische Reaktionen bewirken, als Gefahr oder Reiz, abstoßend oder anziehend wirken, Furcht oder Staunen, Lust, Schmerz, Mitleid oder Ekel auslösen. Gleichgültig, ob diese Emotionen bewusst wurden oder nicht oder äußerlich sichtbare Zeichen hinterließen, waren die durch das Tier
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erregten Emotionen ein Teil der inneren Welt, die für die Konstruktion des Ichs und die kulturellen Bedingungen, unter denen es sich entwickelte, Folgen hatten. Religion, Kunst, Literatur, Wissenschaft und Rituale liefern dafür vielfältige Beispiele, die ich im Einzelnen behandeln werde. Es ist allerdings einschränkend zu bedenken, dass die Mechanismen der Spiegelneurone allein noch nicht das Verstehen anderer und die Empathie erklären. Sie schaffen lediglich die biologische Grundlage für ein komplexes Netz aus Korrelationen und Bewertungen, das wir nur unvollständig verstehen und das erforscht und beschrieben werden kann, so dass es zum Verstehen der Mensch-Frosch-Beziehung beiträgt. Der Frosch war, so lässt sich zusammenfassen, immer schon da, nicht als ein Objekt der Beobachtung, sondern als aktiv Handelnder im erlebten Zusammenhang von Welt. Die Kulturgeschichte entdeckt seit kurzem eine Geschichte, die aus dem Zusammenwirken von Mensch und Tier entsteht. Dafür ist es notwendig, Tiere aus der Rolle der Passivität zu befreien und ihnen zurückzugeben, was sie in früheren Zeiten fraglos hatten: die Position von Akteuren. Es ist in der Geschichtsschreibung selten, der Natur »Wirkungsmacht, in den angelsächsischen Diskussionen agency genannt«, zuzusprechen.11 Die Natur erscheint in der Geschichtsschreibung – aus hier nicht zu erörternden Gründen – in der Position des Objekts menschlichen Handelns, als ausgebeutetes oder zu pflegendes oder zu genießendes Gegenüber, allenfalls als Randbedingung des menschlichen Handelns. Darüber ist die Frage in Vergessenheit geraten, wie die Natur handelnd in das Leben der Menschen eingreift, etwa durch ein Unwetter oder, um ein aktuelleres Beispiel zu bemühen, durch das Abschmelzen der Gletscher. Die Geschichte von Frosch und Kröte ist exemplarisch für diese Aktivität, die aus Natur einen handelnden Mitspieler in der Gestaltung von Kultur, Gesellschaft und individueller Biographie macht. Das Verständnis des Froschs als aktiv Handelnder hat auch Auswirkungen auf die Theorie der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse, von denen ich beispielhaft eine herausgreifen möchte. Der kulturkritische Diskurs hat für die europäische Kulturgeschichte die These fundierender binärer Oppositionen postuliert. Oppositionen wie Natur-Kultur, Natur-Zivilisation oder männlich-weiblich liefern nach dieser Theorie die Rechtfertigung für die Herrschaft über das ausgeschlossene Andere, Natur und Frau. In die Geschichte dieser binären Oppositionen ist auch die von Mensch und Tier eingeschlossen. Tiere gehören nach dieser Theorie in die »Logiken und Praktiken der Herrschaft über Frauen, Farbige, ArbeiterInnen, Tiere – kurz der Herrschaft über all jene, die als das Andere
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konstituiert werden […]«.12 Geht man von dieser Zweiteilung aus, ist die Rolle des Froschs leicht zu bestimmen. Er war das Andere und ein Opfer. Und, führt MacKinnon den Gedanken weiter, »Nirgendwo sind die Machtlosen so mächtig wie in der Phantasie derjenigen, die wirkliche, nicht eingebildete Macht haben«.13 Die Macht, die der Frosch in der Geschichte hatte, war aber keine bloße Einbildung und keine kalkulierte Täuschung durch diejenigen, die in einem Oben-Unten-Verhältnis über die Macht verfügten. Die Wirkung der Spiegelneurone macht den Frosch zum archetypischen Dritten und bringt Verwirrung in die klare Opposition. Die Vereinfachung der Mensch-Tier-Beziehung auf eine binäre Opposition trifft das Ausbeutungsverhältnis, in das der Mensch die Tiere zweifellos gezwungen hat, vernachlässigt aber alle über diese Opposition hinausreichenden Beziehungen, die für das Mensch-Tier-Verhältnis konstitutiv sind. Die Theorie von der Herrschaft des Menschen über das Tier vernachlässigt die Bedeutung der Macht, die das Tier in der Lebenswelt hatte, in der es nicht nur Objekt war, sondern, wie die Erkenntnis über die Spiegelneurone demonstriert, einen eigenen Ort einnahm. Der Frosch hockte gleichsam im Kopf der Täter und handelte als Täter. In der Herrschaft des Ichs war das Beherrschte anwesend und hatte Macht in den wirklichen gesellschaftlichen Beziehungen. Sobald das aktive Tier nicht aus der Geschichte verdrängt wird, müssen Macht und gesellschaftliche Herrschaft auf komplexere Weise konzipiert werden. Gäbe es ein einfaches Herrschaftsverhältnis, ließe es sich auf einfache Weise abschaffen. Das aber ist eine Illusion. Die Geschichte der Beziehungen von Mensch und Frosch zeigt, dass die Opposition von Unterdrückern und Unterdrückten nicht nur eine Vereinfachung, sondern eine Verfälschung von Machtverhältnissen bildet, in der die Macht der Vorstellungen über ihre Urheber verfehlt wird. Im Verhältnis des Menschen zum Frosch wirkt die motorische Intelligenz wie eine Dialektik, die von vornherein die Opposition vermeidet. Sie zeigt, dass das Tier nicht als Objekt und Opfer der Herrschaft und Verfolgung, das unterdrückte, gequälte und leidende Lebewesen zu verstehen ist. Das war es auch. Aber die dem Frosch zugeschriebene Macht muss als reale Macht verstanden werden. Seine Zauberkraft machte ihn stark und zu einem Täter – wenngleich sie sein Leben nicht vor der Macht des Menschen schützte. Die Geschichte des Froschs ist insbesondere ungeeignet, die Logik der Herrschaft in einem gesellschaftlichen System binärer Oppositionen zu bestätigen. Eine Geschichte vom Frosch lässt sich im Modell von Gesellschaft, in der die Machtlosen lediglich in der Phantasie derjenigen Macht haben, die von dieser Phantasie profitieren, nicht schreiben. Er ist der Dritte
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Anthropomorphismus Im Tier-Mensch-Verhältnis wirkte seit den Anfängen ein Anthropomorphismus, dessen Fragwürdigkeit seit der philosophischen Kritik des 18. Jahrhunderts zweifellos ist und der dennoch weiterwirkt. Das Problem ist für eine Kulturgeschichte von Frosch und Kröte bedeutend.14 Sie kann die Frage nicht vermeiden: Kann es ein Bild vom Tier aus einer nicht-menschlichen Perspektive geben? Ist es möglich, Tiere anders als mit den Kategorien kultureller Techniken zu denken und in der Sprache der Humanpsychologie zu beschreiben? Oder ist Anthropomorphismus unvermeidlich? Wirkt im Versuch, Tiere zu verstehen, die Empathie als eine nicht zu überwindende anthropologische Bedingung, die nicht allein auf den biologischen Mechanismus, den wir durch die Spiegelneurone zu verstehen beginnen, zurückgeführt werden kann? Der Frosch radikalisiert die Frage nach dem Verhältnis zum Tier, weil er dem Menschen so fern steht. Es ist Usus im täglichen Umgang mit Tieren, ihnen Absichten in Analogie zu menschlichen Absichten zu unterstellen und an ihren Körperbewegungen Bedeutungen menschlicher Mimik und Gestik abzulesen. Diese Vermenschlichung der Tiere ist nicht zu begründen, aber meist harmlos. Das Sich-ins-Tier-Versetzen, der einfühlende Blick, bildet die Grundlage für die meisten freundschaftlichen Beziehungen von Menschen und Tieren. Beobachtete Bewegungen oder Gesten werden nicht als fremd empfunden, sondern als die Wiederholung eigener Bewegungen und Gesten wahrgenommen und in die uns vertrauten Bedeutungen eingeordnet. Am Tier nehmen wir Gesten wahr, die wir aus der Kenntnis menschlicher Gesten verstehen und in die eigene Motorik übersetzen. Im Glücksfall zeigt sich das Verstehen als Tierliebe, aber auch ein sadistisches Verhältnis der Tierquäler kann die Folge des neuronalen Automatismus sein. Für beide Haltungen liefern Perioden in der Geschichte von Frosch und Kröte starke Beispiele, etwa im 17. und 18. Jahrhundert, als an den Körpern und Verhaltensweisen der Frösche spezifische Eigenschaften aus der Ethologie des Menschen wahrgenommen wurden. Das Hässliche und das Böse, das Unreine oder die perverse Sexualität waren Produkte kultureller Wertung, die im Verhalten der Frösche wiedergefunden wurden. Ein Bild vom Frosch entstand, in dem der Mensch verstand, was er in ihm von sich wahrnahm.15 In den kalten Konstruktionen der späteren Experimente wirkte dagegen ein sadistisches Verhältnis zum Objekt. Was im täglichen Umgang mit Tieren meist harmlos ist, wird im theoretischen Diskurs zum Prinzipienfehler. Eine Grundforderung der neu-
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eren Tierforschung ist, den Anthropomorphismus zu vermeiden. Denn er schafft einen Blick, der ohne theoretische Rechtfertigung am Verhalten von Tieren menschliches Verhalten wiedererkennt. Tierforschung, die sich zum Menschen als ihrem Ausgangspunkt bekennt und Aussagen über das Innenleben der Tiere wagt, steht unter dem Bann des Metaphysikverbots. Eine Verbindung zum Menschen lässt sich mit dem methodischen Ideal der Forschung nur durch ein zeitliches Nacheinander herstellen. Sie kann nur am Ende eines theoretisch begründeten und empirisch vorgehenden Forschungsprozesses stehen, der den Menschen ausschließt. Ist es denkbar, diese Abstinenz zu üben und dennoch dem Tier und der Mensch-Tier-Beziehung gerecht zu werden? Die Antwort ist negativ. Die Forderung, das Tierbild vom Anthropomorphismus zu reinigen, lässt nur noch die Frage zu: »Was können wir durch quantifizierende Messungen und Statistik vom Tier wissen?« Diese Position macht eine erkenntnistheoretische Voraussetzung. Sie postuliert die Möglichkeit, Erkenntnisse über das Tier zu gewinnen, die objektiv gültig sind, solange sie sich nur auf beobachtetes Körperverhalten (Bewegung, Nahrungsaufnahme usw.) stützen. Diese letztlich behavioristische Einstellung verstellt den Zugang zum Tier. Sie ist selten geworden und zahlreichen Kompromissen gewichen – nicht allein in der Forschung an Menschenaffen – wirkt aber noch immer als Ideal und kehrt mit den Lokalisierungen der bildgebenden Verfahren in der Hirnphysiologie zurück. Wenn ein Reiz ein bestimmtes Hirnareal aktiviert, ist damit – im Gegensatz zu den von Hirnphysiologen genährten Erwartungen – über das Erleben des Reizes noch nichts gesagt. Was wissen wir zum Beispiel über den Ekel, wenn wir abbilden, an welchen Stellen im Gehirn Neurone beim Anblick abstoßender Objekte, etwa einer Kröte, feuern? Das Wissenschaftsbild des 19. Jahrhunderts hatte die Absicht, den Frosch auf das zu reduzieren, was frei von der Beziehung zum Menschen registriert werden kann; die neurobiologische Definition von Empathie birgt die Gefahr, das Mensch-Tier-Verhältnis erneut auf einen biologischen Automatismus zu reduzieren. Kann die Empathie mit dem Tier vor einem biologistischen Schematismus bewahrt werden, oder ist das anthropomorphe Froschbild in die Unterhaltungsliteratur, auf verkitschte Kinderbücher und Kuscheltiere abgesunken?16 Die Gegenposition geht davon aus, dass das Denken über das Tier vom Menschen nicht loskommt und notwendig von seinen Interessen gelenkt wird. Der Versuch, es daraus zu lösen, verfolge eine Illusion. Das Denken über Tiere kann aus dieser Sicht nicht anders als die psychischen Tätigkeiten, die es ihnen zuschreibt, am einzigen Geist zu messen, den wir
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kennen, und das ist der menschliche. Das Tier kann nur verstanden werden, um eine extreme Formulierung zu wählen, insoweit es vom Menschen erfunden wird. Wir können es nicht an sich kennen, sondern es existiert nur für uns, nur in einem kulturell definierten Blick und in den Kontexten bildlicher, sprachlicher und gestischer Repräsentationen. Der Rest, auch die Aktivierung von bestimmten Hirnarealen bei Mensch und Tier, ist Gegenstand der Biologie und kann nicht verstanden, sondern nur zur Kenntnis genommen werden. Nicht erst durch die ökologische Krise wurde die Reduktion des Tiers auf die Einzelaspekte von Wissenschaften fragwürdig. Es ist zunächst eine bloße Feststellung, dass der Mensch im Frosch gegen die theoretische Einsicht und gegen das Selbstverständnis der Wissenschaften und ihrer Bildproduzenten sich erhalten hat. Wie bedeutend diese Verweigerung des wissenschaftlichen Idealbilds ist, zeigt sich in der Gegenwart, wenn das Wissenschaftsbild durch neue bildgebende Verfahren ungeahnte Triumphe feiert und zugleich zerfällt und die Rückkehr eines magischen Bildverständnisses nicht verhindert. In einer durch J.M. Coetzees Vorträge und Romane angestoßenen Diskussion wird die Frage gestellt, ob das Denken über das Tier an die Grenze der Möglichkeiten von Philosophie und Wissenschaft führt.17 Macht das Denken über das Tier deutlich, dass es Dimensionen des Lebens gibt, die innerhalb der Grenzen der methodischen Wissenschaften nicht zu fassen sind und daher andere Zugänge erfordern? Die Frage »Können wir etwas über das Tier wissen, obwohl wir es stets aus unserer eigenen Sicht wahrnehmen?« hat ihre scheinbare Absurdität verloren. Die Möglichkeit eines Wissens aus Empathie wird inzwischen ernsthaft und mit guten Argumenten innerhalb der Philosophie gestellt.
Skeptischer Anthropomorphismus und Wünsche, ins Tier zu schlüpfen Anthropomorphismus ist nicht notwendig identisch mit der Vermenschlichung der Tiere. Eine Unterscheidung zwischen einem naiven und einem reflektierten Anthropomorphismus ist möglich. Eine solche Unterscheidung ist aus der Sicht objektivistischer Wissenschaft unbefriedigend. Aber das Denken über das Tier kann sich nicht am Ideal des Szientismus orientieren, ohne bedeutungsleer zu werden. Eine Kulturgeschichte von Frosch und Kröte kann nicht geschrieben werden, solange Epistemologie dem Imperativ subjektfreier Forschung unterstellt wird. Sie muss sich der epistemologischen Unvermeidbarkeit des Anthropomorphismus bewusst
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sein, ohne sich aber den Gleichsetzungen einer naiven Identifikation auszuliefern. Die Aufgabe besteht darin, einen reflektierten und von den Erkenntnissen der Naturwissenschaften informierten Zugang zu dem Zirkel aus menschlicher Wahrnehmung und Natur des Tiers zu entwickeln. Wenn dem Anthropomorphismus nicht zu entkommen ist, kann die Frage nur sein, wie auf reflektierte Weise in die komplexe Dynamik dieses Zirkels hineinzukommen ist. Ein aufgeklärter Anthropomorphismus vermeidet die Frage nach dem Wesen. Er hütet sich davor, Tieren menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen zuzuschreiben, ist sich aber der epistemologischen Unvermeidbarkeit der menschlichen Perspektive bei der Wahrnehmung tierischer Verhaltensweisen und Gesten bewusst. Er entwickelt eine Sprache, die das Fragen nach dem Tier überhaupt erst ermöglicht und schafft ein Tierbild der Gemeinsamkeiten. Bemüht sich die Tierphilosophie um einen reflektierten Anthropomorphismus, der seine erkenntnistheoretischen Prämissen offenlegt, so entsteht in Literatur und öffentlichem Diskurs der Gegenwart eine neue Stimmung im Verhältnis zum Tier. Eine affektive Neigung zum Tier bildet eine Tendenz der Gegenwart und erfasst erst allmählich die praktische Philosophie. Das Einbeziehen des Tiers in die Lebenswelt folgt einer Empathie, die sich von der juristischen Grundlegung der Tierschutzbewegung ebenso wie von der Tierliebe unterscheidet. Man kann für die Gegenwart von einer Neigung zum Anthropomorphismus aus einer intendierten Nähe zum Tier als Bewohner einer gemeinsamen Umwelt sprechen. Zwei Tendenzen der Gegenwart fördern diese Entwicklung: die Popularisierung der Verhaltensforschung und ein vager Zeitgeist. An den Anfang mit Konrad Lorenz’ Beobachtungen an Graugänsen, Fischen und andern Tieren soll erinnert werden. In jüngerer Zeit hat Donald Griffin mit Büchern wie Animal Awareness (1976), Animal Thinking (1984), Animal Minds (1992) einen Beitrag zur Fortsetzung dieser populären Forschung geleistet, die aus der Empirie eine Nähe von Mensch und Tieren zu belegen sucht. Dieses Forschungsfeld hat in den letzten Jahren mit Arbeiten nicht nur an Affen, sondern zahlreichen anderen Tieren beachtliche Ergebnisse vorgelegt, die das Tierbild einer breiten Öffentlichkeit verändert haben. Eine Ergänzung der neuen Nähe von Mensch und Tier liefert die Neurobiologie, deren Entdeckung der Spiegelneurone Empathie als Erfahrung von Einheit vor der Differenz begründet und damit ungewollt an das animistische Tierbild anknüpft. Mit diesen Entwicklungen in der Forschung korrespondiert eine kollektive, vage Grundstimmung der Einfühlung. Sie schließt an ein vorwissenschaftliches Bild von der Einheit des Lebens an. Sie zeigt
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heterogene Symptome, eine gesteigerte Sensibilität gegenüber Tieren, ostasiatische Philosophien, ein verändertes Lebensgefühl unter anderem ausgedrückt in zunehmendem Vegetarismus vor allem in der jungen Generation, Skepsis gegenüber subjektiver Identität und ein Eigenbild, das für das Ideal von Autonomie nur eingeschränkten Raum lässt. Auch ein Engagement für die Umwelt gehört zu diesem diffusen Zeitgeist, Schutzprogramme für Frösche und Kröten eingeschlossen. In der Literatur und in einem Zwischenfeld zwischen Fiktion und Essayistik finden sich Beispiele. In Coetzees Roman Elizabeth Costello entwickelt eine australische Schriftstellerin ihr persönliches Verhältnis zu Tieren.18 Sie widerspricht explizit der kritischen Philosophie und geht von einer Erfahrung von Leben und Tod aus, die alle Lebewesen teilten. So kommt sie zu der provozierenden Formulierung, sie könne sich vorstellen, wie es sich anfühlt, ein Tier zu sein.19 Diese Herausforderung der rationalistischen Wissenschaft ist radikaler als konventionelle Empathie und wird als frontaler Angriff auf das kritische Denken und das Ideal des wissenschaftlichen Tierbilds vorgetragen. Sie macht keinen Versuch, diese Sicht mit den Ansprüchen der Rationalität zu versöhnen und geht von der Annahme aus, dass das Dasein durch philosophische Theorie nicht ohne einen unerklärlichen Rest beschrieben werden könne. Einen weiteren Schritt macht Gerhard Falkners Erzählung über den Bär Bruno. In ihr durchdringen sich Medienberichte über die Jagd auf einen Bären in Bayern und Österreich im Jahr 2007 und Fiktion, realistische Details und imaginierte Szenen, die es erlauben, von einem phantastischen Tierbild zu sprechen. Der Erzähler spricht mehrfach davon, seine Suche nach dem Bären sei die Suche nach dem eigenen Selbst.20 Das ist nicht als eine subjektive Aussage zu verstehen, sondern reflektiert den repräsentativen Wunsch nach einer neuen Intimität in der Beziehung zum Tier. Zu einer erneuerten Erfahrung der gefährlichen Natur, die sich nicht widerstandslos hingibt, kann die Begegnung mit dem Tier werden – nicht die mit dem Haus- oder Zootier. Die phantastischen Naturszenen in Falkners Suche nach dem wilden Tier betonen den Unterschied zur urbanisierten Lebenspraxis und bringen Bilder einer vormodernen, bedrohlichen Natur zurück. Die Rückkehr zur körperlichen Erfahrung von Bedrohung und zu starken Affekten muss als ein offensichtliches Bedürfnis der Gegenwart verstanden werden. Dem Verhältnis zum Tier kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. In diesen fiktiven Figuren meldet sich der Wunsch, »mit dem Tier mitzugehen in der Art, wie es hört und sieht, wie es seine Beute angreift und vor seinen Feinden ausweicht, wie es sein Nest baut«. Die philosophische
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Begründung für diesen Wunsch nach einem Sich-ins-Tier-Versetzen findet sich bereits in Heideggers Vorlesung zur Metaphysik von 1929/30, der auf die Frage, »Können wir uns in das Tier versetzen?«, antwortet, es sei »unfraglich«, dass dem Menschen ein »Mitgehen […] mit dem Zugang und Umgang des Tieres in seiner Welt möglich« sei.21 Diese Position war seit der griechischen Aufklärung und ist noch immer die seltene Ausnahme. Aber diese empathische Beziehung zum Tier bildet eine starke Tendenz der Gegenwart.22 Bären haben mit Fröschen nichts zu tun. Aber aus dieser Perspektive, dem Wunsch, sich ins Tier zu versetzen und mit ihm mitzugehen, verlieren die Unterschiede an Bedeutung. Diese Position ist umstritten. Sich ins Tier zu versetzen und zu wissen, wie es ist, Tier zu sein, ist nicht nur eine Erweiterung des Welthorizonts, sondern droht mit einem Verlust. Zu wissen, wie es ist, ein Tier zu sein, gefährdet die Autonomie des Ichs und ist unlösbar mit dem Verlust verknüpft, zu wissen, wie es ist, ein Mensch zu sein.
2.2 W ER ODER WAS IST DER F ROSCH ? Durch die wechselvolle Geschichte der Froschbilder zieht sich eine Konstante: eine tiefe Beziehung dieses Tiers zur Phantasie. Die Anwesenheit des Froschs in mythischen, theologischen, literarischen und wissenschaftlichen Entwürfen des Menschseins ist ohne Parallele, den Affen ausgenommen, und welches andere nicht domestizierte Tier hätte mit einer solchen Kontinuität in der Geschichte des Ichs, seiner Ängste und Hoffnungen, gewirkt?23 Er wird in Mythen und Märchen leicht zum Menschen, braucht ein Stückchen Gold oder den Gewaltakt einer Jungfrau, damit der Tierkörper sich in einen Menschen verwandelt. Kein Tier hat so konsistent eine Beziehung zwischen der empirischen Welt und einer anderen, unsichtbaren Welt – das mag die jenseitige, im umgangssprachlichen Sinn metaphysisch genannte, oder die der wissenschaftlichen Theorie sein – hergestellt wie der Frosch. Im christlichen Naturbild des Mittelalters verkörperten Frosch und Kröte – das Mittelalter machte die Unterscheidung nicht24 – das Böse, und sie wurden mit dem Teufel identifiziert. Ihr Körper, Geruch, Gestalt und disharmonisches Quaken, diente dazu, einer semantischen Konstruktion, die das Tier einer moralischen Bewertung unterstellte, durch ein mentales Bild Evidenz zu geben. Andererseits ist kein Tier, bevor im 20. Jahrhundert Mäuse und Ratten zu den Favoriten der Tierexperimente avancierten, auf ähnliche Weise und
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2.A Z EDLER , 1741: R ANA Rana, Frantzösich Grenouille, oder Rayne, Italiänisch Rana, Ranochia, Spanisch La Rana, Deutsch Frosch, ist ein Insect oder Gewürme, das sich in dem Wasser aufzuhalten pfleget, und überall bekannt genug ist. Es kann sowohl im Wasser als auch auf dem Lande leben: Insgemein stecket es im Moraste, in den Quellen, bey den Flüssen, in den Gräben und in schlammigem Gewässer. Es lebet von Gras und Kräutern, von kleinen Thieren, z.B. von Flügen, und von todten Maulwürffen. Die Bienen haben einen argen Feind an diesem Ungeziefer, denn wenn sie schwer beladen vor die BienStöcke und Körbe kommen, und vor solchen aus Müdigkeit , wie es offt geschieht, in das Gras fallen, so werden sie von den darinnen verborgen liegenden Fröschen weg geschnappet und verschlugen, welches ihnen auch wiederfähret, wenn sie an das Wasser zu trincken, und den Fröschen zu nahe kommen. Sie thun auch an den kleinen Fischen und der Brut im Flüßwasser und Teichen grossen Schaden, und fressen solche weg, wo sie dergleichen erhaschen, ja es mögen sich gar die grossen an ziemlich starcke Hechte wagen, wie man davon ein Exempel beym Dubravio, in seinem Tractate de piscibus & piscinis hat, da ein grosser Frosch auf einen starken Hecht gesprungen, demselben die Augen ausgekratzt, und so lange auf ihm sitzen geblieben und gemartert, bis er ihn ums Leben gebracht. Noch wunderbarer ist, dass ein Frosch sich gar an einen Vogel gemacht, wie im Jahr 1719 auf einem ohnweit Leipzig gelegenen Rittergute an dem Rande des Schloß-Grabens ist beobachtet worden, da ein grosser Fosch auf eine herumhüpffende erwachsene Bachstelze begierig gepasset, und solche endlich erschnappet, aber weil sie sich mit ihren Krallen in dem Untermaule des Frosches eingehäckelt, solche nicht verschlingen können, daß also die Bachstelze etwas über die Hälffte in des Frosches Rachen bleiben; der Frosch aber, welcher die Bachstelze entweder nicht loslassen können, oder vielleicht auch nicht gewollt, endlich am dritten Tage in einem Gewölbe, wohin man ihn mit seinem Raube gebracht, crepieren müssen. Ihre Feinde sind der Hecht, und alle Raubfische, die Krebse, Nacht-Vogel, als Uhu, Eulen und Käutzlein, wie auch die Schlangen, vor allem aber die Störche und Raben, die sie allenthalben verfolgen, und wo sie solche antreffen, wegfangen und auffressen. Der Frosch kommt aus einem kleinen schwarzen Ey, welches in dem Froschleich zu ersehen. Dieses Ey wird grösser, nimmet zu, und wird endlich zu einem kleinen langen Wurme, der des halben kleinen Fingers dicke ist, der wird alsdenn Lateinisch Gyrinus, Frantzösisch Nymphe oder Testar, Deutsch Kropffkeule genennet. Sein Kopff ist groß und lang, er hat einen Schwantz, dessen Ende nahe dem Kopfe sitzet, und immer schmäler wird, bis hinten aus; den bewegt er im Wasser gantz be-
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in vergleichbaren Mengen zum Opfer der Suche nach Wissen über den Menschen gemacht worden wie der Frosch. Davon zeugen die Wissenschaftsbilder des 19. Jahrhunderts. Diese Veränderungen signalisieren tiefe Brüche im Mensch-Tier-Verhältnis, und aus der Verschränkung von Kontinuität und radikalen Brüchen lässt sich die Geschichte von Frosch und Kröte erzählen.
Der Frosch in außereuropäischen Kulturen Diese Geschichte braucht einen Anfang, und der ist nicht zu finden. Die Bilder vom Frosch waren stets von vorausliegenden Ideen abhängig. Die gehören selbst nicht in das Wissen über die Natur, sondern sind konstitutiv. Wenn wir nach ihnen fragen, erfahren wir nichts über die Natur und nichts über Tiere, sondern fragen nach der Einbettung von Erkenntnis über sie in kulturellen Kontexten, in denen Theorien und praktisches Handeln sich wechselseitig bedingen. Ein kurzer Blick auf den Frosch in außereuropäischen Kulturen ist durch den Kontrast zum spezifisch europäischen kulturellen Kontext aufschlussreich. Frösche leben in den meisten Teilen der Welt,25 und Froschmythologien sind in vielen, aber nicht in allen Kulturen der Erde entwickelt. Die meisten berichten von engen Beziehungen zwischen Frosch und Mensch.26 Geschichten über Frosch und Magie, etwa im Regenzauber oder in Fruchtbarkeitsriten, sind auffallend häufig.27 Unter den Froschmythologien nimmt die des christlichen Europa eine Sonderstellung ein. Im bösen und hässlichen Tier des europäischen Froschbilds wirkte ein spezifischer Blick zu einem bestimmten geschichtlichen Zeitpunkt, der nicht universalisiert werden darf. Ihre Körpereigenschaften sind, wie sich an Froschbildern außereuropäischer Kulturen ablesen lässt, nicht der Grund für ästhetische oder moralische Urteile. Die Ursache für die Unterschiede der Froschbilder ist nicht im Tier zu suchen, sondern in den Kulturen, die sich die Bilder des Tiers machen. Für das, was Europäer am Tier als hässlich empfinden, gibt es in anderen Kulturen oft keinen Begriff und keine vergleichbare Reaktion. In vielen Kulturen gibt es die Assoziation vom Frosch mit schleimiger Haut und den das Ohr verletzenden Lauten nicht. Der Unterschied gilt wie für das Tier so auch für sein Bild. Ich kenne kein Bild aus frühen oder außereuropäischen Kulturen, das Frosch oder Kröte als Verkörperungen des Bösen oder Hässlichen darstellen würde. Diese Froschbilder entwerfen ein ganz anderes als das im jüdisch-christlichen Europa entwickelte und hier in Texten und Bildern behandelte Tier.
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hende, und wendet sich immerfort von einer Seite zur andern. Seine Farbe ist braun und schwärtzlicht. Es ist ein rechter Fisch, der gar nicht ausser dem Wasser leben kan, als wie der Frosch. Wenn dieses Thier grösser wird, so zerberstet der Rock oder die Haut, damit er bekleidet, oder umhüllet war, alsdenn erscheinet der Frosch […] Großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. Leipzig und Halle, Verlegts Johann Heinrich Zedler, 1741.
Kulturen mit Bildschrift bilden eine spekulative Zeichendeutung aus, die sich auch mit dem Bildzeichen Frosch beschäftigt, um sowohl ein tieferes Verständnis der Bildzeichen als auch des bezeichneten Tiers zu gewinnen. In China ist diese Exegese entwickelt und Zeichnungen und Kleinplastiken von Fröschen sind Ausdruck der Bedeutung, die den Zeichen gegeben wird, und den aus ihnen abgeleiteten Phantasien. So gibt es in Teilen Chinas den Frosch als Symbol für Geld oder den mythischen dreibeinigen Frosch, ein Glückstier, das in manchen Geschichten auf dem Mond wohnt oder von dort kommt.28 Ein durch theologische Probleme von Schuld und Sünde unbelastetes Verhältnis zur Natur macht den Frosch zu einem heiteren oder hilfreichen Tier. In vielen ostasiatischen Kulturen haben sich Fruchtbarkeitsrituale bis in die Gegenwart erhalten und der Frosch ist für sie ein wichtiges und freundliches Tier. In buddhistischen Ländern hat der Frosch eine feste Stelle in Hochzeitsriten und wird auf zeremoniellen Kannen dargestellt, oder er gibt ihnen die Form.29 Er ist ein Tier der Fruchtbarkeit und verspricht Glück. Er wird in Nepal und Tibet sowie in Indonesien und Teilen Chinas bis in die Gegenwart wie ein Totem geehrt und nimmt, wie jedes Totem, Einfluss auf die Organisation von Verwandtschafts- und Sexualbeziehungen. In Japan ist der Frosch ein liebenswertes Naturgeschöpf und Bote des Frühlings. Einige Netsukes (aus Holz, Elfenbein, Horn und anderen Materialien geschnitzte Stäbe zum Befestigen kleiner Gegenstände am Kimonogürtel) haben die Form von Fröschen, teilweise auch von kopulierenden Fröschen, die für glückbringend gehalten werden. Auch das Gesellschaftsverständnis afrikanischer Kulturen schafft Bedingungen, unter denen andere Tierbilder als in Europa entstehen. In Afrika trifft man ebenso wenig wie in Ostasien auf die metaphysischen und moralischen Abgründe des europäischen Froschbilds. Afrikanische
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Skulpturen stellen zwar eine Verbindung von Frosch und dubiosen Eigenschaften wie Verwandlung und Verstellung dar, aber sie kennen nicht die im europäischen Froschbild wirkende Kategorie des Hässlichen und ihre Verbindung mit einer moralischen Bewertung. Eine menschliche Fratze aus Afrika mit einem Frosch als Zunge zeigt einen Zauberer und für den westlichen Blick unvermeidlich das Böse des Zauberers. Aber diese Bewertung teilt der afrikanische Betrachter nicht. Er wird sich vor dem Zauberer hüten, aber nicht Abscheu vor dem Hässlichen empfinden oder das moralisch Verwerfliche spüren. Lüge und Verstellung, die der Frosch als Zunge repräsentiert, sind Teil des Alltags und mit ihnen sind der Frosch und sein Bild in den Alltag der Lebenswelt eingebettet, ohne Angst, fraglos.
Abbildung 1: Dreibeiniger Jadefrosch, China
Dieser Frosch erlaubt auch das Staunen über seinen Körper als Komik: »Was für ein wunderbarer Vogel, der Frosch sind. Wenn er sitzen, er beinahe stehen; wenn er hüpfen er beinahe fliegen. Er hat fast keinen Verstand; er hat auch fast keinen Schwanz. Wenn er sitzen, er sitzen auf etwas, das er fast nicht hat.«30 Ein so schwerelos ironisches Amüsement verschafft der Frosch seinen europäischen Betrachtern nicht. Da führt ein Blick auf den Konflikt der Israeliten und Ägypter in der Antike weiter.
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Abbildung 2: Janusköpfiger Zauberer mit Frosch als Zunge, Bronze, Westafrika (Elfenbeinküste)
In der ägyptischen Mythologie gehörte der Frosch ins Reich der Mischwesen aus Mensch und Tier und damit ins Sakrale. Frösche wurden als Götter dargestellt, und ganze Kulte drehten sich um Bilder oder Plastiken von Fröschen. Mehrere ägyptische Gottheiten hatten Froschköpfe, und Hah,
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Kek, Nau und Amen hatten froschähnliche Körper.31 Die froschköpfige Hequet ist im Tempel der Hatshepsut (15. Jahrhundert v. Chr.) abgebildet, vermutlich wie sie auf einer Töpferscheibe Kinder bildet.32 Im Gegensatz dazu gibt es im Kult der Israeliten keine an den Frosch geknüpfte Mythologie von Fruchtbarkeit und Verwandlung. Den Juden galt er als unrein. Er kommt in der Bibel nicht vor. Das Alte Testament erwähnt einmal Frösche als Plage und Gottes Strafe Ägyptens (Ex 8, 1-3).33 Das für die Israeliten unreine Tier dient der Unterscheidung des reinen Selbst von den Ägyptern, die das unreine Tier einer polytheistischen Natur verehren. Im Konflikt der monotheistischen Religion mit den Göttern und dem Naturbild der Ägypter lässt sich die Vorgeschichte des europäischen Froschbilds erkennen. Der biblischen Opposition von heilig und verworfen folgt das Spannungsverhältnis, in dem die Froschbilder des christlichen Europas ihre dramatischen Bedeutungen gewannen.
Abbildung 3: Ägyptischer Zauberstab, Elfenbein, Theben um 2000 v.Chr.
Ein Anfang in der Steinzeit? Der Blick auf den Frosch in fremden Kulturen zeigt große Unterschiede seiner Bilder, die aus religiösen und kultischen Bedingungen ihrer Konstruktionen abgeleitet sind, aber er gibt keinen Hinweis auf den Ursprung der europäischen Froschbilder. Die Frage lässt sich an die Archäologie stellen. Einer der ältesten Funde stammt aus der großen Fundstätte von
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Gönnersdorf und ist etwa 15 000 Jahre alt.34 Die Ritzung auf einer Schieferplatte zeigt einen Froschkörper, gemeinsam mit anderen Tieren der Steinzeitfauna. Im Licht seiner späteren Sonderstellung ist die enge Zusammenstellung vom Frosch mit anderen Tieren bemerkenswert und gibt zu der Frage Anlass, was die Menschen früher Zivilisationen dazu bewegt haben könnte, Tiere zu zeichnen, aus Stein, Ton und Metallen zu formen und den Frosch einzuschließen. Der Anfang der Tierskulpturen und -bilder gehört zu den Rätseln der Kulturgeschichte. Jagdzauber ist ein verbreiteter Erklärungsversuch (seit Henri Breuil) für das Entstehen früher Tierbilder. Bilder vom Mammut oder Wollnashorn mögen auf diese Weise erklärt werden, aber nicht Bilder von Lurchen. Die Darstellung von Tieren fordert andere Erklärungen, die seit Leroi-Gourhans Thesen über die frühe Kunst als einer symbolisch-kultischen Auseinandersetzung um die Position des Menschen in der Welt kreisen. Aus der späten Eiszeit sind kultische Verwendungen von Tieren durch Grabbeigaben, etwa von Hunden, bekannt, und der Tierkult könnte zur Tierfigur geführt haben. Aber was könnte das Herstellen von Bildern und Plastiken von Fröschen, die nie Grabbeigaben waren, ausgelöst haben? Eine gut zu begründende Vermutung ist, dass die unklare Abgrenzung von Mensch und Tier am Ausgangspunkt dieser Bilder steht. Sie zeigen Tiere, aber sie handeln vom Menschen und verdanken sich der Erfahrung des Körpers in einer Welt, die nicht als abgeschlossen erfahren wird, sondern Übergänge offen hält. Eine instabile Welt bildet eine Herausforderung, über Rituale und künstlerische Praxis Identität zu bilden. In der Tierplastik verschafft sich die existentielle Frage des Menschen nach sich selbst einen Ausdruck. Die Bewunderung des Tiers und der Wunsch nach einer zweiten, einer kulturellen Geburt durch Verwandlung lassen sich in frühen Skulpturen und Bildern von Tieren vermuten. Das gilt insbesondere für Bilder und Skulpturen von Mischwesen. Es gibt frühe Bilder von phantastischen Mischwesen, die auf schamanische Jagdpraktiken deuten, zum Beispiel eine Kombination von Menschenkopf, Hirschgeweih und Tierschweif in der Grotte von Les Trois Frères. Etwas anderes zeigen aber Skulpturen, in denen Mensch und Tier auf subtile Weise gemischt werden. Sie sind so nicht zu erklären. Tiere wurden nicht selten in menschlicher Haltung abgebildet, und einige dieser Mischwesen aus Tierkörper und menschlicher Gestik zeigen eine Expressivität, die auf die Tiefe einer existentiellen Frage deutet. Die »Guennol Löwin« ist ein bekanntes und starkes Beispiel für das Verschmelzen von menschlicher
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Physiognomie mit einem Tierkörper zu einem Bild des Menschen, das am Tierkörper sichtbar wird.35 Die Kleinplastik zeigt eine Löwin mit kräftigen menschlichen Armen und verschränkten Händen in aufrechter Stellung. Ein Mensch stellte sich als Raubkatze mit menschlichen Zügen dar, eine Metamorphose aus dem Bedürfnis, Grenzen zu überschreiten, die Grenzen seiner Natur und der Natur überhaupt. Ein ambivalentes Verhältnis aus Identifikation und Furcht spricht aus der Figurine. In diesem Mischwesen hat sich ein Mensch verewigt, der sich vor dem Fremden im Tier fürchtet und es zugleich als Teil von sich sieht und fasziniert ist. Über den Abstand von 5000 Jahren hinweg bleibt beim Betrachten der Löwin etwas von diesem Verhältnis widersprüchlicher Emotionalität, von Verehrung und Furcht, spürbar. Das Andere des Menschen konnte sich in Tierkörpern zeigen, die Bewunderung und Verehrung auslösen, in Adler, Bär, Löwe oder anderen starken Tieren. Aber nicht in Frosch und Kröte. Warum sollten diese unscheinbaren und nutzlosen Tiere, die keine Faszination durch Eigenschaften wie Kraft und Schönheit auslösen, dargestellt werden? Die Quelle der Faszination lag anderswo als in Körpermerkmalen. Es muss von Anfang an das Magische und Phantastische gewesen sein, das sich mit dem physischen Körper vermengte und einen zweiten, imaginierten Körper ausbildete. Von ihm ging eine spezifische Art der Macht aus, die den Frosch faszinierend machte. Wurde der Frosch im Mittelalter in die phantastische Familie der Tiere, die dem Menschen schadeten, eingeordnet, so war diese Macht negativ besetzt. Frühe Froschbilder waren frei von negativen Wertungen. Dieser Frosch war mit Ritualwerten verbunden, die er in Asien und Afrika bis heute hat. Er wurde abgebildet, weil er das Tier von zwei beunruhigenden Geheimnissen war: Verwandlung und Fruchtbarkeit. Er verlor diese Geheimnisse über Tausende von Jahren nicht. Steinzeitliche Figurinen zeigen eine disproportional große Vulva am Bauch oder auf dem Rücken. Ein üppig runder Leib und ein kleiner Kopf betonen bei linearkeramischen Figuren von Frauen die Fruchtbarkeit. Die »Frauenkröte von Maissau«, aus Ton geformt, stammt wahrscheinlich aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. und zeigt auffallend ausgeprägte weibliche Genitalien.36 Die Vulva ist mit Sorgfalt gestaltet: Die Labia majora und minora sowie eine Klitoris sind ausgebildet und, im Unterschied zum Körper, der offensichtlich mit der Hand geformt wurde, mit einem Instrument aus dem Ton herausgearbeitet. Das ist bemerkenswert, da die Schamgegend der Frauenfiguren dieser Epoche meist lediglich durch ein Dreieck gestaltet ist. Diese besondere Umgestaltung lässt ein neues Geschöpf entstehen:
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Abbildung 4: Frauenkröte von Maissau, Foto, Museen der Stadt Horn
weder Kröte noch Frau, sondern ein Mischwesen aus Mensch und Tier. Die Körperhaltung hat die Vermutung ausgelöst, dass es sich um einen Körper in Koitusstellung handle.37 Ob diese Figur ein frühes Beispiel von Pornographie zeigt oder die Frau als Gebärerin, muss offen bleiben. Die Assoziation vom Frosch mit beidem, Zeugung und Geburt, ist zweifellos seit den frühesten Anfängen der Kunst fest und auf der Welt weit verbreitet. Die Verbindung von Mensch und Frosch über Fruchtbarkeitsphantasien erhielt sich in einigen Regionen Europas bis ins 20. Jahrhundert; bis in die Mitte des Jahrhunderts wurden Frösche und Kröten als Opfertiere zur Fürbitte und Beschwörung von Fruchtbarkeit verwendet, und Votivkröten
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aus Wachs, Stein und Metall blieben im katholischen Süddeutschland, in Italien und auf dem Balkan verbreitet. Verschlungen in die Bilder von Zeugung und Geburt sind Phantasien von Metamorphose. Sie löst Identität auf und die Stadien, die das eine Tier im Entwicklungszyklus durchläuft, erscheinen wie wiederholte Geburten. Die Metamorphosen machten den Frosch zu einem Tier der Auferstehung. Veränderung und Unfestigkeit, die die Naturgesetze verletzen, verknüpften Tod mit Geburt. Nach dem Modell der Metamorphose des Tiers konnte der Froschkörper in den Menschen übergehen. Gulder bildet Votivkröten aus verschiedenen Gegenden und Zeiten und in sehr unterschiedlichen Formen ab, unter anderem eine mit einem menschlichen Gesicht.38 Lässt sich von einer Kontinuität der Froschikonografie sprechen, die sich von der Steinzeit in das theologische Denken, in Bilder des Volksglaubens und schließlich in die neuere Kunst zieht? Volkskundler und Archäologen, die den engsten Kontakt zu Funden und Fundstätten alter Froschdarstellungen haben, betonen gern die lokale Bedeutung. Darüber gehen leicht Zusammenhänge und Kontinuitäten verloren, die das Froschbild der Neuzeit an eine Jahrtausende alte Tradition anschließen. Vieles spricht für die Annahme einer langzeitigen Kontinuität eines Verhältnisses von Mensch und Frosch, das in eine zeitlose Tiefe der Psyche reicht. Zugleich legen jedoch radikale Veränderungen der Froschbilder in Kunst und Literatur, in den Wissenschaften und in Ritualen Einschränkungen nahe. Diese Veränderungen signalisieren Brüche im Mensch-Tier-Verhältnis, die nicht oberflächlich waren, sondern das Selbstbild des Menschen und seine Stellung in der Natur reflektierten. Aus dieser Verschränkung von Kontinuität und radikalen Brüchen der Froschbilder lässt sich eine Geschichte erzählen.
2.3 E INE K ULTURGESCHICHTE DES F ROSCHS : VOM F ROSCH IM K OPF ZUM F ROSCH IN DER H AND UND ZURÜCK
Was will eine Kulturgeschichte vom Frosch? Sie richtet sich weder auf Zoologie noch ein Motiv in Literatur und Kunst, sondern sucht nach dem Frosch im kulturellen Imaginären. Für den Frosch gilt noch radikaler, was für das Tier generell zutrifft: Das wahre Bild gibt es nicht. Seine Geschichte handelt von einem Verhältnis aus gleichbleibender Natur (in die erst durch
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die Umweltkatastrophe der Gegenwart Veränderung in erlebter Zeit einzieht) und wechselnden Bildern. Eine Grenze, die Mensch und Tier trennt, bildet nicht nur für das Verständnis der Evolution, sondern auch für die Kulturgeschichte eine unhaltbare Vereinfachung. Sie kann nach dem Tier überhaupt nur fragen, wenn es in gleitenden Zusammenhängen, die Mensch und Tier umfassen, gesehen wird, und die dem Tier die Macht zu handeln zugestehen. Die Übergänge vom Menschen zu Tieren und die Schnittstellen kultureller Interaktion erlauben Einblicke in Konstruktionen der Kultur. So war der Frosch in die Glaubenswelt des katholischen Mittelalters verwoben und später mit dem Prozess der Rationalisierung verknüpft und störte stets durch sein Unangepasstes und anarchischen Widerstand. Der Frosch gehörte über lange Zeiträume in die praktische Kultur, etwa die Medizin und Pharmazie, und zugleich in eine Geschichte von mentalen und materialen Bildern. Er war nicht Faktum oder Imagination, sondern war beides zugleich. Um dem Ineinander von Faktizität und imaginaire social zu entsprechen, muss die Kulturgeschichte von Frosch und Kröte eine epistemologische Gleichbedeutung entwerfen. Die folgende Studie trennt den Frosch nicht als ein Stück Natur, etwa auf dem Sektionstisch, von einem Objekt kultureller Imagination, sondern bringt das biologische Faktum gleichsam ins Fließen und behandelt das Tier in unfesten Beziehungen der Imagination, in denen im Lauf von Zeit, aber auch in der Gleichzeitigkeit verschiedene Tiere entstanden. Sie entstanden in Netzen aus ererbten Bedeutungsresten und Innovationen und durch die Zuschreibung von wechselnden Bedeutungen. In diesen Beziehungen entwickelte sich das spannungsreiche Verhältnis, das Frosch und Mensch in eine gemeinsame Geschichte einschloss. Die vier im Folgenden idealtypisch konstruierten Bilder vom Frosch lassen sich weder als Stadien einer Evolution noch mit einer funktionalistischen Theorie über das Mensch-Tier-Verhältnis verstehen. Sie können in eine Archäologie im Sinne Foucaults eingeordnet werden, die nicht danach strebt, einen Originalzustand zu finden, um Späteres auf ihn zurückzuführen, sondern Gegenstände aus ihrer Genealogie zu beschreiben sucht. 39 In diesem Verständnis existiert der Frosch in einer allgemeinen Bildgeschichte ohne Anfang, die die Bilder der Magie, der Theologie, der Beobachtung wie auch die Wissenschaftsbilder unter systemischen Bedingungen einschließt, ohne sie durch eine Logik der Abfolge zu ordnen. Die Frage ist, wie diese Körperbilder sich zueinander verhalten und in welcher Beziehung sie zum Frosch in der Hand stehen.
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Eine Geschichte aus fluktuierenden Bildern läuft das Risiko, den einzigen Anfang, den Frosch in der Hand, zu verlieren. Dieses Tier, das in den Fingern entsteht, darf nicht einem Relativismus der Kulturgeschichte geopfert werden. Ein solches Opfer zieht unweigerlich den Verlust des Lebens im vorgestellten Tier nach sich, der wiederum die Verantwortung gegenüber dem lebenden Tier schwächt. Es gibt ihn zweifellos, den Frosch in der Hand. Im Tastbild ist der Anfang, der erste Frosch zu sehen. Was lässt sich über ihn sagen? Im menschlichen Hirn nehmen, wie die neuere Hirnphysiologie nachweist, Neurone für das Tasten mit den Fingern eine überproportionale, eine »fast schon groteske Überrepräsentation« ein.40 Diesem Tastbild muss eine eigene Kognition zugesprochen werden, wie die Theorie der motorischen Intelligenz nahelegt. Sie entwickelt sich im Individuum, wortlos, vorbewusst und ohne Zugang zur Intersubjektivität. Wenn es diesen Frosch einer Intelligenz der Finger gibt, stellt sich die Frage, wie sich deren Wissen aus dem subjektiv Leiblichen ins kommunizierbare Kognitive übertragen lässt. Der Frosch in der Hand scheint als einfaches Faktum gegeben. Aber so sehr sich die Intuition dagegen sträubt: Es ist nicht an ihn heranzukommen. Er ist polymorph: noch Natur und noch nicht Zeichen, schon Repräsentation und noch immer Natur. Damit er zu einem Faktum für uns wird, muss er aus den Händen herausgeholt und versprachlicht und verbildlicht werden. Aus der inneren mentalen Mimese in der Hand muss ein Tier werden, das in strukturierte Zusammenhänge des Denkens und Handelns versetzt werden kann. Dafür muss die motorische Intelligenz, die ihren eigenen Komplex an Wahrnehmungen ausbildet, mit den anderen Formen der Kognition verknüpft und in Geschichten übertragen werden. Das Wissen des Leibs muss in Techniken der – sprachlichen und außersprachlichen – Repräsentationen eingebaut werden, damit aus sprachloser Empathie eine Geschichte aus Zeichen entsteht. Nach den Übersetzungen dieser Kognition in intersubjektive Kommunikation sucht die Kulturgeschichte. Sie entwirft Froschbilder, in denen sich die physischen mit den über lange Zeiträume hinweg zugeschriebenen moralischen und psychischen Eigenschaften zu kaleidoskopartigen Konstellationen zusammensetzen. Eine besondere Herausforderung bildet der Frosch der Wissenschaften, der seit dem 18. Jahrhundert eine Sonderstellung beansprucht. In dieser unbestimmten Vielfalt des Gegenstands liegt die Chance, aber auch das Problem einer Kulturgeschichte. Denn sie ist auf Vereinheitlichung angewiesen, um überhaupt von etwas berichten zu können.
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Mentalität und Diskurs Die scheinbar einfache Frage nach dem Bild vom Frosch richtet sich nicht auf die Repräsentation eines Körpererlebnisses, das sich als eine empathische Beziehung oder deren Abwehr bezeichnen lässt, sondern muss so unterschiedliche Diskurse wie Magie, Theologie, Wissenschaft und Ökologie, in denen sich das Tastbild materialisiert, einbeziehen. Sie werden im Folgenden unter dem Oberbegriff von Mentalität zusammengefasst. Was kann eine Kulturgeschichte des Froschs von der Kategorie der Mentalität erwarten? Nach einer langen Geschichte ist der Begriff noch immer so vage wie zu Beginn seiner Karriere. Er vermeidet ein begriffliches und methodologisches Korsett, und seine Unschärfe ist der Vagheit vieler Froschbilder angemessen. Er ermöglicht zugleich, begriffliche Grundlinien zu ziehen und, etwa in der Auslegung von Texten, Bildern und Ritualen, Willkür zu vermeiden. Eine Mentalitätsgeschichte fragt nicht nach den veränderlichen Eigenschaften, die dem Frosch im Lauf der Zeit zugeschrieben wurden. Das wäre eine historistische Banalität. Sie fragt vielmehr nach den Konstruktionsprinzipien der Froschbilder. Schönheit und Hässlichkeit, Tücke und Freundlichkeit oder Aggression, Stärke oder Leidensfähigkeit sind aufschlussreich als Elemente in einem Kreislauf aus Definitionen, Sehen, Bildproduktion und deren Rückwirkung auf den Blick. Mit einer paradoxen Formulierung lässt sich sagen, dass Froschbilder das schaffen, was sie zu spiegeln scheinen. Wie entstehen aus individuellen Sensationen die Bilder einer Mentalitätsgeschichte? Diese Transformation erfordert Begrenzungen und engt Empathie ein, damit das subjektiv polymorphe Tastbild zu einem generellen Bild und kommunizierbar wird. Für zwischenmenschliche Beziehungen stellt Breithaupt fest: »Empathie, selbst wenn sie zugelassen wird, muss blockiert werden können.«41 Diese Dialektik gilt für die Empathie mit dem Tier in gesteigerter Weise. Empathie mit dem Frosch wird nur in dem Maß geschichtlich, wie sie von ihrem Gegensatz, Verengung und Beschneidung eines Totalbildes, begleitet wird. Die Kulturgeschichte von Frosch und Kröte lässt sich aus dem Mit- und Gegeneinander von Einschränkungen schreiben, als Fesselungen anarchischer Sinneseindrücke, denen sich auszuliefern, die Gefahr des Selbstverlusts bedeuten würde.
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Der Frosch ist viele – Lassen sich Grundzüge einer Geschichte vom Frosch benennen? In der Geschichte der Froschbilder lassen sich zwei generelle Konstruktionsprinzipien unterscheiden, die den Rahmen für diese Fesselungen liefern: Taxonomien und Ideologien. Den Taxonomien liegen unterschiedliche Abstraktionssysteme zugrunde, und deren Ordnungen konstruieren verschiedene Tiere. Der Frosch ist einmal mit dem giftigen Skorpion und einmal mit Reptilien wie dem Salamander verwandt. Dieser Definitionsmacht der Abstraktion stehen Ideologien als wertende Beschreibungen gegenüber, die von spezifischen Haltungen zum Leben gelenkt werden, so dass der Frosch einmal Dome einreißt und ein andermal unter Autoreifen zerquetscht wird. Für eine Mentalitätsgeschichte vom Frosch muss der Begriff der Mentalität um den der kollektiven Repräsentationen erweitert werden. Ohne die Beteiligung von Medien sind Ausbildung und Veränderungen von Froschbildern nicht zu denken, und sie sind konstitutiv. Das Bild vom Frosch setzt sich nicht aus einer Summe von individuellen Erlebnissen zusammen, vielmehr stellen Medien die visuellen, emotionalen und kognitiven Zusammenhänge her, in denen der Frosch (bewertet) wahrgenommen oder übersehen wird. Ohne sie wüssten wir nicht, wie der Frosch aussieht. Werbung, TV, Zeitschriften lösen in der Gegenwart konventionelle Medien wie Schulbuch oder Lexikon ab und überführen mentale Bilder in öffentlichen Diskurs. Die Medien performativer Kulturen erfinden einen imaginierten Raum, in dem Bilder des Ichs und seiner sich wandelnden Beziehung zur Natur ikonisch verschlüsselt ausgetauscht werden. Nach der Topografie dieses Raums fragt die Kulturgeschichte und schlägt den Bogen zum Gesellschaftlichen, indem sie die symbolischen Strategien beschreibt, durch die aus dem besonderen Verhältnis zum Tier Gemeinsamkeiten und Gegensätze für Gruppen und soziale Milieus festgelegt werden. Während die Einbindung ins Diskursive die Voraussetzung für eine Geschichte von Frosch und Kröte bildet, kann sie nicht auf den Diskurs beschränkt werden. Denn die Präsenz der Tiere in der Mentalitätsgeschichte geht über das Diskursive weit hinaus. Sie fragt nach Einstellungen, und die sind in Handlungszusammenhänge eingelassen, die den Diskurs prinzipiell übersteigen. Der Diskurs, insoweit er verstanden wird als eine Technik zum Verhandeln von Wertvorstellungen und Handlungsnormen, konstituiert Gruppen und Gemeinschaften durch Homogenisierung. Demgegenüber erfordert eine Kulturgeschichte von Frosch und Kröte die
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Offenheit für das Heterogene unvereinbarer Muster des Wahrnehmens und widersprüchlicher Einstellungen, die gleichzeitig wirken. So wurden zum Beispiel Empathie und gefühllose Vivisektionen zur selben Zeit praktiziert. Auch kann die Literatur nicht auf Diskursivität reduziert werden, wenn wir nach dem Frosch in ihr fragen. Vielmehr leistet sie einen genuin literarischen Beitrag zum Bild des Tiers, der aus dem Diskursiven ins Transzendente und Phantastische drängt und nur von einer Minderheit geteilt wird. Auch andere Aspekte, etwa Spuren des Vorbewussten im wissenschaftlichen Froschbild, treten nicht in den Diskurs ein. Die Diskurse entwickeln keine Kriterien, die es erlaubten, das richtige vom falschen Bild zu unterscheiden. Sie generalisieren die gespürten Frösche, die keine Basis für das richtige Bild bieten, denn auch am Tastbild ist das Ich des Beobachters beteiligt. Ihm liegt stets ein anderes Tier voraus. Es gab und gibt keine Einheitlichkeit im Tastbild, sondern lediglich größere oder geringere Übereinstimmungen. Es verändert selbst physische Merkmale: Frösche sind groß oder klein, warm oder kalt, schleimig, glatt oder höckrig, freundlich oder widerlich. Stets stützen sich diese kontroversen Erinnerungen auf die Wahrnehmung. Ich habe mir vom Kinderwunsch berichten lassen, mit einem Frosch Freundschaft zu schließen und ihn wie einen Hamster oder Hund zum Haustier zu machen. Das sagten nur Mädchen. Manche erinnerten sich, wie ein Frosch sie angeblickt habe, andere, mehr Jungen als Mädchen, erinnerten sich an Augen, deren Position an den Seiten des Kopfes den Blick nicht erwidern können. Wiederum andere haben ein Bild vom Frosch über den Speisezettel. Im Gedächtnis lebt der Frosch in der Hand in nächster Nähe zum Froschkönig im Märchen, der eine goldene Kugel im Maul oder, wie andere Bilder zeigen, in den Vorderfüßen trägt, wie ein Mensch es tut, und der, so erinnern sich einige, von einer Prinzessin durch einen Kuss zum schönen Prinzen erlöst wird oder, wie sich andere erinnern, von der Prinzessin an die Wand geworfen wird. Diese Unterschiede der Betrachtung und Erinnerung sind Fragen der Diskurse. Der Frosch war viele zugleich, und der Heterogenität muss seine Geschichte Rechnung tragen. Aber auch Linien des Identischen lassen sich erkennen, die ich kurz skizzieren möchte. Ein Anfang ist für die europäischen Froschbilder am ehesten im theologisch begründeten Tier des Mittelalters zu setzen. Dies Bild verdrängte oder absorbierte die früheren, mythisch-magischen Tierbilder, und alle späteren Froschbilder Europas lassen sich aus Abhängigkeiten von diesem Bild verstehen, als dessen Variationen oder Oppositionen. Im theologischen Weltbild war der Frosch ein Idol, um Bacons Wort zu be-
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nutzen, ein moralisch bewertetes Bild, in dem Tiere wie Würmer, Skorpione, Schlangen, Nattern, Spinnen, Insekten und Ameisen eine Gruppe bildeten – unter dem Sammelbegriff Würmer verbunden: »vermes nennen sie die mittelalterlichen ascetiker […]«, als vermin im Englischen noch immer gebräuchlich. Diese Familie der bösen Tiere stand in einem Zusammenhang mit Tieren, die man nur vom Hörensagen kannte, Basilisk, Drache oder Lindwurm, oder aus der Bibel, wie die Tiere der Apokalypse. 42 Der Frosch der Theologie war die anschaulich gemachte Idee und seine körperlichen Eigenschaften waren ihre Folge. Sie waren der Teufel und folglich stanken sie wie der Teufel, und gaben teuflische Laute von sich. Geruch und Lärm verrieten den Teufel im Tier. Es war auch der Teufel im Tier, der es zum aktiven Handeln ermächtigte, der ihm agency in der menschlichen Geschichte gab. Im theologisch angeleiteten Sprachgebrauch blieben Frosch und Kröte über Jahrhunderte die Namen für das Böse. In der frühen Neuzeit begann ein Prozess der Auflösung der theologischen Definition. Die Macht, die das theologische Tier unter den Tieren der Schöpfung und der Phantasie hatte, trat bald in einen Austausch mit säkularen Definitionen, die in Medizin, Pharmazie und im Zauber ganz andere Wirkungen produzierten. Eine Psychologisierung der Bildlichkeit löste den Frosch in eine Vieldeutigkeit von kontingenten Aspekten auf. Er gehörte fortan in eine Welt der Dinge, die nur einem oberflächlichen Blick als realistische Mimese erschienen und die, wie Bruno Latour einmal schreibt, nicht die »Klarheit und Transparenz und Offensichtlichkeit von Tatsachen haben; sie sind nicht aus klar abgegrenzten und unabhängigen Objekten gemacht […]«. Diese Auflösung setzte sich in einem langen Prozess bis in die Gegenwart fort, und der Frosch teilte bald das Schicksal der Fakten: Sie erscheinen unseren Augen »als abhängig von schwierigen Ästhetiken des Malens, Zeichnens, Beleuchtens, Schauens, Zusammenstellen von etwas, das über vier Jahrhunderte sich entwickelt hat […]«.43 Vor jedem getasteten und gesehenen Frosch liegt die schwierige Ästhetik, und in jedem Bild vom Frosch wirken Vorstellungen von dem, was tastbar und sichtbar ist. In Opposition zum theologischen entstand ein magisches Froschbild. Die Identifikation von Frosch und Kröte als Zeichen des Teufels verblasste, und ein Tier des Lasters und der falschen Welt entstand. Auch dieser Frosch war mit überirdischen Kräften ausgestattet, seine Herkunft wurde aber in der Natur gesucht. Er unterschied sich von der theologischen Definition in zwei Hinsichten: Dieser Frosch war kein Tier, das für eine Idee
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stand, und er unterschied sich von der Eindeutigkeit der theologischen Definition durch Ambivalenz. Dieser Frosch enthielt ein Versprechen und wurde wegen seiner Zauberkräfte zugleich gefürchtet. Er wurde zu einem Tier der Alchemisten, diente in Experimenten der Verwandlung und verwischte die Grenze zwischen Tier und Mensch, die die Kirche betonte. Bald setzte die Auflösung der theologischen Definition eine andere Transformation in eine schwierige Ästhetik in Gang: An die Stelle der moralischen trat eine psychologische Bewertung. Das Tier einer moralisch wertenden Idee wurde in ein Wahrnehmungsbild transformiert, mit dem die Empfindungen des Betrachters korrespondierten. Der Frosch wurde in der frühen Neuzeit zur Verkörperung des Hässlichen. Ein Froschbild entstand, das sich zwar auch Beobachtungen an lebenden Tieren verdankte, wie frühe illustrierte Tierbücher seit Konrad von Megenbergs Buch der Natur (1342/1358) zeigen,44 das aber in erster Linie emotionalen Bewertungen Ausdruck gab. Frosch und Kröte wurden zu Tieren, deren Erscheinen Abstoßung, Ekel, Schrecken und Angst, auslöste. Der Geruch wurde weiterhin bemerkt, gewann aber nun eine ganz andere Qualität. Er war nicht mehr Zeichen des Bösen, sondern gehörte zur Natur des Tiers, das subjektives Ekelgefühl auslöste. Am Ende der Epoche des theologisch begründeten Bedeutungssinns vom Frosch stellte Gesners Thierbuch, eine Quelle für volkstümliche Vorstellungen der frühen Neuzeit, die wichtigsten Eigenschaften in einem Satz zusammen: »Dieses Thier ist ein überauß kaltes und feuchtes Thier, ganz vergifft, erschröcklich, hässlich und schädlich.«45 Diese Kombination spricht nicht mehr vom Bösen, sondern von beobachteten Eigenschaften, die aus einer ästhetischen Perspektive wahrgenommen und psychologisch bewertet werden. Sie stellt alle negativen Attribute zusammen, die während vierhundert Jahren den Frosch auszeichneten. Es ist bemerkenswert, wie dieses abstoßende Tier in der Kulturgeschichte Europas über Jahrhunderte bis ins Zeitalter der Wissenschaften lebte. Noch Linné stellt auf dem Höhepunkt der Aufklärung eine ähnliche Liste von Eigenschaften zusammen (1758), spricht von der ungetümen Erscheinung und fügt Gesners Charakteristik eine weitere Bestimmung hinzu: Der Schöpfer habe sehr viele von ihnen geschaffen, aber seine Macht, sie zu vollständigen Tieren zu machen, habe er vernachlässigt. In den schwierigen Ästhetiken galt der Frosch als ein unvollständiges Tier.46
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Abbildung 5: Conrad Gesner, d.i. Gesnerus, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines Thier-Buch. Frankfurt (Wilhelm Gerlins) 1669, Von den Fröschen
Ein weiteres Bild beerbte die theologische Definition: das Wissenschaftsbild. Der radikale Neuanfang im Denken, den die Aufklärung im 18. Jahrhundert setzen wollte, bedeutete auch einen Einschnitt in der Geschichte der Froschbilder. Das wertende Tierbild wurde aus epistemologischen Gründen obsolet, und die theologischen und magischen Bilder erschienen als bloßer Aberglaube einer Epoche der europäischen Geistesgeschichte, die noch nicht genügend naturwissenschaftliches Wissen gesammelt hatte, um ein Bild vom Frosch als Tier auszubilden. Ein wissenschaftlich fundiertes Bild vom Frosch (das nicht identisch ist mit dem Wissenschaftsbild) entstand. Die Familie der bösen Tiere löste sich auf, und der Frosch wurde von einer anderen Semantik erfasst. Er war nun ein Tier, das auf Grund von wertneutralen Merkmalen in eine bestimmte Gattung und Familie der wissenschaftlichen Taxonomie eingeordnet wurde. Er gehörte zu Amphibien und Lurchen, als Herpetofauna zusammengefasst. Die Herpetologie klassifizierte und analysierte Verwandtschaftsbeziehungen ohne Wertungen. Zu diesem Vokabular der Wissenschaftssprache gehören theoretisch gestützte Bezeichnungen wie Amphibie, Froschlurch und Schwanzlurch und, wegen einer Besonderheit des Embryonalzustands, Amnia (im Unterschied zu den amniota, den höher entwickelten Tieren), auch Laich, Embryo und Larve. Diese Ordnung entstand spät als das Produkt von Abstraktion und biologischer Analyse. Sie hat ihre Autorität bis in die Gegenwart erhalten. Aber diesen Frosch hat niemand je angefasst oder gehört. Der Frosch der Taxonomie quakt nicht. Dieser Frosch löst keine Reaktio-
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nen aus, keine Angst, keinen Ekel, kein Mitleid. Man könnte in einer etwas gewagten Analogie zu Ernst Kantorowiczs Titel von den zwei Körpern des Froschs sprechen: dem sterblichen Körper der Bewertung und Beobachtung sowie dem wissenschaftlich konstruierten und zeitlosen Körper, der den Tod nicht kennt, der aber auch nicht lebt.47 Am tiefen Einschnitt durch das Wissenschaftsbild in der Geschichte der Froschbilder ist nicht zu zweifeln. Aber auch sie schufen keinen Anfang und keine Einheit im Froschbild. Descartes sezierte Frösche und fand die Maschine seiner philosophischen Theorie. Er bemerkte am Herzen drei Kammern, andere sahen zwei (Pierers Universallexikon). Goethe sezierte einen Frosch und sah das Herz »an der Lunge befestigt«. Das Froschherz, wissen wir heute, besteht aus zwei separaten Vorkammern und einer einheitlichen Hauptkammer ohne Scheidewand. Aber was wissen wir über den Frosch, seitdem die Wissenschaft begonnen hat, objektive Informationen über das Froschherz zu verbreiten? Diese Bilder erhoben implizit den Anspruch, einen Anfang zu setzen, indem sie mit der Tradition der subjektiven Tierbilder brachen. Der wissenschaftliche Diskurs privilegierte das wissenschaftliche Bild als das wahre Bild. In der Konsequenz wissenschaftlicher Theorien wurde im Labor des 19. Jahrhundert aus einem handelnden Tier in einer erlebten Welt ein lebloses Objekt, ein Tier, das mit sich identisch und keiner Zeit unterworfen sein sollte. Das von Traditionen der Wahrnehmung und von Bewertung endgültig befreite Froschbild gab es aber trotz der Sektionen nicht. Aus dem Abstand der Gegenwart erkennen wir im Aufkommen des Wissenschaftsbilds vom Frosch das Verdecken komplexer Kontinuitäten. In ihnen bildet das moderne, wissenschaftlich fundierte Bild vom Frosch eine Episode, die in der Gegenwart zu Ende zu gehen scheint. Das Tierbild der Gegenwart trägt zum Autoritätsverlust des Wissenschaftsbilds bei. Aus diesem Autoritätsverlust entsteht die Möglichkeit, den Frosch aus der Ferne der wissenschaftlichen Abstraktion zurückzuholen und als Tier der affektiv besetzten Erlebniswelt neu zu gewinnen. Ein Bild vom Frosch diesseits von epistemologischer Abstinenz entsteht. Spuren der Kontinuität vom teufflischen Thier des Mittelalters zum Ökofrosch der Gegenwart werden sichtbar. Das Tier-Mensch-Verhältnis der Gegenwart konstruiert ein Froschbild, das in praktischen Lebenszusammenhängen Wirkung zu erzeugen sucht.
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Der Frosch als Ding in kulturellen Konstruktionen Zwei unterschiedliche Politiken lassen sich für die Konstruktionsregeln des Froschs in der europäischen Geschichte unterscheiden. In Mythologie und Kunst folgt die Konstruktion ihren immanenten Regeln. Sie legen fest, was schön und hässlich, gut und böse ist, in die Metaphysik oder das Kunstsystem passt. Diese Bestimmungen werden durch interne Kommunikation und ohne Institutionen, die über praktische Macht verfügen, ausgehandelt. So wurden zum Beispiel die Konventionen, nach denen Tiere in Bildatlanten seit dem 17. Jahrhundert dargestellt wurden, in einem machtfreien Feld aus Kunst und mythologischer Imagination festgelegt und beanspruchten dennoch für ihre jeweilige Zeit allgemeine Geltung. In Religion und Politik gelten dagegen andere Regeln. Die Darstellung von Frosch und Kröte unterlag zu bestimmten Zeiten diesen Regeln, die von Autoritäten wie Kirche und Staat (etwa vom absolutistischen Hof) festgelegt und in der Praxis durchgesetzt wurden. Daraus entstanden Räume, deren Grenzen verbotene Bilder ausschlossen. So unterlag die Repräsentation von Tieren im Mittelalter und der frühen Neuzeit einer Doktrin, die von der Institution Kirche festgelegt und durchgesetzt wurde. Die Natur des Froschs definierten Institutionen mit machtgestützter Entscheidungskompetenz, etwa kirchliche und weltliche Gerichte. Unter anderen Machtverhältnissen übernahmen die Wissenschaften diese Definitionshoheit. Wir wissen einiges über die Regeln, die kulturelle Systeme organisieren, aber wir nehmen die Dinge, die in den Systemen dieser Regeln definiert werden, meist fraglos hin. Der Frosch soll im Folgenden in diesem Sinn als ein Ding eingeführt werden, das in kulturellen Praktiken entsteht, keine feste Identität hat und damit stets unsicher und fragwürdig ist. Seine Wahl als Gegenstand von Reflexion oder von Verfolgung war nicht selbstverständlich. Als ein kulturelles Ding hat er keine feste Identität und keine eindeutige Kontur und lässt sich nur aus Spuren erschließen, die in der Geschichte des profanen Denkens und Imaginierens gesucht werden müssen. Der Frosch gehörte in Europa über einige Jahrhunderte zu den Dingen der vorgestellten Welt, die ein Problem bildeten, das Menschen verband, indem es sie in Konflikte verwickelte. Erst aus dem Zusammenwirken von Bildern als Dokumente und als Akteure lässt sich die Geschichte der Froschbilder, und das heißt des Tieres für uns, des Tieres als Bestandteil der erfahrenen Welt ohne Anfang (aber mit einem befürchteten Ende), zusammenfügen. Der Frosch war das Tier, das Definitionen und Rituale aus ihm machten, und das galt nicht nur für den Frosch in Magie und Hexen-
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glauben, gegen den oder mit dem gehandelt werden konnte. In Nützlichkeitserwägungen der Agrikultur entstand ein anderes Tier, von dem sich wiederum das der Ethologie oder das der Physiologie unterschied. Das Froschamulett aus Sizilien, das Schema in der Mikroskopieranleitung oder der silberne Frosch auf der bürgerlichen Vitrine sind keine leblosen Objekte, keine beliebigen Sachen, sondern Dinge, deren gemeinsamer Grundzug darin zu sehen ist, dass sie die Kraft besitzen, zur Konstruktion von Lebenswelten beizutragen.
Spuren lesen und Bericht erstatten Wenn Frosch und Kröte Spuren hinterlassen haben – wie lassen die sich sichtbar machen, so dass in ihnen die Fakten gefunden werden, über die berichtet werden kann? Sie sind nur in den schwierigen Ästhetiken, die im Gebrauch und in den Praktiken des Lebens entstehen, zu entdecken. Der Zusammenhang zwischen der Spur, die der Frosch hinterlassen hat, und ihm selbst ist unfest und zeigt ihn in transitorischen Erscheinungsweisen mit einer schwachen Kraft. Wir können von Spur nur sprechen, wenn und insoweit sie sich seriell in materielle Träger eingeprägt hat. Ein Bild oder ein Gedicht, eine Textsorte oder eine Motivkette allein geben nicht her, was hier als die Spur von Frosch und Kröte in der Mentalitätsgeschichte verstanden wird, so wie der Abdruck eines Froschs im Muschelkalkstein noch keine Spur der frühen Lurche ergibt,48 sondern zur Suche nach ihr einlädt. Einzelfunde sprechen erst, wenn sie zu einem Zusammenhang verknüpft werden. Der Blick muss schweifen, abgelegene Quellen, auch Fetzen populärer Kultur finden und Zusammenhänge für sie entwerfen. Erst das Zusammenfügen von vielfältigen einzelnen Eindrücken zu einem Zusammenhang von sich ergänzenden und wechselseitig verstärkenden Eindrücken ermöglicht es, eine Spur zu lesen. Aber ist das ein Lesen? Lesen Spurenleser? Lesen ist ein irreführendes Verb, das die Tätigkeit des Zusammentragens von Eindrücken zu einer Spur nicht trifft. Die Lektüre von Texten ist zwar unerlässlich bei der Suche nach der Spur eines kulturellen Dings. In ihnen finden wir bestätigt oder modifiziert, was wir aus anderen Medien kennen.49 Aber Spuren sind nicht lesbar wie Texte, sie erfordern andere Zugänge: Intuition, kombinatorische Phantasie, Rätseln oder das Entschlüsseln von taktilen und akustischen Reizen. Die Spur vom Frosch lässt sich nicht finden, sondern entsteht erst in einem Netz aus kognitiven und affektiven Tätigkeiten. Ebenso wie die Ma-
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ler und Dichter der Frösche sind auch die Spurenleser daran beteiligt, die Spur vom Frosch herzustellen. Erst auf der Ebene des Ratens und Kombinierens entsteht die Spur als ein Zusammenhang, den es zuvor nicht gegeben hat. Die Entdeckung dieser Spur ist keine bloß akademische Übung in der Geschichte von Ideen. An die Spuren des Unangepassten, die der Frosch in der Kulturgeschichte hinterlassen hat, kann der Ökofrosch der Gegenwart anschließen. Sie liefern den Fluchtpunkt für die Reise in eine Zukunft von Froschbildern, die nicht interesselos sind, sondern durch das Interesse der Gegenwart am Überleben gelenkt werden.
2.4 D IE K APITEL DES B UCHS Wandlungen Die Veränderungen in der Geschichte der Froschbilder beruhten selten auf Beobachtungen. Auf die Bedeutung der Beobachtung für die Konstruktion von Froschbildern werde ich eingehen. Hier will ich lediglich andeuten, dass ich einer Grundthese der Kulturgeschichte nicht folge. Sie hat aus Gombrichs Art and Illusion (1960) zu recht die Bedeutung von Mustern für die Wahrnehmung und deren Veränderung übernommen. Sehen bedeute nicht, die Augen zu öffnen und zu betrachten, sondern setze stets ein Wissen und ordnende Kategorien voraus. Diese These gilt auch für die Geschichte der Froschbilder. Nicht die Beobachtung von Fröschen schafft ihr Bild. Es sind nicht, wie oft angenommen wird (davon zeugen viele Interviews mit Froschschützern), ihr Leben im Verborgenen oder ihre Stimmen im Dunkeln, aus denen das geheimnisvolle Tier entsteht. Vielmehr entsteht das beobachtete Tier aus kognitiven und affektiven Bearbeitungen vom Tier im Kopf. Die Veränderung der Wahrnehmungsmuster, fährt Gombrich fort, sei nun die Folge der durch allmähliche Akkumulation von auf Beobachtung beruhenden Korrekturen. Kulturgeschichte beschreibt Veränderungen gern gemäß dieser Annahme sukzessiver Korrekturen. Die Geschichte der Froschbilder bestätigt diese These nicht. Nach einem über Zeit sich entwickelnden, logischen Abhängigkeitsverhältnis von Bild und Gegenstand würde man in der Geschichte der Froschbilder vergebens suchen. Eine Akkumulation von beobachtungsgestütztem Wissen zeigt sie nicht. Der Frosch der Theologie und der der magischen Praktiken lebten gleichzeitig. Er war für die Theologie der Teufel und für die frühen Naturbeobachter das Tier der Metamorphose. Er war das belieb-
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teste Labortier des 19. Jahrhunderts und wurde bedenkenlos zerschnitten, und zugleich entstand das Tierbild des Tierschutzes. Schließt das Wissenschaftsbild den Menschen im Frosch als metaphysischen Ballast einer überwundenen Vergangenheit aus, so zeigt der Ökofrosch, dass er anwesend geblieben ist. Der virtuelle Computerfrosch entsteht neben dem Ökofrosch. Beide gehören in ein neues Verhältnis von Mensch und Tier. Aber während die Beziehung zum Menschen des einen das Wissenschaftsbild mit anderen Mitteln fortsetzt, entwickelt das andere eine Idee von Partnerschaft in einem gemeinsamen Kampf. Diese Gleichzeitigkeit provoziert die Frage nach Auslösern und Ursachen der Veränderungen im Froschbild. Auf der Suche nach den Veränderungen unterscheidet die Arbeit fünf idealtypische Kulturtechniken, in denen sich das Verhältnis von Frosch und Mensch entwickelt hat: die theologische, magische, literarische und wissenschaftliche, und sie fügt schließlich die in unserer Gegenwart entstehende ökologische hinzu. Die fünf Paradigmen sind in sich uneinheitlich und bilden Typisierungen mit fließenden Übergängen. Die Kapitel werden von der Annahme geleitet, dass leitende Ideen im Verständnis dessen, was sich als die Natur des Menschen bezeichnen lässt, im MenschFrosch-Verhältnis zur Sprache kommen. Aus Froschbildern spricht das Eigenbild des Menschen und, mehr als das, sie leisten einen Beitrag zu dessen Veränderungen.
Theologie Unser Wissen über Frosch und Kröte in Theologie und Magie ist auf Grund der Quellenlage beschränkt. Das theologische Tierbild entwickelte sich in einer Auseinandersetzung mit Mythos und Magie und wurde in Europa seit dem Mittelalter zum fundierenden Bezugspunkt. In den Texten der Scholastik und der höfischen Kultur des Mittelalters hatte das böse und hässliche Tier keinen Platz. Texte und Bilder wurden für die kleine Minderheit einer christlichen und politischen Elite hergestellt. Eine Kulturgeschichte der Tiere im Mittelalter ist von vornherein das Opfer dieser Verschiebung zu Gunsten einer schmalen Oberschicht. Der Frosch stand auf der Wertskala von Engeln über Menschen zu Tieren ganz unten und kommt in den Texten nicht vor. Er gehörte in die Lebenspraxis des Volkes, und Quellen aus dem Alltagsleben sind rar, so dass wir wenig darüber wissen, wie er außerhalb der Kirche verstanden wurde. Sein Bild können wir nur aus der Abwehr durch die christliche Kirche seit dem 12. Jahrhundert erschließen. Der theologisch begründete Kampf gegen den
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Frosch als Tier der Häresie verschaffte ihm eine Position in den Schriften. Was sie bekämpften und verboten, mussten sie in Sprache fassen. So lässt sich aus der Negation ein Bild vom Frosch gewinnen. Man muss Texte gegen den Strich lesen, um aus ihrer Abwehr etwas über das böse Tier zu erfahren.50 Die Bibel spricht von der Schlange und den Ungeheuern der Apokalypse, von Behemot und Leviathan,51 und der theologische Frosch lässt sich als das Gegenbild der Bibeltiere verstehen. Die Schlange war klug und listig, und daraus folgte ihre Gefährlichkeit. Die Schlange ist auf unerklärliche Weise das Fremde im Paradies. Der Frosch dagegen taucht als das Böse des Menschen, als seine dunkle Seite nach der Vertreibung aus dem Garten Eden auf. Er entstand in der christlichen Überlieferung erst nach dem Sündenfall und war ohne Verstand und dem Menschen gefährlich, nicht weil er listig, sondern weil sein Körper böse und zauberisch war. Die skeptische Frage der Schlange im Paradies macht sie zu einem Kommunikationspartner der Menschen, und Kommunikation setzt Distanz zum anderen voraus. Wenn es eine Kommunikation mit dem Frosch gab, verlief sie unartikuliert und von Körper zu Körper.
Magie Im späten Mittelalter entstand das Naturhässliche. Der hässliche Frosch war mit dem Menschen auf eine abgründige Weise psychisch verbunden. Er konnte gefährlich sein, entfaltete aber in der Medizin und Pharmazie eine positive Kraft. Ob negativ oder positiv konnotiert, wurde er als ein Lebewesen gesehen, das, wie Sulzer später (1774) schrieb, mit den Menschen die Erde wie eine Decke teilt oder das in der menschlichen Welt handelt und sie zu verändern beiträgt. Das magische Bild vom Frosch, das an vorchristliche Bilder anschloss, war auch mit Gewalt und Grausamkeiten durchsetzt. Ein Lexikon schreibt über die verschiedenen Arten, Frösche zu fangen: mit einer Angel, mit dem Hamen (Lockfrosch in einem Glas) kann man »ihrer auf einen einzigen Zug eine Menge fangen«, mit Fackeln, die nachts an einem Teich entzündet werden, so dass die Frösche »schaarenweise aus ihren Löchern dem Scheine von Fackeln oder angezündeten Strohwischen entgegenkommen […]«, mittelst eines Frosch-Bogens oder Frosch-Schneppers (hölzerne Armbrust mit Stahlbogen), auf dem »ein langer, von starkem Eisendraht verfertigter, an der Spitze mit einem scharfen Widerhaken bewaffneter, Pfeil liegt, welcher mit einer Schnur an dem Schnepper angebunden ist
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[…]«.52 Das klingt grausam. Es ist aber Ausdruck einer Einstellung, die im Tier das Lebendige in einer gemeinsamen Welt sieht. Es ist die Einstellung des Jägers, für den das Tier Beute ist, aber beide, Jäger und Tier, gehören in eine durch die Idee von Leben und Tod zusammengehaltene Natur. Mehr: In der Sachlichkeit, mit der dieser späte Text von der Jagd auf das Tier spricht, verbirgt sich eine Gleichheit in einer durch Gewalt gezeichneten Welt. Das Tier ist auf seine Weise stark, und in seinem Bild erhält sich ein Lebewesen, das in die noch nicht unterworfene Natur gehört.
Literatur Der Frosch in der Literatur ist marginal. Abgesehen von wenigen Ausnahmen hat er nie eine Stelle in der Hochkultur eingenommen. Die Ausnahmen, etwa Platos Anspielung auf die Griechen, die wie Frösche am Teich sich ums Mittelmeer lagerten, Aristophanes Die Frösche oder die anonymen Batrachomyomachia: Der Kampf zwischen Fröschen und Mäusen, sind Parodien. Nur die niederen Gattungen Komödie, Satire, Fabel, Parabel hatten für ihn Platz. Er besetzte in der europäischen Literatur einen Platz im Niederen, in einer Tiefe, die schaurig sein konnte, aber in der Literatur seit dem 18. Jahrhundert meist nur noch von einer Geringschätzung zeugte, die für Zwecke der Moraldidaktik ausgenutzt wurde. Bereits der Anfang der europäischen Literatur stellte den Frosch in Zusammenhänge der doxa. In der modernen Literatur wurde er weiter gezähmt und zu Variationen der Didaktik. Er wurde zum Stellvertreter des Menschen und symbolisierte menschliche Eigenschaften. Er verlor sein Geheimnis. Die Glättung und Verharmlosung, die der Frosch in der Literatur erlebte, ging Hand in Hand mit dem Entstehen eines wissenschaftlichen Froschbilds. Von dem geglätteten Bild unterscheidet sich der banalisierte Frosch in der Populärkultur nur unwesentlich. Mit dem Verlust an Bedeutung in der Literatur und dem Beginn einer Epoche des Wissenschaftsbilds ging die Genealogie vom Frosch als kulturellem Tier im engeren Verständnis zu Ende. Dass sie sich dennoch fortsetzte, ist dadurch zu erklären, dass sich das Wissenschaftsbild vom Frosch als fragwürdig, wenn nicht als Illusion erwies. Während die Wissenschaft sich daran machte, die Sinne und Emotionen wie den Ekel endgültig aus dem Bild der Natur auszutreiben, kam das vorrationale Bild vom Frosch, umgewertet, in der Literatur zurück. In Opposition zur moralischen Didaktik entstand die Ästhetik der schwarzen Romantik und führte gegen Ende des Jahrhunderts zu Triumphen des Bösen und Ekelhaften, an denen der Frosch partizipierte.
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Wissenschaft In frühen Experimenten diente der Frosch als Gegenstand vorwissenschaftlicher Neugier und zur Bestätigung des Bilds, das der Mensch von sich selbst machte. Mit den Experimentalwissenschaften entwickelte sich im 19. Jahrhundert ein neuer Frosch. Der Frosch der Wissenschaften war ohne Leben und in isolierte Teile zerlegbar. Es war sicher gestellt, dass er kein unlösbares Geheimnis barg. In der Wissenskultur des 19. Jahrhunderts wurde das Bild prominent, aber sie degradierte das Visuelle als das Nicht-Wissenschaftliche, solange es sich nicht dem Imperativ der Theorie unterstellte. Das neue Tierbild verfolgte ein implizites Ziel. Es entwertete ältere Bilder als zauberhaftes Idol und heftete ihnen das Unwahre eines partikularen und vorwissenschaftlichen Pseudowissens an, das wie die Entstellungen eines Zerrspiegels durch das richtige Bild der Forschung korrigiert werden sollte. Es dauerte jedoch lange, bis die Epoche des Wissenschaftsbilds begann. Zu den Wissenschaftsbildern gehörten die von Labortieren wie Hunde, Kaninchen, Schafe, die einen eigenen Bildtypus bildeten, eine neue Familie, und unter ihnen lassen sich Bilder vom Frosch wiederum zu einer Gruppe zusammenfassen. Der neue Frosch kann als symptomatisch für den neuen Typ des Wissenschaftsbilds gelten.53 Die Geschichte der Froschbilder nach dem Zerfall des magischen Tierbilds lässt sich als die einer Entkörperlichung durch Abstraktion und schließlich der Virtualisierung und elektronischen Simulation rekonstruieren, die von dem absurden Versuch des Klonens begleitet wird. Das wissenschaftliche Bild machte den Frosch wieder zu einem Zeichen, aber er verlor endgültig das Essentielle der mittelalterlichen Idee. Ein von Bedeutung entleerter Frosch ohne eigenes Leben war nun der wahre Frosch. Der Verlust wurde dadurch kompensiert, dass er eine Position im System der Wissenschaften bekam, die zur Rechtfertigung der neuen säkularen Religion, der Wissenschaft, beitrug. Diese Wissenschaftsbilder waren für die Konstruktion von Objekten wissenschaftlicher Forschung konstitutiv, und sie wirkten zugleich auf das Denken von Leben außerhalb der Wissenschaften. Mit der Verwissenschaftlichung änderte sich das Verhältnis von Mensch und Tier grundlegend: Der Mensch machte sich stark und den Frosch zu einem immobilisierten Objekt, das in den Laborprotokollen noch am Leben war. Im Wissenschaftsbild kam die Loslösung des Tierbilds vom Tier auf den Höhepunkt. Obwohl diese Bilder sich der Körperform vom Frosch bedienten, war das letzte, was sie intendierten, Körper bildlich präsent zu
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machen. Abstrakte und auf die Indexikalität von Piktogrammen zielende Darstellungen machten den lebendigen Körper abwesend. In diesen Bildern wirkt ein Paradox. Sie repräsentieren den Körper und machen ihn für den Betrachter doch nicht anwesend. Die Erinnerung an den Körper bei seiner gleichzeitigen Abwesenheit ermöglicht es, am Bild festzuhalten, es aber auf einen abstrakten Informationsträger zu reduzieren. Das Körperbild ist eine Variation physiologischer Theorien. Es ist vom Bezug auf die Sinne getrennt und weist die Möglichkeit symbolischer Repräsentation von Reizen ab. Es ist ein Bild, das gelesen werden will. Neue und von den Anforderungen der Wissenschaft abhängige Konventionen für das Lesen dieser Bilder mussten entwickelt werden, um das Nichtverstehen – sei es durch eine konventionelle Bildlektüre, sei es durch Verstoß gegen die wissenschaftlichen Konstruktionsregeln – dieser Bilder zu vermeiden. Die Abstraktionen des Labors dienten auch dem Ziel einer klaren Trennung des Experimentators vom Dargestellten, einer Trennung, die für sein Verhältnis zum Experiment von besonderer psychischer Bedeutung war. Im Zeitalter des Wissenschaftsbilds hatte der mythische Frosch damit, so könnte man annehmen, sein falsches Leben ausgehaucht, und der Frosch war auf zwei reduziert: das Tier in der Natur und in Zeichensystemen. Diese Vermutung führt in einem bestimmten Sinn in die Irre. Das wissenschaftlich konstruierte Bild war nicht allein die (logische und temporale) Folge des in Experimenten gewonnenen Wissens. Das in der wissenschaftlichen Abbildung sichtbar Gemachte folgte zwar dem Ideal der Körperlosigkeit, stand jedoch noch immer in einer Beziehung zum abwesend gemachten Körper vom Frosch. Die Beziehung zwischen dem wissenschaftlichen Bild und der Imagination eines Körpers mit mythisch-magischen Eigenschaften war, so argumentiert das fünfte Kapitel, keineswegs vollständig gekappt. Das Experiment wie auch das Wissenschaftsbild blieben mit dem kulturellen Imaginären auf unbemerkte Weise verknüpft. Der Frosch behielt den dritten Körper, der als mythischer Menschenkörper ins Labor und in die Ikonografie des Wissenschaftsbilds eindrang. Der Froschkörper wurde in Labors nicht nur nach den Bedürfnissen der Wissenschaften zerstückelt, sondern er verwandelte sich in diesen Räumen auch in einen Fetisch.54 Diese Persistenz deutet auf die Fragwürdigkeit des Wissenschaftsbildes. Das magische Froschbild wurde offensichtlich weiter gebraucht. Es entsprach einem unbewussten Bedürfnis der Experimentatoren und präparierte das Tier für ein sadistisches Verhältnis.
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Der Ökofrosch entsteht Froschbilder der Imagination wie der Wissenschaft haben der Gegenwart ein Erbe vermacht. Aus ihm entwickelt sie einen neuen Frosch, der sich als Ökofrosch bezeichnen lässt. Der Frosch als Teil der physischen Welt droht zu verschwinden, und als Vorstellungsbild ist er in die schwierigen Ästhetiken der Gegenwart eingebettet. Deren Verflüchtigung von Präsenz in abstrahierende Prozesse ist nicht rückgängig zu machen. Aber die Gegenwart lässt sich auf den Versuch ein, die Erfahrung von Präsenz neu zu gewinnen. Eine grundlegende Frage ist die nach den kulturellen Bedingungen für eine Überwindung der derealisierenden Konstruktion dieser Beziehungen zwischen Mensch, Tier und Raum.55 Nach einer langen Periode der Abstraktion kommt in der Umweltkrise der Frosch in der Hand zurück. Was das Tier in der Hand einer Tierschützerin ist, können wir nicht wissen. In einer Hinsicht jedoch wird dieser Frosch wieder, was er über Jahrhunderte war: Ein Tier, in dem der Mensch (offen oder verheimlicht) steckt. Dieser Körper stellt wieder Fragen, die über die der Wissenschaften hinausreichen, nicht die nach Transzendenz und verborgener Magie, sondern nun die Frage nach der Verantwortung für die Zukunft der Natur. Diese Frage leitet auch den vorliegenden Versuch einer Mentalitätsgeschichte. Sie sucht nach einem Tierbild, in dem sich diskursive Distanz und Empathie nicht wechselweise verdrängen. Die Entdeckung der Spiegelneurone stellt für die Rückkehr des Froschs ein Modell ohne Bezug auf moralische oder ästhetische Urteile zur Verfügung. Eine ungebrochene Unmittelbarkeit, sollte es sie je gegeben haben, lässt sich auch mit dieser Theorie nicht annehmen. Es gebe im Mechanismus der Spiegelneurone, argumentieren Rizzolatti und Sinigaglis, einen Selektionsmechanismus, den sie als ein »Wörterbuch der Motorik« bezeichnen. Nur ein Wörterbuch, das einen Eintrag enthält, ermöglicht die Aktivierung des Neuronensystems und löst im Gehirn Aktivitäten aus, als ob der Beobachter selbst handelte. Das Wörterbuch der Gegenwart enthält offensichtlich einen Eintrag Frosch. Der Eintrag hat sich in den letzten Jahrzehnten der Wahrnehmungsgeschichte verändert. Der Eintrag Frosch ist in der Gegenwart positiv besetzt. Umweltbedingte Deformationen verschränken den Frosch mit der vom Menschen gemachten Geschichte auf eine neue Weise. Eine am Froschkörper wahrgenommene Bedrohung lenkt den Blick in die Zukunft, und Zukunftsorientierung ist eine Voraussetzung für die Aktivierung der ent-
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sprechenden Hirnareale. Intentionalität setzt den neuronalen Apparat in Gang, und die Intentionalität ist ein Grundelement in der neuen Nähe von Mensch und Frosch. Im Bild von Frosch und Kröte verdichtet sich die Sorge um die Zukunft der Natur. Von diesem Frosch und einem post-experimentellen und sorgenden Verhältnis zu ihm geht eine Anziehungskraft aus. Die Identifikation mit Naturschützern, die Frösche und Kröten über Autostraßen an Tümpel tragen, fällt leichter als die mit Experimentatoren im Labor. Beide arbeiten an der Zukunft. Aber die aus Empathie mit dem Tier sprechende Sorge um die Zukunft der Natur kann auf breitere und überzeugtere Zustimmung zählen als die in den Wissenschaften konzipierte Zukunft. Wer sich um die Zukunft der Natur sorgt, muss in langen Zeiträumen denken. Wir stehen vor der Herausforderung, eine Umweltethik zu entwickeln, die von der Verantwortung für die Natur handelt, das Tier einschließt und das Problem einer Langzeitverpflichtung bedenkt. Das ist nicht die Frage eines politischen Entschlusses,56 sondern der mentalen Einstellungen, und die ändern sich nur langsam. Was Langzeitverantwortung meint, ist unklar und muss ausgearbeitet werden. Der Frosch bekommt für diese Fragen eine eigene Dramatik, wenn wir bedenken, dass seine Geschichte in frühe Zeiten der Evolution zurückreicht und er nun nach einer Zeit, die das Vorstellungsvermögen übersteigt, seit wenigen Jahrzehnten vom Aussterben bedroht ist. Der Frosch kann in die Versuche, die Umweltkatastrophe zu bewältigen, einbezogen werden, sobald eine Position konstruiert wird, die weder mit der des Menschen noch mit der des Tiers identisch ist. Im Kampf um die Rettung der Natur entdeckt der Mensch, dass er nicht nur weltoffen ist, wie die Philosophische Anthropologie herausgearbeitet hat, sondern, nicht anders als das Tier, in einer Umwelt lebt, auf die er angewiesen ist, und die er im Begriff ist, zu zerstören. Nur wenn es gelingt, Natur auf eine Weise zu denken, dass sie Solidarität mit Fröschen und Kröten einschließt, lässt sich der drohenden Umweltkatastrophe aktiv begegnen. Wenn der Blick sich von der Suche nach dem Wesen löst, kann er sich nach außen wenden und an die Stelle der Wesensfrage die Frage nach einer äußerlichen Beziehung setzen: die zwischen dem Körper der Lurche und ihrer Umwelt, in Analogie zu der zwischen der Umwelt und dem menschlichen Körper. Die Gemeinsamkeit liegt nun im Verhältnis zu einem gemeinsamen Dritten, der Natur als Umwelt, die Leben ermöglicht. Können Mensch und Frosch durch dieses gemeinsame Interesse zusammenfinden und ihre Kräfte gegen die Gigantomanie der technologischen Verantwortungslosigkeit einsetzen?
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Eine Ethik, die nicht nur das zwischenmenschliche Verhalten regelt, sondern das Tier und die Natur in die Maximen des Handelns einbezieht, kann nur eine somatische Ethik sein. Eine Ethik, die auch das Störende, Zweckwidrige, Nutzlose, Hässliche und Ekelhafte in der Natur aufnimmt, zählt zu den wichtigsten Herausforderungen an das Denken der Gegenwart. Sie ist für das Überleben von Frosch und Kröte ebenso wichtig wie für die Zukunft des Menschen. Nur eine Philosophie, die das Verhältnis zum Tier neu denkt und nicht nur Affen und Haustiere, die wir leicht als schützenswert empfinden, sondern auch die dem Menschen fern stehenden Tiere wie die Lurche einschließt, könnte zum Beginn einer Fundamentalökologie führen. Die Kulturgeschichte von Frosch und Kröte ist von ihrem Ende her zu schreiben. Vom letzten Bild ausgehend, dem der Bedrohung, liest sich die Geschichte dieses Tiers anders. Lässt sich aus dem Frosch Hoffnung schöpfen und ein Anfang entwickeln?
3 Der Frosch in Theologie und Magie
3.1 D AS BÖSE TIER DER THEOLOGIE Frosch und Kröte waren im Mittelalter Tiere der Dunkelheit: »Dem ewigen liechte sint sie gram […].«1 Im metaphysischen Weltbild galten sie als Tiere der Dunkelheit, weil Licht göttlich und Dunkelheit teuflisch sei. In dieser bewerteten Opposition von Licht und Dunkel, die dem Leben vorausliegt, gehörten Frosch und Kröte in eine Welt des Anti-Göttlichen und Bösen. Sie hausten, als Erdgetier, im Dunklen und unten, wo der Teufel wohnt, gemeinsam mit Schlangen und Würmern. Ihr realer Ort unter Steinen, Blättern, in Mauerritzen und dunklen Winkeln wurde zu einem phantasierten Ort am Rand der christlichen Ordnung, zum Ort der Dämonen, zu Gräbern und Höhlen, die sie mit Leichnamen teilten. Im medizinischen Denken des Mittelalters und der frühen Neuzeit entsprangen dort das Perverse und die Geisteskrankheiten. Der Frosch galt als deformiert wie der Teufel und wurde, wie schon Hugo von St. Victor im 12. Jahrhundert schreibt, als Teufel auf Erden gesehen.2 Als der Teufel in dieser Zeit sein bis heute bekanntes Aussehen bekam, hatten Kopf und Körper menschliche Gestalt, und in Skulpturen an Kathedralen in Straßburg, Freiburg und Basel erscheint er als schöner Jüngling. Betrachtet man ihn von hinten, erkennt man den Teufel: in dem Körper leben Frösche und Gewürm.3 Diese Tiere sind keine bloße Zugabe mit indexikalischer Funktion. Sie sind vielmehr Teil der Natur des Körpers, gleichsam die Organe des Bösen.4 Das ungestalte Tier, der Frosch, war nicht wie der Teufel, sondern der Teufel selbst. Rana vel diabolus in forma eius lautete die Formel. Auch Hildegard von Bingen spricht von den bösen Tieren. In ihrem Tier- und Artzenayen-Buch (1150) schreibt sie über die umstrittene Herkunft des Basilisken. Der Basilisk war ein gefährliches Tier, dessen Blick oder Zischen zum Tode führe. Er entstehe aus einem von einer Kröte bebrüteten Ei und von »jenen Würmern,
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welche etwas von den teufflischen Künsten in sich haben, z.B. von der Kröte«.5 Groteske Froschgeschichten wurden kolportiert, etwa dass der Frosch, wie Exkremente, zu Altarschändungen und anderen Sakrilegien diente. Der Hexenhammer (1487) berichtet von einer Hexe, die die Hostie vor dem Altar heimlich aus dem Mund nahm, in einen Lumpen hüllte, »wie vom Teufel unterwiesen«, und in einen Topf mit einer Kröte steckte. Sie verbarg das Gefäß im Boden des Stalls. Dort wurde es entdeckt, und sie gestand unter der Folter, sie hätte den Leib des Herrn mit der Kröte in der Absicht in Berührung gebracht, Mensch und Tier Schaden zuzufügen.6 Mit solchem Schadenszauber untergründig verbunden waren aus der Sicht der Kirche die Praktiken hemmungsloser und perverser Sexualität, an denen der Teufel durch den Frosch mitwirkte. Schlange und Frosch waren wohl die einzigen beobachteten (und nicht nur phantasierten) Tiere des Mittelalters, die unzweideutig negativ bewertet wurden. Der Frosch hatte mit dem anderen Tier des Teufels und der Hexen, dem schwarzen Kater, engen Kontakt. Kater waren teuflisch aber nicht giftig. Allerdings leckten sie Kröten und vergifteten sich dabei, besonders wenn sie Krötenblut leckten. Trinkt der Kater so gierig vom Krötenblut, dass ihm eine Träne aus dem Auge tritt, lehrt Berthold von Regensburg, so ist dem Menschen, der mit dieser Flüssigkeit in Berührung kommt, der Tod gewiss.7 Der Frosch war furchterregend und faszinierend, weil durch ihn eine unsichtbare dunkle Tiefe sichtbar wurde. Zugeschriebene Eigenschaften, das Böse, Anale, Gräuliche, Giftige, verschränkten sich im Froschbild mit Körpereigenschaften wie Gestank und akustischen Unlauten zu einem Gesamtbild des Tiers der Finsternis, das ins menschliche Leben eingriff und das Böse in die Welt trug. Es war gefährlich, sich ein solches Tier zum Feind zu machen, denn die Kröte »sucht sich zu rächen und ruht nicht, bis ihr gegner von ihrem gift geschwollen hinsinkt«. 8 Die Verteufelung von Frosch und Kröte gehörte in den Bruch mit der vorchristlichen Vergangenheit. Für die Beziehung der Kirche zum Frosch galt, was sich für viele vorchristliche Rituale beobachten lässt: sie wurden aufgenommen, aber angepasst und mit neuen Vorzeichen umgewandelt. Was Freud, mit Bezug auf Wund, für den Kulturprozess generell behauptet: Eine vorangegangene Stufe der Zivilisierung kann überwunden werden, verschwindet aber nicht vollkommen, wenn die folgende erreicht ist, sondern bleibt in »erniedrigter Form erhalten«,9 das gilt auch für die phantastische Bildwelt, die von Heiden ererbt war und Feen, Zwerge und
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Tiere einschloss. Sie wurde erniedrigt.10 Das schloss die Zaubertiere ein, auch den Frosch. Die christliche Tiersymbolik hatte für die positive, pagane Bewertung des Froschs keinen Raum. Sie entwertete die heidnische Metamorphose und die Fruchtbarkeit und Kreatürlichkeit von Zeugung und Geburt der Frösche in animistischen Naturreligionen. Die vorchristliche Verehrung wurde in eine Abwertung übertragen, und aus dem Tier der Fruchtbarkeit machte der Glaube das verachtete amoralische Tier einer anti-göttlichen Welt. Das Prinzip war, Überlieferungen nicht abzuweisen, sondern ihre Kraft zu nutzen und ihnen andere, »mit der religiösen Orthodoxie besser übereinstimmende Erklärungen zu geben«.11 Der Frosch verwandelte sich aus einem Objekt der Verehrung über die erniedrigte Form in ein Objekt, dem der Kampf angesagt wurde, in das Böse. Eine Geschichte des Froschbilds im Mittelalter gibt es nur in dem Maß, wie sich die Vorstellungen des Bösen und die Eigenschaften des Teufels änderten. Aus dessen Geschichte und aus dem Kampf gegen das Böse, der stets auch Faszination einschloss, lässt sich das Froschbild verstehen. Die Abwehr des Heidnischen wurde nicht offen geführt, und die Frage nach der Herkunft des bösen Tiers bildete ein schwieriges Problem der Theologie. Hildegards Text ist exemplarisch. Er stellt die Frage nach Herkunft und entwickelt eine komplizierte Spekulation. Er handelt nicht von Geburt im biologischen Verständnis, sondern im theologischen Sinn vom Ursprung des Bösen. Das abstrakte Böse tritt in der Gestalt von Tieren in die Welt. Die Kröte konnte am Entstehen des gefährlichen Phantasietiers Basilisk beteiligt sein, da ihr Ursprung im Bösen lag, und so trug ihre Tat das Böse in die Welt. Die Herkunft des bösen Tiers setzte eine Metaphysik voraus, die nicht die Frage nach der geschichtlichen Herkunft aus dem heidnischen Glauben und nicht die der biologischen Geburt, sondern die Frage nach dem Ursprung stellte. Philosophie und Theologie fragten nicht nach dem Tier.12 Nicht das Tier, sondern die Idee des Tiers, letztlich der theologische Gehalt, bildete den Gegenstand des Denkens. Die Wahrheit über das Tier war in den Glauben verlegt und im Wortsinn der Kirchenschriften zu finden. Das Tier war nicht die Summe von beobachteten Eigenschaften, sondern sie folgten aus der Sprache des Glaubens. Die Eigenschaften, die das Tier Frosch hatte, gehörten in der Sprache der Scholastik zu den »Qualitates occultas«, die sich der Beobachtung entziehen. So konnte Bernhard von Clairvaux vom Blick der bösen Tiere (und Fabelwesen) sprechen und ihn mit bösen Taten, von denen die Bibel und Kirchentexte handeln, gleichsetzen. Der böse Blick tat der Welt auf unsichtbare Weise Schaden.
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Es gab Bilder vom Frosch, etwa im Physiologus und an Kathedralenwänden, und Plastiken.13 Sie verkörperten ein theologisches Dilemma, denn das böse Tier gehörte im engeren Sinn nicht in die Tierwelt der Schöpfung. Seine Definition war zwar nicht einheitlich, und seit dem 13. Jahrhundert entwickelte sich auch die Beobachtung von Tieren. Aber diese Neuerung ging nicht so weit, dass beobachteten Eigenschaften ein eigener Wert zugestanden worden wäre. Die Dominanz der theologischen Definition und die theologische Allegorese, typisch für die frühen Bestiarien, blieben erhalten. Die Vorstellung einer Geburt ohne Mutter war verbreitet. Schlangeneier, Hahneier, der Hahn selbst oder die Fäulnis organischer Substanzen wurden als Erklärung in teilweise grotesken Geschichten, die gelegentlich auch von ihren Urhebern mit einschränkenden Bemerkungen versehen wurden, als Herkunft des bösen Tiers genannt. Diese Erklärungen erweckten den Anschein, als ob sie eine biologische Frage behandelten. Aber sie verdeckten lediglich das theologische Dilemma der Ursprungsfrage. Das böse Tier war mit dem Dogma des guten Schöpfergottes nicht zu vereinbaren und eine Herausforderung der Theodizee. Wie der Ursprung des Bösen in die Zeit nach dem Paradies verlegt wurde, waren auch die Tiere des Bösen eine Folge von Adams Ungehorsam – damit war allerdings die Schlange im Paradies nicht zu erklären. Eine andere Erklärung meinte, es sei Gottes Wille, dass Tiere oder der Teufel in der Form eines Tiers Angst und Schrecken als Strafe in das menschliche Leben trügen. Das war schwer zu akzeptieren und die Frage, wie der gute Gott Angst und Schrecken in der Welt zulassen könne, führte in die Ausgangsfrage zurück. Eine weitere Erklärung versuchte die Entlastung Gottes durch den Gedanken der Autogenese: das erste böse Tier, der erste Wolf, habe sich selbst erschaffen. 14 Das war reine Ketzerei, da der Gedanke an der Macht Gottes über die Schöpfung zweifelte. Dies Problem der Theodizee war nicht zu lösen, und so wurde am bösen Tier dogmatisch festgehalten. Die Ursprungsfrage führte auch zu Erklärungsversuchen, die sich aus der Metaphysik zu lösen und das Böse durch Mythen über die Bösen – Dämonen und Teufel –, die das böse Tier geschaffen hätten, zu erklären suchten. Aber wie kamen sie in die Welt und woher bezogen sie ihre Macht, das Anti-Göttliche zu schaffen? Naturalistische Erklärungsversuche, die die Herkunft des bösen Tiers aus der Physis zu erklären suchten, blieben in einem naiven Naturalismus verfangen, der einen willkürlichen Anfang setzte. Thomas von Aquin prägte die Formulierung einer naturgegebenen Sklaverei, die auf die komplizierte Frage nach dem bösen Tier in der Natur angewandt werden konnte. Das Muster dieser Erklärung unterschied sich nicht von der
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3.A P HYSIOLOGUS Es gibt einen Landfrosch und einen Wasserfrosch. Der Physiologus sagt vom Landfrosch, dass er Hitze und Brand der Sonne übersteht, wenn ihn aber ein heftiger Regen überfällt, muss er sterben. Der Wasserfrosch dagegen, wenn er aus dem Wasser herauskommt und die Sonne ihn berührt, taucht sofort wieder ins Wasser ein. Deutung: Es gleichen nun die rechten Gemeindeglieder dem Landfrosch, denn sie halten die Glut der Versuchung aus. Wenn ein heftiger Regenguss sie erfasst, das ist eine Verfolgung um der Gerechtigkeit willen, gehen sie zugrunde. Die Weltmenschen sind die Wasserfrösche. Wenn auch nur eine geringe Hitze der Versuchung und Begierde sie berührt, tauchen sie wieder in Ausschweifung und Unzucht ein. Der Heilige Basileus sagt: Solcherart sind viele Weltleute und Mönche. Wenn eine Versuchung sie ergreift, können sie nicht standhalten. Wenn sie aber Mönche sind, werden sie von bösen Gedanken verwirrt und sprechen: In diesem Kloster haben wir keine Besinnlichkeit; unser Abt kümmert sich nicht um uns; die Brüder verachten uns; die Regel in diesem Kloster ist zu streng; ach, wir wollen in ein anderes Kloster gehen, damit wir anderen befehlen können und nicht andere uns. Gehen sie aber aus dem Kloster hinaus, so ergreift sie der Satan und gibt ihnen böse Gedanken ein. Viele, die den Versuchungen aber standhalten, werden einen größeren Lohn empfangen als der selige Hiob. Die kleinmütigen, die nicht ausharren, gehen zugrunde wie Frösche. Physiologus, hg. und übersetzt von Ursula Treu, Berlin (Union Verlag) 1981.
Argumentation der Moderne: eine moralische Frage soll durch den Bezug auf Natur beantwortet werden.15 Aber damit konnte weder das Entstehen der bösen Tiere erklärt noch ihre Faszination besiegt werden. Der böse Frosch war nicht einzuordnen, fügte sich in keine Teleologie. Er war eine Störung. In der philosophischen Tradition von Plato bis Leibniz und weiter ins 18. Jahrhundert hatte das Böse keinen eigenen Status, es galt als bloße Negation und Abwesenheit des Guten. Für das christliche Weltbild war seit Augustinus das Böse ein Fall, der Abfall von der guten Schöpfung, und blieb dem Guten stets nachgeordnet. Das Böse ereignete sich nach dieser Auffassung ohne Vorsatz und war ein zu korrigierender Mangel, eine Schwäche, eine Privation, wie die Philosophie sagte.16 Bis ins Weltbild der
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frühen Aufklärung wirkte die theologische Lehre der guten Schöpfung, in der das Böse keinen Raum hatte und funktionalisiert oder als ein Umweg auf dem Weg zur guten Gesellschaft relativiert wurde. Es wurde, wie Goethe formuliert, zum »Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft«, und damit in Teleologie eingeordnet. Aus dem Guten allein kann aber keine bewegte und bewertete Welt entstehen. Sie braucht einen Gegensatz. Es kann nur das Böse sein, das aus der bloßen Faktizität der Welt hinaus führt und eine bewegte und bewertete Wirklichkeit überhaupt erst möglich macht. Die Frage nach dem Ursprung des Bösen ist daher identisch mit der Frage nach der Konstitution des Systems Welt. Sie ist entweder ein Prozess, in dem das Böse nicht nur als Negation des Guten existiert, sondern von Anfang an in die Schöpfung gehört und sie in Bewegung versetzt, oder aber sie müsste im Stillstand verharren, also die Zeitlosigkeit des Gartens Eden bewahren. Die Existenz des Bösen von Anfang an war mit der dominanten Lehre von der guten Welt seit Augustinus aber nicht zu vereinbaren. In dieses Dilemma, ein Grundproblem mittelalterlicher Theologie, waren die bösen Tiere einbezogen. Die Frage, wie die Schlange und andere böse Tiere, der Wolf, der Frosch, Ungeziefer und Gewürm, in die gute Schöpfung kommen konnten, war von der Ursprungsfrage des Bösen nicht zu lösen. Das Böse wurde aus der Abwesenheit des Guten erklärt. Aber damit war die bewegte Welt nicht zu verstehen. Die Existenz des Froschs und aller bösen Tiere stellte ein ebensolches Problem wie das Böse selbst. Aus welcher Abwesenheit wären die bösen Tier zu erklären? Wenn die bewegte und bewertete Welt das Böse braucht, ist auch das böse Tier notwendig? Das führt zur Ursprungsfrage zurück: Wie sich keine Erklärung für das Böse in der Welt finden ließ, so war auch die Herkunft des bösen Tiers nicht zu erklären. Erklärt die Theologie das Böse als Negation – wo wäre das Positiv des Negativs Frosch zu suchen? Der Teufel ist der gefallene Engel. Der Frosch unterschied sich vom Teufel dadurch, dass er nie ein Mitglied des himmlischen Hofstaats war und er glich dem gefallenen Engel nicht. Aber musste das Böse im Frosch nicht auch ein Fall sein? Welches Lebewesen geht dem bösen Frosch voraus, als dessen Verkehrung er auftritt? Eine Antwort lautet: der Mensch. Der Frosch war das Bild des gefallenen und vom Bösen beherrschten Menschen. So entlastete der Frosch das Bild vom Menschen, indem er das Böse externalisierte. Die Theologie konnte die Herkunft des Froschs nicht klären, und sie erniedrigte ihn. Aber er übernahm eine wichtige Aufgabe für den Glau-
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ben, der Schlange vergleichbar. Das Böse ist abstrakt und der Teufel lässt sich nur imaginieren und auf Bildern sehen. Für die Theologie war es hilfreich, das Böse in der Erfahrungswelt sichtbar machen zu können, und das geschah durch den Frosch. Er gab der abstrakten Idee des Bösen einen Körper. Der Mensch begegnete dem Frosch in seiner Alltagswelt und gelegentlich unter besonderen Bedingungen, und diese Begegnungen konnten zum konkreten Erlebnis der abstrakten theologischen Konstruktion des Bösen stilisiert werden. Gefährliche Tiere wie Löwe oder Wolf sind als Repräsentationen des Teufels leicht einsichtig.17 Aber wie kann der Frosch den Teufel vertreten? Es ist nicht leicht zu verstehen, dass das harmlose kleine Tier die Idee des Bösen verkörpern und die reale Erscheinung des Teufels auf Erden sein konnte. Auf subtilere Weise als durch physisch starke Tiere wurde die Repräsentation des Bösen dem Frosch übertragen. Er konnte nicht durch körperliche Kraft schrecken, aber sein kraftloser Körper wurde mit negativer Bedeutung aufgeladen. Er war eine Ansammlung innerer und äußerer Eigenschaften des Teufels, zusammengestellt unter dem Namen eines Tiers, das nicht nur vorgestellt, sondern gesehen und gehört werden konnte. Sein Körper wurde zum Emblem der Übereinstimmung von böser Seele und sichtbarer Erscheinung stilisiert. Um dieses Tier entstand ein Feld der imaginierten Macht, die sich bis ins Groteske steigerte. Der Blick einer Kröte sei so mächtig, referierte Albertus Magnus, dass er Diamanten zersprengen könne. Physischen Eigenschaften des Tiers wurden moralische Bewertungen zugeschrieben, und ein furchterregendes Gesamtbild entstand, das der Physiologus, die Bestiarien und Skulpturen an Kathedralen anschaulich machten. Die in den Bildern zugeschriebenen Eigenschaften waren nicht willkürlich, sondern aus dem Wortsinn abgeleitet und wurden folgerecht am Tier wahrgenommen. Diese Pseudo-Zoologie der Bilder lieferte wiederum visuelle Stützen für das theologische Bild vom Frosch. In der theologischen Imagination übernahmen der phantasmagorische Basilisk und der Frosch die Aufgabe, das absolut Böse zu verkörpern. Das mittelalterliche Froschbild kennt die Mischung nicht, sondern zielt auf Eindeutigkeit und macht das böse Tier in der Weise wahr wie es auch der Teufel war. Die durch das Wort autorisierte Bedrohlichkeit sorgte für ein unzweideutiges Gesamtbild vom Frosch. Das Tier erlaubte, den Übergang vom absolut Bösen zum gelebten Bösen, also einzelnen Taten, die stets relativ sind, zu vermeiden. Es konnte böse und nichts als böse sein. Wenn im dualistischen Weltbild des Mittelalters das Hässliche und das
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Böse gelegentlich auch ambivalent gesehen wurden,18 galt diese Ambivalenz für das böse Tier nicht. Sie entstand erst im späten Mittelalter. In der Gegenüberstellung eines gemischten menschlichen und eines unzweideutigen tierischen Charakters zeigte sich die Konstruktion des absolut Bösen. Ein mittelalterlicher Text illustriert das Rätsel einer schönen Frau mit einer bösen Seele durch eine Blume, »die uf einer groszen kroten stat«.19 Die Gegensätze, die sich im Menschen vermischen, werden durch Blume und Kröte als unvereinbare Oppositionen in der äußeren Welt sichtbar gemacht. Am Jüngsten Tag dient das böse Tier der absoluten Strafe. In der Vision Vom jüngsten Tage müssen die »unreinen herzen« mit den teuflischen Scharen ziehen und als äußerste Strafe bittere Galle trinken, »der helle stank« atmen, unter »Würmern« schlafen und Schlangen und Kröten »vrezzen«.20 Die Frage nach dem absolut Bösen hat über die Jahrhunderte ihre Brisanz nicht verloren – im Unterschied zu der nach dem absolut Guten. Trotz tiefgreifender Unterschiede rührt sich das Problem, vor dem sich die mittelalterliche Theologie sah, in der Gegenwart aufs Neue: Gibt es das absolut Böse und kann es mit Sprache dargestellt werden? Nach einer langen Abwesenheit der Frage stellt die Gegenwart sich erneut die Aufgabe, eine Antwort auf die Frage nach dem Bösen zu finden, und das Verhältnis zum Tier, zeigen Werke von Konrad Lorenz und neuere fiktionale Literatur, ist davon elementar betroffen. Im Zeitalter der organisierten Massenvernichtung des 20. Jahrhunderts kehrte sich das Verhältnis jedoch um und es stellte sich die Aufgabe, das absolut Böse als Teil der menschlichen Konstitution zu denken und das Bild des Tiers vom Bösen zu befreien.
Der böse Frosch als Instrument der Kirche Die Tiere, mit denen Ketzer im Bunde standen und Perversionen praktizierten, waren Kater und Frösche. Das mittelalterliche Weltbild trennte Mensch und Tier, aber die bösen Tiere gehörten zur Gestalt einer Einheit aus Mensch und Tier. Der Frosch wurde als Symboltier, in Umkehrung der guten Tiere als den Begleitern der Evangelisten, zum Teil des Menschen. Darüber hinaus zirkulierte der böse Frosch, der wie ein Fetisch ein unseliges Sklaventum forderte, nicht nur im theologischen Diskurs, sondern ihm wurde reale Macht zugesprochen. Ketzer waren die »Agenten des Teufels« auf der Erde,21 und Frosch sowie schwarzer Kater dienten ihnen als Repräsentanten der Höllenmacht. Der Kampf gegen den Froschkult operierte mit einer Dialektik von
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Zugehörigkeit und Abstoßung und war ein Mittel zur Stärkung der Institution Kirche. Das Verbotene, das, was für menschliches Verhalten absolut ausgeschlossen war, wurde in der Abwehr zum Faszinierenden, das Angst auslöst. Das Heilige und das Perverse stehen sich nahe oder sind, wie Freud spekulierte, in ihrer Substanz geradezu identisch.22 Phantasierte Froschzeremonien waren Blasphemie und wiederholten zugleich das Ritual des Heiligen, aber in der Verkehrung. Die Phantasie der Kleriker produzierte ein Ritual, das formal dem der Kirche entsprach und dessen Inhalte, den Verzehr von Christi Fleisch und Blut in der Hostie und dem Wein, in der Umkehrung wiederholte. Die binäre Trennung von heilig und verworfen war der zugrundeliegende Code, und der Kampf gegen das Verworfene im phantasierten Ritual der Ketzer stärkte die Einheit der wahren Gläubigen aus Furcht vor dem Perversen. Die ketzerischen Kulte bestanden, dekretierte die Inquisition, aus gotteslästerlichen Ritualen, »Mysterien« genannt, in denen perverse Sexualhandlungen herrschten. Einer totemistischen Gesellschaft vergleichbar, schrieb die Kirche den Ketzern den Frosch als Totem zu und umgab ihn mit Geschichten über die Verletzung von Verboten des geschlechtlichen Verkehrs zwischen den Angehörigen desselben Totemclans, hier von Orgien der Sektenmitglieder, und von Unzucht mit dem Tier selbst. Die doppelte Anschuldigung, einer heidnischen Praxis zu huldigen und zugleich die Regeln der Geschlechterbeziehungen, die das Totem definiert, zu verletzen, rechtfertigte Verfolgung. Der Sexualverkehr mit Tieren war im katholischen Europa das schlimmste Vergehen und wurde mit der Todesstrafe geahndet. Die Ketzerrituale unter der Mitwirkung böser Tiere dürfen nicht mit dem Satanskult verwechselt werden, der den Hexen unterstellt wurde. Der Kult des bösen Tiers war gefährlicher. Ein Brief Papst Gregor IX. an deutsche Bischöfe mit dem Titel »Vox in Rama« von 1233 referierte Berichte über Initiationsriten der Ketzer und trug dazu bei, das »luziferische Ketzerbild« zu verfestigen und auszumalen.23 Eine Mischung aus institutioneller Macht und theologischem Reinheitsideal lässt sich als Quelle der aktiven Verfolgung der Ketzer als Tierverehrer erkennen. Der Papstbrief verurteilt die Beziehung zum Tier mit theologischen Argumenten über die unreinen Ketzer, und er spricht explizit von der Kreuznahme in Analogie zum Krieg gegen die Heiden in den Kreuzzügen. Der Froschkult nimmt eine zentrale Stellung in der Vorstellung des Ketzerkults ein, und der deskriptive Teil des päpstlichen Schreibens enthält einen Passus, der den Initiationsritus beschreibt: Wenn ein Neuling aufgenommen wird, erscheine stets »eine bestimmte Art Frosch, den einige
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›Kröte‹ zu nennen pflegen. Dieser wird auf verdammte Weise geküsst, von den einen auf das Hinterteil, von anderen aufs Maul, wobei sie die Zunge und den Speichel des Untiers (lingua et saliva bestiae) in ihren Mund aufnehmen […].«24 Der Frosch erscheine in ungeahnter Größe, etwa wie eine Gans oder gar ein Backherd, so dass er zum glaubwürdigen Sexualpartner wird. Der lasterhafte Kuss bedeutet das anarchisch Zügellose im erotischen Akt. Die verbotene Speise, das Menschenfleisch, darf am Altar und nur am Altar verzehrt werden. Die Einschränkung dieser Genehmigung gewinnt zusätzliches Gewicht, wenn sie mit der Gesetzesübertretung der Ketzer konfrontiert wird. Dieser Evidenz für das Perverse in den Ritualen der Ketzer stehen Anspielungen auf die Heilige Schrift gegenüber. In der Idolatrie des Mittelalters war die Verehrung von Tieren identisch mit der von Dämonen, und dieser Frosch war ein böser Dämon. Eine Bulle Johannes XXII., Super illius specula, macht deutlich, worum es geht: die vom Glauben Abgefallenen verehrten Dämonen und nähmen damit »ein unseliges Sklaventum auf sich«.25 Durch den Frosch herrscht ein Fetisch. Hier wirkt die Abwehr des Dämons vorchristlicher Kulte. Die Rückkehr des Naturverhältnisses dieser Kulte würde die Kirche bedrohen. Mit einem modernen Begriff lässt sich in der Verurteilung der Berührung des Tiers ein Verbot der Empathie sehen. Für die Neurobiologie der Spiegelneurone kann dies Kapitel aus der Kulturgeschichte des Froschs ein überzeugendes Beispiel liefern. In den Ketzerphantasien der Theologen wirkt eine doppelte Empathie: Die des Ketzers mit dem Frosch, die aus der Berührung folgt und sprachlos abläuft, und die zeitlich nachfolgende der Kirchenvertreter, die sich in die Ketzer versetzen und eine negative Empathie entwickeln. Die Meister der bösen Tiere sind aus dieser Sicht in Wahrheit nichts als deren Spiegelungen in einem von ihnen nicht kontrollierten Wechselverhältnis. Indem sie sich in den Frosch versetzen und, umgekehrt, den Frosch zum handelnden Akteur machen, setzten sie den Frosch zum Herrscher über die Zukunft ein. Empathie ist in die Temporalstruktur von Handeln verwickelt und schließt Intentionalität ein.26 Die Tierkontakte in den Mysterien schaffen nicht nur Empathie mit dem Frosch, sondern übersteigen das Verhältnis des Einzelnen zum Tier und schaffen eine verschworene anti-kirchliche Gemeinschaft, die sich auf die Zukunft richtet und die Institution Kirche gefährdet. Das Ritual macht aus dem verworfenen Frosch des animistischen Kults das Tier einer Gefährdung von Zukunft. Die im päpstlichen Verdikt unausgesprochene Verwandlung des Heiligen ins Unheilige, des Weins nicht in Christi Blut, sondern in Froschspeichel, spricht von einer Kirche, die sich gefährdet fühlt. In den heftigen
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Reaktionen kann man eine an Psychose grenzende Furcht vor einer Bedrohung der Kirche durch eine Wiederkehr des Tierkults sehen. In der Ketzerverfolgung wirkte die Furcht, dass die Erinnerung ans vorzivilisierte Anarchische nicht verloren war und das Tier weiterhin Empathie erzeugte. Das Böse im Frosch trat als Sexualität in Erscheinung und die wurde als Sünde verurteilt. Die Kirche, um Herrschaft bemüht, setzte ihre Macht durch Ausschluss ein. Im Frosch fand der Kampf gegen eine phantasierte Gegenreligion einen konkreten Gegner. In dieser Sicht kam die spätantike Vorstellung des Maleficus zurück, der die Welt verderben und in den Untergang stürzen will. Der Frosch war ein wiedergekehrter Maleficus, der seine Macht nun gegen die katholische Kirche richtete.
Kirche und Ketzer: Per version, Häretiker, Hexen Es gab keine homogene Einschätzung von Hexen und Zauber, und nicht alle Geschichten über die Ketzer und ihre Tiere waren vom unerbittlichen Ernst der Inquisition ausgelöst. So blieb England eher auf Distanz, und am englischen Hof wurden Geschichten über die Katharer in Frankreich kolportiert, die offensichtlich eher in die frivole Gerüchteküche von Höflingen gehörten. Die Ketzer beteten danach schwarze Kater an, die in der Nacht an einem Seil von oben in einen dunklen Raum schwebten, wobei sie sie unter den Schwanz oder auf die Geschlechtsteile küssten.27 Dieser Bericht Walter Maps, Richter unter dem englischen König Heinrich II., ist wohl der erste Bericht eines Ketzersabbats. Man kann in ihm die skeptische Distanz des fernen England erkennen, wo der Glaube an Ketzer und ihre Tierrituale offensichtlich nicht recht ernst genommen wurde. Das Vergnügen an Geschichten des Unreinen ist keine Erfindung der Neuzeit. Geschichten über Zaubertiere und Monster dienten auch der Unterhaltung, wie die bizarren Details früher Reiseberichte aus fernen Ländern, etwa Marco Polos Berichte über phantastische Lebewesen des Ostens, demonstrieren. Auch die abstrusen Geschichten über den Frosch dürfen nicht ohne diesen Vorbehalt gelesen werden. Auf dem Kontinent nahm die Kirche die Geschichten über die Katharer und ihre Tiere allerdings sehr ernst. An der Existenz von bösen Tieren war nicht zu rütteln. Sie konnten nicht erklärt und nicht aus der Welt geschafft werden, aber man musste sich von ihnen fern halten. Der Verkehr mit ihnen war Sünde und das im Kontakt mit dem Tier sich manifestierende Fortleben des Animistischen eine Art »anthropologische Erbsünde«. Der primitive und grausame Hexenhammer wollte die Hexenverfolgung
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durch Bezug auf die Autorität der Kirchenväter rechtfertigen und durch Regeln systematisieren. Es erstaunt nicht, dass er auf Frosch und Kröte nicht verzichtet, obwohl ihre Bedeutung für das Böse in der Welt im Vergleich zu der Dimension, von der dieses Hexenbuch handelt, das Tausende von Frauen das Leben kostete, disproportional klein ist. Der Frosch musste unter Kontrolle gehalten werden, um die christliche Ordnung zu bewahren. Der Hexenhammer spricht, der Tradition folgend, von unvollkommenen Lebewesen, die durch die Realisierung von Phantasien und durch die Umwandlung von vorgefundenen Organen entständen. Sie waren nicht Teil der Schöpfung, sondern waren, wenn auch nur mit der Zustimmung Gottes, von Dämonen gemacht. Dämonen hatten die Kraft, Lebewesen zu schaffen, indem sie beispielsweise Samen in Sumpf und Wasser sammelten und sie mit der Hilfe von Zaubermitteln in Tiere verwandelten.28 Das gelang aber nur mit der Einschränkung, dass diese Tiere unvollkommen waren, zumal wenn sie aus Fäulnis gemacht waren wie Frösche.29 Sie erforderten den Kampf wie andere Tiere des Bösen. Gegen Drachen und Lindwürmer konnten Ritter und Helden kämpfen, nicht aber gegen Frösche. Sie machten, wie der Hexenhammer argumentierte, eine andere Ebene der Auseinandersetzung nötig: die Verfolgung ihrer Partner, der Hexen.
Tierprozesse – E xorzismus Auch seine Abwesenheit ist für das theologische Verständnis vom Frosch signifikant, und sie macht im mittelalterlichen Strafsystem auf das Besondere, auf das nicht einzuordnende Anarchische am Frosch aufmerksam. Tiere konnten sich wie Menschen schuldig machen und nach den Regeln der Prozesse gegen Menschen angeklagt und verurteilt werden.30 Tiere wurden vor Gericht gestellt, verurteilt und exekutiert. Tierprozesse wurden gegen Haustiere angestrengt, die einzelnen Menschen größeren Schaden zugefügt, oft schwere Verletzungen oder den Tod verursacht hatten. Ein Schwein hatte ein Baby angefressen, ein Pferd einen Reiter abgeworfen oder getreten. Ein Prozess mit Anklage, Verteidigung und einem Richter konnte einberufen, Zeugen geladen, ein Schuldspruch ausgesprochen, eine Strafe verhängt und ausgeführt werden. Pferde oder Schweine ließen sich als juristische Subjekte definieren, vorladen, auf Schinderkarren durch die Straßen fahren und an einem Galgen erhängen. Über das Böse von Fröschen und Kröten gab es keinen Zweifel. Aber ihnen wurde nicht wie anderen Tieren der Prozess gemacht. Sie waren kein vom Dämon besessenes Tier, vielmehr war der Frosch selbst das Böse.
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Tierprozesse waren nicht der Ausdruck eines naiv-unreflektierten Volksglaubens. Sie wurden vielmehr von Juristen und Theologen durchgeführt und theoretisch begründet. Sie gehören in die hohe Geschichte der Jurisprudenz und des kanonischen Rechts. Frosch und Kröte gehörten aber in die niedere Geschichte des Volksglaubens und eigneten sich nicht als Rechtssubjekt. Welche Tiere aus den Prozessen aus- und welche eingeschlossen waren, ist schwer zu überblicken. Die wassergeborenen Tiere, creatura aquae, gehörten nicht zu den Tieren, denen der Prozess gemacht wurde, aber zu ihnen zählten die Frösche, Erdgetier des Dunklen, nicht. Die Gerichte kamen lediglich indirekt an die Frösche heran, indem sie sich an die Ketzer und Hexen hielten, die sich der Frösche zu ihren bösen Zwecken bedienten oder von ihnen benutzt wurden. Gerichtsprozesse mit der Beteiligung von Tieren und Urteilssprüche, die ausnahmslos Schuldsprüche waren, konnten eine beruhigende und integrative Wirkung haben, da sie die gestörte Ordnung symbolisch wieder aufrichteten. In unübersichtlichen Fällen wurde mit dem Tier ein Schuldiger gefunden und bestraft. Die verurteilten Tiere waren als einzelne durch ihre bösen Absichten den Menschen schädlich geworden und konnten verurteilt werden. Ein solches Ende war für Frösche und Kröten nicht denkbar. Sie ließen sich nicht ins System einordnen. Ihre Macht lag auf einer Ebene, die nicht mit der juristischen Definition der individuellen Absicht zu fassen war. Angesichts der theologisch-juristisch geordneten gesellschaftlichen Beziehungen wirkte der Frosch wie ein Anarch. Auch in dieser Ordnung erwies sich, nicht anders als später in der Ethik und Ästhetik, der Frosch als nicht zu integrierende Störung. Er war in keiner juristischen Kategorie zu fassen. Er gehörte in das Durcheinander des Hexensuds und in die Anarchie der Hexen. Der Frosch war das unbeherrschbare, frei flottierende Zeichen des Lasterhaften, dem die Kirche und später die Wissenschaft den Kampf ansagten. Er wurde seit dem 13. Jahrhundert einer weniger formellen Prozedur als dem Prozess unterworfen: verflucht und exorziert. Es gibt wenig Zeugnisse. Zu ihnen gehören primitive Bilder, auf denen Frösche aus den Mündern der exorzierten Besessenen fliegen. Zu den seltenen dokumentierten Fällen gehört die Geschichte von einer Kröte als furchterregendem Monster, die aus dem Leib einer Hexe der Steiermark ausgetrieben wurde. Von ihr wurde im Jahre 1580 berichtet, dass der Henker eine »wider die natur grosse Krotthen wahrgenommen, die fast aufgerichtet dem Wasser zugeeilt« sei.31 Weniger dramatisch ist die Geschichte der lärmenden Frösche vom Rechenberg, die nach einem Exorzismus verstummten (s. S. 111). Sie
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waren, und das wurde Fröschen häufig zur Last gelegt, Störenfriede des christlichen Lebens. Störungen sind sie bis in die Gegenwart geblieben, aber nun nicht der göttlichen Schöpfung, sondern der vom Menschen geplanten schönen Welt der Wissenschaft und Technik. Gewiss lassen sich Texte aus dem Kampf gegen die Ketzer auf einer anderen Ebene lesen: Die Anschuldigungen einer kleinen Gruppe studierter Experten entstammten der Phantasie und erfüllten ein psychisches Bedürfnis. Der Frosch ermöglichte es, das Böse im Menschen auf ein Lebewesen zu projizieren. Er übernahm das Negative, das der Mensch im Bild von sich nicht sehen wollte. Auch bot der heilige Kampf gegen das böse Tier ein weites Feld, auf dem sich verbotene Sexualphantasien in der Negation aussprechen ließen. Wenn theologische Schriften von Ritualen sprechen, in denen mit Tieren Unzucht getrieben wird, so entwickeln sie einen Code, der es erlaubt, von verbotener Triebhaftigkeit und Lustphantasien zu sprechen. Aber aus Sicht der Psychologie lässt sich die Bedeutung des bösen Froschs jedoch nicht verstehen. Er war das Tier einer Metaphysik des Bösen.
Der hässliche Tod als Strafe für ein sündiges Leben Im späten Mittelalter entstand ein anderes theologisches Bild vom Frosch. Er wurde zum Symbol von Vanitas und Verfall. Er erscheint in der Grabmalplastik,32 im Totentanz (Lübeck, St. Marien) und auf Gemälden des 15. Jahrhunderts, einer Epoche, die von Tod und Verfall erschreckt und fasziniert war, wie Huizinga gezeigt hat. Den Zusammenhang von sündigem Leben und hässlichem Tod stellt ein Gemälde des 15. Jahrhunderts mit dem Titel Verstorbenes Liebespaar exemplarisch dar. Es zeigt den Alterstod als abstoßende Hässlichkeit: ein Mann und eine Frau, das Liebespaar, werden mit drastischen Mitteln als tot dargestellt.33 Es erfordert Überwindung, die ausgemergelten, gelben Körper, in blasse Leichentücher gehüllt, von Insekten und Schlangen angenagt und leidensverzerrt, zu betrachten. Wir sehen die Folge des sündigen Lebens in einem Bild, das in Konrad von Würzburgs Dichtung Der Welt Lohn (um 1260) einen frühen Vorläufer hatte. Auch er stellte den Topos von der Falschheit (die schöne Frau) der Welt und das memento mori durch einen Körper vor, der »mit würmern und slangen, mit kroten und mit natern« verunstaltet war.34 Das spätere Liebespaar zeigt Alter, körperlichen Verfall und Tod als den Charakter der Welt. Eine Aufgabe der Kunst war es, diese wahre Wirklichkeit, die sich unter der Oberfläche des Lebens verbirgt, sichtbar zu machen.
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Abbildung 6: Les Amants trépassés, Holztafel. Anonym, Schwaben oder Oberrhein; früher Mathias Grünewald zugeschrieben, ca. 1470, Musée de l‘Oeuvre Notre Dame
Wir sehen ein Gegenbild zu Brautbildern der Zeit,35 überlagert von dem im Mittealter beliebten Motiv des Paares Adam und Eva bei der Vertreibung aus dem Paradies. Aber das Paradies ist abwesend, kein Baum, keine Andeutung von Natur. Natur ist hier Körper, und der ist nichts als Verfall
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und Hässlichkeit. Mittelalterliche Bilder vom Sündenfall machen oft eine Konversation zwischen Eva und der Schlange sichtbar, und es gibt eine Schlange mit menschlichem Kopf und Mund zum Sprechen. In diesem Bild sind Schlangenköpfe in den durchlöcherten Körpern verborgen und, so vermutet der Betrachter, mit Fressen beschäftigt.36 War die Vertreibung aus dem Paradies Strafe und ein Ende, so war sie doch ebenso ein Anfang. Erst durch den Sündenfall wird der Mensch, schreibt Kant, zu einem Wesen mit sittlicher Selbstbestimmung.37 Mit dem Fall konnte die menschliche Geschichte beginnen; zuvor glich das Leben der Menschen, wie Hegel bemerkt, dem des Viehs. Das Ende des Paradieses steht am Anfang der biblischen Geschichten und der Geschichte der Menschheit. Von dieser doppelten Bedeutung der Vertreibung aus dem Paradies ist in diesem Bild keine Spur zu finden. Wir sehen nichts als Verfall und Ende: Adam und Eva, einmal der Beginn des Menschen, sind elende Körper auf der Grenze zur Verwesung. Das ist die Bildversion der hoffnungslosen Antwort auf die Frage: Was ist der Mensch? »Ein Sack voll Kot.« – Wie es knapp zwei Jahrhunderte später im dunklen Barockgedicht heißt. Und den Frosch, der seit der griechischen Antike mit Schlamm und Kot verbunden wurde, sehen wir doppelt: im deformierten menschlichen Körper und als Tier nahe dem Bildmittelpunkt, an der Scham der Frau, die Umkehrung des archaischen Fruchtbarkeitssymbols. Die Schlange ist hier nicht das Tier aus dem Garten Eden, das zur Lust verführt, sondern die Erbin des Sündenfalls, die paradiesische Lust in Ekel verkehrt. Die Sexualität kommt durch einen Frosch ins Bild. Der Hässlichkeit des Frauenkörpers entspricht die Hässlichkeit des Froschs. Er hängt am ausgemergelten Körper der Frau, sein Maul auf der Höhe der Scham. Das Sexuelle erscheint als abstoßende Perversität. Die moralische Verurteilung wird in das ästhetische Urteil übersetzt und im Bild sichtbar gemacht. Die verletzte Reinheit führt zu Scham, in der Körperhaltung des Paars ausgedrückt, und Abscheu vor dem eigenen Leib, die sich in der intimen Beziehung zum verworfenen Frosch zeigt, von dem man nicht weiß, wie er sich am Oberschenkel der stehenden Frau halten kann. Aber es geht in diesem Bild nicht um Realismus, sondern um eine theologische Wahrheit. Der Frosch braucht sich nicht festzuhalten, denn er ist an seinem Ort. Das Körperliche macht die theologische Aussage sichtbar. Das Körperliche widerspricht in dieser Darstellung allen künstlerischen Konventionen, seitdem die Antike den schönen Körper und das christliche Mittelalter den Körper als Zeichen der Transzendenz entworfen hatten. Der entstellte Körper war der Kunst nicht unbekannt, etwa
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der geschundene Marsyas, die Laokoonfamilie im Todeskampf mit der Schlange oder der gegeißelte Leib Christi. Aber während diese Bilder Schrecken, Gewalt und grausamen Todeskampf sichtbar machen und statt Schönheit zu zeigen, das Erhabene spüren lassen, ist dieses Bild ein frühes Zeugnis von Ekel. Was auf Bildern des Mittelalters nicht gezeigt wurde und seit dem 17. Jahrhundert dem Tabu der normativen Ästhetik verfiel: schlaffe und verfärbte Haut, Falten, große und verzerrte Münder, schiefe und haltlose Körper, schlaffe Brüste, wird auf diesem Gemälde zu einem aufdringlichen Bild des menschlichen Körpers zusammengestellt. Die Eigenschaften des hässlichen Froschs wiederholen sich am menschlichen Körper und erregen Ekel wie der Frosch selbst. Das Ekelerregende gehört nicht ins Theologische. Das Gemälde zeigt eine Psychologisierung des theologisch definierten Bösen, und der Frosch ist ihr Medium.
Fortsetzungen: Lug und Trug mit dem Frosch; der Jude als Frosch Die Identifikation der Lüge, des Bösen, des Betrugs mit dem Hässlichen hat eine lange und tief verankerte Geschichte und gehört bis heute in die Populärkultur. Sie war für das Bild von Frosch und Kröte fundierend, ohne theoretisch reflektiert zu sein. Der Frosch als Tier von Trug und Lüge hat seit dem Mittelalter eine lange ikonische Tradition. Bei dem englischen Alchemisten John Dastin (1288-1334) findet sich ein Bild mit dem Titel De erroribus. Es zeigt einen Alchemisten in der Position Gottes über einer Retorte und darunter ein nacktes Paar. Es wird von zwei vertikal gestellten Drachen gesäumt. Zu den Füßen hockt ein Frosch, der Mann und Frau durch die Berührung ihrer Füße verbindet.38 Das Bild zeigt das Falsche der Verbindung durch die Umkehr des christlichen Hochzeitsrituals mit dem Frosch im mentalen Zentrum der Zeremonie, der am Boden hockt und nicht die Hände, sondern die Füße zusammenführt. Die Verbindung mit dem Falschen erhält sich über die kommenden Jahrhunderte.39 Holländische Gemälde zeigen den Frosch als Tier der Lügen und Täuschungen. Ein Gemälde mit dem Titel Der Taschenspieler (1475) zeigt einen Frosch auf dem Tisch des Gauners und einen im Mund des bestohlenen Zuschauers.40 Das Hässliche und Bedrohliche visualisieren Frösche und froschähnliche Fabelwesen im Übergang zu Ungeheuern auf Hieronymus Boschs Gemälden zu biblischen Szenen und dem Jüngsten Gericht – nicht ohne das visuelle Vergnügen an grotesken Körperformen. Die Frösche und froschähnlichen Phantasietiere auf seinen Gemälden,
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etwa eine Prozession von Fröschen, die im Triptychon vom Weltgericht den Teufelsthron einrahmen, stören die Weltordnung.41 Unter den Tieren der Apokalypse ist der Frosch ohne Bedeutung, und er ist das Gegenteil ihrer Riesentiere. Aber die Mentalitätsgeschichte gibt doch Hieronymus Boschs Gemälde recht, wenn es die apokalyptische Landschaft mit Fröschen und froschähnlichen Phantasiewesen bevölkert. Im christlichen Bildgedächtnis hat sich dieser Zusammenhang durchgesetzt.
Abbildung 7: Hieronymus Bosch, Monstren mit Froschgliedern. Federzeichnung, 15,6 x 17,6 cm; Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
Unbeschadet der Verhältnislosigkeit von Mensch und winzigem Tier hatte das Tier eine disproportionale Bedeutung. Das Bedrohliche von Frosch und Kröte zeigt sich nicht in der Größe, sondern in der Position des Tiers im Bild. In holländischen realistischen Tier-Genrebildern des 17. Jahrhunderts taucht der Frosch nicht als ein bloßes Dekor auf. Paul Potters Tierbilder sind exemplarisch. Sie zeigen große heimische Tiere wie Ochsen, Pferde, Schafe, in der vertrauten Umgebung, Landschaften oder Höfe. Wenn auf diesen großformatigen Gemälden der Frosch auftaucht, macht die Disproportionalität seine Bedeutung besonders auffällig. Ein Gemälde der Zeit zeigt zwei riesige Rinder, zwei Schafe und im Hintergrund das Hirtenpaar.42 Ganz vorn hockt ein Frosch auf dem Boden. Er ist kleiner als ein Ohr der Schafe, aber in seiner prominenten Position nicht zu übersehen. Er gehört nicht in die dargestellte schwere aber harmonische Symbiose aus Haustieren und Menschen, die als ihre Hüter – im Bildtitel trägt das Wort Hirte eine biblische Assoziation – bezeichnet und vorgestellt werden. Der Frosch sitzt dort als Monster, klein aber mächtig; er stört die Harmonie
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des Mensch-Natur-Verhältnisses. Er trägt die Mahnung an die dunkle Seite der Natur in die Idylle, und sie verbreitet sich von dem kleinen Farbfleck im Vordergrund über das ganze Bild. Die Störung der Schöpfung steigerte sich mitunter in aggressive Varianten. Durch die Assoziation des Bösen mit dem Hässlichen konnte sich die mittelalterliche Gewalt gegen die Ketzer in das aufgeklärte Zeitalter fortsetzen, und in dieser Verbindung ging die Forderung, das Hässliche aus der Welt zu tilgen, über das Ästhetische weit hinaus. So gab es die antisemitische Verbindung von Jude und Frosch. Das Hässliche, das hinterhältig Bösartige und der Wunsch, (dem gläubigen Christen) Schaden zuzufügen sowie die unterstellte Beziehung zu einer außerirdischen Macht stellten am Frosch typische Eigenschaften zusammen, die Antisemiten den Juden andichteten. Die Verbindung von Juden mit hässlichen und bösen Tieren, etwa dem Schwein (Judensau), einem im Mittelalter negativ besetzten Tier, war verbreitet, und auch der Frosch diente dem Antisemitismus.43 Noch im 20. Jahrhundert kann Theodor Lessing die »hässliche, dicke Kröte« mit einer »schrecklich hässlichen Judenfrau« vergleichen.44 Andere Eigenschaften vom Frosch ergänzen diesen Komplex: Seine anstößige Sexualität und das für den Frosch bezeichnende, abstoßende Gewimmel, das sich bis in Schilderungen des 19. Jahrhunderts von Ghettos des Ostens zieht, in antisemitischen Berichten des Berliner Scheunenviertel wiederholt und häufig in Schilderungen des Lebens der Juden im Stetl in Soldatenbriefen von der Ostfront des Ersten und Zweiten Weltkriegs aufgenommen wird. 1903 erschien die Schrift eines französischen Antisemiten, dem es darum ging, die moralische Verworfenheit der Juden an körperlichen Merkmalen erkennbar zu machen. Die Identifikation des Deformierten und Hässlichen mit dem Bösen führte den Autor zu grotesken Charakterisierungen. Die Augen des Menschen seien die Spiegel der Seele, und aus den Augen des Juden spreche seine innere Unreinheit. Sie seien deformiert, und ihre Deformation lasse Bosheit erkennen: »Die Lider sind immer geschwollen. Etwa im zwanzigsten Lebensjahr bilden sich in den Augenwinkeln des Juden tausend kleine Falten, die mit dem Alter stärker werden, so dass der Jude immer den Eindruck macht zu lachen etc. und obwohl noch jung, wirkt er wie ein Greis […]. Wenn der Jude lacht, nähern sich die geschwollenen Lider einander so sehr an, dass sie einen kaum noch sichtbaren Strich bilden, der für die Experten der Physiognomie ein Zeichen von Schlauheit und Hinterhältigkeit ist, und meiner Meinung nach auch von Wollust.« Alle negativen Eigenschaften der Juden spiegeln sich in ihren Augen und führen den Pamphletisten zu der Charakterisierung: »Ich nenne dieses
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Auge ›Froschauge‹, da der Jude besonders auch dem Frosch ähnelt. Dabei möchte ich jedoch nicht jenes kleine picklige Tier verleumden […].«45
Abbildung 8: John Heartfield, Die Stimme aus dem Sumpf (A.I.Z. März 1936)
Dieser Autor nimmt am Körper der Juden die Eigenschaften wahr, die im Mittelalter der theologisch angeleitete Blick an Fröschen und Ketzern wahrnahm. Ohne sich dessen bewusst zu sein, wiederholt dieser Antisemit Gesners Charakterisierung des dem Menschen schädlichen Tiers.
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3.B H EINRICH H EINE , Ü BER DIE FR ANZÖSISCHE B ÜHNE Sehen Sie, teurer Freund, das ist eben der geheime Fluch des Exils, dass uns nie ganz wöhnlich zumute wird in der Atmosphäre der Fremde, dass wir mit unserer mitgebrachten, heimischen Denk- und Gefühlsweise immer isoliert stehen unter einem Volke, das ganz anders fühlt und denkt als wir, dass wir beständig verletzt werden von sittlichen oder vielmehr unsittlichen Erscheinungen, womit der Einheimische sich längst ausgesöhnt, ja wofür er durch die Gewohnheit allen Sinn verloren hat, wie für die Naturerscheinungen seines Landes [...] Ach! das geistige Klima ist uns in der Fremde ebenso unwirtlich wie das physische; ja, mit diesem kann man sich leichter abfinden, und höchstens erkrankt dadurch der Leib, nicht die Seele! Ein revolutionärer Frosch, welcher sich gern aus dem dicken Heimatgewässer erhübe und die Existenz des Vogels in der Luft für das Ideal der Freiheit ansieht, wird es dennoch im Trocknen, in der sogenannten freien Luft, nicht lange aushalten können, und sehnt sich gewiss bald zurück nach dem schweren, soliden Geburtssumpf. Anfangs bläht er sich sehr stark auf und begrüßt freudig die Sonne, die im Monat Juli so herrlich strahlt, und er spricht zu sich selber: »Ich bin mehr als meine Landsleute, die Fische, die Stockfische, die stummen Wassertiere, mir gab Jupiter die Gabe der Rede, ja ich bin sogar Sänger, schon dadurch fühl’ ich mich den Vögeln verwandt, und es fehlen mir nur die Flügel […].« Der arme Frosch! und bekäme er auch Flügel, so würde er sich doch nicht über alles erheben können, in den Lüften würde ihm der leichte Vogelsinn fehlen, er würde immer unwillkürlich zur Erde hinabschauen, von dieser Höhe würden ihm die schmerzlichen Erscheinungen des irdischen Jammertals erst recht sichtbar werden, und der gefiederte Frosch wird alsdann größere Beengnisse empfinden, als früher in dem deutschesten Sumpf! Heinrich Heine, Über die französische Bühne. Vertraute Briefe an August Lewald, geschrieben im Mai 1837, auf einem Dorfe bei Paris, 2. Brief. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. v. Manfred Windfuhr, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1973, S. 235-240.
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Das Froschbild aktiviert noch immer Hass und Kräfte der Aggression. Das 18. Jahrhundert hatte ein Erziehungsprogramm gegen diese Aggression entwickelt und die Forderung erhoben, das Böse als eine willkürliche Zuschreibung zu eliminieren. Die Erfahrung des 20. Jahrhunderts zeigt, dass das Verlernen des Abscheus vor dem Hässlichen sich nicht lehren lässt. Den Abscheu nutzte – mit der gegenteiligen Intention – eine aggressive, gesellschaftlich-politische Instrumentalisierung des Bilds von Frosch und Kröte noch im 20. Jahrhundert. Ein politisches Plakat von John Heartfield von 1936 zeigt unter dem Titel »Stimme aus dem Sumpf« eine platt auf den Boden gedrückte, warzige Kröte vor einem Hakenkreuz. Die Fotomontage trägt die Unterschrift: »Dreitausend Jahre konsequenter Inzucht beweisen die Überlegenheit der Rasse!« Auf wenig subtile Weise wird hier die jedem Betrachter vertraute Ikonographie der Kröte für politische Propaganda gegen Rassismus und Nationalsozialismus benutzt. Die Assoziation auf dem Plakat ist ein spätes Beispiel für politische Instrumentalisierung der Bildgeschichte des bösen Tiers. Auch in diesem politischen Sinn, nicht nur als Opfer, waren die Frösche Unglückstiere, die, wie Heine schreibt, gefesselt an den »schweren, soliden Geburtssumpf«, wohl eine bessere Welt möchten; aber auch der »revolutionäre Frosch« bleibe ein Tier des »irdischen Jammertals«.46 Erst im späten 20. Jahrhundert taucht diese Verbindung nicht mehr auf, und Frosch und Kröte verlassen das Jammertal.
3.2 D ER F ROSCH IM MAGISCHEN D ENKEN Wie sah der Frosch am Ende der theologischen Definition und vor dem Entstehen des Wissenschaftsbilds aus? Ein einheitliches Bild gab es nicht mehr. Man kann mit einem Oberbegriff von einem magischen Froschbild sprechen und damit die Froschbilder der frühen Neuzeit an die der vorchristlichen Zeit anschließen. Aus dem 19. Jahrhundert stammt die These, dass sich gegen die Christianisierung und gegen den Begriffsnominalismus und Intellektualismus der Scholastik heidnische Praktiken und Wissensbestände kontinuierlich fortgesetzt hätten, an die ein paralleler und im Volk dominierender Glaube anschließen konnte. Die Betonung von Kontinuität gehörte in das romantische Programm der Rehabilitation eines vorwissenschaftlichen Wissens und Volksglaubens im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, dessen Anfänge wiederum in einer archaischen Vorzeit gesucht wurden.47 Diese Kontinuität einer Unterströmung von Magie in der europäischen Mentalitätsgeschichte ist bezweifelt worden, aber Froschbilder der frühen Neuzeit und bis ins 18. Jahrhundert
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3.C L IBER L UMINIS L UMINUM Man braucht zehn lebendige, giftige Kröten, stecke sie in eine Phiole, so dass sie nicht entkommen können, füge Asphodillensaft und eine reichliche Menge an Elaborum Album Extrakt hinzu und lasse die Frösche neun Tage davon trinken. Dann kocht man sie in einem Kessel und vermischt sie mit Weisheits-Erde und steckt sie dann in einen Backofen, so dass die Tiere ganz verbrennen. Dann zerreibt man sie sorgfältig. Wenn dies Werk vollendet ist, lassen sich drei Pulver gewinnen: Alebrotsalz, Alkalisalz und Ammoniaksalz. Wenn sie sorgfältig mit dem Urin vom Dachs (tassi) vermischt werden, und wenn dies Produkt neunmal gestampft wird, lassen sich mit diesem Pulver Wunderwerke erzielen, Zinn und Eisen in Silber (luna) verwandeln. Vermischt mit weiteren Zusätzen wie rubeum gummum rubeum und armenischer Erde kann dies Froschpulver zu unglaublichen Werken verwandt werden und mit Hilfe des allmächtigen Gottes auch Zugang zur wahren Weisheit verschaffen. James Wood Brown: An enquiry into the life and legend of Michael Scot. Edinburgh (David Douglas) 1897, appendix III, S. 253. Brown zitiert nach dem Liber Luminis Luminum in der Roccardian Library, Florenz, L. III. 13, 119.
können zweifellos unter Kategorien des Okkulten und des Magischen subsumiert werden. Das Magische am Froschbild kehrte in der Opposition zum theologischen Tierbild zurück. Das anti-theologische Bild war heterogen und umfassender als das Tier der Alchemisten, die beim Abfall von der Theologie einen Anfang setzten. Nun gewann, wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Froschbilder, die sinnliche Wahrnehmung einen konstitutiven Anteil. Aus dieser Spannung begann eine nahezu 300 Jahre währende Arbeit an Froschbildern. Seit dem 17. Jahrhundert sorgten Beobachtungen, verbunden mit spekulativen Theorien, für ein Bild, in dem der Frosch ein Naturwesen und zugleich Medium des Zaubers, ein Tier der Geheimnisse und ein Heilmittel der Medizin war. Sehr bald entstand auch ein Tier des Ekels. Das magische Bild setzte sich bis ans Ende des 18. Jahrhunderts fort, so dass noch Rösel in seinem großen Buch über Frösche (1758) sich genötigt sah, ihm zu widersprechen.
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Zwischen Beobachtung und Okkultismus – Alchemie Mit dem Ende scholastischer Definitionen stellte sich erneut die Frage nach der Herkunft, an der die theologischen Versuche gescheitert waren. Die Antwort zeugt von der veränderten Einstellung zur Natur und zum Tier. Die Alchemie löste sich aus der Bindung einer »Dienerin der Theologie« und probierte andere Lösungen. In der weniger spekulativen und mit Fragen der Biologie und Medizin beschäftigten Alchemie, die man als pragmatische Alchemie bezeichnen könnte, entstand ein Bild vom Frosch, das mit dem der Kirche kollidierte. Die Grenze zwischen Rationalisierung und Okkultismus ist nicht leicht zu ziehen, und für die Inquisition standen die Vertreter beider mit einem Bein im Lager der Ketzer.48 Wenn alchemistische Erklärungen der Herkunft der Frösche aus der heutigen Sicht nicht weniger bizarr anmuten als die theologischen, so waren sie doch modern, indem sie vorgegebene Ideen und den Glauben zurückzuhalten suchten und dem Rationalisierungsbedürfnis der Epoche entsprachen. Sie bedeuteten einen Schritt auf das kommende Tierbild zu. Die Alchemie wandte sich in der Version, wie Paracelsus und seine Nachfolger sie vertraten, an eine veränderte Erwartung der Adressaten. Alchemisten suchten nach Erklärungen für die Herkunft der Frösche, die a-priori Definitionen und ein moralisches Urteil vermieden. Die spekulativen Vorgänger von Biologie und Physiologie konzipierten die Frage durch Naturalisierung und pseudo-naturwissenschaftliche Erklärungen biologischer und medizinischer Phänomene. Ein eigener Rahmen entwickelte sich, um Beobachtungen und logische Kombination an die Stelle der theologischen Definition zu setzen. Ging es der Theologie um Entmischung und die Festschreibung der Grenze, so waren Mischung und Verwandlung die Grundideen der Alchemie, für die nichts in der Welt endgültig festgelegt war. Alle Stoffe konnten transformiert und geläutert werden. Auf die richtige Mischung kam es an. Auch Frösche kamen in ihre Mischungen und waren Mittel zur Veredlung von Substanzen, wie das Buch der Schwarzkünstler Liber Luminis Luminum feststellt.49 Die ganze Aufmerksamkeit der Alchemisten richtete sich auf Verwandlungen. Dieses Denken über und in Verwandlungen übertrugen sie von unbelebten Substanzen auch auf die belebte Natur, von den Mineralien auf die Botanik und die Zoologie. Sie verstanden zwar nicht das Prinzip der Metamorphose, aber der Grundgedanke, dass Frösche und Kröten durch Stadien der Wandlung gingen, lag ihrem Denken nahe, und so beobachteten sie Transmutationen.50 Seit dem 15. Jahrhundert fügten sich Beobach-
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3.D PAR ACELSUS : D E E X TR ANEIS So ist auch von der geberung zu wissen, das etwan frösche, würme oder andere lebendige tiere, von oben herab geboren und gefunden werden. Die natur ist ein muter in elementen bei den obern und undern. Aus dem folget nun, so sagt man, es habe frösche geregnet, das solche frösch vom firmament sind und im firmament der gleichen von solchen fröschen ires gleichen geboren. Das ist aber wol war, das sie herab falen, es ist aber innen hinauf, wie dan des himels art ist. So mag es doch nit geschehen, alein es sei dan, das ein wetter solche destruction macht an den selbigen örtern und im selbigen impetu herabfallen, also, das in die regen oder der gleichen art komen. Und nicht allein die fröschen, sonder allerlei solcher gestalt mer, was nit leiblich herab fallt, das selbig fallt doch samens weis herab. Darumb ofte an einem ort ein tier gefunden wird, da seine eltern nie hinkommen seind. Die morgenröti, so ein schaum vom sulphur seind und den dreien ersten, begibt sich ofte, daß sie in ein tenacitet decoquiret wird und kompt aus der art eines schaums, wie dan von der morgenröte gesagt ist, das ein leichter schaum sei. So nun der selbige schaum in ein mucilaginem oder bitumisch natur kompt, als dan so ist das astrum und das feudets das rot wird; den sein farben ist rot und die substanz gleich in der dünne und dicke eines bluts, ein wenig minder oder mer. So es also praeparirt wird und transmutirt, so leßts der himel fallen; dan er regnet kein greiflich corpus, das ist, das ein ungreifliches greiflich wird; es muß alles von im geschieden werden. Also destillirt es sich auch herab, etwan für sich selbes, etwan in ein regen, wie es sich dan begibt. Die frösche im firmament seind nicht substanz, aber sie werden substanz; als dan so fallen sie auch herab. Theophrast von Hohenheim, Sämtliche Werke, 1. Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hg.v. Karl Sudhoff, Band XIII, München und Berlin (R. Oldenbourg) 1931, S. 194f.
tungen und spekulative Deutungen zu einem Gesamtbild zusammen, das den Frosch in den Rahmen eines Lebensbegriffs stellte, der zwischen Beobachtung und Okkultismus oszillierte. Wurde im theologischen Denken der Frosch aus einem Wort zum mentalen Bild, so dass er Bedeutung in einem Netz aus Texten gewann und das Bild ihm ähnlicher war als das Naturwesen selbst, so beruhte das Tierbild der Alchemisten auf Beobachtung und der logischen Verknüpfung von
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spekulativen Erklärungen der Beobachtungen. An die Stelle der abstrakten Konstruktion und Bewertung des »bösen« Tiers trat nun der Versuch, Wahrnehmung und Kausalität zur Grundlage des Verstehens zu machen. War seit Augustinus das Verstehen im Umgang mit der Natur zweitrangig und der Glaube die Bedingung des Verstehens, so kehrt sich mit Paracelsus die Reihenfolge um. Der Glaube an den Fall der Schöpfung wird irrelevant, und die Frage nach dem Ursprung verliert ihre Bedeutung. Er macht den Schritt fort von der Bestimmung des Tiers als Allegorie und hin zu einem Denken des Tiers als Natur. Es zeigt sich ein Bedürfnis nach einer Erklärung, die wir, wenn wir den späteren Standard von Wissenschaft anlegen, als Wunderglauben oder Leichtgläubigkeit zu Unrecht diskreditieren. Die Entwicklung wissenschaftlicher Kriterien, weitere zweihundert Jahre später, setzte der alchemistischen Spekulation ein Ende, unterwarf die Beobachtung den Regeln cartesianischer Systematik und änderte die Suche, indem sie die biologischen Vorgänge der Fortpflanzung zum Gegenstand von Theoriebildung erhob. Die Richtung der Suche war von der Alchemie des 16. Jahrhunderts bereits vorgegeben. So sehr ihre Experimente und Spekulationen sich von den Sezierberichten des 17. Jahrhunderts unterschieden und ihr Verständnis vom Leben dem des kommenden wissenschaftlichen Zeitalters widersprach – das Interesse am Frosch als einem Wesen der Natur verband sie. Paracelsus entwickelte eine wilde Phantasie, die sich jedoch über Jahrhunderte erhielt und noch im späten 18. Jahrhundert Vertreter fand. Er hält an der Idee einer Geburt ohne Zeugung und natürliche Mutter fest und versucht, die Geburt der Frösche aus meteorologischen Zusammenhängen zu erklären. Beobachtung zeige, dass sie aus dem Himmel fielen. Dieser Himmel ist nicht der des biblischen Glaubens, sondern der physische Himmel. Frösche, Würmer und andere ähnliche Tiere würden »von oben herab geboren«. 51 Die Elemente der Natur wirkten als Mutter, und »so sagt man, es habe frösche geregnet«, da sie aus dem Firmament kämen, wie andere Tiere, etwa Maulwürfe, aus der Erde kommen. Dem liegt die Beobachtung von Fröschen und Krötenwanderungen nach Regen im Frühjahr zugrunde. Paracelsus sieht sich aber mit dem Problem konfrontiert, wie die Tiere, die in der Tiefe, in der Erde und in Höhlen, leben, aus dem Himmel kommen können. Sei das nicht, fragt er, »als wan wir hinauf in himel fielen«? Er erklärt sich den Widerspruch durch die Abnormalität von Unwettern. Sie verursachten eine »solche destruction«, dass die Erdtiere in die Höhe gehoben werden, um dann im Regen auf die Erde herunterzufallen. Für die Laubfrösche gelte, dass sie im Mai »in spermatis weise«
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3.E K RÜNIT Z : F ROSCHREGEN In Absicht der Frösche eräugnet sich zuweilen ein gewisses Phänomen, an dessen historischer Wahrheit man wegen vorgegebener unläugbarer Erfahrungen und glaubwürdiger Augenzeugen nicht zweifeln darf; ein Phänomen, welches der gemeine Mann anstaunt, ohne weiter darüber nachzudenken, und welches der Gelehrte und Naturkundige bald auf diese, bald auf jene Art zu erklären gesucht hat. Ich meine den Frosch-Regen. Ich verstehe aber hier nicht diejenige Begebenheit, wenn im Sommer, bey warmen Regen, die Frösche häufig auf den Wegen, in den Gärten und Wiesen hervor kommen, insonderheit die jährigen und noch nicht ausgewachsenen jungen Frösche, und die man sogleich, weil man es nicht besser weiß, eben so leicht für einen Frosch-Regen ausgibt; sondern ich meine das Phänomen, da zuweilen im Sommer, allezeit aber bey heftigen Gewittern und Sturmwinden, in starken Regengüssen hoch aus der Luft Frösche herunter fallen, und solches von glaubwürdigen Personen, sogar von den höchsten Thürmen und Kirchen-Dächern, bemerket worden ist. Dieses ist die Sache, deren historische Richtigkeit ich hier voraus setze, und welche die Naturforscher bisher nicht völlig haben erklären können. Die alte Sage: daß diese Frösche in der Fermentation hervor gebracht würden, bedarf in unsern Tagen keiner Wiederlegung. Eben so wenig kann die Meinung statt finden, daß die im Regen sichtbaren und niederschießenden Sonnenstrahlen, wenn man gegen über steht, den Frosch-Leich aufziehen, und in der Luft ausbrüten sollten. Denn dazu ist diese Masse viel zu schwer, und kann sich in der Luft nicht halten. Wer die Erzeugung der Frösche, wie sie oben beschrieben worden ist, kennt, wird sich schwerlich davon überzeugen lassen. Denn der Froschwurm muß, so wie er aus dem Ey fällt, im Wasser leben; alsdann sieht er wie ein geschwänztes Fischchen aus, und bringt über ein Vierteljahr zu, ehe er den Schwanz verliert, und seine vier ordentliche Füße bekommt. Man nehme den Frosch-Leich aus dem Wasser, lege ihn einige Stunden an die Sonne, und thue ihn alsdann wieder in mit Wasser gefüllte Gläser, so wird nichts auskommen, geschweige daß er in der Luft sollte ausgebrütet werden. Und gesetzt, es wäre dieses möglich, so müßten zu allen Zeiten, und nicht bloß in Gewitter-Regen, Frösche herunter fallen, wovon man doch gar keine Beyspiele vorzeigen kann. Hierdurch wiederlegt sich auch das Vorgehen von selbst, als würden die großen Frösche durch die Sonne aufgezogen. Sind diese aber nicht ungleich schwerer als die Luft? Folglich können sie darin eben so wenig, als Eisen im Wasser, schwimmen. Es bleibt also die Frage übrig: Wie kommen die größten Frösche so hoch in die Luft? Und warum fallen nicht zu allen Zeiten, sondern vorzüglich bey
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herabregnen und sich erst auf der Erde aus Sperma in lebende Körper wandeln. Die Frösche im Firmament müsse man sich substanzlos denken, nach Art der Morgen- oder Abendröte, und erst durch eine Verwandlung gewinnen sie einen Körper und fallen dann im Regen auf die Erde. An anderer Stelle schreibt er, dass manche Sterne mit ihrem Licht auch eine Art Laich, verbunden mit stinkendem Schwefel und Quecksilber, auf die Erde werfen, und aus dieser Fäulnis »wachsen würm, fröschen, krotten und dergleichen vilerlei kefer«.53 Diese Tiere, die er mit dem zeitgenössischen Wort »Wechselbalg« bezeichnet, werden nicht aus einem Kreislauf zwischen Erde und Firmament, sondern von den Sternen geboren, aber nicht, wie die gewöhnliche Meinung vom Wechselbalg sagt, von Hexen. Die Emanationen der Sterne, »Sternschlangen« und andere Sterntiere, die auf diese Weise auf die Erde gelangen, haben Wunderkräfte und können zu alchemistischen Experimenten benutzt werden, da sie Schwefel enthielten. Damit hatte sich eine Gegenposition zur theologischen Definition des Frosches herausgebildet, die auf ihre Weise naturalistisch war. Das Programm der Verwandlung von Mineralien blieb erfolglos, und das hatte Konsequenzen für das Renommee, Selbstverständnis und Programm der Alchemie.53 Es ist aber auch festzuhalten, dass es für das Bild des Tiers einen Schritt zur Modernisierung bildete. Weder die Position der Kirche noch die der Alchemie waren homogen, sondern von inneren Widersprüchen gekennzeichnet. Aber die Kontroverse der Alchemisten mit der Theologie betraf das Grundsätzliche. Ihr Naturverständnis ging davon aus, dass theoretisches Wissen über die Natur aus der Natur gewonnen und auf eine Weise angewendet werden konnte, dass die Natur dem Menschen dienstbar würde. Bezeichnend war die harsche Kritik der Kirche an der Alchemie seit dem späten 14. Jahrhundert. In einer Schrift Contra alchimistas (1396) schreibt der Generalinquisitor in Aragon über Täuschungen, Lug und Trug der Alchemisten, denen er subjektiv Wahn und objektiv Dämonenverehrung vorwirft. Bologne sieht darin den Versuch, die Alchemie zu einem »Verbrechen gegen den Glauben« zu machen, um sie der Inquisition unterstellen zu können. »Die Gegner der Alchimie nennen jeden, der eine Sache in eine andere verwandelt […] ›einen Ungläubigen, schlimmer als einen Heiden‹, denn das sei das Vorrecht des Schöpfers.«54 Aber Verwandlung, argumentierten die Befürworter der Alchemie, sei die Grundlage der Natur und Industrie, die etwa mit Würmern Seide und mit Mineralien und Kräutern Glas herstelle. Die Metamorphosen von Frosch und Kröte gehörten in dies Denken von Verwandlungen in der Natur und mögen gar die Matrix abgegeben haben. Denn wenn aus der kleinen schwarzen Kugel,
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starken Gewittern und Regengüssen, Frösche herunter, und zwar von den höchsten Gebäuden, Kirchthürmen und Dächern? Vorausgesetzt, daß die Sache in sacto richtig ist: daß zur Zeit eines starken Gewittes und Regens wirklich Frösche von Thürmen und Kirch-Dächern herab gefallen sind, daß solches von sichern und glaubwürdigen Augenzeugen beobachtet worden: so liegt, meines Erachtens in dem Umstande, daß es in Gewittern geschehe, der Schlüssel zur Erklärung dieses Geheimnisses. Denn, da es, vorerwähnter Maßen, physisch, unmöglich ist, daß der Frosch-Leich in die Luft gezogen und darin ausgebrütet werden könne: so muß es eine andere gewaltsam wirkende Ursache seyn, wodurch die Frösche, ihrer Schwere ungeachtet, in die Luft gezogen werden, und hernach an ungewöhnlichen Orten, wo sie weder erzeugt werden, noch sich aufhalten können, herunter fallen. Hierbey ist zugleich der Neben-Umstand noch zu bemerken, daß es immer nur wenige sind, die herunter fallen und gesehen werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach, kann diese Ursache in nichts andern, als in den heftigen Wirbelwinden und Wasser-Hosen, die zur Zeit eines Gewitters zu entstehen pflegen, und ganz erstaunliche Wirkungen hervor bringen können, zu suchen seyn. Was diese Natur-Begebenheiten auf dem Meere ausrichten können, findet man in des Hrn. Grafen von Büffon Allgemeine Naturgeschichte, und in Bergmanns phys. Beschreibung der Erdkugel ausführlich beschrieben. Sie stehen da, wie dicke Dampf-Säulen, und das Wasser steigt in Millionen Strahlen, welche die Säule formiren, gerade in die Höhe, und breitet sich oben wie eine Wolke aus; denn eine solche Wasser-Hose reicht bis an die Wolken. Nichts kann ihrer Gewalt wiederstehen. Es ist bekannt, was die Wirbelwinde zu Gewitterszeiten vermögen, und wie sie oft den auf dem Felde befindlichen Leuten Hüte, Kleidungsstücke und andere Sachen wegreissen, und hoch in den Lüften mit sich fort führen. Sollte dieses nicht auf eben die Art mit den Fröschen geschehen können? Sind diese durch eine WasserHose erst in die Luft gezogen, so führt sie der Wirbel-Wind über die höchsten Thürme und Gebäude fort. Sobald seine Wirkung nachläßt, müssen sie vermöge ihrer Schwere auch wieder herunter fallen. Und hierinn scheint die wahrscheinlichste Ursache des vermeinten Frosch-Regens zu liegen. Johann Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, 1773 bis 1858, 242, Artikel Frosch.
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die sich mit der Hilfe eines Schwanzes durch das Wasser schlängelt wie ein Fisch, ein schwanzloser Vierbeiner mit Rumpf, Kopf und Gliedmaßen entstand, hatte die Natur nicht etwas Phantastisches vollbracht, sondern den Transmutationsregeln entsprechend gehandelt. Für die Interpretation des Unterschieds zwischen dem Tier der Alchemisten und dem bösen Tier der Theologie boten sich im 19. Jahrhundert verschiedene Modelle des Zaubers und der Hexen an. Eine positive Bewertung der Alchemie als einem oppositionellen Wissen und einer anti-autoritären Praxis entwickelte die deutsche und französische Romantik. In Frankreich verknüpfte Jules Michelet die Begeisterung für den unterschwelligen Volksglauben mit einer politischen Dimension: Er vermutete im Hexen- und Ketzersabbat einen Protest der Armen und der Frauen gegen die kirchlich-gesellschaftliche Ordnung. Positive Rekonstruktionen von Tiergeschichten waren Teil der Begeisterung für das verborgene oder unterdrückte Wissen, das sich in Märchen, Legenden und anderen Formen der oralen Überlieferung erhalten habe. Sie entdeckten ein diskreditiertes oder verfolgtes Wissen, in dem sie ein aus der Opposition zur offiziellen Lehre der Kirche stammendes und im Volk verankertes Gegen-Wissen und eine tiefere Wahrheit wahrnahmen. Das Postulat einer solchen Opposition verdankt sich einer idealisierenden Sicht der Volkskultur und Alchemie und ihres Zusammenwirkens. Dennoch lassen sich am Beispiel des Tierbildes seit dem 16. Jahrhundert Spuren dieser Opposition verfolgen, die im 18. Jahrhundert verblassten und von der Romantik wieder aufgenommen wurden, etwa durch die Brüder Grimm und die von ihnen angeregten Mythensammlungen. Novalis, Achim von Arnim und vor allem Victor Hugos Notre Dame de Paris haben zur Verbreitung dieses bis heute wirksamen Bilds beigetragen. Aus der Opposition zur klassizistischen Ästhetik des Schönen entstand ein Tierbild und, denken wir an den verwachsenen Glöckner in Hugos Roman, ein mit dem Frosch verbundenes Menschenbild, mit positivem Bezug auf das Hässliche, das sich auf eine unterdrückte Populärkultur mit der Alchemie als einer ihrer Quellen stützte. Die Experimente der Alchemisten, für die Frösche nicht mehr das moralisch verworfene Hexentier repräsentierten, bietet sich als ein Beispiel dieser Interpretation der Ketzer als Opposition an, mit denen die Umwertung des vom Stigma des Bösen befreiten Frosches begann. Für diesen Widerstand war der Krötenkuss so unbedeutend wie ihn der Bericht Walter Maps machte. Dieser Auffassung widerspricht ein anderer Erklärungsversuch, die Ideologiekritik, die davon ausgeht, dass die Hexerei eine erfundene Geschichte war, die sich die Inquisition zurechtgezimmert habe, um Kritiker
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der Kirche als Ketzer zu kriminalisieren. Dieses, oft als rationalistisch bezeichnete Erklärungsmuster folgt der aufklärerischen Priestertrugstheorie, und versucht, den Hexenwahn als Hirngespinst und bloßes Herrschaftsmittel zynischer Machthaber zu entlarven. Geschichten über Nekromanten, Teufelsbeschwörer, Gottesleugner und besenreitende Hexen seien aus Gerüchten und bloßen Phantasien mit dem Ziel montiert worden, Macht und Herrschaft zu sichern. Das böse Tier wird damit auf ein Machtkalkül und propagandistisches Mittel reduziert. Die Bedeutung von Frosch und Kröte kann aber durch Theorien, die von Wahnbildern der Theologen und Juristen oder einem bloßen Kalkül der politischen Machthaber ausgehen, nicht erfasst werden. Die Verbindung des Hexenglaubens mit dem magischen Naturbild ist tief in der Mentalität der europäischen Neuzeit verankert. Der Frosch stand am Rand der theologischen Ordnung, aber die durch ihn verkörperten starken Emotionen waren für das Mittelalter zentral und blieben es für sein Weiterleben bis ins 19. Jahrhundert. An diesem Tier stieß ein rationalistisches Wegdenken der Angst als einem Herrschaftsmittel aus Kalkül an eine Grenze.
Das Hässliche in der Natur Mit dem Ende seiner theologischen Definition verwandelte sich der Frosch aus dem Tier des Bösen in ein Tier des Natur-Hässlichen. Gesner, Libavius und Autoren sehr unterschiedlicher Textsorten der frühen Neuzeit, die von Fröschen und Kröten handeln, stimmen überein, Frosch und Kröte seien aufgrund ihrer Körpereigenschaften und Lebensweise hässlich, »mit ekligem Körper, der Rücken ist querüber Hökrig […]«.55 Sie gehen davon aus, dass das Hässliche aus der Natur selbst komme. Von großer Bedeutung für das Urteil hässlich war die Umdeutung ihrer Vorliebe für das Dunkle. Seit dem 16. Jahrhundert verbanden Texte das Dunkle nicht mehr mit einer Flucht vor dem göttlichen Licht. Das Leben im Dunklen gehörte nun zu den natürlichen Eigenheiten dieser Tiere und verstärkte das Hässliche an ihnen. Vor allem die Erdkröte (Bufo bufo) löste das Negativbild aus. Tagsüber schläft sie in dunklen Ritzen und dumpfen Höhlen, und man trifft auf sie nur in der Nacht.56 Auch in der theologischen Sicht war der Frosch hässlich. Aber diese Eigenschaft war die Folge der Sünde. Hässlichkeit war das sichtbare Zeichen des Bösen und damit die Zerstörung von Form durch die Verletzung des göttlichen Gebots durch den Menschen. Hässlichkeit trat nachträglich in die Schönheit der göttlichen Schöpfung ein und war eine Entstellung,
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die Deformation einer idealen Form. Das Hässliche am Frosch kam aus einem Ursache-Wirkungsverhältnis und war sekundär, dem Bösen und der Sünde untergeordnet. Nun aber entsteht eine natürliche Hässlichkeit: Der Frosch ist durch seine Hässlichkeit wesentlich bestimmt, ist von Natur ungestalt, ohne dass seine Hässlichkeit als ein Verlust verstanden wurde. Frosch und Kröte blieben im engen Austausch mit Bildern der Volkskultur über die folgenden Jahrhunderte hinweg Tiere des Hässlichen. Andreas Libavius, berühmter Mediziner und Alchemist, schreibt eine der ersten Abhandlungen der Neuzeit über Frösche (ranidae) und Kröten (bufonidae) (1599), die sich, zoologisch gesprochen, geringfügig unterscheiden. Libavius sieht hin und bemerkt Unterschiede. Aber er unterscheidet nicht nach zoologischen Kriterien (die es zu seiner Zeit nicht gab), sondern er fragt nach der Bedeutung für den Menschen und stellt Hässlichkeit und Gefährlichkeit als Charakteristika der Beziehung zusammen.57 Er wiederholt noch immer Wörter des Mittelalters, folgt aber einer anderen Intention und legt die Eigenschaften von Frosch und Kröte aus ihrem Verhältnis zum Menschen, aber ohne einen Bezug zur Metaphysik fest. Man kann von einem frühen anthropologischen Verständnis von Leben sprechen. Die Biologie ist noch nicht entwickelt, aber eine intuitive Vorstellung des von Mensch und Tier geteilten Lebens in der Natur zieht sich durch die Schriften dieser Zeit. Rösel von Rosenhof, der das erste vollständige, illustrierte Buch über die Frösche einer Region schreibt, hat die Libavius-Bände beinahe zweihundert Jahre später gelesen. Er benutzt den Text als Rechtfertigung eines Urteils, dem er eine Grundlage in der Empirie ohne Bezug zum metaphysischen Froschbild zu geben sucht. In Rösels Diktion nennt Libavius den Frosch lieblich und die Kröte scheußlich. Lieblich ist nicht im heutigen, sondern im älteren Wortverständnis als freundlich zu lesen. Rösel schließt sich der negativen Wertung eingeschränkt an, spricht aber für sein Tier, den Frosch, wenn er über Kröten vergleichend feststellt, sie hätten ein noch »viel scheußlicheres Ansehen, so dass wir bey Erblickung derselbigen uns viel mehr entsezen, als wenn wir etwanungefehr eines Frosches ansichtig werden, und überdem, so ist ihnen auch dieses mehr als den Fröschen eigen, dass sie, wenn man ihnen zu nahe kommt, entweder aus Furcht, oder zu ihrer Vertheidigung, den Harn von sich spritzen […]«.58 Noch einmal einhundert Jahre später wiederholen einige Enzyklopädien die Wertung des hässlichen Tiers als das Natur-Hässliche. Pierers Universal-Lexikon schreibt über Kröten, sie seien »träg, hässlich aussehend, Liebhaber der Nacht und Dunkelheit, so wie dumpfiger Orte und der Feuchtigkeit, haben bisweilen
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phosphorescirende Augen, geben traurige dumpfe Töne von sich, schwitzen einen ätzenden Saft (vielleicht Harn) aus einer Blase […]«.59 Auch in dieser Charakterisierung für eine breite Leserschaft erhält sich ein Bild vom Naturhässlichen in einem Leben, das Tier und Mensch verbindet. Es steht nun im Widerspruch zum wissenschaftlichen Bild, das nicht mehr vom Hässlichen spricht und die Welt des Menschen von der des Froschs trennt. Es brauchte lange Zeit, bis das kritische Denken der Aufklärung die Bewertung des Tiers als hässliche Natur zurückdrängte. Die Idee einer natürlichen Hässlichkeit und die tief sitzende Identifikation des Hässlichen mit dem Bösen waren eine Herausforderung für die Ideologiekritik des 18. Jahrhunderts, und sie führte zu einem literarischen und didaktischen Programm, das den Frosch vom Stigma befreien sollte. Das war nur bedingt erfolgreich, erreichte lediglich eine kleine gesellschaftliche Gruppe und veränderte nicht das Urteil des natürlich Hässlichen im Volksglauben. Das erhielt sich, auch in Opposition zu dem im 19. Jahrhundert entstehenden Wissenschaftsbild vom Frosch, bis in die Gegenwart. In meinen Interviews haben Umweltschützer die Ansicht, der Frosch sei von Natur hässlich, immer wieder ausgesprochen: Die Körper und ihre Lebensweise mache diese Tiere hässlich. Eine längere Gewöhnung an den Umgang mit Fröschen und Kröten führt zur Änderung des Urteils und bei wenigen zu einer verdeckten Liebeserklärung. Das Urteil hässlich wurde selten ohne eine emotionale Beteiligung ausgesprochen. Das gefühllose Wissenschaftsbild, in dem das Hässliche verschwindet und zugleich das Leben abgetötet wird, erreichte nur eine Minderheit.
Das Hässliche als kulturelle Konstruktion Komplementär zur Vorstellung des Naturhässlichen wirkten kulturelle Konstruktionen des hässlichen Tiers. Gegen alle Skepsis und Kritik blieb eine Bewertung erhalten: die von rein und unrein. Frösche und Kröten waren die Tiere des Unreinen. Im Unreinen steckt mehr als Schmutz, der abgewaschen werden kann. Seine kultisch-rituelle Bedeutung verband Frosch und Kröte tief mit dem Imaginären des Alltagslebens. Der Frosch galt seit dem Mittelalter als unrein, und diese Unterscheidung setzte sich in die Moderne fort. Bilder von Holbein, Dürer oder die zahlreichen Hexenbilder von Hans Baldung Grien machen das kulturelle Urteil »unrein« am Körper sichtbar. Ein Holzschnitt mit dem Titel Die Hexen (1510) stellt typische Elemente des Unreinen zusammen. Die Frauen haben lasterhafte, hässliche Körper, deren Haut und Form die Merkmale von Krö-
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tenkörpern aufweisen. Auch ihre Nacktheit betont das Unreine ihres Wesens. Zwei Hexen sitzen vor einem Topf, in dem, wie ein Kochlöffel zeigt, ein Sud bereitet wird, von dem man nicht weiß, ob die Hexen ihn verspeisen oder als Mittel im Schadenszauber benutzen werden. Eine dritte Hexe kniet mit irre verwirrtem Haar hinter dem Topf und balanciert wie ein verrückter Kellner einen Teller über dem Kopf. Er schwebt leicht über dem Bildmittelpunkt und lässt Froschbeine erkennen. Eine vierte Hexe reitet rücklings auf einem Bock, das Haar fliegt, der ikonischen Tradition seit Dürers Hexenbild folgend, gegen die Windrichtung, und sie trägt an einer langen Hexengabel ein Gefäß, aus dem die Hinterbeine eines kleinen Tiers ragen, die zu einem Frosch gehören dürften. Im Unreinen der Hexen zeigt sich nicht das Böse, sondern ein zivilisatorischer Verlust, der Mangel an Zivilisierung in einer zivilisierten Gesellschaft, Rückfall ins Archaische. Das Unreine schafft Außenseiter, die sich aus der bürgerlichen Gemeinschaft entfernen. Wie das Böse aus der christlichen, so schließt das Unreine aus der säkularisierten Gemeinschaft aus.
Unrein: Krankheit und Medizin Der Kontakt mit Frosch oder Kröte machte Essen und Wasser unrein. Die Haustiere vergifteten sie, saugten den Kühen Milch aus und verunreinigten den Rest, so dass er ungenießbar wurde und, wurde er unwissentlich verzehrt, krank machte. Wer einen Frosch oder eine Kröte verschluckte oder Laich mit dem Trinkwasser aufnahm, wurde nicht im gewöhnlichen Sinn krank, sondern hatte sich verunreinigt. Tiere schlüpften im Bauch, wo sie sich festsetzten und schwere Krankheiten verursachten.60 Diese Kontamination wurde für lebensbedrohlich gehalten. Zur Heilung musste der Körper gereinigt werden. Das Unreine machte mehr als eine Medizin, nämlich eine rituelle Reinigung nötig. Sobald der Exorzismus durch Medizin ersetzt wurde, waren besondere Arzneien nötig, um nicht nur die manifeste Krankheit zu heilen, sondern die Unreinheit fort zu waschen. Dazu dienten wiederum Flüssigkeiten. Viele Rezepte empfahlen »starken Wein«, womit Brandwein, auch »gebranntes Wasser« genannt, gemeint war;61 andere Purgiermittel waren klares Quellwasser mit reinigenden Zusätzen, meist Kräutern. Gegen die Verunreinigung half Betonicasaft, Wegerich, Beifuß, das Blut von Schildkröten, vermischt mit Brandwein. Wie bei der Reinigung nach dem Verschlucken eines Wurms war es wichtig, wohl nach keltischem Ursprung, eine Zauberformel zu sprechen, die, so vermutet man, vom Verletzen und Zerschneiden der
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3.F K RÜNIT Z : D AS F RÖSCHCHEN Insonderheit ist das Fröschchen ein gewöhnlicher Zufall bey neu gebornen Kindern, da nähmlich an demjenigen Orte, wo sonst der Zungen-Band zu seyn pflegt, ein mehr oder weniger langes und dickes Stück Fleisch sich befindet, welches die Bewegung der Zunge hindert. Die damit behafteten Kinder sterben gemeiniglich, weil sie schlechterdings weder saugen, noch schlingen können. Es kann nähmlich die Zunge sich nicht hinter ziehen, wie solches bey dem Schlingen nothwendig geschehen muß, mithin kann der Kehl-Deckel sich nicht auf die Oeffnung der Luftröhre legen und dieselbe verschließen, daher denn die Milch, die einem solchen Kinde, auch nur tropfenweise, eingeflößet wird, anstatt in den Magen zu gehen, in die Luftröhre läuft, und das Kind im Augenblicke erstickt. Daß dieses sich in der That so verhalte, beweiset die Oeffnung solcher unglücklichen Kinder, in deren Magen man nichts, als eine schleimichte Feuchtigkeit, die an den Wänden klebte, fand, da hingegen die Aeste der Luftröhre mit der Milch, welche man ihnen eingeflößt hatte, angefüllt waren. Es ist hier nichts natürlicher, als der Gedanke, daß, da der Tod des Kindes einmahl unvermeidlich ist, wann nicht diese fleischichte Geschwulst, als die Ursache desselben, je eher je lieber hinweg genommen wird, es allezeit besser sey, dieses Mittel, als gar keines, zu versuchen. Da aber sowohl die unglücklichen Folgen solcher Versuche, als auch selbst die genaue Untersuchung dieser Theile, zur Genüge beweisen, daß ein glücklicher Erfolg unmöglich ist, weil von den großen Blutgefäßen der Zunge der Stamm selbst in diesem Fleisch-Gewächse liegt: so kann in diesem Falle der Ausspruch des Celsus, daß man lieber ein ungewisses Mittel versuchen, als gar nichts thun solle, nicht gelten. Ich halte demnach jedes Kind, welches mit dem Frosche unter der Zunge auf die Welt kommt, für verloren. Johann Georg Krünitz, Oeconomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, 1773 bis 1858.
Tiere handelte.62 Wir haben von einigen wenigen, oft sozial herausragenden Opfern der Verunreinigung Kenntnis. Rudolf von Ems berichtet vom König, der durch unreines Wasser eine Kröte aufnahm und vom Tod bedroht war. Ein Purgiertrank ließ die Kröte abgehen.63 Aus Bayern wird ein Fall berichtet, »wo auf Purgirmittel vier Kröten abgeführt wurden«. 64 Kröten und Frösche hatten überirdische Kräfte, die ihnen die Macht
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verliehen, das Leben ins Unreine zu stürzen, dem gegenüber die Medizin hilflos war. Bezeichnend sind die Namen einiger Krankheiten, die aus dem Rahmen der gewöhnlichen Krankheiten herausfallen. Der Krünitz liefert zahlreiche Beispiele und definiert das Fröschchen als eine krankhafte Deformation bei neugeborenen Kindern. Der willkürlich gewählte Name verweist diese Krankheit zum Tode in den symbolischen Machtbereich des Froschs. Ekel vor der unappetitlichen Deformation weicht der Todesangst, hier in ein pseudomedizinisches Argument verpackt. Die Macht dieser Tiere war jedoch ambivalent. Frosch, Salamander und Kröte gehörten in die Beschwörung von Zauberformeln, und wenn ihre Körper in den Sud geworfen oder auf andere Weise geopfert wurden, waren sie identisch mit den Bildern, die sie zu dem machten, was der Zauber forderte. Aus frühen Quellen wissen wir, dass das Geheimwissen Frösche und Kröten nicht nur für Schadens-, sondern auch für Heilzauber und Medizin benutzte.65 Das Blut der Kröte konnte nicht nur zum Tode führen, sondern auch zum Liebeszauber dienen. Zum Herstellen von Halluzinogenen und euphorisierenden Getränken eigneten sich die Kröten. Ein Sud aus Schierling, Bilsenkraut, Löwenzahn und Krötensaft, schreibt Konrad von Würzburg, mache »daz hirne wueten« und wirke wie der »tiuvel uz der helle«.66 Paracelsus warnt vor Wunden, die von vergifteten Waffen stammen und hebt insbesondere das Gift von Kröten und Spinnen hervor. Dies Gift bereite besondere Schmerzen, und diese Wunden erforderten eine sofortige medizinische Behandlung. Zur Kühlung und Heilung dieser und anderer mit Schießpulver verunreinigter Wunden, die zum Wundbrand mit Todesfolge führen, empfiehlt er Salben und Tinkturen, für die gestoßene Krebse und Frösche oder destillierter Froschlaich dienten. Das Wasser von Foschmaltern war geeignet, alle Wunden zu kühlen und Brand zu heilen.67 Mit dem Fett von Fröschen ließ man den Feind erblinden, ihre Füße hängte man Kindern um, wenn sie zahnten, die Haut der Kröte half gegen Rheumatismus, und ihr Herz legte man auf die Brust eines Schlafenden, damit er seine Geheimnisse offenbarte. Kröten waren die Ursache für Unterleibskrankheiten der Frauen, insbesondere von Gebärmutterleiden. Bis ins 20. Jahrhundert erhielten sich im katholischen Deutschland und den Alpenländern aber auch die Votivkröten aus Holz oder Wachs, die für die Heilung von Gebärmuttererkrankungen geopfert wurden. Kröten und Frösche konnten zu Schutzgeistern des Hauses werden. Die schützenden Tiere lebten im Haus, vorwiegend im Keller, und wurden gefüttert. Auch tote Tiere behielten ihre Schutzkraft. An die Stalltür genagelt, schützten sie das Vieh vor Seuchen.
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Da Kröten alles Giftige anziehen, lehrte die Volksmedizin bis ins 19. Jahrhundert, konnten sie als Heilmittel gegen Gift im Körper angewandt werden. Gegen Brustkrebs half, so ein Glaube in Schwaben, eine Kröte auf die Brust zu binden, bis sie dort starb.68 Dem Pulver aus getrockneten Fröschen und Kröten wurden diverse medizinische Wirkungen zugeschrieben, und es konnte ebenso behexen wie feien. Zur Wundbehandlung und gegen Krämpfe empfahl die etwa 1340 für den Arzt geschriebene und in mehreren Abschriften kursierende Anleitung Chirurgia parva einen Sud aus sechs Fröschen, Schneckenblut, Terpentin: »schlachs durch, suds vnd mach ein salben.«69 Für den Privatgebrauch gedacht, zählt Gesner Frosch-Rezepte nach Plinius auf.70 Einige Beispiele: In Wein gekocht, helfen sie gegen die Wassersucht, in Salzwasser gekocht gegen Hautflecken und Falten. Wasserfrösche, zerstoßen oder zerschnitten, lindern Schmerzen jeder Art. Die Hände im Froschlaich zu baden, heilt Ausschlag, auch den der französischen Krankheit. Bestreicht man Zähne mit dem Saft vom gekochten Frosch, können sie schmerzlos gezogen werden. Augen von Fröschen, während einer Sonnenfinsternis gestochen, fördern die Sehkraft und vertreiben Flecken im Gesichtsfeld. Gegen Zahnschmerzen wirkt der Schleim von Fröschen, die an den Hinterbeinen aufgehängt waren und in Essig erhitzt wurden; ein Stock, mit dem einer Schlange ein Frosch aus dem Maul geschlagen wurde, verhilft zu einer gesunden Kindsgeburt; die Zunge eines lebendigen Frosches zu berühren, zwingt eine treulose Frau, bei Befragung die Wahrheit zu sprechen; ein Stab, mit dem ein Frosch vom Anus zum Maul durchbohrt wird, schützt vor Ehebruch, wenn er mit der Menstruation einer Frau vermischt wird. Noch im 19. Jahrhundert wurde in Apotheken aus Froschlaich »durch Zusammenkochen mit Baumöl, das Froschlaichöl (oleum spermatis ranarium)« hergestellt, und auch ein »Froschlaichpflaster« hatte sich erhalten.71 Froschamulette waren bis ins 19. Jahrhundert bekannt und sollten gegen die bösen Kräfte von Fröschen und Kröten, gegen den bösen Blick und gegen diverse Krankheiten schützen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass sich ein Krötenglaube in Westfalen auf dem Land bis ins 20. Jahrhundert erhielt.
Unreine Geburt – Kröte und Uterus – die monströse Imagination Über Jahrhunderte hinweg wirkte im Volksglauben und in der Medizin die Vorstellung, Frosch und Kröte seien an Schwangerschaft und Geburt beteiligt. Der Uterus wurde als eine im Leib wandernde Kröte vorgestellt und galt als Sitz der weiblichen vis imaginativa. Der Uterus als Kröte oder krötenähn-
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liches Organ konnte selbst an Deformationen beteiligt sein.72 Bis ins späte 18. Jahrhundert galt für viele Mediziner die Auffassung, dass die weibliche Imagination in der Lage war, eine Schwangerschaft durch die bloße Einbildung einzuleiten. Bei der conceptio per imaginationem konnten vorgestellte und wahrgenommene Bilder mitwirken und auf die physische Ausbildung des Fötus einwirken. Die Imagination konnte das Bild eines männlichen Liebhabers vorgaukeln, wodurch eine Empfängnis ausgelöst wurde. Der Einbildungskraft wurde zugetraut, den Fötus zu deformieren.73 So konnte zur Erkrankung führen, das Bild einer Krankheit zu betrachten,74 und schlechte Bilder im Uterus waren so mächtig, die formgebende Kraft des Spermas – von dem Prinzip der männlichen Formgebung ging die medizinische Theorie der Befruchtung aus – zu überwältigen und Missgeburten auszulösen.
Abbildung 9: Albrecht Dürer, Obduktion, Holzschnitt. Colin Eisler, Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen im Werk von Albrecht Dürer. München (Droemer Knaur) 1966. Die Öffnung des Bauchs der Verstorbenen legt eine Kröte frei.
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Als roter Faden zog sich durch die europäischen medizinischen Theorien das Thema der monströsen Imagination. Aus einer gestörten mütterlichen Imagination sollten sich monströse Schwangerschaften herleiten.75 Der Anblick von Frosch oder Kröte während der Empfängnis oder zu bestimmtem Zeiten der Schwangerschaft war eine solche Störung und konnte zur Deformation des Fötus führen. Sich Versehen war der Ausdruck für Wahrnehmungen einer schwangeren Frau, die »besonders während oder bald nach der Conception sich in der Bildung der Frucht ausprägen«.76 Schwangere wurden in manchen Gegenden vor dem Frosch mit der Formel gewarnt: »Guck nit üm, was Schwarzes kümmt«, um das Versehen zu verhüten. In Spanien oder Italien betrachtete die Schwangere oft stundenlang in tiefster Andacht ein schönes Bild der Madonna oder einer Heiligen, und »dort findet man die schönen Züge dieser Bilder häufig in den geborenen Töchtern wieder«. Auch das Gegenteil gelte, »dass die deformen Gesichtsbildungen auf dem platten Lande dem Eindruck zuzuschreiben seien, welchen fratzenhaft geschnitzte und bemalte Heiligenbilder in den Kirchen auf die Phantasie der vor ihnen knienden andächtigen Schwangeren ausübten«.77 Besonders gefährlich war der Anblick eines Froschs zu bestimmten Zeiten der Schwangerschaft. Er prägte sich dem Uterus ein und verursachte monströse Deformationen. Die durch Frösche und Kröten direkt oder indirekt ausgelösten Deformationen waren grässlich und ungeheuerlich und wurden als widernatürlich empfunden. Seit dem 17. Jahrhundert wurden die Bilder von Monstern zunehmend entmythisiert und biologisch als Missgeburten erklärt. Die Verbindung von monströsen Geburten und der bösen Kröte blieb aber über Jahrhunderte Teil der medizinischen Theorie. Vom Frosch zu Frankensteins Monster war der Weg nur kurz. Unter den Büchern über Monster verzeichnet Ambroise Paré eine Anekdote (1567), die mehrfach überliefert ist, wohl weil sie auf besonders erschreckende Weise von der Angst vor den Kräften im Frosch handelt.78 Es sprach sich in einer Gegend Südfrankreichs schnell herum, dass eine junge Frau ein Kind mit einem Froschgesicht geboren habe. Die lokalen Behörden begannen Untersuchungen, und bald war die Kirche eingeschaltet. Der Vater des Kindes wurde von einem Geistlichen befragt und berichtete, seine Frau habe Fieber gehabt und sei der Anweisung gefolgt, einen Frosch in der Hand zu halten, bis der gestorben sei. Dann werde das Fieber verschwinden.79 Die Frau habe den Frosch auch gehalten, während sie mit ihrem Mann Sexualverkehr hatte. Damit war nach Parés Bericht das Rätsel um die Fehlgeburt geklärt. Die magische Kraft des Frosches in der
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Hand hatte in den Akt der Kindeszeugung eingegriffen. Im körperlichen Kontakt der Frau mit dem Froschkörper hatte sich die Kraft des Froschs gegen das formgebende Prinzip des männlichen Samens durchgesetzt. Wie wenig Bedeutung der Biologie dabei zukam, zeigt sich darin, dass das Bild der »Missgeburt« nicht den individuellen, missgestalteten Körper eines Neugeborenen, sondern einen aufrecht stehenden kleinen, aber ausgewachsenen Körper zeigt. Bericht und Holzschnitt sind ein Beispiel für die Hilflosigkeit des Menschen gegenüber der Macht des Tiers, in das Leben einzugreifen. Das dürfte das extremste Beispiel von Empathie sein, von dem die Geschichte berichtet. Im Lauf des 17. Jahrhunderts verschwindet dieser Glaube, aber Spuren finden sich weiterhin. Geschichten über die Beteiligung von Frosch und Kröte an Schwangerschaft und Geburt verbreiteten weiterhin Furcht, aber sie wurden, unter günstigeren Umständen, unterhaltsam. Zur Illustration soll ein Beispiel aus Wolfs Sammlung von Mythen und Legenden dienen. Er berichtet über Zwerge, die in den Tiefen der dunklen Berge hausen, wo es ein anderes, das dunkle, Licht gibt, und die sterben, wenn ein Sonnenstrahl sie trifft.80 Das Leben ohne Sonnenlicht teilen sie mit den Kröten. Metamorphosen von Zwergen und Kröten sind die Regel. Eine Bäuerin sah eine »trächtige Kröte« auf ihrer Wiese und sagte im Scherz: »Wenn Du niederkommst, will ich bei dir zu gevatter stehen.«81 Bald darauf kam in der Nacht ein Zwerg zu ihr und erklärte, die Kröte sei eine Zwergenfrau gewesen. Die Bäuerin müsse nun ihr Versprechen erfüllen. Die Bäuerin erklärte sich bereit, ließ sich die Augen verbinden und wurde an einen unbekannten Ort geführt. Die Binde wurde ihr abgenommen, und sie befand sich in einer kleinen Kirche, »die mit all ihrem geräth von lauterem gold war«. Umgeben von vielen Bergmännchen und Bergweibchen hob die Bäuerin das Kind aus der Taufe. Dann folgte ein Mahl, an dessen Ende die Bäuerin beschenkt wurde. Diese Geschichte lässt von der Furcht vor der Macht des bösen Tiers nichts mehr ahnen und führt vom magischen Bild der Kröte in die unterhaltsame Harmlosigkeit der Literatur des 19. Jahrhunderts. Im 18. Jahrhundert kam eine neue Interpretation der Krankheiten des Uterus auf. Er wurde entdämonisiert, und neue gynäkologische Ideen machten das böse Tier im Körper überflüssig. Ein Bild vom Körper entstand, das Uterus und Einbildungskraft trennte und verhinderte, dass Frösche und Kröten Macht über die Frau ausüben, Organe kontaminieren und Missgeburten auslösen konnten. Das biologisch verstandene nervöse System tauchte in medizinischen Theorien auf, und Störungen der
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Abbildung 10: Ambroise Paré, Des monstres et prodiges, hg.v. Jean Ceard, Genf 1971 (zuerst Paris 1585), Abb. 28: Figure prodigieuse d’un Enfant ayant la face d’un Grenouille
Schwangerschaft und Probleme der Geburt wurden nun durch Theorien erklärt, die den Begriff der Hysterie einführten. Das war ein Wendepunkt in der Geschichte des Körpers und zugleich der geschichtliche Augenblick in der Entwicklung eines neuen Froschbildes in Medizin und Zoologie. Er eröffnete die lange Geschichte der Nerven, später der Neurosen, an der Frosch und Kröte immer noch, aber nun auf sehr andere Weise beteiligt waren, da Physiologen nun an ihnen die Prinzipien des nervösen Systems
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studierten, die durch Analogieschlüsse zur Erklärung von Störungen und Abnormitäten beim Menschen dienen sollten. Die Theorien des 18. Jahrhunderts verdrängten die handelnden Frösche und Kröten aus dem Körperbild der Frau. Aber eine Lücke blieb ihnen dennoch bis ins nächste Jahrhundert erhalten. Davon zeugen die wissenschaftlichen Experimente, die das Nervensystem des Froschs benutzten, um Theorien der Humanneurologie zu entwickeln.
Sektion als Enteignung des Körpers Die Unterschiede zwischen dem Bild vom Leben, das die Alchemisten und die Humanisten der frühen Neuzeit entwarfen, dürfen nicht bagatellisiert werden. Betrachten wir aber die Beurteilung von Leben unter dem Begriff des Gewimmels, treten strukturelle Ähnlichkeiten hervor.82 Eine Debatte über die moralische Bewertung von niederem Leben fand in dem Modell Frosch, dessen Leben sich im Gewimmel verlor, ein Vorbild in der Natur. Vor dem Entstehen der modernen Massen nahm man an Kriminellen, Armen, Kindsmörderinnen, psychisch Gestörten, Landfahrern und Vaganten bis ins 18. Jahrhundert die Eigenschaften eines subjektlosen Lebens als Gewimmel wahr und verband sie zu einer sozialen Schicht. Das Hässliche des Lebens dieser Menschen, und eine diskreditierende moralische Bewertung dieser niederen Schicht verschränkten sich und lösten Abwehr aus. Sie sollten für das Sündhafte ihres ungeistigen Lebens bestraft werden. Sektionen menschlicher Leichen im 17. Jahrhundert, denen oft die Enteignung des Körpers voran ging, zeugen von den Folgen dieser Verschränkung aus dem Geist der Froschphobie. Es war konsequent aus dem Geist einer utilitaristischen Aufklärung gedacht, wenn ein toter Körper nicht der Verwesung übergeben wurde, sondern zuvor einem für die Allgemeinheit nützlichen Zweck dienen sollte. Mit dem Beginn der modernen Sektionen entstand daher ein Zwang zur Ablieferung von Leichen an die Anatomie. Die Behörden wandten Zwang an, und sie wurden durch die Wissenschaft unterstützt. Im 18. Jahrhundert gab es keine Debatte über Tiere, und das utilitaristische Argument siegte über jeden Zweifel. Tiere wurden unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit oder Schädlichkeit betrachtet und waren vor keiner Gewalt und keiner Sektionstechnik geschützt. Zwischen dem Sezieren enteigneter menschlicher Körper aus dem niederen Leben in der Anatomie und dem von niederen Tieren im wissenschaftlichen Labor bestand zweifellos eine gedankliche Verbindung. Beide waren die Folge einer Auffassung vom Leben, die wer-
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tende Unterschiede machte. In der Differenzierung von oben und unten diente die Metapher vom Gewimmel der qualifizierenden Unterscheidung. Sie erlaubte nicht nur, niedere von höheren Tieren zu unterscheiden, sondern konnte auch zur Charakterisierung des seelenlosen Lebens der ungebildeten und armen sozialen Schicht, die unten herumwimmelte, dienen. Der Zusammenhang von Strafe für ein unwürdiges Leben mit dem Zerschneiden des Körpers, der sich in der Sektionsdebatte zeigte, war ein elementares Konstruktionsprinzip gesellschaftlicher Macht. War es im Mittelalter der Mensch im Frosch, der das Tier zum aktiv handelnden Täter machte, so ist es nun das Tier im Menschen, das in das Leben eingreift und bekämpft werden muss. Der Frosch im Menschen nahm sich ein Recht heraus und begehrte gegen den Herrschaftsanspruch der vernünftigen Gesellschaft auf, und dieser Täter wurde der Strafe durch Sektion ausgesetzt. Die Strafe folgte dem Bedürfnis, den Menschen zu beherrschen, indem man die Macht des Tierischen in ihm unter Kontrolle brachte. Die Sektion und ihre bloße Androhung wurden als Mittel zur Disziplinierung angewandt, aber nicht für alle. Der zwangsweisen Sektion lag eine Ungleichheit zugrunde. Sie galt zunächst nur für Hingerichtete und Selbstmörder.83 Die dominante Meinung derer, die ein Gewicht und eine Stimme in der Öffentlichkeit hatten – das waren Anatomieprofessoren, Politiker, Vertreter von Kirchen und Interessensgruppen, aber nicht die Betroffenen – war, dass Leichen »überhaupt zu jeder nützlichen Bestimmung als Eigenthum der Anatomie angewendet werden« sollten.84 Aber die Zwangssektion galt nur eingeschränkt für die Mitglieder der mittleren und höheren Stände. Kindsmörderinnen aus gutem Hause endeten nicht auf dem Seziertisch. Hier zeigte sich die Wirkung eines wertenden Lebensbegriffs, der manche Menschen mit dem Tier zusammenschloss und ein Verfügungsrecht über deren Körper in Analogie zu der unbeschränkten Verfügungsgewalt über das Tier rechtfertigen sollte. Betroffen waren die Armen, Machtlosen und Ungebildeten. Sie fürchteten sich und hatten allen Anlass zur Furcht. Ihr niederes Leben war den lokalen und staatlichen Autoritäten wenig schützenswert. Der soziale Stand ebenso wie der Lebenswandel waren ausschlaggebend für die Verurteilung zur Sektion, und als Unterwerfung wurde die Zerstückelung des Körpers von den Betroffenen empfunden. Wer sich den gesellschaftlichen Regeln nicht fügte oder Leistung verweigerte und sich aus der Gemeinschaft entfernt hatte – außer verurteilten Verbrechern, Kindsmörderinnen und unehelichen Müttern auch die Armen, die zu Lebzeiten ihren Pflichten gegenüber der Gemeinschaft nicht nachgekommen waren und
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die Kosten ihres Begräbnisses nicht aufbringen konnten – wurde, metaphorisch gesprochen, zum Frosch erklärt und mit der Sektion als verdienter Strafe bedroht.85
Der Frosch als Monster – Terror In einer Welt, die von Zauber durchsetzt war, wurden Frösche und Kröten als Verursacher von Schaden erkannt und erlebten selbst die Grausamkeit einer von diffuser Gewalt bestimmten Gesellschaft. Sie wurden gefürchtet, und sie wurden zerstampft, zerrissen, durchbohrt und gekocht. Hilflose Opfer, übten sie zugleich Herrschaft aus. Unter diesen wilden Umständen konnte der Aberglaube sie zu Monstern aufblähen. Das phantasierte Monströse wurde durch Angaben über ungewöhnliche Größe gestützt. Denn eine Grundeigenschaft der Monster war ihre Größe.86 Eine frühe Quelle des monströsen Frosches lässt sich in der päpstlichen Bulle von 1233 vermuten, mit der Gregor IX. den Kampf gegen den Frosch aufnahm, den er in furchterregender Größe ausmalte.87 Im Mittelalter gehörten die bedrohlichen Monster und ihre Geschichten in die Lebenswelt.88 Das Verhältnis zum Monströsen war gespalten, es faszinierte und machte Angst. Monster gehören nicht dazu, aber sie leben unter uns, nicht draußen, sondern an einem imaginierten Rand, besetzen jedoch zugleich das Zentrum der Phantasie. Sie leben an gefährlichen und gefährdeten Orten, die so liegen, dass zwar alle Menschen Zugang haben, aber der Zugang fordert besondere Mühen, oft heldenhaften Mut: Wald und Wildnis, Sumpf und See, Schluchten, Brunnen und Höhlen. Im 18. Jahrhundert fügte sich das Labor in diese Reihe der Schauerorte ein. Im Gegensatz zur räumlichen Marginalität stand ihre Zentralität in der Imagination. Ihre Taten waren geeignet, den Teil der Welt, über den sie Macht hatten, zu terrorisieren. Das Monster ist, wie Canguilhem schreibt, ein »Fehlschlag des Lebens«.89 Das gilt bereits für die Geschichten des Mittelalters, etwa die Nerolegenden. Der Kern diverser Erzählungen war stets identisch. Der Kaiser wollte die Grenze testen und alles erleben, ohne auf Moral Rücksicht zu nehmen, auch Schwangerschaft und Gebären, und den Kitzel des möglichen Fehlschlags in Kauf nehmen. So ließ er sich von einem Mann besamen und wurde schwanger.90 Er brachte aber kein Kind, sondern einen Frosch zur Welt. Die Geburt war nicht normal, sondern, je nach Quelle, ein chirurgischer Eingriff, eine Geburt durch den Mund oder eine Abtreibung.91 Es ist für das Froschbild des Mittelalters signifikant, welches
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3.G G ESNERUS : V ON DEN F RÖSCHEN Die Fösche werden abgetheilet in die, so in den Wässern und in die so auff dem trockenen Boden wohnen. Die Wasser-Frösche wohnen meist in den Pfitzen theils in Seen, Flüssen, und an den Gestaden derselbigen, aber keine in dem Meer. Die so auff dem trockenen Boden wohnen, haben mancherley Gestalt nach den Orten, wo sie sind; denn sie halten sich auff in Gärten oder Wiesen under den dicken Sträuchen und in hohlem, faulen und schattigtem Grunde, und ob es zwar ein bekanntes Thier ist, ist doch in Acht zu nehmen, daß weil sie zugleich im Wasser und auff der Erde leben können, keine fleischtigte Lung haben, sondern anstatt derselben 2 durchscheinte Bläßlein, welche sie auf und zublassen. Wann man ihnen lebendig das Hertz herauß schneidet, beweget sich dasselbe auff der Hand oder wo man es hinlegt offt ein Stund nachdem es herauß genommen oder so lang biß der Frosch stirbet.
Von den Krotten Albertus schreibet, daß die Krotten wenig und ein gelind Gift bey sich haben, welches er vielleicht von der Art muß verstanden haben, wo sich in den kalten Ländern aufhalten. Da in Gegentheils die Krotten in den warmen Ländern deren so vergifft seyn, daß wann man das Saltz womit die Krott getödet worden, im Wasser schmältzen lässet, dasselbe dermassen vergiften soll, daß wann man ein Hembd oder Tuch darinn netze und solches dem Menschen läst an den Leib kommen, derselbige mit einer unheilbaren Krätze angestecket werde: Deßgleichen auch von solchem Gifft unterschiedliche andere Zufäll kommen, als Geschwulst, Schlucken, kurzer Athem, zuweilen auch die Rotheruhr, Schwindel und dergleichen. Es hat sich einsmahls zugetragen, daß einer zwischen dem Rohr ohngefähr ein Krott angegriffen, welcher alles was er zu sich genommen wieder von sich gespiehen, so lang biß er von andern sich etwas lassen darreichen. Wider dieses Gifft aber befinden sich sonderlich diese Mittel: als gestossene Krebs, Krotten-Pulver, Hirschhorn, Theriac, Methridat. Es ist aber nit allein ihr weisser Gifft, welches sie auff sich haben, schädlich, sondern auch ihr ganzer Leib und wann jemand mit ihrer Seiche berührt wird, so soll solcher Ort faulen und nicht ohne grosse Mühe wiederumb heilen. Innerhalb dem Leib ist die Krotte tödlich. Auch ist ihr Anhauchen und Gesicht schädlich, wovon die Menschen gar bleich und ungestalt werden sollen. Sie vergifften auch das Kraut und Laub, wovon sie gefressen und worüber sie etwan langsam gekrochen sind. Conrad Gesner, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines ThierBuch, Frankfurt 1669, S. 379-386.
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Tier den sodomitischen Phantasien entspringt. Diese grotesken Geschichten stellen auf drastische Weise eine Verbindung von Sexualität und dem Monströsen her. Das Monströse heftete sich bis weit ins 19. Jahrhundert an Frosch und Kröte und brachte den Kitzel des Verworfenen ins Leben, einen Hauch von heidnischer oder gotteslästerlicher Lebensführung und war ein Fehlschlag, in dem die Lust am Sakrileg wirkte. Eine hysterische Angst vor dem Monster spricht aus Anekdoten von Fröschen, die dem Menschen nach dem Leben trachten.92 Eine groteske Geschichte wurde nach Erasmus’ Gespräch von der Freundschaft kolportiert. Ein Mönch legte sich nach dem Essen auf den Boden zum Schlafen. Da kroch eine große Kröte aus einem Haufen Binsen und sprang auf den Mund des Schlafenden, wo sie sich mit den Vorderfüßen in der Oberlippe und mit den Hinterfüßen in der Unterlippe festkrallte. Die Kröte abzureißen, hätte den sicheren Tod für den Mönch bedeutet. Sie dort zu lassen, wäre grausamer als der Tod gewesen. So trug man den Mönch ans Fenster, wo ein großes Spinnennetz hing. Kaum hatte die Spinne ihren Erzfeind erblickt, so ließ sie sich an ihrem Faden hinab und stach die Kröte. Davon wurde sie aufgeblasen, fiel aber nicht ab. Da ließ sich die Spinne erneut hinab. Ihr zweiter Stich blähte die Kröte noch mehr, half aber nicht. Erst als sie zum dritten Mal kam und stach, fiel die Kröte ab und starb. »Solche gutthat und dank hat die Spinn seinem haußwirt erzeigt.« 93 Wenn es um den Monsterfrosch ging, konnte sogar die Spinne, sonst als böses Gifttier verunglimpft, zum Verbündeten des Menschen werden. Diese Chimären und Tiermonster lassen den Gedanke nicht abwegig erscheinen, dass Schreiber und Künstler des Mittelalters Monster mit der Absicht erfanden, den Gläubigen die schützende Kraft des Glaubens spürbar zu machen. Die von einem Monster ausgelöste Angst unterscheidet sich von der Furcht vor einem gefährlichen Tier, etwa einem Wolf oder einer Giftschlange. Diese Angst ist diffus und existenziell. Monster hatten eine nahezu unbeschränkte Macht, selten durch ihre physische Kraft, durch Klauen und Zähne, sondern durch übersinnliche Kräfte. Gab es im Mittelalter zunächst durchaus auch Monster, die mit Waffen besiegt werden mussten, Lindwürmer und Drachen, so kämpften die späteren Monster nur noch durch Zauberkräfte. Wolf beschließt seine Bände über Mythen mit einem Kapitel über die Kröte, die, so folgert er aus seinen Quellen, »in unserer Vorzeit eine bedeutende Rolle gespielt haben« müsse.94 Den paganen Glauben nahm die christliche Kirche auf, ließ Mischwesen und Monsterfrösche zu und machte sie zum skulpturalen Schmuck
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der Dome. So wurden diese Monster in die furchterregende Bildwelt des analphabetischen Volks eingebaut und auch in Geschichten beschworen: »als der dom in Bamberg gebaut wurde, schickte der teufel zwei kröten, den Bau zu unterwühlen, und auch in Ebrach warfen zwei riesige kröten in der nacht zusammen, was am tage gebaut worden war.«95 Gegen diese Bedrohung halfen keine Waffen, sondern nur die Kirche. In diesem Sinn wurden Frosch und Kröte als genuine Monster vorgestellt. Nur selten ist von Krallen am Froschfuß die Rede, mit denen sie Menschen verletzten. Ohne körperliche Stärke wurde der Frosch als ein mit magischen Kräften ausgestattetes Monster phantasiert. Wichtig waren seine Charaktereigenschaften: Tücke, Falschheit, Bosheit. Er war, wie die großen Monster, auf die Menschen fixiert und begierig, in ihr Leben einzugreifen und trachtete ihnen nach dem Leben oder wollte sie ernsthaft gefährden. Gesners Thierbuch berichtet, dies Tier könne so zornig werden, »dass es den Menschen, wenn es könnte, gern beseichen, oder sonst mit seinem gifftigen schädlichen Athem vergifften möchte«.96 Als Täter wie als Opfer waren die Frösche des Menschen stinkende Unglückstiere. Geschichten aus Schwaben berichten, dass Frösche sich gelegentlich als Monster in abgelegenen Weihern verbergen. »Aber dann sind es riesige Frösche mit glühenden Augen, die still in der Tiefe sitzen und auf eine Seele lauern.«97 Grimmelshausens Simplicissimus-Roman (1669) nimmt eine solche Sage auf und erzählt eine Geschichte der Enttarnung der »Hörsage« als Aberglaube. Simplicius bewegt seinen widerstrebenden Ziehvater, den Knan, ihn an den Mummelsee zu führen. Der See liegt in einem unzugänglichen Bergwald. Er ist sagenumwoben, ein Schauerort, wie Monster ihn für ihre Auftritte brauchen. Die »Sagmehr« der Gegend weiß, dass es ein Unwetter gebe, sobald Menschen einen Stein ins Wasser werfen. Simplicius benutzt den See für ein Experiment mit der Natur. Er wirft dreißig große Steine in das Wasser, und zwar an einer besonderen Stelle. Der See ist »hell als ein Crystall« aber an einer Stelle so tief, dass das Wasser »kohlschwartz zu seyn scheinet und deßwegen so forchterlich außsihet, daß man sich auch nur vorm Anblick entsetzt«.98 So sieht der Ort der Monster aus. Sein Begleiter hat Angst und nennt ihn einen »verwegenen Buben«, der sich nicht darum schere, »wann gleich die gantze Welt untergieng«. In der Tat ziehen schwarze Wolken auf, und ein Unwetter beginnt. Aus der Tiefe steigen alsbald die Monster auf: »etliche Creaturen« in der Gestalt von Fröschen. Simplicius behält einen klaren Kopf und lässt sich nicht schrecken. Er spricht, und schnell zeigt sich, dass Angst unbegründet ist. Die Seegeister
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zeigen sich freundlich, antworten ihm und schenken ihm einen Stein, der es ihm ermöglicht, unter Wasser zu atmen. Von einem schlichten Test des alten Glaubens führt die Erzählung in eine Grenzüberschreitung. Simplicius wagt eine Reise ins Unbekannte und taucht mit den Creaturen in die Tiefe. Der schwarze Abgrund ist kein abenteuerliches Reiseziel. Die Reise in den Abgrund, aus dem die Monster kommen sollen, erweitert vielmehr den Zweifel in einen Test der Metaphysik. Er kommt aus der Tiefe zurück und berichtet nicht, was er unter Wasser erlebt hat, aber eines ist sicher: Es gibt keine Monster mit glühenden Augen, die auf Seelen lauern. Simplicius’ Experiment entlarvt das überlieferte Wissen als Aberglaube. Die Angst des Knan, der auf der anderen Seite des Sees bleibt und ihn warnt, erweist sich als unbegründet. Diese Geschichte liefert nicht die rationalistische Kritik des Aberglaubens, die spätere Bearbeitungen in den Roman hinein legen.99 Sie erzählt von Geistern, Wetterzauber und metaphysischen Kräften. Aber die Konstellation der zwei Figuren macht deutlich: Zwei Zeiten stehen sich gegenüber, und dem wagemutigen Experiment hält der überlieferte Glaube an Magie nicht Stand. Die Frösche aus dem schwarzen Wasser erweisen sich als harmlose Tiere, und wenn der See Entsetzen auslöst, dann durch nichts als die Farbe des Wassers, in die der Betrachter das Entsetzliche hinein phantasiert. Simplicius’ Experiment entzieht dem Glauben an Froschmonster den Boden. Er bewegt sich auf der Schwelle zwischen einer Welt, die Geheimnisse hat, und dem Verschwinden der Geheimnisse durch die Entmythisierung des Tiers. Die Welt dieses Romans ist auch weiterhin geheimnisvoll, und die Natur ist nicht enträtselt. Aber eine neue Forderung nach Evidenz führt zum Ende des Monströsen in der Natur. Das Erlebnis am See führt nicht zum Ende der geheimnisvollen Tiefe, aber sie beherbergt keine Monster. Die Begegnung mit den Fröschen der schwarzen Tiefe eröffnet eine Zukunft ohne Monster. Gegen diese Entmythisierung erhielt sich das Monströse jedoch in der Konstruktion vom Frosch und überstand alle Aufklärung über das Monster als Phantasiegebilde. Der Erfurter Ratsmeister und aufgeklärte Gartenbaureformer Christian Reichart berichtet, dass Fischer die Frösche rücksichtslos verfolgten, da sie sie für Konkurrenten hielten, die sich von Fischen ernährten. Er habe mit eigenen Augen gesehen, wie Fischer einen Frosch über dem Graben gegen die Stadtmauer schleuderten, so dass »die Fische wiederum zum Halse hinaus fuhren. Wenn ich dieses nicht selbst gesehen hätte, so würde ich stark daran gezweifelt haben.« Auch klammerten sich Frösche, berichtet er, die so groß wie Katzen würden, in der Laichzeit am
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Hals von Karpfen fest und »marterten« sie zu Tode, und »hernachmalen sauget und frisset er nach und nach das Fleisch unten am Bauche zum Theil hinweg«. Auch Vögel und Fledermäuse dienten ihnen zur Nahrung und selbst »junge Enten [sind ihnen] nicht zu groß«.100 Ein um populäre Verbreitung von Wissen bemühtes Lexikon fügt seinen vielen Informationen über Frösche noch Mitte des 19. Jahrhunderts hinzu, die Nahrung des Wasserfrosches bestehe zwar meist aus Insekten, »doch sollen sie […] selbst junge Enten und kleine Fische fangen und fressen […]«.101 Der Eindruck lässt sich nicht abweisen, dass der Mensch auf Monster fixiert war und ist und sie nicht gehen lassen kann.102 Auch das moderne Medium Film trägt dazu bei, das Monster zu erhalten. Es wurde mediengerecht, und sein besonderer Schrecken trat in die Bildwelt des 20. Jahrhunderts ein, gelegentlich unter der Beteiligung von Fröschen, die vom Himmel regnen. Das Verhältnis ist ambivalent: Monster sind durch Eigenschaften charakterisiert, die der Mensch ihnen verleiht; die Einbildungskraft ist der Ursprung der Monstrosität. Zugleich ist der Mensch ihr Opfer. Nachdem wir die Natur des Froschs ins Monströse verwandelt und ihn in die Welt geschickt haben, kommt er zurück und herrscht wie ein Fetisch. Dem offensichtlichen Bedürfnis, sich vor Monstern zu fürchten, ist keine Aufklärung gewachsen. Es gehört zur Funktion der Monster, dass sie die durch Sünde und böse Taten verunstaltete Seele externalisieren. Der europäische Mensch tritt nicht erst im selbstgeschaffenen Monster seit Shelley sich selbst als böse und bedrohlich entgegen, sondern monströse Tiere erfüllten über Jahrhunderte hinweg diese Aufgabe. Der Monsterfrosch war ein Tier, das dem Menschen schadete und zugleich eine Projektion des bösen Menschen selbst. Walter Benjamin überträgt dieses Verhältnis des Menschen zum Monster in die mentalitätsgeschichtlich neuere Reaktion des Ekels vor Tieren. In ihm vermutet er die Empfindung einer Angst, im Kontakt vom Tier erkannt zu werden. »Was sich tief im Menschen entsetzt, ist das dunkle Bewusstsein, in ihm sei etwas am Leben, was dem ekelerregenden Tiere so wenig fremd sei, dass es von ihm erkannt werden könne.«103 Die Ahnung einer tief sitzenden Verwandtschaft setzt sich aus der Angst vor dem Frosch im gläubigen Mittelalter in ein Entsetzen vor dem psychologisierten Tier der modernen Wahrnehmung fort. Das hässlich-böse Tier konnte den Betrachter eine Provokation durch das Verwandte im Monster spüren lassen. Diese Herausforderung entsteht nicht durch das Auseinandertreten des ideellen Eigenbildes und des distanzierten Fremdbilds, sondern aus einer Differenz im Ich, wobei das
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moralische und dominierende Ich mit einem anderen, ursprünglicheren und leidenschaftlichen Selbst konfrontiert wird. Das Böse konnte gleichsam seinen Winkel in der Seele verlassen und als Monsterfrosch dem Menschen gegenüber treten. Die Angst vor dem Unbekannten, die verborgene Seite der Identität, tritt in der Begegnung mit dem Frosch hervor und enthüllt im Monster das Bedrohliche im eigenen Ich. Der Schauer vor dem Frosch ist ein Schauer vor dem eigenen Ich, so dass der Mensch im Anblick des Tiers sich sieht, aber nicht wiedererkennt. Die Rückbeziehung der Angst auf das Ich ist desto intensiver, je mehr sie dem bewussten Erleben verborgen bleibt. In diesem Sinn war auch der Wissenschaftsfrosch monströs, da er der Illusion Vorschub leistete, im Tierkörper das vollkommen Andere zu sehen, in Wahrheit aber den Menschen mit sich selbst konfrontierte. Verallgemeinernd lässt sich formulieren, dass wir in der Geschichte vom Frosch monströse Entwicklungen unserer eigenen Geschichte wiederfinden. Sie enthüllt Elemente des menschlichen Lebens, die wir in diesem Leben zu bemerken lieber vermeiden. Wenn sich Froschmonster auch erstaunlich lange hielten, so wurden sie doch im 19. Jahrhundert selten. Frösche, deren Körpergröße den Angaben in Papst Gregors IX. Schreiben nahe kommt, wurden nun in Südamerika und Afrika entdeckt. Aber selbst Berichte und Bilder vom afrikanischen Goliathfrosch, der bis zu vierzig Zentimeter lang werden kann, lösten keine Monsterphantasien mehr aus. Monster sind entweder von Menschen geschaffen, wie in Shelleys Roman, oder Menschenaffen wie King Kong. Froschmonster gehören nicht mehr in die Froschlandschaften.
Die Kröte als König: Shakespeares Macbeth An der Schnittstelle von spätmittelalterlichem Hexenglauben und dem Sieg über das Böse, den die Moderne für sich in Anspruch nimmt, steht Shakespeares Drama Macbeth. Das Drama führt in eine Welt aus hemmungsloser Gewalt, und Macbeth, von einem Mord zum nächsten schreitend, ist ein menschliches Monster. Er verkörpert das Böse, das sich nicht in einem Kampf mit dem Guten befindet. Denn sein Herrschaftsanspruch ist absolut. Er ist keine Störung der Theodizee, denn seine Welt könnte der Theodizee nicht fremder sein. Er handelt als die monströse Ausgeburt des Bösen, die stets das Böse will und stets das Böse schafft. Macbeth ist ein Mischwesen: König und Kröte zugleich, auf der Schwelle zwischen der mittelalterlichen Verkörperung des absolut Bösen
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3.H W ILLIAM S HAKESPE ARE , M ACBE TH (A CT 4, S CENE 1) (A cavern.) Thunder. Enter the three Witches (with a cauldron). First witch Thrice the brinded cat hath mewed. Second witch Thrice, and once the hedge-pig whined. Third witch Harpier cries, »Tis time, ’tis time!« First witch Round about the cauldron go; In the poisoned entrails throw. Toad, that under cold stone Days and nights hast thirty-one Sweltered venom sleeping got, Boil thou first i’ th’charmed pot. All Double, double, toil and trouble; Fire burn, and cauldron bubble. Second witch Fillet of a fenny snake In the cauldron boil and bake; Eye of newt and toe of frog, Wool of bat and tongue of dog, Adder’s fork, and blind-worm’s sting, Lizard’s leg, and howlet’s wing, For a charm of powerful trouble, Like a hell-broth boil and bubble. All Double, double, toil and trouble; Fire burn, and cauldron bubble. Third witch Scale of dragon, tooth of wolf,
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und einem modernen Menschen mit bösen Absichten. Der Krötenkönig ist auf dem Weg zur absoluten Herrschaft, aber er scheitert. Für einen Augenblick scheint die Macht des Bösen gefährdet. Aber das Drama zeigt Macbeths eigenes Scheitern und nicht die Überwindung des Prinzips, nach dem die Welt gebaut ist. Das Böse hat mehr Repräsentanten auf der Welt als diesen König. Der Sieg Macduffs im Zweikampf ist nichts als eine kurzfristige Unterbrechung der Herrschaft der Kröte. Die Hexen haben Macht über Macbeth und verzaubern ihn zur Kröte in Menschengestalt. Er ist schon Kröte, wenn er die Bühne betritt. Die Hexen, deren Verschwörungstreffen das Stück eröffnet, machen ihn nun, wie die Kröten ihres Höllensuds, zu einem Instrument in ihrem Unternehmen, den Menschen zu schaden und die Welt zu verderben. Mit den Hexen pflegt der König intensive Kommunikation, die aber zum grundlegenden Missverständnis ihres Orakels und seinem Ende führt. Er stirbt in einem Akt der Gewalt; weder er noch die Welt werden dadurch erlöst. Es gibt keine Wiedergeburt und keine Metamorphose. Die Kröte ist am Ende tot, aber die Hexen leben und sorgen dafür, dass der Geist der Kröte weiterlebt. Shakespeare bedient sich des Hexenglaubens.104 Zwar ist der Höllenbrei lachhaft, aber das Böse, das die Hexen aus der Tiefe heraufbringen, ist ernst, eine ernste Gefährdung der Welt. In der zentralen Beschwörungsszene werfen die tanzenden Hexen in den Kessel, was sie an ekelhaften Ingredienzien auftreiben konnten.105 Für diese Zusammenstellung liefert nicht die mittelalterliche Familie der bösen Tiere das Vorbild, sondern sie ist eine Kaskade aus bloßen Wörtern, Zeichen des Ekligen und Grauenvollen. In ihr gleitet das Böse ins Komische. Es ist offensichtlich, dass Shakespeare den verbreiteten Aberglauben über Hexen zitiert, um ihn zu parodieren. Den Kesselflickern und Fuhrleuten im Publikum dürfte dies Spiel mit Wörtern einen lustvollen Schauer versetzt und Angst in ein Theatervergnügen verwandt haben. Aber Komik und Burleske sind nur die Oberfläche des semantischen Gebräus. Die Rede vom Zauber ist ernst, wie in mittelalterlichen Texten über Schadenszauber. »Mächt’ger Zauber würzt die Brühe, Höllenbrei im Kessel glühe!« ist keine spielerische Phrase. Im Zauber stellen die Hexen eine Verbindung zum Chthonischen her, und unter dem Gelächter über die Wörter steckt das Grauen vor einer verborgenen Welt. Die hässlichen Tiere der Hexen, Elstern, Krähen und Dohlen, stellen eine Verbindung zwischen der menschlichen Welt und der dunklen Tiefe der Schicksalsmächte und der Toten her (3.3). Das wichtigste Tier für diese
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Witches’ mummy, maw and gulf Of the ravined salt-sea shark, Root of hemlock digged i’ the dark, Liver of blaspheming Jew, Gall of goat, and slips of yew Slivered in the moon’s eclipse, Nose of Turk and Tartar’s lips, Finger of birth-strangled babe Ditch-delivered by a drab, Make the gruel thick and slab: Add thereto a tiger’s chawdron, For th’ingredience of our cauldron. All Double, double toil and trouble; Fire burn and cauldron bubble. Second witch Cool it with a baboon’s blood, Then the charm is firm and good. Enter Hecate and the other three witches. Hecate Oh, well done! I commend your pains, And every one shall share i’th’gains. And now about the cauldron sing, Live elves and fairies in a ring, Enchanting all that you put in. Music and a song, »Black spirits,« etc. Second witch By the pricking of my thumbs, Something wicked this way comes. Open, locks, Whoever knocks! Enter Macbeth.
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Verbindung ist aber die Kröte (4.1). Sie gehört, anders als die lachhaften Zufallsingredienzien der langen Aufzählung, notwendig in den Brei. Sie ist die Quelle des Giftes im Sud.106 Kröte, die im kalten Stein Tag’ und Nächte, drei Mal neun, Zähen Schleim im Schlaf gegoren, Sollst zuerst im Kessel schmoren!107
Die Eröffnungsszene schafft die Zeit der Hexen, des Zaubers und der Kröten, und das ist die Zeit der Finsternis. Sie wird zu einem Handlungsmoment im Stück. Die Welt und das menschliche Schicksal sind nicht nur in Dunkelheit gehüllt, sondern im Drama ohne Sonne und Licht wird das Dunkel zu einer autonomen Macht. Dunkelheit schafft einen Raum der Verwirrungen, des Archaischen, einen Raum vor den trennenden Linien. Es ist die Dunkelheit, aus der die bösen Tiere des Mittealters kamen. Von dort kommen die Hexen, die unreinen Frauen, die Bärte tragen und die Grenze zwischen männlich und weiblich verletzen, und die unreinen Tiere, die Kröten.108 Wenn die Hexen die Kröten beschwören, holen sie das Archaische in die Gegenwart. In das Ungeschiedene der Dunkelheit gehört das sprachlich Unartikulierte: »Double, double, toil and trouble […] bubble«. In der ersten Szene des Dramas ruft eine Kröte, und die Wirkung dieses Lautes ist es, die Differenzierungen der Sprache aufzuheben: »Schön ist hässlich, hässlich schön.« (1.1) Der Ruf des Tieres führt an die Anfänge zurück, bevor Sprache Unterscheidungen einführte. In dieser Tiefe wird das Schicksal festgelegt. Sobald die vorsprachliche Tiefe in Sprache übersetzt werden soll, wird sie unverständlich oder mehrdeutig und daher für die Planung von Handeln wertlos. In Macbeths Rede setzt diese Verwirrung sich fort: »So schön und hässlich sah ich nie ’nen Tag.« Der fehlende Zusammenhang zwischen geplantem Handeln und der Sphäre, in der das Schicksal determiniert wird, führt zu Macbeths Untergang. Macbeth reflektiert über die Frage der Entscheidungsfreiheit und kommt zum Schluss, dass er sein Handeln nicht kontrollieren kann. Er sieht sich einem Zwang zum Bösen unterstellt. Diesem Determinismus entspricht die Struktur des Dramas. Sein Ende wird in der ersten Hexenszene vorweggenommen. Die Hexen wissen, was die Zukunft bringen wird, und sie sind nicht nur Wissende, sondern greifen als Agenten des Bösen in das Leben ein. Macbeth ist kein psychologisches Drama, das die Frage nach dem Bösen am
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Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft entfaltete. Dem Tun ohne Wissen, dem Handeln aus dem Unverstandenen, das im Kopf glüht, wie Macbeth sagt, entspricht keine moderne Konzeption des Unbewussten. Es ist vielmehr Teil eines Determinismus, der auf die Metaphysik des sprachlosen Dunkels weist. Das Böse ist nicht die Folge einer Abwesenheit des Guten, sondern das Böse ist das Konstruktionsprinzip der Welt, und das Prinzip könnte nur gebrochen werden, wenn menschliches Handeln in die Macht der Kröten, die schon immer da sind, eingreift – Macduff nimmt den Kampf auf, siegt und ist dennoch der Unterlegene. Macbeth geht siegessicher in den entscheidenden Zweikampf, und seine Niederlage geht auf die Geburt seines Gegners zurück. Er glaubt der Prophezeiung, er könne keinem unterliegen, der von einem Weib geboren wurde und geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch von einem Weib geboren wurde. Am Ende erfährt er, dass die Prophezeiung zweideutig war: sein Gegner kam durch einen medizinischer Eingriff, durch den die Gebärmutter umgangen wurde, zur Welt. Von den mittelalterlichen Nerolegenden bis in die Schulmedizin zu Shakespeares Zeit war die Gebärmutter eine Kröte, unrein, und Macduff, frei vom Unreinen des Gebärens, kann die Kröte, das Monster, das »seltne Ungeheuer«, wie er Macbeth nennt, besiegen. Aber mit dem Tod Macbeths kommt das Problem der Macht des Bösen nicht zu einem Abschluss. Macbeth führt in eine Welt der Krötenherrschaft ein: böse und unbesiegbar. Macduffs Sieg steht am Ende, ist aber nicht endgültig. Selbst wenn der Krötenkönig unterliegt: Die Herrschaft des Bösen ist durch seinen Fall nicht gebrochen. Macduffs Sieg verändert die Konstruktion der Welt nicht. Denn der Ursprung des Bösen ist unerreichbar. Die Herrschaft der Hexen und der Monster ist gesichert. Mit dem Triumph des Bösen, das sich auch vom reinen Gegner nicht besiegen lässt, weist Shakespeares Drama aus dem Mittelalter ins Zentrum der Moderne, in der sich das Böse aus allen Bindungen emanzipiert. Du Schurke, blut’ger Als Sprache Worte hat (5.7)
sagt Macduff zu ihm. Dieser Vergleich stellt das Böse der Taten ihrer Benennung durch Sprache gegenüber und impliziert, dass die Sprache keine Worte für das absolut Böse habe. Hier wird die Frage nach der Darstellbarkeit des absolut Bösen, die das 20. Jahrhundert bewegte, am Beginn der Neuzeit zum ersten Mal gestellt. Ist es erlaubt, fragt Elizabeth Costello für unsere Gegenwart, das Böse in der Sprache zu wiederholen? Das national-
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sozialistische Deutschland und speziell das Böse in Hitler, wie Paul West es in seinem Buch über die Hinrichtung der Verschwörer vom 20. Juli schildert, liefert der zweifelnden Elizabeth Costello das aktuelle Beispiel. Ihre Bedenken sind existenziell und nicht subjektiv moralisch, wie ein Fragesteller nach ihrem Vortrag vermutet. Sie gibt ihre Antwort nach einem langen Zögern. Sie setzt sich über die Gefahr hinweg, die Wiederholung eines Verbrechens in der Sprache könne selbst eine Untat sein und Schaden zufügen. Shakespeares Macbeth stellt diese Frage am Anfang der Moderne, die sich am Ende der Moderne wiederholt. Macduff fehlt die Sprache, aber Shakespeares Drama über den Krötenkönig gibt die Antwort, auf die Elizabeth Costello sich stützen könnte.
3.3 D AS H ÄSSLICHE UND DIE S INNE : I DIOSYNKR ASIE . F ROSCHBILDER DER N EUZEIT IN EINER K ULTURGESCHICHTE DER S INNE In Shakespeares Drama lässt sich eines der letzten großen Beispiele für die theologische Definition von Frosch und Kröte als Akteure des Bösen sehen. In dieser Zeit begann eine Umwidmung der theologischen Definition, die aus dem bösen Frosch das hässliche Tier machte. Im Kontext einer Emotionalisierung des Naturverhältnisses bildeten sich die Tiere des Ekels, die sich nur teilweise mit der älteren Familie der bösen Tiere überschnitten. Wenn sich am Froschbild die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung für die frühe Neuzeit zeigt, so kann es doch nicht als Folge des Blicks auf das Tier verstanden werden. Das Hässliche und Ekelhafte, am Froschkörper wahrgenommen, entstanden nicht durch Beobachtung. Vor der sinnlichen Wahrnehmung von Eigenschaften der Frösche und Kröten wirkte eine Einstellung zum Tier, ambivalente und meist negative Gefühle. Der Frosch der Neuzeit hat eine Geschichte, da die Schwankungen der Gefühle den Sinnen eine Geschichte gaben. Die theologische Frage nach dem Ursprung des Bösen wurde von der Frage nach dem Ursprung des Hässlichen ersetzt. Bis ins 18. Jahrhundert galt das Hässliche nicht als erklärungsbedürftig. Es war eine Abweichung vom Schönen der Natur und daher, wie Gottsched schrieb, etwas »ungestaltes und abgeschmacktes«.109 Im Lauf des Jahrhunderts wurde aber das Hässliche aus einer Position der Unterordnung unter das Schöne befreit und als positive Größe dem Schönen gegenübergestellt. Allerdings wurde erst
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im 19. Jahrhundert die Frage nach dem Hässlichen in der ästhetischen Theorie explizit gestellt. Für das Froschbild war dieser Umschwung bedeutend. Die Beziehung von Mensch und Frosch wurde nicht mehr durch theoretische Definitionen festgelegt, sondern wanderte in die Psyche. Der Ursprung des neuen Froschbilds lag weder im Sündenfall noch in der Natur, sondern in Affekten. Sie lenkten den Blick: Die Berührung oder bereits der bloße Anblick waren abstoßend und machten schaudern. Dieser Frosch war nicht hässlich, weil die Natur ihn so geschaffen hätte, sondern weil der Betrachter ihn mit einem starken Gefühl wahrnahm, das er mitbrachte, und das für die Moderne symptomatisch wurde: Ekel. Kröten seien »allgemein verabscheut und sogar gefürchtet und ihre unheimliche Lebensweise, die widerliche Warzenbildung der Haut, die sehr eigenthümliche, an Knoblauch, Schwefel oder Schießpulver erinnernde Ausdünstung, […] endlich der starre, aber durchdringende Blick der großen goldfarbenen Augen, – dies Alles ist nicht geeignet, das Vorurtheil zu zerstreuen«.110 Ganz berechtigt spricht diese Bestandsaufnahme von einem Vorurteil, also einem Urteil, das der Empirie vorausgeht und durch sie nicht revidiert, sondern bestätigt wird. Frösche und Kröten seien harmlos, schreibt ein um Entmythisierung bemühtes Handbuch: »Indeß kann die unerwartete Berührung einer Kröte bei reizbaren und phantastischen Personen wohl einen Hautreiz, einen frieselartigen Ausschlag hervorbringen.«111 Darin liegt der entscheidende Hinweis: Das reizbare und phantastische Ich ist für das Entstehen des Vorurteils und seine Bestätigung durch Beobachtung nötig. Der hässliche Frosch hat seinen Ursprung in einer Kombination aus körperlicher Reizbarkeit und mentaler Einstellung. Er wird in einer vorbewussten Leibreaktion erlebt. Die ist psychosomatisch, wie die Symptome zeigen: körperlich als Hautausschlag und Allergie und emotional als Ekelgefühl. Der Blick bestätigt die spontane psychosomatische Reaktion und löst die Bewertung aus. Als einen Einbruch des Überraschenden in die Gewöhnlichkeiten des Alltags hat Silvia Bovenschen die Idiosynkrasie beschrieben. »Wir nehmen etwas genau, übergenau, wahr und gleichzeitig uns selbst, wie wir mit gesträubtem Haar, einer Gänsehaut, brennenden Wangen – einem kleinen idiosynkratischen Anfall – auf das Wahrgenommene in seiner scheinbaren Geringfügigkeit reagieren.«112 Diese Beschreibung der idiosynkratischen Reaktion trifft die Begegnung mit Frosch und Kröte recht genau. Ein leiblicher Impuls wird ins Psychische übertragen, und in der Verknüpfung formen sich Phobien und Allergien. Der Anlass ist geringfügig, und dennoch steht die Reaktion im Zentrum der Aufmerksamkeit. Plausibilität des Urtei-
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lens ist nicht gefragt. Der, zoologisch betrachtet, banale Anlass der Phobien und Allergien steht in einem bizarren Missverhältnis zu der Macht, die der Frosch über den ganzen Menschen gewinnt. Die Reaktion ist dem Auslöser unangemessen, erfüllt aber den Leib und alarmiert das Ich. Das Panische, das vom Anfall ausgeht, wirkt unter der Schwelle bewusster Kontrolle und löst elementare Affekte aus, im Leib, in Organen, Herz und Magen. Er ist unkontrollierbar und versetzt das Ich in Schrecken. Die idiosynkratische Reaktion auf den Frosch ist in der Affekt- und Geistesgeschichte der europäischen Neuzeit vorherrschend. Der idiosynkratische Anfall kann als körperliche Reaktion nicht erfasst werden. Er kommt aus dem Körper, aber er ist zugleich tiefgreifend kulturell konditioniert. Der auslösende Blick ist nicht natürlich, sondern durch das Vorurteil gelenkt. Ekel lässt sich nicht auf eine einfache Reaktion auf sinnliche Wahrnehmungen einengen und ist aus einem temporalen Nacheinander von Sinnesreiz und Bewertung nicht zu verstehen. Er wird durch einen Anblick ausgelöst, aber dem Auslöser geht eine mentale Einstellung des Subjekts voran. Unlust und Ekel entstehen in einem Blick, der das Hässliche im Gegenstand konstruiert. Der hässliche Frosch entsteht nicht in einem Blick, dem er vorgegeben wäre, sondern aus einer den Blick leitenden Einstellung. Der Anfall braucht einen Auslöser, und der ist bereits kulturell definiert und bewertet. Frosch und Kröte sind immer schon ein vorgestelltes Bild. Die idiosynkratische Reaktion auf das Tier öffnete der Psyche eine neue unheimliche Tiefe, in der zugeschriebene Eigenschaften sich mit selektiven Wahrnehmungen zu einem Gesamtbild verbanden. Die Idiosynkrasie »heftet sich an Besonderes«,113 an das, was in »die Zweckzusammenhänge der Gesellschaft« nicht einfügt werden kann. Dies Besondere ist eine Erfindung der Kultur, die nicht unter Formen der Natur zu subsumieren ist. Das gilt seit der Emotionalisierung der Wahrnehmung auch für den Frosch. Er läuterte sich nicht zum Zweckvollen der Zivilisation und blieb das Besondere und Störende. Das Bild vom hässlichen Tier entstand aus der Übertragung der mentalen Konstruktion in den Diskurs, in Kunst und Alltagsmythologie und setzte die lange Geschichte der Froschbilder fort, in der der Blick auf das Tier wahrnahm, was zunächst die theologische Definition und nun das psychische Vorurteil ihm zeigte. Das Ekelbild des Hässlichen erhielt sich, als dem Tier die magischen Kräfte längst nicht mehr zugetraut wurden, die ihm Macht gegeben und es in die Retorten der Alchemisten gebracht hatten. Wenn an die Stelle der theologischen Idee und der alchemistischen Magie das psychologische Vorurteil trat und den Frosch hässlich machte, so lässt sich über das Kör-
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perbild sagen: je hässlicher, desto wirklicher. In dieser kulturellen Neuschöpfung gewann das unscheinbare und schwache Tier eine neue Macht. Diese Macht entstand nicht aus der Repräsentation des Teufels, sondern aus dem Ich. Nicht durch imaginierte Möglichkeiten des Teufels, sondern durch die am Frosch wahrgenommenen Eigenschaften der Natur des Selbst entwickelte sich ein Tierbild, das die Produktion von Froschbildern im Alltag, in Kunst und Literatur lenkte.
Leibreaktion: Ekel Ekel ist in der Kulturgeschichte ähnlich verborgen oder unkenntlich wie der Frosch, und für beide gilt, dass sie sich spät aus Abhängigkeiten lösten und begannen, eigene Geschichten zu entwickeln.114 Diese beiden Geschichten verlaufen seit dem 18. Jahrhundert in vielen Hinsichten parallel, und zahlreiche Überschneidungen lassen sich finden. Eine Gemeinsamkeit ist die Opposition zum kulturellen Diskurs der Rationalisierung. Der im 18. Jahrhundert einsetzende Ästhetikdiskurs brachte eine temporale und kausale Ordnung in das unordentliche Empfinden des Hässlichen. Er behandelte Abscheu und Ekel als die Folge des Blicks auf das Hässliche, das zunächst als Abfall vom Schönen, als seine negative Seite vorgestellt wurde.115 Am Anfang, bei Baumgarten, Sulzer und Kant, steht eine klare Opposition von schön und hässlich als Empfindungen, die den Ekel als eine negative Reaktion, als Missvergnügen und geistige wie physische Ausstoßung (Reiz zum Übergeben) verstehen. In seiner frühen Schrift über das Gefühl des Schönen und Erhabenen schreibt Kant: »Dem Schönen ist nichts so sehr entgegengesetzt als der Ekel.«116 In Kants Kritik der Urteilskraft (1790) fehlt die Behandlung des Hässlichen und Ekelhaften. Was in der Natur hässlich oder missfällig ist, schreibt er, mache die Kunst schön. Krankheiten oder die Furie des Kriegs könnten in der Kunst sehr schön dargestellt werden. Nur »eine Art Hässlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Ekel erweckt«.117 Aufgrund dieser Ansicht ist der ekelerregende Frosch in der Literatur dieser Periode abwesend. An Goethes Metamorphosenlehre zeigt sich, dass die Abwesenheit des Froschs symptomatisch ist, und diese Lücke hat Konsequenzen für die Kunst wie die Theorie der Natur. Aus der Entgegensetzung bestimmt Kant später, sehr konventionell, den Ekel als die »negative Bedingung des Wohlseins«.118 Öffne das Schöne
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ein unendliches Feld der Vorstellungen, so ist das Ekelhafte nach Kant an die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung gebunden, verharre im Endlichen und mache die Sinne unfrei. Das so eingeengte und gezähmte Ekelhafte eignete sich für ein didaktisches Programm, dem sich der späte Kant widmete, und das mit der moralischen Erziehung der Aufklärung zu einer gewaltfreien Gesellschaft im Bunde stand. Sobald Hass, der stets zu Gewalt führe, umgelenkt und in Ekel übertragen werde, argumentiert Kant, sei ein Beitrag zum gesellschaftlichen Frieden geleistet. Andere Philosophen des 18. Jahrhunderts gingen weiter und gaben sich der Phantasie hin, negative Emotionen wie der Ekel könnten vollkommen vertrieben werden. In dieser Bewertung des Ekels steckt eine Aufwertung der produktiven Leistung des Subjekts (vgl. Kapitel 4). Der Frosch ließ sich jedoch in diesen Diskurs nicht einordnen. Ekel ist ein innerer Widerstand, eine leibliche Revolte gegen das Unreine. Der Ekel verleiht noch keine Bedeutung, sondern wirkt als Auslöser. Der Gegenstand des Ekels, schreibt Kolnai in einer grundlegenden Studie, habe »einen Hang zum Versteckten, Verborgenen, Mehrschichtigen, Undurchdringlichen und Unheimlichen […], wie andererseits zu Schamlosigkeit, Aufdringlichkeit und Anlockung und Versuchung«.119 Das zugleich Auffällige und Anlockende sowie Verschleierte und Abstoßende, wodurch das Ekelhafte ausgezeichnet ist, vertreten Frosch und Kröte wie kein anderes Tier auf dem Land. Letztlich lasse sich im Ekel eine existenzialistische Haltung ausmachen: die Erinnerung an den Todessinn. »Die im Ekelhaften gegenwärtige Todesfratze mahnt uns an unsere eigene Todesaffinität, unsere Todesunterworfenheit […]«.120 Einen metaphysischen Schrecken, den das spätmittelalterliche Bild vom toten Liebespaar sichtbar machte, löste das Froschbild seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr aus. Ekel regte sich nun als eine welt-immanente Reaktion. Aber auch sie überstieg die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung und wurde zu einem emotionalen Widerstand gegen das Rationalitätsideal. Die Bedeutung des Ekels für das Entstehen des Froschs als dem hässlichen Tier, das sich nicht einordnete, will ich mit einigen kurzen Beispielen illustrieren.
Gehör, Geruch, Tasten, Schleim, Gewimmel und starke Gefühle Gehör Der hässliche Frosch entsteht außer durch den Geruch, das Visuelle und Taktile auch durch das Akustische. Isidor leitet den Namen (rana) von
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»ihrem Gequake« ab, »weil sie um die Sümpfe, wo sie geboren werden, lärmen und den Klang ihrer Stimme mit lästigem Geschrei von sich geben«.121 Der Brockhaus (1837) berichtet über Frösche: »Die Männchen haben eine laute Stimme, welche bei einigen ein Quaken, bei andern ein Brummen, Pfeifen, Heulen oder Knarren ist.« Das dissonante Lärmen der Frösche wurde als das akustisch Ekelhafte empfunden. Es war besonders störend, denn ihm war nicht zu entkommen, da die Ohren sich nicht verschließen lassen. Im Lärm, den die Tiere vor allem im Dunklen erzeugten, verband sich das Hässliche mit dem Unheimlichen.122 Es verletzte nicht nur den ästhetischen Sinn, sondern unterbrach für Christen den Kontakt des Menschen zu Gott, hinderte am Sprechen des Gebets und am Lauschen auf Gottes Antwort. Die Kombination von Lärm als widerlichem Geräusch mit der Störung des christlichen Lebens gab Anlass zu finsteren Geschichten über den Teufel, der durchs Ohr in den Menschen eindringe. Eine Legende aus Schwaben berichtet, dass im See unterhalb der Rechenberger Burg die Frösche ungewöhnlich laut schrien. Ihr Lärm störte die Geistlichen beim Gebet. Sie führten einen Exorzismus aus, und nachdem sie die Frösche »beschworen« hatten, setzte vollkommene Ruhe ein. »Jetzt soll noch kein Frosch, Jahr aus und ein sich da hören lassen, während im benachbarten Schwindelweiher alles zusammen quakt.«123 Das Unheimliche des Akustischen gewann in den Unken eine besondere Bedrohung. Sie waren nicht zu sehen, aber stets anwesend. Man wusste von ihnen, dass sie im Brunnen saßen, bewegungslos unter dem Wasser. Den Blick in die Zukunft gerichtet, stießen sie ihre Rufe aus, stets in der Dunkelheit und stets Unheil verkündend. In vielen Teilen Deutschlands gab es das Froschstillen, bei dem Gegenlärm die Frösche zum Verstummen bringen sollte oder zu bestimmten Jahreszeiten Spülwasser oder Gebeine ins Wasser geworfen wurden, um die Frösche zum Schweigen zu bringen. Auch Heilige oder Geister wurden angerufen. »Wer Frösche zum Schweigen bringen konnte, der tat einen Dienst an der Gemeinschaft. Das ist eine Handlung, die mit großen Gesten ausgeführt werden musste.«124 Ich habe mir berichten lassen, dass noch bis zu Beginn des letzten Jahrhunderts in manchen Dörfern Hessens und Bayerns Jugendliche angestellt wurden, um des Nachts die Kröten und Frösche zu stören und daran zu hindern, Lärm zu machen.
Geruch Geruch dringt besonders tief in das Gefühlsbild ein. Gemeinsam mit dem Feucht-Dumpfigen ihrer Höhlen verbreiteten diese Tiere den ekelerregen-
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den Geruch von Tod und Verwesung.125 Körperliche Reaktionen wie Übelkeit und Brechreiz folgen. Der Geruch dieser Tiere überführte Wahrnehmung in Emotion. Er wurde – das Vokabular für Gerüche ist beschränkt – seit dem Mittelalter als Schwefel bezeichnet. Unter den wenigen Geruchsrezeptoren, die der Mensch erhalten hat, gibt es keine für den Teufel. Schwefel, gelegentlich auch Knoblauch, waren die Gerüche des Teufels. In späteren Jahrhunderten kam Schießpulver hinzu, wenn der Geruch die Anwesenheit des Teufels verriet. Der zitierte Handbuchartikel fügt dem Hinweis auf die verbreitete Furcht hinzu, Kröten seien nicht gefährlich, denn ihr verspritztes Sekret sei vermutlich nichts als ihr sehr übel riechender Urin, der weder ätze noch Blasen ziehe. Dieser Kommentar soll beruhigen und die Angst vor der Kröte nehmen. Er erzielt aber einen gegenteiligen Effekt: Die Gefahr, mit dem übel riechenden Sekret in Berührung zu kommen, selbst wenn es Urin sein sollte, löst Ekel und eine diffuse und tiefer liegende Angst aus als die Furcht vor Gift. Auch der weitere Versuch einer Beruhigung verfehlt seine Wirkung. Die Tiere seien zahnlos und könnten nicht beißen, auch seien sie sehr langsam. Eine Furcht wie die vor der schnellen und beißenden Giftschlange, die wohl gemeint ist, sei also unbegründet. Aber die Furcht, in eine Wolke aus übel riechendem Krötenurin eingehüllt zu sein, schafft eine ekelerregendere Emotion als die bestimmte Furcht vor einem Schlangenbiss.
Schleim Ist der Geruchssinn das am tiefsten in die Psyche eindringende Organ für das Ekelempfinden, so hat die taktile Wahrnehmung wohl die nachhaltigste Wirkung. Nicht im Mittelalter, aber in der Neuzeit wird der Frosch mit dem Weichen und Feuchten assoziiert. Er kann mit dem Wasser als Lebenselixier und Element der Fruchtbarkeit verbunden werden; die Mythologie Europas machte ihn jedoch zum unreinen Tier im Sumpf, bedeckt mit ekligem Schleim. Bis ins 20. Jahrhundert wurden Frösche und Kröten als schleimige Tiere vorgestellt; ein Unterschied lag darin, dass der Schleim der Kröten als giftig galt. »Die gemeine Kröte, die Kreuzkröte und die sogenannte Acoucheurkröte […] sind allgemein verabscheut und […] der (mit Unrecht) für giftig gehaltene schleimige Saft, der bei Berührung oder Erschreckung aus vielen Körpertheilen hervortritt […]«,126 mache sie besonders abstoßend. Das Schleimig-Feuchte wird der Haut von Frosch und Kröte zugeschrieben, obwohl die Berührung der meisten Froscharten zeigt, dass ihre Haut fest
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ist und schnell trocknet und keinen physischen Grund für dieses Urteil liefert. Das Urteil beruht nicht auf der Berührung, sondern ist ein durch das Auge vermittelter phantasierter Reiz. Die vom Unreinen ausgelöste Phobie wird auf die Froschhaut projiziert. Auch die Vorstellung, Frösche kämen »auß dem Schlamm und Koth des faulen Waßers«,127 erhielt sich lange Zeit gegen das längst entwickelte Verständnis der Zeugung. Das phantasierte Schleimig-Feuchte des Körpers und auch der Schleim des Laichs wecken Gefühle von Zerfall und Auflösung. Es gemahnt an den Anfang, an die Zeugung vor der Formwerdung und das Ende, das Zerfließen der Form im Schleim der Verwesung. Die Verbindung von Schleim und Auflösung bildet eine Grenzerfahrung, in der das Eklige dem Menschen die Grenze des Ich-Ideals und der Selbstbestimmung erfahrbar macht.128 Im Schauer vor dem feucht Gestaltlosen wird das Ich vom vorbewussten Wissen, dass sein Körper, nicht anders als der Frosch, aus verwesender Materie, Feuchtigkeit und Schleim besteht, geschüttelt. Die Verbindung von Feuchtigkeit und Schleim mit der rätselhaften Zeugung blieb im 18. Jahrhundert ein wichtiger Aspekt im entstehenden wissenschaftlichen Froschbild, wovon Protokolle der Anatomen handeln (Kapitel 5).
Unvollkommener Körper Der Froschkörper wurde durch das inzwischen ausgestorbene Wort »ungestalt« bezeichnet: eine gestörte Beziehung zur Symmetrie und den idealen Grundformen der Geometrie. Ihm fehlten mehr als anderen Tieren die regelmäßigen Formen, die seit Vitruvs Polemik gegen das Monströse für die Proportionen des schönen Körpers galten.129 Bis ins 18. Jahrhundert galt der Frosch als ein in der Schöpfung unvollkommen gebliebenes Tier. Der Froschkörper widersprach dem Harmoniebedürfnis, mit dem seit der Renaissance der Körper betrachtet wurde. Goethe schrieb in den Xenien, er fände »die hinteren Füße um vieles zu lang, so wie die vorderen zu kurz«.130 Das Disproportionale der Gestalt wurde als die äußere Erscheinung einer inneren Unvollkommenheit wahrgenommen. Das unvollkommene Tier war das in der Schöpfung unvollständig gebliebene Tier. Frühe wissenschaftliche Sektionsberichte betonten ausdrücklich, dass alle Organe vorhanden seien und die Natur den Frosch als ein vollständiges Lebewesen geschaffen habe. Die Vorstellung erhielt sich dennoch hartnäckig. Sie muss im größeren Zusammenhang der Missgestalt in der Geschichte des europäischen Körperbilds gesehen werden. Dem Blick stellte sich der Froschkörper nicht nur als ungestalt, sondern als deformiert dar. Wer wurde im Frosch deformiert?
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Der Froschkörper wurde als eine Abweichung von der menschlichen Anatomie verstanden: der Frosch als verunstalteter menschlicher Körper. In der Phantasie gingen Frosch- und Menschenkörper ineinander über. In der Körperform eines Säuglings, der auf dem Rücken liegt, wurde ein Froschkörper gesehen.131 Der Frosch war dem Menschen auf eine rätselhafte Weise ähnlich, wenn auch in der Negation. Die Verwandlung vom hässlichen Frosch in den schönen Menschen ist die positive Umkehr der Deformation, die zuvor durch Zauber ausgelöst worden war. Die Augen der Kröte waren nicht nur phosphoreszierend, sondern auch Fenster der Seele, eine Metapher, die sonst für Menschenaugen gebraucht wurde.132 In ihnen konnte man noch im verunstalteten Körper den Schein des Menschlichen erkennen. Eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit war der Buckel. Gesner spricht vom Gartenfrosch als dem hässlichsten unter den Fröschen, denn er habe einen »hogeräckten ruggen«. Die Illustration zeigt einen phantasierten Froschkörper, in der kolorierten Fassung grün mit roten Punkten und mit einem ausgeprägten Buckel.133 Bilder vom buckligen Frosch ziehen sich bis ins 19. Jahrhundert. Von Homer bis Victor Hugo war der Buckel das auffälligste Zeichen der Deformation. Buckel lösten Aggression aus und machten zugleich Angst, da die Buckligen über geheime Macht verfügen sollten. Im buckligen Frosch verbirgt sich ein deformierter Mensch. Der eine ist das Modell des anderen, und der verbreitete Volksglaube versteht diese Deformation als Zeichen von innerer Unsauberkeit und eines diabolischen Charakters. Beide waren Gegenstand von Verachtung und konnten zur Denunziation gebraucht werden, wie das bekannte Beispiel der Invektiven gegen Lichtenberg unter Verwendung seines Buckels zeigt.134 Die tiefe Ambivalenz gegenüber dem Hässlichen zeigt sich aber auch an dieser Deformation. Sie war nicht nur furchterregend, sondern konnte, wie der Teufel selbst, Glück bringen. Es brachte Glück, den Buckel eines Menschen zu berühren;135 und so konnte unter besonderen Umständen auch die Begegnung mit dem buckligen Frosch Glück bringen. Davon sprechen Frösche an Brunnen auf städtischen Plätzen. Die Kalksteinfassade der Universität von Salamanca ist reich verziert. In der Höhe, an einem Säulenkapitel, hat der Steinmetz einen Frosch verborgen. Er hockt, umgeben von ungestalten Fabelwesen, Fratzen, gehörnten Böcken und deformierten Menschenleibern, auf einem Totenschädel. 136 Er ist dort oben schwer zu finden, aber er bringt demjenigen Glück, der ihn in dem Pfuhl der Albtraumfiguren entdeckt. Der Augenkontakt steht für die Berührung mit der Hand, und selbst über die große Entfernung reicht die Zauberkraft des deformierten Tiers.
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Abbildung 11: Frosch auf einem Totenschädel über dem Portal der Universität von Salamanca (15. Jahrhundert)
Gewimmel In der Gegenwart werden Kröten über Straßen getragen und Warnschilder aufgestellt, um die Tiere vor dem Verkehrstod zu retten. Da fällt es schwer, sich vorzustellen, in welchen Massen sie in früheren Jahrhunderten zu sehen waren. Vor der Urbanisierung und Trockenlegung weiter Teile der Landschaft waren Frosch und Kröte Teil des Alltags, saßen im Garten, im Keller, in dunklen Ecken der Wohnung, auf der Latrine. Sie wurden in Massen eingesammelt und in Apotheken und von Ärzten verwandt. Es waren Tiere, auf die man allüberall traf und mit denen man die Welt des gewöhnlichen Zaubers teilte. Der massenhafte und allgegenwärtige Frosch war das Tier des Gewimmels. Frösche waren so zahlreich, dass man ihrer nicht Herr werden konnte, und darin lag die letzte Steigerung des Negativbilds. Das Gewimmel hat keinen Anfang, und das Gewimmel hat kein Ende. Der Frosch war Gewimmel. Das Gewimmel der Kaulquappen oder der Massen von Fröschen auf nassem Gras und der Kröten bei ihren Frühjahrswanderungen wurde früh auf eine Weise beschrieben, dass aus der visuellen Wahrnehmung ein negatives Urteil sprach. Das Leben des Gewimmels der Massen
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von Körpern wurde mit primitiven Formen von Leben assoziiert, gleichsam als ob sich ein unterschwelliges Wissen über den Anfang des Lebens auf dem Land erhalten hätte. In diesen Ahnungen wirkte eine Bedrohung des Zivilisierten durch eine gefürchtete Macht des Archaischen, und sie lösten Abwehr aus. Der Ekel vor dem Gestaltlosen zeigte aber zugleich eine Faszination. Die Überfülle und Nacktheit des Gewimmels zogen den Blick unwiderstehlich an. Das schiere Vorhandensein der Maßlosigkeit im Gewimmel erzwang einen Voyeurismus, der dem Beobachter, auch wenn er nicht sehen wollte, den Anblick von Obszönität aufzwang. In der Überfülle zeigte sich Verschmelzung ohne Grenzen und das Anti-Geistige einer primitiven Vitalität des Massenhaften. Das hemmungslose Wuchern erzeugte Abscheu und erregte Ekel vor dem Nackten, in dem sich das Leben als Primitivität bloßstellt. Der Ekel vor der wuchernden Fruchtbarkeit war mit einer Abwertung der niederen Formen von Leben verbunden – einer sozialen Form des Hässlichen. Aus dem Gewimmel leitete sich die Einschätzung des gesellschaftlich Minderwertigen ab, des bloß Animalischen, aber es führte auch zur Vorstellung von Unbesiegbarkeit und setzte Phantasien von Unsterblichkeit frei. Am Frosch wurde Unsterblichkeit nicht im Sinn der individuellen Unsterblichkeit verstanden (auch das gab es allerdings). Die Unsterblichkeit wurde in der Masse gesehen, die als Eines vorgestellt wurde. Der Volksglaube entwickelte im Hinblick auf die Froschmassen die Vorstellung einer Überwindung des Todes. Ihr Erscheinen im Frühjahr wurde nicht als das Ende des Winterschlafs, sondern als Auferstehung verstanden.137 In diesem Bild von Unsterblichkeit steckte keine Bewunderung, sondern das Gegenteil: Sie wurde als Perversion des Heiligen empfunden und machte den Frosch abstoßend. Die rätselhafte Eigenschaft der anscheinend grenzenlosen Reproduktionsfähigkeit, die sich in der Masse von Körpern zeigte, stand in einem Spannungsverhältnis zu seinem Leben im Verborgenen. Die beiden Eigenschaften kombinierten sich zu Phantasien über eine geheimnisvolle Stärke, die sich in dem schwachen Körper verbarg. Die Unsterblichkeitsidee wurde auch auf das einzelne Tier übertragen. Kröten werden laut Pierers Universal-Lexikon gewöhnlich bis zu dreißig Jahre alt, können aber, »wenn sie zufällig so verschüttet werden, daß keine oder wenig Wärme zu ihnen dringt, viele Jahrhunderte schlafen. Man hat sogar in Baum- und Steinblöcken Kröten eingewachsen gefunden.«138 Der Krünitz stellt fest: »Frösche […] haben ein überaus zähes Leben; denn sie schwimmen noch einige Stunden im Wasser herum, nachdem man ihnen
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das Herz aus dem Leibe gerissen hat.« Diese Stärke machte den Frosch für das Experimentieren besonders geeignet und Gleditsch berichtet, er habe Frösche im Eis eingefroren, so dass nur noch der Kopf rausguckte. »Nachdem ich sie langsam aufgedauet, sind sie zu ihrer vorigen Munterkeit gelanget.«139 Aus diesen Charakterisierungen spricht nicht die Bewunderung für eine besondere Eigenschaft dieser Tiere. Die Beobachter nehmen nicht die Anpassungsfähigkeit als einen Vorzug oder eine starke Lebenskraft wahr, die sie gegenüber den komplexer entwickelten Tieren wie Affe und Mensch auszeichneten. Aus den Beobachtungen sprechen vielmehr Gefühle des Abscheus, wenn nicht der Bedrohung durch die Masse des Gewimmels und des einzelnen Tiers, in dem stets die Masse gesehen wird. Paracelsus und die Theoretiker seiner Zeit sprachen vom Froschregen und den Massenwanderungen der Frösche und Kröten mit Staunen über die einfallsreiche Natur. Im Laufe des 17. Jahrhunderts ändert sich die Einstellung. Das intelligible Subjekt erhebt sich und stellt sich dem Natur-Gewimmel gegenüber. Das Gewimmel wird zum negativ bewerteten Gegensatz des Subjekts und zur Bedrohung der Autonomie des selbstbestimmten Seins. Die Angst vor der Gefahr, den Subjektstatus zu verlieren und ins Gewimmel zurückzufallen, spricht aus der Beobachtung des unsterblichen Gewimmels. Im Abscheu vor dem Natur-Gewimmel kündigte sich die Angst vor den Massen des Industriezeitalters an.
Kein Platz für das Gewimmel in der Kunst Das verachtete Tier des Gewimmels hatte keinen Platz in der Malerei. Tiermalerei heroisierte oder idealisierte Tiere und machte noch den Leichnam, das getötete Tier, repräsentativ für das Subjekt. Die Körper von toten Tieren, die durch die Jagd ihr Leben verloren hatten, von der Ente zum Hirsch, wurden darstellungswürdig. Bilder erhoben sie aus der Masse und verliehen, dem Individuum in der Porträtmalerei nicht unähnlich, den Ausdruck des Einzellebens. Für die Tiermalerei des Jahrhunderts galt die Pflicht, die Tiere aus dem Gewimmel zu lösen und ins Einzeldasein zu erheben. Repräsentative Tiere aus den kostspieligen Menagerien des Adels, die einzeln erworben oder als Geschenke zeremoniell übergeben wurden, waren beliebt. Das »grosse Roos’sche Thierstück«, zwischen 1722 und 1729 in Kassel entstanden, ist zwar durch seine Größe außergewöhnlich, kann jedoch als exemplarisch gelten.140 Das Gemälde zeigt kostbare exotische Tiere des Landgrafen Karl von Hessen, vermischt mit ausgesuchten heimischen Tieren. In seinem Zen-
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trum liegt der König der Tiere, ein Löwe, umgeben von einer Fülle großer Tiere: Affen, Strauße, Leoparden, Bären, Cassovari, Adler, Geier. Auch kleinere Tiere gibt es, etwa einen Mops. Aber für Tiere des Gewimmels hat das Bild keinen Platz. Sie werden aus der Fauna ausgeschlossen. Aus dem phantasierten engen Miteinander einer Fülle von Tieren sind die hässlichen Tiere der Masse verbannt. Tiere des Gewimmels würden das feudal Repräsentative des Bildes stören. Vor diesem Hintergrund sind Gemälde, auf denen diese Tiere gezeigt werden, umso bemerkenswerter. Im Kontext der repräsentativen Tiermalerei gesehen, sind sie Ausnahmen, und ihre Lurche und Reptilien enthüllen etwas vom Unbewussten der vom Ideal des Schönen besessenen Epoche, in der das moderne Subjekt seinen ersten Triumph feiert. Lurche und Reptilien blieben, wenn sie im Bruch mit dem Schönheitsideal in Gemälden auftauchten, das Zeichen des Chthonischen und deuteten auf den dunklen Untergrund der Zeit, aus dem sich die Individuation frei kämpfte. Das Niedere löste Abwehr aus und erzeugte Angst. Die Kunstgeschichte liefert seit der Renaissance einige Beispiele, in denen Lurche und Reptilien für diese Konfrontation sorgen.141 Wenn diese Bilder von Abwehr und Angst zeugen, so ist es Angst vor der Gefährdung des Subjekts, nicht der Schauer vor dem Tod als Strafe, der aus Gemälden des späten Mittelalters spricht. Caravaggio zeigt diese Dimension in einem Gemälde.142 Angst ist einem schönen Jüngling, der sich offensichtlich von einem kleinen Häufchen Obst auf einem angedeuteten Tisch bedienen wollte, ins Gesicht geschrieben, gesteigert durch den Kontrast einer weißen Blüte im Haar und den erotischen, leicht femininen roten Wangen.143 In einer angstvollen Verkrampfung des Körpers ist die Schulter unnatürlich hochgezogen und ragt in einer dramatischen Bewegung gleichsam aus dem Bild heraus. Die Ursache dieser Dramatik ist kaum zu erkennen. Der in hellen Farben gemalte Körper ist von Dunkel umgeben, und in diesem Dunkel aus Schwarz und Grün lässt sich ein Reptil, das den Jüngling in den Finger beißt, nur erahnen. Vor dem schwarzen Hintergrund sind nur der Oberkörper und die Vorderbeine des Tiers zu sehen, als ob es eben aus der Tiefe emporsteige. Das schreckverzerrte Gesicht kann im Zusammenhang mit anderen Bildern von Jünglingen, die Caravaggio in diesen Jahren gemalt hat, gesehen werden. Sie zeigen helle Gestalten, oft in erotischen Posen und in Kombination mit Musikinstrumenten oder Früchten. In diese heitere Lebenslust, am Idealbild des Südens ausgerichtet, bricht hier der Schrecken ein. Signifikant ist, dass Caravaggio einen Salamander und nicht einen
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Frosch malt. Der Unterschied wirft Licht auf den Frosch, nicht im Sinn des biologischen Unterschieds, sondern im Sinn des Symbolwerts. Sobald der Frosch in Szenen der Erotik und Sexualität auftaucht, verdirbt er die Lust durch Ekel, den sein Körper auslöst. Der Salamander dagegen beißt und fügt eine Wunde zu, die Schmerz verursacht. Frösche beißen nicht. Ihre Wirkung ist ganz und gar auf die Einbildungskraft beschränkt. Gewiss: Der Schmerz des Salamanderbisses ist gering und die Reaktion des Jünglings im Gemälde steht in keinem realistischen Verhältnis zum physischen Schmerz, sondern ist durch den metaphysischen Schrecken vor dem geheimnisvollen Dunkel, das ihn und die schöne Welt umgibt, begründet. Dennoch ist der Unterschied symptomatisch für das besondere Verhältnis von Mensch und Frosch. Er braucht keine Zähne und hat keine anderen Waffen als die Phantasie des Betrachters, der reizbaren und phantastischen Person. Aber diese unsichtbare Waffe macht ihn magisch und zum eigentlichen Gegensatz des Ichs.
3.4 E NT TEUFELUNGEN Die Tiere Europas wurden nicht nur dadurch entmächtigt, dass die wilden Tiere ausgerottet wurden, die Natur sich zum Park verwandelte und ihre Gefahren für den Menschen einbüßte, sondern auch dadurch, dass die Tiere des Imaginären domestiziert wurden. Das Dunkel, aus dem Frösche und Kröten über Jahrhunderte aufgestiegen waren, wurde aufgehellt, und damit verloren die Tiere des Bösen ihren Lebensraum, was denselben Effekt hatte wie der Verlust des Lebensraums der Tiere in der äußeren Natur. Die wilden Tiere verschwanden aus der Phantasie. Sie verloren die animalische Wildheit. Die Tiere des Kopfes wurden eingehegt. Ein frühes Medium dieser mentalen Gehege waren die Sammlungen der »Wunderkammern«, deren Name zutreffender Anti-Wunderkammern gelautet hätte. Seit dem 16. Jahrhundert entstanden in Europa, an Höfen und in Residenzen wohlhabender Bürger Sammlungen mit Naturalien und Kuriositäten. Die oft mit Fundstücken aus aller Welt vollgestopften Räume mit ihren meist nach einer abstrusen Systematik geordneten Objekten sollten auf engem Raum durch repräsentative Gegenstände die Welt darstellen. Die Schränke und Vitrinen der »Wunderkammern« dienten der Normalisierung und auch dazu, den Teufel aus der Tierwelt zu vertreiben und das Hässliche einzuebnen. Lurche wurden nicht in diese Sammlungen aufgenommen. Wenn aber doch exotische Exemplare in die Fülle der
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kuriosen Exponate eingereiht wurden, verblasste ihr Zauber. Sie verloren das Besondere, das sie zu Außenseitern machte. Im Umfeld der Kabinette entstanden Bildatlanten oder Thesauri mit farbigen Abbildungen von Mineralien, Pflanzen und Tieren. Sie stehen auf der Grenze zum modernen Tierbild. Albertus Seba edierte einen opulenten Bildatlas. Dessen erste zwei Bände, noch zu seinen Lebzeiten publiziert (1734 und 1735), stellen Bilder von Flora und Fauna auf dem Land und die Bände drei und vier (1758 und 1765) Bilder von Lebewesen im Meer sowie Insekten und Mineralien vor. Der Thesaurus zeigt zwar noch immer Fabeltiere in einer phantastischen Ordnung, aus denen die Freiheit von Imagination und Kunst im Unterschied zur späteren Pflicht zur getreuen Abbildung spricht; aber er verfolgt bereits die Absicht, durch Bilder über die wirkliche Welt aufzuklären.144 Es ist folgerichtig, dass Seba auch Frösche und Kröten für abbildungswürdig hielt. Diese Bilder versuchen sich nicht an einem frühen Naturalismus. Aber sie lassen dennoch eine neue Einstellung zum Tierbild erkennen. Die Bände zeigen, eingerahmt durch Bilder von Spinnen, Echsen, Skorpionen, Schlangen und Schildkröten, zahlreiche Kröten und Frösche als Teile der Natur. Frösche und Kröten zeigen noch immer phantastische Züge, aber nicht mehr die Macht des Zaubers, und sie sind nicht moralisch bewertet. Kröte, Eidechse und ihr Erzfeind, eine Schlange, erscheinen nebeneinander, weil sie im mythischen Weltbild zusammengehören.145 Aus demselben Grund haben die Proportionen der Natur keine Bedeutung, und der Krötenkörper kann größer sein als der der Schlange. Eine Serie von 15 Bildern zeigt die Entwicklung vom Ei über verschiedene Stadien der Kaulquappe zum Frosch. Die Bilder sind stilisiert und Details wie die Froschhaut folgen der Phantasie. Sechs Bilder mit einer rein fiktiven Verwandlung amerikanischer Frösche in Fische folgen. Das leuchtend blaue Auge einer Kröte und ihre langen Finger und ein Daumen wie an einer Menschenhand sind bezeichnend. Auch die Farben, ihre Muster, Gesichtsausdrücke oder Zungenformen entfernen die Frösche aus der beobachteten Natur. Dennoch: Das Wilde des magischen Bilds verschwindet. Der Beginn naturalistischer Abbildung, die das Ideal späterer Lexika und Handbücher werden sollte, wird in Ansätzen sichtbar. Trotz vieler Kontinuitäten steht dieser Atlas – wie auch andere Tieratlanten der Zeit – auf der Schwelle zur Naturalisierung der Tiere. Der forschende Blick entwickelt sich und führt zur Entmächtigung und Entekelung von Frosch und Kröte.
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Abbildung 12: Albertus Seba, Locupletissimi rerum naturalium thesauri, 1734-1765: Das Naturalienkabinett. Reprint: Cabinet of Natural Curiosities. The Complete Plates in Coulor (Taschen) 2005.
Positivierung des Hässlichen in der Ästhetik der Moderne Gegen das Verschwinden des magischen und die Entteufelung des bösen Tiers regte sich Widerstand. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine
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radikale Veränderung in der Bewertung des Hässlichen und Bösen ein, die ihm die Negativität nahm. Das Hässliche gehörte nun nicht nur in die Natur, sondern in einem anti-platonischen Urteil ging eine radikale Ästhetik seit Baudelaire davon aus, dass das Schöne eine Ausnahme und artifizielle Konstruktion sei. Bald entstand ein Sinn dafür, dass das Schöne nicht sein sollte, im Angesicht des durch Wissenschaft und Industrie verdorbenen Lebens sein Existenzrecht verliere. Eine Positivierung des Hässlichen, die ihm eine Position in der Ästhetik und im Leben zugesteht und den Ekel zum Stimulus in einer Ökonomie der Lust verwandelt, entstand. In einer Umwertung wurde die Schmutz-Metaphorik nicht mehr mit Unwahrheit und moralischer Verderbtheit identifiziert. Nietzsche entwickelte die Gegenposition. »Was ist das Schwerste, ihr Helden« lautet eine Frage zu Beginn des Zarathustra, und eine seiner probierenden Antworten ist, »in schmutziges Wasser steigen, wenn es das Wasser der Wahrheit ist, und kalte Frösche und heiße Kröten nicht von sich weisen?«146 Noch erfordert es den Kampfesmut von Helden, sich von der Macht des Jahrhunderte alten Denkens nicht beherrschen zu lassen. Aber was er an dieser Stelle noch mit einem Fragezeichen versieht, wird in anderen Texten zum positiven Urteil. Dem Angriff Nietzsches auf das Bild, das die positiven Wissenschaften von der Wahrheit haben und auf die Ideale der klassischen Ästhetik und Ethik dient auch die Umkehrung des Vorstellungskomplexes vom Frosch als rhetorische Waffe. Er wertet das Böse, mit dem Frosch und schmutzigem Wasser unlösbar verknüpft, zu einer positiven Qualität. Das 20. Jahrhundert folgte Nietzsche und setzte diese Umwertung fort. Ein Konsens über diese Umkehrung der Negativität im Urteil »hässlich« war allerdings nicht zu erreichen. Die Umkehrung des Urteils blieb kontrovers und sah sich mit Opposition konfrontiert. Eine positive Reaktion auf das Hässliche und Ekelhafte setzt, wie Nietzsche formuliert, ein Raffinement des Urteils voraus. Aber dieser Grad der Kultivierung und die Distanz zur dominanten Kultur blieben lange das Privileg einer Avantgarde und von Außenseitern. Was die Beziehung zu Tieren betrifft, entstand an dieser Stelle das Problem der Wahrheit des Tierbildes. Die Wahrheit des Tiers entsteht im Verhältnis zum Menschen und wandelt sich mit ihm. Ein Staunen über die Ähnlichkeit, ein Staunen, dass es Lebewesen gibt, die uns so ähnlich und zugleich so vollkommen fremd sind, setzte ein und erhielt sich bis ins Tierbild der Gegenwart.
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Abbildung 13: christAfrontzeck, Gekreuzigter Frosch, Kunsthalle Wiesbaden, September 1991. Die Verbindung von Kreuz und Frosch ist selten. Es gab sie in der Koptischen Zeit Ägyptens (5. Jahrhundert), aus der sich Froschamulette und Figurinen mit einem Kreuz auf dem Bauch erhalten haben.
Die heftigen Kontroversen über das Hässliche in der Gegenwartskunst, in Ausstellungen und Performances, macht deutlich, dass das Ekelhafte, eine der wenigen Provokationen, die der Kunst geblieben ist, sich am Frosch bis in die Gegenwart erhalten hat. Das vom Gewöhnlichen stets deutlich getrennte Besondere von Frosch und Kröte vermischt das Abstoßende und den Reiz, und in dieser Kombination ist das Magische im Froschbild nie ganz verloren gegangen. Das Herausfordernde umgibt den neuen Auftritt von Frosch und Kröte, der von Tieren der Hässlichkeit und des Ekels begleitet ist. Als Kunst drapierte und in öffentlichkeitswirksamen Ritualen vorgeführte Teile von Tierkadavern, schlüpfende Insektenschwärme oder dehydrierte Tierleichen bilden das Umfeld des neuen Froschs. Sie erscheinen in Ausstellungen, Kunstbüchern, Zeitungen und anderen Medien der öffentlichen Wahrnehmung, wirken durch ästhetische und moralische
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Provokation und führen gelegentlich zu Gerichtsprozessen. In diesem Umfeld von schockierender, animalischer Kunst wird der Frosch nicht geschönt, er bleibt das hässliche Tier und gewinnt damit eine besondere Wirkung, wie der Kunstskandal um die Skulptur eines gekreuzigten Froschs von Martin Kippenberger im Jahr 2008 im Museion in Graz verdeutlichte.148 Die öffentliche Erregung war groß, die Medien nahmen den Fall auf, die Feuilletons großer Zeitungen kommentierten. Mahnwachen wurden vor dem Museum organisiert. Nach einer Intervention des Papstes wurde die Skulptur aus dem Foyer entfernt. Am Anfang des theologisch definierten Froschbilds stand ein päpstlicher Protest gegen das böse Zaubertier, und in dieser späten Phase in der Geschichte des Froschs steht wieder die Intervention eines Papstes. Und wieder geht es um den Glauben und die Reinheit der Kirche, die vor der Kontamination durch die unreinen Ketzer, die nun Künstler sind, geschützt werden müsse. Der Widerstand demonstrierte, dass diesem Kunstwerk mit dem Frosch offensichtlich ein Stoß in die Wirklichkeit gelungen war. Der Frosch ist nicht mehr satanisch, aber auch kein kraftloses Objekt. Er zeigt noch immer Kräfte eines Zaubertiers.
4 Der literarische Frosch
4.1 E IN H AIKU Der alte Teich. Ein Frosch springt hinein – das Geräusch des Wassers.1
Die Beziehung zwischen Mensch und Natur ist auf den Augenblick einer akustischen Wahrnehmung reduziert. Im Zentrum steht ein springender Frosch, eingerahmt von den Wörtern Teich und Wasser. Der Mensch wird nicht genannt, ist aber schon in der ersten Zeile implizit anwesend. Wer sonst könnte dem Teich ein Alter geben? Und als Hörer ist er der Schöpfer der kleinen Szene, der das Tier vermutlich nicht sieht, aber aus dem Geräusch einen Schluss zieht und von einem Sprung ins Wasser berichtet. Die enge Beziehung zwischen Mensch und Frosch bestätigt eine andere Fassung des Haiku mit der mittleren Zeile: »Basho springt hinein.« Das Gedicht steht in der Tradition der Haiku und des japanischen Froschbildes und verändert sie zugleich. Die japanische Kritik hat dem Gedicht einen »Mangel an objektiver Beschreibung« vorgeworfen.2 Der Autor wurde dafür kritisiert, vom tradierten Bild des Froschs abzuweichen. In der japanischen Literatur ist der Frosch in ein Netz aus kulturellen Assoziationen eingefügt: Frühjahr, Gesang, helle Gewässer und Frühlingsblüten. In diesem Haiku gibt es jedoch keine Jahreszeit, ein altes Gewässer und ein Geräusch. Die erwartete Verbindung vom Frosch mit Liebe, Gesang und Erotik ist abwesend. Mehr: Der Frosch erscheint nur in einer kurzen, subjektiven Wahrnehmung und entzieht sich. So ist es wohl berechtigt zu sagen, das Haiku bedeute für japanische Leser einen Bruch. Man kann bei den wenigen Worten nicht von Realismus sprechen, und das Subjektive der Szene wirkt wie eine Aufforderung zur freien Assoziation. Das Geräusch eines Augenblicks öffnet das Haiku für die Phantasie
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und die Erinnerung des Lesers an eigene Erlebnisse an Teichen. Was die japanische Kritik bemängelt, dass das Haiku unvollkommen sei, schafft eine Offenheit für die Imagination, die für den europäischen Leser die schlichten Zeilen gerade reizvoll macht. Lesen wir womöglich einen anderen Text als ein Japaner, der in der literarischen Tradition dieser Kultur zu lesen gelernt hat?
Abbildung 14: Sengai, The meditating Frog: »Zazen bedeutet ›meditierend sitzen‹. Der Frosch, wenn wir ihn im Garten treffen, scheint stets diese Position einzunehmen. Wäre Zen nichts als diese Meditationshaltung, wäre der Frosch unzweifelhaft buddahaft. Aber Zen bedeutet nicht bloß sitzen. Zen fordert ein Erwachen im Unbewussten oder im Geist. Dieses Erwachen heißt satori, und man kann es in der Sprache des Christentums als ›unschuldiges Wissen‹ bezeichnen.« Daisetz T. Suzuki, Sengai, The Zen Master, London (Faber und Faber) 1971, S. 94f.
Das heitere und schwerelose Bild des japanischen Haiku wird man in der europäischen Literatur vergebens suchen. Den Frosch als reinen Körper in der Natur gibt es nicht.3 Im Folgenden behandle ich literarische Texte, die vom Frosch sprechen. Sie teilen mit dem Haiku eine Voraussetzung: Sie handeln von Mensch und Tier zugleich, behandeln aber andere Verhältnisse zwischen Mensch und Tier, Mensch und Natur. Mensch und Frosch und ihre Beziehung sind in Europa seit dem Mittelalter mit Metaphysik und Theologie befrachtet. Wie spezifisch europäisch das Gewicht des Metaphy-
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sischen ist, haben mir Gespräche mit Studenten aus asiatischen Kulturen deutlich gemacht.4 Diese Dimension ist in ihrem Bild vom Frosch und ihren Geschichten über die Mensch-Frosch-Beziehung abwesend. Eine Verständigung darüber ist schwer oder unmöglich. Schon in der Lektüre des schlichten Märchens vom Froschkönig zeigen sich grundlegende Unterschiede. Leser aus asiatischen Kulturen lesen einen anderen Text. Er handelt von Liebe, und sie überlesen die Spannung zwischen Vater und Tochter oder die Tötungsabsicht des Mädchens und verbinden nichts mit dem Schloss. Die verschiedenen Bilder vom Frosch führen direkt in eine Erfahrung, die sich mit Foucault als das Heterotope von Lebenswelten bezeichnen lässt. Deren unterschiedliche Tierbilder haben sich nie berührt, und sie stehen bis heute beziehungslos nebeneinander. Auch die folgende Studie macht keinen Versuch, die Kontaktlosigkeit und Indifferenz zu beenden, die literarischen Bilder vom Tier dort und hier zu verstehen und Berührungen herzustellen. Sie beschränkt sich auf die wechselvolle Entwicklung und Brüche im Froschbild der europäischen Literatur seit der frühen Neuzeit und bezieht ihre Beispiele vorwiegend aus der deutschen Literatur. Könnte die Literatur Ostasiens einen Anstoß für ein Denken des Tiers aus einer Einheit der Natur und ohne vorausliegende Trennungen durch Begriffe liefern? Für ein anderes Froschbild, in dem der japanische oder ostasiatische Frosch wirksam würde, müsste die Maxime gelten: fort von der Idee des Tiers oder besser: fort vom Denken des Lebens als einem Modell, das Mensch und Tier zu Ideen macht, um sie zu trennen. In dieser Trennung steckt, denke ich, der wesentliche Unterschied. Im entstehenden ökologischen Froschbild könnte sich eine solche Wende ankündigen. Der Weg der Literatur dorthin war lang.
4.2 D IE Z ÄHMUNG DER M AGIE Das Froschbild der spätmittelalterlichen Literatur entsprach dem der theologischen Negativität. Frösche und Kröten sind bei Rudolf von Ems, Moriz von Craun, dem Gärtner, Neidhart, dem Renner, in der Weltchronik und anderen Texten selten aber stets negative Tiere und oft böse. Sie sind Störungen des christlichen Lebens. Das theologisch grundierte Bild verschiebt sich jedoch in der Literatur der frühen Neuzeit. Die Kirche hatte den Häretiker im Frosch gesehen und war durch diesen Akteur in Tiergestalt in Alarm versetzt. Die literarische Imagination löst den Frosch vom definitorischen Druck der Theologie. Sie holt ihn aus dem Zentrum von
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Mysterien heraus und nimmt ihm in einer Phase von dreihundert Jahren die Rolle der handelnden Natur. Lassen sich das theologische und das magische Bild nur unter Einbeziehung des Performativen entwickeln, so behandelt das folgende Kapitel gedruckte Texte, und bereits diese Beschränkung ist symptomatisch: das Medium ändert sich, und mit ihm ändert sich der Frosch. Narration unterstellt den Frosch ihren Regeln und zivilisiert ihn. Sie verwandelt das, was an ihm zauberisch ist, das Anarchische und Unverständliche in literarische Konventionen. Wenn ihr das nicht gelang, schloss sie die Augen vor ihm in der Hoffnung, ihn damit zum Verschwinden zu bringen. In der Umarmung durch die Literatur verlor der Frosch die Provokationen. Er roch nicht mehr nach dem Teufel. Als aber am Ende dieser Entwicklung ein Roman ihn vollkommen geruchlos machte, ihm jedoch alle anderen teuflischen Eigenschaften zurückgab, wurde er zum Teufel in einer Welt nach dem Teufel. Das war ein Endpunkt, der bereits von einer neuen Entwicklung, einer Literatur über eine von Mensch und Frosch geteilte Welt überlagert wurde. Seit der frühen Neuzeit durchlief die Literatur einen Prozess der Differenzierung, der sie von der Religion abschirmte und bis ins späte 18. Jahrhundert die starken Emotionen mied. Sie delegitimierte die Tiermagie und erzählte Geschichten, die die Angst beherrschbar machten oder Spiele mit ihr trieben. Für die Literatur gilt, dass sie mit Erfolg an der Zähmung der Froschmythen arbeitete. Die Autonomie des Ichs und die Entmächtigung von Frosch und Kröte gingen Hand in Hand. Indem sie die Zauberkraft von Frosch und Kröte vertrieb, nahm sie am kulturellen Projekt teil, die gesträubten Haare und die Angst zu verlernen. Wenn in der modernen Welt die Idee des Bösen verblasste und der Zauber ans Mittelalter delegiert wurde und verschwand, trug die Literatur zu dieser Bewältigung bei. Was einmal als bedrohlicher Lärm der Hölle empfunden wurde, löste sich in eine akustische Störung des nächtlichen Schlafs auf. Aus dem Tier, das einmal Menschen terrorisiert hatte, machte die Literatur schließlich eine unterhaltsame oder didaktische oder komische Figur. Niemand konnte sich vor dem harmlos gewordenen Frosch einer gezügelten Imagination fürchten. Die Verbindung mit der Transzendenz zerfiel, der Frosch war kein Tier der Grenzverletzung mehr. Die Faszination, die vom Diabolischen im Frosch ausgegangen war, verblasste vor einem gestärkten Ich. Das aktive und böse Tier rutschte an den Rand der kollektiven Imagination und verschwand bald ganz. Wie andere Tiere wurde auch der Frosch durch Prozesse der Urbanisierung und Technisierung marginalisiert und büßte
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zugleich im Imaginären den Ritualwert ein. Am literarischen Froschbild zeigte sich das Bestreben, Angst und Ekel aus dem Imaginären auszutreiben. Literatur glättete das Böse, disziplinierte das Anarchische und verwandelte das Teuflische in Lektionen des Nützlichen. Die Transformation der Froschbilder setzte an die Stelle der Angst vor dem bösen Tier die Macht des Menschen, der sich gegenüber jedem Tier in eine Dompteursrolle versetzte. Als Teil der Normalisierung entstand Kommunikation unter Tieren, die als Stellvertreterkommunikation geführt wurde. Sie sprachen als verkleidete Menschen miteinander, und sie sprachen noch intensiver zum Leser. Diese Kommunikation war nicht symmetrisch, sondern von Interessen der Menschen beherrscht, auch wenn ein Frosch sprach. Der literarische Frosch wurde zum Gegenteil des Häretischen: Er diente der Zivilisierung – nicht erst im 18. Jahrhundert, als das instrumentelle Denken zum Projekt didaktischer Aufklärung gehörte. Die Macht, die dieser Fetisch einmal gehabt hatte, wirkte nun so illusionär wie das Böse selbst. Lässt der übermütig lärmende Frosch in Auerbachs Keller eine Spur des Untergründigen ahnen?5 Die Abwehr der starken Emotionen, die in die Nähe des Pathologischen gedrängt wurden, machte die vernünftige Literatur des 18. Jahrhunderts zu Komplizen der kulturellen Einhegung des Bösen. Die Zähmung der Emotionen wirkt aus der nachträglichen Sicht wie ein Schritt auf dem Weg zur Immunisierung gegen die Emotion und die Sinne, die das 19. Jahrhundert bestimmte. Das Ende der starken Gefühle und der willkürlichen Grausamkeiten wurde vom Entstehen eines Systems begleitet, in dem Grausamkeit zu einer Eigenschaft des Systems wurde. Gründlicher als zuvor starb der Frosch bald in den Labors und in den Wissenschaftsbildern, und in der Literatur erlitt er den Tod der Banalisierung. Man kann daran zweifeln, dass die Rationalisierung der Froschmagie restlos gelang, und im Kapitel über Frosch und Wissenschaft wird sich zeigen, dass unter dem Mantel der Rationalität die Froschmagie wirksam blieb. Der aktive Dämon verschwand nie ganz, wurde aber von der emotionalen Ökonomie einer sich nach den Prinzipien der Vernunft einrichtenden Lebenswelt ins Abseits gedrängt und unsichtbar gemacht. Die Abkehr vom magischen Bild führte nicht zu Versuchen, den wirklichen Frosch in Sprache und Bildern einzufangen, vielmehr schufen Kunst und Literatur Bilder, in denen Spuren früherer Erscheinungen des Tiers nachwirkten, mit Erwartungen der Gegenwart zusammengeführt wurden und, insoweit ein pädagogischer Impetus wirkte, auch eine zu gestaltende Zukunft ins Spiel kam. Die Konventionalisierung und Dämpfung der Affekte machten
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den abstoßenden Frosch schließlich zum Objekt von Spott und Ironie und später zum Kuscheltier; er war dann nur noch Plüsch und nicht mehr Tier.
Vom Bösen zur Didaktik: Rollenhagen, La Fontaine, Bewick Hatte das frühe Christentum das Totemtier animistischer Kulturen entmachtet, so kämpfte die protestantische Aufklärung gegen eine Tiermagie, die sich im Katholizismus erhalten hatte. Die katholische Lehre hatte böse Tiere geschaffen, mit Macht ausgestattet und als Ursache wie als Symptom von Angst behandelt. Sie hatte den Frosch zum Teufel und zur Inkarnation des Bösen gemacht. Nun sollte er von diesem Stigma befreit werden. Der Akteur wird in der Tierfabel literarisiert und dient bei La Fontaine, Rollenhagen oder Lessing einer pädagogischen Absicht, die Lebensweisheit oder Etikette oder Bildungsideale lehrt. Als ein instrumentelles Verhältnis zum Tier entstand, wurde auch der nutzlose Frosch der Literatur nützlich gemacht und diente vernünftigen Zwecken. In den Texten schrumpfte seine performative Präsenz, und Parabel, Märchen oder didaktische Gedichte banden ihn in ein Netz literarischer Kommunikation ein. Diese Geschichten vom Frosch handeln nicht von Macht und Angst, sondern von menschlichen Schwächen und ihrer Überwindung. Der Frosch wird nicht mehr geopfert, sondern sein Ende ist ein selbst verschuldetes Verderben, macht ihn als verkleideten Menschen erkennbar und dient im didaktischen Diskurs dazu, die Leser über sich selbst aufzuklären und zu warnen. Den Anfang des poetischen Programms der Belehrung und Unterhaltung machten bereits die Fabeln des 16. Jahrhunderts, Martin Luther (1557), Burkhard Waldis (Esopus, 1548) und Erasmus Alberus (Buch der Tugend und Weisheit, 1550), und den ersten Höhepunkt bildete Georg Rollenhagens erweiterte Nachdichtung der Batrachomyomachia unter dem Titel Der Froschmeusler (1595/1608).6 Rollenhagens Veränderungen (aus etwa 300 Hexametern des Originals macht er über 19 000 Verse) sowie das Einarbeiten des zeitgenössischen Wissens und der lutherischen Theologie und Moral sind symptomatisch für den didaktischen Anspruch Rollenhagens, der als protestantischer Pfarrer und Pädagoge wirkte. Der Untertitel widmet das Buch »der fröhlichen, auch zur Weyßheit und Regimenten erzogenen Jugend zur anmuthigen, aber sehr nützlichen Leer«. Es geht dieser Nachdichtung nicht darum, das Froschbild zu entteufeln, sondern der Anspruch ist ein anderer. Die Froschgeschichte wird in den politisch-theologischen Diskurs
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des Protestantismus eingebunden und verliert ihren anarchischen Reiz. Die Parodie aus der Antike wird zu einer Enzyklopädie politischer Ideen, die ein deutscher protestantischer Humanist am Ende des 16. Jahrhunderts der literarischen Belehrung für wert hält.7 Hatte die Kirche die Angst vor dem anti-göttlichen Reich genährt, so konstruiert das Epos ein politisches »Reich der Frösche«, um aus deren Fehlern Lehren zu ziehen und eine politische Didaktik zu entwerfen. Die Nachdichtung macht die Frösche zu Bürgern eines zeitlosen, aber letztlich modernen Staatswesens. Das Froschbild wird zum Mittel aufklärender Didaktik, und die Moral des Epos stellt sich in den Dienst vernünftiger Ideen. Vernunft und Eigenverantwortung des Einzelnen, die der Protestantismus in das religiöse und kulturelle Leben einführt, bilden die Leitideen dieser politischen Dichtung. So zieht der Text aus der Geschichte des Reichs der Frösche die politische Folgerung, dass es »in der Religion das beste sey, die Lehrer bleiben bei der Heiligen Göttlichen Schrifft und erhalten sich der Weltlichen Obrigkeit und gewalt. Denn diese Lehr unnd gebot gibt unser Heyland Jesus Christus selbst seinen Jüngern/da sie zancken/wer unter ihnen negst dem Herrn Christo der fürnembste sein solle.«8 Es ist Luthers Lehre von der Trennung der Kirche vom Staat, die hier mit der Autorität der Bibel gestärkt und an die Leser weitergereicht wird. Auch andere Autoren werden zu didaktischen Zwecken herangezogen, etwa Ovid, dessen Fabel der fliehenden Latona zur Diskreditierung der Frösche und als Anleitung zur Pflicht der Nächstenliebe wiedergegeben wird, oder eine Anspielung auf die römische Analogie vom Staat mit Gliedern und Magen im warnenden Kapitel »Der Alten Rath wird verlacht/Und der König verstossen.«9 Die Lehre aus dem Schicksal des Reichs der Frösche ist die eines überzeugten Reformators, der sich mit Luthers Abwehr der Aufständischen in den Bauernkriegen identifiziert und als Antirevolutionär schreibt, weil »eines Königes Regiment das allerbeste sey«.10 Den Anspruch der Literatur, in Gesellschaft einzugreifen, machen seine Froschgeschichten offensichtlich: Los vom Katholizismus und seiner Bindung an Dogmen. Der gefährliche und böse Frosch der katholischen Theologie wird zum dummen Tier umgepolt, um einer konservativen, protestantischen Lehre zu dienen. Am Detail der Umwidmung des emotional hoch besetzten Tiers zeigt sich konkreter und lebensnäher als im umfassenden anonymen Strukturwandel der widersprüchliche Geist einer Zeit des Aufbruchs in eine neue Selbstbestimmung bei gleichzeitiger lutherischer Staatstreue. Der Frosch als Lehrer wider Willen ist keine protestantische Sonderentwicklung. Im katholisch-absolutistischen Frankreich zähmen La Fontaines
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Fabeln den Frosch auf ähnliche Weise, um ihn einem didaktischen Programm nutzbar zu machen. La Fontaine verfolgte, wie andere Moralisten des 17. Jahrhunderts, eine sozialkritische Intention. Seine Frösche nehmen dem Mischwesen die Rätselhaftigkeit und stellen die verkehrten Werte und Haltungen der absolutistischen Gesellschaft bloß. Es gibt keine Hexe, keinen Zauber, kein Geheimnis und kein Monster. Der Frosch wird identisch mit einer didaktischen Rolle, die Arroganz, Geltungssucht oder dumme Eitelkeit der Lächerlichkeit preisgibt. In der Fabel über den Frosch, der sich Bedeutung geben will, nach einer Satire des Horaz, phantasiert sich das Tier in die Gestalt des Ochsen hinein, bläst sich auf und füllt seine innere Leere mit Luft, eine nicht vorhandene Substanz vortäuschend, bis er zerplatzt.11 Dem Leser ist unzweifelhaft klar: Der Frosch ist in Wahrheit ein Mensch im Kampf um gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Das Tier tritt lediglich auf, weil es ermöglicht, eine kritische Geschichte über Menschen zu erzählen, ohne Abwehr beim Leser auszulösen. Der Körper dieses Frosches gehört nicht in die Geschichte der Verwandlungen, sondern das Tier wird bruchlos als Mensch eingeführt. Vom Frosch bleibt nicht mehr als der Name. »Von einem auf eine lächerliche Art hochmüthigen Menschen, sagt man im Sprichwort: Er brüstet sich, wie ein Frosch im Mondschein.«12 Die Tierfabel baut auf Identifikation des Menschen mit diesem Frosch und schafft zugleich eine Distanz, so dass Kritik akzeptabel wird und das Lachen über Hochmut und Dummheit des fremden Tiers das Ich schützt und doch auch moralische Einsicht, für die der Stolz unempfänglich macht, ermöglicht. Der Frosch steht nach dem Muster aller Tierfabeln für einen bestimmten Typus Mensch. Das machen die letzten Zeilen der »Moral« unmissverständlich klar. Bereits in der ersten Zeile sieht der Frosch mit dem Auge des Menschen. Er sieht den Ochsen mit einem bewertenden Blick, der an einem Ideal misst und sich selbst in eine Relation zum gesehenen Gegenüber stellt. Er weiß nicht, lässt sich sagen, wie es ist, ein Ochse zu sein. Aber er weiß oder glaubt zu wissen, wie es ist, ein Mensch zu sein und ist mit sich unzufrieden. Der Frosch tritt als Tier auf, aber er ist ein Mensch, der ein anderer sein will. Aus dieser vergleichenden Sicht simuliert der Dialog zwischen Frosch und Ochse einen fiktiven Dialog zwischen zwei Menschen, die sich über das menschliche Gefühl eines Ungenügens austauschen. Die Fabel verbindet den Wunsch, ein anderer zu sein, nicht mit dem genuinen Wunsch nach Veränderung, sondern mit Neid, Eitelkeit, maßlosem Ehrgeiz und Dummheit. Auf welche Weise wird der legitime Wunsch, ein anderer zu sein, in der Fabel eindeutig negativ konnotiert? Das ist die
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4.A L A F ONTAINE La Grenouille qui se veut faire aussi grosse que le Boeuf Une grenouille vit un boeuf Qui lui sembla de belle taille. Elle, qui n’était pas grosse en tout comme un oeuf, Envieuse, s’étend, et s’enfle, et se travaille, Pour égaler l’animal en grosseur, Disant : »Regardez bien, ma soeur ; Est-ce assez ? dites-moi ; n’ y suis-je point encore ? – Nenni. – M’y voici donc ? – Point du tout. – M’y voilà ? – Vous n’en approchez point.« La chétive pécore S’enfla si bien qu’elle creva. Le monde est plein de gens qui ne sont pas plus sages : Tout bourgeois veut bâtir comme les grands seigneurs, Tout petit prince a des ambassadeurs, Tout marquis veut avoir des pages. Jean de La Fontaine, Fables, livre I, 3.
Der Frosch, der so groß werden will wie ein Ochse Ein Frosch sieht einen Ochsen weiden, Und schön dünkt der ihm von Gestalt. Er, der kaum eiergroß, fängt an, ihn zu beneiden, Er bläht sich mächtig auf und dehnt sich mit Gewalt, Weil gern er grad so groß wie jener wär. Er spricht: »O Bruder, sieh doch her; Ist es genug? Bin ich so groß? O sag es mir.« – »Nein.« – »Aber nun?« – »O nein.« – »Ob es wohl nun gelang?« »Du bist noch weit davon.« – Das jämmerliche Tier Blies sich so auf, dass es zersprang. Von solchen Toren voll ist diese Erdenwelt, Die Bürger siehet man wie große Herren schalten, Wie jeder kleine Fürst Gesandte hält, Will der Marquis sich Pagen halten. Jean de La Fontaine, Die Fabeln, übersetzt von Johanna Wege, hg. v. Jürgen Grimm, Stuttgart (Philipp Reclam) 1991.
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Folge des negativen Froschbildes, auf das La Fontaine zurückgreifen konnte. Frosch war zu einem pejorativen Namen geworden, an den beliebige negative menschliche Eigenschaften geheftet werden konnten. Eitelkeit und Ehrgeiz bis zur Selbstzerstörung waren neue Ideen in diesem Froschbild, das den Bogen vom Absolutismus zur römischen Antike schlug. Ist Frosch hier etwas anderes als eine sprachliche Konvention? La Fontaines Frosch soll gemäß Lessings Bestimmung der Fabel als anschauende Erkenntnis dienen und entspricht den Forderungen der Gattung: »Dass die moralische Lehre in die Handlung weder versteckt noch verkleidet, sondern durch sie der anschauenden Erkenntnis fähig gemacht werde.« 13 Für diese Erkenntnis solle die Fabel über die Einbildungskraft das Tier zum Mittel machen. Aber geht diese Froschfabel über abstraktes Wissen hinaus? Verbindet sie tatsächlich Wissen mit leiblich-sinnlicher Einsicht? La Fontaines Frösche sind Tiere der Aufklärung.14 Seine Fabeln entsinnlichen den Frosch. Was bleibt von ihm? Fabeln, meint Sternberger, »bilden einen Vorrat möglicher Macht- und Rechtsverhältnisse, einen Katalog von Charakteren oder Rollen, die wir in der menschlichen Gesellschaft spielen können«.15 Diese Einschätzung schließt an La Fontaine an, dessen Fabeln über Frösche das Belehrende der Fabeln von Äsop, Phädrus und Horaz fortführen, um Macht- und Rechtsverhältnisse der eigenen Gegenwart zu thematisieren. Weder vom Tier noch vom Anarchischen und Häretischen im Frosch bleibt etwas erhalten. Er dient, und er dient ausschließlich der Didaktik. Ein Leben außerhalb der Lehre der moralischen Texte hat dieser Frosch nicht. Eine andere, der Natur zugewandte Seite des rationalistischen Froschbilds dieser Epoche zeigt sich in Christian Reicharts Abhandlung Von Fröschen. Er argumentiert im Geist der Aufklärung, dass Tiere in einer moralisch nicht bewerteten Natur zu ihrem Recht kommen sollen. Als protestantischer Aufklärer hat er ein Problem mit dem Begriff des Bösen und wendet sich gegen seine Verbindung mit dem Tier. Tiere wie Flöhe, Wanzen, Läuse und Würmer sind für ihn nicht böse, sondern nutzlos. Obwohl sie durch Nutzlosigkeit gegen das Nützlichkeitsdenken der Aufklärung verstoßen, gehörten sie in Gottes Schöpfung und dürften nicht ausgeschlossen werden.16 Das gelte ebenso für Frösche, stellt er ausdrücklich fest. Der Frosch habe einen Platz in der Natur. Diese Ansicht vom Frosch als einem Naturwesen in einem vernünftig geordneten System wird nun in den Schriften des gebildeten Bürgertums vorherrschend.
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4.B C HRISTIAN R EICHARTS A BHANDLUNG VON F RÖSCHEN Was ich in meinen Briefen von der Nahrung der Frösche gemeldet, will ich noch mit einer Begebenheit vermehren. Wir sahen einstens einen Frosch mit ungewöhnlich dickem Ranzen. Mein jüngster Sohn, Doc. der Medicin, nahm denselben, heftete ihn auf ein Bret, und schnitte ihn auf. Da fand sich im Magen eine Schnecke mit sammt dem Häusgen, so gross, wie eine recht grosse Haselnuß, welche der Frosch ganz verschluckt. Noch etwas füge ich bey vom Nutzen der Frösche, weil oben von ihrer Unschädlichkeit in meinem ersten Briefe etwas vorkam. Was Gott geschaffen, war alles sehr gut; so lauten die Worte Mosis. Hiervon wär ein ganzer Tractat zu schreiben, um zu zeigen, daß alle Geschöpfe gut, 1) in Absicht auf sich selbst, da sie die Vollkommenheit haben, so ihr Wesen und Natur ausmacht; 2) in Absicht auf andere Geschöpfe, da immer das eine dem anderen dient. Nach dem letzteren dienen die kleinern Thiergen den größern zur Nahrung, die grössern den noch grössern, bis endlich alles vornemlich dem Menschen dienet. Wenn ich nun zeige, daß die Frösche nicht nur nach obigem unschädlich, sondern auch wirklichen Nutzen schaffen, so wird man sie desto weniger unter die verächtlichen Creaturen zehlen. 1) Ist aus obigem klar, daß sie die schädlichen Regenwürmer, welche die jungen Pflänzlein mit in ihre Löcher zu ihrer Nahrung ziehen, nebst anderen Insecten wegfangen; 2) ist oben gemeldet, daß sie zur Speise brauchbar [...] 3) Dienen sie zur Nahrung anderer Tiere, z.B. der Störche. Daher das Sprüchwort: Wo Frösche sind, da gibts auch Störche. Vom Füttern der Fische ist oben gemeldet [...]. 4) Hat nicht das Froschleich einen unvergleichlichen Nutzen bey den Chirurgis und Apothekern? Sie machen daraus das herrliche Froschleich-Pflaster[...] Also war auch das Geschöpf des Frosches sehr gut. Manche wenden wider Mosis Ausspruch viel ein; aber die Ursache ist, weil die Naturen und Endzwecke der Geschöpfe entweder noch gar nicht bekannt, oder nur einigen. Denn der Fall Adams hat unsere Einsicht sehr geschwächet. Manche Dinge sind auf der einen Seite vor schädlich, auf der andern vor nützlich anzusehen, und da verursachet der unrechte Gebrauch, daß man solche Dinge verwirft. Aber das ist thöricht gehandelt. Alles, auch das beste kan durch den Misbrauch böse Folgen haben; was kan der gütige Schöpfer darzu? Verabscheuet man doch die Kröte; und doch wurde ein Pferd, so auf unheilbare Art lahm geworden, durch einen abgeschnittenen Fus solches Thiers zurechte gebracht. Christian Reichart, Von Fröschen, in: Christian Reichart, Gemischte Schriften, Erfurt 1762, S. 448-478.
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Thomas Bewicks Sammlung von Fabeln des Äsop, ein halbes Jahrhundert nach Reichart erschienen, soll als Beispiel dienen. Sie ist vom Denken protestantischer Aufklärung geleitet. In seiner Nachdichtung der griechischen Fabeln bleibt nichts vom unangepasst Revoltierenden erhalten, das man dem befreiten Sklaven mit einem ausnehmend hässlichen Körper zuschrieb. Bewick wählt eine Reihe von Fabeln aus, die er alle glättet und im Sinn der Aufklärung neu erzählt, kommentiert und illustriert. Sein Froschbild war das des Rationalismus, das er und seine Zeit für universal hielten. In Wahrheit war diese Phase eines Froschbilds der Vernunft eine kurzzeitige Ausnahme. Seine Fabeln nehmen sich den Topos der Hässlichkeit von Frosch und Kröte vor, um ihn zu widerlegen. Kein Tier sei hässlich. Das Naturhässliche gibt es in diesem Naturbild nicht. Einer warzigen Kröte werde Hässlichkeit willkürlich zugeschrieben und sie sei, kommentiert er, nicht so hässlich wie ein protziger, ignoranter und gottloser Mensch.17 Er stellt dem Topos Hässlichkeit von Frosch und Kröte eine Ästhetik der Vernunft entgegen, in der Erwartung, dass die Vernunft im Kampf mit ästhetischen und moralischen Vorurteilen siegen werde. Diese Geschichten entlarven an Tieren die Schwächen des menschlichen Verhaltens. Die Fabel Der Löwe und der Frosch geht an die Wurzel des Aufklärungsdiskurses über das Problem der Angst. Für eine Geschichte über den Ursprung und die Abschaffung der Angst war der Frosch das geeignete Tier. Nicht ein Mensch fürchtet sich in Bewicks Fabel vor dem Frosch, sondern ein Löwe. Der hört eine dumpfe Stimme aus dem Unterholz und beginnt vor Furcht zu zittern.18 Als ein Frosch heraushüpft, erkennt der Löwe, wie unberechtigt seine Furcht war und ist beschämt. Bewick kommentiert die kurze Fabel ausführlich unter dem Gesichtspunkt der Furcht und Angst als leerer Einbildung, die nur schwache und fehlgeleitete Gemüter beunruhigte. Angst werde uns eingeprägt, kommentiert er, durch Erziehung: durch Schauergeschichten und falsche Deutungen. Diese falschen Geschichten hätten aus dem Frosch ein gefährliches Tier gemacht, vor dem man sich fürchte. Aber was kann der Frosch dafür, wenn falsche Geschichten über ihn verbreitet werden? Es gelte, die Diskrepanz von Ritualwert und wirklichem Tier zu durchschauen, sich von Geschichten zu befreien und die grundlose Angst zu verlernen. Der vorurteilsfreie Blick auf den Frosch als reinem Naturwesen sei eine Erziehung des Menschen zum Wohl des Tiers und seiner selbst. Emotionen, schreibt er zu einer Zeit, in der die Emotionen gerade wieder entdeckt werden und die Empfindsamkeit sich gegen eine verflachende Vernunft sträubt, könnten zwar nicht vermieden, müssten aber stets durch den Verstand beherrscht
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werden, da sie uns sonst zu ihrem Sklaven machten. Des Löwen falsche Interpretation des Geräuschs könne uns lehren, dass die Angst eine irrationale Schwäche sei, die sich überwinden lasse. So werden Frosch und Kröte nicht nur gegen das populäre Vorurteil rehabilitiert, sondern dienen im Kampf um die Erziehung der Menschen zu Vernunftwesen. Seine Fassungen der Fabeln lehren am Schicksal der Frösche, wie die Welt verfasst ist und wie sie sein sollte. Es ist die Lehre von Hobbes: Der Mensch ist wild und böse und braucht, um ein soziales Wesen zu werden, Institutionen und Erziehung zum Guten. Bewicks Kommentare wenden die Froschgeschichten ins Politische. »Krieg ist die verabscheuungswürdigste Einrichtung, die je aus der Bosheit des Menschen entsprang, und er ist die Folge der Unwissenheit der Menschen oder der Bosheit der Regierungen.«19 Aber Unwissenheit und Bosheit können besiegt werden, und in einer aufgeklärten Zukunft werden die Menschen den Krieg gegen sich selbst und die Tiere aufgeben. Die letzte Fabel der Sammlung, Die Jungen und die Frösche, stellt die Frage nach Herrschaft. Bewick wendet sich gegen eine lange Tradition der Grausamkeit im Verhältnis des Menschen zum Frosch. Eine Gruppe müßiggängerischer Jungen wirft Steine in einen Teich und tötet die verängstigten Frösche. Die Fabel entlarvt den Menschen als das böse Wesen, das willkürlich über die Frösche herrscht. Im Namen der wahren Opfer soll die verkehrte Welt zurechtgerückt werden. Der Frosch wurde ohne Bedenken getötet, und wer ihn tötete, kehrte die Verhältnisse um und verzieh ihm den Tod nicht, verwandelte vielmehr Schuldgefühle in Aggression gegen das Opfer. So wurde er im Krieg der Menschen gegen die Frösche desto heftiger verfolgt. Diesen auf Selbsttäuschung beruhenden Zirkel will Bewick aufbrechen. In seinem Kommentar nimmt er sich die Verkehrung der Täter-Opfer-Relation vor. Nicht der Mensch sei das Opfer des bösen Frosches, vielmehr sei, umgekehrt, der Frosch das unschuldige Opfer menschlicher Hartherzigkeit, und die Grausamkeit der Jugend gegenüber Fröschen verwandle sich im späteren Leben in Grausamkeit gegenüber Menschen. Diese Interpretation der Fabel ist Teil des beginnenden Tierschutzdiskurses der Zeit. Wer, wie die müßiggängerischen Jugendlichen, Frösche quält, werde gegenüber seinen Mitmenschen ebenso seine Instinkte herrschen lassen und grausam handeln.20 Daher sei die Zügelung der Triebe im Umgang mit Tieren eine Einübung in die Tugendhaftigkeit auch im Umgang mit Menschen. Der quälende Mensch entwürdige sich selbst. Das Quälen sei die sichtbare Äußerung einer verdorbenen Seele und seinem Wesen nach würdelos und hässlich.
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Bewicks Programm ist schlicht und optimistisch und geht von der Annahme aus, dass negative Gefühle verlernt werden können. Daher ist der Frosch, exemplarisches Ekeltier, zentral für seine Argumentation. Diese Hoffnung teilt der skeptische Kant nicht. Wie Bewick nimmt Kant an, dass Hass zu Gewalttaten und letztlich zu Mord und Krieg führe, Ekel ziele dagegen auf die Meidung des Objekts oder zu seiner Entfernung aus unserer Nähe.21 Konsequent entfernt er den Frosch von sich und aus seinem Denken. Er glaubt nicht, dass der Mensch ohne negative Emotionen leben könne. Ihm geht es vielmehr um Transformation, darum, Hassgefühle in Ekel umzulenken und damit ein ästhetisches Empfinden an die Stelle der Gewalt zu setzen. In einer Schule des Ekels könne, so seine Erwartung, die aus dem Hass folgende Gewalt verlernt werden. Kants Hoffnung auf eine Erziehung zur gewaltfreien Gesellschaft blieb abstrakt. Sie erfüllte sich ebenso wenig wie Bewicks schlichtes Programm der Erziehung zur Achtung vor dem Tier, die von einer illusorischen Annahme ausging. Der Ursprung des Ekels liegt tiefer, eine Leibreaktion, die nicht durch ein kognitives Programm der Einsicht erreicht wird. Eine andere Literatur wäre dafür nötig. Bewicks Ideal und sein Tierbild setzten sich im 19. Jahrhundert in einem Kreis von Tierfreunden durch. Die Beschränkung auf das Tier lieferte Argumente für den Gedanken der Tierschutzvereine und die entsprechende Gesetzgebung in England und wenig später in Deutschland. Das verfolgte Tier stand im philanthropischen Programm der Tierschützer zwar auch für den unterdrückten Menschen, aber dieser Gedanke blieb im Hintergrund und wurde nicht mit den praktischen Zielen des Tierschutzes vermischt. Das Ziel war, durch Erziehung und Gesetze die Gewalt gegen Tiere zu bändigen. Die Utopie, dass Mensch und Frosch in einer Welt ohne Angst leben sollten, wirkte unausgesprochen im Hintergrund. Die neue Tierschutzgesetzgebung schützte aber den Frosch nicht. Es gab zu viele, und in ein Liebesobjekt ließ sich das Ekeltier nicht verwandeln. So blieb er ein Unglückstier.
Metamorphosen Von einem anderen Anfang der literarischen Geschichte vom Frosch soll nun die Rede sein: nicht dem in der christlichen Theologie, sondern dem der Metamorphose im antiken Naturmythos und seiner Fortsetzung im Weltbild der Moderne. Die Metamorphose ist ein Widerspruch zur christlichen (und jüdischen) Theologie. Für sie ist die Schöpfung abgeschlossen und der Unterschied
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zwischen Mensch und Tier endgültig. Die Metamorphose gehört dagegen in ein Weltbild des Unfesten, der Mischungen und Verwandlungen, und sie hat andere Ursprünge, unter anderem in der ägyptischen und griechischen Mythologie. Die Metamorphose ist ein Genre des Phantastischen mit ästhetischen Strategien zur Einübung in das Denken einer nicht zu Ende geschaffenen Welt. Neben den Insekten lieferte der Frosch den Anstoß und das Anschauungsmaterial für den Gedanken der Metamorphose. Er war das biologische Substrat, wie wir unter anderem aus Ovids Bemerkung über die Beobachtungen von Bauern wissen,22 für das Denken der Verwandlungen. Die Abwesenheit von Frosch und Kröte im Diskurs des Hässlichen bei Kant ist symptomatisch für seine Epoche. Sie spricht eine eigene Sprache, die, nicht anders als die Anwesenheit, eine Auslegung erfordert. Diese Leerstelle hat Folgen für das Denken der Natur. Von den beiden Grundeigenschaften des Froschs verbindet die Wandlungsfähigkeit ihn intensiver mit der Struktur und dem Selbstverständnis der Moderne, die sich ständig in Bewegung befindet und neu entwirft. Dass der metamorphotische Frosch wegen seiner Hässlichkeit aus der klassischen Literatur ausgeschlossen ist, hat Folgen für ihre Beziehung zur Moderne. Zwei Vorstellungen der Metamorphose lassen sich in der europäischen Ideen- und Literaturgeschichte idealtypisch unterscheiden: die Verwandlung als plötzlicher und mit Gewalt ausgeübter Akt, der ins Kontinuum einschneidet, sowie ein endogener, organischer Wandel. Beide Typen der Metamorphose lassen sich als Versuche über Identität und Ursprung verstehen. Sie geben verschiedene Antworten. In der mythischen Literatur entstehen Anfänge aus willkürlichen Eingriffen von außen. Der moderne Gedanke der Metamorphose stellt dagegen ein Modell ohne Anfang bereit, in dem gleitende Veränderungen herrschen. Mit dem Entwicklungsdenken des 18. Jahrhunderts nur schwer vereinbar, verliert diese Metamorphose doch den Aspekt von Willkür und eines gewaltsamen Eingriffs. In der Literaturgeschichte lassen sich Ovid und Goethe als Protagonisten dieser beiden Konzeptionen gegenüberstellen.
Ovid In der Metamorphose des Mythos greift Gewalt ins Leben ein, und ihr Ursprung ist metaphysisch: Götter und Zauberer. Der Mythos braucht keine Legitimierung für die Freiheiten, Menschen in Tiere zu verwandeln. Die Verwandlung von Odysseus’ Gefährten in Schweine durch die Zauberin Kirke ist ein frühes Beispiel. Die Schweine Homers, die Frösche des Aris-
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tophanes und andere durch Zauber verwandelte Körper der Antike sind Metamorphosen in Fraglosigkeit. Diese Fraglosigkeit findet sich in Ovids Metamorphosen, dem ersten literarischen Werk Europas, das die gewaltsame Verwandlung, von außen gelenkt und von willkürlichen Entscheidungen der Götter abhängig, zum Thema macht. Die Metamorphosen beginnen mit der Welt vor der Schöpfung, dem Chaos, in dem es noch keine festen Formen gab, alles mit allem vermischt war und keine Grenzen und keine Identitäten festgelegt waren. Von Verwandlung lässt sich in diesem Stadium der Welt nicht sprechen, denn alles ist stets in Bewegung. Ovid macht dann Verwandlungen in der fertigen Welt, in der alles eine Form hat, zum Thema von Mythen, die die Welt wiederum als unabgeschlossen darstellen. Er berichtet von Verwandlungen der Götter in Menschen und der Menschen in Tiere, Pflanzen oder Steine und spricht von diesen Verwandlungen als bloßen Fakten. Seinen Geschichten gehen zwar Beobachtungen voraus: In vergrabenen Kadavern entständen Würmer, Maden, Skorpione, Hornissen und andere Schädlinge, und der Sumpf enthalte Keime, schreibt Ovid, die sich in Frösche verwandelten, die zunächst keine Beine hätten, aber ihre Form bald änderten und Schwimm- und Springbeine entwickelten.23 Hier gibt es bereits die Geburt aus der Natur und ohne Mutter. Ovids Mythen führen in eine abenteuerliche Reise durch einen Bildersaal der gewaltsamen Verformungen und Verwandlungen.24 Wenn Körper und Körperteile deformiert und Menschen in Tiere verwandelt werden, wird von Grausamkeit und Gewalt gesprochen, aber sie erscheinen so natürlich wie das Entstehen von Würmern und Fröschen aus Schlamm. Sie gehören in eine von Göttern beherrschte Natur, und Fragen nach emotionaler Reaktion oder Moral stellen sich nicht. Die Radikalität der mythischen Metamorphose geht über spätere Phantasien der Verwandlung, etwa im Märchen, hinaus und wird erst wieder in der modernen Literatur erreicht. Das bekannteste Beispiel dieser mythischen Metamorphose in der modernen Literatur, Kafkas Erzählung Die Verwandlung, berichtet im ersten Satz von der Plötzlichkeit der Verwandlung in ein Ungeziefer. Auch dieser Text stellt die Frage nach der Macht hinter der Verwandlung nicht. Sie kommt unerwartet und ist unverständlich wie die Launen der Götter. Der willkürliche Gewaltakt ist Teil der Natur, in die transzendente Kräfte eingreifen. Auch Verwandlungen, die als Strafe verhängt werden, sind willkürliche Entscheidungen der Götter. Herzlose Bauern hindern die Göttin Latona, die auf der Flucht und vom Verdursten bedroht ist, aus einem Teich zu trinken. Zur Strafe verwandelt sie diese in Frösche. Die Bauernfrösche sind ausgestattet mit den Insignien, die dem Frosch in der
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europäischen Literaturgeschichte bis ins 20. Jahrhundert konstant zugeschrieben werden: Sie haben eine hässliche Stimme und einen deformierten Körper, leben in Sumpf und Schlamm und sind gräulich anzusehen.25 »Quamvis sunt sub aqua, sub aqua maledicere temptant.«26 Die neu geschaffenen Froschkörper sind auch der Sitz der negativen Charaktereigenschaften der Bauern: Boshaftigkeit und Hinterlist. Haben die Bauern oder haben die Frösche den richtigen Körper für das Innere? Die kühle Distanz der Erzählung verhindert eine affektive Anteilnahme. Auch der Schauer, den etwa Shakespeares Hexentreffen auslösen, bleibt aus. Verwandlungen im Mythos folgen einem technischen Muster, das Emotion und moralische Bewertung nicht vorsieht.27 Zu psychischer Anteilnahme oder Auflehnung ist der Leser nicht aufgefordert. Verwandlungen sind Teil der Natur in dem Maß, wie Willkür und unverstandene Gewalt in dieses Bild der Natur gehören. Es geht dem Leser der Metamorphosen wie Juno, die auf die Welt hinuntersieht und beim Anblick eines vernebelten Gefildes, in dem Jupiter eben die schöne Io vergewaltigt hat, sich lediglich »verwundert«. Jupiter verwandelt sein Opfer dann in eine Kuh, die er der Obhut des Argus übergibt, der sie nicht aus den Augen lässt, an eine Kette legt und bitteres Gras fressen lässt.28 Andere Frauen werden in Bäume oder in Vögel verwandelt, Finger werden zu Zweigen, Körper zu unbelebten Kieselsteinen oder Felsbrocken, ein Knabe zum Salamander. Einer vergewaltigten Frau wird die Zunge herausgeschnitten, die dann ein eigenes Leben gewinnt und wie ein Tier auf den Täter zukriecht. Erschreckendere Verwandlungen könnten nicht ausgedacht werden. Aber die Metamorphosen erzählen Geschichten, die von Gewaltakten in emotionslosen Bildern berichten. Geht diese Literatur über den Unterhaltungswert von Gewaltakten hinaus? Dafür gibt es wenig Anzeichen. Ovids Geschichten haben keine direkte Nachfolge gefunden, entwickelten aber ein generelles Muster, dessen literarische Fruchtbarkeit ungebrochen ist. Die Ästhetik der dunklen Moderne, E.T.A. Hoffmann und die Romantik, Poe, Kafka, Jünger, Musil und jüngstens Christoph Ransmayr nehmen dies Modell auf, aber verkehren es ins Gegenteil. Auch Kafkas elend verendender Käfer, die still sterbende Fliege, die Musil und den späten Wittgenstein faszinierte, oder Jüngers surrealistische Verwandlungen in Das abenteuerliche Herz beschwören die Gewalt der Metamorphosen. Diese Texte sprechen von Überschreitungen der Grenze zwischen Mensch und Tier in einer Ästhetik des Schreckens, in der sich das Subjekt seiner selbst nicht sicher ist. Albträume aus der Mensch-Tier-Welt werden im Surrealismus, bei Max Ernst, Bun˜uel oder Dalí künstlerisch als Teile einer
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von Träumen durchsetzten Alltagswelt konstruiert, und in der Angst oder der Angstlust löst das Subjekt der Moderne sich auf.
Eine Lücke entsteht Das archetypische Tier dieser Verwandlungen war der Frosch. Das unheimliche und hässliche Tier hatte im Unterschied zur didaktischen Konstruktion Frosch keinen Platz in der Literatur seit dem 17. Jahrhundert. Das Hässliche hat viele Gestalten: grotesk, scheußlich, abscheulich, unrein, schmutzig, obszön, monströs, widerlich, unförmig. Alle diese Variationen galten für den Frosch und so wurde er aus der Kunst und Literatur ausgeschlossen. Das Idol der Schönheit und des schönen Körpers triumphierte und führte dazu, dass der Frosch, da er dem Schönheitsideal krass widersprach, nicht mehr gesehen wurde. Ein leerer Platz entstand. Theorien des 18. Jahrhunderts, Sulzer und Baumgarten, argumentierten, das Hässliche müsse als eine Unvollkommenheit der sinnlichen Erkenntnis verstanden werden. War der Frosch seit dem Mittelalter ein unvollkommenes Tier, so verkehrte diese Betonung der Subjektivität die Verhältnisse und verlegte die Unvollkommenheit in die sinnliche Erkenntnis. Dieser Mangel könne behoben werden und mache ein künstlerisches und didaktisches Programm nötig, argumentierten Ästhetiken der Zeit. Die Verschönerung der Natur im Kunstwerk war gefordert. Sie bedeutete die Korrektur eines mangelhaften Umgangs mit der Welt. Die Kunst stellte eine schöne Welt her. Die hässlichen Tiere waren aber in dieses Programm zur Korrektur der Entstellung durch sinnliche Wahrnehmung nicht eingeschlossen. Am Froschbild lässt sich der Ausschluss des Hässlichen in der Zeit einer gesteigerten Sensibilität gegenüber dem Schönen verfolgen. Der Frosch war in Kunst und Literatur nicht nur abwesend, sondern in manchen Texten und Kontexten hinterließ er eine spürbare Lücke. Es gab Gründe, warum er sich für das Programm der Verschönerung der Natur, das Kunst und Literatur des 18. Jahrhunderts verfolgten, nicht eignete. Kant nannte Gründe in seiner Theorie des Schönen. Eine Bildserie Lavaters verwandelt einen Froschkopf allmählich in das Profil eines schönen Jünglings und kann als Illustration der idealistischen Lücke dienen: Aus dem hässlichen Frosch wird ein edles Gesicht.29 Das erste Bild der Serie zeigt zwar einen Froschkopf, aber nicht den hässlichen und bösen Frosch. Die Bildfolge suggeriert eine Entwicklung, aber auf welche Weise die Entwicklung zu denken sei, ist schwer zu sagen. Es kann sich nicht um eine Serie aus der vorweggenommenen Theorie der Evolution handeln.30
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Abbildung 15: Jean Gaspard Lavater, Essai sur la Physiognomie, destiné à faire connoiître l’homme et à le faire Aimer. Quatrieme partie. L van Cleef, 1803, Tafel 24, 25. »Alle Umrisse der Kunst, und wenn eine Engelshand sie zeichnete, sind ihrer unveränderlichen Natur nach immer höchst ruhend und fest; dahingegen alle lebende und athmende Natur in unaufhörlicher Fluxion und Wallung ist… Die Zeichnung ist ein stehender Punkt, nicht einmal ein Moment, und in der Natur ist kein stehender Punkt – Bewegung, ewige Bewegung alles. Also ist die beste Copie, ihrer Natur nach, eine Reihe von Momenten, die in der Natur nie so coexistierten. Mithin immer Unwahrheit… Wie überflüssig offenbar wird durch dieß alles, daß alles Idealisieren im Grunde nichts anderes ist, als Wiedergegenwärtigung gewisser Situationen von Schönheiten; Zusammenschmelzung derselben in Eine, uns wenigstens homogen scheinende Form.« (Johann Caspar Lavater, Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe, Christoph Siegrist (Hg.) Stuttgart (Reclam) 1999, S. 194.) In einer Karikatur dreht Grandville die Reihenfolge um. Nun führt der Weg von Apoll zum Frosch, geht über den Menschen und zeigt, dem Tier näher als dem Gott, die typische Physiognomie des Juden in den Bildern des 19. Jahrhunderts. Grandville in: Magazin pittoresque 34, 1844 (vgl. Kapitel 3, Anm. 45).
Für die Serie gilt, dass die Reihe sich verändernder Bilder nicht Zeit sichtbar macht. Die Serie hat keinen Platz für die mythische Verwandlung eines Tiers in einen Menschen, und im Unterschied zu Ovid ist Lavaters Bildfolge eine geschlossene Teleologie. Die Serie ist symptomatisch für die Zivilisierung des Tiers aus dem Ideal des Schönen. Sie stellt das Tier und das
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Idealbild des menschlichen Gesichts idealtypisch nebeneinander. Was in dieser Bildserie allein zählt, ist das Ende. Der Frosch füllt die Lücke in der Metamorphosenlehre, die Goethes klassische Ästhetik entwickelt, aber er ist nicht das hässliche Tier. Der Frosch ist nicht der Archetypus der Verwandlung, sondern der Ursprung, der das Ziel der Entwicklung, das schöne Gesicht, bereits in sich trägt. Deutlicher als durch diese Bildteleologie, die die Hässlichkeit negiert, ließ sich das Programm der Verschönerung der Welt nicht ins Bild übertragen. Aber die Verschönerung des Froschs in Lavaters Serie ist eine Ausnahme von der Regel der klassischen Ästhetik, das hässliche Tier aus der darstellungswerten Welt auszuschließen.
Metamorphose ohne Frosch: Goethe und seine Zeit Goethe entwickelt eine Metamorphosenlehre mit einem weitreichenden Anspruch. Die Abhandlung Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären (1790) ist als Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs geschrieben, und die Idee der Metamorphose steht im Mittelpunkt von Goethes Naturbild.31 In dieser Lehre steckt nichts weniger als Goethes Versuch, die Grundlage für eine neue Wissenschaft der Natur zu legen.32 Er bestimmt die Morphologie als die »Lehre von der Gestalt, der Bildung und Umbildung der organischen Körper«. Diese Lehre entwickelt die Verwandlung als einen harmonisierenden Prozess ohne Anfang, den er auf die Pflanzen beschränkt. Seine Konzeption der Metamorphose steht in Opposition zur Transformationslehre der Alchemisten und zu Ovid. Er konnte sich weder mit dem obskuren Tier der Magie noch mit der Willkür des Mythos abfinden, noch passte das entstehende wissenschaftliche Bild vom Frosch in sein Naturbild, das sich von der Metaphysik zu lösen suchte, sich aber auch dem im Entstehen begriffenen immunisierenden wissenschaftlichen Blick entzog. Die harmonischen Übergänge, die Goethe in den morphologischen Schriften entwickelt, entwerfen ein gewaltfreies Modell vom Werden in der Natur. Sein Verständnis der Metamorphose als einer Ordnung organischer Prozesse setzt den Mythen das Bestreben entgegen, die Mannigfaltigkeit der Natur auf Regeln zurückzuführen. Er spricht von den »mannigfaltigen, besondern Erscheinungen des herrlichen Weltgartens«, die er durch die organische Auffassung der Metamorphose auf ein »allgemeines, einfaches Prinzip« zurückzuführen sucht.33 Der Frosch ist abwesend. Diese Abwesenheit ist ein Detail, das aber symptomatisch und interpretationsbedürftig ist. Es gehört zum ästhetisch-ideellen Programm Goethes und seiner Zeit, das Wilde und Chthonische zu bändigen, und diese Bändigung verfolgt
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das Ziel einer Zivilisierung durch die Herrschaft von Vernunft, des Humanitätsideals und der Schönheit. Die Literatur der Weimarer Klassik widmet sich dieser Spannung zwischen Antike und Moderne. Sie macht den Schrecken der Menschenopfer und grausamen Götter anwesend. Aber die archaischen Mythen werden auf der Bühne mit großem theatralischem und emotionalem Aufwand der Zivilisierung und Verschönerung unterworfen. Das grausame und hässliche Menschenopfer der frühen Zeit wird überwunden. Das urtümlich Ungestalte in der Natur ist aber in dieses Zivilisierungsprogramm nicht einbezogen. Das Hässliche in der Natur kommt in dieser ästhetisch-moralischen Bildung nicht vor und die Abwesenheit des Froschs in der Metamorphosenlehre ist das Symptom. Goethe hat noch eine Vorstellung von der handelnden Natur: Das Gewitter, der Mond, die Nacht, das Sonnenlicht greifen ins Leben ein. Ihr Beitrag zum Leben ist hilfreich, freundlich und lebensspendend, das Gegenteil von dem Beitrag, den der urtümliche Frosch in Alchemie und Magie zum menschlichen Leben leistet. Im Kontext der großen Bilder der Natur und aus der Antike ist der Frosch ein leicht zu bringendes Opfer. Im Vergleich zum Gewicht der Geschichten von antiken Göttern, Gewalttaten und blutigen Opfern hat er, trotz der Jahrhunderte seiner Schreckensgeschichte, kein Gewicht. Seine Abwesenheit in der Metamorphosenlehre hinterlässt keine merkliche Lücke. Aber aus der Sicht des folgenden Jahrhunderts wird sie als eine Vermeidung mit Folgen sichtbar. Goethe unterscheidet drei Arten der Metamorphose: regelmäßig, unregelmäßig und zufällig. Die zufällige Metamorphose komme »von aussen« und er nennt sie »monströs«.34 Sie schließt er aus seiner Abhandlung explizit aus. Mit ihr bezeichnet er die Willkür, die in der Literatur seit Ovid wirkte und sich bis in Kafkas Erzählung fortsetzte, aber in seinem Versuch einer systematischen Fundierung von Metamorphose stört. Er spricht von einer »stufenweise« fortschreitenden Entwicklung und der »Umwandlung einer Gestalt in die andere, gleichsam auf einer geistigen Leiter […]«.35 Das Ganze steht unter dem Prinzip des permanenten Wandels. Jede Entwicklung in der Natur sei aus diesem Prinzip abzuleiten, wie auch umgekehrt keine Gestalt endgültig, sondern das stets vorläufige Ergebnis von Metamorphosen sei.36 Diese Metamorphose gehört, im Gegensatz zu Goethes Selbstverständnis als Forscher, in ein Programm der Harmonisierung durch Ästhetisierung der Natur. Diese Konzeption stellt Metamorphosen in den Rahmen eines Denkens, in dem das Leben in der Natur nicht zu einem Objekt wissenschaftlicher Beschreibung wird, sondern dem philosophischen Gedanken des Zusammenhangs eines Ganzen unterstellt
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wird. Diese wissenschaftliche Beschreibung wird zum Ort einer philosophisch-literarischen Naturerfahrung, die Natur nicht als Objekt versteht, sondern durch Anschauung das subjektive Erleben erhält. Sie setzt die Literarisierung von Natur, die im Werther begonnen hatte, in einer anderen Semantik fort. Daraus ergeben sich unlösbare Spannungen. An das wissenschaftliche Programm der Metamorphosenlehre knüpft Goethe ein didaktisches Programm der Einübung in die Anschauung des Schönen. Ein Höhepunkt ist das Gedicht Die Metamorphose der Pflanze. Er spricht eine Geliebte an, der er auf einem Gang durch den Garten die Natur als ein konfliktfreies und dem Menschen freundliches Nacheinander der harmonischen Entfaltung erklärt. Dieser didaktische Gang enthüllt Voraussetzungen der menschlichen Autonomie im Reich der Natur. Im krassen Gegensatz zur kommenden darwinistischen »Kränkung« des Menschen, von der Freud spricht, dient die Theorie der Metamorphose als Garant der menschlichen Autonomie. Die Elegie entwickelt aus dem Gedanken der Metamorphose eine Welt als Garten, in dem Kampf und willkürliche Herrschaft sowie das Negative der Hässlichkeit ausgeschlossen werden. Die Fülle und Mannigfaltigkeit des Blumengartens wird durch den Blick geordnet, damit er als Paradigma des Naturschönen wahrgenommen werden kann. Entgegen der Betonung des Wandels in der Metamorphose erhält diese Theorie die Schönheit als ein überzeitliches Prinzip. Die Fokussierung auf die Pflanze erleichtert es, gegen die moderne Naturwissenschaft an der sinnlichen Erfahrung der Natur und Subjektivität, die ästhetische Wertung einschließt, festzuhalten. Diese Ästhetik verschloss die Literatur gegenüber dem Hässlichen und vergaß die bösen und hässlichen Tiere der theologischen und magischen Tradition. Ihre Wirkung war, wie das didaktische Programm es erstrebte, nicht auf die Literatur beschränkt, sondern verfolgte das Ziel, diese Tiere auch aus dem allgemeinen Bild der Natur auszuschließen. Es ist folgerichtig, dass der Frosch, das archetypische Wesen der Metamorphose, in diesem Programm einer Wissenschaft von der harmonischen Natur nicht vorkommt. Goethes Naturbild, das sich vom Mythos abwendet, huldigt einem Ideal, das nach ästhetischen Kriterien selektiert und in dem der Frosch – im Unterschied zum gleichzeitigen Naturbild des Rationalismus – keinen Platz hat. Der Frosch wird zu einer durch Missachtung gestraften Störung. Der leere Platz ist nicht stumm, sondern spricht von Abweisung. Wenn in den anatomischen Studien seiner Zeit die Sinne, Subjektivität und Imagination verschwinden, sucht Goethe sie als methodisches Prinzip für das Verstehen der Natur zu erhalten.37 Für diese
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Intention wäre der Frosch ein Tier, das eine wichtige Stelle im Denken der Natur einnehmen könnte. Da er aber heftige negative Emotionen auslöst, wird er aus dem Programm der Erziehung der Sinne verbannt. Diese Engführung von Naturwissenschaft und ästhetischem Bildungsprogramm trennt Goethe von einer Zukunft, die er ahnt und gegen die er unzeitgemäß und oft an der Grenze der Verblendung ankämpft. Die Zeit der Natur war eine Entdeckung seiner Epoche. Buffon hatte in seiner Histoire naturelle (1707-1788) die Zeitdimension in die ausführliche Debatte seines Jahrhunderts über Taxonomie eingeführt. Goethe hatte davon Kenntnis und dieser radikal neue Gedanke, der dem Frosch der Magie das Ende bereitete, hätte eine Voraussetzung für den möglichen Einschluss des Frosches in seine Theorie liefern können. Aber diesen Einschluss vermeidet Goethe, indem er den Zusammenhang von Zeit und Metamorphose ausklammert. Veränderungen in der Natur, die er im Sinn hat, entziehen sich der direkten Beobachtung, aber sie erhalten durch die Morphologie eine theoretische Erklärung, die dennoch die Sinne einbezieht. In der Morphologie löst er gleichsam die Zeit in die Struktur des Gartens auf, der eine Gleichzeitigkeit herstellt. Zeit wird zu einer überschaubaren Ordnung im Raum. Die Morphologie entwickelt er an Pflanzen, die keinen Körper haben, dessen Veränderungen beobachtet werden können. So vermeidet die Metamorphosenlehre das Problem einer Zeit, die den Menschen marginalisiert, dem anthropomorphen Denken den Boden entzieht, und sie hält den Frosch vom Menschen fern. War das Hässliche für die Alchemisten ohne Bedeutung, so ist es für Goethe das entscheidende Kriterium. Aber nicht der Rückblick auf die Alchemie zeigt die wichtige Differenz. Stellt man Goethes Metamorphose in den Zusammenhang der europäischen Natur- und Ideengeschichte, wird die Abwesenheit des Tiers zu einer Lücke, die auf die Zukunft verweist. Sie entstand aus einem Harmoniebedürfnis, das alles Wilde und Archaische zähmte oder ausblendete und, wie Lavaters Bildserie, den Frosch veredelte oder ganz verbannte. Tiere der imaginierten bösen Tierfamilie kommen in seinem Werk nicht vor. Im Faust gibt es eine bezeichnende Ausnahme, das Lied über einen Floh: Aber man erkennt ihn nicht, denn er ist in Samt und Seide gekleidet. Er hat einen Platz in der Literatur nur durch Verkleidung und Satire, die das böse Tier literarisiert. Goethe, dem Dichter, nicht dem Wissenschaftler, war bewusst, dass das Gute ohne seinen Gegensatz, das Böse, und das Schöne ohne das Hässliche nur unbewegte Ideale sind. Diese Spannung bewegt seine Dichtung. Aber das Hässliche der Natur verfällt dem ästhetischen Bann. Die Natur ist jedoch ohne ihre hässlichen Tiere
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nicht nur unvollständig, sondern die Metamorphosenlehre als Theorie der Natur läuft Gefahr, in eine statische Konstruktion zu führen. Es geht nicht zu weit, in der Metamorphosenlehre den therapeutischen Versuch einer »Angstbewältigung« zu sehen. Die Gefahr, dass das harmonische Naturbild, und damit sein Lebensprojekt, in der nahen Zukunft ins Obskure versinken würde, war nicht abzuweisen. Dem beginnenden wissenschaftlichen Denken der Natur, für das Schönheit und Harmonie keine Bedeutung hatten, stellt die Metamorphosenlehre eine Ideen-Medizin wie einer Krankheit entgegen. Die Abwesenheit des Froschs in dieser Medizin ist konsequent, und sie bildet eine Lücke, die zur Erfolglosigkeit dieses Entwurfs einer Wissenschaft von der Natur beitrug. Goethe war keine Ausnahme in dem Versuch, die lange Tradition des abgründigen Tierbilds vergessen zu machen und ihr ein Programm der Erziehung der Sinne zum Schönen entgegenzustellen. Auch Alexander von Humboldt hatte daran Anteil. Humboldts Schrift über die Pflanzen Südamerikas und selbst seine Arbeiten über den Frosch nehmen an der Idealisierung des Naturbilds teil und machen es für das kommende Jahrhundert fremd. Er hatte, wohl nicht zuletzt durch seine Versuche mit Fröschen, wie sein Briefwechsel mit dem jungen Emil Du Bois-Reymnond zeigt, ein tieferes Gespür für das Unzeitgemäße dieser Ästhetisierung. Dennoch zeigen auch seine Froschexperimente die Haltung des Gelehrten, die Goethes Untersuchung zur Metamorphose leitet und den harmonischen Zusammenhang der Natur nicht stört, selbst wenn seine Experimente zur tierischen Elektrizität bereits zu einer anderen Konzeption von Natur gehören. Seinen Versuchen lag die philosophische Intention zugrunde, das vitalistische Naturbild zu bestätigen. Sie waren für das kommende Naturbild ein Anachronismus. Sie gehörten in die Vorgeschichte der wissenschaftlichen Physiologie, und selbst dem Naturbild der Literatur des neuen Jahrhunderts blieben sie fremd. Für das Naturbild in einer gegenwärtig entstehenden ökologischen Literatur ist die harmonisierte Natur der Klassik ohne Frosch nicht anschlussfähig. Das Verhältnis zur Antike änderte sich im 19. Jahrhundert. Auch für Freud und die Literatur des Fin de siècle waren antike Mythen zentral. Sie knüpften aber nicht am Harmoniegedanken an, sondern an Konflikte und elementare Störungen der Harmonie. Das entsprach dem Bedürfnis der Zeit. Dennoch war die Entwicklung unaufhaltsam: Die antiken Mythen verblassten, und damit verschoben sich die Gewichte. Das 20. Jahrhundert wurde durch die Verhinderung eines Menschenopfers auf einer Ägäischen Insel weniger bewegt als durch das Schicksal oder drohende Sterben einer
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Tiergattung. Die Entwicklung führte von der Harmonisierung zur Erfindung eines imaginierten Kosmos des Schreckens, fort von der Metamorphose der Pflanze und in eine Welt der schockierenden Verwandlungen, die aus Menschen Käfer und Insekten, selbst monströse Fliegen, wie in Cronenbergs Film (The Fly), machen. Gesträubtes Haar und Ekel liierten sich im Jahrhundert nach Goethe und Humboldt zunächst mit ästhetischem Schock und schließlich mit Gefühlen für die gefährdete Natur, die das urtümliche und ungestalte Tier zum Totem machten.
Metamorphose im Märchen: Phantasien von einer Welt ohne Frösche Volksmärchen handeln von Metamorphosen, haben aber mit dem Programm der Ästhetisierung von Natur nichts gemeinsam. Sie erzählen schlichte Fassungen der romantischen Umdeutung des bösen Tiers. Zauber und Entzauberung werden zum Mittelpunkt von Geschichten der Erlösung und Befreiung von Willkür. Das Märchen vom Froschkönig kombiniert Moral, Ästhetik und Macht auf eine Weise, dass die Sehnsucht nach einem Leben erfüllt wird, in dem Tiere nicht hässlich und Könige nicht autoritär sind. In einer verblüffenden Umkehr zaubert der hässliche Frosch, der aus der Tiefe kommt, eine Ahnung des Himmels auf die Erde. Das Märchen spricht in durchsichtiger Verkleidung vom gewöhnlichen Alltag: von der Hoffnung eines Mädchens auf das Glück, einem autoritären Vater, Liebe, Furcht und Schmerz. Das Märchen weist Übereinstimmungen mit dem Mythos auf. Es erzählt die Geschichte einer unfesten Welt der Grenzverletzungen, und es handelt von willkürlichen Verwandlungen und von Gewaltphantasien so fraglos, als sei von Selbstverständlichkeiten die Rede. Auch hier wird die Macht hinter den Verwandlungen nicht in Frage gestellt. Die Handlung von Die Königstochter und der verzauberte Prinz oder, wie das Märchen später hieß, Der Froschkönig oder Der eiserne Heinrich ist bekannt, und ich will mich auf die Bedeutung vom Frosch konzentrieren. Das Märchen vom Prinzen, der in einen hässlichen Frosch verwandelt wurde und durch eine Prinzessin zum Menschen zurückverwandelt wird, so dass seine schöne Gestalt wieder mit der schönen Seele korrespondiert, benutzt das Klischee vom hässlichen Tier. Es ist aber eine Geschichte der Verwirrungen. Die Ausgangslage ist eine Verwirrung des Gegensatzes von schön und hässlich und ihrer Beziehung zur Gewalt. Der Frosch ist der verkörperte Widerspruch. Er ist hässlich als Frosch und schön als im Frosch verborgener Prinz. Äußerlich missgeformt, aber innen ein echter Prinz, ist
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er hilfsbereit gegenüber der traurigen Prinzessin und zeigt damit die schöne Seele. Wir sehen zunächst nur den Frosch und finden ihn und sein Begehren abstoßend. Zugleich identifizieren wir uns mit ihm, da er der Prinzessin hilft und ihre goldene Kugel, Inbegriff des zwecklos schönen Dings, aus dem Brunnen rettet. Zwischen seiner schönen Seele und der schönen Prinzessin scheint sich am Brunnen das Versprechen einer glücklichen Zukunft zu bilden. Aber sie handelt schlecht an ihm. Seine äußere Hässlichkeit steht der Verwirklichung ihres Versprechens im Weg. Sie trübt den hellen Sinn der Prinzessin und lässt sie nach der Art betrügerischer Frösche handeln: falsch. Während die Schönheit der jüngsten Königstochter dem ästhetischen Sinn Vergnügen bereitet – Illustrationen zum Märchen zeigen sie stets als Schönheitsideal – und Tugend zum Ausdruck bringt: Sie lehnt die Avancen ab –, handelt sie doch böse, bricht ihr Versprechen und will den Frosch töten. Zwar handelt sie damit als Gegenmacht zum Zauberer oder der Hexe. Aber das kann sie nicht wissen, und sie führt den Gewaltakt aus, ohne zu ahnen, dass sie damit einen bösen Zauber bricht und das Schicksal ins Gute wendet. Im Gegenteil: Sie spricht aus, dass sie den Tod des Frosches will. Aber womöglich gehört in die Liste der Verkehrungen auch ihr unbewusster Wunsch, den sie in der Verneinung ausspricht und der, als er in Erfüllung geht, Abscheu in Lust verwandelt. Die Verkehrungen wiederholen sich in der Rebellion gegen die Autorität, von der die Geschichte berichtet. Der Frosch war stets das Medium derer, die den Menschen schaden, die Welt in ihrem Sinn verändern und als Hexen und Zauberer herrschen wollten. Im Märchen ist der Frosch dagegen das Tier der Befreiung. Er ermöglicht dem unterdrückten Mädchen die Selbstfindung und Selbstbestimmung und ist der Träger eines Glücksversprechens. Aus dem Unglückstier macht das Märchen ein Glückstier. Der Hörer nimmt an einer zweifachen Auflehnung teil: gegen die Macht des Zaubers und gegen die Macht des Vaters sowie an einer doppelten Befreiung. Der Prinz wird durch die Tat der Jungfrau aus der hässlichen Entstellung befreit, und das Mädchen befreit sich selbst vom Autoritätsspruch des Vaters. Er befiehlt ihr dreimal zu tun, wogegen sie sich sträubt: den Frosch hereinzulassen, mit ihm den Tisch zu teilen und schließlich, ihn mit auf ihr Zimmer zu nehmen. Der Vater sieht den Mann, die Prinzessin den Frosch, den der Vater-König ihr als Gatten aufzwingen will. Sie ahnt, dass er nicht an einen Frosch denkt.38 Sie fügt sich jedes Mal. Aber in ihrem Zimmer begehrt sie gegen die Autorität auf, handelt nach ihrem Willen und scheut vor einem Gewaltakt nicht zurück. Sie bricht die
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Abbildung 16: Prinzessin und Frosch, Scherenschnitt zu Grimms Märchen, um 1928
Konvention des Patriarchats, dass die Tochter vom Vater verheiratet wird, und schafft sich ihren eigenen Raum, ihren eigenen Liebhaber, den sie heiraten will. Es ist der Tötungsakt, den sie an dem ihr vom Vater aufgezwungenen hässlichen Körper im Zorn ausführt, der sie beide erlöst, den Prinzen vom Zauber und sie selbst von der Macht des Vaters. Die Macht von Vater und König wird einer Kritik unterzogen, führt aber nicht zur
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Revolte, sondern der Bruch bleibt versöhnlich. Denn der Prinz wurde »ihr lieber Geselle und Gemahl«, und das geschah »nach des Vaters Willen«. Der Text von Grimms Hausmärchen ist mit Rücksicht auf Kinder geglättet.39 Der Frosch wird gezähmt und seine Sexualität verharmlost. In einer älteren schottischen Fassung des Märchens, von der Jacob Grimm berichtet, wird der Frosch als »monster« bezeichnet, das von dem Mädchen am Brunnen verlangt, sich mit ihm zu verloben (betrothe), andernfalls werde es sie in Stücke reißen. Sie lehnt ab, und der Frosch erscheint um Mitternacht und ruft »open the door, my hinny, my hart, open the door, my ainwel thing,… and take me up to your knee, my dearie…«
Während diese Fassung an das Sexuelle im Bild vom Frosch erinnert, fügt sich die Fassung der Brüder Grimm in die Literarisierung des Froschs ein. Der bereinigte Text nimmt die moralischen Gebote der Zeit auf und übt durch Entwirrung die Identifikation des Schönen mit dem moralisch Guten ein. Hässlichkeit ist in Märchen eine Eigenschaft von Körpern, die das Bedrohliche und moralisch Verwerfliche ausdrückt; das trifft auf Hexen, Teufel und Monster und auf den Frosch der älteren Fassung, aber nicht auf den Frosch im Märchen vom Froschkönig zu. Er ist offenkundig grundlos und willkürlich verzaubert worden. Es gibt einen Gegenzauber, der das Vertrauen in die grundsätzliche Gerechtigkeit der Welt bestätigt: Der Ekel des Mädchens und Schrecken des Dieners sind in den literarischen Rahmen der Glückserwartung eingebettet, und der Ausgang ist nur für kurze Zeit offen. Der Macht des Gegenzaubers vertrauen die Hörer von Märchen. Sie werden nicht enttäuscht und wissen von vornherein, dass sie – im Unterschied zu Ovids Mythen – im Glück enden. Die Hexen und der Krötenkönig, die Shakespeare vorführt, sind eine beständige Bedrohung. Zauberer und Hexen geben Anlass zur Frage, wie das Leben wäre, wenn sie die Herrschaft anträten. Sie sind durch ihre Bindungen in ein Netz aus unübersichtlichen Bezügen gehemmt, aber die Furcht, dass dies Netz reißen könnte und sie sich aus ihm befreien, ruht nie. Im Märchen verbreitet das Böse nicht die Furcht, es könnte zur universalen Wirklichkeit werden. Das Märchen deutet das Zeichen um. Der Frosch handelt nicht böse, sondern ist selbst ein Opfer eines fernen Zauberers. Am Ende steht nicht die Herrschaft des Bösen, sondern eine Welt,
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in der das Hässliche verwandelt und der böse Zauber in Schranken verwiesen wird. Aber das Märchen spricht von einer individuellen Hoffnung in einer Welt, die vom Zauber nicht befreit werden kann. Dieser Sieg ist, wie der über die Kröte Macbeth, eine einzelne Tat. Er verändert nicht die Welt und nimmt den Zauberern nicht die Macht. Wie Frösche und Kröten im Volksglauben als unbesiegbar gelten, so lassen sich im Märchen Zauber und gewaltsame Verwandlungen nicht aus der Welt verbannen. Aber im Unterschied zu Macbeth steht im Mittelpunkt des Märchens die Macht des Gegenzaubers. An seinem Ende steht das Versprechen des guten Lebens für die wenigen auserwählten Glücklichen. Der Froschkönig gehört zu den wirkungsvollsten Märchen in der Sammlung der Brüder Grimm. Es wird noch immer erzählt und ist durch neue Fassungen lebendig geblieben. Die Frauenbewegung hat sich das Märchen angeeignet, nicht immer mit Subtilität, aber gewiss nicht ohne Grund. Kathrin Schmidt kehrt das Verhältnis von weiblichem Wunsch und männlicher Erfüllung um: Die Prinzessin erlöst den Mann, aber läuft vor ihm davon. Sie findet ihn hässlich und abstoßend, nicht anders als zuvor den Frosch.40 Die feministische Absicht dieser Verkehrung der Geschichte ist offensichtlich. Aber sie nimmt der Metamorphose den Sinn: Wozu die Verund Entzauberung, wenn der Prinz sich vom hässlichen Frosch oder vom autoritären Vater nicht unterscheidet? Wenn die binäre Opposition sich trotz der Verwandlung erhält, ist diese ohne Sinn und bestätigt lediglich die bekannte Rollendefinition. Diese Umkehr des Gedankens der Metamorphose hat weitere Nachfolgerinnen gefunden, die sich alle auf den Befreiungsakt der Geschichte konzentrieren, aber von einer Unabhängigkeit der Frau, die den Befreier nicht braucht, sprechen. Kein Drittes entsteht. Die Welt, in der König und Prinz überflüssig sind, ähnelt der Welt der Theologie, die das Böse aus der Welt verbannen will und in Statik führen müsste. Warum sollte diese Verwandlungsgeschichte so überhaupt erzählt werden? Geht vom Frosch als Ikone der Verwandlung noch immer eine solche Faszination aus, dass er unvermeidlich ist und die Phantasie in den Bann schlägt, sobald die verkehrte Welt umgedreht wird?
4.3 V ERKEHRTE W ELT Seit Aristophanes’ Komödie Die Frösche gibt es in der europäischen Literatur und Kunst den Topos der verkehrten Welt. In ihr gilt das Falsche als richtig, das Richtige als falsch, Tugend und Laster sind vertauscht, und die
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Perversion bildet die Norm. Die Kombination von Frosch und verkehrter Welt zieht sich vom Komödiantischen bei Aristophanes über das Grauen bei Shakespeare und Poe bis zum Ironisch-Didaktischen bei Wilhelm Busch und schließlich zur Ökopolitik des 21. Jahrhunderts, die allerdings die Rollen umkehrt, die falschen Tiere, Frosch und Kröte, umwertet und der falschen Welt gegenüberstellt. Frösche haben – im Unterschied zu anderen Tieren und Fabelwesen wie Vögeln, Wölfen oder Kaninchen – selten eine Sprache, sondern produzieren nichts als Lärm. In den Wissenschaften sind sie stumm. Wenn die literarischen Frösche aber sprechen, sagen sie das Falsche, sprechen die Unwahrheit und machen sich durch Verkehrung lächerlich. Das gilt für die Frösche in Aristophanes’ Komödie. Sie sprechen, und ihre Rede prädestiniert sie zum Ursprung der verkehrten Welt. Aber unwillentlich machen sie eine Spur des abwesenden Richtigen sichtbar. In der burlesken Handlung der Komödie verbirgt sich ein ernsthaftes Urteil über die Verkehrung der Welt. Aristophanes’ Wertschätzung des guten Alten im Gegensatz zum verirrten Neuen ist das treibende Moment des Stücks, und der Chor der Frösche ist dafür instrumentell. Während einer Kahnfahrt über den Styx treten sie auf als die eine, die parodistischsatirische Variante des Chors. Er wird im Hades von einem anderen, dem hymnischen Chor abgelöst. Beide gehören zusammen wie Original und falsche Kopie. Die Frösche leben, wie Herakles sagt, in Moor, Sumpf und Lachen aus Menschenkot, in dem sich die verstorbenen ärgsten Frevler und Missetäter wälzen.41 Aber sie übernehmen die Rolle des Chores. Sie quaken und krächzen und erfüllen die Rolle nur vorgeblich, in Wahrheit verkehren sie sie. Sie kommentieren nicht die Handlung, sondern sich selbst. Ihre fehlgeleitete Selbstwahrnehmung versetzt sie unter Götter, sie halten sich für begnadete Sänger und ihr Quaken für himmlische Klänge. Sie bezeichnen ihr Lied als süß und melodisch, und zwischen ihren gequakten Brekebrex – Koax – Koax erzählen sie, wie sie einst dem Gott Bacchus zujubelten, so dass am Festtag des Gottes alles Volk zu ihrem Sumpf, nein, zu ihrem Gefilde, wallfahre. Der Umgang mit Göttern, Halbgöttern und Helden sei ihnen seit je Gewohnheit, und sie würden von den Musen und selbst von Apoll geschätzt. Sie irren sich. Das Gegenteil ist richtig, wie der Zuschauer weiß. Wenn die Frösche von ihren süßen Gesängen und ihrem Gefilde sprechen, straft ihr Quaken sie Lügen. Die Frösche in Aristophanes’ Komödie sind der Ursprung des Bilds der verkehrten Welt, und sie ist nicht nur zum Lachen. »Nutzloses Dasein, nichts als Sumpf und Finsternis,« bemerkt der Sklave Xanthias über die Frösche und macht doch pfiffig klar, dass sich im Lachen über das Unwah-
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re der Frösche eine ernste Klage verbirgt: die Perversion von Tradition und Werten. Die Komödie erlaubt es, die großen Fragen nach Verantwortung, Freiheit und Schicksal, die im Zentrum der Griechischen Tragödie stehen, zu meiden und dennoch in der Negation zu behandeln. Vögel, Wespen, Frösche oder Wolken sind keine Themen für die Tragödie. Aber in der Verkehrungsstruktur der Komödie haben sie eine Wirkung. Sie sind Zeichen für Verlust. Auf dieser Ebene haben die hässlichen Körper und Stimmen der Frösche recht. Ihre Perversion lässt ein Bewusstsein der Verkehrung des Richtigen ins Falsche entstehen.
Der Frosch als moralisches und als ästhetisches Problem der verkehrten Welt: Hans Christian Andersen Der Topos der verkehrten Welt zieht sich durch die europäische Literatur- und Kunstgeschichte.42 Aber ich springe ins 19. Jahrhundert. In einem Märchen von Andersen verlässt eine kleine Kröte ihre Welt, den Brunnen, um die große Welt kennenzulernen. Das Märchen erzählt von den Täuschungen der verkehrten Welt. Sie ist die alltägliche Wirklichkeit, und die Kröte enthüllt sie als einen Ort der Perversion. In diesem Märchen ist die Kröte das Tier der Wahrheit: Das Schöne und Wahre sind verborgen und erfordern den verfremdenden Blick, um erkannt zu werden. Der Blick muss den Schein durchdringen und das Imaginäre als konstitutives Element der Wirklichkeit einbeziehen. Der Knecht, der die Kröte als erster sieht, ruft aus: »Das ist das Grässlichste, das ich je gesehen habe!« Er stößt mit seinem Holzschuh nach ihr und hätte sie beinahe zerquetscht. Gegenüber dem Tier wirkt die Automatik eines negativen Reflexes. Sie kann nur aus einer Außenperspektive als falsch erkannt werden. Das leisten im Verlauf der Geschichte einfache Formen der Reflexion. Sie schaffen Distanz und zeigen, dass die Welt auf täuschenden Verkehrungen gebaut ist. In der hässlichen Kröte verbirgt sich ein Edelstein, der am Ende leuchtet wie das Sonnenlicht und die verachtete Kröte als Gottes Geschöpf enthüllt. Hat das Märchen eine Moral? Es entwickelt den folgenden Dialog: »Da sitzt ja ein famoses Exemplar von einer Kröte,« sagte der Naturforscher. »Die muß ich in Spiritus setzen.« – »Du hast ja schon zwei«, meinte der Poet. »Laß die doch in Frieden sitzen und sich ihres Lebens freuen.« – »Aber sie ist so herrlich hässlich«, sagte der andere. »Ja, wenn wir den Edelstein in ihrem Kopf finden könnten«, sagte der Poet, »dann wäre ich gleich mit dabei, sie aufzuschneiden«. – »Den Edelstein«, sagte der andere,
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»du scheinst mir viel von der Naturgeschichte zu wissen.« – »Liegt nicht gerade viel Schönes in dem Glauben, daß die Kröte, das allerhäßlichste Tier, in ihrem Kopf den köstlichsten Edelstein birgt? Geht es nicht mit den Menschen ebenso? Welchen Edelstein hatte nicht Äsop, und gar Sokrates.« Zwei Haltungen zur Natur stehen sich gegenüber, die des Wissenschaftlers und die des Dichters, und beide erweisen sich als falsch. Der eine will Besitz vom Tier ergreifen, und das kann er nur, wenn er es tötet. Der Dichter will die Kröte zunächst schützen, ändert aber seine Meinung, als er an eine andere Art des Wissens als das der Naturwissenschaft denkt: Für den Stein, verborgen im hässlichen Körper, würde auch er das Tierleben opfern. Die Reaktion aller drei Menschen, Knecht, Wissenschaftler und Dichter, auf die Kröte praktiziert Herrschaft über das Tier. Gegen diese Herrschaft erhebt die Geschichte Einspruch. In Andersens Märchen erhebt die kleine, verletzliche Kröte eine stille Anklage gegen die Gefühllosigkeit und Grausamkeit der Welt. Sie stellt die Frage der Handlungsmoral. Könnte eine Moral, in deren Schutz Frosch und Kröte einbezogen wären, die verkehrte Welt der Menschen wieder ins Lot bringen und den entwürdigten Tieren einen Platz in der Welt einräumen? Andersens Märchen stellt die Frage und lässt sie offen.
Der Frosch als Bürger: Wilhelm Busch Komplexer ist Wilhelm Buschs falsche Welt. Sein Frosch ist nicht das verkannte Schöne, sondern ist in gesellschaftliche Perversion eingebunden. Buschs Zeichnungen und Gedichte über den Frosch nehmen die Kritik der Fabeln an den Verirrungen der Gesellschaft auf. Hält La Fontaines Fabel dem Ehrgeizigen in der Adelsgesellschaft den Spiegel vor, machen Buschs Gedichte den Frosch zum Bürger, nicht als Individuum, sondern als Parvenü und Repräsentant der Gesellschaft. Wenn sie vom Frosch sprechen, sprechen sie von Menschen: Der dicke Bauch macht kurzatmig, das Klettern bereitet Mühe und lässt keuchen. Das literarische Bild vom Frosch blieb sich in der feudalen und in der bürgerlichen Welt in diesem Grundzug treu. Auch bei Busch ist nicht von Verwandlung, sondern von Gleichsetzung die Rede. Der Frosch ist Mensch. Er dient in beiden Epochen dazu, falsche Haltungen und Einstellungen zu geißeln. Der Bürger hat sich aus dem Gewimmel befreit, zum autonomen Subjekt erklärt und schickt sich an, eine neue Rolle in der Geschichte zu übernehmen. Aber aus Buschs Perspektive war und bleibt der Bürger Gewimmel, und der Frosch enthüllt im Gedicht die befreite Subjektivität als
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Abbildung 17: Wilhelm Busch, »Wenn einer, der mit Mühe kaum…«, Wilhelm Busch Museum, Hannover
Illusion. Es bedarf keiner besonderen Phantasie, um in der Satire die Abwehr von Hegels Geschichtsphilosophie zu erkennen. Sie ist bei Busch auf den Frosch gekommen. Der Drang des Bürgerfroschs nach oben entlarvt das Falsche der Geschichtsphilosophie wie der Gesellschaft selbst. Im Frosch führt Busch uns den Bürger als Subjekt der Geschichtsphilosophie auf dem Weg nach oben und zur Herrschaft vor Augen. Aber an die Stelle
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von Herrschaft, die Shakespeares Krötenkönig als Tragödie vorstellt, tritt Komik: banale Motivationen wie Eitelkeit und Geltungsdrang. Der Drang nach oben, der den Bürgerfrosch treibt, ist verächtlich. Dieser Frosch ist eine Travestie. Er verkörpert die Hybris im Streben des modernen Bürgers, der sich zum Herrn über die Geschichte machen will. Die Satire auf die Geschichtsphilosophie nimmt den satirischen Impuls der aristophanischen Komödie auf, hüllt ihn aber in moderne Melancholie. Buschs Gedichte über Fink und Frosch bewegen sich im hohen literarischen Feld des Steigens und Stürzens. Aber sie handeln von Abstürzen, und sie selbst tun einen Sturz. Nicht nur der Frosch stürzt ab, sondern mit seinem Auftreten im Gedicht stürzt der anspruchsvolle Topos vom Fliegen. Der Frosch in Buschs Gedichten markiert einen Wendepunkt dieser literarischen Tradition. Wer von der Phantasie des Fliegens liest, denkt an Ikarus oder verspürt mit Schiller den Wunsch, im Flug den »schweren Erdentraum« hinter sich zu lassen. In der literarischen Tradition fliegen einige ausgewählte Vögel: Adler, Weihen, Falken, majestätische Vögel, die meist als Symbole des menschlichen Strebens nach dem Göttlichen dienen. Sie werden im 19. Jahrhundert selten, und Droste-Hülshoff fügt die kleine Feldlerche hinzu. Bei Busch ist es ein gemeiner Fink, der zwar frei und flink ist und glockenhell singt, aber mit den majestätischen Vögeln ist es zu Ende. In Buschs Gedichten kommt nicht einen Augenblick die Erinnerung an den Flug in die Freiheit oder an die Realitätsverneinung des Idealismus auf. Der Fink mag sich noch so bestimmt vom quakenden Frosch entfernen: Der haftet ihm an. Der Fink wird die vulgäre Gesellschaft nicht los. Sie leben beide in derselben Welt, in der kein aristokratischer Vogel, kein Adler oder Falke, die Phantasie fliegen lässt. Was Vögel, die Herrscher der Lüfte, können, wird der Frosch nie erreichen. Sein fehlgeleiteter Aufstiegsdrang wird zu einem zentralen Topos in Buschs Bild der bürgerlichen Welt. Die Vögel sind durch Schwerelosigkeit und ein Leben in der Höhe geadelt. Aber der Frosch ist zu borniert, um zu erkennen, dass ihm diese Welt versperrt ist. »Det kann ick och!« lautet seine plumpe Devise. Der dicke Zwerg weiß nicht, wer er ist. Am Froschkörper wollte man oft das Niedere ablesen: »Der Körper ist stets niedergedrückt, platt, kurz und breit; der Kopf ebenfalls breit und flach […].«43 Dieses Tier gehört nach unten, aber es strebt nach Höherem. Die Literatur entlarvt das Streben als falsch und gegen die Ordnung. Buschs Frosch steht für den Menschen, den Binswanger »verstiegen« nennt.44 Aber bei Busch ist nicht nur das Streben nach oben verstiegen, sondern auch die Ordnung ist falsch. In einem seiner Gedichte über Fink und Frosch landet
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4.C W ILHELM B USCH Fink und Frosch Auf leichten schwingen frei und flink Zum Lindenwipfel flog der Fink Und sang an dieser hohen Stelle Sein Morgenlied so glockenhelle. Ein Frosch, ein dicker, der im Grase Am Boden hockt, erhob die Nase, Strich selbstgefällig seinen Bauch Und denkt: Die Künste kann ich auch. Alsbald am rauhen Stamm der Linde Begann er, wenn auch nicht geschwinde, Doch mit Erfolg emporzusteigen, Bis er zuletzt von Zweig zu Zweigen, Wobei er freilich etwas keucht, Den höchsten Wipfelpunkt erreicht Und hier sein allerschönstes Quacken Ertönen läßt aus vollen Backen. Der Fink, dem dieser Wettgesang Nicht recht gefällt, entfloh und schwang Sich auf das steile Kirchendach. Wart, rief der Frosch, ich komme nach. Und richtig ist er fortgeflogen, Das heißt, nach unten hin im Bogen, So daß er schnell und ohne Säumen, Nach mehr als zwanzig Purzelbäumen, Zur Erde kam mit lautem Quack, Nicht ohne großes Unbehagen. Er fiel zum Glück auf seinen Magen, Den dicken, weichen Futtersack, Sonst hätt er sicher sich verletzt. Heil ihm! Er hat es durchgesetzt. Wilhelm Busch: Zu guter Letzt. (1904) Stippstörchen für Äuglein und Öhrchen. 1881. Wilhelm Busch, Gesamtwerk in drei Bänden, Band 3. Augsburg 1998, S. 453f.
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der Frosch bei einem Flugversuch weich auf dem Bauch. Sein bürgerliches Wohlstandsfett ist zu etwas nütze und federt den Aufprall ab. In einer anderen Fassung geht Busch unversöhnlich mit dem Aufsteiger um und lässt ihn hart landen und am Aufprall sterben: »Und hat für ewig ausgequackt.« Es bleibt dem Leser überlassen, welche Landung dieses Protagonisten der neuen Gesellschaft er vorzieht. Weil der Frosch den Traum zu fliegen wirklich wagt und sich, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, in die Luft hebt, können wir dem eitlen und vorlauten Wichtigtuer einen Funken Mitgefühl kaum verweigern, und auch Buschs Zeichnungen sind nicht ohne einen Zug der Sympathie. Dieser Frosch, man muss das bemerken, ist leistungsbewusst, setzt sich eine Aufgabe und erfüllt sie. Unter großen Mühen ersteigt er den Baum. Dass seine Leistung einem Trug dient, durchschaut der Leser, und so macht der Aufsteiger sich lächerlich, noch bevor er abstürzt. Der selbstverschuldete Absturz ist fern jeder Größe. Hier ist von der Nähe eines Gottes selbst als Parodie nicht mehr die Rede. Dieser Frosch ist der bürgerliche Aufsteiger ohne die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis. Für sie brauchte er eine Distanz, die sein Eifer und seine Fixierung auf Leistung nicht zulassen. Der bornierte Glaube an sich ist sein Mangel. Wenn er stürzt, nehmen wir nicht am Sturz aus einer gewagten Höhe, der stets etwas vom Erhabenen hat, teil. Sein Sturz ist peinlich, die Bloßstellung von dreister und plumper Eitelkeit. Sein eigentliches Problem liegt nicht darin, dass er nicht fliegen kann, sondern dass er keinen Sinn für das Große und Großartige hat. Er zieht das Hohe auf eine Ebene herab, die dem kleinen Geist zugänglich ist. Er ist die Verkörperung des schalen, alle großen Phantasien nivellierenden bürgerlichen Lebens. Der Frosch wird zum Symbol der Bürger, die keine Leidenschaft kennen und nicht wissen, welche Höhen und Tiefen das Leben hat. Er fällt nicht aus dem Himmel, wie die verstiegenen Träumer des Idealismus, sondern von einem Ast und ist schlicht lachhaft. Der Ironie des »Heil ihm!« folgt die resignierte Feststellung: »Er hat es durchgesetzt.« Der plumpe Bürger überlebt den Sturz und ist Sieger. Der Frosch ist kein Held, der in die Höhe strebt, und seine Illusion vom Fliegen ist dem Wunsch der Pioniere der Moderne, der Abenteurer ohne Bodenhaftung, die als Märtyrer der Moderne den Fliegertod fanden, entgegengesetzt. Sein Motto ist, sich durchsetzen. In Buschs Verachtung des Bürger-Froschs stecken durchaus Ekelgefühle. Aber um das starke Gefühl von Ekel auszulösen, ist dieser Frosch zu banal. Diese literarisch gezähmte Form löst eine Schwundstufe der
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Emotion aus, durch Ironie gebrochen. In einem solchen Ablehnungsgefühl, schreibt Kolnai, seien Ekel und Verachtung vereint.45 Busch benutzt die literarische Konvention Frosch nicht, um einen Ekel vor dem Tier, sondern seine Verachtung der bürgerlichen Mentalität zu zeigen. Er nimmt dem Frosch das Böse und Hässliche, das Monströse, Ekelhafte, und was bleibt, ist das Banale, Vulgäre und Geringe, das hohe Ansprüche für sich erhebt und um Bewunderung buhlt. Die Verachtung richtet sich auf das Verzwergte. Die Diskrepanz zwischen Ritualwert und kümmerlicher Wirklichkeit benutzt Busch, um seiner Verachtung für den falschen Schein der bürgerlichen Welt Ausdruck zu geben. In dieser Verachtung steckt eine Form von Ekel. »Verachtung und Ekel stimmen darin überein, dass sie beide dem Wertwidrigen gelten, das zugleich elend, brüchig ist […].«46 Der Ekel, der aus dem Gedicht spricht, bezieht sich auf das Elende der Bürgerträume. Buschs Froschschicksal richtet sich an Leser. Wer sind sie? Einigen mag das Lachen über diesen leistungsbewussten Frosch im Halse stecken bleiben. Ihnen sagt die anschauende Erkenntnis, dass sie im Frosch sich selbst sehen, und ein Ekel vor dem eigenen Drang nach Aufstieg mag sie erfassen. Wer lacht? Das Lachen kommt von der falschen Seite. Der Leser, den der Frosch des Gedichts repräsentiert, wird nichts als Selbstbestätigung gegenüber der Dummheit des Tieres empfinden. Wer sich von der Moral des Gedichtes angesprochen fühlen sollte, ist zu borniert, wie das Gedicht zeigt, um einen Sinn für seine Verwandtschaft mit dem Tier zu haben. Ekel ist ein Gefühl, das diesen Lesern nicht mehr erreichbar ist. Dieser Bürgerfrosch wälzt sich nicht im Kot und spricht nicht mit Göttern. Er ist moderat, und seiner Moderation entspricht die Abstumpfung der Emotionen. Wen könnte dieses Tier in einer Welt, die aus lauter eitlen Fröschen besteht, erregen oder in Verzweiflung stürzen? Heute lesen sich diese Gedichte anders als im 19. Jahrhundert. Wir wissen aus Berichten in Zeitschriften und dem Fernsehen, dass es in den Tropen Frösche gibt, die auf Bäumen leben und wenn sie auch nicht fliegen, doch von Ast zu Ast gleiten und des Nachts melodische Konzerte anstimmen, die für das menschliche Ohr so schön klingen wie Vogelgesang. Solche Frösche kannten Busch und sein Jahrhundert nicht. Ist die exotische Welt der bunten, durch die Luft segelnden und singenden Frösche, in unsere Wohnungen geholt und normalisiert, eine neue Form der verkehrten Welt, die wir gern für die richtige halten, um uns in ihr zu amüsieren?
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Banalisierungen in der Alltagskultur Der Frosch diente im späten 19. Jahrhundert zur Trivialisierung von Mythen. Der garstige Frosch und das ehrvergessene Handeln der schönen Prinzessin wurden in illustrierten Märchenbüchern in eine idyllisch-triviale Bildwelt überführt: Brunnen und Schloss, Tier – auf das Rösels Attribut lieblich im neuen Wortsinn zutraf – ein liebliches Mädchen, die Prinzessin, und ein würdiger König. Diese Elemente ziehen sich von der ersten illustrierten Ausgabe der Grimmschen Märchen und vielen späteren Märchenbüchern zu Comicstrips und Fernsehfilmen, beginnend mit Ludwig Richter bis zu Tomi Ungerer. Eine ins Banale verflachte Ikonografie, die das Böse und die Spannung zwischen schön und böse, hässlich und gut nicht mehr kannte, entstand. Das einst zauberhafte Tier schrumpfte auch zum Objekt des amüsanten Spotts.47 Illustrationen, etwa von Gustave Doré oder Grandville, lösten sich endgültig vom Tier als Repräsentant des Bösen oder Hässlichen. Grandvilles Das öffentliche und private Leben der Tiere (1840-42) zeigt keine Tiere, sondern Menschen, die unter ihren Kleidern auch noch Tieren ähneln. Sie »bevölkern« gesellschaftliche Situationen und machen menschliche Eigenschaften leichter sichtbar als Menschen in denselben Situationen das könnten. Frösche laufen in aufrechter Haltung nicht mehr, weil der Teufel in ihnen steckte, sondern sie stolzieren, weil sie in Rollen von Menschen schlüpfen, nach der Mode der Zeit gekleidet, in Frack und Zylinder mit goldener Uhrkette oder Freizeitkleidung. Auf diesen Bildern haben Frösche ein Gesicht, und aus der Mimik, Gestik und Körpersprache des aufrecht gehenden Frosches sprechen menschliche Eigenschaften wie Dummheit und Eitelkeit. Auf mehr als Unterhaltung durch die Komik menschlicher Schwächen zielen diese Froschbilder nicht. Kinderbücher und Fernsehserien für Kinder nahmen diesen Faden auf. Der Frosch der Unterhaltungsindustrie macht aus der einstmals gefahrvollen Nähe von Mensch und Frosch ein leeres Spiel,48 in dem Lurche kleine Abenteuer bestehen. Banale Tiere in Kinderbüchern wie The Wind in the Willows, wo die eitle Kröte einen Rennwagen fährt, sind nur noch komisch. Der Frosch Kermit der Muppet Show ist die wohl bekannteste Fassung gegenwärtiger populärer Froschbilder, neben der zahlreiche anonyme Zeichner und Werbegraphiker ihren Beitrag zum verbreiteten Froschkitsch leisten. In Peterchens Mondfahrt »quakt und patschelt« ein Wassermann, der seine »langen Froscharme« schlenkert. »Außerdem kam noch ein liebliches Sternmädchen mit einer gläsernen Gießkanne auf den Wink der Nachtfee herbei und begoss den dicken Wasserfürsten unermüd-
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lich. Das gefiel ihm! Er quiekte und quakte wie ein grünes Schweinchen vor Vergnügen.«49 Aus den Bildern von Angst und Zauber wurde ein banales Bildchen vom Frosch als zufriedenem Mensch-Tier.
Abbildung 18: Grandville, Illustrations des Fables de la Fontaine: La grenouille qui veut se faire aussi grosse que le boeuf. Jean de La Fontaine, Sämtliche Fabeln, illustriert von Grandville, München (Artemis Winkler)
Auch das Kunsthandwerk beteiligte sich an der Banalisierung. Die Firma Bermann, 1850 bei Wien gegründet, vertrieb eine etwa 30 cm hohe Bronzeplastik zur Dekoration des bürgerlichen Salons. Sie zeigt drei Frösche übereinander, und der Titel »Froschfamilie« sucht die sexuellen Assoziationen dieser Position zu verbannen. Biedermeierliche Idylle hatte sich des Froschs bemächtigt und stilisierte ihn zum Gegenbild des Ekeltiers. Ein kultureller Astigmatismus wirkte in der Produktion solcher Froschbilder, die sich nun dem Blick als liebliche Tiere zeigten. Als das kritische Potential im Bild vom Frosch der verkehrten Welt sich erschöpft hatte,50 entdeckte die Werbung den vermenschlichten Frosch. Sein Bild ist so präsent, dass er für nahezu jedes Produkt ausgenutzt wer-
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den kann. Der Frosch mit einer Krone und einer goldenen Kugel – nicht im Maul, wie das Märchen sagt, sondern nach Menschenart in den Händen – gehört zum kollektiven Bildschatz der Gegenwart und kann, ohne dass zusätzliche sprachliche Erläuterungen nötig wären, in der Werbung für die Schuhcreme Erdal,51 ein gewinnendes Lächeln nach einer Zahnbehandlung, Reinigungsmittel, sauberes Trinkwasser und sogar für klare Luft oder den Umweltschutz durch Bilder auf öffentlichen Flächen eingesetzt werden.52 In der Heftreihe Lurchis Abenteuer brachten Frosch und Salamander die Kinder auf den Geschmack für die Schuhmarke Salamander. Salamander traten seit dem Mittelalter häufig in der Gesellschaft vom Frosch auf. Auch sie waren vom Geheimnis umwittert, und besonders der Feuersalamander gehörte in das Arsenal der Zaubermittel. Aber nun ist es nicht mehr der Zauber, der sie zusammenbringt, sondern ihre Komik. Lurchi, der Salamander für Schuhwerbung, war ein komischer Mensch in Tiergestalt, der Abenteuer bestand, Weltreisen unternahm und alle möglichen Probleme bewältigte. Lurchis Abenteuer luden zur Identifikation ein, da die Leser sie entweder aus eigener Erfahrung kannten oder sie sich erträumten.53 Über die Rezeption der verkitschten Tiermenschen und Menschentiere wissen wir nichts. Auch über den Einfluss der Populärliteratur auf das Bild vom Tier, das Kinder entwickeln, kann man nur spekulieren. Aber die Vermutung liegt nahe, dass es von Grund auf falsch ist.
Abbildung 19: Froschfamilie, Bronze, ca. 1912, Fritz Bermann, Wiener Bronzen
4.4 G EGENSTRÖMUNGEN : D AS M AGISCHE KEHRT ZURÜCK Die Domestikation der Monster scheint endgültig. Aber der Schein trügt, und so rational, wie sie sich gab, war die Rationalisierung des Tierbilds nicht. Der Rationalisierung ist, wie Nietzsches oder Freuds psychologischer Scharfsinn am Ekelhaften und Bösen zeigt, stets zu misstrauen. Die Verhältnisse waren unübersichtlich. Während Leser des 19. Jahrhunderts für den Froschzauber, der zum Höllenbrei in den Hexenkesseln führte,
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ein überlegenes Lächeln hatten, entstanden Gegenbewegungen. Eine Unterströmung der Literatur, mit dem Tierbild der Romantik beginnend, sträubte sich gegen die Minderung des Abstoßenden und Widerlichen, rehabilitierte das Hässliche und Böse gegen die zivilisierende Wirkung der Literatur und erhielt geheimnisvolle Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Magische Vorstellungen erhielten sich beziehungslos neben dem vernünftigen oder banalisierten Bild vom Tier oder übten offen Opposition gegen das Verschwinden des Okkulten durch die Rationalisierung der Lebenswelt.54 Die Träume, die oft Albträume waren, gegen die bornierte Überheblichkeit des Rationalismus wieder zu wecken und mit einem Leben zu füllen, das sich gegen die Sprache der Rationalisierung erhielt, gehörte zur Heterodoxie einer Literatur, die sich nicht anpasste.
Abbildung 20: Spraybild, Wanted, Berlin 2009
Wir haben so wenige Geheimnisse behalten, meinte Oscar Wilde, dass wir uns nicht erlauben könnten, ein weiteres zu verlieren. Die in diesem Satz ausgesprochene Enttäuschung über die Entzauberung der Welt lässt sich auf das Geheimnis des Tiers ausdehnen, auf Tierträume, wie Gertrud Kolmar später schrieb. Sie hatten zu den Geheimnissen gehört, die der erlebten Wirklichkeit eine Tiefendimension gegeben und sie für die Erfahrung von Transzendenz geöffnet hatten. Ein Widerstand gegen die Herrschaft der Vernunft über das Böse, die Heilung der Idiosynkrasie, die Schönung des Hässlichen und Verbannung des Ekelhaften bildete sich. Literarische
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Werke, die, wie Ludwig Tieck hyperbolisch schreibt, »alles Edle mit Füssen treten, [aber] in der Verwesung des Lasters schwelgen und vom Ekelhaften trunken [sind]«,55 wurden seit der Romantik zu einem Medium des Widerstands gegen die Entzauberung der Tiere. Den Frosch als Tier des Ekels und Bösen zu erhalten, kann als kleine Rebellion gegen die Verluste durch die Rationalisierung des Weltbilds und die Naturalisierung des Tiers verstanden werden. Dieser Widerstand wirkte auch in der Kunst. Maler wie Paul Klee, Franz Marc oder Marc Chagall hielten ein Bild vom Tier vor seiner Zähmung durch Sprache und naturalistische Bilder wach.56 Sie malten keine Frösche oder Ekeltiere. Aber ihre Tierbilder zeigen wieder das Tier mit magischen Kräften, das lange vergessen war und seit dem Mittelalter durch den Frosch wie durch kein anderes Tier repräsentiert wurde. Der Frosch blieb im Verborgenen mit einem Ritualwert ausgestattet, der ihn einmal zu einem gefährlichen Akteur in der Welt der Menschen gemacht hatte. An seiner Gestalt wird die Dialektik von Zauber und Entzauberung im Prozess der Rationalisierung deutlich. Ich will einige Texte des 20. und einen des 19. Jahrhunderts herausgreifen, die von Frosch und Kröte handeln, um an ihnen exemplarisch zu zeigen, welchen Widerstand es gegen die Zähmung des wilden Tiers durch die Literatur in der Literatur gab. Die giftige, abscheuliche, gräuliche, wüste, unflätige Giftlauche, Frosch und Kröte, blieben Tiere, die Erfahrungen des Bösen und Ängste der Idiosynkrasie gegen die Vernunft erhielten. Wenn die Literatur das absolut Böse des theologischen Bilds bis zur Unkenntlichkeit verformte und verflachte, ging es doch nicht verloren. Im 19. Jahrhundert tauchte es wieder auf, und Tiere, Mäuse, Ratten, Reptilien und Amphibien, waren an der Wiederkehr beteiligt. Aber der eigentliche Schock durch die Wiederkehr des Bösen kam im 20. Jahrhundert, nicht ohne Beteiligung des Froschs.
Poes Poetik des Bösen Die geistesgeschichtlichen Anfänge dieser erneuten Gefährdung finden sich im 19. Jahrhundert, in der Romantik und bei Autoren wie Schelling, de Maistre, Baudelaire, Rimbaud. Nietzsche versucht eine philosophische Analyse. Er nimmt das Böse nicht nur in der menschlichen Konstitution wahr, sondern stellt es ins Zentrum der Zeitanalyse und bewertet es positiv. Nach dem Tod Gottes gewinne das Böse eine neue Position in der Welt, und der Mensch habe es nicht mehr nötig, sich und seine Natur zu
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unterdrücken und ein schlechtes Gewissen zu entwickeln. Er fordert, das Sinnlose und Unerklärliche im Bösen zu genießen und spricht von einem »Pessimismus der Stärke«: »Der Mensch braucht jetzt nicht mehr eine Rechtfertigung des Übels, er perhorresziert gerade das Rechtfertigen: er geniesst das Übel pur, cru, er findet das sinnlose Übel als das interessanteste […] ihn entzückt jetzt eine Welt-Unordnung ohne Gott, eine Welt […] in der das Furchtbare, das Zweideutige, das Verführerische zum Wesen gehört.«57 Wenn das Böse nicht mehr als das moralisch Verworfene verurteilt wird, kann es seine Kraft ungehindert entfalten. »Das Böse ist des Menschen beste Kraft. Der Mensch muss besser und böser werden. […] Das Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Besten«,58 meint Zarathustra. Es gelte, den Mut zur Bosheit zurückgewinnen und »dem bösen Menschen das gute Gewissen zurückgeben […] und zwar dem bösen Menschen insofern er der starke Mensch ist […]«.59 Das Böse, aus Theologie und Metaphysik gelöst und von der Moralphilosophie aufgegeben, wird hier zu etwas anderem als es in der rationalistischen Kritik war: Es wird zum Gegenstand ästhetischen Vergnügens und einer Steigerung des Lebens. Ich will nun an ausgewählten Beispielen ein wenig detaillierter den Weg nachzeichnen, der den Frosch erneut böse machte und den bösen Frosch in die moderne Literatur führte. Edgar Allan Poe entwickelt eine Poetik des Bösen, die von dieser Umwertung ausgeht. Er schließt bei der mittelalterlichen Theologie an und kehrt ihre Bewertung um. Am Bösen zeigt er, wie sich unter der Oberfläche der vernünftigen Gesellschaft unverstandene Mächte einer archaischen Vorzeit hielten, die nur scheinbar verschwunden waren. In den Erzählungen erfindet er Situationen, in denen das Böse als autonome Realität auch noch im Ordnungsgefüge der modernen Welt wirkt. Es leitet das Handeln, übersteigt aber das Subjekt, ist unerklärlich und schafft eine eigene Dynamik. In The Imp of the Perverse stellt er eine knappe theoretische Überlegung zu dem Thema an und führt unter dem Begriff des Perversen das Böse als positive Größe ein, »ein primitives Prinzip menschlichen Handelns […]. In der Theorie kann kein Grund unvernünftiger sein, aber in der Praxis gibt es keinen stärkeren […] Und dieser zügellose Hang, das Böse um des Bösen willen zu tun, spottet jeder Analyse, jeder Auflösung in tiefer liegende Elemente. Es ist ein radikaler, primärer, elementarer Beweggrund.«60 Mit dem Drang zum Bösen trete ein »entgegengesetztes Gefühl ins Dasein […]«. Dieser elementare Beweggrund sei stärker als der Wunsch nach Unlustvermeidung. Er widerstreite, schreibt Poe, dem Bedürfnis nach
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»Wohlbefinden« und sei im Streben nach Lustgewinn ein stärkeres psychisches Prinzip. Die Psychologie habe dieses Problem bisher vernachlässigt. »Doch so wahr meine Seele lebt, ich glaube, dass die Perversität einer der Grundtriebe des menschlichen Herzens ist, eine der unteilbaren Urfähigkeiten oder Gefühle […].«61 Das so verstandene Böse bezeichnet er als primum mobile.
Hop Frog Von einem radikalen Fall des primum mobile berichtet die Erzählung über ein Mischwesen, genannt Hop Frog.62 Sie gehört zum Wendepunkt in der Geschichte der literarischen Froschbilder. Die Erzählung handelt nicht von einer politischen oder sozialen Situation oder der Lösung eines Konflikts, sondern ist eine künstlerische Phantasie des Bösen, dessen Ursprung nicht zu erklären ist, das sich nicht bewältigen lässt, zu einem Aufeinanderprall von Herrschaft und revoltierendem Opfer führt und mit Gewalt endet. Dem Bösen, das sich aus allen Bindungen emanzipiert hat, kann sich in dieser Geschichte niemand entziehen. Es beherrscht alle und ist das dynamische Element im System. Aber es ist die böse Tat des Froschmenschen, auf die sich die Erzählung konzentriert. Die Erzählung spielt an einem Königshof. Der König und seine Minister stecken in deformierten, verfetteten Körpern und machen sich krank durch übermäßigen Alkoholkonsum. Der Hof hält, wie alle Höfe der Zeit, Narren und Zwerge, um sich über sie lustig zu machen. König und Minister haben ein großes Vergnügen an Scherzen, je brutaler die Scherze, desto größer ihr Unterhaltungswert für sie. Gegenüber dem Leiden ihrer Opfer sind sie vollkommen unempfindlich. Sie haben kein Unrechtsbewusstsein. König und Hof handeln ohne Hemmung. Nach modernem Sprachgebrauch könnte man den König einen Psychopathen nennen. Hop Frog ist zur Zeit der Erzählung der Zwerg, der für die Belustigung des Hofes sorgt und sich demütigen lassen muss. Sein Name spielt auf seinen Körperbau an. Er ist ungestalt, mit mangelhaften Beinen, die ihn am Gehen hindern und zu froschähnlichen Hüpfbewegungen zwingen, und einem Überschuss an Oberkörper, der sich als Kraft in den Armen zeigt: unverkennbar die Physiognomie eines Buckligen. Dieses Mischwesen schließt an die lange Geschichte, die Frosch und Bucklige verbindet, an. Er liebt ein schönes Mädchen, das auch am Hof lebt und sich entwürdigen lassen muss. In kühler Kalkulation plant Hop Frog bei einer sich bietenden Gelegenheit eine brutale Vergeltung am König und seinem Hof-
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staat. Er bringt sie dazu, sich als Orang-Utans zu verkleiden und an Ketten gefesselt um Mitternacht in den Saal eines Maskenballs zu springen. Dort sorgen Hop Frog und seine Freundin dafür, dass sie an einer Kette in die Höhe gehoben werden, wo Hop Frog ihre Kostüme in Flammen setzt, so dass sie elendiglich verbrennen. Hop Frog und seine Freundin entkommen aus dem panikgeschüttelten Saal. Die Gewalttat, diesmal vom Frosch verübt, löst keine Metamorphose aus. Der Froschmensch wird nicht erlöst, und es gibt keinen schönen Jüngling, der mit seiner Geliebten, wie der aus dem Frosch erlöste Prinz des Märchens, in ein Schloss oder an einen fernen Ort fahren könnte, wo sie im Glück leben. Auch gibt es keine treue Seele, die als Diener die Verbindung zur Welt vor der Verwandlung durch den bösen Zauber herstellte. Sie fliehen allein und verschwinden, so vermutet der Erzähler, in der Wildnis. Der Text konstruiert eine Opposition von Hof und Wildnis. Hop Frog kommt aus der Wildnis (»some barbarous region«), wie das Gerücht berichtet, wo Orang-Utans leben und wurde an den Hof verschleppt. Der Hof ist der Ort der Zivilisation und handelt dennoch unter der Maxime des Bösen. Er ist ein Muster für Staatsterror. Der König ist, im Kreise seiner bestätigenden Minister, unbeschränkter Herr, die höchste Autorität im System und unangreifbar. Er herrscht über seinesgleichen. Wie der König der Tiere selbst ein Tier ist, so ist der König der Hässlichen und Bösen selbst hässlich und böse, Teil eines Systems, in dem das Prinzip des Bösen herrscht. Aber Psychologisierung täte der Geschichte Unrecht. Das Böse hat einen metaphysischen Ursprung. Der König handelt, gemeinsam mit seinem Hofstaat, gemäß einer dunklen Macht, die das Subjekt transzendiert, des Perversen, wie Poe sagt. Die bösen Taten sind nicht die Folge subjektiver Entscheidungen, sondern die Möglichkeit, moralisch zu handeln, ist für den König und seinen Hofstaat keine Option. Die Erzählung ist paradigmatisch für die verworrene Lage der Moderne, die den Gegensatz von Zivilisation und Wildnis schafft, um ihn alsbald zu verwischen. Die Zivilisation hat das Böse nicht überwunden. Es kommt nicht mit dem Tier aus der Wildnis. Es ist stets präsent. Wie in einer Vorwegnahme von Freuds Spekulation über »primitive Zustände«, die im Traum der zivilisierten Menschen aus dem Verborgenen der Seele aufsteigen, ist dieser Hof wie eine »wahre Hölle« gebaut.63 Er ist für Hop Frog wie ein Albtraum, in dem das Böse, sadistische Hass- und Destruktionstriebe aus der Zeit vor der Zivilisation weiter wirken. Der Hof ist die Zivilisation und zugleich Ort des Bösen. Hop Frogs Herkunft aus dem Urwald stellt ihn in einen Gegensatz
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zum Hof, und zugleich verwirrt er den Unterschied zwischen Mensch und wildem Tier. Es lässt sich nicht sagen, ob Hop Frog, wie Kafkas Affe Rotpeter, durch die Begegnung mit der Zivilisation vom Tier zum Menschen wurde und ob seine brutale Tat die eines Menschen oder eines Tiers ist. Er ist zum radikal Bösen fähig und handelt nicht aus Schwäche. Kam das Wesen als Monster aus dem Urwald an den Hof und war seit je eine Verkörperung des Bösen der primitiven Zustände, vom Hof daran gehindert, es auszuleben? Oder wurde er am Hof zum bösen Wesen? Er passt nicht ins System der Oppositionen. Er ist das Dritte: nicht Mensch und nicht Tier, sondern beides, denkendes Wesen und verachtetes Objekt, hässlicher Frosch und empfindende Seele. Dieser Froschmensch ist Opfer und zugleich ein Bösewicht, ein Monster, wie wir sie aus der Mythologie kennen, und ein Liebender. War der Frosch im theologischen Denken die Verkörperung und der handelnde Repräsentant des Bösen, wurde er in der modernen Zivilisation ein passives Opfer. Aber Poes Geschichte zeigt einen Frosch als Opfer, der zugleich Täter ist und, nachdem er durch die Zivilisation gegangen ist, grausamer als die Herren der Gesellschaft handelt. Auch Hop Frog hat, wie der König, kein Unrechtsbewusstsein, stellt sich über kodifiziertes Recht und handelt ohne Mitleid. Auch an seiner Tat lassen sich, wie beim König, Züge des Psychopathischen erkennen. Aber auch seine Tat ist nicht mit Psychologie zu erklären. Beide folgen dem natürlichen Hang zum Bösen, wie Schelling schreibt, und bestätigen seinen Satz: »Denn alles Böse strebt in das Chaos.«64 Die Erzählung wirft die Frage auf, ob das Böse besiegt oder gebändigt werden kann. Wie könnte der Hof zur Rechenschaft gezogen und Gerechtigkeit hergestellt werden? Kann es Gerechtigkeit geben gegenüber Taten, die nicht erklärt und nicht verstanden werden können, da die Naturkraft des Perversen, verstärkt durch die Droge Alkohol, in ihnen wirkt? Hop Frog steht kein Gerichtsverfahren zur Verfügung, denn die höchste Macht selbst ist böse. Es gibt keine Macht, die mit der Autorität ausgestattet wäre, Recht zu sprechen. Die idealtypisch konstruierte Opposition von König und Frosch lässt nur ein gewaltsames Ende zu. Hop Frog inszeniert ein öffentliches Tribunal, in dem das Tier im Menschen die Menschen, die sich ihm gegenüber wie wilde Tiere verhalten, der Vergeltung unterwirft. Das Tribunal ist kein Gericht, aber dem Gericht ähnlich, eine Art Sondergericht, das nach einem ungeschriebenen Recht urteilt und auf öffentliche Inszenierung setzt. Hop Frog übt keine bloße Rache wie in einer vorzivilisierten Gesellschaft und keine Lynch-
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justiz, selbst wenn er sich vom persönlichen Motiv der Rache leiten lässt. Wenn das Urteil auch von vornherein feststeht, so ist sein Prinzip weder das einer totalen Rechtlosigkeit noch die Absolutheit des Prinzips mit der Folge des fiat iustitia, pereat mundus. Die Machtkonstellation in La Fontaines Fabel Der Mensch und die Natter ist umgekehrt. Das Tier hat die Macht zu handeln. Es handelt nicht aus absoluter Willkür, vielmehr liegt eine gespürte Gerechtigkeit zugrunde, ohne dass das Tier allerdings Recht sprechen würde. Nach welchen Regeln urteilt das Tribunal? Die Erzählung gibt auf die Frage keine explizite Antwort. Die Autorität ist kein kodifiziertes Recht, sondern, wie der Erzähler suggeriert, ein Naturrecht auf Würde, das der Frosch sich nimmt. Er handelt nach einer Gesinnungsethik, die sich um die Folgen nicht kümmert und auf der Grenze zur Rache Böses mit Bösem vergilt. Das Böse gehört nicht auf eine Seite der Konstellation, zum Tier oder zum Menschen, zur Wildnis oder zum Hof. Der Ursprung der barbarischen Tat konnte der zivilisierte Hof aber ebenso die vor-zivilisatorische Wildnis, die der Tiermensch noch immer in sich trug, sein. Die Tat des Tiermenschen stellt einen Ausgleich her, der aber, wie der Leser weiß, nicht das Ende des Unrechtssystems herbeiführt, sondern in eine endlose Kette von Unrecht gehört, die vor dem Anfang der Erzählung beginnt und nach ihrem Ende weitergeht. Die terroristischen Quälgeister enden durch einen grausamen Tod. Aber dadurch wird die verkehrte Welt, in der das Böse herrscht und das Quälen zum Scherz und die Scherze zu Qualen werden, nicht erlöst, sondern bestätigt. Die Erzählung rechtfertigt die Emanzipation des Bösen und setzt damit ein Prinzip in Kraft. Es gibt den Kampf zwischen Gut und Böse, in dem die Priorität des Guten stets a priori feststand, nicht mehr. Die grausame Tat perpetuiert das Prinzip des Bösen. Der Tod des Königs beruht ebenso auf der Macht des Bösen wie die Entwürdigungen, die Hop Frog erdulden musste. Das Böse ist in der Logik dieser Geschichte konstitutiv für die Ordnung der Welt und fährt fort, Monster zu gebären, sie mögen König oder Frosch heißen. Es entsteht eine imaginierte Welt des lustvoll ausgelebten, des bodenlos Bösen. Das Böseste ist nöthig zu des Übermenschen Besten, schrieb Nietzsche. Sollte der kommende Übermensch den Frosch zu seinen Vorläufern zählen? Nachdem der König tot und Hop Frog geflohen ist, ist die Bühne leer. Pereat mundus – nicht als Folge einer dogmatischen Verfolgung der Gesetze, sondern aus der Lust an der bösen Tat, denn alles Böse strebt in das Chaos. Hop Frog und seine Freundin fliehen in die Wildnis, aus der sie einst ka-
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men. Sie ist Ursprung und möglicherweise Heimat. Der Weg in die Wildnis kann als Exkulpation Hop Frogs gelesen werden. Die Erzählung lässt die Bewertung des Tribunals offen, aber der Erzähler gibt Hinweise auf seine Zustimmung. Sie ist mit ethischen Kategorien nicht zu vereinbaren, aber es fällt schwer, im Weg in die Wildnis nicht die Affirmation durch den Erzähler zu sehen. Gibt das Ende der Geschichte einen Anstoß für das Denken über ein Leben nach der humanistischen Zivilisation? Wo wäre Poes Wildnis zu denken? Ließe sich Hop Frogs Flucht in den Urwald im Sinn eines Denkens des Draußen verstehen, von dem Foucault einmal sprach65 – eine Heterotopie, in der ein verändertes Denken entwickelt werden könnte, ein Raum der Auflösungen von Grenzen zwischen Wildnis und Zivilisation, Mensch und Tier? Auf eine solche Hoffnung gibt Poe keinen Hinweis. Und wo wäre deren Ort? Der Urwald nimmt Hop Frog auf, ist wie Heimat, in die der Froschmensch zurückkehrt und in der er womöglich zum Tier wird. Aber der Leser steht außerhalb, und der Urwald, aus dem einst die Orang-Utans kamen, ist längst erobert, und heute sind sogar dort die Frösche vom Aussterben bedroht. Ist in der Erzählung die Zivilisation die schlechteste der Ordnungen? Und ist der Frosch das Tier, um zu verdeutlichen, dass ihr gewaltsames Ende vorprogrammiert ist? Vom Mord an König und Hofpersonal liest der Leser mit Zustimmung. Die Strafe bereitet ein Gefühl der Befriedigung. Aber teilt der Leser nicht auch den Horror der Zuschauer im Saal? Der Leser erlebt das Dilemma, sich in der zweigeteilten Welt von Frosch und König außerhalb beider Sphären zu befinden. Er darf sich weder in das Tier noch in den Herrscher hineinversetzen. Im einen Fall ist er ein perverser Sadist. Wenn er aber den Hof verurteilt, kann er sich mit Hop Frog nur um den Preis identifizieren, das Recht zu verleugnen. Die Verbindung von Befriedigung und dem Bösen, aus der die Geschichte ihre Spannung zieht, stürzt den Leser in emotionale Turbulenzen, da er weiß, dass er den grausamen Tod des Königs nur mit Gefühlen der Zustimmung begleiten kann, wenn er selbst unethisch zu denken bereit ist. Er gerät in einen prekären emotionalen Zustand, in dem er die Grausamkeit goutiert und sich zum Komplizen des Bösen macht. Aber die Genugtuung lässt sich nicht verleugnen, so dass der Leser, selbst gegen seinen Willen, in das entgegengesetzte Gefühl, um Poes Wort zu benutzen, gleitet und Vergnügen am Terror empfindet. Das geht nicht ohne Unbehagen, denn die ethische Frage ist nicht zu vermeiden. So blickt der Leser
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auf eine Geschichte über die Rückkehr des bösen Froschs und findet sich in der Rolle des Ketzers, aber ratlos und ohne Aussicht auf Zukunft.
Das Geheimnis der Tiere – zu einer Geschichte der Rettung. Gertrud Kolmar: Tierträume Den Gegensatz zur Ausweglosigkeit in Poes Geschichte, in der nach einer Katastrophe kein anderer Weg offen steht als die Flucht in die Wildnis, entwirft Gertrud Kolmars Sammlung von Tiergedichten, der sie den Titel Tierträume gab. Sie stellen durch Mimikry und Empathie starke emotionale Beziehungen her. Das Ich dieser Lyrik, das seiner selbst nicht mächtig ist, schafft eine Gemeinschaft mit dem Tier, die in den Kontext einer Verfalls- und Erlösungsgeschichte eintritt.66 Die Tiere sind, wie der Titel formuliert, keine Tiere, sondern »Tierträume« und nur in einem Sinn des Wortes: erträumte Tiere, nicht die Träume der Tiere. Es finden sich zwar Formulierungen wie: »Ich kenn ihn wohl, den Vogelgeist« oder »ich bin die Kröte«, und ein Gedicht über den Salamander phantasiert einen Rollentausch von Mensch und Tier. Aber die Gedichte vermeiden es, ins Tier zu schlüpfen und eine Innenperspektive einzunehmen. Es gibt keinen Versuch zu verstehen, wie es ist, ein Salamander oder eine Kröte zu sein. Die Tiere sind Medien, die eine Beziehung zu einer anderen Welt herstellen. Diese Beziehung ist verschlungener als die Beziehung zur phantasierten Wildnis in Poes Erzählung. Sie öffnet die Tiergedichte für das Problem der Zukunft einer von Mensch und Tier geteilten Welt. Unter den Tieren dieser Gedichte ist die Gruppe der traditionell hässlichen Tiere, Frösche, Kröten, Salamander und Schlangen auffallend vertreten, und die Semantik: Schleim, Sumpf, ekles Geziefer, faule Planke, Morast, missgestalter Götzenleib, Meeresechsen, triefende Feuchte, dumpfe Grotte, Basiliskenhexen schließt an die traditionelle Familie der bösen Tiere an. Aber die Gedichte kehren die Bewertung um. Sie sind nicht negativ und nicht monströs. Die Unkenrufe verkünden nicht die schlechte Zukunft, sondern die »kleine Unke« spricht ein »Nachtgedicht, das zwischen Halmen weht«. Die Schlange trägt eine goldene Krone, und im Tiegel des Alchemisten überzieht sich die schleimige Haut des Salamanders mit Gold. Bei der Entekelung oder der Enthüllung einer verborgenen Schönheit bleiben die Gedichte jedoch nicht stehen. Sie überführen das Negative in eine geschichtliche Kraft. Das Hässliche braucht keine Rechtfertigung, denn es bildet die Dynamik in einer Philosophie der Hoffnung. Die Tiergedichte sprechen von einer Hässlichkeit, die es in der frühe-
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ren Literatur nicht gab. Verwundungen des Körpers durch den Menschen verunstalten das Tier: »Menschengrausamkeit« ist der Ursprung des Hässlichen. Frosch und Kröte sind nicht das Naturhässliche, sondern sie werden hässlich durch menschliche Gewalt. Tiere als Opfer des Menschen und ausdrücklich als Opfer der Wissenschaft führen eine neue Hässlichkeit in die Natur ein. Diese Tiere werden zu einem Spiegel und zeigen dem Menschen ein Bild von sich selbst als einem monströsen Wesen. Das Gedicht Der Tag der großen Klage zeigt einen Bildersaal der Verstümmelungen durch den Menschen. Fliegenstummel, ohne Beine und Flügel, blindgestochene Singvögel, Fische mit zerfetztem Bauch und rot zu Tode gesottene Krebse enthüllen das Monströse des Menschen. Die große Klage wird zur Anklage: die von Menschen zerstückelten Tierkörper aus dem »weißen Saal der Wissenschaft« erscheinen und die zerschnittenen und verstümmelten Tiere stöhnen: »ein Treiben unergründlich ekelhaft.«67 Die Verwandtschaft der Labors, aus denen die verstümmelten Tiere am Tag des Jüngsten Gerichts erscheinen, mit den Vernichtungslagern des 20. Jahrhunderts deutet sich an. Kolmar ist eine Elizabeth Costello avant la lettre. Die Grausamkeit des Menschen gibt den Tieren ein Schicksal, das sie mit der menschlichen Geschichte verschränkt. Ist die Verbindung zwischen dem hässlichen Tier und der menschlichen Geschichte gemacht, liefern Gedichte wie Tag der großen Klage, Flehn oder Die Tiere von Ninive den Schlüssel zum Verständnis dieser Lyrik. Diese Tiergedichte handeln von Geschichte und insbesondere von der jüdischen Geschichte.68 Der Antisemitismus hat seit je die jüdische Physiognomie zur Verkörperung des Hässlichen gemacht und mit Tieren assoziiert, auch mit dem Frosch als dem Archetyp des Hässlichen.69 Kolmars Gedichte nehmen diese Assoziation auf und setzen ihr nicht eine unter der Oberfläche verborgene Weisheit nach dem Vorbild des Krötensteins bei Andersen entgegen, sondern gerade das Hässliche bildet das Bindeglied zur Geschichte, die selbst hässlich ist und erlöst werden muss. Grausamkeit und Schmerz, am Tierkörper wie am jüdischen Körper erfahren, stehen im Horizont von Geschichtsmetaphysik. Das gequälte und von Menschen hässlich gemachte Tier wird als vorgestelltes Tier zum Repräsentanten der gequälten Juden, deren Schicksal wiederum stellvertretend für alle Menschen steht. Die Zeiten der NS-Rassenpolitik und der Nürnberger Gesetze, die Kolmar erlebt, dröhnen von der Gleichsetzung des Hässlichen mit Schmutz und bedrohlicher Perversion, in Politik und Literatur. Die Ästhetik des Hässlichen, die sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelte, wird im Zug der nationalsozialistischen anti-modernen Ideologie ein Opfer der
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4.D G ERTRUD K OLMAR Die Unke Sprich leis, verlösche nicht Das weinende Gebet, Der kleinen Unke Nachtgedicht, Das zwischen Halmen weht,
Durch ihre Hände flohn Die Schätze mannigfalt; Sie sass auf einem Silberthron Von magischer Gewalt.
Nur Klage ohne Zorn, Ein gläsern Stimmenspiel, Da jedes Glöckchen mit dem Born Sich hob und wieder fiel.
Ob sie hinabgestürzt? Ob er in Röhricht sank? Die ward um jeden Schmuck verkürzt, Die dunklen Schmerzwein trank.
Sie ist der schweren Flut, Die Seele, eingeschlüpft, Die unter glatten Steinen ruht, Von brauner Wurzel hüpft. Sie schleppt nicht Klau noch Dorn, Sie ist dein zartes Kind, Weiss doch, wie traurig Mondenhorn Und Nebelfahnen sind.
Tritt leis, verschütte nicht Die Bitte, ungestillt, Die schluchzend ihren Krug zerbricht, In grauen Bergsee quillt.
Die Kröte Ein blaues Dämmer sinkt mit triefender Feuchte; Es schleppt einen breiten rosiggoldenen Saum. Schwarz steilt eine Pappel auf in das weiche Geleuchte, Und milde Birken verzittern zu fahlerm Schaum. Wie Totenhaupt kollert so dumpf ein Apfel zur Furche, Und knisternd verflackert mählich das herbstbraune Blatt. Mit Lichtchen gespenstert ferne die düsternde Stadt. Weisser Wiesennebel braut Lurche. Ich bin die Kröte.
Und ich liebe die Gestirne der Nacht. Abends hohe Röte Schwelt in purpurne Teiche, kaum entfacht. Unter der Regentonne Morschen Brettern hock ich duckig und dick; Auf das Verenden der Sonne Lauert mein schmerzlicher Mondenblick. Ich bin die Kröte. Und ich liebe das Gewisper der Nacht. Eine feine Flöte Ist im schwebenden Schilf, in den Seggen erwacht,
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Vernichtungspolitik. Totem der Moderne seit Baudelaire und Nietzsche, wurde das Hässliche zum Gegenstand fanatischer Verachtung durch die Ideologie des Schönen der rassisch reinen Menschen. Das Hässliche, wie Kolmars Dichtung es entwirft, weist die Ideologie dieser bedeutungsleeren Schönheit zurück. Dem Terror der ins nordisch-heroisch Schöne führenden Kunst- und Literaturpraxis stellt sie die hässlichen Tiere entgegen. Ist ein größerer Gegensatz als der zwischen der Zuneigung zu Frosch und Kröte und der Idealisierung der heroischen Körper von Breker oder Torak denkbar? Auf diesem Kampffeld war nicht weniger Stärke gefordert als an der politischen Front. Es bedurfte einer psychischen und künstlerischen Leistung, an der Umwertung des Hässlichen festzuhalten und ihm gegen die Naturidylle und Idole jugendlicher, nordischer Menschen weiterhin eine Zukunft zuzuschreiben. Es bedeutete das Übertreten von Verboten und die aktive Missachtung der Gebote einer durch die politische Macht gestützten Herrschaft des Schönen. Diese Gedichte heben das Hässliche in die Position des Wahren. Das Wahre, so lassen sich ihre Gedichte umschreiben, ist das Hässliche, und im Hässlichen sieht man der Wahrheit ins (tierische) Antlitz. In einer Zeit, die das Schöne zur Lüge machte, fand Kolmar das Wirkliche und das Wahre in Frosch und Kröte. Eine Beziehung zu subversiven Ideen Nietzsches und Freuds lässt sich nicht verkennen. Sie macht die Lyrik zu einer Gattung, in der sich das Hässliche zeigen kann und das Abstoßende des Ekelhaften verliert. Die Zusammenführung des Hässlichen mit dem Lyrischen hat bei Kolmar – anders als bei Gottfried Benn – eine heilsgeschichtliche Tiefe, die dem Leser der Gegenwart fremd geworden ist. Aber wer bereit ist, sich auf die Verkehrung der ästhetischen und moralischen Werte in ihren Gedichten einzulassen, wird das Prinzip Hoffnung spüren. Der Mensch hat sich zum »Aussatz der Welt« gemacht, aber sie kann um der Tiere willen gerettet werden. Es ist die biblische Szene: der eine Gerechte, um dessentwillen Gott bereit ist, die Welt zu retten, ist nicht ein Mensch, der die Tiere rettet, sondern die Tiere retten die Welt der Menschen. Sie sind ein Rudiment der Schöpfung, die der Mensch zu Grunde richtet. Sie sind Opfer, aber ihr Opfer erwirkt die Rettung der Welt, auch gegen den Wunsch des zornigen Propheten Jona, der in ihrem Gedicht an den Menschen verzweifelt. Im offensiven Widerspruch zur jüdischen und christlichen theologischen Tradition sind die hässlichen Frösche und Kröten ein »heiliger Rest« der Schöpfung, auf den ihre Eschatologie setzt. Wenn in unserer eigenen Zeit des Bewusstseins der bevorstehenden
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Eine zarte Geige Flirrt und fiedelt am Felderrain. Ich horch und schweige, Zerr mich an fingrigem Bein Unter fauler Planke Aus Morastigem Glied um Glied, Wie versunkner Gedanke Aus dem Wust, aus dem Schlamm sich zieht. Durch Gekräut und Kiesel Hüpf ich als dunkler, bescheidener Sinn: Tauiges Laubgeriesel,
Schwarzgrüner Efeu spült mich dahin. Ich atme, schwimme In einer tiefen, beruhigten Pracht, Demütige Stimme Unter dem Vogelgefieder der Nacht. Komm denn und Töte! Mag ich nur ekles Geziefer dir sein: Ich bin die Kröte Und trage den Edelstein. Gertrud Kolmar, Das lyrische Werk, Heidelberg (Lambert Schneider) 1955, S. 90 und 98.
ökologischen Katastrophe der Mensch im Bild des verstümmelten und deformierten Frosches sich selbst begegnet, so nehmen Kolmars Gedichte diese Begegnung vorweg. Die Fundamentalökologie der Gegenwart belebt ein Denken neu, das um eine Naturphilosophie oder Naturreligiosität kreist: Kolmars Tiergedichte sind ein früher Vorläufer dieses Tierdiskurses. Aber ihre Eschatologie macht die Frage nötig, wo der Auslöser und Grund von Hoffnung zu suchen wäre. Wer rettet? Gibt es in der auf die Tiere vertrauenden Eschatologie einer ungläubigen Jüdin einen rettenden Gott? Die Frage nach der Verantwortung für die Rettung bleibt in den Gedichten ungestellt. Es ist diese ungestellte aber unvermeidliche Frage, die Kolmars Frosch und Kröte metaphysisch macht und von den Tieren einer ökologischen Ethik der Gegenwart trennt. Sie vertraut auf keinen rettenden Gott.
Neue Idiosynkrasien; Marie Luise Kaschnitz, Herta Müller, Patrick Süskind, Günter Grass Das Zauberische im Frosch gewinnt im 20. Jahrhundert eine neue Dimension. Das künstlerische Umfeld, in dem dieser Frosch sich entwickelt, sind die Skandalösen Bilder der abject art. Damit ist keine Schule von Kunst gemeint, sondern ein programmatischer Begriff, der ein ästhetisches »Anliegen« bezeichnet.70 Der Frosch lebte seit den theologischen Verboten, den Ausschließungen durch die Ästhetik und später
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durch die Wissenschaftskultur im Untergrund des kollektiv Imaginären. Der Schauder vor dem Gewimmel und die Abwesenheit des hässlichen Tiers in der literarischen Imagination waren symptomatisch. Die neue Einladung zur Empathie darf nicht als einfache Umkehr verstanden werden. Empathie ist ambivalent, und der Frosch ist noch immer kein harmloses Tier. Das Böse und Hässliche, das der Frosch in der Mentalitätsgeschichte verkörperte, ist nicht verloren, die Gegenwart überführt das Idiosynkratische aus dem Subjektiven ins Politisch-Gesellschaftliche. Bräutigam Froschkönig ist der Titel eines Gedichts in einer Sammlung von Liebesgedichten von Marie Luise Kaschnitz, an dem sich das Politische im Magischen durch eine Verbindung mit dem Krieg zeigt. In die Krise der modernen Zivilisation, die sich im 20. Jahrhundert an zwei Kriegen zeigte, ist das imaginierte böse Tier als Täter verwickelt. Der Froschkönig des Märchens wird zitiert. Aber das Märchenglück hat sich ins Gegenteil verkehrt. Der Froschkönig ist Soldat geworden, ausgerüstet mit Insignien des Bösen: Gasmaske, Sprengstoff, Flammenwerfer. Er ist ein Bräutigam, aber nicht mehr der einer Königstochter, die ihn aus dem Tier erlöst, sondern der Bräutigam ist ein Gewalttäter und vergewaltigt das Leben. Seine Zeit ist nicht mehr die der Liebesnacht, sondern die zwischen Kriegen, den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, und das Dunkle ist die Zeit der Angst vor dem endgültigen Ende der Welt, das sich in zwei Weltuntergängen angekündigt hat. Das Morgengrauen spricht nicht von der Dämmerung eines neuen Tags, sondern von einem Grauen, das den Menschen erschüttert, wenn er ans Morgen denkt. Nicht nur vom Frosch des Märchens, dessen Versprechen sich in Grauen verkehrt hat, spricht das Gedicht, sondern es erinnert auch an das archaische Tier des Mythos. Dessen Augen sind noch immer schön. Aber vor dem Attribut schön steht traurig. Auf diese Kombination weist Ingeborg Bachmann hin, die in ihren Frankfurter Poetikvorlesungen dieses Gedicht zitiert, um an ihm zu zeigen, wie die Literatur gegen die delirierende Ästhetik der Moderne – sie bezieht sich auf die Kriegsbegeisterung in Marinettis Manifesten – neue Bestimmungen setze.71 Hässlich ist dieser Bräutigam, aber nicht auf die Weise des garstigen Froschs im Brunnen. Die Hässlichkeit ist nicht das Naturhässliche und übersteigt die Definition als ästhetische Kategorie. Die Hässlichkeit auch dieses Froschs ist das Produkt des Menschen. Aber, anders als bei Kolmar ist es nicht der Körper als Opfer von Verstümmelung, sondern der Mensch macht dies Tier zum Gewalttäter. Er führt zurück zum Bösen im theologischen Weltverständnis. Die Katastrophe der Moderne beschwört das archaische Tier,
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4.E M ARIE L UISE K ASCHNIT Z Wie hässlich ist Dein Bräutigam Jungfrau Leben
Im Dunkeln nur Ertastest Du Sein feuchtes Haar
Eine Rüsselmaske sein Antlitz Eine Patronentasche sein Gürtel Ein Flammenwerfer Seine Hand
Im Morgengauen Nur im Morgengrauen Nur im Morgengrauen
Dein Bräutigam Froschkönig Erblickst Du seine Fährt mit Dir (Ein Rad fliegt hierhin, eins dorthin) Traurigen Schönen Über die Häuser der Toten Augen. Zwischen zwei Marie Luise Kaschnitz, Neue GeWeltuntergängen dichte, Hamburg (Claassen) 1957, Presst er sich S. 55. In Deinen Schoss
aber nun zeigt sich an ihm nicht mehr die Furcht der Kirche vor ihrer Zukunft, sondern dieser Frosch lehrt die Furcht vor der Zukunft der menschlichen Zivilisation. Aus dem literarisch gezähmten Frosch wird wieder ein Monster. Simplicius hatte in den Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs den Monsterfrosch als Illusion furchtsamer Gemüter enttarnt. Entgegen seinem und allen späteren Versuchen der Entteufelung kommt dies Tier zurück, nicht mehr als das theologisch definierte böse Tier, sondern nun als Instrument der Politik. Sie liefert dem Frosch eine neue Umwelt, die auch die Bühne für die leicht surrealistischen Auftritte vom Frosch in Herta Müllers frühem Prosawerk Niederungen bereitet. Der Frosch ist einmal mehr der Störenfried, unangepasst und in dem kurzen Stück Die Meinung das Ärgernis der funktionierenden Bürokratie in der Diktatur.72 Mit der Märchenformel »Es war einmal …« beginnt die Geschichte vom Frosch, der sich eine eigene Meinung erlaubt und so zur Störung und damit Nutzlosen einer aufs Funktionieren eingerichteten Arbeitswelt wird. Er endet in einer harmlos surrealistischen Szene, allein auf einer weißen Wolke. »Da schaute der
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Frosch auf die Stadt hinab. Da hob sich die ganze weiße Wolke und verschluckte den ganzen Frosch.« Selten löst sich das Unverständliche und Störende des Froschs durch solch leichte Komik auf. An anderer Stelle der Erzählung quaken die Frösche »aus den schwarzen Lungen« des toten Vaters, »aus der starren Luftröhre« des röchelnden Großvaters und aus den »verkalkten Adern« der irren Großmutter. »Die Frösche quakten aus allen Lebenden und Toten dieses Dorfes […]. Und ich hörte Mutters deutschen Frosch bis hinter meinen Schlaf.«73 Die offene Drohung im Gedicht von Kaschnitz wird hier zum untergründig Drohenden, das die Niederungen dieses Texts durchzieht, sucht sich gleichsam Öffnungen, durch die es durch die Oberfläche der scheinbaren Selbstverständlichkeiten in dem deprimierenden und hässlichen Rumänischen Dorf nach oben ausbricht. Der literarische Topos Frosch liefert eine solche Öffnung, und die Charakterisierung als deutsch, das einzige mir bekannte Beispiel eines nationalen Froschs, macht die politische Dimension dieser düsteren Szenen unübersehbar. Im Rumänien unter Ceauşescu kommt eine vage Drohung aus Deutschland als Frosch. Kann mit diesem Frosch etwas anderes gemeint sein als das Erbe des gewalttätigien Nationalsozialismus? Einen Schritt hinter das Politische tritt Patrick Süskinds Das Parfum zurück und zeigt, wie in der Epoche der Aufklärung und Revolution, die das Politische im modernen Sinn begründet, das alte Böse sich erhält und das Magische unberührt von der Rationalisierung weiterwirkt. Der böse Frosch der Moderne verbirgt sich gern in einem Menschenkörper. Grenouille des Romans ist ein Mensch, aber nicht nur sein Name macht ihn zum Frosch. Grenouille verkörpert den bösen Frosch der Magie. Er erfüllt alle Voraussetzungen des Froschs: bucklig, kalt, scheut Sonne und Licht, lebt sieben Jahre in der Erde bei Geistern und Toten. Ein hinkender Teufel tritt in diesem Sohn einer Hexe, der in einer Schlüsselszene »Kröte« genannt wird, in die Welt der Aufklärung und bedient sich der Techniken und Instrumente der Alchemisten, die sein Jahrhundert verbannt. Aber er ist nicht zu erkennen, denn er riecht nicht. Der Teufel stinkt. Grenouille ist aber vollkommen geruchlos, und dieser Mangel seines Körpers macht ihn zu einem Wanderer zwischen zwei Welten, der Hölle, aus der er sich ein wenig Geruch verschaffen möchte, und dem Leben der Menschen, in das er wegen seines Mangels nicht passt. Denn wenn der Teufel am Gestank zu erkennen ist, so teilt der Mensch durch den Geruch ein klein wenig mit dem Teufel. Er wird am Geruch erkannt. Der Geruch ist ein Zeichen der Mischung, aus der das Menschliche besteht. Die vollkommene Abwesenheit des Geruchs macht Grenouille zum Un-Menschen. In einer absurden Verschiebung des Verhältnisses wird dieser unvoll-
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ständige Mensch zum Teufel, weil er Mensch sein möchte, und als unerkannte Kröte verwandelt er die menschliche Welt in der Zeit nach der Abschaffung von Hölle und Krötenherrschaft in eine Hölle aus Angst und Schrecken.
Abbildung 21: Devil frog. National Geograpic 2009
Grenouille bezeichnet sich als »durch und durch böse«,74 und seine Mordserie scheint ihm recht zu geben. Aber das ist eine Täuschung. Seinem Widerstand gegen die rationalistische und vernünftige Welt fehlt die letzte Radikalität. Wenn im Gedicht von Kaschnitz die Augen des Froschkönigs noch immer schön sind und dem absolut Bösen einen klassischen Wert entgegensetzen, auch wenn das Schöne nur im Grauen zu sehen ist, so trennt in Süskinds Roman der Wunsch, ein Mensch zu sein, den Froschmenschen vom absolut Bösen. Das absolut Böse wird um seiner selbst willen getan. Aber Grenouille verfolgt mit seinen Verbrechen einen Zweck, und so ist es konsequent, dass dieses Monster, das zum vielfachen Mörder wird, weil es ein Mensch sein möchte, von der Todesstrafe, die das Gericht verhängt hat, verschont und vom Vater seines letzten Opfers als Sohn adoptiert wird. Auch in der Geschichte dieses Mörders und teuflischen Froschs auf Erden lässt sich noch immer eine Mischung erkennen. Das geht später verloren. Der vollständige Zusammenbruch der Zivilisation und die Herrschaft des absolut Bösen bleiben einem anderen Kontext vorbehalten, den Massenvernichtungen des 20. Jahrhunderts.75 Gäbe es das Genre Prosafrosch – Günter Grass Roman Die Blechtrom-
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mel wäre sein Muster.76 Die Blechtrommel spricht nicht vom Frosch, aber ist der Roman als Frosch. Er weckt starke Gefühle und erzeugt Brechreiz. Der Roman ist die Literarisierung aller Ideen, Ängste und Albträume, die sich im magischen Bild vom Frosch versammelten, voll zauberischer Kräfte und apokalyptisch. Die Affinität der modernen Literatur zum Bösen und Hässlichen würde den Frosch als Symboltier nahe legen. Aber dieser Symbolwert ist in der Gegenwart weitgehend vergessen. Das gilt auch für Grass, dessen Roman zu einem Frosch wird, ohne dass er es bemerkte. Zunächst Oskar: Er erfüllt alle Voraussetzungen für die Verkörperung des magischen Froschs. Er ist, konsequenter als Grenouille, das literarische Porträt eines Menschen als Frosch. Oskar kommt aus dem Gewimmel, seine Geburt ist dubios, er ist klein und verwachsen, kalt, erschröcklich, hässlich und schädlich, und seine Sexualität erfüllt die Kriterien, die die Kirche und bürgerliche Moralphilosophie für das Perverse erdachten, das sich am Frosch zeigte. Für das abstoßende Lärmen der Frösche sorgt seine Trommel; sein Ort ist unten, die Erde, auf der er gezeugt wird, und er will, als seine Mutter begraben wird, mit in die Tiefe, wo neben den Leichen die Kröten leben. Er handelt ohne Reflexion, aus der Natur, und die Frage nach Schuld und Verantwortung kann ihm, wie dem Frosch im Mittelalter, nur vom Betrachter angehängt werden. Konnte das Tier in der theologischen Geschichte die Grenze zum absolut Bösen überschreiten, so ist Oskar dessen Wiederkehr. Ohne Bindung und Hemmung und eigene Interessen arbeitet er am Untergang um seiner selbst willen. Der Gnom Oskar Mazerath hat in der frühen, ablehnenden Rezeption des Romans alle Reaktionen ausgelöst, die der Frosch seit dem Entstehen seines nach-christlichen Bilds erregte: Ekel, Abscheu vor dem Hässlichen und zugleich Angst vor dem Monster. Er war für die einen ein Stück unbewältigte Natur und für die anderen der Gegenstand moralischen und ästhetischen Abscheus. Er wurde als das jämmerliche Opfer verstanden, das der Frosch über Jahrhunderte war und das versteckt werden sollte, und er war zugleich der mächtige Maleficus mit seinen Zaubermitteln. Der Frosch ist nicht allein Oskar, sondern die Personenkonstellationen des Romans schaffen einen Über-Frosch, wie ihn die Inquisition imaginierte. Aus dem Zusammenwirken der Eigenschaften vieler Charaktere des Romans und ihren psychischen und gesellschaftlichen Beziehungen entsteht eine mentale Konstruktion, die dem Netz des Bösen aus Ketzern, Zauberern und Fröschen des Mittelalters entspricht. In diesem Netz entwickeln sich gefährliche Täter, die böse und zugleich schwach und klein sind, bedrohlich und Opfer ihrer eigenen Mängel und verborgenen Ängste, die
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Opfer einer naturgegebenen Sklaverei. Wie die älteren Froschbilder mentale Zustände und kulturelle Praktiken ihrer Zeiten reflektierten, so macht dieser Prosafrosch seine Zeit, das Böse, Hässliche, Gewaltsame, Lärmende, Falsche, Groteske und die dubiose Herkunft des nationalsozialistischen Deutschlands und seines Weiterlebens nach 1945 sichtbar. Er gibt all dem einen phantastischen Körper, von dem die Faszination ausstrahlt, die den hässlichen Frosch und die giftige Kröte über viele Jahrhunderte unwiderstehlich gemacht hatte. Nach einer langen Phase der Zähmung von Frosch und Kröte erneuert dieser Romanfrosch den Blick auf das Böse und den Sumpf, aus dem das Monster einmal gekommen war. Er holt es aus den Banalitäten der Kleinbürger, wo er sich verbirgt, hervor. Er geht aber in einer entscheidenden Hinsicht über die imaginierte Verkörperung des Froschs hinaus: Er reflektiert sich selbst, spricht über das Böse, Grausame und die Schuld. Dieser Frosch ist in das Stadium der Selbstreflexion eingetreten und übersteigt damit sein traditionelles Dasein. Die Blechtrommel stellt die Frage, ob es zu rechtfertigen sei, das absolut Böse in der Literatur zu wiederholen und antwortet nicht anders als Macbeth. Die Kritik des Romans wehrte lange Zeit die positive Antwort auf diese Frage ab. In dieser Ablehnung darf nicht nur ästhetische und moralische Konventionalität und der Geschmack der Gegenmoderne gesehen werden. Vielmehr stellt der Roman ein Grundproblem der modernen Ästhetik im Umgang mit dem Bösen dar. Gibt es das absolut Böse und wenn wir es in unserer Welt entdecken, ist es ethisch zu rechtfertigen, es in der Sprache zu wiederholen? Oder ist diese Wiederholung selbst ein Verbrechen mit Auswirkungen, die, auch wenn sie nicht leicht zu sehen sind, denen des Verbrechens nicht nachstehen? Das metaphysische Problem des katholischen Mittelalters wiederholt sich in der säkularisierten Gesellschaft. Wieder ist die Welt in Gefahr, und wieder ist der Frosch nicht nur Bote, sondern aktiv beteiligt.
Ein Bote der postmodernen Unverständlichkeit. José Saramago: Vergeltung Das böse Tier der Postmoderne gibt die große Frage nach dem Bösen auf. Weder eschatologische Hoffnung noch der Abgrund, in den das absolut Böse führt, treibt diese Literatur. Auch die politische Position, die das 20. Jahrhundert für das imaginierte böse Tier entwickelte, ist zerfallen. Aber der Hauch von Geheimnis umgibt Frosch und Kröte weiterhin. In einer
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Erzählung von José Saramago, Vergeltung, zeigt sich das Neue einer undurchsichtigen Beziehung, die lauter unbeantwortete Fragen aufwirft. Die Begegnung von Mensch und Frosch führt in eine Welt, die sich entzieht und in Unverständlichkeit verhüllt. Der Text spielt mit Elementen des Mythos von Narziss: Jüngling, Mädchen, Spiegel und Wasser. Das ist nicht der Mythos, den Ovid erzählt, und er fügt den Frosch hinzu; dessen Element ist nicht das reine Wasser, in dem sich das Spiegelbild des Ichs zeigt, sondern sumpfiges Wasser, das der Frosch schon immer liebte. Im Trüben verbirgt sich kein moralisches Urteil, wie im 18. Jahrhundert, sondern es verwehrt den Blick auf die Welt. Der Blick auf den getrübten Spiegel macht erkenntnisblind und verschwimmt in Unschärfe. Er verhindert die Beziehung zum Seienden und zum Ich. Die Welt versinkt in Unverständlichkeit, vor der ein Jüngling einsichtslos steht, vom Frosch mit einer spöttischen Geste beobachtet. Am Anfang und am Ende der Geschichte taucht ein Frosch auf und wechselt Blicke mit einem Jüngling, »ihn gleichsam belauernd, glotzten unverhofft die kugeligen Augen eines Froschs. Der Junge starrte auf den Frosch, und der auf ihn.«77 Das ist selten, wenn nicht einmalig in der Froschliteratur. Der Kontakt zwischen Mensch und Frosch entsteht traditionell über den Tastsinn, das Gehör und den Geruch. Blickkontakt zwischen Mensch und Frosch gibt es nicht. Frösche starren nicht. Ihre Augenstellung macht einen solchen Blickkontakt unmöglich. In dieser Geschichte herrscht aber kein Realismus, und der Blick ist so entscheidend wie für Narziss. Gleichzeitig mit dem Kontakt zwischen Jüngling und Frosch fällt sein Blick auf eine schöne Mädchengestalt am anderen Ufer, und das Mädchen betrachtet ihn. Der Frosch verschwindet nach seinem ersten Erscheinen im sumpfigen Wasser und taucht am Ende der Erzählung wieder auf. In der Zwischenzeit wird der Junge zum Zeugen einer brutalen Szene: Ein Eber wird kastriert und frisst die ihm vorgeworfenen blutigen Hoden. Drei Männer und eine Frau sind an dem Akt in einem Garten beteiligt, und der Junge schaut ihnen von draußen zu, ohne dass die Täter ihn bemerkten. Dem Eber wird die Würde zweifach genommen, durch die Kastration und das Verschlingen der eigenen Körperteile. Aber die Würdelosigkeit ist nur scheinbar eine des Tiers. Sie ist in Wahrheit die Würdelosigkeit der Menschen, die sich am Tier vergehen. Das Gesicht der Frau, die sich an der Kastration beteiligt, nimmt der Junge als bleich und verkrampft wahr. Die ekelhafte Kastrationsszene steht im Mittelpunkt der Handlung und ist ganz aus der Sicht des Jungen gesehen. Es fällt kein Wort, wie über der ganzen Geschichte – außer dem schrillen Schrei des Tiers – Schweigen
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liegt. Der plötzliche und unerwartete Blickkontakt des Jungen mit den Tätern macht deutlich, dass etwas Unerhörtes und Verbotenes geschehen ist. Der Junge hat gesehen, was er nicht hätte sehen sollen. Er verlässt den Ort traumatisiert. Er hat der Brutalität zugesehen, und der Blick macht ihn zu einem Opfer. Er behält, nachdem er zurück in die Hütte gegangen ist, die beiden blutigen Flecke vor Augen. Das Erlebnis bedeutet einen Bruch: Es war seine Begegnung mit der hässlichen und grausamen Welt. Er verliert eine Illusion und hat die Wirklichkeit gesehen, die auf ihn im Leben wartet. Er geht zurück ans Wasser und sieht dort wieder den Frosch, dunkelgrau, auf einer Schlickbank, und wieder sehen sie einander an. Eine »spöttische Falte« im Gesicht lässt vermuten, dass der Frosch weiß, was geschehen ist und wie es im aufgewühlten Inneren des Jungen aussieht. Der Zug um sein Maul ist das Zeichen des Spotts über pubertäre Illusionen. »Der Frosch und der Junge blieben eine Weile reglos ruhig. Dann wandte der Bursche unter Mühen den Blick ab, wie um einem bösen Zauber zu entrinnen, und da sah er am anderen Ufer, zwischen den tiefhängenden Weidenzweigen, abermals das Mädchen erscheinen. Und einmal mehr, lautlos und unverhofft, schnitt über das Wasser der blaue Blitz.«78 Der Jüngling steigt ins Wasser, dessen Oberfläche noch immer durch die Kreise, die der abgetauchte Frosch hinterlassen hat, unklar ist. Er blickt in trübes Froschwasser, das ihm kein Spiegelbild gibt. Er schwimmt durch den Fluss. Am Ende der Erzählung steht nicht der Tod und die Verwandlung in eine Blume, wie im Mythos, sondern das Ende zeigt ihn auf dem Weg: Er schwimmt auf das andere Ufer zu, wo die Mädchengestalt erschienen war. Die aber entzieht sich und weicht in ein Halbdunkel des Gezweigs zurück. Es bleibt offen, ob er in den Styx eingetaucht ist und ob er je ans andere Ufer gelangt. Der Frosch ist Tier und zugleich etwas anderes: Die spöttische Falte um das Maul gibt ihm ein Gesicht und macht ihn als Träger eines geheimnisvollen Wissens erkennbar. Nicht der Mensch blickt voll Spott auf den Frosch, sondern die Beziehung ist umgekehrt. Der Jüngling versteht den Frosch nicht, aber der Frosch durchschaut den Menschen, und das ermöglicht ihm ein Wissen, das er aus einer sprachlosen Welt hat und das über das der Menschen hinausgeht. Er ist nicht mehr selbst hässlich und böse, sondern der Träger des Wissens über das Hässliche und Böse in der Welt. Aber er teilt es nicht mit den Menschen. Sein Schweigen bestätigt die Welt, wie sie ist, unverständlich, und es lüftet das Mysteriöse nicht. Der spöttische Frosch lässt den Jungen allein vor einer grausamen und undurchdringlichen Welt. Der Frosch steht, nicht anders als bei Shakespeare und Poe, auf der Schwelle zwischen zwei Welten. Bei Saramago sind es
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die hässliche Gewalt der Welt und der Traum von Schönheit, die Welt aus Arbeit, Ekel und Schmutz, sowie ein Versprechen von Schönheit, das er ahnt und das sich als schönes Mädchen auf der anderen Seite des Wassers enthüllt und wie eine Fata Morgana entzieht. Auf manchen antiken Darstellungen, etwa den Wandbildern in Pompeji, blickt Narziss nicht auf die Oberfläche des Wassers, wo sein Spiegelbild erscheint, sondern er sieht, wie Saramagos Jüngling, in die Ferne, als ob er dort etwas suche. Auch ist Narziss auf frühen Bildern selten allein. Auch in Saramagos Bild macht das Erscheinen des Froschs und des Mädchens aus dem einsamen Selbstbezug des Jünglings, von dem Ovid spricht, eine Beziehung zu anderen. Sie besteht aus stummem Blickkontakt, aber endet in einem Entzug: Der Frosch, der etwas zu sagen hätte, taucht unter, und das Mädchen, dem er nahe sein möchte, verschwindet. Die Erzählung variiert den Gedanken der Metamorphose. Nimmt sich Narziss in einer Fassung des Mythos durch getrübtes Wasser als hässlich wahr, so verkennt er sein Eigenbild bei Saramago nicht, aber ebenso wenig erkennt er sich. Er verliert sich im Trüben. Das Bild einer hässlichen Welt in sich tragend, sucht er nach dem Schönen und verliert dabei den Kontakt zur Welt. Narziss im Wasser kann das Schöne nicht im Bild von sich sehen, und als fremde Gestalt entzieht es sich in ein Nirgendwo. Er stirbt nicht, sondern blickt verständnislos auf eine Welt ohne Sinn. An die Stelle des Bösen, das im theologischen Sprachverständnis durch eine feste Bedeutung des Wortes definiert war und Eindeutigkeit schuf, tritt nun das Vieldeutige der Unverständlichkeit. Und wieder ist der Frosch Bote und Täter, der sich nun ins Nirgendwo entzieht.
4.5 E IN LITER ARISCHER Ö KOFROSCH ? Einen Ökofrosch in der Literatur gibt es noch nicht. Er ist auf dem Weg. In dem Maß, wie sich in der Gegenwart das Verhältnis zum Tier ändert, und dafür gibt es zahlreiche Anzeichen, wirkt die Literatur an diesem Prozess mit. Im Rahmen eines neuen Tierbilds entsteht auch ein neues Kapitel in der Kulturgeschichte vom Frosch, das sich von den literarischen Froschbildern der Vergangenheit grundlegend unterscheidet. Die Literatur hat sich von Moral und Didaktik verabschiedet, und auch der Topos vom Frosch als Mensch, der sich von den Fabeln des 17. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert zog, ist verblasst. Eine andere Nähe von Frosch und Mensch bildet sich heraus. Die Literatur hat den Lurchen und Reptilien seit langem keinen Ort bereitgehalten, den man als ihre Heimat bezeichnen könnte. Die Na-
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tur gab es für den Frosch des Mittelalters nicht, und Frosch und Lurch der Moderne waren der Natur entfremdet. Von E.T.A. Hoffmans Salamander zu Poes Froschmensch, der in der Wildnis verschwindet, war die Natur für diese Tiere der Moderne eine literarische Konstruktion. In der Gegenwart droht dieser Konstruktion der Bezugspunkt in der erlebten Welt verloren zu gehen. Das Froschbild der Gegenwart entsteht aus dem Gedanken einer kommenden Katastrophe, die Mensch und Tier gleichermaßen betrifft. Vom Gedanken einer Rettung, den Kolmars jüdisch-christlicher Entwurf einer Verfalls- und Heilsgeschichte entwickelt, hat sich der Gedanke der Katastrophe in der Ökologiebewegung weit entfernt. »Er kehrte heim zum Sumpfe […]« ist eine Formulierung am Ende eines Gedichtes über den Salamander, die als symptomatisch gelesen werden kann. »Du warst der Alchemist. Ich war der Salamander.«79 – Der Mensch wird ins Feuer der Alchemistenverwandlung geworfen. Am Ende ist der Mensch verwandelt, und der Salamander kehrt als Tier »heim«. Wer könnte der verwandelte Mensch sein? Und eine Natur, die Heimat sein könnte, gibt es bei Kolmar nicht. Frosch und Salamander haben in der neueren Literatur keine Heimat. Eine Literatur, die in der Natur nach Heimat suchte, führte in den Kitsch. Entsteht in der Gegenwart eine Literatur, in der ein Umdenken der Stellung von Mensch und Tier in der Natur erprobt wird? Einen Beginn der Veränderung durch das ökologische Denken kann man in J.M. Coetzees provozierender Auseinandersetzung mit dem Bösen und Hässlichen in Roman, Essays und Vorträgen sehen. Er schließt, im Unterschied zum politischen und moralischen Diskurs, das Verhältnis zum Tier explizit ein und behandelt ein extremes Beispiel: Er stellt einen Zusammenhang der industrialisierten Massentötung der Tiere und den Brutalitäten von Diktaturen und Vernichtungslagern her. Er hat dafür harsche Kritik geerntet.80 Zu Unrecht. Im Zentrum seiner Überlegungen stehen nicht die Lager, sondern eine verwundete Frau der Gegenwart, die mit den Tieren fühlt. Sie leidet unter dem mitleidlosen und industrialisierten Umgang mit nicht-menschlichem Leben und stellt die Frage, ob man sich mit dieser täglichen Grausamkeit abfinden dürfe oder ob sich in dieser Normalität das Böse, der alltäglichen Wahrnehmung entzogen, in der Gegenwart auf seine Weise auslebe, wie es in der Vergangenheit zur grausamen Vernichtung von Menschen geführt habe. Akzeptiert man den Zusammenhang zwischen der Massentötung von Tieren und Menschen, stellt sich die Frage nach dem Tier und dem zukünftigen Verhältnis des Menschen zum Nutztier und zum wilden Tier. In diesen Überlegungen steht das Tier nicht mehr am Rand. Seine Position hat sich verschoben,
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nicht ins Zentrum, denn wir wissen nicht, wo das Zentrum liegt. Wollen wir Zukunftshoffnung entwickeln, so ist nicht die Frage nach dem Zentrum, in dem Definitionen festgelegt werden, wichtig, sondern das exzentrische und bewegliche Verhältnis von Mensch und Tier. Kann es im Zeitalter der Bilder und elektronischen Kommunikation einen literarischen Ökofrosch überhaupt geben? Andere Formen der Konstruktion des Tierbildes könnten das Literarische ersetzen. Es gibt neue Textarten zu Frosch und Kröte, etwa in öffentlichen Ausstellungen und Installationen. Auf einer Straße in Mailand standen 2008 eine Reihe von Glaskästen, von innen beleuchtet, die in großformatigen Dias gefährdete Tiere wirkungsvoll zur Schau stellten. Aufbau und Bildkomposition erinnerten an die dreidimensionalen Dioramen vergangener Zeiten in Naturkundemuseen. Zwei der bunten Flächen zeigten Frösche vor Seen, umgeben von exotischen Landschaften, in die sich Betrachter gern hineinträumen. Die Begleittexte handelten in kurzen Sätzen von der Heimat der Tiere und akuten Gefährdungen. Wenige Passanten richteten ihren Blick gezielt auf die Fotos, und kaum jemand blieb stehen. Aber das war nicht zu erwarten. Der flüchtige Blick, absichtslos schweifend, passt zu diesen Installationen von Natur im öffentlichen Raum der Stadt. Er nimmt auf seine Art wahr und sichert dem Frosch mehr Raum in der Erinnerung als die konzentrierte Aufmerksamkeit, die einmal vor den Dioramen erfordert war. Die Dioramen enthielten zahlreiche Informationen, kenntnisreich zusammengestellt, echte Details wie Gras, Erde, Äste, vor einer gemalten Landschaft. Sie zeigten Bilder, die den Texten der Biologiebücher Anschaulichkeit gaben. Aber zur phantasierten Reise zum Tier regten sie nicht an. Sie waren informativ, aber bezogen die Betrachter nicht ein. Den neuen Froschbildern entnehmen wir wenig Information. Aber sie inszenieren auf eine Weise, die Wünsche anregt und dazu verlockt, Tieren zu begegnen. So kündigt der Ökofrosch sein Kommen durch das Ende eines Denkens vom Leben als einem Modell, das Mensch und Tier zu Ideen macht, an und leitet eine Rückkehr des Performativen ein. Wenn es den literarischen Ökofrosch noch nicht gibt, soll die Lücke durch einen kurzen Ausschnitt aus dem Interview (2008) mit einer Krötenschützerin gefüllt werden. »Wir trugen damals die Kröten in Eimern über die Straße und an den Teich. In der Dämmerung, abends und dann wieder morgens früh. Springen können sie ja nicht. Und in meinem zweiten Jahr habe ich auch die erste einzeln getragen. Zu Anfang wollte ich das nicht. Der dicke Körper, grau, und dann die runzlige Haut,
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nein warzig. Nicht schön. Nein. Nicht. Ich hatte eine Gänsehaut, glaube ich, nur vom Hinsehen. Da hatte ich Angst, sie in die Hand zu nehmen. Und man darf ja auch nicht fest drücken. Aber sie ist nicht feucht oder schleimig, eher warm und fest. Und wenn ich sie in der Hand halte, ist es ein schönes Gefühl. Die meisten sind ruhig und wehren sich nicht und wollen nicht weg. Ich habe das Gefühl noch in der Hand. Irgendwie fest und fein. Ich habe versucht, ihnen in die Augen zu sehen. Das ist schwer. Das geht nicht. Man kann sie nicht richtig an-, an-, anblicken. Die Augen sind an den Seiten. Aber einige gucken zurück. Das stimmt vielleicht nicht. Aber ich habe es gesehen. Ja. Habe ich. Ich glaube, manche haben mich angesehen. Das war schön und … Jetzt ist das ja vorbei. Der Teich ist weg. Drei Jahre habe ich da mitgemacht. Ich sollte eine andere Gruppe suchen.«
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5 Der Frosch und die Wissenschaft
5.1 D IE G RENZE M ENSCH – TIER Die Grenze zwischen Mensch und Tier ist unsicher. Sie ist nicht der explizite Gegenstand der Forschung in den Naturwissenschaften. Aber die Forschungspraxis hat stets einen Beitrag zur Bestimmung der Grenze gemacht, an der sich das Verhältnis von Mensch und Tier entscheidet. Die Lebens-Wissenschaften, die in der frühen Neuzeit begannen, mit Tieren zu experimentieren, hatten und haben tiefgreifende Auswirkungen auf das Verhältnis von Mensch und Tier. Experimente mit Fröschen begannen im 17. Jahrhundert. Sie waren zweifellos an Fröschen interessiert. Aber die verborgenen, grundlegenden und leitenden Motive der Experimente richteten sich weniger auf die Tiere, sondern suchten Aufschluss über generelle Fragen nach der Natur und dem Menschen. In einer Zeit sich grundlegend verändernder philosophischer und anthropologischer Vorstellungen vom Menschen versprachen die frühen Forschungen am Frosch, über das Verstehen des Tiers die Fragen nach dem Leben, der Stellung des Menschen in der Natur und letztlich nach dem Eigenbild des Menschen zu klären.1 Die elementare Ebene bildete zunächst die Frage, ob Mensch und Tier so weit übereinstimmten, dass einzelne Organe und Körperfunktionen sich vergleichen lassen. Später, als diese Frage geklärt war, engte sich die Begründung für Tierexperimente auf die Frage ein, was sich am Tier über den Menschen lernen lasse. Wir gehen im Allgemeinen davon aus, dass die experimentelle Forschung auf der mechanistischen Vorstellung vom Körper in Analogie zu einer Maschine sowie auf der Trennung von Mensch und Tier, von Descartes angestoßen und von Cartesianern systematisch entwickelt, beruhe und das Forschungsparadigma der Moderne bildete. Diese Annahme ist fragwürdig. Seit dem 17. Jahrhundert wirkten Gegenmodelle, die sich auf andere philosophische Positionen beriefen, sich in Nischen des Wissenschaftsbetriebs erhielten und ihren eigenen Diskurs
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pflegten. Seit dem späten 20. Jahrhundert gewinnen sie an Einfluss und Popularität. An den frühen Froschexperimenten lassen sich diese Spannungen bereits erkennen.
Gemeinsamkeiten Sobald die theologische Definition des Menschen und die Lehre von den zwei Naturen aufgegeben waren, konnte die Wissenschaft von der Forschung an Tieren einen Erkenntnisgewinn über den Menschen versprechen. An die Stelle einer theologisch definierten Differenz trat das Bild einer Einheit der Natur, das sich auf eine lange Tradition beziehen konnte. Mythos und Volkskultur stellten seit je eine nahe Beziehung von Mensch und Tier her. Sie wurde nun durch philosophische und wissenschaftliche Theorien gestützt. Der Entwicklungsgedanke, im 18. Jahrhundert entwickelt, und nicht erst Darwins Evolutionstheorie, hob die Trennlinie auf. Menschen und Tiere sind demnach in eine Natur eingebettet, die zwar Unterschiede schafft, aber die Einheit des Lebens und damit die Nähe von Mensch und Tier nicht auflöst. Von dieser Nähe im Verhältnis von Mensch und Tier gingen die entstehenden Wissenschaften aus, als sie den Frosch in ihr Forschungsprogramm einbezogen. Wir wissen heute, dass die Annahme von Ähnlichkeiten, die den Froschexperimenten zugrunde lag, nicht ohne Berechtigung war. Amphibien besitzen einfache Gehirne, schätzungsweise 5 Millionen Neuronen beim Frosch im Vergleich zu 500 Milliarden beim Menschen. Aber, so haben Forschungen der vergangenen Jahrzehnte gezeigt: Aufbau und Funktionsweisen dieser Gehirne zeigen große Ähnlichkeit. Wie Säugetiere haben auch Frösche ein Großhirn, Zwischenhirn, Cerebellum und Medulla oblongata, und in einem komplizierten Prozess verarbeiten sie visuelle Daten offensichtlich nach den gleichen Prinzipien wie Menschen, wenn auch in sehr viel einfacheren Strukturen. Bei den »niederen« Wirbeltieren, wie Fröschen und Kröten, erfüllt das zentrale Nervensystem offenbar dieselbe Leistung wie bei den Primaten, um nach einem Stimulus der Retina die motorischen Nerven in Gang zu setzen und Muskelreaktionen auszulösen. Auch das Großhirn ist ähnlich gebaut wie das von Säugetieren und enthält eine Region, die dem Hippocampus vergleichbar ist, dem Frosch das Lernen ermöglicht und eine einfache Art des Gedächtnisses ausbildet. Dies Wissen hatte das 19. Jahrhundert nicht. Die Forschung ging von der intuitiven Annahme einer Ähnlichkeit des Gehirns und Nervensystems bei Frosch und Mensch aus. Die späte Rechtfertigung der Begründung
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darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Rationalisierung bildete, die auf wenig Wissen gebaut war, zumal die niederen Wirbeltiere in allen anderen Hinsichten als primitiv und den entwickelten Säugetieren unvergleichbar aufgefasst wurden. Was motivierte diese Rationalisierung?
Differenzen Im Gegensatz zum Gedanken der Einheit betonten Philosophie und Wissenschaft seit dem 17. Jahrhundert aber die Differenz und konnten damit an eine Tradition von Differenztheorien seit der Antike, vor allem auch im Christentum, anknüpfen. Descartes verstand Menschen und Tiere als Maschinen, und begründete die populäre Gleichsetzung des Körpers mit dem Räderwerk einer Uhr. Er sprach den Tieren Seele und Verstand ab. Descartes These ist, dass Tiere nicht nur »weniger Verstand haben als Menschen, sondern vielmehr, dass sie gar keinen haben«.2 Während sich das Entwicklungsdenken vorbereitete, entwickelte sich im Cartesianismus ein Denken der Differenz, das einen kategorialen Unterschied zwischen Mensch und Tier postulierte. Descartes’ Theorie des Körpers als Maschine, im Discours de la Méthode (1637) formuliert, entwickelt ein methodologisches Prinzip, das ethische Implikationen hat. Auswirkungen seiner Theorie, die im folgenden Jahrhundert ausgebaut wurde und zu einer Schule des Cartesianismus führte, sind für die Medizin und das Bild vom Menschen beschrieben und im Kontext einer Kritik der Moderne kritisiert worden und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Seine Theorie kann als Bezugspunkt aller Theorien der folgenden Jahrhunderte über die Differenz von Mensch und Tier gelten. Eine für das wissenschaftliche Experiment bedeutende Konsequenz war, den Tieren mit dem Verstand auch die Seele und die Schmerzfähigkeit abzusprechen. (Diese Schlussfolgerung blieb jedoch umstritten.) Damit setzten Philosophie und Wissenschaft den Unterschied zwischen Mensch und Tier, allerdings anders begründet, in der Position der Theologie fort. Auch einige Anti-Cartesianer in führenden Positionen teilten diese Auffassung vom Tier, etwa Robert Boyle (Royal Society, London) und Claude Perrault (Académie des sciences, Paris), der über Experimente an Hunden berichtet, die weiter lebten, nachdem schichtweise das Großhirn abgetragen oder paralysiert wurde, und starben, sobald auch das Cerebellum entfernt wurde.3 Über das Verhältnis zum Tier und eine affektive Beteiligung am Experiment und an den Tieren im Experiment erfahren wir in den Texten dieser Experimentatoren nichts. Gelegentliche Bemerkun-
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gen über körperliche Reaktionen der Tiere (etwa Schreie) erlauben keine Rückschlüsse auf ihre Einstellung zum Tier. Als sich vom Devon zum Karbon über einen Zeitraum von Millionen Jahren die ersten Vierfüßler an das Leben auf dem Land anpassten, entstand vermutlich der Urfrosch, das erste landlebende Wirbeltier. Entwicklungsgeschichtlich steht er dem Spätling Mensch also denkbar fern. Und so betonen auch die Taxonomie Linnés, die Paläozoologie und die Anatomie die Unterschiede. Besondere Merkmale des Menschen sind für Linné die aufrechte Körperhaltung, Gesicht, Kopf- und Rumpfform, und seine nächsten Nachbarn im System sind unter den »Vierfüßlern« die »Säugetiere«. Eine Nähe zu Lurchen kennt er nicht. Kein Körpermerkmal deutet auf eine Verwandtschaft mit dem Tier Mensch. Theorien der Differenz ziehen sich bis in die Gegenwart. Eine neue Theorie zur Bestimmung einer Grenze kann man in der Kognitiven Ethologie (Donald Griffin) finden.4 Für sie liefert die Entwicklung des Bewusstseins das Unterscheidungskriterium. In dieser Theorie wird der Kreis der zu respektierenden Tiere (denen gegenüber die meisten Europäer Tötungshemmungen empfinden) enorm erweitert. Denn das Bewusstsein, argumentieren Neurowissenschaftler (António Damásio), habe sich mit den Emotionen ausgebildet und reiche weit zurück in die Evolutionsgeschichte. Bereits bei Vögeln und Reptilien finden sich Hirnstrukturen, die für die Bildung von Bewusstsein nötig sind, und die könnten, wie Michael Cabanac, Gerald Edelman und andere vermuten, womöglich zweihundert Millionen Jahre alt sein.5 Verlegt man die Grenze so weit in die Evolutionsgeschichte zurück, verschiebt sich die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier, aber das Prinzip der Differenz bleibt erhalten. Amphibien wie Frösche und Kröten sind noch immer ausgeschlossen, da sie vor dem Entstehen von Hirnstrukturen, die Bewusstsein ermöglichen, in der Evolution auftauchten.
Ver worrene Positionen Diese widersprüchlichen Diskurse waren in der experimentellen Praxis gleichzeitig wirksam und machten das Verhältnis der Wissenschaft zum Tier kompliziert. Der Gedanke der Verwandtschaft schafft eine moralische Hemmung gegenüber dem Experimentieren mit Tieren, macht sie aber zugleich geeignet für Experimente, die am Tier Aufschluss über den Menschen suchen. Wenn Tiere dem Menschen als einem Naturwesen verwandt sind, machen Forschungen an Tieren und einzelnen Organen Rück-
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schlüsse auf die Natur des Menschen möglich. Zugleich muss jedoch die Verwandtschaft geleugnet und das Tier aus einem Status als Nicht-Mensch definiert werden, damit an ihm experimentiert werden darf. Denn die Betonung der Differenz setzt ethische Bedenken außer Kraft. Der Widerspruch entstand nicht erst im Zeitalter der Wissenschaft, gewann aber durch die moderne Experimentalpraxis eine neue Herausforderung. Solange das Tier aus einem Gegensatz zum Menschen definiert wird, lassen sich Vivisektionen ausführen, ohne dass ein ethisches Verbot übertreten würde oder ein Schuldgefühl sich regte. So wird verständlich, dass die mit Tieren experimentierenden Wissenschaftler an der kategorialen Unterscheidung von Mensch und Tier trotz ihres religiösen Ursprungs festhielten. Im offenen Widerspruch zur Naturalisierung des Menschen seit dem 18. Jahrhundert wirkte die Rhetorik von dem Tier als dem NichtMenschlichen weiter – auch nach Darwin. Ohne eine Dekonstruktion der Naturalisierung keine Differenz, und ohne Differenz keine wissenschaftlichen Experimente am Tier. Die aber schufen eine Paradoxie, indem sie die Dekonstruktion zurücknahmen und die Gemeinsamkeit immer solider begründeten. Diese Gemeinsamkeit war nachvollziehbar, solange es sich um Primaten und hoch entwickelte Säugetiere handelte, die zu einem emotionalen Verhältnis einluden. Sie löste Gegenbewegungen, Schutzprogramme und Widerstand aus, die aber primitive Tiere wie den Frosch nicht einschlossen. Die Geschichte des wissenschaftlichen Experiments kann nur in einer beständigen Auseinandersetzung mit seiner Kulturgeschichte geschrieben werden. Das Objekt wissenschaftlicher Forschung gibt es nicht ohne sein Bild, das außerhalb des Labors entsteht. Das gute Objekt, also das Objekt, das im wissenschaftlichen Experiment Erkenntnisse verspricht, ist immer auch ein kulturell elaboriertes Imago des realen Objekts. Im Untersuchungsobjekt im Labor ist ein mentales Bild anwesend, an das die Wissenschaftler glauben, ohne sich dessen notwendigerweise bewusst zu sein. Wenig beachtet, aber auf besondere Weise aufschlussreich für das Wissenschaftsbild war (und ist) in den experimentellen Lebenswissenschaften das Bild von primitiven Tieren. Der Frosch nahm in diesem Verhältnis aus Bild und Experimentierobjekt eine besondere Position ein. Bereits Harvey (London) und Marcello Malpighi (Rom) berichten im 17. Jahrhundert außer von Sektionen zahlreicher Tiere wie Hunde, Schafe usw. auch von Sektionen primitiver Tiere wie Fröschen.6 Im folgenden Jahrhundert wurde der Frosch das beliebteste Tier für Experimente. Experimente mit Fröschen lassen sich als kulturgeschichtliches Symp-
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tom nur verstehen, wenn die Frage nach ihrer wissenschaftlichen Funktion um Fragen nach ihren nicht-wissenschaftlichen Voraussetzungen erweitert wird. Trotz der biologischen Distanz war die Beziehung von Mensch und Frosch in der Kulturgeschichte so eng wie die zu kaum einem anderen nicht domestizierten Tier, und diese Beziehung setzte sich in das wissenschaftliche Zeitalter fort. Es gibt kein anderes Tier, das die lange Kulturgeschichte so eng mit der kurzen Wissenschaftsgeschichte verknüpft wie dieses Urwesen. Die Anordnungen der Experimente strebten nach Objektivität, aber sie kamen von der Mensch-Frosch-Beziehung, die sich in der Alchemie, Kunst und in Alltagspraktiken der frühen Neuzeit herausgebildet hatte, nicht los. Das theologische und das magische Bild verschwanden nicht mit dem Beginn der Froschexperimente. Die enge Beziehung zwischen Mensch und Frosch, die nicht biologisch begründet war, sondern kulturelle Wurzeln hatte, blieb kaschiert erhalten. Die frühen wissenschaftlichen Beobachtungen waren von einem Bild des Menschen im Frosch geleitet.
5.2 D IE A NFÄNGE Was wollen die Forscher vom Frosch wissen? Die neuere Tierrechtsdebatte betont, dass Tierversuche grausam und für die Gegenwart signifikant sind. Sie werden meist mit den modernen Wissenschaften in Verbindung gebracht. Aber ihre Geschichte ist älter als die der modernen Wissenschaften und reicht an die Anfänge der Neuzeit zurück.7 Das Wissen über die Anfänge der Tierexperimente und Vivisektionen in der frühen Neuzeit ist dürftig und konzentriert sich auf wenige Namen: den Brüsseler Anatom Andreas Vesalius, der im frühen 16. Jahrhundert menschliche und tierische Leichen sezierte und mit De Humani Corporis Fabrica (1543) die Grundlagen des Körperbilds der folgenden Jahrhunderte legte, oder den englischen Arzt William Harvey, der das Sezieren in Italien bei Girolamo Fabrici lernte und den Blutkreislauf erklärte (1628). In einem Zeitraum von etwa 20 Jahren führte Harvey Sektionen lebender und toter Tiere aus, öffnete den Thorax lebender Tiere, um das schlagende Herz zu beobachten oder ließ Tiere ausbluten, um die Blutmenge zu messen.8 An seinem Vorbild orientierten sich Tiersektionen der folgenden zwei Jahrhunderte. Über das Verhältnis zum Tier und eine affektive Beteiligung am Experiment und an den Versuchstieren im Experiment erfahren wir in den Texten nichts. Descartes Haltung zum Tier gilt üblicherweise als
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repräsentativ. Er berichtet von seinen Experimenten, in denen er Tiere gemäß seiner Theorie vom Körper als Maschine behandelt, und er ging, wie er in Briefen berichtet, mit gefühlloser Grausamkeit vor.9 Diese Haltung zum Tier und zum Experiment wird oft als repräsentativ für die Moderne seit dem frühen 17. Jahrhundert verstanden. Die Position Descartes’ und des Cartesianismus war aber keineswegs so dominant, wie Wissenschaftsgeschichten sie darstellen. Das wissenschaftliche, gefühllose Bild vom Tier des späten 18. und des 19. Jahrhunderts bereitete sich zwar mit Descartes vor und wurde von den Cartesianern unter den frühen Forschern in Experimenten praktiziert, war aber nicht ohne Opposition und nicht die Folge einer zwangsläufigen, linearen Entwicklung. Die These von der Seelenlosigkeit des Tiers, im wissenschaftlichen Tierbild dominant, setzte eine Theoriegläubigkeit voraus, die nicht alle Wissenschaftler teilten. Es gab keine ungebrochene Kontinuität, die von Descartes Maschinenmodell in die Labors des 19. Jahrhunderts und in die Tierexperimente der Gegenwart geführt hätte. Eine die frühen Experimente am Frosch auszeichnende Haltung war das Staunen. Sie waren von einer nicht-wissenschaftlichen Neugier geleitet. Ein zentrales Motiv war die Abkehr von Alchemie und dem magischen Froschbild durch Beobachtungen am lebenden und toten Körper unter selbst definierten Bedingungen. Neugier und Staunen als philosophische Haltungen unterschieden die Froschexperimente ebenso vom Froschbild der Vergangenheit mit festen Zuordnungen von Eigenschaften wie dem des kommenden Jahrhunderts. Wenn in diesen Jahren Frösche seziert wurden, dann nicht, wie ein Jahrhundert später, wie eine Maschine, die in Einzelteile zerlegt wird, sondern auf der Suche nach der Lebenskraft, der vis vitalis. Daher wurden sie zunächst beobachtet und erst später zerschnitten. Das Sezieren trat nicht an die Stelle der Beobachtung des lebenden Tiers, sondern ergänzte sie. Und, auch das ist bedeutend, Sektionen fanden noch nicht massenhaft statt. Die Industrialisierung der Labors setzte erst ein Jahrhundert später ein, und dann begann das mechanistische Verhältnis zum Frosch, das für subjektive Anteilnahme keinen Platz mehr ließ. Einen wissenschaftlichen Rahmen, an dem sich die frühen Froschexperimente orientierten, bildete die entstehende vergleichende Anatomie. Deren Anfänge reichen in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück, aber ihre eigentliche Bedeutung für das Mensch-Tier-Verhältnis entwickelte sie erst hundert Jahre später, vor allem in Paris, wo Perrault eine anti-cartesianische Position entwickelte. Der englische Mediziner und, soweit diese Bezeichnung in diesen Jahren überhaupt angewandt werden kann, Zoologe, Ed-
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ward Tyson publizierte 1699 die Studie »Orang-outang, sive, Homo sylvestris: or, The anatomy of a pygmie compared with that of a monkey, an ape, and a man«, in der er die Anatomie eines Menschenaffen mit der des Menschen verglich und eine Liste von Gemeinsamkeiten und Unterschieden aufstellte.10 Mit dem Vergleich von Mensch und Affe machte Tyson Schule. Davon war bei Froschexperimenten nicht explizit die Rede. Im Unterschied zum Affen gab der Frosch keinen biologischen Anlass zum Vergleich. Aber unausgesprochen waren die Froschexperimente von dem philosophischen Problem des Vergleichs von Mensch und Tier getragen. Nicht die anatomische Nähe war der Auslöser, sondern das anthropomorphe Tierbild wirkte. Der Begriff Anatomie führt den heutigen Leser in die Irre. Anatomie im modernen Verständnis war nicht gemeint. Anatomie war ein unspezifischer Begriff und aus den Texten spricht oft ein gespanntes Verhältnis der Anatomie zur Physiologie, in der die eigentlichen Fragen des Jahrhunderts behandelt wurden. Das Interesse verschob sich von einer statischen Anatomie auf die Beobachtung von Veränderungen, auf Physiologie und die Sexualität als physischer Prozess, in den ein moralisches Problem verschlungen war. Die neue Entdeckung der Zeit der Natur und das Entwicklungsdenken hielten Einzug in die frühen Experimente. Ihnen diente auch der Frosch, an dem Fragen von Theologie und Metaphysik durch Beobachtung abgelöst wurden, etwa die nach dem Ursprung durch Beobachtung der Fortpflanzung. Das neue Verständnis einer Dynamik der Natur sollte am Geheimnis der Fortpflanzung erklärt werden.11 Aber Beobachtung und Theorie blieben in einen philosophischen Rahmen eingebettet, in dem eine Idee vom Leben wirkte, die den Zusammenhang von Mensch und Frosch erhielt.
Philosophische Neugier: das Vakuum Ein Disputationstext mit dem bezeichnenden Titel Anatomia ranae in vacuo extinctae, et vivae (1739) ist exemplarisch für ein bestimmtes Erkenntnisinteresse und Tierbild dieser Epoche. Der Kandidat Bose vergleicht einen lebenden und einen im Vakuum getöteten Frosch, die er beide seziert.12 Der Text nennt cupiditas, die Lust am Wissen, die persönliche Neugier, als Motiv.13 Sein Vorgehen ist exemplarisch für eine Wissenschaft, die sich nicht als Prozess der Selektion und Verifikation von Hypothesen begreift und nicht durch die Aussicht praktischer Applikation gerechtfertigt wird, sondern sich von philosophischen Fragestellungen leiten lässt. Im Vakuum findet er das Argument gegen eine Wissenschaft der anti-philosophi-
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schen Seelen- und Gefühllosigkeit. Hundert Jahre später wurden Experimente und die Zerstörung von Körpern nicht mehr in den Dienst einer philosophischen Kontroverse gestellt, sondern sie rechtfertigten sich allein durch den Anspruch der Wissenschaften, die der »matter of fact«-Konzeption folgten, wie Boyle sie entwickelt hatte. Insoweit Boses Experiment ein Beitrag zu der von Boyle ausgelösten Debatte war, wendete es sich kritisch gegen diese neue Wissenschaft. Für das Verhältnis von Mensch und Tier lässt es ein grundsätzliches Problem erkennen, das seine eigene Zeit spaltete und bis in die Gegenwart nicht gelöst ist und das, vereinfacht gesprochen, Boyles Sieg fragwürdig macht. Warum er Frösche für sein Experiment benutzt, erklärt er nicht. »Ich nahm einen Erdfrosch, von dessen Gattung einige gelegentlich sechs, acht, ja sogar zehn volle Stunden im Vakuum eingeschlossen, kaum starben. Ich legte ihn an einem Sommertag zur siebten Abendstunde in ein mit einer Pumpe erzeugtes Vakuum. Zu diesem Zeitpunkt war er lebendig, kraftvoll und aufgeregt. Sein Gefährte, der, soweit das möglich war, die selbe Größe und Stärke hatte, stemmte sich mit so großer Kraft gegen den hölzernen Ring des Gefäßes, in dem er gefangen war, dass sich ihm schliesslich, […] ein Fluchtweg öffnete, […].«
Der Frosch im Vakuumzylinder starb nach zwei Stunden, und der andere musste – einem Haustier nicht unähnlich – gesucht werden. Nachdem er im Herd entdeckt worden war, band Bose ihn auf einem anatomischen Tischchen an seinen vier Füßen fest. (Diese Art der Fixierung von Experimentiertieren erhielt sich bis ins 19. Jahrhundert, zunächst mit Fäden, dann mit Nägeln, und sie wurde dann technisch zu Froschbrettern perfektioniert.) Für die frühe Phase der Sektionen war es nicht untypisch, dass ein kleiner Kampf mit dem Tier entstand, das Widerstand leistete. Es gelang ihm, berichtet Bose, »das rechte, vordere Bein mit großem Schwung und mit viel Glück zweimal aus der Schlinge zu befreien. […] Mit umso festerem Knoten band ich ihn und setzte mit der Unbarmherzigkeit meines Amtes das anatomische Skalpell an.«14 Der Bericht weist Züge des kontrollierten wissenschaftlichen Experiments auf, bleibt aber einer vortheoretischen Neugier verhaftet. Die Beobachtungen werden nicht zu Daten abstrahiert, sondern gewinnen Bedeutung in einem philosophischen Kontext. Der desensibilisierte Wissenschaftler und Leser wissenschaftlicher Texte, der auf kulturelle Konventionen keine Rücksicht nimmt und sein Selbst im Experiment eliminiert, ist noch undenkbar. Zitate klassischer Autoren, Seneca, Plinius, Lukrez,
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sind in seine Beobachtungen eingestreut, oder wohl eher andersherum: Die Beobachtungen am Frosch folgen nicht einem rein wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse, sondern werden in einen Diskurs über das Leben, der seine Autorität aus der Philosophie bezieht, eingebaut.15 Bose beobachtet nicht den Kampf eines Tiers ums Leben, sondern das Streben nach Freiheit: Der Mensch im Frosch kämpft. Eine weitere Beobachtung Boses macht das Weiterwirken des magischen Froschbilds im Experiment offensichtlich. »Als der Kopf entfernt und das Herz herausgerissen war, blieb das Leben dennoch unbesiegbar erhalten, das Tier lebte […].« Der Satz klingt gefühllos. Aber er unterscheidet sich von der systemischen Gewalt einer cartesianischen Wissenschaft. Er schließt an die Berichte über das zähe Leben der Frösche mit abgetrennten Gliedern und Köpfen einer früheren Zeit an. Gesner hatte berichtet: »Wann man ihnen lebendig das Hertz herauß schneidet, bewegt sich dasselbe auff der Hand oder wo man es hinleget offt ein Stund nachdem es herauß genommen, oder so lang biß der Frosch auch stirbet.«16 Bis ins 19. Jahrhundert erhält sich dieses Bild vom Frosch. 1835 schreibt ein um Aufklärung bemühtes Lexikon: »Er hat ein äußerst zähes Leben, man kann ihm die Haut abziehen, Stücken vom Körper schneiden; er lebt dennoch fort.«17 Das Staunen über diese Körpereigenschaft war von emotionaler – nicht nur positiver – Beteiligung getragen und machte den Frosch zum exemplarischen Tier für die frühen Experimente, in denen es um die Frage geht, was Leben sei. Staunen ist ein zentrales Wort dieses Experimentierberichts. Staunen teile er mit »Harvei«, der gestaunt habe, als er die »kreisförmige Bewegung« des Blutes, die Systole und die Diastole entdeckte: und »wie schön und exakt sie abläuft«.19 Harveys subjektive Reaktion, das Staunen, in späteren Wissenschaftstexten verpönt, hebt Bose hervor. Er nennt Harvey zwar auch wegen dessen Entdeckung des Blutkreislaufs, einer Großtat der medizinischen Forschung; aber stärker beeindruckt ist er von einer Dimension in Harveys Entdeckung, die wenig später nicht mehr als wissenschaftlich bezeichnet wurde: die Schönheit und Exaktheit in der Natur. Das Staunen gilt der Bewertung von »schön« im Sinn von göttlicher symmetrischer Ordnung.19 Diese Assoziation widerspricht der mittelalterlichen theologischen Definition des Froschs. Sie widerspricht auch den späteren Sektionsberichten, die den Frosch nicht mehr als Teil der göttlichen Schöpfung, sondern als ein Stück Natur oder als Maschine verstehen, weder durch Lebenskraft noch durch Schönheit bewertet. Das Bedürfnis, Harmonie in der Natur zu finden, gehörte in eine grundsätzliche Kontroverse des Jahrhunderts. Bose bezieht in dieser Kontroverse vorsichtig Partei. Es interessiere
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ihn, schreibt er, »welche wesentlichen Unterschiede es gibt zwischen einem wilden Tier, das im Vakuum starb und einem anderen, das mit Perraultianischer Grausamkeit lebend seziert wird«. 20 Die Entdeckung des Vakuums war etwa hundert Jahre alt und stellte dem philosophischen Weltbild noch immer ein Problem. Im traditionellen (aristotelischen) Weltbild war die Möglichkeit eines leeren Raums in der Welt undenkbar. So führte Boyles Anwendung der Luftpumpe zu einer heftigen Kontroverse, an der sich Hobbes, Huygens und andere Intellektuelle Europas beteiligten.21 Wenn auch der Schock des Anfangs nach hundert Jahren verflogen war, so war die philosophische Herausforderung noch immer nicht verblasst. Hatte sich durch die Beiträge von Hobbes die Kontroverse zunächst auf die Konsequenzen für Politik und Gesellschaft konzentriert, so rückte nun die Bedeutung für das Naturbild ins Zentrum. Die Auswirkungen dieser unerhörten Erfindung auf das Verständnis vom biologischen Leben wurden erprobt. Die Wirkung des Vakuums auf den lebenden Körper faszinierte das Jahrhundert und führte zu immer neuen Experimenten, in der Royal Society, in vielen anderen europäischen wissenschaftlichen Gesellschaften und Institutionen, die bald den bürgerlichen Salon erfassten und auch auf Gemälden festgehalten wurden. 22 In dieser philosophischen und epistemologischen Kontroverse bezieht Bose mit seinem Froschexperiment gegen Boyle und dessen Programm einer Wissenschaft der Tatsachen (»matter of fact«) Stellung. Der Bericht stellt die Folgen des Vakuumexperiments auf eine Weise dar, dass sie der Ordnung der Natur widersprechen und beschreibt sie auf eine Weise, dass sie ex negativo eine philosophisch-theologisch begründete Ordnung der Natur rechtfertigen. Bose, indem er aus dem Experiment am Frosch keine Tatsachen ableitet, sondern den verwüstenden Eingriff des Experiments in die Natur beleuchtet, nimmt Partei für die Kritik an Boyle und damit indirekt für Hobbes. Der Vergleich zwischen dem mit Perraultischer Grausamkeit sezierten und dem im Vakuum getöteten Frosch, den er beabsichtigt, geht zu Ungunsten des Vakuums aus. Bose konzipiert sein Experiment und seinen Bericht auf eine Weise, dass, ganz im Sinn von Hobbes anti-revolutionärer Kritik der Wissenschaft, der Frosch im Vakuum zur Demonstration einer Störung der Natur dient. Er geht von einem absoluten Maßtab von Ordnung in der Natur aus, der durch das Eingreifen der Wissenschaft verletzt werde. Hobbes bestritt die Möglichkeit des Vakuums und kam ohne die Idee des horro vacui aus. Bose zweifelt nicht am Vakuum und schafft durch das Experiment eine Leere, die zu einem Schrecken vor der Verletzung und Entstellung der Natur führt.
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Hobbes’ Kritik an Boyles Experimenten beruhte auf mehreren Voraussetzungen, u.a. legte er ein Modell der Geometrie in der Natur zugrunde. Boses Beobachtungen über das Experiment schließen an Hobbes Forderung nach geometrischer Ordnung und Schönheit in der Natur an. Das Experiment übe Gewalt aus und führe zum deformierten Tier, einem Opfer der neuen Wissenschaft. Er beobachtet, dass sich im Vakuum der Körper verformt und sein Volumen verdreifacht. »Im Abdomen herrschte heilloses Durcheinander. Die Eingeweide besonders fett, unglaublich aufgebläht, und das Rectum riesig. Alles übrige war ebenso aufgebläht […]. Die Augen traten bis zum Herausspringen aus dem Kopf, und die Haut war gerissen und hing aus dem Schlund heraus.« Aus dem Frosch wird im Vakuum ein Monster. Er ist nicht mehr das Monster der Magie, kein bedrohender Akteur aus einer metaphysischen Natur, sondern ein Monster in der Folge eines Experiments mit der Natur, das die Natur selbst zum sprechen brachte, und sie erhob ihre Stimme, argumentiert Bose, gegen die Konstruktion des wissenschaftlichen Experiments. Bose führt ein Experiment durch und schließt damit die Berufung auf Transzendenz aus; er will aber zugleich durch das Experiment und seine Interpretation die verloren gehende Einheit einer schönen Natur erhalten. Er spricht über sein schlechtes Gewissen, weil er im Bericht über den getöteten Frosch unreine Wörter wie Anus, Rectum, Tonicus, Exkremente benutzt, die von der Wissenschaft gefordert werden, aber vom Hässlichen sprechen und die kulturell definierte Ordnung verletzten. Daran lässt sich eine Unentschiedenheit dieses Experimentierberichts ablesen, der zwar Boyles Konzeption vom Experiment als dem modernen und privilegierten Zugang zum Wissen aufnimmt, zugleich aber Hobbes Plädoyer für die alte Ordnung folgt. Nicht der Kampf zwischen Kirche und Staat, wie bei Hobbes, sondern der zwischen philosophisch begründeter Ordnung und naturwissenschaftlichem Eingriff in die Ordnung steht hinter diesem Experiment. Der zerfetzte Frosch im Vakuum dient ihm als Argument gegen eine Wissenschaft der anti-philosophischen Seelen- und Gefühllosigkeit.
Geruch, Farben, Haut. Empathie durch sinnliche Beobachtung Das Bild der gefühllosen Maschine trat im 18. Jahrhundert zweifellos seinen Triumphzug an. Aber nicht alle Forscher reihten sich in diesen Zug ein. Die Opposition gegen eine Wissenschaft der Tatsachen, die Boses Experiment
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erkennen lässt, leitete auch andere Froschexperimente des 17. und 18. Jahrhunderts. Ihr Tierbild war von der Analogie zur Maschine unberührt, und so konnten sie aus Sinnlichkeit, aus der Beobachtung von Gerüchen, Farben, Konsistenz und Oberflächenbeschaffenheit einen Erkenntnisgewinn versprechen. Sie notierten einfache Wahrnehmungen konkreter Eigenschaften und interpretierten sie in Analogie zu eigenen Erfahrungen oder Selbstversuchen. Zahlreiche frühe Experimente lassen ein Verständnis vom Experiment und vom Tier im Experiment erkennen, das, ohne die explizite Auseinandersetzung mit dem Cartesianismus zu suchen, dessen Basissätzen widerspricht. Die Berichte über Froschexperimente dieser Zeit notieren einfache, sinnliche Wahrnehmungen wie Farbe, Ausdehnung, Geruch, Konsistenz und Oberflächenbeschaffenheit und interpretierten sie in Analogie zu eigenen Erfahrungen oder Selbstversuchen. Die Sprache ist konkret und schmiegt sich den Sinneswahrnehmungen an. Zu den frühen Dokumenten über Froschsektionen, die ihre Beobachtungen aus dem Blick auf den Menschen machen, gehören die Observationes anatomicae ranarum (1687). Diese Anatomie beschreibt die Bewegungen von Körperflüssigkeiten. Die Bedeutung des Eis wird betont und seine Eigenschaften wie Form, Farbe und Bewegungen im Körper genau beschrieben. Der Bericht nennt Bläschen, Gefäße, Zwischenräume, strömende, umspülende Flüssigkeiten – eine zähe und milchige Flüssigkeit im Körper der Männchen, eine durchsichtige Flüssigkeit bei Weibchen, die mit der von Haut verglichen wird (»membranaceus«), die weder in den Eiern noch im Ovarium noch in der Bauchhöhle zu bemerken sei, aber durch die Eileiter ströme. Eine zähe Flüssigkeit gebe es zwischen den Eiern, berichten die Observationes, und sie komme, wenn der Uterus geöffnet wird, dem Beobachter als eine Feuchtigkeit entgegen, wie sie sonst nirgends im Körper zu finden sei.23 Der Bericht beruft sich ausdrücklich auf das Mikroscop. Aber die distanzierende Wirkung des Instruments auf den Blick ist noch gering. Durch das Verdienst dieses Gerätes sähen wir »deutlich Drüsen, die die ganze Rundung des Eileiters bedecken«.24 In den Zwischenräumen entdeckt der Experimentator winzige, durchsichtige Eier, die, wenn die Zeit kommt, Schritt für Schritt wachsen und von einer milchigen in eine bläuliche Farbe übergehen, selten auch grünlich werden. In der Folge sind sie dann durchweg bunt, und andere sind ganz oder nur teilweise dunkelbraun, schwarzgelb, bis sie endlich bei Reifung zum Schwarzen hin sich neigen. Goethe betrachtet wenig später einen Frosch durchs Mikroskop
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und macht ähnliche Beobachtungen. Er sieht Haut, die mit »schwarzen Pünktchen übersäet« ist und »kleine Wärzchen« zeige; er seziert ein Froschweibchen und stellt fest, der Eierstock »sieht grünlich aus und einige Kügelchen sind dunkler als die anderen«. 25 Diese Beobachtungen gehören in eine Wissenskonzeption, die an Instrumente und optische Apparate noch nicht die Erwartung der subjektlosen Konstruktion einer Objektwelt knüpft, sondern sie in den Dienst der sinnlichen Wahrnehmung stellt, die in einer Sprache, die Wissenschaft und Ästhetik verbindet, zum Ausdruck kommt. Dies Wissenschaftsverständnis stand im Gegensatz zum Ideal der Mechanisierung. Es erhielt sich in Deutschland länger als im europäischen Westen und bescherte dem Frosch seine exponierte Stellung.26 An ihm wurden Geruch, Farben und taktile Reize besonders gern untersucht.
Gestik Der Frosch wurde, im Unterschied zu späteren Laborexperimenten, auch in Bewegung beobachtet. Ein Experimentieren, das Bewegung prinzipiell ausschloss und das Gestische und Sinnliche ignorierte, setzte erst im 19. Jahrhundert ein. Die Experimente gehen von der Voraussetzung aus, dass der Froschkörper eine Sprache habe, und die Experimentierberichte interpretieren Körperbewegungen von Fröschen im Sinn von Gesten, in denen, in Analogie zur menschlichen Gebärdensprache, echte Gemütszustände eine Ausdruckssprache suchen. Die Gesten werden nicht als Versuch des Tiers zu kommunizieren verstanden. Keiner der mir bekannten Texte geht von der Annahme aus, dass Tiere durch Gestik etwas mitteilen möchten, etwa um Hilfe bäten. Die beobachtete Gestik ist menschlich im Sinn der Expressivität von Gebärden. Ihre Zeichen wurden als eine Sprache der Natur aufgefasst, die nicht auf Mitteilung zielt. In besonderen Situationen, etwa beim Festbinden oder bei der Kopulation, machen die Experimentatoren Beobachtungen, die auf der Annahme einer Korrespondenz zwischen einem »Emotionsleben« und spontaner Körpersprache beruhen. Die Bedeutung, die sie diesen Gesten zuschreiben, kommt nicht aus ihnen selbst, sondern aus bedeutungsgebenden Situationen, die von den Experimentatoren in Analogie zu menschlichen Situationen definiert werden: Gefangennahme, Freiheitskampf oder Liebesakte. Die Bedeutung von Gestik in den Berichten dieser Zeit macht besonders nachdrücklich deutlich, dass die Forschung sich vom Gedanken der
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5.A A NATOMISCHE B EOBACHTUNGEN , 1687 Als ich nun den Beginn des Frühlings nach der überstandenen Kälte des Winters begrüßte, sah ich die Frösche aus ihrem Winterschlaf hervorkommen und hatte eine wirklich günstige Gelegenheit, um den ersten Anfang der Schwangerschaft von Fröschen zu untersuchen, der sehr wunderlich, aber bis heute von niemandem genau beschrieben worden ist. Es war der 11. März, als sich die ersten Weibchen zeigten, die schon trächtig waren. Von dem Zeitpunkt an kamen eine unzählbare Menge hervor, gleich viele Weibchen wie Männchen. Unter jenen hatten die einen schon geboren, die anderen waren trächtig, ein dritter Teil war noch nicht begattet. Diese wurden zum Akt der Begattung aufgefordert oder zeigten sich der Begattung zugeneigt, oder sie waren bereits matt und erschöpft durch Venus. Es gibt Männchen, die zu Anfang des Frühlings eine Zurüstung erfahren, wodurch ihnen an den großen Zehen der beiden Hinterbeine eine Schwiele wächst, die wunderlich und gleichsam aus dem Nichts kommt und leicht verdeckt ist. Dieser Auswuchs entsteht, das ist gesichert, zuerst bei denen, die die Begattung anstreben. Lose hängt er später dort und kann bei denen abgezogen werden, die häufiger der Venus dienten. Der Frosch zieht sich schließlich aus eigenem Antrieb zurück, wenn die männliche Kraft vergangen ist. Schaut man sich das Innere an, bemerkt man vorzugsweise weißliche Bläschen, die in den Männchen vor der Begattung anschwellen vom milchigen Sperma – so war der Zustand vorher, und dann entstehen Bläschen. Frösche, die bei der Begattung gefangen wurden, zeigten Bläschen nicht nur einer einzigen Größe, sondern bald größere, bald kleinere. Denen, die ihrer Pflicht schon genüge getan haben, schrumpfen der Penis und die Schwiele an den Füßen und die Bläschen, so dass sie kaum noch gesehen werden können. Die Weibchen hingegen haben stets zarte Zehen und haben im Innern keine Spermabläschen. Aber die Hoden sind weitaus größer und übertreffen die der Männchen um ein Vielfaches. Die im großen Uterus Eiertragenden sind so schön anzusehen, dass nichts schöneres im Frosch gefunden werden kann. Die kleinen Eier werden in den sogenannten Hoden oder besser »Ovarien« der Weibchen gefunden. Zu Anfang sind sie winzig und durchsichtig, wenn aber die Zeit kommt, wachsen sie und nehmen vom zunächst Milchigen eine bläuliche Farbe an, selten auch eine grünliche. In der Folge sind sie dann durchweg bunt, nachdem die bläulichen Eier grün wurden, und die anderen teils ganz, teils nur zum Teil dunkelbraun oder schwarzgelb werden, bis sie endlich bei der Reifung sich zum Schwarzen neigen. Zu diesem Zeitpunkt der Reifung kommen die Frösche zusammen, um die Eier im Uterus aufzunehmen. Wir waren wenig erstaunt, Frösche zu beobachten, die mit den Männchen auch an dem Zeitpunkt zu-
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Ähnlichkeit von Mensch und Tier leiten ließ. Empathie war noch nicht dem Ideal der Abstraktion zum Opfer gefallen, sondern konnte, soweit das Tier betroffen war, als Teil des Laborberichts festgehalten werden. Dadurch wurden nicht nur menschliche Eigenschaften, etwa der Freiheitswunsch, am Frosch beobachtet, sondern das Tier behielt, selbst in seiner hilflosen Stellung auf dem Experimentiertisch, seine Eigenart und einen Willen.
Rein-unrein In der Alchemie und frühen Medizin wirkte die Unterscheidung von verschiedenen Arten des Wassers. Wasser war für okkulte Theorien bedeutend, und für den Forscher des 18. Jahrhunderts lag es noch immer nahe, verschiedene Sorten Wasser, etwa reines und unreines Wasser, zu unterscheiden und Verhalten auf Unterschiede im Lebensmilieu Wasser zurückzuführen. Im schmutzigen Wasser, so beobachteten die Experimentatoren, entstanden unreine Tiere wie Frösche, Kröten, Blindschleichen und Salamander. Dieser Glaube setzte sich in die Experimente fort. Etwa hundert Jahre nach den anonymen Observationes führte Johann Gottlieb Gleditsch, ein zu seiner Zeit bekannter Professor der Botanik und Materia medica, Mitglied der Berliner Akademie der Wissenschaften und erfolgreicher Autor, Versuche mit Fröschen durch, die für das Bild vom Tier an der Schwelle zur systematischen Verwissenschaftlichung charakteristisch sind.27 Gleditschs Wissenschaft ist Beobachtung auf einer metaphysischen Grundlage, und seine Experimente bestätigen die Metaphysik. Das Milieu, das Wasser, und der spezifische Augenblick, die Todesnähe, waren für diese Versuche konstitutiv. Er weckte einige Braune Grasfrösche durch Erwärmung aus der Winterstarre und setzte sie einzeln in Gläser. Die Gläser waren mit verschiedenem Wasser, Teichwasser, Brunnenwasser und Regenwasser, gefüllt, und er registrierte Unterschiede in den Reaktionen der Frösche. Er beobachtet Motivationen, Emotionen und Verhalten an Fröschen, für die verschiedene Wässer dem entsprechen, was in der menschlichen Welt seit dem Naturalismus als Milieu bezeichnet wird. »Ich sahe mich aber genöthiget, diesen Fröschen über den 3. und vierten Tag frisches Wasser zu geben, um sie besser zu beobachten. Denn sie verunreinigten das Wasser durch ihren Auswurf sehr bald, dass es dicke, trübe, schleimig und sehr stinkend wurde, und wie es schien, thaten sie es mit Fleiß, so bald sie konnten, und liebten das helle Wasser gar nicht. Doch merkte ich dabey an, daß das Wasser in etlichen Gläsern von grossen Fröschen nicht so geschwind
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sammenkommen, zu dem die Eier nicht gänzlich schwarz sind, sondern bunt. Dann beschlafen die Männchen die Weibchen nicht wie gewöhnlich von hinten, sondern bäuchlings. Dieser erste Koitus ist zweifellos ungeeignet, die Eier zu befruchten. Ähnlich ist es auch bei Hühnern, um ein Beispiel zu benutzen, da beim Koitus der Hühner viele Eier gleichzeitig befruchtet werden. Auch die Ähnlichkeit der Geschlechtsteile legt den gleichen Koitus wie bei Vögeln nahe, und der Unterschied, der am Anus eines begatteten Weibchens zu beobachten ist, bestätigt dies. Wir wollen nicht von denen schweigen, die wir zum Froschfang geschickt haben, denn sie sind in den Dingen der Natur erfahren und bezeugen, nicht nur einmal Frösche gefunden zu haben, die nach der Gewohnheit des Federviehs mit den Hinterteilen verbunden waren. Aber bei weitem rätselhafter ist der andere Koitus Ranis peculiaris, der sich ereignet, wenn sie kommen, um die reifen Eier mit dem Uterus aufzunehmen. Das aber passierte nirgendwo deutlicher, wie ich am 28. März sah, als bei einem weiblichen Frosch, der auf den Ellenbogen unter den Gatten gekrochen war. Als ich den Bauch des Frosches öffnete, kamen mir im rechten Teil nicht einmal zwei Eier entgegen, frei zwischen Herz und Lunge wandernd, im linken wurden aber mehr als dreißig gleichartige gefunden. Wir hoben den Brustkorb, und rechts schien er beinahe zwei Fingerbreit leer zu sein. Aber schließlich wurden doch einige Eier gefunden, die von Farbe und Größe den anderen glichen und frei im Thorax herumkugelten. Der linke war so von Eiern angefüllt, dass ich da einen Tubulus anbringen wollte, aber das eine wie das andere Ovulum wäre vom Eileiter getrennt und die hineinzublasende Luft aufgehalten worden. Bei der weiteren Untersuchung der Eileiter war es nicht möglich, mehr als drei Eier zu sehen, und jedes der beiden Ovarien war halb geleert und der Uterus halb voll. Deshalb kann kein Zweifel bestehen, dass die Eier aus dem Ovarium in den Eileiter und durch diesen vorwärts bis zum Uterus geleitet werden, unterstützt durch ein Drücken der Weibchen durch die Männchen. Diese nämlich umarmen kräftig und lange, so dass die Weibchen auf der Brust blaue Flecke zeigen und häufiger auch Abschürfungen, woraus erhellt, dass an dieser Stelle Druck kraftvoll ausgeübt wird. Der Eileiter ist von den Extremitäten weit entfernt und auch von dem Ovarium getrennt, und daraus folgt, dass, wenn der Bauch des Weibchens durch den Brustkorb des Männchens gedrückt wird, die Eier, die aus dem Ovarium herauskommen, nach oben getrieben und vom Eileiter, wie von einem Mund, aufgenommen werden. Es helfen zur Bewegung der Eier aber auch nicht wenig die Bewegung des Herzens und der Lungen. Wenn der Körper beim Einatmen sich hebt, werden die Eier durch diese Einrichtung der Natur zum Herzen gedrückt. Wenn sie dieses erreichen, werden sie weiter gedrückt, teils von der Bewegung der Lunge, teils von der des Herzens, und sie bleiben solange in Bewegung, bis
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getrübet und verunreiniget wurde, als von den übrigen. Es blieb heller, und ich hatte vor dem 8. Tage keine Verwechslung nöthig. Die Frösche starben einzeln, die Gepaarten am ersten, die anderen aber doch nach und nach, und sie fiengen schon den 9. Tag an. Sie dauerten auch nicht völlig 3 Monate aus. […]« 28
Ähnlichkeit und Differenz von Mensch und Frosch zeigen sich an der Unterscheidung von rein und unrein, die Frösche ebenso wie Menschen machen. Allerdings werten die Frösche anders als die Menschen. Dass sie kein Brunnenwasser mögen, überrascht den Leser nicht. Das Brunnenwasser, schreibt Gleditsch, sei das klare Wasser, und das missfällt den unreinen Tieren. Sie ziehen das schmutzige Wasser, das die Menschen nicht nur aus hygienischen Gründen abstößt, vor. Die Präferenz für den Schmutz und die willentliche Wasserverschmutzung führen eine negative Bewertung der Tiere und eine emotionale Abstoßung in das Experiment ein. Er ist mit dieser Beobachtung nicht allein. Für Gleditsch, der am Anfang der modernen Wissenschaft und ihrer Metaphorik steht, ist die Identifikation von Schmutz mit Amoralität fraglos. Sein Bericht unterstellt den Tieren eine Absicht. Wenn sie eine Wahl zugunsten des Unreinen treffen, handeln sie wie Menschen in einem niederen sozialen Milieu und stellen sich als der primitive Gegensatz zum zivilisierten Menschen bloß.29 Damit entwickelte sich das frühe Wissenschaftsbild vom Frosch einige Zeit in Übereinstimmung mit der ästhetischen Bewertung des Hässlichen in Philosophie und Literatur. Gegen Ende dieses Jahrhunderts änderte sich die Einschätzung. Während in Literatur und Philosophie das Unreine in einen positiven Reiz umgewertet wurde, verloren in der Wissenschaft diese Bewertungen jede Bedeutung. In den Froschexperimenten gab es kein Wasser mehr, es gab für den Laborfrosch gar keine Umwelt mehr, und die Frage nach diesem Verhältnis wurde obsolet.
Sexualität Das späte Mittelalter erkannte in der Kopulation den Teufel. Das Physische wurde moralisch bewertet und die unreine Sexualität mit dem Schmutz der Frösche und Kröten assoziiert. Diese Verknüpfungen sind im 18. Jahrhundert noch immer wirksam. Berichte über Frösche verbin den Beobachtung mit moralischer Bewertung und sprechen vom Schamlosen (Kopulation), Niedrigen, Vulgären (Gewimmel) und Ekligen (Schleim). Die Sprache enthüllt, dass das Verhalten der Tiere aus einer Übertretung sittlicher Regeln wahrgenommen wird und die Verletzung des Scham
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sie an den Eingang des Eileiters kommen. Wenn sie dann erst einmal eingetreten sind, werden sie bis zum Uterus geführt. Es scheint nicht so, dass vom Männchen die zähe Flüssigkeit injiziert wird, denn eine solche wurde in den Spermaeiern nicht gefunden. Auch von anderswo bekommt der Uterus sie nicht. Sie fließt weder in den Eiern noch im Ovarium, noch in der Bauchhöhle. Also bleibt nur, dass wir im Eileiter suchen. Das liegt auch daher nahe, weil wir die durchsichtige Flüssigkeit nicht überall finden, sondern nur zwischen den Eiern. Zweitens: Eine größere Menge dieser Feuchtigkeit sehen wir, die am Eingang zum Eileiter den Eiern hinzugegeben wird und eine kleinere in der Höhlung des Uterus. Drittens, wenn der Uterus geöffnet wird, kommt uns eben dort eine zähe Feuchtigkeit entgegen, wie sie sonst nirgends im Körper gefunden wird. Und schließlich viertens: Jeden Zweifel vertreibt das Mikroskop. Mit dessen Hilfe nämlich sehen wir ganz deutlich Drüsen, die die ganze Rundung des Eileiters bedecken. Nach der Niederkunft verkleinert sich dieser Kanal, so dass diese Drüsen die meiste Zeit ohne Nutzen sind. Vor der Schwängerung waren die Eileiter auffallend größer und dicker. Sehr schön erlauben die Eileiter trächtiger Frösche, dies zu beobachten und die, die wir öffneten, boten nicht nur genug sichtbare Drüsen, sondern auch die aus den Drüsen austretende Lymphflüssigkeit. Wir haben bereits erwähnt, dass die Drüsen durch die Kunst der Natur nach Art der Gedärme zusammengehalten werden. Dazwischen gibt es Rillen, wie wir sie von unseren Fingerkuppen her kennen, die die auslaufende Flüssigkeit sammeln und forttragen. Sollte die größte Menge dieser Flüssigkeit zum Nähren des unzählbar zahlreichen Froschnachwuchses gebraucht werden, dann schließen wir uns den veröffentlichten Schriften an und sehen hier den Grund und die Erklärung für die große Zahl der Drüsen und die Länge des Kanals. Fügen wir noch die lange Zeit hinzu, in der Frösche trächtig sind, die nicht nach Stunden oder Tagen oder Wochen zählt, so ist die Erklärung des Vorgangs vollständig. Observationes anatomicae circa congressum, conceptionem, gestationen partumque ranarum, in: Acta Eruditorum publicata Lips., 1687, S. 284-288 (gekürzt).
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gebots demonstriert. Im Paarungsverhalten der Frösche erkennen diese Beobachter das Animalische der Sexualität, das sie als eine Verletzung ethischer Gebote verstehen. Die Beobachtungen am Frosch zeigen die Gefahr des Unsittlichen und Vulgären als Erbteil der Natur, das die Moral und das Geschmacksurteil aus der entstehenden Gesellschaft der Vernunft ausschließen. Der Frosch kennt keine Scham. Erst aus der Scham entsteht die Sittlichkeit, die den christlichen Menschen vom Tier unterscheidet.30 Das schamlos ungezügelte Sexualverhalten ist ein Tabubruch. Er ist signifikant und macht den Frosch zu einem negativen Totemtier. Ist eine der wichtigsten Leistungen des Totemismus eine Regelung der Sexualbeziehungen, so zeigt sich am Verhalten vom Frosch die Verkehrung der Ordnung. Gleditschs Berichte über seine Froschversuche zeigen eine vorkritische Einstellung, für die der Anthropomorphismus und seine Kehrseite, die Gemeinsamkeiten mit dem Tier in menschlichen Erfahrungen, der Zoomorphismus, kein epistemologisches Problem bilden. Der Intention zum Trotz entsteht in seinen Beobachtungen nicht der Frosch als bloßer Tierkörper. Der Frosch ist vielmehr das Produkt einer Beziehung zwischen Mensch und Natur, und die Beziehung setzt sich aus einem in der Gegenwart beobachtenden Subjekt und den mit dem Objekt assoziierten Erinnerungen zusammen. Natur ist in dieser Beobachtung nicht an sich, sondern nur in Erinnerungsbildern anwesend, die sich am Frosch sehen lassen. In der Beobachtung wirkt ein durch Überlieferung und sittliche Normen geprägter Blick. Sie zeigt den Menschen im Frosch. Sie spricht vom beobachteten Verhalten der Tiere und formt die Beobachtung auf eine Weise, dass aus der Natur eine Gefahr für die Sittlichkeit des Menschen spricht. Die Pflicht zur Beherrschung der Natur im Ich durch die Vernunft wird von der Sexualität bedroht. Sie ist das Zeichen der Gefahr einer Erniedrigung zum subjektlosen Gewimmel. Wissenschaftler der Zeit empfanden die Sexualität der Frösche als besonders anstößig, weil sie in ihr eine Erinnerung an die menschliche Sexualität sahen. Sie sollte auf eine Weise zivilisiert werden, dass sie den Menschen aus dem Gewimmel löst und dessen naturgegebene Amoralität überwindet. Nach Gleditschs Beobachtung erlitten die Frösche, nachdem er sie gegen die Natur geweckt hatte, einen alsbaldigen Tod. Dem frühen Tod ging eine kurze Phase von sexueller Hyperaktivität voran, für Gleditsch die geeignete Gelegenheit, das Paarungsverhalten der Frösche zu untersuchen, das »gänzlich kurios, aber bis heute von niemandem genau beschrieben worden ist«.31 Das Paarungsverhalten der Frösche ist der Gegen-
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5.B J OHANN G OT TLIEB G LEDITSCH : F ROSCHPA ARUNG Die Nacht vom 11. auf den 12. November, war das abwechselnde Quarren der Frösche stärker als zuvor, und des Morgens hatte sich der erste männliche Frosch nunmehro wieder zum fünftenmal gepaaret, nachdem er 4 Tage davon geruhet hatte. Ich wechselte das unreine Wasser zuweilen mit frischem Wasser ab, wovon ich aber nicht mehr in der großen Schale ließ, als daß die Frösche kaum recht darinnen schwimmen konnten. Dieses, wie ich merken konnte, gefiel ihnen der Stubenwärme wegen, überaus wohl, denn sie saßen fast beständig aufrecht, und hatten den halben Kopf außer dem Wasser. Die Paarung wechselte bey diesen Fröschen sehr ofte, und stieg seit dem 3. bis zum 21. November zusammen auf zwölfmal, der weibliche Frosch wurde dabey immer blasser und völlig entkräftet, daß er auch gleich den folgenden Morgen darauf starb. Die Seiten waren bey ihm überaus dicke und aufgetrieben. […] Bey der Paarung habe ich allezeyt bemerkt, daß die weiblichen Frösche so schwach worden sind, daß sie im Wasser zu Grunde gegangen, dennoch aber öfters nach Verlauf von etlichen, auch schon von einer Stunde darauf, mit ihren vorigen Männlein in der vorigen Paarung wieder begriffen gewesen. Ich versuchte, wenn ich dazu kam, daß beyde auseinander giengen, schaffte den männlichen Frosch in ein ander Glas, an die frische Luft, und brachte dem weiblichen einen andern von eben der Art zu, der sich alle Mühe gab, zur Paarung zu gelangen. Nachdem er etwa 26 Stunden vergebliche Versuche gemacht, ließ ich ihn in der Glasschale bey dem vorigen, wo er in einer beständigen Unruhe bliebe, ich brachte aber zugleich den ersten männlichen wieder dazu. Dieser befande sich kaum eine viertel Stunde bey dem weiblichen, so war die Paarung geschehen, sie dauerte diesmal kaum eine Stunde. Johann Gottlieb Gleditsch, Vermischte Physicalisch-Botanisch-Oeconomische Abhandlungen. Zweyter Theil, Halle (Joh. Jacob Curt), 1766, S. 278–281.
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stand wissenschaftlicher Beobachtung, die implizit zu einem bewertenden Vergleich gerät. Er nimmt es als Liebesleben wahr. In seinem Bericht verfließen Beobachtung und Gefühlsreaktionen, die in ein moralisches Urteil überleiten, das die Froschpaarung als unästhetisch und sittenwidrig, als hemmungslos amoralisch bewertet. Der 11. März brachte »die ersten Weibchen hervor, die schon schwanger waren«. Bald gab es eine Vielzahl, von denen »die einen schon geboren hatten, die anderen waren noch schwanger, ein dritter Teil war noch nicht begattet […]. Diese aber wurden mal bei diesem Akt der Zusammenkunft angetroffen oder waren zur Begattung bereit, oder matt und erschöpft durch Venus.« Nicht nur der Name der Göttin zeugt vom Anthropomorphismus. Der Text spricht von Hoden, die er auch bei Weibchen findet, nennt sie aber auch Ovarien, von Sperma und vom Uterus – alles in Analogie zur menschlichen Sexualität. Zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Eier seien dann nicht gänzlich schwarz, sondern bunt, beschliefen die Männchen die Weibchen nicht wie gewöhnlich von hinten, sondern bäuchlings. Sonst aber presse das Männchen die Arme um die Brust des Weibchens, so dass die Brust gedrückt werde und häufig blaue Flecken und sogar Abschürfungen zeige. Die seien nicht auf beiden Seiten gleich, sondern links ausgeprägter, eine Beobachtung, die der Theorie der Rechts-Links-Unterschiede des menschlichen Körperbaus folgt.32 Diese Sexualität löst Ekel aus, und Ekel hat, Kolnai macht die Beobachtung, eine kognitive Funktion (im Unterschied zur Angst), drängt nach Erklärung. Der Ekel vor den Fröschen bestätigt diese These: Die philosophische Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier durchzieht den Text. In der Beobachtung der Frösche wirken der Vergleich und eine Grenze, die zu einer Schwelle wird. Die Grenze trennt Mensch und Tier, aber sie wird zu einer Schwelle, die vom wissenschaftlichen Denken, Gleditschs propagiertes Ideal, ins mythische Denken, das Mensch und Frosch verbindet, führt. Seine Bewertungen machen deutlich, dass an dieser Schwelle das Individuum entsteht. In Gleditschs teilnehmender Beobachtung konstituiert sich die Identität des Subjekts an dem Übergang vom Naturzustand zum selbstbestimmten Subjekt der Zivilisation. Am Experiment mit dem Sexualverhalten der Frösche studiert er das Entstehen der Subjektivität – und ihrer anhaltenden Gefährdung – als einen Übergang in der Natur und nicht als theoretisches Problem der Begriffsdefinition. Die Natur ist in dieser Naturgeschichte nicht das fremde Gegenüber. Am Sexualverhalten der Frösche beobachtet Gleditsch, was ist, aber nicht sein soll. Die Froschpaarung ist Ausdruck einer Sexualität, die der kulturel-
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5.C K RÜNIT Z : F ROSCH Bey der Begattung springt das Männchen auf das Weibchen, und hält dasselbe mit seinen Vorder-Füßen fest umfaßt. In dieser Stellung läßt das Weibchen nach und nach ihre nackten Eyer, welche unter dem Nahmen Frosch-Leich, in Franken das Froschgerück, im Dän. Froeleg, im Niederl. Poggenschott, Poggenkuller, Poggenraff, L. Sperma ranarum Fr. Frai oder Sperme de grenouilles, oder Sperniole, bekannt sind, von sich, wobey das Männchen mit den Hinter-Füßen an den After des Weibchens drückt, und mit den Zehen diese Eyerchen, welche an einander hängen, und eine lange Schnur oder dicken Klumpen bilden, heraus ziehen hilft; zu gleicher Zeit macht es auch dieselben mit seinem Samen fruchtbar. Ungefähr in drey Tagen werden diese Eyerchen länglich, und sondern sich von einander ab. Nach 14 Tagen haben sie die Gestalt kleiner, dickleibiger, schwärzlicher Fischchen, welche nur aus Kopf und Schwanz zu bestehen scheinen; und in diesem Zustande nennt man sie Froschwürmer, Kaulärsche, oder Kaulpadden, Nieders, Kühlpoggen, L. Gyrinus. Moluris, Engl. Todpole, Holl. Donderpaije, Fr. Têrards, wegen ihres dicken Kopfes, oder Queues de poële, wegen ihres langen Schwanzes. Nach drey Monathen aber bekommen sie Hinter-Füße, bald darauf auch Vorder-Füße; und alsdann verlieren sie ihren Schwanz. Nach dieser Verwandlung suchen die jungen Frösche aus dem Wasser auf das trockene Land zu kommen. Dasjenige, was jetzt von der Begattung und Verwandlung des gemeinen Frosches gesagt worden ist, gilt auch von allen übrigen Arten der Frösche. Johann Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, 1773 bis 1858, 242 Bände: Artikel Frosch.
len Verpflichtung zur Individuation widerspricht. Er beobachtet am Frosch den Ursprung menschlicher Sexualität, den unzivilisierten und noch nicht gereinigten Kern: der Mensch als Frosch. Gleditsch beobachtet, dass die weiblichen Frösche in Folge von übermäßiger Sexualität schwach werden. Der Frosch dränge zum Sexualverkehr, der die weiblichen Frösche erschöpfe, bis zu dem Punkt, wo sie »zu Grunde« gehen. Ihr Paarungstrieb sei so heftig, schreibt ein anderer Forscher der Zeit, dass »man z.B. Frösche gesehen habe, die in Ermangelung
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eines Weibchens andere männliche Frösche oder Kröten oder gar todte Weibchen besprungen haben«. Diese abstoßenden Paarungen dauerten Tage und oft wochenlang.33 Aber wenn die Froschfrau diese Paarungen überlebte, nähere sie sich ihrem Liebhaber nach einer kurzen Unterbrechung erneut und fordere ihn zur Paarung auf. In diesen Beobachtungen ist der Frosch ein Stellvertreter für destruktive und pathologische Sexualität. Foucault beobachtet in der Geschichte des Jahrhunderts eine »Psychiatrisierung von perverser Lust«.34 Die Berichte von Blumenbach und Gleditsch verfolgen eine andere Strategie, die sich als Zoologisierung perverser Sexualität bezeichnen lässt. Eine Psychiatrisierung ist nicht erfordert, sobald das Perverse auf die Frösche projiziert und der Ursprung des Pathologischen im Tier gefunden werden kann. Solange Perversion sich in der Natur zeigen lässt, ist die menschliche Gesellschaft entlastet.
Gewimmel – der Frosch und die niederen Stände Wissenschaftliche Beobachtung entdeckt das Gewimmel, das schon Paracelsus fasziniert hatte, im Rahmen kritisch reflektierter Methodologie. Das Gewimmel, mehr noch als ihre Vorliebe für schmutziges Wasser und unreine Sexualität, zeigt, wo der Platz der Frösche ist: in den Niederungen des Lebens. Das Gewimmel ist ein zentraler Terminus, dessen Verbindung zur Moral nicht zu übersehen ist. Die Abwehr des Gewimmels spricht von der Schwelle, die Frosch und Mensch trennt, aber zugleich auch verbindet. Die wissenschaftliche Beobachtung, die das Gewimmel wahrnimmt, gerät mit dem Ich des Wissenschaftlers in Konflikt. Der Anblick des Gewimmels, von dem das durch Wissenschaft und Zivilisation geläuterte Ich nichts mehr wissen will, erzeugt die Angst vor einem Rückfall. Das Stadium vor der Individuation ist nicht endgültig überwunden. So löst das Froschgewimmel Gefühle einer unwillkommenen Verwandtschaft aus, die heftige Abwehr provoziert. Gleditsch spricht den Gedanken, dass der Mensch aus dem Zustand des tierischen Gewimmels hervorgegangen ist, nicht aus. Wenn in seinem Bericht der Gedanke latent bleibt, erhält sich doch in seiner Semantik eine Erinnerung: die Erinnerung an frühe Stadien, in denen der Mensch ein Tier im Gewimmel war. An der Sexualität soll sich der Unterschied zeigen: Sie entlarvt den Frosch als Tier des Gewimmels und erhebt den Menschen zum Subjekt als ein moralisches Wesen. Aber diese Position war nicht sicher, und das Paarungsverhalten der Frösche diente im 18. Jahrhundert als Warnung vor dem Ausbruch des Anarchisch-Regellosen. Es ist bezeichnend, dass Beobachtung und Experimente nun dazu herangezogen
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wurden, die aus dem Animismus kommende Bewertung des Tiers als Symbol der Fruchtbarkeit zu belegen, aber nun im Sinn der christlichen Morallehre zu verdammen, also ein von der Wissenschaft gestiftetes Bündnis zwischen Kirche und dem heidnischen Totemismus zu begründen, da der Totemismus gegen das zügellose Tier eine Ordnungswirkung hat.
Erziehung zur Sittlichkeit Von besonderer Bedeutung war die Verbindung der Froschsexualität mit dem Femininen. Sittlichkeit fehlt dem Frosch. Aber sein Verhalten wird nach ihrem Maßstab beurteilt, wie auch die Sexualität der Frau, die von einem Mangel an Sittlichkeit zeuge. Das Urteil bestätigt die christliche und die platonische Verdammung der Wollust. Die Assoziation des Weiblichen mit triebgeleitetem Irrationalismus stand in einer langen Tradition. »Ob die Weiber menschen seyn, oder nicht?« war seit dem 16. Jahrhundert eine heftig umstrittene Frage.35 Die Grenze zwischen Mensch und Tier war in Theologie und akademischer Philosophie prinzipiell nicht offen. Die Frau wurde dennoch nicht selten unter die Tiere eingereiht. Gleditschs Beobachtung der Froschkopulation lässt Spuren einer Übertragung der Ideologie, Frauen zählten nicht zur Klasse der Menschen, erkennen, oder umgekehrt: Er projiziert sein protestantisches Bild der unreinen Sexualität und Misogynie auf das Paarungsverhalten der Frösche und findet es durch Beobachtung des Tiers bestätigt. Im Experiment lässt sich am Tier studieren, was im menschlichen Leben verborgen bleibt, aber behandelt und geheilt werden müsse. Die Frösche können nicht zu einem sittlichen Lebenswandel erzogen werden. Wenn die Schamlosigkeit herrscht, bleibt nur der Eingriff des sittlichen Menschen – Gleditsch trennt das kopulierende Froschpaar. Der Eingriff ist im menschlichen Leben nur selten möglich. Könnte die Fröschin lesen, so ist man versucht zu spekulieren, würde Gleditsch ihr die moralischen Periodika und Romane seiner Zeit zur Lektüre empfehlen. Die Kur der perversen Sexualität, die Psychoanalyse, war noch nicht erfunden, aber im Lauf des Jahrhunderts entstand ein Programm der sittlichen Erziehung, die sich dem schamlosen Verhalten des Gewimmels entgegenstellte. Durch moralische Schriften und Erziehungsprogramme sollte der Mensch, besonders die Frau, endgültig aus dem Gewimmel erlöst werden. Die Unterordnung der Sexualität unter das Sittengesetz erfährt aber auch eine gewisse Bestätigung durch das Tier selbst, das Gleditsch zu einer zoomorphen Beobachtung leitet: Im Paarungsverhalten zeigt die
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Fröschin eine Eigenschaft, die auf das menschliche Verhalten übertragen werden kann und damit die naturalistische Grundlage für ein moralisches Gebot schafft. Sie lässt sich nicht zum Partnerwechsel verleiten, sondern ignoriert einen neuen Sexualpartner und wartet auf ihren ersten Partner. Sie gibt damit dem sittlichen Gebot zur Monogamie für das Zusammenleben der Menschen eine Grundlage in der Natur.
Bewusstsein Was Experimente der Zeit am Sexualverhalten der Frösche beobachten, ist mehr als ungezügeltes Triebleben. Sie nehmen die Fähigkeit zum Lustempfinden wahr, und Lust gehört in eine kulturell geformte Natur, die für den Menschen charakteristisch ist. Sie gestehen dem Frosch dasselbe Leibempfinden zu, das den Menschen ausmacht. Das animal rationale teilt mit dem Tier eine Leiberfahrung, und das meint etwas anderes als den trivialen Hinweis darauf, dass der Mensch durch seinen Körper Natur ist. Gleditsch unterstellt dem Frosch ein zielgerichtetes Verhalten (Verschmutzen des Wassers) und ein emotionales Leben: Paarung ist nicht nur Triebverhalten, sondern intentionales Handeln, das nach Lust strebt. Der empfindende Frosch widerspricht der cartesianischen Auffassung vom Tier und wirft ein erkenntnistheoretisches Problem auf. Lassen, im Umkehrschluss zu Descartes, Empfindungen den Schluss auf Bewusstsein zu? Für den gegenwärtigen Leser ist diese Frage nach den Gemütszuständen, nach dem Menschen im Tier, die diese Formulierungen dem Frosch zuschreiben, herausfordernder als die Moral einer Sexualpädagogik. Gleditschs Beobachtungen gestehen den Fröschen zu, was in moderner Terminologie als Bewusstsein bezeichnet wird. In einem vielzitierten Aufsatz stellt Thomas Nagel die Frage: können wir wissen, wie es ist, eine Fledermaus zu sein?36 Die Fledermaus ist ein Säugetier, schreibt Nagel, und man könne daher von einer gewissen Nähe zum Menschen ausgehen. Eine auf kritischer Reflexion beruhende Antwort muss jedoch negativ ausfallen. Diese Säugetiere seien dem menschlichen Leben »fundamental fremd«. Der Mensch hat keinen Zugang zum Innenleben der Fledermaus. Sie mag Bewusstsein haben, aber wir können nichts über ihr Bewusstsein wissen und nicht nachempfinden, »wie es ist«, eine Fledermaus zu sein. Das gilt analog für Lurche und Reptilien. In den Experimenten des 18. Jahrhunderts wird diese Frage implizit gestellt. Gleditschs Versuchsprotokoll beantwortet diese Grundsatzfrage positiv. Er beobachtet an der Fröschin, dass sie durch übermäßigen Sexualver-
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kehr »blass« werde.37 In dieser Beobachtung liegt ein Schlüssel für sein Bild vom Frosch. Er schreibt dem Tier ein Gesicht zu. Nur im Gesicht erröten oder erblassen Menschen als Zeichen von Scham. Sobald der Frosch ein Gesicht hat, können die im Inneren verborgenen Gemütszustände und mit ihnen der Mensch im Tier sichtbar werden. Es wäre verfehlt anzunehmen, dass Gleditsch sich von einer modernen Subjektkonstruktion leiten ließ, für die die Fähigkeit zu Gemütszuständen eine elementare Voraussetzung bildet. Es wäre ein Anachronismus, sie in wissenschaftlichen Texten des 18. Jahrhunderts finden zu wollen. Auf der Schwelle zum eigenschaftslosen Wissenschaftsbild ist der Frosch vielmehr noch immer ein Tier mit Eigenschaften, die ihm die Magie verleiht. Zu ihnen gehört nicht die Scham – im Gegenteil: Der Frosch ist im Vergleich zum Menschen durch die Abwesenheit von Scham charakterisiert; er ist die Verkörperung der Schamlosigkeit und daher verachtungswürdig. Aber wenn das Tier auch nicht vor Scham errötet, so zeigt es doch eine andere menschliche Reaktion. Es wird blass, wie Menschen aus Überanstrengung oder vor Schreck erblassen. Aus der Mimik schließt Gleditsch auf ein Seelenleben der Frösche und geht von einer Analogie oder gar einer Identität von Bewusstseinszuständen in Mensch und Frosch aus. Gleditschs Beobachtung folgt einer metaphysischen Grundannahme, an die sich eine Kette von Folgerungen anschließt, die sich ungefähr folgendermaßen formulieren lässt. Seine schweigend gemachte Ausgangsthese ist: Wir haben durch Introspektion Kenntnis vom Innenleben der Menschen, und das unterscheidet sich nicht von dem anderer Lebewesen. Bestimmtes Verhalten, hier das Sexualverhalten des Menschen, löst spezifische Vorgänge im Nervensystem aus, und diese wiederum bewirken im Bewusstsein die Empfindung von Lust. Also schließt dieses Denken vom Tier: Das gleiche Verhalten, Paarung von männlichem und weiblichem Frosch, verursacht einen ähnlichen oder identischen Gemütszustand, die Lust. Das Lustempfinden der Frösche kann an ihrer Gestik abgelesen werden, und wenn die der des Menschen entspricht, ist auch das Empfinden gleich. Damit schließt sich ein Kreis, in dem eine Mimik am Tier beobachtet und als Gebärdensprache aufgefasst wird, aus der eine Emotionalität spricht, die wiederum auf ein Bewusstsein des Frosches deutet. Gilt für die moderne, psychologische Perspektive, dass man nur aus subjektiven, den eigenen Erlebnissen wissen kann, was eine Empfindung wie Lust oder Schmerz ist, so gilt diese Voraussetzung für das Experiment und den Bericht von Gleditsch nicht. Seine Froschexperimente bestätigen, dass der Mensch die Möglichkeit hat, das Tier von innen zu sehen. Die angenommene Übereinstimmung erlaubt es dem menschlichen Beobach-
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ter, zu wissen, was das Tier empfindet, wie es ist, ein Frosch zu sein. Der Mensch kann gemäß dieser Anschauung von der Einheit des tierischen und menschlichen Empfindens dieses Gefühl im Tier nachempfinden, da die qualitativen mentalen Zustände, zu denen das Lustempfinden gehört, womöglich aber auch die intentionalen Zustände, wie das willentliche Verschmutzen des Wassers zeigt, sich nicht unterschieden. Mit dieser Vorstellung eines Bewusstseins der Tiere ist Gleditsch nicht allein. Sie macht das Zentrum des anti-cartesianischen Denkens des Jahrhunderts aus. Zu den bekanntesten Vertretern solcher Konzeptionen vom Tier zählte Pierre Bayle (1647-1706). Jedes Lebewesen, das Gefühle hat, argumentiert Bayle, wisse, dass es sie hat, denn alle Akte des Gefühlsvermögens seien selbst-reflexiv. In seinem Essay Concerning Human Understanding (1693) stützt John Locke Bayles rationalistische Position durch empirische Argumente über die Wahrnehmung. Gleditsch macht seine Beobachtungen in den Jahren, die in der Mentalitätsgeschichte als Epoche der Empfindsamkeit bezeichnet werden. Zwei Jahre später erscheint Sternes Empfindsame Reise (1768), und in seinem früheren Erfolgsroman Tristam Shandy (1760) findet sich das Beispiel des empfindsamen Mannes, des man of feeling, der beim Essen von einer »häßlichen, großen Brummfliege […] jämmerlich gequält« wird, sie in der hohlen Hand fängt, ans Fenster trägt und spricht: »Ich will Dir kein Haar krümmen. Geh […] armes Ding […] warum sollt ich Dir etwas zu Leide tun? Die Welt hat Raum genug für Dich und für mich.«38 Am Ende der Empfindsamkeitsepoche zitiert Thomas Young diese kleine Episode als Beispiel eines »Lehrstücks an Barmherzigkeit«,39 die, wenn auch von einer kleinen Minderheit der gebildeten Leser, nicht nur im Umgang mit Menschen, sondern auch mit Tieren im 18. Jahrhundert populär wurde. Bei Addison, Henry Fielding, Samuel Butler, Thomas Brown, Jonathan Swift oder Pope sind Tiere von Gott geschaffene Wesen, die unsere Barmherzigkeit und Pflege verdienen. Allerdings ist eine Unterscheidung zwischen ethisch-religiösen Motiven und einer psychologischen Sicht, die dem Tier Empfindungsfähigkeit zuspricht, oft nicht möglich. Die Einbeziehung von Tieren in den Empfindsamkeitsdiskurs ist in England weitaus stärker ausgeprägt als in Deutschland, wo sich kaum Beispiele finden. Gleditschs Empathie mit den Versuchstieren vertritt die Minderheitsposition einer anti-cartesianischen Auffassung vom Tier. Er beobachtet am Frosch Empfindungen, ohne dass er ihn aber zu einem Lebewesen der Kultur der Empfindsamkeit stilisieren würde. Eine Differenz zum Menschen bleibt erhalten. Denn aus der Empfindungsfähigkeit des Tiers
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spricht keine Sittlichkeit, die wesentliche Veränderung in der Auffassung der Sexualität in der empfindsamen Epoche. Verwandtschaft – Emotionalität und Ansätze von Bewusstsein – und Unterschiede – ungezügeltes a-moralisches Verhalten – von Mensch und Frosch sind gleichermaßen ausgeprägt, und im a-moralischen Verhalten von Frosch und Fröschin entdeckt Gleditsch die Züge von Destruktivität, aus denen sich Warnungen für das Zusammenleben der Menschen ableiten lassen. Die Empfindungsfähigkeit des Tiers in Analogie zum Menschen steht außer Frage. Aber die Beobachtungen über die Emotionalität des Tiers verpflichteten die Experimentatoren gegenüber dem Tier zu nichts. Sie führen nicht zum Gedanken einer moralischen Verantwortung für das Tier und zu keiner Rücksicht oder Schonung des Tierlebens. Auch darin sind die Berichte symptomatisch. Der Beobachtung von Emotionalität und des expressiv Gestischen am Tier entsprechen auf Seiten des Experimentators allerdings moralisch wertende Äußerungen über das eigene Handeln, die Grausamkeit des Sezierens.40 Mit Experimentatoren wie Gleditsch treffen wir nicht die empfindsame Seele im Labor. Schon Bose hatte von der Unbarmherzigkeit (immisericordia) seines Tuns und der Unmenschlichkeit der Disziplin Anatomie, die ihm beim Anblick des malträtierten Froschs auffiel, gesprochen.41 Diese moralische Kritik am eigenen Handeln ist besonders bemerkenswert, da sie am primitiven Frosch geäußert wird. Mit dem Entstehen des wissenschaftlichen Tierbildes verschwindet die empathische Sicht auf die Tierseele – aber nicht gänzlich. Sie hatte, und das deutet auf ein Unbehagen am wissenschaftlichen Tierbild, einen Höhepunkt während des Höhepunktes der Wissenschaftseuphorie des Positivismus, und sie erhielt sich bis ins 20. Jahrhundert. Ein Titel wie »Einblicke in die Tierseele« ist programmatisch für die Position einer Minderheit.42 Für den gegenwärtigen Umbruch im Verhältnis des Menschen zum Tier ist die Wiederkehr eines magischen Tierbilds bezeichnend, nicht in der organisierten Tierschutzbewegung, sondern in der Öffentlichkeit und in philosophischen Strömungen, die sich nicht zu Schulen zusammenschließen und sich mit Stichworten wie Tiefenökologie, Radikalökologie oder Fundamentalökologie bezeichnen. Die neueren Forschungen zu Spiegelneuronen geben dieser Auffassung eine biologische Grundlage. In der Literatur hat Coetzee dem Unbehagen an der Absage, sich ins Tier zu versetzen, Ausdruck verliehen. Im Roman widerspricht Elizabeth Costello, mit direktem Bezug auf die Argumentation des Philosophen Thomas Nagel, der Position der kritischen Philosophie und geht von einer Erfahrung von Leben und Tod aus, die alle Lebewesen teilten. Das führt
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sie zu der Behauptung, sie könne sich ins Tier versetzen und vorstellen, wie es sich anfühlt, ein Tier und gar eine Leiche zu sein. Durch diesen Widerspruch zur Position der rationalistischen Vernunft nimmt sie in der Gegenwart die Position auf, die Gleditsch und seine Epoche in der Frage des Mensch-Frosch-Verhältnisses vorkritisch einnahmen.
5.3 S CHWELLENZEIT UM 1800 Mit dem Kampf der Aufklärung gegen Religion und Magie verband sich die Delegitimierung des anthropomorphen Tierbilds. Alles, was in der Natur bewertet wurde und als zweckwidrig, hässlich und monströs galt, sollte in eine Praxis rationaler Theorie ohne Wertung aufgehoben werden. Das Staunen über das Überraschende, durch die enge Interaktion von Mensch und Tier ausgelöst, erschien fortan als ein Mangel. Die Distanz zum Tier wuchs, und das zusammenhängende Bild vom Leben löste sich in ein System von Experimenten und kalkulierten Bildern auf. Im Lauf des 18. Jahrhunderts bildete sich daher eine neue Forschung am Frosch heraus. Das Interesse richtete sich weiter auf Amphibien und Reptilien, aber es waren nicht mehr dieselben Tiere. Ein Band der Encyclopédie stellt Frösche, Kröten, Schildkröten, Krokodile, Schlangen, Salamander und Echsen zusammen (1789), aber nicht mehr, um die Familie der moralisch bewerteten, bösen Tiere herzustellen, sondern unter dem Titel Erpétologie leitet nun die Zoologie die Auswahl und Beschreibung.43 Die Zusammenstellung von Reptilien und Amphibien unter dem Sammelnamen Herpetologie geht auf das griechische Wort für kriechende Tiere zurück und ist eine, wie wir heute denken, willkürlich Gruppierung. Aber sie unterscheidet sich prinzipiell von den theologischen, moralischen und ästhetischen Bewertungen. Die Auswahl im Band der Encyclopédie ist, gemessen am Kenntnisstand der Zeit, eng und schließt mehr Arten aus als ein. In der Auswahl und Gruppierung sowie in der generellen Bewertung herrscht eine spürbare Unsicherheit, und das magische Tierbild ist noch immer nicht überwunden. Dennoch: Die Absicht einer nicht-wertenden und objektiven Behandlung dominiert, und die Abschnitte über Blut, Körperform, Muskulatur, Zunge, Augen, Gehör, Sexualorgane und Lebensweise bemühen sich um reine Deskription.
Zwischen Beobachtung und Theorie Nach seinem Aufstieg zum beliebten Labortier wurde der Frosch im 19. Jahrhundert zu Abertausenden der Wissenschaft geopfert. Alexander von
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Humboldt sprach von einem »Blutbad«, das die Forschung unter den Fröschen angerichtet habe.44 Was wollten die Forscher vom Frosch? Die
Abbildung 22: Abbé Bonnaterre, Encyclopédie Méthodique, Bd. 4, Erpétologie, Paris (Panckoucke) 1789, Plate III
medizinische Begründung für Froschexperimente war, dass »die besten Landkarten für die Wege zum menschlichen Körper in anderen Tieren liegen […]. Reptilien sind eine große Hilfe, wenn es um den Aufbau des Gehirns geht.«45 Diese neuere Formulierung fasst die verbreitete Begrün-
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dung in den Wissenschaften seit dem späten 18. Jahrhundert zusammen: Der neurologische Apparat der primitiven Tiere sei dem des Menschen ähnlich, aber einfacher und daher leichter zu untersuchen. Diese plausibel klingende Begründung ist kaum die halbe Wahrheit und übersieht, dass bei der Objektwahl auch der Naturwissenschaften nicht-wissenschaftliche Motive wirksam sind. Sie verdeckt Kontinuität, die in die frühe Neuzeit zurückreicht und verbirgt den kulturellen und psychischen Ursprung der Experimente am Frosch.46 Wissenschaftliche Methodik ersetzte die Neugier, und der Frosch der Wissenschaft entstand. Der Anthropomorphismus wurde theoretisch unhaltbar, und die Wahrnehmung der Experimentatoren kannte emotionale Reaktionen nicht mehr. Die Elemente, die für den beobachtenden Naturforscher den lebendigen Froschkörper ausmachten, Bewegung und das Konkrete, die taktile und optische Eigenart der Haut, oder wechselnde Farben, verschwanden aus dem wissenswerten Wissen. Die Fähigkeit der Frösche, Gesten zu formen oder die Eigenschaft toter Frösche, zu stinken, wurden bedeutungslos. Seine Muskeln hatten nun keinen Geruch und keine Farbe mehr. Ebenso verschwanden der Krötenbuckel oder die Blässe der Fröschin. Riechen, Schmecken und Fühlen waren im wissenschaftlichen Tierbild nichts als subjektive Eindrücke täuschbarer Sinne. John Locke hatte die Unterscheidung zwischen den eigentlichen Eigenschaften der Dinge, die ihnen selbst zukommen – ihre Größe, Form, Zusammensetzung, Bewegung usw. – und ihren sekundären Eigenschaften wie Geruch, Geschmack, Farbe, die ihnen durch den Beobachter zugeschrieben werden, eingeführt; diese Unterscheidung wurde nun zum Grundsatz wissenschaftlicher Forschung. Messbare Eigenschaften bildeten die Wirklichkeit im Wissenschaftsbild vom Frosch, die von der Welt der Sinne unüberbrückbar getrennt wurde. An die Stelle von Beobachtungen, die in vielen Hinsichten die Vorurteile des magischen Bilds bestätigten, trat nun abstrakte Theoriebildung, die in der Reduktion des Froschs auf ein Objekt ohne Leben endete. Das war eine Frage der Einstellung und bald auch der Apparate und Experimentierräume. Als seine Gebärden nicht mehr wahrgenommen wurden, wurde der Frosch zum unbewegten und empfindungslosen Labortier. Diese Verdrängung ging Hand in Hand mit dem Entstehen eines Bilds vom Frosch, das die Bedeutungslosigkeit des Lebens für die experimentierende Wissenschaft signalisierte. Die Protokolle der Experimente im 18. Jahrhundert lassen noch nicht die Immunisierung der Wahrnehmung erkennen. Sie kündigt sich an. Das reine Labortier entstand allmählich. Symptoma-
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5.D TABLE AU ENCYCLOPÉDIQUE E T MÉ THODIQUE DES TROIS RÈGNES DE L A NATURE : E INLEITUNG Unter allen Tieren, die die Natur über die Erde verbreitet und die sich über die weiten Flächen des Weltgebäudes verteilen, um die Leere zu beleben und Bewegung zu schaffen, tragen die Reptilien am wenigsten zu diesem Geschenk bei. Sie zeigen die Spuren eines umfassenden Mangels und einer absoluten Ungnade. Ihre Körper sind nichts als Formlosigkeit, schwer und plump; ihre Sinne sind stumpf, ihre Instinkte sind auf die gröbsten Empfindungen beschränkt, und ihre Natur bringt sie dazu, ihre Lebensgründe an den fernen Enden der Erde und des Wassers zu suchen, in großen Sümpfen, wo alles ein Bild monströser Auswürfe von Urschlamm vor Augen führt. Keines von ihnen hat die Würde oder Heiterkeit der anderen Tiere der Erde: Sie verstehen nicht sich zu vergnügen wie die anderen Tiere, sich gemeinsam zu erfreuen, sich fröhlich in den Lüften oder auf der Erde zu tummeln; sondern sie liegen am Boden, am Rand von Teichen, in Felsenhöhlen, unter kahlen Sträuchern. Die einen genießen die Sonnenstrahlen; aber sie hausen an dunklen, feuchten Orten, wo sie sich tagsüber verbergen; und sie erscheinen nur in der Nacht, als ob sie ihre Deformation verstecken möchten und um dem Menschen aus Angst vor dem Ekel und Schrecken, den ihre Anwesenheit auslöst, nicht zu begegnen. Da aber alle Glieder in der Kette der Lebewesen unsere Aufmerksamkeit verdienen, nehmen die Augen eines vorurteilslosen Beobachters auch diese Tiere nicht ohne Interesse und Zuneigung wahr. Man sieht mit Anerkennung die Fertigkeiten, die sie aus dem hässlichen Körperbau, aus ihren Gliedmaßen und Organen gewinnen; man beobachtet mit Wohlwollen ihre Gewohnheiten und die Beziehungen, die sie mit den intelligenten Wesen aufnehmen, und die Unterschiede die sie von der rohen Materie trennen. Die folgende Studie ist reflektiert und umfassend und entwickelt vor unseren Augen alle Reichtümer der Schöpfung, und sie lässt keinen Zweifel an unserer Bewunderung für die Wunder des Lebens. Abbé Bonnaterre, Erpétologie, Paris (Panckoucke) 1789, S. vi (meine Übersetzung).
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tisch war die Zusammenfassung des Kandidaten Wilhelm Lund von über 30 Jahren Vivisektionen in einer umfangreichen, preisgekrönten Schrift Physiologische Resultate der Vivisektionen neuerer Zeit (1825), in der er einen umfassenden Überblick über die Experimente an lebenden Tieren gab, die von der methodischen Rechtfertigung der Gleichsetzung von Beobachtungen an tierischen und menschlichen Körpern ausgingen. Keine dieser Arbeiten erwähnt das Leiden der Tiere.
Serendipity. Reste des Menschen im Bild: Galvani In einem Spannungsfeld aus kultureller Objektwahl und wissenschaftlicher Theorieproduktion entwickelte sich nach 1800 ein neues Tierbild, das schließlich zum Wissenschaftsbild vom Frosch führte. Während die Lebenswissenschaften die Autorität beanspruchten, zu bestimmen, was Leben sei, verschwand es zugleich aus den wissenschaftlich definierten Kontexten ihrer Analysen. Als Symptom der Wende lassen sich Galvanis Experimente am Froschschenkel (1791) verstehen. Dies Tier lieferte einen wesentlichen Beitrag zur Forschung in Medizin und der entstehenden Biologie, indem ihm die Verwandtschaft mit dem Menschen abgesprochen, zugleich aber unterschwellig zugesprochen wurde. In dem Maß, wie ihm die Verwandtschaft mit dem Menschen abgesprochen wurde, verlor sich das Bild vom Leben in einem System kontrollierter Experimente. Im 18. Jahrhundert begann die Physikalisierung der Physiologie, die, blicken wir auf das 19. Jahrhundert, wie eine logische Konsequenz der einmal eingeschlagenen Entwicklung erscheint. Sie war aber nicht selbstverständlich. Zufälle spielten eine gewichtige Rolle. Galvani hatte Bewegungen von Froschschenkeln zufällig entdeckt, als ein Student ein Messer »von ungefähr dem inneren Schenkelnerven« eines zerschnittenen Frosches auf dem Tisch näherte (6.11.1780). Wenn die Entdeckung am Froschbein auch dem Zufall zu verdanken war, so war es kein Zufall, dass der Frosch zum Experimentiertier wurde. Es ist vermutet worden, dass die Froschschenkel auf dem Tisch lagen, weil für die kranke Frau Galvani eine kräftige Froschbrühe gekocht werden sollte. 47 Das ist eine bloße Anekdote. Sie ist dennoch aufschlussreich für die Übergangsphase der Forschung. Vor der Trennung von Alltagsleben und Wissenschaft wurde das Forschen auch durch Zufälle einer Lebenswelt angestoßen, in der Tiere in selbstverständlicher Nähe zum Menschen lebten und starben. Der Kochtopf stand neben dem Seziertisch. Bevor die beiden Räume systematisch getrennt wurden, sorgte die räumliche Nähe für eine Verbindung
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der beiden Sphären, und der Frosch konnte aus der Küche ins Experiment springen. Galvani notierte, er sei, als er auf eine Bewegung von Froschschenkeln aufmerksam gemacht wurde, »verwundert über diese neue Erscheinung« gewesen und habe, obwohl er »etwas gänzlich anderes vor hatte und in Gedanken versunken war«, seine Aufmerksamkeit auf das Unerwartete gerichtet, »von einem unglaublichen Eifer und Begehren entflammt, […] das, was darunter verborgen wäre, ans Licht zu ziehen«. 48 Galvanis Einstellung erhält das ungerichtete Staunen der Vergangenheit, und zugleich trifft der von Horace Walpole geprägte Begriff »serendipity« uneingeschränkt zu. 49 Er fand, wonach er nicht gesucht hatte. Aber er war durch langjährige Arbeit mit Fröschen als Anatom auf das Finden vorbereitet. Galvanis Genie bestand darin, die Nebensächlichkeit, auf die ein Student ihn aufmerksam gemacht hatte, nicht zu übergehen, sondern sich von ihr zu einem zehn Jahre andauernden Forschungsprojekt anregen zu lassen.
Abbildung 23: Aloysius Galvani, De viribus electicitatis commentarius cum Joannis Aldine dissertatio et notis, (Mutinae) 1792 (mit drei Falttafeln)
Es ist erstaunlich, dass das Ende der Säftelehre und ihre Ersetzung durch ein Modell, das mit Elektrizität arbeitet, den Frosch zum Modelltier machte. Das Tier scheint für den Übergang von der Humoraltheorie – der Lehre
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von der Mischung der Säfte des Körpers, der Eukrasie – zu einer Neurotheorie denkbar ungeeignet zu sein. Feuchtigkeit, Schleim, Säfte, Wasser waren mit keinem anderen Tier so eng verbunden wie mit dem Frosch. Es war aber nicht mehr dieser Frosch der Feuchtgebiete, den die Wissenschaftler am Ende des Jahrhunderts in die Labors brachten, sondern eine entkörperlichte Konstruktion. Die Epoche der Elektrizität setzte ein, so ist überspitzt formuliert worden, »als in der Wohnung des Anatomen Luigi Galvani zu Bologna die Schenkel eines getöteten Frosches unter gewissen Umständen wieder Lebenszeichen gaben«.50 Diese Lebenszeichen wurden nicht im Sinn der Anatomie oder der klassischen Theorie der vis vitalis gedeutet, sondern, da es ein erstes Wissen über das unsichtbare Phänomen der Elektrizität bereits gab, von dem Galvani rudimentäre Kenntnisse hatte, als Teil der Elektrophysik des Körpers. Die Epoche der Elektrizität erforderte die absolute Gefühllosigkeit im Verhältnis zum Tier. Sie brauchte Zeit, und in der Anfangsphase der Experimente mit tierischer Elektrizität erhielt sich Subjektivität, die erst allmählich einem rein physikalisch-mechanischen Denken unterstellt wurde.51 So brauchte Galvani, nachdem er sich entschieden hatte, nach einer wissenschaftlichen Erklärung für die zufällig gemachte Beobachtung zu suchen, zehn Jahre, um den Frosch nicht als einen feuchten Organismus, sondern als ein empfindungsloses Elektrotop zu verstehen.52 Die Vakuumexperimente stellten philosophische und theologische Systeme vom Leben in Frage und weckten Erinnerungen an die Phiolen, in denen die Alchemisten Frösche behandelten. Galvani machte den Frosch zu einem Objekt im System wissenschaftlicher Theoriebildung. Als Ergebnis seiner Experimente dachte er sich den Körper des Frosches als eine Leidener Flasche: Die Nerven entsprechen deren innerem Belag, die Muskeln dem äußeren Belag und die Häute, die die Nerven umgeben, wirkten wie das Glas der Flasche. Das elektrische Fluidum der Flasche entstehe im Froschkörper, dachte er, durch das Nervensystem. Volta war skeptisch und widersprach Galvanis Erklärung der »tierischen Elektrizität« drei Jahre später. Er umwickelte Froschschenkel mit Streifen aus verschiedenen Metallen, Stanniol, Silber, Zinn. Der Frosch zuckte zusammen, sobald sie mit Drähten verbunden wurden. Um seine These vom Ursprung des Stroms in Metallen zu stützen, variierte er nicht nur die Versuchsanordnung am Frosch, sondern weitete sie auf sich selbst aus. Er umwickelte seine Zunge mit Stanniol und legte eine Silbermünze dahinter. Wenn er die beiden Metalle in Berührung brachte, spürte er einen sauren Geschmack. Vertauschte er die Metalle, änderte sich der Ge-
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schmack und wurde alkalisch.53 Volta hatte lange Zeit die Wissenschaft auf seiner Seite, da er das Entstehen der Elektrizität physikalisch – durch den Kontakt von Metallen – erklärte und dadurch moderner wirkte als Galvani, der noch immer von einem lebenden Organismus ausging und in Muskeln und Nerven die Quelle der tierischen Elektrizität annahm. Es brauchte verfeinerte Messmethoden, um Galvanis Theorie zu belegen. Aber auch damit kam der Frosch als Tier nicht zurück, und die für das 18. Jahrhundert zunächst noch immer gültige emotionale Beziehung von Mensch und Tier war für das Labor endgültig überwunden. Bose hatte den Vakuumzylinder benutzt, um am Frosch eine philosophische Frage über das Wesen des Lebens zu erproben. Galvanis Ausgangspunkt war ähnlich, aber sein Verfahren und Ergebnis unterschieden sich gründlich. Die beiden Apparate entsprachen dem letzten Fortschritt in der Physik ihrer Zeit, aber während die Vakuumexperimente Erinnerungen an die Phiolen, in denen die Alchemisten Frösche in ihren Labors behandelten, weckten, entsprach der Frosch als Leidener Flasche einem anderen, abstrakten Bild vom Organismus. Das Interesse richtete sich auch im späten 18. Jahrhundert weiter auf den Frosch, aber es war nicht mehr dasselbe Tier. Die Ideale von Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit erfassten das Froschbild. Es baute sich nach Prinzipien auf, die in dem Maß, wie sie Beobachtung und Phantasie abwerteten, eine Abstumpfung der Gefühle erforderten. An keinem anderen Tier hätte sich ein solcher Bruch der Deutungen, der Theorien des Lebens und der Methoden zum Verständnis der Natur, der Bruch zwischen einem emotionalen Verhältnis zum Tier und der gefühllosen Abstraktionen so verbildlichen können wie am Frosch.
E xperiment und Hand Um sich ein Bild von der Übergangssituation dieser Experimente zu machen, lohnt es sich, einen Augenblick bei der konkreten Experimentalsituation zu verweilen. Galvani berührt bald den einen, bald den anderen Schenkelnerven und beobachtet »heftige Convulsionen«, die seinen Wunsch wecken, »das Verborgene zu erforschen«. Er bittet Herrn Rialpus, einen »sehr gelehrten Spanier«, mit ihm ein Experiment am Frosch durchzuführen. Er berührt »mit der einen Hand das Thier, mit der anderen aber die Hand des Rialpi, um gewissermaßen eine Kette zu bilden«. Herr Rialpus berührt mit der freien Hand eine silberne Schale. »Nicht ohne Verwunderung sahen wir die gewöhnlichen Zusammenziehungen, die sogleich wieder verschwanden, […] so wir die Hände ausliessen.«55 Dann
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legen Galvani und sein Freund ein nichtleitendes Material, etwa Siegellack, in die Hände, und die Bewegung bleibt aus. (Der Hinweis auf die »gewöhnlichen Zusammenziehungen« verweist auf jahrelange vorangegangene Experimente.) Mit einem Freund legte Galvani Anfang September 1786 präparierte Frösche »gegen Abend waagrecht auf das Geländer. Der Haken berührte das Eisen des Geländers. Siehe da, im Frosch eigene, verschiedenartige, nicht seltene Bewegungen! Wenn das Häkchen mit dem Finger gegen die eiserne Fläche gedrückt wurde, wurden die Frösche bewegt und zwar so oft wie oft ein derartiger Druck ausgeübt wurde.«56
Abbildung 24: Galvani befestigt für ein Experiment Froschschenkel mit Messinghaken am Eisengitter des Balkons seiner Wohnung. Zeitgenössischer Kupferstich (anonym)
In den folgenden Jahren wandelt Galvani das Experiment auf vielfältige Weise immer wieder ab, setzt verschiedene Metalle und andere Verbindungsstücke, leitende und nichtleitende wie Glas ein. Die schönsten Erfol-
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ge hat er, wenn er einen Draht durch das Rückenmark des Präparats steckt. »Je länger der Draht, umso weiter konnte man sich mit den Froschschenkeln von der Maschine entfernen. Wurde der Draht mittels isolierender Fäden an der Zimmerdecke aufgehängt und durch eine Türöffnung in das benachbarte oder übernächste Zimmer geleitet, so zappelten die Froschbeine eben dort.«57 In bestimmten Stellungen, mit einem Draht durch das Rückenmark und den Beinen nach unten, hüpft der Frosch über den Boden. Experimente in geschlossenen Räumen wiederholt er unter freiem Himmel, zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten. Der Augenblick und das Milieu, wenige Jahrzehnte zuvor für Gleditschs Experimente entscheidend, werden bedeutungslos. Unter allen Umständen sind die Ergebnisse gleich. Ein Detail ist bemerkenswert: Die Illustrationen in De viribus electricitatis zeigen Hände, die stromleitende Drähte biegen und anlegen, auch eine Hand vor einer Tafel mit Froschbeinen. Der Mensch ist noch nicht aus dem Experiment und seinen Bildern verschwunden. Er bleibt als Urheber und Täter erhalten und wird im Bild durch die Hand repräsentiert. Die Hand ist der Köperteil, mit dem der Geist in das Experiment eingreift. Man kann im Rückblick auf die frühen Froschexperimente mit der hirnphysiologischen Forschung der Gegenwart von einer taktilen Intelligenz sprechen.58 Aus der Berührung durch die Hand entstand ein Froschbild, das sich vom visuellen Bild des folgenden Jahrhunderts unterschied. Die Hand verschwand bald und mit ihr die körperliche Beteiligung am Experiment, die zur Zusammenarbeit mit Herrn Rialpus geführt hatte. Ein gelehrter Freund war für die Experimente nicht mehr gefragt. Im wissenschaftlichen Experiment gibt es keine Berührung mehr. Der Laborfrosch wird nicht in der Hand gehalten und nicht mehr festgebunden, sondern mechanisch fixiert und nur mit dem Skalpell und anderen Instrumenten berührt.59 Der Frosch der Instrumente ist ein anderer als der mit der Hand berührte Frosch. Die Entwicklung des Wissenschaftsbilds vom Frosch ist nicht zuletzt auch eine Folge der Berührungslosigkeit. Die mittelalterliche Angst vor dem Verlust der Herrschaft durch die Berührung des Dämonischen wiederholt sich als Kontaktvermeidung mit dem Tier. Die Vermeidung der Finger im Experiment wirkte wie ein Tabu früher Zeiten in der Gestalt eines wissenschaftlich begründeten Gebots zur Dominanz rationaler Konstruktionen. Der Frosch passt in die Hand. Sobald Apparate und Instrumente die Hand ersetzten, verschwand das Leben aus dem Tier. Den Unterschied hatte bereits die Psychologie des 19. Jahrhunderts vermutet. Freud spricht von der »Berührungsangst, délire de toucher«.60 Diese Angst fordere die Herrschaft des Blicks und der Abstraktion über
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den Tastsinn, und sie funktioniere, wenn sie eine »Gleichgültigkeit gegenüber der äusseren Umgebung hervorruft«.61 Die Berührung steht auf einer niederen Ebene, verglichen mit dem Blick und der theoretischen Analyse, die Distanz ermöglicht und erfordert. Das leibliche Wissen der »motorischen Intelligenz« wird aus dem Experiment ausgeschaltet. Die Vermutung eines Unterschieds wird durch die jüngste Neurobiologie gestützt. Die Entdeckung der Spiegelneurone liefert empirische Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der neuronalen Struktur der taktilen Wahrnehmung und der Qualität und Bewertung des wahrgenommenen Bilds.62 In dem Maß, wie sich im Tastsinn ein Widerstand gegen die Herrschaft der Abstraktion verbirgt, musste er tabuisiert werden, und aus dem Wissenschaftsbild vom Labortier wurde die Erinnerung an den berührten Frosch entfernt. Das abstrakte Bild setzte sich an die Stelle des Tiers, und eine systemimmanente Dynamik trat an die Stelle der Berührung. Wenn eine motorische Intelligenz neben dem Kognitiven wirkt, führte das moderne Labor, seine Instrumente, Apparate und Techniken der Distanzierung, zu einer Veränderung des Froschbilds. Als die Hand aus dem Wissenschaftsbild getilgt wurde, verschwanden auch die menschlichen Eigenschaften, die ältere Illustrationen den Fröschen oft gaben, etwa der Buckel oder die Froschhand mit Fingern, die an das Aussehen einer Menschenhand erinnerten. Während der Geist der modernen Wissenschaft in die Froschexperimente einzog, blieb jedoch das magische Froschbild verdeckt erhalten.63 Auch in der Zeit des Elektrotops blieb der Frosch das Tier als Mensch im Sinn einer Magie des Körpers. Darauf werde ich zurückkommen
Tierische Elektrizität – Alexander von Humboldt An der Schwelle zum wissenschaftlichen Experiment standen die Versuche, in denen Alexander von Humboldt die Besonderheit der Froschgattung noch immer darin sah, dass sich »bei elektrischen Schlägen die Hautfarbe (aus braungrün in die blaue, meergrüne und gelbe)« verwandelt.63 Aber die Experimente der Zeit markierten den Beginn des Laborfroschs. Sein elektrischer Widerstand ließ sich messen und notieren. Der Froschschenkel war das Experimentierobjekt, an dem der schwache Strom der tierischen Elektrizität leicht untersucht werden konnte wie an keinem anderen Tier, und so wurde er in den ersten seriellen Experimenten massenhaft verbraucht. Nachdem Galvani seine Versuche an Froschschenkeln veröffentlicht und mit Bildern illustriert hatte, wurde die »thierische Electrizität« zum Lieblingsthema der Zeit und in unendlich vielen Experimenten immer
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wieder demonstriert. Der »Froschstrom«, wie die tierische Elektrizität genannt wurde, schlug Wissenschaftler und Amateure ein halbes Jahrhundert lang in Bann. Experimente mit dem Galvanischen Apparat wurden zur Leidenschaft der Zeit. Kein Tier ist dem Glauben an die neue Religion Wissenschaft so ausgesetzt worden wie der Frosch. Humboldt berichtet, dass er 1792 in Wien den Elektrisierapparat kennenlernte, mit dem Galvani experimentiert hatte und der ihn, wie viele seiner Zeitgenossen, faszinierte. Seither trat er keine Reise ohne seinen Elektrisierapparat an: »ein paar Metallstäbe, Pinzetten, Glastafeln und anatomische Messer«, und führte ihn »selbst zu Pferde« stets mit sich.64 So konnte er auch auf Reisen an allen denkbaren Orten seine Experimente ausführen. Sobald seine Koffer im Hotelzimmer untergebracht waren, ging er auf die nächste Wiese und versorgte sich mit einigen Fröschen, um sie auf dem Zimmer an den Elektrisierapparat anzuschließen und mit ihnen zu experimentieren. »Die Worte: Metallreiz, (irritamentum metallorum) Wirkung der thierischen Elektrizität drücken die Erscheinungen aus, welche Aloysius Galvani an der, im Muskel inferirten Nervenfaser entdeckte.«70 Zahlreiche Wissenschaftler, nachdem sie von Galvanis Experimenten gehört hatten, führten Serien von vielen Tausend Experimenten durch, Humboldt allein schätzungsweise viertausend, zu denen ihm verschiedene Tiere dienten, vor allem aber Frösche. Frühere Berichte sprachen vom Verrotten der Froschmuskeln nach einigen Stunden und dem entstehenden Gestank des faulenden Fleisches. Die Frage lautete nun: Wie viel Zeit braucht ein spezifischer Muskel oder Nervenstrang, bis er seine Leitfähigkeit einbüßt. Um diese Reaktion zu erforschen, beobachtete Alexander von Humboldt Galvanische Ketten: »Gekochter Schinken oder gebratenes Rindfleisch leitet, wenn es auch noch so trocken ist, fünf Tage lang, während das saftige Blatt des Mesembryanthemum dolabriforme wenige Stunden, nachdem es vom Stamme getrennt ist, bereits ein isolierendes Glied der Galvanischen Kette wird.«71 In solchen Ketten waren Froschteile bevorzugte Glieder. Humboldt war ein Anhänger der Lebenskraft-Theorie. Erregbarkeit sei nur in der Tier- und Pflanzenwelt zu finden, »ein ausschließlicher Vorzug der organischen Natur. Die Galvanische Reizung wirkt daher auch nur auf diese bemerkbar, nur auf die mit der sensiblen Fiber versehene Materie. Sie setzt Reaktion der lebendigen Thierkraft voraus, und gehört zu dem, was Herr Hufeland, in seiner vortrefflichen Pathogenie vitale Action nennt.«72 Um die »Gesetze des Galvanismus« zu erforschen, arrangierte er jahrelang Galvanische Ketten, in denen Muskelgewebe und Nervenstränge vom Froschbein und andere Elektrizitätsleiter eingesetzt wurden, um die Theo-
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rie der vitalen Action zu demonstrieren, während im Lager Voltas die Frösche ihr Leben ließen, um diese Theorie zu widerlegen. Humboldt machte eine Bemerkung über das »Unglück« der Frösche: »Das Blutbad, das Haller, Rösel, Spalanzani, und 30 Jahre früher der Abt Nollet […] unter ihnen anrichteten, […] war nur ein schwacher Vorbote von dem, was am Ende des achtzehnten Jahrhunderts in allen Theilen Europas, ja im nördlichen America, sie erwartete.«73 Sein Briefpartner, Emil Du Bois-Reymond, gehörte in die junge Generation von experimentierenden Wissenschaftlern und hatte keinen Sinn für Humboldts Klage. Er sprach mit Befriedigung von der Popularisierung der Forschung über tierische Elektrizität durch den Frosch. »Jedermann«, schrieb er nach dem Abklingen dieser Mode, wollte sich durch Augenschein vom Phänomen der tierischen Elektrizität überzeugen, so dass, wo immer sich ein Frosch und zwei Stücke Metall auftreiben ließen, Experimente mit »verstümmelten Gliedmaßen« ausgeführt würden.
Abbildung 25: Aus einem Brief des jungen Emil Du Bois-Reymond an Alexander von Humboldt vom 12. März 1843, in dem Du Bois-Reymond die zwischen Nobili, Matteucci und ihm selbst strittige Frage der Richtung des Stroms im Froschkörper erläutert. Staatssbibliothek zu Berlin, Nachlass Alexander von Humboldt, gr.K.12, Nr. 136, Bl. 1r.
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Es gab Anleitungen für Galvanische Experimente, die sogar in populären Lexika verbreitet wurden. Das Illustrirte Konversations-Lexikon für das Volk druckte eine detaillierte Anleitung für Amateure und setzte hinzu: »Für die Wissenschaft, besonders für die Anatomie, Physiologie und Physik, haben die Frösche als ebenso bequem zu erlangende wie passend organisirte Versuchsthiere (stromprüfender Froschschenkel) eine große Wichtigkeit erlangt.«74 An den massenhaften Froschexperimenten zeigte sich, wie das System Experiment das Verhältnis der Menschen zum Tier grundlegend veränderte. Die Popularisierung der Experimente am Frosch, kann man vermuten, lässt auf eine weite Verbreitung der den wissenschaftlichen Experimenten zugrunde liegenden Haltung zum Tier schließen. Wie die Wissenschaft, so machten auch interessierte Laien den Frosch zu einem Objekt und hatten keinen Sinn mehr für das Unglück des Tiers. Er wurde zerschnitten und als ein empfindungsloses Objekt behandelt. Laborberichte enthalten zwar noch immer Beobachtungen an den ausgefallensten Versuchsanordnungen, die an die Alchemisten erinnern, aber Andeutungen, dass es sich um Fragen des Lebens handelt, tauchen in den Berichten nicht auf. Der wissenschaftliche Blick entfernt das Lebewesen aus dem Leben, so dass es als visuelles Objekt der theoretischen Analyse übergeben werden kann. Der Wechsel im Medium hat daran zweifellos einen Anteil: Im modernen Labor tritt das Auge an die Stelle von Geruch und Tastsinn und wird zum einzigen Wahrnehmungsorgan. Eine veränderte Definition von Wissen und der wissenschaftliche Blick ließen einen neuen Frosch entstehen. Er wurde zerschnitten und als ein empfindungsloses Objekt behandelt. Auch praktische Motive führten zu Versuchen am Frosch.75 Die Modewelle des eleganten Europas, therapeutischer Mesmerismus, wäre ohne die Froschexperimente nicht möglich gewesen. Er triumphierte, kann man sagen, auf einem Berg verstümmelter und geköpfter Frösche. Aber davon war in den Salons der europäischen Metropolen, in denen der Mesmerismus seine Triumphe feierte, nicht die Rede. In den publizierten Dokumenten über den Mesmerismus kommt das Versuchstier Frosch nicht vor. Es war zu unbedeutend und hässlich.
Zwischen Beobachtung und Theorie: Rösel von Rosenhof Ein aufschlussreiches Dokument für die Bedeutung von sinnlicher Wahrnehmung und ihr Ende in dieser Übergangszeit ist Rösel von Rosenhofs aufwendig illustrierte Natürliche Historie der Frösche (1758).76 Die Konzeption des Bandes zeugt von einer Schwelle, dem Übergang von der Neugier
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zu den Anfängen der wissenschaftlichen Theoriebildung mit Bildern.77 Die Froschbilder in diesem Buch am Anfang der modernen Biologie und Lebenswissenschaften räumen dem Blick des forschenden Naturliebhabers und dem des Wissenschaftlers gleichen Raum ein. Rösels Bilder und Berichte schlossen an Experimente des vergangenen Jahrhunderts an. Er sperrte zwölf Paare Grasfrösche in Gläser, beobachtete sie »Tag und Nacht« und führte Protokoll über seine Entdeckungen. Es lag ihm an der eigenen, kritischen Beobachtung, und dafür erhielt er in zeitgenössischen Kommentaren viel Lob. Die Zeit war reif für diesen Wechsel. Auf Grund seiner Beobachtungen verwies Rösel verbreitete Meinungen ins Reich der täuschenden Fabeln. Frösche entstehen nicht aus Schlamm und regnen nicht vom Himmel. Er entdeckt eine Gebärmutter im weiblichen Frosch und beobachtet, dass Frösche aus Eiern, die durch Begattung fruchtbar würden, kommen – nicht aus Verwesungsschlamm. Der Frosch sei, im Gegensatz zu herkömmlichen Auffassungen, nicht ein unvollkommenes Tier, sondern so perfekt gebaut wie andere Tiere. Er glaubt auch denen nicht, »welche uns berichten, dass es hie und da Menschen gegeben, in deren Leib sich viele Frösche und Kröten aufgehalten, welche in selbigen aus dem ungefähr mit Wasser eingeschluckten Laich, oder durch Zauberey entstanden«.78 Er will, wie der Titel sagt, Naturgeschichte schreiben. Dazu sollten die prachtvoll kolorierten Illustrationen seines Buchs beitragen, die das ästhetische, vorwissenschaftliche Bild fortsetzen. Es gab keine Entwicklung der Tierbilder, in der eine Publikation an vorhergehende anschließen würde. Vielmehr setzte jeder Tiermaler, gelegentlich auf eigenwillige Weise, aufs Neue an. Rösel, der regelmäßig Vivisektionen ausführte, schrieb noch immer in der Sprache der Beobachtung von »fleischfarbenen Nieren«, dem »weiß-grauen Canal«, dem »fettig weichen Anhänger des Darms«, den »wie Knoblauch stinkenden« Innereien der Wasserkröte mit braunen Flecken. Sein Frosch ist noch immer das Tier sinnlicher Wahrnehmung. Zugleich aber zeugen seine Bilder auch vom neuen Geist der wissenschaftlichen Abstraktion. In diesem Buch werden Frösche zweimal abgebildet, in Farbe und auf dem folgenden Blatt reduziert auf die Konturen einer Graphik in schwarz-weiß, abstrahiert, zerlegt und mit Zahlen versehen, die auf eine anatomische Legende verweisen. Auch die Körper der farbig abgebildeten Frösche sind aufgeschnitten, so dass der Blick keinen Zauber an ihnen entdecken und keine Empathie sich einstellen kann. Hier beginnt eine Veränderung in der Wahrnehmung vom Frosch, die für das kommende Wissenschaftsbild repräsentativ ist.
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Der Frosch verliert das Geheimnisvolle und Besondere und wird zum Objekt. In der Doppelung der Froschbilder verbarg sich der Versuch, eine Gleichzeitigkeit zu schaffen. Bilder der Natur stehen neben Bildern der Theorie, scheinbar wie eine Ergänzung. Diese Kombination erweckt den Eindruck, das beginnende Denken in den Kategorien der modernen Wissenschaft sei mit dem traditionellen farbigen Bild vereinbar. Rösels Bildkombinationen lassen sich als Versuch verstehen, eine neue Schule des Sehens zu begründen, ohne das alte aufzugeben, die Ästhetik des farbigen Bilds mit dem farblosen Wissenschaftsbild zu versöhnen. Das war eine Illusion. Die Spannung zwischen beiden war nicht aufzulösen.
Abbildung 26-27: August Johann Rösel von Rosenhof, Historia naturalis Ranarum nostratium / Die natürliche Historie der Frösche hiesigen Landes. Historia naturalis ranarum nostratium in qua omnes earum proprietates, praesertim quae ad generationem ipsarum pertinent, fusius enarrantur. Nürnberg (Johann Joseph Fleischmann) 1758
Sollte Rösels Buch der Versuch gewesen sein, sich am Entstehen des wissenschaftlichen Tierbilds zu beteiligen, ohne das Bild vom lebendigen Tier aufzugeben, so hat er keine Nachfolger gefunden.79 Das beseelte Tier in einem korrespondierenden Milieu wurde zum Ende des 18. Jahrhunderts aus dem wissenschaftlich definierten Bild ausgeschlossen. Das Wissenschaftsbild nahm auf die sinnliche Wahrnehmung keine Rücksicht, son-
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dern merzte sie zu Gunsten theoretischer Konstruktionen aus.80 Die Spannung zwischen den beiden Sichtweisen wird erst aus der heutigen Sicht, verstärkt durch die Extreme des nicht-repräsentierenden Wissenschaftsbildes der Gegenwart, in vollem Umfang deutlich. Bereits im wissenschaftlichen Froschbild nach 1800 entstanden jedoch wesentliche Elemente des modernen berechneten Wissenschaftsbildes. Es gab bald keinen Zusammenhang mehr zwischen dem Frosch und dem umgebenden Raum. In Texten und Bildern wurde der Frosch zum isolierten Objekt. Räume wurden nicht mehr erwähnt oder beziehungslos abstrakt, etwa als Teile einer Institution wie die »Präparationsräume des Berlinischen Anatomiemuseums«, in denen ranae pipae seziert wurden.81 Sie wurden nun statt der Seen und Wiesen der älteren Froschbilder ihre beziehungslose Umgebung. Bewegungen, soweit die Experimentieranordnungen sie zuließen, wurden nicht mehr registriert und Intentionen am Frosch nicht mehr beobachtet; vielmehr werden Skelett, Muskeln, Organe für wert befunden, einzeln und in Isolation voneinander beschrieben und in Bildern isoliert nebeneinander gelegt zu werden. Auch Kommentare über emotionale Reaktionen auf die Zerstückelung von Körpern, wie etwa Bose oder Gleditsch sie gemacht hatten, finden sich nicht mehr. Wenn das Zerschneiden überhaupt erwähnt wird, dann in einem rein funktionalen Sinn. Der Unterschied ist besonders auffallend bei Rana pipa. Im Jahr 1776 war in deutscher Übersetzung die Abhandlung des holländischen Arztes und Naturkundlers Philip Fermin über Rana pipa, ein Frosch in Surinam, erschienen. Er hatte bereits Sibylla Merian zu einer Zeichnung und einem phantasievollen Bericht angeregt. Der war ohne Folgen geblieben. Aber am Ende des Jahrhunderts, als das Phantastische aus der Wissenschaft zu verschwinden begann, erregten Fermins phantastische Beobachtungen, vor allem über die Fortpflanzung, die Phantasie und wurden in populären Schriften kolportiert.82 Leske berichtet, dass das Männchen die Eier in die Rückenwarzen des Weibchens einreibe, wo dann die Jungen in der Haut schlüpfen.83 Blumenbach schreibt mehrfach von diesem exotischen Tierwunder, und in phantasievollen Kupfern wird dieser Frosch immer wieder mit dem Rücken voller Eier und Jungfrösche abgebildet, etwa bei Buch’oz. Der Frosch aus dem tropischen Südamerika beschäftigte für einige Jahrzehnte die Phantasie und ermöglichte es, Naturbeobachtung mit dem Bedürfnis nach Exotik und dem Wunderbaren zu verbinden. Auch auf die unscheinbaren vier einheimischen Froscharten fiel ein Glanz des Rätselhaften und Exotischen. Nach der Jahrhundertwende ging es mit diesen Phantasiebildern jedoch zu Ende. Ein Bild vom
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Frosch, in dem es für das Phantastische des Tiers keine Sprache mehr gab, setzte sich durch, und Pipa war nun nichts anderes als ein Objekt der hoch entwickelten Seziertechniken. So stellt ein Text, der im Ton der neuen Objektivität von der Sektion eines Rana pipa handelt, in einem technischen Ton bedauernd fest, dass »die Oberarmmuskeln desselben nicht getrennt fixiert werden können«, ohne dass »zumindest auch die Lungen zerfleischt« werden.84
Abbildung 28a (links): Johann Friedrich Blumenbach, Abbildungen naturhistorischer Gegenstände, Nr. 1-100, Göttingen (Heinrich Dieterich) 1810: Heft 4, Nr. 36, Rana pipa »Dieses abentheuerliche Geschöpf, das durch die beyspiellose Anomalie wie das Weibchen seine Brut ausheckt, seit dem Anfange dieses Jahrhunderts allgemein berühmt worden, hat eine überaus eingeschränkte Heimath, nemlich bloss das sumpfige heisse Guinea, besonders die Gegend um Surinam. Diejenige Pipa in meiner Sammlung, nach welcher diese Zeichnung verfasst worden, ist ungefähr noch einmal so lang und breit als die Vorstellung. Die untern drey kleinen Figuren stellen die Metamorphose der Jungen in natürlicher Grösse vor: 1. Als langgeschwänzte Kaulquappe bloss mit kleinem Ansatz der Hinterfüsse und noch ohne Spuhr der vordern. 2. Schon vierfüssig, und der Schwanz bis zu einem kleinen klappenförmigen Rest absorbiert. 3. Gänzlich ungeschwänzt.« Abbildung 28b (rechts): Pipa americana, aus Brehms Tierleben; ½ natürliche Größe. 1878, S. 207
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Sinnliche Wahrnehmungen wurden störend, und auch das Interesse an der etwas spukhaften tierischen Elektrizität im Froschschenkel verlor sich. Andere Fragen, besonders das enge Problem der Lokalisierung begannen, die wissenschaftliche Agenda zu beherrschen. Am Bedeutungsverlust des Phantastischen und des Sinnlichen im Froschbild zeigte sich ein verändertes Verständnis vom Leben generell.
Das Mit-Tier – Sulzer und die Empathie Diese Entwicklung blieb nicht ohne Opposition. Der emotionslosen Cartesianischen Abstraktion, die das Konkrete zum Verschwinden brachte und sich an die Stelle mitfühlender Beobachtung setzte, stand eine Forschung gegenüber, die an einem anderen Tierbild festhielt. Die Positionen waren verworren, und in einem ungeklärten Spannungsverhältnis aus Differenz und Verwandtschaft von Mensch und Tier entfaltete sich ein widersprüchliches Tierbild.85 In einem Jahrhundert, das die Herrschaft über Tiere forcierte, sie für menschliche Zwecke benutzte und den Tierexperimenten die Fesseln abstreifte, gab es Ausnahmen. Ein Unbehagen am Nützlichkeitsdenken der Zeit erstreckte sich auch auf das Bild vom Tier und löste es aus dem mechanischen Denken. So schreibt Albrecht von Haller, um ein prominentes Beispiel herauszugreifen, über menschliche Sensibilität und Irritabilität aufgrund von Tierversuchen (De partibus corporis humani sensilibus et irritalilibus, 1752), und in seiner Verteidigung gegen Kritik an einer Gleichsetzung von Mensch und Tier argumentiert er, dass die Empfindungsfähigkeit der Tiere der des Menschen nicht nachstehe.86 (Damit rückt er seine eigenen Experimente in ein Zwielicht.) Hallers Position war selten. Die Kritik an den Tierversuchen berief sich kaum je auf die Empfindungsfähigkeit der Tiere, sondern benutzte vorwiegend rationalistische Argumente. Auch im Zeitalter der Empfindsamkeit zeigte der öffentliche Diskurs kaum eine Spur des Wunsches, das Tier als empfindendes Wesen in die Stimmung der Zeit einzubeziehen, sondern benutzte vorwiegend theologische und moralische Argumente wie die Reinkarnation, ein Verbot, in Gottes Schöpfung einzugreifen oder ein aus dem Neuen Testament abgeleitetes Barmherzigkeitsgebot. Eine christliche Begründung einer Achtung für das Tier war verbreitet. Nach Hermann S. Reimarus und anderen, theologisch argumentierenden Gegnern des Cartesianismus erwies das Tier durch seine Existenz Gott die Ehre und durfte nicht den Interessen des Menschen unterstellt werden. Der Zedler gab den Ton an, wenn er über das Tier schrieb, es sei zum Nutzen des
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Menschen geschaffen, aber habe auch die Aufgabe, die Vollkommenheit der Schöpfung zu demonstrieren.87 Auch im Zeitalter der Empfindsamkeit zeigt der öffentliche Diskurs kaum eine Spur des Wunsches, das Tier als empfindendes Wesen in die Stimmung der Zeit einzubeziehen. Die Kritik an den Tierversuchen berief sich kaum je auf die Empfindungsfähigkeit der Tiere. Im praktischen Umgang mit Tieren ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild. In der Anlage von Experimenten und aus Kommentaren einiger Experimentatoren spricht ein Widerstand gegen distanzierte Teilnahmslosigkeit. Empathie mit dem Tier, die auf eine lange Geschichte zurückblickt, blieb erhalten und ging durch die Verwissenschaftlichung des Tierbilds nicht verloren. Mit dem lebenden Tier wurde zwar experimentiert, und Sektionen wurden mit dem Argument der Ähnlichkeit einzelner Organe von Mensch und Tier ausgeführt, aber auch eine affektive Verwandtschaft mit dem Menschen wurde in diesen frühen Sektionen bestätigt. Allerdings war der haarlose Frosch für eine Demonstration von Empathie weniger geeignet als andere Tiere, auch Schädlinge. Auf dem Höhepunkt der Aufklärung schreibt Friedrich Gabriel Sulzer, der mit Goethe in Verbindung stand, eine Studie über den Hamster (1774), die Fragen der Ethik stellt. Er demonstriert Empathie mit dem Tier gegen die zweckrationale Definition des Tiers als Schädling und bloßes Objekt menschlicher Interessen.88 Hamster hatten sich zu einer Plage für die Landwirtschaft entwickelt, und Sulzer nahm sie zum Anlass, Wissen über diese Tiere zusammenzutragen, um sie zu bekämpfen. Die Motive, die ihn bei seinen mehrjährigen Studien leiteten, waren zu Anfang fraglos. Das Nützlichkeitsdenken seiner Epoche bildete den Ausgangpunkt seiner Untersuchung, den er nie ganz aufgab. Er hatte mit einem klar definierten Auftrag begonnen: Mittel zu ersinnen, wie der Mensch der Hamsterplage Herr werden könne, und er wollte einen Beitrag zur Bewältigung der Hamsterplage leisten, indem er Empfehlungen zum effizienten Töten der Tiere entwickelte. Aber diese Absicht wurde bald durch eine andere Motivation durchkreuzt: »Ich gestehe es, diese Tiere haben mir zu viel Vergnügen bei ihren Untersuchungen gemacht […].«89 Ein Buch mit Illustrationen entstand, aus dem Empathie spricht. Sulzers Liebe zum Tier stand im Widerspruch zur zweckrationalen Absicht, mit der er seine Studie begonnen hatte. Vor die Rationalität schob sich im praktischen Umgang mit dem Tier eine spontane emotionale Regung. Sie stellte Nähe her. Die veränderte Einstellung brachte Sulzer an die Schwelle, dem Tier einen Wert um seiner selbst willen zuzugestehen.
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Auf der Grenze zwischen Wissenschaft und populärem Ratgeber ist dieses Buch symptomatisch für Gegenbewegungen, die den Kampf gegen die Gefühllosigkeit des rationalistischen Tierbilds aufnahmen und eine Verwandtschaft von Mensch und Tier postulierten. Auch das einfühlsame Verhältnis zum Tier, dem eine Vorstellung von Natur zugrunde lag, in der Mensch und Tier die Erde als Decke teilten (Sulzer), hatte Wurzeln im Denken des 17. Jahrhunderts. Es wurde zwar in den experimentierenden Wissenschaften seit dem 18. Jahrhundert zurückgedrängt, verschwand aber nie ganz aus dem kollektiven Denken über das Tier und erhielt sich in abgelegenen Nischen der Wissenschaften. Es ist kein Anachronismus, will man in diesen sympathischen Bildern eine frühe Form des Tierschutzes erkennen: die Rettung eines Stücks Natur gegen die ökonomischen Bedürfnisse zweckgesteuerter Ausbeutung. Sulzers detaillierte Beobachtungen, Beschreibungen und Bilder führen vom praktischen Zweck fort und stellen das anthropomorphe Bild des Tieres in das Gefüge einer belebten Natur: Der moderne Tierfreund entstand. Der Mensch, »der die Gewalt, die ihm über die Tiere gegeben worden, bloß zu seinem Nutzen gebraucht«, neige dazu, alle Arten, die keinen Nutzen versprechen, lieber auszurotten; anders der Mensch, dem »die Erde zur Decke« diene: »Sie ist aller Wesen Erhalterin, sowohl des Menschen, der sie bebaut, als des Hamsters, der sie durchwühlt.«85 Sulzers methodische Studie (es verdient erwähnt zu werden, dass er zwanzig Jahre alt war, als er seine Arbeit begann) stellte weniger einen schädlichen Nager als ein Naturwesen mit menschlichen Zügen dar. Besonders eignete sich dafür der Hamster im aufrechten Gang und mit einem Gesichtsausdruck, den das Buch in einem prächtig kolorierten Stich zeigt. Frösche und Hamster haben nichts miteinander zu tun, es sei denn, man betrachtet sie unter dem Gesichtspunkt einer Störung des menschlichen Lebens. Es gab in dieser Zeit zahlreiche Bücher über Schädlingsbekämpfung. Aber aus den Bildern dieses Buchs spricht eine affektive Bindung an den Gegenstand der Abbildung. Das Anthropomorphe war oft Gegenstand ablehnender Kritik, der sich auch der Herausgeber des Neudrucks von Sulzers Buch anschloss. Die Kriterien dieser negativen Bewertung wären im Licht des gegenwärtigen Tierbilds zu bedenken.
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5.4 W ISSENSCHAF TSBILDER VOM F ROSCH NACH 1800 Ein Vergleich der Froschexperimente der verschiedenen Epochen muss prinzipiell Ungleiches zusammenstellen. Denn die Konzeptionen von Natur und Tier unterschieden sich prinzipiell. Die frühen Experimente führten die Beobachtung ein und unterschieden sich vom Apriori der theologischen Definition. Dies Beobachten von Eigenschaften und Veränderungen unter sich ändernden Bedingungen, wie es Bose und Gleditsch, aber auch noch Spallanzani und Alexander von Humboldt praktizierten, war auch von der theoriegeleiteten Forschung des folgenden Jahrhunderts grundsätzlich verschieden. Die Froschexperimente des 19. Jahrhunderts waren nicht eine Weiterentwicklung, die sich durch genauere und systematische Beobachtung unterschied, sondern sie folgten einem Bruch im Bild vom Tier und vom Experiment. Es baute sich nach Prinzipien auf, die Beobachtung und Phantasie abwerteten und zu deren Ersetzung durch abstrakte Theoriebildung führten. Das Modell der Maschine wurde wirksam. Das Unvorhersehbare, das noch bei Galvani und Humboldt Staunen auslöste, erschien nun als ein Mangel, den die Wissenschaften korrigierten. Gewiss: Marcello Malpighi hatte bereits im 17. Jahrhundert zahllose Frösche seziert, ihre Lungen getrocknet und unter dem Mikroskop analysiert, unter der Froschpopulation Italiens gewütet und sie nach eigenen Angaben an den Rand des Aussterbens gebracht. Aber das geschah auf der Suche nach Antworten auf Fragen des Lebens. Nun machte die Herrschaft der abstrakten Theorie gleichgültig gegenüber dem Leben, und Klagen über das Blutbad, das die Wissenschaftler unter den Fröschen anrichteten, wie noch Humboldt sie machte, kommen nun nicht mehr vor. Es ist fruchtlos, dies Froschbild mit dem der vorausliegenden Epoche zu vergleichen. Es ist nach anderen Prinzipien angelegt. Das Neue am Tierbild war nicht, dass es die Bilder des vorangehenden Jahrhunderts an Exaktheit übertraf, sondern dass es einen prinzipiell anderen Anspruch erhob.
Das wissenschaftliche Paradigma: Der Körper als Maschine: Descartes & La Mettrie Der dominanten Theorie folgend, wurde auch der Frosch zur Maschine. Sein Köper wurde als mechanisches System enttheologisiert und entmythisiert. Descartes hatte einen Rest der Metaphysik erhalten und dem Menschen eine Seele zugestanden. Die res cogitans hat allerdings wenig Gemeinsam-
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keit mit der Aristotelischen Idee der Seele und der christlichen Metaphysik. La Mettrie zieht die letzte Konsequenz des Maschinendenkens und schafft die Seele ganz ab. In seiner Vorstellung vom Leben hat Metaphysik keinen Platz mehr. Er bezeichnet Menschen als »aufrecht kriechende Maschinen«. Alle Körper funktionieren nach dieser Theorie unter allen Umständen auf die gleiche Weise, da sie, von ihrer Umwelt (etwa der Art des Wassers) unabhängig, durch ihre unbeseelten Teile bestimmt und von funktionalen Regeln geleitet seien. Die Maschinenmetapher bereitete einen Zusammenhang, der die Unterschiede zwischen Mensch und Tier (und Pflanze) irrelevant machte. Im Bild der seelenlosen Maschine waren nun Mensch und Tier, nachdem die Philosophie sie getrennt hatte, doch wieder vereinigt. La Mettries Theorie traf zwar auf heftigen Widerstand und setzte sich im philosophischen und anthropologischen Denken nicht durch. In der Forschungspraxis entwickelte sich jedoch ein LaMettrismus, und die große Mehrheit der Experimentatoren des 19. Jahrhunderts waren in ihrer praktischen Laborarbeit LaMettristen. Das Bild von der maschinellen Natur der Körper wurde trotz La Mettries offensichtlicher Polemik und Wunsch nach Provokation in der viel gescholtenen Fassung von L’homme machine (1748) zum unerklärten Manual der experimentellen Forschung. Man könnte, denkt man an die offene Kritik an La Mettrie, von einem heimlichen Pakt der Jünger La Mettries sprechen. Im Rahmen des LaMettrismus entstand eine Experimentierkultur, die nicht mehr mit einem Tier, sondern an einer nach mechanischen Prinzipien zusammengesetzten Konstruktion arbeitete. Alle Körperfunktionen mussten, damit sie überhaupt im Experiment als real erscheinen konnten, im Voraus als Teile von physikalischen (elektrischen oder mechanischen) Abläufen definiert sein. Die Mechanisierung des lebenden Körpers war die mentale Voraussetzung dafür, dass eine neue Beziehung zwischen Mensch und Tier im Denken und Handeln entstand. In ihr wurden die Unterschiede zwischen Mensch, als Maschine verstanden, und dem seelenlosen Tier irrelevant. Die unlösbare Paradoxie bestand darin, dass der Mensch im Experiment, entgegen dem egalisierenden Maschinendenken, die Ungleichheit im Verhältnis zum Tier wieder herstellte. Die mechanistische Theorie des menschlichen Körpers entwickelte die Bedingung, um den Frosch zu zerstückeln, um im zerstückelten Frosch nach Wissen über den Menschen zu suchen. Mit den entstehenden Experimentalwissenschaften war der Abstieg des Froschs als handelnder Zauberer besiegelt, und seine zweifelhafte Karriere in einer glänzenden Wissenschaft, die ihn zum passiven Objekt machte,
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begann. Der Frosch wurde von einem Täter mit einer gefährlichen Macht, zu einem Objekt, dem Eigenschaften erst im Experiment zugeordnet wurden. Wer den Laborfrosch zerschnitt, brauchte sich weder vor dem kleinen Schock einer Berührung noch vor einer Begegnung mit einer unerwarteten Substanz zu fürchten. Die Lebenskraft, nach der noch Humboldt gesucht hatte, war als bloße Metaphysik aus diesem Tier ausgeschieden. Das Tier, dem ebenso wie dem Menschen »die Erde zur Decke« diente, verschwand. Das neue Tierbild übertrug gleichsam die Hoheit über den Frosch an die experimentellen Wissenschaften und ihre Mechanisierung. Wissenschaftsbilder zeigen keine toten Frösche, sondern Körper ohne Leben, gelegentlich mit Einzelteilen umgeben: Glieder, Organe, Gewebe, symmetrisch arrangiert. Diese Ansammlungen von isolierten, wissenschaftlich interessanten Körperteilen zeigen nicht die membra disjecta, die zu einem Körper zusammengefügt werden könnten, sondern einen unbewegten Endzustand. In der Kombination mit Zahlen oder Buchstaben, die auf eine Legende verweisen, oder mit Laborinstrumenten und Apparaten für Experimente zu einem Bild vereinigt, sehen wir nature morte. Dies Bild vom Tier blieb nicht auf den Raum der Labors beschränkt, sondern wirkte über deren Wände hinaus auf das Bild vom Leben. Aber darunter verborgen lebte, wie ich zeigen werde, unbemerkt und heimlich die Metaphysik. Der Mensch im Frosch verschwand nicht.
E xperiment und Zerstückelung – Desensibilisierung Die Physiologie wurde nicht durch das Experiment modern, sondern das Experiment brach nach 1800 mit einer langen Tradition der Experimente und wurde dadurch modern, dass es seine Prinzipien dem Modell der Maschine anpasste, und die Forschung am Frosch wurde nicht darum objektiv, weil sie einen Entwicklungsschritt getan und die Subjektivität überwunden hätte, sondern sie verleugnete die Subjektivität, weil ihre Beziehung zum Leben die Eigenarten des Maschinellen bereits vor dem neuen Entwurf des Experiments internalisiert hatte. Eine Abstumpfung der sinnlichen Wahrnehmung diente der Organisation der Forschung und zum Schutz vor der Erinnerung an den bösen und hässlichen Frosch. Die Abstumpfung ist besonders deutlich in der Abwesenheit des Geruchs und des getasteten Körpers. Von ihm sollte keine Spur bleiben. Desensibilisierung folgte dem Gebot des Maschinellen und einem Verbot der Idiosynkrasie. In der Idiosynkrasie entziehen sich der Körper und einzelne seiner Organe »wieder der Herrschaft des Subjekts
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[…]. Das Ich, das in solchen Reaktionen, wie der Erstarrung von Haut, Muskel, Glied sich erfährt, ist ihrer doch nicht ganz mächtig.«87 Die Desensibilisierungsstrategie hatte das Ziel, diese Erfahrung zu unterbinden und unkontrollierbare Reaktionen auf einen Reiz, Ton, Geruch, Anblick, auszuschließen, um das Ich zu ermächtigen.88 Das Verlernen der spontanen Reaktion des Körpers gehörte zu den Entwicklungen, die das Entstehen des entleerten, objektiven Blicks des Wissenschaftlers seit dem frühen 19. Jahrhundert möglich machten.
Abbildung 29: Emil Du Bois-Reymond, Untersuchungen über thierische Elektricität. 2 Bd. Berlin: Reimer 1848/49, Bd. 2 Tafel IV
Die Vermeidung von Empathie benutzt zwei aufeinander bezogene Strategien. Das Labor schafft den bedeutungsleeren Raum, und lässt die Erinnerung an eine Verwandtschaft von Mensch und Tier vergessen; und der theoretische Blick des autonomen Ichs unterbindet das Aufkommen von Emotion. Das Ich des Experimentators baut sich mit dem System Labor einen Schutz gegen das empathische Mitgehen mit dem Tier auf. Der Verzicht auf Berührung in den modernen Seziertechniken ermöglicht die abstrakte Idee, die den Widerstand des Objekts vermeidet und Gleichgültigkeit schafft. Jeder Kontakt wäre eine Gefährdung des Ichs. Zugleich entwickeln die Laborprotokolle ein Genre, dessen Sprache das Narrative zu Gunsten von Daten, Statistiken, Graphiken und Zustandsbeschreibungen unterdrückt. Hatten Bose, Gleditsch und andere Experimentatoren der beiden vorausliegenden Jahrhunderte vom Schicksal ihrer Experimentaltiere erzählt, so sind solche Empathie auslösenden Texte nun als unwissenschaftlich verpönt. Sprachliche Formen einer möglichen Erinnerung an
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5.E A.W. V OLKMANN , B EITR AG ZUR NÄHEREN K ENNTNIS DER MOTORISCHEN N ERVENWIRKUNGEN Das Charakteristische der Reflexbewegungen besteht darin, dass sie von einem Centralorgane ausgelöst werden, welches, um die Auslösung bewerkstelligen zu können, schon vorher erregt sein musste. Hierüber ist man einverstanden, aber zweifelhaft blieb in allen Fällen, ob eine gewisse Bewegung zur Klasse der reflektorischen gehöre oder nicht. Nach welchen Principien beurtheilen wir also, ob gewisse Bewegungen direkte oder reflektorische sind? Ich will hier eine Reihe von Experimenten mittheilen, welche zur Aufklärung des Gegenstandes geeignet sein dürften. Ex p er i ment 1. Wenn ich die Hüftnerven eines Frosches, dem Hirn und Rückenmark zerstört worden waren, in den elektrischen Strom brachte, so streckten sich die Schenkel, wurden steif und hart und verblieben in diesem Zustande genau so lange, als der Strom auf den Nerven einwirkte. Wurde die Umdrehung des Rades unterbrochen, oder der eine der beiden Drähte ausser Verbindung mit dem Thiere gebracht, so hörte die Contraction der Muskeln augenblicklich auf. Derselbe Versuch wurde an andern Thieren und an andern Nerven der willkürlichen Bewegung, namentlich auch an den Zwerchfellnerven, mit stets gleichem Erfolge angestellt. Nur wenn man den elektrischen Reiz übermässig lange wirken lässt, erschlaffen endlich die Muskeln, noch während er fortdauert, eine Folge der Erschöpfung, welche nicht befremden kann. Ein stetiger Reiz auf motorische Nerven erregt also in willkürlich beweglichen Muskeln anhaltenden Krampf, d oc h da ue r t de r Kr ampf nie länger als der Reiz, welcher ihn auslös t. Ex p er i ment 4. Wenn die Schwimmhaut eines enthaupteten Frosches anhaltend dem elektrischen Strome ausgesetzt wurde, so entstanden zunächst fortwährende Reflexbewegungen, mit dem Charakter der Zweckmässigkeit, nach einiger Zeit aber allgemeiner Starrkrampf. Letzterer trat um so früher ein, je heftiger die Wirkung des elektrischen Stromes war. Gewöhnlich verschwand dieser Starrkrampf augenblicklich, wenn der Versuch unterbrochen wurde, bisweilen aber dauerte er auch nach Beseitigung des Reizes fort, und das Thier blieb wohl 5 Minuten lang eben so steif, als Frösche, welche nach Strychninvergiftung in Tetanus verfallen. Ex p er i ment 5. Wenn man die Pole der Leitungsdrähte mit dem Rückenmarke des enthaupteten Frosches in Verbindung bringt oder auch nur auf die Wirbelsäule aufsetzt, und dann die Maschine in Gang bringt, so entsteht mit der ersten Umdrehung des Rades Starrkrampf und dieser überdauert den Reiz viel leichter, als in den Fällen, wo die Schwimmhaut elektrisirt wird.
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den Frosch in der Hand werden in diesen Protokolltexten und wissenschaftlichen Analysen gelöscht. Das Mitgehen mit dem Tier, etwa Aussagen über den Freiheitsdrang eines für das Experiment gefesselten Tiers, fällt dem Ideal der Faktizität zum Opfer. Abstrakte Sprache baut ein Hemmnis für die Berührung auf, und das starke Ich des Experimentators, ausgerüstet mit der unumschränkten Macht des Labors, stellt sich dem Tier unverbunden gegenüber und übt eine absolute Herrschaft über das Objekt. Wenn man von einer Schranke zwischen Auge und Hand sprechen kann, so erhöht das Laborexperiment diese Schranke und entfernt das Wissenschaftsbild von emotionalen Qualitäten. War der Frosch in der Hand mit Angst oder Ekel oder mit Staunen und Bewunderung besetzt, so spricht aus dem Frosch, der sich in wissenschaftlichen Froschbildern zeigt, die »schiere Angst vor Berührung« mit einem Körper,89 der die Reinheit der Theorie und des wissenschaftlichen Verhältnisses zum Objekt kontaminieren könnte. Berührungsvermeidung ist der Schlüssel zum Verständnis einer Macht, die im Labor über das zur Passivität verurteilte Tier ausgeübt wird. Sie entleibt das Tier und setzt das leblose Wissenschaftsbild an seine Stelle. So stand dem Ziel, den Frosch so lange wie möglich am Leben zu halten, nachdem der Körper geöffnet, Glieder abgetrennt und Wunden mit Chemikalien gereizt worden waren, keine Hemmung im Weg.
Eine Lebenswissenschaft ohne einen Begriff vom Leben In der Aufbruchsphase der neuen Wissenschaften um 1800 waren die Erwartungen hoch gesteckt, und Schelling sprach für viele, als er hoffnungsfroh schrieb, dass die Experimente der Naturwissenschaften ermöglichen würden, »in die innere Construction der Natur zu blicken«.90 Mit dieser Interpretation des Erkenntnisinteresses der entstehenden Wissenschaften irrte er sich gründlich. Dies Missverständnis ist das kleine Symptom eines Versäumnisses von großen Ausmaßen. Es ging den experimentellen Wissenschaften um etwas anderes als um einen philosophisch geleiteten Blick auf die Konstruktion der Natur. Die Froschexperimente des kommenden Jahrhunderts machten deutlich, auf welche Weise die Lebenswissenschaften unter dem Primat einer mechanischen Konstruktion standen. Das wissenschaftliche Denken und Experimentieren nahm den Frosch aus der Hand, um ihn als reines Bild ohne die Erfahrung des in der Berührung liegenden Widerstands zu konstruieren. Messbare Bewegungen ohne Ortsveränderung traten an die Stelle von Leben.
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Ex p er i ment 6. Ein decapitirter Frosch wurde durch Elektrisiren des Rückenmarks in den heftigsten Tetanus versetzt. Er war so steif, dass man ihn in horizontaler Lage gestreckt halten konnte, ohne dass die Gelenke sich bogen. Jetzt wurde der Plexus ischiadicus der einen Seite durchschnitten, die Muskeln des entsprechenden Schenkels wurden augenblicklich schlaff, während die der anderen Seite in ihrer Contraction verharrten. Ex p er i ment 11. Bei mehreren Fröschen wurde der Kopf abgeschnitten, das Blutherz und die beiden hintern Lymphherzen wurden freigelegt und das Rückenmark der Wirkung des elektrischen Stromes ausgesetzt. Augenblicklich entstand anhaltender Krampf in allen willkürlichen Muskeln, die Bewegung des Lymphherzens cessirte, aber der Puls des Blutherzens dauerte fort. Der Krampf des Lymphherzens überdauerte den Reiz, selbst in den Fällen, wo der allgemeine Tetanus mit dem Verschwinden dieses Reizes gleichzeitig vorüberging. Gewöhnlich dauerte es ziemlich lange, ehe die Lymphherzen sich erholten und ihre Bewegungen wieder aufnahmen. Der Puls des Blutherzens wurde dem Rhythmus nach verändert, gewöhnlich verlangsamt, bisweilen aber beschleunigt. Also die Lymphherzen, nicht aber das Blutgefässherz, können vom Rückenmarke aus in nachhaltigen Krampf versetzt werden. * Ex p er i ment 14. Bei einem Frosche wurde nach Zerstörung von Gehirn und Rückenmark das Herz freigelegt, welches regelmässig pulsirte. Ich setzte das Herz dem elektrischen Strome in der Art aus, dass ich mit den beiden Enden der Leitungsdrähte die Seiten des Ventrikels berührte. Nach ein Paar beschleunigten Pulsen verblieb dieser im Zusammenstande der Contraction. Hatte der Strom nicht zu lange und nicht zu intensiv gewirkt, so nahm die Pulsation unmittelbar nach Oeffnung der Kette wieder ihren Anfang, war dagegen die Wirkung der Maschine sehr heftig gewesen, oder hatte sie zu lange gedauert, so verging der Krampf selbst nach Beseitigung des Reizes nicht. Während der gereizte Ventrikel in vollkommener Starrheit verharrte, pulsirten die Vorhöfe ohne bemerkliche Unregelmässigkeit fort. Hatte ich die Enden der Leitungsdrähte, statt mit dem Ventrikel, mit den Atrien in Berührung gebracht, so geriethen diese in Krampf und der Vetrikel pulsirte fort. – Berührte ich aber mit dem einen Pole den Vorhof, mit dem andern die Kammer, so erfolgte ein Krampf in beiden Theilen, das Herz hob sich, während das Thier auf dem Rücken lag, ansehnlich in die Höhe, erschien wie zugespitzt, auffallend klein und blass, und verblieb bisweilen sehr lange in diesem Zustande, auch nach Eröffnung der Kette. Derselbe Erfolg zeigte sich bisweilen auch dann, wenn der Strom nur durch die Kammer oder nur durch die Vorkammer geleitet wurde, dann namentlich, wenn elektrische Wirkung sehr heftig war. War das ganze Herz in Contraction versetzt worden, so erholten sich immer die Vorhöfe früher, als die Ventrikel.
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Abbildung 30: Johann Nepomuk Czermak, Gesammelte Schriften in zwei Bänden, Leipzig (Wilhelm Engelmann) 1879, Bd. 2, S. 144 Die apparative Darstellung der Funktion des Herzens als Pumpe macht den Eindruck des Einfachen. Sie ist jedoch das Produkt eines langen und komplizierten Prozesses von Theoriebildung und medizinischem Apparatebau. Carl Ludwig isolierte 1866 zum erstenmal ein Froschherz, und es gelang, gemeinsam mit Elias Cyon, eine Versuchsanordnung zu entwickeln, in der das isolierte Herz, nachdem es durch eine elektrische Reizung zum Schlagen gebracht wurde, die Kochsalzlösung in einem System aus Glasröhren zum Zirkulieren brachte. Der Privatgelehrte Czermak machte aus diesen Versuchen spektakuläre öffentliche Vorführungen. Das durch einen Projektor auf beinahe zwei Meter vergrößerte Bild des schlagenden Herzens wurde vor ca. fünfhundert Zuschauern auf eine weiß gekalkte Wand projiziert; auch: Elias Cyon, Über den Einfluss der Temperaturänderungen auf Zahl, Dauer und Stärke der Herzschläge. Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathematisch-Physische Classe 18, 1866, 256-306.
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* Dieser Satz gilt allerdings nur, wenn man den magneto-elektrischen Strom mit Maass verwendet. Ist die Wirkung der Maschine sehr heftig, so kann man auch vom Rückenmarke aus das Herz zum Stillstehn bringen, was auf Seitenströmungen der Elektricität beruhen dürfte, und keine Folgerungen gestattet. Dr. Johannes Müller (ord. Öffentl. Prof. der Anatomie und Physiologie, Director des Königl. Anatom. Museums und Anatom. Theaters zu Berlin) u.a. (Hg.): Archiv für Anatomie, Psysiologie und wissenschaftliche Medicin. Jahrgang 1845, Berlin, S. 407-429
Am Wissenschaftsbild vom Frosch wurde im 19. Jahrhundert sichtbar, dass »Leben« mit elektrischen und chemischen Funktionen identifiziert wurde. Die Bewegungen im Froschmuskel ließen sich als elektrische Prozesse unter vollkommener Absehung der menschlichen Wahrnehmung und eines Begriffs von Leben objektiv beschreiben. Die Physiologie stellte diese Fragen nicht. Was ist Physiologie? Gemäß ihrem Selbstverständnis war sie eine wissenschaftliche Disziplin, die, wie Albrecht von Haller schrieb, die inneren und äußeren Bewegungen des Körpers studierte und sich, wie das 19. Jahrhundert formulierte, mit den chemischen und physikalischen Funktionen des menschlichen Körpers befasst, um die »Erscheinungen des Lebens in ihren Bedingungen zu ergründen und aus deren wechselseitigem Verhältnis die Gesetze desselben abzuleiten« (1876). Die Laborpraxis spricht eine andere Sprache. Die Erscheinungen des Lebens verschwinden in den chemischen und physikalischen Funktionen, und die wechselseitigen Verhältnisse schrumpfen zu Kausalketten. Experimente waren so konzipiert, dass sie die Wissenschaft von der biologischen Grundlage – Bewegung, Geburt und Tod – entfernte und Leben in Bewegungslosigkeit erstarren ließ. Sie sollte der Physik als der Wissenschaft der Veränderungslosigkeit angeglichen werden. Der Frosch gab sein Leben, so lautete die Begründung, für einen höheren Zweck: die Erkenntnis des Lebens. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Frösche in den Experimenten das Leben für ganz andere Zwecke ließen. Sie dienten dem Test von Hypothesen und Modellen. Sie wurden zerstückelt, um Daten für die Bestätigung von theoretischen Sätzen zu liefern. Erst aus dieser zynischen Haltung zum Tier lässt sich das Verhältnis von Mensch
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und Frosch im wissenschaftlichen Zeitalter verstehen. Eine Antwort von Studenten war daher bis ins 20. Jahrhundert: Physiologie ist die Lehre vom toten Frosch. Der Scherz enthüllt Zynismus als Grundhaltung dieser Wissenschaft, die in Übereinstimmung mit den metonymischen Operationen, die in den Wissenschaftsbildern vom Frosch sichtbar wurden, zu einer Verschiebung der Definition von Leben führt. Der Scherz setzt an die Stelle des lebenden menschlichen Körpers den toten Frosch. Er wurde zum idealen Tier für die Beantwortung spezifischer Fragen der Physiologie, und seine einfache Struktur lieferte implizit eine Rechtfertigung des maschinellen Bilds vom Leben. Wir wissen wenig über die Zusammenarbeit der Wissenschaftler und ihrer Zeichner, aber die Ikonographie dieser Bilder, so lässt sich indirekt erschließen, entsprach den Intentionender Forscher. Der Siegeszug der Theoriebildung war daran gebunden, das Leben aus den Bildern verschwinden zu lassen und Körper abwesend zu machen.
Die Epoche des Tierbilds Unter der Herrschaft der Theorie entstand im 19. Jahrhundert die Epoche des Tierbilds, in der sich das Bild an die Stelle des Tiers setzte. Das wissenschaftliche Tierbild, ließe sich paradox formulieren, trat an die Stelle des Tiers, weil es kein Bild vom Tier sein will. Es vermeidet die Erinnerung an Berührung und hat die Tendenz, sich von der Repräsentation zu befreien. Es konstruiert die Bildgegenstände nach endogenen Prinzipien der Wissenschaft. So unterbrach das Wissenschaftsbild die affektiven Bindungen an das lebende Tier und führte zu einer Form der Isolation. In der Laborarbeit entstanden Bilder, die zweimal töten: Erst indem sie den lebendigen Körper zu einem mentalen Objekt machen, das sich zerstückeln lässt, und dann durch die Leblosigkeit des Körperbilds auf dem Papier. Gab es im vorwissenschaftlichen Bild einen Austausch, der dem zwischen den Teilnehmern eines Rituals oder Akteuren und dem Publikum im Theater entsprach, so will das wissenschaftliche Bild betrachtet werden, ohne die Spur eines Betrachters oder überhaupt eines Subjekts und dessen Beteiligung an seiner Konstruktion zu bewahren. Es zwingt dem Betrachter die Distanz des Experten auf, der auf dem Bild, wie Robert Koch und andere bemerkten, Details wahrnahm, die der direkten Beobachtung verborgen blieben. Das Bild fesselte den Blick und blieb distanziert, so dass das betrachtete Objekt unberührt blieb. Diese Bilder machten den Betrachter zum Voyeur. Die Epoche des Tierbilds hatte keinen Raum mehr für die Gemeinsamkeit von Gemütszuständen, die Mensch und Frosch noch im
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5.F G. V ALENTIN , E LEK TRICITÄT DER THIERE In diesen Abschnitt der Physiologie der Thiere gehören zwei verschiedene Reihen von Erscheinungen. 1) Wie die Natur vielen Geschöpfen mechanische oder chemische Mittel verleiht, um sich entweder zu vertheidigen oder ihre Beute zu erhaschen und in einen zur Verspeisung geeigneten Zustand zu versetzen, so gewährt sie einzelnen thierischen Wesen die Fähigkeit, starke elektrische Entladungen unter gewissen Umständen zu erzeugen und den Feind auf diese Art zu betäuben oder zu erlegen. […] 2) Die chemischen Eigenthümlichkeit der organischen Körper überhaupt und der thierischen und menschlichen insbesondere, die Heterogenität der Bestandtheile der Organe und Gewebe, läßt theoretisch voraussetzen, daß sie im Stande seien, unter gewissen Verhältnissen elektrische Spannungen und Strömungen hervorzurufen. Es stellt sich hierdurch zunächst die Aufgabe, die Contactelektricität der Thiere und des Menschen zu studiren und zu untersuchen, ob die während des Lebens regen Thätigkeiten darauf einfließen, oder ob nur die physikalisch-chemischen, auch nach dem Thode vor eintretender Fäulniß sich erhaltenden Eigenschaften der thierischen Theile das Bestimmungsglied ausmachen […]. M a t t e u c c i füllt vier Porcellangefäße mit leicht gesalzenem Wasser, verbindet die beiden äußeren Gefäße durch Platinblätter mit den Quecksilbernäpfchen eines Gour jon’schen Galvanometers von 2500 Umgängen und mit den beiden inneren Gefäßen durch wohl durchfeuchtete Baumwolldochte; wenn nun die beiden inneren Gefäße durch einen enthäuteten Frosch verbunden werden, so entstehe immer eine Abweichung der Magnetnadel mit einer von den Füßen nach dem Kopfe gehenden constanten Strömungsrichtung. Von vorn herein läßt sich gegen die ganze Construction des Apparats einwenden, daß die Anwesenheit der beiden inneren Gläschen und deren Verbindung mit den beiden äußeren durch befeuchtete Baumwolldochte nur dazu dient, die Declinationen zu schwächen, ohne irgend einen Vortheil zu bieten. Man überzeugt sich auch leicht, daß sich die Abweichungen verstärken, wenn man die Froschtheile in die beiden äußeren Gläschen unmittelbar taucht. Allein auch in diesem Falle erreichen sie die durch den Quecksilberapparat mit den größeren Näpfen zu erzielenden Ausschläge bei weitem nicht. Hält man sich genau an den Matteucci’schen Apparat, so sind die Ausschläge, welche man bei Schließung durch den unversehrten Frosch erzeugt, nicht größer, als diejenigen, welche man durch Schließung vermittelst verschiedenartiger Metallbogen erzielen kann. Bei vergleichenden Versuchen zeigte sich, daß lebende oder eben getödtete oder schon 18 Stunden todte und in Wasser aufbewahrte Frösche sich in ihren Ausschlägen wie die
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18. Jahrhundert verbanden. Der vollkommene Bedeutungsverlust des Gestischen und der Bewegung war eine Folge dieser Einseitigkeit. Wenn der Frosch in der vorwissenschaftlichen Zeit obskur oder zauberhaft war, bedeuteten die neuen Lebenswissenschaften einen radikalen Bruch, indem sie ihn exakt und berechenbar zu machen suchten. Das Körperbild, das nun aus Texten und Bildern von Versuchstieren spricht, folgt dieser Absicht. Es ist ohne Erkenntnisgewinn, die Bilder der frühen Froschanatomie mit denen des 19. Jahrhunderts zu vergleichen und festzustellen, dass diese genauer waren. Das Tier wurde als Bild nicht wahr, sondern ein anderes, und die unterschiedlichen Weisen, es zum Sprechen zu bringen, waren inkompatibel.
Leben auf der Grenze zum Tod Der Frosch, der im Labor zum Objekt des Experimentierens wurde, war das Produkt einer Theorie, die den Forscher durch Desensibilisierung unter die Herrschaft eines außengeleiteten Ichs stellte. Vor den Sensationen der taktilen Intelligenz schützten abstrakte Theorie und die Techniken der Laborpraxis. Experimentieranordnungen und Wissenschaftsbilder ergänzten und verstärkten sich wechselweise. Das Bild war ein Mittel, durch das nicht nur die Versuchsanordnung dargestellt wurde, sondern es lieferte eine visuelle Bestätigung der Konzeption des Tiers als einem noch lebenden Körper ohne Bewegung und ohne Ausdruck. Das wichtigste Mittel für den Imperativ des Verschwindens im Namen eines objektiven Wissens über das abwesend Gemachte war die totale Bewegungslosigkeit. Oscar Langendorff wählte den bezeichnenden Titel Untersuchungen am überlebenden Säugetierherzen.90 Er war einer der Physiologen, die komplizierte Versuchsanordnungen erdachten, in denen sich an Tieren forschen ließ, die noch am Leben waren, aber durch Bewegungslosigkeit keine Zeichen von Leben mehr aussenden konnten. Laborprotokolle zeichnen Experimente auf, die auf der künstlich ausgedehnten Grenze zwischen Leben und Tod stattfinden. Das Vokabular könnte zur Beschreibung einer Maschine oder einer Fabrikanlage dienen, deren Maschinen durch Riemen und Räder mit einer rotierenden Achse verbunden sind, die ihnen die Energie liefert. Im Experiment wird der Frosch zur Energiequelle in einer Maschine mit Hebeln, Haken, Lagern, Fäden, Ösen, Rollen, Stiften, Stellschraube, Signalmagnet, Zahn und Trieb, Schrauben, Zahnstange. Das Wissenschaftsbild vom Frosch zeigte eine Natur, aus der kein das
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schwächeren Metalle verhalten. Diese letzteren folgen aber in aufsteigender Reihe als Messing, übersilberter Kupferdraht, Platin, Stanniol, Eisen und ausgeglühter Stahl. Da bei Anwendungen von Platin als Leitungsmetall der chemische Proceß sehr schwach ist, so läßt sich erwarten, daß andere Metalle, an dessen Stelle gesetzt, größere Declinationen hervorrufen werden. Am Zweckmäßigsten erwiesen sich in dieser Beziehung Zinkbleche und Eisendrähte. Allein man mag den Apparat auf alle erwähnten Arten modificiren, so ist die angeblich constante Strömung von den Füßen nach dem Kopfe nicht nur bei dem unverletzten, sondern auch bei dem enthäuteten Frosch nicht vorhanden, obwohl der enthäutete Theil allerdings im Gegensatz zu dem nicht enthäuteten die Neigung zeigt, als positiv aufzutreten. Als Beleg hierfür möge folgende mit Matteucci’s Apparat gemachte Versuchsreihe dienen. A. Der Frosch ganz unverletzt. I.
II.
III.
IV.
1.a Mundspitzen und Fußzehen
+2°
+ 2,5 °
+7°
+ 7,5 °
2.b Fußzehen und Mundspitze
+9°
+3°
0°
+1°
3.c Vorderzehen und Fußzehen
+1°
+1°
+2°
+ 1,5 °
0°
+ 1,5 °
+1°
0°
4.d Fußzehen und Vorderzehen
B. Die linke hintere Extremität enthäutet. 5. wie a
+ 2,5 °
+3°
+5°
+6°
6. wie b
+ 0,5°
0°
0°
0°
7. wie c
0°
+ 0,5 °
0°
-1°
8. wie d
-2°
-1°
0°
+ 1,5 °
C. Das Präparat wie B, nur daß nicht beide Füße, sondern nur der enthäutete mit dem Apparat in Berührung kam. 9. wie a
+ 2,7 °
0°
0°
0°
10. wie b
0°
- 0,5 °
0°
0°
11. wie c
+ 0,5 °
+ 0,5 °
+0,5 °
+1°
12. wie d
0°
0°
+ 0,5 °
0°
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Maschinenmodell transzendierender Anspruch abgeleitet werden konnte. Es liege, schrieb ein verständnisvoller Beobachter später, »im Wesen der Erforschung der verborgenen Lebensvorgänge, dass man oft nicht weiter kommt, als durch einen chirurgischen […] Eingriff, der das normale Gleichgewicht der Funktionen abändert, der also die Erkenntnis zwar fördert, aber aus dem gesunden ein ›krankes‹ Tier macht und nicht selten sogar eine Leiche«.91 Die Legitimität der Forschungen am lebendigen, aber sterbenden Tierkörper steht für diesen Autor außer Frage, denn die Suche nach Wissen erfordere den Zeitpunkt des Sterbens, und die Erkenntnis des Verborgenen im Körper rechtfertige nach seiner Ansicht den Tod. Mit dieser Position vertrat er die Einstellung der meisten Wissenschaftler gegenüber dem Leben. Dieser Begriff des Lebens gesteht einem Tier wie dem Frosch eine Gemeinsamkeit mit dem Menschen zu und spricht ihm zugleich diese Gemeinsamkeit ab, wenn er das Leben des Tiers der Forschung unterordnet.92
Das Labor als Raum: Bewegung und Stillstand Das Labor des 19. Jahrhunderts schuf eine Raumstruktur der Trennungen,93 die mit der Beobachtung Schluss machte. Das Labor war ein funktional organisierter Raum, dessen Aufteilungen Beziehungslosigkeit erzeugte, die das Tier im Objekt zum Verschwinden brachte. Der systematisch organisierte Raum schuf eine Laborpraxis der Instrumente, Apparate und räumlichen Arrangements, die zur Voraussetzung für eine unbeschränkte Verfügung über das Objekt wurde. Dieser Raum inthronisierte die Experimentatoren als Vertretung der Objektivität und machte sie zu unbeschränkten Herren über das Leben des Tiers. Das Labor selbst übte Herrschaft aus, desto unbeschränkter, je rationaler sein Raum geplant war und, anders als die Küche Galvanis, den Prinzipien der Theorie entsprach. Dieselbe Entwicklung, die durch die Laborpraxis die Sinne abwertete, entkörperlichte den Frosch. Indifferenz breitete sich aus, und die Grausamkeit, die Bose zu einem Kommentar drängte, wurde nicht mehr empfunden. Denn es gab keinen gemeinsamen Raum mehr. Sie wurde zum Teil eines entsubjektivierten Systems, das aus einem Tier ein Objekt machte. Das Labor wurde perfekter und schuf für das Tier eine Umgebung nach Prinzipien, die auch für die Wissenschaftler, von ihnen unbemerkt, bedrohliche Aspekte hatten. Die Immobilisierung der Versuchstiere war durch die Experimente gefordert und schützte zugleich den Experimentator vor emotionaler Be-
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D. Mit beiden abgehäuteten Hinterfüßen. 13. wie a
+ 2,5 °
+2°
+ 1,5 °
+1°
14. wie b
-1°
+1°
+1°
0°
15. wie c
0°
0°
- 1,5 °
-2°
16. wie d
0°
0°
0°
0°
E. Das Präparat wie D. Nur wurden jetzt die beiden mittleren Gefäße mit den Baumwolldochten ganz hinweggelassen und die Theile in die beiden äußeren Gläschen getaucht. 17. wie a
+ 6,5 °
+ 7,5 °
+ 10,5 °
+ 3,5 °
18. wie b
+2°
+4°
+4°
+ 4,5 °
19. wie c
+ 2,5 °
+2°
+2°
+1°
20. wie d
0°
0°
+1°
+1°
F. Das Präparat wie D, an den Quecksilberapparat mit den größeren Näpfen applicirt. 21. wie a
+ 96 °
+ 85 °
+ 110 °
+ 98 °
22. wie b
- 110 °
- 85 °
- 115 °
- 82 °
23. wie c
+ 105 °
+ 55 °
+ 70 °
+ 65 °
24. wie d
– 65 °
- 85 °
- 100 °
- 65 °
G. Derselbe Frosch nach Entfernung der Haut des Kopfes, der vorderen und der hinteren Extremitäten an den Quecksilberapparat mit den größeren Näpfen applicirt. 25. wie a
+ 68 °
+ 133 °
+ 178 °
+ 117 °
26. wie b
- 123 °
- 116 °
- 130 °
- 90 °
27. wie c
+ 45 °
+ 120 °
+ 81 °
+ 97 °
28. wie d
- 55 °
- 62 °
- 65 °
- 107 °
+ 95 °
+ 130 °
+ 130 °
H. Derselbe Frosch ganz enthäutet. 29. wie a
+ 60 °
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teiligung. Neuere Forschungen belegen die Bedeutung von Gestik und Bewegung für die Empathie. Emotionen wie Ekel oder Sympathie entwickeln sich gegenüber dem Lebendigen und nur in seltenen Ausnahmen gegenüber toter Materie. Sie werden nicht durch Gegenstände oder Räume ausgelöst, sondern durch Körper in Bewegung und Gelegenheiten zur Berührung.94 Folgerichtig erhielten die Versuchsanordnungen ihren Objekten zwar das Leben, verweigerten aber die Grundbedingung des Lebendigen, die wir seit Plato und Aristoteles in der Bewegung sehen. Medizinische Kataloge des 19. Jahrhunderts bildeten komplizierte Apparate, verstellbare Tische und Gestelle (»Froschbretter«) ab, die dazu dienten, Frösche zu fixieren mit dem Ziel, alle wünschenswerten Manipulationen am noch lebenden Körper ohne Störungen durch das Tier und durch die mögliche Empathie, die der Wissenschaftler für bewegte Tiere empfinden könnte, ausführen zu können. »Froschmaschine« hieß eine »mechanische Vorkehrung, um einen Frosch an den vier Füßen auszuspannen und nach geöffnetem Unterleib das Gekröse vor eine an der Maschine angebrachte Öffnung zu bringen, um noch während des Lebens des Thieres die Circulation des Blutes in dem Gekröse durch ein Mikroskop beobachten zu können«.95 Absolute Bewegungslosigkeit wird zur Bedingung der Experimente, die vorgeblich nach dem Leben fragen. Aber auch das Minimum an Bewegung, das sich in der Gestik ausdrückte, die Bose, Gleditsch und andere an ihren Versuchstieren beobachteten, fällt nun der Physikalisierung zum Opfer. Der Bewegungslosigkeit entsprach eine Raumlosigkeit der Bilder. Der Frosch wurde wie unlebendige Materie und in totaler Isolation vom Raum dargestellt. Emil Du Bois-Reymond verfocht eine Physiologie, die das Leben aus physikalischen Prinzipien zu erklären suchte. Er entwickelte die Froschpistole, ein Instrument in der Form einer Pistole, in deren gläsernem Lauf ein noch lebender Froschschenkel eingeschlossen war, der das Tier vertrat. Er war durch Drähte mit einem Pistolenabzug verbunden, mit dem Studenten eine elektrisch ausgelöste Muskelzuckung auslösen konnten. Es ließe sich kein geeigneteres Instrument denken, um die Identifikation von Leben mit physikalischen Reaktionen zu demonstrieren. Herrn Hufelands vortreffliche Entdeckung einer vitalen Action, die Humboldt begeistert hatte, wurde durch diese Wissenschaft zu einem Kinderglauben entwertet.96 Aus einem Laborprotokoll: »Der grossen Bequemlichkeit halber wurde die Mehrzahl der Versuche an curatisierten Fröschen angestellt […].«97
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30. wie b
- 107 °
- 110 °
- 145 °
- 90 °
31. wie c
+ 83 °
+ 83 °
+ 65 °
+ 75 °
32. wie d
- 60 °
- 45 °
- 76 °
- 77 °
Auch nach dem Abziehen der Haut verhalten sich die Ausschläge an dem Matteucci’schen Apparate, wie bei unverletzter Haut, d.h. die Declinationen bleiben immer sehr gering und sind größer, doch im Ganzen noch unbedeutend, wenn man selbst die beiden inneren Gefäße mit den Baumwolldochten ganz hinwegläßt. Aus diesen an dem Quecksilberapparat gewonnenen Erfahrungen ergiebt sich aber, daß bei Fröschen, welche in unverletztem Zustande eine Strömung von den Füßen nach dem Kopfe zeigen, diese Strömungsrichtung auch bisweilen constant bleibt, wenn man entweder nur die Haut der Füße, oder daß dann, weil die contactchemische Wirkung größer wird, auch die Ausschläge sich vergrößern. Ich muß jedoch ausdrücklich bemerken, daß ich auch Frösche fand, die bei unverletzter Haut am Kopfe, nach Enthäutung der Füße, an diesen positiv waren. Die durch Application der Muskel- und Sehnentheile, so wie der Gelenkflächen zu erzielenden Abänderungen der Declination können zunächst dahin gedeutet werden, daß sie durch veränderte chemische Wirkung entstehen. Allein offenbar kommt auch das statische Moment ins Spiel. Wir haben schon oben gezeigt, daß bei dem Eintauchen der Mundspitze oder der Vorderzehen in das eine, bei dem der Fußzehen in das andere Quecksilbergefäß bei sehr vielen unverletzten Fröschen ein von den Füßen nach dem Kopfe laufender, also centripetaler Strom entsteht, während die Strömung bei anderen Exemplaren gerade die umgekehrte ist. Meist bleibt aber die Richtung unter sonst gleichen Verhältnissen, wie sie sich zuerst angegeben, constant. Größtentheils waren die Individuen von Rana esculenta, welche centripetale Strömungen hatten, kleinere – die anderen größere. In der Regel verhielten sich die Vorderzehen gleich der Mundspitze. Ich fand aber auch und zwar größere Frösche, bei welchen dieses nicht der Fall war, sondern wo Eintauchen der Mundspitze und der Fußzehen centripetale Declinationen erzeugte. Die letzeren Ausschläge waren meist kleiner als die ersteren. Es läßt sich daher wohl denken, daß es so constituirte Frösche gäbe, bei welchen vorzüglich Eintauchen der Vorderzehen und der Fußzehen bei möglichst gleichen Eintauchungsflächen gar keine Declination der Nadel hervorruft. Hierfür spricht schon der Umstand, daß bei vielen Fröschen, meist solchen, welche kleinere Ausschläge liefern, es Unterschiede bei der Declination hervorruft, ob das Thier bei dem Eintauchen in das Quecksilber an seinem Rückgrathe mehr oder minder gebogen ist. Schneiden wir nun aber bei enthäuteten Fröschen gleiche Stücke von beiden hinteren Extremitäten ab, so ändern wir sowohl das chemische als das
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Dieser pharmakologischen Immobilisierung folgte die mechanische durch einen eigens konstruierten Apparat. »Der mit Curare immobilisierte Frosch liegt horizontal auf einer Glastafel; diese ist mittels Objekttischklammern auf einem Holztischchen befestigt […]. Der Zughebel giebt, mit der Spitze eines unverletzten im Froschkörper befindlichen Herzens in Verbindung gebracht, gute und gleichmässige Pulszeichnungen. Bedingung ist aber, dass der Frosch sich absolut ruhig verhalte, vor allem auch keine Athembewegungen mehr mache.«98 Die Sprache ist die von Ingenieuren, die eine Bewegung auf der Stelle als das Funktionieren einer Maschine beschreiben. Reizungen des Herzmuskels werden durch einen Zughebel ausgeführt, durch Drähte und Magneten geleitet, und von einer Mareyschen Zeichentrommel aufgenommen, die wiederum mit einer anderen Trommel verbunden ist, gegen die ein Hebel alle zwei Sekunden schlägt. »Die Aufzeichnung geschieht auf die rotierende Trommel eines Baltzar’schen Kymographions.« War der Frosch auf doppelte Weise immobilisiert, gab es keine Erwartung oder Befürchtung, dass das Objekt in irgendeiner Weise aktiv werden könnte. Trotz der totalen Passivität lenkte die Erwartung das Experiment, etwas in Bewegung zu setzen, das als Leben zu verstehen wäre. Der Körper enthält alle Informationen und muss dazu gebracht werden, sie durch eine stumme Sprache preiszugeben. Die Informationen, die in Muskeln, Organen und Nervenfasern stecken, sollen für sich sprechen. Der immobilisierte Körper an der Grenze zum Tod wird zum Impulsgeber für die ihn umgebende Apparatur, und die Bewegung ist in Maschinen und Apparate verlegt. Sie dienen dazu, in Graphiken und Kurven festzuhalten, was am stillgestellten Körper vom Leben nicht mehr gesehen, aber gemessen werden kann.
Der Frosch als epistemisches Ding Nach dem Verständnis der Wissenschaftler war das wissenschaftliche Froschbild ein struktureller Ikonoklasmus und versprach das Ende der Idolatrie durch den Frosch der verwissenschaftlichten Zeit. Die Vorstellung, das alte Bild vom Frosch zu destruieren, war für die Ausbildung der Physiologie, des Forschungsobjekts und Forschungsstils exemplarisch. Wollen wir in dem von Magie entleerten Blick auf den Frosch das Wesen der experimentellen Physiologie der Moderne verstehen, ist es nötig, den radikalen Bruch unterhalb der Oberfläche einer scheinbar graduellen Transformation der frühen Bilder in die Laborpraxis des 19. Jahrhunderts
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statische Moment. Bei manchen, meist größeren Fröschen ändern sich die constanten Ausschläge nicht eher, als bis die beiden hinteren Extremitäten gänzlich fortgenommen werden. Bei anderen erfolgt dieses schon nach Entfernung der beiderseitigen Fußzehen und Fußsohlen […]. Es ist oft genug wiederholt worden, daß, wenn auch die durch Thiere zu erzielenden contactelektrischen Strömungen physikalischer Natur seien, die Lebensphänomene selbst doch einen Einfluß auf dieselben ausübten. Theoretisch ließe sich der Wechsel, welcher an der Hautoberfläche durch die Einsaugung und Ausdünstung, so wie durch den Athmungsproceß stattfindet, zur Unterstützung anführen. Allein die Erfahrung zeugt gänzlich dagegen. Der lebende Frosch hat durchaus dieselbe Strömung als der frische todte, und selbst wie der, welcher nach dem Tode Stunden lang in destillirtem Wasser gelegen hat. Ich habe diese Versuche mehrfach mit durchaus gleichem Erfolge wiederholt. Hat dagegen das todte Thier im Freien gelegen und ist es an einzelnen Stellen mehr vertrocknet, so entstehen auf diesem Wege Irregularitäten der Strömung. In dem folgenden Beispiele wurde der Frosch in seinem Normalzustand bestimmt, dann durch Opiumtinctur betäubt und so in den Zustand versetzt, daß reflexive Bewegungen nach den geringsten äußeren Reizen entstanden, in diesem Verhältnisse untersucht, unmittelbar nach dem Tode wieder geprüft und endlich, nachdem er noch 18 Stunden frei gelegen, von Neuem geprüft. In dem letztern Falle war die Mundspitze vertrocknet. Daher auch bei ihr Irregularitäten entstanden. Bei der ganzen Versuchsreihe wurde der Frosch unverletzt gebraucht, so daß die contactelektrischen Strömungen nur durch verschiedene Hautflächen erzeugt wurden. Ich habe mich übrigens vielfach überzeugt, daß auch bei theilweiser oder gänzlicher Enthäutung durch die eben genannten Veränderungen keine Veränderung der Strömungsrichtung hervorgerufen wird, so daß nicht nur die Lebensphänomene nicht den geringsten Antheil an ihnen haben, sondern der Verlust der durch kaltes Wasser ausziehbaren Materien keine Störung erzeugt. […] Bis jetzt wurde nur von den contactelektrischen Verhältnissen eines Frosches gehandelt. Combination zweier Frösche der Art führt zu sehr unsicheren Ergebnissen und bisweilen zu Resultaten, welche der Erwartung entgegengesetzt sind. So z.B. gaben zwei größere Frösche, welche constante centripetale Strömungen der allgemeinen Regel nach darboten, so bald sie Kopf an Kopf und Füße an Füße zusammengebunden wurden, sehr unbedeutende constante Ausschläge, während bei umgekehrter Lagerung des einen gegen den andern die Declinationen sich vergrößerten. G. Valentin, Elektricität der Thiere, in: Rudolf Wagner, Handwörterbuch der Physiologie, Braunschweig 1846, S. 251-310.
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zu bemerken. Der Frosch der frühen Experimente war ein anderes Tier, bewegt und mit einem eigenen Willen: Der Laborfrosch befindet sich in der Position absoluter Passivität. Diese Position wurde vom Laborraum in den symbolischen Raum des Wissenschaftsbilds übertragen. In ihm zeigte sich, dass es der – in keiner Theorie behandelte – richtige, also von der Wissenschaftstheorie implizit begründete Platz war. Die Wissenschaftsbilder waren eine visuelle Zentrierung und theoretische Verdichtung, aber sie wirkten im endogenen Forschungsprozess wie Natur. Der Unterschied beruhte nicht in einer neuen Natürlichkeit des Tiers, sondern in den Techniken der Ent-Idolisierung. Die Reinigung des Tiers von den Kontingenzen des Lebens – er konnte sich in keinen Herd verstecken – machte aus ihm ein epistemisches Ding.99 Die Wissenschaft verwandelte den Frosch in ein Bild, dessen Besonderheit in seiner Eigenschaftslosigkeit lag. In den »Anordnungen« von Experimentalsystemen, argumentiert Rheinberger, »geben Experimentalwissenschaftler den epistemischen Dingen Gestalt […]«. Außer den Dingen der Experimentalanordnungen hatten an der Ausprägung dieser Gestalt auch die Experimentiertiere einen entscheidenden Anteil. Warum der Frosch? Einige Physiologen stellten die Frage und die Antwort war stets, dass aus Ähnlichkeiten von Mensch und Lurch Erkenntnisse über den Menschen gewonnen werden können. In dieser Begründung verbargen sich von Anfang an Rationalisierungen. Die Vorliebe für den Frosch kann nicht allein aus wissenschaftlichen Begründungen abgeleitet werden, sondern erfordert den Bezug auf eine andere Ebene der Konstruktion von Experimenten, die auch die affektive Bindung des Experimentators an das Experimentieren und das Labortier einbezieht. Der Gedanke der Schmerzfähigkeit war im wissenschaftlichen Diskurs nicht zugelassen, aber dennoch war das »Unglück« der Frösche (Humboldt) wie ein Schatten stets anwesend. Der Laborfrosch nahm eine Zwischenstellung zwischen theoretischen Fragestellungen und Hypothesen einerseits sowie der materialen Wirklichkeit der Labors andererseits ein. Der Frosch war im Labor anwesend, aber der Körper, an dem experimentiert wurde, war der im Wissenschaftsbild zu einem theoretischen Konstrukt transformierte Körper. Diese Abstraktion war nicht weniger mächtig als die theologische Definition des Froschs fünfhundert Jahre zuvor. Nicht anders als der böse Frosch des Mittelalters hat der Laborfrosch, gemäß wissenschaftlicher Anforderungen entworfen, zur materialen Kultur der Zeit beigetragen.100 Will man von einer »Dynamik der Forschung als einem Prozess der
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5.G O SCAR L ANGENDORFF, R HY THMIK UND A UTOMATIE DES F ROSCHHERZENS Die Versuche sind grösstenteils von der mit dem ganzen Herzen im Zusammenhang verbliebenen abgeklemmten Herzspitze des Frosches angestellt worden […]. Die Abklemmung der Herzspitze geschah mittels einer feinen Pincette mit langen schmalen Branchen. Viele Versuche bedurften der graphischen Aufzeichnung. Anfangs verwendete ich dazu den einfachen Fühlhebel […]. Seine Angaben sind indessen wegen der interferirenden Füllungs- und Bewegungszustände der abgeklemmten Herzspitze complicirt; die Application von Reizen auf den unter ihm liegenden Muskel ist sehr erschwert. Ich bediente mich deshalb weiterhin einer Vorrichtung, die ich als Zughebel bezeichnen will […]. Die Spitze einer sehr feinen Insectennadel (f) wird hakenförmig umgebogen, das Kopfende der Nadel wird zu einer Öse umgestaltet, in welcher ein Seidenfaden oder Zwirnsfaden (e) befestigt wird. Das Häkchen wird in die äusserste Spitze des Herzmuskels so eingesenkt, dass es, ohne in den Hohlraum der Herzkammer einzudringen, die Muskelsubstanz fest erfasst. Blutungen lassen sich dabei vollständig vermeiden; die Herzthätigkeit wird durch die leichte Verwundung kaum gestört; das mit dem Häkchen armierte Herz kann zu stundenlangen Versuchen dienen. Der am Haken befestigte Faden wird schräg nach oben über eine kleine, sehr bewegliche Rolle (d) geführt, und greift schliesslich nahe dem Axenlager eines einarmigen aus Aluminium gefertigten mit einer gläsernen Schreibspitze versehenen Hebels (a) an. Jede Spitzencontraction, die eine wesentliche Verkleinerung des Längsdurchmessers zur Folge hat, übt einen Zug auf den Faden und bewegt dadurch den Hebel nach oben. Da beim Nachlassen der Systole der Hebel nach unten sinkend einen schädlichen Zug am Herzen ausüben würde, so ist der Hebel innerhalb des Angriffspunkts des Fadens durch ein mit flachem Kopfe versehenes Stiftchen (b) gestützt, der vermittelst einer Stellschraube (c) in höherer oder tieferer Lage fixirt werden kann. Die ganze Vorrichtung ist auf einer Messingsäule verstellbar. Der mit Curare immobilisierte Frosch liegt horizontal auf einer Glastafel; diese ist mittels Objecttischklammern auf einem Holztischen befestigt. Unter dem Zughebel befindet sich auf der kleinen Messingsäule ein kleiner Signalmagnet (b), der nach dem Vorbild des Deprez’schen Signal électrique construirt ist. Die von ihm ausgehenden Drähte (e) gehen über einen Quecksilberschlüssel zu einer galvanischen Kette. Reizungen des Herzmuskels können vermittels dieses Magneten leicht markiert werden. Unter ihm
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Herausbildung epistemischer Dinge« sprechen,101 so haben die Labors des 19. Jahrhunderts den Frosch zu einem solchen Ding gemacht. Dies Ding war nicht einfach da, sondern setzte sich aus dem komplexen Zusammenwirken von Praktiken, die als wissenschaftlich gelten konnten, und einem Bild, das nicht Abbild sein, sondern wissenschaftliche Wahrheit enthalten sollte, zusammen. Aus dem Frosch in der Hand eines Laborassistenten wurde ein mentales Bild, das sich in ein epistemisches Ding transformierte, das schließlich durch Kupferstiche, Holzschnitte und Lithographien wieder sichtbar gemacht und als zweidimensionales Bild in die wissenschaftsinterne Kommunikation eingebracht werden konnte, wo es für das Objekt selbst eintrat. Der Frosch nahm an der außerordentlichen Produktivität der physiologischen und neurologischen Forschung teil, und das Labor wurde für ihn zum Ort einer internationalen Wissenschaft, die die von Goethe und Humboldt einmal imposant vertretene deutsche Wissenschaft ablöste.
Abbildung 31: Froschpanzer in: E. Zimmermann, Apparate für Psychologie, Psychotechnik, Pädagogik, Physiologie, Mikrotome: Liste 44: Über physiologische Apparate, Leipzig 1923
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trägt die Säule noch eine Marey’sche Zeichentrommel; dieselbe steht durch einen Gummischlauch in Verbindung mit einer ähnlich constuirten Aufnahmetrommel, gegen deren Hebel das Pendelgewicht eines Metronoms alle 2 Secunden anschlägt. . Der Frosch wird bei Wärmeversuchen ausserdem mit leicht erwärmtem Wasser, bei Kälteversuchen allseitig mit Schnee umgeben. Zum Abfluss des Tauwassers dient das Rohr (c). Der Frosch trug in manchen Fällen auch noch ein in seinen Magen eingeführtes feines Thermometer. Durch schnellen Wechsel der Füllungsflüssigkeit, wenn es Noth that auch durch kalte oder laue Salzwasserberieselung des Frosches, konnte die Temperatur desselben in verhältnismässig kurzer Zeit verändert werden. Der Zughebel gibt, mit der Spitze eines unverletzten im Froschkörper befindlichen Herzens in Verbindung gebracht, gute und gleichmässige Pulszeichnungen. Bedingung aber ist, dass der Frosch sich absolut ruhig verhalte, vor allem auch keine Athembewegungen mehr mache. Ist der Hebel mit der abgeklemmten Spitze eines Herzens verbunden, so zeichnet er nicht nur deren Pulsation auf, sondern er überträgt auch, freilich in geringerem Maasse, die Bewegungen des oberen Ventrikelantheiles. Durch passende Entspannung des das Herz mit dem Hebel verbindenden Fadens kann man diese zuweilen störenden Zeichnungen des Ventrikelrestes gänzlich oder nahezu vermeiden, ohne dabei die Verzeichnung der Spitzenimpulse zu hindern […]. Mechanische Reize, Druck mit dem Sondenknopf u. dgl., erregen an der abgeklemmten Herzspitze meist nur einen Puls. Bei sehr erregbaren Fröschen sah ich indessen kräftigen aber schnell vorüber gehenden Druck. Carakteristischer Weise war das vorwiegend an heissen Sommertagen bei frisch gefangenen Fröschen der Fall. So pulsirte am 13. Juli 1883 die um 9:23 Uhr vormittags abgeklemmte Spitze eines Frosches nachmittags 4:15 Uhr auf einmalige Reizung nicht weniger als 26 Mal. Die Abklemmungsmarke lag fast in der Mitte der Kammer. Dass künstliche Erwärmung eines Versuchsfrosches im Wasserbade einzelne Reizungen des Herzmuskels ähnlich wirksam macht, soll später besprochen werden. Oscar Langendorff, Studien über Rhythmik und Automatie des Froschherzens. Leipzig (Veit) 1884. Mit 22 Abbildungen und 2 gefalteten lithographierten Tafeln, S. 3 und 4.
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Die Ideologie des Objektivitätsideals übersah diese komplexen Stufen der Transformation. Das Wissenschaftsbild vom Frosch unterschied sich von der theologischen Definition, aber es wies auch strukturelle Gemeinsamkeiten mit ihr auf. Bilder entstanden, die den Anschein der reinen Verbildlichung von Theorie erweckten, aber sie entstanden an den Bruchstellen von Theorie und vorbewusster Erinnerung. Es gilt festzuhalten, dass das epistemische Ding weit weniger das Produkt der neuen und subjektlosen Laborpraktiken war als es den Anschein hatte. Im Wissenschaftsbild erhielten sich unbemerkt Ideen und Vorurteile, die an der Position eines bewerteten Tiers festhielten. Als Ding behielt der Frosch Eigenschaften, die den Unterschied zum Idol begrenzten. Das Labor erwies sich auch als Variation eines Raums, in dem Totem gemacht werden.
Die heimliche Wirkung der Magie – Astigmatismus Die Wissenschaftspraxis erforderte ein systematisches Wegsehen, das einem schielenden Blick entsprach, der sich selbst nicht als Astigmatismus durchschaute. Das Ziel dieses Astigmatismus war eine Immunisierung durch aktives Nicht-Sehen. Sie sollte sicherstellen, dass Erinnerungen an das Böse und die Ästhetik des Hässlichen aus dem wissenschaftlichen Prozess verbannt blieben: »der Böse tot und das Böse wissenschaftlich begraben und vergessen.«102 Damit die Forschung am Frosch wissenschaftlich werden konnte, musste die Erinnerung an die Lebenswelt gelöscht werden. Der Physiologe, der die tierische Elektrizität am Frosch als einen im nervösen System ablaufenden Prozess zu erklären suchte, vergaß das lebensweltliche Apriori, das die Froschexperimente einbettete. Der Theorie zum Trotz waren das Vergessene und das außerhalb des Schielblicks Liegende jedoch nicht einfach weg. Das Magische kultureller Praktiken blieb in den modernen Experimenten anwesend. Die Wissenschaftler waren in einen mentalen Zusammenhang eingeschlossen, der die Erinnerung an die Vergangenheit ihres Versuchstiers bewahrte. Das Mischwesen ließ sich aus dem Labor durch Theorie, Technologie und Raumarrangements nicht verbannen. Die Objektwahl gewinnt, nimmt man sie unter den anderen und wichtigen, jedenfalls geplanten Bedingungen der Experimente erst einmal wahr, eine Bedeutung, die den Wissenschaftlern verborgen blieb. Sie waren sich dieser Reste nicht bewusst, so dass sie als vorbewusstes Motiv ihre Wirksamkeit desto intensiver entfalten konnten. Wahrnehmungen und Entscheidungen wurden von unterschwelligen Motiven gelenkt. Deren Spuren blieben erhalten, und nach ihnen lässt sich in Texten und Bildern suchen.
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Der magische Frosch verschwindet nicht – Desensibilisierung als Programm und seine Grenzen Als im 19. Jahrhundert eine neue Epoche des Wissens vom Leben einen Schlussstrich unter das probierende, vortheoretische Experimentieren zog, entstanden Labors mit Instrumenten und standardisierten Apparaten, die systematische Experimente zu methodisch definierten Problemen am Frosch ermöglichten. Ein neues Forschungsparadigma bildete sich. Aus der seit dem 17. Jahrhundert beobachteten Erregung der Frösche wurde nun ein Problem der Elektromotorik. Der Wahrnehmungsapparat, die Muskeln und Nerven und die Verarbeitungsmaschine im neurologischen System der Frösche wurden isoliert und systematisch erforscht. Das Programm fasst vereinfachend der Satz zusammen: »Mit welchen electromotorischen Kräften nimmt das Vermögen der Nerven, in Erregung zu geraten, ab oder zu?«104 Es zeigte sich bald, dass diese Verwissenschaftlichung an Grenzen stieß. C. Ludwig beklagte in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als seit über fünfzig Jahren Frösche das Leben für die Beantwortung dieser Frage gelassen hatten, den mangelhaften Wissensstand. Noch immer stecke die Forschung in den Anfängen der Datensammlung, sodass die Frage der Physiologie nach den »Erscheinungen des Lebens« nicht gestellt werden könne, da »der Stand der physikalischen und chemischen Nervenanalyse eine solche Fragestellung bis auf einen Punkt illusorisch« mache.105 Diese enttäuschte Bilanz lässt sich weitere hundertfünfzig Jahre später noch immer ziehen. Den immer komplizierteren Analysen geling es nicht, zum Verständnis der Erscheinungen des Lebens, wie es in der Eigendefinition der Physiologie des 19. Jahrhunderts hieß, vorzudringen. Für die Einschätzung der Forschung ist eine andere Illusion ebenso bedeutend. Einem Unbehagen am neuen Paradigma entsprach in der Froschforschung eine unterschwellig mitgetragene Ebene. Im Ende des magischen Froschbilds verbargen sich Kontinuitäten und verdeckte Idiosynkrasien, die nicht zur Überwindung des magischen Froschs führten, sondern von den Fragen nach den electromotorischen Kräften lediglich überlagert wurden. Wenn Wissenschaftsbilder ihre Objekte isolieren und die Körper zu Repräsentationen von Theorie machen, sind sie dennoch nicht auf ihren reinen Informationswert beschränkt. Sie haben einen Überschuss, und der öffnet sie dafür, die Grenzen des wissenschaftlichen Diskurses zu überscheiten. Heteronome Momente entzogen sich der rationalen Planung. Die Erinnerung an das magische Bild vom erregten Frosch schlich sich in die Immunisierungsstrategien der modernen Forschung ein. Das assoziieren-
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de Denken hatte seine Kraft nicht vollständig verloren und wirkte in der Logik des Analytischen, verborgen, weiter. Der Blick der Wissenschaftler nahm auf dem Seziertisch ein Objekt wahr, das zerschnitten werden konnte, aber die vorbewusste Erinnerung war schon da und erinnerte an den Menschen im Frosch. Bilder der Froschexperimente zeigen, dass, bevor die Experimentalsysteme und ihre Körperbilder entwickelt wurden, ein ungeliebtes Es für die Forscher gedacht und für Kontinuität gesorgt hatte. An Wissenschaftsbildern vom Frosch lässt sich ablesen, dass die Kausalität Praktiken überdeckte, in denen das Polymorphe weiterwirkte und die Spur des Menschen nicht getilgt war. In der Forschung über die Erregung des Froschs erhielt sich ein anderes Interesse, eine heimliche Neugier, gemischt mit Sadismus.
Abbildung 32: Nachlass Adelbert von Chamisso. Staatsbibliothek zu Berlin, K. 3, Nr 15, Bl. 10v -11r.
Man könnte mit Polanyis Wort von einer »stummen Dimension« des Wissens sprechen.106 Aber die Kontinuität in der Geschichte der Froschexperimente meint etwas anderes als Polanyis Beschreibung des Forschungsprozesses. Denn das war kein Wissen, das im herkömmlichen Sinn erworben wird, und sich im Lauf von Forschungstätigkeiten unbemerkt ansammelt.
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Dieses stumme Wissen war kein »persönliches Wissen«, sondern gehörte zu einem vorwissenschaftlichen, kollektiven Gedächtnis, in das Forschung und Forscher eingebettet waren, das sie umgab, wie es Heidegger von der Sprache als einem Haus sagt. An Hand von Froschbildern lässt sich nicht nur eine Geschichte der experimentellen Physiologie erschließen, die das Tier erforscht, sondern in einer Kulturgeschichte sind sie symptomatisch für eine Bedeutung des Köpers, die im wissenschaftlichen Experiment vermieden wird.
E xperimentaltier und das System E xperiment Laborberichte und Bilder sprechen von Experimenten als wissenschaftlichtechnischen Anordnungen. In ihnen wirkte aber ein emotionaler Mehrwert. Eine Spannung zwischen vortheoretischem Denken und den neu definierten Forderungen des Experiments wurde zu Beginn des Jahrhunderts in den Labors ausgetragen. Aus gelegentlichen Bemerkungen geht hervor, dass Experimente auf unterschiedliche Weisen und auch durch Bilder, die mit anderen Absichten hergestellt worden waren, angestoßen wurden. In diesen Bildern transportierte der Frosch Ästhetik, Ethik und lebensweltliche Einstellungen. Sie wurden in den Anordnungen der Experimente zu Gunsten der Objektivität unterdrückt, aber waren dadurch nicht ohne Wirkung. Um diese Spannung zu verstehen, ist es nötig, zwischen dem Experimentaltier und dem System Experiment zu unterscheiden. Alles, was dem Tier eine Essenz zuspricht und die Unterscheidung des Menschen vom Tier mindert, mindert die affektive Bindung des Experimentators an das Experiment. Jeder Gedanke, der den Experimentator und sein Objekt verbindet, schwächt die Identifikation mit dem Experiment. Zu den innersten Motiven dieser Experimente gehört daher der Gedanke, dass das Objekt – im Unterschied zu dem des Alchemisten – das vollkommen Andere ist: fühlloses Ding in einer seelenlosen Natur. Das Objekt des Experiments muss sich deutlich vom Experimentator unterscheiden, und er muss ein ausgeprägtes Bewusstsein von diesem Unterschied haben. Alles, was die Differenz verringert, schmälert die Berechtigung des Experiments. Die Konstruktion von Experimenten macht ein stabiles Bild des eigenen Ichs nötig, das es erlaubt, das Ich dem Fremden, dem Tier, gegenüberzustellen. Der Experimentator will sicher sein, dass der Raum des Experiments seine Welt ist, in der die Gefahr eliminiert und er geschützt ist. Er will vor der unberechenbaren Macht des Tiers sicher sein.
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Für die Betonung der Differenz war der primitive und stumme Frosch, der den Blick nicht erwidern konnte, geeignet, und das machte ihn als Labortier besonders attraktiv. Aber die Geschichte der Froschexperimente liefert das Beispiel, dass dieses Ziel nur bedingt erreicht wurde. Das moderne wissenschaftliche Experimentieren am Frosch wurde das Erbe des magischen Tiers nicht los. Der Frosch ließ sich nicht leicht als eine Maschine sehen. Er war ein besonderes Tier, besetzt mit magischen und naturphilosophischen Erinnerungen. Die theologische oder magische Substanz wirkte weiter und erhielt unterschwellig die Erinnerungen an eine Verwandtschaft, die das Experiment verdrängen sollte. Dieses Vermischte und Unklare, die Mischung aus Mensch und Tier mussten unterdrückt werden. Ein unbewusster Kampf zwischen biologischer Distanz und kultureller Bindung gab den Froschexperimenten eine problematische psychische Komplexität. Wenn wir fragen, wer der Frosch im wissenschaftlichen Froschbild ist, finden wir Spuren vom Wissenschaftler im Tier. Die Absicht war, den Menschen aus dem Wissenschaftsbild auszutreiben. Aber der phantasierte Mensch im Frosch blieb. Aus dem Frosch blickte in einer Verzerrung das Eigenbild des Menschen auf den Betrachter zurück. Die Wissenschaft betonte die Unterschiede und verfolgte, wie zuvor die Theologie, die Absicht, die Grenzlinie zwischen Mensch und Frosch klar festzulegen. Aber trotz der Stärkung des Ichs zur Abwehr vorbewusster Attacken und unkontrollierbarer Erinnerungen kam sie vom Menschen im Frosch ebenso wenig los wie die Kirche im Mittelalter. In den Experimenten verhielt der Mensch sich durch das Tier zu sich selbst, und in dieses Verhältnis waren Grausamkeiten und Sadismus verwoben.
Der Frosch als Tier des Kopfes und das Ich der E xperimentatoren – Herrschaft und Sadismus Das Labortier Frosch schlug unbemerkt eine Brücke zwischen dem System der wissenschaftlichen Experimente und dem vorwissenschaftlichen Denken über Mensch und Tier. Das wissenschaftliche Froschbild war von dem des magischen grundlegend getrennt und zugleich weniger weit entfernt als die Theorie nahe legte. »Die Tiere des Kopfes können nicht so leicht verjagt werden«, schreibt John Berger über das Verschwinden der Tiere aus dem täglichen Leben der technisierten Gesellschaft.106 Das galt im Zeitalter der experimentierenden Wissenschaften auch für den Frosch des Kopfes. Das Labor brachte den real anwesenden Körper in der Wahr-
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nehmung zum Verschwinden, aber er blieb als Tier des Kopfes mit seinem weiten Assoziationsfeld anwesend.
Abbildung 33: Röntgenfoto zweier Frösche. Josef Maria Eder und Eduard Valenta, Versuche über Photographie mittels der Röntgen’schen Strahlen, Wien.1896: Fotogravure. Aus den Röntgenbildern vom Frosch spricht die Gleichzeitigkeit von Wissenschaftsbild und einer Ästhetik, die im Geheimnisvollen der Röntgentechnik das Magische zeigt.
Die Tiere des Kopfes blieben erhalten, aber sie wurden im Labor in andere Kategorien eingebettet. Wurden Tiere im öffentlichen Leben aus ihrer traditionellen Existenz gelöst und »den Kategorien Familie und Schauobjekte zugeordnet«, so wurde der Frosch im Labor unter die Dinge des Labors eingeordnet. Frösche kamen als Tiere in die Labors und dort verschwanden sie, und der Laborfrosch entstand, der nicht minder wirklich war und zu den Innovationen der Wissenschaft im 19. Jahrhundert beitrug. Diese Innovationen gehörten in die »gnadenlose Bewegung« des Jahrhunderts,107 die die Tiere vertrieb und ihnen auf radikalere Weise das Leben nahm, als es die vorwissenschaftliche Zeit je getan hatte. Die Frösche ver-
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schwanden aus der praktischen Medizin und Pharmazie. Aber in der Forschung wurden sie unentbehrlich, doch da waren sie keine Tiere, sondern abstrakte Konstruktionen. Die Erinnerung an das magische Tier prädestinierte den Frosch zum eminent wissenschaftlichen Tier, das über 200 Jahre in die Entwicklung der experimentierenden Wissenschaften, denen es nicht um den Frosch, sondern um den Menschen ging, eingebunden war. Tausendfach wurde im Frosch, der sich auf den Seziertischen in ein epistemisches Ding verwandelte, das sich zu nützlichem Wissen verarbeiten ließ, der phantasierte Mensch einer Strafe unterworfen. Der verdrehte Blick, wie Freud formuliert, bemerkte den Menschen im Tier, ohne ihn zu sehen. So konnten die Labors zu Räumen werden, in denen sich Experiment und sadistische Wünsche psychisch überforderter Subjekte, denen die Theorie zu viel abverlangte, verknüpften. Wenn die heimliche Lust am Zerschneiden des lebenden Körpers, die aus der Spannung aus theoretischem Anspruch und vorbewusster Erinnerung entstand, befriedigt werden sollte, musste das Tier anders und zugleich doch auch verwandt sein. Das Unbewusste gibt sich nicht damit zufrieden, den Körper des bloß Fremden zu zerstückeln. Es reicht nicht, dass es irgendein Stück Natur ist, mit dem experimentiert wird. Das Forscher-Es will herrschen und verlangt nach so viel Mensch im Tier, dass es Zeichen der Herrschaft wahrnehmen kann. Zur Ambivalenz der Empathie gehört der Wunsch, Leiden zu sehen, als ob es das eigene wäre, ohne es selbst durchmachen zu müssen. Dies Muster zeigt sich im wissenschaftlichen Froschexperiment. Das Objekt muss vom Experimentator deutlich unterschieden sein, doch zugleich so viel vom Menschen in sich haben, dass die zugefügten Verletzungen einen Schmerz vermuten lassen. Um Zeichen von Schmerz wahrzunehmen, ist es nötig, das Tier mit Verwandtschaft und einem Ansatz von Seele auszustatten. Ohne dass der Gedanke des Leidens ausgesprochen werden müsste, erlaubt die neuronal gesteuerte Empathie die Teilhabe am Leiden des Tiers. Benthams Frage »Can they suffer?« wird positiv beantwortet. Aber daraus folgt kein Schutz des Tiers, sondern die Lust des Sadismus.
Im Keller – Labor als Folterkammer: Herrschaft und Raum Die Doppellung des Froschkörpers, der ein Ding und zugleich mit den Spuren menschlicher Eigenschaften aufgeladen war, machte es der experimentellen Wissenschaft möglich, sich die »Logik der Folter«, die auf einer Unterscheidung des biologischen Körpers, des vorgestellten Körpers der
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göttlichen Schöpfung und des vom Teufel besessenen Körpers beruhte, nutzbar zu machen.108 Benutzte die Inquisition die Folter, um die versteckte Sünde aufzudecken, so wurde der Tierkörper in der Anatomie zerstückt, um wissenschaftliche Wahrheit aufzudecken. Wissenschaftsbilder zeigen eine geheime Gemeinsamkeit von Folter und moderner Laborpraxis. Während die Wissenschaftsbilder vom Frosch jede Ähnlichkeit mit dem lebenden Tier und dem menschlichen Körper zu vermeiden suchen, lassen sie doch Spuren seiner Präsenz erkennen.109 Wir kennen Bilder der Folterkammern vom 12. bis ins 18. Jahrhundert, der langen Zeit, in der die Heilige Inquisition die Wahrheit aus Angeklagten zu holen suchte, indem sie die Körper quälte und die Psyche traumatisierte.110 Sie erzählen von einem Raum der Prozeduren und Instrumente, der Tische und Gestelle zum Festbinden der Angeklagten, um ihren immobilisierten Körpern alle denkbaren Arten von Verletzungen zuzufügen, damit sie die Wahrheit preisgeben und die Zeugen auf der anderen Seite der Grenzlinie sie registrieren konnten.111 Wen würden die Bilder von Laborinstrumenten in Katalogen des 19. Jahrhunderts nicht an die Folterinstrumente und -prozeduren erinnern? Die Labors der Tierexperimente waren isoliert und schufen einen von Bedeutung entleerten Raum. Aber mit Instrumenten und Apparaten ausgerüstet, entstanden Räume interner Konstellationen, die ihnen Bedeutung und eine Topografie gaben, die sie der Folterkammer der Inquisition ähnlich machten. Das Labor legte eine Verteilung der Körper im Raum fest, die das Recht auf Leben aus einer Sphäre ebenso ausschloss wie – sehen wir von der krassen Diskrepanz der Größenverhältnisse ab – die Folterkammer. Die Aufteilung der Positionen betonte Herrschaft und verhinderte, dass sich die Frage nach Verantwortung, die stets auch eine der räumlichen Konstellation ist, überhaupt stellte. Jenseits einer unsichtbaren Grenze galt das Recht auf Leben nicht. Bilder zeigen das Tier in totaler räumlicher Isolation. Diese Trennung vom Milieu macht die Aberkennung des Rechts auf Leben – das es für den Frosch allerdings auch außerhalb des Labors nicht gab – durch die Wissenschaft sichtbar. Es gab nichts Verbindendes, aus dem ein Anspruch des Tiers hätte abgeleitet werden können. Auch eine Einschränkung durch Empathie wurde durch die räumlichen Anordnungen und Instrumente unterbunden. Vorbild war der mentale Abstand in der räumlichen Nähe des Folterers. Während der Folterer der Inquisition am Körper arbeitete, um Schmerz zuzufügen und Panik auszulösen, ohne selbst mental beteiligt zu sein, sich aus der Folterszene absentierte, verfolgten die Tierexperimente ein anderes Ziel.
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Schmerz war ohne Belang und wurde nicht bemerkt, nicht einmal, wenn das Tier (ein Kaninchen oder Hund) laut aufschrie; Schreie waren ein bedeutungsloser Nebeneffekt auf der Suche nach abstrakter Wahrheit, da, wie Kommentare deutlich machen, Schreie nicht als Äußerungen von Schmerz, sondern als eine mechanische Reaktion von Halsmuskeln und Stimmbändern interpretiert wurden. Das Tier war gleichsam abwesend, da es, der Theorie zu Folge, keinen Schmerz empfinden konnte. Der stumme Frosch enthob die Wissenschaftler dieser zusätzlichen Interpretationsleistung. An Bacons Vergleich der wissenschaftlichen Experimente mit der Folter ist vor einigen Jahren wieder erinnert worden. In der neuen Lesart entwickelt Bacon das Bild der Natur als Frau, schreibt Carolyn Merchant, »die mit mechanischen Vorrichtungen gefoltert werden muss […]«. Die Methoden der Wissenschaften erinnerten »an Verhöre bei den Hexenprozessen und die mechanischen Vorrichtungen, die bei der Folterung der Hexen benutzt wurden. An einer bedeutsamen Stelle sagt Bacon, […] dass man der Natur ihre Geheimnisse auf ähnliche Weise entreißen müsse, wie man die Geheimnisse des Hexenwesens durch inquisitorisches Verhör entschleiert habe […].«112 Diese Verbindung legt eine Spur, obwohl die Identifikation von Natur und Frau eine Verzerrung ist. Der Laborfrosch übernahm nicht die Rolle der unterdrückten Frau. Das Verbindungsglied war nicht die Suche nach verheimlichter Wahrheit, sondern das Böse, das im Hexenprozess von der Frau repräsentiert wurde und durch den Tod der Hexe getilgt werden sollte, und das im Laborfrosch dem Experimentator als sein eigenes Ich gegenübertrat. Nicht das Feminine, wie im 17. Jahrhundert, erlebte der moderne Experimentator im Frosch. Der Mensch im Laborfrosch war eine Projektion des männlichen Forscher-Ichs, an dem im Experiment stellvertretend ein sado-masochistischer Akt ausgeführt wurde. Die Unterschiede sind bedeutend. Für die Inquisition gab es keinen Grund, die Folterer oder die Folterkammer zu verbergen.113 Die Bilder von Experimenten des 19. Jahrhunderts zeigen dagegen die verantwortlichen Männer und die Kammer nicht. Die Wissenschaft wirkte als eine entpersönlichte, anonyme Gewalt, die noch unausweichlicher war als die der Inquisition. Die Chance, der Herrschaft des ins wissenschaftliche System gewanderten Sadismus zu entkommen, war noch geringer als die der Hexen, sich der Inquisition zu entziehen. Die neue Autorität hatte sich immunisiert und Hände, Augen und Ohren gegen die Affekte desensibilisiert. Galvanis Hände in den Froschbildern waren die letzte Ausnahme. Wie konnte man im Labor die Inszenierungen der Inquisition wiederholen, wenn die wissenschaftliche Wahrheit, im Gegensatz zur Sünde, der
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Schöpfung gerade nicht widerspricht? Ihnen liegt ein anderer Begriff von Wahrheit und eine andere Art der Folter zugrunde. Die Inquisition operierte im Zentrum einer Welt, die als Ganze der Sünde verfallen war. Ihre Inszenierungen fanden im Vorgriff auf die Bühne des Weltgerichts statt. Die kirchliche Folter schuf einen überdeterminierten Raum, dem die Macht den Todesschrecken bewusst einschrieb. Dagegen war der Raum der Wissenschaftstheater gegenüber der Transzendenz abgedichtet. Die Gewalt am Froschkörper im kleinen physiologischen Labor gehörte in ein System rationaler Regeln und Zwecke. Der Kampf gegen die irrationalen Fetische im Labor war, gemessen am Kampf der Institution Kirche gegen die falschen Idole, ein Kleinkrieg in den Kämpfen der Moderne, in dem sich die Abgründe, die das theologisch Böse öffnete, kaum noch ahnen ließen. Im Labor war der Tod arbiträr, Begleiterscheinung methodischer Wissenschaft, der mit Indifferenz begegnet wurde. Auch eine kathartische Wirkung auf die Wissenschaftler hatten die Inszenierungen im Wissenschaftstheater nicht. Sie hätte zum Ende der Idiosynkrasie geführt, deren unbewusste Wirkung jedoch anhielt und den Frosch weiter in die Labors verschlug.
Spuren Dem Frosch fehlte, so lautete die Begründung für Vivisektionen, die Seele, denn er gab kein Zeichen des Leidens von sich. Doch in Bildern finden sich Spuren einer Seele. Die Spur geht den Zeichen voraus. Sie sagt uns nichts, aber, sobald wir sie entdecken, weist sie auf etwas Abwesendes hin. Nicht Zeichen, sondern Spuren des Menschen zeigen sich an wissenschaftlichen Froschbildern. Der Spurenleser kann nicht distanziert bleiben, sondern ist involviert und kann nur lesen, wenn er sich aufs Nahe einlässt.114 Das hinderte die Wissenschaftler, die auf Distanz angewiesen waren und Bilder auf Zeichen hin absuchten, die Spuren wahrzunehmen. Die Spuren weisen darauf hin, dass die wissenschaftlichen Experimente auch die Fortsetzung eines langlebigen, verdrehten und emotionalen Verhältnisses von Mensch und Frosch waren. Der Frosch war das ideale Tier für Experimente, da sein Bild sich so einrichten ließ, dass es unter der Zoologie auch Magie erhielt und einen seelenlosen Lurch wie dessen Gegenteil, das Menschliche, repräsentierte. Er zeigte Spuren von Geheimnis, konnte jedoch ebenso als Maschine gesehen werden. In den Untersuchungen über thierische Elektricität (1848) druckt Emil Du Bois-Reymond ein solches Bild ab.115 Es zeigt einen lebenden Frosch in totaler räumlicher Isolation. Der Körper ist auf zwei zylindrischen Blöcken
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festgebunden und lang in der Horizontale gestreckt, eine Körperhaltung, die kein Frosch, aber ein Mensch auf dem Bauch liegend, einnimmt – »Streckbett« hieß diese Position in der Folter. Sein Rücken ist mit zwei großen Metallklammern an eine Elektrisiermaschine angeschlossen, und deren Kabel laufen über ein Metallgerüst, das sich wie ein Galgen über dem Körper erhebt. Es gehört in die Gruppe von Bildern, in denen das Zeichenhafte die körperliche Gegenwart des Abgebildeten auslöschen soll.
Abbildung 34: Emil Du Bois-Reymond, Untersuchungen über thierische Elektricität. 2 Bd. Berlin: Reimer 1848/49: Fig. 24: Stromführende Klemmen an den Frosch anzulegen, S. 456f.
Der Illustrator hat den Frosch jedoch mit einem leicht erhobenen Kopf und bizarr breitem Froschmaul gezeichnet. Der erhobene Kopf und das Auge legen eine Spur: Leben in diesem zum Experimentierding reduzierten Körper. Das große, runde und gewölbte Auge ist ein auffälliges Detail an dem schematisierten Körper. Der Ausdruck des Auges lässt den Frosch aus dem Bild heraustreten und verleiht ihm körperliche Anwesenheit und Seelenleben. Die Frage, was Tiere wahrnehmen, gehörte nicht in den Fragenkatalog dieser Experimente. Der Künstler hat sich aber offensichtlich
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bei der Gestaltung des Auges von dieser Frage leiten lassen. Aus dem fixierten, schematisierten Körper blickt ein waches und sehendes Auge, das den Blick des Betrachters erwidert. In diesem Auge finden wir die Spur eines empfindenden Lebewesens, die die Theorie der Emotionslosigkeit des Tiers und des Wissenschaftsbilds widerlegt.
Abbildung 35: Lessingbrücke, Berlin-Moabit (1903): Otto Lessing; Miltenberger Sandstein. (Für Hinweise danke ich Dr. Martina Weinland und Dr. Jörg Kuhn, Berlin.) Der Brückenschmuck zeigt fünf Sandsteinreliefs mit Fröschen in triumphaler Haltung auf Seeungeheuern reitend und eine Festgirlande haltend; auf drei Reliefs halten die Frösche große Fackeln. Diese Ikonik stellt das Disparate zusammen und bricht mit der christlich-europäischen Tradition. Der lachende Frosch als Triumphator und die Verbindung von Frosch und Fackel sind äußerst ungewöhnlich. Eine Beziehung ließe sich allenfalls zu Symbolen von Leben und Auferstehung Altägyptens seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. herstellen. (Vgl. Henning Wrede, Ägyptische Lichtbräuche bei Geburten. Zur Deutung der Froschlampen. Jahrbuch für Antike und Christentum 11/12: 1968., S.83–93.) Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Bildhauer an das ägyptische Tierbild anschließen wollte. Aus diesen Fröschen in Siegerpose spricht eher eine ironische Distanz zur dunklen Froschsymbolik und zur Mystik, die ein Künstler in der Aufbruchsstimmung der modernen Industriestadt Berlin im öffentlichen Raum demonstrieren wollte.
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Das unpopuläre Froschbild In der Epoche des Fortschrittsglaubens wurde das neue Weltbild der industrialisierten und verwissenschaftlichten Gesellschaft von popularisierten Wissenschaftsbildern entscheidend mitgeprägt. Ihr Einfluss auf das Eigenbild des wissenschaftlichen Zeitalters ist kaum zu überschätzen. Der Kult der Wissenschaft im 19. Jahrhundert vertraute – im Gegensatz zu den Kulten der Religionen – auf die Macht der Bilder. War in »Deutschland die Wissenschaft Instrument einer in vieler Hinsicht weltweit erfolgreichen Politik«,116 so war das Bild des hässlichen Tiers ein ungeliebtes Bild auf dem Weg zum Glanz des internationalen Erfolgs. Die Reste des Tiers, das einmal ein Fetisch gewesen war, verschwanden im Wissenschaftsbild, und die Wissenschaft, die sich des Tiers bediente, hob sich im Lauf des Jahrhunderts in eine Position, in der sie selbst zu einem gesellschaftlichen Fetisch wurde, ohne dafür auf Froschbilder angewiesen zu sein. Die Wissenschaft als neue Grossmacht (Nipperdey) überging das Froschbild als eine peinliche Petitesse. Im Zeitalter der populären Wissenschaftsfotografie gab es kaum Froschfotos, es sei denn, sie wären durch die Beteiligung neuester Erfindungen wie dem Röntgenapparat geadelt. Das unreine und hässliche Tier fiel aus den positiv besetzten Kategorien der Wissenschaftsgesellschaft heraus. Er war unter den Motiven der veröffentlichten Wissenschaftsbilder selten, während er doch als Labortier und in Fachpublikationen eine große Bedeutung hatte. Der Frosch passte nicht in das triumphale Bild, das sich die bürgerliche, fortschrittsgläubige Gesellschaft von der Wissenschaft machte und durch Bilder bestätigen ließ. Den Frosch kann man als das Anti-Tier dieser Epoche verstehen. Klein, hässlich und ein Opfer, wurde er mit Missachtung gestraft. Am ihm klebte ein Makel, der besser verborgen blieb. Froschbilder hätten etwas von der Unterseite des Triumphs von Wissenschaft sichtbar machen können, etwa im Sinn von Wilhelm Buschs Polemik. Auf eine neue Weise wurde der Frosch wieder zu einem schlechten Tier, nicht im moralischen Sinn, sondern weil er sich nicht für Zwecke der Großmacht Wissenschaft eignete. Er blieb ein Unglückstier.
5.5 D ER F ROSCH HEUTE – SUBTILE A RTEN DER F OLTER Im 20. Jahrhundert ersetzten Ratte und Maus den Frosch im Labor – bemerkenswerterweise ebenso unreine Tiere, Tiere des Gewimmels. Feine Elektroden senken sich in Hirne, vorwiegend in Hirne von Säugern, und
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genetische Manipulationen sind noch weniger intrusive. Der Frosch hat ausgedient. Es gibt nun für die Demonstration im Hörsaal den virtuellen Frosch.117 Der Dozent öffnet das Rückenmark, amputiert ein Bein oder dekapitiert, alles mit Hilfe der Computermaus. Die Studenten verfolgen das Experiment zu Demonstrationszwecken auf dem Bildschirm. Wenn der Unterricht beendet ist, erhält der verstümmelte virtuelle Körper die abgetrennten Körperteile zurück, darf auf den Tastendruck des Dozenten laut aufquaken und in einen virtuellen Sumpf springen. Gibt es doch einen Fortschritt, wenn er auch anders aussieht, als ihn sich das frühe Zeitalter der Wissenschaften gedacht hatte? Es ist ein Fortschritt, der mit Elektronik auf die Lebensbedrohung durch die Wissenschaften reagiert.118 Die Frage lautet nicht länger: »Warum der Frosch?«, sondern: »Warum gibt es in der Gegenwart, im Unterschied zu Reaktionen auf Experimente und Wissenschaftsbilder des 19. Jahrhunderts, das Bedürfnis, den zerstückelten Frosch wieder zusammenzufügen?« Setzt sich in den Wissenschaften ein neues Denken über das Leben des Tiers durch? Dafür gibt es wenig Anzeichen.
Wissenschaft im Zeitalter der Genmanipulationen: der gläserne Frosch In der Entwicklung des virtuellen Frosches lässt sich keine neue Achtung vor dem Tier ausfindig machen. Andere Gründe, etwa Arbeitsaufwand, Sauberkeit und Simplizität, die Seltenheit von Fröschen und die unbegrenzte Verfügbarkeit des Computerfrosches fallen eher ins Gewicht. Es lässt sich auch eine Ermüdung feststellen, eine Gleichgültigkeit gegenüber der älteren, verdeckten Lust am Sadismus. Das Experiment hat sein Lustpotential erschöpft, und Abwehr oder Indifferenz setzen ein. Für den mangelnden Wandel sprechen neuere Forschungen am Frosch. Zum Beispiel hat an der Hiroshima Universität ein Team unter der Leitung von Professor Masayuki Sumida am Institut für Amphibienbiologie 2007 einen gläsernen Frosch gezüchtet.119 Dessen Haut ist durchsichtig, so dass die inneren Organe im lebenden Frosch beobachtet werden können. Der Frosch wurde durch die Paarung zweier Japanischer Braunfrösche, durch Mutation zu Albinos geworden, und kontrollierte Selektion geeigneter Nachkommen gezüchtet, bis ein Tier entstand, das während seines ganzen Lebenszyklus die durchsichtige Haut behält. Es gibt in der Fauna nur wenige Tiere mit durchsichtiger Haut: Sie leben im Wasser. Die Züchtung einer durchsichtigen, vierbeinigen Amphibie bedeutet eine zoologische Neuheit. In Interviews und Artikeln begründen die Forscher
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ihre Arbeit mit dem Nutzen für den Menschen: Die durchsichtige Haut erlaube, die Wirkung von pharmazeutischen Mitteln auf Organe und Blutgefäße zu studieren, ohne den Frosch zu sezieren. Das klingt wie eine humane Tat: die Wissenschaft als Freund des Froschs. Aber kann man bei diesen Fröschen von Leben sprechen? Es gibt sie nur, um Krankheiten der Menschen verstehen und heilen zu können. Professor Sumida gab zu Protokoll: »Transparente Frösche werden sich als nützliche Labortiere erweisen, denn es ist einfacher und billiger, die Entwicklung von Krebs, Wachstum und Verfall innerer Organe und die Wirkung von Chemikalien auf Organe sichtbar zu machen […].«120 Die Motivation ist, medizinisch-pharmazeutische Prozeduren »einfacher und billiger« zu machen. Der Frosch ist keinen Gedanken wert. Neuerdings sprechen die Forscher des Teams von einem Plan, die Gene eines Froschs mit einem grün fluoreszierenden Protein zu manipulieren, so dass ein leuchtender (glowing) Frosch entsteht.121 Durch genetische Manipulationen mit Proteinen lasse sich, sagte ein Sprecher des Teams, ein Körper herstellen, der es ermögliche, problematische Gene zu studieren. Von der Forschung am lebenden Leuchtfrosch lassen sich Informationen über die Funktion von Körperteilen in »Realzeit« erwarten. An dem winzigen, von Natur durchsichtigen Fadenwurm Caenorphabditis hat Martin Chalfie (Columbia University) diese Arbeit seit 1992 bereits aufgenommen, hat den Wurm grün leuchten lassen und Gene mit dem GFP zum Leuchten gebracht. Nun kommt der Frosch dran. Durchsichtig ist er bereits, und wenn er noch zum Leuchten gebracht wird, könnte sich sein Weg zurück zum beliebten Labortier öffnen. Sein Nerven- und Zellgewebe könnte für die Grundlagenforschung und die Humanmedizin erneut aufschlussreich werden, und der Frosch könnte aufs Neue dem Menschen dienen. Das signalisiert auch in Japan das Ende eines Denkens, das sich einst in der Haikutradition zeigte. Der Frosch, der als lebendige Maschine der Wissenschaft dient, hat das Denken auch in Japan erfasst. Die wissenschaftliche Globalisierung hat den LaMettrismus internationalisiert. Allerdings hat der nächste Schritt auf diesem Weg des Fortschritts bereits ohne den Frosch begonnen: Der leuchtende Kleinaffe wird vorbereitet. Hier zeigt sich erneut, wie die Lebenswissenschaften von den Imperativen der praktischen Anwendung und dem Interesse des Menschen gelenkt werden. Das erfordert weiterhin, wie schon im Labor des 19. Jahrhunderts, die Trennung von Tier und Mensch. Eine Wissenschaft, die den durchsichtigen Frosch züchtet und zur Wissensproduktion ausbeutet, setzt die Tradition der Herrschaft über die Natur, die sich durch keine Ethik ein-
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schränken lässt, unbeeindruckt fort. Ihr Nützlichkeitsdenken hat für den Frosch als Lebewesen keinen Raum. Der Respekt vor dem Tier um des Tieres willen, der aus der HaikuTradition spricht, kann der Dynamik der Wissenschaft und Marktorientierung der Forschung nicht widerstehen. In einem am Erfolg von Forschung orientierten Denken haben Bilder vom Körper als einem autonomen Organismus den Kosten-Nutzen-Analysen nichts entgegen zu setzen. Immer noch zeigt sich an der Haltung gegenüber dem Frosch die generelle Einstellung zur Natur.122 Fragen von Ethik bleiben dabei unberücksichtigt, und, um es zu wiederholen, es gibt diese Ethik nicht, es gibt allenfalls emotionale Reaktionen, zum Beispiel die Intuition von Krötenschützern. Die Asymmetrie ist konstitutiv für das System, und der Frosch ist in der Wissenschaft auf dieselbe Weise enteignet, wie den Kandidaten für die Anatomie in früheren Jahrhunderten das Recht auf den eigenen Körper abgesprochen wurde. Dieser Wissenschaft ist der Frosch weiterhin zu Diensten. Aber dient er einer Wissenschaft vom Leben? Sicherlich nicht. Wäre es denkbar, eine Lebenswissenschaft zu entwickeln, die sich nicht im Nachhinein der Frage nach einer ethischen Rechtfertigung aussetzt oder sie noch lieber umgeht, sondern in ihren Anfang, in die Konstruktion ihrer Methoden und Objekte, eine Ethik einschließt?
Abbildung 36: Der gläserne Frosch, Translucent frog, Institute for Amphibian Biology, Hiroshima University
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In der Wissenschaftsphilosophie ist seit Jahren die Rede von der Notwendigkeit einer neuen Vorstellung von Natur: »Die Frage kann heute nicht lauten, ob sich eine neue Sicht und Vorstellung der Natur entwickelt, sondern wie diese neue Naturkonzeption sich konturieren müsste […].«124 Diese Kontur kann nur aus einer Negation folgen. Zum Zerfall der Naturtheorien aus dem 19. Jahrhundert gehört, dass Tiere nicht länger vorgestellt werden »als Ergebnis der äußeren Einflussnahme der Umwelt auf Organismen, die als plastisch und fremd bestimmbar gedacht werden, dabei aber keine Autonomie im Sinne restringierender Ordnung besitzen«.125 Auf die praktische Arbeit der Naturwissenschaften hat diese philosophische Einsicht bisher keinen Einfluss geübt. Die Entwicklung des durchsichtigen Frosches bildet das Gegenteil dieser Erwartung und setzt unbegrenzt Fremdbestimmung voraus. Der utilitaristische Umgang mit dem Tier verstößt zweifellos gegen eine moralische Intuition der Gegenwart. Aber es gibt keine Ethik und aus ihr abgeleitete Handlungsverbote, die dieser Forschung Grenzen setzen könnten. Ich habe das Beispiel in einem Seminar benutzt und wenn auch nicht alle Studenten, so war doch die große Mehrheit der Meinung, dass die Züchtung gegen ethische Gebote verstoße und »nicht richtig« sei. Einigkeit, wie diese Gebote zu formulieren und durchzusetzen seien, gab es allerdings nicht. Die von den meisten Studenten vorgebrachten Argumente enthielten Formulierungen, die aus ihren eigenen Erfahrungen kamen, wie »Achtung vor dem Leben« und »Respekt«. Der Frosch, und zumal der gläserne Frosch, war so weit vom Leben der Studenten entfernt, dass sie Schwierigkeiten hatten, sein Prinzip mit ihren eigenen Erfahrungen in Verbindung zu bringen, also eine Herausforderung jenseits einer abstrakten Abwehr zu empfinden. Dass ein lebendes Tier nicht als eine Sache, die man besitzen kann, verstanden werden dürfe, war allgemeiner Konsens. Aber dem widersprach die Auffassung, dass das Nützlichkeitsprinzip – nützlich für Humanmedizin und Pharmazie – eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit erlaube und sich damit die moralische Frage nicht stelle, vielmehr der gläserne Frosch als »sachliche Frage« einer »matter of fact«-Wissenschaft zu behandeln und durch Pragmatik gerechtfertigt sei. Eine Minderheit plädierte für den Anspruch von Tieren auf Autonomie und sehr wenige schlossen den Frosch ein.
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5.H N IJMWEGEN H IGH F IELD M AGNE T L ABOR ATORY : D ER F ROSCH , DER DAS F LIEGEN LERNTE Ein kleiner Frosch, lebendig!, und ein Wasserball schweben in der Ø32mm vertikalen Bohrung einer Bitter-Zylinderspule in einem magnetischen Feld von ca. 16 Tesla am Nijmegen High Field Magnet Laboratory. Das Bild eines Hochtemperatur-Supraleiters in einem Nebel aus flüssigem Stickstoff über einem Magneten schwebend, überrascht uns heutzutage nicht mehr. Jeder weiß inzwischen, dass Supraleiter ideale Diametralmagneten sind und dass das magnetische Feld sie abstößt. Andererseits verstoßen Fotografien von Wasser und einem Frosch, der in einem Magneten hüpft (nicht in einer Raumstation) irgendwie gegen die Intuition und werden wahrscheinlich viele Betrachter überraschen, sogar Physiker. Dies sind die erste Beobachtung des magnetischen Schwebens eines lebenden Organismus und die ersten Bilder von Diametralmagneten in einer normal temperierten Umgebung (wenn wir mal die Geschichte über Mohammeds fliegenden Sarg beiseite lassen). Es ist in der Tat möglich, jedes Material und jedes Lebewesen auf der Erde durch Magnetismus zum Schweben zu bringen, aufgrund des stets wirkenden molekularen Magnetismus. Der molekulare Magnetismus ist sehr schwach (millionenfach schwächer als Ferromagnetismus) und bleibt im täglichen Leben gewöhnlich unbemerkt, so dass der falsche Eindruck entsteht, dass die Materialien um uns herum nicht-magnetisch seien. Aber sie sind alle magnetisch. Es ist schlicht so, dass Magnetfelder ungefähr hundert Mal größer als das des Supraleiters sein müssten, um all diese »nicht-magnetischen« Materialien zum Schweben zu bringen.
Eine einfache Erklärung: Das Wasser und der Frosch sind nur zwei Beispiele des magnetischen Schwebens. Wir haben viele Materialien in Magnetfeldern schwebend beobachtet […] einfache Metalle und auch Dinge des Alltagslebens wie Pflanzen, Frösche, Fische und eine Maus. Wir hoffen, dass unsere Fotografien vielen, vor allem Nicht-Physikern, helfen werden, die Bedeutung des Magnetismus in der Welt um uns einsehen zu lernen. So ist es zum Beispiel nicht nötig, stets eine Raumfahrt zu organisieren, um den Effekt von Mikrogravitation zu untersuchen […] solche Versuche können stattdessen in einem Magneten ausgeführt werden. Die Fähigkeit zu schweben ist unabhängig vom Material […]. Soweit lebende Organismen betroffen sind, sind keine nachteiligen Effekte starker Magnetfelder bekannt – schließlich ist unser Frosch in Feldern geschwebt, die mit denen vergleichbar sind, die in kommerziellen bildgebenden Verfahren benutzt werden (bis zu 10 T). Der kleine
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Klonen Auch an Experimenten des post-industriellen Zeitalters nimmt der Frosch teil. In physikalischen Labors schwebt er in den unsichtbaren Feldern des molekularen Magnetismus, die Bedingungen der Schwerelosigkeit herstellen, und in medizinisch-physiologischen Labors beschäftigen Wissenschaftler ihre Innovationskraft mit dem Projekt, vom Aussterben bedrohte Frösche zu klonen. Androgenese heißt die Entwicklung eines Lebewesens aus rein männlichen Erbanlagen. Die mütterlichen Chromosomen fehlen, und die notwendige Verdoppelung des männlichen Chromosomensatzes wird durch einen Hitzeschock herbeigeführt. Bei diesem Verfahren entsteht ein mit seinem Erbgutspender genetisch identisches Tier. Im Rahmen von Projekten wie »Conservation and Research for Endangered Species« (CRES) oder »Frozen Ark« sammeln Wissenschaftler genetisches Gut und bewahren tiefgekühlte DNA von zahlreichen gefährdeten Tierarten in der Hoffnung, die Natur, wenn sie erst einmal ausgestorben ist, künstlich neu zu erschaffen. Sperma von gefährdeten Amphibienarten lässt sich sammeln, und es gibt keinen Zweifel, dass sich Wissenschaftler finden, die durch Klonen die Frösche retten werden. Mit Samen des Krallenfroschs und des mexikanischen Schwanzlurches Axolotl experimentieren Wissenschaftler seit einigen Jahren. Unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes ist das ein sinnloses Unterfangen. Es ist aber symptomatisch für die Haltung der Wissenschaft gegenüber dem Tier. Sie ist unverändert von Asymmetrie geprägt. Das Labor dehnt sich auf die Welt aus, weist Menschen und Fröschen weiterhin feste Positionen im Raum des Handelns zu und zementiert die Herrschaftsverhältnisse. Wenn der Mensch sein Interesse dahingehend bestimmt, dass die Natur ausgebeutet werden soll, erlegt keine Verantwortung ihm eine Hemmung auf, auch wenn damit Tierpopulationen ausgerottet werden; wenn er aber ein Interesse am Leben des Frosches entdeckt, zögert er nicht, seine neuesten Technologien zu seinen Gunsten einzusetzen und in die Rolle des Wohltäters zu schlüpfen. Aber handelt er im Interesse des Frosches? Wozu sollte es gut sein, im Labor einen Frosch zu klonen, wenn die Froschpopulationen ganzer Regionen aussterben? Der Einsatz der DNS-Revolution hilft nicht dem Frosch, aber benutzt ihn, um die Allmachtsphantasien von Forschern zu beflügeln. Der menschliche Klon ist ein Phantasiebild, das im Zeitalter des Wissenschaftsbilds die Hoffnung auf Unsterblichkeit verkörpert.126 Unsterblichkeit hatte in das magische Froschbild gehört. Eine ihm über Jahr-
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Frosch im Magneten sah zufrieden aus und kehrte nach dem Experiment fröhlich zu seinen Froschgenossen in einem Biologiedepartment zurück.
Warum der Frosch? Verbreitet in biologischen Forschungen, sind Frösche in physikalischen Labors selten und man könnte sich fragen, warum holländische (Geheim-) Wissenschaftler Frösche statt irgendetwas anderem, Wissenschaftlichen, etwas Bedeutungslosem wie einem Mumbo-Jumbo zum Schweben bringen. Wir entschuldigen uns bei denen, die denken, richtige Physik müsse sich mit obskuren Substanzen beschäftigen und langweilig sein […]. Das magnetische Schweben wurde bereits 1939 entdeckt. Als wir das magnetische Schweben neu entdeckten, ohne von früheren Versuchen zu wissen, waren wir überrascht herauszufinden, dass 90 % unserer Kollegen nicht glauben wollten, dass wir keine Scherze machten. Wir merkten bald, wie wichtig es ist, Wissenschaftler wie Nicht-Wissenschaftler mit dem Phänomen vertraut zu machen. So ließen wir einen lebenden Frosch schweben, weil er für ein breites Publikum attraktiv ist und wir hoffen, dass Forscher anderer Disziplinen, nicht nur Physiker, niemals wieder diese oft übersehene Kraft und ihre Möglichkeiten vergessen werden. Außerdem: Froschbilder werden sicherlich Studenten, die sich mit Magnetismus beschäftigen, dabei helfen, sich nicht zu langweilen.
Warum fliegt der Frosch? Die folgende Erklärung reagiert auf zahlreiche Fragen von Kindern, die nie etwas über Physik gelernt haben und sie auch nicht studieren wollen. Beim Spielen mit Magneten habt ihr sicherlich oft beobachtet, dass Magneten sich abstoßen, wenn man ihre identischen Pole zusammenbringt, also zwei Nordpole oder zwei Südpole. Unser Magnet bildet ein sehr großes magnetisches Feld, ungefähr 100 bis 1000 mal größer als gewöhnliche Magnete im Alltag. In diesem Feld verhalten sich alle Atome im Frosch wie kleine Magnete und bilden ein Feld von etwa 2 Gauss (das ist klein, aber ein Kompass reagiert darauf). Man kann sagen, dass der Frosch nun aus all diesen kleinen Magneten besteht, die alle vom großen Magneten abgestoßen werden. Die Kraft, die nach oben gerichtet ist, ist offenbar stark genug, um die Kraft der Gravitation zu überwinden, die ja in jedem Atom des Froschs wirkt. Also spüren die Atome im Frosch überhaupt keine auf sie wirkende Kraft, so dass der Frosch schwebt, als ob er in einer Raumkapsel wäre. Diese Arbeit der Nijmwegen-Forscher wurde zuerst in Physics World, April 1997, S. 29 publiziert. Eine vollständige Beschreibung in: A.K. Geim, Everyone’s Magnetism, in: Physics Today, Sep. 1998, S. 36-39 und in: M.V.Berry und A.K.Geim, Of flying frogs and levitrons, in: European Journal of Physics, Bd. 18, 1997, S. 307-313. (meine Übersetzung)
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hunderte hinweg zugesprochene phantastische Eigenschaft soll ihm nun durch die Wissenschaft im gelebten Leben gegeben werden. Das Klonen steht für die Hoffnung auf Unsterblichkeit des individuellen Subjekts, das sich durch das exakte Duplikat dem Tod zu entziehen sucht, damit aber seine Subjektivität verliert. Für den Klon ist der Begriff der Subjektivität prinzipiell sinnlos, und so nähern sich Mensch und Frosch unter diesen Bedingungen der hoch entwickelten Biowissenschaften einander an: Unterschied der Frosch sich vom Menschen dadurch, dass er als Tier des Gewimmels existierte, so ebnet die moderne Wissenschaft diesen Unterschied ein, sobald sie dem Menschen durch das Klonen seine Subjektivität nimmt und ihn damit zum Gewimmel macht. Auf eine ganz unerwartete Weise stellt sich eine Gemeinsamkeit her, die als negative Gemeinsamkeit aus einem Verlust folgt, ein Verlust, der sich allerdings als Gewinn tarnt und sich als Sieg über die Zeit und den Tod präsentiert. Der magische Frosch und der geklonte Frosch bilden die beiden Extreme: An die phantasierte grenzenlose Reproduktion des verfolgten aber auch bestaunten Froschs, des Anarchen, hefteten sich Unsterblichkeitsphantasien. In der Gegenwart soll der Eingriff der Wissenschaft ins Innerste der schaffenden Natur ein reales Lebewesen produzieren, das dem Menschen die Unsterblichkeit vorlebt, aber nur in winzigen Zahlen und ohne einen eigenen Charakter existiert. Dieser Frosch verdankt sein exklusives Leben einem Menschen, der im Begriff steht, selbst seine spezifische Differenz, das principium individuationis, zu verlieren.
6 Der Ökofrosch
6.1 F ROSCHBILDER DER G EGENWART Markt und Werbung Mit dem Verschwinden der gefährlichen Tiere Europas verschwand auch der gefährliche, imaginierte wilde Frosch. In Literatur und Kunst hatte sich sein Verschwinden seit einiger Zeit vorbereitet, und nun machte die Vermarktung einen weiteren Beitrag. Als Frösche gegen Ende des 20. Jahrhunderts selten wurden, einige Arten vom Aussterben bedroht waren und andere bereits ausgequakt hatten, kehrten sie als Bilder auf dem Bildschirm, auf Plakatwänden, in Kalendern oder als beliebtes Motiv in Fotowettbewerben von Amateuren zurück. Die perfekten Farbbilder von Fröschen, oft aus tropischen Wäldern, in den Populärmedien täuschen Echtheit vor, als zeigten sie Frösche zum Anfassen. Aber sie zeigen, sieht man sie vor dem Hintergrund der langen Tradition der Froschbilder, eine spezifische Konstruktion vom Frosch, das Tier einer phantastischen Wunschwelt. Diesen Frosch hat das System sich angeeignet. Er ist weder bedrohlich noch ekelerregend, noch abstrakt, sondern amüsant und strahlt eine konsumfreundliche Stimmung aus. Dieser Frosch lädt zur nahtlosen Identifikation ein. Werbung verwandelt den Frosch in eine Ware. Sie macht aus dem Tier das Objekt in einem Besitzverhältnis und beutet den Tierkörper kommerziell aus. Auf ihren Bildern präsentieren Frosch und Kröte ihre Körper, nicht anders als Schauspieler und Modelle, und treten auf, als ob sie in bunten Kostümen steckten. Sie machen Werbung für saubere Luft, reines Wasser, ein Automodell, Reinigungsmittel. Einige werben für Reisen in exotische Länder und andere für die Rettung der Regenwälder, die ungestört weiter abgeholzt werden. Aus der Würdelosigkeit der Ware auf dem Werbungsmarkt erschließt sich das funktional Angepasste von Fröschen der öffentlichen Ikonografie. Die Frage »Dürfen wir Tiere wie Besitz behan-
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deln?«, in der englischsprachigen Welt intensiv diskutiert, ist mit diesen Bildern beantwortet. Sie handeln vom Tier als einem Besitz. Das unangepasste, Störende, Hässliche ist aus dem Froschbild zu Gunsten der fröhlichen Konsumwelt ausgetrieben. Auf einen Zusammenhang zwischen Frau und Tier in der ausbeutenden Behandlung des Körpers durch die Werbung ist hingewiesen worden.1 Tiere haben keine Lobby, die eine Kampagne wie die gegen die Kommerzialisierung des weiblichen Körpers in der Werbung starten könnte. Die bunten Bilder von bizarren, exotischen oder skurrilen Fröschen sind die populären Variationen der Verweigerung des Sehens in den Wissenschaften. Auf dem Markt hat der Frosch so wenig einen eigenen Körper wie im Labor. Es herrschen die selben Besitzverhältnisse.
Abbildung 37: Tropische Frösche eines Kalenderblatts
Die lachenden oder melancholisch blickenden Frösche der Werbung und Bildindustrie müssen vor der bedrohlichen Zukunft der ökologischen Krise gesehen werden, von der sie ablenken. In dem Maß, wie die ökologische Krise sich nicht als ein technisch zu lösendes Problem oder die Kombination einzelner Probleme, sondern als grundlegende Störung im Verhältnis von Mensch und Natur entpuppt, ist das bunte Bild vom Tier skandalös. An der Verkehrung vom Frosch in Bilder vom schönen Tier zeigen sich Besitz und Ausbeutung als die Prinzipien im Verhältnis zur Natur. Er befriedigt scheinbar den Wunsch nach Kontakt mit Natur, aber indem sein Bild diesen Wunsch umlenkt und das Tier zur Ware degradiert, an dessen falschem, schönem Schein der Betrachter Vergnügen hat, trägt es zur Missachtung der Natur und ihrer verantwortungslosen Kommerzialisierung bei. Gleichzeitig mit dem kommerzialisierten Frosch entsteht der Frosch der Umweltkatastrophe. Es gibt kaum ein anderes Tier, das so unzweideutig ein Krisenbewusstsein erzeugt wie der Frosch. Neben einem winzig kleinen und stilisierten Frosch reicht das eine Wort »Ausgequakt« in
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einer Zeitungsanzeige aus, um ein eindeutiges Signal zu geben: Frösche sterben. Aber das Sterben der Frösche ist nicht die eigentliche Bedrohung, sondern der Tod des Tiers signalisiert den Tod der Natur. Dessen schleichenden Prozess sehen wir nicht, aber können ihn am Froschsterben imaginieren. Der Frosch mahnt, dass es nicht mit dem Schutz eines Tiers, einer Art, nicht mit dem Schutz eines Biotops oder einer Landschaft, nicht einmal mit der Stabilisierung des Klimas getan ist, sondern dass das entscheidende Problem in der Einstellung des Menschen zur Natur liegt. Und wieder stellt sich die Frage: warum der Frosch?
Abbildung 38: Werbeplakat, Berlin 2009
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Stirbt das älteste Wirbeltier auf dem Land aus? Tod und Deformationen Erschreckende Zahlen und Prognosen über einzelne Arten und Regionen liegen vor. Ein Drittel der etwa 6500 Amphibienarten ist gefährdet. Froschlurche reagieren auf die Umwelt besonders empfindlich. Verschmutzung und Umweltzerstörung sind die Hauptursachen für das drohende Aussterben ganzer Froschpopulationen, aber auch »der Einsatz von Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln, das Übersammeln von Fröschen für den menschlichen Verzehr und Terrarien, und vor allem die Zerstörung von Lebensräumen haben die Lebensbedingungen für Amphibien erheblich erschwert. Während die Zerstörung des Lebensraumes eine wichtige langfristige Ursache ist, ist die weltweite Verbreitung des tödlichen Chytridpilzes Batrachytrium dendrobatidis die unmittelbare Hauptursache für das weltweite Amphibiensterben. […] Ist der Pilz erst einmal in einem Gebiet eingeschleppt worden, sterben innerhalb weniger Monate 50 Prozent aller Amphibienarten und 80 Prozent der dort lebenden Individuen aus.«2 Internationale Organisationen erklärten das Jahr 2008 zum Jahr des Frosches,3 um auf diese Bedrohung aufmerksam zu machen und Schutzprogramme anzuregen. Fotos von Fröschen aus dem tropischen Regenwald lösen Begeisterung aus. Aber der sterbende Frosch? Diesem Sterben gegenüber empfinden wir eine Hilflosigkeit, die nicht grundsätzlich anders ist als die gegenüber dem Zauber, der in einer nicht sehr lange zurückliegenden Vergangenheit die Menschen bedrohte. Das Sterben geschieht im Verborgenen.4 Niemand sieht die Abermillionen Froschleichen. Sie hinterlassen ungesehene Lücken, von denen wir nur wissen können, und von denen nur weiß, wer wissen will. Zu einer persönlichen Erfahrung wird dieses Sterben nicht. Schockierender als das Wissen wirken auf uns die Bilder einer anderen Form des Todes: körperliche Deformationen. Diese Froschbilder sind geeignet, Schock auszulösen. Sie wahrzunehmen, sind wenige bereit. Im September 2007 berichtete die BBC von einem Frosch mit drei Köpfen und sechs Beinen an einem Körper.5 Kinder hatten ihn im Garten eines Kindergartens in Weston-super-Mare entdeckt und dachten zunächst, es seien drei ineinander verknäulte Frösche. Als sie erkannten, was sie sahen, waren sie schockiert. In der Gegenwart haben Bilder von Brutalitäten und Destruktion ihre Schockwirkung verloren. Wir sehen Bilder von Kriegen und Massakern, sind nicht verstört und wenden den Blick nicht mehr ab. Anders dieser Anblick: Deformierte Frösche und ihre Fotos zeigen uns
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die Opfer eines verborgenen Kriegs und stiller Massaker. Die Kinder, die den Frosch entdeckten, waren schockiert, und nicht nur sie. Dem Reporter verschlug es die Sprache, und er musste wegsehen. Sein naiver Zusatz: »Könnte es eine ›frühe Warnung‹ für Umweltprobleme sein?«, zeugt von der Abwehr des naheliegenden Gedankens. Der Frosch der Vergangenheit erregte Abwehr, konnte aber als das Naturhässliche in die Welt eingeordnet werden. Angesichts des dreiköpfigen Monsters stellt sich die Frage: Gehört es in die Welt? Und was bedeutet es, wenn es in sie gehört? Hat sich die Welt so verändert, dass das Monströse zum Teil der Natur wird? Im Wegsehen verbirgt sich ein ethisches Problem. Es folgt dem Wunsch, Zusammenhänge nicht zu sehen und Verantwortung – nicht für den einzelnen Frosch, sondern für die Ursachen der Verstümmelung – zu verleugnen. Am Frosch sehen wir nicht nur die Deformation eines Tiers, sondern die Deformation des Tiers erinnert an die gefährdete Zukunft der Menschen und soll daher aus dem Vorstellungshorizont ausgeblendet werden. So bedroht wie die Gegenwart der Frösche und Kröten darf die eigene Zukunft nicht aussehen, sagt das Wunschdenken und wehrt sich gegen Ahnungen eines Endes. Die Verweigerung korrespondiert mit dem Plüschtierbild und der Werbung ebenso wie mit der Haltung, die in der Züchtung des durchsichtigen Froschs der Wissenschaft triumphiert.
Abbildung 39: Deformierter Frosch
Ein neues Kapitel in der Geschichte von Frosch und Kröte hat begonnen. Es handelt nicht mehr von der Angst vor dem Frosch oder von Faszination, und auch der Frosch der Wissenschaft steht nicht mehr im Zentrum. Die Konstellation hat sich verändert. Frosch und Kröte haben die Seiten ge-
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wechselt. Sie lösen keine negativen Reaktionen mehr aus und bilden keine Bedrohung, sondern sind selbst bedroht. An ihrem Bild stellt sich nicht nur die Frage nach ihrer Zukunft, sondern auch die Frage nach der Zukunft der Artenvielfalt und der Natur, die fundamentale Frage der Gegenwart. Darin liegt ein für Frosch und Mensch gemeinsames Problem. In der Geschichte der Mensch-Frosch-Beziehung hat es eine solche Gemeinsamkeit nicht gegeben. Die Sorge um die Zukunft vereint Mensch und Frosch, und womöglich ist es zutreffender zu sagen: Der Mensch ist dabei, die Seiten zu wechseln. Die Gefährdung der Zukunft führt nicht nur zum Wegsehen, sondern auch zu einer neuen Präsenz von Frosch und Kröte in der vorgestellten Welt, die Anlass zur Frage nach einer Ethik gibt, die das Tier einschließt. Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die Diskurse zur Mensch-TierBeziehung der Gegenwart.
Frosch und Tierschutz – Tierliebe und Gesetze Es lassen sich zunächst zwei Positionen unterscheiden, von denen der Frosch auf unterschiedliche Weisen betroffen ist. Der Tierschutzbewegung geht es um das Recht der Haus- und Nutztiere auf ein Leben und Sterben ohne Leid. Eine zweite Position will Tieren einen Subjektstatus zusprechen und versucht, aus ihm moralische und juristische Ansprüche des Tiers zu rechtfertigen. Diese beiden Positionen vermeiden viele Schwächen des Anthropozentrismus. Aber welchen Platz räumen sie dem Frosch ein? Der Tierschutzbewegung liegt die Sympathie mit dem Tier sowie ein schlichter philosophischer Rahmen zugrunde, der Utilitarismus. Sulzer hatte entgegen seiner Absicht ein Tier entdeckt, das der zweckrationalen Definition voraus lag und Gefühle von Zuneigung und Schutzinstinkte auslöste. Im folgenden Jahrhundert verbreiteten sich solche Gefühle, und bald brachte Schopenhauers Mitleidsethik eine Haltung zum Ausdruck, an der die Tierschutzbewegung seit dem frühen 19. Jahrhundert anknüpfen konnte. Den philosophischen Rahmen des Tierschutzes lieferte jedoch eher der Utilitarismus als die Mitleidsethik. Mills und Benthams Verständnis des Utilitarismus folgte dem zivilisatorischen Optimismus des 19. Jahrhunderts, der jedoch unter den Bedingungen der fortgeschrittenen Wissenschaftsgesellschaft sein Versprechen nicht halten konnte. John Stuart Mills Fassung des Utilitarismus hält die moralische Verpflichtung zur Fürsorge für ein subjektives Gefühl, das sich aus dem egoistischen Wunsch
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6.A W OLFGANG B ECHTLE , D IE H OCHZEIT DER G R ASFRÖSCHE Nicht alles läßt sich durch den Instinkt erklären, wenn er uns auch vieles verständlich macht. Es bleiben immer noch genug »Wunder« übrig. Ich möchte Sie einladen, mit mir einige Minuten über ein Wunder nachzudenken, das sich jedes Jahr im März ereignet. Leider berührt es einige Menschen so wenig, daß sie sich nicht schämen, dieses März-Wunder – die Hochzeit der Grasfrösche – jedes Jahr in einen Tiermord zu verwandeln! Rekapitulieren wir unsere zoologischen Kenntnisse vom Leben der Froschlurche: Die Tiere ziehen sich im Herbst in Verstecke zurück, in denen sie in eine Winterstarre verfallen. Im Frühjahr erwachen ihre Lebensgeister wieder, und dann wird Hochzeit gefeiert. Bei den Grasfröschen, den ersten Hochzeitern des Jahres unter unseren Froschlurchen, findet diese »Wiederentdeckung« zum Leben zu einer Zeit statt, in der noch Schneereste das Land bedecken und die Gewässer erst vor kurzem eisfrei geworden sind. Im März ist es vielfach noch recht kalt. Es ist daher wohl kaum anzunehmen, daß etwa milde Witterung die Frösche in ihren Verstecken geweckt haben könnte. Man könnte vielmehr vermuten, daß der Grasfrosch in seiner dunklen Winterkemenate – ähnlich wie die Zugvögel, die in fernen, warmen Ländern auch nicht spüren können, wie das Wetter »zu Hause« ist – einem geheimnisvollen Rhythmus unterliegt, einem noch nicht geklärten Zeitsinn, der ihn veranlaßt aufzuwachen. Langsam löst er sich aus seiner Starre und verläßt das Winterquartier. Zwar gibt es noch kein Futter für ihn, doch will er Hochzeit machen, und dazu braucht er eine Gefährtin und – Wasser. Wer je im März an einem von dumpfem Gemurmel und Gemurkse tönenden See gestanden hat, wird dieses Bild nicht vergessen. Da sitzt Frosch an Frosch, Mann an Mann, und jeder versucht, eine Liebste zu ergattern. Sie haben nur eines im Sinn, ihre Arme um eine der unscheinbaren Froschdamen zu legen. Die Grasfröschin wird umarmt und nicht mehr losgelassen, bis die Hochzeit vorbei ist. Oft hängen sogar mehrere Männer an ihr. Es kann Tage dauern, bis sie ihren bräunlichen Laich von sich gibt. Die Laichklumpen bestehen aus 3000 bis 4000 Eiern, die erst im Wasser von Männern befruchtet werden. Wenn nicht zuvor etwas Furchtbares passiert – zum Beispiel ein Mord! Wir sprechen hier nicht von den Tieren, die auf die Grasfrösche angewiesen sind, um leben zu können: Eulen, Tagraubvögel und die Räuber unter den Säugetieren, sondern vom Menschen, der zu seiner Ernährung gewiß nicht der Grasfrösche bedarf. Es scheint nämlich eine Art von Feinschmeckern zu geben, die auf den »Leckerbissen« Froschschenkel nicht verzichten zu kön-
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nach Unlustvermeidung entwickelt habe.6 Das subjektive Gefühl werde zu einem gesellschaftlichen Handlungsmotiv durch den Konformitätsdruck: Das subjektive Empfinden der Verantwortung sei in der Zivilisationsgeschichte zu einem gesellschaftlich sanktionierten Gut geworden, und es liege im Interesse des Einzelnen, ihm zu folgen. Jeremy Bentham ergänzt diese These um das Verhältnis zum Tier, dreht die gebräuchliche Frage nach den Fertigkeiten der Tiere um und fragt: »Can they suffer?« Leitet sich aus einer positiven Antwort auf diese Frage eine Verpflichtung gegenüber dem Tier ab? Und gäbe eine negative Antwort das Recht auf Grausamkeit? Beide Fragen sind zu verneinen. Ist der Frosch leidensfähig? Bewick, einige Autoren des späten 18. Jahrhunderts und spätere Tierschützer gingen davon aus. Die Mehrheit offensichtlich nicht. Für das Mitgefühl mit dem leidenden Tier eignen sich die hoch entwickelten Säugetiere. Aber Lurche?
Abbildung 40: Europawahl 1989: Die Grünen, Bundesgeschäftsstelle Bonn (Sammlung Gerhard Paul, Flensburg)
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nen glaubt. Auf dieses Konnto ist es zu schreiben, daß jedes Jahr im März Massenmord an den hochzeitenden Grasfröschen verübt wird. Ich selbst bin an einem solchen See gestanden, der wenige Stunden zuvor von Froschjägern verlassen worden war. Mir bot sich ein grauenhaftes Bild. Die zuckenden Leiber der ihrer Hinterbeine beraubten Frösche türmten sich zu Bergen. Mit großen Schöpfnetzen waren die Tiere aus dem Wasser geholt worden. Natürlich habe ich es nicht beim Grauen bewenden lassen, sondern die Polizei alarmiert. Zwei der Tierquäler wurden noch am selben Tage gefaßt, einige andere später. Sie hatten für die französische Besatzungsarmee gefangen und gaben an, daß man ihnen für hundert Paar Froschschenkel 20 DM bezahle. Ich bitte alle Tierfreunde, bei ähnlichen Fällen auch Anzeige zu erstatten. Die Rechtslage ist leider recht dürftig. Die sehr »reparaturbedürftige« Naturschutzverordnung vom 18. März 1936 nimmt in ihrem § 24, III die Gras- und Wasserfrösche ausdrücklich vom Schutze aus. Die Wasserfrösche seien Fischereischädlinge, und die Grasfrösche – nun, die seien zwar bis zu einem gewissen Grade nützlich, aber man verwende sie eben zur Gewinnung des Leckerbissens Froschschenkel, und daher seien sie »Gegenstand der Fischerei«. Die einzige Handhabe gegen den Froschmörder bietet das Tierschutzgesetz in seinem § 2, Nr. 12. Dort wird verboten, lebenden Fröschen die Schenkel auszureißen. Die Tiere müssen vorher getötet werden. Da dies nur in den seltensten Fällen gemacht wird, kann man wenigstens die Tierquäler belangen. Kosmos. Zeitschrift für alle Freunde der Natur, 54. Jahrgang (1958), Stuttgart, S. 130ff.
Der Utilitarismus wird vom Gedanken des Interesses gelenkt. In dem Maß, wie die Verpflichtung gegenüber der nichtmenschlichen Natur aus Interessen abgeleitet wird, fehlt die entscheidende Dimension: die Unabhängigkeit vom Menschen. Was können wir über die Interessen des Tiers – will man diese lose Rede von Interessen akzeptieren – wissen? Die Interessen der Menschen stehen mit den Bedürfnissen der Tiere selten im Einklang und setzen sich im Konfliktfall stets durch. Solange die Argumentation sich von Interessen leiten lässt, kann die überwiegende Mehrheit der Lebewesen nur Opfer oder aber Empfänger von Wohltaten des Menschen sein. Der Utilitarismus macht das Tier von Almosen abhängig, und sein Leben ist ein Almosen aus der Hand des Menschen, der auf Rechte, auch
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auf sein Recht zu töten oder dem Tier die Lebensgrundlagen zu entziehen, verzichtet. Seit dem 19. Jahrhundert vertraut die Tierschutzbewegung daher weniger auf die Liebe zum Tier als auf einen Schutz durch Gesetzgebung. Tierexperimente oder der Verbrauch von Tieren zum menschlichen Nutzen sind nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern den durch den Staat durchgesetzten Gesetzen und mäßigenden moralischen Regeln unterworfen. Zweifellos: Der Kampf, Nutztiere, etwa in Schlachthöfen und Labors, und einige wild lebende behaarte Säuger vor dem Leiden zu bewahren, entspringt moralischen Motiven, die oft mit großem persönlichen Einsatz verwirklicht werden. Auch dem neuen Engagement von Tierschützern, die einzelne Frösche und Kröten retten, liegt Benthams Frage zugrunde: Sie praktizieren eine Form der Mensch-Tier-Beziehung, für die es in der Geschichte kein Vorbild gibt: Mitleid mit dem Frosch.7 Dieses Engagement darf nicht unterschätzt werden. Es ist ein symbolisches Kapital für die Arbeit an der Naturbeziehung. Aber es kann nicht die Antwort auf die Frage nach einer Ethik geben, die die Tiere einschließt. Es folgt einem Gefühl, das in Konfliktfällen nicht belastbar ist und jederzeit zurückgenommen werden kann. Aus ihm lässt sich kein Recht des Froschs auf Leben und kein Anspruch der Natur ableiten. Auch lassen Gefühlsreaktionen die Ursachen des Sterbens unberücksichtigt. Das Denken des Utilitarismus ist in der Mentalität der Moderne tief verwurzelt und lässt sich nicht in einem Willensakt ersetzen. Wenn es um die Verpflichtung gegenüber der Natur geht, stellt sich, oft durch utilitaristische Argumente begründet, ein Konsens leicht her, der aber selten mehr als öffentliche Rhetorik bedeutet. Nützlichkeitserwägungen geraten mit dem Mitleid und der Moral in Konflikt und setzen sich durch. Solange das Handeln sich am Eigeninteresse der Menschen, auch ihrer Eigenliebe, die eine Liebe zu einzelnen Tieren einschließt, orientiert, sind Frosch und Kröte chancenlos. Aber an ihren Chancen entscheidet sich die Zukunft der Natur. Frosch und Kröte sind eine Art Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Verpflichtung gegenüber der Natur. Nur wenn das am Interesse des Menschen orientierte Verständnis von Interessen aufgegeben und Mensch und Tier als gleichermaßen in Natur als Umwelt eingebettet verstanden werden, ließe sich dem Frosch eine Position einräumen, die nicht auf Mitleid beruht. Veränderung ist nur über die Veränderung der mentalen Einstellung, über ein Umdenken der Mensch-Tier-Natur-Beziehung zu erreichen, und sie macht den Abschied vom Utilitarismus nötig.
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Tier und Subjektivität Aus der Sicht des Utilitarismus haben wir ein Problem im Umgang mit Tieren; es ist aber nötig zu denken, dass wir in dieses Problem verwickelt sind: Wir sind das Problem. Eine Reaktion ist, die Exklusivität des Menschen aufzugeben und Tiere zu Subjekten zu erheben, denen Rechte zustehen. Ist eine solche Mensch-Tier-Beziehung denkbar? Ein Grundproblem für diesen Versuch ist die Frage der Macht. Mit dem Problem kämpfte bereits die Aufklärung. In einer Fabel, Der Mensch und die Natter, macht der Mensch der Natter den Prozess und verurteilt sie wegen Bosheit zum Tode.8 Aber die Natter spricht zum Menschen und weist die Anschuldigung nicht nur zurück, sondern beschuldigt den Menschen mit guten Gründen der Heuchelei. Sie gewinnt drei Fürsprecher, die ihre Bewertung des Menschen teilen. Der Ausgang des Prozesses ist eindeutig: Nicht das Tier, sondern der Mensch ist schuldig. Er wäre des Todes, wenn das Vernunftideal der Gleichheit gälte. Aber es gilt nicht, denn der Mensch hat die Macht. Er bricht die Regeln und tötet die Schlange aus reiner Willkür. In einem Verhältnis zum Tier, das in einem rationalen, juristischen Modell gedacht wird, kann Moral nur gelten, wenn der Mensch das Zugeständnis macht, auf seine Macht zu verzichten. Ist es realistisch anzunehmen, dass er diesen Verzicht um des Tiers willen zu leisten bereit ist? Diese Annahme liegt den Theorien zugrunde, die das Problem durch die Umkehrung der Tradition zu lösen suchen und Tieren den Status von Subjekten zusprechen wollen. Lassen sich die Werte, die im Verhalten von Menschen untereinander wirken, auf das Verhältnis zum Tier übertragen?9 Ethiken, die Tiere oder die Natur in die Position von vertragsfähigen Subjekten einsetzen, gibt es nicht. Das Prinzip der reziproken Anerkennung und die Bedingung eines egalitären Umgangs von Personen miteinander führen dazu, dass die traditionellen Ethiken uns im Stich lassen, wenn wir nach einer Ethik für das Verhältnis zu Tieren suchen, weil »nach ihnen die Natur prinzipiell kein Adressat ethischen Verhaltens war«.10 Adressaten ethischen Verhaltens waren von Aristoteles bis zu Descartes und Kant und den gegenwärtigen Entwürfen von Ethik nur vernunftgeleitete Subjekte. Für deren Subjektstatus sind die kognitiven Fähigkeiten fundierend. Das 18. Jahrhundert entwickelte das bis heute gültige Modell, eine Ethik, die ausschließlich für »intelligible Subjekte«, wie Kant formulierte, konzipiert ist. Hält man an diesem Modell fest, kann nur die Aufwertung des Tiers zum Subjekt durch Bewusstsein und kognitive Fähigkeiten, die denen des Menschen entsprechen, das Verhältnisproblem lösen.11
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Ein Teil der Primatenforschung hat sich das Ziel gesetzt, das Verhältnis von Mensch und Tier durch ein Verständnis des Tiers auf eine Weise zu ändern, dass seine kognitiven Leistungen es dem Menschen angleichen. Diese Forschungen haben unser Bild vom Tier tiefgreifend verändert. Philosophen und Tierforscher wie Griffin, Regan oder Frans de Waal haben mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit Beispiele für die Intelligenz von Tieren vorgeführt.12 De Waal geht wohl am weitesten mit dem Versuch, dem Tier die Fähigkeit zur Produktion von Kultur zuzuschreiben.13 Für die Evolutionsbiologie sind diese Einsichten in die kognitiven Leistungen von Tieren verführerisch. Denn es liegt ihr nahe, den Wert des Lebens mit biologischen Entwicklungsstufen zu verbinden. Der Abstand des primitiven Tiers zum Menschen wird im Evolutionsmodell als ein Aufstieg nach oben, vom einem Niederen zu einem Höheren, vom gestaltlosen Gewimmel zur komplexen Struktur interpretiert. Die Aufmerksamkeit richtet sich damit in unerwarteter Weise wieder auf das Wesen des Tiers. Aus ihm versucht die animal rights Bewegung Argumente abzuleiten, um den Subjektstatus von Tieren zu begründen. Das Ziel, ein Bild vom Tier zu entwerfen, das es zum moralischen und juristischen Subjekt mit Rechten macht, ist jedoch verfehlt. Unter diesem Maßstab ist das Tier, auch das hoch entwickelte Tier, hoffnungslos unterlegen und kann nie aus der Rolle des unmündigen und zu beschützenden Mündels gelöst werden. Als Grundlage für eine ökologische Ethik ist das Vertrauen auf die Übertragung eines Vertrags zwischen vernünftigen Subjekten auf das Verhältnis von Mensch und Tier nicht tragfähig. Selbst wenn der Mensch im Einzelfall bereit ist, auf seine Macht zugunsten einer Gleichheitsethik zu verzichten, wäre daraus keine verbindliche Verpflichtung gegenüber den Tieren und der Natur abzuleiten. An dem Paradox ist nicht vorbeizukommen, dass die Suche nach kognitiver Ähnlichkeit aus tierfreundlichen Motiven stammt, aber nicht zu einer tragfähigen Ethik für das Mensch-Tier-Verhältnis führt. Das auf der Idee kognitiver Ähnlichkeiten der höher entwickelten Lebewesen beruhende Denken über die Beziehung von Tier und Mensch behindert den Gedanken einer Ethik für den Umgang mit Tieren. Die Ungleichheit, die dem Verhältnis von Mensch und Tier im Tierbild des wissenschaftlichen Zeitalters zugrunde liegt, wird nicht durch empirische Tierforschung überwunden, und die Herrschaft über Natur und Tier wird nicht dadurch aufgehoben, dass wir die trennende Linie verschieben und einigen Tieren Kognitionsleistungen zuschreiben, die denen des Menschen ähneln. Ein malender Affe lehrt einige Betrachter das Staunen, dem Staunen einiger Naturfreunde im 17. Jahrhundert nicht unähn-
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lich, löst aber bei den meisten eher eine paternalistische Reaktion auf das Tier aus, dessen Bemühungen nie zu einem Kunstwerk führen werden. Gibt es eine Rechtfertigung dafür, Bewusstsein und biologische Komplexität an die oberste Stelle der Wertskala zu stellen und als Kriterien für den Einschluss oder Ausschluss zu benutzen? Einfachen Tieren mögen im Vergleich mit dem Menschen besondere Stärken zugestanden werden, etwa sich an ihre Umwelt besser anzupassen als der Mensch. Doch solche Qualitäten sind keine Kriterien, solange der Subjetstatus entscheidet. Könnte eine Symmetrie im Verhältnis von Mensch und Tieren begründet werden, wäre das nicht der Schritt zur Emanzipation des Tiers, sondern der Höhepunkt des Anthropozentrismus. Sein Geltungsbereich würde erweitert, wenn manche Tiere, es können nur Primaten sein, nicht mehr anders wären, sondern durch biologische Determinanten die Grenze verschoben würde und sie wie Menschen wären.14 Das Modell der reziproken Anerkennung könnte nur für wenige Tiere gelten, und auch deren Status wäre ungesichert. Schon für die meisten Säugetiere wäre diese Verschiebung der Schwelle von geringer Bedeutung. Für Lurche wäre sie irrelevant. Der Frosch erfüllt das Auswahlkriterium nicht. Gegenwärtige Theorien sehen Ansätze von Emotion und Bewusstsein erst bei Reptilien.15 Solange die Differenz, durch Emotionalität und Kognition begründet, über die Teilhabe bestimmt, sind die primitiven Amphibien ausgeschlossen. Es gibt keinen Grund, Frosch und Kröte in diese Überlegungen überhaupt einzubeziehen. Sie stehen an der Grenze und können als Stellvertreter für die große Mehrzahl der Tiere gelten, die alle jenseits der Grenze bleiben müssen. Ist es berechtigt, eine Hierarchie aufzustellen, die einige Tiere einschließt und ihnen Rechte zugesteht, aber die Mehrzahl der Tiere ausschließt? Wo wäre die Grenze zu ziehen? Welche Tiere sollen in diese Ethik einbezogen werden und welche nicht? Ist es zu begründen, Frösche und alles, was im Mittelalter als vermin galt und noch immer Abwehr auslösen kann, auszuschließen? Die komplexen Zusammenhänge erfordern umfassendere Antworten als der Tierschutz anbietet und andere Fragen als die Theorien über Tiere als Subjekte behandeln. Der nutzlose und primitive Frosch fordert die Frage nach der Beziehung zum Tier auf grundsätzliche Weise heraus. Der Frosch macht es nötig, die Asymmetrie im Verhältnis des Menschen zu Tieren zu akzeptieren und zum Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Ethik zu machen, die das Tier und nicht nur Tiere mit hoch entwickeltem Bewusstsein einschließt. Die Einstellung zur Natur und zum Leben ist
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bedeutender als Kenntnisse über tierische Intelligenz. Will man die Einstellung zur Natur ändern, ist es nötig, den wertenden Begriff vom Leben zu überwinden, und für einen nicht wertenden Begriff vom Leben ist die Frage nach dem Subjektstatus von Tieren ein Hindernis.
Bioethik und der inhärente Wert der Natur Die Frage einer Ethik, die die Natur und das Tier einbezieht, stellte sich den Experimentatoren früherer Jahrhunderte nicht, da die Frage nach einer Verantwortung für die Natur nicht gestellt wurde und nicht einmal gedacht werden konnte. Diese Lage hat sich im 20. Jahrhundert grundlegend verändert. Die Verantwortung des Menschen für die Natur ist unabweisbar. Daraus folgt für die Ethik eine grundsätzliche Frage. Birnbacher formuliert im Hinblick auf die Gegenwart: »Gibt es eine im eigentlichen Sinn ethische Begründung dafür, die Natur als an sich schützens- und bewahrenswert zu betrachten und im zivilisatorischen Umgang mit ihr sich entsprechend zu verhalten?«16 Eine Antwort versucht die Bioethik, indem sie einen Eigenwert der Natur postuliert. »Das Leben besitzt sein eigenes Recht«, schreibt einer der Vordenker der Bewegung, Fraser-Darling, »das müssen wir anerkennen«.17 Unter einer ökologischen Ethik ist lange Zeit wenig mehr als der Appell, wie Fraser-Darling formuliert, zur »Rückkehr zu einer ethischen Betrachtungsweise dieses Lebens« verstanden worden.18 Hat es diese ethische Betrachtungsweise je gegeben? Die Geschichte von Frosch und Kröte beantwortet diese Frage für die europäische Zivilisation eindeutig negativ. Weder die philosophische Anschauung eines tierschützenden Utiliarismus noch der Cartesianismus gestehen einer Ethik im Umgang mit dem Tier einen Raum zu. Vertreter der neueren Bioethik schließen indirekt an diese Leerstelle an und argumentieren, es sei für die Ausbildung einer Ethik, die Natur und Tiere einbezieht, hinreichend zu wissen, dass wir Säugetiere sind,19 und auch Vertreter einer betont rationalistischen Bioethik sind der Überzeugung, die Verpflichtung zum Schutz der Natur lasse sich aus ihr selbst ableiten und benötige keine philosophischen Kategorien. Es gebe keine »Notwendigkeit für die Fortdauer einer mystischen Aura im Hinblick auf den Begriff der Moral und das Verständnis moralischer Systeme […]«.20 Aber der Einschluss des Menschen und seiner Werturteile in die Natur macht eine Moral, die den Schutz der Natur bedenkt, nicht mythisch. Kann es einen inhärenten Wert der Natur jenseits eines bewertenden Bewusstseins, von dem diese Argumentation ausgeht, geben?21
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Das Verhältnis zur Natur muss sich dem Problem stellen, dass sie zunehmend das Produkt nicht nur der Arbeit, wie bereits Marx beobachtete, sondern auch der Phantasiearbeit ist. Die Natur an sich gibt es nicht und es hat sie, denken wir an die Geschichte von Frosch und Kröte, wohl nie gegeben. Der inhärente Wert der Natur, aus dem sich das Recht des Tiers auf Leben ableiten ließe, kann sich auf keine Vergangenheit berufen, sondern ist ein wertrationales Postulat, das in der Gegenwart zu einer Forderung erhoben wird. Eine ökologische Ethik ist ohne den Einschluss des Menschen und seinen Imaginationen nicht denkbar. Die Natur und ihre Elemente haben keinen vom Menschen unabhängigen Wert. Eine Landschaft oder Biotope, die geschützt werden können, gibt es erst, wenn der Mensch sie denkt und sich von ihnen ein Bild macht. Wie könnten wir im Fall von Frosch und Kröte einen inhärenten Wert annehmen, wenn wir aus ihrer langen Geschichte wissen, dass sie stets eine komplexe Konstruktion aus Natur und kulturellen Codes waren? Das Postulat eines Eigenwerts der Natur kann den Frosch nicht unterbringen. Bereits das winzige Detail eines durch Umweltschäden deformierten Froschkörpers, der inzwischen in die Natur gehört, wirft die Theorie vom Eigenwert der Natur aus dem Gleis. Schließt sie ein durch Biotechnologie verändertes Leben ein? Gehört der gläserne und demnächst grün leuchtende Frosch der japanischen Züchtung in die Natur an sich mit einem inhärenten Wert? Im »müssen« des Imperativs von Fraser-Darling enthüllt sich der Widerspruch dieses Denkens. Der Versuch, den Eigenwert der Natur oder eines ihrer Teile, etwa eines Biotops oder einer nutzlosen Tiergattung wie dem Frosch, zu definieren, beruht auf einer nicht begründeten Autorität. Was könnte dem Satz, die Natur müsse um ihrer selbst Willen geachtet werden, eine größere Argumentationskraft verleihen als dem Gegensatz, dass sie dem Nutzen oder dem Vergnügen des Menschen dienen solle? Wer spricht, und wo wäre der Ort der Autorität, die diesen Imperativ formuliert? Diese Forderung kann nur von einem »wir« gesprochen werden, das sich außerhalb des Lebens, das ein »eigenes Recht« habe, positioniert und die Vernunft gegenüber der Natur privilegiert. Wenn der Natur ihr Recht von einer Position des Außerhalb gegeben wird, ist die Verantwortung für die Natur gerade nicht aus ihr selbst begründet, sondern auf den Rückgriff auf Transzendenz angewiesen. Die transzendente Begründung kann aber in einer säkularen Gesellschaft keinen tragfähigen Konsens bilden. Schon Kant sprach von einer Verpflichtung »in Ansehung der Natur«, um die Berufung auf Transzendenz zu vermeiden. Mit welcher Autorität kann das »wir« der gegenwärtigen Position auftreten, und wie könnte sie die Verpflichtung be-
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gründen, die den Status der Tiere sichert? Wenn sie Frosch und Kröte einen Platz einräumen wollte (sie haben in der Argumentation nie eine Rolle gespielt), wäre er so wenig gesichert wie das Recht der Natur als Ganzer. Die Forderung, den Frosch um seiner selbst Willen zu achten, die aus dieser Position folgt, wäre nicht mehr als ein Appell an den guten Willen. Noch komplexer wird das Problem, wenn wir die entstehende synthetische Biologie einbeziehen. Sie verspricht, die kühnsten Phantasien über den Menschen als Schöpfer lebender Organismen zu verwirklichen und droht, sie noch zu übertreffen. Diese Natur aus dem Labor ist in der Geschichte des Lebens eine Innovation mit weit in die ferne Zukunft reichenden Wirkungen. Seit der Revolution in der Biologie, als im späten 19. Jahrhundert die Gene als Speicher der Informationen des Lebens entdeckt wurden, tritt mit Craig Venters erfolgreichem Experiment, das gesamte Genom einer Zelle auszutauschen, die Frage nach dem Leben in eine neue Phase ein. Diese Zelle ist zwar – im Gegensatz zur öffentlichen Präsentation des Projekts – kein künstlicher Organismus, und der Weg zu diesem Ziel ist noch weit. Aber streicht man den Marketingsensationalismus, so bleibt doch ein erster Schritt in die Richtung, Organismen artifiziell zu erzeugen und dabei die natürliche Zelle nur noch als Modell zu benutzen. Es ist leicht vorstellbar, dass dies Modell auf eine bisher noch ungedachte Weise variiert werden und sich verselbstständigen wird. Die Theorie eines Eigenwerts der Natur, bereits seit der ersten wissenschaftlich-technischen Revolution fragwürdig, ist nicht in der Lage, diese Entwicklung zu erfassen. Im Lexikon dieses Projekts gibt es keine Eintragung zum Recht der Natur oder des Tiers. Die Verfügbarkeit der Natur als Material für das uneingeschränkte Experimentieren wird in der Forschungspraxis fraglos vorausgesetzt, und eine Ethik, die diese Voraussetzung begründet in Frage stellen könnte, gibt es nicht. Es mag bizarr klingen, in diesem Zusammenhang den Frosch einzuführen. Aber mir scheint, dass die Geschichte des Froschs in zwei Hinsichten modellhaft ist. (1) Der Frosch war nie reine Natur, von der seine Bilder als ideologische Verbrämung unterschieden werden könnten. Seine Geschichte lehrt, dass seine Essenz mit den kulturellen Codierungen identisch war und er durch sie eine gesellschaftliche Macht gewann. Dieser Zusammenhang sollte den Ausgangspunkt der Entwicklung einer Ethik der synthetischen Biologie bilden. Die öffentliche Vorstellung des Experiments erregte große Aufmerksamkeit, die der Hoffnung Ausdruck gab, durch künstlich erzeugte Organismen die großen Probleme von Medizin und Umwelt auf ganz neue Weise angehen zu können. Die öffentliche Rede vom Labor als neuem Ort der Schöp-
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fung und dem Biotechniker als neuem Schöpfergott wird von kritischen Analytikern oft als bloße Rhetorik verstanden, die dem naturwissenschaftlichen Projekt übergestülpt würde. Diese Trennung in ein wissenschaftliches Genomprojekt und den kulturellen Code, in dem es sich präsentiert, gibt es aber nicht. Das Denken und Reden über das Projekt sind mit dem Projekt unlösbar verflochten. Die Zukunftsvision und ihr kultureller Code wirken in das Labor hinein, wie auch früher das außerwissenschaftliche Bild vom Frosch und die Erwartung, die großen Probleme der Neurophysiologie im Froschexperiment lösen zu können, in das Forschungsprogramm hineinwirkten. Diese nicht-wissenschaftliche Semantik hat Macht über die Anordnungen und Ausführungen der Experimente selbst. Das reine naturwissenschaftliche Projekt der synthetischen Biologie gibt es ebenso wenig wie es den Frosch an sich gab. Die Debatten über die synthetische Biologie und über ihre kulturelle Codierung sind die beiden Seiten eines Problems. Nur wenn das Projekt künstlicher Organismus und der Code seiner medialen Präsentation als unlösbarer Zusammenhang gesehen werden, lässt sich die gesellschaftliche Macht der biologischen Innovationen erfassen. Ebenso wichtig ist (2) die zeitliche Dimension. Der zeitliche Horizont, den die synthetische Biologie und ihr Diskurs erfordern, übersteigt den von Experten der Biotechnologie und erfordert eine philosophische Perspektive, die sich wieder auf ethische Fragen der Naturphilosophie besinnt. Ihr kann nur durch das Einbeziehen langer Zeiträume, die an die Anfänge zurückgehen, Gerechtigkeit getan werden – nicht der Anfänge des Lebens, aber der Anfänge, als der Mensch sich aus der Natur entfernte und in ein Verhältnis zum Nicht-Menschlichen eintrat. Der Frosch hat für diesen Ethikdiskurs mehr als symbolische Bedeutung. Die Frage nach dem wünschenswerten menschlichen Leben, die die synthetische Biologie aufwirft, kann in der Auseinandersetzung mit der Geschichte des urtümlichen Tiers, in der sich das Verhältnis des Menschen zur Natur in allen nur denkbaren Variationen über Tausende von Jahren konkretisierte, behandelt werden. Der Frosch kann für den Anfang eintreten.
6.2 A UF DEM W EG ZUR Ö KOLOGISCHEN E THIK Lassen diese Diskurse für Frosch und Kröte keinen Raum, so sind doch die Anfänge einer ökologischen Ethik erkennbar, die einen Raum für primitive Tiere öffnen. Die Entwicklung einer ökologischen Ethik fordert die Abkehr von der Gegenüberstellung von Mensch und Tier. Die Maxime Los von der
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durch Wissenschaft und Kommerz definierten Konfrontation von Mensch und Tier kann als Leitfaden für eine ökologische Ethik dienen. Sie erfordert etwas anderes als Mitleid und Tierliebe oder die Erweiterung des Subjektbegriffs. Sie löst sich von der Frage nach dem Tier und entwickelt eine Position, die sich auf Natur als ein komplexes System bezieht, dessen Wert weder ontologisch noch metaphysisch begründet ist, sondern aus einem Prozess entsteht, an dem die Elemente dieses Systems teilnehmen und der Mensch und Tier einschließt. Sie befreit das Tier aus der Passivität des Objekts menschlichen Handelns und setzt es gemeinsam mit dem Menschen in die Konstruktion des Systems Natur ein. Während die ersten beiden hier vorgestellten Positionen sich vor allem auf die von Menschen behandelten Tiere (Haustiere, Tiere für Unterhaltung, Verzehr, Arbeit oder Forschung) und die Primaten richten und die durch das menschliche Verhalten gegenüber Tieren bestimmten Situationen zu regeln suchen, ist das Tier der ökologischen Ethik in erster Linie das ungezähmte Tier und die Natur seine Umwelt. Das Tier tritt als Drittes in die Mensch-Natur-Beziehung ein und verändert sie grundlegend. Diese Konstruktion eines sich über Zeit hinweg wandelnden Zusammenhangs, der Mensch und Tier umfasst, ist die letzte und unhintergehbare Grundlage, um der Natur einen Wert zuzusprechen, der eine Verpflichtung fordert.
Fundamentalökologie unter besonderer Berücksichtigung von Frosch und Kröte Dieses Projekt lässt sich unter den Oberbegriff der Fundamentalökologie subsumieren. Was kann Fundamentalökologie im Hinblick auf das Mensch-Tier-Verhältnis bedeuten?22 Es geht ihr nicht um Einzelfragen des Naturschutzes, sondern um die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Natur, und daher formuliert sie keine Anleitungen für ein alternatives Handeln unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen. Sie macht den utopischen Versuch, Natur von Besitzverhältnis und Destruktion zu befreien, so dass der Mensch und die Tiere gleichermaßen aufgehoben sind. Das macht eine veränderte mentale Einstellung nötig. Der Wunsch zu wissen wie es ist, ein Tier zu sein, steht am Anfang dieser Veränderung. Er ist verführerisch, wie Elisabeth Costello und andere fiktionale Werke der Gegenwart zeigen. Fundamentalökologie stammt aus diesem nicht-rationalen Begehren, aus dem Gefängnis des Ichs auszubrechen und den Mensch-Tier-Dualismus zu überwinden. Dieser emotionale Ausgangspunkt muss zu einer näheren Bestimmung der Techniken im Verhältnis zur Natur führen, soll die Motivation nicht in bloßem Wunschdenken ver-
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harren. Denkt man an die offen und heimlich wirkenden Normen des Anthropozentrismus, der aus den griechischen Wurzeln des Humanismus entstand, so fordert sie ein anti-humanistisches Denken. Sie ist offen anthropomorph. Denn sie handelt von einer Teilhabe, von einem In-Sein, aus dem sich nicht austreten lässt, und die das Tier auf eine Weise einbezieht, dass Mensch und Tier aus der gemeinsamen Natur heraus gedacht werden. Sie muss als konkrete Naturphilosophie entwickelt werden, die einen übergreifenden Zusammenhang konzipiert, in dem der Mensch seine Sonderinteressen an der Natur aufgibt und Mensch und Tier durch eine Gemeinsamkeit von Interessen verbunden sind. Das Ende der Subjekt-Objekt-Beziehung ermöglicht eine dezentrierte Ethik, die von einer Egalität ausgeht, die nicht in der Natur und im Tier selbst begründet wäre, sondern kulturell definiert ist. An die Stelle von Schutz oder Mitleid tritt die Idee der Partizipation. Sie entwirft ein revolutionäres Denken, das nicht von Expertengremien zu erwarten ist, auch keine politische Partei bildet oder nach politischer Macht strebt. Dies Denken fängt ein gesellschaftliches Unbehagen ein, für das keine der bestehenden politischen Organisation die Zuständigkeit hat. Fundamentalökologie richtet sich auf eine Natur, auf die menschliche Arbeit, die Techniken der Genmanipulation eingeschlossen, eingewirkt hat und reflektiert ihre Instabilität und Unabgeschlossenheit, so dass jeder Bezug auf Ursprünglichkeit vermieden wird. Sie muss Kriterien entwickeln, die dem zukünftigen Umgang mit Natur Leitlinien liefern und Grenzen setzen. Ohne den Mut, Grenzen zu setzen und Gebote zu formulieren, kann es keine Ethik der Fundamentalökologie geben. Da Fundamentalökologie den Versuch macht, die Natur aus der Perspektive des Menschen zu lösen, ist in diesem Diskurs das Wort biozentrisch verbreitet.23 Es führt in die Irre. Die Aufgabe kann nicht sein, den Anthropozentrismus durch einen anderen Zentrismus zu ersetzten. Was wäre der Bios, der diesem Denken ein Zentrum lieferte? Wollen wir den Versuch machen, die Natur aus einer nicht-menschlichen Perspektive wahrzunehmen, ist ein Dialog gefordert, der eine andere, gleichsam die dritte Position entwirft, in der weder das Tier noch der Mensch hypostasiert werden und das binäre Ordnungsdenken sich auflöst. Sie verlangt nach einer Bio-Exzentrizität. Der marginale Frosch ist für die Begründung von Fundamentalökologie ein ideales Tier. Er ermöglicht es, die Probleme einer Ethik, die das Tier einschließt, weniger parteiisch als der Affe und weniger aufgeregt als Labortiere oder Schlachtvieh zu behandeln. Der Frosch, der nie mit sich identisch war, ist in der Gegenüberstellung von selbstbestimmter Subjek-
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tivität und subjektloser Natur zur Nagelprobe für ein Umdenken geeignet. Urtümlich, primitiv und ohne Zeichen von Bewusstsein, ist er für die Reflexion einer neuen Beziehung zum Tier prädestiniert – weder aus Mitleid (des Menschen) noch durch kognitive oder affektive Leistungen (des Tiers), sondern durch nichts als die Position in der Natur, die er mit dem Menschen teilt. Sie macht das Tier, das dem Menschen biologisch so fern steht, aber stets eine intensive Beziehung zum Menschen hatte und zum Mischwesen prädestiniert war, zu einem kulturell definierten Partner. In einer Zeit, in der die Angst vor dem Tier verschwunden ist, liegt die Macht von Frosch und Kröte nicht im Einleiten von Missgeburten oder der Zerstörung von Domen. Ihre Rolle als Tiere der Häresie können sie aber auf andere Weise fortsetzen und in den Auseinandersetzungen mit der neuen Religion, der wissenschaftlich-technischen Orthodoxie, verwenden. Das macht sie nicht mythisch. Aber vom Anarchischen des unangepassten Tiers kann die Fundamentalökologie Exzentrizität lernen. Eine Fundamentalökologie, die aus der Geschichte von Frosch und Kröte lernt, macht ein Umdenken erforderlich, das mindestens drei Voraussetzungen erfüllt: Es muss (a) den Anthropozentrismus überwinden, (b) die Stellung des Körpers im Verhältnis von Mensch und Tier neu definieren und (c) einen Naturbegriff entfalten, in dem Tier und Mensch gleichermaßen aufgehoben sind.
Anthropozentrismus Über die theoretische Haltlosigkeit des Anthropozentrismus besteht kein Zweifel. Im praktischen Handeln wirkt er aber offen und verdeckt weiterhin. Eine Voraussetzung für die Entwicklung einer ökologischen Ethik ist die Bewältigung des Anthropozentrismus, und sie bedeutet ein Umdenken der Stellung des Menschen in der Natur. Vor einiger Zeit hat in der Philosophie diese grundlegende Debatte begonnen, die bald den öffentlichen Diskurs und die Feuilletons erreichte. Die veränderte Lebenswelt und die angewandten Lebenswissenschaften, die Gentechnologien, Experimente mit den Bauformen des Lebens und die drohende Umweltkatastrophe fordern die grundlegende Veränderung des Bilds, das der Mensch von sich hat. Seine exklusive Stellung kann nicht erhalten werden. Sie ist irreparabel beschädigt. Die Experimente mit genetischem Material und allein die Möglichkeit des Klonens untergraben den Anspruch auf Autonomie. Das autonome Subjekt, das sich dem Tier gegenüberstellte und im wissenschaftlichen Experiment die absolute Herrschaft ausübte, hat seinen
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Grund endgültig verloren. Fundamentalökologie ist eine Reaktion auf diese Situation. Sie kann sich auf neue Forschungen der Neurophysiologie berufen, die den »Begriff der motorischen Intelligenz« entwickeln, der dem Anthropozentrismus die Grundlage nicht allein durch philosophische Reflexion, sondern ebenso durch Biologie entzieht. Die motorische Intelligenz begründe »weit mehr als die Kognition die Sonderstellung des Menschen in der Evolution«.24 Diese Forschung kann den Beginn eines neuen Dialogs mit der Natur einleiten. Denn wenn aus der motorischen Intelligenz die besondere Stellung des Menschen unter den Tieren verständlich wird (Neuweiler), teilt er diese Intelligenz, anders als seine entwickelten kognitiven Fähigkeiten, mit den Tieren. Bei dieser Intelligenz handelt es sich »um ein pragmatisches, vorbegriffliches und vorsprachliches Verstehen«, auf das sich viele unserer »so gefeierten kognitiven Fähigkeiten stützen«.25 Die elementarsten und natürlichen Akte wie das Greifen eines Gegenstands mit der Hand ermöglichen der Spiegelneurone im Gehirn, den fremden Gegenstand durch Hautkontakt mit Intentionen und dem komplexen kognitiven System zu korrelieren. »Wir könnten, weil wir mit höheren kognitiven Fähigkeiten ausgestattet sind, über das Wahrgenommene nachdenken und daraus Folgerungen […] ziehen […]. Unser Gehirn ist jedoch imstande, die letzteren unmittelbar zu verstehen, […] ohne irgendeine Überlegung anzustellen, allein auf die eigenen motorischen Fähigkeiten gestützt.«26 Darin zeigt sich, wie tief verankert im Wahrnehmungsapparat die Beziehungen sind, die uns mit dem Tier verbinden und unsere gefeierten kognitiven Fähigkeiten letztlich auf eine mit dem Tier geteilte Grundlage zurückführen. Dies Verstehen ist vorbegrifflich und vorsprachlich und lässt sich nicht als Kriterium der Differenz anführen, sondern schafft einen Rahmen, in dem sich Gemeinsamkeiten denken lassen, die die Wende zum ökologischen Tierbild einleiten. Der Frosch in der Hand kann in eine eigene Hautempfindung transformiert und die beobachteten Bewegungen mit den eigenen in Beziehung gesetzt werden. Eine Grundlage des Anthropozentrismus und eine Hürde auf dem Weg, das Tier in ein Verhältnis von Solidarität einzusetzen, ist damit überwunden.
Körper und Leib Dem Zirkel des Anthropomorphismus entkommt eine Ethik, die das Tier einschließt, nicht. Wenn ein unauflöslicher Zusammenhang für das Mensch-Tier-Verhältnis angenommen werden muss, entsteht die Frage,
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wie der Mensch in diesen Zirkel eintreten kann, ohne menschliche Eigenschaften unkritisch auf das Tier zu übertragen. Der Zugang lässt sich nur über ein verändertes Verhältnis zum Körper gewinnen. Wenn sich der Aufstieg des modernen Ichs zwischen den Polen der Herrschaft über die Natur durch Wissenschaft und Technik und der Autonomie durch die Beherrschung der Leidenschaften im Innern abspielte, so fordert in unserer Gegenwart das Überleben, nach Wegen zu suchen, die aus dieser doppelten Herrschaftsbeziehung herausführen. Eine über das Empfinden des eigenen im anderen Leib vermittelte, kindliche Einstellung muss erlernt werden, soll das Mensch-Natur Verhältnis aus dem Herrschaftsverhältnis gelöst werden. Man könnte sagen: In der Kulturgeschichte unbewusst oder mit Widerstreben erlebte Verwandtschaften von Frosch und Mensch sollen im Ethikdiskurs bewusst und zum Ausgangspunkt für ein verändertes Verhältnis zum Tier gemacht werden. Die Entmythisierung des Lebens durch die Aufklärung setzte eine Entwicklung in Gang, die zum Verschwinden des Körpers und zu der Verwandlung des Menschen in eine Maschine führte. Eine Implikation ökologischer Ethik ist es, diese Entwicklung zu dekonstruieren, diese Folge der Entmythisierung zu löschen und das Leibliche wieder zu gewinnen, um es konstitutionell in das Verhältnis zur Natur einzuführen. Von der Forderung nach einer somatischen Ethik kann man sprechen. Sie wird in der seit einigen Jahrzehnten diskutierten Besinnung auf den Leib vorgedacht. Braidotti schreibt für viele, wenn sie betont, »mehr als den Bios, d.h. den politischen Diskurs über das Leben, schätze ich die Zoë, das vitalistische, prähumane und generative Leben«.27 Das neue Aufkommen der Zoë bedeute, ist ihre These, einen Paradigmawechsel in der Biopolitik, die an einem seit über 200 Jahren verlorenen Lebensbegriff anzuknüpfen sucht. Ihm geht es nicht um den Schutz des Tiers, sondern um das Wiedergewinnen des Körpers, der Mensch und Tier abhandengekommen ist. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die große Hilfe für das Verstehen der Natur, die sich die Wissenschaft aus der Sektion und Analyse von Tierkörpern verspricht. Für die Entwicklung einer somatischen Ethik ist vielmehr die Integrität des Körpers die notwendige Voraussetzung. In diesem Paradigmenwechsel verbergen sich Probleme, von denen ich eines herausgreifen möchte. Wir haben den Leib, schreibt Gernot Böhme, als das, »was uns unausweichlich angeht, als unseren ursprünglichsten Besitz«.28 Dieser Satz sollte nicht als Aussagesatz, sondern als einer des Sollens formuliert werden. Wir haben den Leib in diesem Verständnis gerade nicht. Eine »einfache Besinnung« auf den Leib gibt ihn uns
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nicht. Ist es so, dass der Schmerz, wie Böhme in Anlehnung an Hermann Schmitz schreibt, den Leib immer wieder zurückkehren lässt, »das Ich immer wieder in die Gewissheit betroffener Selbstgegebenheit« zurückholt? Bringt der Schmerz tatsächlich auch in der »verlorensten Leibvergessenheit« das Ich dazu, sich selbst zu erfahren? Mir scheint vielmehr, dass der Schmerz zur pharmazeutischen Droge greifen lässt, um diese Erfahrung zu vermeiden. Das vom Ursprung her kommende Wissen, dass alles, was mit dem Körper geschieht, auch das Ich betrifft, ist verloren. Die Einstellung zum Körper, die zu den Froschexperimenten des 19. Jahrhunderts führte, ist symptomatisch: Das ältere Wissen wurde vergessen. Die »Einschrumpfung des Leibs auf Körperformat«29 ist seit den Zeiten der frühen Froschexperimente zur Regel geworden und Techniken, die den Körper zu einem Ding in einer unbeseelten Natur machen, können als eine Wurzel des ökologischen Fehlverhaltens interpretiert werden. Die Ansätze zu einer Leibphilosophie, verstanden als ein Zukunftsprojekt, weisen die Richtung. Der »ursprünglichste Besitz« muss als eine Aufgabe für die Zukunft verstanden werden. Er muss erworben werden. Erst wenn er neu erworben ist, kann er unser Verhältnis zu uns selbst und zum Tier bestimmen.30 Der Entwicklung einer Handlungsmoral aus leibgebundener Umweltphilosophie stellt sich ein grundsätzliches Problem. Dass der Nachweis bestimmter Gemütszustände im Tier zu einer das Tier einschließenden Ethik führe, ist ein Missverständnis der Gegenwart,31 wie der Blick auf Sektionen des 17. und 18. Jahrhunderts zeigt (Kapitel5). Den Menschen im Tier wahrzunehmen, zwingt uns die Struktur der Wahrnehmung auf, aber daraus leitet sich keine moralische Verpflichtung und kein Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Tier ab. Der Versuch, Handlungsorientierung an den Leib zu knüpfen, kann einer Gefahr nicht entkommen, die bereits die evolutionäre Ethik in ein unlösbares Problem stürzte. Die Kritik der evolutionären Ethik im 19. Jahrhundert legte die Aporien des Versuchs frei, moralische Normen aus der Natur abzuleiten.32 Die Kritik am Naturalismus Spencers und seiner Schule, die George Edward Moore, Thomas Henry Huxley und andere vorgelegt haben, hat für die neuen Versuche einer Ethik nichts an Bedeutung verloren.33 Verantwortung für die Natur kann nicht durch Biologie begründet werden. Der Blick auf die Geschichte des Froschs macht klar, dass sein Verhältnis zum Menschen stets von Werturteilen gelenkt war, und auch das zukünftige Verhältnis fordert Kategorien, die nicht aus der Natur abgeleitet werden können. Die Frage, die der deformierte Frosch stellt, kommt nicht
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aus ihm selbst, sondern wird von Menschen gestellt, die ihn als Teilhaber am kulturell definierten System wahrnehmen. Eine somatische Ethik kommt um das Dilemma nicht herum, dass ohne Vernunft – und Unvernunft – keine Werte und Handlungsnormen bestimmt und keine Forderung nach Veränderung der Moral begründet werden können. Eine Ethik, die sich an der Verantwortung für die Natur ausrichtet, muss die Stimme des Körpers auch zurückweisen können.
Eine Natur, in dem Tier und Mensch gleichermaßen aufgehoben sind In Gertrud Kolmars Vision wird der Mensch durch die Begegnung mit dem Tier verwandelt, und das Tier kehrt heim in die Natur. So ließe sich das Ziel der ökologischen Tierphilosophie charakterisieren.34 Aber wie stellen wir uns den verwandelten Menschen vor und an welchen Ort könnte das Tier heimkehren? Natur, zeigt die Geschichte von Frosch und Kröte, ist nicht identische Heimat, sondern gebrochen in wechselnden Vorstellungen von Mensch und Tier. In ihnen zeigt sich eine dialektische Verschränkung von Natur-Sein, Natur-in-Besitz-nehmen und Natur-Destruktion. Für die Art dieser Verschränkung trägt der Mensch die Verantwortung, und es gibt kein Programm der Entwirrung. Es ist ein Irrtum anzunehmen, wir wüssten, was zu tun ist und brauchten nichts als politischen Handlungswillen, um dieses Wissen zu verwirklichen. Das Wissen muss erst entwickelt werden, und zwar in Opposition zum szientistischen Ideal, das unser Bild der Natur und Umweltbewusstsein korrumpiert. Verschmutzung, Rodungen, industrialisierte Landwirtschaft, Wasserraubbau, Genmanipulationen stellen je spezifische Aufgaben dar. Aber das fundamentale Problem der Umwelt ist nicht zu lösen, solange diese in der Folge wissenschaftlicher Arbeitsteilung in Isolation betrachtet werden. Sie müssen als Teile eines mentalen wie realen Zusammenhangs gedacht werden, sollen Veränderungen der mentalen Einstellung entworfen werden. Die Gefährdung der Natur ist global, und die Rettung der Natur erfordert das Denken und Empfinden von Weltbürgern, die jedoch anders definiert werden müssen als die Weltbürger des 18. Jahrhunderts. Deren höchste Ideale, Vernunft und Schönheit, sind diskreditiert, unter anderem durch die Geschichte von Frosch und Kröte. Nur eine globale Ethik, die die Gefahr, die von einer ungebrochenen Fortsetzung des Tierbilds der Industriekulturen ausgeht, als eine Herausforderung aufnimmt, kann das Planen von Zukunft leisten und dabei den auf die eigenen Interessen beschränkten Blick überwinden. Ein Gespräch der Ketzer des ökologischen
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6.B E INE E-M AIL , M AI 2010 Bernd, Es ist ein Desaster: die Regierung von Neuseeland möchte den schnellen Dollar machen und in einem der schönsten Wälder Neuseelands Bergbau betreiben. Dieser Wald ist die Heimat von Archey’s frogs (Leiopelma archeyi) and Hochstetter’s frogs (Leiopelma hochstetteri). Sollte die Regierung ihre Pläne verwirklichen, werden wir bald das Aussterben von zwei weiteren Froscharten dokumentieren können. In den neunziger Jahren wurden einige Gegenden Neuseelands zu Regionen von hohem Naturschutzwert erklärt. Ihnen wurde Klasse 4 zugesprochen, was ihre Bedeutung klärte und sie zu verbotenem Gelände für industrielle Entwicklungen machte. Die Regierung beantragt nun, diesen Schutz zu beseitigen, um das Land für den Bergbau (Kohle, Gold, Eisen und seltene Mineralien) zu öffnen. Zu diesen Gegenden gehören zahlreiche Orte, an denen die Froschbevölkerung seit mehr als 40 Jahren kontinuierlich beobachtet worden ist – dabei sind die besten Daten über Froschpopulationen auf der ganzen Welt entstanden. In der geplanten Bergbaugegend liegen die Lebensräume von Archey’s frog und Hochstetter’s frog, die dort gerade noch überleben und ohne unseren Schutz aussterben werden. Wenn wir dieses Habitat zerstören, werden wir einen bedeutenden Teil der Geschichte Neuseelands sowie ein großes Stück aus dem evolutionären Stammbaum der Amphibien verlieren. Wir haben eine moralische Verpflichtung, diese Ureinwohner Neuseelands zu schützen – diese kleinen Leute des Waldes leben nur in zwei Regionen Neuseelands und in Coromandel muss man ihre wichtigste Bevölkerung sehen. Diese gefährdeten Frösche haben seit 1996 88 % ihres Bestandes verloren. Save our frogs – stop the mining Student Environmental Action Coalition, Mai 2010 (Meine Übersetzung)
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Denkens mit den Verursachern des Sterbens der Natur ist ebenso unwahrscheinlich wie es das Gespräch zwischen Ketzer und Inquisitor einst war. Ketzer hatten in dieser Machtkonstellation keine Stimme. Dieser Mangel wirkte zu ihren Ungunsten. Wer über die Stimme einer Institution verfügte, hatte die Macht, der andere stand auf verlorenem Posten. Das gilt auch für die tierschützenden Ketzer und den Frosch der Gegenwart. Sie brauchen eine Stimme, die das »Nein« in Programmatik übersetzt, die von einem öffentlichen Forum vernommen wird. Nur wenn sich der Diskurs aus den politischen Institutionen, in denen partikulare Interessen vertreten werden, löst, besteht die Chance, das kurzfristige Kalkulieren zu überwinden und das Politische auf eine Weise zu entwerfen, dass es eine Natur, in der Tier und Mensch gleichermaßen aufgehoben sind, zum Programm erhebt.35 Der Politik und den nationalen politischen Institutionen ist das Denken in langen Zeiträumen verschlossen. Eine Natur, die Tier und Mensch Heimat sein kann, benötigt eine Dimension von Zeit, wie Kolmar sie dachte, aber ohne ihre Eschatologie. Die Frage ist, ob der Mensch am Ende des Industriezeitalters die Stärke zurückgewinnen kann, den Tieren ein Recht auf Heimat in der Welt der Zukunft einzuräumen. Dafür ist eine Langzeitverpflichtung gegenüber der Natur zu entwickeln.
6.3 M ENSCH UND F ROSCH IN DER G EGENWART Im späten 20. Jahrhundert hat sich eine Veränderung im Froschbild vollzogen, die in der Geschichte des Blicks und der Emotionen wohl kaum eine Parallele hat. Geruch, Schleim, das widerliche Gewimmel und das Groteske der Körperform verschwinden aus der Wahrnehmung, und emotionale Abwehr wird in Zuneigung umgewertet. Äußerungen von Krötenschützerinnen sind für den Wandel symptomatisch: Sie sprechen von einer anfänglichen Angst und Hemmung vor der Berührung, die sie jedoch im Umgang mit dem Tier verlernen. Sie machen sich zu einer Art von Ketzern gegen die Religion der Gegenwart, Wissenschaft und Technik, sowie die dominierenden ökonomischen Interessen, das Trockenlegen der letzten Feuchtgebiete und Planieren versteckter Lebensräume. Sie tragen Sorge für die Tiere. An den Rändern von Landstraßen errichten sie Barrieren, um Kröten davor zu schützen, auf dem Weg an ihre Laichplätze von Autos überfahren zu werden. Sie tragen Kröten über Straßen oder sammeln Froschlaich ein, damit daheim im Garten unter günstigeren Bedingungen als in den natürlichen Teichen die Kaulquappen ausschlüpfen
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können.36 Es ist nicht selten Hautkontakt, der traditionell abstoßend wirkte und der nun ein Gefühl von Vertrautheit mit dem Tier herstellt. Aus einem Interview mit dem Initiator des ersten Krötenschutzprogramms der DDR: »Die Arbeit an den Schutzanlagen führten wir Jahr für Jahr mit Schulkindern durch. Es beteiligten sich zwei Klassen in wechselnden Schulen. Dabei erklärte ich ihnen die Biologie der Tiere. Allmählich wollten Kinder Kröten in die Hand nehmen. Alle wollten sie eine Kröte berühren. So änderte sich ihr Bild von der Kröte. Viele denken, Kröten sind hässlich. Sie haben noch nie eine Kröte in der Hand gehabt, vermutlich noch nicht einmal eine lebende Kröte gesehen.«37 Allein durch Berührung, also auf der vorrationalen Ebene, auf der er entstanden war, verlernten diese Kinder den Ekel.
Abbildung 41: Verkehrsschild 2007, NRW
Sie trägt das Tier in einem stillen Widerstand über die Straße, wohl wissend, dass sie damit weder die Welt der Lurche noch die Natur vor dem Ende bewahren kann. Aber aus ihrer Tat spricht etwas anderes: eine Ein-
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stellung zur Natur. Das Bild von der Kröte aus den Medien oder das Tier in der Hand der Laborassistentin sind andere Tiere als das der Hexe vor dem Kessel. Das Tier, das die Hexe der Umweltbewegung spürt, hat eine tiefere Verwandtschaft mit dem Zaubertier als mit dem Frosch der Medien oder der Wissenschaften. Diese Beziehung zum Frosch ist eng und bezieht stets das Selbst mit ein. Kann sie generalisiert und zur Grundlage eines neuen Verhältnisses zur Natur werden?
Hinsehen und die Empathie der Spiegelneurone Das Berühren und das Hinsehen sind die Auslöser einer tief in der Biologie des Gehirns ablaufenden Reaktion. Die Theorie der Spiegelneurone liefert dem Entstehen des neuen Froschbilds einen theoretischen Rahmen, der einen Zusammenhang des Blick- und Tastbilds mit der neuronalen Struktur des Gehirns zu erkennen ermöglicht. Das System der Spiegelneurone kann als biologische Grundlage dieses Zusammenhangs gelten, die auf eine tiefere Verankerung der Empathie als die bewusste Reaktion auf einen Sinnesreiz weist. Für dies Verstehen sind kein Nachdenken und kein Akt der Interpretation erforderlich. Das Gehirn ist, wie uns die Entdeckung der motorischen Intelligenz mit dem Gewicht der empirischen Forschung erinnert, »imstande, […] unmittelbar zu verstehen«.38 Was verstehen wir? Die Spiegelneurone sind die Grundlage für eine teilnehmende Wahrnehmung. Der Betrachter sieht am deformierten Körper, was dem Frosch geschehen ist und spürt eine Beziehung zwischen Frosch und Umwelt, die tiefer liegt als das Wissen über Umweltzerstörungen und die er in die eigene leibliche Erfahrung einbettet. Diese Wirkung folgt einem biologischen Mechanismus, der es ermöglicht, unvermittelt auf das zu reagieren, was wir am Gegenüber wahrnehmen und vorstellen. Der Blick auf andere aktiviert dieselben neuronalen Areale, die für unsere eigenen Gefühle zuständig sind. Handlungen und Emotionen werden offensichtlich unmittelbar geteilt: Nehmen wir bei anderen Schmerz oder Ekel wahr, so werden dieselben Bereiche der Großhirnrinde aktiviert, die beteiligt sind, wenn wir selbst Schmerz oder Ekel empfinden.39 Aus klinischen Studien geht hervor, dass die Reizung von Hirnarealen durch Sehen oder Berühren anderer sich mit somatischen Reaktionen verbindet, wie beschleunigter Puls, Weitung der Pupillen, Brechreiz, die von der eigenen Erfahrung solcher Reize ausgelöst werden. Untersuchungen des Ekels haben gezeigt, dass die Stimulation einer bestimmten Hirnregion nicht allein den spezifischen Ekelreiz auslöst, sondern für ein generelles, bewertetes Empfindung des Gegenüber
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sorgt. Dies unvermittelte Verstehen des Wahrgenommenen, ohne den Weg über das Bewusstsein und sprachliche Kodierung, ermöglicht Empathie nicht nur gegenüber anderen Menschen, sondern gegenüber Lebewesen, in denen wir Empfindungen vermuten. Der Anblick des deformierten Tierkörpers aktiviert beim Beobachter dieselben zerebralen Zentren, die sich aktivieren, wenn er selbst an sich diese Kondition wahrnähme oder auch nur vermutete. Diese Unmittelbarkeit ermöglicht, im Körper des Tiers die Zeichen von Leiden zu lesen, ohne sie im Bewusstsein zu kodieren. Wir verstehen den deformierten Frosch ohne die Beteiligung bewusster Kognition. Auf diese Übereinstimmung kann das Bild vom Ökofrosch bauen und davon ausgehen, dass das Verstehen des Körpers von einem neuronalen »Spiegelmechanismus abhängt, der die sensorische Erfahrung direkt emotional zu kodieren vermag«.40 Ein so entstehendes Bild vom Tier verdankt sich rudimentären Formen der Empathie, die gewiss hinter den komplexen Formen zurückbleiben, die unseren Beziehungen zu Menschen zugrunde liegen, aber nach demselben Muster operieren. Wir können davon ausgehen, dass diese Aktivierung visueller Felder im Gehirn einen kognitiven Prozess auslöst, der die sensorischen Informationen als Träger einer emotionalen Bedeutung zu interpretieren vermag.41 Das Verstehen des Körpers durch einen vorreflexiven neuronalen Mechanismus lässt einen gemeinsamen Handlungsraum entstehen, der die Grundlage »für immer kompliziertere Interaktionsformen bildet (Nachahmung, intentionale Kommunikation usw.), die ihrerseits auf immer differenzierteren Spiegelneuronensystemen beruhen«.42 Die korrespondierende Wahrnehmung aktiviert die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, am Körper eine mit dem Frosch geteilte Umwelt zu sehen. Eine Einschränkung muss gemacht werden. Nicht jeder Körper, nicht jede Wunde oder Entstellung lösen die Aktivität der Spiegelneurone aus, wie Laborberichte demonstrieren. Ihre Aktivierung hängt außer von der Wahrnehmung auch von der Art der Beziehung ab, die der Beobachter zum Gegenüber hat, etwa ob er dessen Lage nachvollziehen kann oder bereit ist, die eigene Psyche mit dem Empfinden dieser Lage zu belasten. In dieser Hinsicht ist die Veränderung des negativen Froschbilds fundamental. Sobald er ein Wesen ist, dem wir uns verbunden fühlen, kann der Anblick seines Körpers Empathie auslösen. Anders ist es, solange der Frosch als fremd oder als Gegner oder aus der Haltung des Sadismus wahrgenommen wird. Gegen diese Hemmnisse ist Empathie zu schwach. Werden diese Störungen aber durch ein positives Bild vom Frosch vermieden, kann der Mechanismus der Spiegelneurone wirken. Für das kleine
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Tier ist übrigens bemerkenswert, dass Experimente gezeigt haben, dass die emotionale Selektivität unabhängig von der Größe des Objekts ist. Die Intensität der Reaktion ist von der Stärke des Reizes abhängig, also wie intensiv Ekel oder Sympathie sind, die der betrachtete Körper auslöst. In der drohenden Umweltkatastrophe formt sich am Frosch ein Gegendiskurs zur Beziehungslosigkeit des Wegsehens. Der Frosch eines entstehenden ökologischen Tierbilds ist noch immer ein Außenseiter, nicht angepasst und mit dem Potential zu stören. In der Öffentlichkeit ist er selten zu sehen.43 Aber wer sucht und sehen will, entdeckt den Frosch, der nicht mehr als Monster schreckt, sondern nun in einer monströs gewordenen Welt zu einem Partner wird.
Kann aus individueller Empathie gesellschaftliches Handeln werden? Kann die individuelle Beziehung zwischen Mensch und Frosch generalisiert und in gesellschaftliches Handeln übertragen werden? Die Erforschung der Spiegelneurone stellt einen Kontext her, in dem der Frosch zu einer Erfahrung von Umwelt wird, die von vielen geteilt wird. Die Bedeutung dieser Forschung ist darin zu sehen, dass die Mechanismen der Spiegelneurone es ermöglichen, das Entstehen des Ökofroschs an einen biologischen Prozess zu knüpfen. Seine Grundlage liegt moralischen und politischen Entscheidungen oder Manipulationen voraus – denen er allerdings nicht entgeht, sobald er in praktisches Handeln übertragen wird. Die Theorie eines neurologisch fundierten Bilds liefert eine von moralischer Wertung entkoppelte Grundlage für eine Verschiebung des ethischen Diskurses von einer individuellen Beziehung zu kollektiver Verantwortung. Jenseits sprachlicher Differenzierungen werden im Hirn von denen, die sich dem Hinsehen und der Berührung aussetzen, dieselben Sensationen und Emotionen ausgelöst. So kann sich ein Programm zur Rettung von Frosch und Kröte nicht nur auf moralische Urteile gründen, sondern durch Körpererfahrung ausgelöst werden. Dadurch werden moralische Entscheidungen allerdings nicht überflüssig. Die erste Entscheidung fällt zwischen hinsehen und wegsehen. Die Beziehung des Menschen zum Frosch ist noch immer eine zum Selbst, und sie wird nun, mit dem Bewusstsein der ökologischen Krise betrachtet, die zu einem Körper, der sich unter den Bedingungen der Umweltzerstörung in einer vergleichbar prekären Lage findet wie der Frosch. Am Frosch werden dem Menschen, der bereit ist, hinzusehen, die Folgen seines Handelns an der Natur sichtbar als die Auswirkungen, die dies Handeln
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auf ihn selbst hat. An Frosch und Kröte erlebt der Mensch sich selbst als bedrohten Bewohner eines Ökosystems, das er mit den Tieren teilt. Im deformierten Frosch blickt ein Körper den Betrachter an, und es kommt auf den Betrachter an, ob er den Blick aufnimmt und bereit ist, den Froschkörper als Frage zu verstehen. Die Frage stellt sich heute wie in der Welt des Zaubers: Gibt es einen Schutz gegen die Bedrohung? Der Mensch konnte sich seit je zum praktischen Handeln herausgefordert fühlen und sich zum Beispiel im Tierschutz engagieren, aber er kann auch eine Antwort dem Frosch symbolisch und damit durch das Medium Frosch sich selbst geben. Diese Antwort kann zum Beginn der Arbeit an einer gemeinsamen Zukunft werden.
Wer ist der Ökofrosch? Der Ökofrosch gehört zu den Projekten der Sorge um die Zukunft, die in der Gegenwart so unsicher ist wie nie zuvor. Der Ökofrosch kann mit dem Anspruch wissenschaftlich untermauerter Autorität auftreten, begleitet von Zahlen und Statistiken für einzelne Regionen, Länder und die Welt. Der empfindliche Körper dient als Indikator von Umweltbelastungen.44 Am Schrumpfen der Froschpopulation einer Gegend liest der Mensch die Zeichen von Zerstörungen des Ökosystems ab. Dieser in der Wissenschaft behandelte Zusammenhang analysiert die nicht umkehrbaren Veränderungen post festum am Sterben der Frösche. Diese Analysen haben bisher nicht zu Folgenabschätzungen von geplanten Eingriffen in die Natur geführt. Aber allmählich löst das Sterben der Lurche und Reptilien einen öffentlichen Diskurs über die gefährdete Natur aus.45 Dieser Diskurs handelt aber nicht im eigentlichen Sinn vom Ökofrosch. Die rationalistische Theorie, die das Tier in eine Subjekt-ObjektBeziehung einsetzt und im wissenschaftlichen Tierbild gipfelt, hatte sich gegen das magische und theologische Bild vom Tier durchgesetzt, während eine Gemeinsamkeit mit dem Tier, die aus frühen Bildern von Mischwesen spricht, verloren ging. Der Ökofrosch nimmt diese Entwicklung zurück. Er entsteht nicht im Rahmen wissenschaftlicher Argumentation über die Natur und nicht in der Folge neuer Erkenntnisse über Frösche. Er ist vielmehr das Produkt einer sich wandelnden Haltung zur Natur und löst ein anderes, ein nicht-instrumentell definiertes Denken über das Tier aus. In einer Gesellschaft, zu deren Grundlagen die Herrschaft über die Natur gehört, entsteht der Ökofrosch in dem Maß, wie er von seinen Funktionen in Systemen wie der Wissenschaft, auch denen eines Indikators von Umweltschäden, entbunden wird.
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Aber im Ökofrosch kehrt nicht das Tier der Vormoderne zurück. Er hat sich erneut verwandelt. Eine seiner beiden Grundcharakteristika verliert der Frosch der Gegenwart. Nach Jahrtausenden der Identifikation mit Fruchtbarkeit und dem unbegrenzten Gewimmel entsteht in der Gegenwart das Bild eines Tiers der Fragilität, vom Tod gezeichnet. Die zweite Eigenschaft, seine Wandelbarkeit, wirkt weiter. Seine letzte Metamorphose verbündet ihn mit dem Menschen. Der ökologische Frosch hat sich in ein Tier der Sorge verwandelt. Der Ökofrosch braucht einen Ikonoklasmus, der das Tierbild des Rationalismus und das Wissenschaftsbild zerstört. Soll der Frosch als epistemisches Ding, stellvertretend für die Verwissenschaftlichung des Lebens, überwunden werden, genügt es nicht, dieses Bild einer Kritik zu unterwerfen. Es muss vielmehr in seinen Grundlagen negiert werden. Der Ökofrosch lässt sich nicht herbeiphilosophieren. Er entsteht nicht in der Theorie, sondern in der Praxis des Umweltaktivismus. Die Beschränkung der Ethik auf autonome Subjekte, die wir von der Aufklärung ererbt haben, war nicht eine Frage der philosophischen Disziplin Ethik, sondern ein umfassender kultureller Prozess. Er kann nicht durch philosophische Reflexion allein rückgängig gemacht werden. Ebenso war das Wissenschaftsbild vom Frosch die Folge komplexer Prozesse, in denen die Forderungen der Wissenschaft nur einen Teil ausmachten. Der Weg zum Ökofrosch kann sich nur in einem Bruch dieser Vorgaben entwickeln. Hinter jedem Ikonoklasmus lauert ein neues Bild. Das neue Bild, insoweit es sich erkennen lässt, zeigt den Frosch als einen anderen, nicht allein durch den Kontext seines Lebens in Bildern, sondern weil das verlorene Bild vom handelnden Tier zurückkehrt. Der körperlose Laborfrosch gab dem Herrschaftsanspruch der Wissenschaft Ausdruck, so bringt der Ökofrosch den Körper vor der Abstraktion zurück. Er ist ein offener Appell und ein Angriff auf das instrumentelle Denken, unabgeschlossen und die Gegenwelt zur Maschine. Der Ökofrosch wird als Bild im Kopf und in der Öffentlichkeit zum permanenten Angriff auf das Wissenschaftsbild. Öffentliche Bilder vom Ökofrosch wollen als Provokateure und Mitstreiter wahrgenommen werden. Das ökologische Froschbild entsteht aus einem skeptischen, aber engagierten Anthropomorphismus. In ihm werden die menschlichen Eigenschaften seiner Geschichte nicht eliminiert, sondern transformiert. Dieses Froschbild setzt sich aus einer Verbindung von Animismus und öffentlichen Inszenierungen der Mediengesellschaft zusammen. Sein Frosch braucht die modernen Medien. Ohne Öffentlichkeit wäre er nichts als ein
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weiteres Bild der Experten. Er knüpft ebenso am Animismus an. Die Weltsicht des Animismus ist uns verschlossen, und ein Mischwesen wie die Frauenkröte von Maissau ist zu einem fernen Gegenstand des Wissens geworden.
Abbildung 42: Clemens Wedel, Froschkönig (2002)
Aber ohne Anleihe beim archaischen Bildverhältnis, das dem Bild Macht zuspricht, kann der Ökofrosch nicht wirken. Wenn es einen schmalen Grat
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gibt zwischen Idolatrie als atavistischer Unterwerfung unter die Macht eines Fetisch und einer Idolatrie, die dem Bild einen eigenen Willen zugesteht, aber an die Stelle von Herrschaft und Unterwerfung eine Form der Solidarität setzt, so hat der Ökofrosch die Chance, diesen Grat einzunehmen. Das Äquivalent einer in der Ästhetik längst vollzogenen Wende vom Ekel zum Bejahungsakt (Kolnai) wäre im Ethikdiskurs die Transformation des bösen Tiers in ein Versprechen nach dem Vorbild des Märchens oder Gertrud Kolmars Tierträumen. Die triumphale Kultur des wissenschaftlichen Zeitalters versteckte den Frosch. Die Krise der Gegenwart holt ihn wieder hervor. Der Ökofrosch ist nicht mehr der Teufel, aber wieder ein Tier mit kämpferischen Zügen. Er gehört zur Krise des Rationalen und einer Wiederkehr des Magischen in der Kultur der Gegenwart. Er ist kein leidendes Opfer. Er zeigt, wie der magische Frosch, den Menschen im Tier, aber nun nicht mehr als ein verdrehtes a-moralisches Subjekt, sondern im Widerstand gegen lebensfeindliche gesellschaftliche Praxis und Gewalt gegen das Leben. Der Frosch war in den Räumen seines Auftretens selten willkommen und hinterließ Spuren der Störung. Das unangepasst Anarchische bewahrt der Ökofrosch. Er ist erneut das Besondere und nimmt nun einen Ort am Rand des technischwissenschaftlichen Systems ein, wo er ein Imago des Unangepassten und eine widerspenstige und eigensinnige Haltung bewahrt. Eine Spur lässt sich erkennen, die wir zu einer Gemeinsamkeit zwischen dem alten Tier Frosch und dem jungen Tier Mensch zusammenfügen können. Beide sind, wenn auch auf unterschiedliche Weisen, schwach und gefährdet. Diese Schwäche machte sie in der europäischen Mentalitätsgeschichte für Jahrhunderte zu Gegnern, die um ihre Selbstbehauptung kämpften. Der Frosch der Gegenwart ist nicht länger eine Bedrohung des Menschen, und so kann das Verbindende hervortreten. Wenn wir nicht wissen, was es bedeutet, ein Frosch zu sein, wissen wir doch, was es bedeutet, in einer feindlichen Umwelt leben zu müssen. Dieses Schicksal teilen wir mit dem Frosch. Die Frage nach der Idee oder dem Wesen des Tiers wird abgelöst durch die nach einer Relation: dem Umweltverhältnis. Der Blick richtet sich auf Äußeres: auf die Beziehung von Körper und Raum, Lebewesen und Umwelt. Diese Bestimmung bedeutet einen Bruch mit der Geschichte der Bilder und Ideen von Frosch und Kröte. Das Umweltproblem schafft eine neuartige Gemeinsamkeit, aus der sich eine Verpflichtung ableiten lässt. Es wäre schwer zu begründen, dass Frosch und Mensch in einem Verhältnis lebten, aus dem der Frosch Rechte gegenüber dem Menschen ableiten könnte. Ebenso fragwürdig ist die
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6.C D URS G RÜNBEIN , I N DER P ROVINZ 4 (Campagna) Wie der Gekreuzigte lag dieser Frosch Plattgewalzt auf dem heißen Asphalt Der Landstraße. Offenen Mauls, Bog sich zum Himmel, von Sonne gedörrt, Was von fern einer Schuhsohle glich Ein Amphibium aus älterer Erdzeit, unter die Räder gekommen im Sprung. Keine Auferstehung als in den Larven Der Fliegen, die morgen schlüpfen werden. Durch welche Öffnung entweicht der Traum? Durs Grünbein, In der Provinz 4, in: Nach den Satiren, Frankfurt (Suhrkamp) 1999, S. 12. * Die Satire, meint Schiller, konfrontiere die schlechte Wirklichkeit mit dem Ideal. Nach der Satire nennt Grünbein seine Gedichtsammlung und verabschiedet sich ausdrücklich von der wertenden Gegenüberstellung des Idealisten in die Skepsis mit einer schwachen Hoffnung für die Zukunft. Er schreibt von der Welt, wie er sie vorfindet, ohne sie an einem Ideal zu messen, und berichtet in diesem Gedicht von einer Leiche, mit kühlem Blick betrachtet, ohne Klage, ohne Anklage und ohne Sentimentalität. Der Körper, durch einen Gewaltakt getötet und vom Autoreifen geschändet, vertrocknet auf dem heißen Asphalt. Für diesen Frosch kommt jede Hilfe zu spät. Die nüchterne Beobachtung lässt jedoch den toten Froschkörper nicht zur bedeutungslosen Sache, nicht zur res extensa schrumpfen. Er trägt Zeichen mit Bedeutung, kommt, biologisch gesehen, von weit her, aus einer älteren Zeit als der unseren, und er zeigt nach oben, auf einen Himmel, der nicht leer ist, denn das christliche Bild des Gekreuzigten kommt in der alltäglichen Banalität dieses Todes zurück. Für wessen Rettung ist der Frosch gestorben?
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Umkehrung zu der These, das neue Verhältnis erlege dem Mensch Pflichten gegenüber dem Frosch auf. Eine Pflicht des Menschen gegenüber dem Frosch kann sich nicht aus einem vom Frosch gestellten Anspruch, sondern nur aus der Verantwortung für die Zukunft der Natur, in der Frosch und Mensch leben, ableiten. Eine Verpflichtung in Ansehung der Natur, um mit Kant zu sprechen, wird am Froschkörper sichtbar. Sie besteht gegenüber dem höchsten zu schützenden Gut in der Natur, dem Leben.
Langzeitverantwortung Die Naturzerstörung schafft unklare Zuständigkeiten: Wer trägt Verantwortung? Nicht das Tier und ebenso wenig der Mensch, zum Beispiel nicht die Krötenschützerin, aber doch einige Menschen oder anonyme Strukturen der Gesellschaft. Der Frosch ist Opfer, und der Mensch ist Verursacher und Opfer zugleich. Die Opferrolle schafft Betroffenheit, aber auch Abwehr. Wer will Opfer sein? Dem gegenüber ist die Täterschaft eindeutig, und sie macht die Frage nach der Verantwortung unabweisbar. Es ist aber nicht leicht zu klären, zu welchen Verpflichtungen sie führt. Die Verantwortung für Umweltzerstörung öffnet die Frage der Zeitdimension. Ihre Anfänge liegen in einer den gegenwärtigen Akteuren unzugänglichen Vergangenheit, und die Zukunft der Natur erfordert eine Langzeitverpflichtung, die in eine ähnliche zeitliche Ferne weist. Verpflichtungen brauchen Adressaten. Langzeitverpflichtung richtet sich an Adressaten, die noch nicht existieren. Was kann das Verlagern der Verantwortung in eine ferne Zukunft bedeuten und wer könnte der Adressat sein, dem die Verpflichtung gegeben wird? Kann es eine Verantwortung angesichts der Unüberschaubarkeit langer Zeiträume geben?46 Wenn die Natur nicht ein System mit einem Wert an sich bildet, das Schutz beanspruchen kann, ist die Konsequenz nicht ein Rückzug in die Beliebigkeit eines Subjektivismus. Vielmehr ergibt sich die Aufgabe, einen Diskurs über die Verantwortung für die unzugängliche Zukunft zu entwickeln und nach Wegen zu suchen, die ermöglichen, ihn in Praxis zu überführen. Aus der rechtlich und politisch unbestimmten Position der Gegenwart im Verhältnis zur Zukunft erklärt sich die rhetorische Leere und Folgenlosigkeit der Verpflichtungsaussagen von Umweltpolitikern. Fundamentalökologie entwickelt dies Problem auf einer elementaren Ebene. Sie geht davon aus, dass die gegenwärtig Handelnden die Verantwortung nicht nur für die Gegenwart, sondern ebenso für eine lebenswerte Welt der Zukunft tragen. Wer könnte der Adressat dieser Verpflichtung sein?
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Dies Gedicht von der entstellten Leiche ist kein Nekrolog, sondern spricht von Auferstehung. Die christliche Idee der Auferstehung ist aber umgedacht und in ein Wissen über ein Leben nach dem Tod übertragen, das die Desillusionierung durch die Wissenschaft überlebt: Fliegen brüten im Kadaver, werden schlüpfen und Leben aus der Leiche ziehen. So ist, was aus der Ferne einer Schuhsohle gleicht, ein Menetekel, von der unsichtbaren Hand der allmächtigen Technik auf den Boden geschrieben. Die Schrift kann jeder lesen, der bereit ist zu lesen, und aus der Warnung den Anfang eines Denkens über die Zukunft einer Natur machen, die von heißen Asphaltstraßen nicht mehr befreit werden kann, die aber, sollte es gelingen, in diesem Denken an die Zeit anzuknüpfen, aus der der Frosch kommt, dem Leben wieder den Platz vor der lebensbedrohenden Technik einräumt. Religion, denken wir nach Freud, Burkert und Girard, entsteht aus einem Gewaltakt, aus dem Opfer eines Lebewesens. Im post-metaphysichen Blick wird der verachtete Frosch zum Opfer, das am Anfang nicht einer neuen Religion, aber einer fundamentalen Naturphilosophie stehen kann. Dieser Frosch ist das Tier der Hoffnung, gestorben für das Leben, das noch zu retten ist.
In der politischen und juristischen Praxis können die Subjekte der Verantwortung nur einem Dialogpartner in der Gegenwart Rechenschaft geben. Die Politik delegiert Verantwortung an Experten, die sich professionell um die Probleme der Zukunft kümmern. Auch für den »fernfolgensensitiven Bereich« kann man fragen, »welche gesellschaftliche Agentur in besonderer Weise eine solche ›Langzeitverantwortung‹ tragen kann und soll«.47 Die Frage nach der Verpflichtung gegenüber der Zukunft auf diese Weise zu stellen, bedeutet das Ende der Umweltphilosophie. Ethik ist bei Experten gesellschaftlicher Agenturen in schlechten Händen. Sie sind professionell geblendet und nicht in der Lage, Fragen der Ethik zu denken, ohne sie in das Korsett ökonomischer, technologischer oder juristischer Spezialdiskurse zu pressen. Die arbeitsteilig organisierte Expertenkultur ist prinzipiell unfähig, Fragen der langfristigen Zukunft zu bedenken. Das Problem der Ökologie darf nicht auf die Ebene von Expertenkomitees verlegt werden, soll die Frage der Verantwortung nicht an ein System delegiert werden, das die Ursache des Problems bildet. Langzeitverantwortung für die Natur ist juristisch nicht zu definieren, aber ein starkes Gefühl spricht dafür, dass die Natur den Anspruch auf eine
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bindende Verpflichtung der Gegenwart hat. Wie aber wäre dieser Diskurs über eine bindende Verpflichtung einzurichten? Er kann nicht auf einer realen, sondern nur auf einer fiktiven Kommunikation aufbauen. Fiktive Diskurse sind keine Ausnahme und nicht als Sonderfall auf das Problem der Langzeitverantwortung für die Natur beschränkt. Verpflichtungsethik kann ihre Partner nur in Ausnahmefällen unmittelbar ansprechen und ist darauf angewiesen, sie in der Einbildungskraft herzustellen. So spricht etwa der Dekolonisierungsdiskurs von Verantwortung, hat aber keinen konkreten, direkten Ansprechpartner, sondern richtet sich an einen virtuellen Gesprächspartner unter dem Namen die Kolonisierten. Dadurch wird der Diskurs nicht notwendig hypothetisch, sondern er kann so geführt werden, als wäre das Gegenüber als Diskurspartner präsent. Er konstruiert den Diskurspartner auf eine Weise, dass realistische Verpflichtungen gemacht werden können.
Das Tier als Dialogpartner Ein Adressat für die Verantwortung, die die Gegenwart für die Natur in einer fernen Zukunft übernimmt, kann nur phantasiert werden. Wenn für die Verpflichtung im Rahmen von Langzeitverantwortung eine Delegation nicht zu umgehen ist, stellt sich die Frage, wer für die Delegation in Frage kommt.48 Die konstitutive Frage kann nicht die nach den mutmaßlichen Interessen und Bedürfnisse zukünftiger Generationen sein, über die wir in einer sich rapide verändernden Zivilisation wenig wissen, wie das rasche Veralten von Science Fiction Literatur oder die entstehende synthetische Biologie demonstrieren, und sie kann nicht bedeuten, »dass diejenigen, die Verantwortung für die Späteren übernehmen, diesen Späteren selbst realiter über ihr Tun und Lassen rechenschaftspflichtig sind«.49 Für die Repräsentation des zukünftigen Lebens in der Gegenwart hat die ökologische Philosophie eine Antwort anzubieten: den Dialog mit dem Tier. Kann das Tier in die Rolle eines Diskurspartners eingesetzt werden? Das Tier steht uns in diesem Kontext näher als das von humanistischer Philosophie gesetzte transzendentale Subjekt einer überzeitlichen Menschheit oder die soziologische Konstruktion eines Kollektivsubjekts. Das transzendentale Subjekt des philosophischen Idealismus und der Bezug auf eine Anthropologie jenseits von Geschichte sind abstrakte Konstruktionen und als Partner im Diskurs von Langzeitverpflichtung schlecht geeignet. Das im philosophischen Diskurs vergessene Tier wäre zu entdecken und als ein Adressat in den Diskurs über ökologische Ethik einzuführen. Der Rekurs auf das Tier ist keine Vermeidungsstrategie.
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Die Konstruktion einer diskursiven Position des Adressaten von Langzeitverpflichtung trägt nicht den Namen Tier als ein Substitut, sondern muss und kann Interessen des Nicht-Menschlichen, die sich von denen des Menschen unterscheiden, im öffentlichen Diskurs repräsentieren. In einer Gemeinschaft aus Mensch und Tier lässt sich ein Diskurs entwickeln, der, im Unterschied zum Expertenwissen, langfristige und grundsätzliche Verpflichtungen eingeht.
Abbildung 43: Anselm Harder, Frosch, du mein Freund: bereit zum Aufbruch, Tanzender Frosch mit Sushimeister (2004) O Nacht! ich nahm schon meinen Stoff Und Blutverteilung ist im Gange.
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Die Bejahung der Natur, die sich der Geringschätzung von Leben, die aus den Lebenswissenschaften und ihren Bildern spricht, entgegenstellt, erfordert einen Dialog mit einer Natur, die unter der Herrschaft der Wissenschaft nur noch die Sprache der Wissenschaft spricht, aber nun auf andere Weise angeredet werden muss. Für eine Erneuerung des »Dialogs mit der Natur«50 müssen neue Formen der Kommunikation gefunden werden. Der Ökofrosch kann für diesen Dialog konstitutiv werden. Einsicht in die lange und wechselvolle Geschichte des Verhältnisses von Frosch und Mensch kann dem Denken der Langzeitverantwortung auf den Weg helfen. Während das Gleichgewicht, in der Umweltphilosophie oft idealisiert, blind, stumm und immobil ist, beginnen Bewegung und Wahrnehmung, die zum Dialog führen, mit der Störung des Gleichgewichts. Am Frosch hat sich gezeigt, was geschehen kann, wenn die Natur aus ihrem blinden Gleichgewicht gerät. Aus einer theologisch definierten Störung folgte das Staunen, das am Anfang der Entwicklung stand. Die Störung setzte sich in verschiedenen Variationen über Jahrhunderte fort. Der Frosch der Wissenschaft war schließlich der Versuch, ein stabiles Gleichgewicht zu gewinnen. Wenn der Frosch aus der sprachlichen und bildlichen Definitionshoheit der Wissenschaft, die noch im Angesicht der Katastrophe alles erklärt und in ein stabiles Gleichgewicht versetzt, befreit wird, hat er das Potential, zu einem Dialog über die Zukunft der Natur beizutragen. Das Tier nicht zu schützen, sondern es zu exponieren und als Diskurspartner zu konstruieren, bedeutet eine grundlegende Verschiebung des Verhältnisses zum Tier. Nicht aus Mitleid oder Liebe zum Tier zu handeln, sondern gegenüber dem Ökos gemeinsam mit dem Tier Verantwortung zu übernehmen, schafft ein neues Tier und ändert die Regeln der Diskurskonstruktion. Wir können nicht wissen, was es heißt, ein Frosch zu sein. Aber wir können in die von Empathie geleitete Konstruktion eines Diskurspartners, die nicht nach dem Wesen fragt, so viel Wissen und Vorstellungskraft investieren, dass ein Dialog entsteht, der über die Vorstellungen hinausgeht, die der Initiator an ihn heranträgt und zu einer allmählichen Verfertigung, um mit Kleist zu sprechen, der Ethik aus dem Dialog führt.
Geschichtliche Tiefe Hat der Ökofrosch etwas zu sagen, das über das Wissen seiner Initiatoren hinausgeht? Er bringt eine den Vorstellungshorizont des Menschen übersteigende Temporalstruktur in den Diskurs ein. Die Zeit der Umweltzerstörung geht über das menschliche Planungsvermögen hinaus, aber sie
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muss in die Konstruktion von Gegenwart eingeführt werden. Der Frosch führt die Zeitdimension einer Naturgeschichte in den kulturellen Diskurs ein und schafft eine Tiefe und Langfristigkeit, ohne die der Zukunftsdiskurs der Gegenwart zum Scheitern verurteilt ist. Der urtümliche Lurch, der die Erde unvergleichlich länger bewohnt als Mensch und Affe und zugleich tief in die Geschichte des menschlichen Bewusstseins und Unbewussten eingegraben ist, ist in besonderer Weise geeignet, zum Diskurspartner im Entwurf einer ökologischen Langzeitverpflichtung eingesetzt zu werden. Die Langzeitverpflichtung für die Natur, die von der Gegenwart übernommen wird, erfordert Veränderungen der mentalen Einstellung, die schwer zu erreichen sind. Sie machen ein Umdenken nötig, und dies Umdenken braucht die Verankerung in Emotionen. Daran kann der entstehende Ökofrosch, der von einem Unglückstier zum neuen Totem wird, mitwirken. Die Macht, die er in vergangenen Kulturen hatte, ist nicht ganz verloren, und an ihr kann die Gegenwart in einer umgekehrten Situation partizipieren. Es ist nicht die Macht einer Herrschaft, die die Kirche in ihm vermutete, sondern die weiche Macht der Empathie und des Leiblichen. Wen das Sterben der Natur und die Rücksichtslosigkeit der Technologie aufschreckt, und wer unter dem Lärmen der Zivilisation die Gefahr spürt, kann sich auf einen Frosch beziehen, dessen Sprache mit der des Labors nichts gemeinsam hat, sondern deren Macht entgegentritt. Nicht die Komplexität des Laborfroschs, sondern das Primitive des urtümlichen Tiers kommt damit zur Wirkung. Darin könnte man eine moderne Version des Froschzaubers sehen. Die Langzeitverantwortung für die Natur an die Mehrdeutigkeiten eines Mischwesens zu binden, könnte als ein Rückfall in animistische Praktiken gewertet werden, die mit der Rationalisierung ausgestorben schienen. Der Frosch als Diskurspartner erfordert eine Gratwanderung. Ein Verständnis von Langzeitverantwortung, das dem Tier eine Beteiligung zugesteht, reagiert auf einen Zweifel am Menschen, an seiner Fähigkeit, Verantwortung für die Zukunft der Natur zu tragen. Das Tier an seiner Seite erweitert den Diskurs um eine Stimme, die aus der Tiefe einer von der Zivilisation verdrängten Zeit kommt. Eine solche Wende zu einer Tierphilosophie erinnert an Diskurse, in denen die Frage nach den Opfern von Zivilisation und Fortschritt gestellt wird: Frauen, Sklaven, Schwarze und andere Opfer, die lange sprachlos waren und in den Befreiungsbewegungen der jüngeren Geschichte eine Stimme bekommen haben. Kann der Frosch in diesem Sinn sprechen? Er sieht auf uns, wie Berger ein wenig blumig bemerkt, über einen Abgrund
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der Sprachlosigkeit hinweg. Läuft diese Frage auf ein bloßes Gedankenspiel hinaus? Ich denke, dass wir uns aus den Zwängen der herrschenden Umstände nur befreien können, wenn wir es wagen, Gedankenspiele zu probieren und ernsthaft weiterzuspielen. Aus einer psychoanalytischen Perspektive auf die Geschichte lässt sich lernen, dass die scheinbar abgehalfterte Macht des Fetischismus und des Animismus ins menschliche Leben einzugreifen, trotz aller Aufklärung noch immer in der Einrichtung des Lebens und in der Struktur der Zivilisation wirksam ist. Der Frosch ist in der langen Geschichte, die er mit dem Menschen teilt, als Täter und als Sache behandelt worden, im direkten und im metaphorischen Sinn, als Körper und als reine Vorstellung. Seit der Aufklärung behandelt die kritische Philosophie das personifizierte Tier, den Menschen im Tier, mit offener Ablehnung. Es ist das Pathologische, das zum Ikonoklasmus am magischen Bild auffordert. Aber vielleicht lässt sich von Gleditsch und der Empfindsamkeit seines Jahrhunderts lernen, dass der Frosch die Zeit und Mühe einer intensiven Auseinandersetzung lohnt, sobald man ihm ein Leben zugesteht und er einen Ausdruck, Gestik und ein Gesicht gewinnen kann, das unter den gegebenen Umständen etwas zu sagen hat. Wissenschaftler wissen, dass die Tiere, mit denen sie umgehen, wissenschaftliche Abstraktionen sind. Aber eine alternative Wissenschaft entsteht aus dem Bewusstsein, dass sie auch etwas anderes sind und über die matter-of-factEbene hinausweisen, etwas wollen und Ansprüche stellen. Und womöglich ist eine Rückkehr zum Frosch als Totem nicht bloß ein Verstoß gegen die Gebote der rationalen Aufklärung, sondern ein vergleichsweise harmloser, aber nachhaltiger Beitrag zur Rettung der Natur. Es könnte sein, dass wir von der vormodernen, magischen Haltung zum Tier gar nicht loskommen können und Anthropomorphismus konstitutiv in das Verhältnis des Menschen zur Natur eingebaut ist. Nicht dessen Überwindung, sondern seine Abwandlungen für ein zukunftsgerechtes Verhältnis zur Natur wäre die Aufgabe der Gegenwart. Der hässliche, böse, verzauberte und zaubernde Frosch wird in der Gegenwart wieder präsent, und diese Vorstellungsbilder dringen in professionelle wie in populäre Ansichten der Natur ein. Jedermann weiß, dass es folgenlos bleibt, einen Frosch zu überfahren oder zu zertreten, aber dennoch haben die meisten Menschen Hemmungen. Und da schließt sich ein Kreis. Denn es ist offensichtlich, dass die Werbung der Gegenwart den Frosch als passives Objekt ausbeutet, aber dennoch an seine Kraft glaubt und sie benutzt, um eine eigene Dynamik zu entfalten, um zu locken und zu verführen.
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Abbildung 44: Cynthia Breman-Rooke, Metamorphosis »Dieses Gemälde erkundet die Kräfte einer zentralen Figur in einem Tagtraum, den ich nach einer persönlichen Krise hatte: die Vision eines großen Frosches, der als Spiegelung auftauchte, als ich im Wald in einen dunklen, Yin-artigen, geheimnisvollen Teich mit Wasserlilien blickte. Wenn ich nun, fünfundzwanzig Jahre später, zurückblicke, sehe ich, dass die kreative Wiedergeburtsenergie des Proteus-artigen Frosches – so schmerzhaft sie damals war – die versprochene Blüte hervorgebracht hat und zugleich mein Bewusstsein wachsen ließ.«
Welches andere Tier wäre so geeignet wie der Frosch, nutzlos aber mit vielschichtigen Emotionen besetzt, nicht zum Schutz eines einzelnen Tiers
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aufzurufen, sondern zur Grundlage einer Fundamentalökologie anzuregen? Viele meiner Gespräche mit Krötenschützerinnen zeugen von diesem Potential. Die Zuneigung enthält neben dem Motiv der Sorge um das gefährdete Tier stets auch die Sorge um die Natur. Dieser Frosch zeugt von einer Suche, der Suche nach einem Leben, das aus der Nähe zum Tier gelebt wird. Während ein Teil der Menschheit Krieg gegen die Natur führt, findet der andere Teil im Tier einen Verbündeten im Kampf gegen diesen Krieg. Die Natur hat keine anderen Hände als die der Menschen, um die Tiere zu retten. Der Frosch in der Hand kann einen Anfang bilden. Hat der winzige und marginale Frosch diese Aufmerksamkeit verdient? »Man wird mich fragen,« spekuliert Nietzsche einmal, »warum ich eigentlich alle diese kleinen und nach herkömmlichem Urtheil gleichgültigen Dinge erzählt habe […]. Antwort: diese kleinen Dinge […] sind über alle Begriffe hinaus wichtiger als Alles, was man bisher wichtig nahm.«51 Nietzsche, der über das Böse und das Hässliche nachgedacht hat, hätte diesen Kommentar über den Frosch, das Tier des Bösen und des Hässlichen, machen können, und er ließe sich auf den Ökofrosch erweitern. War der Frosch über Jahrhunderte hinweg ein negatives Totemtier, so eröffnet seine Rückkehr unter umgekehrten Vorzeichen die Möglichkeit, dass er zum Totem einer neuen Beziehung zur Natur wird. Ob ihm die naturvergessene Gesellschaft einen solchen Freiraum zugestehen kann?
6.4 E IN H AIKU : M AGERER L AUBFROSCH Magerer Laubfrosch, lass dich nicht unterkriegen! Sieh, ich stehe dir bei, Issa. 52
Ihnen diese Kraft zuzugestehen und sie in den Umweltdiskurs einzubeziehen, schließt eine Beschränkung der menschlichen Autonomie ein. Wer einschränkungslos am Ideal der Freiheit durch Autonomie festhält, kann nicht das Ziel einer ökologischen Ethik mit einer Beteiligung des Tiers verfolgen. Sie fordert, Verantwortung gegen das Ideal der grenzenlosen Freiheit im Umgang mit der Natur zu rehabilitieren. Sobald der Mensch seine Zukunft an die von Frosch und Kröte bindet, verlieren das Ideal der Autonomie und die an sie gekoppelte Freiheit ihren absoluten Vorrang. Nur eine Beschränkung der Autonomie macht es möglich, das Tier in die Rettung
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der Natur einzubeziehen. Diese Beschränkung der Autonomie im Verhältnis zum Tier schafft keinen Fetisch, sondern ein Gegenbild des Widerstands. Ob Issa dem Frosch durch sein Gedicht Beistand leisten will oder ob das Gedicht das Versprechen macht, die Hände zu rühren und ihm durch Handeln beizustehen, bleibt offen. Entscheidend ist der Zusammenhang einer Gefährdung und des Beistands, der das Tier und den Menschen verbindet. Nichts hindert anzunehmen, dass diese Zeilen die vertrauten Verhältnisse umkehren und der Frosch sich nicht gegen eine Bedrohung wehrt, sondern der überlegen Handelnde im Kampf um das Leben ist und Issa ihm in diesem Kampf assistiert. Der ökologische Frosch wird in Europa aufs neue, was er im Haiku über die drei Jahrhunderte hinweg gewesen ist, die in Europa die Zeit der Verwissenschaftlichung war, in der der Frosch zum passiven Objekts wurde. Das neue Froschbild ist ein Bruch mit dieser Entwicklung und führt zu einem Tier, das nicht beherrscht und ausgebeutet, sondern zu einem Partner wird, mit dem sich gemeinsam handeln lässt. Der Frosch des Haiku ist würdig, den Beistand des Menschen zu empfangen. Kann nach der langen Tradition der Entwürdigung des Tiers im Denken und Handeln der europäischen Zivilisation dem Tier die Würde zurückgegeben werden? Am primitiven Frosch könnte sich diese Frage entscheiden.
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Anmerkungen
2 E INLEITUNG 1 | Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt-Endlichkeit-Einsamkeit. Gesamtausgabe Bd. 20/30, Frankfurt (Vittorio Klostermann) 1983, S. 275 und 303; im Entwurf des Daseins in Heideggers Sein und Zeit hat das Tier keinen Ort. Die Frage nach dem Wesen bringt auf den neusten Stand: Kurt Bayerz, Hat der Mensch eine Natur? Und ist sie wertvoll?, in: Bios und Zoe. Die menschliche Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, hg. v. Martin G. Weiss, Frankurt (Suhrkamp) 2010, S. 191-218. 2 | Für eine Diskussion des Themas vgl. Justin Stagl und Wolfgang Kleinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins. Probleme einer Definition des Menschlichen, Wien u.a. (Böhlau) 2005. 3 | Neuere knappe und kenntnisreiche Einführungen zur Frage nach dem Tier sind: Hans Werner Ingensiep und Heike Baranzke, Das Tier, Stuttgart (Reclam) 2008, und: Markus Wild, Tierphilosophie. Eine Einführung, Hamburg (Junius) 2008, beide mit weiterführenden Literaturhinweisen. 4 | Informativ und auf dem neuen Stand der Diskussion: Bernard Wallner, Übergänge zwischen nichtmenschlichen und menschlichen Primaten, in: Justin Stagl und Wolfgang Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins (wie Anm. 2), S. 79-97. 5 | Steven M. Wise, Animal rights, One step at a time, in: Cass R. Sunstein und Martha Nussbaum (Hg.), Animal rights, Oxford (OUP) 2004, S. 19-50, hier S. 40. 6 | Bernhard Wallner, Übergänge zwischen nichtmenschlichen und menschlichen Primaten (Anm. 4), S. 92. 7 | Gerhard Neuweiler, Was unterscheidet Menschen von Primaten? Die motorische Intelligenz, in: Györgi Ligeti und Gerhard Neuweiler, Motorische Intelligenz. Zwischen Musik und Naturwissenschaft, Berlin (Wagenbach) 2007, S. 22. 8 | Donald R. Griffin, Animal minds. Beyond cognition to consciousness, Chicago (UCP) 2001.
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9 | Giacomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls, Frankfurt (Suhrkamp) 2008. 10 | Giacomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie, S. 14. 11 | Sophie Ruppel und Aline Steinbrecher, »Die Natur ist überall bey uns«. Mensch und Natur in der frühen Neuzeit, Zürich (Chronos) 2009, S. 13. 12 | Donna Haraway, Simians, cyborgs, and women. The reinvention of nature, New York (Routledge) 1991, dt.: Die Neuerfindung der Natur. Primaten Cyborgs und Frauen, Frankfurt (Suhrkamp) 1995, S. 67; s. auch dies., Primate visions. Gender, race, and nature in the world of modern science, New York (Routledge) 1990. 13 | Catharine MacKinnon, Of mice and men. A feminist fragment on animal rights, in: Cass R. Sunstein und Martha C. Nussbaum (Hg.), Animal Rights. Current debates and new directions, Oxford (Oxford University Press) 2004, S. 263276, hier S. 266. 14 | Die Kritik des Anthropomorphismus ist uneben. Unter neueren Büchern vgl. Lorraine Daston und Gregg Mitman (Hg.), Thinking with animals. New perspectives on anthropomorphism, New York (Columbia U P) 2005. 15 | Auf den Begriff des zweiten Beobachters, den Luhmann ohne Berücksichtigung des Tiers entwickelt, werde ich nicht eingehen. 16 | Den Gegensatz zu dieser Beziehung zwischen Mensch und Tier bildet der Anthropozentrismus. Er ist ein Erbe der Metaphysik, das überwunden werden kann. Seine Gefahr besteht darin, dass er von einer fehlgeleiteten philosophischen Kategorie in die gesellschaftliche Praxis übergeht. Dort wirkt er als ein Denkmuster des Herrschaftswissens. Eine Kulturgeschichte der primitiven Tiere muss sich vor der Gefahr des Anthropozentrismus besonders hüten. 17 | Stanley Cavell u.a., Philosophy and animal life, New York (Columbia UP) 2008; bes. der Beitrag von Cora Diamond, The difficulty of reality and the difficulty of philosophy; auch: Stephen Mulhall, The wounded animal. J.M. Coetzee and the difficulty of reality in literature and philosophy, Princeton und Oxford (Princeton UP) 2009. 18 | J.M. Coetzee, Elizabeth Costello. Acht Lehrstücke, Frankfurt (S. Fischer) 2004; zuerst London (Secker&Warburg) 2003. 19 | J.M. Coetzee, The life of animals (Tanner Lectures); vgl, dazu die Debatte in: Stanley Cavell u.a., Philosophy and animal life (Anm. 17). 20 | Gerhard Falkner, Bruno, Berlin (Berlin Verlag) 2008, S. 36. 21 | Heidegger, Grundbegriffe der Metaphysik (Anm. 1), S. 298f. 22 | Radikale Positionen verbinden die Forderung, die Situation der Frau aus den spezifischen Bedingungen der Feminität zu verstehen, mit demselben Anspruch für das Tier. Vgl. u.a. Catharine MacKinnon, Of mice and men, S. 263-276.
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23 | Diese Wirkung ist in der Gegenwart beinahe vergessen. So werden Frosch und Kröte in Publikationen zum Thema »Tiere und Menschen« kaum je erwähnt. Vgl. die sechs informativen Bände der Cultural History of Animals, hg.v. Linda Kalof, und Brigitte Resl, Oxford und New York (Berg) 2007; Paul Münch (Hg.), Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn u.a. (Schöningh) 1998; Peter Dinzelbacher (Hg.), Mensch und Tier in der Geschichte Europas, Stuttgart (Kröner) 2000. 24 | Im Sprachgebrauch überwogen auch später die Gemeinsamkeiten. Das ahd. krota, chrot oder chreta wird zu krotte und krot und wird häufig für die lateinischen Wörter bufo, rana und rubeta verwandt. Seit der frühen Neuzeit setzt sich im deutschen Sprachgebrauch zunehmend Frosch als das gebräuchliche Wort für diese Tiere durch, anders als im Englischen, das toad häufiger als frog zur Bezeichnung aller drei Arten benutzt. – Der homogenisierende Wortgebrauch stimmt mit der Wahrnehmung der Tiere vermutlich nicht überein. 25 | Auf der Tagung »Oceans 07« in Aberdeen (Juni 2007) stellte Bon Rines (MIT) eine Sonar-Untersuchung von Loch Ness vor, die in einer Tiefe von 98 Metern einen Frosch entdeckte. Ebenso überraschend war der Fund von Fröschen, die unter dem Sand der australischen Wüste leben und für die langen Trockenzeiten eine große Menge Flüssigkeit in ihren Urinblasen speichern. Vgl. auch Gottfried Böhme, Zur Verbreitungsgeschichte der Herpetofaunen des jüngeren Quartärs in Mitteleuropa, in: RANA. Mitteilungsblatt für Feldherpetologie und Ichthyofaunistik in Norddeutschland, Sonderheft 3: Amphibien in der Agrarlandschaft, (Verlag Natur und Text in Brandenburg) 1999. Gottfried Böhme danke ich für wertvolle Hinweise. Einen Überblick versucht: Kraig Adler, Amphibians and humans, in: Bernhard Grzimek u.a., Grzimeks animal life encyclopedia, S. 51-55. 26 | Für den Frosch in Ostasien erscheint demnächst: Indraneil Das, Man meets frog. Perceptions, use and conservation of amphibians by indigenous people, in: H. Heatwole und M. Wilkinson (Hg.), Amphibian biology. Bd. 10: General concepts of conservation and decline, Surrey, New South Wales (Beatty & Sons, Chipping Norton) 2011. Menschen und Frösche, schreibt Das, seien, ähnlich wie Frösche und Wasser, unlösbar miteinander verknüpft und die Verbindung zwischen dem frühen menschlichen Bewusstsein und diesen vorwiegend aquatischen Tieren sei in asiatischen Kulturen verbreitet. 27 | Der Glaube an die prophetische Voraussicht der Frösche lebt bis in die Gegenwart weiter. So sollen sie Erdbeben Tage vorher ankündigen. Es gibt Berichte, dass vor dem Erdbeben in Sichuan in China der Stärke 7,9, das im 12. Mai 2008 mehr als 12 000 Menschen getötet und 5,8 Millionen Menschen obdachlos gemacht hat, die Frösche sich eine Woche zuvor sammelten und die Region verließen. Bei dem Beben von L’Aquila in Italien am 6. April 2009, das 308 Personen
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das Leben kostete und 67.000 Menschen obdachlos machte, hatten sich, wird berichtet, Millionen von Fröschen fünf Tage zuvor auf die Wanderung gemacht. 28 | Die Herkunft der verbreiteten Legenden um den dreibeinigen Frosch ist unsicher. Er ist in ihnen der Träger besonderer Geheimnisse. 29 | Von Chinesen in Manhattan ließ ich mir von der engen Beziehung der Frösche zum Geld berichten. Einige Händler sprachen von Hemmungen, bestimmte Froschfigurinen zu verkaufen. Ob sich da chinesische Wertschätzung des Tiers mit der amerikanischen Verehrung des Geldes mischte? 30 | Für Beispiele der anderen Wahrnehmung des Tiers vgl. Allen F. Roberts, Animals in african art. From the familiar to the marvelous, Exhibition and Catalogue by Carol A. Thompson, New York (The Museum of African Art) 1995; »What a wonderful bird, the frog are. When he sit he stand almost; when he hop he fly almost. He ain’t got no sense hardly; he ain’t got no tail hardly either. When he sit, he sit on what he ain’t got almost.« (S. 187; meine Übersetzung) 31 | Vgl. Philippe Germont, An egyptian bestiary, o.O. (Thames and Hudson) 2001. 32 | Diese Göttin der Fruchtbarkeit, die den Namen Frosch, Heget oder Heqet, trägt, wurde als Frau mit Froschkopf repräsentiert. Es gibt auch Darstellungen vom Frosch an der Spitze eines Phallus. 33 | 2. Mose 7, 27. Aaron streckt auf den von Jahwe angeordneten Befehl Moses seinen Stab über die Gewässer Ägyptens aus: »Da kamen Frösche und bedeckten das Land Ägypten. Aber die Zauberer taten dasselbe mit ihren Künsten und ließen Frösche über Ägypten kommen.« Vgl. M. Weber, Artikel Frosch, in: Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1941ff. Die Frage, was unter der Froschplage zu verstehen sei, ist bis in die Gegenwart nicht geklärt: S. Trevisanato, Ancient egyptian doctors and the nature of the biblical plagues, in: Medical Hypotheses 65, 2005, S. 811-813; P. Sipos, H. Gyory, K. Hagymási, P. Ondrejka und A. Blázovics, Special wound healing methods used in ancient egypt and the mythological background, in: World Journal of Surgery 28, 2004, S. 211-216. 34 | Unter den Gravierungen der Gönnersdorfer Schieferplatten zeigt die Platte 236 eine Tierdarstellung, die Gerhard Bosinski als Zeichnung eines Frosches, vermutlich ein Grasfrosch, identifiziert hat (Rana temporaria). Gerhard Bosinski, Tierdarstellungen von Gönnersdorf, Mainz (Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Band 72) 2008. Die Platte liegt im Schloss Monsrepos. Beschreibung der Platte S. 137; Abbildung Tafel 153 und 154. 35 | Die Skulptur ist aus Kalkstein, 8,26 cm lang und stammt wohl aus der Zeit von 3000 v. Ch. Sie wurde um 1932 in der Nähe von Bagdad, vermutlich aus den Resten des Susatempels von Tell-Agreb, ausgegraben. Sie löste kürzlich öffentliche Aufmerksamkeit aus, als sie im Dezember 2007 von Sothebey’s in New York versteigert und von einem privaten Sammler erworben wurde (FAZ, 1.12.2007,
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S. 45). Die zahlreichen Mischwesen Ägyptens haben in der Geschichte der Ideen und Bilder Europas wenig Spuren hinterlassen. 36 | Alois Gulder, Die urnenfelderzeitliche »Frauenkröte« von Maissau in Niederösterreich und ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund. Mitteilungen der prähistorischen Kommission der österreichischen Akademie der Wissenschaften. X. Bd., Graz, Wien, Köln (Hermann Böhlau) 1960-1962; vgl. auch Walter Hirschberg, Frosch und Kröte in Mythos und Brauch, Wien (Böhlau) 1988. 37 | Alois Gulder, Die urnenfelderzeitliche »Frauenkröte« von Maissau, S. 15. 38 | Alois Gulder, Die urnenfelderzeitliche »Frauenkröte« von Maissau, S. 23. 39 | Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt (Suhrkamp) 1973. 40 | Gerhard Neuweiler, Was unterscheidet Menschen von Primaten? (Anm. 7), S. 22. 41 | Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, Frankfurt (Suhrkamp) 2008, S. 148. Breithaupt stellt die zentrale Frage nach der Bedeutung der Narration für die Ausbildung von »Intersubjektivität«. Den Gedanken, dass Empathie nur unter Einschluss ihres Gegenteils zugelassen ist, führt er überzeugend aus. Auf das Problem von Empathie im Verhältnis zum Tier sind diese Überlegungen nur bedingt zu übertragen, obwohl die Studie zahlreiche Tierbeispiele als erste Hinweise liefert. 42 | Als »Geister der Teufel« bezeichnet das Neue Testament die Frösche (Offenbarung 16, 13-14). 43 | Bruno Latour, From realpolitik to dingpolitik or how to make things public, in: Bruno Latour und Peter Weibel (Hg.), Making things public. Atmospheres of democracy, Karlsruhe, Cambridge (Mass.), London, S. 23; auch: Lorraine Daston, Hard facts, in: Bruno Latour and Peter Weibel (Hg.): Making things public, S. 680-686. 44 | Nach zahlreichen handschriftlichen Fassungen und Inkunabeln, die mit aufwendigen, kolorierten Federzeichnungen geschmückt waren, erschien die erste Druckfassung: Konrad von Megenberg, Buch der Natur 1475. Vgl. Universitätsbibliothek Heidelberg, Löwen, Liebstöckel und Lügensteine. Illustrierte Naturbücher seit Konrad von Megenberg, hg. v. Maria Effinger und Karin Zimmermann, Heidelberg (Winter) 2009; bes. die Beiträge S. 11-21. 45 | Konrad Gesner, d.i. Gesnerus, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines Thier-Buch. Frankfurt (Wilhelm Gerlins) 1669, S. 384. Noch Linné sprach über den Frosch in diesen Worten: »These foul and loathsome animals are abhorrent because of their cold body, pale color, cartilaginous skeleton, filthy skin, fierce aspect, calculating eye, offensive smell, harsh voice, squalid habitation, and terrible venom; and so their Creator has not exerted his powers to make more of them.« Carolus Linnaeus, Systema Naturae (10. Auflage 1758). 46 | Der anatomische Auslöser dieser Vorstellung war das Skelett, dem Rippen fehlen.
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47 | Ernst H. Kantorowicz, The king’s two bodies. A study in medieval theology. With a preface by William Chester Jordan, Princeton (Princeton UP) 1997, 1. Aufl. 1957. Vgl. Bernd Hüppauf, The frog’s two bodies: The frog in science images, in: Bernd Hüppauf und Peter Weingart (Hg.), Science images and popular images of the sciences, New York und London (Routledge) 2008, S. 99-124. 48 | Spuren wurden gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts entdeckt und trugen in den Anti-Interpretationsbewegungen der achtziger Jahre zu einer Anthropologisierung der Text- und Kulturwissenschaften bei. Vgl. Hans-Georg von Arburg, Michael Camper und Ulrich Stadler (Hg.), »Wunderliche Figuren«. Über die Lesbarkeit von Chiffrenschriften, München (Fink) 2001; Günter Metken, Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung. Fiktive Wissenschaften in der heutigen Kunst, Köln 1977; ders.: Spurensicherung. Eine Revision. Texte 1977-1995, Dresden 1996; als wichtiger Auslöser wirkte Carlo Ginzburg u.a.: Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst, Berlin 1995; vgl. jetzt den Versuch, einer Systematik des Spurenlesens: Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.), Spuren. Spurenlesen als Orientierungstechnik und Wissenskunst, Frankfurt (Suhrkamp) 2007. 49 | Ein anderes Verständnis, das sich auf Carlo Ginzburgs Pionierarbeiten beziehen kann, betont das Wissen in nicht-schriftlichen Kulturen. »Es ist das […] ›wilde Wissen‹ der Jäger, Hirten und Nomaden, der weisen Frauen, Priester und Medizinmänner, die aus spinnwebfeinen Spuren eine vergangene Realität rekonstruieren oder eine zu erwartende Zukunft projektieren können.« Sybille Krämer: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle?, in: Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube (Hg.), Spuren (Anm. 48), S. 21. 50 | Vgl. Bernd-Ulrich Hergemöller: Krötenkuss und schwarzer Kater. Ketzerei, Götzendienst und Unzucht in der inquisitorischen Phantasie des 13. Jahrhunderts, Warendorf (Fahlbusch) 1996. 51 | Jürgen Tubach, Schlangen und Drachen in Mythos und Sage, in: Ulrich Joger und Jochen Luckart (Hg.), Schlangen und Drachen. Kunst und Natur, Darmstadt 2007, S. 12; Hans Wilhelm Haussig und Egidius Schmalzried (Hg.), Mythen im Vorderen Orient, Stuttgart (Klett) 1990. 52 | Das Hauslexicon. Vollständiges Handbuch praktischer Lebenskenntnisse für alle Stände, hg. von G. Th. Fechner. 8 Bände, Leipzig (Breitkopf und Härtel) 1834-38, Artikel Frosch. 53 | Seit dem frühen 20. Jahrhundert nahmen zunehmend Maus und Ratte die Position ein, die der Frosch als Versuchstier einmal hatte. Karen A. Rader, Scientific animals: Reflections on the laboratory and its human-animal relations, from Dba to Dolly and Beyond, in: A Cultural History of Animals, hg.v. Linda Kalof und Brigitte Resl, Oxford und New York (Berg) 2007, S. 119-138. Diese Tiere und ihre
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Bilder wurden für die Lebenswissenschaften unentbehrlich, sind in der Öffentlichkeit verbreitet und ins kollektive Unbewusste eingegangen. Aber sie haben nicht die symbolische Kraft gewonnen, die die Froschbilder einmal hatten. 54 | Vgl. Karl-Heinz Kohl, Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte, München 2003; Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek (Rowohlt) 2006. 55 | Lorraine Datson, Things that talk. Object lessons from art and science, New York 2004. 56 | Unter diesem Missverständnis leidet die Forderung nach einer »Kulturrevolution des Alltags«: Claus Leggewie, Harald Welzer, Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, Frankfurt (Fischer) 2009. So sehr die Intention der Autoren ins Schwarze trifft, so sind ihre Vorschläge doch Teil eines Denkens, das man angepassten Widerstand nennen könnte und das nicht sagen kann, wie die erneuerte Apo 2.1 denken soll und wer ihre Träger sein könnten.
3 D ER F ROSCH IN THEOLOGIE UND M AGIE 1 | Der Renner von Hugo von Trimberg, hg.v. Gustav Ehrismann, (Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart), Tübingen 1908-1912, Band I-IV, 4804-4809; zuerst: Hugo von Trimberg, Der Renner. Ein Gedicht aus dem 13. Jahrhundert, Bamberg (Historischer Verein) 1833. Über die Bedeutung des Froschs und sein Verhältnis zum Menschen im Mittelalter stehen uns schriftliche Quellen zur Verfügung, die allerdings häufig nicht aus dem Mittelalter stammen. Die Mehrzahl der Texte über Dämonen, Teufel, dämonische Tiere und Magie stammen aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, und wenn sie auf älteren Quellen beruhen, ist ihre Authentizität meist fragwürdig. – Für Hinweise auf Literatur des Mittelalters danke ich Jürgen Wolf, Marburg. 2 | Hugo, Liber de bestiis et al.iis rebus I, 44; Hildegard, Physica VIII. 3 | Susan Marti, Entkleidet und verdreht. Darstellungen von Teufeln, Verdammten und Bösewichtern in der Kunst des späten Mittelalters, in: Roger Fayet (Hg.), Die Anatomie des Bösen. Ein Schnitt durch Körper, Moral und Geschichte, Schaffhausen (hier und jetzt) 2008, S. 13-38, hier S. 22. 4 | Jeffrey Burton Russel, Lucifer. The Devil in the Middle Ages, Ithaca (Cornell UP) 1984, S. 129-158. 5 | Hildegard von Bingen, Heilkunde. Das Buch von dem Grund und Wesen und der Heilung der Krankheiten nach den Quellen übersetzt und erläutert von Heinrich Schipperges, Salzburg (Müller) 1957. Andere sprechen vom Ei eines Hahn
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oder Schlangeneiern, die von Kröten ausgebrütet wurden: Rudolf von Ems: Weltchronik. Aus der Wernigeroder Handschrift hg. v. Gustav Ehrismann, 2., unveränderte Aufl., Dublin (Weidmann) 1967, (Deutsche Texte des Mittelalters 20), Zeilen 26523-26529. Eine umfassende Darstellung der Überlieferung seit der Spätantike liefert Marianne Sammer, Der Basilisk. Zur Natur- und Bedeutungsgeschichte eines Fabeltieres im Abendland. München 1998; dies., Zur Bedeutungsgeschichte des Basilisken im Abendland, in: Euphorion 93, 1998, S. 143-221.; vgl. auch Hans Schöpf, Fabeltiere, Graz 1991. 6 | Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum, aus dem Lateinischen übertragen von Wolfgang Behringer, Günter Jerouscheck und Werner Tschacher, hg.v. Günter Jerouscheck und Wolfgang Behringer, München 2000, S. 416. 7 | Berthold von Regensburg, Deutsche Predigten I und II, mit einem überlieferungsgeschichtlichen Beitrag von Kurt Ruh, Berlin (de Gruyter) 1965 (Deutsche Nachdrucke, Reihe Texte des Mittelalters) Bd. 1, S. 402; den Samen der Kröten nennt er den giftig Samen der Ketzer, 405, 17. 8 | Johann Wilhelm Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie, Band 2, Göttingen (Dieterich) 1857, S. 464. Über das Froschbild der ungebildeten Menschen erfahren wir aus den Originalquellen allerdings nichts. 9 | Sigmund Freud, Totem und Tabu (1912/13, in: Studienausgabe 1Bd9, Frankfurt (Fischer) 1974, S. 318. 10 | Einen knappen Überblick über vorchristliche Tierbilder Europas liefert August Nitschke, Das Tier in der Spätantike und im Mittelalter, in: Paul Münch (Hg.), Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn u.a. (Schöningh) 1998, S. 227-246. 11 | Jean Claude Bologne, Magie und Aberglaube im Mittelalter, Düsseldorf (Patmos) 2009, zuerst: Du Flambeau au bûcher, 1993, S. 272. 12 | Im theologischen Sprachverständnis war die Bedeutung eines Wortes oder Namens festgelegt, aber der Sinn war flexibel und folgte nicht einem logischen Abbildungsverhältnis. Dem scholastischen Realismus ging es um den Ursprung der Wörter und, abhängig von ihnen, der von ihnen bezeichneten Dinge. Das Mittelalter hatte daher keine Tierbücher, in denen Tiere als Lebewesen der Natur gezeigt wurden. Es gab zwar die Bestiarien, Abhandlungen zur Veterinärmedizin und Jagdtraktate, etwa über die Falknerei, oft prachtvoll illuminiert. Aber diese seltenen Schriften dienten bestimmten Zwecken und können für das mittelalterliche Tierbild nicht als konstitutiv gelten. Noch in der Zeit der Inkunabeln und frühen Drucke waren Tierbücher, im Unterschied zu Pflanzenbüchern, selten, und noch seltener waren Bilder von Amphibien. 13 | Der Physiologus war lange Zeit der nach der Bibel der am meisten gelesene
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Text und enthielt das zoologische Wissen seiner Zeit. Dem Frosch widmete er in einigen Fassungen ein eigenes Kapitel, auf dessen Bilder ich unten eingehe. 14 | Nach einem Inquisitionsprotokoll, hg.v. J. Duvernoy, zitiert nach Sophie Page, Good creation and demonic Illusions: The medieval universe of creatures, in: A cultural history of animals in the medieval age, hg.v. Brigitte Resl, Oxford und New York (Berg) 2007, S. 48. 15 | Unter zahlreichen Beispielen einer evolutionären oder naturalistischen Ethik vgl. das Buch des Neurowissenschaftlers Hans J. Markowitsch, Tatort Gehirn (2008), das er in Interviews vorstellt: Roger Fayet, Tiefe Blicke in das Verbrechergehirn. Ein Gespräch mit Hans J. Markowitsch, in: Roger Fayet (Hg.), Die Anatomie des Bösen, S. 147-157. Auf die Frage, ob es das Böse für einen Neurowissenschaftler überhaupt gibt, ist die Antwort negativ: »Das Böse ist eine Fiktion […]. Wie ein Mensch sich verhält, […] hängt ab von seiner Genetik und seiner Entwicklung […].« (S. 147) Das Problem unterscheidet sich nicht von dem der Theologie. Es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen. 16 | Friedrich Hermanni, Die Positivität des Malum. Die Privationstheorie und ihre Kritik in der neuzeitlichen Philosophie, in: Friedrich Hermanni und Peter Koslowski (Hg.), Die Wirklichkeit des Bösen. Systematisch-theologische und philosophische Anmerkungen, München (Fink) 1998, S. 49-72. 17 | Im 1. Petrusbrief heißt es: »Euer Widersacher der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe […].« (1. Petr. 5,8); vgl. Reinhard Feldmeier, Euer Widersacher, der Teufel, in: Werner Ritter und Jörg A. Schlumberger (Hg.), Das Böse in der Geschichte, Dettelsbach (Röll) 2003, S. 61-76. 18 | Hans Robert Jauss, Die klassische und die christliche Rechtfertigung des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur, in: Hans Robert Jauss (Hg.), Die nicht mehr schönen Künste, München (Fink) 1968, S. 143-168. 19 | Wernher der Gärtner, Helmbrecht (Amalienpresse) 2009. Abs. 142, Zeile 155-158. 20 | Vom jüngsten Tage, Absatz 6, 375-38; Johann Trithemius, Vom jüngsten Tage. Vier nützliche Predigten inn Zwölff. Hier ist der Ursprung des umgangssprachlichen Ausdrucks »Kröten schlucken«. 21 | Peter Segl, Agenten des Bösen in der Sicht des Mittelalters – Ketzer und Hexen, in: Werner Ritter und Jörg A. Schlumberger (Hg.), Das Böse in der Geschichte (Anm. 17), S. 77-107. 22 | Sigmund Freud, Totem und Tabu (1912/13) Studienausgabe Bd9, S. 317f. 23 | Peter Segl, Agenten des Bösen, S. 93-97. 24 | Bernd-Ulrich Hergemöller: Krötenkuss und schwarzer Kater, S. 34. Vgl. auch G.W. Soldan und H. Heppe, Geschichte der Hexenprozesse, hg.v. Max Bauer,
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München 1912, S. 142; Sara Lipton, Jews, heretics, and the sign of the cat in the Bible moralisée, in: Word and Image 8, 1992, S. 362-377. 25 | Jean-Claude Bologne, Magie und Aberglaube (Anm. 11), S. 220. 26 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone. 27 | Walter Map, De Nugis Curialium, übers. von Marbury Bladen Ogle und Frederick Tupper, London 1924, Kap. XXX, S. 72f; vgl. Sara Lipton, Jews, Heretics and the sign of the cat in the Bible moralisée, S. 362-367, die Maps Bericht ernst nimmt. Auch: Jean Claude Bologne, S. 223. 28 | Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum, aus dem Lateinischen übertragen von Wolfgang Behringer, Günter Jerouscheck und Werner Tschacher, hg.v. Günter Jerouscheck und Wolfgang Behringer, München 2000, S. 280f. 29 | Der Hexenhammer, S. 431. 30 | E. P. Evans, The criminal prosecution and capital punishment of animal (Anm. 30); Peter Dinzelbacher, Das fremde Mittelalter. Gottesurteile und Tierprozesse, Essen (Magnus Verlag) 2006. 31 | Conrad Gesner, Thierbuch, ins Deutsche übersetzt von Conrad Forer, Zürich 1563, S. CLXIXf; Konrad Gesner, d.i. Gesnerus, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines Thier-Buch, Frankfurt (Wilhelm Gerlins) 1669, S. 384. 32 | Erwin Panofsky, Grabmalplastik, Vier Vorlesungen, Köln 1964, Abb. 257. 33 | Les amants trépassée. – Verstorbenes Liebespaar, unsichere Herkunft. Ulmer Ecole Allemande, Oberrhein oder Atelier Schongauer von Colmar, ca. 1470. Früher Matthias Grünewald zugeschrieben. Les Musée des Beaux Arts, Strassburg. 34 | Konrad von Würzburg, Heinrich von Kempten, Der Welt Lohn, Das Herzmaere, Mittelhochdeutscher Text nach der Ausgabe von Edward Schröder, übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heinz Rölleke, Mittelhochdeutsch-Neuhochdeutsch, Stuttgart (Philipp Reclam) 2000, Zeilen 218-231. In anderen Quellen finden sich ähnliche Phantasien von Hölle und Fegefeuer: »Die Hälse oder Arme oder ganzen Leiber anderer umwanden feurige Schlangen und stießen den Feuerstachel ihres Mauls in die Herzen der Menschen, indem sie ihnen ihre Köpfe in die Brust bohrten. Bei einigen sah man auch etwas wie feurige Kröten von erstaunlicher Größe auf der Brust sitzen […].« Das Buch vom Espurgatoire S. Patrice der Marie de France, hg. v. K. Warnke (1938), zitiert nach Peter Dinzelbacher (Hg.), Mensch und Tier in der Geschichte Europas, S. 229. 35 | Vgl. The Cleveland Museum of Art. Meisterwerke von 300 bis 1550, mit Beiträgen von Holger A. Klein u.a. (Hirmer) 2007, Nr. 97: Brautpaar, S. 260f. 36 | Der Maler konnte auf die Tradition der mittelalterlichen Grabmale zurückgreifen. Schlangen und Kröten sind die Tiere der Zerstörung des menschlichen
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Körpers in den »Doppeldeckergräbern«, die Panofsky untersuchte: Erwin Panofsky, Grabplastik, (Anm. 32) 1964. 37 | Immanuel Kant, Mutmasslicher Anfang der Menschheitsgeschichte (1786), in: Werke, Bd. 9, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, hg.v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1983, S. 85-104. 38 | Jacques van Lennep, Alchimie. Contribution à l’histoire de l’art alchimique, (Crédit Communal) 1984, Nr. 78, S. 87. Walter Map berichtet, dass Ketzer Füße, Geschlechtsteile und den Anus küssten: De Nugis Curialium, S. 73. 39 | Unter den Kategorien das Böse, Sündhaftigkeit, Luxuria stellt ein Lexikon Beispiele von Fröschen und Kröten auf Gemälden der frühen Neuzeit zusammen: Sigrid und Lothar Dittrich, Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14. bis 17. Jahrhunderts, Petersberg (Michael Imhof) 2004; Frosch und Kröte, S. 160-166. 40 | Den Frosch im Mund des Lügners oder als Zunge des bösen Zauberers gibt es auch in der Kunst Westafrikas. 41 | Hieronymus Bosch, 1504/08; Wien: Akademie der bildenden Künste. 42 | Govert Camphuysen, Hirte und Hirtin mit Vieh. MHK, Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel. Reproduziert in: Das grosse Kasseler Tierbild, S. 401. 43 | Sara Lipton, Jews, heretics and the sign of the cat in the Bible moralisée, in: Word and Image 8, 4, 1992, S. 362-377. 44 | Theodor Lessing, Meine Tiere. Berlin (Matthes & Seitz) o.J., S. 205 (zuerst 1925). 45 | Docteur Celticus, 19 Tures corporelles visible pour reconnaitre un Juif, Paris (Librairie Antisemite) 1903, nach: Umberto Eco (Hg.), Die Geschichte der Hässlichkeit, München (Hanser) 2007, S. 268. Das »kleine picklige Tier« bezieht sich auf die Kröte. Karikaturen des 19. Jahrhunderts lassen am vermenschlichten Froschkörper die für typisch erachteten Züge des Juden erkennen. 46 | Heinrich Heine, Über die französische Bühne. Vertraute Briefe an August Lewald. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Bd. 6, hg. v. Manfred Windfuhr, Hamburg (Hoffmann und Campe), 1973. 47 | Auf das »Okkulte« als zentralem Element der Magie in der Moderne verweist: Sabine Doering-Manteuffel, Das Okkulte. Eine Erfolgsgeschichte im Schatten der Aufklärung, München (Siedler) 2008. 48 | Carl Kiesewetter, Geschichte des neueren Okkultismus. Geheimwissenschaftliche Systeme von Agrippa von Nettesheim bis zu Carl du Prel, Wiesbaden (Matrix) 2007, zuerst Leipzig 1891-1895. 49 | Unter den Autoren der Antike berichtet Plinius d.Ä. von der Bedeutung der
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Frösche für Zaubersud und Salben, und seine Rezepte sind in vielfältigen Variationen in spätere Zauberbücher eingegangen; vgl. M. Wellmann: Artikel Frosch in Paulys Reallexikon, Neue Bearbeitung, 13. Halbband 1910, Sp. 113-120. Auch Hilfe gegen Impotenz, wohl ein Problem Macbeths, ist vom Krötengift zu erwarten. 50 | Die Nähe dieses für die Alchemie zentralen Begriffs zur Transsubstantiation der Scholastik ist nicht zufällig und spricht von der hoch komplexen Naturalisierung des Verwandlungsgedankens aus der christlichen Metaphysik, die die Vertikale in die Horizontale umbaut. 51 | Theophrast von Hohenheim, Sämtliche Werke, 1. Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, hg.v. Karl Sudhoff, München und Berlin (R. Oldenbourg) 1931, Bd. XIII, S. 194. In einem mittelalterlichen Text des 12. Jahrhunderts ist davon zu lesen, dass »die Teufel, die vom Himmel gefallen sind«, Beelzebub unterstehen. (Nach Jean-Claude Bologne, Magie und Aberglaube, S. 218). 52 | Theophrast von Hohenheim, Sämtliche Werke, 1. Abteilung: Bd. XII, S. 44. 53 | Barbara Obrist, Visualization in medieval alchnemy, in: Hyle. International Journal for Philosophy of Chemistry 9, 2, 2003, S. 131-170; Barbara Obrist, Die Alchemie in der mittelalterlichen Gesellschaft, in: Christoph Meinel (Hg.): Die Alchemie in der europäischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, Wiesbaden (in Kommission bei Otto Harrassowitz) 1986, S. 33-60. 54 | Jean-Claude Bologne, Magie und Aberglaube, S. 251f. 55 | Nathanael Gotfried Leske, Anfangsgründe der Naturgeschichte, Leipzig (Siegfried Leberecht Crusius) 1779, S. 305. 56 | Andreas Libavius, Singularium Andrae Libavii, Pars secunda, Frankfurt (Petri Kopffii) 1595. 57 | Singularium Andreae Libanii, Frankfurt (Petri Kopffii), Pars Secunda, Frankfurt a.M. 1595, Kap. XIII. In seiner Unterscheidung, bis dahin ungebräuchlich, zeigt sich ein früher Versuch der eigenen Beobachtung. Er zählt verschiedene Unterschiede auf, etwa dass Frösche springen können, Kröten aber nicht. 58 | August Johann Rösel von Rosenhof, Historia naturalis Ranarum nostratium in qua omnes earum proprietates, praesertim quae ad generationem ipsarum pertinent, fusius enarrantur. Cum praefatione illustris viri Alberti v. Haller. Societatis Regiae Scientiarum Gottingensis praesidis./Die natürliche Historie der Frösche hiesigen Landes worinnen alle Eigenschaften derselben, sonderlich aber ihre Fortplanzung, umständlich beschrieben werden, mit einer Vorrede Herrn Albrechts von Haller, Präsidentens der Königlich-Gottingischen Gesellschaft der Wissenschaften, Nürnberg (Johann Joseph Fleischmann) 1758, S. 70. 59 | Pierers Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart, Altenberg 1862, Artikel Kröte.
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60 | Auch die »Hundsköpf« (Kaulquappen) wurden für giftig gehalten, weshalb man nicht badete, wenn es sie im Wasser gab. 61 | Als Heilmittel gegen die Vergiftung durch Frösche wird bemerkenswert oft eine größere Menge Brandwein oder Brandwasser, also das Erbrechen empfohlen. Der Zusammenhang mit dem Brechreiz beim Ekel vor dem Unreinen ist symptomatisch. 62 | »Ich beschwöre euch, böse Würmer, beim Vater und beim Sohn und beim heiligen Geist […], damit ihr keine Macht habt […]«. Nach Jean-Claude Bologne, Magie und Aberglaube, S. 298. 63 | Rudolf von Ems, Weltchronik, Zeilen 23179-23199. 64 | Gottfried Lammert, Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern und den angrenzenden Bezirken. Neudruck der Ausgabe Würzburg 1869, Regensburg (Johannes Sonntag) 1981, S. 254; über einen solchen Fall berichtet laut Lammert: C.F. Hoechstättin, D. observatio de femina per 15 annos ex ingenti copia ranarum vivarum, corpore contentarum, aegrotante, Rotenburg 1735. Ebenda S. 254. 65 | Vgl. die Lemmata Frosch und Kröte in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg.v. Hanns Bächtoldt-Stäubli, Bd. 3 und 5. 66 | Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, hg. von Karl Bartsch, Berlin 1970 (Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Wien 1871), 1783-1789. 67 | Theophrast von Hohenheim, Sämtliche Werke, 1. Abteilung: Bd. X, S. 53-55, 191-193 und 206. 68 | Gottfried Lammert, Volksmedizin, Regensburg 1981 (Neudruck), S. 208. 69 | Hartmut Broszinski, Eine Alemannische Bearbeitung der dem Guy de Chauliac zugeschriebenen, Chirurgia Parva. Untersuchungen und kritische Ausgabe des Textes, Diss. Heidelberg 1968, S. 74. 70 | Conrad Gesner, Thierbuch, Das ist eine kurze Beschreibung aller vierfüssigen Thieren/so auff der erde und in wassern wonend/sampt/irer waren conterfactur: alles zu nutz und gutem allen liebhabern der künste/Artzten/Malern/Bildschnitzern/Weydleuten und Köchen gestelt. Ins Deutsche übersetzt von Conrad Forer, Zürich (Christoffel Froschower) I, 563: Von den Fröschen S. 167f, Von der Krott S. 169f. Zuerst als Historiae animalium, 4 Bde., postum um einen fünften ergänzt, 1551 und 1558. Über Arzneien aus Fröschen und Kröten berichten zahlreiche Quellen detailliert. 71 | Universallexikon, hg. v. H.A. Pieper, Altenburg 1835, Artikel Froschlaich. 72 | Fortunio Liceti, De monstrorum natura, caussis, et differentiis libri duo, Padua (Paulus Frambottus) 1616. De Monstruorum Natura, 1616; Conrad Gesner, 1551/1558; Joannes Jonstonius, Thavmatographia natvralis: in classes decem divisa: in quibus admiranda coeli, elementorum, meteororum, fossilium, plan-
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tarum, avium, quadrupedum, exanguium, piscium, hominis. – secunda priore auctior. Amsterdam (Apud Ioannem Ianssinivm) 1632, Neuausgabe Amsterdam (Johannem Janssonium à Waesberge) 1665; Ulisse Aldrovandi, Historia animalium, die ersten drei der elf Bände mit dem Aristotelischen Titel erschienen seit 1599, die weiteren nach seinem Tod, hg.v. Dempster Uterverius und Bartholomäus Ambrosinus 1648. Mehrere digitalisierte Werke online. Über die Vorstellung des Uterus als ein im weiblichen Körper frei wanderndes Tier berichtet aus Süddeutschland: Alois Gulder, Die urnenfeldliche »Frauenkröte« von Maissau, S. 15ff. 73 | Murray Wright Bundy, The theory of imagination in classical and medieval thought, Urbana 1927. 74 | Esther Fischer-Homberger, Aus der Medizingeschichte der Einbildungen, in: Fischer-Homberger, Krankheit, Frau und andere Arbeiten zur Medizingeschichte der Frau, Bern, Stuttgart, Wien (Huber) 1978, S. 109. 75 | Nicole Malebranche, De la recherche de la vérité (1678); noch der im Zeitalter des Positivismus um die Zerstörung des Aberglaubens bemühte Mediziner Lammert meint, es könne »nicht geleugnet werden, dass […] die Möglichkeit des Einflusses der mütterlichen Phantasie, der psychischen und physischen Alteration auf die Bildung der Frucht nachgewiesen ist […]«. G. Lammert, Volksmedizin (Anm. 68) S. 158; Marie-Hélène Huet, Monstrous imagination, Cambridge, London (Harvard University Press) 1993, S. 1. 76 | G. Lammert, Volksmedizin, S. 158f. 77 | G. Lammert, Volksmedizin, S. 159. 78 | Ambroise Paré, Des monstres et prodiges, zitiert nach Marie-Hélène Huet, Monstrous imagination, S. 16. Kommentar bei Caspar Schott, Anm. 8991. 79 | Bei Gesner heißt es über den Laubfrosch : »Denen so hitzige fibres habend/ dise Frösche kalt in henden gehalten/sol seer nutzlich seyn.« Conrad Gesner, Thierbuch, ins Deutsche übersetzt von Conrad Forer, Zürich (Christoffel Froschower) 1563, S. 167f. 80 | Johann Wilhelm Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie, Band 2, Göttingen (Dieterich) 1857, S. 309ff. Eine Kurzfassung unter dem Titel Gevatterin Kröte findet sich in Bechsteins Märchensammlung. In Andersens Däumelinchen raubt eine Kröte das wunderschöne, winzige Mädchen, und im Märchen vom Dornröschen prophezeit ein Frosch der Königin ein Kind. 81 | J.W. Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie, S. 315. 82 | Vgl. u.a. Paul Münch, Tiere, Teufel oder Menschen? Zur gesellschaftlichen Einschätzung der ›dienenden Klassen‹ während der frühen Neuzeit, in: Gesinde im 18. Jahrhundert, hg.v. G. Frühsorge u.a., Hamburg 1995, S. 83-107. 83 | Es ist bemerkenswert, dass im katholischen Mittelalter das Zerstückeln des
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Körpers nicht tabuisiert war. Vgl. Sven Lembke, Wie der menschliche Leichnam zu einem Buch der Natur ohne Druckfehler wird. Über den epistemologischen Wert anatomischer Sektionen im Zeitalter Vesals, in: Albert Schirrmeister und Mathias Pozsgai (Hg.), Zergliederungen – Anatomie und Wahrnehmung in der frühen Neuzeit, Frankfurt (Vittorio Klostermann) 2005, S. 22. Karin Stukenbrock beobachtet, dass sich im 16. Jahrhundert ein Konsens bildete »bezüglich des Rechts der Obrigkeit, über die Körper der Toten zu disponieren und letztlich einen wie auch immer gearteten Nutzen daraus [aus der Sektion] ziehen zu können. Zu Diskussionen über diesen Punkt kam es erst, als weitere Leichengruppen für die Ablieferung zur Anatomie zur Debatte standen […]«. Karin Stukenbrock, »Der zerstückte Cörper«. Zur Sozialgeschichte der anatomischen Sektionen in der frühen Neuzeit (1650-1800), Stuttgart (Franz Steiner) 2001, S. 221-225 84 | Aus einer Verordnung in Kiel von 1796, zitiert nach Karin Stukenbrock, »Der zerstückte Cörper«, S. 222; vgl. auch Claudia Benthien und Christoph Wulf, Zur kulturellen Anatomie der Körperteile, in: Claudia Benthien und Christoph Wulf (Hg.), Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Reinbek (rowohlt) 2001, S. 9-26. 85 | Karin Stukenbrock, »Der zerstückte Cörper«, S. 225-240. 86 | Georges Canguilhem, Die Monstrosität und das Monströse, in: ders., Die Erkenntnis des Lebens, Berlin (August Verlag) 2009, S. 309-334, hier S. 310f. 87 | Vox in Rama (Die Stimme von oben) ist ein am 13. Juni 1233 erstellter Brief Papst Gregors IX. an die Bischöfe der Kirchenprovinz Mainz, Vox in Rama in: Monumenta Germaniae Historica. Epistulae Saeculi XIII, Band 1 (1883), S. 432-434. 88 | Die erste Sammlung, in der Nachfolge von Gesner, ist: Ulisse Aldrovandi, Monstrorum historia, Bologna (Marco Antonia Bernis) 1599ff; bes. der letzte, von Bartholomäus Ambrosinus 1642 herausgegebene Band, der auch Missbildungen abbildet. Eine frühe Quelle ist das umfangreiche Werk des Jesuiten Caspar Schott, Physica curiosa, sive mirabilia naturae et artis libris XII, Würzburg (Endter &Hertz) 1662; für die Frage nach dem Monströsen in der Schöpfung nimmt diese umfangreiche Publikation eine Grenzposition ein: Sie fasst die mittelalterlichen Positionen zu Zauber, Astrologie, Geistern und Aberglauben zusammen und leitet bereits zu einer modernen Entmystifizierung über. Die Bücher II und V behandeln ausführlich das Thema Monster als Naturphänomene. Für eine Zusammenstellung der tierischen und der menschlichen Monster des Mittelalters vgl. Jean-Claude Bologne, Magie und Aberglaube, S. 170 –182. 89 | Georges Canguilhem, Die Monstrosität, in: Die Erkenntnis des Lebens Berlin 2009, S. 309. 90 | Von einer anderen, leicht bereinigten Version berichtet ein Gedicht von
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Moriz von Craun (ca. 1215), in dem der Kaiser ein Pulver einnimmt, von dem er schwanger wird und nach großen Schmerzen einen Frosch gebiert. 91 | Davon berichtet Papias (1496/1966, S. 175,), nach Roberto Zapperi, Der schwangere Mann. Männer, Frauen und die Macht, München (Beck) 1984, S. 125; die deutsche »Kaiserchronik« des 12. Jahrhunderts berichtet von der Geburt der Kröte, die Nero bei Tische erbrach (Verse 4147-4154). Eine Grundlage dieser grotesken Geschichten war die Volksetymologie von Lateran. Der Name leite sich von lata rana, breiter Frosch ab, den Kaiser Nero geboren haben soll. Dass der Name des Allerheiligsten sich vom bösen Frosch herleiten sollte, ist zumindest fragwürdig. 92 | Geschichten von aggressiven und mit überirdischen Kräften ausgestatteten Fröschen trugen zu einer Diabolisierung der Tiere bei. Der frühe Inquisitor Konrad von Marburg (ca. 1180-1233) berichtet von einem blinden Mönch, der von einer riesigen Kröte angegriffen wurde. Es gelang ihm nicht, das Monster abzuschütteln. Als sich die Kröte auf dem Oberschenkel niedersetzte, zerstückelte der Mönch sie mit einem Messer. In einer anderen Geschichte tritt eine Kröte aus dem Oberschenkel einer Frau heraus. Die Nähe dieses Körperteils zum Geschlecht legt eine sexuelle Bedeutung nahe. Frosch und Kröte treten in solchen Geschichten als Folge von oder als Strafe für Unzucht auf. 93 | Gesner, Thierbuch 1563, S. CLXIXf. 94 | J.W. Wolf, Beiträge zur deutschen Mythologie, Göttingen 1857, S. 463. 95 | J.W. Wolf, ebenda. 96 | Konrad Gesner, d.i. Gesnerus, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines Thier-Buch, Frankfurt (Wilhelm Gerlins) 1669, S. 384. 97 | A. Birlinger und M.R. Buck Sagen, Märchen, Volksaberglauben, Bd. 1, Freiburg (Herder) 1861, S. 131. 98 | Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von, Simplicissimus Teutsch, hg.v. Jan H. Scholte Tübingen (Niemeyer) 1954, S. 411. Der editio princeps (1669) folgten von 1756 an mehrere überarbeitete Fassungen. 99 | Editionen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts glätten den Roman nicht nur sprachlich, sondern bearbeiten seinen Inhalt im Sinn der aufklärerischen Poetik nach Gottsched und bringen das Zauberische und »Froschartige« der Handlung weitgehend zum Verschwinden. 100 | Christian Reichart, Von Fröschen, in: Christian Reichart, Gemischte Schriften, Erfurt 1762, S. 449-478, hier: 448-453, S. 471-474. Die kleinsten bekannten Frösche sind ca. 1 cm und die größten, die Goliathfrösche, werden bis zu 40 cm lang und können bis zu drei Kilogramm schwer sein. Teich- und Grasfrösche in Deutschland sind etwa 3 bis 5 cm lang. 101 | Allgemeines deutsches Volks-Conversationslexikon und Fremdwörterbuch.
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Ein unentbehrliches Handbuch für Jedermann, dritter Band, Hamburg (Tramburg’s Erben) 1846, Artikel Frösche. 102 | Thorndyke, History of magic and experimental science, Bd. VII, Kapitel 21. 103 | Walter Benjamin, Einbahnstrasse, in: W.B., Gesammelte Schriften Bd. IV.1, hg.v. Tillman Rexroth, Frankfurt (Suhrkamp) 1972, S. 90f. 104 | Shakespeares Quelle war vermutlich Reginald Scott, Discovery of Witchcraft, 1584; auch das Buch über »Demonology« von James I. wird als Vorbild genannt. 105 | Seit dem späten Mittealter waren Froschsud und Froschpuder für den Schadenszauber unentbehrlich. Vgl. Döllinger II: 1890, Nr. IX, S. 25ff. 106 | Joseph Hansen, Quellen und Untersuchungen zur Geschichte des Hexenwahns und der Hexenverfolg im Mittelalter, Bonn (Georgi) 1901, Neudruck: Hildesheim (Olms) 1963, Nr. 42, S. 231-235, hier 232. 107 | Shakespeare, Macbeth, 4.1. Ich zitiere nach der Übersetzung von Dorothea Tieck. 108 | Die Übersetzung von Dorothea Tieck benutzt das deutsche »Unke«, wo im englischen Original »paddock« (Wiese) steht. Das ist eine glückliche Wahl. Denn die Unke kündet aus der dunklen Tiefe der Brunnen die schlechte Zukunft. Kein Bild könnte einen passenderen Auftakt für das finstere Spiel mit der Zukunft in diesem Drama liefern als der Unkenruf, dem die Hexe folgt: anon. Auf Textvarianten des Macbeth kann ich hier nicht eingehen. In einer modernisierten Fassung des Dramas werden die Zeilen der drei Hexen am Ende der Szene getrennt, und es wird klar, dass »Grau Lieschen« die Katze der einen Hexe und »paddock« der Name der Kröte der zweiten Hexe ist. 109 | Johann Christoph Gottsched, Versuch einer critischen Dichtkunst, 1751, Nachdruck der 4. Auflage, Darmstadt (Wiss. Buchgesellschaft) 1965, S. 124. 110 | Wigand’s Conversations-Lexikon für alle Stände. Von einer Gesellschaft deutscher Gelehrten bearbeitet, siebenter Band, Leipzig (Otto Wigand) 1847; Artikel Kröten. 111 | A. Birlinger und M.R. Buck, Sagen, Märchen, Volksaberglauben, S. 118. 112 | Silvia Bovenschen, Über-Empfindlichkeit. Spielformen der Idiosynkrasie, Frankfurt (Suhrkamp) 2007, S. 13. 113 | Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Amsterdam (Querido), S. 212. Sie interpretieren die Idiosynkrasie als Natur im Menschen. 114 | Die Geschichte des Ekels erzählt kenntnisreich und theoretisch reflektiert: Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt (Suhrkamp) 1999; Winfried Menninghaus, Ekel, in: Ästhetische Grundbegriffe, hg. v. Karlheinz Barck u.a., Stuttgart (Metzler) 2001, Bd. 2, S. 142-177.
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115 | Karl Eeibl (Hg.), Die Kehrseite des Schönen, Hamburg (Felix Meiner) 1994. 116 | Kant, Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764), Frankfurt (Anton Hain) 1993, Kant AA233. – Das Verhältnis ist allerdings komplexer. In seiner gewagten aber, überzeugenden Interpretation weist Menninghaus auf einen inneren Widerspruch hin. Er zitiert Kants zur selben Zeit formulierten Satz, »die Sache selbst vereckelt, die da schön ist«. In der Spannung dieser Gegensätze habe sich die Theorie des Ekelhaften im Verhältnis zum Schönen und Erhabenen entwickelt. Ich lasse diesen weiteren Zusammenhang außer acht und beschränke mich auf den engen Aspekt der Wahrnehmung und Beurteilung eines Objekts, dessen langlebige Charakterisierung als hässlich und ekelhaft es allerdings exemplarisch macht. 117 | Kant, Kritik der Urteilskraft, Werke Bd. 8, hg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, AA Bd. 5, S. 312. 118 | Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Werke Bd. 10, hg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, S. 399-694; Kant AA, S. 158. 119 | Aurel Kolnai, Ekel, Hochmut, Hass. Zur Phänomenologie feindlicher Gefühle. Frankfurt (Suhrkamp) 2007, S. 23. Er nennt das englische taunting als treffende Bezeichnung. In experimentellen Studien der letzten zwanzig Jahre wurden Kolnais Intuitionen weitgehend bestätigt und die Hirnregion bestimmt, in denen die olfaktorischen und taktilen Reize den Ekel auslösen und die als Insula bezeichnet wird. 120 | Kolnai, Ekel, Hochmut, Hass, S. 53. 121 | Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, übersetzt und mit Anmerkungen von Lenelotte Möller, Wiesbaden (marix) 2008, S. 476. 122 | Der Weg zu wertungsfreien Darstellungen der Frösche in Enzyklopädien war lang. Im späten 19. Jahrhundert werden die bis dahin gebräuchlichen ästhetischen (hässlich, schleimig) und moralischen Urteile seltener. Lange erhält sich die wertende Charakterisierung durch das Akustische. Die Bemühung um Neutralität spricht aus einem Satz über den Grasfrosch: »Sein Gesang ist verhältnismäßig misstönend.« Jedermanns Lexikon in zehn Bänden, Berlin (Hermann Klemm) 1929; Artikel Frosch. 123 | A. Birlinger und M.R. Buck, Sagen, Märchen, Volksaberglauben, S. 116f. Die Beschwörung geht auf die Praktiken der mittelalterlichen Tierprozesse zurück. Die Kirche setzte gegen Würmer, Insekten und andere kleine Tiere, die nicht einzeln verfolgt werden konnten, den Exorzismus und das Besprenkeln mit heiligem Wasser ein (E.P. Evans, The criminal prosecution and capital punishment of animals, London (Farber and Farber) 1906; Neuausgabe 1987, S. 3) Die aufgeklärte Zeit macht sich über diese Beschwörungen lustig. Die »Bopfinger Streiche« sind mit den Streichen der Lalen von Laleburg vergleichbar. Einen solcher
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Streich berichtet Birlinger-Buck: »Die Frösche im Bopfinger Stadtgraben schrieen immer so, daß einem Hören und Sehen verging. Man beschloß, das von nun an nicht mehr zu leiden. Der Schultheiß gab dem Büttel den Befehl, sogleich an den Stadtgraben sich hinaus zu verfügen, hineinzuschlagen, und den Fröschen zu bedeuten, ›Wenn sie nicht ruhig sich verhalten, würde ihnen der Stadtgraben verwiesen werden.‹« (S. 435) 124 | Sabine Doering-Manteuffel, Das Okkulte, (Anm. 47), S. 21. 125 | A. Birlinger und M.R. Buck, Sagen, Märchen, Volksaberglauben, S. 118. 126 | Wigand’s Conversations-Lexikon für alle Stände; Artikel Kröten. 127 | Konrad Gesner, d.i. Gesnerus, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines Thier-Buch, S. 379. 128 | Kolnai weist auf diese Verbindung hin; nahe verwandt mit dieser Analyse des Ich’s ist Jean-Paul Sartres existenzialistische Interpretation in: La nausée (1938); dt.: Der Ekel, Reinbek (Rowohlt). Die Erfahrung der Welt führt den IchErzähler Roquentin in Idiosynkrasien, gesteigert zu einem existentiellen Weltekel. 129 | Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, hg.v. C. Fensterbusch, Darmstadt (Wiss. Buchgesellschaft) 1964. 130 | Goethe, Zahme Xenien, aus dem Nachlass, in: Werke, Grossherzogin von Sachsen Bd. 5.1, Weimar 1893, S. 248. 131 | Grenouille ist das französische Wort für Frosch und Baby-Strampelanzug. 132 | Für die Forschung des 19. Jahrhunderts bündelte sich in dieser Ansicht das magische Denken, ging sie doch mit Descartes davon aus, dass Tiere keine Seele haben. 133 | Vom buckligen Frosch weiß nicht nur Gesner zu berichten: Gesnerus, Redivius auctus & emendatus, 1669, sondern auch der Krünitz. »Der See-Frosch, oder buckelige Frosch, mit buckeligen Schulterblättern, und 4 großen runden Knoten am After. Rana marina scapulis gibbosis, clunibus nodosis Linn. Diesen Frosch hält man mit derjenigen Art Frösche, die bey jedem Sprunge, den sie thun, ihren Urin fahren lassen, Fr. Grenouille pisseuse, für einerley.« 134 | Im Streit zwischen Lavater und Lichtenberg über die Physiognomie verwiesen die Lavaterianer auf Lichtenbergs Buckel. Symmetrie und Ebenmaß verstand Lavater als körperlichen Ausdruck von innerer Tugend, und so war Lichtenbergs Buckel im Umkehrschluss zwangsläufig das äußere Zeichen von innerer Disharmonie und Inferiorität. Johann Georg Zimmermann und andere Lavaterianer wandten hemmungslos die populäre Assoziation von Hässlichkeit mit geistiger und moralischer Minderwertigkeit auf ihren Gegner an. Für die Bewertung des deformierten menschlichen Körpers zentral war der Essay des buckligen und verwachsenen William Hay, Deformíty, London 1754, der fünf Jahre nach Erscheinen auf Deutsch als »Die Hässlichkeit. Ein Versuch« erschien.
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135 | Jacob Grimm, Deutsche Mythologie, Berlin 1875-78; Bd. 2 spricht von der Berührung eines »höckerichten« Menschen, S. 942. 136 | Über die erstaunlich zahlreichen Skulpturen von Fröschen und Kröten in und an Domen und Kirchen vgl. Alois Gulder, Die urnenfeldzeitliche »Frauenkröte« von Maissau, S. 15-153. Er weist auch auf das Domportal zu Freising hin, wo Kaiserin Beatrix II., Gemahlin Friedrichs I., mit einer Kröte zu Füßen abgebildet wird, die ihr offensichtlich als Fruchtbarkeitssymbol zugeordnet ist. 137 | Die Auferstehung Christi war damit nicht gemeint. Dieser Glaube stamme, berichtet Plinius (Naturalis historia VIII, 110), aus Ägypten. 138 | Pierers Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart, Altenberg 1862; Artikel Kröte. Unter günstigen Bedingungen können Frösche nach dem heutigen Kenntnisstand bis zu etwa 15 Jahre und in Ausnahmefällen bis zu 20 Jahre alt werden. 139 | Johann Gottlieb Gleditsch, Vermischte Physicalisch-Botanisch-Oeconomische Abhandlungen. Zweyter Theil, Halle (Joh. Jacob Curt) 1766, S. 287. 140 | Evelyn Lehmann (Hg.), Das grosse Kasseler Tierbild. Das barocke »Thierstück« von Johann Melchior Roos, die Kasseler Menagerien und einiges mehr über Mensch und Tier, Petersberg (Michael Imhof) 2009. 141 | Sigrid und Lothar Dittrich, Lexikon der Tiersymbole. Tiere als Sinnbilder in der Malerei des 14.-17. Jahrhunderts, Petersburg (Michael Imhof) 2004; Frosch und Kröte S. 160-166. 142 | »Jüngling, der von einer Eidechse gebissen wird« (1600), reproduziert in: Duncan Bull u.a. (Hg.), Rembrandt und Caravaggio, Stuttgart (Belser) 2006, S. 109f. 143 | Die stets auf Lessings Laokoon-Aufsatz datierte Frage nach dem Beginn der bildlichen Darstellung des Hässlichen im Schrei hat zweifellos Vorgänger in der Malerei, und Caravaggio ist einer unter ihnen. 144 | Die vier Bände des Apothekers Albertus Seba, Locupletissimi rerum naturalium Thesauri (1734-1765) kombinieren detaillierte Beschreibungen mit stilisierten Bildern (»iconibus artificiosissimis expressio«). Albertus Seba, Cabinat of natural curiosities. The complete plates in colour 1734-1765, nach dem Original aus der Koninklijke Bibliothek, den Haag, Köln u.a. (Taschen) 2005, S. 36, 137. 145 | Schon Isidor stellt unter Berufung auf Plinius die im Wasser lebenden Tiere zusammen und nennt: »Ungeheuer, Schlangen, die zu Wasser und zu Land leben, Krebse, Muscheln, Heuschrecken, Riesenmuscheln, Meerpolypen, Schollen, Eidechsen, Tintenfische und ähnliche.« Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla, S. 477. Diese Zusammengehörigkeit hat sich im Populärbild bis in die Gegenwart erhalten. Kinderbücher stellen oft eine solche »unrealistische«, aber gefühlte Tiergemeinschaft zusammen. Vgl. etwa Arnold Lobel, The frog and the toad,
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New York (Harper Collins) 1970, S. 51: Frosch, Echsen, Schildkröte, Libellen und Schlange sitzen alle zusammen am Bachufer und schütten sich aus vor Lachen. Es ist ein »I can read book«, und man wüsste gern, welche Wirkungen solche Bilder, im frühen Lesealter aufgenommen, auf das Bild der Tiere bei Kindern, die einmal Erwachsene werden, haben. – Auch in Literatur und Dichtung hat sich dieses anthropozentrische Tierbild bis ins 20. Jahrhundert erhalten. 146 | Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Kritische Studienausgabe, hg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 4, S. 29. 147 | Papst Benedict XVI. verurteilte die Holzskulptur von Martin Kippenberger als Blasphemie, und im Wahlkampf gab sie Anlass, das christliche Erbe vor den Angriffen der Kunst zu verteidigen. Berichte in: Frankfurter Allgemeine Zeitung und The International Herald Tribune, 30/31 August 2008. Bereits im September 1991 hatte die Kunsthalle Wiesbaden einen gekreuzigten Frosch von christA frontzeck ausgestellt. Auch er hatte für Ablehnung gesorgt und war an einen verborgenen Teil der Ausstellung verbannt worden.
4 D ER LITER ARISCHE F ROSCH 1 | furuike ya/kawazu tobikomu/mizu no oto. Basho, übersetzt von Dietrich Krusche, in: Haiku. Japanische Gedichte, ausgewählt, übersetzt und mit einem Essay hg.v. Dietrich Krusche, München (dtv) 1994, S. 48. Es soll das meist übersetzte Haiku von Matsuo Basho sein, und jedes Schulkind in Japan soll es kennen. In einer anderen Fassung lautet der Haiku: »An old pond:/Basho jumps in,/The sound of water.« In: Daisetz T. Suzuki, Sengai, the Zen master, hg.v. Eva van Hoboken, London (Faber and Faber) 1971. Für Hinweise auf den Frosch in der Japanischen Literatur danke ich Yoko Tawada. 2 | »Wenn man untersucht, ob dieser Frosch singt oder hüpft, ob da ein Frosch ist oder mehrere sind, ob es sich um eine Nachmittags- oder Abendszene handelt oder wo sich der Autor befindet, erkennt man, dass dieser Vers zur Gänze unvollendet ist«, schrieb Kawahigashi Hekigodo (1873-1937), ein Nachkomme des Namenserfinders von »Haiku«, Masaoka Shiki. Für eine Beschreibung der Entstehung dieses Haiku s. Dietrich Krusche, Essay. Erläuterungen zu einer fremden literarischen Gattung, in: Haiku. Japanische Gedichte, S. 126f. 3 | Einen Eindruck von der komplexen Beziehung liefert die Linguistik, wenn sie die lokalen Namen von Fröschen und Lurchen aufzeichnet. Ein Namensregister der 270 Arten von Amphibien und Reptilien Europas gibt es erst seit 1992: Stumpel-Rienks, Nomina Herpetofaunae Europaeae. Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas. Ergänzungsband, Wiesbaden (AULA) 1992. In einer bewun-
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dernswerten Fleißarbeit hat Indraneil Das eine Sammlung von Amphibiennamen Indiens und angrenzender südostasiatischer Regionen zusammengestellt. Sie enthält 1738 Namen aus den lokalen Sprachen mit Herkunftsbestimmungen, Angaben über die Verbreitung und gelegentliche Hinweise zur Bedeutung. Indraneil Das, The serpent’s tongue. A contribution to the ethnoherpetology of India and adjacent countries, Frankfurt (Edition Chimaira) 1998. 4 | Inzwischen breitet sich auch in Japan ein anderes Verhältnis vom Frosch aus. Die Globalisierung hat auch das Froschbild in Japan und Ostasien erfasst, und die Gefahr, dass Uniformisierung an die Stelle der Differenzen der Vorstellungsbilder tritt, ist unübersehbar. Das Ende der Haikutradition könnte gekommen sein. 5 | Der wilde Bursche mit Namen Frosch in Goethes Faust wird »Doppelt Schwein!« genannt und reagiert mit: »Ihr wollt es ja, man soll so sein!« Das Wilde wird zum »lustigen Gesellen« in der Studenten-Kneipe. 6 | Der Froschmeusler erschien 1595 in Magdeburg unter dem Namen Max Hupfinsholz von Meusebach, der jungen Frösche Vorsinger und Calmäuser. Georg Rollenhagen nannte seinen Namen erst in der Ausgabe von 1608, Neuausgabe hg.v. Dietmar Peil, Frankfurt 1989. Es gab zahlreiche Auflagen und Nachdrucke, und unter dem Titel Der neue Froschmeusler erschien eine Nachdichtung von Stengel, Köln 1796. – Bis ins späte 18. Jahrhundert wurde die Parodie des Trojanischen Kriegs in Hexametern für ein Werk Homers gehalten. Eine frühe kommentierte Ausgabe auf Deutsch: [Homer], Batrachomyomachia, vorstellend die blutige und muthige Schlacht der Mäuse und Frösche. Mit Fleiß beschrieben und mit Anmerkungen ausgeschmückt, lustig und lieblich zu lesen. Von J(ohan) H. W(olsdorf), Hamburg 1780. Große Wirkung hatte die bis ins 19. Jahrhundert in vielen Auflagen neu gedruckte Nachdichtung von Rollenhagen. Für die neuere Rezeption ist bemerkenswert, dass Giacomo Leopardi den Text übersetzte und eine Fortsetzung anschloss: Paralipomeni della Batrachomyomachia (posthumous 1842). 7 | Georg Rollenhagen, Froschmeusler, Neuausgabe hg.v. Dietmar Peil, Frankfurt 1989, S. 260. 8 | Georg Rollenhagen, Froschmeusler, 1989 S. 260. 9 | Georg Rollenhagen, Froschmeusler, 1989, S. 452f. 10 | Georg Rollenhagen, Froschmeusler, 1989, S. 476f und 415f. 11 | Jean La Fontaine: La grenouille qui se veut faire aussi grosse que le Boeuf; deutsch: Der Frosch, der so gross werden will wie ein Ochse, in: Jean La Fontaine, Die Fabeln, übersetzt von Johanna Wege, hg.v. Jürgen Grimm, Stuttgart (Reclam) 1991, S. 18; Horaz, Satiren II, 3, 316-320. Eine Beobachtung wird gelegentlich angeführt, um diese Eigenart der Frösche zu erklären. Schlangen schlucken Frö-
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sche lebendig. Um sich vor dem Gefressenwerden zu schützen, blase der Frosch seinen Bauch so weit auf, dass er für den Schlund der Schlange zu groß wird und sie ihn wieder frei gibt. Ich habe Schlangen beim Verschlucken von Fröschen beobachtet, aber nie einen Frosch gesehen, der sich aufgebläht hätte. Auch die Logik lässt diese nachträgliche Wirkung nicht als evolutionäre Erklärung für die Entwicklung dieser Körpertechnik zu. 12 | Johann Georg Krünitz, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, 1773 bis 1858, 242 Bände; Artikel »Frosch«. 13 | Lessing, Vom Wesen der Fabel. Anschauende Erkenntnis wird zu einem Schlüsselbegriff der Philosophie und Lessing weist darauf hin, dass er ihn der Philosophie Wolfs verdanke. 14 | Wieland setzt die Kombination von Ironie und Erziehung zur Einsicht in die Realität fort. »Der Gedanke, einen unsichtbaren Feind [den Frosch] von solcher Wichtigkeit zu haben, beunruhigte unseren jungen Helden nicht wenig […].« Christoph Martin Wieland, Die Abenteuer des Don Sylvio von Rosalva, Sechstes Kapitel: Abenteuer mit dem Laubfrosch. Warum Don Sylvio nicht merkte, dass der Frosch keine Fee war, hg.v. Heinrich Vormweg, Köln1963, S. 28-30. 15 | Dolf Sternberger: Figuren der Fabel, in: D.S.: Figuren der Fabel. Essays, Frankfurt (Suhrkamp), 1990, S. 21. 16 | Christian Reichart, Von Fröschen, in: Ch. Reichart, Gemischte Schriften, Erfurt 1762, S. 449-478, hier: 448-453. 17 | Thomas Bewick, The fables of Aesop, 1818, reprint: Paddington Masterpieces of the Illustrated Book, New York, London (Two Continents Publishing Group) 1975, S. 290. 18 | Thomas Bewick, The fables of Aesop,S. 291f. 19 | Thomas Bewick, S. 374. 20 | Thomas Bewick, The fables of Aesop, S. 375f. 21 | Goethes Metamorphosenlehre ist das bekannteste Beispiel. Kolnai argumentiert in diesem Sinn; vgl. auch Winfried Menninghaus, Ekel, in: Ästhetische Grundbegriffe, hg.v. Karlheinz Barck u.a., Stuttgart (Metzler) 2001, Bd. 2, S. 145. 22 | Dass sich die schwimmende Kaulquappe in einen hüpfenden Frosch verwandelt und der Zusammenhang von Raupe, Puppe, Schmetterling und Ei war Ovid bekannt, der sich auf die Beobachtung von Bauern berief. Dies Wissen war jedoch unvollständig und mit Spekulationen vermischt. Ovid, Metamorphosen. Das Buch der Mythen und Verwandlungen, Düsseldorf und Zürich (Artemis und Winkler) 1989. 23 | Ovid, Metamorphosen, S. 375. Noch im 18. Jahrhundert spricht Rösel mehrfach vom Glauben, dass »Frösche aus der Fäulnis entstünden« und zitiert Ovids
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»Ein Saame steckt im Schlamm, der grüne Frösche zeugt.« Ovid, Metamorphosen XV, S. 575. Rösel handelt ausführlich von der Zeugung. Er betont die Eier, aus denen Frösche und die meisten Tiere, auch der Mensch, stammten. August Johann Rösel von Rosenhof, Historia naturalis Ranarum nostratium in qua omnes earum proprietates, praesertim quae ad generationem ipsarum pertinent, fusius enarrantur, S. III, VI u.ö. 24 | Im Versuch, die vielen verschiedenen Formen der Verwandlungen in Ovids Metamorphosen zu ordnen, unterscheidet Ursula Reber zwischen »Verwandlung«, die etwas mit sich Identisches voraussetze, und »Wandelbarkeit«, die jede Form der Identität ausschließe: Ursula Reber, Formenverschleifung. Zu einer Theorie der Metamorphose, München (Fink) 2008, S. 95 u.ö. 25 | Ovid, Metamorphosen, S. 144. 26 | Ovid, Metamorphosen VI, 376. 27 | Diese Interpretation ist umstritten, vgl. Reber, Formenverschleifung, S. 83f. 28 | Ovid, Metamorphosen, S. 25-28. 29 | Johann Caspar Lavater: L’art de connaître les hommes par la physiognomie, Paris 1806-1809. Vgl. auch Sven Dierig, Apollo’s Laboratory. MPI für Wissenschaftsgeschichte, Berlin (Virtual Laboratory: Essays) 2002; er reproduziert eine verkürzte Version; auch Andreas Blühm und Louise Lippincott, Tierschau. Wie unser Bild vom Tier entstand, Köln Wallraf-Richartz-Museum (Locher) 2007, S. 13; und Julia Voss, Darwins Bilder. Ansichten der Evolutionstheorie 18371874, Frankfurt (S. Fischer) 2007, S. 186, Abb. 43. 30 | Der Serie liegt eine implizite These zugrunde. Der Charakter des bildlichen Zeigens würde aber eine Bildunterschrift erfordern, um sie offen zu legen. Ohne zusätzliche sprachliche Information bleibt sie offen für Mutmaßungen. Für das Entwicklungsdenken wurden solche Serien seit dem 18. Jahrhundert wichtig. Auf welche Weise die Entwicklung in Lavaters Bildfolge zu denken sei, ist nicht endgültig zu sagen. Es kann sich nicht um eine Bildfolge aus dem vorweggenommenen Geist der Evolution handeln. Ist es die Idee der Vervollkommnung, im Stil von Winckelmanns Idealisierung, in der Hässlichkeit und Schönheit idealtypisch gegenübergestellt werden? – In einer Homerischen Legende gibt es einen Mausegott mit dem Namen Apoll, dessen Kult zur Zeit Alexanders des Großen in Blüte gestanden haben soll. 31 | Goethe, Schriften zur Morphologie, hg.v. Dorothea Kuhn, Frankfurt (Deutscher Klassiker Verlag) 1987, S. 109-151. 32 | Für die Einordnung in die Wissenschaftsgeschichte vgl. Olaf Breidbach, Goethes Metamorphosenlehre, München (Wilhelm Fink) 2006. 33 | Goethe, Schicksal der Handschrift, in: Schriften zur Morphologie, S. 414418, hier S. 416.
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34 | Goethe, Die Metamorphose der Pflanzen, S. 110f. 35 | Goethe, Die Metamorphose der Pflanzen, S. 110. 36 | Zuerst hat Günther Müller die fundamentale Bedeutung der morphologischen Auffassung von Natur und Kultur, in deren Mittelpunkt Goethes Idee der Pflanzenmetamorphose steht, systematisch herausgearbeitet: Günther Müller, Morphologische Poetik. Gesammelte Aufsätze. In Verbindung mit Helga Egner, hg.v. Elena Müller, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1968; grundlegend für die Metamorphose selbst: Dorothea Kuhn, Typus und Metamorphose, in: Goethe-Studien, Marbach 1988. 37 | Felix Höpfner, Wissenschaft wider die Zeit. Goethes Farbenlehre aus rezeptionsgeschichtlicher Sicht, Heidelberg (Carl Winter) 1990. 38 | Ich habe eine Zeitlang bei unterschiedlichen Gelegenheiten das Gespräch auf das Märchen vom Froschkönig gelenkt und dann die harmlose Frage gestellt: Was geschieht, wenn der Frosch in den Prinzen verwandelt wird? Die weitaus häufigste Antwort war: Die Prinzessin erlöst den Prinzen durch einen Kuss. Diese Antwort ist gewiss keine Erinnerung an die Zungenküsse der Häretiker, aber sie gibt nicht den Text des Märchens wieder. Sie hat eine gewisse Berechtigung, denn in bereinigten Fassungen des Märchens aus dem späten 19. Jahrhundert wird der Gewaltakt bereits durch einen Kuss ersetzt. (Vgl. Hans-Jörg Uther, Handbuch zu den »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm,Berlin, New York (de Gruyter) 2008; Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich, S. 1-6.) In allen Fassungen des Märchens bei Grimm erscheint der Prinz jedoch nach einem Mord. Die Prinzessein wird zunächst »bitterböse« und dann wirft sie den Frosch »aus allen Kräften wider die Wand« und spricht die Erwartung aus, ihn damit zu töten: »Nun wirst du Ruhe haben, du garstiger Frosch.« Aber sie täuscht sich. Der Frosch hat keine Ruhe und gibt keine Ruhe, sondern wird, als er herabfällt, ein »Königssohn mit schönen und freundlichen Augen.« Dann erst, so vermuten wir, küsst sie ihn. 39 | Hans-Jörg Uther, Handbuch zu den »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm, S. 1-6, hier S. 3. 40 | Kathrin Schmidt, Kurzprosa, Berlin 2000. 41 | Aristophanes, Die Frösche, in: Aristophanes Komödien 1, übersetzt von Ludwig Seeger, Wiesbaden, Berlin (Vollmer) o.J., S. 263. 42 | Es gibt wenig Literatur zu dem Thema. Das Goethe-Institut veranstaltete 1985 eine sehenswerte Ausstellung mit Katalog: Die verkehrte Welt. Moral und Nonsens in der Bildsatire. Le monde renversé. The topsy-turvy World. Populärgraphik aus vier Jahrhunderten. 43 | Neues Konversations-Lexikon, ein Wörterbuch des allgemeinen Wissens, hg.v. Hermann Meyer, Hildburghausen 1864.
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44 | Ludwig Binswanger, Traum und Existenz, in: L.B., Ausgewählte Vorträge und Aufsätze, Bd. 1: Zur phänomenologischen Anthropologie, Bern 1947; auch in: L.B., Traum und Existenz, Einleitung von Michel Foucault, Bern, Berlin (Gachnang und Springer) 1992, S. 95-136. Der Aufsteiger Frosch gehört nicht in Binswangers Assoziationsfeld des Verstiegenen. 45 | Kolnai, Ekel, Hochmut, Hass, S. 57. 46 | Kolnai, Ekel, Hochmut, Hass, S. 57. 47 | Mark Twain macht sich einen Ulk und erzählt eine wirre und übermütige Geschichte über einen Froschwettkampf. The Jumping Frog. In English, then in French, then Clawed back into Civilized Language once more by Patient Unremunerated Toil, New York 1903. Er gibt der trivialen Geschichte, die sich 1849 in Amerika zugetragen haben soll, eine müde satirische Wendung, indem er ihre Ursprünge ins antike Griechenland verlegt und schließt eine französische Übersetzung ein. Zwei Männer veranstalten ein Wettspringen mit ihren Fröschen, bei dem der eine Frosch ein Handicap hat, da er den Bauch mit Schrotkugeln gefüllt bekommt. Mehr als eine der nur bedingt lustigen Europa-Satiren Mark Twains kommt nicht heraus. – Eine kurze Erzählung Oskar Panizzas macht aus dem gelben Frosch auf eben diese Weise ein banal harmloses Tier, dem man seine Herkunft aus der Hexenküche nicht mehr ansehen kann und soll. Oskar Panizza, Die gelbe Kröte, in: ders., Der Korsettenfritz. Geschichten, München 1981 (entstanden um 1890). 48 | Manche dieser Bilder und Geschichten folgen sprachlichen Wendungen, die den Frosch harmlos machen. Wir sprechen vom eitlen Frosch oder ermutigen und sagen: »Sei doch kein Frosch!« Im Französischen stellt die Sprache eine harmlose Identifikation her, wenn der Babystrampelanzug nach dem Frosch grenouille genannt wird. Säuglinge werden mit Namen wie Fröschli bezeichnet. Ganze Kapellen aus daumengroßen, holzgeschnitzten Fröschen aus dem Erzgebirge traten bis vor kurzem in Kinderzimmern auf und sind heute auf Flohmärkten und in regionalen Museen zu bestaunen. 49 | Gerd von Bassewitz, Peterchens Mondfahrt. Ein Märchen, Freiburg (Hermann Klemm) o.J., S. 45f. 50 | In einem kurzen Text (1931) gibt sich Theodor Lessing dem launigen Fabulieren hin und benutzt den disharmonischen Froschchor als Analogie für den zeitgenössischen Literaturbetrieb. Im lauten Quaken der Frösche stecke ja, findet er, »der ganze Kürschnersche Literaturkalender«. Theodor Lessing, Frösche, in: Meine Tiere, Berlin (Matthes&Seitz) o.J, S. 166-173. 51 | Erdal Schuhcreme benutzt bis heute einen Frosch mit Krone als Markenzeichen. Form und Farbe haben sich im Lauf der Jahre stark verändert. Erhalten geblieben ist die visuelle Botschaft vom »Schein« der blanken Schuhe, der mit dem Schein vom verborgenen Prinzen vorgestellt werden soll. Prinz ist, wer mit glänzen-
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den Schuhen seinen Schein wirksam auszustellen versteht. Dazu verhilft die geeignete Schuhcreme. Eine Serie von Erdal-Sammelfröschen aus Blech und Plastik waren lange Jahre beliebt und wurden bis in die sechziger Jahre hergestellt. 52 | Barthes spricht vom Luxusmodell des Citroën DS, die Göttin, als Frosch. 53 | Mit einer Heftserie »Lurchi und seine Freunde«, das Eltern und Kinder als Zugabe beim Kauf eines Paars Schuhe bekamen, lockte die Schuhmarke Salamander Käufer an. Salamander und Frosch erleben kleine Abenteuer, der Frosch stets mit soliden Schuhen gegen die Härte moderner Straßen gewappnet, fraglos Schuhe der Marke Salamander. Die Hefte erschienen von 1937 an mit einer Unterbrechung durch den Krieg bis 1980. Dieser Mensch in Tiergestalt war bei jungen Lesern äußerst populär; Auflagen zählten nach Millionen, und als 1950 die Produktion wieder einsetzte, erreichten Nachdrucke einzelner Hefte Auflagen von mehr als 500 000 Exemplare. Lurchi war repräsentativ, denn den Tieren wurde die Rolle von harmlos liebenswerten Menschen in Tiergestalt zugeschrieben. Mit den Mischwesen der Mythologie verband sie nichts. – Über Mischwesen in der Moderne ist wenig bekannt. Zu den wenigen aufschlussreichen Versuchen gehört: Gesine Krüger et al., »Ich Tarzan.« Affenmenschen und Menschenaffen zwischen Science Fiction und Fiction, Bielefeld (transcript) 2008. 54 | Das unverbundene Nebeneinander von Okkultismus und Aufklärung ist das Thema von Sabine Doering- Manteuffel, Das Okkulte. 55 | Nach Winfried Menninghaus, Ekel, S. 151. 56 | Claudia Ölschläger, Tierschicksal. Franz Marcs ›Animalisierung der Kunst‹ oder der Kampf um eine Ästhetik der Moderne, in: Konzepte der Moderne, hg. v. Gerhard von Graevenitz, Stuttgart, Weimar (Metzler) 1999, S. 389-416. 57 | Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtziger Jahre, Werke, hg.v. Karl Schlechta, Bd. 3, S. 626. 58 | Nietzsche, Also sprach Zarathustra, Werke, hg, Colli und Montinari, Bd. 4, S. 359. 59 | Nietzsche, Aus dem Nachlass der Achtziger Jahre, S. 910. 60 | Edgar Allan Poe, The Imp of the Perverse, in: E.A. Poe, The Collected Tales and Poems, Wordsworth Editions Limited 2009, S. 261-266; dt.: Der Geist des Bösen, in: Poe, Erzählungen in zwei Bänden. Bd. 1, München (Nymphenburger) 1966, S. 165-175, hier S. 168. 61 | Poe, The black cat, in: E.A. Poe, The collected tales and poems, Wordsworth Editions Limited 2009, S. 61-68; dt.: Der schwarze Kater, Erzählungen in zwei Bänden, S. 183. 62 | Edgar Allan Poe, Hop Frog, in: E.A. Poe, The collected tales and poems, Wordsworth Editions Limited 2009, S. 272-281;dt.: Hopp-Frosch. Erzählungen in zwei Bänden. Für eine ausführlichere Interpretation vgl. Bernd Hüppauf, Der König, der Frosch und das Böse. Edgar Allan Poes Hop frog auf der Suche nach
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einem neuen Urwald, in: Meridian critic. Analele universitati »Stefan cel Mare« Suceava. Seria filologie, Tomul XV, Nr. 2, 2009, S. 51-66. 63 | Sigmund Freud, Zeitgemässes über Krieg und Tod (1915), in. Studienausgabe, Frankfurt (S. Fischer) 1972, Bd. IX, S. 33-60, bes. S. 45f; und Sigmund Freud, Die Traumdeutung, Studienausgabe Bd. II. 64 | Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. Schellings sämmtliche Werke, Stuttgart und Augsburg (Cotta) 1,7, 1860, S. 374. 65 | Michel Foucault, Das Denken des Draußen, in: Schriften zur Literatur, München (Nymphenburger) 1974, S. 130-156. Foucault beließ es bei raunenden Vagheiten. Er vermutet es in Formen der negativen Theologie. »Noch gibt es kaum etwas, das unsicherer wäre: denn zwar geht es dieser Erfahrung darum, ›aus sich heraus‹ zu treten, aber nur um sich am Schluss wiederzufinden, sich einzuhüllen und sich zu sammeln in der betörenden Innerlichkeit eines Denkens, das mit gutem Recht Sein und Wort ist, also Diskurs, auch wenn es jenseits jedes Sprechens Schweigen und jenseits jedes Seins Nichts ist.« (Foucault S. 133f.) 66 | Aus Kolmars vielfach bezeugter Naturliebe ist ein biografischer Bezug abgeleitet worden: Ihre Dichtung sei die literarische Transformation von Naturliebe und Tierbeobachtung. Das trifft nicht zu. Es sind keine Gedichte über Tiere, sondern über Mythen, in denen Tiere auftreten. Sie sind bevölkert von Tieren der Mythologie: Schlange, Krokodil, Geier, Schakal, Schwan, Fischkönig, Drache, Krötendämon. Einen Realismus des Naturbildes gibt es in ihren Gedichten nicht. Die Tiere ihres verwilderten Berliner Gartens sind nicht mehr als Auslöser für Träume. Die Gedichte müssen eher aus einer Opposition verstanden werden: Obwohl sie die Natur des Gartens liebte und mit den Tieren sprach, schrieb sie diese Gedichte. 67 | Gertrud Kolmar, Tierträume, Das lyrische Werk, S. 89-13: Der Tag der großen Klage, S. 103f. 68 | In seiner Interpretation der Tiergedichte spricht Bayerdörfer vom »Übergang von der Natur- in die Menschheitsgeschichte« und schlägt zu Recht den Bogen vom Tierschicksal zur größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Hans-Peter Bayerdörfer, Die Sinnlichkeit des Widerlichen. Zur Poetik der Tierträume von Gertrud Kolmar, in: Sinnlichkeit in Bild und Klang. Festschrift für Paul Hoffmann, hg. v. Hansgerd Delbrück und Hans-Dieter Heinz, Stuttgart (Akademischer Verlag) 1987, S. 449-464. 69 | Docteur Celticus, 19 Tures corporelles visible pour reconnaitre un Juif. Nach: Umberto Eco (Hg.), Die Geschichte der Hässlichkeit, S. 268. 70 | Anja Zimmermann, Skandalöse Bilder – Skandalöse Körper. Abject art vom Surrealismus bis zu den Culture Wars, Berlin (Reimer) 2001, S. 14. 71 | Ingeborg Bachmann, Frankfurter Vorlesungen: Probleme zeitgenössischer
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Dichtung, in: Werke, hg. v. Christine Koschel u.a., Vierter Band, München, Zürich (R. Piper) 1978, S. 206-208. 72 | Herta Müller, Niederungen, München (Carl Hanser) 2010, S. 157-159. 73 | Herta Müller, Niederungen, S. 103. 74 | Patrick Süskind, Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders, Zürich (Diogenes) 1994, S. 199. 75 | Hier berührt sich die Geschichte vom Frosch mit einer der heftigsten Debatten des vergangenen Jahrhunderts, ausgelöst durch Hannah Arendts Gedanken über die »Banalität des Bösen«: Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1963; vgl. auch verstreute Bemerkungen u.a. im Briefwechsel mit Scholem: »Das Böse hat keine Tiefe und keine Dämonie.« Der Gedanke des absolut Bösen gehört in die Metaphysik. Wenn Hannah Arendt angesichts der Massenmörder dem Bösen das Absolute abspricht, es als extrem, aber nicht als radikal bewertet, so trifft sie den Bedeutungsverlust der Metaphysik, der mit dem Beginn der modernen Welt einsetzte. 76 | Im Roman kommt der Frosch nur einmal vor: Eine Gruppe boshafter Jungen zwingt Zwerg Oskar, einen Sud aus ekelhaften Substanzen, einen Frosch eingeschlossen, zu trinken. Für den Graphiker und Zeichner Grass sind böse Tiere und Tiere des Gewimmels wichtig, besonders die Ratte. Dass der Frosch fehlt, ist bemerkenswert und ein Symptom seiner Abwesenheit im Bildschatz der Gegenwart. 77 | José Saramago, Vergeltung, in: J.S.: Der Stuhl und andere Dinge. Erzählungen, Reinbek (Rowohlt) 1995, S. 173-178, hier 175. In einem autobiografischen Text schreibt Saramago mit einem schlechten Gewissen über sein Verhältnis zu Fröschen, die er als Kind mit einer »zielgenauen und erbarmungslosen Zwille dezimierte«. José Saramago, Kleine Erinnerungen, Reinbek (Rowohlt) 2009, S. 93. 78 | Saramago, S. 178. 79 | Gertrud Kolmar, Salamander, Das lyrische Werk, S. 114f. 80 | Wie in der extensiven Diskussion zu recht bemerkt wurde: es ist ein Missverständnis, in dieser Nähe eine Verharmlosung des Holocausts zu sehen. J.M. Coetzee, Elizabeth Costello. Acht Lehrstücke. Frankfurt (S. Fischer) 2004, und Coetzee, The life of animals (Tanner Lectures); vgl. dazu die Debatte in: Stanley Cavell u.a. Philosophy and Animal Life, New York (Columbia UP) 2008; auch: Stephen Mulhall, The Wounded Animal.
5 D ER F ROSCH UND DIE W ISSENSCHAF T 1 | Foucault stellt die populär gewordene These auf, dass für das 18. Jahrhundert das Leben nicht existierte. Sie lässt sich durch die Froschexperimente nicht be-
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stätigen, muss zumindest stark differenziert werden. Zugespitzt schreibt er, »das Leben selbst existierte nicht. Es existierten lediglich Lebewesen, die durch einen von der Naturgeschichte gebildeten Denkraster erschienen.« (Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt (Suhrkamp) 2003, S. 168.) Wenn dieses Denkraster im 18. Jahrhundert entsteht, tritt es in Konkurrenz mit einem älteren Bild vom Leben. Das Aufkommen der Lebenswissenschaften zeugt nicht von einem nun entstehenden Bild vom Leben, sondern ist, im Gegenteil, der Indikator des allmählichen Verschwindens eines in der Erfahrungswelt verankerten, zusammenhängenden Bilds vom Leben der vorangehenden Jahrhunderte, das Mensch und Frosch verband. 2 | René Descartes, Discours de la Méthode. Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs in der wissenschaftlichen Forschung, Hamburg (Meiner) 1960, S. 95. 3 | Claude Perrault, De la méchanique des animaux. Oevres diverses de physique et de méchanique de Mrs. Claude et Pierre Perrault, de l’Académie Royal, Leiden (Pierre Van de Aa) 1721. 4 | Donald R. Griffin, Animal minds.. 5 | Gerald Edelman und Giulio Tononi, A universe of consciousness. How matter becomes imagination. New York (Basic Books) 2000; Michael Cananac, Emotions and phylogeny, in: Journal of Consciousness Studies, 1999. 6 | William Harvey, Disputations touching the generation of animals, übersetzt und hg.v. Gweneth Whitteridge, Oxford (Blackwell) 1981 (zuerst 1651). 7 | Andreas-Hoger Maehle, Kritik und Verteidigung des Tierversuchs. Die Anfänge der Diskussion im 17. Und 18. Jahrhundert, Stuttgart (Franz Steiner) 1992. 8 | William Harvey, Anatomical lectures, übersetzt und hg.v. Gweneth Whitteridge, Edinburg (E. and S. Livingstone) 1964; William Harvey, The anatomical exercises of William Harvey, hg.v. Geoffrey Keynes, New York (Dover) 1995. Informative Hinweise in: Anita Guerrini, Natural History, Natural Philosophy, and Animals, 1600-1800, in: A cultural history of animals, Bd. 4: The age of enlightenment, hg. v. Matthew Senior, Oxford, New York (Berg) 2007, S. 121-144, bes. S. 126-142. Die Diskussion über Vivisektionen an Menschen (verurteilte Verbrecher) beruht auf unklarer Quellenlage und wird hier nicht berücksichtigt. 9 | The philosophical writings of Descartes, vol. III, Cambridge (Cambridge UP), 1991, S. 317; vgl. den Brief an Plempius vom 15. Februar 1638, S. 81f. 10 | Tysons Untersuchung am Orang-outang, der in Wahrheit ein Schimpanse war, ist ein Beispiel für die neue Grenzziehung zwischen Mensch und Tier, insoweit der Schimpanse für das Tier stehen kann. Durch eine Statistik der Körpermerkmale kam er zu dem Schluss, dass es mehr Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Schimpanse als zwischen Schimpanse und Affen gebe.
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11 | Der Höhepunkt der Sexualisierung der Forschung lag in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Es ist bezeichnend, dass der populistische Vielschreiber La Mettrie, abweichend von seinem Maschinenmodell, in L’homme plante (1748), die Sexualität aufnahm und an zahllosen Analogien von Mensch, Tier und Pflanze zum Prinzip des Lebens machte. 12 | George Mathias Bose, Amatomia ranae in vacuo extinctae, et vivae: Otia Wittenbergensia critico-physica, Wittenberg 1739, Cap VI, S. 41-47. Es handelt sich um den Text für eine Disputation vom 25. September 1739. 13 | »Cupidus nuper admodum eram […] examinare«, »Ich war neulich wirklich begierig zu untersuchen […]«, 14 | … immisericordia ministri iustitiae – wörtlich: mit der Unbarmherzigkeit eines Justizbeamten. 15 | In Sezierberichten der Zeit werden meist Autoren wie Demokrit, Hippokrates und Galen genannt, um durch ihre Autorität als Wissenschaftler den umstrittenen Tierversuchen Legitimität zu verleihen. 16 | Konrad Gesner, d.i. Gesnerus, Redivius auctus & emendatus oder Allgemeines Thier-Buch, Frankfurt (Wilhelm Gerlins) 1669, S. 379. 17 | Das Hauslexicon, hg. v. G. Th. Fechner; Artikel Frosch. 18 | Der Hinweis bezieht sich auf William Harvey, der auf die Venenklappen aufmerksam geworden war, gegen Galen eine Theorie von der einen Strömungsrichtung des Blutes aufgestellt und damit die beiden Blutkreisläufe, in denen das Herz als Pumpe arbeitet, entdeckt hatte. 19 | Die Faszination von Wissenschaftlern durch die »Schönheit« der von ihnen entdeckten Phänomene hat sich bis in die Gegenwart erhalten, vgl. etwa die häufig zitierten Kommentare von James Watson und Francis Crick, aus denen die konventionelle Idee der Kunstgeschichte von Schönheit spricht. Diese Ästhetik steht in einem Spannungsverhältnis zur Ästhetik der Abstraktion des modernen Wissenschaftsbildes. 20 | Bezieht sich auf die mechanistische Auffassung vom Tierorganismus des Anti-Cartesianers Perrault. (Wie Anm. 3). 21 | Vgl. Steven Shapin und Simon Schaffer, Leviathan and the air pump. Hobbes, Boyle and the experimental life, Including a translation of Thomas Hobbes, Dialogus Physicus De Natura Aeris. Princeton, NJ (Princeton University Press) 1985. Eine detaillierte Analyse der Debatte zwischen Robert Boyle und Thomas Hobbes über Boyles Experimente um 1660; vgl. auch Bruno Latour, Wir sind nie modern gewesen, Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt (Suhrkamp) 2008, S. 25-34. 22 | Joseph Wright of Derby An Experiment in the Air Pump (1768) zeigt eine um
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einen gläsernen Zylinder mit dem getöteten Tier versammelte Runde staunender und einiger abgewandter Zuschauer. 23 | Observationes anatomicae circa congressum, conceptionem, gestationen partumque ranarum. Acta Eruditorum publicata Lips., 1687, S. 284-288auch in: M. B. Valentini amphith. Zootom, Erfurt. M. 1720, P. I. S. 209-212 (mit vier Abbildungen). 24 | Observationes anatomicae. 25 | Goethe, Eingeweide des Frosches, in: Schriften zur Morphologie, hg.v. Dorothea Kuhn, Frankfurt (Deutscher Klassiker Verlag) 1987, S. 341f. 26 | Zur komplexen Frage einer »deutschen Wissenschaft« vgl. Pierangelo Schiera, Laboratorium der bürgerlichen Welt. Deutsche Wissenschaft im 19. Jahrhundert, Frankfurt (Suhrkamp) 1992. 27 | Johann Gottfried Gleditsch, Vermischte Physicalisch-Botanisch-Oeconomische Abhandlungen. Zweyter Theil, Halle (Joh. Jacob Curt) 1766; »Neue Beobachtungen über zwey besondere Vorfälle von Fröschen, die in ihrer gewöhnlichen Wintererstarrung gestört worden sind«, S. 256-282. 28 | Gleditsch, Vermischte Physicalisch-Botanisch-Oeconomische Abhandlungen, S. 279. 29 | Brehms Tierleben stellt liebenswürdige Portraits von Tieren zusammen und hat auch über den Frosch Freundliches zu sagen, etwa über den Ochsenfrosch: »Gewöhnlich findet man ihn an reinen, dicht mit Buschwerk überschatteten Strömen. Hier sitzt er in den Mittagsstunden behaglich im Sonnenschein […]«. Brehms Tierleben. Volksausgabe: Moorfrosch. Ochsenfrosch, 1879, S. 193. Die meisten Froschzeichnungen im Brehm stammen von Gustav Mützel (den Darwin lobte) und zeigen liebenswürdige Tiere aus einer Sicht, die den Froschbildern Bedwicks ähnelt. So lässt zum Beispiel auch er die Wasserfrösche in den Teich springen, weil sie von einem Jungen mit Steinen beworfen werden (S. 189). 30 | Die Texte zu diesen Ansichten aus dem späten Mittelalter waren im 18. Jahrhundert noch bekannt. Auf Hugo von Trimbergs didaktische Dichtung bezogen sich u.a. Christian Gottsched, Gellert und Lessing. Wir können davon ausgehen, dass die Einschätzung der Frau und der Sexualität sich kaum verändert hatte. Vgl. Hugo von Trimberg, der Renner, Bd. 1-4, hg. v. Gustav Ehrismann, Tübingen 1908-1911, Neudruck Berlin (de Gruyter) 1970, mit einem Nachwort von Günther Schweikle (Deutsche Neudrucke: Texte des Mittelalters); Clara Hätzlerin, Das Liederbuch, Berlin (de Gruyter) 1966 (Deutsche Neudrucke: Texte des Mittelalters), entstanden 1479, Erstdruck hg.v. Haltaus, 1840. Sie nennt den hitzigen Krotensack. Vgl. Sophie von La Roche, Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim – von einer Freundin derselben aus Original-Papieren und anderen zuverlässigen Quellen gezogen 1771. 31 | Observationes anatomicae circa congressum, conceptionem, gestationen
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partumque ranarum. Acta Eruditorum publicata Lips., 1687, S. 284-288, in. M. B. Valentini amphith. Zootom, Erfurt. M. 1720, P. I. S. 209—212 (mit vier Abbildungen), hier 209. 32 | Bei Aristoteles, Galen und anderen antiken und frühneuzeitlichen Autoren findet sich die Auffassung, dass die rechte Seite des Körpers die wärmere und stärkere sei, da in ihr die Leber liege, während die linke durch ihre Nähe zur Milz kühler sei und weniger Lebensenergie enthalte. Zur »Rechts-Links-Theorie« vgl. Jean-Claude Bologne, Magie und Aberglaube im Mittelalter, S. 141f.; Britta-Juliane Kruse, Verborgene Heilkünste. Geschichte der Frauenmedizin im Spätmittelalter, Berlin, New York (de Gruyter), 1996, S. 229-232. 33 | Johann Friedrich Blumenbach, Handbuch der Naturgeschichte, Göttingen (Johann Christian Dieterich) 4. Aufl. 1791 (1. Aufl. 1779), S. 236. 34 | Michel Foucault, Sexualität und Wissen,Bd. 1, Der Wille zum Wissen, Frankfurt (Suhrkamp) 1983. 35 | Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht?, hg.v. Elisabeth Gössmann, München 1988 (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung Bd. 4); vgl. auch: Paul Münch, Tiere, Teufel oder Menschen?, bes. S. 340-344: Das ›Weib‹, ein Tier? 36 | Thomas Nagel. What is it like to be a bat?, The Philosophical Review 83 (1974), S. 435-450; auch in Ned Block u.a. (Hg.), The nature of consciousness. Philosophical debates, Cambridge (MIT Press) 1997; zahlreiche Wiederabdrucke auf englisch und deutsch. 37 | Vom Laubfrosch existierte der Glaube, er verändere seine Farbe aufgrund von Stimmungsschwankungen und werde gelegentlich blass. Als ironische Charakterisierung haben sich solche Zuschreibungen erhalten: »Bei warmem Wetter ist er entspannt und lebhaft gefärbt, bei schlechtem Wetter gereizt und blass. So sind Wetterfrösche, relativ launisch und wetterfühlig.« Dieter Beckmann, Lexikon der Tier- und Pflanzenmythen, Frankfurt (Cornelia Goethe Literatur Verlag) o.J., S. 162. 38 | Laurence Sterne, Das Leben und die Meinungen des Tristram Shandy, München (Winkler) 1963, S. 117. 39 | Thomas Young, An essay on humanity to animals, London (T. Cadwell und W. Davies) 1798. S. 196f. 40 | Bose: »Ich erinnere mich nicht, jemals etwas schöneres bei diesen Grausamkeiten (in crudelitatibus) gesehen zu haben […].« 41 | Bose führt ein kleines Versöhnungsritual aus, in dem er für den toten Frosch Kohle in den Händen reibt. 42 | Thierseeln-Kunde, auf Thatsachen begründet. Oder höchst merkwürdige Anecdoten von Thieren Berlin (Karl Matzdorf) 1805; Peter S. Scheitlin, Versuch einer vollständigen Thierseelenkunde, 2 Bd., 1840; Sabine Doering-Manteuffel
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weist auf die zahlreichen billigen Broschüren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hin, in denen der Okkultismus eine beseelte Natur annimmt (S. 158ff), z.B. Theodor Zell, Einblicke in die Tierseele, 1910. 43 | Abbé Bonnaterre, Erpétologie, Paris 1789. Für den gegenwärtigen Wissensstand repräsentativ ist: Robin Andrews u.a., Herpetology (3. Aufl.), New York (Prentice Hall) 2003. Die Forschung hat gezeigt, dass die Taxonomie Linnés zwar eine die wissenschaftliche Kommunikation vereinfachende Ordnung herstellt, aber irreführende Zusammenhänge entwickelt. Eine Reihe verschiedener Theorien mit sich gegenseitig ausschließenden Hypothesen über die Phylogenese von Reptilien und Amphibien sind nach Linné entwickelt worden. Weder über Fragen der Herkunft noch des Alters besteht Übereinstimmung, und neue Funde der Paläontologie stellen die verbreiteten Theorien der Verwandtschaft und des gemeinsamen Alters einzelner Arten in Frage. 44 | Alexander von Humboldt: Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thierund Pflanzenwelt. Bd. 1, Posen 1797, S. 1. In der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte der italienische Anatom Marcello Malpighi (1628-1694) zahlreiche Experimente an Fröschen ausgeführt. 45 | Neil Shubin, Der Fisch in uns. Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers. Frankfurt (S. Fischer) 2008, S. 7. 46 | Paul Münch, Die Differenz zwischen Mensch und Tier. Ein Grundlagenproblem frühneuzeitlicher Anthropologie und Zoologie, in: Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, hg.v. Paul Münch, Paderborn u.a. (Schöningh) 1998, S. 323-347. 47 | Aus dem Tagebuch, in: Aloisius Galvani, Abhandlung über die Kräfte der Electricität bei der Muskelbewegung, hg. v. A.J. Gettingen mit 21 Figuren auf vier Tafeln, Leipzig (Wilhelm Engelmann) 1894, S. 72f. 48 | Aus dem Tagebuch, in: Aloisius Galvani, Abhandlung, S. 4. 49 | Horace Walpole benutzte zu dieser Zeit (in einem Brief von 1754) den Be griff »serendipity«, ausgeführt bei: Robert K. Merton und Elinor Barber: The travels and adventures of serendipity: A study in sociological semantics and the sociology of science, Princeton (Princeton U P) 2004. Die Forschung dieser Übergangszeit, in der die Regeln der Alchemie nicht mehr und die des wissenschaftlichen Zeitalters noch nicht galten, lässt sich mit diesem Begriff charakterisieren. Bezeichnend für diese Phase der Wissenschaftsgeschichte ist, dass Forschung durch mehr oder weniger zufällige Beobachtungen, Probieren, zähes Basteln und undogmatische Erklärungsversuche fortschritt. 50 | Fritz Frauenberger, Vom Frosch zum Dynamo, Köln (Aulis Verlag Deubler) o.J., S. 7.
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51 | Der Zusammenhang von subjektiver Empfindung und Elektrochemie wurde in diesen Jahren durch zahlreiche Selbstversuche erprobt. Zu den Beispielen gehört ein »sehr curiöses Experiment«, das Galvani 1751 machte. Er legte zwei Stücke Metall, eines Blei, eines Silber, auf die Zunge und registrierte einen Geschmack, der dem Eisenvitriol ähnlich war, sobald man sie einander annäherte. Auch Johann Georg Sulzer berichtete über einen Versuch mit verschiedenen Metallen auf der Zunge: Johann Georg Sulzer, Nouvelle théorie des plaisirs. Avec des réflexions sur l’origine du plaisir par Mr. Kaestner, Berlin 176. Ähnliche Experimente, vor allem mit der Zunge und den Augen, etwa Lichtreflexe durch Druck auf den Augapfel oder durch eine Verbindung von Auge und Zunge durch einen Draht, waren für die Anfangsphase der physiologischen Forschung symptomatisch; vgl. Dibner, Galvani-Volta, 1952, S. 8ff; auch Naum Kipnis, Luigi Galvani and the debate on animal electricity, in: Annals of Science 44, 1987, S. 107-142. 52 | Im Jahr 1791 erschien in der Zeitschrift des Anatomischen Instituts zu Bologna Galvanis Abhandlung »De viribus electricitatis in motu musculari Commentarius« und als: Aloysi Galvani, De viribus electicitatis commentarius cum Joannis Aldine dissertatio et notis, (Mutinae) 1792 (mit drei Falttafeln); dt.: Aloysi Galvani, Abhandlung über die Kräfte der thierischen Elektrizität auf die Bewegung der Muskeln nebst einigen Schriften der H.H. Balli, Carmianniti und Volta über diesen Gegenstand, übersetzt und hg.v. Johann Mayer, Prag (J.B. Calve) 1793 (mit vier Kupfertafeln). Galvani war als Anatom mit Fröschen vertraut. Zu den frühen wissenschaftlichen Arbeiten über den Frosch gehören seine Arbeiten »Über die Muskelbewegung des Frosches« und »Über die Wirkung von Opiaten auf die Nerven des Frosches« (1773). 53 | Johann Mayer, der Herausgeber der deutschen Ausgabe, macht in seiner Zusammenfassung die Bedeutung der subjektiven Empfindung besonders deutlich: »Dasjenige, was die in das Wasser getauchte Zunge empfindet, ist also nicht der eigene Geschmack des Metalls, sondern der eigene Geschmack jener Materie, die durch das Metall und dem Wasser umläuft nemlich das Elektrische.« (XXI) 54 | Zitiert nach Fritz Frauenberger, Vom Frosch zum Dynamo, S. 28. 55 | Frauenberger, Vom Frosch zum Dynamo, S. 22. 56 | Aus dem Tagebuch, in: Aloisius Galvani, Abhandlung (Anm. 47), S. 23f. 57 | Gerhard Neuweiler, Was unterscheidet Menschen von Primaten?, S. 26. 58 | »Ein F5-Neuron, das aktiv ist, wenn der Affe mit der Hand ein Objekt ergreift, feuert auf genau dieselbe Weise, wenn es ›zusieht‹, oder auch ›zuhört‹, wie ein anderer Affe genau dasselbe macht oder der Experimentator das Greifen mit der Hand vorführt. Es bleibt jedoch stumm, wenn der Versuchsleiter das Objekt nicht mit der Hand, sondern mit einer Pinzette greift.« Gerhard Neuweiler, Was unterscheidet Menschen von Primaten?, S. 26.
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59 | Sigmund Freud, Totem und Tabu, Studienausgabe Bd. IX, Frankfurt (Fischer) 1979, S. 319. 60 | Richard Sennett, Der Tastsinn, in: Der Sinn der Sinne, hg.v. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Göttingen (Steidl Verlag) 1988, S. 486. 61 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone; für eine Erweiterung auf Kultur- und Literaturtheorie: Fritz Breithaupt, Kulturen der Empathie, Frankfurt (Suhrkamp) 2008. 62 | Noch im späten 18. Jahrhundert finden sich phantastische Froschbilder. So zeigt zum Beispiel Buc’hoz prächtig illustriertes Werk über Tiere, Pflanzen und Mineralien einen Frosch mit riesigen Beinen, vermutlich Rana pipa, dessen Rücken einem Schiffsdeck ähnelt, damit es zahlreiche rote Eier und sieben kleine Frösche tragen kann. Das Ideal einer realistischen Wiedergabe lag dem Kupferstecher fern. Er lässt sich von der Idee der Fruchtbarkeit und des Gewimmels leiten und nimmt auf Anatomie und Beobachtung keine Rücksicht. Pierre Joseph Pierre Buc’hoz: De Planches Enluminées et non enluminées Representant au Naturel Ce qui se trouve de plus Intéressant et de plus Curieux parmi Les Animaux Les Vegetaux et les Mineraux, pour servir d’intelligence à l’Histoire Générale des trois Règnes de la Nature/Par Mr. Buc’hoz, Paris (Lacombe Libraire) 1778, Bd. 2, Planche II. 63 | Alexander von Humboldt, Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, S. 301f. 64 | Humboldt, Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, S. 291. 65 | Humboldt, Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, S. 15. 66 | Humboldt, Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser, S. 171. 67 | Humboldt, S. 16. Bezieht sich auf Friedrich Hufeland. Dessen kurz zuvor erschienene Makrobiotik (1797) behandelt das Problem der Vitalität und versteht den 24-Stundentag als Zeitzyklus des menschlichen Organismus. »Vitale Action« bezieht sich auf seinen Begriff Lebenskraft, den er im Rückgriff auf die »vis vitalis« der philosophisch-medizinischen Tradition entwickelt. Hufelands anti-systematische Schriften waren auf seine eigenen praktischen Arbeiten als Mediziner gestützt und von Humboldt geschätzt. 68 | Alexander von Humboldt, Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser (Anm. 66), S. 1. Spalanzani (richtig Spallanzani, 1729-1799) bezieht sich auf den italienischen Naturtheoretiker, der die für das Verständnis vom Frosch wichtige Vorstellung von der spontanen Entstehung des Lebens aus Wasser widerlegte. Lazzaro Spallanzani, Expériences sur la circulation observée dans l’universalité du systeme vasculaire. Traduit de l’Italien per J.Tourdes, Paris (Maradan) 1800; mit einer Kupfertafel. 69 | Illustrirtes Konversations-Lexikon. Vergleichendes Nachschlagebuch für
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den täglichen Gebrauch. Hausschatz für das deutsche Volk und »Orbis pictus« für die studirende Jugend. Leipzig und Berlin (Otto Spamer) 1875, 4. Band: Artikel Frosch und Galvanismus. 70 | Die Literatur ist unübersichtlich und gehört in heterogene Felder wie Philosophie und medizinische Praxis. Humboldt kannte die exemplarische Abhandlung von Charles Hervier, Lettre sur la découverte du magnétisme animal, à M. Court de Gébelin, Peking und Bordeaux (Pallandre) 1784. Hervier war ein begeisterter Vertreter der Theorie des tierischen Magnetismus, da er nach eigener Angabe durch die Anwendung vom Mesmers Methode geheilt worden sei, ebenso wie Court de Gébelin, an den er seinen Brief richtet. Vgl. auch Christoph Friedrich Hellwag, Erfahrungen über die Heilkräfte des Galvanismus, und Betrachtungen über desselben chemische und physiologische Wirkungen. Nebst Beobachtungen bey der medicinischen Anwendung der Voltaischen Säule von Maximilian Jacobi, Hamburg 1802, mit einer gefalteten Kupfertafel. Auch Hellwag (17541835), Leibarzt des Prinzen von Holstein und seit 1800 Landphysikus für das Fürstentum Lübeck war von praktischen Motiven geleitet und schreibt über den Mesmerismus. Als ein Vorläufer dieses Denkens wäre der Arzt Carl Wigand Maximilian Jacobi (1775-1858) zu nennen. 71 | August Johann Rösel von Rosenhof, Historia naturalis Ranarum nostratium in qua omnes earum proprietates, praesertim quae ad generationem ipsarum pertinent, fusius enarrantur, S. 80. – Prächtige Doppelabbildungen, als Graphik und koloriert, zeigt wenig später: Pierre Joseph Buc’hoz, De Planches Enluminées et non enluminées. (Anm. 62). 72 | August Johann Rösel von Rosenhof, wie Anm. 74. Er schreibt über seine regelmäßigen Sektionen von Fröschen » […] die äußere, welche allezeit, wenn der Frosch, den ich lebendig öffne, mit seinen vier Füßen, vermittels der vier Zwecke auf einem dazu bereiteten Bret vest gemacht worden, am ersten von mir entzey geschnitten und mit Nadeln an den Seiten befestigt wird. Die Öffnung dieser Haut fange ich aber entweder bey dem Brustbein, oder unten am Schambein an. Nachgehends öffne ich auch die unter der Haut liegenden Musceln, welche ich sodann ebenfalls um mehrerer Bequemlichkeit willen, mit ein Paar Nadeln an den Seiten vest mache. Wenn aber dieses geschehen, so liegen die innerlichen Theile des Frosches jedem vor Augen.« (S. 64) Vgl. Tierschau. Wie unser Bild vom Tier entstand, Köln (Wallraf-Richartz-Museum) 2007, S. 35. 73 | Rösel von Rosenhof, Historia naturalis Ranarum nostratium in qua omnes earum proprietates, praesertim quae ad generationem ipsarum pertinent, fusius enarrantur, S. VIf. 74 | Buch’oz, Planches Enluminées et non Enluminées (Anm. 62) bedient sich der
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Doppelabbildungen wohl aus diesem Grund. Lorraine Daston und Peter Galison, Objectivity, New York (Zone Books) 2007. 75 | Wissenschaftliche Verfahren, fassen Haessler und Mersch eine verbreitete Position zusammen, seien »im hohen Masse auf sinnliche Wahrnehmung angewiesen«. Martina Hessler und Dieter Mersch, Einleitung: Bildlogik oder Was heisst visuelles Denken?, in: dies. (Hg.), Logik des Bildlichen. Zur Kritik der ikonischen Vernunft, Bielefeld (transcript) 2009, S. 10. Seit dem späten 18. Jahrhundert haben sich die Wissenschaften aber von der sinnlichen Wahrnehmung zunehmend verabschiedet. 76 | Karl Asmund Rudolph d.i. Obersavtiones anatomicae circa fabricam ranae pipae quas consensus gratiosi medicorum ordinis praeside Carolo Asmund Rudolphi, Berlin 1811. Dieser Dissertation sind zwei Tafeln beigegeben. Der sezierende Anatom ist Friedrich Wilhelm Breyer. 77 | Philip Fermin, Abhandlung von der Surinamischen Kröte oder Pipa, übersetzt und vermehrt von Johann August Göze, 1776. 78 | Nathanael Gotfried Leske, Anfangsgründe der Naturgeschichte, S. 304. 79 | Karl Asmund Rudolph d.i. Obersavtiones anatomicae (Anm 76). 80 | Zu dem komplexen Feld gibt es erstaunlich wenig Literatur. Genannt seien: Andreas-Hoger Maehle, Kritik und Verteidigung des Tierversuchs; Paul Münch und Rainer Walz (Hg.), Tiere und Menschen; und Justin Stagl und Wolfgang Reinhard (Hg.), Grenzen des Menschseins. 81 | Haller, in: Commentarii Societatis Regiae Scientiaruim Gottingensis, Bd. II, Göttingen (Vidaum Abrami Vandenhoeckii) 1753, S. 114-159. 82 | Johann Heinrich Zedler (Hg.), Universal-Lexicon, Halle, Leipzig 1732; Artikel Thier, 1371. 83 | Friedrich Gabriel Sulzer, Versuch einer Naturgeschichte des Hamsters, Göttingen und Gotha (Johann Christian Dieterich) 1774; kommentierte und erweiterte Neuausgabe hg. v. Hans Petzsch, Hannover und Berlin-Zehlendorf (Naturkunde) 1949. 84 | Friedrich Gabriel Sulzer, Versuch einer Naturgeschichte des Hamsters, S. 111. 85 | Friedrich Gabriel Sulzer, Versuch einer Naturgeschichte des Hamsters, S. 75. Bemerkenswert in Hinsicht der anthropomorphen Bildlichkeit ist die Tafel 2: »Ein Hamster in aufrechter Stellung mit natürlichen Farben ausgemalt.« (Ausgabe von 1774) §4, S. 26. 86 | Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 212. Ins Detail verfolgt Silvia Bovenschen diesen Gegensatz in ihrer Studie: Überempfindlichkeit. Spielformen der Idiosynkrasie, Frankfurt (Suhrkamp) 2000. 87 | Sobald eine Kulturgeschichte die Frage nach den Bedingungen des Entste-
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hens von Froschbildern stellt, berührt sie die Metaphysik der Subjektivität. Über die Verbindung von Eigenbild und Naturerkenntnis seit dem Beginn der Neuzeit: Hans Blumenberg, Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt (Suhrkamp) 1975. Vgl. Auch : ders., Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt (Suhrkamp) 1991. 88 | Richard Sennett, Der Tastsinn, S. 488. 89 | Schelling, Einleitung in den Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, in: Schellings Werke, nach der Originalausgabe hg.v. Manfred Schröter, München 1979ff, Bd. II, S. 276. Schelling war selbst von Experimenten fasziniert und nahm an medizinischen Kursen mit Sektionen teil. 90 | Oscar Langendorff, Untersuchungen am überlebenden Säugetierherzen, in: Pflügers Archiv für die gesammte Physiologie des Menschen und der Thiere, Mai 1908. 91 | Erich von Host, Der Physiologe und sein Versuchstier, in: Mensch und Tier. Ausdrucksformen des Lebendigen, hg.v. Heinz Friedrich, Frankfurt 1968, S. 93. 92 | Julien Offray de La Mettrie, L’homme machine (1748), dt. Stuttgart (Reclam). Vgl. für das Problem der Seele auch die frühere, vom Parlament verbotene und verbrannte Publikation: La Mettrie, Histoire naturelle de l’âme. Den Hague (Jean Neaulme) 1754. Für eine fragwürdige, aktualisierende Neubewertung des vernachlässigten Philosophen vgl. Ursula Pia Jauch, Jenseits der Maschine. Philosophie, Ironie und Ästhetik bei Julien Offray de La Mettrie (1751), München (Carl Hanser) 1998. Es ist erstaunlich zu beobachten, wie Theorien von lebenden Organismen als Maschinen wieder eine Verwandtschaft einführten. Als die Väter der Idee, lebende Organismen als Maschinen zu verstehen, gelten die heftigsten Gegner des magischen Denkens, französische Philosophen des frühen 17. Jahrhunderts wie Gassendi, Mersenne und vor allen anderen Descartes. Es war konsequent, dass Cartesianer das Leben dem Bild vom Menschen als Maschine unterstellten. La Mettries L’homme machine gab diesem Geist der Zeit den radikalsten Ausdruck. Es ist ein kleines Detail, dass er in seinem Modell vom Menschen auf den Frosch verweist. 93 | Für erste Hinweise auf die Platzverteilungen in frühen Labors und Apotheken s. Sabine Kifka, Das Labor – Ort des Experiments, in: Hans Holländer (Hg.), Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Berlin (Gebr. Mann) 2000, S. 755-771. 94 | Giacomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone. 95 | Universallexikon, hg.v. H.A. Pierer, Altenburg 1835. Die erste Froschmaschine habe 1745 Lieberkühn in einer Abhandlung der Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorgestellt. 96 | Ingo Schwarz und Klaus Wenig (Hg.), Briefwechsel zwischen Alexander von
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Humboldt und Emil Du Bois-Reymond, Berlin (Akademie) 1997; die Froschpistole s. S. 46. 97 | Oscar Langendorff, Studien über Rhythmik und Automatie des Froschherzens, Leipzig (Veit) 1884, S. 2. 98 | Oscar Langendorff, Studien über Rhythmik, S. 4f. 99 | Hans-Jörg Rheinberger, Experimentalsystem und epistemische Dinge, Frankfurt (Suhrkamp) 2006, S. 7. 100 | Das Verhältnis von epistemischem Ding und Wissenschaftsbild wäre am Beispiel Frosch genauer zu bedenken. Die Kenntnisse über die physiologischen Grundlagen der Erregbarkeit wurden solider. Neurologie, Hirnforschung und verwandte Disziplinen haben das Programm mit Versuchen an anderen Tieren weitergeführt und in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts intensiviert. Aber die einfache Frage, was im Gehirn und Nervensystem geschieht, wenn eine Schallwelle das Ohr oder eine kürzere Welle das Auge trifft und ein Frosch eine Mücke sieht und was er als Mücke sieht, ist noch immer ungeklärt. 101 | Rheinberger, Experimentalsystem und epistemische Dinge, S. 9. 102 | Friedich Hermanni und Peter Koslowski, Einleitung, in: Friedich Hermanni und Peter Koslowski, (Hg.), Die Wirklichkeit des Bösen, S. 9. 103 | Carl Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen, Bd. 1, Heidelberg (C.F. Wintersche Verlagsbuchhandlung) 1852, S. 101. 104 | Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen, S. 101. 105 | Michael Polanyi, Implizites Wissen, Frankfurt 1985, vgl. auch Rheinberger, Augenmerk, in: Hans-Jörg Rheinberger, Iterationen, Berlin 2005, S. 61f. 106 | John Berger, Why look at Animals?, o.O. Penguin 2009. 107 | John Berger, Why look at Animals?, S. 155. 108 | Der Ausdruck lässt sich bis ins Jahr 1631 zurückverfolgen, als Friedrich von Spee ihn in seiner »Cautio Criminalis« benutzte (Neuauflage München (dtv) 1982). – In Systemen aus Gewalt und Terror, argumentiert de Maistre, ist es der Folterknecht und letztlich der Henker, der die Entscheidung über wahr und falsch, Leben oder Tod fällt. Im modernen Labor ist es der Experimentator. 109 | Vgl. Lambert Wiesing, Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes, Frankfurt (Suhrkamp) 2005. 110 | Es mag wert sein zu betonen, dass das Ziel dieser Folter sich von den immer wieder zitierten Beispielen in Foucault, Überwachen und Strafen. Geburt des Gefängnisses, Frankfurt (Suhrkamp) 1994, unterscheidet. 111 | Beispiele bildet der Katalog einer gelungenen Ausstellung in Speyer ab: Andrea Rudolp (Hg.), Hexe. Mythos und Wirklichkeit, München (Minerva Hermann Farnung) 2009. Die Texte sind um eine Entdramatisierung des Hexenglaubens bemüht, entlasten das Mittelalter und betonen die Bedeutung später Quellen
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und »unkritische Pseudo-Informationen« (S. 192) für die in der Gegenwart verbreitete Begeisterung für das Thema und das populäre Hexenbild; vgl. vor allem Rita Voltmer, Mythen, Phantasien und Paradigmen – Zu Deutungen der Hexenverfolgungen, S. 189-199; weiterführende Literaturangaben. 112 | Carolyn Merchant: The death of nature. Women, ecology, and the scientific revolution. Dt. Übersetzung: Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. München (Beck) 1987, S. 178; die Grundlinien der Debatte sind zusammengefasst in »Isis«, History of Science Journal Autumn 2006. Vgl. auch Pierre Hadot, An essay on the history of the idea of nature, Cambridge (Harvard University Press) 2006. 113 | Ein Ideal der Inquisition war es, die Instrumente nicht anwenden zu müssen, sondern sie lediglich zu zeigen, um die Delinquenten zum Sprechen zu bringen. Wir wissen jedoch, dass die Kirche keine Hemmung hatte, die Instrumente anzuwenden. Hemmung hätte Zweifel bedeutet, und Zweifel war mit dem christlichen Dogma unvereinbar. 114 | Sybille Krämer, Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle?, in: Sybille Krämer u.a. (Hg.), Spur, Frankfurt (Suhrkamp) 2007, S. 16. 115 | Emil Du Bois-Reymond, Emil, Untersuchungen über thierische Elektricität. 2 Bde., Berlin (Reimer) 1848/49; Fig. 24: Stromführende Klemmen an den Frosch anzulegen, S. 456f. 116 | Pierangelo Schiera, Laboratorium der bürgerlichen Welt, S 12. 117 | Das »Computer-Enhanced Science Education« Programm von William Johnston und Craig Logan von der »Imaging and Distributed Computing Group Information and Computing Sciences Division« am Lawrence Berkeley Laboratory, Berkeley, unter dem Titel »The Whole Frog Project« stellt sich auf folgende Weise vor: »Computers can’t teach everything in anatomy, but they can teach some things better, either by themselves or through synergy with conventional methods. Try out this award-winning virtual frog as a case in point […]. The DSD ›Whole Frog‹ project is intended to introduce the concepts of modern, computer based 3D visualization, and at the same time to demonstrate the power of whole body, 3D imaging of anatomy as a curriculum tool. The goal of the ›Whole Frog Project‹ is to provide high school biology classes the ability to explore the anatomy of a frog by using data from high resolution MRI imaging and from mechanical sectioning, together with 3D surface and volume rendering software to visualize the anatomical structures of the intact animal. Ultimately we intend to be able to enter the heart and fly down blood vessels, poking our head out at any point to see the structure of the surrounding anatomy.« »LBL. Whole Frog« Project Summary. 118 | Vgl. u.a. K.R. Fleischmann, Frog and cyberfrog are friends: dissection
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simulation and animal advocacy, in: Society and Animals 2003, Vol. 11, Nr. 2, S. 1-5. Aber trotz der Einführung des virtuellen Frosches, mit dem Studenten auf dem Bildschirm experimentieren können, gehört der lebende Frosch noch immer zu den Experimentiertieren, an denen zoologische und medizinische Grundkenntnisse gewonnen werden. Aus Gesprächen, die ich mit Medizinstudenten geführt habe, ging hervor, dass viele sich vor den Sitzungen mit Froschsektionen drücken. 119 | Bericht der BBC am 4. Oktober 2007. 120 | Masayuki Sumida: »Transparent frogs will prove useful as laboratory animals because they make it easier and cheaper to observe the development and progress of cancer, the growth and aging of internal organs, and the effects of chemicals on organs.« Die Ergebnisse des Projekts wurden auf dem Treffen der Zoologischen Gesellschaft Japans am 22.9.2007 vorgestellt. http://pinktentacle.com/2007/09/hiroshima-scientists-create-transparent-frogs/. Der Teamleiter, Professor Masayuki Sumida vom Institut für amphibische Biologie der Universität von Hiroshima, stellte seine Forschung auf dem Jahrestreffen der Japanischen Zoologischen Gesellschaft am 22. September 2007 vor. 121 | Die Chemiker Osamu Schimomura, Martin Chalfie und Roger Tsien erhielten 2008 den Nobelpreis für ihre Entdeckung des GFP. 122 | Eine Fußnote in der Kulturgeschichte der Frösche ist die Reise von 35 Kaulquappen ins Weltall. Die Kaulquappen des Krallenfroschs schickte die Universität Ulm in den Weltraum, um an ihnen Störungen des Gleichgewichtssinns durch die Schwerelosigkeit zu untersuchen. Nach zwölf Tagen im All kehrten die Froschkinder an Bord der Sojus TMA12 in der Steppe von Kasachstan sicher auf die Erde zurück, wo sie nach den geplanten Tests vermutlich fachgerecht entsorgt wurden. FAZ, 1.11.2008. 123 | Wolfgang Friedrich, Friedrich Gutmann und Karl Edlinger, Organismus und Evolution: Naturphilosophische Grundlagen des Prozessverständnisses, in: Günther Bien und Thomas Gil (Hg.), »Natur« im Umbruch. Zur Diskussion des Naturbegriffs in Philosophie, Naturwissenschaft und Kunsttheorie, Stuttgart (frommannholzbog) 1994, S. 109. 124 | Ebda., S. 109f. 125 | W.J.T. Mitchell, Bildwissenschaft, in: Bernd Hüppauf und Peter Weingart (Hg.), Frosch und Frankenstein. Bilder als Medien der Popularisierung, Bielefeld (transcript) 2009, S. 91-106.
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6 D ER Ö KOFROSCH 1 | Catharine MacKinnon stellt den Zusammenhang zwischen Frau und Tier in der Werbung her und protestiert gegen die Ausbeutung, die gemeinsame Züge aufweise. Catharine MacKinnon, Of mice and men, S. 263-276. 2 | Kevin Zippel, in der National-Zeitung Nr. 43/07, 19. Oktober 2007. Zippel war der Programmbeauftragte der Amphibien-Arche. – Man schätzt, um nur ein Bespiel zu nennen, dass bis ins späte 20. Jahrhundert in China etwa 72 Millionen Frösche jährlich für die Herstellung eines medizinischen Öls gesammelt wurden. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die jährliche Ausbeute auf unter 3 Millionen verringert. 3 | Organisiert von einer gemeinsamen Initiative von Weltnaturschutzorganisation (IUCN), Weltzooverband (WAZA) und Amphibien-Arche (AArk), ein internationaler Zusammenschluss aus Zoos, Aquarien und Naturkundemuseen. Von einigen Amphibienarten leben nur noch wenige Hunderte Einzeltiere in Zoos. In Deutschland stehen alle auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere. Akut gefährdet sind der Teichfrosch, die Erdkröte und die Kreuzkröte. 4 | Mit dem Datum 5. Mai 2009 berichtet Spiegel online, dass Forscher in Madagaskar in den letzten 15 Jahren mehr als 130 neue Froscharten gefunden haben (laut Proceedings of the National Academy of Sciences). Die Forscher befürchten, dass viele der gerade entdeckten Froscharten aussterben könnten, bevor sie einen wissenschaftlichen Namen bekommen haben. Auch Wissenschaftler haben Sorgen. 5 | »Children in a nursery were shocked when they spotted a three-headed frog hopping in their garden. The creature – which has six legs – has stunned a BBC wildlife expert who said it could be an early warning of environmental problems. Laura Pepper, from the Green Umbrella nursery in Weston-super-Mare, said: ›We thought it was three frogs huddled together at first. It is very strange. The children couldn’t believe it.‹ Mike Dilger, from the BBC Natural History Unit, said: ›I have never seen anything like this. Frogs are primitive animals – so the occasional extra toe is not that unusual. But this is very unusual.‹ All the creature’s eyes and legs appear to function normally, but it is not known whether it eats using all three of its mouths. The amphibian was kept in a container for several hours but hopped away later while nursery staff were showing it to curious parents. 6 | John Stuart Mill, Utilitarismus, dt. von Dieter Birnbacher, Stuttgart (Reclam) 1976, S. 68ff. 7 | Mit Bezug auf Jeremy Bentham nimmt Derrida den Gedanken des 19. Jahrhunderts auf, der Anspruch des Menschen, sich vom Tier grundlegend zu unterscheiden, sei nicht nur auf menschliche Tätigkeiten wie Sprache oder logisches
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Denken, sondern auch auf die dem Tier zugeschriebene Unfähigkeit zu leiden. Vgl. u.a. Jacques Derrida, Mensch und Tier. Eine paradoxe Beziehung, hg.v. der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden 2003, S. 191-208. 8 | Jean La Fontaine: Der Mensch und die Natter, in: Jean La Fontaine, Die Fabeln, S. 267-269. 9 | Vgl. Dieter Birnbacher, Sind wir für die Natur verantwortlich?, in: Dieter Birnbacher (Hg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart (Reclam) 1980, S. 103f. 10 | Gernot Böhme, Ethik leiblicher Existenz. Über unseren moralischen Umgang mit der eigenen Natur. Frankfurt (Suhrkamp) 2008, S. 12. Zum Problem der Entwicklung einer Umweltethik vgl. Gernot Böhmes frühere Publikation: Die Natur vor uns. Naturphilosophie in pragmatischer Hinsicht, Kusterdingen 2002. Die Frage nach einem moralischen Status von Tieren untersucht Bernd Gräfrath, Zwischen Sachen und Personen. Über die Entdeckung des Tieres in der Moralphilosophie der Gegenwart, in: Paul Münch (Hg.), Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualität eines prekären Verhältnisses, Paderborn u.a. (Ferdinand Schöningh) 1998, S. 383-406. 11 | Eine knappe Dokumentation der klassischen Positionen liefert: Dieter Birnbacher (Hg.), Ökologie und Ethik. 12 | Der wohl am weitesten entwickelte Versuch ist: Frans de Waal, Philosophen und Primaten. Wie die Evolution die Moral hervorbrachte, München (Carl Hanser) 2008. Exemplarisch ist der gewagte Titel: Jessica Ullrich, Friedrich Weltzien, Heike Fuhlbrügge (Hg.), Ich, das Tier. Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte, Berlin (Reimer) 2008. 13 | Frans de Waal, Der Affe und der Sushimeister. Das kulturelle Leben der Tiere, München (dtv) 2005, zuerst The ape and the sushi master, New York 2001. 14 | Eritis sicut homo ließe sich der Satz der listigen Schlange abwandeln. – Der mittelalterliche Tierprozess beruhte auf der Zuschreibung von Subjektivität. Das Tier wurde zum Rechtssubjekt erklärt und die Prozessordnung angewandt. Im Umkehrschluss wäre der Gedanke möglich gewesen, das Töten eines Tiers als Mord zu klassifizieren. Er wurde nicht angewandt. Aber er weist auf unsere eigene Gegenwart voraus. In den animal rights Debatten geht es im Unterschied zum Mittelalter nicht um Strafen, vielmehr leiten einige Tierschützer das Recht des Tiers auf einen Vertrag mit dem Menschen ab. 15 | Das Problem, die Befreiung der Tiere von der Herrschaft menschlicher Interessen empirisch zu begründen, hat zu dem Versuch geführt, sie in der HegelMarx-Tradition mit einem Kampf für eine gerechte Gesellschaft zu verknüpfen. Die Emanzipation unterdrückter gesellschaftlicher Gruppen bildet dann das Modell für die Befreiung des Tiers. Das politische Gleichheitsideal wird auf Tiere ausgedehnt. In der englischsprachigen Welt ist seit Carolyn Merchants Buch
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mit dem Untertitel »Ökologie, Frauen und neuzeitliche Wissenschaft« (1980, dt. 1987) der Gedanke populär, zwischen Feminismus und Umweltbewegung bestehe eine enge, geradezu natürliche Verbindung. Eine binär konstruierte Repressionsgeschichte muss das komplizierte Verhältnis vom Frosch zum Femininen in der Kulturgeschichte ausklammern. 16 | Dieter Birnbacher, Sind wir für die Natur verantwortlich?, in: Dieter Birnbacher (Hg.), Ökologie und Ethik, hier S. 114. Birnbacher entfaltet das Problem kenntnisreich, endet aber mit einer wenig überzeugenden Antwort: Er erklärt Natur zu einer ästhetischen Ressource, die mit einem Marktpreis zu versehen sei. Sein Wort »Schattenpreis« macht deutlich, dass es sich um einen Preis in virtuellen Welten handelt, der sich auf keinem wirklichen Markt durchzusetzen vermöchte. Wenn wir Frosch und Kröte als Testfall nehmen: Sie gehören weder zum Schönen der Natur, noch tragen sie zum Verständnis der Natur als »etwas um ihrer selbst willen Existierendes« bei. Sobald der »Schutz der Natur als eine technische Aufgabe, nicht weniger als die Zähmung der Natur« (S. 134) verstanden wird, hat diese Natur keine Chance zu überleben. Für die Kritik an der Bioethik noch immer lesenswert ist Reinhard Löw, Ethik und Naturwissenschaft – philosophische Analyse eines problematischen Verhältnisses, in: Wilhelm Lütterfelds (Hg.), Evolutionäre Ethik zwischen Naturalismus und Idealismus, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1993, S. 65-80. 17 | Frank Fraser-Darling, Die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt, in: Dieter Birnbacher (Hg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart (Reclam) 2001, S. 12. 18 | Frank Fraser-Darling, Die Verantwortung, S. 12. 19 | Frans de Waal, Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind. München (Carl Hanser) 2005; und ders., Philosophen und Primaten. (wie Anm.12); immer noch lesenswert ist Edward O. Wilson, Biologie als Schicksal. Die soziobiologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens, übers.v. Friedrich Griese, Frankfurt, Berlin, Wien 1980, zuerst: On human nature, Cambridge (Mass.) 1978. 20 | Richard D. Alexander, The Biology of Moral Systems, New York 1987, S. 255. Vgl. den informativen Sammelband Wilhelm Lütterfelds (Hg.), Evolutionäre Ethik (Anm. 16). 21 | Timothy Sprigge, Gibt es in der Natur intrinsische Werte?, in: Dieter Birnbacher (Hg.), Ökophilosophie, Stuttgart (Reclam) 1998, S. 60-76. 22 | Bill Devall, Timothy Sprigge u.a. sprechen von »Tiefenökologie« – das Wort deep ecology hat Arne Naess in den 70er Jahren geprägt: Jahrbuch Ökologie, München 1977, S. 130-137; Michael Tobias (Hg.), Deep Ecology. An anthology, San Diego (Avant Books) 1985; Bill Devall, Simple Means, rich ends, Practicing deep ecology, Salt Lake City 1988; Franz-Theo Gottwald und Andrea Klepsch (Hg.), Tiefenökologie. Wie wir in Zukunft leben wollen, München (Eugen Diederichs) 1995.
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23 | Paul W. Taylor, Respect for nature. A theory of environmental ethics, Princeton (PUP) 1986. In diesem Adjektiv verbirgt sich oft die Gefahr einer Naturmystik, der einige Autoren der Tiefenökologie nicht entgehen: »Das Weltbild ist biozentrisch […]. Gestützt wird dieses Weltbild von Forschungsergebnissen der Theorie ökologischer Systeme […], denen gemäss die ganze Erde als ein Lebewesen angesehen werden kann.« Franz-Theo Gottwald, Zur Geschichte der Tiefenökologie, in: Franz-Theo Gottwald und Andrea Klepsch (Hg.), Tiefenökologie, (Anm. 22) S. 21. Ausgangspunkt war die Gaiamythologie von James Lovelock und Lynn Margulis, deren erstaunliche Verbreitung erklärungsbedürftig ist. 24 | Gerhard Neuweiler, Was unterscheidet Menschen von Primaten?, S. 9-37. 25 | Gerhanrd Neuweiler, Was unterscheidet Menschen von Primaten?, S. 37. 26 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, S. 14. 27 | Rosi Braidotti, Zur Transposition des Lebens im Zeitalter des genetischen Biokapitalismus, in: Bios und Zoe. Die menschliche Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit, hg. v. Martin G. Weiss, Frankfurt (Suhrkamp) 2009, S. 113. 28 | Gernot Böhme, Ethik leiblicher Existenz. Über unseren moralischen Umgang mit der eigenen Natur, Frankfurt (Suhrkamp) 2008. 29 | Andreas Brenner, »Leib und Ehr«. Perspektiven in der Ethik, in: Christoph Wulf, Jörg Zierfas (Hg.), Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 17 (2008), Heft 2, S. 92-106, hier S. 97. 30 | Die Weigerung, das Tier als empfindenden Körper anzuerkennen, war der erste Schritt zur Ausbeutung des Körpers nicht als Arbeitskraft, sondern als Objekt anatomischer Zergliederung. Die Konsequenzen halten bis in die Gegenwart an. Ryders Buch über das Tier als Opfer der Wissenschaft schildert sie und folgt einer ähnlichen Motivation wie Rachel Carsons Studie über das große Sterben in der Natur durch Pestizide, Silent Spring (1962). Diese Bücher handeln von sehr unterschiedlichen Themen, aber sie sind durch das Problem der Enteignung des Körpers durch die Wissenschaft verbunden. Dieses Sterben lässt sich nur als elend charakterisieren. In dieses Elend gehören Bilder der Froschexperimente und nun die der deformierten Froschkörper. Sie lassen das Bild des menschlichen Körpers nicht unberührt. 31 | Diese Erwartung lenkt viele Experimente zur tierischen Kognition. Aber auch das Kindchenschema, das den Menschen im Tier sehen lässt, verleitet zu dem Missverständnis. Wenn Levinas das Gesicht als die Grundvoraussetzung für die Anerkennung des Anderen und das Entstehen von Ethik versteht, trifft diese Auswirkung des Gesichts im Verhältnis zum Tier nicht zu. Experimentatoren, die am Frosch ein Gesicht wahrnahmen, zogen daraus nicht den Schluss einer ethischen Verpflichtung.
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32 | U.a. Thomas Henry Huxley, Ethik und Entwicklung, in: T.H.H., Soziale Essays, Weimar (Felber) 1897, S. 259-311. 33 | Auch neue Versuche einer Biologie der Ethik gehen davon aus, dass Normen und Werte biologisch begründet werden können. Ist diese naive Sicht dadurch zu überwinden, dass der Leib an die Stelle der Gene tritt? Kann der Versuch, Ethik auf die Leiberfahrung des Menschen zu beziehen, der Gefahr des naturalistischen Fehlschlusses entgehen? Er unterscheidet sich von der Biologie des Körpers und ist durch die Gemeinsamkeit von Körper und Psyche bestimmt. Dennoch bleibt die Frage bestehen: Können wir, indem wir auf die Stimme des Leibs hören, erfahren, was gut oder wünschenswert ist? Vgl. Moores Kritik an Spencer: George Edward Moore, Principia ethica, hg.v. Burkhard Wisser, Stuttgart (Reclam) 1970; bes.: Naturalistische Ethik, S. 74-100; Richard D. Alexander, Darwinism and human affairs, Seattle, London 1979; und Richard D. Alexander, The biology of moral systems, 1987. 34 | Interview mit dem Direktor des Berliner Ökowerks; vgl. die Zeitschrift und Internet-Serie Amphibian Arch. 35 | Politische Großereignisse wie die Tagung in Kopenhagen von 2009 machen deutlich, dass Staaten und politische Institutionen auf diese Sprache nicht hören, sondern die Debatte auf kurzfristige Interessen und nationale Präferenzen beschränken. Die ergebnislosen Debatten über den Klimawandel mit den Tiefpunkten Kyoto und Kopenhagen sind ein Menetekel. 36 | Ich habe mir häufig davon berichten lassen, wie in Gärten kleine Teiche ausgehoben und mit Plastikfolie gedämmt werden, allein zum Zweck, darin Frösche zu ziehen. 37 | Interview mit Heinz Müller, Berlin, August 2008. Unter den publizierten Erfahrungsberichten vgl. Christina Homburg, Das Abenteuer, Tiere zu schützen, Hamburg (Rasch und Röhring) 1998. 38 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, S. 14. An anderen Wahrnehmungsobjekten (Räume) hat Robert Vischer im 19. Jahrhundert eine philosophische Theorie der Empathie entwickelt, die hiermit nach mehr als hundert Jahren durch die Naturwissenschaft bestätigt wird. 39 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, S. 15. 40 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, S. 185. 41 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, S. 178. 42 | Giaccomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, S. 191.
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43 | In Deutschland publiziert der NABU, Fachgruppe Feldherpetologie, die Zeitschrift Rana, die sich mit populärer Wissenschaft, Fotos und Graphiken an Verbandsmitglieder und eine breite Öffentlichkeit wendet. In solchen sprachlichbildlichen Zusammenhängen entsteht das neue öffentliche Froschbild. 44 | In den letzten Jahren sind einige Studien erschienen, vgl. u.a.: M.J. Tyler, R. Wassersug und B. Smith, How frogs and humans interact: influences beyond habitat destruction, epidemics and global warming, in: Applied Herpetology 4, 2007, S. 1-18. 45 | Neben lokalen Organisationen mit hoch motivierten Mitarbeiter, die oft eigene Publikationen herausbringen, arbeiten die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde, seit 1989 die Herpetologische Arbeitsgemeinschaft (HerpAG) des Hauses der Natur, deren Periodikum Rana nicht nur Frösche behandelt. Bemerkenswert gering war allerdings die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Jahr des Frosches erregt hat. 46 | Unter dem Begriff der »long term communication« werden seit einigen Jahren technische Innovationen für die Kommunikation diskutiert, die den Verlust einer echten Langzeitperspektive erhellen. Wie kurzfristig diese Theorien über Langfristigkeit sind, geht daraus hervor, dass Apparate, deren Technik älter als 10 Jahre ist, als »Dinosaurier« gelten. Probleme der langen Zeiträume werden seit dem 19. Jahrhundert in der Forstwirtschaft und nun generell für Umwelt und Konsum unter dem älteren Begriff der Nachhaltigkeit behandelt. Vgl. Ulrich Grober, Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs, (Kunstmann) 2010. Diese Debatte liefert wenig Anknüpfungspunkte. 47 | Carl Friedrich Gethmann und Jürgen Mittelstrass (Hg.), Langzeitverantwortung. Ethik, Technik, Ökologie, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2008, bes.: Gethmann, Wer ist der Adressat der Langzeitverpflichtung?, S. 1022; und Dieter Sturm, Die Gegenwart der Langzeitverantwortung, S. 40-57; hier: Gethmann, S. 19. 48 | Birnbacher benutzt den Begriff des »Advokatorischen«, der die juristischen Aspekte des Verhältnisses betont, S. 24. 49 | Carl Friedrich Gethmann, S. 17. Ich will betonen, dass Gethmann wie auch die anderen Beiträger zu diesem innovativen Sammelband nur von menschlichen Subjekten sprechen und Tiere nicht einschließen. 50 | Ilya Prigogine und Isabelle Stengers, Dialog mit der Natur, München (Piper) 1993. 51 | Nietzsche, Ecce homo. Warum ich so klug bin. Kritische Studienausgabe, hg.v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 6, München (dtv) 1980, S. 295. 52 | Issa, in: Haiku. Japanische Gedichte, ausgewählt, übersetzt und mit einem Essay hg.v. Dietrich Krusche, München (dtv) 1994, S. 54.
Literatur
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Register
Addison, Joseph 228 Alberus, Erasmus 140 Andersen, Hans Christian 165f., 184, 354 Aristophanes 55, 163f., 168 Aristoteles 16, 211, 252, 266, 305, 354, 373 Arnim, Achim von 90 Äsop 144, 146, 166 Augustinus 65f., 86 Bachmann, Ingeborg 188 Bacon, Francis 45, 282 Baldung Grien, Hans 93 Baudelaire 132, 176, 186 Baumgarten 119, 152 Bayle, Pierre 228 Bechtle, Wolfgang 301, 303 Benjamin, Walter 109 Benn, Gottfried 186 Bentham, Jeremy 280, 300, 302, 304, 383 Berger, John 278, 335 Bernard von Clairvaux 63 Berthold von Regensburg 62, 348 Bewick, Thomas 140, 146ff., 302 Binswanger, Ludwig 168, 366 Birnbacher, Dieter 308, 385, 388
Blumenbach, Johann Friedrich 224, 246, 247 Böhme, Gernot 316f. Böhme, Gottfried 343 Böhme, Hartmut 347 Bonnaterre, Abbé 231, 233 Bosch, Hieronymus 77f. Bose, George Mathias 208-212, 229, 237, 246, 251, 254, 264, 266, 373 Bovenschen, Silvia 117, 378 Boyle, Robert 203, 209, 211f., 371 Braidotti, Rosi 316 Breman-Rooke, Cynthia 337 Brenner, Andreas 386 Breuil, Henri 37 Brown, James Wood 83 Brown, Thomas 228 Buc‘hoz Pierre, Joseph 246, 376, 377 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 157 Bunuel, 151 Burkert, Walter 331 Busch, Wilhelm 164, 166-171, 169, 286 Butler, Samuel 228
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V OM F ROSCH
Cabanac, Michael 204 Canguilhem, Georges 104 Caravaggio 128, 360 Chagall, Marc 176 Chalfie, Martin 288, 382 Coetzee, John Maxwell 27, 29, 197, 229, 369 Cronenberg, David 159 Cyon, Elias 258 Czermak, Johann Nepomuk 143 Dali, Salvador 151 Damasio, Antonio 21, 204 Darwin, Charles 156, 202, 205, 372 de Maistre 176, 380 Descartes, René 49, 201, 203, 206f., 226, 251, 305, 359, 379 Doré, Gustave 172 Doering-Manteuffel, Sabine 351, 359 Droste-Hülshoff, Anette von 168 Du Bois-Reymnond, Emil 158, 242, 254, 266, 283f. Dürer, Albrecht 93f., 98 Edelman, Gerald 04 Erasmus von Rotterdam Ernst, Max 151
106
Fabrici, Girolamo 206 Falkner, Gerhard 29 Fermin, Philip 246, 378 Fielding, Henry 228 Foucault, Michel 41, 137, 182, 224, 345, 368, 369f. Fraser-Darling, Frank 308f. Freud, Sigmund 62, 69, 156, 158, 174, 179, 186, 239, 280, 331
Galvani, Luigi/Aloysius 234-243, 251, 261 (Galvanometer), 264, 271, 282, 375, 377 Geim, Andre K. 293 Gesner, Conrad 47, 48, 80, 91, 97, 105, 107, 124, 210, 354, 355, 359 Girard, René 331 Gleditsch, Johann Gottlieb 127, 216-230, 221, 239, 246, 251, 254, 266, 336 Goethe, Johann Wolfgang von 49, 64, 119, 123, 149, 154, 154-159, 213, 249, 272, 362, 363, 365 Gombrich, Ernst 52 Gottsched, Johann Christoph 116, 356, 372 Grandville 153, 172, 173 Grass, Günter 187, 191f., 369 Papst Gregor IX 69, 104, 110 Griffin, Donald R. 28, 204, 306 Brüder Grimm 13, 90, 161, 162f., 172, 365 Grimm, Jacob 162, 360 Grimm, Jürgen 143 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von 107ff. Grünbein, Durs 329 Gulder, Alois 40, 354, 360 Haller, Albrecht von 242, 248, 259, 352 Harvey, William 205f., 210, 371 Heartfield, John 80, 92 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 76, 167, 384 Heidegger, Martin 16, 30, 277, 341 Heine, Heinrich 81, 82
R EGISTER
Heinrich II. 71 Hildegard von Bingen 61 Hitler 116 Hobbes, Thomas 147, 211f., 371 Hoffmann, E.T. A. 151, 197 Holbein, Hans 93 Homburg, Christina 387 Homer 124, 149, 362, 364 Horaz 142, 144 Huet, Marie-Hélène 354 Hufeland, Friedrich 241, 266, 376 Hugo von St. Victor 61 Hugo von Trimberg 347, 372 Hugo, Victor 90, 124 Humboldt, Alexander von 158f., 231, 240-243, 242, 251, 253, 266, 270, 272, 376, 377, 380 Hüppauf, Bernd 346, 367 Huxley, Thomas Henry 317 Huygens, Christiaan 211 Isidor von Sevilla
120, 360
Papst Johannes XXII. John Dastin 77 Jünger, Ernst 151
70
Kafka, Franz 18, 150f., 155, 180 Kant, Immanuel 76, 119f., 148f., 152, 305, 309, 330, 358 Kantorowicz, Ernst H. 49 Karl von Hessen 127 Kaschnitz, Marie Luise 187- 191, 189 Kippenberger, Martin 134, 361 Klee, Paul 176 Kleist, Heinrich von 334 Koch, Robert 260
Kohl, Karl-Heinz 347 Kolmar, Gertrud 183-189, 185, 187, 197, 318, 320, 328, 368 Kolnai, Aurel 120, 171, 222, 328, 358, 359, 363 Konrad von Megenberg 47 Konrad von Würzburg 74 Krünitz, Johann Georg 87, 89, 95, 96, 126, 223, 359 La Fontaine, Jean 140-144, 143, 166, 173, 181 La Mettrie, Julien Offray de 251f., 379 Langendorff, Oscar 262, 271, 273 Latour, Bruno 46, 371 Lavater, Johann Caspar 152ff., 153, 157, 359, 364 Leggewie, Claus 347 Leibniz, Gottfried Wilhelm 65 Leroi-Gourhan, André 37 Leske, Gottfried Nathanael 246 Lessing, Gotthold Ephraim 140, 144, 360, 363, 372 Lessing, Otto 185 Lessing, Theodor 79, 366 Libavius, Andreas 91f. Lichtenberg, Georg Christoph 124, 359 Linné, Carl von 47, 204, 345, 374 Locke, John 228, 232 Lorenz, Konrad 28, 68 Ludwig, Carl 258, 275 Lukrez 259 Lund, Wilhelm 234 Luther, Martin 140f. MacKinnon 24, 342, 383 Malpighi, Marcello 205, 251, 374
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V OM F ROSCH
Map, Walter 71, 90, 351 Marc, Franz 176 Marco Polo 71 Marinetti, Filippo Tommaso 188 Marx, Karl 309, 384 Matteucci, Carlo 242, 261, 263, 267 Mayer, Johann 375 Merchant, Carolyn 282, 384 Merian, Sibylla 246 Michelet, Jules 90 Mill, John Stuart 300 Montaigne, Michel de 17 Moore, George Edward 317, 387 Moriz von Craun 137, 356 Müller, Günther 365 Müller, Heinz 387 Müller, Herta 187, 189 Müller, Johannes 259 Musil, Robert 151 Nagel, Thomas 226, 229 Neidhart von Reuental 137 Neuweiler, Gerhard 315, 375 Nietzsche, Friedrich 132, 174, 176, 181, 186, 338 Nipperdey, Thomas 286 Novalis 90 Ovid 141, 149ff., 153ff., 162, 194, 196, 363, 364 Paracelsus 84ff., 96, 127 Paré, Ambroise 99, 101 Perrault, Claude 203, 207, 211, 371 Phädrus 144 Plato 55, 65, 132, 225, 266 Plempius, Vopiscus 370 Plessner, Helmuth 20
Plinius 97, 209, 351, 360 Poe, Edgar Allan 151, 164, 176-183, 195, 197, 367 Polanyi, Michael 276 Pope, Alexander 228 Potter, Paul 78 Ransmayr, Christoph 151 Regan, Tom 306 Reichart, Christian 108, 144ff. Reimarus, Hermann S. 248 Rheinberger, Hans-Jörg 270-274, 380 Richter, Ludwig 172 Rimbaud, Arthur 176 Rizzolatti, Giaccomo 21, 342, 350, 376, 379, 386, 387 Rollenhagen, Georg 140f., 362 Roos, Johann Melchior 127 Rösel von Rosenhof, August Johann 83, 92, 172, 242, 243245, 363, 364, 377 Rudolf von Ems 95, 137, 348 Saramago, José 193-196, 369 Scheler, Max 20 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 176, 180, 256, 379 Schiller, Friedrich 168, 329 Schmidt, Kathrin 163 Schopenhauer, Arthur 300 Seba, Albertus 130, 131, 360 Seneca 209 Shakespeare, William 110-116, 151, 162, 164, 168, 195, 357 Shelley, Mary 109f. Sokrates 166 Spallanzani, Lazzaro 242, 251, 376
R EGISTER
Spencer, Herbert 317, 387 Sternberger, Dolf 144 Sterne, Laurence 228 Sulzer, Friedrich Gabriel 119, 152, 300, 375, 378 Sulzer, Johann Georg 54, 248-250 Sumida, Masayuki 287f., 382 Süskind, Patrick 187, 190f. Swift, Jonathan 228 Theophrast von Hohenheim (s. Paracelsus) 85 Thomas von Aquin 64 Tieck, Dorothea 357 Tieck, Ludwig 174 Tyson, Edward 208, 370 Ungerer, Tomi
172
Valentin, Gabriel Gustav 261-269 Venter, Craig 310 Vesalius, Andreas 206 Vischer, Robert 387 Vitruv 123 Volkmann, Alfred W. 255-259 Volta, Alessandro 236f., 242, 375, 377 Waal, Frans de 306, 384 Waldis, Burkhard 140 Walpole, Horace 235, 374 Weingart, Peter 346, 382 Welzer, Harald 347 West, Paul 116 Wilde, Oscar 175 Wilson, Edward O. 385 Wise, Steven M. 18f. Wittgenstein, Ludwig 151
Wolf, Johann Wilhelm 100, 106, 363 Wood Brown, James 83 Wulf, Christoph 386 Young, Thomas
228
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Edition Kulturwissenschaft Christoph Bieber, Benjamin Drechsel, Anne-Katrin Lang (Hg.) Kultur im Konflikt Claus Leggewie revisited 2010, 466 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1450-3
Gunther Gebhard, Oliver Geisler, Steffen Schröter (Hg.) Das Prinzip »Osten« Geschichte und Gegenwart eines symbolischen Raums 2010, 180 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1564-7
Klaus W. Hempfer, Jörg Volbers (Hg.) Theorien des Performativen Sprache – Wissen – Praxis. Eine kritische Bestandsaufnahme April 2011, ca. 160 Seiten, kart., ca. 22,80 €, ISBN 978-3-8376-1691-0
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Edition Kulturwissenschaft Roland Innerhofer, Katja Rothe, Karin Harrasser (Hg.) Das Mögliche regieren Gouvernementalität in der Literatur- und Kulturanalyse Januar 2011, 338 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1474-9
Claus Leggewie, Anne-Katrin Lang, Darius Zifonun (Hg.) Schlüsselwerke der Kulturwissenschaften April 2011, ca. 300 Seiten, kart., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1327-8
Regine Strätling (Hg.) Spielformen des Selbst Das Spiel zwischen Subjektivität, Kunst und Alltagspraxis März 2011, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1416-9
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