Vom Blutzeugen zum Glaubenszeugen? Formen und Vorstellungen des christlichen Martyriums im Wandel 3515107150, 9783515107150

In zahlreichen Glaubenskontexten gilt das individuelle oder kollektive Selbstopfer als unüberbietbarer Weg, Grundüberzeu

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Table of contents :
INHALT
DAS MARTYRIUM ALS DENKFIGUR: BRÜCHE UND ENTWICKLUNGSLINIEN IN CHRISTLICHER PERSPEKTIVE
I. SPÄTANTIKE GRUNDLAGEN
NON POENA SED CAUSA FACIT MARTYREM
MARTYRIUM UND MARTYRIUMSVERMEIDUNG
II.
ADAPTIONSFORMEN IM FRÜHEN MITTELALTER
FROM EYEWITNESSES TO BLOOD WITNESSES: THE CULT OF THE APOSTLES IN THE EARLY MEDIEVAL WEST
APOKRYPHE APOSTELGESCHICHTEN UND APOSTELLEGENDEN ALS „FEMINISTISCHE“ NARRATIVE
L’IDÉE DU MARTYRE DANS L’HAGIOGRAPHIE MONASTIQUE FRANQUE (VIIIe–IXe SIÈCLES)
ALTESTAMENTARISCHE MODELLE FÜR DEN POPULUS CHRISTIANUS: HRABANUS MAURUS’ KOMMENTAR ZU DEN MAKKABÄERBÜCHERN 1 UND 2
III.
BILD UND PERFORMANZ
DIE MARTYRIEN DER HEILIGEN WENZEL, SIGISMUND UND LUDMILLA ALS ZENTRALES SUJET IN DEN BILDKÜNSTEN DES HOHEN UND SPÄTEN MITTELALTERS
STIGMATISIERUNG UND MARTYRIUM
DIE UNSCHULDIGEN KINDER
IV. MISSIONS- UND EXPANSIONSKONTEXTE
FRANCISCAINS, MARTYRS ET «MISSION» AUX XIIIe ET XIVe SIÈCLES
VOM „DULDER“ ZUM „KÄMPFER“
SANGUIS MARTYRUM, SEMEN CHRISTIANORUM – DIE MEDIALE DARSTELLUNG UND NUTZUNG ÜBERSEEISCHER MARTYRIEN IM KONFESSIONELLEN ZEITALTER DURCH DIE GESELLSCHAFT JESU
V.
IDENTITÄT UND AKTUALITÄT
MÄRTYRER IN DER PAPSTKIRCHE DES 19 JAHRHUNDERTS – KANONISATION ALS GEZIELTE KURIENPOLITIK
MÄRTYRER IN CÓRDOBA – IDENTITÄTSBILDUNG UND MARTYRIUMS VORSTELLUNGEN AUF DER IBERISCHEN HALBINSEL IM 8 –11 JAHRHUNDERT
DER MARTYRIUMSGLEICH GEWÜRDIGTE TOD VON PAPST JOHANNES PAUL II.
DAS GEISTIGE OPFER
ORTS- UND PERSONENREGISTER
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Vom Blutzeugen zum Glaubenszeugen? Formen und Vorstellungen des christlichen Martyriums im Wandel
 3515107150, 9783515107150

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Gordon Blennemann / Klaus Herbers (Hg.)

Vom Blutzeugen zum Glaubenszeugen? Formen und Vorstellungen des christlichen Martyriums im Wandel

Geschichte Franz Steiner Verlag

Beiträge zur Hagiographie 14

Gordon Blennemann / Klaus Herbers (Hg.) Vom Blutzeugen zum Glaubenszeugen?

Beiträge zur Hagiographie herausgegeben von Dieter R. Bauer, Klaus Herbers, Volker Honemann und Hedwig Röckelein Band 14

Gordon Blennemann / Klaus Herbers (Hg.)

Vom Blutzeugen zum Glaubenszeugen? Formen und Vorstellungen des christlichen Martyriums im Wandel

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Satz: textformart, Göttingen Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10715-0 (Print) ISBN 978-3-515-10726-6 (E-Book)

INHALT Gordon Blennemann / Klaus Herbers Das Martyrium als Denkfigur: Brüche und Entwicklungslinien in christlicher Perspektive

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I SPÄTANTIKE GRUNDLAGEN Peter Gemeinhardt Non poena sed causa facit martyrem. Blut- und Lebenszeugnis in der Alten Kirche: Sache, Kontext und Rezeption

23

Mario Ziegler Martyrium und Martyriumsvermeidung Christliche und pagane Haltung zum Blutzeugnis in den „Christenbriefen“ Plinius’ des Jüngeren

41

II ADAPTIONSFORMEN IM FRÜHEN MITTELALTER Els Rose From Eyewitnesses to Blood Witnesses: The Cult of the Apostles in the Early Medieval West

57

Felice Lifshitz Apokryphe Apostelgeschichten und Apostellegenden als „feministische“ Narrative

71

Anne-Marie Helvétius L’idée du martyre dans l’hagiographie monastique franque (viiie–ixe siècles)

83

Gordon Blennemann Altestamentarische Modelle für den populus christianus: Hrabanus Maurus’ Kommentar zu den Makkabäerbüchern 1 und 2

101

III BILD UND PERFORMANZ Marco Bogade Die Martyrien der heiligen Wenzel, Sigismund und Ludmilla als zentrales Sujet in den Bildkünsten des hohen und späten Mittelalters

125

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Inhalt

Gábor Klaniczay Stigmatisierung und Martyrium

139

Tanja Skambraks Die Unschuldigen Kinder Eine Gruppe von Sondermärtyrern?

157

IV MISSIONS- UND EXPANSIONSKONTEXTE Isabelle Heullant-Donat Franciscains, martyrs et «mission» aux xiiie et xive siècles

179

Ernst-Dieter Hehl Vom „Dulder“ zum „Kämpfer“ Erweiterung des Märtyrergedankens durch Krieg (11 und 12 Jahrhundert)?

195

Christoph Nebgen Sanguis martyrum, semen christianorum – die mediale Darstellung und Nutzung überseeischer Martyrien im konfessionellen Zeitalter durch die Gesellschaft Jesu

211

V IDENTITÄT UND AKTUALITÄT Stefan Samerski Märtyrer in der Papstkirche des 19 Jahrhunderts – Kanonisation als gezielte Kurienpolitik

233

Christofer Zwanzig Märtyrer in Córdoba – Identitätsbildung und Martyriumsvorstellungen auf der Iberischen Halbinsel im 8 –11 Jahrhundert

245

Hubertus Lutterbach Der martyriumsgleich gewürdigte Tod von Papst Johannes Paul II Zur Stilisierung von Gottesmenschen im Kontext moderner Sinnsuche

273

Arnold Angenendt Das geistige Opfer

289

Orts- und Personenregister

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DAS MARTYRIUM ALS DENKFIGUR: BRÜCHE UND ENTWICKLUNGSLINIEN IN CHRISTLICHER PERSPEKTIVE* Gordon Blennemann / Klaus Herbers

Das Ideal des Selbstopfers im Sinne der Hingabe für ein höheres Anliegen ist eine kulturübergreifend zu betrachtende Denkfigur1 Wir finden sie beispielhaft in der Person des Leonidas auf dem Schlachtfeld bei den Thermopylen ebenso wie in der Gruppe der berüchtigten Assassinen verwirklicht Auch in aktuellen Zusammenhängen begegnet uns die Idee des Selbstopfers, wenn etwa nordafrikanische Diktatoren oder ihre Gefolgsleute ihre Bereitschaft erklären, im Kampf für Vaterland und Volk zu sterben Spätestens mit den Anschlägen vom 11 September 2001 haben terroristische Selbstmordattentäter die weltpolitische Bühne betreten, die sich in Videobotschaften als Kämpfer für eine gerechte Sache präsentieren und durch ihr gewalttätiges, tödliches Handeln in das Gedächtnis einer breiten, weltumspannenden Öffentlichkeit einprägen In globalen Diskurszusammenhängen ist es nicht zuletzt unter dem Einfluss der Medien zur Gewohnheit geworden, solche Phänomene bis in alltagssprachliche Zusammenhänge hinein umfassend mit dem Begriff des Martyriums zu bezeichnen Dass eine trennscharfe und aller semantisch-kulturellen Traditionen bewusste Begriffsverwendung dabei nicht immer möglich ist, mitunter sogar bewusst vermieden wird, ist evident Allerdings sollten wir nicht übersehen, dass solche Begriffsverwendungen uns in nuce das Ergebnis einer über Jahrhunderte gewachsenen semantischen Breite vor Augen führen, durch welche die Begriffe ‚Märtyrer‘ und ‚Martyrium‘ losgelöst vom genuin christlichen Sinnzusammenhang kulturell universalisiert wurden Sie sind in den Wortschatz aller drei großen monotheistischen Religionen eingeflossen In der Neuzeit haben sie eine Art begriffsgeschichtliche Säkularisierung erfahren, wobei auch diese vor dem Hintergrund der verschiedenen religionsgeschichtlichen Traditionen steht Daneben sind zuletzt in zeitaktuellen Kontexten auch Prozesse einer Resakralisierung der Begriffe zu beobachten, die neue Verbindungen alter Traditionsstränge sichtbar machen2 * 1 2

Für den ersten Teil zeichnet Gordon Blennemann, für den zweiten Teil Klaus Herbers stärker verantwortlich Eine historisch-soziologische Synthese zum Opferbegriff bietet Arnold Angenendt, Die Revolution des geistigen Opfers Blut – Sündenbock – Eucharistie, Freiburg i Br 2011 Siehe zusammenfassend auch den Beitrag desselben in diesem Band Die Literatur zu diesen Themenkreisen ist in den letzten Jahren unüberschaubar geworden Es wird daher exemplarisch verwiesen auf die im Rahmen des Forschungsprojekts „Figurationen des Märtyrers in nahöstlicher und europäischer Literatur“ am Berliner Institut für Literatur-

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Gordon Blennemann / Klaus Herbers

Die Historie des Begriffs ‚Martyrium‘ spiegelt daher erstaunliche kulturelle Dynamiken Historisch gewachsene Offenheit und der damit verbundene Spannungsreichtum an semantischen Referenzen scheinen ihn geradezu zu sprengen und mitunter bis zu floskelhafter Beliebigkeit zu dehnen Aber diese oberflächliche Beliebigkeit trügt Im Sinne Hans Blumenbergs präsentiert sich der Begriff ‚Martyrium‘ gerade in solchen Momenten scheinbarer semantischer Auflösung gleichsam als absolute Metapher, denn als Erfahrungsspeicher erschließt er zwar schier endlose Perspektiven der Welteinsicht und Weltdeutung, vermag die Welt aber nie vollständig einzuholen3 In dieser Bedeutung des Begriffs ‚Martyrium‘ als metaphorischer Sprechakt liegt der besondere Reiz, aber auch die Herausforderung seiner kulturwissenschaftlichen Erschließung Sie wird kaum vollständig gelingen Dies wird umso deutlicher, wenn man die verschiedenen Formen der Ästhetisierung des Martyriums in Literatur und Kunst bedenkt Denn parallel zum Wortfeld ‚Martyrium‘ ist im Bereich der künstlerischen Darstellung des Martyriums ein breites bildmetaphorisches Formen- und Motivrepertoire gewachsen, das mit Aby Warburgs Begriff der Pathosformel treffend beschrieben werden kann4 Als Verweis auf Formen des körperlichen Ausdrucks von Sprache (eloquentia corporis) steht er kulturtheoretisch betrachtet komplementär zur sprachmetaphorischen Absolutheit des Begriffs ‚Martyrium‘5 Dabei ist Warburgs Konzept der Pathosformel gerade bezogen auf das Martyrium wissenschaftlich eloquent, da der Begriff bereits in seinen griechischen Wurzeln nicht allein auf Leidenschaften, sondern ebenso auf Momente des (Er-)Leidens verweist, die mitunter über den spezifischen historischen Kontext hinaus als Erfahrungen in das kollektive historische Gedächtnis eingeflossen sind6

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und Kulturforschung entstandenen Bände Märtyrer-Portraits Von Opfertod, Blutzeugen und heiligen Kriegern (Trajekte), hg v Sigrid Weigel, München 2007 und Grenzgänger der Religionskulturen Kulturwissenschaftliche Beiträge zu Gegenwart und Geschichte der Märtyrer (Trajekte), hg v Silvia Horsch u Martin Treml, München 2011 sowie aus dem Bereich der historischen Forschung auf die Bände Sacrificing the Self Perspectives on Martyrdom and Religion (American Academy of Religion The Religions Series), hg v Margaret Cormack, Oxford u a 2001 und Martyr(e) Moyen Âge, Temps modernes, hg v Marc Belissa u Monique Cottret, Paris 2010 Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a M 1998, 10–13 Grundlegend Aby Warburg, Dürer und die italienische Antike, in: ders , Werke in einem Band, hg und komm v Perdita Ladwig, Martin Treml u Sigrid Weigel, Frankfurt a M 2010, 176–183; zur Verwendung im Bereich der Analyse von Märtyrerkulturen Silvia Horsch / Martin Treml, Einleitung, in: Grenzgänger (wie Anm  2), 9–11 So Hartmut Böhme, Aby M Warburg (1866–1929), in: Klassiker der Religionswissenschaft Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea, hg v Axel Michaels, München 1997, 133–157, hier 152; zur Bedeutung von Kunst als Wissensspeicher von Gesellschaften Carlo Ginzburg, Kunst und soziales Gedächtnis Die Warburg-Tradition, in: ders , Spurensicherung Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst (Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek 50), Berlin 2011, 83–173 So Sigrid Weigel, Die Sprache des Unbewussten Pathosformeln der Gedächtnisgeschichte, in: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20  Jahrhunderts, hg v Norbert Frei, Göttingen [2006], 58–66, hier 60

Das Martyrium als Denkfigur

9

Die Geschichte bzw die Geschichten der frühchristlichen Märtyrer sind hierfür ein beredtes Beispiel Die nicht selten anzutreffenden Versuche, die christlichen Ursprünge des Begriffs ‚Martyrium‘ in besonderem Maße zu betonen, setzen sich vor dem Hintergrund solcher Beobachtungen zur kulturellen Universalität der Idee des Martyriums erst recht dem Risiko einer semantischen Engführung aus Denn sie reduzieren eben jenen breiten ideologischen Referenzrahmen und seine sprach- und bildmetaphorische Dimension7 Wenn in diesem Band dennoch der Schwerpunkt auf christliche Konzeptionen und Vorstellungen gelegt wird, so geschieht dies einerseits im Bewusstsein der Gefahr einer solchen Reduktionsfalle, andererseits aber auch mit dem Anliegen, die spezifische Bedeutungs- und Entwicklungsvielfalt einer christlichen Märtyrerkultur besser zu überblicken8 Denn auch sie präsentiert sich keineswegs als einheitliches Konzept mit ungebrochener Entwicklung Bedenkt man die schillernde semantischen Breite des Begriffs Martyrium in aktuellen Zusammenhängen, so wird deutlich, wie wichtig es ist, auch solchen eher spezifischen Traditionselementen nachzuspüren, denn als Obertöne klingen sie stets mit Die Geschichte christlich geprägter Bedeutungstraditionen kann hier nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet werden Zum einen widmen sich die Beiträge von Arnold Angenendt und Peter Gemeinhart den Grundlagen in der Spätantike auch in breiterer religionsgeschichtlich vergleichender Perspektive Zum anderen ist es gerade die Aufgabe der Einzelstudien dieses Bandes, Entwicklungslinien bedeutungsgeschichtlicher Traditionen nachzuspüren und Bausteine zu einem Gesamtbild solcher Entwicklungslinien zu bieten An dieser Stelle werden lediglich einige Schwerpunkte in der Geschichte der christlichen Deutung der Begriffe ‚Märtyrer‘ und ‚Martyrium‘ als Hintergrundfolie in Erinnerung gerufen Im Vorgriff auf den dritten Teil des Bandes sei zunächst ein Blick auf die ikonographische Tradition der Märtyrer geworfen Die Abbildung in diesem Beitrag mag als Beispiel an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit dienen Der Stich Albrecht Dürers aus der Zeit um 1500 bis 1502 folgt der seit dem 15   Jahrhundert typischen Darstellung des Hl Sebastian als nur mit einem Lendenschurz bekleidetem Mann, der an einen Baum, einen Pfahl oder eine Säule gebunden steht und von Pfeilen durchbohrt ist9 Zwei kulturgeschichtlich bedeutsame Sinnzuweisungen an die Figur des Märtyrers verdichten sich in der Abbildung: Zum einen präsentiert Dürer den Märtyrer als hilflosen, aber standhaften Dulder Zum anderen wird durch das ikonographische Element des Baums auf die Martersäule Christi verwiesen Der Stich knüpft hier an die Deutung des Märtyrers als imitator 7 8

9

Zu den Verbindungen zwischen jüdischen und christlichen Bedeutungstraditionen etwa Daniel Boyarin, Dying for God Martyrdom and the Making of Christianity and Judaism, Stanford 1999 Vgl auch den Band More than a Memory The Discourse of Martyrdom and the Construction of Christian Identity in the History of Christianity (Annua Nuntia Lovaniensia LI), hg v Johan Leemans, Leuven/Paris/Dudley (MA) 2005, der den Schwerpunkt auf die Bedeutung von Märtyrertexten für die Bildung individueller und kollektiver christlicher Identitäten legt Dazu Hans Belting, Der Kult Sebastians – ein christlicher Märtyrer als Kunstwerk der Renaissance, in: Märtyrer-Portraits (wie Anm  2), 162–164

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Gordon Blennemann / Klaus Herbers

Abb. 1: Albrecht Dürer, Hl. Sebastian am Baum (um 1500–1502) (Wien, Grafische Sammlung Albertina)

Christi an10 Gerade die Ikonographie des Hl Sebastian bezog sich in diesem Sinne explizit auf die im Spätmittelalter aufkommenden Schmerzensmann- und Ecce homo-Darstellungen11 Hinter der durchaus als typisch zu bezeichnenden Dürer’schen Darstellung des Hl Sebastian als Märtyrer stand eine komplexe Tradition: Das Motiv der imitatio Christi galt von Beginn an als zentrales Element der als Opfer- und Sühneleistung 10 11

Zu den biblischen Grundlagen dieses Gedankens Hans Dieter Betz, Nachfolge und Nachahmung Jesu Christi im Neuen Testament (Beiträge zur Historischen Theologie 37), Tübingen 1967 Vgl dazu in der Tradition der Bildstudien Aby Warburgs Erwin Panofsky, Imago Pietatis Ein Beitrag zur Typengeschichte des ‚Schmerzensmanns‘ und der ‚Maria Mediatrix‘, in: Festschrift für Max J Friedländer zum 60 Geburtstage, Leipzig 1927, 261–308

Das Martyrium als Denkfigur

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gedeuteten Glaubenszeugenschaft Die Tradition des Neuen Testaments sah diese in der Nachahmung der exemplarischen Bruderliebe Christi im Sinne einer geistigen Opferleistung aller Christen gegenüber ihren Mitmenschen erfüllt Die Apostelgeschichte betonte demgegenüber, personifiziert in der Gestalt des Protomärtyrers Stephan, die Idee des blutigen Opfers als Zeugenschaft für den Glauben In der Zeit der Christenverfolgungen spitzte sich diese Entwicklung insofern zu, als nun das blutige Opfer der Märtyrer als eindeutig höherwertig gegenüber dem geistigen Opfer angesehen wurde Tertullians nicht zuletzt als Trost für die Christen in der Verfolgung gedachter Traktat De martyribus kann in diesem Sinne als wegweisender Text bezeichnet werden Der martyr war auf der griechischen Wortbedeutung aufbauend Zeuge für die Passion, den Tod und die Auferstehung Christi, erlangte er doch durch seinen standhaften Glaubensbeweis bis in den Tod ewiges Leben bei Gott Das geduldige Erleiden verknüpfen die frühchristlichen Märtyrerakten dabei interessanterweise vor allem mit standhaften Frauengestalten wie Perpetua und Felicitas Die konstantinische Wende eröffnete im Prinzip die Möglichkeit, zur Idee der Höherwertigkeit des geistigen Opfers zurückzukehren Man hielt jedoch vielfach an der besonderen Wertschätzung des blutigen Selbstopfers fest Da aber das blutige Martyrium nun in der Regel ausgeschlossen war, traten neben die Gottesund Nächstenliebe als Elemente des geistigen Opfers Ersatzhandlungen So wurde vor allem die Askese als Sinnbild und Entsprechung des blutigen Opfers gedeutet12 Diese enge Verbindung der Martyriumsdeutung mit einem sehr vielschichtigen, zwischen den Eckpunkten Blutopfer und geistiges Opfer angesiedelten Opferbegriffs wurde der mittelalterlichen und neuzeitlichen Entwicklung als Erbe aufgetragen Insofern ist es notwendig, im Einzelfall sehr genau auf den Opferbegriff zu blicken, der den jeweiligen Martyiumsdeutungen zugrunde gelegt wird Der knappe historische Abriss zu den antiken Grundlagen macht bereits deutlich, dass die historische Entwicklung christlicher Martyriumsvorstellungen durch Brüche und Kontinuitäten gleichermaßen bestimmt wurde Als ein wichtiger Entwicklungsschub des Hochmittelalters kann vielleicht die Zeit der Kreuzzüge gelten In deren Kontext wurden den eher passiv-duldsamen imitatores Christi der frühchristlichen Zeit die zahlreichen milites Christi als Gotteskrieger zur Seite gestellt Von besonderem Interesse ist eine zentrale Beobachtung zu diesen Gotteskriegern, die bereit waren, ihr Leben im Kampf mit den Andersgläubigen zu lassen Keiner von ihnen wurde jemals offiziell als Märtyrer und damit als Heiliger anerkannt13 12

13

Otmar Kampert, Das Sterben der Heiligen Sterbeberichte unblutiger Märtyrer in der lateinischen Hagiographie des vierten bis sechsten Jahrhunderts, Altenberge 1998 und Adalbert de Vogüé, ‚Martyrium in occulto‘ Le martyre du temps de paix chez Grégoire le Grand, Isidore de Séville et Valerio de Bierzo, in: Fructus centesimus: Mélanges offerts à Gerard J M Bartelink à l’occasion de son soixante-cinquième anniversaire (Instrumenta Patristica 19), hg v Antoon A R Bastiaensen u a , Dordrecht/Steenbrugge 1989, 125–140; zum irischen Kontext auch Claire Stancliffe, Red, White and Blue Martyrdom, in: Ireland in Early Medieval Europe Studies in Memory of Kathleen Hughes, hg v David Dumville, Rosamond McKitterick u Dorothy Whitelock, Cambridge 1982, 21–46 Siehe dazu den Beitrag von Ernst-Dieter Hehl in diesem Band

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Gordon Blennemann / Klaus Herbers

Dies führt zu der generell wichtigen Frage, wer überhaupt als Märtyrer bezeichnet werden kann und wer nicht, beziehungsweise wer darüber entschied Die ausbleibende Anerkennung der Kreuzritter als Märtyrer steht stellvertretend für die wiederholten Versuche der „Amtskirche“, reglementierend bzw monopolisierend einzugreifen Die damit zusammenhängenden Probleme eines institutionellen Kanonisationsverfahrens seien hier nur allgemein erwähnt Einschneidend wurde schließlich im 16  Jahrhundert die Entscheidung der Konzilsväter von Trient, das Martyrium in Auseinandersetzung mit protestantischen Positionen von der Idee der Gnadengewissheit zu lösen Das blutige Martyrium garantierte nun nicht mehr den unmittelbaren Zugang zum Reich Gottes, wie es für lange Zeit gesehen worden war Im gleichen Sinne einer Monopolisierung von Heiligkeit wurden etwa die Jesuiten als späte Folge des Tridentinums 1625 gezwungen, alle Darstellungen von Priestern, die als Missionare in Übersee ums Leben gekommen waren, aus ihren Kirchen zu entfernen14 Zum ersten Mal kam es so in der Frühen Neuzeit zu einem radikalen Bruch der Kirche mit populären Martyriumsvorstellungen Hierbei ging es nicht zuletzt auch um das Problem der Deutungshoheit über das Martyrium bzw die Gruppe der Märtyrer und der damit verbundenen Kriterien Der über Jahrhunderte hinweg gültige augustinische Grundsatz Non poena, sed causa facit martyrem lässt die Sache auf den ersten Blick sehr einfach erscheinen15 Kehrt man allerdings zum Beispiel der Kreuzritter zurück, so wird deutlich, dass rein dogmengeschichtliche Betrachtungen in unserem Kontext nicht ausreichen Denn hagiographische und historiographische Narrative lassen natürlich keinen Zweifel daran, dass die zahlreichen milites Christi im Kontext der Kreuzzüge ihr Leben als Märtyrer im Kampf gegen die Ungläubigen ließen So konnte König Ludwig IX von Frankreich in seiner im Brief eines Kreuzritters überlieferten Ansprache seinen Mitstreitern zurufen: „Alles geschieht zu unserem Besten, was uns auch begegnen mag Wenn wir besiegt werden, sind wir Märtyrer; wenn wir siegen, wird der Ruhm Gottes dadurch erhöht und auch der Frankreichs und der Christenheit “16 Diese Offenheit des Märtyrerbegriffs zeigt sich in derselben Weise, wenn etwa die Soldaten der beiden Weltkriege als Märtyrer für ihr Vaterland bezeichnet werden, wie dies auf zahllosen Denkmälern der Nachkriegszeit geschieht17 Jedoch verweist dieses Beispiel auch auf die eingangs erwähnte wachsende Säkularisierung des Märtyrerbegriffs Über die Zugehörigkeit zur Gruppe der Märtyrer entschied vielfach nicht das Kirchenrecht, sondern die Sinnzuweisung durch eine breitere Öffentlichkeit, deren Verehrung durch die Verschriftlichung in Märtyrernarrativen oder auch im Bild verstetigt werden und Traditionsbildungen auslösen konnte Entscheidend 14 15 16 17

Miguel Gotor, I beati del papa Santità, inquisizione e obbedienza in età moderna (Biblioteca della Rivista di storia e letteratura religiosa Studi 16), Florenz 2002, 374–375 Zu Kontext und Komplexität des augustinischen Grundsatzes siehe den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten, hg v Régine Pernoud, München 31075, 295 Dazu der Band Der politische Totenkult Kriegerdenkmäler in der Moderne, hg v Reinhart Koselleck u Michael Jeismann, München 1994

Das Martyrium als Denkfigur

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wird somit die dauerhafte Einbindung des Martyriums und seiner Protagonisten in das kulturelle Gedächtnis, das gegebenenfalls dem veränderten gesellschaftlichen Rahmen angepasst wurde, was mitunter dazu führte, dass Märtyrerfiguren ganz aus dem Bewusstsein einer Gesellschaft getilgt wurden Die kollektive Erinnerung an die Märtyrer des frühen Christentums erweist sich als besonders stabil, da gerade die große historische Distanz breiten Raum ließ für semantische Aktualisierungen in Wort und Bild Sie waren etwa für ein spätantikes und frühmittelalterliches Publikum in der literarischen Überformung der Passiones wirkmächtige Bezugspunkte Damit dürfte deutlich geworden sein, dass die ausschließliche Suche nach affirmativen und normativen Kriterien von Martyriumsdeutungen in den meisten Fällen in die Aporie führt Einer Dogmengeschichte des Martyriums muss somit eine Kulturgeschichte des Martyriums zur Seite gestellt werden, die sich gezielt semantischen Entwicklungen und sozialen Praktiken im Zusammenhang mit dem Martyrium widmet So dürfte das anhaltende gesellschaftliche Interesse an Martyriumsvorstellungen über die Jahrhunderte hinweg am ehesten damit zu begründen sein, dass solche Vorstellungen als tradierter Teil eines Wissensvorrats immer wieder neue Strategien der Bewältigung gesellschaftlicher Realitäten eröffneten Dies zeigt sich etwa im Zusammenhang der fränkischen Bischofsmorde des 7  Jahrhunderts, die herausragende merowingische Heiligengestalten wie Bischof Leodegar von Autun oder Praejectus von Clermont zum Opfer hatten Die Hagiographen der Zeit bezeichneten sie kurzerhand als novi martyres18 Martyriumskonzeptionen stellen sich in diesem Sinne für die Forschung auch als kulturelle Deutungsmuster dar, deren zeitgebundene oder epochenübergreifende Funktionsweisen ergründet werden müssen Mit dem Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung von Martyriumsvorstellungen muss ebenso die Frage nach dem Grad der Exklusivität des Martyriums auf einer anderen Ebene neu gestellt werden Martyrien waren in der Tat Extremfälle, sofern sie den beiden dargestellten Modellen des blutigen oder des geistigen Opfers im Sinne asketischer Weltentsagung folgten Die Vielzahl spätantiker und frühmittelalterlicher Predigttexte, die sich dem Thema Martyrium widmen und zum Teil  von so herausragenden Autoren wie Caesarius von Arles stammen, machen allerdings exemplarisch deutlich, dass die Märtyrer auch einem breiterem Publikum als exemplarische Referenz dienen sollten und konnten19 Ziel war es, das Leben jedes einzelnen Christen im Sinne der Glaubenszeugenschaft auf das Vorbild der Märtyrer auch jenseits der festen Kategorien des blutigen Martyrium und des geistigen Martyriums asketischer Heroen auszurichten Es sei darin erinnert, dass 18

19

Vgl dazu zusammenfassend Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne Panorama des documents potentiels, in: L’hagiographie mérovingienne à travers ses réécritures (Beihefte der Francia 71), hg v Monique Goullet, Martin Heinzelmann u Christiane Veyrard-Cosme, Ostfildern 2010, 27–82, hier 49–51 Ich verweise hierzu auf meinen Beitrag Martyre et prédication Adaptations d’un modèle hagiographique dans les sermons de Césaire d’Arles, in: Normes et hagiographies dans l’Occident médiéval ve-xvie siècles (Hagiologia 9), hg v Thomas Granier u Marie-Céline Isaïa, Turnhout 2014, 253–273 (im Druck)

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das im Neuen Testament propagierte geistige Opfer in der Bruderliebe allen Christen aufgetragen war Der Tod für den Glauben behielt im neuen Kontext nicht zuletzt durch die verschiedenen Formen der Ästhetisierung von Gewalt seine Faszination, war für die Bedeutung des Martyriums als typologisch-normative Referenz allerdings nicht mehr entscheidend Zugleich wurde in den genannten Predigttexten eine Verbindung zur heilsgeschichtlichen Vergangenheit des frühen Christentums hergestellt Die Geschichte der Märtyrer war für die Zeitgenossen in typologischem Sinne eine nicht abgeschlossene Geschichte Die frühmittelalterliche Popularität römischer Märtyrer, wie sie nicht zuletzt in den Reliquientranslationen des 8  und 9  Jahrhunderts zum Ausdruck kommt20, dürfte vor diesem Hintergrund nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass es sich bei diesen Märtyrern vielfach nicht um Angehörige einer geistlichen Elite, sondern um „einfache“ Laien handelte, die ein sehr offenes Angebot der Identifizierung machten Die Frage der Exklusivität führt zurück zu den weiter gefassten kulturellen Rahmenbedingungen und Traditionen außerhalb des Christentums Das Martyrium im Sinne des Selbstopfers ist (wie eingangs betont) nicht exklusiv christlich Als kulturgeschichtliches Phänomen betrachtet ist es vielmehr allgegenwärtig Gerade die jüdischen Wurzeln christlicher Vorstellungen vom Selbstopfer sind wohl bekannt Komplementär hierzu hat Angelika Neuwirth unlängst in ihrer Synthese zur Genese des Korans auf dessen Verbindungen zu christlichen Martyriumsvorstellungen hingewiesen Sie hat zugleich aber auch entscheidende Unterschiede herausgearbeitet: Der Koran kenne „keine blutige Zeugnisablegung, kein sühnendes Opfer, keine imitatio eines Normen sprengenden Erlösers – der Koran ist eine Schrift mit stark entmythisierender Tendenz“21 Gerade der Bezug zu Christus als Urtypus des Märtyrers erweist sich aber als Schlüsselelement einer christlichen Traditionsbildung So macht der kurze Ausblick auf den Text des Korans deutlich, dass der Blick auf benachbarte Traditionen zur Schärfung (wo möglich) nicht vergessen werden sollte Nur so entstehen Perspektiven einer unbefangenen und wertfreien Auseinandersetzung mit anderen kulturelle Semantiken und Traditionen des Selbstopfers, zu der dieser Band gerade durch den Fokus auf christliche Traditionen explizit auffordern möchte ***

20 Julia Mary Howard Smith, Old saints, new cults: Roman relics in Carolingian Francia, in: Early medieval Rome and the Christian West Essays in honour of Donald A Bullough (The medieval Mediterranean 28), hg v ders , Leiden u a 2000, 317–339 und Klaus Herbers, Rom im Frankenreich Rombeziehungen durch Heilige in der Mitte des 9  Jahrhunderts, in: Mönchtum – Kirche – Herrschaft 750–1000 Josef Semmler zum 65 Geburtstag, hg v Dieter R Bauer, Rudolf Hiestand, Brigitte Kasten u Sönke Lorenz, Sigmaringen 1998, 133–169, ND in: Klaus Herbers, Pilger, Päpste, Heilige: ausgewählte Aufsätze zur europäischen Geschichte des Mittelalters, hg v Gordon Blennemann, Wiebke Deimann, Matthias Maser u Christofer Zwanzig, Tübingen 2011, 111–148 21 Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike Ein europäischer Zugang, Frankfurt a M 2010, das Zitat 559, zum Thema umfassend 548–560

Das Martyrium als Denkfigur

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In Anknüpfung an die vorhergehenden Überlegungen werden nun in einem zweiten Teil die Ergebnisse der einzelnen Beiträge des Bandes gewürdigt und Perspektiven angedeutet Sie gehen (mit Ausnahme des zusätzlich in den Band aufgenommenen Textes von Tanja Skambraks) auf Vorträge der Tagung „Vom Blutzeugen zum Glaubenszeugen Formen und Vorstellungen des christlichen Martyriums im Wandel“ zurück, die der Arbeitskreis für Hagiographische Fragen vom 31 März bis 3 April 2011 in den Räumen der Katholischen Akademie des Bistums Rottenburg-Stuttgart im Kloster Weingarten veranstaltete Die thematische Gliederung greift die Sektionstitel der Tagung auf Die abschließende Systematisierung zielt auf weitergehende Perspektiven einer Analyse christlicher Bedeutungsebenen des Martyriums und deren Kontextualisierung in breiteren historischen und kulturellen Zusammenhängen Die erste Abteilung widmet sich den spätantiken Grundlagen Peter Gemeinhardt stellt in seinem eröffnenden Beitrag Fragen in den Vordergrund, die zugleich mögliche umfassende Definitionen des Martyriums betreffen Nach der Unterscheidung von Glaubens-, Blut- und Lebenszeugnissen und mit Blick auf verschiedene Beispiele unterstreicht er, dass vor allem nach dem Ende der Christenverfolgungen nicht die Todesart für einen Märtyrer konstitutiv wurde, sondern eher das vorbildliche Leben und die innere Einstellung Aspekte der Askese traten als Glaubenszeugnis in den Vordergrund, als nach der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion Blutzeugnisse in der Regel nicht mehr zu erwarten waren In die Frühzeit des 1 Jahrhunderts nach Christus lenkt Mario Ziegler den Blick, indem er die Christenprozesse in Bithynien analysiert, die Plinius der Jüngere im kaiserlichen Auftrag dort durchführte Hier werden juristische Aspekte des Verhältnisses von römischer Staatsgewalt und Christentum in einem spezifischen Verfolgungskontext erkennbar Auf der Grundlage dieser Beobachtungen zieht der Verfasser Schlussfolgerungen für die bis ins 4 Jahrhundert geltenden rechtlichen Grundlagen, die vor allem davon ausgingen, dass Prozesse nur bei vorheriger Anzeige erfolgten Die zweite Sektion betrifft Adaptionsformen im frühen Mittelalter Els Rose widmet sich den Apostelakten unter Hinzunahme der korrespondierenden liturgischen Quellen und kann deutlich machen, dass entgegen früherer Thesen bereits im 6 Jahrhundert eine kultische Apostelverehrung einsetzte Als Augenzeugen vom Leiden und Sterben Christi und durch das eigene Ende vieler Apostel sei diese Tendenz grundlegend unterstützt worden Oftmals stilisierten oder konstruierten spätere hagiographische Traditionen sogar einen blutigen Tod, wobei die Einbindung des Martyriumsgedankens in die Apostelakten ab dem 6 Jahrhundert zunimmt Felice Lifshitz interpretiert die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden als „feministische“ Narrative Dabei achtet sie auf Frauen als Urheberinnen oder Schreiberinnen wichtiger Handschriften des 8  Jahrhundert sowie auf die Rolle von Frauen bei der Christianisierung im Osten durch die „Apostelmärtyrer“ Anne-Marie Helvétius charakterisiert Konzeptionen des Martyriums in der monastischen Hagiographie des 7  und 8 Jahrhunderts und entfaltet vor allem drei Aspekte: Attentate auf Bischöfe und Äbte, Missionarsmartyrien und gewaltsames Sterben aufgrund von Unruhen in Klöstern Insgesamt blieben aber Mönche in der Regel vom Martyrium verschont bzw sie entzogen sich durch die Meidung

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der Gefahren nach apostolischem Vorbild Der spektakuläre Fall des hl Bonifatius erscheint ihr weniger als Martyrium denn als gescheiterter Missionierungsversuch Die Darstellung der Makkabäer in Hrabanus Maurus’ Kommentar zu den Makkabäerbüchern ist Thema des Beitrags von Gordon Blennemann Das anvisierte Publikum sieht er in den von ihm untersuchten Schriften nicht nur in einer „Oberschicht“ oder im höfischen Kontext, sondern auch in breiteren Kreisen des karolingischen populus Erklärbar sei dies aus pastoralen Absichten, wie dies am Beispiel des Kommentars zur Erzählung vom Martyrium der makkabäischen Mutter und ihrer sieben Söhne nachgewiesen werden kann Die dritte Sektion zu Bild und Performanz des Martyriums eröffnet Marco Bogade mit einem Beitrag über die Martyrien der Heiligen Wenzel, Ludmilla und Sigismund als Sujet in den Bildkünsten des hohen und späten Mittelalter Unterschiede der ikonographischen Darstellungen gehen vielfach auf den Erzählmodus und den Erzählgrad der zugehörigen Schriften zurück Insbesondere unterscheiden sich aber Einzeldarstellungen, welche die Heiligen als heilige Herrscher zeigen, von szenischen Illustrationen und Bildzyklen Gábor Klaniczay nimmt Aspekte der Stigmatisierung als besondere Form der Martyriumsreferenz in den Blick Die Imitation der Leiden Christi durch eine zunehmend blutige Askese und Selbstkasteiung lässt sich seit dem hohen und späten Mittelalter ablesen, vor allem im Bereich der weiblichen vita religiosa Als erster Stigmatisierter gilt Franz von Assisi Er soll sich nach dem Martyrium gesehnt und die Stigmata in diesem Sinne als Auszeichnung verstanden haben Seinem Beispiel folgten seit der Mitte des 13 Jahrhunderts auch stigmatisierte Frauen Obwohl das Beispiel des Franz von Assisi von Zisterziensern und Dominikanern kritisiert wurde, wurde die Stigmatisierung immer häufiger als Form des Martyriums angesehen Neben den Makkabäern sind allein die Unschuldigen Kindern als Gruppe nicht-christlicher Heiliger in die christliche Märtyrerverehrung eingegangen Ihnen widmet sich Tanja Skambraks und zieht dabei einen weiten Bogen der longue durée von der Spätantike bis zum Beginn der Frühen Neuzeit Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Unschuldigen Kinder bereits sehr früh aufgrund der besonderen Verbindung ihres Todes zur Geburt Christi und den damit verbundenen Reinheits-, Unschulds- und Demutsassoziationen eine Sondergruppe von Märtyrern bildeten Die weitere Entwicklung dieses Gedankens untersucht sie vor allem aufgrund von Traditionen zur Festliturgie und zum liturgischen Spiel Die vierte Sektion zu Missions- und Expansionsprozessen rückt mit dem Aufsatz von Isabelle Heullant-Donat zunächst Missionsmärtyrer der Franziskaner im 13  und 14  Jahrhundert in den Blick Das Martyrium war bei der Missionierung zwar zu erwarten, jedoch wurde zwischen 1253 und 1481 keiner dieser „Märtyrer“ offiziell heiliggesprochen, allerdings oft innerhalb der jeweiligen Orden verehrt Obwohl zum Beispiel der Ordensgründer Franziskus nicht Märtyrer geworden war, unterstrichen Mitglieder der Franziskaner zunehmend, dass ihr Gründer unter den Ungläubigen standhaft geblieben sei Unter dem Titel „Vom ‚Dulder‘ zum Kämpfer“ beschäftigt sich Ernst-Dieter Hehl mit der Erweiterung des Märtyrergedankens durch die Kreuzzüge Galten manchen Kreuzfahrern und Zeitgenossen die bei diesen Kämpfen Gefallenen als Märtyrer, so wurden sie dennoch von der Kirche

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nicht offiziell als Märtyrer anerkannt Christoph Nebgen geht dem Phänomen des heroischen Sterbens in Übersee im konfessionellen Zeitalter nach Basis zum Verständnis war hier allerdings vor allem die Wahrnehmung in Europa, wo das Martyrium eine Identität stiftende Kraft gewann Der Tod eines Einzelnen konnte zugleich den Wahrheitsanspruch einer ganzen Gruppe ausdrücken und bestätigen Lieder, Dramen und Bilder unterstützten dies medial Insbesondere bei den Jesuiten stärkte der Tod in Übersee das Profil des Ordens Die letzte Sektion gilt der Identität und Aktualität des Martyriumsgedankens Stefan Samerski charakterisiert die Neuentdeckung des Martyriums durch die Papstkirche des 19   Jahrhunderts und greift zurück bis in die Barockzeit, indem er die Heiligsprechungen von Märtyrern seit dieser Zeit untersucht Statistisch gesehen gab es nur eine geringe Zahl von neu heiliggesprochenen Märtyrern Erst nach der französischen Revolution wuchs das Interesse an dieser Form der Heiligkeit wieder und erreichte unter Pius IX einen gewissen Höhepunkt Christofer Zwanzig lenkt mit seinem Beitrag ins 9  Jahrhundert zurück und zeigt am Beispiel der sogenannten Märtyrer von Córdoba, in welchem Maße die Dossiers der Schriften des Eulogius und Albarus zur Ausbildung einer kollektiven Identität von Christen im Al-Andalus beitrugen Diese sei von einer radikalen Gruppe von Christen in einer spezifischen historischen Situation aufgebaut worden Die Berichte über Hinrichtungen lassen Rückgriffe auf die Beschreibung frühchristlicher Martyrien erkennen Obwohl die Nachwirkung eingeschränkt blieb, bestanden Erinnerungen fort Hubertus Lutterbach setzt sich in seinem Aufsatz mit dem Tod Johannes Paul II auseinander und diskutiert Stilisierungen von Gottesmenschen im Kontext moderner Sinnsuche Er untersucht die Nachrichten der deutschsprachigen Presse vom Tod des Papstes bis zu seiner Beerdigung Der Ruf nach schneller Heiligsprechung wurde zuweilen mit dem früheren Attentat auf den Papst begründet Verglichen werden die Ergebnisse mit dem Hinweis auf weitere Beispiele von Gottesmenschen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Lady Diana Spencer Der im Tagungskontext als Abendvortrag gehaltene, abschließende Beitrag von Arnold Angenendt beschäftigt sich mit dem geistigen Opfer, das die blutigen Opfer der Antike ablöste Die dem Logos verpflichtete griechische und die dem Herzen zugewandte hebräische Tradition spielten bei dieser Entwicklung eine zentrale Rolle und weisen damit weit über den rein christlichen Rahmen hinaus Die Hinwendung zum Inneren führte zu persönlicheren Gottesverehrungsformen als dies mit Sachopfern möglich war Im Christentum vereinten sich beide Traditionslinien Dazu trat der Aspekt des Sozialopfers, der den Dienst für Gott mit dem Dienst für die Menschen verband Dies führt zur grundlegenden Frage, wie die Selbstopferungsbereitschaft der Menschen missbraucht wurde und ob moderne Gesellschaften überhaupt ohne Selbstopfer des Einzelnen auskommen können Aus der inhaltlichen Zusammenschau der Einzelbeiträge ergeben sich einige übergreifende Fragestellungen und Problemhorizonte, die bereits während der Tagung die Abschlussdiskussion bestimmten und unter drei Hauptgesichtspunkten systematisiert werden können Individuum und Gruppe Die Unterscheidung von Individuum und Gruppe erschien vielfach entscheidend für Fragen der Definition und der Quellenerschlie-

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ßung Dies zeigt nicht nur der Beitrag zu monastischen Gemeinschaften Mönche werden häufig in ihrem Streben nach einer vita perfecta im Verhältnis zur Gemeinschaft dargestellt und im Sinne monastischer humilitas individuelle Leistungen und Heroisierungen, zu denen das Martyrium als besondere Form der Heiligkeit gezählt werden kann, eher in den Hintergrund gerückt Ähnliches lässt sich bei den Unschuldigen Kindern beobachten Im Falle der Märtyrerer von Córdoba war die Verbindung des Einzelnen zur Gruppe zentral, so dass die Opferbereitschaft des Individuums in die Entwicklung kollektiver Identitätsbilder einfloss Teleologie und Bedeutungsakkumulation Der erste Teil des Bandtitels wurde gegenüber dem Tagungstitel bewusst um ein Fragezeichen ergänzt In der Tat ist nicht zuletzt im Hinblick auf universale Vergleichsperspektiven das Verhältnis zwischen linearen Entwicklungslogiken von Martyriumskonzeption und der Akkumulation aber auch Gegenüberstellung konkurrierender Merkmale auszuloten Zentral beziehungsweise übergreifend erscheint nach den Ergebnissen vieler Beiträge das Zeugnis für den Glauben, das die Blutzeugenschaft als eine der möglichen Formen in den Hintergrund rückte Dennoch bleibt die Zuordnung im Einzelfall schwierig, wie das Beispiel der „Märtyrer von Córdoba“ zeigt Hier waren das Spannungsfeld der Texte und deren Doppeldeutigkeit wichtig Ist der Begriff des „freiwilligen“ Martyriums, wie im Falle der „Märtyrer von Córdoba“, haltbar? Indirekt richtete er sich gegen die Überlegungen der Kirchenväter Welche Fragen der Selbstprovokation, welche Eigenvisionen und apokalyptisch-prognostischen Gedanken spielten hier eine Rolle? Einen klaren Hinweis gegen starre Teleologien geben die immer wieder auftretenden Formen einer Aktualisierung der alten Blutzeugenschaft oder auch deren zeitweilige Ignorierung Welche Bedingungen mussten hierfür gegeben sein? War die Kunst des hohen Mittelalters vor den Bildtraditionen etwa der Mystik blutlos, wie während der Tagung bemerkt wurde? Blut scheint mitunter zweitrangig gewesen zu sein, sogar bei den Kreuzzügen war es nicht konstitutiv Könnte vielleicht die Blutzeugenschaft besonders dort in den Vordergrund treten oder getreten sein, wo die Nähe zur Passion und zum blutigen Opfer Christi gesucht wurde? Damit zusammen hängen politische Aspekte Verschiedene Beispiele lassen erkennen, wie Martyrium und Märtyrertum in Krisenzeiten (nach der der Reformation, im muslimisch-arabischen Spanien des 9 Jahrhunderts oder unter Pius IX ) besonders genutzt werden konnten – nicht nur von den Päpsten Politik und Religion sind in vielen dieser Fälle nur schwer zu scheiden Das Verhältnis von Martyrium und vita christiana erscheint in den vorgestellten Beispielen konstitutiv Aber sind die Modelle konkurrierend, ergänzen sie sich oder bauen sie aufeinander auf? Insbesondere ist das Verhältnis zu Modellen des monastischen Lebens, der Kreuzfahrer oder Missionare auszuloten Fragen der Definition, wie sie im ersten Teil der Einleitung bereits anklangen, sind damit keinesfalls endgültig gelöst Insbesondere die Beiträge zum späteren Mittelalter und der Neuzeit lassen erkennen, wie breit sich die Terminologie entfalten kann Man könnte vermuten, dass sich die Definitionsfragen ähnlich entwickeln wie im Falle der „Kreuzzugsmartyrien“ Dabei verschmelzen Fragen der Rezeption und der Definition, vor allem wenn das Martyrium zu einem Kampfbegriff avan-

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cierte Wie ist mit den neuen Verwendungen – auch in der Umgangssprache – umzugehen, wie weit muss sich die Wissenschaft auf dieses Feld einlassen? Die Typologie und die Stellung des Martyriums innerhalb verschiedener Formen von Heiligkeit bleibt ein Problem, denn die Verbindung von Apostelstatus und Märtyrertum sowie andere Kombinationen sind offensichtlich denkbar, aber von der Forschung kaum systematisch aufgearbeitet Als Erkenntnispotenzial erwies sich vor allem die kulturgeschichtliche Zugriffsweise Es wurden aus dieser Perspektive vor allem Deutungsschemata erforscht und untersucht, die nach Zeiten und Kontexten grundsätzlich vielfältig waren Dies erlaubte es, Deutungsmöglichkeiten nebeneinander zuzulassen, wie dies zum Beispiel in einem hier nicht abgedruckten Beitrag von Birgit Emich zum Begriffspaar Massaker – Martyrium im Kontext der Bartholomäusnacht in Paris eingebracht wurde Daraus ergaben sich Fragen, die in kunstgeschichtlicher Perspektive vertieft wurden und weiter vertieft werden können, welche Rolle etwa die verschiedenen Formen der Ästhetisierung von Gewalt spielten Bild – Sprache – Performanz Die Medialität unterstützt mit Blick auf Wahrnehmungsformen generell die semantische Wirkmächtigkeit des Martyriums Hierzu zählen in viel stärkerem Maße als bisher beachtet Liturgie sowie Predigt und Kommentar oder Bilder des unblutigen Opfers, etwa im Theater (Jesuiten) und Kirchenlied Lange Zeit war das Grab des Märtyrers und die dortigen Reliquien zentraler Ort einer medialen Wirkung Die Probleme des Ersatzes tauchten allerdings auf, wenn Grab und Reliquien fehlten Das Verhältnis von Individuum und Masse stellt sich damit an mehreren Punkten der Beiträge Gibt es ein stellvertretendes Martyrium? Welche Massen von Märtyrern könnten die Kreuzzüge hervorgebracht haben? War die Thebäerlegion ein Pendant zu den 11 000 jungfräulichen Begleitpersonen der hl Ursula? Damit zusammen hängen Modi der Aufzeichnung: Zuschreibungen von Märtyrerschaft im monastischen Bereich sind häufig, wie zahlreiche Beiträge dieses Bandes erkennen lassen: Hagiographie, Historiographie, Liturgie und weitere Medien belegen dies Demgegenüber blieb die autoritative Zuschreibung durch die Päpste bis ins 19  Jahrhundert ambivalent und mehrschichtig Zu vertiefen sind daher generell Fragen von Bild, Sprache und Performanz, weil sie oft mehr als die Begleitmusik zu den diskutierten Phänomenen bilden Nicht explizit, aber implizit präsent ist die Körperlichkeit, nicht nur im Beispiel der Stigmatisierungen Wie setzen verschiedene Protagonisten ihren Körper ein – oder auf der Ebene der Verschriftlichung und Darstellung: Wie wird Körperlichkeit eingesetzt? Ist die Körperlichkeit deshalb sogar als zentrale Kategorie der Märtyreridee anzusehen, weil sie zugleich Aktivität und Passivität andeuten kann und sich etwa der päpstlichen Kontrolle weitgehend entzog? Die Forschung wird über diese und weitere Fragen noch nachdenken müssen; sie bieten auch Ansatzpunkte zu einem weitergehenden interkulturellen Vergleich Welche Rolle dabei Praktiken, Abbildungen, Entwicklungsformen und Brechungen einnehmen, darf schon jetzt mit Spannung erwartet werden ***

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An dieser Stelle haben die Herausgeber nun noch die freudige Pflicht, den Personen und Institutionen zu danken, die zur Tagung des Arbeitskreises für Hagiographische Fragen und zu diesem Band beigetragen haben Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes waren bereit, aus verschiedenen Epochenzusammenhängen und Fächerkontexten ihre Gedanken zu einem komplexen Thema in die Tagung einzubringen und ihre Beiträge für den Druck bereitzustellen Die zahlreichen Diskutanten trugen durch engagierte Gespräche zum Gelingen des Unternehmens bei Die Realisierung der Tagung lag in den bewährten Händen von Kerstin Hopfensitz (Katholischen Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart), die die administrative Organisation mit der üblichen Gründlichkeit übernahm Es erfüllte uns und alle in Weingarten Anwesenden mit große Freude, dass der ehemalige Leiter des Referats Geschichte Dieter R Bauer an den Gesprächen teilnehmen konnte Als Gründungsmitglied vertritt er seit Jahren mit großem Eifer die Interessen des Arbeitskreises Er war in Weingarten als unser eigentlicher Gastgeber das Herz der Tagung Der Franz Steiner Verlag Stuttgart widmete sich der Drucklegung in gewohnter Qualität Unsere Ansprechpartner waren Katharina Stüdemann und Harald Schmitt Zudem ist Claudia Alraum zu nennen, die uns in Erlangen bei der redaktionellen Bearbeitung der Beiträge äußerst effizient unterstützte Das Register fertigte Julia Hümmer an Ihnen allen gilt unser aufrichtiger Dank

I SPÄTANTIKE GRUNDLAGEN

NON POENA SED CAUSA FACIT MARTYREM Blut- und Lebenszeugnis in der Alten Kirche: Sache, Kontext und Rezeption Peter Gemeinhardt I HINFÜHRUNG: VON DER REFORMATION ZURÜCK ZUR ALTEN KIRCHE Sören Kierkegaard meinte gelegentlich, Martin Luther habe der reformatorischen Bewegung einigen Schaden dadurch zugefügt, dass er nicht als Märtyrer gestorben sei1 Man mag darauf antworten, dass Luther – auch wenn er friedlich im Bett gestorben ist – der Reformation dennoch den einen oder anderen Dienst erwiesen habe Aber die Zeitgenossen dachten gar nicht so anders als Kierkegaard: Unmittelbar nach seinem Tod erschien Luther den Zeitgenossen als Zeuge der evangelischen Sache, der für das Evangelium zu sterben bereit gewesen wäre, aber nicht die Gelegenheit dazu bekommen hatte Schon sein Auftritt vor dem Reichstag zu Worms 1521 wurde als Martyriumssituation gedeutet: Nach der Verhängung der Reichsacht und Luthers Verschwinden kursierte alsbald ein Flugblatt mit einer Passio doctoris Martini Lutheri, das das Verhör vor dem Kaiser analog zu Jesu Verhör vor Pilatus darstellte Darin schilderte der Autor statt der Verbrennung des Protagonisten die seiner Schriften, wie Jesus von den Schächern flankiert von den Texten Andreas Karlstadts und Ulrich von Huttens2 Warum aber dieser Einstieg mit der Reformation und dann auch noch mit einem verhinderten Märtyrer, anstatt mit den spätantiken Grundlagen des Martyriums zu beginnen? Nun, schon bis hierhin kam mehreres zur Sprache, was für unser Thema von Bedeutung ist: Luther wurde angesichts des – ja noch gar nicht feststehenden, aber doch ernsthaft zu befürchtenden  – Zeugen-Todes prophylaktisch schon einmal in die Reihe der Blutzeugen aufgenommen – d h aber aufgrund seines Lebens Man muss also nicht notwendigerweise gewaltsam gestorben sein, um als Märtyrer zu gelten Zweitens reihte Luther selbst die Blutzeugen der Reformation in eine Tra1

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Das Diktum Kierkegaards findet sich mit Beleg bei Robert Kolb, For All the Saints Changing Perceptions of Martyrdom and Sainthood in the Lutheran Reformation, Macon GA 1987, 107; vgl Peter Gemeinhardt, Märtyrer und Martyriumsdeutungen von der Antike bis zur Reformation, ZKG 120 (2009), 289–322, hier 319 Abkürzungen der Literatur und Quellenschriften folgen: Lexikon der antiken christlichen Literatur, hg v Siegmar Döpp u Wilhelm Geerlings, Freiburg i Br u a 32002 sowie Siegfried Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 1992 Johannes Schilling, Passio doctoris Martini Lutheri Bibliographie, Texte und Untersuchungen (QFRG 57), Gütersloh 1989, 43–48, hier 47 (erste deutsche Rezension)

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dition des Leidens um des Glaubens willen ein, die bis auf Christus zurückgeht3, und zählte Leiden und Verfolgung zu den notae ecclesiae4 . Und schließlich war der Tod nicht per se ein Kriterium, vielmehr musste auch nach dem Grund der Hinrichtung gefragt werden: Denn auch Thomas Müntzer wurde von seinen Anhängern als Märtyrer verehrt Luther betonte: Nicht das Leiden mache den Märtyrer, sondern die Sache, für die er leide: Non poena sed causa facit martyrem5. Was aber ist die Sache, die den Märtyrer macht? So einfach ist die Frage offensichtlich nicht zu beantworten Ich möchte der Definition des Martyriums im Folgenden nachgehen, indem ich sie als dreistellige Relation beschreibe: Der Märtyrer bezeugt etwas (die Liebe Gottes, die Wahrheit des Glaubens) in einer konkreten Situation (im Verhör vor einem Richter) für eine Gemeinschaft (die daher sein Gedenken bewahrt und ihm gegebenenfalls einen Kult widmet) Die Frage nach der causa des Martyriums betrifft also den Inhalt (die „Sache“) des Zeugnisses, dessen Anlass bzw Kontext und die Rezeption (oder Anerkennung) dieses Verhaltens bzw Erleidens als Akt der Zeugnisgabe durch andere Christen Damit ist deutlich, dass 3

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Martin Luther, Sermon vom Leiden und Kreuz (16 4 1530; WA 32, 29,30–33): Wolan, will ich ein Christ sein, so mus ich die hofefarbe auch tragen, der liebe Christus gibt kein ander gewand aus an seinem hofe. Es mus gelitten werden Vgl schon die Resolutiones disputationis de indulgentiarum virtute, conclusio LVIII (1518; WA 1, 607,26 f ): Martyrum autem et sanctorum poenae debent esse potius exemplum ferendarum poenarum. Weitere Belege und Literatur bei Gemeinhardt, Märtyrer (wie Anm  1), 314–317 Martin Luther, Von Konziliis und Kirchen (1539; WA 50, 641,35–642,21): Zum siebenden erkennet man eusserlich das heilige Christliche Volck bey dem Heilthum des heiligen Creutzes, das es mus alles unglueck und verfolgung, allerley anfechtung und ubel (wie das Vater unser betet) vom Teufel, welt und fleisch, jnwendig trauren, bloede sein, erschrecken, auswendig arm, veracht, kranck, schwach sein, leiden, damit es seinem Heubt Christo gleich werde, Und mus die ursache auch allein diese sein, das es fest an Christo und Gottes wort helt, und also umb Christus willen leide, Matth. 5.[11]: ‚Selig sind die, so umb meinen willen verfolgung leiden.‘ Sie muessen from, still, gehorsam sein, bereit mit Leib und gut zu dienen der Oberkeit und jderman, niemand kein leid thun. Aber kein volck auff erden mus solchen bittern hass leiden, sie muessen erger, denn Jueden, Heiden, Tuercken, Summa, sie muessen Ketzer, Buben, Teuffel, verflucht und die schedlichsten Leute auff Erden heissen, das auch die einen Gotts dienst thun, von welchen sie erhenckt, ertrenckt, ermordet, gemartert, veriagt, zeplagt werden, und sich niemand uber sie erbarme, sondern auch mit Myrrhen und Gallen dazu trencke, wo sie duerstet, und doch nicht darumb, das sie Ehebrecher, moerder, diebe oder schelcke sind, sondern das sie Christum allein und keinen andern Gott haben wollen. Wo du nu solchs sihest oder hoerest, da wisse, das die heilige Christliche Kirche sey, wie er spricht, Matth. 5.[11 f.]: ‚Selig seid jr, wenn euch die Leute fluchen‘, und euren namen verwerffen als ein schedlich boese ding, und das: ‚umb meinen willen, Seid froelich und freuet euch, Eur lohn ist im Himel gros‘. Denn mit diesem heilthum macht der Heilige Geist dis Volck nicht allein heilig, Sondern auch selig So Martin Luther in einer Predigt zu Estomihi (8 2 1540; WA 49, 25–29, hier 27,30 f ), die insgesamt für sein Verständnis des Martyriums höchst aufschlussreich ist Das Zitat stammt aus Augustin, contra Cresconium III 47,51 (CSEL 52, 459,20 Petschenig); es begegnet auch in Luthers Schrift: An die Pfarrherrn wider den Wucher zu predigen, Vermahnung (1540; WA 51, 402,12–15 29–31), ebenso bei Philipp Melanchthon, Verlegung etlicher unchristliche Artickel, welche die Wiedertäufer fürgeben (CR 3, 34); zur Bedeutung dieses Augustin-Zitats im Reformationsjahrhundert vgl Brad S  Gregory, Salvation at Stake Christian Martyrdom in Early Modern Europe (HHS 134), Cambridge MA 1999, 329–339

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nicht ein Ereignis an sich als Martyrium gelten kann, sondern dass es sich stets um eine Zuschreibung seitens der Trägergruppe der memoria handelt Das Schema erlaubt es, die Vielfalt antiker (und späterer) christlicher Martyriumstexte daraufhin zu untersuchen, warum und von wem lebende und tote Menschen als Märtyrer anerkannt und verehrt wurden – und andere nicht Anlass, Rezeption und Inhalt will ich kurz entfalten, bevor ich am Ende auf die Anwendbarkeit der Kriteriologie über die Antike hinaus zurückkomme6 II WIE KOMMT ES ZUR MARTYRIUMSSITUATION? FREIWILLIGE UND ANDERE MÄRTYRER Beginnen wir mit einem gewissen Euplus Dieser tauchte am 29 April 304 vor dem Amtssitz des Gouverneurs von Sizilien in Catania auf und rief laut: „Ich bin ein Christ, und für den Namen Christi will ich sterben!“7 Als er vor den Gouverneur gebracht wurde, stellte sich heraus, dass er Evangelienschriften bei sich hatte8, die kaiserlichem Dekret zufolge auszuliefern waren9 Der Martyriumsbericht spielt mit dem Wort tradere: Weil Euplus die heiligen Schriften nicht ausgeliefert hatte (non tradidisti) und betonte, dass er als Christ lieber sterben würde, als die Texte auszuliefern (tradere), weil ihm dieses Gesetz selbst von Christus überliefert (tradita) sei, wurde er dem Verhör unter der Folter überantwortet (traditus)10 Wie zu erwarten stand, wurde Euplus zum Tode verurteilt und hingerichtet, wobei ihm ein Evangelienbuch um den Hals gehängt wurde – als öffentliche Proklamation seines Vergehens11 Diese Begebenheit ist für unsere Zwecke sehr interessant Dem eigentlichen Bericht von Verhör, Folter und Hinrichtung (mit anschließender Bestattung durch die christliche Gemeinde) ist der Auftritt vor dem Sitz des Gouverneurs vorgeschaltet, 6

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Vollständigkeit in der Literaturverwertung konnte nicht das Ziel dieses Beitrags sein Im Folgenden werden daher nur die Quellen und die auf diese bezogenen Untersuchungen dokumentiert Das Material ist aufgearbeitet von Theofried Baumeister, Heiligenverehrung, in: RAC 14 (1988), 96–150 Einen Überblick über pagane, jüdische und christliche Martyriumsverständnisse bietet Jan W Van Henten, Martyrium II (ideengeschichtlich), in: RAC 24 (2011), 300–325, mit Betonung der identitätsbildenden Funktion von Martyriumsberichten; vgl dazu bereits Barbara Aland, Märtyrer als christliche Identifikationsfiguren Stilisierung, Funktion, Wirkung, in: Literarische Konstituierung von Identifikationsfiguren in der Antike (STAC 16), hg v ders u a , Tübingen 2003, 51–70  – Die antiken Märtyrerakten werden, wenn nicht anders vermerkt, nach der Ausgabe von Herbert Musurillo, The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972 zitiert Acta Eupli, rec lat 1,1 (314,4 f ): Christianus sum, et pro Christi nomine mori desiderio! Zum Folgenden vgl Christel Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche? Studien zu Darstellung und Deutung frühchristlicher Martyrien (BHTh 87), Tübingen 1995, 198 f Acta Eupli, rec lat 1,2 (314,7): euangelia portans; vgl hierzu bereits Acta Scillitanorum 12 (88,15), wo die Märtyrer libri et epistulae Pauli viri iusti bei sich haben Acta Eupli, rec lat 2,2 (316,4–6) Belege: Acta Eupli, rec lat 1,6; 2,2 f (314,19–23; 316,6–11) Acta Eupli, rec lat 3,2 (318,7 f )

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der in doppelter Hinsicht anstößig ist: Einerseits gehorchte Euplus, wenn auch in ungewöhnlicher Weise, dem kaiserlichen Edikt und übergab dem Beamten ein Evangelienbuch – was aus christlicher Sicht unstatthaft war; und andererseits brachte er sich selbst mutwillig in die Situation, das Martyrium zu erleiden – während nur wenig später die Synode von Elvira ein Verbot erließ, das Martyrium z B durch die mutwillige Zerstörung von Götterbildern zu provozieren12 Bereits ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Bischof Cyprian von Karthago dem ihn verhörenden Prokonsul erklärt, er dürfe seine Gemeindeglieder nicht verraten, diese aber auch nicht dazu auffordern, sich selbst zu erkennen zu geben, „weil dies unsere disciplina verbietet“13 Euplus sah das – dem Bericht zufolge – offenbar anders Zudem erweckte er den Anschein, er sei ein traditor und damit gerade kein vorbildlicher Christ Daher verschob die lateinische Fassung der ursprünglich griechischen Akten den Akzent von der Übergabe auf die Botschaft der Schriften: Als Euplus aufgefordert wurde, aus den Evangelien vorzulesen, wählte er Mt 5,10 („Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich“) und Mk 8,34 („Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir!“)14 Das Evangelium selbst sollte also legitimieren, was Euplus niemals mit ihm hätte anstellen dürfen – nämlich heilige Schriften auszuliefern und damit das eigene Todesurteil auszufertigen Hier und in vielen weiteren Märtyrerberichten steht mehr oder weniger explizit die Frage zur Debatte: Wann ist ein Tod ein Martyrium? Während der Begriff des Zeugen im Neuen Testament polyvalent ist und zuerst auf Christus selbst als den prototypischen Zeugen angewendet wird (Kol 1,18), und während die Johannesoffenbarung, wo sie vom „Blut der Zeugen“ spricht (Offb 17,6), damit Christen meint, die „um ihres Zeugnisses willen“ umgebracht worden sind (Offb 6,9; 20,4)15, gilt seit dem Martyrium des Polykarp (Mitte des 2 Jahrhunderts) der Tod selbst als Zeugnis16 Wort- und Blutzeugnis fallen in eins: Nur der  – und genau der – Christ ist ein μάρτυς, der in einer Situation seinen Glauben bekennt, in der

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Concilium Illiberritanum, can 60 (SQS 12, 23,2–5 Lauchert): Si quis idola fregerit et ibidem fuerit occisus, quatenus in evangelio scriptum non est neque invenietur sub apostolis unquam factum, placuit in numerum eum non recipi martyrum; vgl Anthony Birley, Die „freiwilligen“ Märtyrer Zum Problem der Selbst-Auslieferer, in: Rom und das himmlische Jerusalem Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung, hg v Raban von Haehling, Darmstadt 2000, 97–123, hier 117, der allerdings auf die Acta Eupli nicht eingeht; dies tut auch Geoffrey E M de Ste Croix, Christian Persecution, Martyrdom, and Orthodoxy, hg v Michael Whitby u Joseph Streeter, Oxford 2006, 175, nur kursorisch Acta proconsularia Sancti Cypriani 1,5 (168,21–170,2): Legibus uestris bene atque utiliter censuistis delatores non esse. itaque detegi et deferri a me non possunt. in ciuitatibus autem suis inueniuntur. et cum disciplina prohibeat nostra ne quis se ultro offerat et tuae quoque censurae hoc displiceat, ne offerre se ipsi possunt, sed a te exquisiti inueniuntur. Acta Eupli, rec lat 1,5 (314,14–17) Norbert Brox, Zeuge und Märtyrer Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (StANT 5), München 1961, 92–105 Martyrium Polycarpi 13,2; 14,2 (12,12–14 25 f ) u ö

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ihm dieses Bekenntnis den sicheren Tod bringen wird Und diese Ursituation des Martyriums ist das Verhör durch einen römischen Richter17 Darf man sich, so die unmittelbar daraus folgende Frage, selbst in diese Lage bringen? Eine Reihe antiker Quellen suggerieren, dass Christen dies taten, sei es, dass sie sich wie Euplus persönlich den Behörden stellten, sei es, dass sie während des Verhörs oder der Hinrichtung von Christen spontan ihre Sympathie oder sogar ihren bis dato nicht erkannten christlichen Glauben bekundeten und daraufhin selbst verhaftet wurden18 Geoffrey de Ste Croix hat mit seiner These, solche „Selbstauslieferer“ hätten den Ausbruch von Verfolgungen veranlasst bzw bestehende Bedrohungen verschärft19, lange anhaltende und kontroverse Diskussionen provoziert Christel Butterweck hat hingegen plausibel gemacht, dass solchen Berichten in der Mehrzahl ein apologetisches oder polemisches Interesse eignet: Nur vereinzelt verdienen sie historische Glaubwürdigkeit, meistens jedoch sollen Berichte von einem freiwillig auf sich genommenen Martyrium zeigen, dass eben dies nicht der Weg der imitatio Christi ist20 Konnten sie auch ad extra den Todesmut der Christen belegen, dienten sie doch ad intra gerade als Warnung, nicht nach irgendeinem Tod zu streben, sondern sich zu bemühen, Zeugen Christi zu sein und als solche womöglich Märtyrer zu werden – oder auch nicht Martyrium bedeutet nach Clemens von Alexandrien nicht „zu kämpfen, um zu sterben“21, vielmehr gilt es im Namen des „himmlischen Logos“ zu kämpfen, „der als rechter Wettkämpfer auf dem Theater der ganzen Welt als Sieger bekränzt worden ist“22 Nicht die Arena als solche macht den Wettkämpfer und nicht der Gerichtssaal an sich den Blutzeugen – die Motivation ist es, die zählt: Wenn jemand sich selbst dem Martyrium stellt, tut er das Clemens zufolge „aus Hass gegen den Schöpfer der Welt“; und daher „sterben solche nicht als Märtyrer, auch wenn sie von Staats wegen bestraft werden“23 Tertullian gibt ein drastisches Beispiel dafür: Als in Kleinasien eine Christenverfolgung wütete, wollte sich eine ganze Gemeinde dem Prokonsul ausliefern, bis dieser die Christen entnervt entließ: „Ihr Bastarde, wenn ihr unbedingt sterben wollt, gibt es genug Klippen zum Herunterspringen und hinreichend Seile, um sich

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Ekkehard Mühlenberg, Altchristliche Lebensführung zwischen Bibel und Tugendlehre Ethik bei den griechischen Philosophen und den frühen Christen (AAWG PH III 272), Göttingen 2006, 79 18 Belege und Diskussion bei Gemeinhardt, Märtyrer (wie Anm  1), 297–301 19 Ste Croix, Christian Persecution (wie Anm  12), 130 20 Butterweck, „Martyriumssucht“, passim sowie speziell 2–5 und 245 f zur Auseinandersetzung mit de Ste Croix (und seinen Rezipienten wie W H C Frend und Robin Lane Fox) 21 Clemens von Alexandrien, str IV 17,1 (GCS 52, 256,14 Stählin/Früchtel/Treu): οἱ ἄθλιοι θανατῶντες 22 Clemens von Alexandrien, protr I 2,3 (GCS 58, 4,15 f Stählin/Treu): ὁ λόγος οὐράνιος, ὁ γνήσιος ἀγωνιστὴς ἐπὶ τῷ πάντος κόσμου θεάτρῳ στεφανούμενος 23 Clemens von Alexandrien, str IV 17,2 (GCS 52, 256,14 f Stählin/Früchtel/Treu): Τούτους ἐξάγειν ἑαυτοὺς ἀμαρτύρως λέγομεν, κἂν δημοσίᾳ κολάζωνται (Übers Theofried Baumeister, Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums [TC 8], Bern u a 1991, 131)

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aufzuhängen!“24 Den Selbstauslieferern bleibt der Gerichtssaal  – und damit der adäquate Ort der Zeugnisgabe – versperrt Vor diesem Hintergrund ist Augustins Satz zu verstehen: Non poena sed causa facit martyrem. Ein gewaltsamer Tod an sich ist und bleibt zweideutig; die Hinrichtung als solche unterscheide Christus ja nicht von einem Räuberhauptmann25! Diesen Tod auch noch zu suchen macht den Todeswilligen dann erst recht verdächtig Halten wir also für die Frage nach dem Anlass des Martyriums fest: Die Wahrheit wird vor Gericht offenbar Wer dort den Glauben bekannt hat, ist dann auch in der Arena ein Zeuge für Christus Zu einem solchen Zeugen macht man sich nicht, man wird es ohne eigenes Zutun Entscheidend ist eine doppelte Passivität: Dem Erleiden von Folter und Tod geht das Erleiden des Ergriffen-Werdens voraus Genau hier liegt, um einen kurzen Blick auf späteren Zeiten zu werfen, der Grund für das Zögern, im Kampf getötete Kreuzfahrer als Märtyrer zu betrachten, denn der Aspekt der Aktivität auf dem Weg zum Tod ist hier allzu eindeutig26 Damit ist natürlich nicht gesagt, dass Christen öffentlich gar nichts Religionsspezifisches tun dürften: Sie sollen selbstverständlich als Christen leben, als solche erkennbar sein und von ihrem Glauben Zeugnis ablegen In diesem Sinne sind auch die frühchristlichen Apologeten „Märtyrer“, aber durch das Wort, nicht durch ihr Blut27 Man könnte nun allerdings fragen, ob nicht schon das Nicht-Tun des Falschen – d h also das authentische christliche Leben – eine aktive Handlung und insofern der erste Schritt zum Martyrium sei Zumindest was die christliche Binnenperspektive anbelangt, trifft dies nicht zu: In den christlichen Quellen wird vielmehr durchgehend betont, dass die Christen mit ihrer bloßen Existenz gerade keinen Grund für eine Verfolgung bieten, also nicht schon durch ihre schiere Präsenz das Martyrium provozieren Tatsächlich lassen viele Märtyrerakten erkennen, dass eine Verfolgung von Individuen oder Gruppen durch konkrete Konflikte oder auch durch eine Veränderung der Religionspolitik des Imperiums (wie bei Diokletian und seinen Mitregenten) veranlasst wurde Der Punkt, an dem man von einer Verursachung von Martyrien durch die Christen sprechen könnte, ist vielmehr ihre Missionstätigkeit: Der Präfekt Rusticus verdächtigte den Apologeten Justin, unter dem Deckmantel einer Philosophenschule Römer zur Konversion zu bewegen (was seine Schüler bestritten)28 Auch Polykarp wurde vorgeworfen, die Abkehr von den 24 Tertullian, Scap 5,1 (CChr SL 2, 1131,4–1132,8 Dekkers): Arrius Antoninus in Asia cum persequeretur instanter, omnes illius civitatis Christiani ante tribunalia eius se manu facta obtulerunt. tum ille, paucis duci iussis, reliquis ait: Ὦ δεινοί, εἰ θέλετε ἀποθνήσκειν, κρημνοὺς ἢ βρόχους ἔχετε! 25 Augustin, c Cresc III 47,51 (CSEL 59, 459,20 Petschenig) 26 Vgl hierzu den Beitrag von Ernst-Dieter Hehl in diesem Band; der Gedankengang im folgenden Absatz versucht u a , eine von Herrn Kollegen Hehl in der Diskussion geäußerte Anfrage zu beantworten, nämlich ob nicht jedes Martyrium mit einer aktiven Handlung des Christen – und sei es im Alltag – beginne 27 Hierzu vgl Jakob Engberg, Truth Begs No Favours  – Martyr-Literature and Apologetics, in: Critique and Apologetics Jews, Christians and Pagans in Late Antiquity (ECCA 4), hg v Anders-Christian Jacobsen, Jörg Ulrich u David Brakke, Frankfurt a M u a 2009, 177–208 28 Acta Iustini et sociorum 4,5 (44,20 f )

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Göttern zu lehren29; und dass Ehemänner, deren Frauen sich dem Christentum zuwandten, deren Lehrer und Seelsorger vor Gericht zerrten, ist in den apokryphen Apostelakten ein mit schöner Regelmäßigkeit wiederkehrender Topos30 Die antiken Diskussionen über legitime und illegitime Martyrien beziehen sich aber nicht auf solche Missionstätigkeit, die sich ja aus der Binnenlogik dieser Religion mit Notwendigkeit ergibt Mission und vor allem konsequent christliches Alltagsleben macht vielmehr das Christsein an sich aus, es gehört also – mit den Worten Plinius’ des Jüngeren – zum nomen ipsum, um dessentwillen er gegen die Christen vorgehen zu müssen meinte31 Dazu zählen hingegen keine Provokationen oder mutwilligen Handlungen, die Strafverfolgung nach sich ziehen; vielmehr betonen die Apologeten stets, dass die Christen gerade als Christen die besseren Staatsbürger seien! Und nur darum kann z B Tertullian mit solch beißender Schärfe die Christenverfolgungen als illegitim geißeln: Wie auch Minucius Felix betont er, unter den Christen gebe es keine Missetäter; und wenn man doch einen finde, sei dieser nicht als Christ anzusehen32 Diesem Anspruch zufolge war das Martyrium eo ipso unverdient oder durch ein konsequent christliches Leben zugezogen, auf das ein Christ schlechterdings nicht verzichten durfte Nicht ohne Ironie entsprechen sich hier die Sicht der Christen, dass man das Martyrium nicht suchen dürfe, und das Reskript des Trajan an Plinius, wonach man die Christen nicht suchen solle33 Martyrien waren bis zur Mitte des 3 Jahrhunderts rein quantitativ eine Ausnahme; erst die reichsweiten Maßnahmen der Kaiser Decius, Valerian und Diokletian führten zu einer Masse von Martyrien (und auch zu einer Vielzahl von Lapsi, Traditoren und anderen nicht standhaften Christen) Gruppen, ja Massen von Märtyrern sind dabei selten; weder die Vierzig Märtyrer von Sebaste noch die Thebäische Legion und erst recht nicht Ursulas elftausend Jungfrauen spiegeln die radikale Individualität des Martyriums im antiken Verständnis wider Es ging nie darum, dass viele oder gar alle Christen den Märtyrertod hätten anstreben sollen Zeugnis abzulegen war Sache des Einzelnen und Identifizierbaren Pathetisch ausgedrückt: Vor Gericht und in der Arena steht der Märtyrer allein in Gottes Hand

29 Martyrium Polycarpi 12,2 (10,26–28) 30 Vgl z B das Martyrium Petri (neu hg v Otto Zwierlein, Petrus in Rom Die literarischen Zeugnisse [UaLG 96], Berlin/New York 22010, 404–425), aber auch das bei Justin, II apol 2,1–8 (PTS 38, 137,1–138,25 Marcovich) berichtete Martyrium des Ptolemäus, der eine adlige Römerin bekehrt hatte 31 Plinius minor, ep X 96,2 (BiTeu 355,11–15 Schuster/Hanslik) 32 Tertullian, apol 44,3 (CChr SL 1, 159,13 f Dekkers) zu Menschen im Kerker, in Bergwerken oder in der Arena: Nemo illic christianus, nisi hoc tantum; aut, si et aliud, iam non christianus; Minucius Felix, Oct 35,6 (ed Bernhard Kytzler, München 1965, 192): Christianus ibi [sc im Kerker] nullus nisi reus suae religionis aut profugus; vgl auch die von Euseb (h e V 18,6–10; GCS Eus II/2, 474,20–476,23 Schwartz) überlieferte Episode von dem abtrünnigen und straffälligen Christen Alexander, dem es dennoch gelang, von der Gemeinde losgekauft und von ihr als Bekenner, von den Montanisten gar als Märtyrer verehrt zu werden! 33 Plinius minor, ep X 97 (BiTeu 357,14–24 Schuster/Hanslik)

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III REZEPTION: DER GEMEINSCHAFTSBEZUG DES GLAUBENSZEUGNISSES Allerdings muss die Rede von der Individualität des Martyriums sofort relativiert werden Der Märtyrer wird zwar alleine vor dem Richter zitiert oder gezerrt, steht dort aber in doppeltem Bezug zu anderen: Indem er als Athlet kämpft, streitet Christus in und mit ihm; er kämpft aber nicht nur für sich, sondern als Repräsentant seiner Gemeinschaft, d h als Glied der communio sanctorum, von der seit dem 4 Jahrhundert das Glaubensbekenntnis spricht34 Der Märtyrer und ebenso die Märtyrerin stehen demnach sowohl in einer vertikalen als auch in einer horizontalen Beziehung, die sie vor Christus einerseits und vor ihren Mitchristen andererseits als Blutzeugen und -zeuginnen kenntlich macht Für Augustin symbolisieren die Märtyrer die Realisierung des himmlischen Gottesstaates unter irdisch-geschichtlichen Bedingungen: Sie handeln nicht aus Selbstliebe (amor sui), sondern aus Gottesliebe (amor dei), „die sich bis zur Selbstverachtung erhebt“; sie erwarten auch nicht den eigenen Ruhm, sondern den Ruhm in Gott (2 Kor 10,17); und sie stellen damit die wahre Frömmigkeit vor Augen, „die den wahren Gott recht verehrt und in der Gemeinschaft der Heiligen, nicht nur der Menschen, sondern auch der Engel, als Lohn erwartet, ‚dass Gott sei alles in allem‘“ (1 Kor 15,28)35 Wer nach eigenem Ruhm strebt, nicht nach der Gottesliebe in der Gemeinschaft der Heiligen, bezeugt manches, aber nicht den wahren Glauben Den gibt es nur in der rechten Kirche „Gott kann nicht zum Vater haben, wer die Kirche nicht zur Mutter hat“: in diese Formel goss Cyprian von Karthago das Prinzip, dass der Christ das ewige Heil niemals für sich allein, sondern immer nur innerhalb der ihn tragenden Gemeinschaft erlangen kann Und für die Märtyrer bedeutete das ganz konkret: „Es kann nicht Märtyrer sein, wer nicht zur Kirche gehört!“36 Die Märtyrer gehören also zur Gemeinschaft der mit ihnen Leidenden und der sie im Leiden Begleitenden Diese Gemeinschaft ist es auch, die sich am Grab derer trifft, die das Leiden vollbracht haben, und ihrer gedenken Das ist bereits bei Polykarp von Smyrna deutlich: Im Bericht über sein Martyrium heißt es,

34 Der Begriff coetus sanctorum findet sich zuerst bei Origenes, hom in Cant I (GCS Orig VIII, 90,3–6 Baehrens), allerdings in der Übersetzung durch Hieronymus und damit praktisch zeitgleich mit dem ersten lateinischen Beleg für communio sanctorum bei Nicetas von Remesiana, symb 10 (Niceta of Remesiana: His Life and Works, ed Andrew Ewbank Burn, Cambridge 1905, 38–54, hier 48,1–17) 35 Augustin, civ XIV 28 (CChr SL 48, 451,1–4; 452,23–27 Dombart/Kalb): Fecerunt itaque ciuitates duas amores duo, terrenam scilicet amor sui usque ad contemptum dei, caelestem uero amor dei usque ad contemptum sui. Denique illa in se ipsa, haec in domino gloriatur […]. In hac autem nulla est hominis sapientia nisi pietas, qua recte colitur uerus deus, id expectans praemium in societate sanctorum non solum hominum, uerum etiam angelorum, ut sit deus omnia in omnibus (Übers Wilhelm Thimme, Augustinus: Vom Gottesstaat, Bd  2, München 31991, 210 f ) 36 Cyprian, De unitate ecclesiae 6 (CChr SL 3, 253,149 f Bévénot): Habere iam non potest Deum patrem qui ecclesiam non habet matrem; 14 (ebd 259,337 f ): Esse martyr non potest qui in ecclesia non est

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dass sich die Gemeinde am Jahrestag seines Todes – am geistlichen dies natalis (ἡμέρα γενέθλιος) – an seinem Grab trifft, „zum Gedenken an die, die vor uns gekämpft haben, und zur Einübung und Vorbereitung derer, die dies noch vor sich haben“37 Erst diese Memoria verleiht der Hinrichtung die Bedeutung des Zeugentodes, indem Polykarp für die Gemeinde in Smyrna (und darüber hinaus) als Zeuge gilt Wie in keinem anderen Lebensvollzug der antiken Kirche herrschte hier Gleichberechtigung: Auch Frauen konnten mit ihrem Tod Zeugnis ablegen Das zeigt eindrücklich der Bericht über die Hinrichtung Blandinas in Lyon: „Blandina wurde an einem Pfahl aufgehängt und sollte den auf sie losgelassenen wilden Tieren zur Speise dienen Dadurch, dass die Angebundene in ihrem inbrünstigen Gebete die Kreuzesform zeigte, flößte sie den Kämpfern großen Mut ein; denn in ihrem Kampf schauten sie so mit ihren fleischlichen Augen in der Schwester den, der für sie gekreuzigt worden war Damit wollte sie die Gläubigen überzeugen, dass jeder, der um der Herrlichkeit Christi willen leidet, für immer in Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott steht “38

Wie die Männer in ihrem Umfeld, ja in noch größerem Maße erscheint Blandina als „edle Athletin“39 Sie machte an ihrem Leib deutlich, was es bedeutete, um Christi willen zu leiden und damit in die communio sanctorum einzutreten, repräsentierte also zugleich den vertikalen (auf die Gemeinschaft nach dem Tod bezogenen) und den horizontalen (auf die Gemeinschaft der Kämpfenden bezogenen) Aspekt der κοινωνία Dass eine solche Christusrepräsentation durch Frauen in der Alten Kirche nicht unumstritten war, zeigt eine ähnliche Szene aus den Akten des Paulus und der Thekla: Auf dem Scheiterhaufen stehend zeigte Thekla „die Gestalt (τύπος) des Kreuzes“ – was einige lateinische Textzeugen als Geste des sich Bekreuzigens (signum crucis), andere hingegen als kreuzförmiges Ausbreiten der Arme (extensis manibus similitudinem crucis), d h als imitatio des Kreuzes Christi deuten40 Von der offensichtlichen Zumutung einer Frau als Christusrepräsentantin nahm man in der Spätantike bald wieder Abstand: Die prototypische Märtyrerin Agnes in Rom war zugleich auch Jungfrau  – dadurch war sie nicht nur mit einer, sondern „mit

Martyrium Polycarpi 18,3 (16,13–15): εἴς τε τὴν τῶν προηθληκότων μνήμην καὶ τῶν μελλόντων ἄσκησίν τε καὶ ἑτοιμασίαν 38 Martyrium Lugdunensium 1,41 (74,14–20): ἡ δὲ Βλανδῖνα ἐπὶ ξύλου κρεμασθεῖσα προύκειτο βορὰ τῶν εἰσβαλλομένων θηρίων, ἣ καὶ διὰ τοῦ βλέπεσθαι σταυροῦ σχήματι κρεμαμένη, διὰ τῆς εὐτόνου προσευχῆς πολλὴν προθυμίαν τοῖς ἀγωνιζομένοις ἐνεποίει, βλεπόντων αὐτῶν ἐν τῷ ἀγῶνι καὶ τοῖς ἔξωθεν ὀφθαλμοῖς διὰ τῆς ἀδελφῆς τὸν ὑπὲρ τῶν αὐτῶν ἐσταυρωμένον, ἵνα πείσῃ τοὺς πιστεύοντας εἰς αὐτὸν ὅτι πᾶς ὁ ὑπερ τῆς Χριστοῦ δόξης παθὼν τὴν κοινωνίαν ἀεὶ ἔχει μετὰ τοῦ ζῶντος θεοῦ (Übers : Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, übers von Philipp Haeuser u Hans-Armin Gärtner, Darmstadt 52006, 240) 39 Martyrium Lugdunensium 1,19 (66,31 f ): ἀλλ᾿ ἡ μακαρία ὡς γενναῖος ἀθλητὴς ἀνενέαζεν ἐν τῇ ὁμολογίᾳ Das Prädikat wird z B auch für Papylus verwendet, vgl Martyrium Carpi, Papyli et Agathonicae 35 (26,12) sowie Martyrium Potamiaena 4–5 (132,22–26); Passio Perpetuae et Felicitatis 10,10 f (118,13–19) u ö 40 Acta Pauli et Theclae 22 (griech : AAAp I, 250,8 f Lipsius; lat : TU 22,2, 58,1–8 Gebhardt) 37

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zwei Kronen gekrönt“, zugleich aber auch eindeutiger als Blandina von Christus als dem Leidensvorbild distanziert41 Wenn Märtyrer und Märtyrerinnen nun aber jeweils für eine Gemeinschaft – eine Gemeinde vor Ort, eine Region oder eine Provinz – als Zeugen und Zeuginnen fungierten, war im Fall konkurrierender Gemeinden der Konflikt vorprogrammiert: Wer waren die echten Zeugen? Durch die Pluralität von Märtyrergestalten konnte und durfte ja nicht die Einheit im Glauben zur Disposition gestellt werden Augustin beschloss daher eine umfangreiche Aufzählung von Wundern, die die in Nordafrika verehrten Märtyrer bewirkt hätten, mit der Feststellung: „Wofür nun legen diese Wunder Zeugnis ab? Doch nur für den Glauben, der verkündet, dass Christus im Fleisch auferstanden und mit dem Fleisch zu Himmel gefahren ist Denn die Märtyrer waren Märtyrer dieses Glaubens, das ist Zeugen dieses Glaubens “42

Weil die Märtyrer eine zentrale ekklesiologische Funktion besitzen, ist es wichtig, dass sie zur richtigen Gemeinschaft gehören und Zeugen des rechten Glaubens sind! Das lässt sich gut an zwei Konflikten des 4 Jahrhunderts verdeutlichen: am sogenannten „arianischen Streit“ und an der Auseinandersetzung um die Donatisten Zunächst zu den Arianern: Für Athanasius von Alexandrien stand, je mehr er in den 350er Jahren politisch und kirchlich ins Abseits gedrängt wurde, der Bezug auf seinen Vorgänger Petrus, der 311 das Martyrium erlitten hatte, im Mittelpunkt43 Dessen Grab wurde zum Treffpunkt für die Anhänger des 356 gewaltsam aus Alexandrien vertriebenen Bischofs, worauf die Behörden mit der gewaltsamen Auflösung der Versammlung reagierte44 Im Streit um den trinitarischen Glauben gegen die „Arianer“ erblickte Athanasius eine neue Situation für das Martyrium: Märtyrer sei nicht nur, wer sich weigere, den Göttern Weihrauch zu opfern (was seinerzeit ja niemand mehr von den Christen verlangte),  – „auch wer den Glauben nicht verleugnet, erbringt ein glanzvolles Zeugnis des Gewissens“45! Den 41

Vgl Prudentius, perist XIV 7–9 (427 Bergman); ähnlich Hieronymus, ep 130,5,2 (CSEL 56, 179,22–24 Hilberg) sowie Ambrosius, virg I 2,9 (FC 81, 112,11 f Dückers): duplex martyrium pudoris et religionis; dazu Lucy Grig, Making Martyrs in Late Antiquity, London 2004, 79 42 Augustin, civ XXII 9 (CChr SL 48, 827,1–4 Dombart/Kalb): cui, nisi huic fidei adtestantur ista miracula, in qua praedicatur christus resurrexisse in carne et in caelum ascendisse cum carne? quia et ipsi martyres huius fidei martyres, id est huius fidei testes, fuerunt (Übers Thimme, Augustinus [wie Anm  35], Bd  II, 778 f ) 43 Zu Petrus’ Biographie und Martyrium vgl grundlegend Tim Vivian, St Peter of Alexandria Bishop and Martyr, Philadelphia 1988 44 Athanasius, apol Const 27,5 (AW II, 301,5–10 Brennecke/Heil/Stockhausen); vgl Winrich Löhr, Athanasius und Alexandrien, in: Athanasius Handbuch, hg v Peter Gemeinhardt, Tübingen 2011, 113–122, hier 119; zur Bedeutung des Petrus für Athanasius vgl Peter Gemeinhardt, Vita Antonii oder Passio Antonii? Biographisches Genre und martyrologische Topik in der ersten Asketenvita, in: Christian Martyrdom in Late Antiquity History and Discourse, Tradition and Religious Identity (AKG 116), hg v Peter Gemeinhardt u Johan Leemans, Berlin/Boston 2012, 79–114, bes 99–103 45 Athanasius, ep Aeg Lib 21,2 (AW I/1,1, 62,4–6 Savvidis/Metzler): Οὐ γὰρ μόνον τὸ μὴ θῦσαι λίβανον δείκνυσι μάρτυρας, ἀλλὰ καὶ τὸ μὴ ἀρνήσασθαι τὴν πίστιν, ποιεῖ τὸ μαρτύριον τῆς συνειδήσεως λαμπρόν Vgl (fast wortgleich) v Anton 47,1 (SC 400, 262,1–5 Bartelink) und bereits Origenes, hom Num 10,2 (GCS Orig VII, 72,21–23 Baehrens)

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Glauben nicht zu verleugnen hieß aber auch: ihn nicht im innerchristlichen Disput zu verfälschen Athanasius stand in einer doppelten Frontstellung, insofern er nicht nur um den trinitarischen Glauben gegen die Arianer (bzw tatsächlich Homöer), sondern auch gegen die sogenannten Melitianer um die legitime Sukzession im ägyptischen Episkopat kämpfen musste46 Diese Gruppe, die sich selbst als die „Kirche der Märtyrer“ bezeichnete, war entstanden, weil sich Bischof Petrus der Verfolgung unter Diokletian und Maximinus Daja zunächst durch Flucht entzogen hatte, bevor er 311 letztlich doch hingerichtet worden war47 Die Melitianer warfen Athanasius und seinen Gefolgsleuten vor, falsche Märtyrer zu verehren bzw sich fälschlich auf die Märtyrer der Verfolgungszeit zu berufen, unter die Petrus nicht zu rechnen sei, weil er nicht sogleich bereit gewesen war, als Blutzeuge Nachfolge Christi zu üben (vergleichbare Kritik hatte schon Cyprian von Karthago nach 250 in einer analogen Situation geerntet) Der zuletzt genannte Vorwurf hat – und dies ist der zweite hier zu nennende Konflikt – eine enge zeitliche und sachliche Parallele im Streit mit den Donatisten in Nordafrika, die nach 309 aus dem Konflikt hervorgegangen waren, dass viele Bischöfe in der diokletianischen Verfolgung dem kaiserlichen Befehl nachgekommen waren, die in den Kirchen verwahrten und in der Liturgie verwendeten heiligen Schriften auszuliefern, und nach Ansicht rigoristischer Kreise dadurch der Fähigkeit, sakramentale Akte zu vollziehen, verlustig gegangen waren Hier wie in Ägypten galt die Devise, dass – zugespitzt – nur ein Märtyrerbischof ein rechter Bischof war und ein Flüchtiger oder traditor kein legitimer Bischof mehr sein konnte Details und Verlauf von Athanasius’ Debatten mit den Melitianern und Augustins Streit mit den Donatisten können hier auf sich beruhen48 Festzuhalten ist, dass beide Gruppen je eigene Märtyrertraditionen entwickelten, die sich aus der Erinnerung an die Verfolgung von Christen durch Kaiser Konstantin und seine Nachfolger speisten49 Weil die Donatisten fälschlich poena und causa in eins setzten, erkannten sie – so Augustin – nicht, dass ein noch so heroischer Tod, der aber nicht zugleich von dem Streben nach Liebe und Gerechtigkeit durchdrungen ist und insofern die Einheit der Kirche zu beeinträchtigen droht, niemals ein wahres Mar-

46 Die (sekundäre) Verknüpfung dieser – zunächst ganz unterschiedlich gelagerten – Konfliktkonstellationen erfolgt u a in Athanasius, ep Aeg Lib 21,5 (AW II, 62,20–25 Savvidis/ Metzler); v Anton 68,1 f ; 89,4; 91,4 (SC 400, 314,1–10; 364,15–20; 368,18–22 Bartelink) 47 Vivian, St Peter (wie Anm  43), 15–40 Zum Selbstverständnis als ἐκκλησία μαρτύρων vgl Epiphanius, haer 68,3,7 (GCS Epiph III, 143,22 Holl/Dummer); dazu Theofried Baumeister, Vorchristliche Bestattungssitten und die Entstehung des Märtyrerkultes in Ägypten, in: ders , Martyrium, Hagiographie und Heiligenverehrung im christlichen Altertum (RQ S 61), Rom u a 2009, 269–275, hier 271 48 Vgl Andreas Müller, Athanasius und die Melitianer, in: Athanasius Handbuch, a a O 122–126; Pamela Bright, Augustin im donatistischen Streit, in: Augustin Handbuch, hg v Volker Henning Drecoll, Tübingen 2007, 171–178 49 Für die Donatisten vgl z B die Passio Marculi (TU 134, 275–291 Maier) über einen am 29 11 347 gestorbenen früheren Redner und späteren Bischof

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tyrium sein kann50 Das leitende Prinzip Non causa sed poena facit martyrem verlangt demnach nicht nur nach der Bestimmung der causa als passiv widerfahrende Bekenntnissituation vor einem Richter, sondern auch nach der Einbindung des Märtyrers in die Gemeinschaft der Kirche IV DIE SACHE IM WANDEL: VOM MÄRTYRER ZUM ASKETEN Nachdem wir nun die Situation des Martyriums und das innerchristliche Forum, vor dem es als Zeugnis anerkannt wird, betrachtet haben, werfen wir noch einen kurzen Blick auf den Inhalt des Martyriums, also auf das, was bekannt wird Dafür finden wir in den Quellen ganz verschiedene Begriffe: die Liebe (caritas), den Glauben (fides), die Gerechtigkeit (iustitia) – all das kann Inhalt des Martyriums sein, also das, wovon Zeugnis abgelegt wird Dabei ist die Konstante der Christusbezug: Der Märtyrer bezeugt nicht die eigene Liebe und Gerechtigkeit oder den eigenen Glauben, sondern ist ein Zeuge Christi Die Liebe und die Gerechtigkeit, die sich in seinem Gang ans Kreuz ausdrücken, imitiert der Märtyrer; und von dem Glauben, der sich – wie gesehen – auf Christi Auferstehung als Hoffnungsgrund der Erlösung der Christen richtet, legt er Zeugnis ab Das Martyrium weist sachlich über sich hinaus, es erschöpft sich nicht in der Selbstbezeugung als eines heroisch Sterbenden Auch deshalb kann jemand, der sich selbst ausliefert, kein Märtyrer sein: Er bezeugte dadurch ja nicht Liebe, sondern Ruhmsucht Der Öffentlichkeitscharakter des Martyriums birgt also die Gefahr, sich selbst  – und nicht Gott  – coram publico zu inszenieren Aber auf die Öffentlichkeit zu verzichten würde wiederum den oben erwähnten horizontalen Bezug des Martyriums vernachlässigen und die apologetische Verwertung der Blutzeugen verhindern Es galt also, den wahren Gehalt des Martyriums möglichst trennscharf herauszustellen Märtyrer und – wie im Fall der Blandina – auch Märtyrerinnen bezeugen das Sterben Christi als Tat der Liebe und Gerechtigkeit Gottes Was aber bezeugen die Männer und Frauen, deren Zeugnisgabe man in der Spätantike nicht im Sterben, sondern im Leben erblickte? Im 4 Jh beobachten wir den Übergang von den Märtyrern zu den Asketen, oder weniger schematisch ausgedrückt: ein Nebeneinander der Verehrung der Märtyrer der Verfolgungszeit und der Wüstenväter der Gegenwart Dieses Nebeneinander ist an sich schon älter: Keineswegs gab es zuerst nur Märtyrer und dann nur noch Asketen, vielmehr sprechen schon Märtyrerakten aus vorkonstantinischer Zeit davon, dass erst asketisches Training das standhafte Erleiden von Foltern und Tod möglich mache51 Für die Christen ist der Kerker, was die Wüste für die Propheten und auch für Christus war: ein Trainingsort in völliger 50 51

Augustin, s 359B = s Dolbeau 2,17 (in: Vingt-six sermons au peuple d’Afrique [CEAug A 147], ed François Dolbeau, Paris 1996, 340,378–398) Maureen Tilley, The Ascetic Body and the (Un)Making of the World of the Martyr, JAAR 59 (1991), 467–479, bes 471–474; Beispiele: Acta Pauli et Theclae 3,12 26 (AAAp I, 237 253 f Lipsius); Martyrium Apollonii 26 (96,25–98,2)

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Zurückgezogenheit vor dem großen Kampf, so Tertullian52 Fast zeitgleich betont Clemens von Alexandrien, dass ein christliches Leben das Martyrium sogar ganz substituieren könne, womit das Lebens- neben dem Blutzeugnis zu stehen kommt: „So nennen wir das Martyrium Vollendung, nicht weil der Mensch das Ende seines Lebens gefunden hat wie die übrigen, sondern weil er ein vollendetes Werk der Liebe gezeigt hat “53 Zweihundert Jahre später sekundiert Augustin: „In welchem die Liebe gekrönt wird, der ist der wahre Märtyrer!“54 Damit wird der Kontextualisierung der Martyriumssituation ein weiterer Aspekt hinzugefügt: Die Liebe, nicht die Exekution als solche macht den Märtyrer55 Wenn der Tod nun aber keine notwendige Voraussetzung war, ja wenn mit ihm unter den Bedingungen der werdenden Reichskirche gar nicht mehr gerechnet werden konnte – dann mussten neue Orte der Bekundung der Liebe, der Gerechtigkeit, des Glaubens gefunden werden, und das waren vor allem die Wüste und das Kloster Antonius, der Begründer des Eremitentums, sehnte sich – so sein Hagiograph Athanasius  – nach dem Martyrium und tauchte während der Verfolgung unter Maximinus Daja, bei der Petrus von Alexandrien sein Leben verlor, in der Stadt auf, um dort vollendet zu werden – was ihm nicht gelang, da Gott anderes mit ihm vor hatte, nämlich „dass er in der Askese ein Lehrer für viele werde“56 Antonius zog sich daraufhin in die Wüste zu den Dämonen zurück: „Und er verbrachte dort jeden Tag als einer, der im Gewissen Zeugnis ablegt und die Kämpfe des Glaubens bestreitet Er unterwarf sich nämlich noch mehr und in noch strengerer Form der Askese “57

Dieses Muster finden wir in vielen hagiographischen Texten der nachkonstantinischen Zeit: Asketen hätten das Martyrium gerne absolviert, wenn man ihnen nur die Gelegenheit gewährt hätte, legten aber durch ihr Leben mindestens ebenso eindrücklich Zeugnis ab Martin von Tours absolvierte ein solches „unblutiges Martyrium“58 dadurch, dass er im Zuge seiner Missionsreisen unter Hunger und Anfeindungen litt und – wie Antonius – Kämpfe gegen Dämonen und den Teufel auszutragen hatte An die Stelle des Fleischestodes (carnis mors) trat dabei die Abtötung des fleischlichen Lebens (carnalis uitae mortificatio)  – so deutete 52 53

Tertullian, mart 2,8 (CChr SL 1, 4,31–33 Borleffs) Clemens von Alexandrien, str IV 14,3 (GCS 52, 255,1–3 Stählin/Früchtel/Treu): Αὐτίκα τελείωσιν τὸ μαρτύριον καλοῦμεν οὐχ ὅτι τέλος τοῦ βίου ὁ ἄνθρωπος ἔλαβεν ὡς οἱ λοιποί, ἀλλ᾿ ὅτι τέλειον ἔργον ἀγάπης ἐνεδείξατο (Übers Baumeister, Genese [wie Anm  23], 129) 54 Augustin, s 169,15 (PL 38, 924): in quo caritas coronatur, ipse erit uerus martyr. 55 Vgl Augustin, civ I 8 (CChr SL 47, 8,45 f Dombart/Kalb): tantum interest non qualia, sed qualis quisque patiatur. 56 Athanasius, v Anton 46,4 (SC 400, 260,26 f Bartelink): ἵνα καὶ ἐν τῇ ἀσκήσει […] πολλοῖς διδάσκαλος γένηται 57 Athanasius, v Anton 47,1 (ebd 262,3–6): ἦν ἐκεῖ καθ᾿ ἡμέραν μαρτυρῶν τῇ συνειδέσει καὶ ἀγωνιζόμενος τοῖς τῆς πίστεως ἄθλοις. Καὶ γὰρ καὶ ἀσκήσει πολλῇ καὶ συντονωτέρα ἐκέχρητο 58 Sulpicius Severus, ep 2,12 f (SC 133, 330 Fontaine) Zu diesem Begriff vgl auch Paulinus von Nola, carm 12,9 (CSEL 30, 46 Hartel/Kamptner); weitere Belege bei Gemeinhardt, Märtyrer (wie Anm  1), 308

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Faustus von Riez Ps 116,15 („Wertvoll ist in den Augen des Herrn der Tod seiner Heiligen“)59 Das Kriterium, das von den Biographen an solche Viten angelegt wird, ist letztlich dasselbe wie bei Augustin Bei Sulpicius Severus heißt es: „Die Liebe, die in der frostigen Welt auch bei heiligen Männern Tag für Tag erkaltet, brannte in seinem Herzen bis zum Ende, ja sie vermehrte sich noch tagtäglich “60 Die Liebe hat hier  – im Unterschied zu den Märtyrerakten  – eine diakonische Dimension: Hatten Märtyrer durch ihren Tod als Vorbild und im Himmel als Interzessoren gewirkt, so gaben asketische Heilige ein Vorbild im Leben und wirkten als Lebende und Tote als Helfer der Menschen Die causa des Martyriums erfuhr damit eine nicht unwichtige Modifikation: Zeuge ist nicht mehr nur, wer eine Strafe aus richtiger Motivation heraus ertragen hat, sondern auch, wer in seinem Leben Liebe, Gerechtigkeit und Glauben hat anschaulich werden lassen Petrus Chrysologus formulierte Augustins Prinzip signifikant um: „Nicht so sehr der Tod als vielmehr Glaube und Demut erzeugen den Märtyrer.“61 In diesem Kontext kann das Martyrium dann sogar seinen Öffentlichkeitscharakter verlieren Während der Biograph des Antonius, Athanasius von Alexandrien, großen Wert darauf legte, dass der „Märtyrer im Gewissen“ durch Wunder, Verkündigung und gelegentliche Besuche in der Zivilisation bekannt und berühmt wurde und sein tägliches Martyrium in der Wüste nicht der Öffentlichkeit verborgen blieb, hielt Papst Gregor der Große durchaus ein „Martyrium im Verborgenen“ für möglich und legitim Er erläuterte seiner Gemeinde in einer Predigt zu Lk 21,9–19 die Tugend der Geduld mit Bezug auf den in Ägypten verehrten Märtyrer Menas62: „Wenn wir uns nämlich mit der Hilfe des Herrn bemühen, die Tugend der Geduld zu bewahren, dann leben wir einerseits in der Friedenszeit der Kirche, besitzen aber andererseits die Palme des Martyriums Es gibt ja zwei Arten von Martyrium, eines im Geist, das andere in Geist und Tat zugleich Daher können wir Märtyrer sein, auch wenn uns nicht das Schwert von Verfolgern tötet Durch einen Verfolger zu sterben ist ein Martyrium in der Öffentlichkeit; doch Beleidigungen zu ertragen, einen Hassenden zu lieben ist ein Martyrium in verborgener Gesinnung “63

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Faustus von Riez (Eusebius Gallicanus), s 56,9 (CChr SL 101A, 654,120–123 Glorie): Acquiramus nobis nouum, non carnis morte sed carnalis uitae mortificatione, martyrium, ut de nobis quoque etiam uiuentibus dici possit: ‚Pretiosa in conspectu Domini, mors sanctorum eius‘. 60 Sulpicius Severus, ep 2,14 (SC 133, 330–332 Fontaine) 61 Petrus Chrysologus, s 128,1 (CChr SL 24B, 789,12 f Olivar): Non tam mors quam fides et deuotio martyrem facit. 62 Vgl Peter Grossmann, Menas, Heiliger, in: RGG4 5 (2002), 1030: Späterer Überlieferung nach wurde Menas als Soldatenmärtyrer am 11 11 296 in Kotyaion (Phrygien) hingerichtet; gesichert ist nur, dass sein Grab im nahe Alexandrien gelegenen Abū Mīnā „bis zum 6 Jh zum größten frühchristl[ichen] Wallfahrtszentrum der Antike wurde“ 63 Gregor I , hom euang II 35,7 (FC 28 / 2, 698,18–25 Fiedrowicz): Si enim adiuuante nos Domino uirtutem patientiae seruare contendimus, et in pace ecclesiae uiuimus, et tamen martyrii palmam tenemus. Duo quippe sunt martyrii genera, unum in mente, aliud in mente simul et actione. Ita que esse martyres possumus, etiamsi nullo ferro percutientium trucidemur. Mori quippe a persequente martyrium in aperto opere est; ferre uero contumelias, odientem diligere, martyrium est in occulta cogitatione (Übers ebd 699)

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Die Unterscheidung von martyrium in occulto und martyrium in publico erläutert Gregor weiterhin am Beispiel der Söhne des Zebedäus (Mt 20,22 f ), denen verheißen wurde, dass sie den Kelch Christi trinken würden; während Jakobus von Herodes Agrippa umgebracht wurde (Apg 12,1 f ), „hat Johannes nämlich sein Leben keineswegs durch ein Martyrium beschlossen und war dennoch ein Märtyrer, da er die Passion, die er nicht körperlich auf sich nahm, im Geist vollzog“64 Entsprechend können alle Christen, wenn sie denn z B in Anfechtungen die Geduld bewahren, Märtyrer sein – werden aber dafür nicht öffentlich kommemoriert In der Übergangszeit von der Spätantike zum Frühmittelalter konnte die „Sache“ des Martyriums also sogar als allgemeinchristliches Ideal reformuliert werden Das Ideal selbst blieb allerdings bestehen, wie zahlreiche mittelalterliche Heiligenviten zeigen  – hierzu nur ein Beispiel: Dem Missionsbischof Ansgar wurde in jungen Jahren das Martyrium in einer Vision verheißen, blieb ihm letztlich aber verwehrt, was ihn sehr betrübte und seinen Biographen Rimbert dazu veranlasste, einerseits Gregors Unterscheidung zwischen zwei Arten des Martyriums aufzugreifen und andererseits (wie oben bei Martin von Tours gesehen) die Entbehrungen durch Askese und Mission zu betonen Aber dennoch entsteht dabei der Eindruck eines gewissen Defizits, wenn Rimbert den Abschnitt schließt: „Zum offenkundigen Martyrium des Leibes fehlte ihm [sc Ansgar] ein Verfolger, nicht die Bereitschaft “65 Nur einem öffentlichen blutigen Martyrium eignete per se die Eindeutigkeit, die den direkten Weg in den Himmel eröffnete66

64 Ebd (FC 28/2, 700,8–11 Fiedrowicz): Iohannes namque nequaquam per martyrium uitam finiuit, sed tamen martyr exstitit, quia passionem quam non suscepit in corpore, seruauit in mente (Übers ebd 701) Vgl dazu auch Gregor I , dial III 26,7 f (SC 260, 371,52–55 Vogüé/ Antin); Isidor von Sevilla, etym VII 11,4 (Isidori Hispalensis episcopi Etymologiarum sive Originum libri XX, Bd  1, ed Wallace Martin Lindsay, Oxford 1911, o S ); dazu Adalbert de Vogüé, „Martyrium in occulto“ Le martyre du temps de paix chez Grégoire le Grand, Isidore de Séville et Valerio de Bierzo, in: Fructus centesimus: mélanges offerts à Gerard J M Bartelink à l’occasion de son soixante-cinquième anniversaire (IP 19), hg v Antoon A R Bastiaensen u a , Dordrecht/Steenbrugge 1989, 125–140, bes 128 f 65 Rimbert, vita Anskarii 42 (FSGA 11, 130,9–16 Trillmich): Nam cum duo martyrii esse genera constet, unum in pace ecclesiae occultum, alterum persecutionis articulo ingruente manifestum, utrumque voluntate tenuit, ad alterum effectu pervenit. Quia enim cotidie se per lacrimas, vigilias, ieiunia, carnis macerationem et desidiorum carnalium mortificationem in ara cordis Deo mactabat, martyrium profecto, quod pacis tempore potuit consecutus est. Quia vero ad apertum corporis martyrium persecutor sibi, non animus, defuit. 66 Zum Motiv der unmittelbaren Aufnahme in den Himmel im Kontext von Martyrien vgl Peter Gemeinhardt, „Tota paradisi clauis tuus sanguis est“ Die Blutzeugen und ihre Auferstehung in der frühchristlichen Märtyrerliteratur, in: Gelitten – Gestorben – Auferstanden Passionsund Ostertraditionen im frühen Christentum (WUNT II, 273), hg v Tobias Nicklas u a , Tübingen 2010, 97–122

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Peter Gemeinhardt

V AUSBLICK: EIN BLEIBENDER MASSSTAB? Das Martyrium spielte in der Antike eine zentrale Rolle für die christliche Identitätsbildung, weil man in Märtyrern – und später in Asketen und Bischöfen, sofern diese sich in unblutiger Weise als Zeugen Christi erwiesen hatten – Leitbilder des authentisch Christlichen erblickte Dabei gibt es nicht das Martyriumsverständnis der Alten Kirche67 und daher auch nicht das Erbe der Patristik für die weitere Geschichte des Christentums Ob bei einem Hingerichteten (oder Wüstenvater) die angemessene causa vorliegt, hängt von Sache und Anlass des Todes und seiner Rezeption als Martyrium in der die memoria tragenden Gemeinschaft ab Norm und Realität befinden sich dabei in einer stetigen Wechselbeziehung: Erinnerte Martyrien setzen Maßstäbe, werden aber zugleich durch neue Martyrien – oder neue Formen, auch ohne gewaltsame Verfolgung Zeugnis abzulegen – ergänzt, teilweise sogar abgelöst, jedenfalls aber in produktiver Weise in Frage gestellt Sache, Kontext und Rezeption des Martyriums sind im Fluss und analog dazu auch die Formen und Gattungen ihrer literarischen und künstlerischen Gestaltung Vergleicht man etwa die lakonischen Acta Scillitanorum (ca 180 n Chr ) mit der Sammlung metrischer Martyriumsberichte in Prudentius’ Peristephanon (um 400 n Chr ), gewinnt man eine Ahnung von der Spannbreite der Inszenierungsformen des Martyriums68 Das bedeutet Pluralität, jedoch nicht Beliebigkeit Denn dass ein Mensch nicht aus eigener Macht, sondern nur von Christus her in der Lage ist, ein Nachahmer Christi zu sein – d h seinen Glauben vor einem Richter zu bezeugen, den Dämonen in der Wüste zu widerstehen und dabei auch noch ein rechtgläubiger, allen Irrlehren abholder Christ zu sein – das ist die Voraussetzung aller Rezeptionen, die wir in der spätantiken Kirche beobachten Nur ist dabei zu bedenken, dass die Un67

Dass das Blutzeugnis in den antiken Märtyrertexten eine unhintergehbare Pluriformität aufweist und selbst durch den Christusbezug nicht auf eine Martyriumstheologie zu reduzieren ist, betont zu Recht Candida R Moss, The Other Christs Imitating Jesus in Ancient Christian Ideologies of Martyrdom, Oxford 2010, 175 f Wie Grig, Making Martyrs (wie Anm  41), passim herausstellt, geht es um die Rekonstruktion kulturell vermittelter und rhetorisch gestalteter Darstellungen, nicht historischer Tatsachenberichte – was bei Verkündigungstexten nicht erstaunen kann Dabei ist es wenig zielführend, mit einer scharfen Distinktion von Märtyrerakten („historical“) und späteren hagiographischen Texten („fictitious“) zu operieren, wie es Timothy D Barnes, Early Christian Hagiography and Roman History (Tria Corda 6), Tübingen 2010, durchgehend tut (man sollte auch nicht den literatur- und kulturgeschichtlichen Ansatz Grigs als strikte Antithese zur „critical hagiography“ stilisieren, so aber ebd IX Anm  6) 68 Zur Verschränkung von Einzelmartyrium, dessen (erzählter) bildlicher Darstellung und Gesamtwerk des Prudentius vgl zuletzt Helmut Krasser, Pilgerreisen im Text Das Peristephanon des Prudentius als religiös-performativer Erfahrungsraum, Millennium 7 (2010), 205–222; zum Beispiel des von seinen Schülern ermordeten Lehrers Cassian in Imola jetzt auch Peter Gemeinhardt, Non vitae sed scholae? Pagane und christliche Ansichten über Schule, Lehrer und das Leben, in: Von Rom nach Bagdad Bildung und Religion in der späteren Antike bis zum klassischen Islam, hg v dems u Sebastian Günther, Tübingen 2013, 1–27, bes 1–3

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terscheidung von orthodox und häretisch, universal und schismatisch ebenso wie das vorherrschende Leitbild (der Philosophie, der Eremit, der Prediger) selbst einer Entwicklung unterlag Wir haben es also mit einer flexiblen Kriteriologie zu tun, die für unterschiedliche historische Konstellationen und für wechselnde Kontexte martyrologischer Zuschreibungen – durch Historiographie, Hagiographie, Liturgie oder Kanonisation – offen war Es dürfte auch damit zu tun haben, dass sich das Leitbild des Märtyrers seit der Antike und seit den Christenverfolgungen durch römische Kaiser, die seinen Entstehungskontext bildeten, nicht erledigt hat, sondern im Mittelalter, in der Zeit der Reformation und auch in der europäischen Neuzeit immer wieder Konjunkturen erlebt hat und noch heute erlebt Dabei ist die Frage nicht, ob, sondern inwiefern und für wen getötete oder leidende Christen – von den verfolgten Christen in Bithynien bis zu Johannes Paul II , dem Opfer von Attentat und Krankheit – als Märtyrer und Märtyrerinnen gelten dürfen Diese Frage kann aber – das sollte deutlich geworden sein – letztlich immer nur konkret beantwortet werden

MARTYRIUM UND MARTYRIUMSVERMEIDUNG Christliche und pagane Haltung zum Blutzeugnis in den „Christenbriefen“ Plinius’ des Jüngeren Mario Ziegler Eine der zentralen Quellen für das frühe Christentum stellt der Brief dar, den zu Beginn des 2 Jahrhunderts der kaiserliche Gesandte1 Gaius Plinius Caecilius Secundus (Plinius der Jüngere)  an Kaiser Traian richtete (Plin ep X,962) Sind wir für die vorangegangenen Jahrzehnte weitgehend auf Quellen christlicher Provenienz angewiesen, so gehören das Schreiben des Plinius und die nachfolgende Antwort Traians (Plin ep X,97) zu den wenigen paganen Aussagen über die Alte Kirche aus jener Zeit  – zudem handelt es sich um amtliche Dokumente, aus denen besonders gut die Haltung des Staates und seiner Vertreter zu der neuen Bewegung entnommen werden kann3 Im Folgenden möchte ich nicht auf die zahlreichen rechtlichen Detailprobleme der beiden Briefe eingehen4, sondern den Blick auf den Umgang des Staates mit dem christlichen Bekenntnis und auf das Verhalten von Christen im frühen 2 Jahrhundert angesichts eines drohenden Martyriums richten ***

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Sein Titel lautete LEGAT·PROPR·PROVINCIAE·PON[ti et Bithyniae]·CONSVLARI· POTESTA[t], Corpus inscriptionum latinarum, Bd  V: Inscriptiones Galliae Cisalpinae latinae, Teil II: Inscriptiones regionum Italiae undecimae et nonae, ed Theodor Mommsen, Berlin 1877, Nr  5262 = Inscriptiones Latinae Selectae, Bd  I, ed Hermann Dessau, Berlin 1892, Nr  2927 Zu seiner Mission allgemein Ladislav Vidman, Die Mission Plinius’ des Jüngeren in Bithynien, Klio 37 (1959), 217–225 Im Folgenden lege ich die Edition von Roger A B Mynors, C Plini Caecili Secundi epistularum libri decem (Scriptorum classicorum bibliotheca Oxoniensis), Oxford 1963 zugrunde Die Echtheit der Texte ist heute weitgehend unumstritten, vgl Helmut Babel, Der Briefwechsel zwischen Plinius und Trajan über die Christen in strafrechtlicher Sicht, Diss Erlangen 1961, 4 Anm  1 und Adrian Nicholas Sherwin-White, The letters of Pliny A historical and social commentary, Oxford 1966, 691–692 Zur Überlieferungsgeschichte der Briefe des Buches X siehe Selatie Edgar Stout, The basis of the text in book X of Pliny’s letters, Transactions and proceedings of the American Philological Association 86 (1955), 233–249 Zu diesen Fragen vgl z B Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3) oder Rudolf Freudenberger, Das Verhalten der römischen Behörden gegen die Christen im 2 Jahrhundert Dargestellt am Brief des Plinius an Trajan und den Reskripten Trajans und Hadrians (Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte 52), München 1967

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Auf einer Inspektionsreise durch den östlichen Teil der Provinz Bithynia et Pontus im Jahre 112 oder 113 n Chr 5 wurden aus der Bevölkerung bei Plinius Anzeigen gegen Christen eingereicht, auf Grund derer er eine Untersuchung einleitete6 An welchem Ort dies geschah, geht aus den Briefen selber nicht hervor, doch kann man aus der Reihenfolge der Schreiben in Buch X Rückschlüsse ziehen: Brief 90 stammt aus Sinope (Sinop), 92 aus Amisos (Samsun), 98 aus Amastris (Amasra) Nimmt man an, dass die überlieferte Reihenfolge der Reihenfolge der Abfassung entspricht7, so kommen für die Ereignisse aus Brief 96 nur die beiden letzten Städte an der türkischen Schwarzmeerküste in Frage Bei der Frage nach den Anklägern sind wir auf Spekulationen angewiesen Die Forschung hat überwiegend ökonomische Ursachen vermutet8, was man durch die von Tertullian referierten Vorwürfe, die Christen schädigten die Tempel und die Wirtschaft9, stützen kann Allerdings fehlen die eindeutigen Belege für eine wirtschaftliche Motivation der Anschuldigungen im Brief selbst Zwar bemerkt Plinius,

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Zu den Datierungsproblemen der plinianischen Mission vgl Werner Eck, Jahres- und Provinzialfasten der senatorischen Statthalter von 69/70 bis 138/139, Chiron 12 (1982), 281–362, hier 349 f Anm  275 Dass er hingegen von sich aus gegen die Christen vorgegangen sein soll (so Theodor Mommsen, Der Religionsfrevel nach römischem Recht, in: ders , Gesammelte Schriften, Bd  III, Berlin 1907, 389–422, hier 410 Anm  1), ist völlig unbeweisbar So Theodor Mommsen, Zur Lebensgeschichte des jüngeren Plinius, in: ders , Historische Schriften, Bd  I, Berlin 1906, 366–468, hier 388–394, anders aber Ulrich Wilcken, Plinius’ Reisen in Bithynien und Pontus, Hermes 49 (1914), 120–136, hier 133 f Z B Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 23 Anm  3; Anthony Richard Birley, Die „freiwilligen“ Märtyrer Zum Problem der Selbst-Auslieferer, in: Rom und das himmlische Jerusalem Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung (Paul Mikat zum 75 Geburtstag), hg v Raban von Haehling, Darmstadt 2000, 97–123, hier 100; Klaus Bringmann, Christentum und römischer Staat im ersten und zweiten Jahrhundert n Chr , Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 29 (1978), 1–18, hier 7; Frederick F Bruce, Außerbiblische Zeugnisse über Jesus und das frühe Christentum (Monographien und Studienbücher), Gießen/Basel 1991, 17; Peter Guyot / Richard Klein, Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen Eine Dokumentation, Bd  I: Die Christen im heidnischen Staat (Texte zur Forschung 60), Darmstadt 1993, 323 Anm   18; Wilhelm Plankl, Wirtschaftliche Hintergründe der Christenverfolgungen in Bithynien, Gymnasium 60 (1953), 54–56, hier 55; Antonie Wlosok, Rom und die Christen Zur Auseinandersetzung zwischen Christentum und römischem Staat (Der altsprachliche Unterricht, Reihe 13, Beiheft 1), Stuttgart 1970, 34 Allgemein zu den wirtschaftlichen Aspekten der Christenfeindschaft Georg Schöllgen, Die Teilnahme der Christen am städtischen Leben in vorkonstantinischer Zeit Tertullians Zeugnis für Karthago, in: Christentum und antike Gesellschaft (Wege der Forschung 649), hg v Jochen Martin u Barbara Quint, Darmstadt 1990, 319–357, hier 335; Joseph Walsh / Gunther Gottlieb, Zur Christenfrage im zweiten Jahrhundert, in: Christen und Heiden in Staat und Gesellschaft des zweiten bis vierten Jahrhunderts Gedanken und Thesen zu einem schwierigen Verhältnis (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 44, historisch-sozialwissenschaftliche Reihe), hg v Gunther Gottlieb u Pedro Barceló, München 1992, 3–86, hier 48–50 Tertullian, Apologeticum 42,8–43,1, in: Qvinti Septimi Florentis Tertvlliani Opera, Bd   1 (Corpus Christianorum Series latina 1), ed Eligius Dekkers u a , Turnhout 1954, 157–158

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dass nach seiner Untersuchung die traditionellen Kultstätten wieder zahlreicher besucht und die Opfer wieder regelmäßiger geleistet würden (Plin ep X,96,10), doch steht diese – zudem textkritisch unsichere10 – Stelle in keiner Beziehung zu den erwähnten Anzeigen So könnte man auch andere Motive, etwa Rachsucht11, in Betracht ziehen Abhängig von dieser Problematik kann man neben „interessierten Kreisen“ der lokalen Wirtschaft oder Behörden12 auch die ortsansässigen Juden13 als Denunzianten in Betracht ziehen In allen Fällen lautete die vorgebrachte Anklage nur auf Christsein14: Sowohl in der Anklage (Plin ep X,96,2: tamquam Christiani deferebantur; die Ankläger rechneten also damit, dass der Tatbestand des Christianum esse allein für eine Verurteilung ausreichen würde), als auch in der Gerichtsverhandlung (Plin ep X, 96,3: interrogavi an essent Christiani) stand nur dieser Vorwurf zur Debatte Es ist wahrscheinlich, dass in dieser ersten Verhandlungsphase keiner der Beschuldigten seinen Glauben bestritt oder während der Verhöre aufgab15 Die im Brief verwendete mehrdeutige Partizipialkonstruktion confitentes iterum ac tertio inter10

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Vgl Elias Bickerman, Trajan, Hadrian and the Christians, Rivista di filologia  e istruzione classica 96 (1968), 290–315, hier 295 f ; Freudenberger, Verhalten (wie Anm  4), 179 Anm  38; Eduard Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums, Band III: Die Apostelgeschichte und die Anfänge des Christentums, Stuttgart/Berlin 1923, 560 Anm  1; Horst-Joachim Reichel, Der römische Staat und die Christen im 1  und 2 Jahrhundert, phil Diss Hamburg 1962, 10 Anm  3 Anhang; Wolfgang Schmid, Ein verkannter Ausdruck der Opfersprache in Plinius’ Christenbrief, Vigiliae Christianae 7 (1953), 75–78; Sherwin-White, The letters (wie Anm  3), 709 f ; Stout, The basis (wie Anm  3), 246 f ; Wlosok, Rom und die Christen (wie Anm  8), 33 Anm  80 Gary J Johnson, De conspiratione delatorum: Pliny and the Christians revisited, Latomus 47 (1988), 417–422, auch Jeffrey W Hargis, Against the Christians The rise of early antiChristian polemic (Patristic Studies 1), New York u a 1999, 11 und Reichel, Der römische Staat (wie Anm  10), 9 Anm  3 erwägen diese Möglichkeit In der Tat gibt es Parallelen zu Plin ep X,56 Wilhelm Weber, Nec nostri saeculi est, in: Das frühe Christentum im römischen Staat (Wege der Forschung 267), hg v Richard Klein, Darmstadt 1971, 1–32, hier 17, dagegen Reichel, Der römische Staat (wie Anm  10), 8 f Anm  3 Stephen Benko, Pagan Rome and the early Christians, Bloomington (Indianapolis) 1986, 8 Die anders lautenden Meinungen von William Mitchell Ramsay, The church in the Roman empire before A D 170, London 1903, 198 (möglicherweise wegen flagitia)  und Robert Muth, Plinius d J und Kaiser Trajan über die Christen Interpretationen zu Plin ep X 96 97, Information aus der Vergangenheit 16 (1982), 96–128, hier 104, 111 und 122 f (wegen Hetairienbildung) widersprechen dem Text Eine andere Meinung vertraten Karl Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche (Handbuch der Kirchengeschichte I), Freiburg/Basel/Wien 21963, 158; Heinrich Karpp, Bezeugt Plinius ein kirchliches Bußwesen? (Zu Plinius, Ep ad Traianum 96,6), Rheinisches Museum 105 (1962), 270–275, hier 271 f und Walsh/Gottlieb, Christenfrage (wie Anm  8), 8 Angelika Reichert, Durchdachte Konfusion Plinius, Trajan und das Christentum, Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche 93 (2002), 227–250, hier 232, hält das Vorhandensein von Nichtchristen auch in der ersten Phase für möglich und sieht in der Darstellungsweise des Plinius, der bewusst nur die Geständigen dieser Prozessphase betont habe, einen Teil einer Strategie, mit der er Traian zu einer milden Reaktion gegenüber den christlichen Apostaten habe veranlassen wollen

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rogavi […] perseverantes duci iussi (Plin ep X,96,3) lässt zwei Übersetzungen zu: „Weil sie (alle) bekannten, fragte ich sie ein zweites und drittes Mal […], weil sie (alle) standhaft blieben, ließ ich sie hinrichten“ – „(Nur) diejenigen, die bekannten, fragte ich ein zweites und drittes Mal […], (nur) diejenigen, die standhaft blieben, ließ ich hinrichten“, wobei im zweiten Fall ein Teil der Angeklagten die Frage nach dem Christsein verneint hätte oder abgefallen wäre Jedoch spricht die für das spätere Prozessstadium verwendete Formulierung plures species inciderunt (Plin ep X,96,4) dafür, dass es in der ersten Phase nur una species gab, nämlich Personen, die standhaft blieben Eine Erklärung könnte darin bestehen, dass bei der ersten Untersuchung vor allem die allgemein bekannten Führer der Christengemeinde angezeigt wurden16 Plinius wiederholte seine Frage und bedrohte die Angeklagten mit der Todesstrafe (Plin ep X,96,3) In diesem ungewöhnlichen17 zweimaligen Nachfragen darf man keinen Versuch sehen, die Christen umzustimmen, ganz im Gegensatz zu den Bemühungen leitender Beamter in späteren Christenprozessen18 Tatsächlich dürfte es sich um ein Sich-Vergewissern angesichts der bevorstehenden Höchststrafe gehandelt haben, denn danach erfolgte die Hinrichtung19 der Geständigen mit Ausnahme der römischen Bürger, die in die Hauptstadt zur Verhandlung überstellt wurden (Plin ep X,96,4) *** Durch ein anonymes Schreiben wurde einige Zeit später20 eine zweite Untersuchung eingeleitet Plinius hatte keine Bedenken, dieser Anzeige nachzugehen (Plin ep X,96,5)21 Die Formulierungen libellus multorum nomina continens (Plin ep X,96,5) und multi omnis aetatis, omnis ordinis, utriusque sexus (Plin ep X,96,9) sprechen für zahlreiche Angeklagte 16

So Babel, Der Briefwechsel (wie Anm   3), 20 f ; Ramsay, The curch (wie Anm   14), 201; Weber, Nec nostri saeculi est (wie Anm  12), 18 17 Üblicherweise beendete das Geständnis den Prozess, der Wahrheitsgehalt der confessio wurde nicht überprüft, vgl z B Freudenberger, Verhalten (wie Anm  4), 94 ff 18 Z B Martyrium Polycarpi 9–11, ed Herbert Musurillo, The Acts of the Christian Martyrs, Oxford 1972, 8–11 19 Duci ist in der genannten Bedeutung gängig, z B Seneca dialogi III (de ira I) 18,4 (Seneca, Philosophische Schriften Lateinisch und deutsch, Bd  1, ed Manfred Rosenbach, Darmstadt 51995, 138); Seneca dialogi IX (de tranquillitate animi) 14,4 (Seneca, Philosophische Schriften Lateinisch und deutsch, Bd  2, ed Manfred Rosenbach, Darmstadt 51995, 158); Sueton Caligula 27,1 (C Suetonii Tranquilli opera, Bd 1: De vita Caesarum libri VIII, ed Maximilian Ihm, Leipzig 1908, 170) 20 Formales Signal für den zeitlichen Abstand ist der Partikel mox (Plin ep X,96,4) 21 Für die Meinung Paul Winters, Tacitus and Pliny on Christianity, Klio 52 (1970), 497–502, hier 500, er habe darin Skrupel gehabt, sehe ich keinen Anhaltspunkt Die Annahme anonymer Anzeigen war im Akkusationsprozess verboten (dig 48,2,3 [Paulus], Corpus iuris civilis, Bd  1, ed Paul Krüger u Theodor Mommsen, ND Berlin 1954, 841–842), in einer cognitio, wie sie Plinius durchführte (dazu Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 339 ff ), jedoch zulässig

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Plinius behandelte diese Vorgänge zunächst vermutlich genauso wie die ersten, da er keinen Anlass hatte, von seinem erprobten Verfahren abzuweichen22 Im Gegensatz zu der ersten Phase traten nun aber auch Personen auf, die die Frage nach ihrem Christentum verneinten Von ihnen verlangte Plinius ein Opfer vor dem Bild der Götter und des Kaisers23 und die Verfluchung des Namens Christi Die dazu bereit waren, entließ er (Plin ep X,96,5) Es handelt sich hier nicht um den Versuch, Christen von Nichtchristen zu unterscheiden24, sondern um einen Beweis der Nicht-Zugehörigkeit zum Christentum Die Vermutung, die Verfluchung des Christusnamens sei nicht gefordert worden, sondern ein „spontaner Loyalitätsbeweis der um ihre Freilassung eifrig Bemühten“25 erscheint aus syntaktischen Gründen unwahrscheinlich: die Satzglieder deos adpellarent et imagini tuae, ture ac vino supplicarent und male dicerent Christo stehen parallel und die Formulierung quorum nihil cogi posse dicuntur bezieht sich auf alle drei Als dritte Gruppe traten Personen auf, die zunächst ihr Christentum zugaben, dann aber ihre Aussage dahingehend änderten, sie seien einmal Christen gewesen, hätten aber den Glauben aufgegeben (Plin ep X,96,6: Alii ab indice nominati esse se Christianos dixerunt et mox negaverunt; fuisse quidem sed desisse, quidam ante triennium, quidam ante plures annos, non nemo etiam anti viginti) In der Behandlung dieser ehemaligen Christen sah sich Plinius vor die Frage gestellt, was eigentlich am Christentum strafbar sei Bislang konnte er mit dem Schema „Christianum esse = schuldig, Christianum non esse = unschuldig“ arbeiten, nun trat aber der Fall „Christianum fuisse“ auf und zwang ihn, sich erstmals inhaltlich mit dem Christentum auseinanderzusetzen26 Vor seinen Untersuchungen war er ganz offensichtlich von den Vorwürfen überzeugt gewesen, die man landläufig gegen die Christen 22 23

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Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 23 vermutet, Plinius habe nun auch nach Christianum fuisse gefragt, aber es ist nicht einsichtig, warum er sich das Verfahren durch die Einführung eines neuen Problems, dessen rechtliche Relevanz ihm nicht klar war, kompliziert haben sollte Über den Opfertest des Plinius, speziell seine technischen Einzelheiten, ausführlich Duncan Fishwick, Plinius and the Christians The rites ad imaginem principis, American Journal of Ancient History 9 (1984), 123–130, eine Zusammenfassung über die religiösen und rein rituellen Implikationen der Kulthandlungen bei Kurt Latte, Römische Religionsgeschichte (Handbuch der Altertumswissenschaft V 4), München 1960, 312 ff , über die Entwicklung der supplicatio, die Grundlagen des Kaiseropfers und des Kaisereides Freudenberger, Verhalten (wie Anm  4), 121 f und Leo Koep, Antikes Kaisertum und Christusbekenntnis im Widerspruch, Jahrbuch für Antike und Christentum 4 (1961), 58–76 So etwa Hans-Josef Klauck, Die religiöse Umwelt des Urchristentums, Bd   II: Herrscherund Kaiserkult, Philosophie, Gnosis (Kohlhammer-Studienbücher Theologie 9), Stuttgart/ Berlin/Köln 1996, 65; Hugh Last, The study of the ‚persecutions‘, Journal of Roman Studies 27 (1937), 80–92, hier 91; Fabio Ruggiero, Atti dei martiri Scilitani Introduzione, testo, traduzione, testimonianze e commento (Memorie / Accademia Nazionale dei Lincei, Classe di Scienze Morali, Storiche e Filologiche, Serie IX, Vol 1, Fasc 2, 1991), Rom 1991, 97 Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 25 und Anm  4 Ute Schillinger-Häfele, Plinius, ep 10,96 und 97: Eine Frage und ihre Beantwortung, Chiron 9 (1979), 383–392, hier 386 f , vermutet, das Verhör habe bereits die Funktion gehabt, „Gründe für ein mildes Vorgehen bereitzustellen“ Dann müsste Plinius jedoch bereits zuvor der Meinung gewesen sein, dass Christen milder als durch Hinrichtung zu bestrafen seien, was durch nichts zu beweisen ist

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erhob und die sich in seinen Fragen widerspiegeln, die er an die Apostaten (Plin ep X,96,7) und zur Überprüfung unter der Folter an zwei ministrae27 richtete (Plin ep X,96,8): geheime Versammlungen zu unerlaubten Zwecken (ante lucem convenire), magische Praktiken28 (carmen29 Christo quasi deo dicere), eidliche Verpflichtung zu Verbrechen (se sacramento [non] in scelus aliquod obstringere)30, Diebstahl (furta), Raub (latrocinia), Ehebruch (adulteria), Betrug (fidem fallere), Unterschlagung (depositum abnegare), Thyesteische Mahlzeiten (ausgedrückt durch den Gegensatzbegriff cibum promiscuum et innoxium), Bildung eines Geheimbundes (hetairia)31 Unplausibel ist die Vermutung, hier gebe Plinius gar nicht den Inhalt der Befragung wieder, sondern erinnere sich an die Beschreibung eines Prozesses, der im Jahre 186 v Chr in Rom gegen die Anhänger des Bacchus geführt wurde, durch Livius (Liv XXXIX)32 Es ist zwar zutreffend, dass Plinius das Werk des Livius kannte (Plin ep VI,20,5), aber in einer amtlichen Anfrage wollte er sicher möglichst genau die Fakten schildern und nicht literarische Reminiszenzen darbieten Die Übereinstimmung beweist lediglich, dass die Vorwürfe gegen die Christen den üblichen Klischees zweifelhafter Geheimbünde und Mysterienreligionen entsprachen33

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Sachlich sind darunter wohl Diakonissen zu verstehen Es handelte sich offenbar um Sklavinnen, bei denen die Folter ein gängiges Mittel zur Beweisführung oder zur Überprüfung bereits ermittelter Ergebnisse war (Mommsen, Strafrecht [wie Anm  21], 416 f ) Nicht zustimmen kann man Plankl, Wirtschaftliche Hintergründe (wie Anm  8), 54, der in der peinlichen Befragung ein Zeichen der Unsicherheit des Plinius sieht 28 Ausführlich dazu Franz Joseph Dölger, Sol Salutis Gebet und Gesang im christlichen Altertum, Münster 21925, v a 111 ff , der vermutet, die Anrufung des hingerichteten Christus sei den Römern als Beschwörung eines Totendämons erschienen, weshalb die Christen ausdrücklich quasi deo betont hätten 29 Carmen bedeutet sowohl Gebet als auch Zauberformel, vgl etwa Lucan VI 706 f (M Annaei Lucani De bello civili libri X ed David Roy Shackleton Bailey, Stuttgart 21997, 158) wo im Zusammenhang mit einem Menschenopfer zu magischen Zwecken die Formulierung carmina cano verwendet wird 30 Dölger, Sol Salutis (wie Anm  28),107 f vermutet darunter einen Initiationsritus, aber der Kontext, in dem Verbrechen genannt werden, die nicht unmittelbar mit dem Kult zusammenhängen, spricht dagegen 31 Das Misstrauen Traians gegen diese Geheimbünde wird aus Plin ep X,34 und ep X,92 und 93 deutlich Erich Ziebarth, Das griechische Vereinswesen, Rom 1896, 94, zeigt an einem Beispiel aus Magnesia am Mäander die Einflussmöglichkeiten dieser Korporationen auf, vgl zum Hetairien-Problem in Pontus-Bithynia auch David Magie, Roman rule in Asia Minor to the end of the third century after Christ, vol I: Text, vol II: Notes, Princeton (New Jersey) 1950, 602 f 32 So Robert M Grant, Pliny and the Christians, Harvard Theological Review 41 (1948), 273–274, ihm folgend Freudenberger, Verhalten (wie Anm   4), 165 ff ; Klaus Meister, Einführung in die Interpretation historischer Quellen Schwerpunkt: Antike, Bd   II: Rom (UTB 2056), Paderborn u a 1999, 353; Reichel, Der römische Staat (wie Anm  10), 120 f ; Jakob Speigl, Der römische Staat und die Christen Staat und Kirche von Domitian bis Commodus, Amsterdam 1970, 74 ff 33 Zusammenfassung dieser antichristlichen Polemik bei Minucius Felix IX,1–6 (M Minuci Felicis Octavius, ed Bernhard Kytzler, Stuttgart 21992, 7–8)

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Am einfachsten ist die Annahme, die genannten Apostaten hätten ihr Christsein bekennen wollen, seien aber unter dem Druck des Verhöres und mit der drohenden Hinrichtung vor Augen schwach geworden34 Auf diese Gruppe ist wohl Tertullians Formulierung Plinius enim Secundus, cum provinciam regeret, damnatis quibusdam Christianis, quibusdam de gradu pulsis (Tert apol 2,6) zu beziehen, was zu übersetzen ist mit „nachdem er manche von ihrem Standpunkt hatte zurückweichen lassen“, d h zum Abfall gebracht hatte35 Wenn diese Interpretation zutrifft, muss man die Angabe der Angeklagten, sie seien bereits vor geraumer Zeit vom Glauben abgefallen, als reine Schutzbehauptung verstehen36 Von einem Martyriums-Enthusiasmus oder zumindest einer Martyriums-Bereitschaft, der an verschiedenen Stellen der christlichen Literatur begegnet37, kann im Fall der bithynischen Christen nicht die Rede sein Ihre Haltung kontrastiert sehr deutlich mit der (oft stereotypen) Unbeugsamkeit der Angeklagten in den christlichen Martyriumsberichten38 Stattdessen führt das Wissen um die mangelnde Standhaftigkeit Plinius zum Optimismus, das Christenproblem in naher Zukunft bewältigen zu können (Plin  ep X,96,10) Unabdingbare Voraussetzung für diese optimistische Einschätzung ist das Christenbild, das sich für Plinius aus seinen Untersuchungen ergeben hatte Aus dem Fehlen nachweisbarer Verbrechen darf nicht der Schluss gezogen werden, er habe die Beschuldigten nun für ungefährlich und nicht strafwürdig gehal-

34 Karl Müller, Kleine Beiträge zur alten Kirchengeschichte, Teil I: Zum Pliniusbrief, Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der Älteren Kirche 23 (1924), 214–215, hier 215 Andere Ansätze (Freudenberger, Verhalten [wie Anm  4], 156; Karpp, Bezeugt Plinius ein kirchliches Bußwesen? [wie Anm   15], 274 f ) komplizieren den Sachverhalt unnötig und sind zudem teilweise mit textkritischen Eingriffen verbunden 35 Vgl Richard Heinze, Tertullians Apologeticum, Leipzig 1910, 301 Anm  1 zu der inzwischen überholten These Elmer Truesdell Merrills, Zur frühen Überlieferungsgeschichte des Briefwechsels zwischen Plinius und Traian, Wiener Studien 31 (1909), 250–258, hier 251 f , der den Ausdruck mit „nachdem er sie ihrer Würden beraubt hatte“ übersetzte 36 Reichert, Konfusion (wie Anm  15) sieht in dieser Formulierung einen literarischen Kunstgriff des Plinius, der die Angeklagten in möglichst großer zeitlicher Distanz zu einem früheren Christentum habe darstellen wollen 37 Einschlägig hier Christel Butterweck, „Martyriumssucht“ in der Alten Kirche? Studien zur Darstellung und Deutung frühchristlicher Martyrien (Beiträge zur historischen Theologie 87), Tübingen 1995 38 Z B Passio Sanctorum Scilitanorum 10–11, ed Musurillo, The Acts (wie Anm  18), 88–89: Saturninus proconsul Sperato dixit: Perseveras Christianus? Speratus dixit: Christianus sum: et cum eo omnes consenserunt. Saturninus proconsul dixit: Numquid ad deliberandum spatium vultis? Speratus dixit: In re tam iusta nulla est deliberatio Im Bericht über die Martyrien von Lyon und Vienne kommen sogar Christen, die zuvor bereits den Glauben abgeleugnet hatten, im Verlauf des Prozesses wieder „zur Besinnung“ und nehmen das Martyrium an, so bei Eusebius von Caesarea (Eusèbe de Césarée, Histoire ecclésiastique, t 2: livres V–VII [Sources chrétiennes 41], ed Gustave Bardy, Paris 1955, 19, V,1,48): ἐδοξάζετο δὲ μεγάλως ὁ Χριστὸς ἐπὶ τοῖς πρότερον ἀρνησαμένοις, τότε παρὰ τὴν τῶν ἐθνῶν ὑπόνοιαν ὁμολογοῦσι. Καὶ γὰρ ἰδίᾳ οὗτοι ἀνητάζοντο ὡς δῆθεν ἀπολυθηςόμενοι, καὶ ὁμολογοῦντες προσετίθεντο τῷ τῶν μαρτύρων κλήρῳ

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ten39 oder sei in Selbstzweifel verfallen40, hatte er doch durch seine Nachforschungen nur Straftaten (flagitia) ausschließen können, nicht jedoch den Verdacht auf eine krankhafte Gesinnung Entsprechend verwendet Plinius für das Christentum den Begriff contagio41 Die Auswirkungen dieser Infektion deutet er an, wenn er von den vernachlässigten Tempeln spricht (Plin ep X,96,10): Christen nehmen nicht am öffentlichen Leben teil und schaden der traditionellen Religion Im Hintergrund stehen die Vorwürfe der Staats- und Menschenfeindlichkeit und des Atheismus42 Das ungewöhnlich lange Schreiben an Traian war weder ein Versuch, den Kaiser von der Ungefährlichkeit des Christentums als solchem zu überzeugen oder sogar dessen Straffreiheit und Tolerierung zu fordern43, noch eine Anregung, wegen der großen Zahl der Beschuldigten auf eine generelle Verfolgung zu verzichten44 Ebenso wenig allerdings wollte Plinius den Kaiser dazu bewegen, aus der Strafwürdigkeit der Christen, die allgemein anerkannt, aber nicht rechtlich fixiert war, einen juristischen Tatbestand zu machen45 Da das Christenproblem keinen zentralen Punkt seiner Mission darstellte, war Plinius nur an einer pragmatischen Lösung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in seiner Provinz interessiert, aber nicht an juristisch ausgefeilten Grundsatzentscheidungen Aus dieser Überlegung heraus schlug er eine differenzierte Behandlung der Christen vor Da ihr Vergehen nicht in einer verbrecherischen Tat, sondern in einer falschen

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So Plankl, Wirtschaftliche Hintergründe (wie Anm  8), 55 (Plinius habe die Christen lediglich für „abergläubische Einfallspinsel“ gehalten) Vgl auch Guyot/Klein, Das frühe Christentum (wie Anm  8), 323 Anm 16; Theo Mayer-Maly, Der rechtsgeschichtliche Gehalt der ‚Christenbriefe‘ von Plinius und Trajan, Studia et Documenta Historiae et Iuris 22 (1956), 311–328, hier 325; Reichel, Der römische Staat (wie Anm   10), 22; Winter, Tacitus and Pliny (wie Anm  21), 500 40 So vermutet Baus, Urgemeinde (wie Anm  15), 158 Otto Lendle, Christliche Texte im altsprachlichen Unterricht? Gymnasium 82 (1975), 194–224, hier 206 und Anm  25 sieht eine „tiefe Bedrängnis“ und einen „persönlichen Konflikt“ bei Plinius 41 Vgl die ähnliche Formulierung für die Bacchusanhänger in Livius XXXIX,9,1 (Titus Livius, Römische Geschichte Lateinisch – deutsch, Bd   9: Buch XXXIX–XLI [Sammlung Tusculum], ed Hans Jürgen Hillen u Josef Feix, Darmstadt 1993, 22): huius mali labes ex Etruria Romam veluti contagione morbi penetravit. Eine Krankheitsmetapher findet sich auch bei der Beschreibung der Verbannung von Anhängern des Iuppiter Sabazios im Jahre 139 v Chr (Valerius Maximus, Factorum et dictorum memorabilium libri IX, ed Karl Kempf, Berlin 1854, 126, I,3): […] qui Sabazi Iovis cultu Romanos inficere mores conati erant […]. 42 Die berühmteste Stelle zum angeblichen Menschenhass der Christen ist Tacitus, Annales XV,44,4 (P Corneli Taciti libri qui supersunt, Bd  I: Ab Excessu Divi Augusti, ed Heinrich Heubner, Stuttgart 1994, 369) Der Atheismusvorwurf findet sich etwa bei Minucius Felix VIII,1–3 (M Minuci Felicis Octavius [wie Anm  33], 6) 43 Der Brief an Traian wird in der Forschung gelegentlich so interpretiert, z B Joachim Molthagen, Der römische Staat und die Christen im zweiten und dritten Jahrhundert (Hypomnemata 28), Göttingen 21975, 18 44 Etwa Weber, Nec nostri saeculi est (wie Anm  12), 21, möglicherweise aufgrund Tertullian, Apologeticum 2,6, Qvinti Septimi Florentis Tertvlliani Opera [wie Anm  9], 88: ipsa tamen multitudine perturbatus. 45 Freudenberger, Verhalten (wie Anm  4), 79 f und 200, ihm folgend Speigl, Der römische Staat (wie Anm  32), 64 f

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Gesinnung46 bestand, erschien es ihm möglich, statt einer pauschalen Verdammung bestimmte Sonderfälle zu definieren47 (Plin ep X,96,2): Man konnte mildernde Umstände im Fall jugendlicher Christen gelten lassen, sei es, dass diese noch nicht in vollem Maße für ihre falsche Geisteshaltung verantwortlich gemacht werden konnten, sei es, dass bei ihnen noch am ehesten eine Besserung zu erhoffen war Ebenso konnte man venia für diejenigen Personen gewähren, die früher einmal der „geistigen Verwirrung“ anheim gefallen, nun aber wieder „zu Verstand gekommen“ waren48 Durch das vorgeschlagene Verfahren – bestraft werden nur geständige Christen, frühere Zugehörigkeit bleibt ungeahndet  – konnten zahlreiche Prozesse vermieden werden und man konnte auch hoffen, andere „Befallene“ zur Aufgabe der superstitio zu bewegen49, wie Plinius in seinem Schlusssatz ausdrückt: ex quo facile est opinari quae turba hominum emendari possit, si sit paenitentiae locus Hier wird die Anregung des Plinius erkennbar, nicht nur vorhandene paenitentia zu honorieren, sondern auch Christen die paenitentia als Möglichkeit anzubieten, d h auf eine Apostasie hinzuarbeiten Diese Haltung wäre eine Neuerung im Vergleich zu der ersten Prozessphase Traian jedenfalls interpretierte die Anfrage des Plinius in dieser Weise und führte den Gedanken konsequent weiter *** Im Vergleich zu der detaillierten Anfrage des Plinius erscheint das Reskript50 Traians auf den ersten Blick recht knapp, weshalb es nicht selten als unbefriedigend empfunden wurde Im Gegensatz zu seiner Kürze steht jedoch seine weitreichende Wirkung: Obwohl es, wie alle Reskripte, zunächst nur für einen einzigen Verwaltungsbezirk bestimmt war51, erreichte es durch die Veröffentlichung in den 46 Die zurückhaltende Politik, die Plinius gegenüber den Christen anregen wollte, findet ihren Niederschlag in einer sehr zurückhaltenden Wortwahl: error (Plin ep X,96,7) statt der viel stärkeren Begriffe scelus oder facinus (vgl auch die überzeugenden Beispiele bei Freudenberger, Verhalten [wie Anm  4], 162 f ) 47 Das scheint mir die einfachste Erklärung zu sein, obwohl die Lösung nicht ganz konsequent wäre, wie zu Recht Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 32 anmerkt: „Wenn das nomen ipsum, als solches, strafwürdiges Unrecht ist, so hat wohl jeder Christianus grundsätzlich die gleiche Strafe verwirkt “ 48 Schon bei der Beschreibung der Bacchusanhänger Livius XXXIX,16,5 (Römische Geschichte [wie Anm  41], 36) findet sich diese Metapher Die Beschreibung des Christentums als Geisteskrankheit (amentia, dementia, furor) bleibt auch in der Folge gängig, vgl Acta Marcelli (Recensio M) 4,2 und 5,1, ed Musurillo, The Acts (wie Anm  18), 252–255 (hier sogar in der Urteilsbegründung); Passio Sanctorum Scilitanorum 1, ed ebd  87–88; Tertullian, Apologeticum 1,13, Qvinti Septimi Florentis Tertvlliani Opera [wie Anm  9], 87 49 So Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 32 f ; Meister, Einführung (wie Anm  32), 354; Reichel, Der römische Staat (wie Anm   10), 29–31; Wlosok, Rom und die Christen (wie Anm  8), 34 f 50 Traditionell wird der Brief als Reskript bezeichnet Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 69 ff , hält dagegen den Terminus mandatum für angebracht, was mir aber nicht zwingend erscheint Die Grenzen sind jedenfalls unscharf, vgl Leopold Wenger, Die Quellen des römischen Rechts, Wien 1953, 424 ff 51 Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 73; Freudenberger, Verhalten (wie Anm  4), 236 f

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Büchern des Plinius einen hohen Bekanntheitsgrad und wurde vorbildlich für die künftigen Christenprozesse Zunächst billigt Traian die Maßnahmen seines Statthalters gegenüber den Apostaten (Plin ep X,97,1): actum quem debuisti […] in excutiendis causis52 eorum, qui Christiani ad te delati fuerant, secutus es Die folgende Formulierung neque enim in universum aliquid, quod quasi certam formam habeat, constitui potest, durch den Partikel enim als Begründung des ersten Satzes ausgewiesen, hat den Sinn: Weil man keine allgemein verbindliche Regel aufstellen kann, ist es zulässig, im Einzelfall eine differenzierte Behandlung unterschiedlicher Personengruppen vorzunehmen53 Traians Bestreben, ein allgemein gültiges Christengesetz zu vermeiden, ist deutlich zu erkennen Im Übrigen entspricht dieses Verhalten sowohl der gängigen römischen Rechtspraxis mit ihrer Abneigung gegen Verallgemeinerungen als auch den Anordnungen Traians in der restlichen Korrespondenz mit Plinius54 Danach verbietet der Kaiser die Fahndung nach den Christen, erklärt das Christentum aber nichtsdestoweniger für strafbar (Plin ep X,97,2): Conquirendi non sunt; si deferantur et arguantur, puniendi sunt, ita tamen ut, qui negaverit se Christianum esse idque re ipsa manifestum fecerit, id est supplicando dis nostris, quamvis suspectus in praeteritum, veniam ex paenitentia impetret Diese Regelung rief die Kritik Tertullians hervor (Tert apol 2,8): O sententiam necessitate confusam! Negat inquirendos ut innocentes et mandat puniendos ut nocentes. Moderne Interpreten folgten oft seinem Urteil55, doch ist zum einen die Vorstellung, dass eine Schuld latent besteht, jedoch nur bei Anklage wirksam wird, nicht neu56, zum 52

Die Formulierung causas excutere bedeutet nicht, wie in der Forschung oft vertreten, allgemein „die nötigen Ermittlungen anstellen“, womit sich diese Bemerkung auf alle Christen und alle Handlungen des Plinius beziehen würde (so etwa Adrian Nicholas Sherwin-White, Why were the early Christians persecuted?  – An amendment, Past and Present 27 (1964), 23–27, hier 24 f ; ders , The letters [wie Anm   3], 710), sondern „die Gründe erforschen“ (so auch Schillinger-Häfele, Plinius, ep 10,96 und 97 [wie Anm  26], 389 f , ihr folgend Muth, Plinius d J [wie Anm  14], 124 f ) Dies aber hatte Plinius nur im Fall der Apostaten getan 53 Wenn man den Satz nur als Hinweis auf die (örtlich oder zeitlich) beschränkte Gültigkeit des Reskriptes versteht, ergibt das Wort enim keinerlei Sinn Außerdem war für Traian und Plinius die Beschränkung der Bestimmungen auf die fragliche Provinz eine banale Selbstverständlichkeit, die nicht besonders hervorgehoben werden musste 54 Z B in Plin ep X,109 die Ablehnung der Setzung neuen Rechtes: Nam […] id dari a me non oportebit; in Plin ep X,113 die Absage an Generalisierungen: […] in universum a me non potest statui 55 Ernst Dassmann, Kirchengeschichte, Bd   I, Stuttgart/Berlin/Köln 1991, 103: „unlogisches Provisorium“; Meyer, Ursprung und Anfänge (wie Anm  10), 562: „Halbheit“, „Widersinn“; Joseph Vogt, Christenverfolgung (I: historisch, Bewertung durch Heiden u Christen), in: Reallexikon für Antike und Christentum 2 (1954), 1159–1208, hier 1173: „taktischer Ausweg“; Wlosok, Rom und die Christen (wie Anm   8), 37: „juristisch völlig inkonsequent“ Diese Liste ließe sich beliebig verlängern 56 Cicero Sex Roscio 20,56 (Marcus Tullius Cicero, Scripta quae manserunt omnia, Bd  8: Oratio pro Sex Roscio Amerino, ed Alfred Klotz, Leipzig 1949, 22): innocens, si accusatus sit, absolvi potest, nocens, nisi accusatus fuerit, condemnari non potest.

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anderen ist Traians Anordnung, wenn auch nicht streng logisch, so doch zumindest von großem staatsmännischen Geschick geprägt57 Einerseits erklärte er das Christentum für strafbar und folgte damit der gängigen Praxis, andererseits reagierte er mit der Einführung eines locus paenitentiae auf Plinius’ Feststellung, das Christentum zeichne sich nicht durch flagitia aus, sondern durch eine falsche Haltung zum Staat und zur Gesellschaft Begangene flagitia hätten in jedem Fall eine Strafe verdient, und hätte Traian eine akute Gefahr in den Christen gesehen, hätte er aktiv gegen sie vorgehen und auch anonyme Hinweise verwerten müssen Frühere „geistige Verwirrung“ konnte hingegen – sobald man sie überwunden hatte – venia finden Dabei war es unerheblich, ob die Aufgabe des Christseins vor Jahren oder erst im letzten Moment vor Gericht erfolgte, denn die Vergangenheit war in keinem Fall mehr Gegenstand der Untersuchung58 Traian wird aber die Möglichkeit eines Abfalls vor Gericht für denkbar und wünschenswert gehalten haben59 Jeglicher Grundlage entbehrt dagegen die Vermutung, Traian sei von der Ungefährlichkeit der Christen überzeugt gewesen, habe aber wegen des Drucks der öffentlichen Meinung eine Verurteilung aussprechen müssen60 Indem Traian für Personen, die ein Christsein leugneten, den Opfertest vorschrieb und indem er ihnen nach dessen Bestehen venia zusicherte, beantwortete er die drei von Plinius in ep X,96,2 gestellten Fragen in äußerster Kürze: Das nomen ipsum ist strafbar; auf paenitentia hin kann venia gewährt werden; jugendliches Alter wirkt nicht generell strafmildernd, jedoch wird dem Richter durch die Formulierung neque enim in universum aliquid, quod quasi certam formam habeat, constitui potest ein Ermessensspielraum zugebilligt Dennoch ist die Regelung nicht streng logisch: Der Satz ita tamen ut, qui negaverit se Christianum esse idque re ipsa manifestum fecerit, id est supplicando dis nostris, quamvis suspectus in praeteritum, veniam ex paenitentia impetret fasst ehemalige Christen und Personen, die nie Christen waren, zusammen, venia war aber natürlich nur für erstere notwendig ***

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Der Begriff der Milde Traians (Richard Cornelius Kukula, Briefe des jüngeren Plinius, Bd  II: Kommentar, Leipzig 31911, 110) ist hier wie auch im Fall des Plinius nicht angebracht 58 Im Vergleich zu Plinius’ Frage ist die Antwort leicht variiert: Es kam, wie auch Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 39 und 95 betont, nicht auf Christianum esse vel fuisse, sondern nur auf Christianum esse an, die Vergangenheit spielte keine Rolle mehr 59 Sicher rechnete Traian auch damit, dass man die Bewegung von innen aushöhlen könne, indem man den Christen das Lohnende eines Abfalls vor Augen stellte (so Mayer-Maly, Der rechtsgeschichtliche Gehalt [wie Anm  39], 327 f und ihm folgend Sherwin-White, The letters [wie Anm  3], 712) 60 Hugh Last, Christenverfolgung (II: juristisch), in: Reallexikon für Antike und Christentum 2 (1954), 1208–1228, hier 1213 f ; Marta Sordi, I rapporti fra cristianesimo e impero, in: Dalle terra alle genti La diffusione del cristianesimo nei primi secoli Guida alla Mostra di Rimini, marzo–settembre 1996, hg v Angela Donati, Mailand 1996, 49–62, hier 54

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Tertullian wies auf einen Schwachpunkt dieser Anordnung hin, nämlich die Möglichkeit einer arglistigen Täuschung61 Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass Traian diese Möglichkeit einkalkulierte62, da Plinius erklärt hatte, wahre Christen opferten unter keinen Umständen Zudem äußerte sich nach römischer Vorstellung die Religion weniger durch Glauben als durch Kultausübung – wer sich nicht wie ein Christ verhielt, war kein solcher Dieser Gegensatz existiert nach christlicher Sicht nicht, und eine Person, die „nur zum Schein“ opferte, dabei aber „innerlich“ Christ bleiben wollte, stellte sich durch ihre Handlung ebenso außerhalb der christlichen Gemeinschaft wie eine solche, die das Opfer nur vortäusche, etwa durch Kauf einer Opferbescheinigung63 In den Märtyrerakten stößt diese christliche Anschauung immer wieder auf das Unverständnis der Staatsvertreter, die von den angeklagten Christen lediglich eine kultische Geste fordern, die nach ihrem Verständnis den eigentlichen Glauben nicht berührt, z B Mart Pol 8,2: Τί γὰρ κακόν ἐστιν εἰπεῖν· Κύριος Καῖσαρ, καὶ ἐπιθῦσαι καὶ τὰ τούτοις ἀκόλουθα καὶ διαςώζεσθαι; Mart Conon 4,4: μόνον δὲ λάβε λίβανον βραχὺν καὶ οἶνον καὶ θαλλὸν καὶ εἰπέ· Δίε πανύψιστε, σῶζε τὸ πλῆτος τοῦτο; Pass Iuli 2,1: Quid enim grave est turificare et abire? *** Ob es durch die Anordnung Traians weniger Prozesse gab64, ist nicht festzustellen, die Vorschrift, künftig nur noch die Zugehörigkeit zum nomen Christianum zu untersuchen, nicht aber flagitia, wurde jedenfalls nicht immer eingehalten Nicht nur in der erregten Stimmung der Christenprozesse von Lyon und Vienne 177 n Chr sondern auch in dem regulären Verfahren der Scilitanischen Märtyrer 180 n Chr wurden die bekannten Vorwürfe wieder vorgebracht65, zu fest verband man offenbar die Christensekte mit diesen Anschuldigungen Es blieb aber die Erklärung der Illegalität des Christentums durch Traian, die erste ausdrückliche Verdammung durch einen römischen Kaiser Die christliche Reaktion auf diese Entscheidung be-

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Tertullian, Apologeticum 2,17, Qvinti Septimi Florentis Tertvlliani Opera [wie Anm  9], 90: vel ne compulsus negare non ex fide negarit et absolutus ibidem post tribunal de vestra rideat aemulatione iterum Christianus? 62 Dagegen vermutete Babel, Der Briefwechsel (wie Anm  3), 39 Anm  1, das Verb negare habe die ganze Spannweite vom ehrlichen Verneinen bis hin zum wirklichkeitswidrigen Lügen gehabt 63 Dieses Phänomen wurde besonders in den Verfolgungen der Kaiser Decius und Valerian im 3 Jahrhundert zum Problem Zu den Opferbescheinigungen (libelli) vgl August Bludau, Die ägyptischen Libelli und die Christenverfolgung des Kaisers Decius (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Supplementheft 27), Freiburg i Br 1931 und John R Knipfing, The libelli of the Decian persecution, Harvard Theological Review 16 (1923), 345–390 64 So Bringmann, Christentum und römischer Staat (wie Anm  8), 10 65 Passio Sanctorum Scillitanorum 5, ed Musurillo, The Acts (wie Anm  18), 86–87: mala initiare de sacris nostris; 6 (ebd ): furtum facere; 7 (ebd ): homicidium facere, falsum testimonium dicere

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stand in der zitierten Polemik Tertullians sowie möglicherweise kurz danach im Versuch, durch die Fingierung eines weiteren Kaiserreskriptes  – desjenigen von Hadrian an den Prokonsul der Provinz Asia, Minicius Fundanus – die Regelungen Traians aufzuweichen66

66 Dieses für die Christen deutlich günstigere Reskript ist nur bei Eusebius, Historia ecclesiastica IV,8–9 (Eusèbe de Césarée, Histoire ecclésiastique, t 1: livres I–IV [Sources chrétiennes 31], ed Gustave Bardy, Paris 31978, 169–172 überliefert, der den Wortlaut seinerseits – nach eigenen Worten  – aus der ersten Apologie des Justin übernahm (Eusebois, Historia ecclesiastica IV,8,8 [ebd 172]) Die Kernfrage lautet, ob der Erlass Hadrians korrekt wiedergegeben (so etwa Molthagen, Der römische Staat [wie Anm  43]), von den christlichen Autoren mehr oder weniger stark abgeändert (z B Wolfgang Schmid, The Christian re-interpretation of the rescript of Hadrian, Maia 7 [1955], 5–13) oder vollkommen frei erfunden wurde (z B Herbert Nesselhauf, Hadrians Reskript an Minicius Fundanus, Hermes 104 [1976], 348–361)

II ADAPTIONSFORMEN IM FRÜHEN MITTELALTER

FROM EYEWITNESSES TO BLOOD WITNESSES: THE CULT OF THE APOSTLES IN THE EARLY MEDIEVAL WEST Els Rose

INTRODUCTION: FROM WITNESSES OF FAITH TO BLOOD WITNESSES The cult of the apostles in the early Middle Ages provides us with a complex and multi-layered concept of ‘being a witness’: μαρτυρεῖν The apostles classify in the first place as eyewitnesses As companions of Christ, they saw the proclamation and realisation of the Christian message with their own eyes Moreover, the canonical books indicate the apostles as witnesses, μάρτυρες, or testes in the Latin Vulgate (Lk 24,48 and Acts 1,8) As such, they are called to go out into the world and to preach what they have seen Their missionary preaching makes them witnesses to the Christian faith in a very direct and specific way Finally, the apostles are also witnesses in the sense that is central to this volume According to the legendary tradition, they finished their life in martyrdom, and hence became blood witnesses The specialist of the development of the Christian calendar of saints, Hansjörg Auf der Maur, points to the general ease with which the apostles are presented in the liturgy as martyrs, “even if with regard to most of these figures little is known about the circumstances of their death”: “Die Apostel in ihrer Gesamtheit kamen erst relativ spät in das Sanktorale [my italics] der verschiedenen Kirchen Zunächst wurden nur jene Apostel verehrt, die in einer Gemeinde oder Ortskirche eine besondere Rolle spielten und von denen man annahm, daß sie als Märtyrer ihr Leben dahingaben Erst im Lauf des frühen Mittelalters, als man alle Apostel, deren Todesschicksal ja historisch gesehen im Dunkeln liegt, als Märtyrer erachtete, kamen sie zu liturgischer Verehrung; im Westen erst seit dem 9 Jh Der theologische Grundgedanke ist der, daß die Apostel die von Christus bestellten Glaubenszeugen par excellence sind So mußten sie wohl auch ihr Zeugnis durch das Martyrium besiegelt haben ”1

According to Auf der Maur, the most appropriate response to the privileged position of the apostles as eyewitnesses (“Glaubenszeuge par excellence”) is the cultic veneration of these saints as martyrs The fact that the way the apostles ended their lives “historisch gesehen im Dunkeln liegt” turns into an advantage, in Auf der Maur’s perspective, since this lack of “historical facts” offers the opportunity to create the cult that befits the apostles most: the cult of a martyr 1

Philipp Harnoncourt / Hansjörg Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit, vol II/1, Regensburg 1994, 115

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Apparently, Auf der Maur is right in his observation that there is little historical material on the fate of the apostles: even the biblical Acts are silent on this subject This canonical book reports only the death of James the son of Zebedee, beheaded by Herod according to Acts 12,2 However, there are other kinds of sources that inspired the cult of the apostles, also in the West Much legendary or apocryphal material about the apostles circulated in the early centuries, adaptations of which were known in the Latin world at an early stage, indicated in the manuscripts with various titles of which I chose Virtutes apostolorum2 The apocryphal Acts of the Apostles (mainly concerning Peter, Paul, John, Thomas, Andrew) were translated from Greek into Latin in the early Middle Ages, and completed with newly composed sections if necessary (Matthew, Bartholomew, Simon and Jude, Philip) Even though this material was not considered of the same standard as the biblical Acts3, it was used for the composition of liturgical prayers for Mass at least at the end of the seventh century, as we will see in the following where we consider the case of Andrew in some early medieval sacramentaries Moreover, the Virtutes apostolorum were common reading during the monastic (night) office from the ninth century onwards4, and offered material for liturgical chants5 The composers of liturgical texts seem to have been little concerned about the lack of what Auf der Maur calls “historical facts” describing the fate of the apostles Instead, they borrowed eagerly from legendary sources when it came to composing an Office or a Mass proprium for the feasts of the apostles In the first section of the present article, I shall identify the specific sources from which the liturgical cults of the apostles developed After having charted the sources that nourished the liturgical cults of the apostles, my second aim is to explore what role the concept of martyrdom played in the development of these liturgical cults In this examination, I concentrate on the earliest evidence of apostle cults in Latin Christianity We find church dedications for nearly all apostles before the ninth century, as well as celebrations of their natale with their own liturgical compositions before the ninth century In almost all cases,

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For an overview of various titles occurring in the manuscripts, see Guy Philippart, Les légendiers latins et autres manuscrits hagiographiques (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 24–25), Turnhout 1977, 88 Bede, for instance, indicated the difference between the anonymous ‘Historiae apostolorum’ and the canonical Gospels and the book of Acts, of which the authors are known by name Beda Venerabilis, Retractatio in Actus apostolorum (Corpus Christianorum, Series Latina 121), ed Max Ludwig Wolfram Laistner and David Hurst, Turnhout 1983, I, 13, 106–107 See for a discussion of the assessment of apocrypha in Late Antiquity and the Middle Ages Els Rose, Ritual Memory The Apocryphal Acts and Liturgical Commemoration in the Early Medieval West (c 500–1215) (Mittellateinische Studien und Texte 40), Leiden/Boston 2009, 23–78 Or even earlier; cfr François Dolbeau, Naissance des homéliaires et des passionaires Une tentative d’étude comparative, in: L’antiquité tardive dans les collections médiévales Textes et représentations, vie –xive siècle (Collection de l’École française de Rome 405), ed by Stéphane Gioanni and Benoît Grévin, Rome 2008, 13–35 Rose, Ritual Memory (see footnote 3)

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the apostles are presented as martyrs at an early stage, even earlier than Auf der Maur supposes Finally, I want to deal at greater length with the exceptions: those apostles whom the legendary tradition does not depict as martyrs Auf der Maur points to John as an apostle who is not  a martyr6 We must add another apostle here, namely Philip Though  a Greek Martyrion Philippi does exist as an addition to the fifth-century apocryphal Acts of Philip7, the Latin narrative tradition portrays Philip’s deathbed as a peaceful event that took place only when the apostle had reached old age, a presentation very similar to John’s case My third aim is to demonstrate what happens in the liturgical cult of those apostles to whom the legendary tradition does not attribute martyrdom In my conclusion, I shall return to the actual theme of this volume, addressing the question as to how the apostles served the medieval Church as models of faith through their martyrdom, and how the legends of martyrdom are central to the liturgical commemoration of the first witnesses of the Gospel 1 THE APOCRYPHAL ACTS OF THE APOSTLES AS SOURCES FOR LITURGICAL CELEBRATION The first part of the present investigation of the liturgical cult of the apostles as martyrs is based on previous research I published in the monograph Ritual Memory8 I shall not repeat in detail what I have written there, but instead I want to present some main lines In Ritual Memory, an analysis of the narrative traditions that underlie the liturgical compositions of early feasts in honour of the apostles, I considered the liturgical celebrations of six apostles, viz Bartholomew, Philip and James (sharing  a feast-day), Matthew, and Simon and Jude (the latter also sharing a feast-day) Elsewhere, I studied the case of the apostle Andrew9 The different feasts give a diverse outcome, but all of them indicate that the composers of liturgical texts in honour of the apostles made use of extra-biblical narrative traditions to a greater or lesser extent As far as the Eucharistic liturgy is concerned, Auf der Maur’s argument of a relatively late development of a liturgical cult of the apostles is only partly valid The feast of Philip and James (1 May), for instance, is a comparatively late development in the Latin liturgy It occurs in the sacramentaries at a point in time when the tendency to incorporate digressions on hagiographic details of the celebrated saints 6 7

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Harnoncourt/Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit (see footnote 1), 115–116 Frédéric Amsler, Acta Philippi Commentaire (Corpus Christianorum, Series Apocryphorum 12), Turnhout 1999; François Bovon, Les Actes de Philippe, in: Religion (Vorkonstantinisches Christentum: Leben und Umwelt Jesu; Neues Testament [Kanonische Schriften und Apokryphen] [Forts ]) (Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II/25/6), ed by Wolfgang Haase, Berlin/New York 1988, 4431–4527 Cfr footnote 3 Els Rose, Apocryphal traditions in medieval Latin liturgy A new research project illustrated with the case of the apostle Andrew, Apocrypha 15 (2004), 115–138

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in the liturgical prayers had waned10 The situation is different for Bartholomew and Matthew The prayers for Mass in honour of these apostles are deeply influenced by the narrative of their acts and martyrdom In Matthew’s case (21 September), Spain offers the most illuminating examples Prayers for Matthew are found in the Liber Mozarabicus Sacramentorum, also called Liber Missarum de Toledo This sacramentary is preserved only in an eleventh-century manuscript but contains material that dates to the end of the seventh century, the golden age of liturgical composition in Spain11 In the case of Bartholomew (24 August), relevant material is found throughout Europe, but we find the earliest examples likewise in the Liber Missarum de Toledo In addition, the Office for Bartholomew as it occurs in the earliest antiphonaries12 is composed in close connection with the narrative of his Virtutes, a pattern also found in the liturgy of hours for the feast-day of Simon and Jude (28 October) The case of Andrew (30 November), to conclude, brings us to one of the earliest preserved sources of continental Latin liturgy, the so-called Gothic Missal This sacramentary, offering the prayers for the Masses of all Sundays and feast-days of the liturgical year, was copied in the final decades of the seventh century and used presumably in the cathedral of Autun in Burgundy The Mass for Andrew is an early example of an intensive influence of the Latin rewrites of the apocryphal Acts of Andrew on the liturgical cult of this apostle The question that concerns us most here is the kind of sources that were used for liturgical compositions (prayers, chants, hymns) to celebrate the apostles We can distinguish two kinds of sources First, there is the genre of brief biographical notes on the apostles as viri illustres, such as the Lists of apostles, Jerome’s De viris illustribus and Isidore’s De ortu et obitu patrum, and the sixth-century Breviarium apostolorum In the second place, we find narrative traditions, relating the acts and martyrdom of each individual apostle From the late eighth century, we find these Latin ‘Acts’ grouped together in the manuscripts, presented as a series of uninterrupted texts with a separate section for each individual apostle, entitled Virtutes, Passiones, or sometimes Vitae apostolorum Reference to the existence of Virtutes apostolorum as a coherent series is made earlier, perhaps already by Venantius Fortunatus around 600 on the continent, but certainly by the Anglo-Saxon authors Aldhelm and Bede in the final quarter of the seventh and the first quarter of the eighth century in the insular world13 10

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To pay ample attention to the hagiographic details of a saint in the liturgical prayers is a characteristic feature of the early medieval liturgy in Gaul and Spain See for Gaul my commentary on the Gothic Missal: Els Rose, Missale Gothicum e codice Vaticano Reginensi latino 317 editum (Corpus Christianorum, Series Latina 159D), Turnhout 2005 Archdale A King, Liturgies of the Primatial sees, London 1957, 457–458 and 485–494 The Antiphonal of Ivrea is the earliest preserved book offering a complete office for the feastday of Bartholomew and dates to the eleventh century (Ivrea, Chapter Library 106) Cfr RenéJean Hesbert, Corpus antiphonalium officii, vol I (Rerum ecclesiasticarum documenta, Series maior, Fontes 7), Rome 1963, xx–xxi The series of Virtutes apostolorum was previously known as the ‘Collection of PseudoAbdias’ I demonstrate the unsuitability of this indication in Els Rose, Abdias scriptor vitarum sanctorum apostolorum? The ‘Collection of Pseudo-Abdias’ reconsidered, Revue

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The early medieval Latin Virtutes apostolorum are related to the ancient Greek apocryphal Acts only to a certain extent While the Latin rewrite of the Acts of Andrew has strong relations with the older Greek Acts, other texts (Simon and Jude, Matthew, Bartholomew) are more independent and obviously younger compositions, even if the relation with ancient apocryphal Acts in other languages (also other than Greek) is never completely absent The manuscripts in which the Latin Virtutes apostolorum are transmitted point in many cases to a liturgical context We find the Virtutes apostolorum transmitted as a series mainly at the beginning of hagiographic collections, such as passionaries, which offer texts to be read in the context of the divine office (or liturgy of the hours) 14 The analysis of the earliest liturgical texts in honour of the apostles calls into question Auf der Maur’s statement that until the ninth century little was known about the way the apostles spread the Gospel and died As we have seen, narrative traditions on acts and martyrdom of the apostles circulated in the Latin world at any rate as early as the seventh century These texts were considered as important sources for the liturgical cult of the apostles, and were incorporated in the texts that gave expression to these cults Since the early Latin Virtutes portray almost all apostles as martyrs, it is clear that the apostles were attributed the highest honour of Christian sanctity already long before the ninth century By way of example, we will consider now the liturgical veneration of the apostles in some early witnesses of the Latin liturgy 2 APOSTLES AS MARTYRS IN THE EARLIEST LITURGICAL CULTS While Auf der Maur dates the beginning of a liturgical cult of the apostles in the ninth century, feasts of individual apostles are found in manuscripts that go back to earlier times I want to present the feasts of the apostles in one of the oldest medieval collections of Latin prayers for mass, the Gothic Missal (Vat reg lat 317), dated to around 70015 The sacramentary was copied in a centre palaeographically related to Luxeuil and used most probably in the Cathedral of St Stephen in Autun, Burgundy It contains twenty-six Masses for saints, including seven Masses for apostles (various Masses for Peter and/or Paul, various Masses for John and/or and James, a Mass for Andrew) and a common Mass for an apostle-martyr The latter Mass provides a clear picture of the liturgical approach to an apostle in general Let me therefore start with presenting some prayers of this Mass16

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d’histoire des textes n s 8 (2013), 227–268 On the earliest written testimonies of the Virtutes apostolorum, see Els Rose, Virtutes apostolorum: Origin, Aim, and Use, Traditio 68 (2013), 57–96 See Rose, Virtutes apostolorum: Origin, Aim, and Use (see footnote 13), 82–90 See footnote 10 Rose, Missale Gothicum (see footnote 10), 496–497, no 380–383 I maintain here the sometimes deviant spelling as it is found in the (singular) manuscript and presented in the edition Likewise, I refer to the prayers by using the numbers that are found in the edition

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In the light of this article, the title added by the rubricator to the Mass of an apostle-martyr is telling: Missa in natale unius apostuli et martyris Obviously, the apostle is by definition also a martyr, already in the late seventh century The individual prayers express a similar approach The first prayer (no 380), recited at the beginning of the Eucharistic liturgy, praises God in general terms as the splendour of all saints, of which the particular apostle that is celebrated (the name can be filled in ad libitum) stands out as a martyr qualitate qua: “Lord God, miraculous splendour of all the saints, who hast consecrated this day with the martyrdom of Thy blessed apostle [name], grant Thy Church to rejoice worthily in such  a wonderful apostle, so that we by Thy mercy may be helped by his example and his merits Through our Lord Thy Son ”17

The prayer of sacrifice (Contestatio, no 383) is prayed in the Gallican Mass after the sung Sanctus and precedes the actual rite of the transformation and communication of bread and wine In the case of this Mass, it is an extended praise of martyrdom, in which Ps 115,15 (‘Precious in the sight of the Lord is the death of His saints’) is central The apostle’s blood is shed pro Christo, which points into the direction of perfect imitation and submission The apostle is portrayed as the most effective intercessor precisely because of this bloodshed, which brings him very near to the face of God, and makes him a solid connection between the faithful in terris and Christ in caelis: “Prayer of sacrifice It is truly right and just that we praise Thee, omnipotent God, particularly during the feast of Thy blessed apostle [name], during which his glorious blood was shed on behalf of Christ For his venerable and annually recurring solemn commemoration is forever and ever, and always new For even in the sight of Thy majesty the death of Thy righteous remains precious (Ps 115,15) and joy increases when the origins of eternal happiness are celebrated anew We humbly beseech Thee, omnipotent God that Thou deignest to give us Thy apostle [name] as a mediator for our sins and as a patron for our necessities, so that he who shed his holy blood on behalf of the truth may himself receive our prayers before the face of Thy majesty Grant that we may please him so through the ministry of our observance, that when we pray to him here on earth, he may deign to commend us to our Lord Jesus Christ in heaven To whom all angels sing […] ”18

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Rose, Missale Gothicum (see footnote 10), 496: Domine deus, omnium sanctorum splendor mirabilis, qui hunc diem beati apostuli tui illius martyrio consecrasti, da eclesiae tuae digne de tanto gaudere apostulo, ut aput misericordiam tuam et exemplum eius iuuemur et meritis. Per dominum nostrum filium tuum. Rose, Missale Gothicum (see footnote 10), 497: Contestatio. Vere dignum et iustum est te laudare, omnipotens deus, praecipue in beati apostuli tui illius festiuitate, in qua gloriosus eius sanguis pro Christo effusus est, cuius uenerabilis annuae recursionis sollempnitas et perpetua semper et noua est. Quia et in conspectu tuae maiestatis permanet mors tuorum praeciosa iustorum et restaurantur incrementa laetitiae cum felicitatis aeternae recoluntur exordia. Supplices te rogamus, omnipotens deus, ut nobis donare digneris apostulum tuum illum pro peccatis nostris intercessorem, necessitatibus patronum, ut qui pro ueritate sacrum sanguinem fudit, ipse ante conspectu maiestatis tuae uota nostra suscipiat. Et ita ei obsequiorum nostrorum officiositate placeamus, ut dum nos ei supplicamus in terris, ille nos commendare dignetur in caelis domino Iesu Christo. Cui merito omnes angeli.

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But not only in this common Mass is it clear that the apostle in general is celebrated as a martyr already at the end of the seventh century Specific Masses in honour of one or two apostles in the Gothic Missal express the same approach The sacramentary contains three Masses in honour of Peter and Paul: the Mass for Paul’s Conversion (25 January, commemorating the events on the road to Damascus, Acts 9), for Peter’s Chair (18 January, celebrating Peter’s episcopate), and the shared Missa sanctorum Petri et Pauli (29 June, celebrating the martyrdom of both together) If we look at the prayers of the shared feast to start with, it is obvious that the apostles are celebrated as martyrs: the events in Rome during Nero’s reign are the immediate cause to found this commemoration The opening prayer (no  374) tells the whole story in brief lines: “Almighty and eternal God, who hast consecrated this day with the martyrdom of the most holy apostles Peter and Paul, grant to Thy Church spread all over the world to be guided always by their teaching, through whom Christianity has commenced ”19

Likewise, the prayer after the recitation of the names of those participating in the Eucharistic ritual (and of the departed of the community; collectio post nomina, no 376) praises the martyrdom of the ‘princes of the apostles’: “Prayer after the recitation of the names We celebrate, o Lord, the long-awaited feast of the blessed Peter and Paul Grant, we beseech Thee, that just as the honourable glory of their passion has provided them with eternal splendour, it may abundantly grant us the remission we long for Mayest Thou value the names of the people that have been recited to be counted in the Book of Life Through him, who lives with Thee […] ”20

In the prayer of sacrifice (Immolatio, no 378), details of the apostles’ martyrdom are given, specifying Paul’s beheading and Peter’s crucifixion: “[…] Paul was beheaded, because he was acknowledged by the pagans as the head of faith, and Peter has followed Christ as the head of all while the traces of his cross had been outlined well in advance […] ”21

In this phrasing, the Virtutes Petri as they are transmitted in the series of Virtutes apostolorum resound22 The same details are repeated in the blessing before communion (Benedictio populi, no 379) 19

Ibid 494: Omnipotens sempiterne deus, qui hunc diem beatissimorum apostulorum Petri et Pauli martyrio consecrasti, da eclesiae tuae toto terrarum orbe diffusa eorum semper magisterio gubernari, per quos sumpsit relegionis exordium. Per dominum nostrum Iesum Christum filium tuum 20 Ibid : Collectio post nomina. Apostulorum tuorum, domine, beatorum Petri et Pauli desiderata sollemnia recensemus. Prasta quaesomus, ut honona [honora] gloria passionis sicut illis magnificentiam tribuit sempiternam, ita nobis ueniam largiatur optatam. Et nomina eorum quae recitata sunt in libro uitae censeas deputare. Per eum, qui tecum uiuit. 21 Ibid 495: Immolatio missae. […] Paulus capite plectitur, quia gentibus caput fidei conprobatur, Petrus autem praemissis in cruce uestigiis caput omnium nostrum secutus est Christum. 22 Cfr Paris, Bibl nat lat 12604, fol 11r, l 024a–026a (BHL 6663), where Peter speaks to Agrippa: sed per que uis supplicia opto et desidero, eius sequi uestigia passionis

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In the separate feasts Conversio Pauli and Cathedra Petri, Paul’s conversion and Peter’s pontificate are central, as was to be expected The theme of martyrdom is treated in different ways in these two Masses In the prayers for Conversio Pauli, the Church is repeatedly imagined as the body of Christ In the prayer of sacrifice (no 147), Paul is presented as the persecutor who harmed the members of Christ’s body, but after his conversion did not shun to offer his own head to be sacrificed on behalf of this body: “Prayer of sacrifice […] For he is made the Church’s head, who first had bruised her members and [then] submitted the head of his terrestrial body in order to receive Christ the head in all his limbs Hence he is even deemed worthy to be a chosen vessel, who has received our Lord Jesus Christ Thy Son in the house of his heart Through whom [the angels] praise Thy majesty […] ”23

In the Mass for Cathedra Petri, to the contrary, no word is spent on the apostle’s martyrdom – instead, the themes of apostolic leadership and Peter’s ‘conversion’ from a denier to the doorkeeper of heaven’s gate and the authority to bind and loose sin dominate the prayers for this Mass The Mass for Andrew in the Gothic Missal celebrates Andrew’s natale, the technical term to indicate the day on which a saint ends his or her earthly life but starts to live on in heaven It is no surprise, therefore, that the apostle’s death is central The Mass for Andrew celebrates a particular way of imitatio Christi, because the apocryphal narrative spotlights Andrew’s death on the cross The cross, then, is central in the prayers for Andrew, particularly in the prayer of sacrifice (Contestatio, no 132), where a long digression refers immediately to Andrew’s encounter with the instrument of his martyrdom as it is found in the Greek Acta Andreae as well as in their Latin rewrite: “For after the unjust lashes, after the captivity of prison and bound to hanging, he sacrificed himself as a pure offer to Thee, o God He, utterly meek, spread his arms towards heaven, he embraced the banner of the cross, he kissed the cross and became acquainted with the secrets of the Lamb Thereupon he was guided towards the cross and hung onto it; he suffered according to the flesh and spoke according to the spirit; he forgot the torment of the cross while he preached Christ from the cross As much as his body was stretched on the wood, so much was Christ exulted through his tongue, for hanging on the cross he rejoiced in being united with Christ He did not permit to be released from the cross, lest his strife decreased in ardour with time ”24 23

Rose, Missale Gothicum (see footnote 10), 410: Immolatio missae. […] Nam factus est caput eclesiae qui membra eclesiae conquassauerat, caput terreni corporis tradidit, ut Christum caput in suis omnibus membris acciperet, per quod etiam uas electionis esse meruit, qui eundem dominum nostrum Iesum Christum filium tuum in sui pectoris habitationem suscepit. Per quem maiestatem tuam laudant 24 Ibid 403–404: Contestatio. […] Qui post iniqua uerbera, post carceris septa, alligatus suspendio se purum sacrificium tibi obtulit deo. Extendit mitissimus brachia ad caelos, amplectitur crucis uixillum, defigit in osculis ora, agni cognuscit archana. Denique dum ad patibulum duceretur, in cruce suspenderetur, carne patiebatur et spiritu loquebatur, obliuiscitur crucis tormenta dum de cruce Christum praconat. Quantum enim corpus eius in ligno extendebatur, tantum in lingua eius Christus exaltabatur, quia pendens in ligno sociari se ei gratulabatur. Absolui se non patitur a cruce ne tepiscat certamen in tempore

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This prayer is a beautiful example of a close connection between the liturgy of an apostle and the narrative traditions about that apostle, in this case the Latin rewrites of the ancient Greek apocryphal Acts of Andrew, in which the apostle’s salutation of the cross and his preaching from the cross are the most famous passages25 The apostle John holds a special position in the liturgy of early medieval Gaul The day of John’s natale is celebrated on 27 December, a feast-day that he shares with his brother James, the other son of Zebedee In this combination of the two brothers, the Gallican liturgy has an exceptional position compared to contemporary Latin liturgical usage, and corresponds to several liturgical traditions in the East, among which Syria, Jerusalem, and Asia Minor The combination of the two brothers in one commemoration implies that both apostles are commemorated as martyrs, according to the Gospel passage in which the cup of suffering is foretold to both by Jesus (Mk 10,39) This is in contradiction with the narrative tradition, which already in the second century recounted John’s peaceful death at an advanced age at Ephesus, in line with another Gospel passage, John 21,22 The tradition of John’s peaceful death was taken over by Irenaeus of Lyons, is found in the Greek Acta Iohannis, and spread from there to the Latin world, where it recurs in Gregory of Tours’ In gloria martyrum as well as in his Historiae, but also in the section on John in the Virtutes apostolorum The prayers in the Gothic Missal emphatically present both brothers as martyrs: the feast-day celebrates two apostles who shed their blood as witnesses Thus, the first, introductory prayer (no 37) qualifies the faithful congregated for this feast-day as “venerating the holy apostles and martyrs of God James and John”26 Likewise, the Immolatio (no   41) typifies the day as the natale of the “apostles and martyrs James and John”27 There is only one exception to this pattern In the Blessing before communion (no 43), both brothers are characterised more individually This prayer specifies how John spread the word, to which James testified with his martyrdom28 In general, however, the apostle John is approached as a martyr in the Gallican Mass, just as his brother and all other apostles As we have seen, however, the Gothic Missal is an exceptional case29 No other Western tradition celebrates James and John as a pair This brings us to the third question I want to address in this article: what happens in the liturgical commemoration of those apostles to whom the narrative tradition does not attribute martyrdom? 25 For a more elaborate analysis, see Rose, Apocryphal traditions (see footnote 9) 26 Rose, Missale Gothicum (see footnote 10), 364: […] sanctos dei apostulos et martyres Iacobum et Iohannem praesenti festiuitate uenerantes, fratres karissimi, domino ac deo nostro pariter supplicemus […] Donetque nobis timoris sui perseuerantiam qui illis apostulatus gratiam uel martyrii dedit coronam. 27 Ibid 366: Immolatio missae. […] Ex quibus extant beatissimi apostuli et martyres tui Iacobus et Iohannis, quorum natalem hodie celebramus […]. 28 Ibid 367: Benedictio populi. […] Fructificet in hoc populo quod seminauit iste uerbo plantauit ille martyrio. […] 29 Together with other representatives of the Gallican liturgy, such as the Missale Bobbiense and the so-called Irish Palimpsest Sacramentary See Rose, Missale Gothicum (see footnote 10), 206–210

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3 MARTYRDOM WITHOUT BLOODSHED: JOHN AND PHILIP Philip In this final section, two apostles are central: Philip and John, who are not depicted as martyrs in the narrative tradition As I stated above, the liturgical cult of Philip is testified comparatively late in liturgical sources of the Latin Church, and when it occurs, it is almost always in the form of a shared feast-day with James the Less, indicated as the ‘brother of the Lord’ and first ‘bishop’ of Jerusalem This shared commemoration finds its origin most probably in the dedication of  a basilica in Rome to the pair because their relics were brought to Rome together The basilica dates to the sixth century, and was built under popes Pelagius I and John III30 The liturgical veneration of Philip and James did not leave any traces in the earliest collection of Roman prayers, the Sacramentarium Veronense, comprising material that goes back to at least the fifth century31 The oldest Roman book in which the feast-day of Philip and James occurs is the Sacramentarium Gregorianum Hadrianum32, a collection of Roman prayers of the ages following the period of the Sacramentarium Veronense Pope Hadrian I (772–795) sent a copy of this Roman prayer book to Aachen on the request of Charlemagne in 79533 Outside Rome, no traces of  a liturgical veneration of Philip with or without James are found before the ninth century When the Sacramentarium Gregorianum Hadrianum arrived in Francia, an additional prayer was added in the supplement attributed to Benedict of Aniane (d 821)34 The prayer venerates the apostles in a very general way, treating them as mere representatives of the collegium of twelve It does, however, celebrate them as martyrs: “It is truly worthy [that we praise Thee], eternal God, who hast formed Thy Church in the solid strength of the apostles, to whose collegium blessed Philip and James belong We venerate the feast of their passion (passionis) today, asking that we may be reinforced by the example of those by whose doctrine we are instructed, and that we may be supported by their prayers Through Christ ”35 30 Le Liber pontificalis Texte, introduction et commentaire, vol I (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome), ed Louis Duchesne, Paris 1955, LXII, 3, 303 and LXIII, 1, 305 31 Sacramentarium Veronense Cod Bibl Capit Veron LXXXV[80] (Rerum ecclesiasticarum documenta, Series maior, Fontes 1), ed Leo Mohlberg, Rome 31994 For an introduction to the sources of the early medieval liturgy, see Cyrille Vogel, Medieval liturgy An Introduction to the sources, Washington 1986 (revised and updated translation of Introduction aux sources de l’histoire du culte chrétien au moyen âge, Spoleto 1981) 32 Le sacramentaire grégorien Ses principales formes d’après les plus anciens manuscrits, vol I: Le sacramentaire, le supplément d’Aniane (Spicilegium Friburgense 28), ed Jean Deshusses, Fribourg 1971 33 Vogel, Medieval Liturgy (see footnote 31), 80 34 Ibid 85–90 35 Le sacramentaire grégorien (see footnote 32), 530, no 1608 (Sacramentarium Gregorianum Hadrianum): VD [Vere dignum] aeterne Deus. Qui ecclesiam tuam in apostolica soliditate

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The same pattern is found elsewhere in the Latin liturgy When Philip is commemorated, it is in combination with James on 1 May, and as a martyr An oft recurring prayer in the early sacramentaries is a text from the Sacramentarium Gelasianum Vetus, a prayer book for Mass combining Roman and Frankish customs, and transmitted in a Frankish manuscript of ca 75036 The prayer, identical to the text found in the general Mass for an apostle/martyr in the Gothic Missal and quoted in section 3 (Deus qui es omnium sanctorum tuorum splendor mirabili37), attributes martyrdom to both James and Philip The liturgical prayers of the Latin West mould Philip as a martyr, and do not reflect the narrative tradition of the Virtutes apostolorum, which situates Philip’s mission and peaceful death in Asia Minor (Scythia and Hierapolis) What kind of sources did inspire the liturgical prayers? Concerning Philip’s martyrdom, the aforementioned lists of the apostles, like the sixth-century Breviarium apostolorum and Isidore’s De ortu et obitu patrum, must be called to mind: “Philip, whose name is interpreted ‘the mouth of  a lamp’, was born in Bethsaida, where Peter also originated, and he preached Christ to the Gallis38 Thereupon he was crucified in Hierapolis in the province of Phrygia and he died lapidated There he rests with his daughters His feast-day is celebrated on 1 May ”39

Even if few liturgical texts mention any specific details of Philip’s martyrium, the description of Philip’s death through crucifixion and/or stoning in the Breviarium and related sources must have been dominant A few sources do incorporate material from the Virtutes Philippi, particularly in the liturgy from early medieval Spain A tenth-century liturgical book from the church of Silos, a Missal cum Breviary, transmits the hymn Fulget coruscans This composition does mention Philip’s peaceful death, which is in striking contradiction to texts for Mass and Office in celebration of Philip we have come across so far The eighth stanza of this long hymn reflects on Philip’s death:

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firmasti, de quorum consortio sunt beati Philippus et Iacobus quorum passionis hodie festum ueneramur, poscentes ut sicut eorum doctrinis instituimur, ita exemplis muniamur, et precibus adiuuemur. Per Christum Vogel, Medieval Liturgy (see footnote 31), 64–65 Liber sacramentorum romanae ecclesiae ordinis anni circuli (Rerum ecclesiasticarum documenta, Series maior, Fontes 4), ed Leo Mohlberg, Rome 1968, 137, no 860 (Sacramentarium Gelasianum Vetus): Deus qui es omnium sanctorum tuorum splendor mirabilis quique hunc diem beatorum apostolorum tuorum Philippi et Iacobi martirio consacrasti, da aecclesiae tuae de natalicia tantae festiuitatis laetare, ut apud misericordiam tuam et exemplis eorum et meritis adiuuemur: per. The phrasing is difficult to interpret; cfr Baoudoin de Gaiffier, Le Breuiarium apostolorum (BHL 652) Tradition manuscrite et oeuvres apparantées, Analecta Bollandiana 80 (1962), 89–116, at 104 Text of the Breviarium apostolorum according to Liber sacramentorum Gellonensis (Corpus Christianorum series Latina 159), ed Antoine Dumas and Jean Deshusses, Turnhout 1981, 489–490: Philippus, qui interpretatur os lampadis, a bethsaida ciuitate ortus, unde et petrus, gallis praedicauit christum, deinde in hierapuli frigiae prouinciae crucifixus et lapidatus obiit, ibique cum filiabus suis quiescit, cuius natalicium kl. mai. celebratur

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Els Rose “At that moment, he yielded his spirit to God Together with his two virgin daughters Surrounded by this light he knew the Spirit40, And he was buried in a grave of light, Where he waits to foresee the glory of God ”41

Despite these exceptions, the most widespread liturgical veneration of Philip celebrates this apostle as a martyr In the ambiguous tradition concerning Philip’s mission and demise, the tradition of martyrdom wins While in general, the legendary tradition of the Virtutes apostolorum dominates as the source of inspiration for liturgical prayers in celebration of the apostles, in this case the Virtutes Philippi keeps in the background John In the case of John, matters are different As has become clear, the liturgical veneration of John and James together as martyrs is an exception that occurs only in the Gallican liturgy Not only is the combination of the two brothers exceptional, but also the attribution of martyrdom to John does not occur elsewhere in the Latin liturgy of the early Middle Ages John is most commonly celebrated as an evangelist, who ‘testified to the Word that was in the beginning’42 His intercession is as powerful as his instruction as a doctor fidei43 In the liturgical prayers of early medieval Spain, collected in the Liber Missarum de Toledo, martyrdom is even explicitly denied to John, on the basis of the Gospel passage John 21,20–23, already referred to: “For Christ has made him glorious without bloodshed, and He has preserved him incorruptible in His company until the arrival of His majesty ”44

Elsewhere in the same Mass, John is compared to Mary in a virginity that is interpreted as an escape from corruption by death: “In both Mary and John, we find the similar reward of virginity, committed to them in death For Mary was merrily taken from this life without tasting any torment of persecution or death, and John, foreknowing the day of his demise long before, gave order in person to have a grave dug for him When he had said his brothers’ farewell, he stepped into it, without experiencing 40 The third sentence is difficult to interpret It is read by Clemens Blume, Die mozarabischen Hymnen des alt-spanischen Ritus (Analecta Hymnica 27), Leipzig 1897 [repr New York/ London 1961], 229 as Ex luce septem scit per inspiramine, but I am not sure if this suggestion solves the problem; maybe haec should be interpreted hac 41 Ibid : Ex tunc ad Deum emisit spiritum / Et duae eius virgines et filiae, / Haec luce saeptus scivit inspiramine, / Humatur quoque sepulcrali lumine, / Ibi provisum Dei manet gloriae 42 Sacramentarium Veronense (see footnote 31), 1281, no 1276 43 Liber sacramentorum romanae ecclesiae (see footnote 37), 12, no 41 44 Liber Missarum de Toledo, vol 1, ed José Janini, Toledo 1982, 52, no 150: Quem sine sanguinis effusione efficiens gloriosum, usque ad aduentum sue claritatis conseruat sibimet incorruptum

From Eyewitnesses to Blood Witnesses

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any pain of death, and there he is resting without corruption, until the second coming of the Lord His flesh remains without decay, both outwardly from the torment of death, and otherwise from corruption ”45

In the case of John, we could say that the witness of faith precedes or even excels the blood witness Even the most conspicuous legendary story of John’s immersion in a cauldron full of boiling oil, from which he emerged without a trace of harm, is not seized as an opportunity to depict John as a ‘near-martyr’ This legend, known already to Tertullian, became the subject of a separate feast-day from the late eighth century onwards, after Pope Hadrian I († 795) had dedicated a basilica to S.  Iohannes ad portam latinam46 In the prayers found in the eighth-century (Old Gelasian and Gregorian) sacramentaries, there is no mention of a possible martyrdom, the attack on John being only an incentive to pray urgently for protection against ubiquitous dangers CONCLUSIONS AND FURTHER RESEARCH The sources investigated in the foregoing make clear that martyrdom was an essential element in the presentation and cult of the apostles in the early Middle Ages The oldest liturgical sources of the early medieval West make ample use of the legendary narratives circulating in the Latin world, which describe the twelve apostles as genuine martyrs who sealed the mission of their life with their blood, apart from only two exceptions, John and Philip The lack of “historical facts” concerning the apostles’ final hours, as Auf der Maur phrases it, did not hinder the composers of liturgical prayers and chants for the feast-days of the apostles Legendary material was eagerly and amply used in the composition of liturgical prayers for the commemoration of the apostles If we consider what happens to those apostles to whom the Latin legendary tradition (mainly the Virtutes apostolorum) does not attribute martyrdom, we see two very different solutions In the case of Philip, the liturgy focuses on other traditions than the Virtutes apostolorum, in order to provide a story of martyrdom at all costs Those traditions that do portray Philip as a martyr, like the early medieval Lists of apostles following the Greek tradition of Philip’s crucifixion, predominate over the narrative tradition that describes Philip’s death as a peaceful demise In the case of John, to the contrary, very early on a serious and plausible attempt was made to venerate John as a martyr, based on the canonical narrative in Mark 10 where the cup 45

Ibid no 151: O parile premium in utrisque uirginitatis, quod sic commendatur in exitu finis! quum et Maria nullo persecutionis mortisue congustata tormento letanter ex hac uita subducitur, et Iohannes diem recessus sui ante presciens, effodiri ipse sibi precipit loculum sepulchri. In quo, ualedictis fratribus, sine ullo mortis doloro ingressus, requiescit usque ad aduentum domini incorruptus; tam extraneus a tormento mortis, quam alienus a corruptione extitit carnis 46 Louis Duchesne, Origine du culte chrétien, Paris 1925, 299; Karl A H Kellner, Heortologie oder die geschichtliche Entwicklung des Kirchenjahres und der Heiligenfeste von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Freiburg i Br 1911, 224

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of martyrdom is predicted to the sons of Zebedee James and John This tradition, however, is overruled by the many other traditions that accentuate John’s peaceful death, based likewise on a narrative from the canonical Gospel, namely John 21 In the case of John, exceptionally, faith without bloodshed excels martyrdom In all other cases, the concept of martyrdom is employed in order to portray the apostles as witnesses of faith, and to confirm or even seal their status of eyewitnesses of Christ with martyrdom In the foregoing I have focused on written sources only and mainly on a liturgical digestion of legendary narratives In order to complete this investigation of the importance of martyrdom in the medieval cult of the apostles, we should take into account other kinds of sources as well The liturgy depicts the apostles with textual means The question as to what kind of picture emerges when we include visual images waits for further research

APOKRYPHE APOSTELGESCHICHTEN UND APOSTELLEGENDEN ALS „FEMINISTISCHE“ NARRATIVE Felice Lifshitz

In angelsächsisch beeinflussten Kulturräumen auf dem europäischen Festland arbeiteten im 8 Jahrhundert Frauen und Männer gemeinsam als relativ gleichgestellte Kameraden Namentlich bekannt sind (neben anderen) Bonifatius, Lullus, Lioba, Burkard und Thekla1 Deug-Su I hat sogar argumentiert, dass Lioba sowohl das Frauenkloster Tauberbischofsheim als auch das Männerkloster Fulda leitete und damit dem Muster des angelsächsischen Doppelklosters Wimbourne, wo Lioba ausgebildet worden war, folgte2 Laut Hrabanus Maurus (Abt von Fulda und Erzbischof von Mainz im 9 Jahrhundert), rief Bonifatius seine Verwandte Lioba in den 40er Jahre des 8 Jahrhunderts als Lehrerin ins Frankenreich, ut famulas Dei in monasteriis Germaniae divinis scripturis instrueret3 Für solche Tätigkeiten waren Bücher erforderlich In der Tat verfügen wir über einen relativ umfangreichen Schatz an deutschinsularen Handschriften des 8 Jahrhunderts aus dem Maingebiet Viele dieser Handschriften werden aufgrund der Forschungen Bernhard Bischoffs seit langem weiblichen Schreibern zugerechnet So hat er beispielsweise die sogenannte Gun(t)za-Handschriftengruppe aus dem zweiten Drittel des 8 Jahrhunderts identifizieren können, für die ich eine Provenienz aus dem karolingischen bzw würzburgischen Eigenkloster Karlburg vorschlagen möchte4 1

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Heinrich Wagner, Bonifatiusstudien (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 60), Würzburg 2003; Stefan Schipperges, Bonifatius ac socii eius Eine sozialgeschichtliche Untersuchung des Winfried-Bonifatius und seines Umfeldes (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 79), Mainz 1996; Lutz E von Padberg, Mission und Christianisierung Formen und Folgen bei Angelsachsen und Franken in 7  und 8 Jahrhundert, Stuttgart 1995, 321–331; Hans-Werner Goetz, Frauen im frühen Mittelalter Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich, Weimar 1995, 372–381; Albrecht Classen, Frauenbriefe an Bonifatius Frühmittelalterliche Literaturdenkmäler aus literarhistorischer Sicht, Archiv für Kulturgeschichte 72 (1990) 251–273 Deug-Su I, Lioba, dilecta Bonifatii Eine Liebesgeschichte im 8 Jahrhundert?, Medieval English Studies 10 (2002) = http://hompi sogang ac kr/anthony/mesak/mes102/index htm (Inhaltsverzeichnis) und http://hompi sogang ac kr/anthony/mesak/mes102/IDS htm (Aufsatz) (letzter Zugriff 23 04 2013) Rabani Mauri Martyrologium (Corpus Christianorum, Continuatio Medievalis 44), ed John M McCulloh, Turnhout 1979, 99 Bernhard Bischoff / Josef Hofmann, Libri sancti Kyliani Die Würzburger Schreibschule und die Dombibliotheck im VIII und IX Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur Ge-

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Die Texte und Ideen in diesen Handschriften reflektieren die egalitäre Welt von Bonifatius, Burkard und Lioba Paradebeispiel hierfür ist Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, die älteste überlieferte Sammlung lateinischer Passiones apostolorum In der neueren Forschung gelten die noch älteren griechische Apostelakten und Apostellegenden mitunter als pro-feministische Erzählungen, deren Überlieferung zunächst aufgrund instabiler Formen der Verschriftlichung als hagiographische Texte von Frauen auf der Grundlage mündlicher Überlieferungen gesichert wurde5 Meiner Ansicht nach können ebenso viele der lateinischen Versionen als pro-feministisch gedeutet werden Vier der sieben Texte im Karlburger Passionar sind wahrscheinlich mehrmals überarbeitete Übersetzungen griechischer Originale Die übrigen drei Texte sind genuin lateinische Kompositionen6 Nach gängiger Meinung entstand bereits im späten 6  oder frühen 7 Jahrhundert eine lateinische Ur-Sammlung dieser Texte, die sogenannte Sammlung des Pseudo-Abdias Ich möchte eine andere Hypothese vorschlagen, die ich im Verlauf des Beitrags näher erläutern werde Die verschiedenen Handschriften dieser „Sammlung“ enthalten jeweils unterschiedliche Texte in wechselnder Reihung7 Insofern erscheint es sinnvoll, jeden Textzeugen einzeln zu betrachten8 Das Karlburger Passionar basiert auf mindestens zwei Vorlagen, denn die Hauptschreiberin (zuständig für fol 1–33) bewältigte problemlos etwa die Hälfte der Texte, von denen sie einwandfreie Kopien erstellte, während ihr zahlreiche gravierende Schreibfehler bei den übrigen Passiones unterliefen9 Wie es scheint, gelangten der transitus des Johannes (fol 1v–3r)10, die Passio seines Bruders

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schichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 6), Würzburg 1952, 7; Bernhard Bischoff, Latin Paleography Antiquity and the Middle Ages, übers v Dáibhí O Cróinín u David Ganz, Cambridge 1990, 93–94; Felice Lifshitz, Demonstrating Gun(t)za: Women, Manuscripts, and the Question of Historical „Proof,“ in: Vom Nutzen des Schreibens Soziales Gedächtnis, Herrschaft und Besitz (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 6), hg v Walter Pohl u Paul Herold, Wien 2002, 67–96; dies , Religious Women in Early Carolingian Francia A Study of Manuscript Transmission and Monastic Culture, New York 2014, 41–50 Stevan L Davies, Revolt of the Widows The Social World of the Apocryphal Acts, Carbondale 1980; Dennis R MacDonald, The Legend and the Apostle The Battle for Paul in Story and Canon, Philadelphia 1983; Virginia Burrus, Chastity as Autonomy Women in the Stories of the Apocryphal Acts (Studies in Women and Religion 2), Lewiston 1987 Weiterhin grundlegend: Richard Adelbert Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden Ein Beitrag zur altchristlichen Literaturgeschichte, 2 Bde und Ergänzungsbd , Braunschweig 1883–1890 Els Rose, Ritual Memory The Apocryphal Acts and Liturgical Commemoration in the Early Medieval West (c  500–1215) (Mittellateinische Studien und Texte 40), Leiden/Bosten 2009, 21–22 Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten (wie Anm  6), Bd  1 124, 134, 138–150 Vgl Georg Schepss, Eine Würzburger lateinische Handschrift zu den apokryphen Apostelgeschichten, Zeitschrift für Kirchengeschichte 8 (1886), 449–459, hier 457 Die Fassung des Karlburger Passionars ähnelt dem Schlussteil von BHL 4320 (ed Meliti episcopi liber de actibus Iohannis apostoli, in: Patrologia graeca, Bd  V, Paris 1857, 1246–1250); zu diesem Text: Knut Schäferdiek, Die Passio Johannis des Melito von Laodikeia und die Virtutes Johannis, Analecta Bollandiana 103 (1985), 367–382

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Jakobus (fol 3r–6r)11 und die Thomaspassio (fol 6r–15v)12 in Handschriften aus gallischen Skriptorien mit aus angelsächsischer Sicht fremdartigen und schwer lesbaren Schriften nach Karlburg Dem gegenüber dienten für die Passiones der Apostel Bartholomäus (fol 15v–20v), Simon und Judas (fol 29r–35r) und Philipp (fol 35r–35v) insulare Vorlagen13 in vertrauten und leicht zu lesenden Schriften Die Matthäus-Passio (fol 20v–28v) schließlich wurde wahrscheinlich in Karlburg selbst geschrieben Die Zusammenstellung dieser sieben Passiones in Karlburg stellte eine kreative historiographische bzw hagiographische Leistung dar Das Passionar beschreibt die Christianisierung des Ostens, die vor allem durch die Anstrengungen der Apostel-Märtyrer geleistet wurde Dabei werden weibliche Personen als Unterstützerinnen, Konvertiten und Genossinnen als Schlüsselfiguren der Erzählungen dargestellt Sie konnten auf diese Weise als historische Beispiele die Haltung und das Wirken der Angelsachsen auf dem fränkischen Festland rechtfertigen und begründen Bevor ich mich der Analyse des Passionars widme, möchte ich zunächst auf einige Aspekte der Entstehung und Überlieferung von drei Passiones (Bartholomäus, Matthäus, Simon und Judas) näher eingehen Ich richte mein Augenmerk zunächst auf die Bartholomäus-Passio, eine überarbeitete lateinische Fassung einer verlorenen griechischer Vorlage aus dem armenischen Raum des 5 Jahrhunderts14 Durch Kriegswirren gelangten im 6 Jahrhundert Bartholomäus-Reliquien  – wahrscheinlich bereits in Begleitung einer lateinischen Passio – nach Zypern (578) und Sizilien (580), von wo aus die Verbreitung im gesamten lateinischen Westen erfolgte15 Ein Schwerpunkt bei der Bartholomäusverehrung lag aber weiterhin im westlichen süditalischen Raum Diese Region übte starken Einfluss auf den angelsächsischen Kalender und die insulare Heiligenverehrung aus16 So sah etwa der Eremit Guthlac († 715), der im Doppel-

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Die Fassung des Karlburger Passionars ähnelt der Edition von BHL 4057 von Thomas Beauxamis, Abdiae Babyloniae primi episcopi de historia certaminis apostolici libri x, Paris 1571, fol 45–50; zu diesem Text: Marek Starowieyski, La légende de Saint Jacques le Majeur, Apocrypha: Revue internationale des littératures apocryphes / International Journal of Apocryphal Literatures 7 (1996), 193–203 Die Fassung des Karlburger Passionars ähnelt den Fassungen von BHL 8136 in den westfränkischen Handschriften Orléans, Bibliothèque municipale 341 (9 Jh , Fleury/Saint-Benoîtsur-Loire), Paris, Bibliothèque nationale de France, Ms latin 17002 (10 Jh , Moissac)  und St Gallen, Stiftsbibliothek 561 (9 Jh , nordöstliche Gallia); zu diesem Text: Klaus Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 122), Berlin 1977, xxxvii–xxxviii, l–li, lv–lvi, 3–42 Die Fassung des Karlburger Passionars ähnelt der Edition von BHL 6814 von Boninus Mombritius, Sanctuarium siue Vitae sanctorum, Paris 21910, Bd   2, 385; zu diesem Text: Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten (wie Anm  6), Bd  2, 2, 7, 50–52 Ebd Bd  1, 165, 169; Bd  2/2, 54, 67–72; Michel Van Esbroeck, La naissance du culte de saint Barthélémy en Arménie, Revue des études arméniennes 17 (1983), 171–195, hier 177, 192 Ebd 184 David Rollason, Saints and Relics in Anglo-Saxon England, Oxford 1989, 65–70

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kloster Repton unter der Äbtissin Ælfthryth ausgebildet wurde, in Bartholomäus seinen besonderen geistlichen Mentor Diese enge Bindung an Bartholomäus wurde in der zwischen 721 und 749 verfassen Vita Guthlacs in besonderem Maße betont17 Sie belegt eine besonders intensive insulare Bartholomäus-Verehrung in dem Moment, als angelsächsische Immigranten nach Karlburg gelangten und das Kloster zu kultureller Blüte führten Vermutlich brachten die Neuankömmlinge die Bartholomäus-Passio mit nach Karlburg Die Kopie im Karlburger Passionar bietet möglicherweise den besten Textzeugen der lateinischen Überlieferung Leider haben Richard Lipsius und Maximilian Bonnet sie nicht für ihre Edition genutzt18 Dadurch konnten einige fehlerhafte Lesungen der übrigen Handschriften nicht behoben werden So belohnt der König im Editionstext die Kamele (camelos) und nicht etwa wie in der Fassung des Karlberger Passionars die Begleiter (camillos) der Priester mit Gold und Edelsteinen für ihre Unterstützung beim Exorzismus seiner Tochter19 Für meine Fragestellung ist von noch größerer Bedeutung, dass die Edition von Lipsius und Bonnet die mitunter radikalen marianischen Textanteile verdunkelt, die ich als Belege für eine pro-feministische Theologie der Passio deuten möchte Die bisher einzige eingehendere Untersuchung der Matthäus-Passio wurde 1958 von Giuseppe Talamo Atenolfi vorgelegt Er schrieb die Erzählung einem fränkischen, möglicherweise italischen monastischen Skriptorium der Karolingerzeit zu20 Ich möchte davon abweichend Karlburg als Entstehungsort der Passio vorschlagen Karlburg unterhielt als karolingisches Frauenkloster besonders enge Beziehungen zur Herrscherfamilie Daher weist die Karlburger Verfasserin der Königin Äthiopiens (namens Eufenosa), einer Äbtissin-Prinzessin (namens Ephigenia) und deren klösterliche Gemeinschaft von Jungfrauen (neben der königlichen Residenz) eine wichtige Rolle in ihrer Geschichte zu Die politisch-territorialen Rahmenbedingungen könnten die Verfasserin der Matthäus-Passio auch dazu bewegt haben, „ihren“ Apostel Matthäus neben Simon und Judas zu stellen, deren Gegner Zaroes und Arfaxat sie neben anderen Elemente aus der Simon-und-Judas-Passio entlieh: Der Mainzer Erzbischof Lullus, in dessen Provinz Karlburg sich befand, und der in Kontakt mit seinen angelsächsischen „Mitbürgerinnen“ in Karlburg gestanden haben dürfte, verehrte begeistert das Apostelpaar21

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Graham Jones, Ghostly Mentor, teacher of mysteries Bartholomew, Guthlac, and the apostle cult in early medieval England, in: Medieval Monastic Education, hg v George Ferzoco u Carolyn Muessig, London 2000, 136–152, hier 136–137 18 Passio Bartholomei (BHL 1002), in: Acta apostolorum apocrypha post Constantinum Tischendorf, ed Richard Adelbert Lipsius u Maximilian Bonnet, Leipzig 1898, Bd   2/1, 128–150 19 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 16v; Passio Bartholomei (wie Anm   18), 134 20 Giuseppe Talamo Atenolfi, I testi medioevali degli atti di S   Matteo l’Evangelista, Rom 1958, 13 21 Lifshitz, Religious Women (wie Anm  4), 18–19, 21–22, 47–48

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Atenolfi hat die Karlburger Kopie der Matthäus-Passio nicht gekannt Seine Edition beruht auf einer Handschrift des späten neunten Jahrhunderts aus Bobbio22 Die Karlburger Kopie, die der älteste Textzeuge der Matthäus-Passio ist, unterscheidet sich kaum vom Text der Handschrift aus Bobbio Dort, wo die Fassungen voneinander abweichen, bietet die Karlburger Kopie die bessere Version Auch die Karlburger Abschrift der Simon-und-Judas-Passio, die in der Handschrift unmittelbar an die Matthäus-Passio anschließt, bietet die älteste bekannte Fassung des Textes Sie ist zudem vollständiger oder zumindest länger als die bisher editierte Version23 Das Nachwort der Passio nennt den bereits erwähnten Abdias als Autor Die Überlieferungszusammenhänge dieses Nachworts haben seit Wolfgang Lazius im 16 Jahrhundert zu einigen Missverständnissen geführt Da die Simon-und-JudasPassio in manchen Handschriften am Ende einer Reihe von Apostelakten steht, ging man davon aus, dass die Autorschaft des Pseudo-Abdias über die Simon-undJudas-Passio hinausreichte24 Da einige lateinische Apostelakten mit Sicherheit vor oder um 600 entstanden sind, ist auch die Simon-und-Judas-Passio des PseudoAbdias in die Zeit um 600 datiert worden25 Aus meiner Sicht wäre es allerdings logischer, von einer Niederschrift der Passio erst im 8 Jahrhundert auszugehen Erste karge Erwähnungen von Simon und Judas als Apostelpaar (im Gegensatz zu gesonderten Erwähnungen) wie auch Hinweise auf eine gemeinsame hagiographische Tradition stammen aus dieser Zeit26 Els Rose hat zudem darauf hingewiesen, dass für die Zeit vor dem 12 Jahrhundert Patrozinien, die beide Apostel nennen, fehlen27 Die Tatsache, dass Lullus seinen geistlichen Zufluchtsort (und überdies seine beabsichtigte Grabstätte)  Hersfeld dem Apostelpaar Simon und Judas weihte, erscheint mir im Hinblick auf meine Hypothese besonders aussagekräftig28 Festtage zu Ehren des Apostelpaares spielten zudem eine nicht unerhebliche Rolle in der Kriegspolitik Karls des Großen, insbesondere in Sachsen29 Da der Angelsachse Beda († 735) eine Passio der beiden Apostel Simon und Judas kannte30, ist es möglich, dass die Texttradition, die Simon und Judas explizit miteinander verband, in Ergänzung zu den älteren östlichen Überlieferungen, in den sie einzeln genannt 22

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Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, lat 5771 (BHL 5690), fol 35v–42r, ed Atenolfi, I testi medioevali (wie Anm   20), 58–80 Zu dieser Handschrift: Nicholas Everett, The Earliest Recension of the life of St Sirius of Pavia, Studi Medievali (ser 3) 43 (2002), 857–957, hier 883–884 Mombritius, Sanctuarium (wie Anm  13), Bd  2, 534–539 (BHL 7550 u 7551) Rose, Ritual Memory (wie Anm   7), 20–21; Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten (wie Anm  6), Bd  1, 113–123 Rose, Ritual Memory (wie Anm  7), 215 Ebd 215–217, 222–228 Ebd 215 Siehe oben Anm  21 Felice Lifshitz, The Name of the Saint The Martyrology of Jerome and Access to the Sacred in Francia (627 – 827), Notre Dame 2005, 50–51 Rose, Ritual Memory (wie Anm  7), 63–64

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werden, im angelsächsischen Raum ihren Ausgang nahm, von wo aus Lullus und andere Angelsachsen den Text ins Frankenreich näherhin nach Karlburg brachten Die Schreiberinnen bzw Verfasserinnen des Karlburger Passionars wählten spezifische Textfassungen bestimmter Erzählungen Wenn dies nötig war, schrieben sie neue Fassungen und gestalteten dabei bewusst den Inhalt der Textsammlung als Ganzes In diesem Sinne zielte etwa das Karlburger Passionar auf die Begründung und Rechtfertigung der engen Zusammenarbeit zwischen religiösen Frauen und Männern In Doppelklöstern des späten Mittelalters verehrten Nonnen und Mönchen bevorzugt Maria, die Mutter Jesu und paradigmatische Jungfrau, in Verbindung mit dem Evangelist Johannes Nach dem Tod Christi lebten Maria und Johannes (virgo electus a domino et prae ceteris dilectus in enger Gemeinschaft, die als gedanklich Referenz die Organisation der Doppelklöster widerspiegeln konnte31 Die Tatsache, dass der transitus Johannis an den Anfang der Karlburger Sammlung gestellt wurde, könnte darauf hindeuten, dass der Sinnzusammenhang einer solchen Johannes-Symbolik bereits im 8 Jahrhundert einsetzte, obwohl Maria noch nicht als Lebensgefährtin genannt wurde Anstelle der Gottesmutter verweist der Text auf die geliebte Gefährtin Drusiana als Schlüsselfigur Drusiana stirbt während des Exils des Apostels Als er jedoch nach Patmos zurückgekehrt, erweckt er sie zugleich zu neuem Leben mit dem ausdrücklichen Ziel eines Wiedersehens32 Die Beziehung zwischen Johannes und Drusiana wird in der Karlburger Fassung deutlich gefühlsbetonter und emotionsgeladener dargestellt als in anderen Versionen der Johannesakten Dort wird die Auferweckung Drusianas durch Johannes durch ihren Ehemann motiviert In der Karlburger Fassung spielt dieser keine Rolle33 Die Karlburger Fassung der Johannes-Passio stellte den Evangelisten somit als perfekten Mann frei von jeder Leiblichkeit einer warmherzigen Freundschaft zu einer verheirateten Frau ergeben dar Seine körperliche Reinheit wurde durch diese Beziehung nie in Frage gestellt Gleichsam als Belohnung starb er im hohen Alter von 97 Jahren, indem er in einem großen Licht verschwand und nichts als himmlisches Manna hinterließ34 Am Ende der Karlburger Sammlung steht gleichsam als Gegenstück zur Johannes-Erzählung die Passio des Apostels Philippus Sein 20 Jahre währendes Wirken als Missionar in Skythien wird dort konzentriert in einer kurzen Szene, die in einem Mars-Tempel spielt, verdeutlicht In der Passio des Philippus werden dessen Töchter als von zentraler Bedeutung für seinen Einsatz für die Verbreitung des Christentums dargestellt Mit Hilfe dieser sacratissimae virgines gewann er für 31

Jeffrey F Hamburger, Brother, Bride and alter Christus The Virginal Body of John the Evangelist in Medieval Art, Theology and Literature, in: Text und Kultur Mittelalterliche Literatur 1150–1450 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 23), hg v Ursula Peters, Stuttgart 2001, 296–327, hier 306–307 32 Das erste Blatt des Passionars ist verloren Für die Fehlstelle folge ich Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten (wie Anm  6), Bd  1, 417–418, und De actibus Iohannis apostoli (wie Anm  10), 1241 33 Schäferdiek, Die Passio Johannis (wie Anm  10), 368, 372 34 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 2v

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Gott eine Vielzahl weiterer Jungfrauen Im Alter von 87 Jahren wurde Philippus gekreuzigt und in Hierapolis begraben Seine jungfräulichen Töchter folgten ihm bald nach und wurden zur Rechten und zur Linken ihres Vaters bestattet Nach Aussage des Karlburger Passionars konnte frühchristliche Heilsgeschichte somit unter anderem am Grab eines bis in Ewigkeit von seinen Gefährtinnen umgebenen Apostelhelden ein Ziel finden35 In diesem Sinne verwundert es kaum, dass Bonifatius und Lioba sich wünschten, ein Grab zu teilen36 Die möglicherweise von Frauen verfassten Passiones der Apostel Thomas, Bartholomäus und Matthäus bilden das Herzstück des Karlburger Passionars Sie gehen thematisch über die einfachen freundschaftlichen Beziehungen des Johannes und des Philippus hinaus und betreten Terrain, das ich als erheblich pro-feministischer im Hinblick auf die Darstellung von Vergangenheit und theologische Fragen bezeichnen möchte Die Jakobus- und die Simon-und-Judas-Passio rahmen dieses Herzstück ein, wobei Frauen bzw für Frauen relevante Themen dort keine Rolle spielen Insofern ist das Passionar keine Streitschrift, sondern eine Sammlung mit profeministischem Kern und Rahmenerzählungen mit syneisaktischer Grundthematik Erste Heldin des Kernstücks ist die hebräische Musikerin, der unmittelbar einsichtig wird, warum der Apostel Thomas als Gast der Hochzeit der Tochter des Königs von Indien vom Vollgenuss der Feierlichkeiten zurückweicht Sie beginnt spontan – mit der Ermutigung des Apostels – Gott den Schöpfer des Himmels und der Erde zu predigen37 Anschließend erklärt sie allen Anwesenden Thomas’ rätselhaftes Verhalten, dessen Verweigerung, mit den anderen zu trinken, zuvor eine Auseinandersetzung mit einem Kellerer ausgelöst hatte38 Die cantatrix gibt der Mission des Thomas in Indien entscheidende Impulse Das einer weiblichen Figur diese Rolle zukam, war keine Zwangsläufigkeit Die Verfasserin (bzw der Verfasser) stellte dem Apostel eine weise geistliche Komplizin bewusst zur Seite Ihre Hilfe ist dem Apostel willkommen und wertvoll, denn nur aufgrund ihrer Intervention gelangt der König zu der Idee, Thomas das Brautpaar segnen zu lassen Daraufhin bekennen sich Braut und Bräutigam zum Christentum und geloben ein Leben in keuscher Ehe39 Die „Wiedergeburt“ Indiens als christliches Land beginnt hier folglich 35

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Ebd fol 35r–35v Das letzte Blatt des Passionars ist verloren Für die Fehlstelle folge ich Mombritius, Sanctuarium (wie Anm  13), Bd  2, 385 Zweifelsohne war die Passio ursprünglich vollständig, da der Textanfang mit einer künstlerisch herausragenden Initialornamentik verziert wurde (dazu Andreas Weiner, Die Initialornamentik der deutch-insularen Schulen im Bereich von Fulda, Würzburg und Mainz [Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 43], Würzburg 1992, Tafel 55) Rabani Mauri Martyrologium (wie Anm  3), 99; Deug-Su I, L’Eloquenza del silenzio nelle fonti mediolatine Il caso di Leoba, „dilecta“ di Bonifacio Vinfrido (Millennio medievale 47, Strumenti e studi, NS 7), Florenz 2004, 180–185 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 7r (wo die Musikerin als cantatrix bezeichnet wird); Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 7 (ohne die Lesung cantatrix) Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 7r; Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 8 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 7v; Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 10

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mit der keuschen Ehe eines Brautpaars, dessen Gleichstellung durch die simultane Bekehrung zum christlichen Leben unterstrichen wird40 Von da an lehrte Thomas bei jeder Gelegenheit den Verzicht auf alle weltlichen Dinge Dabei zählte die Keuschheit lediglich als eine Tugend unter vielen41 Für die Adlige Migdonia und ihre Freundin Königin Treptia allerdings wurde die Keuschheit als wichtigste Tugend hervorgehoben Die Frauen entschlossen sich, das thorum ihrer Ehemänner nie wieder zu berühren42 Die Doppeldeutigkeit des Wortes thorum (mehrfach torum geschrieben) drückt lebhaft die Besorgnis von Frauen wie Migdonia und Treptia aus: Es bedeutet Bett oder Liege, zugleich aber auch Verdickung oder Schwellung43 Thomas führte viele Menschen zum Christentum Die Passio aber konzentriert sich auf den spezifischen Bekehrungsvorgang im Falle von Migdonia und Treptia Der Text gibt wiederholt die Gedanken und Worte der beiden Frauen wieder Ihre aufsässige Keuschheit veranlasst den König schließlich dazu, den Apostel zu verhaften und hinzurichten44 Dieser Handlungsverlauf der Karlburger Fassung ist insofern bemerkenswert, als alle anderen Versionen der Thomaslegende (etwa die lateinischen Miracula oder auch verschiedene östliche Erzählungen) rein politische und religiöse Konfrontationen zwischen Apostel und König betonen45 Insofern dürfte die Karlburger Passio in besonderem Maße auf das Wertesystem adliger Frauen im Spiegel der Christianisierung Indiens verweisen Genau dieses Wertesystem war für die Wahl Karlburgs als Zufluchtsort für fränkische Frauen entscheidend, die die eheliche thora meiden wollten In der folgenden Passio des Bartholomäus finden sich vermehrt frauenfreundliche Themen Bartholomäus beginnt seine Mission in Indien dort mit der Austreibung eines Dämonen aus dem Leib der indischen Prinzessin Unter dem Eindruck des Exorzismus bekehrt sich das königliche Ehepaar zum Christentum Die Bartholomäus-Passio ist größtenteils in Forme einer Homilie verfasst, in der der Apostel die Grundprinzipien des neuen Glaubens der königlichen Familie erläutert46 In der Theologie des Apostels spielt die Jungfrau Maria die zentrale Rolle, denn der Erlöser Christus oder vielmehr der „Sohn der Jungfrau“ (filius virginis) als der Gottessohn verdanke ihr fast alles Sogar die Fleischwerdung hänge vom ihrem Gelübde der Jungfräulichkeit ab Maria, allein unter allen Menschen seit Weltenbeginn, wählte die Jungfräulichkeit absichtlich, unabhängig, selbstständig: Id 40 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 8r; Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 11 41 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 8r–11v; Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 12–27 42 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 11v–12r; Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 28–30 43 Whitaker’s Words: http://lysy2 archives nd edu/cgi-bin/WORDS EXE?thorum (letzter Zugriff 26 12 2010) 44 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 12v–14r; Zelzer, Die alten lateinischen Thomasakten (wie Anm  12), 34–37 45 Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten (wie Anm  6), Bd  1, 271 46 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 17r–18v; Passio Bartholomei (wie Anm  18), 135–137

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est hoc constitui, sagt sie, „dass heißt, ich entschied“47 Marias stolzes Selbstbild erscheint in mehreren Handschriften der Bartholomäus-Passio, wurde aber als Variantenlesung in der Edition von Lipsius und Bonnet in den kritischen Apparat gestellt48 Wissenschaftler haben argumentiert, dass die Darstellung Mariens als erste Glaubende am positivsten ihre Rolle in der Fleischwerdung Gottes zum Ausdruck brachte49 Dieser Auslegung folgend reagierte Maria und akzeptierte ihr Schicksal Demgegenüber wird in der Auslegung aus dem Mund des Bartholomäus Maria als initiativ Agierende präsentiert Die Geschichte der Erlösung durch Christus hätte in dieser Sicht ohne ihre einzigartige Entscheidung nie beginnen können Aufgrund ihrer Selbstbeherrschung entschied sich Maria für die Enthaltsamkeit Aufgrund dieses mütterlichen Erbes konnte auch Christus als der „Sohn der Jungfrau“ (filius virginis) den verschiedenen Versuchungen widerstehen Weil der filius virginis sanctae den Versuchungen standhielt und duldete, konnte er die Schuld des „Sohnes der jungfräulichen Erde“ (filius terrae virginis) – d h Adam – ausgleichen50 Diese Formulierung umschreibt die Heilsgeschichte, indem die jungfräuliche Mutter Maria in den Mittelpunkt gestellt wird51 Adams Mutter, Terra oder Erde, war nolens volens eine Jungfrau, weil niemand menschliches Blut bis dahin auf ihr vergossen hatte oder ein menschlicher Leib in ihr begraben wurde Im Gegensatz zu Terra war Maria eine Jungfrau, weil sie sich als erster Mensch dazu entschied52! Adam fehlte es demgegenüber an Entschlossenheit Er war dazu gezwungen, der teuflischen Versuchung zu erliegen, wobei der Bartholomäus der Passio kein Wort über Eva verliert Aber dem Teufel gelang ist nicht, den Sohn Marias in Versuchung zu führen Anstelle der üblichen typologischen Entsprechung erster Adam/zweiter Adam53 erklärt Bartholomäus diesen Aspekt so: Pars enim erat ut qui filium virginis vicerat a filio virginis vinceretur 54 Die Deutung der Versuchung Christi durch Bartholomäus weicht von der traditionellen Interpretation der Kirchenväter deutlich ab Aus ihrem Blickwinkel hatte Jesus der Versuchung widerstanden, weil er göttlich war, d h wegen seines väterlichen Erbes55 Stattdessen schreibt die dezidiert frauenfreundliche Mariologie des Apostels den Erfolg Jesu seinem im mütterlichen Erbe fußenden Charakter zu 47 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 17r 48 Passio Bartholomei (wie Anm  18), 135 Die anderen Handschriften sind Paris, Bibliothèque nationale de France, ms latin 18298, fol 67v–75v und 17002, fol 55v–57v sowie Montpellier, Bibliothèque interuniversitaire de Médecine, H 55, fol 21v–25v 49 Elizabeth Gössmann, Mariologische Entwicklungen im Mittelalter Frauenfreundliche und frauenfeindliche Aspekte, in: Maria – für alle Frauen oder über allen Frauen?, hg v ders u Dieter R Bauer, Freiburg i Br 1989, 63–85, hier 66–69 50 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 18r 51 Terra als Mutter ist explizit im Karlburger Passionar und in allen Handschriften der Familie Δ genannt, wurde aber in der Edition von Lipsius und Bonnet als Variantenlesung in den kritischen Apparat gestellt (Passio Bartholomei [wie Anm  18], 137) 52 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 17v 53 Christoph Markschies, Die neutestamentliche Versuchungsgeschichte in der Auslegung der Kirchenväter, Theologische Zeitschrift 62 (2006), 193–206, hier 199 54 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 17v; Passio Bartholomei (wie Anm  18), 136 55 Markschies, Die neutestamentliche Versuchungsgeschichte (wie Anm  53), 199–202

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Der frauenfreundliche Aspekt der Matthäus-Passio liegt weniger in den theologischen Aussagen als in der narrativen Gestaltung begründet: Die erfolgreichsten Kämpfe als Märtyrer gegen heidnische Magier führt Ephigenia, Prinzessin und Anhängerin des Matthäus, nach dessen Tod Die Erzählung beginnt an dem Punkt, an dem Gott Matthäus nach Äthiopien entsendet, um dort zwei böse Magier zu bekämpfen Der äthiopische König setzt sein Vertrauen in diese beiden Magier bzw Priester, was die Königin – für den kürzlich verstorbenen Prinzen – missbilligt Sie folgt dem Rat eines christlichen Eunuchen, ruft Matthäus zur Hilfe und gibt den Befehl, die Magier zu inhaftieren56 Offensichtlich ist die Königin klüger als der König oder zumindest ebenso einflussreich Matthäus erweckt den Prinzen wieder zum Leben, die Königin verkündet Matthäus als wahren Apostel des wahren Gottes und die königliche Familie bekennt sich zum Christentum Der Text beschreibt knapp und nüchtern die Auswirkungen dieser Entwicklungen und überspringt 23 glückliche Jahre, um zum Tod des königlichen Ehepaars zu gelangen Erst an dieser Stelle erhält die Handlung erneut ein dramatisches Element: Die Erzählung interessiert sich nun für die Prinzessin Ephigenia, die seit der Todeserfahrung des Bruders als virgo Christi lebte Der neue König möchte Ephigenia heiraten Sie verweigert sich ihm, weil sie schon Christo dedicata sei und eine Klostergemeinschaft von mehr als 500 Jungfrauen leite57 Zum Ärger des Königs bestärkt Matthäus Ephigenia in ihre Meinung, dass einmal mit dem himmlischen König vermählt ein Wechsel des Ehemanns nicht möglich sei58 Zu keinem Zeitpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Ephigenia und dem werbenden König ist die körperliche Reinheit der Frau bedroht Sie wird nicht gesondert herausgestellt Das Gespräch dreht sich nie um die Verteidigung ihrer Jungfräulichkeit Die Prinzessin, eine Frau von adliger Herkunft, hat entschieden, ihr Leben Christus zu widmen Sie will diese Entscheidung nicht ändern Der König möchte demgegenüber eine würdige Königin haben Ephigenia aber vertritt den Standpunkt, dass ein wichtiges Frauenkloster ebenso nützlich für das Reich sein könne Ihre Verweigerung ist zudem implizit dadurch bedingt, dass der neue König den Dynastiewechsel zu stützen sucht: Ihn zu heiraten, wäre eine mögliche Form der Legitimierung seiner Machtübernahme Insofern bietet die Verfasserin der Passio, vermutlich eine Karlburger Nonne, keine einfache „martyr romance“, sondern eine hochpolitische Geschichte59 In der Tat ist Ephigenia so weit entfernt von der stereotypen hilflosen jungen Dame, dass ihr königlicher Bewerber sie nicht zu verletzen wagt60 Stattdessen macht der enttäuschte Mann ihren Verbündeten Matthäus zum Märtyrer Erst an 56 57 58 59

Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 24v Ebd fol 25r Ebd fol 25v–27r The Roman Martyrs Project, http://www arts manchester ac uk/cla/projects/romanmartyrs project/ (letzter Zugriff 20 12 2010) 60 Die stereotype virgo und Märtyrerin „is always beautiful, always of good family, her chastity always somehow threatened She undergoes a series of tortures and confrontations, and inevitably dies, usually decapitated“ (Maud Burnett McInerney, Eloquent Virgins from Thecla to Joan of Arc, New York 2003, 4)

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dieser Stelle tritt die sacratissima virgo Christi in den Kampf ein Melodramatisch gibt sie ihr Vorhaben bekannt: „Es ziemt mir, mit [dem König] Hyrtacus eine Schlacht zu führen “61 Aus diesem Kampf geht sie als Siegerin hervor, wodurch der Weg frei wird für die Wiedereinsetzung der früheren Herrscherfamilie Ephigenias Bruder Pehor erklärt sich zum König Unter seiner Herrschaft scheint die christliche Zukunft Äthiopiens nun gesichert, weshalb nun – so die explizite Behauptung des Textes – die gesamte katholische Bevölkerung Äthiopiens bis in die Gegenwart die königliche Jungfrau Ephigenia lobpreise Die Erzählung stellt folglich Ephigenia an Matthäus’ Statt als eigentlichen Apostel Äthiopiens dar, worauf bereits Els Rose hingewiesen hat62 Der Höhepunkt des inszenierten Gefechts zwischen Ephigenia und Hyrtacus beleuchtet allerdings noch einen weiteren Aspekt: Die Lage neben einem Königspalast wird von der Verfasserin implizit als idealer Ort für ein von einer Prinzessin gegründetes Frauenkloster herausgestellt Hyrtacus versucht, das Kloster in Brand zu stecken, aber das Feuer zerstört letztlich sein eigenes palatium63 Ephigenias Klosteranlage wird in diesem Zusammenhang als praetorium bezeichnet Das Wort bedeutet eine Art von palatium und verweist auf gewisse Aufgaben innerhalb der königlichen Herrschaft Wie Karlburg ist Ephigenias Frauenkloster eng mit der Herrscherfamilie verbunden und an den Regierungsgeschäften beteiligt64 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Karlburger Passionar die frühchristliche Vergangenheit als eine Geschichte von Apostel-Märtyrern (wie Bonifatius) beschreibt, die in ihrem Eifer in der Regel von Frauen aller Art unterstützt werden: Äbtissinnen (wie Lioba), Königinnen, Musikerinnen und insbesondere die Jungfrau Maria Denn sogar bei bzw vor der Fleischwerdung Christi, so hebt die Passio des Bartholomäus hervor, war eine Frau unentbehrlich gewesen So werden in diesen Narrativen Vergangenheit und Gegenwart in vielfacher Weise zu ihrer gegenseitigen Rechtfertigung und Stützung miteinander verknüpft

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Me autem oportet certamen habere cum Hyrtaco (Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 28r) 62 Rose, Ritual Memory (wie Anm  7), 271–273 63 Würzburg, Universitätsbibliothek M p th f 78, fol 28r 64 Ernst Kübert, Karlburg Uralter fränkischer Siedlungsort, Karlstadt 1991, 52–57; Hansjoachim Daul, Karlburg Eine frühfränkische Königsmark, Diss Universität Würzburg 1961, 46–51, 83; Ludwig Wamser, Zur archäologischen Bedeutung der Karlburger Befunde, in: 1250 Jahre Bistum Würzburg Archäologisch-historische Zeugnisse der Frühzeit, hg v Jürgen Lenssen u Ludwig Wamser, Würzburg 1992, 319–343, hier 326–328 Vergleichbar sind die Klöster Nonnberg in Salzburg, Niedermünster in Regensburg und Hohenburg/Odilienberg im Elsass (Maria Hasdenteufel-Röding, Studien zur Gründung von Frauenklöstern im frühen Mittelalter Ein Beitrag zum religiösen Ideal der Frau und seiner monastischen Umsetzung, Diss Universität Freiburg i Br 1988, 112–113, 119)

L’IDÉE DU MARTYRE DANS L’HAGIOGRAPHIE MONASTIQUE FRANQUE (VIIIe –IXe SIÈCLES) Anne-Marie Helvétius Au cours des ve et vie siècles, l’évolution progressive de l’idéal ascétique vers un monachisme organisé s’était accompagnée, dans le monde monastique, de la construction d’une représentation de la mort du moine En théorie, le saint abbé ou la sainte abbesse devait bénéficier sur terre d’une longue vie dont l’aboutissement, soigneusement préparé, représentait sa nouvelle naissance: arrivé au bout de son âge, le saint devait mourir en paix dans son monastère, entouré de tous ses disciples, au terme d’une vie ascétique assimilée à un martyre non-sanglant Comme l’a montré notamment Michel Lauwers, ce modèle de la mort paisible est mis en scène dans de nombreuses sources hagiographiques du haut Moyen Âge1 Cette représentation de la mort monastique était évidemment très éloignée des préoccupations qui animaient alors les auteurs de passions de martyrs et qui s’inscrivaient dans le prolongement des anciennes controverses de l’époque patristique sur le martyre2 De fait, les questions soulevées dans ces textes étaient les mêmes que par le passé: fallait-il rechercher le martyre, se contenter de l’accepter ou au contraire tenter d’y échapper conformément à la parole de l’évangile: «Quand on vous pourchassera dans telle ville, fuyez dans telle autre» (Mt 10, 23)3? 1

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Michel Lauwers, La mort et le corps des saints La scène de la mort dans les Vitae du haut Moyen Âge, Le Moyen Âge 94 (1988), 21–50 Sur le martyre non-sanglant et son évolution dans le haut Moyen Âge, voir notamment Adalbert de Vogüé, «Martyrium in occulto» Le martyre du temps de paix chez Grégoire le Grand, Isidore de Séville et Valerius du Bierzo, dans: Fructus centesimus: mélanges offerts à Gerard J M Bartelink à l’occasion de son soixante-cinquième anniversaire (Instrumenta Patristica 19), dir Antoon A R Bastiaensen, Dordrecht/Steenbrugge 1989, 125–140, rééd dans : id , Regards sur le monachisme des premiers siècles Recueil d’articles (Studia Anselmiana 130), Rome 2000, 785–802 Parmi une très abondante bibliographie, je me limiterai à signaler ici quelques références en français Sur les controverses patristiques, l’introduction la plus détaillée reste celle de Jules Lebreton / Jacques Zeiller, Histoire de l’Église depuis les origines jusqu’à nos jours, t 2: De la fin du iie siècle à la paix constantinienne, Paris 1938 Voir aussi Glen W Bowersock, Martyrdom and Rome, Cambridge 1995, trad fr Rome et le martyre, Paris 2002, à nuancer par Philippe Buc, The Dangers of Ritual, Princeton 2001, trad fr Dangereux rituel De l’histoire médiévale aux sciences sociales, ch IV: La matrice tardo-antique: martyre et ritualité, Paris 2003, 153–194 En dernier lieu, voir surtout Marie-Françoise Baslez, Les persécutions dans l’Antiquité Victimes, héros, martyrs, Paris 2007, 199–230 Sur ce thème de la fuite, qui opposait par exemple Cyprien de Carthage et Tertullien, on peut mentionner l’intransigeance de deux célèbres passions gauloises des ve et vie siècles, celles des évêques Saturnin de Toulouse (BHL 7495) et de Denis de Paris (BHL 2171) Tandis que la première montre Saturnin furieux de se voir abandonné par ses deux disciples, la seconde insiste sur l’union de Denis et de ses deux compagnons, dont aucun n’a fui le martyre

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À partir de la fin du viie siècle, des circonstances particulières vont cependant conduire les moines à s’intéresser plus directement à ces questions, comme en témoigne une série de Vies de saints produites par ou pour des moines à cette époque Sans prétendre à l’exhaustivité, je me limiterai ici à quelques exemples significatifs de Vies liées aux milieux monastiques francs et consacrées à des saints récents, en excluant les Passions des anciens martyrs – qui mériteraient une étude en soi4; mon corpus se compose donc essentiellement de Vies de saints abbés ou abbesses, voire de moines devenus évêques ou abbés-évêques Les circonstances nouvelles qui conduisent les moines à s’impliquer dans les débats sur le martyre relèvent de trois catégories distinctes Premièrement, les évêques puis également les abbés qui sont victimes d’assassinats politiques sont présentés comme de nouveaux martyrs, justifiant l’émergence d’un genre hagiographique nouveau, celui de la Vita vel passio, qui accorde autant d’importance au déroulement de la vie et aux vertus du saint qu’aux circonstances de sa mise à mort5 Deuxièmement, depuis les missions envoyées en Angleterre par Grégoire le Grand, des moines participent activement à l’évangélisation des peuples du Nord et de l’Est, parfois au péril de leur vie, ce qui les conduit à réfléchir à l’attitude qu’il convient d’adopter dans une telle situation6 Troisièmement, le contexte des réformes monastiques favorise parfois l’émergence, au sein des communautés, de troubles internes d’une telle violence que la vie des abbés réformateurs peut se trouver menacée7 Mon exposé envisagera successivement ces trois catégories, en examinant la manière dont les hagiographes prennent position, entre la fin du VIIe et le début du IXe siècle, dans le cadre de ces controverses martyriales LES ASSASSINATS POLITIQUES Aux yeux des Francs, le martyr est, comme son nom l’indique, un témoin: non seulement témoin du Christ auprès des hommes, mais aussi témoin de l’injustice des hommes auprès du tribunal de Dieu Jouissant de la béatitude immédiate, il témoigne devant Dieu de sa propre mort et est susceptible de réclamer vengeance

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Présentation de ces textes et bibliographie dans Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne Panorama des documents potentiels, dans: L’hagiographie mérovingienne à travers ses réécritures (Beihefte der Francia 71), dir Monique Goullet, Martin Heinzelmann et Christiane Veyrard-Cosme, Ostfildern 2010, 27–82, ici 38 et 44 On attend avec impatience l’habilitation de Gordon Blennemann sur les textes relatifs au culte des martyrs en Burgondie du ve au viiie siècle Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne (cit n 3), 49–51 Voir en dernier lieu Ian Wood, The Missionary Life Saints and the Evangelisation of Europe, 400–1050, Harlow 2001 Sur les réformes monastiques précarolingiennes, je me permets de renvoyer en dernier lieu à Anne-Marie Helvétius, Hagiographie et réformes monastiques dans le monde franc du viie siècle, Médiévales 62 (2012), 33–48 et ead , L’image de l’abbé à l’époque mérovingienne, dans: Geschichtsvorstellungen Bilder, Texte und Begriffe aus dem Mittelalter Festschrift für Hans-Werner Goetz zum 65 Geburtstag, dir Steffen Patzold, Anja Rathmann-Lutz et Volker Scior, Vienne/Cologne/Weimar 2012, 253–276

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contre ses assassins auprès du juge suprême8 Lorsque des évêques sont victimes d’assassinats politiques, leurs hagiographes les présentent donc tout naturellement comme des nouveaux martyrs La série des Vitae vel passiones9 est inaugurée vers 610 par Sisebut dans la Vie qu’il compose en l’honneur de l’évêque Didier de Vienne, lapidé sous les ordres de la reine Brunehaut en 606–60710 Ce modèle sera suivi dans la seconde moitié du siècle pour les évêques Aunemond de Lyon († 660–664), Prix de Clermont († 676) et Léger d’Autun († 677–679), bien étudiés par Paul Fouracre11, puis au cours du VIIIe siècle pour Lambert de Liège († 705)12, Saulve de Valenciennes et d’autres13 Pour un évêque, mourir en martyr n’était peut-être qu’une manière parmi d’autres de s’inscrire dans la tradition apostolique Comme l’avaient rappelé notamment Grégoire le Grand mais aussi Grégoire de 8

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Philippe Buc, Dangereux rituel (cit n  2), 167–172, a bien montré comment les martyrs chrétiens et leurs hagiographes détournaient le sens des rites de la justice civile romaine pour attirer la vengeance divine sur les bourreaux et les spectateurs païens Voir aussi Anne-Marie Helvétius, Le récit de vengeance des saints dans l’hagiographie franque (vie –ixe siècle), dans: La vengeance 400–1200, dir Dominique Barthélémy, François Bougard et Régine Le Jan (Collection de l’École française de Rome 357), Rome 2006, 421–450, ici 429–430 Ce sens est par exemple clairement attesté par Grégoire de Tours, Historiarum libri decem (MGH, Scriptores rerum Merovingicarum I/1), éd Bruno Krusch, Hanovre 1885, VIII, 31, 398, qui met en scène l’évêque Prétextat, mourant, adressant ces mots à la reine Frédégonde, commanditaire de son assassinat: erit Deus ultui sanguinis mei de capite tuo (Dieu vengera mon sang sur ta tête) Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne (cit n 3), 49 signale à juste titre que Grégoire de Tours n’a pas franchi le pas de rédiger lui-même une Vita vel Passio, alors qu’il en avait la matière Vita vel Passio Desiderii Viennensis prima, auctore Sisebuto, éd  Bruno Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t III, Hanovre 1896, 630–637; sur ce texte (BHL 2148), voir Jacques Fontaine, King Sisebut’s Vita Desiderii and the Political Function of Visigothic Hagiography, dans: Visigothic Spain: New Approaches, dir Edward  James, Oxford 1980, 93–129 Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne (cit n 3), 49, ne reprend pas la date de 611 proposée par Ian Wood, Forgery in Merovingian Hagiography, dans: Fälschungen im Mittelalter Internationaler Kongress der Monumenta Germaniae Historica, München, 16 –19 September 1986 (MGH, Schriften 33/V), Hanovre 1988, 369–384, ici 374 La seconde passion rédigée avant 650 (BHL 2179) utilise l’expression de novus martyr: Passio Desiderii, éd Bruno Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t III, Hanovre 1896, 638–645, ici 638 Passio Aunemundi (BHL 506); Vita Praeiecti (BHL 6915–6916); Passio Leodegarii prima (BHL 4850 et 4849b) Voir Paul Fouracre, Merovingian History and Merovingian Hagiography, Past and Present 127 (1990), 3–38; id / Richard A  Gerberding, Late Merovingian France History and Hagiography 640–720, Manchester/New York 1996 Vita Landiberti Leodiensis prima (BHL 4677), éd Bruno Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t VI, Hanovre/Leipzig 1913, 353–384 Sur ce texte, voir surtout Jean-Louis Kupper, Saint Lambert: de l’histoire à la légende, Revue d’Histoire Ecclésiastique 79 (1984), 5–49 et Edvard Van Hartingsveldt, De bisschop en het zwaard De geschiedenis van Lambertus van Maastricht, dans: Middeleeuwse cultuur Verscheidenheid, spanning en verandering, dir Marco  Mostert, Rudi  E   Künzel et Albrecht L W   Demyttenaere (Amsterdamse Historische Reeks, grote serie 18), Hilversum 1994, 19–43 Passio Salvii (BHL 7472), éd Maurice Coens, La passion de saint Sauve, martyr à Valenciennes, Analecta Bollandiana 87 (1969), 133–187 (ici 164–187)

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Tours, certains apôtres ou évangélisateurs étaient morts en martyrs, d’autres non, tout en partageant la même sainteté14 Pour des moines, le fait de mourir assassiné semble présenter davantage de difficultés La Vie de l’abbesse Rusticule d’Arles († 632), écrite peu après la mort de la sainte15, se présente comme une réaction contre la Vita vel Passio de Didier de Vienne Il est vrai que Rusticule était proche de la reine Brunehaut et de l’évêque Domnolus, qualifié de pseudosacerdos et de servus diabuli par Sisebut dans la Vie de Didier16, ce qui explique le ton polémique adopté par l’hagiographe de Rusticule À la différence de Didier, Rusticule, accusée de lèse-majesté devant le roi Clotaire II à la suite d’un faux témoignage, avait pu échapper à la mort Aux dires de son hagiographe, la menace du danger lui fut annoncée par le démon de midi, qui l’appela par son nom  – non pas son nom de baptême, Rusticule, mais celui qu’employaient dans son enfance les gens de sa maison – et l’encouragea à accepter le martyre en ces termes: «Marcia, imite ton Seigneur pendant sur la croix, imite aussi ton co-serviteur Étienne, quand il fut lapidé par les juifs […] »17 L’exhortation au martyre est donc présentée ici comme un conseil diabolique, ce qui se comprend d’autant mieux que le démon lui propose d’imiter la Passion – inimitable – du Christ Pour sauver Rusticule, la congrégation monastique eut recours aux armes spirituelles de la psalmodie et «fit appel au défenseur du ciel qui envoya Daniel comme libérateur à sainte Suzanne condamnée par les impies»18 Lorsque l’un de ses ennemis voulut la frapper de son glaive, «le Seigneur lui-même fit tomber le glaive de ses mains et libéra l’innocente de la mort»19 C’est en vain que ses ennemis tentèrent ensuite de lapider la maison où elle était tenue prisonnière: «rien ne pouvait nuire à celle que protégeait la grâce du Christ»20 En fin de compte, le défenseur envoyé à son secours par «l’ange du Seigneur» n’est autre que l’évêque Domnolus, ennemi de Didier, qui apparaît ici comme un nouveau Daniel dénonçant «l’injuste jugement» du roi Clotaire II21 Après ces tribulations, Rusticule obtint

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Grégoire le Grand, Dialogues, t 2 (Sources Chrétiennes 260), éd   Adalbert  de Vogüé et Paul Antin, Paris 1979, III, 26, 7–9, 370–372 Grégoire de Tours, Historiarum libri decem (cit n 8), I, 30, 23 15 Vita Rusticulae auctore Florentio, éd Bruno Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t IV, Hanovre/Leipzig 1902, 337–351 (BHL 7405); pour la date (entre 632 et 647–653), cf Pierre Riché, Note d’hagiographie mérovingienne: la Vita S  Rusticulae, Analecta Bollandiana 72 (1954), 369–377 16 Vita vel Passio Desiderii prima (cit n 10), 4, 631: Subrogatur ei pseudosacerdos Domnolus quidem nomine, servus quidem diabuli […]. 17 Vita Rusticulae (cit n 15), 9, 343–344: Marcia, imitare Dominum tuum in cruce pendentem, imitare et conservum tuum Stephanum, quando a Iudeis lapidabatur […]. 18 Ibid 344: […] poscebant defensorem e caelis, qui sanctae Suzannae ab impiis condemnatae sanctum Danielem praemisit liberatorem. 19 Ibid : Dominus […] ipse de manibus eius resupinum gladium ruere fecit et innocentem liberavit a morte. 20 Ibid 11, 345: […] nihil illi nocere poterat quam Christi gratia protegebat. 21 Ibid 12, 345: […] eo quod iniusto iudicio condemnasset famulam Christi.

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la grâce royale et put ainsi mourir en paix dans sa communauté, heureuse, quasi subridens, à soixante-dix-sept ans22 Cet exemple montre que le modèle monastique s’accorde mal avec celui d’un martyre sanglant En principe, les vertus acquises par le moine via l’ascèse – considérée comme un martyre non sanglant – doivent lui permettre de triompher du diable et de bénéficier de l’aide divine en toutes circonstances L’intervention providentielle permettant aux saints d’échapper à la mort n’est évidemment pas réservée aux moines – on trouve déjà ce motif par exemple dans la Vie de Geneviève de Paris vers 520, où la sainte échappe à la lapidation projetée par les citoyens grâce à l’intervention d’un archidiacre d’Auxerre23 – mais ce modèle de sainteté est certainement celui qui s’accorde le mieux avec l’idéal monastique en général Dans la célèbre Vie de Colomban, par exemple, l’auteur Jonas de Suse nous montre que les saints moines échappent toujours à ceux qui les menacent de mort par une intervention de la «dextre divine» qui non seulement les protège, mais les venge aussi en frappant durement leurs adversaires24 Il arrive néanmoins que des abbés soient réellement victimes d’assassinats Le premier cas bien documenté est celui de l’Irlandais Feuillen de Fosses, frère de Fursy de Péronne, qui fut assassiné en 655 avec trois compagnons par des ennemis dont il ne se méfiait pas, tandis qu’il se rendait à un plaid Leurs corps, enterrés nus dans une porcherie, furent retrouvés par l’abbesse Gertrude de Nivelles soixantedix-sept jours plus tard, le 16 janvier 656, et ramenés à Nivelles puis à Fosses où ils reçurent une digne sépulture Le malaise engendré par ce crime est patent Pour conserver la mémoire du tragique événement, ce n’est pas une Vita vel passio que les moines de Nivelles rédigèrent en l’honneur de Feuillen, mais un simple additamentum, une brève addition à la Vie de Fursy de Péronne25 Dans ce texte com-

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Ibid 23, 349: […] laetissimo vultu, oculis praefulgentibus, quasi subridens, gloriosa anima felix ad caelum transfertur, innumeris sociata choris sanctorum. 23 Vita Genovefae prima, éd   Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t III, Hanovre 1896, 13, 220 (BHL 3335) Sur ce texte et sa date, voir Martin Heinzelmann / Joseph-Claude Poulin, Les Vies anciennes de sainte Geneviève de Paris, Paris, 1986 Sur les miracles de protection en général, voir Marc Van Uytfanghe, Pertinence et statut du miracle dans l’hagiographie mérovingienne (600–750), dans: Miracle et Karāma Hagiographies médiévales comparées (Bibliothèque de l’École des Hautes Études  – Section des sciences religieuses 109), dir  Denise Aigle, Turnhout, 2000, 67–144, ici 90–91 24 Vita Columbani auctore Iona, éd   Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t IV, Hanovre/Leipzig 1902, 1–152 (BHL 1898): en I, 19, 89, le roi Thierry se refuse à tuer Colomban de crainte d’en faire un martyr; en I, 20, 92, Colomban échappe à une tentative d’assassinat grâce à la dextre divine; en II, 7, 121, la jeune Burgundofara échappe à la mort tandis qu’elle s’offre comme martyre à son bourreau dans une église; en II, 24, 148, le moine Blidulfe laissé pour mort par ses assassins ariens se réveille sain et sauf; en II, 25, 149–150, il en va de même pour le moine Mérovée; leurs ennemis sont frappés de mort tandis qu’eux-mêmes meurent tranquillement au monastère Sur les origines de ce modèle, voir Marie-Françoise Baslez, Les persécutions (cit n 2), 184–185 25 Additamentum Nivialense de Fuilano, éd Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t IV, Hanovre/Leipzig 1902, 449–451 (BHL 3211)

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posé peu de temps après les faits, en 656 ou 65726, Feuillen n’est jamais qualifié de martyr, ses compagnons d’infortune ne sont pas nommés et seule une mention laconique suggère l’existence d’un culte rendu en leur honneur à Fosses27 En revanche, l’auteur prend soin de préciser que Feuillen avait déjà échappé à la mort une première fois, avant son arrivée en Gaule, lors de l’invasion des Merciens contre le monastère de Cnoberesburgh dont il était l’abbé: alors que les païens s’apprêtaient à le tuer, la «dextre divine» les mit en fuite, préservant ainsi Feuillen «pour le profit de beaucoup de gens»28 On voit donc poindre ici l’idée selon laquelle un saint homme est plus utile vivant que mort: mieux vaut fuir le martyre pour continuer à œuvrer pour le bien des âmes29 Vers 680, une Vita vel passio fut tout de même rédigée en l’honneur d’un saint abbé assassiné: la brève Vie de l’abbé Germain de Grandval, composée par le prêtre Bobolenus, raconte les circonstances du meurtre fomenté par le duc d’Alsace Adalricus-Eticho et présente clairement la victime et ses compagnons comme des martyrs Ce cas reste toutefois isolé dans l’hagiographie franque; la Vie de Germain de Grandval semble d’ailleurs avoir été fort peu diffusée et ne nous est parvenue que par un seul manuscrit du xe siècle30 Au début du viiie siècle, la Vie de l’abbesse Anstrude de Laon raconte longuement l’histoire du frère de la sainte, Baudouin, qui fut assassiné traîtreusement, comme Feuillen, tandis qu’il se rendait à un plaid L’auteur présente certes Baudouin comme un martyr, mais il ne précise pas si ce protecteur du monastère était lui-même un moine; en outre, aucune Vie ne semble jamais avoir été rédigée en son honneur31 Le thème du frère ou du parent assassiné se retrouvera fréquemment

26 Alain Dierkens, Abbayes et chapitres entre Sambre et Meuse (viie –xie siècles) Contribution à l’histoire religieuse des campagnes du haut Moyen Âge (Beihefte der Francia 14), Sigmaringen 1985, 70–75 et 304, n 147 27 Additamentum (cit n 25), 451: les corps sont enterrés à Fosses, ubi prestantur beneficia orationum 28 Ibid 449: […] moriturus ductus esset, nisi illum divina dextera […] propter multorum servasset profectum. 29 On notera que l’idée inverse semble être exprimée dans la Vie de sainte Opportune de Sées, rédigée à la fin du ixe siècle: tandis que le frère de la sainte, l’évêque Godegrand, est mort assassiné, l’auteur juge inutile de le pleurer car la communauté profitera désormais de son intercession On comprend ainsi que la mort du martyr peut se révéler utile pour toute la communauté Vita Opportunae auctore Adalhelmo Sagiensi, éd Godefridus Henschenius, dans: AA SS, Aprilis, t III, Paris/Rome 1866, 14, 66 (BHL 6339) 30 Vita Germani Grandivallensis auctore Bobboleno presbytero, éd Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t V, Hanovre/Leipzig 1910, 33–40 (BHL 3467) Sur ce texte et son contexte de rédaction, voir en dernier lieu Hans Hummer, Politics and Power in Early Medieval Europe: Alsace and the Frankish Realm, 600–1000, Cambridge 1995, 39–40 et 50–55 31 Vita Anstrudis, éd Wilhelm  Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t   VI, Hanovre/Leipzig 1913, 66–78 (BHL 556) Sur ce texte, voir en dernier lieu Michèle Gaillard, Les Vitae des saintes Salaberge et Anstrude de Laon, deux sources exceptionnelles pour l’étude de la construction hagiographique et du contexte socio-politique, Revue du Nord 93 (2011), 655–669

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dans l’hagiographie féminine postérieure, mais il s’agira toujours d’évêques, de prêtres ou de laïcs, non de moines32 Dans l’ensemble, l’hagiographie monastique se montre plutôt confiante dans la vertu des saints ascètes, qui leur permet d’échapper aux tentatives d’assassinat soit par un miracle providentiel, soit par leur seule prédication À l’exemple de Colomban confronté à la colère de Thierry et Brunehaut, certains saints ne craignent pas de revendiquer la parrhésia, cette liberté de parole qui les amène à s’opposer si nécessaire aux rois et aux puissants et à courir ainsi le risque du martyre33 Mais contrairement aux anciens martyrs, ils sortent généralement indemnes de ces affrontements Ainsi voit-on Arnoul de Metz provoquer Dagobert34, Amand d’Elnone prêt à accepter le martyre par décapitation ordonné par l’évêque d’Uzès35, Agilus de Rebais échapper par miracle au glaive d’un noble36, etc Lorsque Philibert de Jumièges menace le maire Ébroïn «par la parole de sa prédication» et l’insulte au point de risquer le martyre, son hagiographe ajoute cette précision: «Mais le Seigneur le réserva pour le profit de beaucoup qui, par lui, devaient être appelés au royaume des cieux »37 LES MOINES MISSIONNAIRES La production hagiographique liée au contexte des missions d’évangélisation a été récemment étudiée par Ian Wood Pour bien comprendre ce nouveau contexte, il faut rappeler que l’exemple des missions envoyées par Grégoire le Grand aux Anglo-Saxons avait inspiré les rois francs qui, à leur tour, déléguèrent volontiers la tâche de l’évangélisation hors des frontières à des abbés et à des moines, surtout à partir de Clotaire II au début du viie siècle38 Toutefois, même si la littérature 32

Par exemple dans les Vies des saintes Bova et Doda, Berthe d’Avenay, Opportune de Sées, Rictrude de Marchiennes et autres 33 Vita Columbani auctore Iona (cit n 24), I, 19, 89, où le roi Thierry s’adresse à Colomban en ces termes: Martyrii coronam a me tibi inlaturam speras; non esse tantae dementiae, ut hoc tantum patraret scelus […]. Sur la parrhésia chez les anciens martyrs, voir notamment Marie-Françoise Baslez, Les persécutions (cit n 2), 39–43, 161 et 199–200 34 Vita Arnulfi Mettensis, éd Bruno Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t II, Hanovre 1888, 17, 439 (BHL 689–692), où le roi Dagobert est mis en garde par ses conseillers: Noli impie contra temet ipsum agere, o bone rex; annon vides virum sanctum destinatum et cupidum esse ad martyrium […]? 35 Vita Amandi prima, éd Bruno Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t V, Hanovre/Leipzig 1910, 23, 445–446 (BHL 332) 36 Vita Agili Resbacensis, éd dans: AA SS, Aug , t VI, Paris/Rome 1868, 9, 577 (BHL 148) 37 Vita Filiberti Gemeticensis, éd  Wilhelm Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t V, Hanovre/Leipzig 1910, 24, 596–597 (BHL 6805): […] sanctus ad eum (Ebroinum) Filibertus abiit et praedicationis verba inpendit […]. Vir Dei […] exestimans quod potuisset hoc facto per acumine ferri palma martyrii obtinere. Sed servavit Dominus ad multorum profectum, qui per eum vocandi erant ad regnum caelorum. Ce passage est à comparer avec celui de l’additamentum de Feuillen de Fosses cit n 28 38 Sur la mission d’Augustin envoyée par Grégoire le Grand dans le Kent, voir par exemple Ian Wood, The Mission of Augustine of Canterbury to the English, Speculum 69 (1994), 1–17 Sur les missions des moines de Luxeuil et d’Amand d’Elnone au début du viie siècle, voir Wood, The Missionary Life (cit n 6), 35–42

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martyriale des ve et vie siècles avait largement répandu l’idée que le martyre représentait le couronnement de l’œuvre d’évangélisation, la problématique des missions intéresse assez peu les hagiographes avant Bède le Vénérable et son Histoire ecclésiastique du peuple anglais39 Achevée en 732–733, cette œuvre raconte notamment l’histoire de deux moines-prêtres missionnaires anglais assassinés par des païens en Saxe, et dont les corps jetés dans le Rhin furent solennellement récupérés et enterrés comme martyrs à Cologne par le maire du palais Pépin II40 C’est en effet à l’extrême fin du viie siècle, sous le principat de Pépin II, que l’évangélisation vers le Nord et l’Est du royaume des Francs prit un nouvel essor, orchestrée principalement par Willibrord et d’autres moines anglo-saxons41 Ces circonstances expliquent l’intérêt croissant porté par les hagiographes de cette période au thème de l’association entre martyre et mission, attisé par le martyre de Boniface en 75442 Toutefois, rares sont les missionnaires vénérés comme martyrs L’assassinat de Boniface par des Frisons païens pouvait certes passer pour le couronnement de son œuvre missionnaire; mais n’avait-il pas recherché ce martyre par un désir de gloire personnelle? D’un autre point de vue, ce martyre n’offrait-il pas l’indice du fait que Dieu l’avait abandonné? En tout état de cause, cet épisode tragique posait avec acuité la question d’un éventuel échec de la mission Comme l’a bien montré Ian Wood, lorsque Alcuin d’York rédige sa Vie de Willibrord, il présente clairement ce dernier comme le modèle du bon évangélisateur «monastique» et «grégorien» – c’est-à-dire inspiré par Grégoire le Grand –, par opposition à celui de l’évêque réformateur sévère figuré par Boniface Alcuin adopte par conséquent une attitude nettement hostile au martyre et considère que Willibrord bénéficie d’une grâce supérieure parce que Dieu l’a préservé pour le salut de nombreuses âmes43 Mais cette polémique  a commencé avant l’époque d’Alcuin, comme en témoignent quelques œuvres hagiographiques antérieures qui présentent leur héros comme de «valeureux missionnaires»44 39 Ibid 25–26 40 Bède le Vénérable, Histoire ecclésiastique du peuple anglais, t III (Sources Chrétiennes 491), éd A Crépin, Michael Lapidge, Pierre Monat et Philippe Robin, Paris 2005, V, 10, 58–62 Il s’agit des deux Hewald 41 Synthèse commode: Wood, The Missionary Life (cit n 6), 79–99 42 Synthèses commodes: Marco Mostert, 754: Bonifatius bij Dokkum vermoord, Hilversum 1999; Wood, The Missionary Life (cit n 6), 58–78 43 Vita Willibrordi auctore Alcuino, éd Wilhelm Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t  VII, Hanovre/Leipzig 1920, 32, 140 (BHL 8935–8936): Quem Deus ob multorum servavit salutem, quatenus maiori praedicationis gloria honoretur, quam si solus martyrio coronaretur Sur ce texte, voir Christiane Veyrard-Cosme, L’œuvre hagiographique en prose d’Alcuin Vitae Willibrordi, Vedasti, Richarii Édition, traduction, études narratologiques, Florence 2003 Comme le constate Wood, The Missionary Life (cit n 6), 87, Alcuin ne nomme certes pas Boniface, mais se livre à une véritable propagande anti-bonifacienne en dénigrant le martyre Sur la différence de conception entre Willibrord et Boniface en matière d’évangélisation, ibid. 79–80 44 Éléments dans Anne-Marie Helvétius, Ermites ou moines? Solitude et cénobitisme du ve au xe siècle (principalement en Gaule du Nord), dans: Ermites en France et en Italie (xie –xve siècle) (Collection de l’École française de Rome 313), dir André Vauchez, Rome 2003, 1–27, ici 16–17

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L’un des exemples les plus célèbres est celui de la Vie d’Amand d’Elnone, dont la première version, la Vita antiqua, ne nous est connue que de façon fragmentaire et qui fit l’objet d’une réécriture connue sous le nom de Vita prima, toutes deux rédigées au cours du viiie siècle45 Le fragment conservé de la Vita antiqua évoque notamment deux voyages à Rome accomplis par Amand; or le premier saint de cette époque auquel la tradition ait attribué deux voyages à Rome successifs n’est autre que Willibrord, dont la vie fut en premier lieu racontée par Bède le Vénérable46 Toutefois, contrairement à l’évangélisateur anglo-saxon, ce n’est pas la permission du pape que l’Aquitain Amand était allé quérir à Rome, mais celle de l’apôtre Pierre en personne, qui lui serait apparu en vision sur les marches de l’église pour l’envoyer prêcher en Gaule47 Il est donc tentant de voir dans la figure d’Amand, telle que présentée par son premier hagiographe, une sorte d’anti-modèle par rapport à Willibrord et d’émettre l’hypothèse d’une datation de la Vita antiqua postérieure à l’œuvre de Bède (732–733)48 Quant à la réécriture (Vita prima), son auteur semble hostile aussi bien aux évangélisateurs anglo-saxons qu’à certains évêques francs À ses yeux, Amand aurait été le premier à tenter d’évangéliser les Slaves avec l’espoir d’obtenir le martyre, mais 45

Vita Amandi prima, éd Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t   V, Hanovre/Leipzig 1910, 428–449 (BHL 332) Vita antiqua, éd Josef Riedmann, Unbekannte frühkarolingische Handschriftenfragmente in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 84 (1976), 262–289, ici 281–282 et 286 Sur ces textes, voir surtout Adriaan Verhulst / Georges Declercq, L’action et le souvenir de saint Amand en Europe centrale À propos de la découverte d’une Vita Amandi antiqua, dans: Aevum inter utrumque Mélanges offerts à Gabriel Sanders, professeur émérite à l’Université de Gand (Instrumenta Patristica 23), dir Marc Van Uytfanghe et Roland Demeulenaere, Steenbrugge/La Haye 1991, 503–526 et Alain Dierkens, Notes biographiques sur saint Amand, abbé d’Elnone et éphémère évêque de Maastricht († peu après 676), dans: Saints d’Aquitaine Missionnaires et pèlerins du haut Moyen Âge, dir Edina Bozóky, Rennes 2010, 63–80 46 Sur l’existence possible d’une Vita Willibrordi antérieure à celle d’Alcuin et œuvre d’un auteur irlandais, voir Wood, The Missionary Life (cit n 6), 79 et n  1 Cependant, Bède écrit son œuvre avant la mort de Willibrord (739): Bède le Vénérable, Histoire ecclésiastique (cit n 40), V, 11 Sur le thème du voyage à Rome dans l’hagiographie, voir par exemple Charles Mériaux, Des missionnaires venus de toute l’Europe dans le nord de la Neustrie (vie –viie siècles)? Réalité historique et postérité littéraire d’un thème hagiographique, dans: Les hommes en Europe 125e Congrès national des sociétés historiques et scientifiques, Lille, 10–15 avril 2000, dir Patrice Marcilloux, Paris 2002, 171–194, ici 184–188 47 Vita Amandi antiqua, éd Riedemann, Handschriftenfragmente (cit n 45), 281–282 et Vita Amandi prima (cit n 45), 7, 434 48 Dierkens, Notes biographiques (cit n 45), 68, propose de dater la Vita antiqua «de l’extrême fin du viie ou du tout début du viiie siècle», tout en s’étonnant du rôle prépondérant donné à Rome, qui semble alors très précoce Notons par ailleurs que selon la réécriture de Bernard Gui, qui semble se fonder sur la Vita antiqua perdue, Amand aurait eu l’intention d’aller évangéliser les Saxons en Grande-Bretagne – un autre trait qui renforce l’image du «double inverse» des missionnaires anglo-saxons Bernard Gui, Speculum Sanctorale, Vita Amandi, 14, éd dans: Patrologia latina, t LXXXVII, Paris 1863, 1270 (BHL 335): […] et mare Britannicum transire voluit ad gentes Saxonum, ut eis evangelium praedicaret, et in peregrinatione cunctis diebus vitae suae permanere volebat.

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lorsqu’il comprit que Dieu ne lui accorderait ni la conversion des païens ni le martyre espéré, il retourna en Gaule49 Apparemment, l’intérieur du regnum avait davantage besoin de lui que l’extérieur Nommé évêque ad praedicandum, c’est du roi et des évêques de Gaule – non du pape – que Amand avait reçu l’autorisation de prêcher50 Toutefois, l’hagiographe montre le saint homme constamment aux prises avec des difficultés et énumère ses échecs successifs, démontrant du même coup l’impossibilité de la sainteté vivante et l’inutilité de la quête d’un martyre improbable Du reste, aux yeux de l’hagiographe, les saints s’exposent davantage au martyre en fréquentant de méchants évêques, comme en témoigne la tentative d’assassinat fomentée contre Amand par l’évêque Mummole d’Uzès51 Pour l’hagiographe, le vrai saint est celui qui échappe au martyre et à tous les dangers grâce à la providence divine et à la protection de Pierre, avant de finir ses jours tranquillement au monastère52 Le contexte de rédaction de cette Vie reste difficile à préciser Toutefois, on remarque que son auteur témoigne d’un intérêt particulier pour l’Aquitaine, région d’origine de son héros53 En outre, il semble considérer qu’il est plus important de s’occuper de l’intérieur du royaume des Francs en coopérant avec le roi que de tenter de convertir les peuples extérieurs Or, le texte était connu en Bavière dans les années 768–772, lorsqu’il servit de source à l’évêque Arbeo de Freising pour la rédaction de sa Vie de Corbinian et de sa Passion d’Emmeran de Ratisbonne, sur lesquelles nous reviendrons Il est donc permis de se demander si cette réécriture de la Vie d’Amand n’aurait pas été destinée à ce même milieu, à l’époque où le duc Tassilon III de Bavière, jusqu’alors engagé dans la conquête de l’Aquitaine aux côtés de Pépin III, décida d’abandonner son alliance avec les Francs pour diriger ses efforts vers les Slaves de Carinthie en 76354 Le texte aurait ainsi eu pour but de convaincre 49

Vita Amandi prima (cit n 45), 16, 440: […] videns etiam sibi minime adcrescere fructum et martyrium quem semper quaerebat minime adepturum, ad proprias iterum reversus est oves […]. 50 Ibid. 8, 434: […] coactus a rege vel sacerdotibus, episcopus ordinatus est, acceptoque pontificatus honore, gentibus verbum evangelizare coepit Domini […]. Au ch 13, 437, l’hagiographe précise qu’il avait demandé et obtenu du roi Dagobert l’autorisation écrite d’imposer le baptême au nom du roi Sur ce passage, voir Dierkens, Notes biographiques (cit n 45), 78–79 51 Vita Amandi prima (cit n 45), 23, 446: Amand échappe à ses assassins, serviteurs de l’évêque Mummole d’Uzès, grâce à une forte pluie d’orage qui recouvre miraculeusement le lieu de ténèbres 52 Ibid 12, 436: tandis que Amand et ses compagnons voyagent en bateau et subissent une tempête, saint Pierre apparaît à Amand et lui annonce qu’ils seront sains et saufs: Noli timere, Amande; non peribis, neque omnes qui tecum sunt. Au ch 26, 449, nous voyons Amand mourir en paix au monastère d’Elnone 53 Sur ce point, voir Verhulst/Declercq, L’action (cit n 45), 513–514, à nuancer par Anne-Marie Helvétius, L’origine aquitaine des saints dans l’hagiographie franque des viiie et ixe siècles: réalité ou allégation?, dans: Saints d’Aquitaine (cit n  45), 45–61, ici 50–51 et n  29 54 Sur ces événements, voir Jonathan Couser, Inventing Paganism in eight-century Bavaria, Early Medieval Europe 18 (2010), 26–42, ici 40–41 Un tel contexte de rédaction expliquerait que l’auteur nous montre Amand franchir le Danube pour évangéliser les Slaves – une géographie qui amena Verhulst/Declercq, L’action (cit n 45), 513–514, à situer l’auteur au sud de la Loire, mais qui s’explique tout autrement s’il est question des Slaves de Carinthie

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le duc de poursuivre sa coopération avec le roi dans la campagne d’Aquitaine et de renoncer à son projet en Carinthie, à l’exemple d’Amand qui était rentré en Francia après son échec chez les Slaves Selon cette chronologie, l’auteur de la Vita Amandi prima aurait pu déjà connaître la Vie de Boniface rédigée par Willibald, comme le suggérait Ian Wood55 La Vie d’Amand représente une étape importante dans le développement d’une «hagiographie missionnaire» Le contexte dans lequel Arbeo de Freising rédigea ses Vies de Corbinian et d’Emmeran à partir de la Vie d’Amand a été analysé récemment par Jonathan Couser56 Dans les années 770, ces œuvres devaient contribuer à affirmer l’identité de la Bavière en édifiant la légende de son évangélisation par quelques saints missionnaires Comme la Vie d’Amand, ces deux Vies développent les thèmes de la prédication, des vertus monastiques, de l’évangélisation des païens, des voyages à Rome, etc ; toutefois, lorsque Emmeran finit par mourir en martyr, ce n’est pas sous le coup des païens, comme Boniface, mais dans le contexte d’une sombre intrigue de cour57 Quant à Corbinian, il échappe à une tentative d’assassinat fomentée par l’épouse du duc de Bavière dans des circonstances qui semblent calquées sur la décollation de Jean-Baptiste: en effet, Corbinian avait encouragé le duc Grimoald à se séparer de la veuve de son frère, qu’il avait épousée58 Ce même thème sera ensuite repris dans la Passion de Kilian de Würzbourg qui, contrairement à Corbinian, n’échappera pas à la décapitation que lui infligera l’épouse offensée, faisant ainsi de lui un martyre59 Peu de temps plus tard, la Vie de Vulfran de Sens, rédigée par strates successives autour de 800, s’inspirera à son tour de l’exemple d’Amand pour illustrer avec force détails les difficultés rencontrées par les missionnaires en Frise, tout en adoptant le même point de vue que l’hagiographe d’Amand: malgré les tribulations et les échecs rencontrés, la vie du missionnaire n’est pas en danger60 55

Wood, The Missionary Life (cit n 6), 42 et n 141: la Vie de Boniface fut rédigée par Willibald entre 763 et 768 et diffusée très tôt Vita Bonifatii auctore Willibaldo, dans:Vitae sancti Bonifatii archiepiscopi Moguntini (MGH, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum), éd Wilhelm Levison, Hanovre/Leipzig 1905, 1–58 (BHL 1400) 56 Couser, Inventing Paganism (cit n 54) 57 Vita vel Passio Haimhrammi auctore Arbeone, dans: Arbeonis episcopi Frisingensis Vitae sanctorum Haimhrammi et Corbiniani (MGH, Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum), éd Bruno Krusch, Hanovre 1920, 26–99, ici 9, 39–40 (BHL 2539) 58 Vita Corbiniani auctore Arbeone, dans: Arbeonis episcopi Frisingensis Vitae sanctorum (cit n 57), 188–232, ici 24–31, 215–224 (BHL 1947) 59 Passio Kiliani, éd Wilhelm Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t  V, Hanovre/Leipzig 1910, 722–728, ici 8–10, 725–726 (BHL 4660) Sur cette Vie rédigée à la fin du viiie siècle, voir Wood, The Missionary Life (cit n 6), 160–162 60 Vita Vulframni, éd   Wilhelm  Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t   V, Hanovre/Leipzig 1910, 661–673 (BHL 8738) Sur ce texte et ses strates de rédaction, voir Stéphane Lebecq, Vulfran, Willibrord et la mission de Frise: pour une relecture de la Vita Vulframni, dans: L’évangélisation des régions entre Meuse et Moselle et la fondation de l’abbaye d’Echternach (ve –ixe siècle) (Publications de la section historique 117 / Publications du CLUDEM 16), dir  Michel Polfer, Luxembourg 2000, 429–451 et id , Mission de Frise et tradition orale: retour à la Vie de Vulfran, dans: Retour aux sources Textes, études et documents d’histoire médiévale offerts à Michel Parisse, Paris 2004, 669–676

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En fin de compte, si l’Histoire ecclésiastique de Bède le Vénérable avait introduit l’idée que des moines missionnaires puissent mourir en martyrs, cette éventualité paraît s’être heurtée à des réticences dans le monde monastique Le martyre de Boniface survenu en 754 a sans doute attisé le débat, mais n’a pas modifié la position de la plupart des moines, qui s’exprime avec force sous la plume d’Alcuin d’York dans la Vie de Willibrord De toute évidence, les moines du viiie siècle n’étaient pas disposés à admettre qu’un saint missionnaire puisse périr sous les coups des païens sans bénéficier d’une aide providentielle qui lui sauverait la vie in extremis La conception du martyre comme couronnement de l’œuvre d’évangélisation, largement véhiculée par les Passions des martyrs anciens, n’était somme toute qu’un modèle théorique:  a priori, les évangélisateurs empreints d’idéaux monastiques se disaient prêts à endurer le martyre, voire même le souhaitaient61 Toutefois, les moines demeuraient confiants dans le pouvoir protecteur de la dextre divine, qui devait permettre aux saints de terminer leurs jours tranquillement au monastère, parmi leurs frères Aux yeux des hagiographes, les saints exposaient davantage leur vie en affrontant des ennemis chrétiens qu’en évangélisant des païens LES RÉFORMATEURS C’est également au cours du viiie siècle, cette fois dans le contexte de la réforme de l’Église, que l’hagiographie monastique commence à mettre en scène des abbés ou abbesses risquant leur vie pour imposer leur conception de la discipline régulière Un épisode célèbre pouvait servir de source d’inspiration: dans le deuxième livre des Dialogues de Grégoire le Grand, consacré à la Vie de Benoît de Nurcie62, Benoît hésite longtemps avant d’accepter l’abbatiat d’une communauté dont il prévoit qu’elle ne s’adaptera pas à la vie régulière qu’il préconise; peu de temps plus tard, les frères exaspérés par ses réformes tentent de l’empoisonner Après avoir déjoué leur plan avec l’aide de Dieu, Benoît décide de quitter cette communauté63 Cet épisode fournit à l’auteur l’occasion de justifier l’attitude de son héros: en abandonnant

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La Vita Amandi prima insiste à de nombreuses reprises sur le fait que son héros espérait mourir en martyr Vita Amandi prima (cit 45), 13, 437, 16, 440 et surtout 23, 446 Ici encore, le texte semble se faire l’écho d’un vieux débat: cf Marie-Françoise Baslez, Les persécutions (cit n 2), 210–214 et 223–230 Sur la question controversée de l’attribution des Dialogues à Grégoire le Grand, bonne mise au point par Johannes Fried, Le passé à la merci de l’oralité et du souvenir Le baptême de Clovis et la vie de Benoît de Nursie, dans: Les tendances actuelles de l’histoire du Moyen Âge en France et en Allemagne Actes des colloques de Sèvres (1997) et Göttingen (1998) (Publications de la Sorbonne, Histoire ancienne et médiévale 66), dir Jean-Claude Schmitt et Otto Gerhard Oexle, Paris 2002, 71–104, ici 85–102 Grégoire le Grand, Dialogues (cit n 14), II, 3, 2–5, 140–142 Benoît trace un signe de croix sur le carafon de vin empoisonné, qui se brise aussitôt Ayant ainsi déjoué le piège, Benoît se contente d’implorer la miséricorde divine pour les moines et leur annonce son départ

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des frères incorrigibles, il pourrait consacrer ses efforts au profit d’autres âmes en d’autres lieux64 La Vie de Philibert de Jumièges offre un premier exemple du même genre, probablement contemporain des premiers conciles réformateurs du milieu du viiie siècle De fait, comme beaucoup d’autres Vies de cette époque, celle-ci ne nous est parvenue que sous la forme d’une réécriture, produite vers 750, d’une version plus ancienne écrite vers 70065 Aux dires de l’hagiographe, lorsque Philibert était abbé de Rebais et tentait d’y procéder à une réforme régulière, il dut faire face à la rébellion d’une partie des frères qui osèrent l’expulser de l’église Ils furent aussitôt frappés par la main vengeresse de Dieu, qui leur infligea une mort atroce Pris de peur, les autres lui demandèrent pardon et le rétablirent dans sa fonction d’abbé66 Après ces événements, Philibert décida cependant de quitter Rebais pour s’initier aux règles monastiques pratiquées ailleurs, avant de fonder Jumièges et d’autres communautés Son attitude est donc comparable à celle de Benoît67 Parmi les communautés fondées par Philibert, le monastère féminin de Pavilly fut confié à l’une de ses disciples, Austreberte, dont la Vie du milieu du viiie siècle contient un épisode semblable La rigueur de la discipline imposée par l’abbesse suscita chez les moniales une telle haine qu’elles songeaient à la tuer; en fin de compte, elles préférèrent se plaindre d’elle au patron du monastère, le noble Amelbert, qui la menaça de son glaive Estimant que l’heure de son martyre était venue, elle offrit sa nuque à l’assassin qui, ébranlé par cet acte de courage, lui laissa la vie68 Comme on peut le constater, aucun signe divin ne fut ici nécessaire pour la sauver: elle échappa à la mort par la force de sa seule parole Une mésaventure similaire arriva à l’abbé Sigiramnus (fr Siran ou Cyran), d’après sa Vie conservée sous la forme d’une réécriture carolingienne69 Dans sa 64 Ibid II, 3, 12, 148 L’auteur ne se réfère pas ici à Mt 10, 23 («Quand on vous pourchassera dans telle ville, fuyez dans telle autre»), mais à la fuite de Paul à Damas (Ac 9, 24–25 et 2 Co 11, 32–33) Sur ce thème, voir aussi Marie-Françoise Baslez, Les persécutions (cit n 2), 225–228 65 Vita Filiberti, éd   Wilhelm  Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t   V, Hanovre/Leipzig 1910, 583–604 (BHL 6805) Pour sa date, voir en dernier lieu Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne (cit n 3), 78 66 Vita Filiberti (cit n 65), 4, 586–587 67 L’hagiographe mentionne d’ailleurs Benoît parmi les pères qui ont influencé Philibert On notera néanmoins que la Vie de Philibert se montre plus sévère que les Dialogues en ce qui concerne les fauteurs de troubles Cf supra, n 63 68 La Vita Austrebertae prima (BHL 831) étant encore inédite, je me réfère au Ms. Paris, Bibl nat lat 12605, fol 12–17 L’épisode figure aussi dans les versions postérieures (BHL 832 et 833) Voir John Howe, The Hagiography of Jumièges (Province of Haute-Normandie) (Sources hagiographiques de la Gaule VII), dans: L’hagiographie du haut Moyen Âge en Gaule du Nord Manuscrits, textes et centres de production (Beihefte der Francia 52), dir Martin Heinzelmann, Stuttgart 2001, 91–125, ici 108–112 Les prologues des différentes versions ont été réédités par François Dolbeau, Transformations des prologues hagiographiques, dues aux réécritures, dans: L’hagiographie mérovingienne (cit n 2), 103–123 69 Vita Sigiramni, éd Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t   IV, Hanovre/Leipzig 1902, 603–625 (BHL 7715) Voir Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne (cit n 3), 75–76

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communauté de Longoretus (Longrey) près de Bourges, un jeune moine prénommé Adrien parvint à rallier à lui une partie importante des moines, spécialement les plus jeunes, pour opposer une résistance aux préceptes de l’abbé Après avoir tenté en vain de leur faire entendre raison, Siran décida de fuir et de partir pérégriner comme Abraham en s’en remettant à Dieu70 On pourrait encore citer le cas de l’abbé Germer qui, d’après sa Vita rédigée avant 851, échappa de justesse à un assassinat fomenté par une partie de ses moines de Pentale, qui avaient dissimulé un couteau planté sous le coussin de son lit Par chance, cette nuit-là, il tâta le coussin avant de se coucher et découvrit le couteau Sans dénoncer le forfait, il décida de quitter la communauté71 Comme nous pouvons le constater, la «norme monastique» reste la même dans ces textes: lorsque la vie d’un abbé est menacée au sein de sa communauté, il échappe à la mort par un signe divin ou par la puissance de sa prédication, puis s’en va dans un autre lieu Bien que nos auteurs ne fournissent pas de justification explicite à cette attitude, elle apparaît conforme à la fois à l’enseignement de l’évangile de Matthieu (10, 23), au modèle de Paul à Damas (Ac 9, 24–25) et à celui de Benoît dans les Dialogues Il existe pourtant dès cette époque une source hagiographique mettant en scène un vrai martyr de la réforme monastique: d’après la Vita Aigulfi, un moine de Fleury nommé Aigulphe, devenu abbé de Lérins au viie siècle, fut mis à mort à l’instigation de deux de ses moines, Arcadius et Columbus, qui ne supportaient pas la rigueur de son mode de vie72 Le texte conservé de cette Vita a peutêtre subi des remaniements, mais l’essentiel de son contenu me semble avoir été rédigé peu après 750, sans doute peu avant la Vita prima de saint Amand à laquelle il semble avoir servi de source73 De fait, l’un des acteurs principaux du martyre d’Aigulphe, l’homme qui envoya ses soldats en renfort aux moines rebelles, n’est autre que l’évêque Mummole d’Uzès, le même qui se rendit coupable d’une tentative d’assassinat sur la personne d’Amand selon la Vita Amandi prima74 Comme dans les Dialogues de Grégoire le Grand, l’auteur explique qu’Aigulphe, alors moine de Fleury, refusa tout d’abord la proposition des moines de Lérins d’assumer l’abbatiat de leur monastère, dont la discipline s’était relâchée: comme Benoît, il prévoyait que les moines ne s’adapteraient pas à son mode de vie rigou70 71 72 73

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Vita Sigiramni (cit n 69), 21, 618–619 Vita Geremari, éd   Bruno  Krusch, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t   IV, Hanovre 1902, 626–633, ici 10–11, 630–631 (BHL 3441) Vita Aigulfi prima, éd  Joannes Stilting, dans: AA SS, Sept , t  I, Anvers 1746, 728–747, ici 11, 746 (BHL 193) J’ai présenté ce texte dans le cadre d’une communication au colloque «Lérins, une île sainte de l’Antiquité au Moyen Âge», organisé à l’Université de Nice et au monastère de Lérins en 2006; je prépare actuellement une étude plus complète sur le sujet Sans entrer ici dans les détails, je ne partage pas l’opinion de quelques historiens dont Delphine Planavergne, La construction d’un récit hagiographique: l’exemple de saint Aigulphe, Provence historique 198 (49), (1999), 729–739 sur la datation de ce texte À mon sens – et conformément à l’avis des Bollandistes – il s’agit bien d’une version du viiie siècle, assurément antérieure à la réécriture d’Adrevald de Fleury (BHL 194) Cf supra, n 51 Comparer avec Vita Aigulfi prima (cit n 72), 14, 746 Cette chronologie se fonde aussi sur d’autres arguments qu’il serait trop long d’énumérer ici

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reux75 Après une période calme, les deux moines rebelles parvinrent à rallier à leur cause une bonne partie de la communauté, à tel point qu’Aigulphe et ses disciples finirent par succomber sous les coups des conjurés Compte tenu du contexte polémique engendré par les missions du VIIIe siècle, on ne peut s’étonner de voir l’auteur de la Vie d’Aigulphe consacrer un long prologue à la justification du martyre de son héros À ses yeux, il faut distinguer, parmi les martyrs, ceux qui ont lutté pour la foi du Christ et ceux qui ont fait couler leur sang pour la justice et la vérité À cette dernière catégorie appartiennent les prophètes de l’Ancien Testament, mais aussi Jean-Baptiste dont il rappelle qu’il a certes été décapité pour la justice et la vérité, mais qu’il fut d’abord un homme saint et juste durant sa vie76 C’est ce modèle qui lui permet d’introduire Aigulphe dans son récit, qui correspond donc au genre de la Vita vel Passio L’hagiographe semble aussi répondre aux arguments de l’hagiographie traditionnelle, qui tendait à dénoncer l’inutilité du martyre d’un seul par rapport au profit des âmes de beaucoup: à propos d’Aigulphe, il juge utile de préciser qu’il «a préféré la mort plutôt que d’accepter les vices» car c’est pour le salut des âmes qu’il est tombé, en voulant les libérer des faux du Tartare»77 L’histoire de ce martyr de la réforme bénédictine allait ensuite connaître une belle postérité, d’abord sous la plume d’Adrevald de Fleury dans la seconde moitié du ixe siècle78, puis comme une sorte de préfiguration du martyre d’Abbon de Fleury en 100479 La comparaison entre la version primitive de la Vie d’Aigulphe et sa réécriture un siècle plus tard par Adrevald de Fleury est intéressante, car elle révèle que les anciens débats restaient d’actualité Ainsi en est-il, par exemple, du thème de la fuite Dans la première Vie, contrairement à Benoît qui avait quitté sa communauté en révolte, Aigulphe refuse la proposition qui lui est faite de s’évader de sa prison car il s’en remet à la volonté de Dieu Toutefois, l’un de ses compagnons s’évade et l’auteur semble justifier cette attitude par la nécessité que quelqu’un puisse racon75 76

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Grégoire le Grand, Dialogues (cit n 14), II, 3, 2, 140: Qui diu negando distulit, suis illorumque fratrum moribus convenire non posse praedixit […]. Comparer avec Vita Aigulfi prima (cit n 72), 7, 745: […] nam meis vestros mores non convenire perpendo. Pour les prophètes, l’auteur se réfère à He 11, 36–37 Pour Jean-Baptiste, il s’inspire probablement de sermons d’Augustin et/ou de Césaire d’Arles: voir Vogüé, Martyrium (cit n 1), 788, n 16 et Antoon A R Bastiaensen, «He must grow, I must diminish» (John 3, 30): Augustine of Hippo preaching on John the Baptist, dans: Jerusalem, Alexandria, Rome Studies in Ancient Cultural Interaction in Honour of A Hilhorst, dir Florentino Garcia Martinez et Gerard P Luttikhuizen, Leiden 2003, 13–26 Vita Aigulfi prima (cit n 72), 2, 744: […] abbas et martyr Aigulphus, qui […] maluit subire mortem, quam vitia perpeti: pro Christi enim ecclesia, animarum videlicet salute, occubuit, volens eas de faucibus tartari liberare. Vita sancti Aigulphi (secunda)  auctore Adrevaldo monacho Floriacensi, éd Joannes  Stilting, dans: AA SS, Sept , t  I, Anvers 1746 (Paris/Rome 31868), 747–755 (BHL 194) Sur le meurtre d’Abbon, voir surtout Claire Taylor, Reform and the Basque dukes of Gascony: a context for the origins of the Peace of God and the murder of Abbo of Fleury, Early Medieval Europe 15 (2007), 35–52 et Agathe Corre-Rivière, L’action d’Abbon à La Réole et le monachisme gascon, dans: Abbon, un abbé de l’an mil (Bibliothèque d’histoire culturelle du Moyen Âge 6), dir Annie Dufour et Gillette Labory, Turnhout 2008, 81–99

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ter le martyre aux moines de Lérins et permettre ainsi le rapatriement des corps80 La nécessité qu’il y ait un témoin pour faire connaître aux hommes la fin tragique du héros est également exprimée à la même époque, quoique d’une manière différente, dans la Vie de l’abbé Pardulphe de Guéret, écrite vers 745: tandis que toute la communauté choisit de fuir devant l’arrivée imminente des Ismaélites, l’abbé seul choisit de rester – et l’auteur ajoute que l’un de ses serviteurs «reste en cachette pour voir sa fin» Dans ce cas-ci, la prière de Pardulphe suffit à les protéger de l’assaut81 Dans la réécriture de la Passion d’Aigulphe, Adrevald de Fleury justifie bien plus longuement la fuite du disciple, dans le but sans doute de répondre aux critiques qu’avait suscité le premier texte: non, ce n’est pas la terreur du martyre qui l’incita à fuir et il ne s’est pas exclu de la gloire de ses frères, car c’est Dieu qui lui délégua la tâche de divulguer la passion des saints et de faire ramener leurs corps à Lérins Dieu déjoua ainsi le plan du diable, qui souhaitait que le martyre demeure caché afin que les dépouilles ne soient pas vénérées82 Si ces deux textes méritent une étude plus approfondie, l’exemple de la fuite du disciple illustre clairement la continuité des discussions sur les modalités du martyre dans le monde franc Pour conclure, il faut tout d’abord insister sur le fait que l’échantillon de textes ici présentés ne suffit nullement à proposer une synthèse La poursuite des recherches nécessitera d’élargir le corpus aux passions d’anciens martyrs rédigées à la même époque, en particulier dans les milieux monastiques Le présent article n’a d’autre objectif que de proposer quelques pistes susceptibles d’être approfondies En premier lieu, on peut constater que la mise à l’honneur de nouveaux martyrs demeure l’exception dans le monde monastique des viiie et ixe siècles Contrairement aux évêques, qui pouvaient envisager le martyre pour eux-mêmes par une identification au modèle apostolique, les moines ne semblent pas s’être sentis concernés a priori par cette question D’après le contenu des Vies examinées, il semble que la plupart des moines estimaient que leur engagement dans la vie ascétique équivalait à un martyre non-sanglant et leur faisaient bénéficier d’une protection divine à toute épreuve Il est assez significatif de constater que les premiers cas documentés de moines ou d’abbés assassinés n’ont guère inspiré les hagiographes: ainsi, l’abbé Feuillen 80 Vita Aigulfi prima (cit n 72), 17–18, 746: Interdum alteri e custodibus, qui pietate motus Christi martyres ad fugam invitabat, respondit vir beatus Aigulphus: Si vivimus, Domino vivimus, et si morimur, Domino morimur: fiat in nobis voluntas Domini. […] At Dei nutu redeunte uno, Briconio nomine, ex viri Dei sociis, qui evaserat, omnem illorum martyrii seriem sociis Lerinensibus retulit. 81 Vita Pardulfi abbatis Waractensis, éd Wilhelm  Levison, dans: MGH, Scriptores rerum Merovingicarum, t  VII, Hanovre/Leipzig 1920, 24–40, ici 15, 33 (BHL 6459): Tunc omnes fratres, qui illic aderant, fugati sunt, nisi vir Dei solus remansit intrepidus et unus ex famulis caeteris deterior Eufrasius nomine remansit occulte, ut eius finem videre potuisset. 82 Vita Aigulphi secunda auctore Adrevaldo (cit n 78), 28–29, 753–754: Quem ad hoc divinitus credimus reservatum, ne sanctorum passio occuleretur. Ipsius enim relatu et modus passionis sanctorum ad notitiam fidelium est perductus, et corpora ad consolationem nostram per Dei gratiam manifestata sunt, et ad nostros fines relata. Fas est autem credere, eum non esse expertem gloriæ fraternæ, quem non terror a martyrio inhibuit, sed Deus ad tantam utilitatem delegavit.

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de Fosses n’a fait l’objet que d’un bref additamentum à la Vie de son frère et devra attendre les xe et xie siècles avant de bénéficier d’autres récits hagiographiques83 Quant aux deux moines-prêtres anglo-saxons mentionnés par Bède, si leurs corps ont bien été ensevelis avec les honneurs à Cologne, ils semblent n’avoir jamais inspiré la plume d’un hagiographe postérieur84 Seul l’abbé Germain de Grandval, assassiné pour des motifs politiques, a mérité qu’on lui consacre une Vita vel Passio à la fin du viie siècle, mais ce texte n’a connu aucune diffusion85 L’implication des moines dans les missions d’évangélisation aurait certes pu modifier leur point de vue, puisqu’elle leur permettait de s’identifier à leur tour au modèle apostolique Elle entraînait d’ailleurs une certaine confusion des rôles, puisque certains d’entre eux se virent contraints d’accepter l’épiscopat – avec ou sans siège86 L’apparition d’une hagiographie monastique à caractère proprement «missionnaire», dont le premier exemple semble être la Vie d’Amand, ne change toutefois pas radicalement la donne Malgré les questions nouvelles que soulèvent les missions et dont les hagiographes se font l’écho – notamment sur les moyens de convertir les païens, par les miracles ou par la prédication87, sur les difficultés concrètes rencontrées par les missionnaires, ensuite même sur le martyre de Boniface –, la plupart des nouveaux saints mis à l’honneur dans ce contexte demeurent sous la protection divine et ne voient pas leur vie mise en danger par les païens qu’ils tentent de convertir Sous la plume de leurs hagiographes, le thème du martyre sert avant tout à illustrer la cruauté des puissants chrétiens – évêques, princes, rois – plutôt que celle des païens En fin de compte, c’est plutôt le contexte des réformes monastiques qui semble être à l’origine d’une évolution des mentalités Dès lors que le danger surgit à l’intérieur même de la communauté, soit à l’endroit où le moine s’y attendrait le moins, le martyre devient possible et trouve même son utilité Bien que la plupart des abbés confrontés à la révolte de leurs moines choisissent la fuite, confortés dans cette attitude par le modèle monastique par excellence qu’est devenu Benoît de Nurcie, certains hagiographes commencent à envisager la possibilité qu’un vénérable abbé puisse périr sous les coups de ses propres disciples Le cas d’Aigulphe apparaît à cet égard comme exemplaire, d’autant qu’il se réfère explicitement au modèle biblique le plus acceptable pour des moines, celui de Jean-Baptiste, présenté ici comme le modèle du martyr persécuté pour la justice et la vérité Mais l’histoire d’Aigulphe n’est que l’exception qui confirme la règle Il faudra attendre les siècles suivants pour voir vraiment se développer le culte de nouveaux martyrs, mis à mort dans des conditions de plus en plus diverses et variées88 83 84 85 86 87 88

Voir Dierkens, Abbayes (cit n 26), 82–90 Cf supra, n 40 Cf supra, n 30 Sur la question des abbés-évêques, éléments et bibliographie dans Dierkens, Abbayes (cit n 26), 297–299 Éléments dans Wood, The Missionary Life (cit n 6), 262–264 Voir en général André Vauchez, La sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Âge d’après les procès de canonisation et les documents hagiographiques, Rome 1988, 173–203 et en particulier Marina Miladinov, Hermits murdered by robbers: construction of martyrdom in ottonian hagiography, Annual of Medieval Studies at Central European University Budapest 6 (2000), 9–21

ALTESTAMENTARISCHE MODELLE FÜR DEN POPULUS CHRISTIANUS: HRABANUS MAURUS’ KOMMENTAR ZU DEN MAKKABÄERBÜCHERN 1 UND 2 Gordon Blennemann

Die Makkabäer-Erzählung zählt zu den zentralen Narrativen in der Entwicklungsgeschichte christlicher und jüdischer Martyriumskonzeptionen1 In die christliche Tradition hat sie vor allem durch die deuterokanonischen Makkabäer-Bücher 1 und 2 Einzug genommen Für die lateinische Erzähltradition zu den Martyrien des greisen Schriftgelehrten Eleasar (2 Makk 6) sowie der makkabäischen Mutter und ihrer sieben Söhnen (2 Makk 7) spielte zudem das apokryphe Vierte Makkabäerbuch eine wichtige Rolle2 Der Status aller drei Bücher ist in patristischer wie auch in frühmittelalterlicher Zeit unbestimmt geblieben3 So hat Hieronymus eine lateinische Übersetzung von 1–2 Makk abgelehnt4 Beide Bücher werden allerdings in frühen Verzeichnissen und stichometrischen Listen geführt und begegnen vermehrt seit dem 8 Jahrhundert in lateinischen Bibelhandschriften5 Auch 4 Makk ist dort mitunter als Ergänzung zu 1–2 Makk zu finden6 Im Mittelpunkt der Makkabäer-Erzählung steht ein im Jahr 167 v Chr ausbrechender Aufstand in Judäa, der von dem Priester Mattatias angeführt wurde und sich gegen den seleukidischen König Antiochos IV Epiphanes (175–164 v Chr ) richtete, der den Tempel in Jerusalem ausgeraubt und entweiht hatte Mattatias Sohn Judas († 160 v Chr ), der den Beinahmen „Maccabaeus“ erhielt, setzte den 1

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Dazu übergreifend zuletzt die Beiträge des Tagungsbandes Dying for the Faith, Killing for the Faith Old-Testament Faith-Warrios (1 and 2 Maccabees) in Historical Perspective (Brill’s Studies in Intellectual History 206), hg v Gabriela Signori, Leiden/Boston 2012, dort insbesondere dies , Introduction, 1–36 mit umfangreicher Bibliographie (27–36) sowie speziell zur christlichen Makkabäer-Rezeption Daniel Joslyn-Siemiatkoski, Christian Memories of the Maccabean Martyrs, New York 2009 Zu den kanonischen Büchern Makk 1 und 2 wie auch zu den Büchern 3 und 4 zusammenfassend Stephanie von Dobbeler, Makkabäerbücher 1–4, http://www bibelwissenschaft de/ wibilex/das-bibellexikon/ (Portal, Artikel erstellt: Januar 2006) sowie den Band The Books of the Maccabees: History, Theology, Ideology (Supplements of the Journal for the Study of Judaism 118), hg v Géza G Xeravits u József Zsengellér, Leiden/Boston 2007 Zur Überlieferung der Makkabäerbücher in der spätantiken und frühmittelalterlichen Bibeltradition Pierre-Maurice Bogaert, Les livres des Maccabées dans la bible latine Contribution à l’histoire de la Vulgate, Revue bénédictine 118 (2008), 201–238 Ebd 206 Ebd 204–206 und 209–214 Ebd 214

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Aufstand mit militärischen Mitteln fort und sorgte für die Reinigung und Neuweihe des Tempels im Jahr 164 v Chr Seine Brüder Jonathan († 143 v Chr ) und Simeon († 134 v Chr ) folgten ihm nach, wobei Simeon schließlich vom Volk zum ‚König‘ gewählt wurde Unter dessen Sohn Johannes († 104  v Chr ) fanden die Auseinandersetzungen ihren endgültigen Abschluss Den thematischen Schwerpunkt des ersten Makkabäer-Buchs bildet die furchtlose und standhafte Treue gegenüber Gottes Gesetz, die am Ende den Sieg davontragen wird Es stellt dabei vor allem heroische Figuren und die Boshaftigkeit der Feinde der Juden in den Mittelpunkt Dem gegenüber wird im teils mit dem ersten Buch thematisch deckungsgleichen, aber stärker literarischen zweiten Buch Gottes Hilfe und Vergeltung, die sühnende Wirkung des Martyriums und die kollektive Schuld des jüdischen Volkes als Ursache für sein Leiden herausgearbeitet Der älteste erhaltene lateinische Kommentar zu 1–2 Makk stammt aus der Feder des Hrabanus Maurus7 Als Abt von Fulda (seit 822) und Erzbischof von Mainz (seit 847) gilt er als eine der wichtigsten, wenn nicht sogar als die zentrale Figur karolingischer Wissenskultur des 9 Jahrhunderts8 Zu dieser herausgehobenen Stellung verhalfen ihm nicht zuletzt die persönlichen Verbindungen zur angelsächsischen Bildungstradition, in der er als Schüler Alkuins stand und zu deren Vertiefung und Vermittlung im Frankenreich er maßgeblich beitrug Das berühmte Widmungsbild zu seinem ersten größeren Werk, dem Liber sanctae crucis, auf dem er von Alkuin geleitet die Handschrift dem fränkischen Heiligen par excellence Martin von Tours überreicht, führte diese Mittlerrolle den Zeitgenossen spektakulär und durchaus selbstbewusst vor Augen9 Es sollte allerdings auch betont 7

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Ed Hrabanus Maurus, Commentaria in Libros Machabaeorum, in: Patrologia latina, Bd  109, Paris 1864, 1125–1256, vgl zum Kommentar zusammenfassend Silvia Cantelli Berarducci, Hrabani Mauri Opera Exegetica Repetorium fontium, Bd  I: Rabano Mauro esegeta, le fonti, i commentari, Bd   II: Apparatus fontium (in Genesim – in libros Macchabeorum) (Instrumenta Patristica et Mediaevalia Research on the Inheritance of Early and Medieval Christianity 38), Turnhout 2006, hier Bd  I, 338–345 Zur Person vgl zuletzt Sita Steckel, Kulturen des Lehrens in Früh- und Hochmittelalter Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten (Norm und Struktur 39), Köln/ Weimar/Wien 2011, 196–203 und 381–405 sowie die Tagungs- bzw Sammelbände zum Jubiläumsjahr 2006: Hrabanus Maurus Gelehrter, Abt von Fulda und Erzbischof von Mainz (Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte der Diözese 2006), hg v Franz J Felten u Barbara Nichtweiss, Mainz 2006; Hrabanus Maurus in Fulda Mit einer Hrabanus Maurus-Bibliographie (1979–2009) (Fuldaer Studien 13), hg v Marc-Aeilko Aris u Susanna Bullido del Barrio, Frankfurt a M 2010; Raban Maur et son temps, [actes du colloque organisé à Lille et à Amiens, du 5 au 8 juillet 2006 par l’Université Charles-de-Gaulle (Lille III)] (Collection haut Moyen Âge 9), hg v Philippe Depreux, Stéphane Lebecq, Michel J -L Perrin u Olivier Szerwiniack, Turnhout 2010; zu  Wirken und Nachleben auch Franz J Felten, Rabanus Maurus (um 780–856) Diener seiner Zeit – Vermittler zwischen den Zeiten, in: Mainzer (Erz-)Bischöfe in ihrer Zeit (Mainzer Vorträge 12), hg v dems , Stuttgart 2008, 11–34 Dazu vor allem Michele Camillo Ferrari, Il ‚Liber sanctae crucis‘ di Rabano Mauro Testo – immagine – contesto (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 30), Bern u a 1999; ders , Alcuin und Hraban Freundschaft und auctoritas im 9 Jahrhundert, in: Mentis amore ligati Lateinische Freundschaftsdichtung und Dichterfreundschaften in Mittelalter und

Altestamentarische Modelle für den populus christianus

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werden, dass Hrabanus Maurus als wohl wichtigster Enzyklopädist seiner Zeit über die insularen Einflüsse hinaus in sehr eigenständiger Form unermüdlich Wissensbestände für ebenjene Zeitgenossen erfasste, systematisierte und auch aktualisierte Die ältere Forschung hat dies mitunter als Bienenfleiß belächelt Gerade die exegetischen Werke zu nahezu allen Büchern der Bibel, von denen ein Großteil karolingischen Königinnen und Königen gewidmet wurde, belegen allerdings, dass Hrabanus’ Enzyklopädik kein rein intellektuelles Sammelprojekt war, sondern gezielt Antworten auf Fragen der Ordnung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seiner Zeit suchte So sollte die Exegese dazu beitragen, biblische Vergangenheit als Deutungsrahmen für die (fränkische) Gegenwart zu erschließen10 Auch der Makkabäer-Kommentar ist in dieses intellektuelle Großprojekt einzuordnen Insgesamt vier erhaltene Handschriften des 9 Jahrhunderts belegen, dass der Text eine recht schnelle Verbreitung gefunden hat11 Die Entstehungszusam-

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Neuzeit Festschrift für Reinhard Düchting zum 65 Geburtstag, Heidelberg 2001, 81–92; Christel Meier, Ecce auctor Beiträge zur Ikonographie literarischer Urheberschaft im Mittelalter, Frühmittelalterliche Studien 34 (2000), 338–392, hier besonders 373 und zuletzt Sita Steckel, Ammirabile commertium Die Widmungen des Hrabanus Maurus und andere symbolische Geschenke als Gaben im Angesicht Gottes, in: Geschenke erhalten die Freundschaft Gabentausch und Netzwerkpflege im europäischen Mittelalter Akten des Internationales Kolloquiums Münster, 19 –20 November 2009 (Byzantinische Studien und Texte 1), Berlin 2011, 209–249, hier besonders 209–215 und dies , Selbstporträt mit Lehrer Hrabanus Maurus, Alkuin und die Kontexte der Interaktion zwischen Lehrern und Schülern in der Karolingerzeit, in: Interaktion in Wort und Bild Personale Beziehungen in mittelalterlichen Quellen (Byzantinische Studien und Texte), hg v Michael Grünbart, Berlin (im Druck) Ich danke Sita Steckel für die intensiven Diskussionen und das vorab zur Verfügung gestellte Manuskript des letztgenannten Aufsatzes Zur Hraban’schen Exegese sind neben Cantelli Berarducci, Hrabani Mauri Opera Exegetica (wie Anm  7) in unserem Kontext vor allem die Arbeiten von Mayke De Jong zu nennen: Old Law and new-found Power: Hrabanus Maurus and the Old Testament, in: Centres of Learning: Learning and Location in pre-modern Europe and the Near East (Brill’s Studies in Intellectual History 61), hg v Jan Willem Drijvers u Alastair A MacDonald, Leiden 1995, 161–176; The empire as ecclesia: Hranbanus Maurus and Biblical Historia for Rulers, in: The Uses of the Past in the Early Middle Ages, hg v Yitzhak Hen u Matthew J Innes, Cambridge 2000, 191–226; Exegesis for an Empress, in: Medieval Transformations Texts, Power, and Gifts in Context (Culture, Beliefs and Traditions 11), hg v Ester Cohen u Mayke De Jong, Leiden/Boston/Köln 2001, 69–100 Zu Hrabanus Maurus’ Netzwerken im Spiegel vor allem der Widmungsbriefe zu den exegetischen Texten Steckel, Kulturen (wie Anm  8), 429–441; zur frühmittelalterlichen Bibelexegese allgemein auch Biblical Studies in the Early Middle Ages Proceedings of the Conference on Biblical Studies in the Early Middle Ages (Millennio medievale 52), hg v Claudio Leonardi u Giovanni Orlandi, Florenz 2005; Michael Gorman, Biblical Commentaries from the Early Middle Ages (Millennio medievale 32), Florenz 2002; Études d’exégèse carolingienne: autour d’Haymon d’Auxerre, atelier de recherches, Centre d’Études Médiévales d’Auxerre, 25–26 avril 2005 (Collection haut Moyen Âge 4), hg v Sumi Shimahara, Turnhout 2007 Einen Überblick zur handschriftlichen Überlieferung des Kommentars geben Cantelli Berarducci, Hrabani Mauri Opera Exegetica (wie Anm  7), Bd  I, 338; Raymund Kottje, Verzeichnis der Handschriften mit den Werken des Hrabanus Maurus (MGH, Hilfsmittel 27), Hannover 2012, 244–245 sowie zuvor Friedrich Stegmüller, Repertorium biblicum medii

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menhänge dokumentieren zwei Widmungsschreiben: Der erste Brief12 stammt wohl aus der Zeit um 834 und richtete sich an den Archidiakon Ludwigs des Frommen Gerold13 Ein um 845 verfasstes zweites Schreiben14 setzt dann Ludwig den Deutschen als zweiten Widmungsträger des Kommentars ein In der zeitgenössischen karolingischen Überlieferung begegnen die beiden Briefe zumeist unabhängig voneinander Lediglich eine der vier Handschriften des 9 Jahrhunderts überliefert beide Schreiben15 Im zweiten Widmungsbrief bezieht sich Hrabanus Maurus explizit auf die kurz zuvor erfolgte Weisung des Papstes (wohl Sergius II ), „die Bücher über die Makkabäer in der Kirche zu lesen“16 Insofern stand Hrabanus’ Kommentar im Kontext einer allmählichen ‚Kanonisierung‘ von Makk 1 und 2 Hrabanus selbst scheint einen heute verlorenen Makkabäer-Kommentar des presbiter Bellator, der in den Institutionen Cassiodors Erwähnung findet, gekannt oder zumindest von ihm ge-

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aevi, Bd  5, Madrid 165, 25–26, Nr  7058–7059; zur Überlieferung der exegetischen Werke auch Raymund Kottje, Die handschriftliche Überlieferung der Bibelkommentare des Hrabanus Maurus, in: Raban Maur et son temps (wie Anm  8), 259–274, hier besonders 264–265 Ed Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm  3), 1127–1128 und Hrabani (Mauri) Epistolae, ed Ernst Dümmler, in: MGH Epistolarum, Bd  V: Epistolae Caroli Aevi, Bd  III, Berlin 1899, 424–425, Nr  19 Zur Person Gerolds zusammenfassend Philippe Depreux, Prosopographie de l’entourage de Louis le Pieux (781–840) (Instrumenta 1), Sigmaringen 1997, 212, Nr  114 Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm   3), 1125–1128 und Hrabani (Mauri) Epistolae (wie Anm  12), 469–470, Nr  35 Von den Handschriften des 9 Jahrhunderts überliefert beide Widmungsbriefe allein München, Bayerische Staatsbibliothek, lat 14046, fol 1ra–1va (Widmungsbrief an Ludwig den Deutschen), 1va–2ra (Widmungsbrief an Gerold)  und 2ra–110vb Die Handschrift stammt aus St Emmeram in Regensburg und wird von Bernhard Bischoff in die Mitte des 9 Jahrhunderts datiert Möglicherweise entstand sie im Skriptorium von Fulda als Kopie des Widmungsexemplars, so Bernhard Bischoff, Bücher am Hof Ludwigs des Deutschen und die Privatbibliothek des Kanzlers Grimalt, in: ders , Mittelalterliche Studien Ausgewählte Aufsätze zur Schriftkunde und Literaturgeschichte, Bd   III, Stuttgart 1981, 170–212, hier 191 mit Anm  26 sowie zur Handschrift generell auch ders , Die süddeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, Teil I: Die bayrischen Diözesen, Wiesbaden 21960, 226–227 und ders , Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil II: Laon/Paderborn/Wiesbaden 2004, 249, Nr  3126 Den Widmungsbrief an Gerold überliefert außerdem Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Ms 185 (191), pag 1 Die Handschrift stammt laut Bernhard Bischoff, Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil I: Aachen/Lambach/Wiesbaden 1998, 239, Nr  1115 aus dem Reichenauer Skriptorium und entstand dort im letzten Drittel des 9 Jahrhundert Den Text des Kommentars ohne die Widmungsbriefe überliefern Genf, Bibliothèque Publique Universitaire, lat 22, fol 60–175v und Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod Guelf 87B Weiss , fol 98–131 Die Genfer Handschrift stammt aus Murbach und ist von Bischoff, Katalog I (wie in dieser Anm ), 283, Nr  1348 in das zweite Viertel des 9 Jahrhunderts datiert worden Sie wäre demnach der älteste erhaltene Textzeuge Die Wolfenbütteler Handschrift aus der zweiten Hälfte des 9 Jahrhunderts stammt aus Weißenburg, dazu Hans Butzmann, Die Weissenburger Handschriften (Kataloge der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Neue Reihe 10), Frankfurt a M 1964, 250–252 Hrabani (Mauri) Epistolae (wie Anm  12), 470: Nunc vero quia tempus est illud, quo apostolica sedis constituit libros Machbaeorum legi in ecclesia, […]

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wusst zu haben17 Sumi Shimahara hat unlängst darauf hingewiesen, dass Hrabanus’ Kommentar als zentrale Grundlage für einen weiteren, anonymen Makkabäerkommentar des 9 Jahrhunderts diente, der sich allerdings auf die Auslegung des sensus historicus beschränkt18 In vorhergehender Zeit scheint die Beschäftigung mit dem Gesamtnarrativ von Makk 1 und 2 eher die Ausnahme gewesen zu sein19 Das Interesse konzentrierte sich auf die bereits erwähnten Figuren des Eleasar und der makkabäischen Mutter und ihrer sieben Söhne Nach Referenzen in der christlichen Apologetik und der patristischen Homiletik entwickelte sich seit dem ausgehenden 4 Jahrhundert auf der Grundlage von 2 Makk 6 und 7 und Makk 4 insbesondere in der südlichen Gallia eine eigenständige hagiographische Tradition20 Wie im Fall der Unschuldigen Kinder ging es dabei gerade im Hinblick auf diese beiden Teilerzählungen immer wieder um die typologische Ausdeutung der handelnden Personen als Präfigurationen der christlichen Märtyrer sowie als Exempla im aktuellen Kontext21 Insbesondere das Martyrium der makkabäischen Mutter und ihrer Söhne war somit im 9 Jahrhundert eine wohl etablierte und weithin bekannte Erzählung Vor diesem Hintergrund erscheint Hrabanus Maurus Interesse an der gesamten Makkabäergeschichte als ein Novum Mayke de Jong hat vor allem ausgehend vom zweiten Widmungsbriefes an Ludwig den Deutschen als erste eine umfassendere Analyse des Kommentars vorgeschlagen und nach der Funktion des Textes im Zeitkontext der Unruhen der 830er und 840er Jahre gefragt Sie betont die Bedeutung der Hraban’schen Bibelkommentare als Richtschnur für karolingische Herrscher, im Falle der Makkabäer für Ludwig den Deutschen Die Diskussion biblischer Vergangenheit wird dabei zum Bezugsrahmen der Reflexion über die politischen Probleme und Perspektiven frän17 18

So der Hinweis bei Keller, Machabaeorum pugnae (wie Anm  7), 422 mit Anm  30 Sumi Shimahara, Histoire d’un texte historique: le commentaire anonyme sur les Maccabées tranmis par les manuscrits Orléans, BM 191, Barcelona, Catedral 64 et New Haven, Yale University, Beinecke 643, in: Rerum gestarum scriptor Histoire et historiographie au Moyen Âge Mélanges Michel Sot (Cultures et civilisations médiévales), hg v Magali Coumert, Marie-Céline Isaïa, Klaus Krönert u Sumi Shimahara, Paris 2012, 589–600, hier besonders 597–599 Die Autorin kündigt dort eine Edition des Textes an (590 mit Anm  8) 19 Auf die verstreuten und eher unsystematischen Äußerungen bei Isidor von Sevilla, Beda Venerabilis und Aelfric von Eynsham verweist knapp Joslyn-Siemiatkoski, Christian Memories (wie Anm  1), 82 20 Dazu vor allem Passio Ss Machabaeorum Die antike lateinische Übersetzung des IV Makkabäerbuches (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen PhilologischHistorische Klasse Dritte Folge 22), ed Heinrich Dörrie, Göttingen 1938 Vgl auch die zusammenfassenden Bemerkungen bei Martin Heinzelmann, L’hagiographie mérovingienne Panorama des documents potentiels, in: L’hagiographie mérovingienne à travers ses réécritures (Beihefte der Francia 71), hg v Monique Goullet, Martin Heinzelmann u Christiane Veyrard-Cosme, Ostfildern 2010, 27–82 hier 35 mit Anm  33 sowie zur pastoraltheologischen Bedeutung der Makkabäer auch Françoise Prévot, Le modèle des Maccabées dans la pastorale gauloise du ve siecle, Revue d’histoire de l’Église de France 92 (2006), 319–342 21 Ich erlaube mir hier auf den Beitrag von Tanja Skambraks in diesem Band sowie auf das laufende Dissertationsprojekt von Axelle Neyrinck (École des Hautes Études en Sciences Sociales Paris) zu verweisen

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kischer Gegenwart und der daraus resultierenden Handlungsmaximen Jenseits der auch bei Hrabanus Maurus deutlich sichtbaren Affinität zur Deutung des Bibeltextes als historisch-lineares Narrativ sollten die königlichen Adressaten und Adressatinnen und ihr höfisches Umfeld aus den erläuterten Schriften Kraft für ihr politisches Wirken schöpfen, indem sie die heilsgeschichtliche Vergangenheit typologisch auf ihre eigene Gegenwart bezogen Im Falle der biblischen historia der Makkabäer hieß dies für Ludwig den Deutschen, dass sein mit dem Vertrag von Verdun 843 geschaffenes, noch junges und unsicheres regnum dadurch zu stützen war, dass der König gemeinsam mit dem Klerus für die Einheit im cultus sorgte, so wie die Makkabäer ebenfalls angesichts der Bedrohung durch pagane Feinde an den mosaischen Gesetzen festhielten Hrabanus Maurus führte vor Augen, wie die kultische Einheit der biblischen Vergangenheit typologisch auf das karolingische Imperium als ecclesia zu beziehen war22 Gerade die von Hrabanus Maurus geforderte Einheit im cultus war allerdings nicht allein von König und Klerus zu bewerkstelligen Zwar setzten diese die entscheidenden Rahmenbedingungen, und die karolingischen Herrscher hatten sich in diesem Sinne seit der zweiten Hälfte des 8 Jahrhunderts um eine zumindest gedachte Einheit in der Liturgie bemüht23 Bei der praktischen Umsetzung und Konsolidierung dieser Einheit trat jedoch die weit gefasste Gruppe der Gläubigen als weiterer Akteur hinzu Als biblisch-heilsgeschichtlich fundierter Entwurf einer dreifachen Rollendefinition bezog Hrabanus Maurus’ Makkabäer-Kommentar diese in aller Deutlichkeit mit ein Diese komplementäre, eher auf die pastorale Funktion der Makkabäerbücher ausgerichtete Seite des Kommentars zeichnet sich bereits im Widmungsbrief an Gerold ab Hrabanus Maurus erinnert dort an ein Treffen mit Gerold im Kontext der Wormser Reichsversammlung im August 829 Gemeinsam hatten sie über Probleme bei der Auslegung der heiligen Schrift, insbesondere der historischen Bücher diskutiert Gerold hatte Kenntnis von Hrabanus’ Kommentar zum ersten und zweiten Buch der Könige erhalten, die dieser Abt Hilduin von Saint-Denis gewidmet hatte, und daraufhin um Kommentare zum ersten und zweiten Buch der Chronik und zu den beiden Makkabäerbüchern gebeten Der Empfänger hatte somit gezielt Einfluss auf den Gegenstand des ihm zugeeigneten Textes genommen Nachdem Hrabanus den Kommentar zu den ersten beiden Büchern der Chronik dem noch jungen Ludwig dem Deutschen überreicht hatte, kam er nun Gerolds Bitte zumindest zum Teil nach (wofür er sich implizit entschuldigte) und sandte ihm den Makkabäer-Kommentar zu Im Mittelpunkt des Gesprächs in Worms standen vor allem zwei zentrale Herausforderungen, der sich die Exegese bei der Auslegung der historischen Bücher zu stellen hatte: die Verstellung des sensus, d h des Literalsinns, durch die Überzahl an unbekannten Namen und Orten sowie die Verdunkelung des intellectus, 22 De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), zusammenfassend 221–226 23 Grundlegend zur liturgischen Überlieferung der Karolingerzeit immer noch Cyrille Vogel, Medieval liturgy An Introduction to the Sources, Washington 1986, 70–102 sowie zur ideologischen Bedeutung Yitzhak Hen, The Royal Patronage of Liturgy in Frankish Gaul: to the Death of Charles the Bald (877) (Henry Bradshaw Society Subsidia 3), Woodbridge 2001

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d h des spirituellen Sinns, durch die zahlreichen „sprachlichen Bilder“ (tropos figurarum) Dabei betont Hrabanus nun ausdrücklich, Gerold solle den Inhalt des Kommentars „nutzen, wie es sich für einen Diener Christi“ gebühre, „der sich in Gemeinschaft mit vielen“ befinde Was er zuvor „für sich erreicht“ und verstanden habe, solle er „zum Nutzen aller bringen“24 Insofern verknüpft Hrabanus mit seinem Geschenk einen ziemlich deutlichen pastoralen Auftrag an ein Mitglied des Klerus Handelt es sich hierbei allein um topische Verweise auf die generelle Funktion der Exegese als Grundlage für die Pastoral, oder stand dahinter auch für Hrabanus Maurus die Idee einer aedificatio jenseits streng dogmatischer Auslegungen der biblischen Schriften, wie sie bereits Hieronymus mit den Makkabäerbüchern verknüpfte? Hatte dieser doch in seinem Prolog zur Übersetzung der Bücher Salomos betont, dass die Makkabäerbücher für die „Bildung des Volks“ (ad aedificationem plebis) durchaus nützlich seien, auch wenn er sie zu den apokryphen Büchern zählte25 Ein recht deutlicher, in gewissem Sinne auch überraschender Hinweis findet sich in Hrabanus’ Deutung der Glaubenstreue und des daraus resultierenden Todes des Eleasar in 2 Makk 6 Der biblische Text weist Eleasar als Schriftgelehrten (2 Makk 6,18: unus de prioribus scribarum) aus, insofern eignete er sich im Grunde in geradezu idealer Weise für die Ausdeutung als Typus des Klerus, den Hrabanus Maurus im Kommentar in diesem Sinne mehrfach unter den Begriffen praedicatores oder doctores subsummiert26 Hier nun aber wird Eleasar, der sich dem Befehl des Antiochus Epiphanes widersetzt, Schweinefleisch zu essen, als ty24 Hrabani (Mauri) Epistolae (wie Anm  12), 424: Memini me in palatio Wangionum civitatis constitutum tecum habere sermonem de eminentia sanctarum scripturarum et de difficultate divinarum historiarum, in quibus non solum per aliquanta loca propter varietatem rerum et situm provintiarum obscurus est sensus, quin g etiam per tropos figurarum occultus est intellectus. Et quia eodem tempore commentarios in libros Regum nuper a nobis editos venerabili abbati Hiltwino tradideram, tu quidem parvitatem meam exhortatus es, quatinus in libros Paralipomenon atque Machabeorum commentarios iuxta vestigia maiorum pari studio condiderim. Feci quantum potui et prioris libri expositionem Hludowico regi editam dedi, sequentis vero tuae sanctitati tradendam reservavi, ut petitio tua non esset vana neque haberes me suggillandum quasi u tibi roganti nollem conferre quod aliis gratis contulerim. Proinde quia iam confectum opus habes, utere eo sicut decet servum Christi cum communione multorum et quod solus impetraveras ad plurimorum utilitatem pervenire facias. Zur Analyse des Briefs im Hinblick auf methodische Fragen der Exegese auch Cantelli Berarducci, Hrabani Mauri Opera exegetica (wie Anm  7), Bd  I, 339–340 sowie generell zur exegetischen Hermeneutik des Kommentars Raffaele Savigni, Istanze ermeneutiche e ridefinizione del canone in Rabano Mauro: il commentario ai Libri die Maccabei, Annali di storia dell’esegesi 11 (1994), 571–604 25 Biblia sacra iuxta Latinam vulgatam versionem ad codicum fidem, Bd  11: Libri Salomonis, id est Proverbia Ecclesiastes Canticum Canticorum ex interpretatione Sancti Hieronymi, Rom 1957, 5: Sicut ergo Iudith et Tobi et Macchabaeorum libros legit quidem Ecclesia, sed inter canonicas scripturas non recipit, sic et haec duo volumina legat ad aedificationem plebis, non ad auctoritatem ecclesiarum ecclesiasticorum dogmatum confirmandum […]. Der Passus bezieht sich somit auch auf die Bücher Iudith und Tobi Vgl den Hinweis bei Bogaert, Livres des Maccabées (wie Anm  3), 206 26 Vgl De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), 226

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pologische Referenz des populus Christianus präsentiert, das wie Eleasar durch den feindlichen König „vor dem Ende der Welt von der Wut des Antichristen bedrängt“ werde, „sein Leben auf Götzendienst und Blasphemie auszurichten“ Diese Parallelisierung wird durch die Interpretation des Namens Eleasar zusätzlich gestützt, bedeute dieser doch „Gott mein Helfer“ und sei daher ein ausgesprochen passender Name für den populus der Gläubigen (populus fidelium) Psalmenzitate belegen dies, bevor Hrabanus die Interpretation der Eleasar-Episode durch eine erneute Parallelisierung abschließt: So wie es Antiochus nicht gelungen war, Eleasar zum Verzehr von Schweinefleisch zu zwingen, so werde „auch die Grausamkeit des Antichristen die Schar der Auserwählten nicht durch irgendeine Unreinheit beflecken können“27 Hrabanus Maurus’ Kommentar zu 2 Makk 6 fällt vergleichsweise kurz aus, verweist aber in ausgesprochen effizienter Form auf zentrale inhaltliche Aspekte, die für den Argumentationsgang des Gesamtkommentars im Hinblick auf eine aedificatio der Gläubigen durch die Makkabäerbücher von Bedeutung sind Der Kommentar formt die Teilerzählung gleichsam zur Essenz des gesamten Makkabäernarrativs Für diese inhaltliche Fokussierung nutzt Hrabanus letztlich die etablierte Bedeutung des Eleasar als hagiographisches Exemplum Auch wenn Hrabanus Eleasar nicht ausdrücklich als Märtyrer bezeichnet, so wird dieser durch die Ausdeutung als Typus für die Menge der Gläubigen durch seine Glaubenstreue doch als vorbildlicher Dulder herausgestellt und damit als Präfiguration des christlichen Märtyrers erkennbar Die Standhaftigkeit in den Grundsätzen des Glaubens wird dabei zur Form der Glaubenszeugenschaft, bei der der Glaubenstod in den Hintergrund tritt Daher wird Eleasars Tod nicht eigens im Kommentar thematisiert In diesem Punkt ist Hrabanus gewiss nicht innovativ Er folgt vielmehr gängigen, seit dem 4 Jahrhundert entwickelten Martyriumskonzeptionen, in denen der Glaubenstod der verinnerlichten Glaubenszeugenschaft in der Tat nachgeordnet wurde, nicht zuletzt deshalb, weil der Märtyrertod in Zeiten des Friedens ohnehin kaum zu erwarten war28 Bemerkenswerter erscheint die explizite Ausdeutung

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Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm  3), 1235–1236: Eleazarus hic, quem Antiochi crudelissimi regis impietas porcinam carnem in senectute sua edere cogebat, significat populum Christianum, quem Antichristi saevitia ante finem mundi ad idolatriam atque spurcitiam vitae convertere sataget. Interpretatur autem Eleazarus Deus meus adjutor, quod nomen aptissime convenit fidelium populo. […] Sed sicut nequissimi regis immanitas Eleazarzum ad esum porcinae carnis compellere nequivit, ita nec electorum coetum Antichristi crudelitas contaminare aliqua immunditia ullo modo poterit. 28 Grundlegend hierzu ist die Definition des Martyriums durch Augustinus, dazu Jan den Boeft, ‚Martyres sunt, sed homines fuerunt‘ Augustine on Martyrdome, in: Fructus centesimus Mélanges offerts à Gérard J M Bartelink à l’occasion de son soixante-cinquième anniversaire, hg v Antoon A R Bastiaensen, Antonius Hilhorst u Corneille Henri Kneepkens, Dordrecht/Steenbrugge 1989, 115–124 Zu den Predigten des Augustinus über das Martyrium vgl Cyrille Lambot, Les sermons de saint Augustin pour les fêtes des martyrs, Analecta Bollandiana 67 (1949) 249–266; Paul-Albert Février, Martyre et sainteté, in: Les fonctions des saints dans le monde occidental (iiie –xiiie siècle) Actes du colloque organisé par l’École française de Rome avec le concours de l’Université de Rome ’La Sapienza’, Rome,

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einer Einzelfigur als Typus der Glaubenszeugenschaft für ein Kollektiv Wie bereits gesehen ist Eleasar für Hrabanus nicht in erster Linie Exemplum für den einzelnen Gläubigen, sondern steht für den gesamte populus christianus und dessen kollektiven Kampf gegen jedwede Form der Glaubensanfechtung Hrabanus scheint hier auf ein zentrales Potential der Makkabäererzählung aufmerksam geworden zu sein, das die Motivik christlicher Märtyrererzählungen zu erweitern vermochte Zwar ging es auch in den spätantiken und frühmittelalterlichen Märtyrerpassiones zwangsläufig darum, das Verhältnis zwischen Einzelperson und Glaubenskollektiv auszuloten, da jede Leidensgeschichte eines Märtyrers oder einer Märtyrergruppe immer exemplarisch auf den Gesamtrahmen der Bedrohung aller Christen durch die heidnischen Verfolger verwies29 Die Makkabäerbücher aber gingen darüber hinaus, da dort in der Erzählung selbst die kollektive Glaubenszeugenschaft eines ganzen Volkes angesichts der Verfolgung heidnischer Fürsten zum zentralen Movens der Erzählung wurde und nicht allein den Rahmen setzte Eleasar oder die makkabäische Mutter und ihre sieben Söhne dienten als von langer Hand eingeführte hagiographische Exempla der Verdichtung solcher Vorstellungen Die Formel Eleasar significat populum Christianum brachte dies auf den Punkt Insofern dürfte es nicht zuletzt vor dem Hintergrund karolingischer Herrschaftsvorstellungen und Gesellschaftsbilder für Hrabanus Maurus in besonderem Maße reizvoll gewesen sein, die Makkabäerbücher gleichsam als Märtyrererzählungen avant la lettre durch explizite Bezüge zu christlichen Martyriumsvorstellungen für den eigenen Zeitkontext verfügbar zu machen Es verwundert daher kaum, dass die Ausdeutung der standhaften Israeliten als typologisches Handlungsmodell für den populus Christianus in Hrabanus Maurus Kommentar breiten Raum einnimmt Eine umfassende semantische Analyse des Terminus populus und seiner Parallel- und Gegenbegriffe im Text ist hier nicht möglich Ich möchte mich daher auf den Kommentarteil zum ersten Kapitel des ersten Makkabäerbuchs konzentrieren Da dort ein breites Panorama der Verfolgungssituation unter Antiochus Epiphanes und der Konsequenzen für die Bevölkerung Judäas gezeichnet wird, eignete es sich für Hrabanus Maurus in besonderem Maße, um im entsprechenden Kommentarteil zentrale Elemente für die Ausdeutung des biblisch-historischen Volks der Juden als kollektives Handlungsmodell für die Christen zu entwickeln, die er dann im weiteren Verlauf aufgreifen und vertiefen konnte Insofern verweist die Auslegung von 1 Makk 1 exemplarisch auf den Gesamtkommentar

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27–29 octobre 1988 (Collection de l’École française de Rome 149), Rom 1991, 51–80, vor allem 52–55 und zuletzt Anthony Dupont, Augustine’s Homiletic Definition of Martyrdom The Centrality of the Martyr’s Grace in his Anti-Donatist and Anti-Pelagian Sermones ad Populum, in: Christian Martyrdom in Late Antiquity (300–450 AD) History and Discourse, Tradition and Religious Identity (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 116), hg v Peter Gemeinhardt u Johan Leemans, Berlin/Boston 2012, 155–178 Dies zeigen etwa die Einleitungssätze vieler Passiones, in denen durch die Nennung des jeweiligen römischen Kaisers auf den historischen Gesamtrahmen verwiesen wird, in den sich die Handlung des hagiographischen Textes dann einordnet

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Hrabanus Maurus widmet sich zunächst der Erläuterung historischer Einzelheiten30, richtet dann aber die allegorische und tropologische Deutung des Texts auf Antiochus Der feindliche König, der „das heilige Land mit Hochmut betrat, den Tempel verwüstete und den heiligen Ort durch fremden Kult verunreinigte“, wird bereits hier als figura des Antichristen definiert, der „gegen die Kirche Christi grausam Krieg führt und sich bemüht, die Seelen der Gläubigen, die der wahre Tempel Gottes sind, durch den von ihm ausgehenden Irrtum beschmutzt“31 Folglich ist Antiochus kein historischer Einzelfall Hrabanus betont vielmehr, dass bereits jene, die Antiochus „im Bild“ (in imagine) des „über die Maßen frevelhaften Königs“ (rex sceleratissimus), der das Volk Gottes, d h die Juden verfolgt, vorausgingen, auf die Wildheit des Antichristen als Verfolger des Christenvolks verwiesen32 Dieser Hinweis auf das überzeitliche Wirken des Antichristen und dessen Bezüge zu vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Realitäten ist nicht verwunderlich, knüpft Hrabanus hier doch an etablierte Deutungsmuster der Heilsgeschichte an Er ruft damit vor allem den argumentativen Rahmen in Erinnerung, der typologische Bezüge zu den Makkabäern erschließen konnte Die historisch überlieferte Verfolgung des jüdischen Volkes wird so in Beziehung gesetzt zum gegenwärtigen und zukünftigen Wirken des Antichristen, der dazu anstifte, „Gottes Gesetz zu verlassen“, der die „nach dem Bilde Gottes geschaffenen Menschen durch verschiedenste Laster“ anficht, der sich stets darum bemüht, Christus in den Kirchen dargereichte „Lobesopfer“ (hostias laudis) zu verhindern, und sich sogar selbst zum Gott erhebt und den Christen kultische Verehrung abverlangt33 Der Abfall von Glaube und Kult, der im Makkabäernarrativ exemplarisch vor Augen geführt wird, deutet Hrabanus somit als überzeitliches Zeichen für das Wirken des Antichristen in der Welt Er scheint in diesem Punkt auf eine aus seiner Sicht irrige Ansicht reagiert zu haben Denn einige seiner Zeitgenossen waren offenbar der Meinung, dass mit Domitian oder Nero, d h römischen Kaisern der Zeit der Christenverfolgung, bereits der Antichrist auf Erden gekommen war Sie begründeten dies mit der besonderen Grausamkeit der von ihnen angestifteten Verfolgungen Hrabanus räumt ein, dass diese Glieder des Leibes des Antichristen gewesen waren Damit waren

30 Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm  3), 1127–1134 31 Ebd 1134: Mystice autem Antiochus hic, qui intravit in terram sanctam cum superbia, et devastavit templum, et locum sanctum polluit superstitione gentili, typum tenet Antichristi, qui contra Ecclesiam Christi bellum crudeliter gerit, et animas credentium, quae vere templum Dei sunt, errore suo polluere contendit. 32 Ebd : Nulli dubium est quin haec quae sub Antiocho Epiphane in imagine praecesserunt, hoc est rex sceleratissimus persecutus sit populum Die, saevitiam praefiguret Antichristi, qui Christianum populum persequetur, […]. 33 Ebd 1134–1135: […] et cogitabit adversus illos quos vult Dei legem relinquere, polluetque sanctuarium Dei, homines videlicet ad imaginem Dei creatos diversis vitiis corrumpendo; auferet juge sacrificium quando hostiam laudis Christo Die filio offerre in Ecclesia prohibebit; abominationem desolationis in loco sancto statuet, quando divinum cultum a Christianis sibi extorquebit exhiberi, ita ut in templo Die sendens, ostendat se tanquam ipse sit Deus, […].

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sie aber aus seiner Sicht wie Antiochus historische Typen des Antichristen34 Hrabanus Maurus zieht hier eine erste deutliche Verbindung zwischen der Verfolgung der Juden und der Christenverfolgung der römischen Kaiserzeit Damit trat er einer in seiner Zeit weiterhin wirkmächtigen Tendenz entgegen, die Christenverfolgung als besonderen Moment der Heilsgeschichte hervorzuheben Hrabanus Maurus scheint ein solcher Standpunkt wohl deshalb verdächtig gewesen zu sein, weil er zu einem falschen Gefühl der Gewissheit und Sicherheit moralischer Stabilität der eigenen Zeit führte Für Hrabanus genügte es auf den ersten Brief des Johannes zu verweisen, um auf die Brüchigkeit einer solchen Haltung hinzuweisen: Antichristi iam multi sunt (1 Ioh 2,18) In diesem Sinne war die Verfolgung der Christen auch für ihn kein rein kontextgebundenes historisches Faktum, sondern eine Konstante der Heilsgeschichte Der Verweis auf historisch vergleichbare Ereignisse vor der Inkarnation Christi, wie sie in den Makkabäerbüchern beschrieben wurden, konnte diesen Standpunkt zusätzlich stützen Es verwundert nicht, dass Hrabanus an dieser Stelle die potentiellen Antichristen seiner eigenen Zeit mit der geradezu topischen Trias haeretici, schismatici und pagani benennt Es fällt allerdings auf, dass die pagani auch im weiteren Verlauf des Kommentars fast ausschließlich an der Seite von Häretikern und Schismatikern auftreten oder auf historische pagani vorchristlicher Zeit verwiesen wird Häretiker und Schismatiker scheinen Hrabanus im aktuellen Kontext mehr zu interessieren Die Kritik richtet sich dabei zunächst auf den Klerus Für seine Argumentation nutzt er ein weiteres Detail, das die Makkabäer-Erzählung von christlichen Märtyrererzählungen unterscheidet In den Passiones wird die Verfolgung in der Regel nicht als Strafe für zuvor begangene Sünden aufgefasst Demgegenüber wird der Tempelraub durch Antiochus in beiden Makkabäerbüchern ausdrücklich auf die Untreue gegenüber Gott und den Abfall vom Gesetz zurückgeführt So wie die Nachlässigkeiten im Priesteramt den Raub des Tempelgoldes ermöglichten, so gelingt es dem Antichrist aus Hrabanus Sicht Einfluss auf den Kult zu nehmen, da er sich „eifrig darum bemüht, die heiligen Schriften durch falsche Interpretation durch Häretiker zu entstellen“, und „sich“ ebenso „bemüht, jene, die in der Auslegung von Gottes Gesetz […] bewandert zu sein schienen, durch die Schläue seiner Leichtfertigkeit zu verderben und zu irriger Meinung zu verführen“ So gelingt es, meint Hrabanus, dem „alten Feind, […] den Wortlaut von Gottes Gesetz durch brüchige Anschauungen und entstellten Sinn zu falscher Erkenntnis zu wenden“, obwohl dort doch, wie er ausdrücklich betont, „die göttliche Weisheit und die himmlischen Mysterien liegen und die Krone ewiger Gnade den redlich sich Mühenden und den Vorschriften Gottes Dienenden […] versprochen wird“35 34 Ebd : […] multi nostrorum putant ob saevitiae et turpitudinis magnitudinem Domitianum sive Neronem Antichristum fore: sed licet ipsi Antichristi fuerint, quantum ad ejus corpus pertinet, et membra ipsius sunt. 35 Ebd : Tollit ergo mensam propositionis ac vasa ejus quando Scripturas sacras cum iniqua interpretatione confundere per haereticos satagit, et eos qui in meditatione legis Dei, velut vasa mensae Dei ac panes propositionis commanere videbantur, astutia nequitiae suae cor-

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In einem martyrologisch aufgeladenen Kontext besitzt der Begriff der Krone zwangsläufig metonymischen Charakter, verwies er doch auf jene Krone des Heils, die den Märtyrern als Belohnung für ihre Standhaftigkeit im Glaubenskampf von Gott in Aussicht gestellt wird Aus der bisherigen Analyse dürfte deutlich geworden sein, dass auch Hrabanus Maurus diesen Kampf der Märtyrer zwar als historisch einmalig, nicht aber als typologisch einzigartig deutet Vielmehr ist die corona mercedis allen in Aussicht gestellt Insofern dienen auch hier historische Narrative der Verfolgung, wie sie in den Makkabäerbüchern dokumentiert sind, (den Erzählungen zu christlichen Märtyrern vergleichbar) als Metaphern für den Kampf jedes Gläubigen um den Erhalt seiner Tugendhaftigkeit So wie sich aber die Juden insgesamt der Verfolgung stellten, so betraf auch dieser verinnerlichte Kampf aus Hrabanus’ Sicht alle Gläubigen Falls dem diabolus im regnum Christi Erfolg beschieden war, so sollte die gesamte Kirche klagen Die Gemeinschaft der Gläubigen sollte von Mitleid bewegt den Fall des Nächsten betrauern, so wie das Volk Israel angesichts des großen Hochmuts zu weinen begann36 Insofern war das Engagement des Gläubigen in diesem Kampf von imminent sozialer Bedeutung, da „jeder Rang, jedes Alter und beide Geschlechter“ betroffen waren Nulla persona immunis est a persecutione Diesen Gedanken stützt Hrabanus Maurus durch den Verweis auf die Leib Christi-Metapher als Bild für die ecclesia Kam ein Mitglied zu Fall, so litten alle übrigen und nicht zuletzt Christus als Haupt mit37 Hier kommt die metaphorische Wirkmächtigkeit der Makkabäer-Erzählung im Zeitkontext besonders deutlich zum Ausdruck Die Verbindung zwischen der Deutung des Martyriums als Metapher für den Tugendkampf der Gläubigen und der Verpflichtung zu sozialem Engagement und damit zur Stabilisierung der ecclesia war nicht neu Wenn nun aber die ecclesia mit dem karolingischen imperium gleichgesetzt wurde38, so bedeutete dies auch, dass sich der ideologische Sinn dieser Interpretation des Martyriums deutlich verschob Jedes einzelne Mitglied des populus christianus leistete durch den Kampf um Tugendhaftigkeit einen Beitrag zur Stabilisierung des karolingischen Imperiums Im 9 Jahrhundert gab es keine Märtyrererzählung, die sich besser geeignet hätte, um diesen Gedanken narrativ einzufangen, als die Makkabäerbücher, da (wie bereits betont) nur dort ein ganzes Volk in den Glaubenskampf eingebunden war Allerdings war Hrabanus Maurus sehr wohl bewusst, dass im Vergleich zur historischen Situation in den Makkabäerbüchern in seinem Zeitkontext nicht eindeutig erkennbar war, wo die Fronten eines solchen Kampfes aus der Sicht jedes

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rumpere atque in errorem seducere contendit. […] et cominuit omnia, quando litteram legis Dei, in qua sapientia divinia ac mysteria coelestia latent, et ubi corona perpetuae mercedis et bene laborantibus, et praecepta Dei servantibus, […] promittitur. Ebd : Hinc quotidie planctus, gemitus in Ecclesia, nascitur, cum de casu proximorum per compassionem coetus fidelium non mediocriter contristatur. Unde sequitur: Et fecit caedem magnam hominum, et locutus est in superbia magna, et factus est planctus magnus in Israel. Ebd 1135–1136: Omnis dignitas, atque omnis aetas, atque omnis sexus dolet tumultuante persecutore, quia nulla persona immunis est a persecutione. […] Solicita sunt in Christi corpore pro invicem membra, et si patitur unum membrum, compatiuntur omnia membra. De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), 225–226

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einzelnen Gläubigen verlaufen konnten Bei jedem Gläubigen äußerte sich die Verfolgung durch den Antichristen in anderer Form, mal durch tatsächliche „Folter, mal durch Schmeicheleien, mal durch Nichtigkeiten oder offene Gewalt, mal durch Betrug oder List“ Wer aber glauben werde, der sei zwangsläufig auf die Verfolgung vorbereitet39 Insofern zeigte sich die Verfolgung für Hrabanus in mitunter sehr alltäglichen Prüfungen Er ließ zugleich keinen Zweifel daran, dass jedes Scheitern des Gläubigen angesichts solcher Prüfungen schwerwiegend war, da er es mit dem Abfall (apostasia)  vom christlichen Glauben gleichsetzte40 Hieraus speiste sich letztlich die im Kommentar immer wieder betonte hohe Verantwortung der praedicatores, deren Aufgabe es war, Apostasie durch ihr Wirken als doctores zu verhindern Auch angesichts solcher realen, mitunter bis zur Häresie führenden Brüche innerhalb des populus christianus, war die Makkabäererzählung eine ideale narrative Projektionsfläche, da ein Teil des jüdischen Volkes tatsächlich vom Glauben abgefallen war Der Vergleich mit der Christenverfolgung forderte von Hrabanus Maurus die Beschäftigung mit der Thematik der Flucht, die in der Makkabäererzählung insofern von zentraler Bedeutung ist, als von den flüchtigen Juden jener Aufstand ausging, der zur Rückeroberung Jerusalems und zur Neuweihe des Tempels führte Im christlichen Kontext war die Flucht vor der Verfolgung durch Mt 10,23 durchaus gerechtfertigt41: „Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, so flieht in eine andere “ Hrabanus Maurus etabliert allerdings eine sehr eindeutig Hierarchie, denn „manche flüchten leibhaftig, um nicht verführt zu werden Andere flüchten im Geiste und erdulden schwere Anfechtung an ihren Seelen, wiederum andere bleiben standhaft im christlichen Bekenntnis bis zum Tod “42 Diese Steigerung basiert auf einer Verknüpfung der historischen und der spirituellen Bedeutungsebene des Bibeltextes Auf der historischen Ebene stellte Hrabanus der Flucht der Juden die Standhaftigkeit der christlichen Märtyrer gegenüber Durch die Präsensform der Verben suggerierte er zumindest rhetorisch eine Aktualität, die sich auf alle drei Formen der Reaktion auf Verfolgung bezog Tatsächlich werde die terra sancta immer dann zur Wohnstatt (habitatio) Fremder, „wenn, während die Glieder Christi durch das Martyrium gekrönt werden, die Zahl der Verfolger in der ganzen Welt“ zunehme43 Freilich war dies im aktuellen Zeitkontext des 9 Jahrhundert eine eher 39

Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm  3), 1136: […] tamen cum hoc non ubique vim agendo persecutionum expostulat, sed aliquando tormentis, aliquando blandimentis, aliquando minis et aperta saevitia, aliquando fraude et dolo. […] Sed qui crediderit, sibimet persecutionem praeparat. 40 Ebd : Unde evenit, quod cum magno dolore mentis legendum est, ut perdat populum multum ex Israel, cum lacrimos de Christiana religione in apostariam convertit. 41 Vgl dazu die Beiträge von Peter Gemeinhardt (zur Geschichte des Motivs) und Anne-Marie Helvétius (zur Bedeutung im fränkischen Kontext) in diesem Band 42 Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm   3), 1136–1137: Habitatorus Hierusalem fugiunt quando persecutione fervente, alii corporaliter fugiunt ut non scandalizentur; alii mente fugiunt, et grave scandalum in animabus suis patiuntur, alii in confessione Christi usque ad mortem perseverant. 43 Ebd 1137: Sitque terra sancta sancta habitatio exterorum, quando membris Christi per martyrium coronandis, in toto mundo multiplicatur numerus persecutorum.

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unwahrscheinliche Perspektive Zumindest bestand aber die Gefahr, dass sich die Festtage der Märtyrer „in Trauer wenden, wenn dem überaus feierlichen Ritus des christlichen Glaubens der ihm gebührende glanzvolle Schmuck verwehrt“ werde44 Hrabanus entwickelt hier eine Idee der „Aktualität“ des Martyriums, die an die Erinnerung der Gläubigen an die Märtyrer und die Liturgie gebunden ist Ihm ging es dabei allerdings nicht primär um den Heiligenkult, sondern generell um den christlichen Ritus So wie den Juden die Sabbatfeier verboten wurde, so sah er den Ruhm der ecclesia fidelium durch blasphemische Schmähungen der Sakramente wie auch des christlichen Offiziums bedroht45 Damit war zwangsläufig die Frage nach der Einheit im Ritus gestellt46 Antiochus hatte in seinen Anordnungen gefordert, dass das Volk eins sein solle, dafür aber das Gesetz Gottes verlassen müsse Hrabanus Maurus erkannte dahinter Standpunkte heidnischer Philosophen, die mit Haltungen der Häretiker und Schismatiker der Christen gleichzusetzen waren, deren Ziel es aus seiner Sicht war, die „Wahrheit im Gesetz Christi“ und „den katholischen Glauben“ zu unterwandern47 Die discordia, die Hrabanus Maurus fürchtete, lag dabei für ihn in der Struktur der häretischen Gruppen selbst begründet: So sehr sich diese bemühten, die Menschen auf ihre Seite zu bringen, umso mehr stieg die Zwietracht unter ihnen selbst, da sie aus Hrabanus’ Sicht in zahlreiche Sekten (variis sectis) zerfielen Die Häretiker versuchten liturgische Opfergaben an Gott, die Eucharistie aber auch ganz allgemein das Gebet der Gläubigen zu verhindern Darüberhinaus verwies Hrabanus aber auch auf die Absicht, die Sinne der Gläubigen (mentes fidelium) zu Lasterhaftigkeit zu verführen Das Essen von Schweinefleisch und der Verzicht auf die Beschneidung, wie dies von einigen Juden unter der Tyrannei des Antiochus praktiziert wurde, werden somit als Sinnbilder für die Verführungen der Christen zu Genusssucht und körperlicher Ausschweifung, zum Abfall von Fürsorge, Enthaltsamkeit wie auch für den Verlust des rechten Maßes in Gedanken, Worten und in Werken gedeutet48 44 Ebd : Dies festi ejus convertuntur in luctum, quando ritus celeberrimus religionis Christiane non permittitur habere sui fulgoris ornatum. 45 Ebd : Foedatur enim gloria Ecclesiae fidelium ignominia, quando inimico dominante gloria coelestium sacramentorum et honestas divinorum officiorum impiis blasphemantibus maximum sustinet opprobrium. 46 Vgl dazu neben De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), 224–225 allgemein auch Nikolas Staubach, Cultus divinus und karolingische Reform, Frühmittelalterliche Studien 18 (1984), 546–581 47 Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm   3), 1137: Et scripsit rex Antiochus omni regno suo ut esset omnis populus unus, et relinqueret unusquisque legem suam. Scriptum et Epistola spiritualis Antiochi, philosphi sunt gentilium haeretici atque schismatici Christianorum, qui veritatem legis Christi atque statutum catholicae fidei subvertere cupiunt. Insofern erscheint mir eine positive Deutung der Vereinheitlichungsbestrebungen des Antiochus aus karolingischer Sicht eher unwahrscheinlich, so aber De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), 224–225 48 Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm   3), 1137: Sed quo magis per errorem student sibi homines adunare, eo magis faciunt illos ab invicem discordare, quia nec ipsi inter se invicem concordant, sed variis sectis dissentientes discrepant, et ideo minus se obsequentes et in unitate consociare praevalent. […] maxima cura maximumque studium est haereticis atque paganis ut in ecclesia Christi cultum divinum seu confundant seu

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Wenn Hrabanus Maurus somit den cultus durch die Häretiker bedroht sah, so ging es dabei weiter gefasst auch um die Bedrohung einer gesellschaftlich relevanten, christlich begründeten Werteordnung Die standhaften jüdischen Mütter, die an der Beschneidung ihrer Söhne festhielten, werden vor diesem Hintergrund als Exempla des Kampfes um den Erhalt dieser Wertordnung begründet Hrabanus Maurus wendet sich ihnen im letzten Abschnitt des Kommentarteils zu Das Festhalten an der Beschneidung deutet Hrabanus allegorisch als den Wunsch der Gläubigen, alles Überflüssige, d h alles, was in ihrem Reden und Tun über das rechte Maß hinausgeht, „mit dem Schwert vom Geist abzuschneiden“ Solche Christen begehre der Antiochus spiritalis niederzumetzeln, weil er sich bis zum Äußersten bemühe, „sie körperlich durch Folterungen hinzurichten oder geistig durch die Absage vom Glauben in der Seele zu töten“ Nicht zufällig gibt Hrabanus an dieser Stelle eine etymologische Deutung des Namens Antiochus Er stehe für das „Schweigen der Armut“, womit Hrabanus die Armut an Tugendhaftigkeit meint Insofern definiert Hrabanus den Antiochus spiritalis hier deutlicher als zuvor als Typus jener Menschen, die aufgrund ihrer Armut an Tugend jene tugendhaften Mitmenschen verfolgen, die sich durch das auszeichnen, was sie selbst nicht besitzen Vergleichbar mit jenen, die den hingerichteten makkabäischen Müttern ihre Söhne als Zeichen ihres Vergehens um den Hals hängten, scheuten sich diese Menschen nicht, die anders als sie selbst „an Bosheit armen und im Geiste bescheidenen wegen ihres Glaubensbekenntnisses zu töten“, vor allem aber auch die praedicatores wegen ihres Einsatzes für die christliche Glaubenslehre anzugreifen49 An dieser Stelle nun wird in der Makkabäererzählung die Standhaftigkeit der Mütter auf das gesamte Volk Israel projiziert, denn nach Aussage des Textes weigerte sich ein Großteil der Juden selbst angesichts solcher Grausamkeiten, die Speisevorschriften zu brechen (1 Makk 1,61–64) Dies bietet Hrabanus die Möglichkeit, abschließend noch einmal auf die historische Vorreiterrolle der „Heiligen

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penitus extinguant. […]Jubent aedificari aras, et templa, et idola, quia mentes fidelium malignorum spirituum cupiunt efficere vasa; immolari carnes suillas et pecora communia, hoc est immundam ducere vitam, et brutorum animalium more in luxuria atque concupiscentiis carnis conversari; relinquere filios suos incircumcisos, hoc est nulla custodia, nulla continentia, nullaque discretione cogitationes, sermones atque opera temperare, […]. Zu den Begriff concordia und discordia in diesem Zusammenhang auch De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), 225 Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm  3), 1139–1140: Sed juxta allegoricum, quid per mulieres quae circumcidebant filios suos, nisi honestae fidelium personae monstrantur, qui actus suos et sermones atque cogitatus summa discretione circumspicientes, quidquid in eis superfluum reperiunt, gladio spiritus amputare festinant: haec spiritalis Antiochus trucidare desiderat, quia aut corporaliter eas per tormenta ferire, aut spiritaliter per abnegationem in anima necare decertat. Interpretatur Antiochus paupertatis silentium, et merito hoc nomine censetur, qui expers spiritalis scientiae et inops sacrarum virtutum, hoc quod ipse minime in se habet, per invidentiam in aliis persequitur. […] Quia illos, qui non sensu sed malitia sunt parvuli et humiles spiritu, propter confessionem fidei interimere non tardant. […], quia praedicatores sanctos, qui cultro pietatis ac verbo evangelicae doctrinae subditos suos coercentes castigant, maxime persecutionum molestiis infestant.

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Gottes“, d h der christlichen Märtyrer zu verweisen, die „keine Verfolgung und keine Anfechtung […] dem Glauben an Christus entreißen konnte […] Sie wählten vielmehr, für den Namen Christi zu sterben, als dem Unglauben zuzustimmen “50 So wie der Tod der Mütter das übrige Volk der Juden zur Standhaftigkeit verpflichtete, so bestand auch zwischen den christlichen Märtyrern und den nachfolgenden Gläubigen für Hrabanus ein Band der Verpflichtung Dass für Hrabanus hinter dieser Parallelisierung die Idee einer universalen, überzeitlichen Gemeinschaft stand, die hier auf den Aspekt der gegenseitigen Opferbereitschaft im Sinne christlicher Caritas zugespitzt wird, zeigt in aller Deutlichkeit der abschließende Verweis auf Röm 8, wo Paulus die im Geiste Christi fußende Gemeinschaft der Christen beschreibt, die „weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur […] von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist“, trennen könne Wie bereits gesehen, wurde diese heilsgeschichtlich begründete Verbindung zwischen Exemplum und Gemeinschaft in der Ausdeutung von 2 Makk 6 auf die Formel Eleasar significat populum Christianum zugespitzt Im gleichen Sinne nutzte Hrabanus Maurus auch die Erzählung vom Martyrium der makkabäischen Mutter und ihrer sieben Söhne in 2 Makk 7, die in gedanklicher Verbindung zur Schlusspassage von 1 Makk 1 stand, da auch die Mutter und ihre sieben Söhne den Glaubenstod starben, weil sie sich weigerten, die jüdischen Speisevorschriften zu brechen51 Auch hier dient die Teilerzählung der Verdichtung zentraler Inhalte des Gesamtkommentars Allerdings räumt Hrabanus ihrer Ausdeutung ungleich mehr Platz ein Damit reagierte er vermutlich auch auf die etablierte kultische Bedeutung der makkabäischen Mutter und ihrer Söhne Im Vergleich zum Gesamttext fällt allerdings die argumentative Vorgehensweise Hrabanus aus dem Rahmen, denn das Kapitel besteht letztlich aus zwei langen Exzerpten, denen er eine Einleitung voranstellte und die er durch eine Überleitung miteinander verknüpfte Es handelt sich um eine Passage aus dem Buch des Propheten Jesaja (Jes 54,1–8 und 11–14) sowie Auszüge aus dem Brieftraktat Ad Fortunatum des Cyprian von Karthago (um 200/210 bis 258) Mit dem zweiten Exzerpt griff Hrabanus auf einen der beiden zentralen Texte zurück, mit dem die Makkabäer-Erzählung im Kontext der Christenverfolgung aktualisiert wurde, da Cyprian von Karthago sie als einer der ersten als altestamentarische Präfigurationen der christlichen Märtyrer beschrieb52

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Ebd 1140: Nulla persecutio nullaque tribulatio sanctos Dei qui praedestinati sunt et vocitati secundum praescientiam Dei patris,  a fide Christi unquam evellere potuit. […] magis eligebant pro nomine Christi mori quam consentire impietati. Vgl hierzu auch Joslyn-Siemiatkoski, Christian Memories (wie Anm  1), 82–86 Cyprian von Karthago, Epistolae (Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum 3), ed Wilhelm Hartel, Wien 1869, 337–342 und Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm   3), 1237–1239 Vgl dazu zusammenfassend Joslyn-Siemiatkoski, Christian Memories (wie Anm  1), 25–27

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Da der Kommentarteil zu 2 Makk 7 folglich zu einem Großteil keine Eigenleistung darstellte, sondern im Falle des Cyprian’schen Textes auf eine etablierte Deutungstradition der makkabäischen Mutter und ihrer Söhne zurückgriff, kommt den Passagen von Hrabanus’ Hand umso größere Bedeutung zu, da sie deutlich machen, worauf er seinen Blick bei der Interpretation von Jesaja und Cyprian richtete Es ist nicht verwunderlich, dass Hrabanus Maurus vor allem den von Cyprian mit begründeten Gedanken der Präfiguration aufnimmt, zumal dieser bereits zu Beginn des Kommentars ins Spiel gebracht worden war Allerdings bot die Auslegung von 2 Makk 7 die Gelegenheit, diesen Gedanken vom für Cyprian noch entscheidenden Kontext der historischen Christenverfolgung erneut zu lösen und auf die Mutter und ihre Söhne als universale Exempla der Christen zuzuspitzen In diesem Sinne interpretiert Hrabanus wie Cyprian die Mutter der makkabäischen Brüder als Bild der universalen Kirche, deutet die Söhne aber als Sinnbilder der Gaben des Heiligen Geistes: „Wer wird durch diese Mutter von sieben Söhnen benannt, wenn nicht die Fruchtbarkeit der Mutter Kirche, die durch den siebenfaltigen Geist Söhne gebiert, die von Gott angenommen werden?“ Wie zuvor im Kommentar zu 1 Makk 1 griff Hrabanus an dieser Stelle auf den Brief des Paulus an die Römer zurück, näherhin auf Röm 12,6–8, d h eine der zentralen Stellen des Neuen Testaments zu den Gaben des Heiligen Geistes Durch diese gedankliche Verbindung wurden die Mutter und ihre Söhne als Exempla insofern universalisiert, als sie für Hrabanus auf durch göttliche Gnade zugeteilte Gaben und Eigenschaften der Christen standen, zugleich aber auch auf die Integration der Vielfalt dieser Gaben und der Menschen als deren Träger in der mater ecclesiae verwiesen Dabei macht Hrabanus implizit deutlich, dass die Gaben die nötige Kraft spendeten, um wie die Mutter und ihre Söhne Blasphemie und Anfechtung durch Antiochus als Typus des Antichristen zu widerstehen53 Die Frage des Verhältnisses von Einheit und Vielfalt in der ecclesia entwickelt Hrabanus in der Überleitung zwischen dem Jesaja- und dem Cyprianzitat weiter, indem er die heilsgeschichtliche Dimension seiner Überlegungen betont Der Glaubenstod der Mutter nach den Söhnen verweist für ihn auf die Tatsache, dass, „nachdem die einzelnen Söhne der Kirche Siege über die Feinde errungen haben, sie mit unbeschwerten Seelen in den ewigen Frieden eintreten werden“ Am Ende dieses Prozesses steht für Hrabanus die Vollendung der Kirche als „Mutter aller Gläubigen“ (mater omium fidelium), die „das Siegeszeichen des Triumphs über alle ihre Feinde ergreifend ewige Herrschaft besitzen wird“54

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Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm   3), 1236: Quid per hanc matrem septem filiorum, nisi matris Ecclesiae fecunditas, quae per septiformis Spiritus gratiam adoptivos Deo Patri filios generat, designetur? Quos Antiochi typici, hoc est Antichristi, atrocitas, […] ad blasphemiam tamen […] nequaquam petrahere valet. 54 Ebd 1236–1237: Quod autem post filios et mater consumpta est, demonstrat quod post triumphos singulorum filiorum Ecclesiae quibus hostes vincentes, liberis animabus requiem intrabunt aeternam. Novissime ipsa mater fidelium omnium in fine mundi consummabitur, et tropaeum gloriae de omnibus inimicis suis capiens regnum possidebit.

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In diesem heilsgeschichtlich weit gefassten Rahmen waren somit die Siege der Söhne der Kirche, die durch die Martyrien der makkabäischen Brüder als Exempla vorweggenommen wurden, auf die Gemeinschaft der Gläubigen zu beziehen Jeder erfolgreiche Kampf des Gläubigen gegen die Anfechtung durch den Antichristen leistet aus Hrabanus Sicht einen Beitrag zur Einheit und zum Triumph der Mutter Kirche am Ende der Zeiten Vor allem bezogen auf die bereits im irdisch-aktuellen Kontext relevante Einheit und Vielfalt der ecclesia korrelierten Hrabanus’ Überlegungen mit der von Cyprian vorgeschlagenen, biblisch begründeten Deutung der sieben Brüder als Sinnbilder der an verschiedenen Stellen des Alten und Neuen Testaments genannten sieben Kirchen, die auf die eine, „auf dem Steine Gottes gebaute“ Mutter Kirche als origo et radix zurückgehen55 Die überzeitlichen Relationen zwischen heilsgeschichtlicher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die hier mit der Exegese des Exemplums der makkabäischen Mutter und ihrer Söhne verknüpft wurden, kommen bei Hrabanus letztlich in der Textstruktur zum Ausdruck, da das Jesaja-Exzerpt, in dem die Fruchtbarkeit Jerusalems als Sinnbild der Kirche und die Liebe Gottes zugesichert wurde, das Cyprian-Exzerpt und die analytische Verknüpfung durch Hrabanus verschiedenen, aber aufeinander bezogenen Zeitstufen der Heilsgeschichte entsprachen Insofern wird auch hier deutlich, dass sich Hrabanus offenbar nicht primär für die im Makkabäer-Narrativ beispielhaft vorgeführte Gesetztreue und Standhaftigkeit im Glauben interessierte Dies waren ohnehin zentrale Elemente einer Deutung des Martyriums als universales Handlungsmodell Entscheidend war vielmehr, dass das Exemplum der Mutter und ihrer Söhne auf die Bedeutung der Einheit, wie sie jedem Christen als Mitglied des populus christianus aufgetragen war, als Effekt der Standhaftigkeit und Glaubenstreue verwies Wie bereits gesehen, argumentierte Hrabanus Maurus, dass die universelle Einheit der ecclesia zwangsläufig durch Einheit im Ritus zu erzielen war Allerdings wurde auch deutlich, dass Hrabanus einen Ritus-Begriff vertrat, der nicht nur die rituelle Handlung an sich berücksichtigte, sondern ebenso auf die moralische Integrität der beteiligten Personen pochte Liturgie war in diesem Sinne auch als ein Moment der rituellen Exemplifizierung und Verdichtung von Wertvorstellungen zu verstehen, der diese moralische Integrität sicherstellen sollte Hrabanus Maurus hat diesen Zusammenhang in seinem Kommentar zu 1 Makk 1 deutlich herausgearbeitet Insofern stellt sich die Frage, ob sich solche theologischen Inhalte in der zeitgenössischen Liturgie zum Fest der Makkabäer, also einem wichtigen Bestandteil ihrer Memoria, deren Bedeutung im Makkabäer-Kommentar ausdrücklich betont wurde, niederschlugen Die Erinnerung an die Makkabäer wurde im Westen am 1 August begangen Entsprechende Formulare für Heiligenmessen sind in Sakramentaren der Gelasianischen Tradition, näherhin dem Sakramentar von Gellone (um 780), dem Sakramentar von Angoulême (Ende 8 /Anfang 9 Jahrhundert) sowie dem sogenannten 55

Cyprian von Karthago, Epistolae (wie Anm  51), 340 und Hrabanus, Commentaria in Libros Machabaeorum (wie Anm  3), 1238: Quae ecclesias septem postmodum peprit, ipsa prima et una super petram Domini voce fundata.

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Prager Sakramentar überliefert Sie verweisen allerdings alle drei eher in reduzierter, inhaltlich wenig aussagekräftiger Form auf die Makkabäer-Erzählung56 Dem gegenüber finden sich weitaus deutlichere Bezüge in dem zur ambrosianischen Tradition gehörenden Sakramentar von Biasca aus dem 9 Jahrhundert Es beinhaltet ein Messformular, das das Fest der Makkabäer mit dem Fest zu Ehren des Kirchenvaters Eusebius von Caesarea verbindet Vor allem die Präfation, d h das Dankesgebet vor dem Kanon, bezieht sich detailliert auf die historischen und theologischen Inhalte von 2 Makk 7 Dort heißt es: „Wir wollen zur Ehre Deines Namens, Herr, durch das jährliche Fest Deiner Heiligen Märtyrer der Makkabäer, wie auch zur Geburt der Söhne und zur Passio der Brüder, die die ruhmreiche Mutter aus ihrem Leib und Geist geboren hat, in aller Ehrerbietung zeigen, dass sie diese aus dem Fleisch der Welt gebar und dieselben dem allmächtigen Gott durch den Geist der Fruchtbarkeit zum Ruhm gebar: Denn die fleischlich zur Welt kamen, um zu sterben, starben geistig für das ewige Leben: Die Zunge wurde ihnen herausgerissen Messer entfernten die Häupter: Aber die ruhmreichsten Jünglinge erlitten inmitten dieser Qualen keinen Schmerz, durch den sie doch grausam bestraft werden sollten, sondern lobten, wodurch sie ruhmreich getötet wurden, damit sie sich gegenseitig Trost und Beispiel seien Dann folgte ihnen die Mutter, die sich an dem Blut und an der Treue erfreute, selbst nach Nicht, dass sie die letzte sein sollte, sondern dass die Frucht ihres Leibes Gott überlassen und ihr ein sicherer Pfand sei Dies alles soll in Jubel verkündet werden, da am Tag ihrer Passion der Zeuge des Glaubens und Bekenner der Wahrheit Eusebius aus dieser Welt zur ewigen Heimstatt ging: Der am Tag, an dem die Märtyrer der alten Lehrmeister starben, ebenfalls als Vorkämpfer des Neuen Testaments aufgenommen wurden: Jene starben, indem sie den Geboten des jüdischen Gesetzes dienten, dieser entschlief, da er die Einheit der unteilbaren Dreieinigkeit aussäte “57

Die Präfation ruft im ersten Teil zentrale Elemente des Martyriums der makkabäischen Brüder und ihrer Mutter in Erinnerung: das grausame, standhaft erduldete Martyrium als Bedingung für die geistige Auferstehung, die gegenseitige Unter56

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Der liturgiegeschichtlichen Bedeutung der Makkabäer in östlichen wie westlichen christlichen Traditionen in Spätantike und Mittelalter widmet sich Gerard Rouwhorst, The Cult of the Seven Maccabean Brothers and Their Mother in Christian Tradition, in: Saints and Role Models in Judaism and Christianity, hg v Marcel Poorthuis u Joshua Schwartz, Leiden/ Boston 2004, 183–204, hier besonders 195–198 (dort auch die Angaben der Sakramentare) Corpus Ambrosiano Liturgicum, Bd  II: Das Ambrosianische Sakramentar von Biasca Die Handschrift Mailand Ambrosiana A 24 bis inf , 1 Teil: Text (Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 51), ed Odilo Heiming, Münster 1969, 140: Nos in honore nominis tui domine. sanctorum martyrum tuorum Machabeorum. annua festiuitate cum omni admiratione praeferre: Natiuitate fratres. passione germanos. quos gloriosa mater. utero concepit et mente. Ut quos secundum carnem genuerat mundo. eosdem omnipotenti deo spiritu fecunditatis generaret ad gloriam: Nam qui nati fuerant carnaliter ad mortem. reliose moriebantur ad uitam: Absciduntur lingue. cutes capitum auferuntur: Et inter haec gloriosissimi iuuenes non dolebant. quo crudelius punirentur. sed exultabant. quo gloriosius interirent. ut inuicem sibi essent et solacium et exemplum: Post quos omnes et ipsa exultans sanguinis mater [et] fidei nouissime subsecuta est: Non ut ultima esset. sed ut fructus uentris sui permitteret deo. et pignora sua secura sequeretur: Quid illud quantaque exultatione dicendum est. quod passionis ipsorum die. [de hoc mundo] profectus est aeternam sedem. testis fidei et ueritatis confessor Eusebius: Qui etiam die quo passi sunt martyres ueterum preceptorum. eodem die noui testamenti propugnator assumptus est: Illi discesserunt Iudaice legis mandata seruantes. hic requieuit inseparabilis trinitatis asserens unitatem (obige Übersetzung G B).

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stützung der Brüder, das Opfer der Mutter ihrer Kinder und die damit verbundene Aufforderung an die Söhne zur Standhaftigkeit im Martyrium, schließlich das Maryrium der Mutter selbst in der Gewissheit, mit ihren Kindern bei Gott wieder vereint zu sein Eine explizite Deutung der Mutter als Sinnbild der ecclesia findet sich hier nicht Allerdings zeigt die Wortwahl einige Affinitäten zu Hrabanus Maurus’ Deutung, wenn der liturgische Text etwa die Söhne nicht nur als körperliche sondern auch als geistige Früchte der fecunditas der Mutter deutet Ohne einen direkten Zusammenhang postulieren zu wollen, zeigen sich hier doch Anknüpfungspunkte zur Deutung der Söhne als Gaben des Heiligen Geistes, die aus der mater ecclesiae hervorgingen Aufgrund der zusammenfallenden Festtage etabliert der zweite Teil  der Präfation eine Verbindung zwischen der Erinnerung an das Martyrium der makkabäischen Brüder und ihrer Mutter und dem Tod des Kirchenvaters Eusebius von Caesarea im Sinne einer heilsgeschichtlichen Verknüpfung von jüdischer und christlicher Geschichte, wie sie auch Hrabanus Maurus anstrebte Die Treue gegenüber den mosaischen Gesetzen wird mit dem exemplarischen Wirken Eusebius’ für die Glaubensinhalte des Christentums gleichgesetzt Wie bei Hrabanus Maurus wird also eine Verbindung zwischen jüdischer und christlicher historia im Sinne einer Präfiguration hergestellt, an der die Gläubigen durch die Liturgie erinnernd teilnahmen Eusebius von Caesarius wird dabei als testis fidei und confessor veritatis den jüdischen Märtyrern gleichgestellt Wie bereits betont wurde, ist ein direkter Zusammenhang zwischen dem Sakramentar von Biasca und Hrabanus Maurus’ Makkabäerkommentar unwahrscheinlich Die Präfation führt allerdings vor Augen, dass Hrabanus Maurus die Makkabäer in der ersten Hälfte des 9 Jahrhunderts keineswegs neu entdeckte Sein Kommentar stützte sich vielmehr auf eine im Kontext der Christenverfolgung entwickelte Deutung der Makkabäer als Präfigurationen der christlichen Märtyrer Hrabanus scheute sich nicht in seinem Kommentar zu 2 Makk 7 Cyprian von Karthago als einen der Exponenten dieser Deutungstradition zu nennen Auf dieser Grundlage wurden die Makkabäer etwa in der frühmittelalterlichen Liturgie neben die hinsichtlich ihrer Bedeutung als Exempla für die Gläubigen so wichtigen christlichen Märtyrer gestellt Auch Hrabanus Maurus beschrieb die Makkabäer hierauf aufbauend als beispielhafte Heilige Gottes In einem pastoralen Sinne wurde dadurch die Bedeutung der makkabäischen Märtyrer als Handlungsmodelle für den populus christianus im Sinne von Deutungsangeboten für die Gegenwart zusätzlich gestärkt Durch die deutlichen Bezüge zu etablierten Martyriumskonzeptionen jenseits der Zeit der Christenverfolgung wurde der exegetische Kommentar gleichsam hagiographisch aufgeladen Neu war der bewusste Blick auf den Gesamttext der beiden Makkabäerbücher Durch seinen Kommentar verwies Hrabanus Maurus auf ein biblisches Narrativ, das die Treue gegenüber Gottes Gesetz im Sinne der Glaubenszeugenschaft als kollektive Leistung eines ganzen Volkes darstellte Die exempelhaften, quasihagiographischen Teilerzählungen zu den Martyrien des Eleasar und der makkabäischen Mutter und ihrer Söhne schärften diesen Fokus auf den populus der standhaften Gläubigen, da dort nicht die makkabäischen Heerführer, sondern das

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exemplarische Handeln ihrer „Untergebenen“ in den Blick genommen wurde Die Deutung dieser Einzelfiguren als Präfigurationen und Sinnbilder des populus christianus bzw der mater ecclesiae und ihrer Söhne verdichtete den Grundgedanken (oder zumindest einen der Grundgedanken) des Kommentars, dass das Martyrium im Zeitkontext im Sinne der Makkabäererzählung als Modell kollektiver Glaubenszeugenschaft gedeutet werden konnte Im karolingischen Kontext wurde der reine, unverfälschte Glaube des einzelnen, der den Anfechtungen durch den Antichrist standhalten sollte, zur Garantie der Sicherheit aller Die Deutung des Martyriums als überzeitliches Modell kollektiver Heiligkeit hatte somit die Funktion einer ideologischen Grundlage für die Stabilität der ecclesia Wenn nun im karolingischen Kontext Hrabanus Maurus folgend die ecclesia als imperium zu deuten war, dann stand hinter einer solchen Aktualisierung des Martyriums auch die Idee der Stabilisierung der politischen und gesellschaftlichen Ordnung auf der Grundlage eines universalen Heiligkeitsmodells Das pastorale Anliegen des Kommentars wurde damit zur politischen Botschaft erweitert Vor dem Hintergrund der Makkabäererzählung waren diese Ziele in der Tat vor allem durch die Einheit im Ritus bzw Kultus zu erzielen, da in der Liturgie religiös-moralische Kohäsion öffentlich zum Ausdruck gebracht werden konnte Allerdings wurde auch deutlich, dass Hrabanus den Bereich des Ritus ebenso mit der Verpflichtung aller gegenüber universalen Wertvorstellungen verband Insofern war die Einheit im Gebet als Ausdruck der Verinnerlichung solcher Wertvorstellungen auch ein Beleg für soziale Kohäsion58 Mit der Makkabäererzählung konnte dabei auch die Kehrseite der Medaille gefasst werden: Kollektive Untreue und Schuld gegenüber Gott waren zentrale Motive der Makkabäerbücher So wie ein Teil des jüdischen Volkes vom Glauben abfiel, so wurde die Einheit im aktuellen Kontext durch Häretiker gestört Solche Spannungen konnten durch das biblische Narrativ zugespitzt und zugleich verschlüsselt dargestellt werden59 Hrabanus Maurus hat die Makkabäererzählung durch seinen Kommentar zum ideellen Spiegel des populus christianus in seiner Zeit geformt Dem Begriff des populus stellte er dabei den Terminus der gentes zur Seite Bereits Rufinus’ Übersetzung und Stilisierung des Berichts zum Glaubenstod der Märtyrer von Lyon und Vienne im Jahre 177 in der Kirchengeschichte Eusebius’ von Caesarea hatte die Einwohner der Stadt Lyon, die cives, in den populus der Christen und den furor gentium aufgeteilt60 Wenn es um die historische Betrachtung der Christenverfolgung ging, dann fiel eine solche Gegenüberstellung der Begriffe populus und gentes relativ leicht In Hrabanus’ Zeit aber wurde durch die Begriffe populus (christianus) und gens ein zweifacher semantischer Bezug zum Begriff des ‚Volks‘ 58 59

So bereits De Jong, Empire as ecclesia (wie Anm  10), 222 Mayke De Jong verweist konkret auf den Konflikt zwischen Hrabanus Maurus und Gottschalk als einen möglichen realen Hintergrund des Kommentars, so ebd 221–222 60 Eusebius Werke, Bd   2: Die Kirchengeschichite, Erster Teil: Die Bücher I bis V (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte), ed Eduard Schwartz, Die lateinische Übersetzung des Rufinus, bearb v Theodor Mommsen, Leipzig 1903, 403 und 405

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Gordon Blennemann

hergestellt61 In diesem Sinne verwendete auch Hrabanus im Makkabäer-Kommentar beide Termini als komplementäre Begriffe, ohne dass dies hier näher erläutert werden könnte Es scheint, dass Hrabanus Maurus dabei bestrebt war, die beiden Begriffe auf der Grundlage der biblischen Erzählung gleichsam als metonymische Verweise auf parallele politische Realitäten und Ordnungsprinzipien der Vielfalt (gentes) und Einheit (populus) in den karolingischen regna zu definieren Wenn es um die Integration eroberter Gebiete oder die Konversion nicht-christlicher gentes ging, dann konnten mit den beiden Begriffen Entwicklungen beschrieben werden, deren Komplexität zumindest in der sprachlichen Form durch die Bildung eines Begriffspaars wie populus gentium reduziert wurde, wobei dahinter letztlich das heilsgeschichtlich begründete Ideal der Einheit im populus christianus stand62 Auch in dieser Perspektive war der Makkabäer-Kommentar ein gesellschaftstheoretischer Spiegel seiner Zeit

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Walter Pohl, Regnum und gens, in: Der frühmittelalterliche Staat Europäische Perspektiven (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), hg v dems , Wien 2009, 435–450, hier 448 Mayke De Jong, The state of the church: ecclesia and early medieval State formation, in: Der frühmittelalterliche Staat (wie Anm  61), 241–254, hier besonders 252 sowie dies , „Ecclesia“ and the early medieval polity, in: Staat im frühen Mittelalter (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), hg v Stuart Airlie, Walter Pohl u Helmut Reimitz, Wien 2006, 113–126 zur Harmonisierung von Gens, Populus und Ecclesia

III BILD UND PERFORMANZ

DIE MARTYRIEN DER HEILIGEN WENZEL, SIGISMUND UND LUDMILLA ALS ZENTRALES SUJET IN DEN BILDKÜNSTEN DES HOHEN UND SPÄTEN MITTELALTERS Marco Bogade

Die mit der Herrschaft Kaiser Karls IV (1316–1378) als böhmischer König und römischer Kaiser einhergehende Propagierung der heiligen Wenzel, Ludmilla, Sigismund, Adalbert, Veit und Prokop als Patrone des Königreichs Böhmen etablierte die Genannten ab der zweiten Hälfte des 14 Jahrhunderts auch zum zentralen Thema im Kunstschaffen1 Ikonographisch, ikonologisch und/oder hagiographisch lässt sich ein engerer Kreis um Wenzel, Ludmilla und Sigismund ziehen, deren Martyriumsikonographie in diesem Kontext betrachtet werden soll Einzeldarstellungen des heiligen Wenzeslaus sind nicht unmittelbar in einen szenischen oder narrativen Kontext eingebunden und greifen auf den ikonographischen Bildtypus des thronenden Herrschers zurück, wie er gerade aus ottonischer Zeit in zahlreichen Überlieferungen vorliegt Die Tradition setzt dabei mit einer Initialminiatur im sogenannten Codex Vyssegradensis der Prager Nationalbibliothek (Ende 11 Jahrhundert, Praha, Národní knihovna České republiky, XIV A 13)2 ein, bei der der als S[ANCTVS] VENZEZLAVVS DVX bezeichnete Heilige auf fol 68r als thronender, von der Hand Gottes gesegneter Fürst inszeniert wird Er sitzt dabei auf einem zoomorphen Thron frontal zum Betrachter gerichtet und hält eine Lanze in der Hand Eine rechteckige rote Kopfbedeckung mit Löwentatzen umfängt sei-

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Einführend zur Ikonographie: Marco Bogade, Heilige im Kulturnetzwerk der Böhmischen Kronländer im Mittelalter Vermittlungswege und Ikonographie, Berichte und Forschungen Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 17 (2009), 7–38 Zur Kulturgeschichte der böhmischen Landespatrone vgl zuletzt: Die Landespatrone der böhmischen Länder Geschichte – Verehrung – Gegenwart, hg v Stefan Samerski, Paderborn u a 2009 Vgl zuletzt Anežka Merhautová / Pavel Spunar, Kodex vyšehradský Korunovační evangelistář prvního českého krále [Der Vyšehrad-Kodex Krönungsevangelistar des ersten böhmischen Königs], Praha 2006 Zur Ikonographie des heiligen Wenzel zuletzt: Jan Royt, Ikonografie svatého Václava ve středověku [Die Ikonographie des heiligen Wenzel im Mittelalter], in: Svátý Václav Na památku 1100 výročí narození knížete Václava Svatého [Der Heilige Wenzel Zur Erinnerung an den 1100 Geburtstag des heiligen Fürsten Wenzel], hg v Petr Kubín, Praha 2010, 301–3327 sowie Aleš Mudra, Královské atributy ve středověké ikonografii svatého Václava [Königliche Attribute in der mittelalterlichen Ikonographie des heiligen Wenzel], in: ebd , 329–344

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Marco Bogade

Abb. 1: St. Wenzeslaus und St. Sigismund, 1375. Altarretabel des Brandenburger Doms. Außenseite des linken großen Flügels (Foto: Marco Bogade)

nen Kopf Der Typus des thronenden heiligen Herrschers findet sich erst wieder in Zyklen des 14 Jahrhunderts, wo er dem weitaus produktiveren Typus des stehenden und bewaffneten heiligen Herrschers zur Seite steht Bei letzterem sind Schwert, Zepter, Dolch, Lanze bzw Fahne, Schild sowie die herzogliche Bügelmütze die Hauptattribute, die in unterschiedlicher Kombination auftreten können Hierzu sei exemplarisch das Altarretabel des Brandenburger Doms von 1375 angeführt, auf dessen Rückseite in einer Reihe von Heiligen die beiden Wenzeslaus (in Rüstung, attribuiert mit Bügelkrone, Lanze mit Fahne und Wappenschild – beide mit Adler im Bild) und Sigismund vergesellschaftet werden Die Ikonographie seines Martyriums setzt ein mit der Vita des heiligen Wenzel von Bischofs Gumpold von Mantua, die in den 970er Jahren im Auftrag Kaiser Ottos II verfasst worden war und als illuminierte Abschrift in der Herzog-August-

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Bibliothek in Wolfenbüttel vorliegt3 Die Miniatur am Ende des Prologtextes auf fol 20v leitet das Martyrium ein: Wenzel nimmt dabei die „hinterhältige“ Einladung seines Bruders Boleslav (eum fraudulenter invitavit)4 zum Gastmahl an, der auf der rechten Bildhälfte zusammen mit seiner Leibwache am Tisch sitzt und seinem Bruder eine goldene Schale überreicht Der namentlich bereits als S[AN]C[TV]S VENCEZLAVS bezeichnete, jedoch unnimbierte Heilige nimmt die Schale mit seiner rechten Hand entgegen, während seine linke nach hinten auf einen Engel deutet, der segnend aus einer Wolkenformation in der linken oberen Bildecke hervortritt Der eigentliche Legendentext beginnt in der Wolfenbütteler Handschrift im unteren Teil einer zweigeteilten Miniatur auf fol 21r mit den Worten INCIPIT PASSIO S[AN]C[T]I VENCEZLAVI MARTYRIS . AUVLSA igitur ob insecabilis sacram[en]tu[m] trinitatis Im oberen Teil ist der Brudermord, der im Legendentext unmittelbar der Gastmahlsszene folgt, in einem zweigeteilten Simultanbild dargestellt Die spätere Wenzelslegende Kaiser Karls IV beschreibt die Szene: „Und der ihn geschlagen hatte [Boleslav, Anm  M B ], wich zurück und fiel hin, machtlos gegen den Mann Gottes Aber der heilige Wenceslaus wollte willig Gott ein Opfer bringen und sein Leben für Christus lassen Er gab jenem das Schwert wieder zurück […] “5 Boleslav hält Wenzel, der seinen Weg zur Kirche fortsetzen will, fest und hebt mit seiner rechten Hand das Schwert, bereit ihn damit zu töten Stirbt Wenzel hier in engerem Sinne als Märtyrer, als Christ, um der „Verteidigung des Glaubens“ willen6? Seine Tugendhaftigkeit, sein karitatives Engagement kommen sowohl in den Legendentexten, als auch in den zyklischen Darstellungen an verschiedenen Stellen zum Tragen Dem kontrastierend wird sein Bruder Boleslav als Inbegriff des Bösen dargestellt Die Legende Crescente fide formuliert hierzu eindrucksvoll: Tunc autem frater eius iunior et peior nomine Bolezlavus diabolica fraude deceptus, cum impiis malignum inierunt consilium cantra praedictum virum beatum, ut eum perderent 7. Daneben wird vor allem auch in der 3 4

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Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod Guelf 11 2 Aug 4° Das Zitat entstammt der Wenzelslegende Crecente fide, die als literarische Grundlage für den Gumpold-Text zu verstehen ist Vgl dazu Josef Pekař, Die Wenzels- und Ludmila-Legenden und die Echtheit Christians, Prag 1906, 40–41; Ferdinand Seibt, Wenzelslegenden, Bohemia 23 (1982), 249–276, hier 252 Zum Legendentext selbst siehe: Passio s Uendezslavi martyris, ed Josef Elmer, in: Fontes rerum Bohemicarum (Prameny dějin českých), Bd  1, Prag 1873, 183–190, hier vor allem 188–189 Als Digitalisat online gestellt vom Zentrum für mittelalterliche Studien der Karlsuniversität in Prag unter: http://147 231 53 91/src/index php?s= v&cat=11&bookid=138&page=224 und 225 (letzter Zugriff am 16 02 2011) Die St Wenzelslegende Kaiser Karls IV Einleitung, Texte, Kommentar (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte 14), ed Anton Blaschka, Prag 1934, 72: Et cum eum percussit, abiit retro et cecidit, non habens potestatem in viro Dei. Sanctus autem Wenceslaus, optans voluntarie offerre sacrificium Deo, et ponere animam suam pro Christo, restituit sibi gladium […] Übersetzung zitiert nach Anton Blaschka, Kaiser Karls IV Jugendleben und St -Wenzels-Legende, Weimar 1956, 120 Vgl das Zitat bei Johannes Beckmann / Amato Pietro Frutaz, Martyrer, in: Lexikon für Theologie und Kirche2 7 (1962), 127–133, hier 127 Vgl Fontes (wie Anm  4), 186

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Abb. 2: Gastmahl des hl. Wenzeslaus bei seinem Bruder Boleslav, Mitte des 14. Jahrhunderts. Wandmalereien im Chor der Kapelle des Hl. Wenzeslaus in Žďár u Blovic (Foto: Marco Bogade)

populärwissenschaftlichen Literatur zum heiligen Wenzel das Narrativ des machtgierigen Bruders Boleslav tradiert8, also ein primär politisches Motiv für den Mord, deren Beweggründe jedoch weitgehend im Dunkeln bleiben, in den Vordergrund gestellt Die Wolfenbütteler Handschrift illustriert die Wenzelsvita mit zwei Miniaturen, einschließlich eines Simultanbilds Das Sujet in narrativem Kontext ist dann erst wieder im 14 Jahrhundert überliefert und bringt in der Flächenkunst eine Reihe von umfangreichen Wenzelszyklen hervor In der Chronologie am Beginn stehen die im Jahre 1932 entdeckten und freigelegten Wandmalereien mit Szenen aus dem Leben des heiligen Wenzeslaus im Chor der Kapelle des heiligen Wenzeslaus in Žďár u Blovic südlich von Pilsen/Plzeň Sie bilden den ikonographisch außergewöhnlichsten Zyklus in der Reihe der bekannten, im 14 Jahrhundert entstandenen Zyklen in der Velislaus-Bibel, im Krumauer Bildercodex oder auch auf Burg Karlstein Die Entdeckung wurde in den 1930er Jahren von der tschechischsprachigen regionalen bzw katholischen Presse aufgegriffen, blieb von der kunsthis-

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Vgl exemplarisch Jörg K Hoensch, Geschichte Böhmens Von der slavischen Landnahme bis ins 20 Jahrhundert, München 1987, 45 Eine Untersuchung des Narrativs des „grausamen“ und „hinterhältigen“ Boleslav ist in diesem Zusammenhang als Forschungsdesiderat zu nennen

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Abb. 3: Rückgabe des Schwerts des hl. Wenzeslaus an Boleslav und Ermordung Wenzeslaus. Wandmalereien im Chor der Kapelle des Hl. Wenzeslaus in Žďár u Blovic (Foto: Marco Bogade)

torischen Forschung bis heute jedoch weitgehend unbeachtet9 Das unmittelbar vor dem Brudermord stattfindende Gastmahl verteilt sich hier auf zwei Bilder im unteren Register an der Nordseite des Chorjochs In der ersten Szene sitzen Wenzel  – ausgezeichnet durch herzogliche Mütze und Nimbus – sowie Boleslav am Tisch einander zugewandt und stehen durch ihre Gesten in kommunikativer Verbindung Die zweite Szene illustriert die Kelchübergabe von Boleslav an seinen Bruder Wenzel Die beiden anschließenden Bilder in der Reihe sind vor eine Kirche bzw vor ein Kirchenportal verortet und zeigen die Rückgabe des Schwerts an Boleslav und die Ermordung Wenzels selbst durch eine Gruppe von vier bewaffneten Mördern mit Boleslav an der Spitze Die Bilderbibel des Prager Kanonikers Velislaus aus der Zeit um 1349/1350 (Veslislaus-Bibel / Biblia picta Velislai, Praha, Národní knihovna, XXIII C 124)10 illustriert auf fol 180r–188r einen Zyklus zur Legende Crescente fide des heiligen Wenzel und seiner Großmutter Ludmilla Die jeweils auf zwei Register verteil9

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Hinweise finden sich in der tschechischsprachigen Forschung: Gotika v západních Čechách (1230–1530) [Gotik in Westböhmen (1230–1539)], Ausstellungskatalog, Bd  2, Praha 1996, Nr   20 mit Verweis auf: Jaroslav Pešina / Antonín Bartušek / Vlasta Dvořákova, Gotická nástěnna malba v zemích českých [Gotische Wandmalerei in den böhmischen Ländern], Praha 1958, 315–324 Vgl Zdeněk Uhlíř, Velislavova bible = Velislai biblia picta = Velislaus bible, Praha 2007

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ten Szenen aus dem Leben des heiligen Wenzel läuten mit dem bekannten Gastmahl auf fol 187r das Martyrium ein: am Tisch sitzend nimmt Wenzel – attribuiert mit herzoglicher roter Mütze – die Schale mit einem Segensgestus von seinem Bruder – mit herzoglicher grüner Mütze – entgegen Das ikonographische Zitat des letzten Abendmahls ist evident Auf fol 187v folgt im oberen Register die Übergabe des Schwerts von Wenzel an Boleslav vor dem Kirchenportal in Altbunzlau/ Stará Boleslav Die anschließende Tötung wird – im Unterschied zur Wolfenbütteler Handschrift – von einer Gruppe von Gerüsteten vollzogen, unter denen Boleslav selbst nicht zu finden ist Der Zyklus endet schließlich auf fol 188r mit der Beweinung und Anbetung des in einem Sarkophag aufgebahrten Heiligen Im Rahmen des sogenannten Krumauer Bilderkodex oder Liber depictus (um 1360, Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod Vindob 370)11, der neben einer Biblia pauperum und zahlreichen durch Bildüberschriften erläuterten Heiligenlegenden eben auch einen Wenzelzyklus enthält, nimmt das bekannte Gastmahl mit der Überreichung der Schale (mit der Bildüberschrift hic s[anc]t[u]s we[ncezlaus] e[t] boleszlaus comedu[n]t simul, fol 37v), Wenzels Gebet vor der Kirche in Altbunzlau (hic s[anc]t[u]s we[nceslaus] geniculat in limine eccl[esi]e, fol 38r), dem Brudermord und Tod Wenzels in einem Simultanbild (hic boleszlaus percutit in verticem f[ra]tre[m] suu[m] s[anc]t[u]m we[ncezlaum] und hic s[anc]t[u]s we[ncezlaus] expiravit in limine ecc[lesi]e, fol 37v) nur eine narrative Zwischenstelle ein, an die sich die Translation seines Leichnams nach Prag (fol 40v–42r) und seine beginnende Verehrung anschließen: Der Leichnam des Heiligen wird aus dem Grab genommen, von Priestern auf einem Wagen nach Prag transportiert, begleitet und unterstützt von Engeln Bereits auf dem Weg dorthin knien Menschen nieder, um ihn zu verehren (hic cadu[n]t sup[er] facies suas adorantes corp[us] s[anc]ti we[ncezlai], fol 41v) In Prag angekommen wird Wenzel in die Kirche des heiligen Veit gebracht (hic corp[us] s[anc]ti we[ncezlai] portat[ur] ad ecc[lesi]am s[anc]ti viti, fol 42v), wo dieser Wunder wirkt Als Appendix ist die von Kaiser Karl IV verfasste hystoria nova de sancto wenceslao martyre duce bohemorum dem Liber Viaticus des Bischofs Johann von Neumarkt (um 1360, Praha, Knihovna Národního muzea, XIII A 12)12 angefügt Wenzel selbst ist darin in zwei Miniaturen zu finden In der szenischen Initialminiatur auf fol 313r kniet der Heilige vor einem Kirchenraum und reicht mit einer Hand seinem Bruder das Schwert Die beiden Assistenzfiguren auf der linken Seite stechen mit ihren Lanzen in seine Seite um ihn zu töten Die Lanzenstiche in den Körper des Heiligen – in der Velislav-Bibel von drei Soldaten, im Liber Viaticus von zwei Assistenzfiguren ausgeführt – stehen der Ikonographie der Passion Christi nahe Der Evangelist Johannes schreibt, wie ein Sol11 12

Siehe das kommentierte Faksimile: Krumauer Bildercodex Österreichische Nationalbibliothek Codex 370 Einführung von Gerhard Schmidt, Graz 1967 Zur Handschrift siehe: Pavel Brodský, Katalog iluminovaných rukopisů Knihovny Národního Muzea v Praze [Katalog der illuminierten Handschriften in der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag], Praha 2000, 158–163 mit ausführlicher Bibliografie Siehe auch das Faksimile bei: www manuscriptorium com (letzter Zugriff am 29 April 2011)

Die Martyrien der heiligen Wenzel, Sigismund und Ludmilla

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dat die Seite Jesu öffnet, um sich von seinem Tod zu überzeugen (Joh 19,34) Weitere ikonographische Paare sind das Gastmahl Boleslavs und das Abendmahl Jesu mit einer Kelchanalogie; die Aufbahrung Wenzels in der Velislav-Bibel zitiert die Grablegung Jesu Bernd Mohnhaupt plädiert in seinem Aufsatz über den Zyklus des heiligen Adalbert am Gnesener Dom für eine Erweiterung des Typologiebegriffs13, so dass man in den genannten Motiven eine Postfiguration der Passion Christi sehen kann Eine diesbezügliche systematische Untersuchung sowohl der Bild- als auch der Textquellen steht noch aus Typologische Elemente verbinden auch die eingangs gezeigte Miniatur im Codex Vyssegradensis mit der zweiten Miniatur im Liber Viaticus, die auf fol 268v auf den repräsentativen Typus des stehenden heiligen Herrschers zurückgreift Das Rankenornament links vom Text, das sich nach unten hin in einen Drachenkörper verwandelt und in einem Löwenkopf endet, der in den Nimbus des Heiligen zu beißen scheint, kann als ein typologisches Motiv interpretiert werden: Den Tod des Heiligen beschreibt Karl IV in seiner Legende wie folgt: „Jener [Boleslav] aber überbot die arge Bosheit mit der ärgsten Bosheit und stürzte sich wie ein lauernder Bär aus der Höhle samt seiner Spießgesellen erneut auf ihn, und lüstern wie eine Viper, ihn blutig zu zerfleischen, richtete er mitsamt seiner Spießgesellen erneut sein Schwert gegen seinen eigenen Bruder, und so gaben sie ihm den Todesstoß und ließen seine Seele Gott, seinen Leib der Erde “14

Der Kaiser lehnt sich hier an den Wortlaut einer Stelle aus den alttestamenta rischen Klageliedern an, die den Zorn Gottes über den Menschen beschreiben Dort heißt es: „Er war mir wie ein lauernder Bär, ein Löwe im Versteck Er zerrte mich vom Weg, ließ mich regungslos liegen und zerfleischte mich“ (Klgl 3,10–11) Sind die Worte Karls IV ursus insidians als alttestamentarisches Zitat der Stelle ursus insidians factus est mihi leo in absconditis im Sinne der Typologie, die Miniatur selbst als Allegorie auf den Märtyrertod des Heiligen zu verstehen? Kann man in dieser Hinsicht vielleicht auch die ungewöhnliche Kopfbedeckung Wenzels im Thronbild des Codex Vyssegradensis interpretieren, bei der Löwentatzen auf den Schultern des Heiligen zum Liegen kommen? Bereits Anton Blaschka, der sich ausführlich mit der Biografie und der Wenzelslegende Kaiser Karls IV befasst hat, stellte fest, das Martyrium Wenzel sei in „[…] das Wortgewand der Christuspassion gehüllt […] Das Gastmahl wird zum Abendmahl Wenzel prophezeit bei der Michaelsminne seinen Tod für den kommenden Tag, beichtet, wohnt den Metten bei, kommuniziert in der Frühmesse und wird dann von Boleslav vor der Kirche verwun-

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Vgl Bernd Mohnhaupt, Typologisch strukturierte Heiligenzyklen Die Adalbertsvita der Gnesener Bronzetür, in: Hagiographie und Kunst Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, hg v Gottfried Kerscher, Berlin 1993, 357–368 Die St Wenzelslegende (wie Anm  5), 72: Qui accumulans peioribus pessima, sicut ursus insidians de spelunca, iterato in eum irruit cum suis complicibus, et sicut vipera carnem et sanguinem suum lacerare desiderans, in proprium Germanum gladium extendit cum suis complicibus, ita ut morte eum affligerent, animam Deo, corpus terræ relinquentes. Übersetzung zitiert nach Blaschka, Jugendleben (wie Anm  5), 120

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det “15 Mit Hinblick darauf mag es vielleicht auch nicht verwundern, dass Wenzel bei einer fast zeitgenössischen Plastik in Nürnberg (2 Hälfte 14 Jahrhundert, Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Inv 366) mit den Arma Christi attribuiert wird – in Form von drei Nägeln, die sich an der Kopfbedeckung befinden Im Unterschied zur heiligen Ludmilla, bei der das Halstuch bzw der Strick, mit dem sie ermordet worden war, auch zu ihrem Attribut wird, bleibt die Umsetzung des Wenzelsmartyriums ins Einzelbild, respektive die Adaption spezifischer Attribute, die Ausnahme Im Martyrologium aus Zwiefalten (Mitte 12 Jahrhundert, Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod Hist 2° 415) ist auf fol 63v in der unteren linken Ecke des Blattes der Brudermord illustriert Die tödliche Kopfwunde über dem linken Auge wird durch wenige rote Pinselstriche angedeutet Boleslav steht rechts von Wenzel und holt gerade zum Schwerthieb gegen ihn aus In der Reduktion der szenischen Darstellung hin zur Einzeldarstellung einen Schritt weiter geht die Initialminiatur im im sogenannten Hirsauer oder Stuttgarter Passionale (12 Jahrhundert Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, cod bibl 2° 56–58, fol 113v [Bibl Fol 56]), bei der der heilige Wenzel neben Zepter und Schwert mit der durch den Schwerthieb zugefügten Kopfwunde ausgezeichnet wird Die Aufgabe des Nimbus, der in der Darstellung fehlt, übernimmt der obere Teil der Initiale I, der hinter dem Kopf Wenzels erscheint Auch die Initialminiatur auf fol 102v im Antiphonar 52 des Krakauer Doms (um 1300–1320, Kraków, Archiwum Krakowskiej Kapituły Metropolitalnej na Wawelu, Nr  52 KP)16 steht in der Tradition von Martyriumsdarstellungen des heiligen Wenzel Mit der Initiale V beginnt die Inschrift mit den Worten Vencezlaus ad epulas (Wenzel beim Festmahl) Die Illustration greift dabei auf den Typus des heiligen Herrschers zurück Eine Untersuchung der Bild-Text-Zusammenhänge in der Handschrift ist dabei als Forschungsdesiderat zu nennen Anders als der heilige Wenzel wird Ludmilla in der Regel mit ihrem Mordinstrument attribuiert, d h mit Halstuch bzw einem Strick um den Hals dargestellt Auf diesen Typus wird dabei sowohl bei Einzeldarstellungen (Tafelbild des Meisters Theoderich auf Burg Karlstein) respektive in Vergesellschaftung mit anderen böhmischen Landesheiligen (Büstenzyklus im sogenannten Oberen Triforium des Prager Doms, Votivbild des Johann Očko von Vlašim) zurückgegriffen17 Die Vita Fuit in provincia Boemorum18 beschreibt die Konversion zum Christentum, die „reinigende“ Taufe des Herrscherpaares Ludmilla und Bořivoj zum Ausgangspunkt für die positive Landesentwicklung Böhmens (Kapitel 1 und 2), 15 16 17 18

Blaschka, Jugendleben (wie Anm  5), 102 Vgl Malarstwo gotyckie w Polsce [Gotische Malerei in Polen], 3 Bde , hg v Adam S   Labuda u Krystyna Secomska, Warszawa 2004, hier Bd  1, 421 und Bd  3, Abb 965 Zur Ikonographie der heiligen Ludmilla einführend: Friedericke Tschochner, Ludmilla von Prag, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 7 (1994), 423 Václav Chaloupecký, Prameny 10  století Legendy Kristiánovy o svatém Václavu a svaté Ludmile [Quellen des 10 Jahrhunderts Die Legenden Christians über den heiligen Wenzel und die heilige Ludmilla] (Svatováclavské sborník na památku 1000 výročí smrti knížete Václava svatého 2/2), Praha 1939, 459–481

Die Martyrien der heiligen Wenzel, Sigismund und Ludmilla

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Ludmilla selbst als „Mutter der Armen, Fuß der Lahmen, Auge der Blinden, fromme Trösterin der Witwen und Waisen“ (Kapitel 3) Die Viten Ludmillas und Wenzels sind nicht trennscharf und aufs Engste miteinander verbunden Als Großmutter und Erzieherin Wenzels, als erste christliche Regentin des Landes ist die genealogische Verbindung zu ihrem Enkelsohn natürlich evident und es verwundert nicht, dass nicht nur die Legendentexte, sondern auch zyklische Darstellungen der Heiligen zumeist in den Kontext von Wenzelserzählungen eingebettet sind Die Beziehung Wenzels zu Ludmilla wird in einem illumimierten Handschriftenfragment mit der lateinischen Fassung der sogenannte Dalimil-Chronik (Norditalien, ca 1330–1340, Národní knihovna České republiky, XII E 17)19 als sehr innig gekennzeichnet – bis hin zur Ermordung seiner Großmutter Auf fol 2v empfängt Ludmilla die von ihrer Schwiegertochter ausgesandten Mörder auf Burg Tetin/Tetín, wobei sie selbst thront und ihr Enkel Wenzel  – als „Kind“ in halber Größe – vor dem Thron steht In der folgenden Szene im unteren Register der Seite beichtet oder betet sie vor einem Priester, bevor ihre Mörder im Simultanbild in ihr Schlafgemach eindringen und die auf dem Boden kniende Heilige, die ihre Hände zum Gebet gefaltet hat, erdrosseln Ludmillas Seele – in Gestalt einer weiß gekleideten, nimbierten Halbfigur – wird von zwei Engeln mit Hilfe eines Tuchs (ihr Mordinstrument und Attribut?) emporgetragen, während ihr Enkel Wenzel schlafend in der gemeinsamen Bettstätte liegt Im bereits genannten Krumauer Kodex, tritt Ludmilla erstmals als Beschützerin Wenzels auf fol 35r mit den Worten hic s[anc]ta ludmila custodit s[anc]t[u] m we[n]cezlau[m] auf Sie trägt ein locker um den Hals geschlungenes Kopftuch und ist zudem mit einem Nimbus attribuiert Auf fol 44v macht der Zyklus einen anachronistischen Rücksprung zur Hochzeit der im Bild noch unnimbierten Ludmilla mit Bořivoj Das Anfangs heidnische Ehepaar – die beiden sind auf fol 45r bei der Anbetung eines Götzenbildes dargestellt  – lässt sich taufen Als Konvertitin zum Christentum wird Ludmilla im Folgenden auch der Nimbus als Attribut zuerkannt Aus der Ehe von Ludmillas Sohn Vratislav mit Drahomira gehen die beiden konkurrierenden Brüder Wenzel und Boleslav hervor (zur Unterscheidung von seinem Bruder erhält Wenzel auf fol 45r den Nimbus) Im weiteren Verlauf des Zyklus wird die Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit Ludmillas in den Vordergrund gestellt: Allein in vier Miniaturen wird sie in devotionaler Haltung betend vor dem Altar gezeigt (fol 45r, fol 47r und zweimal auf fol 46v), auf fol 45v wird sie darüber hinaus als Trösterin der Armen illustriert, in einer Szene auf fol 46v verteilt sie Geschenke an Arme Drahomira, Wenzels Mutter, Ludmillas (heidnische)  Schwiegertochter und ihre Gegenspielerin schickt ein Heer zur Burg Tetin/Tetín, um die Heilige zu vernichten ([…] ad p[er]dendam s[anc]tam ludmilam, fol 45v) Das Simultanbild auf fol 47v zeigt, wie die drei nachts in die Burg eingedrungenen Soldaten Ludmilla mit einen Strick um den Hals aus dem Bett auf den Boden zerren (hic s[anc]ta ludmila a tirannis trahit[ur] de lecto. hic p[ro]icit[ur] in pavame[n]etu[m]) Sie schafft es noch, aufzustehen und mit ausgebreiteten Ar19

Siehe das Digitalisat sowie die einführende Edition bei www manuscriptorium com (letzter Zugriff am 29 04 2011) Vgl auch Bogade, Heilige (wie Anm  1), hier 17–18

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men zu beten (hic s[anc]ta ludmila expa[n]sis ma[n]ib[u]s orat), bevor sie schließlich endgültig von zwei Soldaten erdrosselt wird Die am Boden liegende, tote Heilige wird von zwei hinter ihr knienden beweint; gleichzeitig helfen zwei Engel ihrer Seele (anima) bei der Himmelfahrt Ihre dem Begräbnis in der Burg Tetin anschließende Translation nach Prag wird von ihrem Enkel Wenzel initiiert (hic s[anc]t[u]s we[ncezlaus] loq[ui]t[ur] cu[m] sa[cer]dotibu[s] de tra[n]slat[i]o[n]e s[anc]te ludmille, fol 48r), wo der Leichnam öffentlich gezeigt wurde, bevor er in der Kirche des heiligen Georg auf der Prager Burg seine letzte Ruhe fand Im Treppenhaus des Großen Turms auf Burg Karlstein ist die Legende Ludmillas einem Wenzelszyklus vorangestellt, wobei der Konversion zum Christentum besonderer Raum gegeben wird: Bořivoj wird getrennt von Ludmilla in einem eigenen Bildfeld getauft Bereits während ihres letzten Abendmahls schleichen sich ihre Mörder in die Burg, um sie anschließend beim Nachtlager zu erdrosseln Die bereits angeführte Velislaus-Bibel kürzt die Legende bzw Erzählung zur heiligen Ludmilla auf zwei szenische Miniaturen innerhalb der Wenzelslegende Im unteren Register auf fol 184v schickt Drahomira zwei Männer aus, um Ludmilla auf der Burg Tetin zu ermorden Die Erdrosselung mit dem Tuch ist im anschließenden oberen Register auf fol 185r illustriert Wie beim heiligen Wenzel greift man bei der Darstellung des heiligen Sigismund auf den Typus des heiligen Herrschers zurück, der mit herrschaftlichen Insignien (Krone, Zepter, Sphaira) attribuiert wird, im Unterschied zu Wenzel in der Regel jedoch ungerüstet erscheint20 In seiner Vergesellschaftung mit dem heiligen Wenzel auf dem Brandenburger Altar, dem Votivbild des Jan Očko von Vlašim (Praha, Národní Galerie, Inv -Nr O 84) oder auf dem Mühlhausener Altar (1385 Stuttgart, Staatsgalerie, Inv -Nr 1038) ist diese ikonographische Differenzierung evident Eine Ausnahme davon stellt die als heiliger Sigismund verzeichnete Figur im Freisinger Dom aus dem frühen 16 Jahrhundert dar, bei der der Heilige mit einem auf dem Boden stehenden Schwert und Sphaira in Händen sowie einem Plattenharnisch attribuiert wird21 Als zum Katholizismus konvertierter Regent von Burgund, der Buße für seine Sünden tat, stellt man sich bei ihm, noch mehr als bei Wenzel, die Frage nach dem Märtyrertum seines vordergründig politischen Todes Sigismund erlitt im Jahre 523 eine militärische Niederlage und wurde zusammen mit Frau und zwei Söhnen bei seiner Flucht von den Franken gefangen genommen22 Die Familie wurde nach Orléans gebracht und in einen Brunnen gestürzt (Ibique […] capite deorsum […] una cum coniuge et filiis suis in puteum iactaverunt)23 Einer der wenigen Zyklen hierzu hat sich auf einem Tafelbild von Hans Wertinger

20 Vgl Christel Squarr, Sigismund von Burgund, in: Lexikon der christlichen Ikonographie 8 (1994), 349–351 21 Vgl Freising 1250 Jahre Geistliche Stadt Ausstellungskatalog, Freising 1989, 279 mit Abbildung 22 Vgl Franz Machilek, Sigismund, in: Landespatrone (wie Anm  1), 223–230, hier 225–226 23 Passio Sancti Sigismundi Regis, in: MGH Scriptores Rerum Merovingicarum, Bd   2, ed Bruno Krusch, Hannover 1888 (Nachdruck 1984), 333–340, hier 338

Die Martyrien der heiligen Wenzel, Sigismund und Ludmilla

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Abb. 4: Verurteilung des hl. Sigismund, um 1500. Holzrelief in der Kirche des hl. Sigismund in Seußling (Foto: Marco Bogade)

im Freisinger Dom (Inv -Nr F 6) aus dem späten 15 Jahrhundert erhalten24 Er beginnt, ähnlich wie bei der Ludmilla-Erzählung im Krumauer Kodex, mit der Illustration der Konversion des Heiligen zum Christentum Im Simultanbild im oberen Register wird die Anbetung eines Götzenbildes durch Sigismunds Vater Gundobald dem demütigen Gebet Sigismunds vor einem christlichen Altar gegenübergestellt Sein christlich exempelhaftes Leben zeichnet sich durch caritas und devotio aus: Im oberen Register tritt Sigismund als Almosengeber für Kranke und Bedrüftige in Erscheinung; im oberen Register und im zweiten Register von oben lässt Sigismund 24 Vgl Freising (wie Anm  21), 279–281; Friedrich Fahr / Hans Ramisch / Peter B Steiner, Diözesanmuseum Freising Christliche Kunst aus Salzburg, Bayern und Tirol 12  bis 18 Jahrhundert, München/Zürich 1984, 105–107; Gloria Ehret, Hans Wertinger: Ein Landshuter Maler an der Wende der Spätgotik zur Renaissance, München 1976, 13–17 und Kat -Nr 1

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Abb. 5: Martyrium des hl. Sigismund, um 1500. Holzrelief in der Kirche des hl. Sigismund in Seußling (Foto: Marco Bogade)

nach göttlicher Eingebung in Gestalt eines Engels das Kloster von Agaunum (SaintMaurice, Wallis, Schweiz) errichten Nach seiner Gefangennahme wird er kopfüber in den Brunnenschacht gestürzt, während seine Gemahlin gefesselt am unteren linken Bildrand sitzt und seine Kinder an den Baum am linken Bildrand gefesselt sind Die beiden spätmittelalterlichen, polychrom gefassten Holzreliefs in der Kirche St Sigismund in Seußling bei Bamberg, die sich heute an der Nordseite des Langhauses befinden und die ursprünglich wohl zum Hochaltar gehörten, lassen Sigismund und seine Familie nicht durch den Brunnen sondern durch die Schwerter des fränkischen Heeres sterben und brechen so mit der schriftlichen Überlieferung der Passio Sancti Sigismundi Regis Das linke Relief zeigt die Verurteilung des Königs und seiner Familie Der Richter sitzt dabei auf einem steinernen Thron auf der linken Seite Die ihm zugeordnete Assistenzfigur hält ein Schwert senkrecht in die Höhe Auf der

Die Martyrien der heiligen Wenzel, Sigismund und Ludmilla

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Abb. 6: Hl. Sigismund, um 1660. Figur von der Kanzel der Kirche des hl. Sigismund in Seußling (Foto: Marco Bogade)

rechten Bildseite tritt die gefesselte Familie mit König Sigismund, dessen Gemahlin und zwei Kindern vor den Thron Alle vier sind in weiße Gewänder gekleidet und tragen eine Krone auf dem Haupt Eine Gruppe von sieben Soldaten schart sich um sie Auf dem rechten Relief ist die Ermordung der Königsfamilie auf freiem Feld dargestellt Drei Männer vollziehen die Hinrichtung, zwei betrachten das Geschehen Während Sigismund und seine Gemahlin bereits mit durchschnittener Kehle am Boden liegen, werden die Thronfolger gerade auf dieselbe Weise ermordet Interessanterweise greift die barocke Ausstattung der Kirche die Tradition des Brunnentodes Sigismunds wieder auf Die barocke Kanzel aus der zweiten Hälfte des 17 Jahrhunderts zeigt an der Außenseite verschiedene Figuren, darunter auch den heiligen Sigismund, der neben einer silbernen Rüstung auch das Zepter in seiner rechte Hand und die Krone auf

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Abb. 7: Hl. Sigismund, 17. Jahrhundert. Figur von Nordwand des Kirchenschiffs von St Sigismund in Seußling (Foto: Marco Bogade)

dem Haupt trägt Der Miniaturbrunnen in seiner linken Hand weist auf sein Martyrium hin Ikonographisch und stilistisch verwandt ist die Heiligenfigur an der Nordseite des Kirchenschiffs, bei der Sigismund ebenfalls mit dem Brunnen als sein Marterwerkzeug attribuiert wird

STIGMATISIERUNG UND MARTYRIUM* Gábor Klaniczay

Du solt bi minen sun hangen an dem krv’ze unt in siner glicheit soltu mir gevallen, unt in siner glicheit sol ich dich minnonde werden […]. (Elsbeth von Oye, Offenbarungen, 14, 2–7)1

Diese Aussage der Zürcher Dominikanerin Elsbeth von Oye aus der ersten Hälfte des 14 Jahrhunderts ist ein gutes Beispiel dafür, wie stark die Nachahmung des Leidens Christi spätmittelalterliche Frauenfrömmigkeit beeinflusste Elsbeth kasteite sich nicht nur mit einer selbst verfertigten Geißel, sondern konstruierte sich zudem ein Nagelkreuz, das sie mit einem Gürtel so fest am Körper befestigte, dass die Nägel tief ins Fleisch gedrückt wurden Diese Art „blutiger“ Askese fand eine Berechtigung im Rat Jesus: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig“ (Mk 10,38) In der Antike bedeutete diese Aufforderung, Christi buchstäblich in den Tod zu folgen, ein mit seinem eigenen Blut zeugender Märtyrer zu werden und die Kreuzesstrafe oder eine andere, oftmals noch viel qualvollere Todesstrafe auf sich zu nehmen Im Mittelalter entwickelten sich die asketischen Bußübungen und Selbstkasteiungen als Ersatz für ein Martyrium in einer Epoche, in der sich allgemein viel weniger Möglichkeiten für einen Märtyrertod boten als in der Antike Bei den asketischen Eremiten der Spätantike und des Frühmittelalters nannte man diese Übungen „unblutige Martyrium“2 Im Zusammenhang der neu aufgekommenen Formen von Religiosität des 12  und 13 Jahrhunderts konnte man jedoch eine seltsame Entwicklung beobachten: Der Beweis der wahren Identifikation mit Christus und seinen schmerzvollen Leiden sollte bei der Passion zunehmend auch mit blutigen körperlichen Zeichen ausgedrückt werden Wie Peter Dinzelbacher vor etwa 15 Jahren konstatierte, entwickelte sich eine „konkrete Kreuzesnachfolge“, eine asketische Praxis der „Selbstkreuzigung“, welche sich „diesseits der Metapher“ befand3 * 1

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Ich danke Vera Kempa herzlich für die sprachliche Korrektur meines Textes Peter Ochsenbein, Die Offenbarungen Elsbeths von Oye als Dokument leidensfixierter Mystik, in: Abendländische Mystik im Mittelalter: Symposium Kloster Engelberg 1984 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 7), hg v Kurt Ruh, Stuttgart 1986, 431–443, hier 431; vgl ders , Leidensmystik in dominikanischen Frauenklöstern des 14 Jahrhunderts am Beispiel der Elsbeth von Oye, in: Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter (Archiv für Kulturgeschichte Beiheft 28), hg v Peter Dinzelbacher u Dieter R  Bauer, Köln 1988, 353–372 Sofia Boesch Gajano, La santità, Bari 1999, 16–19 Peter Dinzelbacher, Diesseits der Metapher: Selbstkreuzigung und Stigmatisation als konkrete Kreuzesnachfolge, Revue Mabillon, n s 7 (= 68) (1996), 157–181

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Die spätmittelalterlichen Mystiker wollten, wie Elsbeth von Oye schrieb, die „allerblutigste Gleichheit“ mit Christus erreichen4 Die bemerkenswerteste Manifestation solcher Art von Christus-Nachfolge ist das Phänomen der Stigmatisierung, d h die spontane, übernatürlich verursachte Erscheinung der Wundmale des Herrn auf den Körpern von Heiligen In den Augen seiner begeisterten Nachfolger erreichte Franziskus von Assisi damit den Status eines alter Christus Obwohl nach dem Verständnis der mittelalterlichen Franziskaner diese an Franziskus vollzogenen Wunder einmalig und unwiederholbar waren5, traten bald weitere Stigmatisierte auf, deren Schar sich bis in unsere Gegenwart laufend vergrößerte Laut Schätzungen von Historikern wie Joseph Görres und Antoine Imbert-Gourbeyre6 im 19   oder Herbert Thurston und J M Höcht7 im 20 Jahrhundert wurden angefangen von Franziskus von Assisi bis zu Padre Pio mehr als 300 Fälle von Stigmatisierungen gezählt In diesem Beitrag werde ich mich mit Blick auf das Gesamtthema dieses Bandes nur mit den mittelalterlichen Beispielen beschäftigen: Könnte man die Stigmatisierung im Mittelalter als eine Art des Martyrium auffassen? Sahen sich die Stigmatisierten selbst als Märtyrer? *** Diese Fragen müssen natürlich anhand des ersten und wichtigsten Stigmatisierten8, Franziskus von Assisi, überprüft werden, wobei an vorhergehende Studien und Debatten folgender Autoren angeknüpft werden soll: André Vauchez9, Octa4 5

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Ochsenbein, Die Offenbarungen Elsbeths von Oye (wie Anm  1), 432 Petrus Thomae, Quest quodl 16 [ca 1310–1330], ed Petrus Thomae on the Stigmata of St Francis, hg v Gaudens E Mohan O F M , Franciscan Studies 8 (1948), 285–294, hier 292: Utrum beatus Franciscus potuit habere stigmata per naturam? ‚Solus Franciscus habuit hujusmodi stigmata.‘; Bartolomeo di Pisa, De conformitate vitae beati Francisci ad vitam Domini Jesu (1385–1390), ed Analecta Franciscana 4–5 (1906), 369–415 Joseph Görres, Die christliche Mystik, Regensburg 1879 (70 Fälle); Antoine Imbert-Gourbeyre, Les stigmatisés, Paris 1873 (145 Fälle); ders La stigmatisation, Clermont-Ferrand 1894 (321 Fälle) Johann M Höcht, Träger der Wundmale Christi, 2 Bde, Wiesbaden 1952, Bd   2, 263 (360 Fälle); siehe auch Pierre Debongnie, Essai critique sur l’histoire des stigmatisations au Moyen Âge, Études Carmélitaines 20 (1936), 22–59 (sehr kritisch); Herbert Thurston, The Physical Phenomena of Mysticism, London 1952 (50–60 Fälle) Es gab zwar manche frühere Beispiele (vgl André Vauchez, Les stigmates de saint François et leurs détracteurs dans les derniers siècles du Moyen Âge, Mélanges de l’École française de Rome 80 [1968], 595–625, hier 598–599 [Robert de Montferrand u a ]; Dinzelbacher, Diesseits der Metapher [wie Anm  3], 162–163 [Maria von Oignies, Dodo von Hascha u a ]; Richard Trexler, The Stigmatized Body of Francis of Asssisi: Conceived, Processed, Disappeared, in: Frömmigkeit im Mittelalter Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, hg v Klaus Schreiner u Marc Müntz, München 2002, 463–497 [Dominicus Loricatus, Stephan von Obazine]; vgl Carolyn Muessig, Signs of Salvation: The Evolution of Stigmatic Spirituality before Francis of Assisi, Church History 82 [2013], 40–68), aber diese sind für mein Argument hier nicht relevant Vauchez, Les stigmates (wie Anm  8); ders , La sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Âge d’après les procès de canonisation et les documents hagiographiques (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 241), Paris 21994, 514–518

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vian Schmucki10, Nitza Yarom11, Chiara Frugoni12, Jacques Dalarun13, Arnold Davidson14, Giovanni Miccoli15, Rosalind Brooke16, Ulrich Köpf17 und Solanus M  Benfatti18 Ein Blick in die wichtigsten textuellen und ikonographischen Zeugnisse zeigt uns, wie stark diese Geschichte von den sich verändernden historischen Bedingungen der spätmittelalterlichen Spiritualität geprägt war Die erste Nachricht über dieses große, einmalige Wunder wurde 1226, nach Franziskus’ von Assisi Tod, vom Generalminister Elias von Cortona in einem Brief verkündet: „Ich melde Euch […] ein ganz neues Wunder Niemals hat die Welt ein solches Zeichen gesehen; es sei denn allein in dem Sohne Gottes, welcher der Christus Gottes ist Denn lange Zeit vor seinem Tode erschien unser Bruder, unser Vater gekreuzigt; er hatte an seinem Körper fünf Wunden, die in Wahrheit die Stigmen Christi sind, denn seine Hände und seine Füße trugen innen und außen Nägel, die eine Art Narben bildeten; in der Seite aber war er wie von einer Lanze durchbohrt, und häufig trat etwas Blut heraus “19 10 11 12 13

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Octavian Schmucki, The Stigmata of St Francis of Assisi: A Critical Investigation in the Light of Thirteenth-Century Sources (Franciscan Institute publications History series 6), New York 1991 Nitza Yarom, Body, Blood, and Sexuality A Psychoanalytic Study of St Francis’ Stigmata and their Historical Context (Studies in history and culture 4), New York 1992 Chiara Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate Una storia per parole e immagini fino a Bonaventura e Giotto, Turin 1993 Jacques Dalarun, La Malavventura di Francesco d’Assisi Per un uso storico delle leggende francescane (Fonti e ricerche 10), Mailand 1996; siehe auch ders / Michael Cusato / Carla Salvati, The Stigmata of Francis of Assisi: New Studies – New Perspectives, New York 2006; ders , „À cette époque, le bienheureux François avait des cicatrices aux mains et aux pieds et au côté“, in: Discorsi sulle stimmate dal Medioevo all’età contemporanea – Discours sur les stigmates du Moyen Âge à l’époque contemporaine (Archivio italiano per la storia della pietà 26), hg v Gábor Klaniczay, Rom 2013, 43–93 Arnold Davidson, Miracles of Bodily Transformation, or, How St Francis Received the Stigmata, in: Picturing Science, Producing Art, hg v Caroline A Jones, Peter Gallison u Amy Slaton, London 1998, 101–124 Giovanni Miccoli, Considerazioni sulle stimmate, in: Il Fatto delle Stimmate di S   Francesco: Atti della tavola rotonda tenuta alla Porziuncola di Assisi il 17 settembre 1996, Assisi 1997, 13–39; wiederabgedruckt Franciscana 1 (1999), 101–121 Rosalind Brooke, The Image of St Francis Responses to Sainthood in the Thirteenth Century, Cambridge 2006 Ulrich Köpf, Die Stigmata des Franziskus von Assisi, in: Zwischen Himmel und Erde Körperliche Zeichen der Heiligkeit (Beiträge zur Hagiographie 11), hg v Waltraud Pulz, Stuttgart 2012, 35–60 Siehe auch den Aufsatz von Christian Heinze, Die Stigmatisierung des Franziskus in den frühen Franziskusviten Studienarbeit, [o O ] 2003, der mir vor allem für die deutschen Übersetzungen der Franziskusviten half Ich danke hier Frau Katharina Knesia für ihre Hilfe und für weitere Angaben zu deutschen Legendenübersetzungen Solanus M Benfatti C F M, The Five Wounds of Saint Francis, Charlotte (NC) 2011 Rundschreiben des Bruders Elias, ed Analecta Franciscana 10 (1941), 526–527; deutsch in: A Van Corstanje, Gottes Bund mit den Armen Biblische Grundgedanken bei Franziskus von Assisi (Bücher franziskanischer Geistigkeit 10), Werl 1964, 100, eine umsichtige Analyse bei Trexler, The Stigmatized Body (wie Anm  8), 485–497

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Die erste offizielle Lebensbeschreibung des Franziskus, die Vita prima, von Thomas von Celano verfasst und kurz nach der Heiligsprechung (1228) fertiggestellt, berichtet präziser darüber, wie sich die Stigmatisierung vollzogen hatte: Thomas verband das große Ereignis mit Franziskus’ Aufenthalt in der Einsiedelei von Alverna 1224 und seiner Vision in Anwesenheit Bruder Leos Er beschreibt Franziskus’ ambivalentes Verhältnis zu dieser Erfahrung und eine unter dem Einfluss der Begegnung mit dem Übernatürlichen stehende, wahre Umgestaltung des Körpers des Heiligen: „Zwei Jahre bevor Franziskus seine Seele dem Himmel zurückgab, weilte er in einer Einsiedelei, die nach dem Ort, wo sie gelegen ist, Alverna heißt Da sah er in einem Gottgesicht einen Mann über sich schweben, einem Seraph ähnlich, der sechs Flügel hatte und mit ausgespannten Händen und aneinander gelegten Füßen ans Kreuz geheftet war Zwei Flügel erhoben sich über seinem Haupt, zwei waren zum Fluge ausgespannt, zwei endlich verhüllten den ganzen Körper Als der selige Diener des Allerhöchsten dies schaute, wurde er von übergroßem Staunen erfüllt, konnte sich aber nicht erklären, was dies Gesicht bedeuten solle Große Wonne durchdrang ihn, und noch tiefere Freude erfasste ihn über den gütigen und gnadenvollen Blick, mit dem er sich vom Seraph betrachtet sah, dessen Schönheit unbeschreiblich war; doch sein Hangen am Kreuz und die Bitterkeit seines Leidens erfüllte ihn ganz mit Entsetzen Und so erhob er sich, sozusagen traurig und freudig zugleich, und Wonne und Betrübnis wechselten in ihm miteinander Er dachte voll Unruhe nach, was dieses Gesicht wohl bedeute, und um seinen innersten Sinn zu erfassen, ängstigte sich sein Geist gar sehr Während er sich verstandesmäßig über das Gesicht nicht klar zu werden vermochte […], begannen an seinen Händen und Füßen die Male der Nägel sichtbar zu werden in derselben Weise, wie er es kurz zuvor an dem gekreuzigten Mann über sich gesehen hatte Seine Füße und Hände schienen in der Mitte mit Nägeln durchbohrt, wobei die Köpfe der Nägel an den Händen auf der inneren und an den Füßen auf der oberen Fläche erschienen, während ihre Spitzen sich an der Gegenseite zeigten Die Male waren nämlich an der Innenseite der Hände rund, an der Außenseite aber länglich Und es kam ein Stück Fleisch zum Vorschein, das über das andere Fleisch hinausragte, gleich als ob die Spitze der Nägel umgebogen und umgeschlagen sei In derselben Weise, über das andere Fleisch hinausstehend, waren auch an den Füßen die Male Ferner war die Seite wie mit einer Lanze durchbohrt und zeigte eine vernarbte Wunde, aus der häufig Blut floss, so daß sein Habit und seine Hose oftmals mit heiligem Blut getränkt wurden “20

Nach Aussage des Texts spielten die Auswirkungen der erschütternden und doppeldeutigen Vision (er wurde „traurig und freudig zugleich“) eine aktive Rolle beim Mirakel der Ursprünge der Stigmata, die nicht ausschließlich blutige Zeichen waren, sondern auch aus seltsamen Fleischauswüchsen bestanden Mehrere Historiker (John Mohrmann21, E Randolph Daniel22 und Miri Rubin23) weisen auf die Aussage Thomas’ von Celano hin, dass Franziskus’ Stigmatisierung 20 Thomas von Celano, Vita prima sancti Francisci (nachfolgend zitiert als 1 Cel), cap 94, 95, ed Fontes Franciscani, hg v Enrico Menestò u Stefano Brufani, Santa Maria degli Angeli 1995, 369–372; deutsch: Thomas von Celano, Leben und Wunder des heiligen Franziskus von Assisi (Franziskanische Quellenschriften 5), hg v Engelbert Grau, Werl 1988, 167 ff 21 John R H  Moorman, A History of the Franciscan Order, Oxford 1988, 60–61. 22 E Randolph Daniel, The Franciscan Concept of Mission in the High Middle Ages, New York 1992, 46–48 23 Miri Rubin, Choosing Death? Experiences of Martyrdom in Late Medieval Europe, in: Martyrs and Martyrologies (Studies in Chruch History 30), hg v Diana Wood, Oxford 1993, 157–160

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in engem Zusammenhang mit seiner großen Sehnsucht nach dem Martyrium stand Thomas beschreibt, wie Franziskus erfolglos versuchte, Syrien oder Marokko zu missionieren, und erst beim dritten Anlauf den Sultan von Ägypten zumindest beinahe bekehren konnte „Man stellte ihm Marterqualen in Aussicht Er kannte keine Furcht Selbst als man ihm mit dem Tode drohte, erschrak er nicht […] Doch, bei all dem wurde Franciscus’ heißer Wunsch vom Herrn nicht erfüllt, da er ihm den Vorzug einer einzigartiger Gnade noch aufsparte “24 Ein möglicher Hinweis auf die Stigmatisierung wird in der von Julian von Speyer verfassten zweiten Legende des Franziskus, die der Vita prima Thomas’ von Celano meistens wörtlich folgt, unmittelbar ausgesprochen: „[…] eine einzigartige Gnade, das heißt die Zeichen der Stigmata zu erhalten“25 Die Tatsache, dass Franziskus’ Stigmata ein Höhenpunkt seiner Martyriumssehnsucht und seiner Entschlossenheit, alle Arten von Leiden für Christus auf sich zu nehmen, waren, wurde von Julian von Speyer auch durch die Beschreibung der Meditation des Franziskus über die Leiden Christi am Vorabend der Stigmatisierung betont 26 Diese Annäherung an das Martyrium gegen Ende seines Lebens hob ebenso Thomas von Celano hervor Über die Beschreibung der körperlichen Leiden des kranken Franziskus sagt dieser aus: „Wenn ich als Ersatz für jedes beliebige Martyrium diese Krankheit auch nur drei Tage ausstehen müsste, so würde es mir schwerer fallen “ Thomas ergänzt daher den Ausruf: „O Martyrer, ja Martyrer, der lächelnd und freudig mit größter Bereitwilligkeit ertrug, was allen nur zum Anschauen so bitter und schmerzlich war!“27 Daher bezeichnet er die enthüllten Wundmale nach dem Tod Franziskus’ als „Zeichen des Martyrium“28 Was aber bedeutete diese Stilisierung der Stigmatisierung zum Martyrium in den 1220er und 1230er Jahren? Wie u a Chiara Frugoni29 betonte, kann man die kontinuierliche Entwicklung der Veränderungen in der Interpretation der Stigmatisierung nicht unabhängig von den zeitgleichen Auseinandersetzungen im Fran24 1 Cel cap 57, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 331–332; Thomas von Celano, Leben und Wunder (wie Anm  20), 121–123; vgl John Tolan, Le saint chez le sultan: la rencontre de François d’Assise et de l’Islam Huit siècles d’interprétation (L’Univers historique), Paris 2007; Isabelle Heullant-Donat, Martyrdom and Identity in the Franciscan Order (Thirteenth and Fourteenth Centuries), Franciscan Studies 70 (2012), 429–452; dies , Missions impossibles Franciscains, „infideles“ et martyrs (xiiie–xve siècle), Rom (im Druck) 25 Julian von Speyer, Vita s Francisci, cap 36, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 1058: Cui mirabilibus in singularis gratiae praerogativam gerenda suorum Dominus insignia stigmatum reservavit. 26 Ebd cap 60, Fontes Franciscani (wie Anm 20), 1079: Qui iam dudum martyr desiderio fuit, etiam tunc se ad omne, quod pro Christo sustineri poterat, flagrantius animavit. 27 1 Cel cap 107, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 384; Thomas von Celano, Leben und Wunder (wie Anm  20), 177 f ; zu den Krankheiten des Franziskus siehe Oktavian Schmucki, Spiritualität, Askese und Krankheiten nach den Schriften des Franziskus von Assisi, in: Franziskus von Assisi Das Bild des Heiligen aus neuer Sicht (Archiv für Kulturgeschichte Beiheft 54), hg v Dieter R Bauer, Helmut Feld u Ulrich Köpf, Köln/Weimar/Wien 2005, 71–96 28 1 Cel cap 113, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 391; deutsch in Thomas von Celano, Leben und Wunder (wie Anm  20), 184 f 29 Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate (wie Anm  12), 3–49

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ziskanerordens und den radikalisierenden Haltungen der Spiritualen betrachten, wonach Franziskus’ christusähnliche Leiden in den letzten Jahren seines Lebens, seine Stigmatisierung im metaphorischen Sinne, in Zusammenhang mit seiner Verdrängung aus der Mitte des Ordens stand Exemplumartige Geschichten, wie die angeblich direkt von Franziskus stammende „Wahre und vollkommene Freude“ (De vera et perfecta laeticia)30, verstärken diesen Eindruck Diese Deutungsversuche der Stigmatisierung des Franziskus stoßen jedoch – wie sich herausstellen wird – an die Vieldeutigkeit der Stigmatisierung als Metapher, bei der das Martyrium nur ein Faktor unter vielen war Die reiche ikonographische Tradition der Stigmatisierung, die von Chiara Frugoni und Arnold Davidson mit Entwicklung dieser Motive in den Texten verglichen und konfrontiert wurde, zeigt ähnliche Variationen Die älteste Darstellung ist möglicherweise das heute im Louvre befindliche Reliquiar aus Limoges (1229–1230), auf dem die zeitliche Trennung der Vision des Seraphs und der Stigmatisierung eindeutig dargestellt wird31 Das früheste Gemälde, von Bonaventura Berlinghieri für die Franziskanerkirche in Pescia (1235) gemalt, bezieht sich auf die Motivik der Erzählung von Christus am Ölberg (eine zusätzliche Verbindung zur ursprünglichen Beschreibung von Thomas von Celano)32 Die Miniatur aus den Chronica Majora des Matthäus Paris (1236), die Franziskus auf der Erde liegend darstellt, suggeriert eher eine Traumvision33 Ein französisches Stundenbuch aus Carpentras (ca 1250) stellt den Seraphim-Christus wie eine Kultstatue auf dem Altar dar34 Die inhaltlichen Widersprüche der textuellen Nachrichten wie auch die zusätzlichen Widersprüche der Texte und bildlichen Nachrichten aus den ersten Jahrzehnten nach Franziskus’ Tod sind in der neueren Forschung ausführlich besprochen worden35 und sollen hier nur hinsichtlich ihrer Beziehung zu Vorstellungen des Martyriums betrachtet werden

30 De vera et perfecta laeticia, ed Die Opuscula des hl Franziskus von Assisi Neue textkritische Edition, hg v Kajetan Esser O F M , Grottaferrata (Rom) 1976, 459–461; auch in: Fontes Franciscani (wie Anm  20), 241–242; deutsch in: Franziskus von Assisi, Die Schriften des heiligen Franziskus von Assisi (Franziskanische Quellenschriften 1), hg v Lothar Hardick u Engelbert Grau, Werl 1984, 225–227 31 Davidson, Miracles of Bodily Transformation (wie Anm  14), 106 Für eine spätere Datierung siehe Frugoni, Francesco e L’invenzione delle stimmate (wie Anm 12), 228, Anm 39; Franziskus – Licht aus Assisi Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum und im Franziskanerkloster Paderborn, hg v Christoph Stiegemann, Bernd Schmies u HeinzDieter Heimann, Paderborn 2011, 266–278 (Nr 45) 32 Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate (wie Anm  12), 203, 206, Bilder 11, 137; Davidson, Miracles of Bodily Transformation (wie Anm  14), 107–109 33 Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate (wie Anm  12), 60, 99 Anm 57, 163–164, Bild 59 34 Ebd Bild 10 35 Schmucki, The Stigmata (wie Anm 10), 179–215; Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate (wie Anm 12), 3–50, 203–232; Miccoli, Considerazioni sulle stimmate (wie Anm 15); Dalarun, La Malavventura (wie Anm  13)

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Die Dreigefährtenlegende (Legenda trium sociorum), von den Ordensbrüdern Leo, Rufin und Angelus verfasst (ca 1240)36, und die zweite Vita Thomas’ von Celano (1246–1247)37 ergänzen (und verändern wesentlich) Franziskus’ Bekehrungsgeschichte, indem sie die Vision von der Aufforderung durch die croce dipinta, die Kirche San Damiano zu erneuern, hinzufügen Damit wird auch der Weg hin zur Stigmatisierung des Franziskus neu interpretiert: Er habe von da an, solange er lebte, die Stigmata Christi schon im Herzen getragen, was dann später zutage trat, als die Wunden des Gekreuzigten an seinem Körper sichtbar wurden Dies wird auch von Thomas im Tractatus de miraculis (1252–1253), seine dritte Schrift über Franziskus, betont: „Wie sein Geist im Innern den gekreuzigten Herrn angezogen hatte, ebenso sollte sein ganzer Leib das Kreuz Christi auch äußerlich anziehen “38 Die Debatten um Franziskus und seine Stigmatisierung kamen erst durch die neue und autoritative Interpretation Bonaventuras zum Stillstand Seine Legenda maior und Legenda minor, die er zwischen 1260 und 1262 in Paris schrieb, wurden auf dem Generalkapitel von 1266 als die einzige legitime Darstellung des Franziskus angenommen Ältere Franziskuslegenden sollten vernichtet werden39 Was die Zusammenhänge zwischen Stigmatisierung und Martyrium bei Franziskus betrifft, wurden diese von Bonaventura erneut betont und weiterentwickelt Er kommentiert Franziskus’ Sehnsucht nach dem Martyrium Nach seiner Auslegung wollte Franziskus sich dem Herrn als „lebendige Hostie“ widmen40 Am Ende des fraglichen Kapitels erklärt Bonaventura, dass die „einzigartige Gnade“ der Stigmatisierung einen Ersatz für das gewünschte Martyrium bedeutet und Franziskus so doch dem Lamm Gottes ähnlich werden könne, ohne jedoch von Tyrannen getötet worden zu sein, ohne „die Palme des Martyriums“ tatsächlich verdienen zu können41 Bonaventura sagt weiterhin, dass Franziskus im Augenblick der dreifachen Öffnung der Bibel am Vorabend der Stigmatisierung verstand habe, dass er Christus 36

Legenda Trium Sociorum, cap 13–14, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 1385–1387; Bruder Leo, Rufin und Angelus, Die Dreigefährtenlegende des heiligen Franziskus von Assisi (Franziskanische Quellenschriften 8), hg v Engelbert Grau, Werl 1993, 96–98 37 Thomas von Celano, Vita secunda sancti Francisci (nachfolgend zitiert als 2 Cel ), cap 10, ed Fontes Franciscani (wie Anm   20), 452; Thomas von Celano, Leben und Wunder (wie Anm  20), 233; zur zweiten Celano-Vita siehe auch Jacques Dalarun, Vers une résolution de la question franciscaine: la Légende ombrienne de Thomas de Celano, Paris 2007 38 Thomas von Celano, Tractatus de miraculis (nachfolgend zitiert als 3 Cel ), cap 14, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 656–657; deutsch in: Thomas von Celano, Leben und Wunder (wie Anm  20), 421–422 39 Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate (wie Anm  12), 26–29; David Burr, The Spiritual Franciscans From Protest to Persecution in the Century after Saint Francis, Pennsylvania 2001, 32–37; Luigi Pellegrini, Bonaventura ministro generale e agiografo, in: ders , Frate Francesco e i suoi agiografi (Medioevo francescano Saggi 8), Assisi 2004, 151–235 40 Bonaventura, Legenda Maior, cap 13, 3, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 891–892: Desiderabat […] per martyri flammam hostiam Domino se offerre viventem 41 Ebd cap 9, 9 , 862: O vere beatum virum, cuius caro, etsi tyrannico ferro non caeditur, occisi tamen Agni similitudine non privatur! O inquam, vere ac plene beatum, cuius animam ‚etsi gladius persecutoris non abstulit, palmam tamen martyrii non amisit!‘; E Randolph Daniel, The Desire for Martyrdom: A Leitmotiv of St Bonaventure, Franciscan Studies 32 (1975), 74–87

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in seinen Taten nachahmen müsse, indem er sich dessen Qualen und Schmerzen aneignete Franziskus erwies sich somit erneut „stark begeistert vom Martyrium“42 Die zentrale Neuerung in der Interpretation der Stigmatisierung bei Bonaventura war, dass die Figur des Seraphim klar als Christus gedeutet und als solcher benannt wurde Damit war die Deutung der Vision nun weniger rätselhaft als zuvor bei Thomas von Celano: „Er hat verstanden, dass er völlig in die Ähnlichkeit des gekreuzigten Christus transformiert werden sollte und zwar nicht durch das Martyrium des Fleisches, sondern durch das Feuer der Seele “43 In diesem Sinne wurden auch die Wundmale als Zeichen gedeutet, die aus dem Leib Christi auf Franziskus projiziert, seinem Leib gleichsam eingeprägt (impressi) wurden Chiara Frugoni und Arnold Davidson haben die von Bonaventura eingeführte Neuinterpretation mit parallelen Änderungen in der Ikonographie, vor allem im Schaffen Giottos di Bondone, verglichen und analysiert44 Statt einer polysemischen Interpretation der Stigmatisierung, wie wir sie bei früheren Darstellungen beobachten konnten, trat hier nun Christus als Initiator des gesamten Prozesses in den Vordergrund, während Franziskus auf eine passive, rezeptive Rolle reduziert wurde Die Formulierung der Aufschrift am Fresko der Oberkirche in Assisi macht Bonaventuras Interpretation noch eindeutiger  – vidit Christum in specie Seraphim crucifixi. Hinzu tritt eine bemerkenswerte Erneuerung Giottos: Die Stigmatisierung ist nun nicht mehr Folge der Erscheinung, wie frühere Beschreibungen behaupteten, sondern ein Teilaspekt des Ereignisses, der sich in Gegenwart des erschienenen Seraphim-Christus vollzieht Die Wundmale werden von Strahlen verursacht, die sich aus den Wunden Christi auf Franziskus’ Körper richten und ihn an denselben Stellen verletzen Stigmatisierung wird schlicht zu einer außergewöhnlichen göttliche Gnade Franziskus’ Körper wird ein Bild, eine Darstellung Christi Die Stigmata des Franziskus werden somit gleichzeitig ästhetisiert und in ihrer semantischen Vielfalt eingeschränkt45 *** Den zweiten Teil des Beitrags möchte ich der spätmittelalterlichen Rezeption der Stigmatisierung des Franziskus widmen, bei der die Frage des Martyriums erneut 42

Bonaventura, Legenda Maior, cap 13, 2, ed Fontes Franciscani (wie Anm   20), 890–891: Sane cum in trina libri apertione Domini passio semper occurreret, intellexit vir Deo plenus, quod sicut Christum fuerat imitatus in actibus vitae, sic conformis ei esse deberet in afflictionibus et doloribus passionis…ad martyrii sustinentiam vigorosius animatus [est]; Daniel, The Franciscan Concept of Mission (wie Anm  41), 49 43 Bonaventura, Legenda Maior, cap 13, 3, ed Fontes Franciscani (wie Anm   20), 891–892; Bonaventura, Franziskus, Engel des sechsten Siegels: sein Leben nach den Schriften des heiligen Bonaventura (Franziskanische Quellenschriften 7), hg v Sophronius Clasen, Werl 1962, 367 f 44 Frugoni, Francesco e l’invenzione delle stimmate (wie Anm  12), 210–216, Bilder 19, 20, 21 ; Davidson, Miracles of Bodily Transformation (wie Anm  14), 110–117 45 Hans Belting, Saint Francis and the Body as Image: An Anthropological Approach, in: Look ing Beyond: Visions, Dreams, and Insights in Medieval Art & History (The Index of Christian Art Occasional Papers 11), hg v Colum Hourihane, Princeton 2010, 3–14

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eine Rolle spielte Vor mehr als 40 Jahren bereits beschrieb André Vauchez, welch’ heftige Gegenreaktion die Nachricht von den Stigmata des Franziskus vor allem bei den zwei großen Rivalen der Franziskaner, den Zisterziensern und den Dominikanern, auslöste Zwischen 1237 und 1291 wurden als Argument gegen die Zweifler neun päpstliche Bullen über Franziskus’ übernatürliche Wundmale erlassen46 Robert von England, Zisterzienserbischof von Olmütz, verurteilte um 1236 den Stigmata-Kult als Sakrileg und verbot seine Darstellung Nachdem Papst Gregor IX ihn zwang, dieses Urteil zurückziehen, musste er dann 1240 auch seinen Bischofsstuhl aufgeben47 Zur gleichen Zeit verurteilte Gregor IX auch einen Dominikaner namens Evechardus, da dieser in Oppava (Moravien) gegen die Authentizität der Stigmata des Franziskus gepredigt hatte und die Franziskaner „falsche Prediger“ nannte48 Die Eifersüchteleien der Dominikaner sind am eindringlichsten in einer Geschichte des Actus beati Francisci  – später integriert in die Sammlung mit dem Namen „Blümlein vom Heiligen Franziskus“ – dargestellt worden Wir hören hier von einem Dominikanerbruder, der wegen eines Freskos im Refektorium seines Klosters, welches die Stigmatisierung Franziskus’ darstellte, derart erboste, dass er die Wundmale von dem Gemälde abkratzte Jedoch erschienen diese in wunderbarer Weise wieder Er kratzte sie erneut ab, doch „am dritten Tag, als er bei Tisch saß und Franziskus’ Gemälde wieder anschaute, erschienen ihm die heiligen Stigmata schöner als je zuvor […] Und er sagte für sich: ‚Mein Gott, ich werde diese Stigmata entfernen, so dass sie nie wieder erscheinen!‘ […] Und rasend nahm er ein Messer in seine Hand und schnitt die Stigmata aus dem Fresko heraus, dabei entfernte er die bemalten Wandscheiben bis auf die Steine Als er jedoch seine Tat beendet hat, begann aus den Öffnungen der Wand Blut zu spritzen, so gewaltig, dass es das Gesicht, die Hände und das Gewand des Bruders befleckte In Panik fiel er auf den Boden, als ob er tot wäre “49 Eine andere typische Darstellungsform der Dominikaner versuchte, die Entstehung der Stigmata rational zu erklären Die Gattung der Predigt bot dazu gute Rahmenbedingungen50 Jacobus von Voragine (1230–1298), einflussreicher Autor der Legenda aurea und Bischof von Genua, hat vier Predigten über die Stigmata 46 Vauchez, Les stigmates (wie Anm  8), 601 47 Quod cum solus Patris aeterni Filius fuerit pro humano salute crucifixus et ipsius dumtaxat vulnera devotione supplici adorare debeat religio christiana, nec Beatus Franciscus nec Sanctorum aliquis cum stigmatibus in Ecclesia Dei depingendus et quod peccat contrarium asserens., zitiert nach Vauchez, Les stigmates (wie Anm  8), 601; vgl Schmucki, The stigmata (wie Anm  10), 98 48 Vauchez, Les stigmates (wie Anm  8), 602 49 Diese Episode zur Sammlung Fioretti hinzugefügt: I fioretti di San Francesco (I libri della fede), hg v Benvenuto Bughetti O F M u Riccardo Pratesi O F M , Florenz 1958, 405–406 („Capitoli aggiunti“) Die ausführlichere Version stammt aus dem „Appendix“ des Actus Beati Francisci, cap LXV, wahrscheinlich zusammengestellt zwischen 1328 und 1337, ed Fontes Franciscani (wie Anm  20), 2214–2215 50 Louis-Jacques Bataillon, Les stigmates de saint François vus par Thomas d’Aquin et quelques autres prédicateurs dominicains, Archivum Franciscanum Historicum 92 (1999), 341–347

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des hl Franziskus verfasst Nach einer langen Reihe von Fakten, ausgeschmückt mit größtem Lob und Ehre, kommt er auf die Ursachen der Stigmata an Franziskus’ Körper zu sprechen Laut seiner Interpretation war es vor allem Franziskus’ „leidenschaftliche Einbildungskraft“ (vehemens imaginatio) sowie andere mentale und psychische Faktoren wie dilectio, admiratio, meditatio, compassio51, die in Abgrenzung von der Idee des Martyriums eine Erklärung bieten, die in die Richtung moderner Theorien des Somatismus weist Die Franziskaner wehrten sich selbstverständlich mit Nachdruck gegen eine solche Erklärung Im Quodlibet, das der Pariser Meister Petrus Thomae zwischen 1319 und 1322 verfasste, wird eine Reihe von Argumenten gegen die möglichen Wirkungen der Einbildungskraft und Empathie aufgezählt, die zu der Schlussfolgerung führt, dass der hl Franziskus non potuit habere stigmata per naturam52 Die Erklärung aber lebte weiter und wurde bald auch in einem berühmten Brief des Francesco Petrarca an Tommaso del Garbo, ein medicus des Frühhumanismus, weiterentwickelt 1366 schrieb Petrarca: „Was die Stigmata des hl Franziskus betrifft, war der Ursprung bestimmt der folgende: Seine Meditation über den Tod Christi war dergestalt leidenschaftlich und tief, dass seine Seele damit erfüllt wurde Es erschien ihm, als ob er zusammen mit seinem Herrn gekreuzigt worden sei, und die Kraft dieser Idee entlud sich von der Seele bis zum Körper, wo sie sichtbare Spuren hinterließ “53 Durch diese „somatische“ Deutung der Stigmata wurde die Frage nach der Verbindung zum Martyrium neu belebt und zwar in einer für das Franziskusbild ungünstigen Weise: Entstanden die Wundmale aus der Kraft der Phantasie, so konnten ihr Wahrheitsgehalt und damit ihr Wertigkeit in Frage gestellt werden Eine eingebildete passio war offensichtlich weniger wert als eine wahre passio Thomas von Aversa hielt 1291 anlässlich des Festtags seines Ordensbruder Petrus Martyr in Neapel eine Predigt Der berühmte dominikanische Inquisitor war 1252 ermordet und bereits 1253 heiliggesprochen worden54 Im Predigttext vergleicht Thomas die Wundmale des Petrus mit Franziskus’ Stigmata Gemäß der Idee des Märtyrerruhms, des Hauptmotivs der Verehrung des Petrus, predigte er, dass die fünf Blutströme, die aus Petrus’ Verletzungen flossen, auch als imitatio Christi gedeutet werden könnten In diesem Vergleich bekamen die Wundmale des Petrus nun eine höhere Wertigkeit Sie waren Zeichen des lebendigen Gottes, während die Stigmata 51

Jacobus von Voragine, Sermo III de stigmatibus S  Francisci, Testimonia minora saeculi XIII de S  Francisco Assisiensi, ed Leonhard Lemmens, Ad Claras Aquas 1926, 113–114 52 Petrus Thomae on the Stigmata of St Francis (wie Anm  5), 290; Petrus Thomae, Quodlibet, ed M Rachel Hooper O S F u Eligius M Buytaert O F M , New York 1957, 227– 235, hier 231; vgl Alain Boureau, Miracle, volonté et imagination: la mutation scolastique (1270–1320), in: Miracles, prodiges et merveilles au Moyen Âge, XXVe Congrès de la S H M E S (Orléans, juin 1994) (Publications de la Sorbonne Histoire ancienne et médiévale 34), hg v Michel Balard, Paris 1995, 159–173 53 Francesco Petrarca, Lettere senili, Florenz 1868, 465; Vauchez, Les stigmates (wie Anm  8), 625; Davidson, Miracles of Bodily Transformation (wie Anm  14), 118 54 Donald Prudlo, The Martyred Inquisitor: The Life and Cult of Peter of Verona (Church, Faith and Culture in the Medieval West), Aldershot 2008

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des Franziskus Zeichen des toten Gottes waren55 Papst Nikolaus IV (der aus dem Franziskanerorden stammte) exkommunizierte Thomas von Aversa 1292 für diese Aussage und verbot ihm für sieben Jahre Predigt und Lehre56 Die Neigung zur Rivalität hörte jedoch nicht bei Thomas auf: Er wurde später selbst Inquisitor und initiierte 1305 in Neapel, laut Aussage des Angelus Clarenus, erbarmungslose Verfolgungen gegen die franziskanischen Spiritualen57 Neben solcher zwischen eingebildeter Stigmatisierung und blutigem Martyrium einzuordnender Rhetorik der Opposition wollten die Dominikaner anscheinend nicht darauf verzichten, dass auch ihre Mitbrüder mit ähnlichen Zeichen der Gnade ausgezeichnet werden könnten In der Dominkanerchronik (Vitae fratrum, 1260) von Gerhard von Frachet (1205–1270) liest man über einen Dominikanerbruder, Walter von Straßburg, der „in Colmar ins Hause der Minderbrüder eintrat zum Beten“ Dort habe er „über das bittere Leiden des Herrn meditiert, und fühlte an seinem Körper an fünf Stellen so starke Pein, dass er sich nicht zurückhalten konnte und laute Schreie ertönten, nachdem er an diesen fünf Stellen immer stärkere Schmerzen spürte“58 Wir sollten jedoch hinzufügen, dass die Stigmata Walters keine blutigen Wundmale wie diejenigen des Franziskus waren, sondern tatsächliche Schmerzen bedeuteten Damit schlugen die Dominikaner eine Alternative des körperlichen Miterlebens der Schmerzen Christi vor, die im Gegensatz zu den Erfahrungen der Minderbrüder in der Nachfolge des Franziskus stand Anstatt des dramatischen, sogar theatralischen Spektakels der Stigmatisierung zeigten sich hier eher intensive, ans Leiden Christi gebundene, teils unerträgliche Schmerzen, unsichtbare und nicht blutige Wundmale der Christusmimesis, die eher durch die „Neun Arten des Gebets“ des hl Dominikus inspiriert waren59 Daneben gab es aber auch, wie wir eben gesehen haben, echte Märtyrer, die ihren blutigen Tod im Kampf gegen Ketzer erlitten und damit Christus ähnlich geworden waren *** Das dritte, schlussendlich erfolgreichste rivalisierende Gegenmodell zur Stigmatisierung des Franziskus und ihrer hohen Popularität waren stigmatisierte Frauen 55 56 57 58

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Ibid , 122–124; Christine Caldwell Ames, Righteous Persecution Inquisition, Dominicans and Christianity in the Middle Ages (The Middle Ages Series), Philadelphia 2009, 72 Vauchez, Les stigmates (wie Anm  8), 604 Caldwell Ames, Righteous Persecution (wie Anm 55), 72 Fratris Gerardi de Fracheto O P Vitae fratrum Ordinis Praedicatorum (Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum Historica 1), ed Benedikt Maria Reichert, Leuven 1896, 223: Idem frater esset in Columbaria in domo fratrum minorum oram volvebat in corde amaritudinem dominice passionis et tunc sensit in corpore in V locis vulnerum domini tantum dolorem quod se continere non potuit, quid cum magno rugitu clamaret. Unde in illis quinque locis sepius amaritudinem senciebat. The Nine Ways of Prayer of St Dominic, ed Early Dominicans: Selected Writings, hg v Simon Tugwell (Classics of Western Spirituality), New York 1982, 94–103; ders , The nine ways of prayer of Saint Dominic: A textual study and critical edition, Medieval Studies 47 (1986), 1–124

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Sie spielten vor allem bei den Dominikanern, aber auch bei den Zisterziensern und Augustiner-Eremiten im Spätmittelalter eine große Rolle Noch bevor die Stigmata der Katharina von Siena – weiblicher und dominikanischer Gegenpols zu Franziskus und einzige im Mittelalter kanonisierte Stigmatin60 – 1461 anerkannt wurden, erfahren wir seit der Mitte des 13 Jahrhunderts bereits von fast einem Dutzend frommer Frauen, die als Stigmatisierte auftraten oder als solche gerühmt wurden: die unter zisterziensischem Einfluss stehenden Beginen Ida von Löwen und Elisabeth von Spalbeek († 1316)61, die dominikanisch beeinflusste Begine Christina von Stommeln (1242–1312)62, die Zisterzienserin Lukardis von Oberweimar († 1309)63, die Dominikanerinnen Helena von Ungarn († 1241)64 und Margarethe von Ungarn († 1270) Ihr Ruhm als Stigmatisierte verbreitete sich seit Beginn des 14 Jahrhunderts65 Weiterhin ist Guglielma von Mailand zu nennen, die von ihren Anhängern (darunter mancher Zisterzienser) nicht nur als Stigmatisierte, sondern auch als

60 Jane Tylus, Reclaiming Catherine of Siena: Literacy, Literature, and the Signs of Others, Chicago 2010 61 Vita Elizabeth sanctimonialis in Erkenrode, ed Catalogus codicum hagiographicorum bibliothecae Regiae Bruxellensis, Bd  1 (Subsidia hagiographica 1), Brüssel 1886, 362–378, hier 363; Simone Roisin, L’hagiographie cistercienne dans le diocèse de Liège au xiiie siècle (Recueil de travaux d’histoire et de philologie Sér 3, 27), Leuven/Brüssel 1947, 69–73; Walter Simons / J E Ziegler, Phenomenal Religion in the Thirteenth Century and its Image: Elisabeth Spalbeek and the Passion Cult, in: Women in the Church (Studies in Church History 27), hg v W J Sheils u Diana Wood, Oxford 1990, 117–126 62 Petrus de Dacia, Vita Christinae Stumbelensis (Scriptores Latini medii aevi Suecani I/2), ed Johannes Paulson, Göteborg 1896, ND: (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 20), Frankfurt a M 1985; Petrus de Dacia, De gratia naturam ditante sive de virtutibus Christinae Stumbelensis (Studia Latina Stockholmiensia 28), ed Monika Asztalos, Stockholm 1982; John Coakley, Friars as Confidants of Holy Women in Medieval Dominican Hagiography, in: Images of Sainthood in Medieval Europe, hg v Renate BlumenfeldKosinski u Timea Szell, Ithaca/London 1991, 222–245; Aviad M Kleinberg, Prophets in Their Own Country Living Saints and the Making of Sainthood in the Later Middle Ages, Chicago/London 1992, 40–98; Christine Ruhrberg, Der literarische Körper der Heiligen Leben und Viten der Christina von Stommeln (1242–1312) (Bibliotheca Germanica 35), Tübingen/Basel 1995 63 Vita venerabilis Lukardis, ed Josephus de Baker, Analecta Bollandiana 18 (1899), 305–367; Kleinberg, Prophets in Their Own Country (wie Anm   62), 101–111; Piroska Nagy, Sensations et émotions d’une femme de passion: Lukarde d’Oberweimar († 1309), in: Le sujet de l’émotion au Moyen Âge, hg v Damien Boquet u Piroska Nagy, Paris 2009, 323– 353; Jacqueline Jung, The Tactile and the Visionary: Notes on the Place of Sculpture in the Medieval Religious Imagination, in: Looking Beyond (wie Anm  45), 203–241 64 La vie de la bienheureuse Hélène de Hongrie, ed Robert Fawtier, Mélanges d’archéologie et d’histoire 33 (1913), 4–23; Vita beatae Helenae, ed AA SS Nov , Bd   IV, Brüssel 1925, 267–276; Géza Érszegi, Delle Beghine in Ungheria ovvero l’insegnamento di un codice di Siena, in: Spiritualità e lettere nella cultura italiana e ungherese del basso medioevo (Civiltà veneziana Studi 46), hg v Sante Graciotti u Cesare Vasoli, Florenz 1995, 63–75 65 Gábor Klaniczay, Le stigmate di santa Margherita d’Ungheria: immagini e testi, Iconographica, Rivista di iconografia medievale e moderna 1 (2002), 16–31; ders , On the Stigmatization of Saint Margaret of Hungary, in: Medieval Christianity in Practice (Princeton Readings in Religions), hg v Miri Rubin, Princeton 2009, 274–284

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Inkarnation des Heiligen Geistes verehrt wurde Nach ihrem Tod wurde sie aber als Ketzerin verurteilt und im Jahre 1300 symbolisch verbrannt66 Die Augustinerin Klara von Montefalco († 1307) galt zwar nicht als Stigmatisierte, ihr Körper aber wurde mit den Zeichen des Gekreuzigten auf eine andere, vergleichbare Weise gezeichnet: Die Instrumente des Leidens Christi (arma Christi) wurden in ihr Herz gepflanzt (und nach ihrem Tod und anschließender Autopsie in ihrem Herz auch physisch „entdeckt“)67 Eine ausführliche Besprechung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Frauen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen Daher möchte ich im letzten Teil meines Essays lediglich herausarbeiten, dass man auch bei diesen Frauen einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen Stigmatisierung und Martyrium beobachten kann Das körperliche Leiden der Asketen wurde seit der Vita Antonii des Athanasius, den Schriften und Briefen des hl Hieronymus über die Eremitenbewegung um die Person des hl Antonius und der Vita Martins von Tours des Sulpicius Severus als „tägliches, unblutiges Martyrium“ gedeutet68 Auch im weiteren Verlauf des Mittelalters wurde Askese auf dieser Grundlage als Martyrium betrachtet Manche asketische Praktiken wie Selbstgeißelung wurden zudem als eine Form der imitatio Christi, eine Anteilnahme an den Qualen Christi verstanden Die dadurch erlittenen Verletzungen konnten sogar als „Stigmata“ anerkannt werden, wie etwa im Fall des Stephan von Obazine († 1159)69 Die bemerkenswerte Veränderung der spätmittelalterlichen Auffassung des Leidens im religiösen Leben als eine aktive Nachahmung sogar Teilnahme am Erlösung stiftenden Leiden Christi70 führte zu extremen Versuchen, die Wund-

66 Marina Benedetti, Io non sono Dio Guglielma di Milano e i Figli dello Spirito santo, Mailand 1998, hier 86 67 Michele Faloci-Pulignani, La vita di Santa Chiara da Montefalco scritta da Berengario di Sant’Africano, Archivio storico per le Marche e per l’Umbria 1 (1884) 557–625 und 2 (1885), 193–266; Il processo di canonizzazione di Chiara da Montefalco (Quaderni del „Centro per il collegamento degli studi medievali e umanistici nell’Università di Perugia“ 14, Agiografia umbra 4, Fonti per la storia di Chiara da Montefalco 2), hg v Enrico Menestò, Florenz 1984; Nancy Caciola, Discerning Spirits Divine and Demonic Possession in the Middle Ages (Conjunctions of Religion & Power in the Medieval Past), Ithaca/London 2003, 176–179; Dyan Elliott, Proving Woman Female Spirituality and Inquisitional Culture in the Later Middle Ages, Princeton 2004, 190–192; Cordelia Warr, Re-reading the Relationship between Devotional Images, Visions, and the Body: Clare of Montefalco and Margaret of Città di Castello, Viator 38 (2007), 217–249 68 Vita Antonii, cap 46–47, Saint Athanase, Antoine le Grand, père des moines, ed Adalbert de Vogüé, Paris 1989, 58–59; Sulpice Sévère, Vie de Saint Martin, 3 Bde (Sources Chrétiennes 21–25), ed Jacques Fontaine, Paris 1967, Ep 2, 6–12, Bd  I, 328–330, Bd  3, 1214–1235 69 Dieses Argument wurde betont von Trexler, The Stigmatized Body (wie Anm   8), 469– 477; vgl Giles Constable, Attitudes toward Self-inflicted Suffering in the Middle Ages (The Ninth Stephen J Brademas, Sr Lecture), Brooklin (Mass ) 1982; ders , Three Studies in Medieval Life and Thought, Cambridge 1995, 143–247, hier 215 70 Esther Cohen, Towards a History of European Physical Sensibility: Pain in the Later Middle Ages, Science in Context 8 (1995), 47–74 ; dies , The Modulated Scream Pain in Late Medieval Culture, Chicago 2011, 198, 255

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male Christi durch Selbstverstümmelung zu erhalten, wie dies Jakob von Vitry für Marie d’Oignies (1177–1213) berichtet71 Es kam sogar zu Selbstkreuzigungen, wie sie etwa 1222 auf der Synode von Oxford von einem „Pseudo-Christus“ praktiziert wurde Über ihn wird berichtet, dass er sich kreuzigen ließ und sich anschließend mit den quinque vulnera crucifixionis, sogar mit denen der Dornkrone präsentierte, um daraufhin als Ketzer verurteilt und hingerichtet zu werden, wobei nicht gesichert ist, ob das Urteil tatsächlich vollzogen wurde72 Es ist bemerkenswert, dass sich all dies ereignet, noch bevor Franziskus von Assisi selbst die Stigmatisierung erfuhr In der spätmittelalterlichen Frömmigkeit waren es dann die Mystikerinnen, die die extremsten Vertreter selbstdestruktiver asketischer Praktiken (mortificatio corporis) waren Wie eine Reihe einflussreicher Studien dokumentiert73, wurde diese körperliche Askese und Selbstkasteiung zugleich zu einem hervorragenden Mittel, um die Leiden Jesu wieder gegenwärtig zu machen, um „sein Kreuz auf sich zu nehmen und mit ihm zu tragen“, um – wie die schon zitierte Begine Elsbeth von Oye sagte – die „allerblutigste Gleichheit“ zu erleben74 In diesem Zusammenhang möchte ich auf drei Märtyrer-Eigenschaften der spätmittelalterlichen weiblichen Stigmatisierten hinweisen Die erste Nachahmerin des Franziskus, die Begine Elisabeth von Spalbeek, präsentierte ihre blutende Stigmata einer breiten Öffentlichkeit (im Gegensatz zu Franziskus, der laut Thomas von Celano seine Wundmale niemandem zeigte75) und begleitet dies an Freitagen (besonders am Karfreitag) mit einer Inszenierung der Passion Christi, mit einer mimetischen Darstellung seiner Leiden (einer echten imitatio Christi), wobei das Schauspiel vom Moment der Gefangennahme über die Geißelung und Kreuzigung (wo die Wundmale der Begine immer besonders

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The Life of Marie d’Oignies by Jacques de Vitry (Peregrina translations series 2: Matrologia Latina), übers v Margot H  King, Saskatoon 1986, 22; Trexler, The Stigmatized Body (wie Anm  8), 480 Councils and Synods, with other Documents Relating to the English Church, 2 Bde, hg v Frederick Maurice Powicke, Oxford 1964, Bd  2, 104–105; Matthaeus Parisiensis, Chronica majora, Bd  3 (Rerum Britannicarum medii aevi scriptores 57), ed Henry Richards Luard, London, 1872; Dinzelbacher, Jenseits der Metapher (wie Anm  3), 163–164; Trexler, The Stigmatized Body (wie Anm  8), 481 Caroline Walker Bynum, Holy Feast and Holy Fast: The Religious Significance of Food to Medieval Women, Berkeley 1991; dies The Female Body and Religious Practice in the later Middle Ages, in: Fragments for a History of the Human Body, 3 Bde, hg v Michael Feher, Ramona Nadaff u N Tazi, New York 1991, Bd  3, 161–220; Barbara Newman, From Virile Woman to Woman Christ: Studies in Medieval Religion and Literature (The Middle Ages Series), Philadelphia 1995; Caciola, Discerning Spirits (wie Anm   67); Elliott, Proving Woman (wie Anm  67); dies Flesh and Spirit: The Female Body, in: Medieval Holy Women in the Christian Tradition, c 1100–c 1500 (Brepols Essays in European Culture 1), hg v Alastair Minnis u Rosalyn Voaden, Turnhout 2010, 13–46 Siehe Anm  4 2 Cel, cap 135–139, in: Fontes Franciscani (wie Anm  20), 564–567

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bluteten) bis zur Abnahme Jesu vom Kreuz reichte76 Die stigmatisierte Begine wurde in dieser rappresentazione sacra selbst zum Spektakel des Martyriums, sozusagen zu einer „Schmerzensfrau“ Ein zweiter Aspekt des martyriumsgleichen Leidens der weiblichen Stigmatisierten ist, dass sie häufig unter zum Teil  auch physischen Aggressionen durch Dämonen litten: Die christusmimetischen Wundmale der Christina von Stommeln vermischen sich, laut der Beschreibungen ihres dominikanischen Beichtvaters Petrus de Dacia, mit Wundmalen, die durch Dämonen verursacht wurden77 Aus zeitgenössischer Sicht dürfte dies auch bei Katharina von Siena der Fall gewesen sein78 Solche Märtyrerqualen durch Dämonen spielten eine bedeutende Rolle im Leben einer ganzen Reihe spätmittelalterlicher frommer Frauen Zu nennen sind etwa Agnes Blannbekin79, Ermine de Reims80 und Francesca Romana81 Eine dritte Beobachtung bezieht sich in besonderem Maße auf die Vita der Lukardis von Oberweimar: Die dortige Beschreibung der Stigmatisierung der fast völlig lahmen und von jahrelangen Krankheiten gezeichneten Zisterziensernonne Lukardis enthält eine beeindruckende Szene In einer Vision sah sie den gekreuzigten Christus, der ihr sagte: „Du sollst deine Hände an meine Hände fesseln, deine Füße an meine Füße und deine Brust an meine Brust: Damit könntest du mir helfen und mich entlasten “ Sofort fühlte sie die Schmerzen Die blutenden Stigmata erschienen zwei Jahre später nach einer erneuten Erscheinung Christi und dem erwiderten physischen Kontakt mit seinen Wundmalen Und nicht nur die Stigmata erschienen auf ihrem Körper, sondern auch andere Wundmale Christi: die Wunden, die durch die Dornenkrone entstanden waren, und die blutigen Zeichen der Geißelung82 Für Elsbeth von Oye hieß dies, „mit Christus an seinem Kreuz zu hängen“83, mit ihm alle einzelnen Bestandteile des Märtyrertods zu erleben und seine Schmerzen auf sich zu nehmen, um seine Qualen zu erleichtern, wie dies die Vita der Lukardis betont

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Susan Rodgers / Joanna E Ziegler, Elisabeth Spalbeek’s Trance Dance of Faith: A Performance Theory Interpretation from Anthropological and Art Historical Perspectives, in: Performance and Transformation New Approaches to Late Medieval Spirituality, hg v Mary A Suydam u Joanna E Ziegler, Houndmills/Basingstoke 1999, 299–355 77 Kleinberg, Prophets in Their Own Country (wie Anm 62), 40–98, hier 50–51, 74–75, 88–92; Ruhrberg, Der literarische Körper der Heiligen (wie Anm  62), 220–230 78 Raimundus Capuensis, Vita Sanctae Catharinae Senensis, Legenda maior, ed AA SS, Aprilis, Bd  III, Antwerpen 1675, 853–959, hier 937; Karen Scott, Mystical Death, Bodily Death: Catherine of Siena and Raymond of Capua on the Mystic’s Encounter with God, in: Gendered Voices: Medieval Saints and their Interpreters (The Middle Ages Series), hg v Catherine M Mooney, Philadelphia 1999, 136–167 79 Leben und Offenbarungen der Wiener Begine Agnes Blannbekin (1315) (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 419), hg v Peter Dinzelbacher u Renate Vogeler, Göppingen 1994 80 Renate Blumenfeld-Kosinski, The Strange Case of Ermine de Reims (c 1347–1396): A Medieval Woman between Demons and Saints, Speculum 85 (2010), 321–356 81 Alessandra Bartolomei Romagnoli, Santa Francesca Romana Edizione critica dei trattati latini di Giovanni Mattiotti (Collana storia e attualità 14), Vatikanstadt 1994 82 Vita venerabilis Lukardis (wie Anm  63), 314 83 Siehe Anm  1

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Gábor Klaniczay

Vergleichbare Motivationen finden wir in der berühmten Vision der Augustinerin Klara von Montefalco, der Christus, als er ihr erschien, das Kreuz ins Herz pflanzte Nach diesem Erlebnis spürte sie, wie sich Leidenswerkzeuge Christi in ihrem Herzen verbanden und sie die dadurch verursachten Schmerzen im Innern fühlte84 Erinnern wir uns, dass dieselbe Idee bereits in der Dreigefährtenlegende zu Franziskus formuliert wurden85, allerdings mit dem Unterschiede, dass sich bei Klara diese inwendigen, schmerzenden Wundmale nicht externalisierten Nach ihrem Tod im Jahr 1308 wurde ihr Herz entnommen und untersucht Laut Aussagen der Nonnen, die als Zeuginnen zugegen waren, wurden die Arma Christi tatsächlich in Klaras Herz entdeckt86 und später in einer beeindruckenden Zeichnung auch dargestellt87 Die Märtyrerqualen Christi rahmten ihr Herz gleichsam ein *** Der Zusammenhang zwischen Stigmata und Martyrium wurde vor allem durch die Kampagne zur Heiligsprechung Katharinas von Siena untermauert Die Initiative ging dabei in erster Linie von ihrem Beichtvater Raymund von Capua aus und wurde dann von Tommaso von Siena genannt Caffarini, dem Prior des Dominikanerkonvents San Giovanni e Paolo in Venedig, fortgeführt Er stellte um 1417 ein ganzes Buch zusammen, um die Anerkennung der Stigmata Katharinas unter Verweis auf ähnliche Fälle weiblicher, vor allem dominikanisch beeinflusster Stigmatisierter zu unterstützen88 Wie die überaus interessanten Illustrationen seines Buches zeigen, deutete Caffarini sämtliche Formen körperlichen Martyriums im Leben Katharinas wie auch aller anderen weiblichen Heiligen als eine Art der Stigmatisierung Wie in seinem Text sind auch auf den Zeichnungen aus dem Kreis um den Bologneser Paolo Cortesi, die zu einem Buch zusammengestellt wurden, Darstellungen von Selbstgeißelung, Wundmalen der Dornenkrone und den Leidenswerkzeugen Christi im Herzen der Klara von Montefalco neben Beispielen der Stigmatisierung zu sehen89 Trotz aller Mühen konnte Caffarini die Heiligsprechung Katharinas nicht erreichen Um sie sollten die Dominikaner noch ein weiteres halbes Jahrhundert kämpfen, bis sich schließlich Papst Pius II 1461 (auf der Basis der Dokumentation 84 85 86 87 88

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Faloci-Pulignani, La vita di Santa Chiara da Montefalco 2 (wie Anm  67), 225 Siehe Anm  38 Il processo (wie Anm  67), 7–8, 20–23, 26, 29–30, 73, 153–155, 225 und 338–341 Zu dieser Zeichnung siehe Caciola, Discerning Spirits (wie Anm  67), 178 Thomas Antonii de Senis „Caffarini“, Libellus de supplemento: Legende prolixe virginis beate Catherine de Senis (Testi cateriniani del Centro nazionale di studi cateriniani 3), hg v Iuliana Cavallini u Imelda Foralosso, Rom 1974; cf Fernanda Sorelli, La production hagiographique du dominicain Tommaso Caffarini, in: Faire croire Modalités de la diffusion et de la réception des messages religieux du xiie au xve siècle (Collection de l’École française de Rome 51), hg v André Vauchez, Rom 1981, 189–200 Fabio Bisogni, Il Libellus di Tommaso d’Antonio Caffarini  e gli inizi dell’iconografia di Caterina, in: Con l’occhio  e col lume, atti del corso seminariale di studi su S   Caterina da Siena, hg v Luigi Trenti u Bente Klange Addabbo, Siena 1999, 253–268

Stigmatisierung und Martyrium

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Caffarinis) zur Kanonisation entschied90 Die Einsprüche der Franziskaner endeten damit allerdings nicht Der franziskanische Papst Sixtus IV verbot die Darstellung der Stigmata Katherinas91 und verwies dabei auf die Aussage der Vita, diese seien auf ihre eigene Bitte hin unsichtbar geblieben92 Als Ersatz für ihre Darstellung als Stigmatisierte konzentrierten sich die Dominikaner daraufhin auf die angebliche Stigmatisierung der nicht kanonisierten dominikanischen Heiligen und Kanonisationskandidatin Margarete von Ungarn93 Um 1500 wurde dann die Frage dann im Zusammenhang des Martyriums des hingerichteten Savonarola94 erneut aktuell Eine Gruppe weiblicher Stigmatisierter wie Lucia Broccadelli (da Narni) († 1554)95, Katharina Mattei Racconigi († 1547), Osanna Andreasi († 1505) und Stefana Quinzani († 1505) unterstützten den halblegalen Kult ihres Märtyrer-Propheten durch die Schau ihrer eigenen blutigen Wundmale, die zugleich als Zeichen der Reinkarnation Katharinas von Siena gedacht wurden96 Der metaphorische wie symbolische Zusammenhang zwischen Stigmatisierung und Martyrium endete also keineswegs mit dem Ausgang des Mittelalters, sondern entwickelt sich in der Frühen Neuzeit weiter

90 Vgl zu den Tätigkeiten des Caffarini nun George Ferzoco, The Processo Castellano and the Canonization of Catherine of Siena, in: A companion to Catherine of Siena (Brill’s companions to the Christian tradition 32), hg v Carolyn Muessig, George Ferzoco u Beverly Mayne Kienzle, Leiden 2012, 185–201 Ich danke dem Autor für die Überlassung des Manuskripts vor Erscheinen des Bandes 91 Diega Giunta, La questione delle stimmate alle origini della iconografia cateriniana e la fortuna del tema nel corso dei secoli in: Con l’occhio e col lume (wie Anm  89), 319–348 92 Raimundus Capuensis, Vita Sanctae Catharinae Senensis (wie Anm 78), lib II cap 7, 901; Sofia Boesch Gajano / Odile Redon, La Leggenda Maior di Raimondo di Capua, costruzione di una santa, in: Atti del Simposio Internazionale Cateriniano-Bernardiniano, hg v Domenico Maffei u Paolo Nardi, Siena 1982, 15–35 93 Florio Banfi, Le stimmate della B Margherita d’Ungheria, Memorie Domenicane 50–51 (1934), 304–306; Klaniczay, Le stigmate (wie Anm  65) 94 Lauro Martines, Fire in the City Savonarola and the Struggle for Renaissance Florence, Oxford 2006 95 Ann Matter, Prophetic Patronage as Repression: Lucia Brocadelli da Narni and Ercole d’Este, in: Christendom and its Discontents: Exclusion, Persecution, and Rebellion, 1000– 1500, hg v Scott L Waugh u Peter D Diehl, Cambridge/New York 1995, 168–176; Tamar Herzig, Savonarola’s Women Visions and Reform in Renaissance Italy, Chicago 2008, 97–154; dies , Christ Transformed into a Virgin Woman Lucia Brocadelli, Heinrich Institoris, and the Defense of the Faith, Rom 2013 96 Gabriella Zarri, Le sante vive Profezie di corte e devozione femminile tra ’400 e ’500, Turin 1990, 87–164

DIE UNSCHULDIGEN KINDER Eine Gruppe von Sondermärtyrern? Tanja Skambraks Versucht man spezifische Eigenschaften von Märtyrern zu erfassen, so scheinen Begriffe wie die Glaubenszeugenschaft durch das blutige Selbstopfer, die Imitatio Christi und nicht zuletzt die Konkretisierung des Märtyrertums und der damit verbundenen Heiligkeit einer bestimmten Person oder Personengruppe im Kult charakteristisch Neben diesen Grundkomponenten des Märtyrerbegriffs, dem ich mich hier versuche zu nähern, erscheinen weitere Faktoren bedenkenswert, wie das Alter der Märtyrer, das Verhältnis von Individuum und Gruppe sowie die Intentionalität des Martyriums1 Die Beschäftigung mit einer besonderen Gruppe von Märtyrern, nämlich den Unschuldigen Kindern erscheint in diesem Zusammenhang besonders aufschlussreich, kann diesen doch gerade in Bezug auf die genannten Faktoren eine Sonderposition zugeschrieben werden Der Frage, woher sich dieser Sonderstatus ableiten lässt, möchte die vorliegende Untersuchung nachgehen Zugleich soll an dieser Stelle die Konzeption und Rezeption dieses Martyriums ausgehend von der Spätantike über das Frühmittelalter thematisiert werden Darüber hinaus werden verschiedene Formen der Aktualisierung des Heiligenkultes um die Unschuldigen Kinder im liturgischen Drama des 12  und 13 Jahrhunderts, im Volksschauspiel des beginnenden 16 Jahrhunderts sowie in der klerikalen Festkultur vorgestellt Anhand dieser Beispiele soll die Genese des Innocentes-Kultes und ihre Ausgestaltung in der longue durée skizziert werden Somit hofft die Studie einen Beitrag leisten zu können zur allgemeinen Erforschung des Begriffs und Konzeptes „Märtyrer“ aus kulturhistorischer Perspektive Ausgehend von der einzigen Belegstelle der Bibel über den Bethlehemitischen Kindermord (Mt 2,16) werden zunächst anhand ausgewählter Beispiele patristischer Schriften die Rezeption und Kommentierung dieses Ereignisses untersucht Im Anschluss hieran soll die Integration des Kultes in den frühen liturgischen Regelwerken nachgezeichnet werden um anschließend die dramatische Ausgestaltung der Liturgie als „performative Exegese“ zu untersuchen In diesen Bereich gehört nun auch die Figur des Kinderbischofs als Repräsentant der Unschuldigen Kinder

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Diese Aspekte wurden auch in der Abschlussdiskussion der wissenschaftlichen Studientagung des Arbeitskreises für hagiographische Fragen vom 31 03 bis 01 04 2011 in Weingarten (Oberschwaben) thematisiert Gerade hier erscheint das Beispiel der Unschuldigen Kinder besonders anschlussfähig Ich danke den Veranstaltern der Tagung sehr herzlich für die Aufnahme meines Beitrags in den Tagungsband

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und damit eine weitere Deutungsdimension des hier behandelten Phänomens Das Kinderbischofsfest kann somit als ein Mittel der Veranschaulichung und performativen Aktualisierung des Gedenkens an die Unschuldigen Kinder gelten2 1 AUSGANGSPUNKTE Die einzige biblische Grundlage für die Verehrung der Unschuldigen Kinder als Märtyrer ist Mt 2,16: „Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte “ Der dort auf Geheiß des römischen Statthalters Herodes beschriebene Mord an allen Kindern unter zwei Jahren in Bethlehem begründete das Andenken an diese anstelle Christi gestorbenen Sonder-Märtyrer 1 1 Patristische Schriften Im ersten Teil dieser Untersuchung wird anhand einiger ausgewählter Beispiele die Einordnung der Unschuldigen Kinder in den Kanon der Märtyrer zu verfolgen sein Leider fehlt es zu diesem Thema an einer systematischen Darstellung, es liegen lediglich einige wenige Studien vor, auf die ich mich hier beziehe3 Die patristischen Schriften thematisieren insbesondere die Rechtfertigung des Märtyrer-Status der Kinder, welche Christus ja nicht nachfolgten, sondern ihm vorausgingen Zudem starben sie an seiner Stelle und retteten ihn mittelbar, nämlich vor weiterer Verfolgung4 Außerdem stellen die Kommentatoren die Frage nach der Glaubenszeugenschaft, welche in diesem Falle mangels Sprachfähigkeit der Kinder nicht durch ein Wortzeugnis, sondern in völliger Passivität allein durch das Zeugnis des blutigen Todes ausgedrückt wird Es sind also drei Faktoren zentral für die Verehrung der Unschuldigen Kinder: der Zeitpunkt des Martyriums, ihr Alter und die damit verbundenen Eigenschaften, Unschuld und Reinheit

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Der vorliegende Beitrag bezieht sich weitestgehend auf ein Kapitel meiner Dissertationsschrift mit dem Titel „Das Kinderbischofsfest im Mittelalter, erscheint in der Reihe Micrologus Library (Florenz 2014, im Druck) Zu den Unschuldigen Kindern: John Hennig, Zur liturgischen Lehre von den unschuldigen Kindern, Archiv für Liturgiewissenschaft 9/1 (1965), 72–85; Hans Herter, Das Unschuldige Kind, Jahrbuch für Antike und Christentum 4 (1961), 146–162; Lester Ruth, Salvete Flores Martyrum The feast of the innocent Infants in the Early Church, Ecclesia Orans 12/3 (1995), 373–393, besonders 374 Einen kurzen Überblick bietet auch Els Rose in ihrer Einleitung zur Edition des Missale Gothicum: Missale Gothicum e codice Vaticano Reginensi latino 317 editum (Corpus Christianorum, Series Latina 159D), Turnhout 2005, 210–216 Hinzu kommt Francesco Scorza Barcellonas Beitrag zu den Unschuldigen Kindern in den Homiletischen Schriften: La celebrazione dei Santi Innocenti nell’omiletica latina dei secoli IV–VI, Studi medievali, Ser 3 15 (1974), 705–767 Hennig, Zur liturgischen Lehre (wie Anm  3), 84

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Als erster Zeuge für die Erwähnung der Innocentes als Märtyrer gilt der Kirchenvater Irenaeus von Lyon (ca  135–200), der im dritten seiner fünf Bücher gegen die Häresien die Tötung dieser Kinder wegen Christus erwähnt Im 16 Kapitel heißt es: „Deshalb entrückte er auch die Knaben im Hause Davids, die das Glück erlangt hatten, in jener Zeit geboren zu sein, um sie in sein Reich vorauszuschicken, als er selbst noch ein Kind war, und machte die Kinder der Menschen zu Märtyrern, die gemäß der Schrift getötet wurden wegen Christus, der zu Bethlehem in Juda, in der Stadt Davids geboren war “5

Bei Irenaeus wird die Altersgenossenschaft der Knaben von Bethlehem zum Privileg Gleichzeitig besteht bei ihm kein Zweifel an der Erlangung des Himmelreichs durch die Kinder, da Christus diese sozusagen vorausgeschickt hätte Die Unschuldigen Märtyrer avancierten zeitgleich zu Vorbildern der Standhaftigkeit in der Zeit der Christenverfolgung Dies belegt ein Brief Cyprians von Karthago († 258) an die Gemeinde von Thibaris in der römischen Provinz Byzacena im heutigen Tunesien Die dortigen Christen hatten sich mehrmals an den Bischof von Karthago gewandt mit der Bitte um einen Besuch Schließlich schrieb dieser im Jahr 252 einen Brief, in dem er die Bewohner von Thibaris zur Standhaftigkeit gegen die Verfolger aufforderte Er nimmt Bezug auf die Unschuldigen Kinder und setzt diese mit den alttestamentarischen Makkabäern gleich Im Brief heißt es: „Die Geburt Christi hatte gleich am Anfang den Märtyrertod von Kindern im Gefolge, und um seines Namens willen wurden die alle hingemordet, soweit sie zweitjährig oder jünger waren Ein Alter, noch nicht tauglich zum Kampfe, war dennoch fähig, die Krone zu erringen Damit offenbar werde, dass alle unschuldig sind, die um Christi willen den Tode erleiden, ward die unschuldige Kindheit seines Namens wegen hingeschlachtet Es wurde dargetan, dass niemand vor der Gefahr der Verfolgung sicher ist, wenn sogar Kinder den Märtyrertod erleiden mussten “6

Auch Cyprian zufolge erlitten die Unschuldigen das Martyrium um Christi willen Obgleich sie nicht als aktive Kämpfer gestorben waren, so war ihre Unschuld doch Ausweis einer besonderen Stellung und stand stellvertretend für alle christlichen Märtyrer, die als unschuldig zu gelten hatten Zugleich erscheint der letzte Satz

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Irénée de Lyon, Contre les hérésies, Bd  III (Sources chrétiennes 211), ed Adeline Rousseau, Paris 1974, III, 16, 4, 304: Propter hoc et pueros eripiebat qui erant in domo Dauid, bene sortiti illo tempore nasci, ut eos praemitteret in suum regnum, ipse infans cum esset infantes hominum martyras parans, propter Christum qui in Bethlehem natus est Iudaeae in ciuitate Dauid interfectos secundum Scripturas. Die Übersetzung folgt: Des heiligen Irenäus ausgewählte Schriften, Bd  1: Fünf Bücher gegen die Häresien (Buch 1–3) (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Reihe 3), übers v Ernst Klebba, Kempten/München 1912, 277 Correspondance de saint Cyprien, Bd  2, ed Louis Bayard, Paris 1961, 58, 6, 2, 164: Christi nativitas  a martyriis infantium statim coepit, ut ob nomen ejus  a bimatu et infra qui fuerant necarentur. Aetas necdum habilis ad pugnam idonea extitit ad coronam, ut appareret innocentes esse qui propter Christum necantur, infantia innocens ob nomen ejus occisa est. Ostensum est neminem esse a periculo persecutionis immunem, quando et tales martyria fecerunt. Die Übersetzung folgt: Des heiligen Kirchenvaters Caecilius Cyprianus Briefe (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Reihe 60), übers v Julius Baer, München 1928, 210 f

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auch eine Warnung hinsichtlich der Gnadenlosigkeit der Verfolgung, welche nicht einmal vor Kindern halt mache Diese Sichtweise spiegelt auch der Hymnus des Prudentius (348–ca  410) für den Epiphaniastag wider, deren Verse ebenso wie die des Cyprian die Grundlage für die liturgischen Texte des Festes der Unschuldigen Kinder wurden7 Das 12 Kapitel des Liber Cathemerinon mit dem Titel Hymnus Epifaniae8 enthält eine drastische Schilderung des Bethlehemitischen Kindermordes in 12 Strophen Als Herodes gehört hatte, dass der König Israels geboren sei, welcher über das Land Davids herrschen werde, rief er von Sinnen: „Der Nachfolger bedrängt uns, wir sind geschlagen “ Daraufhin befahl er einem Leibwächter, diesen hinzuraffen und ein Blutbad in allen Krippen anzurichten9 Der Leibwächter tötete daraufhin alle Kinder (omnis infans), nachdem er alle Ammen und Mütter Bethlehems durchsucht hatte Die gewaltsame Tötung kommentiert der Dichter mit dem Ausruf: O barbarum spectaculum!, um sie nachher als Blüte der Märtyrer zu begrüßen (Salvete flores martyrum), welche wie Knospen durch den Sturm abgeschlagen wurden10 Im folgenden Vers werden die Kinder als die ersten unter den christlichen Opfern (prima Christi victimes) genannt, die als unbefleckte Schar mit der Palme und der Krone vor dem Altar zu spielen scheinen11 Der Autor fragt schließlich nach dem Sinn dieses Martyriums und findet die Antwort in der Verschonung Jesu12 Diese prominenten Verse fanden Eingang in die liturgischen Texte für die Matutin und Laudes des Festtags am 28 Dezember und wurden auch durch Papst Pius V nach dem Tridentinum von 1568 beibehalten Eine weitere frühe Quelle zur Wahrnehmung der Unschuldigen Kinder bietet eine Bischof Optatus von Mileve wohl fälschlich zugeschriebene Predigt aus dem 5   oder 6 Jahrhundert Auch sie thematisiert das junge Alter der Märtyrer, die Altersgenossen Jesu waren: „Warte, Christus lehrt noch nicht, und doch hat 7

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Prudentius, Liber Cathemerinon, Nr  XII: Hymnus Epiphaniae, in: Aurelii Prudentii Clementis Carmina (Corpus Christianorum Series latina 126), ed Maurice P Cunningham, Turnhout 1966, 68 f , v 97 ff Zur Aufnahme von Passagen des Irenaeus und Prudentius im Missale Gothicum vgl Rose, Missale Gothicum (wie Anm  3), 215 f Die Verbindung der Verehrung der Unschuldigen Kinder mit dem Epiphaniasfest zeigt, dass beide Feste zunächst gemeinsam gefeiert wurden bzw in engem Zusammenhang standen Im 4 Jahrhundert erfolgte dann die Trennung der Geschichte der drei Magi und der HerodesThematik, wie auch der Eintrag im Kalender von Karthago zeigt Dabei wurde der Flucht nach Ägypten am 6 Januar gedacht Vgl hierzu auch Martin R Dudley, Natalis Innocentium: The Holy Innocents in Liturgy and Drama, in: The church and childhood Papers read at the 1993 summer meeting and the 1994 winter meeting of the ecclesiastical history society (Studies in Church History 31), hg v Diana Wood, Oxford 1994, 233–242, hier 234 Prudentius, Liber Cathemerinon (wie Anm  7), 68, v 93–100: Audit tyrannus anxius / adesse regum principem,  / qui nomen Israhel regat / teneatque David regiam. // Exclamat amens nuntio: / „Successor instat, pellimur. / Satelles, i ferrum rape / perfunde cunas sanguine! Ebd 69, v 125–128: Salvete flores martyrum / quos lucis ipso in limine / Christi insecutor sustulit / ceu turbo nascentes rosas! Ebd v 129–132: Vos prima Christi victima, / grex inmolatorum tener, / aram ante ipsam simplices / palma et coronis luditis Ebd v 133–136: Quo proficit tantum nefas, / quid crimen Herodem iuuat? / Vnus tot inter funera / inpune Christus tollitur.

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er schon Märtyrer: Seine Altersgenossen sind Märtyrer Ein Kind hat Kinder als Märtyrer “13 Eine weitere Predigt des Bischofs von Ravenna Petrus Chrysologus aus dem 5 Jahrhundert mit dem Titel De Herode et infantibus soll an dieser Stelle noch erwähnt werden In den ersten fünf Abschnitten beschreibt er Herodes als gewaltsamen, hasserfüllten und unchristlichen Herrscher um den sechsten Abschnitt mit der Frage Infantes quid? zu eröffnen Da deren Zungen schwiegen, ihre Augen nichts sähen, sie nichts hörten und täten, worin bestehe dann ihre Schuld? Petrus schlussfolgert, da sie unfähig gewesen seien, Schuld auf sich zu laden, könne nur die Tatsache ihrer Geburt in den Augen Herodes’ als Verbrechen angesehen worden sein14 Im darauffolgenden Abschnitt wird die Beziehung Christi zu seinen milites innocentiae beschrieben, die er selbst zu Märtyrern gekrönt hätte Er erhob sie, anstatt sie im Stich zu lassen, er empfing ihren Blick, er ließ sie nicht zurück15 Im weiteren Verlauf werden die Unschuldigen Kinder als durch die Tränen und das Blut Getaufte bezeichnet, ebenso als sociae passionis und praemii consortes Die Kinder seien dem Menschensohn nicht Opfer, sondern Eltern16 Die Darstellung der Unschuldigen Kinder erfolgt in den hier vorgestellten patristischen Schriften immer im Sinne einer eindeutigen Zuschreibung des Märtyrerstatus Dieser wurde den Innocentes auch trotz fehlender Taufe, die durch die Bluttaufe ersetzt wurde, und trotz des Unvermögens zu sprechen vollständig zuerkannt Einige Autoren sahen in der Tatsache, dass die Kinder Zeitgenossen Jesu waren, sogar einen Grund für ihren besonderen Status als Zeugen Christi Sie seien zudem für ihn gestorben Die Bezeichnung der Kinder als Blüten der Märtyrer und erste unter den christlichen Opfern belegt diesen Sonderstatus, der sich schließlich auch in der Übernahme dieser Textpassagen in den frühen liturgischen Schriften spiegelt Einige Beispiele dieser frühen liturgischen Texte sollen nun vorgestellt werden

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CPL 247, Inc Meminit sanctitas vestra, ed Germain Morin, Deux sermons africains du ve/ vie siècle avec un texte inédit du symbole, Revue Bénédictine 35 (1923), 233–245, hier 233– 235, insbesondere 235: Ecce Christus nondum docet, et martires habet: martyres coevos suos, infans infantes. Vgl die Angabe bei Susan Boynton, Performative Exegesis in the Fleury Interfectio Puerorum, Viator 29 (1998), 39–64, hier 49 Sancti Petri Chrysologi collectio sermonum a Felice episcopo parata sermonibus extravagantibus adiectis (Corpus Christianorum Series latina 24B), ed Alexander Olivar, Turnhout 1982, sermo 152, 949–957, hier 952: Non tempus adfuit, non excusavit aetas, silentium non defendit, quibus apud Herodem solum quod nati sunt, hoc fuit crimen. Ebd 954: Praemisit ergo Christus suos milites, non amisit; recepit suas acies, non reliquit Ebd : Infans filius omnem hominem non hostem respicit, sed parentem

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1 2 Die Verehrung der Unschuldigen Kinder in der frühmittelalterlichen Liturgie Die liturgische Verehrung der Unschuldigen Kinder im Mittelalter basiere zunächst viel eher auf ihrer Wahrnehmung als Märtyrer als auf dem zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt Jesu, i e dem Weihnachtsfestkreis So argumentiert der amerikanische Theologe Lester Ruth in einem Aufsatz zum Fest der Unschuldigen Kinder in der frühen Kirche17 Dies belegt er sowohl anhand patristischer Schriften als auch anhand der frühen liturgischen Texte aus Jerusalem, Spanien, Nordafrika, Gallien, Norditalien und Rom Auf seine Ausführungen nehme ich an dieser Stelle Bezug Der erste Beleg für die Integration der Verehrung der Unschuldigen Kinder im liturgischen Kalender stammt aus Karthago Das Martyrologium des 5 Jahrhundert verzeichnet das festum sanctorum infantum quod Herodes occidit18 . Der komplexe Prozess der Adaption des Innocentes-Kultes in den frühen liturgischen Texten kann und soll an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden, es werden lediglich einige Textbeispiele ausgewählt, anhand derer die Integration des Kultes dargestellt wird19 Die früheste nachgewiesene liturgische Tradition stammt aus dem 5 Jahrhundert aus Jerusalem und kann anhand gregorianischer und armenischer Lektionare nachgezeichnet werden Diese sahen zum einen die Lesung des 2 Kapitels, Vers 16 bis 18 des Matthäusevangeliums vor, zum anderen eine Lesung aus dem Brief an die Hebräer 2,9–1820 Neben dem im 5 Jahrhundert etablierten Reliquienkult in Bethlehem wurde das Fest dort nach Ostern (Anfang oder Mitte Mai) platziert In Spanien, wo der Gedenktag der Unschuldigen Kinder der 8 Januar gefeiert wurde, nannte man das Fest allisio infantum und verwies somit umso deutlicher auf den gewaltsamen Tod der Kinder Entgegen dieser abweichenden Platzierung des mozarabischen Kalenders ist für den europäischen Raum von einer gemeinsamen 17 18

Ruth, Salvete Flores Martyrum (wie Anm  3), 374 Kalendarium antiquissimum ecclesiae Carthaginensis, ed Patrologia latina, Bd  XIII, Paris 1845, 1219–30, hier 1228 Interessant erscheint die Platzierung Johannes des Täufers und des Apostels Jakob am 27 12 , ein Datum, das in späteren Quellen immer als Festtag Johannes’ des Evangelisten genannt wird 19 Hierzu Dudley, Natalis Innocentium (wie Anm  8) sowie Ruth, Salvete Flores Martyrum (wie Anm  3) 20 Dort findet sich eine Erinnerung an die kindlichen Märtyrer im Zusammenhang der Erniedrigung und Erhöhung Christi: „Denn es ziemte dem, um deswillen alle Dinge sind und durch den alle Dinge sind, der da viel Kinder hat zur Herrlichkeit geführt, dass er den Herzog der Seligkeit durch Leiden vollkommen machte Sintemal sie alle von einem kommen, beide, der da heiligt und die da geheiligt werden Darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen, und spricht: ‚Ich will verkündigen deinen Namen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir lobsingen ‘ Und abermals: ‚Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen ‘ und abermals: ‚Siehe da, ich und die Kinder, welche mir Gott gegeben hat ‘ Nachdem nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist er dessen gleichermaßen teilhaftig geworden, auf dass er durch den Tod die Macht nehme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist dem Teufel, und erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten “

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Tradition auszugehen, die im Anschluss an die Feste anderer Heiliger und Märtyrer wie Stephanus, Johannes und Jakob entstand Ruth sieht in der Zuordnung der Innocentes zur Gruppe der Sondermärtyrer den Hauptgrund für die Platzierung des Festtages am 28 Dezember, weniger in der Nähe zum Geburtsdatum Christi21 Es handelt sich bei all diesen um biblische Märtyrer, die eng an die Heilsgeschichte gebunden sind So ist davon auszugehen, dass sich der Ritus ausgehend von Nordafrika und Norditalien zunächst in Gallien und schließlich in Rom verbreitete22 Im 6 Jahrhundert war das Fest in allen genannten Regionen etabliert Das gallische Lektionar von Luxeuil sah demzufolge auch die Lesung aus dem oben genannten Brief des Cyprian vor, wo auch der Begriff der Innocentes statt Infantes erscheint Auch in Syrien bestand die Tradition des Festes, hier jedoch scheint es jünger zu sein Die ersten Belege stammen aus dem 5  bzw 7 Jahrhundert, das Fest wurde hier am 29 Dezember gefeiert Für Konstantinopel stammt der erste kalendarische Beleg aus dem 10 Jahrhundert; dort wurde am 29 12 der 14 000 von Herodes ermordeten Kindern sowie aller Christen gedacht, die Hunger, Durst, Gewalt und Kälte erleiden mussten Diese Lesart stellte die Innocentes offensichtlich in eine Tradition aller leidenden Christen23 Eine weitere Quelle für die Verehrung der Unschuldigen Kinder als Märtyrer sind die Präfationen in den frühen Sakramentaren Die Eröffnungsgebete zeigen die Interpretation der Rolle der Unschuldigen Kinder als Märtyrer für Christus Das Sacramentarium Veronense aus dem 7 Jahrhundert enthält folgende Präfation für die erste Messe am Tage der Unschuldigen: Uere dignum: praetiosis enim mortibus paruulorum, quos propter filii tui domini nostri et salvatoris infantiam bestiali saeuitia Herodes funestus occidit inmensa clementiae tuae dona cognoscimus. Fulget namque magis sola gratia quam uoluntas, et clara est prius confessio quam loquella; ante passio quam membra passionis exsisterent; testes Christi, qui eius nondum fuerant agnitores. O infinita benignitas, cum pro suo nomine trucidatis etiam nescientibus meritum gloriae perire non patitur, sed proprio cruore perfusis et salus regenerationis expletur, et inputantur corona martyrii.24

Hier werden die Innocentes als Zeugen Christi bezeichnet, die das Martyrium noch vor der Passion Christi erlitten hätten Diese seien aufgrund ihres gewaltsamen Todes mit der Krone der Märtyrer gekrönt worden Die Präfation für die zweite Messe 21

Ruth, Salvete Flores Martyrum (wie Anm  3), 381: „All these factors give reason enough to find the feast of Infants’ placement in the last week of December not by reason of relationship to Christmas, but by relationship to the adjoining protomartyrs’ feasts “ 22 Ebd 385 23 Ebd 24 Sacramentarium Veronense Cod Bibl Capit Veron LXXXV[80] (Rerum ecclesiasticarum documenta, Series maior, Fontes 1), ed Leo Mohlberg, Rom 31994, Bd  2, 165, Nr  XLII Vgl auch die Faksimileausgabe Sacramentarium Leonianum: Cod Bibl Capit Veron LXXXV (80) (Codices selecti 1), ed Franz Sauer, Graz 1960, hier fol 134–136 Die Namensgebung Sacramentarium Leonianum ist irreführend, da die Sammlung keinesfalls auf Papst Leo I zurückgeht, und wird daher seit Mohlbergs Edition vermieden Vgl zusammenfassend Cyrille Vogel, Medieval liturgy An Introduction to the sources, Washington 1986, 38–46 Zur hier interessierenden Präfation vgl auch Hennig, Zur liturgischen Lehre (wie Anm  3), 77

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des Festtages im Sacramentarium Veronense knüpft an die Klage Rachels an, ein Motiv, das auch im liturgischen Drama einen wichtigen Platz findet Hier wird das kindliche Alter der Märtyrer thematisiert, da diese aufgrund ihres Unvermögens zu sprechen ja keine Glaubenszeugen sondern lediglich Blutzeugen waren25 Das Motiv des sprachlichen Unvermögens der Kleinkinder und ihrer damit verbundenen Unfähigkeit als Glaubenszeugen durch das Wortzeugnis aufzutreten, erscheint auch im Missale Gothicum des 8 Jahrhunderts26 Die Präfation für die Messe am 28 12 formuliert, die Kinder hätten aufgrund ihres Alters nicht sprechen können, dennoch hätten sie das Lob Gottes mit Freude ertönen lassen Durch ihr Blut hätten sie ausgesprochen, was ihnen durch Sprache nicht möglich war Dieses Martyrium brachte denen Lob, welchen die Sprache den Lobpreis verweigerte Das Kind Christus schickt die Kinder in den Himmel voraus; er übergab sie ihrer neuen Heimat, er gewährte ihnen den Status der ersten Märtyrer, welchen sie durch das Verbrechen Herodes’ erreicht hätten27 Hier findet sich auch die Bezeichnung der Kinder als flores martyrum aus dem Gedicht des Prudentius wieder; auch das Motiv der glücklichen Kinder, wie es bei Irenaeus erscheint, taucht hier auf28 Ein Gebet aus dem Missale Gothicum bestätigt den Märtyrerstatus der Kinder aufgrund ihrer Unschuld Der blutige Tod wird hier mit der Taufe der als ungetauft geltenden Kinder gleichgesetzt und damit erlangen diese auch das Heil29 Dass der Bethlehemitische Kindermord als notwendig im Heilsplan angesehen wurde, zeigt ein Kommentar des Pseudo-Augustinus, der später in das Offizium zur Oktav der Unschuldigen Kinder Aufnahme fand Dort heißt es: „Gott ist es, der geboren wurde: Jene Unschuldigen sind zu Opfern bestimmt […] die Lämmchen müssen geopfert werden, wie das Lamm, welches gekreuzigt wird und welches die Sün-

25 Sacramentarium Veronense (wie Anm   24), 165 f , Nr   XLII: Rachel […] maerebat ergo, quod de eius subule non uenerint, quo tanto sunt munere coronati. De Liae quippe sunt stirpe progeniti, quorum diuina gratia praeuenit et sensum, intelligentiam passio, et martyrii palma mirabilis praecessit aetate(m); ut etiam ueneranda nostri salvatoris infantia coetaneis testificationibus existeret gloriosa Vgl hierzu Hennig, Zur liturgischen Lehre (wie Anm  3), 76 26 Rose, Missale Gothicum (wie Anm  3), insbesondere 210–216 sowie 368–370 27 Ebd 369, Nr  49: Infantes enim qui aetate loqui non poterant, laudem domini cum gaudio resonabant. Occisi praedicant, quod uiui non poterant. Loquuntur sanguine, quod lingua nequiuerunt. Contulit his martyrium laudem, quibus abnegaverat lingua sermonem. Praemittit infantes infans Christus ad caelos; transmittit nova exenia patri; primicias exhibet genetori parvulorum prima martyrii Herodis scelere perpetrata 28 Hierzu das Eröffnungsgebet, ebd 368, Nr  46: Feliciter pro Christo mortui sunt sed felicius cum eodem in aeternitate victuri qui ad hoc tantum per humanam infirmitatem nati sunt ad erumnam, ut per dei gratiam nescerentur martyres ad coronam. 29 Ebd 350, Nr  50: Deus, qui tibi consecrasti primitias martyrum ad innocentia parvulorum. Amen. Et prius tibi coapasti in confessionem infantiam, quam lingua solveretur in verba. Amen. Concide plebem tuam innocentem per gratiam, et si non sint hoc tempore sanguine fuso martyria. Amen. Servetur hic populus purgatus baptismate, qui tibi placitam fecisti innocentiam per cruorem. Amen. Ut illic suo interventu grex accedat per lavacrum, ubi felices parvuli perfusi rore sanguinis gloriantur. Amen.

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den der Welt trägt “30 Zudem werden die Kinder hier als Lämmer mit dem Lamm Christus nahezu gleichgesetzt und erfahren somit eine enorme Aufwertung Hier taucht auch der Begriff Innocentes für die in früheren Texten oft Infantes genannten Kinder auf John Hennig sieht hierin zum einen Ersatz für fehlende Personennamen der Märtyrergruppe Zum anderen einen Versuch „sich über Diskussionen hinwegzusetzen, ob ungetaufte Heilige und noch nicht zum Gebrauch der Sprache (also zur Entscheidungsfähigkeit) gelangte Märtyrer sein können “ Der Begriff der Unschuldigen kann somit als zentraler Ausweis der Heiligkeit dieser Märtyrer verstanden werden, der die Mängel des fehlenden Wortzeugnisses und sogar die fehlende Taufe auszugleichen vermochte Eine weitere Dimension des Unschuldsbegriffes scheint im Liber Sacramentorum Gellonensis aus dem 8 Jahrhundert auf Dort wird der mentium puritatem, also der Reinheit des Geistes der Kinder gedacht Dies geht aus einem Gebet für den Vespergottesdienst am Tag der Unschuldigen Kinder hervor31 Die Unschuld der pueri muss in diesem Zusammenhang auch in Bezug auf die sexuelle Reinheit, die virginitas, verstanden werden Hierin kann man ein wichtiges Motiv für das Aufgreifen des Textes der Offenbarung erkennen, wo es über die 144 000 geretteten Seelen heißt: „Diese sind’s, die mit Weibern nicht befleckt sind, denn sie sind Jungfrauen und folgen dem Lamme nach, wo es hingeht “ Die Assoziation der Unschuldigen Kinder mit der Schar der 144 000 überlebenden Seelen aus der Offenbarung des Johannes32 und die darin enthaltene Beschreibung des Lamms auf dem Berg Zion umgeben von Hundertvierundvierzigtausend, die den Namen des Herrn auf ihrer Stirn geschrieben hatten, spiegelt sich auch im Responsorium Centum Quadraginta, einem sehr häufig in den Libri Ordinarii für den Tag der Unschuldigen Kinder anzutreffenden Text, wieder Ausgehend von der Liturgie als konstitutiven Teil des Innocentes-Kultes entwickelten sich vermutlich seit dem 11 Jahrhundert auch liturgische Dramen, welche die zentralen Motive des Martyriums in szenischen Darstellungen verarbeiteten und ausgestalteten Die Dramatisierung des Todes der Unschuldigen Kinder soll nun anhand des Beispiels eines Stückes aus dem 12 Jahrhundert untersucht werden 30 Die Väterlesungen des Breviers I, ed Athanasius Wintersig (Ecclesia orans 13), Freiburg i Br 1925, 156 f : Deus est, qui natus est: Innocentes illi debentur victima […] Agnelli debent immolari, qui Agnus futurus est crucifigi, qui tollit peccata mundi Vgl Hennig, Zur liturgischen Lehre (wie Anm  3), 80 31 Liber sacramentorum Gellonensis (Corpus Christianorum Series latina 159), ed Antoine Dumas u Jean Deshusses, Turnhout 1981, 8, Nr  66 32 Offb 14,1–5: „Das Lamm und die Seinen Und ich sah das Lamm stehen auf dem Berg Zion und mit ihm Hundertvierundvierzigtausend, die hatten seinen Namen und den Namen seines Vaters geschrieben an ihre Stirn Und ich hörte eine Stimme vom Himmel wie eines großen Wassers und wie eine Stimme eines großen Donners; und die Stimme, die ich hörte, war wie von Harfenspielern, die auf ihren Harfen spielen Und sie sangen ein neues Lied vor dem Stuhl und vor den vier Tieren und den Ältesten; und niemand konnte das Lied lernen denn die Hundertvierundvierzigtausend, die erkauft sind von der Erde Diese sind’s, die mit Weibern nicht befleckt sind, denn sie sind Jungfrauen und folgen dem Lamme nach, wo es hingeht Diese sind erkauft aus den Menschen zu Erstlingen Gott und dem Lamm; und in ihrem Munde ist kein Falsch gefunden; denn sie sind unsträflich vor dem Stuhl Gottes “

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2 DIE REZEPTION UND AUSGESTALTUNG DES FESTES IM SPÄTEREN MITTELALTER 2 1 Liturgische Dramen als performative Exegese „Medieval plays celebrating the Massacre of the Holy Innocents constitute one of the richest traditions of Latin liturgical drama In these music dramas, newly composed material complements and organizes scriptural and liturgical elements in a synthesis of poetry and prose that dramatizes the matthean narrative of the Massacre, while maintaining the multileveled discourse that caracterizes most accounts of the event in commentary and liturgical poetry “33

Susan Boynton sieht also im Zusammenspiel von biblischen, homiletischen, liturgischen, poetischen und musikalischen Elementen das Kennzeichen aller liturgischen Dramen über die Erzählung des Bethlehemitischen Kindermords Insgesamt sind vier liturgische Dramen zu diesem Thema überliefert, von denen drei aus Frankreich (Lyon34, Fleury35 und Limoges36) und eines aus Deutschland (Freising37) stammen Sie alle entstanden zwischen dem 12  und 13 Jahrhundert und zeugen von der kreativen Ausformung der Liturgie des Innocentes-Kults David Bevington vermutet den Kontext der Entstehung der frühesten Stücke für das Weihnachtsfest in Anlehnung an die Osterspiele, die sich aus dem Tropus Quem Queritis in sepulchrum, also der szenischen Erweiterung eines einstimmigen liturgischen Chorals zwischen den drei Marien und dem Engel am Grabe Christi entwickelten Der Zeitraum der Entstehung der Weihnachtsspiele liegt im späten 10 Jahrhundert38 Den Ansatzpunkt für eine erste Dramatisierung bot hier der Tropus Quem queritis in preasepe des Hirten, wie ein Beispiel aus dem 11 Jahrhundert aus Limoges zeigt Diese Szene war zur Aufführung vor der dritten Messe am Weihnachtstag vorgesehen und dem eigentlichen liturgischen Geschehen quasi vorgeschaltet Die dramatische Ausweitung der Handlung um die Geburt Christi fand in späterer Zeit durch die Themen der drei Magier und durch den Bethlehemitischen Kindermord statt39 Letzterer wurde beispielsweise in einem Stück aus dem 33 Boynton, Performative Exegesis (wie Anm  13), 39 34 Im Offizium Stellae aus Laon ist das Stück an ein Spiel für den Epiphaniastag angegliedert, Karl Young, The Drama of the Medieval Church, 2 Bde, Oxford 1933, hier Bd  2, 103–109 35 Das Stück ist u a abgedruckt bei Boynton, Performative Exegesis (wie Anm  13), als Appendix; Young, Drama (wie Anm  34), Bd  2, 110–117 In englischer Übersetzung bei David M Bevington, Medieval Drama, Boston 1975, 67–72 36 Young gibt hier nur einen kleinen Auszug aus dem Stück wieder, Young, Drama (wie Anm  34), Bd 2, 109 f 37 Der dortige Ordo Rachelis enthält ein Stück aus dem späten elften Jahrhundert, ebd 117–122 38 Ebd 51 39 Siehe hierzu die Spieltexte der Kathedrale von Rouen, die von Armand Gasté ediert wurden: Les drames liturgiques de la Cathédrale de Rouen – contribution a l’histoire des origines du théâtre en France, ed Armand Gasté, Evreux 1893 Bei Gasté finden sich neben dem ausgewerteten Officium infantium aus dem 11 Jahrhundert auch andere Stücke für die Weihnachtszeit, wie das Officium ad festum asinorum, ein Prozessionsspiel der Propheten für den Vorabend des Weihnachtsfestes, ein Officium pastorum für den Weihnachtstag, ein Officium stellae für den Epiphaniastag, an welchem das Andenken an die Hl drei Könige gefeiert

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12 Jahrhundert mit dem Titel Ad interfectionem puerorum aufgegriffen und zu einem Drama verarbeitet, das mit hoher Wahrscheinlichkeit am Festtag der Unschuldigen Kinder zur Aufführung kam40 Ein weiteres Beispiel für die Ausgestaltung dieses Stoffes bietet ein Drama aus dem frühen 16 Jahrhundert (1512) aus England mit dem Titel Candelmes day and the kyllyng of the children of Israelle41. Beide Spiele greifen die Thematik der Unschuldigen Kinder auf und werden an dieser Stelle nun beispielhaft untersucht 2.1.1. „Die Tötung der Unschuldigen Kinder“ (Ad interfectionem puerorum, 12. Jahrhundert) Dieses liturgische Drama aus dem späten 12 Jahrhundert aus Fleury kann der Abtei Fleury/Saint-Benoît-sur-Loire zugeordnet werden In der dortigen Bibliothek ist es seit dem 13 Jahrhundert nachgewiesen Das Stück kann keinem liturgischen Buch zugeordnet werden, somit ist sein Ursprungsort unbekannt Neben den drei anderen überlieferten Stücken, die den Tod der Unschuldigen thematisieren, bietet es die elaborierteste Form theatralischer Handlungen, betrachtet man die Ausführlichkeit der „Regieanweisungen“ sowie die Länge des Stückes Das Stück lässt sich inhaltlich in drei Handlungsabschnitte gliedern Der erste Teil stellt in schneller Folge die Handlung von der Verkündung der Geburt Christi über die Benachrichtigung des Herodes bis hin zum Bethlehemitischen Kindermord dar Der zweite große Abschnitt des Stücks besteht aus der Klage Rachels Rachel erscheint hier einerseits als Sinnbild für alle Mütter und als Mensch, der leidet Andererseits symbolisiert sie die Kirche, die den Sieg davonträgt42 Dieser Teil endet mit dem Aufwurde Eine Sammlung von Stücken bietet auch: Drames liturgiques au Moyen Âge, ed Edmond de Coussemaker, Paris 1861, 83–177 Eine detaillierte vergleichende Studie aller Weihnachtsspiele steht noch aus 40 So argumentieren Boynton (Performative Exegesis [wie Anm   13], 39 f ) und Bevington überzeugend Letzterer verweist auch auf ein zweites Herodes-Spiel aus Fleury für den Epiphaniastag, das den Besuch der Hl drei Könige und der Hirten an der Krippe zum Thema hat Ebenso thematisiert es die Begegnung der drei Heiligen mit Herodes Es findet sich im Manuskript direkt vor dem Spiel über die Tötung der Unschuldigen, Bevington, Medieval Drama (wie Anm  35), 52 f 41 Das Manuskript befindet sich in der Bodleian Library in Oxford unter der Signatur Digby 133, ed The late medieval religious plays of Bodleian MSS Digby 133 and E Museo 160, ed Donald C Baker, John L Murphy u Louis B Hall, Oxford 1982, 96–113 42 Diese Deutung findet sich beispielsweise bei Hieronymus (Commentarius in Osee III, xi, 1 2– 3 4, ed Sancti Hieronymi Presbyteri Opera, Pars 1: Opera exegetica, 6: Commentarii in prophetas minores [Corpus Christianorum Series latina 76], ed Marcus Adriaen, Turnhout 1970, 122) und Caesarius von Arles (Caesarius Arelatensis, Sermones, 2 Bde [Corpus Christianorum Series latina 103–104 / Caesarii Arelatensis Opera I–II)], ed Germain Morin, Turnhout 1953, Bd  II, 877–881, Nr  CCXXII, dort allerdings mit † versehen), und ebenso bei Beda (Bedae Venerabilis homeliarum Evangelii libri II, ed David Hurst, in: Beda Venerabilis Opera, Pars III: Opera homiletica, Pars IV: Opera rhythmica (Corpus Christianorum Series latina 122), Turnhout 1955, 1–403, hier 68–72, Nr  10 (SS Innocentium), insbesondere 68–69; eine weitere Deutungsebene ist der Bezug zu Maria als Mutter Jesu

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tritt eines Engels, der den Sinn des Todes der Kinder durch den Gesang Sinite parvulos verkündet Diese Prosa greift die prominente Stelle des Markusevangeliums auf, wo Jesus verkündet, dass den Kindern der Einzug in das Himmelreich gewährt werde Damit scheint der von Rachel betrauerte Tod der Knaben von Bethlehem einen Sinn zu erhalten, ist den kindlichen Märtyrern doch das Heil sicher Dieser Gesang ist schließlich auch ein wichtiger Teil der liturgischen Verehrung der Unschuldigen Kinder Im dritten und letzten Teil erscheinen die getöteten Innocentes erneut, Herodes wird hinweggeführt Sein Sohn Archelaos folgt ihm nach Die Heilige Familie kehrt daraufhin aus Ägypten zurück, und Joseph stimmt einen Freudengesang zu Ehren Marias (gaude, gaude, gaude, Maria virgo) an Zu Beginn des Stückes erscheinen die Innocentes, welche von Chorknaben in weißen Stolen verkörpert werden sollen Diese richten frohlockend durch die Kirche des Klosters ziehend folgendes Gebet an Gott: „O, wie ruhmvoll ist das Königreich in dem alle Heiligen mit Christus Lob singen, gekleidet in weiße Stolen; sie folgen dem Lamm wo auch immer es hingeht “43 Daraufhin taucht plötzlich ein Lamm44 mit einem Kreuz auf dem Rücken auf und läuft vor diesen hin und her, woraufhin die Knaben ihm folgen und in Anlehnung an die Offenbarung singen: Emitte agnum, Domine, dominatorem terrae, de petra deserti ad montem filiae Sion Bereits an dieser Stelle wird die programmatische Assoziation der Innocentes mit der apokalyptischen Schar der 144 000 Seelen, die das Lamm Gottes auf dem Berg Zion umgeben, vorgeführt Parallel hierzu wird Herodes als Protagonist eingeführt Eine dritte parallele Handlungsebene entsteht durch einen Engel, der zeitgleich über der Krippe erscheint um Joseph zu warnen und ihn und Maria zur Flucht nach Ägypten zu bewegen Während der Flucht der heiligen Familie benachrichtigen die Leibwächter Herodes von der Täuschung durch die drei Magier Sie hatten einen anderen Heimweg angetreten Auf diese Nachricht soll der verzweifelte Herodes vom versuchten Selbstmord durch seine Gehilfen abgehalten werden; währenddessen wandeln die Innocentes mit dem Lamm in feierlicher Prozession durch die Kirche hin und her Die Leibwächter empfehlen ihrem Herrn, alle Knaben in Bethlehem zu töten Diesen Rat nimmt Herodes an und verfügt: „Meine hervorragenden Soldaten, lasst die Knaben durch das Schwert untergehen “45 Hierauf folgt nun die Tötungsszene, zuvor soll das Lamm, welches die Innocentes verabschieden, weggeführt werden Nun kommen die Mütter der Knaben ins Spiel Sie wenden sich flehend an die Mörder: „Lasst uns beten: verschont das zarte Leben unserer Söhne!“46 Nach dem Massaker erscheint der Engel und spricht zu den

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Bevington, Medieval Drama (wie Anm   35), 67: Ad interfectionem puerorum induantur Innocentes stolis albis, et gaudentes per monasterium, orent Deum dicentes: ‚O quam gloriosum est regnum in quo cum Christo gaudent omnes sancti amicti stolis albis; sequuntur agnum quocumque ierit.‘ 44 Ob es sich hierbei um einen verkleideten Knaben oder ein echtes Lamm handelte, geht aus dem Spieltext nicht hervor Beide Versionen sind jedoch denkbar 45 Bevington, Medieval Drama (wie Anm  35), 69: Armiger eximie, pueros fac ense perire 46 Ebd : Tunc matres occidentes orent occisos: ‚Oremus, tenerae natorum parcite vitae!‘

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Getöteten: „Ihr, die Ihr im Staube liegt, wacht auf und klagt an “ Die am Boden liegenden Kinder rufen aus: „Warum rächest Du nicht unser Blut?“ Und sie vernehmen vom Engel die Antwort: „Harret noch eine kurze Zeit, bis voll werde die Zahl eurer Brüder “ Im nun folgenden Teil  tritt Rachel als Typus der klagenden Mutter mit zwei consolatrices auf Es folgen die Klage und die erfolglosen Versuche der Tröstung in dialogischer Form Den dritten Teil  des Stückes eröffnet eine Antiphon, die der Engel von oben (de supernis) singt: „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Himmelreich “ Dieses Zitat des Markusevangeliums (Mk 10,14) verweist auf das zentrale Motiv der Vorbildhaftigkeit der kindlichen Märtyrer einerseits und zugleich auf ihren garantierten Einzug in das Himmelreich Daraufhin erscheinen die Knaben im Chor und singen eine Antiphon in triumphierendem Tonfall, welche die Kinder als milites Christi preist47 Währenddessen sollte Herodes durch seinen Sohn Archelaos als König ersetzt werden Nach diesem Zeitsprung gibt der Engel das Zeichen für die Rückkehr der heiligen Familie aus Ägypten Die Rückkehr dieser wird begleitet vom Gesang Josephs, in dem er Maria als Himmelsgöttin anruft48 und somit einen Bogen zur Verehrung der Heiligen Mutter Gottes schlägt Das Stück endet mit dem Te Deum laudamus Auch zu diesem Teil der Liturgie hat Susan Bonyton eine einschlägige Interpretation vorgelegt Sie zeigte hierbei die Auslegung der biblischen Geschehnisse durch das Drama sowie die komplexe Struktur der zeitlichen Handlungsebenen und Referenzpunkte zwischen Altem und Neuem Testament auf49 Sie hat auf die besondere zeitliche Mehrdimensionalität des Stückes hingewiesen, wobei verschiedene Handlungsabläufe gemeint sind, die parallel verlaufen So treten beispielsweise in den Szenen des Herodes auch die Unschuldigen Kinder auf und singen: „Das heilige Lamm, getötet um unseretwillen, den Glanz des Vaters und den Glanz der Reinheit bieten wir Christus unter diesem Zeichen des Lichtes, so dass wir, welche durch den Zorn Herodes’ auf viele Arten ausgewählt wurden, gerettet werden durch das Lamm, so werden wir zusammen sterben in Christus “50 Zugleich greift Herodes in seiner Rede Formulierungen aus Sallusts De coniuratione Catilinae auf und knüpft damit an das negativ besetzte Bild des heidnischen römischen Politikers an Neben diesem Bezug zur römischen Antike erscheinen im Stück auch Parallelen 47

Ebd 71 f : O Christe, quantum patri exercitum, juvenis doctus ad bella maxima, populis praedicans colligis, umbras suggens cum tantum miseris 48 Gaude, gaude, gaude, Maria virgo, cunctas haereses, et cetera Dieser Gesang entstammt der Liturgie zur Marienverehrung, wie Susan Boynton gezeigt hat (Boynton, Performative Exegesis [wie Anm  13], 60) 49 Mk 10,14 Die Segnung der Kinder: Und sie brachten Kindlein zu ihm, dass er sie anrührte Die Jünger aber fuhren die an, die sie trugen Da es aber Jesus sah, ward er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kindlein, der wird nicht hineinkommen Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie 50 Boynton, Performative Exegesis (wie Anm  13), 49

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zum Tod des byzantinischen König Balthasar, der als Gegenspieler Daniels und als Typus des unchristlichen Herrschers im Danielis ludus auftaucht Die Mordszene der Innocentes im Stück erscheint ohne eschatologische Kommentierung, da das Lamm kurz zuvor von der „Bühne“ entfernt wurde Nach der Tötung tritt ein Engel auf und geleitet die Gestorbenen in den Himmel Die Gesänge der Innocentes sind direkt aus der Offenbarungstradition entnommen, die Anklänge der Auslegungen werden hier mimetisch konkretisiert Das Drama könnte somit in Anlehnung an die Forschungsergebnisse von Margor Fassler zum Danielis ludus51 der Subdiakone als ein Spiel für das Fest der Chorknaben am Tage der Unschuldigen Kinder interpretiert werden Ein Ziel dieses Stückes war die Veranschaulichung und Vermittlung des Heilsgeschehens Zum anderen könnte man auch in diesem Drama die Integration spielerischer Elemente vermuten, obgleich die Handlung des Stückes Ad interfectionem puerorum wesentlich weniger Anlass und Gelegenheit zur parodistischen Ausschmückung bietet Mindestens, so argumentiert auch Bevington, kann darin aber eine Gelegenheit zur Abwechslung für die Chorknaben und niederen Kleriker von einem stark formalisierten Alltag gesehen werden52 Im direkten Vergleich beider Stücke wird auch der unterschiedliche Charakter dieser Feste deutlich: Das Fest der Unschuldigen war trotz der Dramatik möglicherweise ein fröhlicher Festtag aufgrund des erlangten Heils der Märtyrer Das Spiel selbst bot keinen Anlass für Normüberschreitungen, eher schon war es eine Gelegenheit der aktiven Partizipation der Chorknaben am liturgischen Spiel 2.1.2. Die Verarbeitung der Innocentes-Thematik im spätmittelalterlichen Volkstheater: Candlemes Day and the Kyllyng of the Children of Iraelle (1512) Die Darstellung des Betleheminischen Kindermordes veränderte sich im Laufe der Zeit Theo Stemmler hat gezeigt, dass der Bezug zum liturgischen Text hierbei zunehmend verloren ging53 Ein Beispiel hierfür bietet das englische Stück The kyllyng of the children aus dem Jahr 1512, überliefert als Teil  einer Handschriftengruppe, den sogenannten Digby Plays in der Oxforder Bodleian Library Über den Kontext der Aufführung dieses Stückes kann nur spekuliert werden Es ist anzunehmen, dass das Stück als Teil  eines Zyklus am Feiertag der Hl Anna (26 Juli) zur Aufführung kam, wobei die Form allerdings auf keine bestimmte räumliche Bindung hinweist54 Hier wird deutlich, dass sich – im Gegensatz zum liturgischen Drama – der Aufführungszeitpunkt vom ursprünglichen Gedenktag abgelöst hat Diese Auflösung der heterologischen Bindungen führte dazu, dass beispiels51

Siehe hierzu Margot Fassler, The feast of Fools and Danielis Ludus: Popular Tradition in a Medieval Cathedral Play, in: Plainsong in the Age of Polyphony (Cambridge Studies in performance practice), hg v Thomas Forrest Kelly, Cambridge 1992, 65–99 52 Bevington, Medieval Drama (wie Anm  35), 53 53 Theo Stemmler, Liturgische Feiern und geistliche Spiele Studien zu Erscheinungsformen des Dramatischen im Mittelalter (Buchreihe der Anglia 15), Tübingen 1970, 235–238 54 The late medieval religious plays (wie Anm  41), lxi

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weise die Spiele des Weihnachtszyklus „völlig unabhängig von der aktuellen Zeit im kirchlichen Jahreskreis“55 aufgeführt werden konnten Die Regieanweisungen für das genannte Spiel ordnen es keinem bestimmten Ort zu, die Herausgeber schlussfolgern: „The play would have been performed under almost any circumstances, in a market, square, or a broad street, or green It would appear to have been, like so many of the East Anglian plays, the text of a travelling company “56 Auch die angefügte Darstellerliste nennt zwar 17 Darsteller, jedoch keine Namen The kyllynge of the children zeigt einerseits die Popularität des Stoffes außerhalb des liturgischen Dramas, andererseits ist es ein Beleg für die Weiterentwicklung und Erweiterung dieser Thematik Dies geht aus der Struktur und dem Inhalt des Stückes hervor Es beginnt mit einem Prolog des sogenannten Poeta, der den Aufführungszeitpunkt des Stückes nennt und zugleich auf das Stück des letzten Jahres verweist, welches die Geschichte der Hirten und der drei Magier zum Thema hatte57 Ein weiteres Element ist die Hinzufügung eines neuen Charakters, des Gesandten Herodes’ namens Watkyn Dieser teilt dem König den „Betrug“ der Magier mit und bittet an späterer Stelle um den Ritterschlag58 Überraschend scheint auch die veränderte Haltung der Mütter der Unschuldigen Kinder Diese wenden sich nach dem Tod ihrer Kinder gegen den nun völlig verängstigten Watkyn, der bei der Tötung zugegen war und gegen den sich der Zorn der bewaffneten Mütter richtet59 Zudem enthält das Stück eine Reihe komischer Elemente, die sich in der Figur Watkyn bündeln Schon bevor dieser mit den Soldaten aufbricht, spricht er zu Herodes: The most I fere, the wyves wille bete me! […] The most I fere is to come amonge women, for thei fight like deuelles with ther rokkes whan thei spynne!60 Die ironische Antwort eines Soldaten folgt hierauf: Watkyn, I loue the, fort hu art euer a man!61 Die Rolle der Mütter als aktiv und rächend trotz ihres Verlustes wird auch verdeutlicht an dem Fluch, den sie über Herodes aussprechen und an dem er kurze Zeit später stirbt62

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Holger Nielen, Prozessionsfeste und dramatische Spiele im interreligiösen Vergleich Eine religionsphänomenologische Studie zu Fastnacht, Fronleichnam, Ašura und Purim, Berlin 2005, 225 Ein beliebtes Datum für diese Spiele war nun auch das Fronleichnamsfest 56 The late medieval religious plays (wie Anm  41), lxiif 57 Ebd 96 f 58 Ebd 101 59 Ebd 108 Nach der Tötung der Kinder folgt eine Reihe von Drohungen durch die Mütter, deren Trauer augenblicklich in Entschlossenheit umschlägt und in die Bitte an Gott, er möge diese Verbrechen rächen, mündet Eine der Mütter droht: Abyde, Watkyn! I shalle make the a knyght! Etwas später bestimmen die Regieanweisungen: Here thei shalle bete Watkyn, and the knyghtes shalle come ro rescue hym, and than thei go to Herodes, thus sayng: […] 60 Ebd 103 61 Ebd 104 62 Ebd 109 Damit endet der erste Teil des Stückes, dem ein zweiter folgt, der die Thematik um Simeon und Anna im Tempel und die Erfüllung der Prophezeiung, Simeon werde Christus schauen, darstellt Vgl Lk 2,22–40

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The killynge of the children folgt zwar der biblischen Erzählung, gestaltet sie jedoch – gemäß der zeitgenössischen Praxis des Volkstheaters – aus Dabei wird der Dialog zwischen Rachel und den zwei Trösterinnen, der noch ein wesentliches Element des Stückes Ad interfectionem puerorum wie auch der anderen Stücke der Ordines Rachelis war63, durch einen Dialog zwischen mehreren Müttern und den Soldaten ersetzt64 Stemmler schlussfolgert hierzu pessimistisch: „Durch den Wegfall des planctus ist die heilsgeschichtliche Bedeutung des Bethlehemitischen Kindermordes fast völlig verloren gegangen “65 Er begründet dies mit dem Sinngehalt des Dialoges zwischen Rachel und den consolatrices Diese gaben dem Tod der Unschuldigen zwei Gründe: „Freue Dich, Rachel, denn die Kinder leben bei Gott im Himmel“ und „Freue Dich, denn die Kinder sind für Christus, unseren Erlöser, gestorben“66 An diesem Beispiel zeigt sich die Loslösung der Thematik von der Liturgie und ihr Übergang in die Darstellung von Emotionen im volkssprachlichen Drama67 3 DIE UNSCHULDIGEN KINDER UND DAS KINDERBISCHOFSFEST Eine weitere Ebene der Rezeption des Kultes um die kindlichen Sondermärtyrer ist das mittelalterliche Kinderbischofsfest Hierbei handelt es sich um einen Festbrauch, der seit dem 10 Jahrhundert nachweisbar bis in die frühe Neuzeit europaweit an zahlreichen Kathedralen, Klöstern und später auch in städtischen Schulen von Knaben gefeiert wurde68 Fragt man nun nach dem Zusammenhang der geschilderten Verehrung der Unschuldigen Kinder und diesem Fest, so erscheint sein nach der Überlieferung häufig fröhlicher Charakter und das Andenken an den Tod der Kinder und die Trauer der Mütter – das Hauptmotiv liturgischer Dramen – zunächst paradox Doch knüpft das Kinderbischofsfest an ein gewandeltes Verständnis des Martyriums der Unschuldigen Kinder in der Liturgie an, wie nun gezeigt wird 63 Young, Drama (wie Anm  34), Bd  2, 109–120 64 Dies ist beispielsweise auch im Chester Cyclus der Fall, hierzu Stemmler, Liturgische Feiern (wie Anm  53), 237 f 65 Ebd 236 66 Ebd 67 Ebd sowie Nielen, Prozessionsfeste (wie Anm  55), 224 f 68 Siehe hierzu einführend die klassische Studie von Edmund Kerchever Chambers, The Boy Bishop, in: ders , The Medieval Stage, 2 Bde, Oxford 1903, hier Bd  1, 336–371 Jüngere Arbeiten zum Kinderbischof bieten Günther Blaicher, Der Kinderbischof in Eichstätt und anderswo, Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 90 (1997), 41–56; Richard L De Molen, Pueri Christi Imitatio The Festival of the Boy Bishop in Tudor England, Moreana 12 (1975), 17–29; Martine Grinberg, L’episcopus puerorum, in: Infanzie: Funzioni di un gruppo liminale dal mondo classico all’Età moderna (Laboratorio di storia 6), hg v Ottavia Niccoli, Florenz 1993, 144–158; Sulamith Shahar, The Boy Bishop’s Feast: A Case-Study in Church Attitudes towards Children in the High and Late Middle Ages, Studies in Church History 31 (1994), 243–260 sowie künftig meine in Anm 2 genannte Dissertation

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Dass das Fest der Unschuldigen zunächst als Trauertag galt, belegen beispielsweise die Liturgiekommentare des Amalarius von Metz aus dem 9 Jahrhundert und des Johannes Beleth aus dem 12 Jahrhundert Im Liber officialis des Amalarius wird beschrieben, dass am Fest der Unschuldigen das Gloria in excelsis Deo und auch das Halleluja nicht gesungen werden, sed quasi in tristitia deducitur dies ille69. Das Fest sei dem Andenken der trauernden Mütter gewidmet Johannes Beleth beschreibt im 70 Kapitel seiner Summa de ecclesiasticis officiis den Anlass des Festes am 28 Dezember wie folgt: […], et pueri in ipso festo Innocentium, quia innocentes pro Christo occisi sunt. […] In festo itaque Innocentium penitus subticentur cantica laetitae, quoniam ii ad inferos descenderunt 70 Ein noch früheres Beispiel vom Ende des 11 Jahrhunderts ist dem Werk De officiis ecclesiasticis des Johannes von Avranches zu entnehmen, der an derselben Stelle jedoch auch das Verbot des Singens von Te Deum, Gloria in excelsis und Alleluia als unmodern verurteilt: […] licet, ut in morte Domini, Te Deum et Gloria in excelsis et Alleluia, in aliquot ecclesiis, ex more antiquo, omittantur; quia ut Christus occideretur, tot parvuli occidi jubentur; et illis occisis fit mors Christi secundum aestimationem Herodis: tamen quia placuit modernis, placet et nobis ut cantentur.71

Hier zeichnet sich eine gewandelte Wahrnehmung des Festes als reiner Trauertag ab, die sich auch in einer Wandlung der Festpraxis niederschlug Nicht mehr nur der Tod und die Trauer standen im Mittelpunkt, der Eingang der Innocentes in das Himmelreich bot Gelegenheit zur Freude Auf diesen Kontrast wies auch Petrus Abaelardus in seiner Predigt über die Unschuldigen Kinder hin72 Einen direkten Beleg für die Feier des Kinderbischofsfestes am Tag der Unschuldigen Kinder liefert Gerhoch von Reichersberg, wenn er sich an seine Zeit als Lehrer an der Kathedrale von Augsburg zwischen 1114 und 1120 erinnert Er kritisiert die mangelnde Disziplin der Kleriker im angeschlossenen Kloster, da sie weder gemeinsam im Refektorium aßen noch im Dormitorium schliefen Lediglich an den Festtagen, an denen sie das Herodes-Spiel und andere ludi aufführten, fand ein gemeinsames convivium im Refektorium statt73 An dieser Stelle wird der gemeinschaftsstiftende

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Amalarii episcopi Opera liturgica omnia, t II: Liber officialis (Studi et testi 139), ed Jean Michel Hanssens, Vatikanstadt 1948, 193, Nr  XLI, 2: Preatitulatur in antiphonario sic: ‚Gloria in excelsis Deo non cantatur, nec alleluia, sed quasi in tristitia dedudicitur dies ille.‘ Compositor officii praesentis coniungi nos vult animis devotarum feminarum, quae in morte innocentium doluerunt et planxerunt. Belethus, Summa de ecclesiasticis officiis, ed Patrologia latina, Bd  202, Paris 1855, 77 f Johannes von Avranches, De Officiis Ecclesiasticis, ed Patrologia latina, Bd  147, Paris 1966, 42 und René Delamare, Le ‚De officiis ecclesiasticis‘ de Jean d’Avranches, archevêque de Rouen Étude liturgique et publication du texte inédit du ms H  304 de la Bibliothèque de la Faculté de Montpellier (Bibliothèque liturgique 22), Paris 1923, 22 Abaelardus, Sermones ad virgines Paraclitenses in Oratorio ejus constitutas, ed Patrologia latina, Bd  178, Paris 1835, 379–610, hier 607–610, sermo 34, insbesondere 610 Gerhoch von Reicherberg, Tractatus in psalmos, ed Patrologia latina, Bd  194, X, Psalm 133, 987–896, hier 890 f : Cohaerebat ipsi Ecclesiae claustrum satis honestum, sed a claustrali

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Charakter des Festes und der zugehörigen theatralischen Darstellungen für die Klerikergemeinschaften deutlich Offensichtlich wurde das Fest zugleich als Trauertag und als Feiertag begangen Dies geht aus liturgischen Traditionen der Münsteraner Bischofskirche hervor74 Dem Liber Ordinarius aus dem 13 Jahrhundert zufolge wurde dort das Gloria Patri während der Matutin ebenso weggelassen wie das Te Deum Zur Messe wurde kein Gloria in excelsis gesungen Anstelle des Hallelujas sang man das Laude tibi Christe75. Die Quelle enthält auch die Begründung für diese Änderungen: Nota: Ista omnia sic observamus tristiciam martyrum representantes, eo quod innocentes in morte sua primam stolam, i. e. glorificationem anime, non statim receperunt, sed ad infernos descenderunt. Hier wird ein Gedanke aufgegriffen, der auch bei Bernold von Konstanz auftauchte Dieser behauptete, die Gesänge werden weggelassen, da die Innocentes als Ungetaufte in die Hölle gelangt seien76 Anders sei es, wenn das Fest auf einen Sonntag falle Dann sei den Unschuldigen Kindern so wie anderen Heiligen zu gedenken Den Grund hierfür nennt die Quelle ebenfalls: Der Sonntag sei das Symbol für die Auferstehung Christi, deshalb sei nicht daran zu zweifeln, dass auch ihre Seelen das Heil erlangt hätten77 Das Memorienbuch der Domkirche aus dem 15 Jahrhundert schließlich belegt die Zahlung von 6 solidos an den episcopus scholarium am Tage der Unschuldigen Kinder78 Einen weiteren Beleg aus dem 13 Jahrhundert enthält ein Statut Bischof Gerhards für das

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religione omnino vacuum, cum neque in dormitorio fratres dormirent, neque in refectorio comederent, exceptis rarissimis festis, maxime, in quibus Herodem repraesentarent Christi persecutorem, parvulorum interfectorem seu ludis aliis aut spectaculis quasi theatralibus exhibendis comportaretur symbolum ad faciendum convivium in refectorio aliis pene omnibus temporibus vacuo Auch bei Boynton, Performative Exegesis (wie Anm  13), 42 Hierzu Richard Stapper, Feier des Kirchenjahres an der Kathedrale von Münster im hohen Mittelalter, Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 75/1 (1917), 1–181, hier 146 Ed ebd 146: De innocentibus. Ad matutinas ad invitatorium non dicitur Gloria patri neque ad responsoria tam ad matutinas quam ad horas, sed semper ultima responsoria pro Gloria patri repetimus ab inicio, sed post psalmos bene dicimus Gloria patri. Te Deum non dicitur. Versus nocturnorum de martyribus Ad missam: Ad introitum Gloria patri non dicitur. ‚Kyrie eleyson‘ sine Gloria in excelsis. Quattuor dicuntur collecte […]. Pro alleluia dicimus Laus tibi Christe, cum versu, neque Sequentiam dicimus neque Credo neque Ite missa. Bernold von Konstanz, Micrologus de ecclesiasticis observationibus, ed Patrologia latina, Bd  151, Paris 1853, 1005–1006 Hierzu Boynton, Performative Exegesis (wie Anm  13), 41 Ed Stapper, Feier des Kirchenjahres (wie Anm  74), 146: Si autem in die dominica fuerit festum eorum, cantamus de eis sicut de aliis sanctis, quia ex resurrectione Christi, quam significat dies dominica, eos cum aliis sanctis stolam primam, […]. […] i. [e.] glorificationem anime, recepisse non dubitamus. In octava eorum cantamus de eis sicut de aliis sanctis, quia in octava etate illas cum aliis sanctis secundam stolam, i. [e.] glorificationem corporis, receturos speramus Zitiert nach Heinrich Börsting, Liudger Träger des Nikolauskultes im Abendland, in: Liudger und sein Erbe, Bd  1 (Westfalia Sacra 1), hg v Max Bierbaum u a , Münster 1948, 139–176, hier 172: Sanctorum Innocentium  : Ob memoriam Johannis Clunsevoet vicarii chori celerarius dabit XVIII solidos, de hijs scolaribus camerae XII denarii, episcopo scholarium sex solidi.

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Domkapitel in Bezug auf die Verwendung der Pfründen79 Hierin wurde verfügt, dass abwesende Kleriker bei den Zuteilungen anlässlich des Nikolausfestes nicht berücksichtigt werden sollten Dies ist zugleich auch ein Beweis der Parallelität der beiden Festzeitpunkte im 13 Jahrhundert Neben das Fest der Unschuldigen Kinder trat ab dem 13 Jahrhundert das Nikolausfest, häufig als Tag der Wahl des Kinderbischofs, wobei seine Amtszeit ihren Höhepunkt und ihr Ende in der Gestaltung der liturgischen Feiern des 28 Dezember fand Dieses Fest blieb bis zum allmählichen Verschwinden des Kinderbischofsfestes zentraler Bezugspunkt dieses Brauches Das Fest der Unschuldigen Kinder war zum einen Anlass des Gedächtnisses an die kindlichen Sondermärtyrer, die für Christus als Blutzeugen gestorben waren und deren weiteres Hauptmerkmal als Märtyrer in ihrer Unschuld und Reinheit bestand Auf den direkten Zusammenhang zwischen dem Kinderbischofsfest und der Verehrung der Unschuldigen Kinder weist auch Hubertus Lutterbach hin: „Wenn zum rituellen Gedenken an dieses Ereignis auch die Wahl eines Kinderabtes gehörte, dann liegt dies gewiss mit darin begründet, daß der liturgische Inhalt des Festes insgesamt als ‚Besinnung auf die vier Begriffe heilig, unschuldig, Märtyrer und Kinder angesehen‘ werden kann “80 Hier scheint das Fest des Kinderbischofs anzuknüpfen, indem es ein Kind als idealen und idealisierten Träger dieser Eigenschaften zur Herrschaft über den erwachsenen Klerus erhebt Durch die Aufführung liturgischer Dramen und Predigten des Kinderbischofs aktualisierte die Klerikergemeinschaft die Werte der Unschuld und Reinheit und vergegenwärtigte so das Heilsgeschehen Vor diesem Hintergrund traten die Chorknaben in Identität mit den Innocentes Der Kinderbischof agierte als Handlungsträger einer „performativen Exegese“ Im vorliegenden Beitrag wurde die Verehrung der Unschuldigen Kinder als Märtyrer untersucht Hierbei wurde der vielschichtige Prozess der Entstehung und Rezeption des Kultes zumindest ansatzweise skizziert Bereits in den patristischen Schriften der Spätantike wurden die Innocentes als eine besondere Gruppe von Märtyrern wahrgenommen, die aufgrund ihres Alters sowie des Zeitpunktes ihres Martyriums mit bestimmten Eigenschaften wie Reinheit, Unschuld und Demut assoziiert wurden Die Verehrung der als flores martyrum bezeichneten Knaben von Bethlehem manifestierte sich zunächst in der frühmittelalterlichen Liturgie und wurde im liturgischen Drama seit dem 12 Jahrhundert ausgestaltet Damit gehört die Innocentes-Thematik zu den ältesten dramatischen Stoffen neben dem Oster79

Hier geht zunächst um die Anwesenheitspflicht der Kanoniker, welche eine Präbende erhalten Diese dürfen nicht mehr als sechs Wochen im Jahr abwesend sein, sonst verlieren sie ihre Zuteilungen Dann folgen Angaben zur memoria und zur Austattung der Kirche und des Klerus: Item de denariis in festo Nicolai dandis, neque absentes neque scolares accipient portionem, ed Jos Frey, Schulen im heutigen Westfalen vor dem vierzehnten Jahrhundert, Jahresbericht über das Königliche Paulinische Gymnasium zu Münster (1894), 1–28, hier 13 und Westfälisches Urkundenbuch, Bd  III: Die Urkunden des Bisthums Münster 1201–1300, bearb v Roger Wilmans, Münster 1859, 352 f , Nr  672 80 Hubertus Lutterbach, Gotteskindschaft Kultur- und Sozialgeschichte eines christlichen Ideals, Freiburg i Br /Basel/Wien 2003, 159

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spiel Die Ausformung im frühneuzeitlichen Volkstheater zeigt die zunehmende Herauslösung der Innocentes aus ihrem heterologischen Kontext Direkt an die Liturgie knüpft schließlich die mittelalterliche Festkultur des Klerus an, welche die Tugenden der Innocentes anlässlich des Kinderbischofsfestes vergegenwärtigte Die zentralen Motive des Martyriums der Unschuldigen Kinder bleiben während des geschilderten Entwicklungs- und Deutungsprozesses weitestgehend gleich Ihr gewaltsamer Tod in Assoziation mit der Geburt und Rettung des Gottessohnes, ihr junges Alter und ihr sprachliches Unvermögen ebenso wie ihre große Zahl machen sie zu einer Gruppe von Märtyrern, denen man tatsächlich einen Sonderstatus zuschreiben kann

IV MISSIONS- UND EXPANSIONSKONTEXTE

FRANCISCAINS, MARTYRS ET «MISSION» AUX XIIIe ET XIVe SIÈCLES Isabelle Heullant-Donat Dans l’historiographie des époques moderne et contemporaine, les franciscains martyrs des derniers siècles du Moyen Âge ont toujours été étroitement associés à l’histoire de la mission Dans cette perspective, la mort des frères mineurs est considérée comme une conséquence attendue de leur apostolat dont l’audace et les méthodes annonceraient le grand courant missionnaire qui se développa depuis l’Occident chrétien à partir du xvie siècle Sans vouloir jouer excessivement sur les mots, il n’est pas inutile de rappeler que le terme «mission» ne fut guère employé au Moyen Âge Son sens, aujourd’hui commun, de diffusion organisée et structurée du christianisme vers des horizons plus ou moins lointains n’apparut que dans la seconde moitié du xvie siècle, et l’organisation «des missions» centralisées sous l’autorité pontificale n’est pas antérieure aux premières décennies du xviie siècle1 Pour la période antérieure, il est donc préférable d’employer «évangélisation», terme utilisé dans la documentation qui englobe des formes variées de diffusion du message chrétien au cours du millénaire médiéval, sans préjuger du contexte et des modalités d’organisation que cette diffusion pouvait impliquer2 En effet, on peut remarquer que le lien tissé entre «mission» et martyre franciscain a eu pour principale conséquence de concentrer sur la première l’attention des historiens, souvent soucieux d’en démontrer la précocité, et de reléguer à l’arrière-plan le second3, peu 1

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En latin, le terme missio signifie «envoi», sans préjuger de la nature de l’action à laquelle il s’applique L’introduction d’un modèle missionnaire par Ignace de Loyola (avec l’obligation d’un quatrième vœu de missionibus pour les religieux de la Compagnie de Jésus) contribua à en infléchir le sens Au xviie siècle, «mission» désigne la charge confiée par l’Église à certains de ses membres d’annoncer l’Évangile en pays de tradition chrétienne et non chrétienne et, par métonymie, l’organisation religieuse qui propage la foi en annonçant l’Évangile (Propaganda Fide en 1622, Séminaire des missions étrangères dans les années 1650), voir Luca Codignola / Giovanni Pizzorusso, Les lieux, les méthodes et les sources de l’expansion missionnaire du Moyen Âge au xviie siècle: Rome sur la voie de la centralisation, dans: Transferts culturels et métissages Amérique/Europe xvie –xxe siècles, dir Laurier Turgeon, Denis Delage et Réal Ouellet, Paris 1996, 489–512 L’étymologie du terme evangelizatio renvoie à la première annonce des principes du christianisme contenu dans les Évangiles (témoignage de la venue du Christ et promesse du salut) À la fin du Moyen Âge, il existe plusieurs expressions pour désigner l’expansion du christianisme dont les nuances sont riches de sens, telles que propagatio fidei ou encore dilatatio christianitatis, pour ne citer que deux exemples Sur les «missions» de la fin du Moyen Âge, voir Jean Richard, La papauté et les missions d’Orient au Moyen Âge (xiiie –xve siècles) (Collection de l’École française de Rome 33), Rome 1977, rééd 1998; Thomas Tanase, «Jusqu’aux limites du monde»: la papauté et la mission

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étudié en tant que tel, sinon dans une perspective apologétique Une autre approche est possible qui consiste à prendre comme point d’observation initial non les tentatives d’évangélisation conduites par les franciscains dont le martyre aurait été une tragique et édifiante conséquence, mais les sources évoquant le ou les martyres eux-mêmes dans le contexte religieux, politique et social des xiiie et xive siècles Elle permet de reconstruire le processus ayant conduit à la production, en milieu franciscain, d’une documentation propre à cette forme particulière et éminente de la sainteté et de tenter d’en mieux comprendre les enjeux4 Une telle perspective invite à tenir compte de l’héritage martyrial tel qu’il pouvait se présenter au xiiie siècle, mais également de l’attitude plus générale de l’Eglise, en tant qu’institution, vis-à-vis de ce type de sainteté Aucun saint ne fut officiellement reconnu avec le titre de «martyr» par la papauté entre 1253, date de la canonisation avec le titre de «vierge, docteur et martyr» de l’inquisiteur dominicain Pierre de Vérone (Pierre Martyr), et 1481, année où le pape franciscain Sixte IV reconnut officiellement le culte des franciscains tués en 1220 à Marrakech, au lendemain du siège d’Otrante et du massacre de sa population par les Ottomans5 Pendant plus de deux siècles, dans un contexte où les procédures de canonisation étaient certes de plus en plus complexes et coûteuses, et leur issue toujours plus incertaine, la papauté se montra réticente à l’égard de la sainteté martyre, alors même que les martyrs franciscains candidats à la gloire des autels semblaient rassembler toutes les qualités permettant leur promotion – un fait qu’André Vauchez avait souligné jadis pour s’en étonner, à juste raison6 Enfin, durant la période allant de l’invention du martyr de la libertas ecclesiae à la fin du xiie siècle, dont l’archevêque de Cantorbéry Thomas Becket fut la meilleure incarnation, jusqu’à l’émergence de martyrs nombreux, dépourvus de culte et de sainteté chez les protestants au cours du xvie siècle – prélude au processus ultérieur de désacralisation, puis de laïcisation de la figure du martyr –, d’importantes évolutions affectèrent les définitions,

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franciscaine, de l’Asie des Mongols à l’Amérique de Christophe Colomb (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athénes et de Rome 359), Rome 2013 Pour une étude d’ensemble du martyre chez les franciscains aux derniers siècles du Moyen Âge, je me permets de renvoyer à Isabelle Heullant-Donat, Missions impossibles Franciscains, «infideles» et martyre (xiiie –xve siècle) (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome), Rome (en cours de publication) La bulle Cum alias (7 août 1481) fixa leur fête au 16 janvier, ed Bullarium Franciscanum Nova Series, t 3: Continens constitutiones epistolas diplomata Romani pontificis Sixti IV ad tres Ordines S P N Francisci spectantia (1471–1484), ed José Maria Pou y Martí, Quaracchi 1949, 740 André Vauchez, La sainteté en Occident aux derniers siècles du Moyen Âge d’après les procès de canonisation et les documents hagiographiques (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome 241), Rome 1988, 482: «On comprend moins bien que les nombreux inquisiteurs et missionnaires qui périrent à cette époque tant en Occident qu’en Orient n’aient pas davantage retenu l’attention du Saint-Siège, alors que les recueils hagiographiques et les martyrologes des Ordres mendiants exaltaient leur mémoire», et 484: «À la fin du Moyen Âge, l’identification de la sainteté au martyre n’est plus qu’un souvenir De plus en plus hostile à la religiosité populaire, l’Église romaine se ferme à cette conception pourtant traditionnelle de la perfection chrétienne, ce qui la conduit à ignorer le phénomène du martyre missionnaire»

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les usages et le sens même du martyre, qui contribuèrent à transformer la figure du martyr en un modèle anthropologique7 Pour saisir certaines transformations du martyre à la fin du Moyen Âge, le cas franciscain est à la fois exemplaire et atypique Exemplaire parce qu’il permet de comprendre comment une communauté religieuse nouvelle investit le modèle du saint martyr selon des modalités et dans des circonstances qu’une documentation relativement abondante et variée permet de retracer Atypique parce que pendant plus de deux siècles, la communauté franciscaine fut la seule à reconnaître dans ses rangs, non sans hésitations, des martyrs nombreux Entre 1220 et la fin du xive siècle, on recense dans les sources un peu plus d’une trentaine de martyres et une soixantaine d’individus pourvus d’un nom (auxquels il conviendrait d’ajouter un nombre impossible à déterminer de franciscains anonymes) dispersés sur un très vaste territoire, allant de la Méditerranée occidentale (Maghreb et péninsule Ibérique) jusqu’à l’Inde, en passant par la Terre sainte et l’Asie centrale Le premier martyre franciscain reconnu comme tel dans les sources est celui de Marrakech, en 1220, du vivant même de François d’Assise Son contexte est décrit par la chronique du franciscain Jourdain de Giano, rédigée en 1262, qui rapporte qu’en 1219, François envoya des frères «en France, en Teutonie, en Hongrie, en Espagne et vers les autres provinces d’Italie» Evoquant l’accueil qui leur fut réservé dans ces différentes contrées, Jourdain de Giano rappelle tout d’abord qu’en France, les frères furent pris pour des Albigeois avant d’être lavés du soupçon d’hérésie En Germanie, ils furent physiquement maltraités au point de considérer la Teutonie «si cruelle qu’ils n’osaient plus y retourner, sinon inspirés par le désir du martyre» Les mauvais traitements qui leur furent infligés ne furent pas moindres en Hongrie Achevant de décrire ces premières tentatives malheureuses en dehors de l’Italie, Jourdain de Giano signale enfin que «parmi les frères qui passèrent en Espagne, cinq reçurent la couronne du martyre»8 Dans l’histoire de la communauté telle que la présente Jourdain de Giano, ce «premier envoi» (prima missio) comme le premier martyre intervinrent au moment où la règle des frères mineurs était en cours d’élaboration et de négociation Si l’on en croit son témoignage, les premiers Mineurs disposaient déjà en 1218–1219 d’une version écrite de la règle puisqu’en arrivant en France, ils furent en mesure de la soumettre à l’examen de l’évêque de Paris, Pierre de Nemours, et des maîtres parisiens qui s’assurèrent auprès d’Honorius III que leur religio avait été dûment approuvée9 Les deux versions aujourd’hui conservées de la règle datent de 1221 et 1223, la seconde ayant été définitivement approuvée par le pape Toutes deux 7 8

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Isabelle Heullant-Donat, Charlotte Castelnau de l’Étoile, Le martyre: état des lieux, dans: Le martyr(e), Moyen-Âge, Temps modernes, dir Marc Belissa et Monique Cottret, Paris 2010, 10–23 Chronica fratris Jordani (Collection d’études et de documents sur l’histoire religieuse et littéraire du Moyen Âge 6), ed Heinrich Boehmer, Paris 1908, 3–7 Pour une présentation plus récente de cette chronique, voir Isabelle Heullant-Donat, Jourdain de Giano, Chronique, Introduction, dans: François d’Assise Écrits, Vies, témoignages, 2 vol , dir Jacques Dalarun, Paris 2010, t II, 2017–2033 Chronica fratris Jordani (cit n 8), 4

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contiennent un chapitre intitulé: «De ceux qui vont chez les Sarrasins et autres infidèles» Pour la première fois dans l’histoire d’une communauté religieuse, une règle entendait donc prévoir et encadrer la possibilité pour les religieux d’«aller» (ire) inter infideles Le chapitre 16 de la première version de la règle (1221), qui en comportait vingt-quatre, décrit deux comportements possibles Le premier est de ne faire ni dispute, ni querelle et d’être soumis, en confessant être chrétien – autrement dit, la règle préconise que les religieux ne se livrent à aucune forme de prosélytisme actif et visible, sans pour autant dissimuler leur propre identité religieuse Le second comportement consiste à annoncer la parole de Dieu pour que les infidèles croient et deviennent chrétiens10 Ce passage est suivi d’un ensemble de citations évangéliques évoquant le thème de la persécution, qu’il est possible de fuir, mais qu’il ne faut pas craindre puisque ceux qui tuent le corps ne peuvent plus rien faire d’autre ensuite Le terme «martyre» n’est évidemment pas prononcé dans ce contexte documentaire, mais l’idée du martyre est sous-jacente: dans le cadre d’une évangélisation active, où la diffusion de la Parole devait accompagner un comortement évangélique, les religieux étaient invités à affronter sans crainte la persécution si elle survenait, et à se préparer à ses éventuelles conséquences Deux ans plus tard, le chapitre 12 de la version définitive de la règle (1223), dont le titre est inchangé, propose un contenu beaucoup plus bref que dans la version précédente Il limite et encadre les initiatives des religieux, soumises de façon rigoureuse à l’approbation préalable de leur hiérarchie, les ministres provinciaux, seuls juges de leur aptitude à résister aux dangers qui les guettent Il est prescrit que les ministres n’accordent la permission de se rendre inter infideles à personne, sinon à ceux qu’ils «verraient aptes à être envoyés»11 Ce chapitre, qui tient en deux phrases, revêt une importance particulière puisqu’il est aussi le dernier de la version définitive de la règle des frères mineurs Les deux chapitres ont en commun de designer un groupe spécifique, imprécis et nouveau dans un texte de cette nature, les «Sarrasins et autres infidèles», «hommes dépourvus de foi» vers lesquels certains religieux pourraient vouloir aller (voluerint ire) Cependant, dans cette version définitive, la tournure est entièrement négative: il n’est plus question de préciser les comportements des religieux dont les requêtes devaient être repoussées, sauf exception accordée par un ministre Il est possible d’émettre l’hypothèse que l’évolution sensible entre les deux versions de la règle sur ce point particulier ne fut peut-être pas sans rapport avec la mort des franciscains de Marrakech, dont l’envoi (missio) 10

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Fontes franciscani (Medioevo francescano Testi 2), ed Enrico Menestò e a , Assisi 1995, 198–200: Caput XVI. De euntibus inter saracenos et alios infideles. […] Fratres vero, qui vadunt, duobus modis inter eos possunt spiritualiter conversari. Unus modus est, quod non faciant lites neque contentiones, sed sint subditi «omni humanae creaturae propter Deum» et confiteantur se esse christianos. Alius modus est, quod, cum viderint placere Domino, annuntient verbum Dei, ut credant Deum omnipotentem, […] et ut baptizentur et efficientur christiani […] Ibid. 180–181: Caput XII. De euntibus inter saracenos et alios infideles. Quicumque fratrum divina inspiratione voluerint ire inter saracenos et alios infideles petant inde licentiam a suis ministris provincialibus. Ministri vero nullis eundi licentiam tribuant, nisi eis quos viderint esse idoneos ad mittendum

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par François lui-même n’avait fait l’objet d’aucun processus de contrôle préalable La nature des périls physiques et spirituels encourus par les franciscains comme la perception des obstacles à la prédication chrétienne dans les régions gouvernées par les musulmans expliquent en partie l’évolution entre ces deux versions, au moins autant que la volonté de produire une norme suffisamment explicite, concise et fonctionnelle pour une communauté devenue nombreuse L’évolution de la règle sur ce point précis entre 1221 et 1223 peut être mise en perspective avec les indications fournies par la documentation pontificale après son approbation définitive À partir de 1225, Honorius III et ses successeurs adressèrent régulièrement des lettres aux religieux mendiants pour définir et encadrer leur action inter infideles La première d’entre elles, intitulée Vinea Domini custodes et datée de 1225, s’adresse aux Mendiants en partance pour le royaume du Miramolin (le Maroc) afin de préciser les priorités qui devaient être les leurs Le «gain des âmes» (lucrum animarum) et le baptême des Sarrasins sont mentionnés, mais les chrétiens vivant sous domination musulmane – ceux dont la foi pouvait être ébranlée (incrédules, renégats, faibles, craintifs), comme ceux que le pape qualifie de «forts» – semblent retenir l’attention bien plus que les «infidèles» eux-mêmes Les religieux devaient corriger avec clémence les chrétiens et les encourager dans la foi pour qu’ils s’y maintiennent ou pour qu’ils y reviennent À cet effet, le pape leur concédait des pouvoirs spirituels étendus et exceptionnels: réconcilier les apostats, imposer les pénitences, absoudre les excommuniés, prononcer la sentence d’excommunication contre les hérétiques Il invitait enfin les chrétiens de ces régions à ne pas chasser les religieux et, en retour, ceux-ci devaient avoir un comportement non répréhensible12 On peut penser que l’attitude de certains religieux en quête du martyre était une source de potentiels désordres et donc une menace pour des communautés chrétiennes hétérogènes (marchands, soldats des milices chrétiennes au service des souverains musulmans, captifs, esclaves) et fragiles, lesquelles pouvaient à leur tour être tentées de les chasser pour se préserver de leurs audaces 12

Voir Vineae Domini custodes (1225) et Ex parte vestra (1226), ed Bullarium Franciscanum Romanorum Pontificum, 7 vol , ed Giovanni Giacinto Sbaraglia, Rome 1759–1804, t I, 24 et 26  Dans la première lettre, Honorius III précise par exemple: Vineae Domini custodes licet immeriti positi et cultores necesse habemus in eam mittere operarios, distribuendo singulis ministeria secundum virtutem, juxta quam valeant officiosius operari. Attendentes igitur quod abnegantes vos ipsos animas vestras pro Christo ponere cupitis, ut lucri faciatis sibi animas aliorum, eo quod nullum sacrificium Deo constat esse acceptius quam lucrum quaerere animarum, vos in regnum Miramolini Sedis Apostolice transmittit auctoritas ut evangelizantes illic Dominum Jesum Christum, quantum ipse dederit, convertatis incredulos, erigatis lapsos, sustentetis debiles, pusillanimes consolemini et fortes nihilominus confortetis. Ut autem ministerium vestrum confidentius exequamini, concedimus ut in praedicta dumtaxat regione vobis liceat praedicare, baptizare Saracenos ad fidem noviter venientes et reconciliare apostatas, injungere poenitentias et excommunicatos illos absolvere qui ad Sedem Apostolicam commode non possunt accedere, liceatque vobis in terra illa in eos, quos haereticos esse constiterit, excommunicationis sententiam promulgare. Inhibemus quoque ne cui christiano liceat vos de terra illa ejicere violenter. Praecipimus autem vobis in virtute sanctae obedientiae, ut his nullatenus praesumatis abuti; sed tamquam inconfusibiles operarii Jesu Christi ita irreprehensibiliter vos geratis quod a Summo Patrefamilias retributionis denarium mereamini et nos majora vobis possimus committere confidenter.

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Les récits hagiographiques officiels consacrés à François d’Assise, à savoir les deux Vitae rédigées par Thomas de Celano en 1228–1230 et en 1247–1248, et la Legenda maior de Bonaventure, approuvée par le chapitre général en 1263, offrent un autre point de départ pour l’histoire du martyre dans cette communauté Ces textes prêtent à trois reprises au Poverello un «désir du martyre» (desiderium martyrii) qui le pousse à vouloir se rendre au Maroc et en Syrie Dans la construction hagiographique, ce «désir brûlant» détermine la volonté du saint d’aller parmi les «Sarrasins et autres infidèles» et commande son départ Les hagiographes présentent ce désir comme premier, la prédication de l’Évangile et le cadre de cette prédication n’étant que le moyen de l’assouvir13 Le désir du saint ne fut pas exaucé parce que Dieu lui réservait «le privilège d’une grâce extraordinaire», selon la formule de Thomas de Celano Les stigmates et plus encore la stigmatisation de François d’Assise furent l’objet de débats nombreux et ardents aux xiiie et xive siècles14 Sans faire taire les contestations, la Legenda major de Bonaventure couronna le processus qui fit des plaies sacrées le privilège exclusif du fondateur des frères mineurs, saint conformé au Christ devenu pour cette raison inimitable Dès lors, la voie de la sainteté martyre pouvait s’ouvrir aux religieux franciscains Enfin, dans l’hagiographie franciscaine, le désir du saint est présenté comme pouvant se réaliser dans la rencontre des Sarrasins et infideles, non des païens ou des hérétiques, ce qui la démarque sensiblement des traditions hagiographiques antérieures ou contemporaines (celle des dominicains tout particulièrement), à l’exception notoire, mais dans un contexte antérieur très différent, du cas des martyrs de Cordoue La valeur normative des deux règles – qui n’invitaient certes pas au martyre mais dont un chapitre dessinait les contours du terrain privilégié de l’évangélisation et le 13

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Pour la Vita prima et la Vita secunda de Thomas de Celano, voir Fontes franciscani (cit n 10), respectivement 329–332; 470 et 579 (Summam vero et in qua nihil haberet caro et sanguis, illam esse credebat qua «divina inspiratione inter infideles» itur, sive ob proximorum lucrum, sive ob martyrii desiderium) Pour la Legenda maior de Bonaventure, voir par exemple ibid. 856 (Desiderabat propterea et ipse, illa perfecta caritate succensus, «quae foras mittit timorem», per martyrii flammam «hostiam» Domino se offerre «viventem», ut et vicem Christo pro nobis morienti rependeret et ad divinum amorem ceteros provocaret. Sexto namque conversionis suae anno, desiderio martyrii flagrans, ad praedicandam fidem christianam et poenitentiam Saracenis et aliis infidelibus ad partes Syriae transfretare disposuit); 858–859 (Verum quia martyrii fructus adeo cor eius allexerat, ut pretiosam pro Christo mortem super omnia virtutum merita peroptaret, versus Marochium iter arripuit, ut Miramamolino [sic] et genti eius Christi Evangelium praedicaret, si quo modo ad concupitam palmam valeret attingere. Tanto namque desiderio ferebatur, ut quamvis esset imbecillis corpore, peregrinationis suae praecurreret comitem et ad exsequendum propositum festinus, tamquam spiritu ebrius, advolaret) André Vauchez, Les stigmates de saint François et leurs détracteurs dans les derniers siècles du Moyen Âge, Mélanges d’archéologie et d’histoire 80 (1968), 595–625; Jacques Dalarun, «À cette époque, le bienheureux François avait des cicatrices aux mains et aux pieds et au côté» et Isabelle Heullant-Donat, Pourquoi enquêter sur la stigmatisation de François d’Assise? Sur l’Instrumentum de stigmatibus beati Francisci (1282), dans: Discorsi sulle stimmate dal Medioevo all’età contemporanea – Discours sur les stigmates du Moyen Âge à l’époque contemporaine (Archivio italiano per la storia della pietà  26), dir Gábor Klaniczay, Rom 2013, 43–92 et 94–123

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profil des persécuteurs potentiels des frères mineurs – et de l’hagiographie consacrée au fondateur, dont le désir du martyre fut savamment construit par les hagiographes, constituèrent une base solide sur laquelle l’aspiration au martyre de certains franciscains put se développer Sans doute convient-il de ne pas sous-estimer la dimension spirituelle de cette aspiration qui, au-delà de l’«indication exemplaire»15 donnée par François d’Assise à ses compagnons, était fondée sur une tradition martyriale séculaire, constamment enrichie et réactualisée François, ses compagnons, ses hagiographes et leurs contemporains avaient en partage une culture commune du martyre, les martyrs demeurant les saints par excellence, après la Vierge et les Apôtres, mais avant les confesseurs et les vierges Elle était nourrie par l’omniprésence des martyrs, universels ou locaux, dans l’hagiographie, dans le calendrier liturgique, dans les dédicaces des sanctuaires ou encore dans le patronage des cités: tel était le cas de Rufin, évangélisateur, premier évêque et martyr d’Assise, élevé au rang de saint patron de la cité au cours du xie siècle, par exemple16 Cette culture commune ne peut être dissociée d’une culture savante du martyre, que François d’Assise ne maîtrisait pas, mais qui nourrissait les conceptions des clercs hagiographes À la faveur du développement de la culture scolastique à partir du xiie siècle, ces conceptions se diffusèrent, se réorganisèrent, s’enrichirent à travers des sources variées (recueils de derivationes, manuels d’histoire biblique, sommes de droit canonique, dictionnaires…)17 La typologie du martyre, articulée sur des figures de l’Ancien et du Nouveau Testament, s’affina et s’enrichit elle aussi à la fin du xiie siècle, l’Église promouvant, avec des succès très inégaux, des martyrs nouveaux, morts à son service, pour défendre la libertas ecclesiae (Thomas Becket), le patrimoine ecclésiastique (l’évêque Rainier de Split) ou pour lutter contre l’hérésie (Pierre de Castelnau) Au moment où François d’Assise commença son apostolat, la tendance n’était pas à promouvoir comme martyrs des chrétiens tués pour défendre la foi chrétienne en dehors des frontières de la christianitas, tels les croisés par exemple18 Si la typologie des persécuteurs fut elle aussi constamment enrichie, il convient de souligner la spécificité de l’hagiographie franciscaine dans ce domaine Au tournant des xiie et xiiie siècles, les efforts pontificaux en matière d’évangélisation des non chrétiens portaient essentiellement sur les païens du Nord et du centre de l’Europe et sur les hérétiques, notamment en Italie et dans le Languedoc, de sorte 15 16 17

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Raoul Manselli, Saint François d’Assise, Paris 2004, 450 Aldo Brunacci, Rufino, vescovo di Assisi, santo, martire, dans: Bibliotheca Sanctorum, t XI, Rome 1968, 466–471 Pour ne citer que quelques exemples, voir pour le xiie siècle la définition du terme «martyr» donnée par Uguccione da Pisa, Derivationes, 2 vol (Edizione nazionale dei testi mediolatini 11, Serie I/6), ed Enzo Cecchini e a , Florence 2004, t II, 733; par Pierre le Mangeur dans son Historia scolastica (ed Patrologia latina, t CXCVIII, Paris 1855, 1523b et additio 1524c et d) ou encore les occurrences de ce terme dans le Décret de Gratien (Corpus iuris canonici, t I: Decretum magistri Gratiani, ed Emil Friedberg, Leipzig 1879, réimp Graz 1959) Pour le xiiie siècle, voir par exemple la définition beaucoup plus riche donnée par le dominicain Giovanni Balbi (Johannes de Janua, Catholicon, Venice 1487, disponible sur http://gallica bnf fr [portail, dernier accès 20 mars 2014), s. v. Martyr, édition non paginée) James A Brundage, Voluntary Martyrs and Canon Law The case of the First Crusaders, Cristianesimo nella storia Ricerche storiche, esegetiche, teologiche 27/1 (2006), 143–160

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que les uns et les autres étaient l’incarnation la plus commune des persécuteurs de chrétiens C’est du reste vers ces deux catégories que s’orientèrent les efforts du chanoine Dominique de Calaruega et de son évêque Pourtant, dans l’hagiographie franciscaine, un lien fut d’emblée établi entre martyre chrétien et persécuteurs «Sarrasins et infidèles» On peut y lire l’influence des croisades, même s’il convient de rappeler qu’aucun croisé ou pèlerin ne fut jamais reconnu, ni même vénéré comme martyr Mais un autre élément, moins attendu, eut sans doute une importance particulière pour François d’Assise, ses premiers compagnons et ses hagiographes À partir du milieu du xiie siècle, sur les routes du pèlerinage menant à Saint-Jacques-de-Compostelle, de nombreux lieux de culte s’étaient développés qui honoraient la mémoire de Charlemagne, de Roland, d’Olivier et des autres paladins de France, considérés alors comme de véritables martyrs19 Ces cultes, à la fois religieux et chevaleresques, s’appuyaient sur une multiplicité de tombes, de reliques, de chants et de laudes, la poésie épique se mêlant étroitement aux genres liturgique et hagiographique dévolus aux saints La péninsule italienne, traversée par la Via Francigena, fut un terrain de choix de la diffusion des exploits de Roland et de ses compagnons, considérés comme martyrs des Sarrasins20 Déclamée sur les places des cités italiennes et racontée sur les voies qui conduisaient pèlerins et croisés vers les ports des Pouilles d’où ils embarquaient pour la Terre sainte, la matière carolingienne faisait partie de la culture commune, notamment celle des premiers franciscains comme le confirment certains récits hagiographiques21 L’idée d’associer les Sarrasins à la persécution des chrétiens n’était donc assurément pas étrangère aux contemporains du saint d’Assise et à ses hagiographes Certains ont voulu voir dans les martyrs de Cordoue (850–859) un modèle dont ils se seraient emparés, mais leur réputation en dehors de la péninsule Ibérique était inexistante au début du xiiie siècle et cette hypothèse doit être repoussée22 Le re19

Voir Karolellus atque Pseudo-Turpini Historia Karoli Magni et Rotholandi (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), ed Paul-Gerhard Schmidt, Stuttgart/Leipzig, 1996, 168–172 Sur la Chronique du Pseudo-Turpin, voir aussi Gillette Tyl-Labory, Chronique du Pseudo-Turpin, dans: Dictionnaire des Lettres françaises, Le Moyen Âge, Paris 1992, 292–295 20 Pour la diffusion des légendes carolingiennes dans la péninsule, voir Sulle orme di Orlando Leggende e luoghi carolingi in Italia (I paladini di Francia nelle tradizioni italiane Una proposta storico-antropologica), dir Anna Imelde Galletti et Roberto Roda, Ferrare/Padoue 1987 21 Voir par exemple le passage évoquant les paladins dans la Compilation d’Assise, Fontes francescani (cit n 10), 1645 Voir aussi Lise Battais, La courtoisie de François d’Assise Influence de la littérature épique et courtoise sur la première génération franciscaine, Mélanges de l’École française de Rome Moyen Âge 109 (1997), 131–160 22 Voir, par exemple, Allan Cutler, The Ninth-Century Spanish Martyrs Movement and the Origins of Western Christian Missions to the Muslims, The Muslim Word 55 (1965), 321–339, et James Waltz, The significance of the Voluntary martyrs of Ninth Century Cordoba, The Muslim World 60 (1970), 143–152 et 226–236 Pour une étude plus récente de ces martyrs, voir Patrick Henriet, Sainteté martyriale et communauté de salut Une lecture du dossier des martyrs de Cordoue (milieu du ixe siècle), dans: Guerriers et moines Conversion et sainteté aristocratiques dans l’Occident médiéval (ixe –xie siècle) (Collection d’Études médiévales 4), dir Michel Lauwers, Antibes 2002, 93–139 et la contribution de Christofer Zwanzig dans ce volume

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tentissement de la bataille de Las Navas de Tolosa (1212), le climat de croisade et la mémoire des exploits des paladins de France en Italie étaient sans doute suffisants pour désigner l’«Espagne» (péninsule Ibérique et Maghreb occidental) comme destination propice au martyre Un halo de martyre entourait les territoires gouvernés par les Sarrasins, la «Syrie» et le «Maroc» des hagiographes de François d’Assise ou encore l’«Espagne» de Jourdain de Giano, et il n’y a sans doute pas de raisons de s’en étonner En revanche, en associant martyre et évangélisation dans un contexte musulman, les franciscains innovèrent et contribuèrent à enrichir le sens de l’un comme de l’autre Cependant, la construction de la représentation des saints martyrs, comme la forme même du martyre franciscain fut lente Dans un premier temps, la communauté franciscaine semble avoir hésité face à la position qu’elle devait tenir vis-à-vis du martyre des frères de Marrakech La réaction de François d’Assise face au récit qu’on lui en fit, rapportée par Jourdain de Giano une quarantaine d’année après les faits, est en elle-même une première indication: «Quand on rapporta le martyre, la vie et la Légende desdits frères au bienheureux François, il entendit qu’on y faisait son éloge et vit que les frères tiraient gloire de la passion des autres; […] il repoussa la Légende et interdit de la lire en disant: ‹Que chacun soit glorifié par sa propre passion et non par celle des autres!›»23 Des sources antérieures à cette chronique font allusion aux mêmes martyrs, de manière très rapide et imprécise (aucune indication de nombre, de noms, de circonstances etc ), quand bien même leur rôle ne serait pas dénué d’importance Selon la plus ancienne Vie d’Antoine de Padoue, datée de 1232, le martyre des frères de Marrakech et leurs reliques le poussèrent à revêtir l’habit franciscain24 Leur sort suscite l’admiration de Claire d’Assise, qui aspire à les imiter selon deux témoins du procès de canonisation, mené en 125325 Des récits hagiographiques propres aux martyrs de Marrakech, forgés initialement à Coïmbre où leurs reliques avaient été transportées, existèrent sans doute (Jourdain de Giano mentionne bien une «légende»), mais ils ne semblent pas avoir connu une grande diffusion au xiiie siècle, en Italie du moins Ce silence relatif pourrait être lié aux lacunes de la documentation mais il est plus sûrement le signe d’une forme de réserve à l’endroit de la sainteté martyre telle que les frères de Marrakech avaient pu l’incarner Réserve des protecteurs de l’Ordre sans doute, réserve d’une partie des franciscains euxmêmes assurément Le vingt-cinquième chapitre des Dicta aurea du franciscain Gilles d’Assise, qui furent rassemblés après sa mort en 1262, est intitulé de manière éloquente «De la négligence des prélats dans la canonisation de quelques frères»26: son unique objet est de regretter que «les prélats les plus importants de l’Ordre des frères mineurs» n’aient pas obtenu du pape la canonisation «des frères martyrs tués à Marrakech pour la glorieuse confession de la foi» Un débat, dont on peine à 23 Chronica fratris Jordani (cit n 8), 7 24 Vita prima di s Antonio o «Assidua» (c 1232) (Fonti agiografiche antoniane 1), ed Vergilio Gamboso, Padoue 1981, 286–288 25 Zefferino Lazzeri, Il processo di canonizzazione di S  Chiara d’Assisi, Archivum Franciscanum Historicum 13 (1920), 465 et 468 26 Dicta beati Aegidii Assisiensis edita a PP Collegii S  Bonaventurae (Bibliotheca franciscana ascetica medii aevi 3), Quaracchi 1905, 75

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cerner les contours et surtout l’ampleur, eut lieu donc probablement lieu à l’intérieur de l’Ordre franciscain Et le fait est que la documentation ne mentionne plus aucun martyr franciscain jusqu’aux années 1260 Les martyrs réapparaissent alors, non plus dans le contexte du Maghreb occidental, mais dans celui de la Terre sainte, au moment où les positions chrétiennes latines tombent les unes après les autres pour finalement disparaître en 1291, au moment de la chute de Saint-Jean-d’Acre Plusieurs chroniques et traités de «récupération de la Terre sainte» évoquent alors l’attitude héroïque des franciscains qui sommés de renier leur foi par les Sarrasins victorieux, s’y refusent et invitent les chrétiens à faire de même, ce qui conduit les uns et les autres à mourir en martyrs27 Ces différents martyres en Terre sainte ne suscitèrent pas plus d’activité hagiographique spécifique, alors que les circonstances permettant de reconnaître ces victimes des aléas de la guerre étaient bien différentes de celles du qui avaient entouré le martyre de Marrakech À la fin du xiiie siècle, deux voies existaient La première était celle du martyre rencontré dans un contexte de conflit armé et de persécution caractérisée, comme en Terre sainte; la seconde était celle du martyre volontaire, au sens de provoqué et même activement recherché, comme à Marrakech, si l’on en croit les Passions transmises par des sources postérieures au xiiie siècle Il faut attendre, en effet, les premières décennies du xive siècle pour voir se multiplier les martyres correspondant au second modèle, évoqués dans une documentation de plus en plus spécifique Des franciscains qualifiés de «martyrs» apparaissent tout d’abord dans les catalogi sanctorum franciscains, où ils ne sont que des noms associés à des lieux et où la nature de leurs supplices n’est que très brièvement mentionnée Les Memorialia de sanctis fratribus minoribus sont le plus ancien témoin conservé Sa rédaction n’est probablement pas antérieure à 1317 et fut complétée jusqu’en 1330 au moins28 Cette liste recense au total 122 noms de frères réputés saints dont 20 % sont des martyrs Le Provinciale secundum Ordinem Fratrum Minorum, transmis par plusieurs manuscrits où furent copiées les œuvres du franciscain Paolino da Venezia († 1343), relève du même type documentaire, même si cette liste est plus élaborée que la précédente29 Elle met systématiquement en évidence le lien entre la struc27

Voir par exemple Fidenzio da Padova, Liber recuperationis Terre Sancte, 5 vol (Biblioteca bio-bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente francescano, I Serie, Annali), ed Girolamo Golubovich, Quaracchi 1906–1927, t II, 9–60, à propos du martyre des franciscains de Safed, en 1266 (24–25) 28 Voir Isabelle Heullant-Donat, À propos de la mémoire hagiographique franciscaine aux xiiie et xive siècles: l’auteur retrouvé des Memorialia de sanctis fratribus minoribus, dans: Religion et société urbaine au Moyen Âge Études offertes à Jean-Louis Biget (Publications de la Sorbonne Série Histoire ancienne et médiévale 60), réunies par Patrick Boucheron et Jacques Chiffoleau, Paris 2000, 511–529; Roberto Paciocco, Da Francesco ai «catalogi sanctorum» Livelli istituzionali  e immagini agiografiche nell’Ordine francescano (secoli XIII–XIV) (Collectio Assisiensis 20), Assise 1990 29 Le plus ancien manuscrit transmettant cette liste est aujourd’hui conservé à la Bibliothèque Vaticane (ms Vat lat 1960): il comprend plusieurs œuvres de Paolino da Venezia qui le fit copier dans les années 1320, alors qu’il séjournait à la cour pontificale d’Avignon Sur ses chroniques et sur les manuscrits qui les transmettent, voir Isabelle Heullant-Donat, Entrer dans

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ture administrative propre à l’Ordre franciscain (provinces, custodies, couvents), dont la description semble le principal objet du texte, et les frères remarquables ou réputés saints Si deux groupes d’inquisiteurs franciscains tués dans l’exercice de leurs fonctions en 1242 et en 1321 sont signalés comme martyrs, les dernières lignes de la liste recensent en bloc les martyrs in partibus infidelium, du Maroc à Thana, en Inde En associant les martyrs à des «lieux» franciscains, les religieux dessinaient aussi un territoire d’évangélisation où le sang de leurs martyrs ancrait leur présence, comme les antiques martyrs avaient permis d’ancrer les plus anciennes communautés chrétiennes Par leurs martyrs, les franciscains justifiaient et fortifiaient leurs implantations dans un contexte de tensions avec la papauté et de rivalité avec d’autres religieux, les dominicains notamment Cette documentation a non seulement circulé dans l’Ordre mais aussi en dehors, à la curie pontificale notamment Des listes construites sur le même principe furent produites et complétées dans les décennies suivantes30, jusqu’à la rédaction du De sacris beatorum fratrum tumulis (1385–1393) par un franciscain demeuré anonyme et du De conformitate (1385– 1390) de Barthélemy de Pise31 À la fin du xive siècle, les martyrs apparaissent bien ordonnés et insérés dans la mémoire hagiographique franciscaine; ils contribuent à la spatialisation des entreprises de leur Ordre qui s’avérait d’autant plus indispensable que ses échecs in partibus infidelium étaient patents Les lettres et les Passions, rédigées elles aussi à partir des années 1320 pour informer la communauté franciscaine des martyres advenus, ne sont pas moins intéressantes Elles furent parfois rassemblées dans de petits dossiers traitant spécifiquement des martyrs et de l’évangélisation in partibus infidelium32 mais on les retrouve également dans des légendiers33 Enfin, plusieurs chroniques franciscaines l’Histoire Paolino da Venezia et les prologues de ses chroniques universelles, Mélanges de l’École française de Rome Moyen Âge 105/1 (1993), 381–442 Ce document a été édité par Conrad Eubel, Provinciale Ordinis fratrum minorum vetustissimum secundum codicem Vaticanum nr 1960, Quaracchi 1892 Cette édition n’est pas fidèle au manuscrit sur lequel elle se fonde (Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat lat 1960, fol 23–25a) puisqu’elle rejette dans les notes infrapaginales les indications concernant les frères qui figurent dans le corps du texte L’unité interne du texte, qui établit un lien clair et fort entre les frères réputés saints et la structure administrative et territoriale de l’Ordre, est ainsi brisée 30 Voir, par exemple, Leonard Lemmens, Fragmenta minora Catalogus sanctorum fratrum minorum quem scriptum circa 1335, Rome 1903 31 Roberto Paciocco, Da Francesco ai catalogi sanctorum (cit n 28), 133–158 Deux des quarante «fruits» décrits par Barthélemy s’apparentent aux listes hagiographiques et topographiques antérieures, le huitième et le onzième, voir De conformitate vitae beati Francisci ad vitam Domini Jesu auctore fr Bartholomeo de Pisa, ed Analecta Franciscana 4–5 (1906), 369–415 32 Voir par exemple, London, British Library, ms Cotton Nero A IX, fol 94r–101v Le dossier a été édité dans Biblioteca bio-bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente francescano (cit n 27), t II, 66–73 33 Voir, par exemple, Florence, Biblioteca Laurenziana, ms Plut XXXV sin 9 (A M Bandini, Catalogus codicum latinorum Bibliothecae Mediceae Laurentianae, t IV: continens […] recensionem mss codicum qui olim in florentino S  Crucis coenobio Minorum conventualium adservabantur, Florence 1777, 322–328) Frédéric Delorme, Pour l’histoire des martyrs du Maroc, La France franciscaine 7 (1924), 111–117 Ces Passions circulèrent parfois en dehors

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se firent l’écho au même moment des nouveaux martyres, transmettant parfois des lettres ou des Passions qui circulaient aussi de manière indépendante Tel est le cas des chroniques de Fra Elemosina, de Paolino da Venezia, de Jean de Winterthur ou encore de Jean de Marignolla34 A la fin du xive siècle, la Chronica XXIV Generalium Ordinis fratrum Minorum, vaste histoire institutionnelle de l’Ordre franciscain composée dans les années 1369–1374 par le franciscain aquitain Arnaud de Sarrant, rassembla de nombreuses Passions, qui illustrent la place éminente acquise par la sainteté martyre dans l’Ordre franciscain35 Les récits les plus développés (lettres et Passions) permettent de comprendre que les martyrs franciscains furent tous des martyrs volontaires, selon le modèle construit autour des martyrs de Marrakech: ils sont décrits comme défiant sciemment les autorités, insultant publiquement la religion musulmane et son prophète, promettant la damnation éternelle à leurs interlocuteurs s’ils ne se convertissent pas au christianisme, hors de tout contexte de persécution, dans le seul but de mourir en martyre Les attitudes décrites sont à l’évidence très éloignées de celles du saint fondateur telles qu’elles apparaissent dans l’hagiographie du xiiie siècle Un élément vient confirmer l’évolution de la forme comme de la représentation du martyre dans la communauté Il illustre la manière dont l’appréciation, évolua entre le milieu du xiiie siècle et la fin du xive siècle Comme on l’a indiqué précédemment, dans sa chronique, Jourdain de Giano avait livré une réaction de François d’Assise au sujet du premier martyre de Marrakech, en 1220: «Quand on rapporta le martyre, la vie et la Légende desdits frères au bienheureux François, il entendit qu’on y faisait son éloge et vit que les frères tiraient gloire de la passion des autres; comme il avait le plus grand mépris pour lui-même et qu’il dédaignait les louanges et la gloire, il repoussa la Légende et interdit de la lire en disant: ‹Que chacun soit glorifié par sa propre passion et non par celle des autres!›»36 Un siècle plus tard, la Chrode la communauté franciscaine, ce que démontre un légendier conservé à la Chartreuse du Mont-Dieu, dans les Ardennes, qui transmet une version de la Passion des martyrs franciscains de Thana (Charleville-Mézières, Médiathèque Voyelles, ms 59, fol 100–106v) Sur ce manuscrit, voir Joseph Van der Straeten, Les manuscrits hagiographiques de Charleville, Verdun et Saint-Miniel (Susidia hagiografica 56), Bruxelles 1974, 19–20 34 Les passages évoquant des martyres dans les deux chroniques d’Elemosina († v 1336–1337) ont été publiés dans Girolamo Golubovich, Biblioteca bio-bibliografica della Terra Santa e dell’Oriente francescano (cit n 27), t II, 103–137 Des extraits de la Satirica ystoria de Paolino da Venezia ont été publiés par Lodovico Antonio Muratori, Antiquitates Italicae Medii Aevi, t 4, Milan 1741, 951–1034 La chronique de Jean de Winterthur († 1348) est éditée dans Die Chronik Johanns von Winterthur (MGH, Scriptores rerum Germanicarum, N S 3), ed Friedrich Baethgen et Carl Brun, Berlin1924 (réimpr Munich 1982) Enfin le Chronicon Bohemorum de Jean de Marignolla (v 1290–v 1359) qui séjourna pendant une quinzaine d’années en Chine (1339–1353), a été composé à son retour, à la demande de l’empereur Charles IV (v 1355) Il évoque un groupe de sept frères martyrisés à Almaligh, un an avant son arrivée dans cette cité d’Asie centrale (Chronicon Bohemorum [Kronika Janaz Marignoly], ed Josef Emler, dans: Fontes Rerum Bohemicarum, t 3, Prague 1882, 492–604) 35 Cette chronique est éditée dans Analecta Franciscana 3 (1897), 1–616; voir également Maria Teresa Dolso, La «Chronica XXIV generalium» Il difficile percorso dell’unità nella storia francescana (Centro Studi Antoniani 40), Padoue 2003 36 Chronica fratris Jordani (cit n 8), 7

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nica XXIV Generalium formula différemment cette réaction: «Lorsque le bienheureux François apprit la nouvelle de leur martyre, transporté de joie en son esprit, il dit: ‹Maintenant, je peux vraiment dire que j’ai cinq frères ›»37 Dans le premier cas, François n’est pas circonspect face au martyre de ses compagnons, mais il est hostile aux usages que sa communauté peut en faire Dans le second, il semble considérer que le martyre est l’essence même de la vocation franciscaine La juxtaposition de ces deux passages souligne le fait que la question du martyre put constituer un point sensible de l’identité franciscaine Si les modèles tardo-antiques et les Passions antérieures au xiiie siècle irriguèrent fortement la martyrologie franciscaine38, il convient aussi d’en souligner les innovations, notamment à la lumière des procédures exigeantes et coûteuses de reconnaissance officielle de la sainteté à la fin du Moyen Âge et des réticences de la hiérarchie ecclésiastique face à des individus dont la réputation de sainteté ne se fondait que sur leur fin tragique Lettres et Passions insistent sur les témoins qui ont vu de leurs yeux et ont rapporté à des tiers dignes de foi ce qui s’est passé, éléments d’autant plus indispensables face à des martyrs très lointains, souvent dépourvus de reliques, qui vivant avaient été des religieux peu contrôlables Elles permettent de déceler à partir des années 1320 les tentatives de canonisation de certains de ces martyrs, soutenues parfois par de puissants laïcs, comme le roi d’Aragon Jacques II par exemple, ou activement défendues par les franciscains eux-mêmes auprès de la Curie, dont aucune n’aboutit au Moyen Âge, à l’exception de la reconnaissance du culte des martyrs de Marrakech (1481) dans un tout autre contexte39 La documentation permet aussi de reconstruire ce qui ressemble à une stratégie du martyre au sein de la communauté franciscaine, élaborée et mise en pratique dans les textes au cours de la première moitié du xive siècle, dont les résultats furent ensuite intégrés dans le cours d’une histoire pacifiée La montée en puissance des martyrs dans la mémoire et l’histoire de l’Ordre à partir des années 1315–1320 peut en effet être mise en relation avec les vicissitudes qui l’agitèrent sous le pontificat de Jean XXII Les martyrs surgissent au cœur de la controverse sur la pauvreté évangélique, dans les années 1321–1323, et ils deviennent alors un argument pour illustrer la fidélité de l’Ordre à l’idéal évangélique, sa capacité unique à essaimer de 37 38 39

Chronica XXIV Generalium (cit n 35), 21: Cum autem beatus Franciscus eorum martyrium audivisset, exsultans in spiritu dixit: «Nunc possum veraciter dicere quod habeo quinque fratres». Paolo Evangelisti, Martirio volontario ed ideologia della Crociata Formazione e irradiazione dei modelli francescani a partire delle matrici altomedievali, Cristianesimo nella storia Ricerche storiche, esegetiche, teologiche 27/1 (2006), 161–247 Pour l’intervention de Jacques II d’Aragon, en 1321, en faveur de la canonisation des martyrs de Marrakech, voir Acta Aragonensia Quellen zur deutschen, italienischen, französischen, spanischen, zur Kirchen- und Kulturgeschichte aus der diplomatischen Korrespondenz Jaymes II (1291–1327), t II, ed Heinrich Finke, Berlin/Leipzig 1908, 754–755, n° 469; pour la défense de la cause des martyrs de Jérusalem (1391) auprès de la Curie, voir Isabelle Heullant-Donat, Les martyrs franciscains de Jérusalem (1391), entre mémoire et manipulation, dans: Chemins d’Outremer Études d’Histoire sur la Méditerranée médiévale offertes à Michel Balard, 2 vol (Byzantina Sorbonensia 20), dir Damien Coulon e a , Paris 2004, t II, 439–459

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manière visible en dehors des frontières de la chrétienté, dans le respect de l’Église et de sa vocation universelle40 Cette situation permet aussi de mieux comprendre pourquoi une documentation spécifiquement consacrée aux martyrs apparaît précisément à ce moment-là: elle est à la fois un effet de la crise qui secoue l’Ordre et un élément visant à sa résolution Sans doute certains contemporains perçurent-ils l’aspiration au martyre volontaire comme une dangereuse dérive d’extrémistes, tranchant par exemple avec la modération prônée par Thomas d’Aquin qui précise et définit le statut du martyr, fondant en partie la position de l’Église sur le sujet à la fin du Moyen Âge41 Si certains des martyrs des années 1320–1330 peuvent effectivement être identifiés comme d’actifs dissidents Spirituels (à Erzincan en 1314 ou à Thana en 1321, par exemple), force est de constater que leur cause fut aussi soutenue par plusieurs de leurs coreligionnaires peu suspects de sympathies spirituelles, tel l’évêque de Caffa Jérôme ou encore le chroniqueur Paulin de Venise42 D’une façon générale, le xive siècle apparaît comme un moment-clé où les martyrs sont reconnus comme tels par l’Ordre, utilisés à son service et intégrés dans la mémoire de la communauté qui considéra alors que le martyre volontaire était conforme à sa vocation évangélique et venait la consolider Les Passions qui commencèrent à circuler dans les couvents à partir de 1315–1320 eurent une forte dimension spéculaire: elles visaient à fortifier l’action et les ambitions franciscaines, en conférant aux membres de l’Ordre une spécificité cristallisée autour d’un possible parcours de sainteté inter infideles Le genre littéraire de la Passion visait à susciter la représentation et à communiquer l’illusion du réel, en rejouant indéfiniment la scène du sacrifice au nom de la foi Les Passions franciscaines respectèrent les règles du genre: rituel judiciaire de l’interrogatoire, énonciation de la sentence, exécution précédée de supplices auxquels le condamné résiste, mise en lumière de sa constance et de sa patience, de la cruauté des persécuteurs, importance des témoins enfin Mais au-delà des topoï, Passions et lettres décrivant les martyres, copiées en Occident à l’abri des couvents par des religieux qui n’avaient pas a priori vocation à imiter leurs confrères suppliciés, étaient porteuses de significations multiples et parfois contradictoires Dans certains textes, les martyrs incarnent des formes de résistance particulières aux infideles qu’ils n’espéraient nullement convertir Résistance à la dislocation des communautés chrétiennes, tout d’abord, au-delà de leurs divergences religieuses, lorsque les martyrs franciscains sont présentés comme bien reconnus par ces communautés d’orthodoxes et d’Arméniens qui recueillent leurs reliques 40 Isabelle Heullant-Donat, In ongni luogo il sangue loro è sparso. Pauvreté, martyre et identité chez les franciscains (xiiie –xive siècle), dans: Expériences religieuses et chemins de perfection dans l’Occident médiéval Études offertes à André Vauchez par ses élèves, dir Dominique Rigaux, Daniel Russo et Catherine Vincent, Paris 2012, 293–309 41 Thomas d’Aquin l’évoque à plusieurs reprises dans son œuvre, dans son Commentaire des Sentences (IV, dist 49, q 5; IV, dist 4, q 3, art 3) dans ses Questiones Quodlibetales (IV, q 10; I, q 1, art 2), ou encore dans la Somme théologique (IIa IIae q 124, De martyrio; IIIa, q 68, art 2, voir Sancti Thomae de Aquino Summa theologiae Editio Paolinae, Rome 1962, 1588–1592), pour ne citer que quelques exemples 42 Isabelle Heullant-Donat, In ongni luogo il sangue loro è sparso (cit n 40)

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au péril de leur vie43 Résistance à l’hostilité des chrétiens orthodoxes ensuite, lorsqu’à Vidin (Bulgarie), en 1369, quatre franciscains furent exécutés à la demande de moines grecs44 Faute de convertir les infideles et de pouvoir contenir les progrès de l’islamisation des sociétés en Égypte ou dans les Khanats mongols, les martyrs pouvaient devenir le symbole de l’union des chrétiens ou, au contraire, en illustrer l’impossibilité Résistance à l’apostasie enfin, puisque certaines Passions mettent en scène des franciscains apostats On aurait probablement tort de voir dans cette situation une simple fiction permettant ensuite de dérouler le récit du martyre, ce que confirment quelques très rares cas de franciscains et dominicains apostats, retrouvés dans les archives vaticanes ou mentionnés dans les chroniques45 Le risque d’apostasie ou d’hétérodoxie était inhérent à la vocation franciscaine, qui impliquait pour les frères de vivre au milieu des infideles, dans de très petites et sans doute très fragiles communautés (pas ou peu de hiérarchie, nécessité de composer avec l’habit, les pratiques alimentaires, la liturgie, l’office, l’argent etc ) Les Passions permettent ainsi de saisir des phénomènes et des difficultés que les sources occidentales évoquent peu par ailleurs Le martyre volontaire en forme de provocation continua pourtant de faire débat à l’intérieur de la communauté Il est au cœur de l’une des Passions du xive siècle, celle de Livinius au Caire en 1345 Le texte pose clairement le problème: «Est-il licite selon Dieu pour un chrétien d’entrer dans les mosquées sarrasines pour prêcher la foi catholique et combattre la foi de Mahomet?» Livinius, rompu à la scolastique, dispute très subtilement cette quaestio, évoquant l’opinion de ceux qui répondent par la négative, au motif qu’une telle démarche conduit inéluctablement à la mort et relève du suicide, par définition condamnable; puis il évoque les arguments favorables à un tel geste, utilisant les exemples des antiques martyrs et expliquant que tous les frères ayant pris une telle initiative n’ont pas nécessairement été exécutés Après avoir développé ce raisonnement théorique, Livinius passe à la pratique: il pénètre dans une mosquée un jour de grande prière et après que les musulmans aient tenté de le dissuader de recommencer parce qu’ils le considèrent comme fou, il recommence Condamné pour blasphème, il a la tête tranchée Son compagnon s’afflige de ne pas avoir connu le même supplice mais il est bientôt gratifié d’une vision: Livinius lui apparaît tenant un grand livre en ses mains et lui explique qu’il est reçu au Ciel, ce qui est une manière de clore le débat46 Ce texte permet de 43

C’est le cas, par exemple, dans le récit du martyre d’Erzincan, en 1314, qui circula dans des lettres avant d’être intégré dans la Chronica XXIV Generalium (cit n 35), 412–416 44 Ibid. 564–566 45 Isabelle Heullant-Donat, Les risques de l’évangélisation Sur quelques figures nouvelles de l’apostasie au xive siècle, dans: Chrétiens, juifs et musulmans dans la Méditerranée médiévale (Collection «De l’archéologie à l’histoire»), dir Benoît Grévin, Annliese Nef et Émanuelle Tixier, Paris 2008, 133–148 46 Le texte de cette Passion est édité dans la Chronica XXIV Generalium Ordinis Minorum (Chronica XXIV Generalium [cit n 35], 540–543) Pour une analyse plus détaillée, voir Isabelle Heullant-Donat, Théorie et pratique du martyre volontaire chez les franciscains au milieu du xive siècle: l’exemple de Livinus, théologien et martyr, dans: Arbor Ramosa Studi per Antonio Rigon da allievi, amici, colleghi (Centro studi antoniani 44), dir Luciano Bertazzo e a , Padoue 2011, 265–278

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souligner que le débat théorique sur les formes possibles du martyre se poursuivit au xive siècle Il fut formalisé au xve siècle à travers le premier ouvrage entièrement consacré à la question du martyre: le Tractatus de martyrio sanctorum, composé à Constantinople, en 1435–1437, probablement par le clerc humaniste Tommaso d’Arezzo47 Lieu sensible et problématique de la vocation franciscaine au xiiie siècle, le martyre en devint l’une de ses caractéristiques importantes au cours du xive siècle, à côté de la pauvreté Son étude ouvre des perspectives pour mieux comprendre la concurrence des mémoires hagiographiques des ordres religieux et les évolutions des identités religieuses La représentation du martyre amorça une transformation entre le xiiie et le xve siècle, à laquelle les franciscains, ouvriers d’une vigne stérile in partibus infidelium, contribuèrent Leurs morts reconnus comme martyrs volontaires leur assurèrent une forme de visibilité, accrue en Italie par des représentations iconographiques parfois spectaculaires L’objectif n’était pas tant de susciter des conversions que de justifier leur fidélité à l’Église, leur présence parfois contestée et leur volonté d’hégémonie dans la pratique évangélique48 Ces représentations révèlent moins la situation des religieux en milieu potentiellement hostile ou l’émergence d’une forme nouvelle de «mission» que la manière dont les franciscains entendaient justifier leur rôle dans une chrétienté en recul, menacée par l’avancée des Mamluks, puis des Ottomans

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Tractatus de martyrio sanctorum de Jacobus Wolff von Pforzheim, Bâle, vers 1492; voir Alison Knowles Frazier, Possible Lives: Authors and Saints in Renaissance Italy, New York 2004, 81–90 48 Les martyrs de Marrakech (1220) et ceux de Thana (1321) furent, semble-t-il, les plus souvent représentés Sur les premiers, voir Giuseppe Cassio, Modelli da imitare e santi da acclamare Tragedia e trionfo nell’iconografia dei protomartiri francescani tra Europa e Brasile, dans: Dai Protomartiri francescani a sant’Antonio di Padova, Atti della Giornata Internazionale di Studio (Terni, 11 giugno 2010) (Centro studi antoniani 45), dir Luciano Bertazzo et Giuseppe Cassio, Padoue 2011, 85–164 (qui rassemble 128 images) Pour les martyrs de Thana, voir la fresque réalisée pour le couvent des frères mineurs de Sienne par Ambrogio Lorenzetti entre 1336 et 1341, Max Seidel, Gli affreschi di Ambrogio Lorenzetti nel chiostro di San Francesco a Siena: ricostruzione e datazione, Prospettiva 18 (1979), 10–20; Chiara Frugoni, Gli affreschi del chiostro di San Francesco: i Tartari a Siena, dans: Pietro e Ambrogio Lorenzetti, dir ead , Florence 2002, 187–195 et S  Maureen Burke, The Martyrdom of the Franciscans by Ambrogio Lorenzetti, Zeitschrift für Kunstgeschichte 4 (2002), 460–492

VOM „DULDER“ ZUM „KÄMPFER“ Erweiterung des Märtyrergedankens durch Krieg (11 und 12 Jahrhundert)?1 Ernst-Dieter Hehl Die Stichworte „Kämpfer“ und „Krieg“ in der Formulierung des Themas signalisieren: Es wird vor allem um die Kreuzzüge gehen, also um die Erscheinung in der lateinischen Christenheit, welche den Krieg und damit auch das Sterben im Krieg in einem besonderen Maß in einen religiösen Kontext einordnete Auf einem Kreuzzug in das Heilige Land wurde aber weit entfernt von der eigenen Heimat gestorben Fasste man einen solchen Tod als Martyrium auf, dann war dieses Martyrium kein lokales Ereignis und konnte nur in geringem Ausmaß als ein solches rezipiert werden Die Märtyrer der alten Kirche hatten ihr Leben hingegen in lokalen Bezügen verloren, wenn sie z B den Kaiserkult in einem städtischen Tempel verweigerten2 Auch bei den zahlreichen Märtyrern der Hauptstadt Rom war das im Prinzip der Fall Doch hat sich der Aufstieg Roms zum kirchlichen Zentrum des lateinischen Europa mit einer Ausbreitung des Kultes und zum Teil auch der Reliquien der römischen Märtyrer in den Gesamtraum der römischen, sich zunehmend als universal verstehenden Kirche verknüpft; die römischen Märtyrer transformierten sich zu Repräsentanten der universalen römischen Kirche3 Die Kreuzfahrer kämpften und starben im Auftrag dieser universalen römischen Kirche Als dergestalt „römische“ Märtyrer fanden sie weit entfernt von der eigenen Heimat und von Rom den Tod und markierten auf diese Weise die Reichweite der römischen 1

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Die Vortragsform ist beibehalten Aufgrund der Diskussionen zum Gesamtthema habe ich einige Gesichtspunkte nachgetragen, die Nachweise bringen nur das Nötigste Die Quellen zitiere ich möglichst nach lateinisch-deutschen Ausgaben, in denen die zugrundeliegende kritische Edition in der Regel genannt ist Abkürzungen: FSGA = Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe; MGH = Monumenta Germaniae Historica Bei den Quellenzitaten sind e-caudata, i/j und u/v normalisiert Vgl allgemein Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 1994, 35 ff , 62 ff ; Jan W Van Heuter, Martyrium II (ideengeschichtlich), in: Reallexikon für Antike und Christentum 24 (2012) (Lfg 187 und 188, erschienenen 2010/11), 300–325, zum Christentum 316 ff Zu den Anfängen der „Martyrerliteratur“ Walter Berschin, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter, Bd  1: Von der Passio Perpetuae zu den Dialogi Gregors des großen (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters 8/1), Stuttgart 1986, 37 ff ; dort 56: „Nicht das Tun zählt, sondern das Dulden, nicht die Tatkraft, sondern die Leidenschaft zu Gott “ Hedwig Röckelein, Reliquientranslationen nach Sachsen im 9 Jahrhundert Über Kommunikation, Mobilität und Öffentlichkeit im Frühmittelalter (Beihefte der Francia 48), Stuttgart 2002, 261, Tabelle 374 ff

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Kirche Das eben skizzierte Herauswachsen der römischen Märtyrer alten und neuen Typs aus lokalen Bezügen ließe sich durchaus als eine Erweiterung des Märtyrergedankens in räumlicher Hinsicht verstehen Aber darum soll es im Folgenden nicht im einzelnen gehen, sondern um die Frage, ob sich eine inhaltliche Erweiterung des Märtyrergedankens beobachten lässt, die durch Krieg, speziell durch den Kreuzzug verursacht worden ist In den Briefen, die von Teilnehmern des ersten Kreuzzugs4 erhalten sind, ist von Märtyrern und Martyrium nicht die Rede, wohl aber davon, dass die Gefallenen das ewige Seelenheil erlangt haben5 Ein Beleg dafür, den Kreuzheeren sei der Märtyrergedanke fremd gewesen, ist das nicht6 Diejenigen, die sich an dem Kriegszug beteiligt hatten, und später darüber berichteten, sprachen durchaus von Märtyrern, aber doch mit einer gewissen Zurückhaltung Raymund von Aguilers, mit dem Heer Raimunds von Toulouse unterwegs, vermeidet ihn Er vermittelt die religiösen Konnotationen auf andere Weise So stellt er etwa fest, die Kreuzfahrer seien die besseren Kämpfer als die Makkabäer des Alten Testament gewesen, hätten sie doch eine im Verhältnis zu ihnen noch stärkere Übermacht bezwingen können7 Nicht der Tod, sondern das Weiterleben in Christus interessiert Raymund So sei dem Anselm von Ribemont kurz vor dem eigenen Tod der bereits gefallene Engelrand von St-Paul erschienen – und zwar als lebendiger Anselm wundert sich: „Was soll das sein? Denn ihr, die ihr tot wart, lebt nun? (Quid est hoc? quia vos mortuus eratis, et ecce nunc vivitis?)“ Er erhält zur Antwort: „In der Tat, diejenigen 4

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Zu den militärischen Ereignissen vgl John France, Victory in the East A military history of the First Crusade, Cambridge 1994 Zu den Kreuzzügen insgesamt Hans Eberhard Mayer, Geschichte der Kreuzzüge (Kohlhammer Urban Taschenbücher 86), Stuttgart, 102005; Thomas Asbridge, Die Kreuzzüge, Stuttgart 22011 (englisch 2010) Vgl das Register bei Epistolae et chartae ad historiam primi belli sacri spectantes Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088–1100, hg v Heinrich Hagenmeyer, Innsbruck 1901 Als Märtyrer erscheinen Kreuzfahrer hier nur in einem Brief des Reimser Erzbischofs Manasses an Bischof Lambert von Arras (Nov –Dez 1099), und zwar in dem abschließenden Gebetswunsch: Orate pro Podiensi episcopo, pro Arausicensi episcopo, pro Ansello de Riubutmonte, et pro ceteris omnibus, qui tam glorioso martyrio in pace defuncti sunt (Nr  20, 5; 176); zu Anselm siehe das Folgende Vgl im Rahmen einer Gesamtdarstellung Jonathan Riley-Smith, The First Crusade and the idea of crusading, London 1986, dort 114 ff zum Märtyrergedanken; H E J Cowdrey, Martyrdom and the First Crusade, in: Crusade and Settlement, hg v Peter W Edbury, Cardiff 1985, 46–56; Jean Flori, Mort et martyre des guerriers vers 1100: l’exemple de la Première Croisade, Cahiers de la civilisation médiévale 34 (1991), 121–139; Colin Morris, Martyrs on the Field of Battle before and during the First Crusade, in: Martyrs and Martyrologies (Studies in Church History 30), hg v Diana Wood, Oxford 1993, 93–104; Martin Völkl, Muslime – Märtyrer – Militia Christi Identität, Feindbild und Fremderfahrung während der ersten Kreuzzüge, Stuttgart 2011, 68 ff (dieses Buch war mir ebenso wie der Anm  36 zitierte Aufsatz von Sylvain Gouguenheim erst nach dem Vortrag, März/April 2011, zugänglich) Le „Liber“ de Raymond d’Aguilers (Documents relatifs à l’histoire des croisades 9), ed John Hugh u Laurita L Hill, Paris 1969, c 7, 53 Zu den Makkabäern in der Kreuzzugshistoriographie und -ideologie vgl etwa Klaus Schreiner, Märtyrer, Schlachtenhelfer, Friedensstifter Krieg und Frieden im Spiegel mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Heiligenverehrung (Otto-von-Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt 18), Opladen 2000, 30 ff , der auch ältere und jüngere Beispiele aus dem „säkularen“ Krieg nennt

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sterben nicht, die im Dienst Christi das Leben beenden (Equidem non moriuntur illi, qui in Christi servicio vitam finiunt)“8 Fulcher von Chartres nutzt im Prolog seiner Historia Hierosolymitana das Beispiel der Makkabäer ebenfalls, doch anders als bei Raymund gelten diese ausdrücklich als Märtyrer Fulcher vergleicht die Kreuzfahrer mit dem alten Israel und den Makkabäern, die das Martyrium auf sich genommen haben Und ebenso haben viele unter den Kreuzfahrern pro amore Christi den Tod erlitten, „viele Tausend Märtyrer haben auf diesem Kriegszug ihr Leben mit einem seligen Tod (beata mors) beendet“9 Wie Gold sind die Kreuzfahrer, so schreibt er später, im Feuer geprüft worden Von ihren Sünden wurden sie befreit Viele hätten gerne und willig den cursus martyrii vollenden wollen, sich aber auf jeden Fall den alttestamentlichen Hiob zum Vorbild genommen, der „mit den Qualen seines Körpers die Seele gereinigt und Gott immer im Sinn gehalten habe“ So „kämpften sie mit den Heiden und nahmen wegen Gott die Mühsalen auf sich“ Den Tod hätte Gott die Christen ad salvationis augmentum erleiden lassen, die Türken aber zum Verderben ihrer Seelen, doch einige von ihnen habe Gott zur Taufe geführt10 Am weitesten in die Lebenswirklichkeit und die Mentalität der Teilnehmer am ersten Kreuzzug führen die anonymen „Gesta Francorum“ Ihr Verfasser ist kein Geistlicher, sondern gehörte zu den milites Unbekümmert spricht er von den Kreuzfahrern als Märtyrern Begrifflich unterscheidet er diese neuen Märtyrer nicht von denen der alten Kirche Stephan, der Erzmärtyrer, ist pro nomine Christi gesteinigt worden, vom hl Georg heißt es: a perfidis paganis pro Christi nomine feliciter martyrium suscepit11 Auf ähnliche Weise haben die Scharen des 8

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Raymund von Aguilers, Liber (wie Anm  7), c 17, 108 f Zur doppelten Tradition der Makkabäer als „militärische Helden, die mit Gottes Unterstützung den überlegenen Feind besiegen, oder Märtyrer, die für ihre religiöse Identität sterben“, vgl Christoph Auffarth, Irdische Wege und himmlischer Lohn Kreuzzug, Jerusalem und Fegefeuer in religionswissenschaftlicher Perspektive (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 144), Göttingen 2002, 123 ff (Zitat 124) Kronzeugen sind Raymund von Aguilers und Fulcher von Chartres Das entsprechende Kapitel (4) wiederholt den älteren Aufsatz: ders , Die Makkabäer als Modell für die Kreuzfahrer Usurpationen und Brüche in der Tradition eines jüdischen Heiligenideals Ein religionswissenschaftlicher Versuch zur Kreuzzugseschatologie, in: Tradition und Translation Zum Problem der interkulturellen Übersetzbarkeit religiöser Phänomene Festschrift für Carsten Colpe, hg v Christoph Elsas u a , Berlin 1994, 361–390, das Zitat hier 363 Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana, ed Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1913, 117 Zu den Makkabäern in der Historia Fulchers vor allem Wolfgang Giese, Untersuchungen zur Historia Hierosolymitana des Fulcher von Chartres, Archiv für Kulturgeschichte 69 (1987), 62–115, hier 74 ff ; Verena Epp, Fulcher von Chartres Studien zur Geschichtsschreibung des ersten Kreuzzuge (Studia humaniora 15), Düsseldorf 1990, 152 ff Fulcher von Chartres, Historia (wie Anm  9), I, 16,4–5 (226 f ) Anonymi Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum, ed Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1890, zu Stephan XXXVII, 1 (450) bei der Nennung seiner Kirche im belagerten Jerusalem; zu Georg XXXVI, 4 (447) zu seinem Martyrium und Grab in der Kirche des neugegründeten Bistums Lydda Hagenmeyers Ausgabe ist reich kommentiert und gibt für die einzelnen Nachrichten und Formulierungen die Parallelen in der weiteren Kreuzzugshistoriographie an Eine lateinisch/englische Ausgabe gibt Rosalind Hill, The Deeds of the Francs and the other Pilgrims to Jerusalem, London 1962; vgl dort beides 87

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sogenannten Volkskreuzzugs, die von Konstantinopel nach Kleinasien übergesetzt waren und bei Xerigordon belagert wurden, den Tod auf sich genommen: isti primo felix acceperunt martyrium pro nomine Domini Iesu Während der Belagerung hatten Bischöfe und Priester sie zur Standhaftigkeit aufgefordert: „Seid tapfer im Glauben an Christus und fürchtet die nicht, die euch verfolgen, wie es auch der Herr sagt: Fürchtet die nicht, die den Leib töten, denn die Seele können sie nicht töten (Mt 10,28) “ Bevor die Seldschuken das Lager eroberten, war einer der Anführer der Kreuzfahrer zu ihnen übergelaufen und auch vom christlichen Glauben abgefallen Die Zurückgebliebenen, qui Dominum (Hill: Deum) negare noluerunt, erlitten dann den als capitalis sententia und martyrium charakterisierten Tod, andere wurden getötet oder versklavt12 Die Vorfälle bei Xerigordon lassen das Martyrium vielleicht noch als ein Zeugnis für den Glauben erscheinen Von einer militärischen Gegenwehr der Christen ist jedenfalls nicht die Rede Doch bereits bei der ersten erfolgreichen Operation der Kreuzfahrer, bei der Belagerung und Eroberung von Nicaea, spricht der Anonymus ebenfalls von Martyrium Viele hätten es erlitten und „voller Freude die glücklichen Seelen Gott übergeben – receperunt martyrium et laetantes gaudentesque reddiderunt felices animas Deo“13 Der Tod eines Kreuzzugsteilnehmers gilt dem Anonymus als Märtyrertod Ob dieser Tod gleichsam passiv hingenommen wird, wie bei einem Priester, der in einem von den Seldschuken eroberten Heerlager am Altar erschlagen wird, während er die Messe feiert14, oder ob der Kreuzfahrer bei der Beteiligung an einer militärischen Operation fällt, tut nichts zur Sache Sowohl der Dulder als auch der Kämpfer gelten dem Autor als Märtyrer Trotz allem lässt der Anonymus eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Märtyrergedanken erkennen und stellt ihn nicht in den Vordergrund seiner Darstellung Denn diese ist eine Erzählung von Wunder gleichkommendem Sieg und göttlicher Hilfe Das gilt ebenso für die weiteren Kreuzzugsgeschichten Auch in den Armen, die pro Christi nomine des Hungers starben, sieht er Märtyrer Sie gehen mit Triumph in den Himmel ein, bekleidet mit der „Stola des erlittenen Martyriums“, preisen Gott, „in dem sie glücklich triumphierten“, und fordern: „Räche, Herr, unser Blut, das für dich vergossen worden ist “15 Auch die Kreuzfahrer, die bei einem Ausfall der Seldschuken aus Antiochia getötet wurden – martyrizati sunt heißt es in dem Bericht – preisen, „bekleidet mit der Stola des Martyriums, den dreifaltigen Gott, in dem sie glücklich triumphiert haben und rufen aus: Warum verteidigst du nicht unser Blut, das heute um deines Namens willen vergossen 12 13 14 15

Zu den Vorgängen in Xerigordon vgl Gesta Francorum (wie Anm  11), II, 4–8, 117 ff Die Zitate II, 7 (120 f ) und II, 8 (122) und Hill, Deeds (wie Anm  11), 4 Gesta Francorum (wie Anm  11), VIII, 9 (193 = Hill, Deeds [wie Anm  11], 17) Gesta Francorum (wie Anm  11), II, 9 (125 f = Hill, Deeds [wie Anm  11], 4): Irruentes vero Turci super eos occiderunt multos ex eis […] quemdam sacerdotem invenerunt missam celebrantem, quem statim super altare martyrizaverunt Gesta Francorum (wie Anm  11), VIII, 9 (193 f = Hill, Deeds [wie Anm  11], 17)  Zur Bedeutung der Ausweitung des Märtyrerbegriffs auf die nichtkämpfenden Teilnehmer am Kreuzzug vgl Morris, Martyrs (wie Anm  6), 101

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wurde“16? Hier ist die Wendung an Gott, sie zu verteidigen, vermutlich eine Zutat der Bearbeitungen der Gesta aus dem frühen 12 Jahrhundert, zu dessen Beginn das Kreuzzugsunternehmen von 1101 gescheitert war17 Das Martyrium der gefallenen Kreuzfahrer erfordert nicht nur eine auf diesen individuell bezogene Gegenleistung Gottes, sondern eine dem gesamten Heer zugedachte, nämlich den Sieg Die Märtyrer bestärkten weniger die Angehörigen des Heeres im Glauben, als dass sie Gott verpflichteten, dem Heer den Sieg zu schenken Der Kreuzzug benötigte keine Märtyrer, sondern Sieger Militärische Notwendigkeit und Märtyrerideal als Bereitschaft, für Gott sein Leben einzusetzen und so die ewige Seligkeit zu gewinnen, konnten in Gegensatz zueinander geraten Als während des zweiten Kreuzzugs das Heer Ludwigs VII im Inneren Kleinasiens von den Seldschuken geschlagen und dann an der Küste in eine Hungerkrise geriet, wobei die meisten Pferde dahinstarben, beklagte der König die Not seiner Ritter An einem Ort, wo die Pferde verhungern müssten, könne er dem Heer keine Erholungspause zugestehen Doch dürfe auch ein Büßer nicht um einer Ruhepause willen die Erfüllung seines Gelübdes verzögern Auch der Müde und Kranke habe dem Ziel seines Vorhabens entgegenzueilen und „gekrönt zu werden wie die Märtyrer, deren Seele Gott aus solcher Mühsal entgegennimmt (coronari ut martyres, quorum Deus animas de tali sumit labore)“18 Doch die Großen zwingen Ludwig, das Heer in dieser Notlage zu verlassen, um sich nach Palästina einzuschiffen Ein als Märtyrer verstorbener König hätte weder dem Heer noch dem Kreuzzug genutzt Der Märtyrerbegriff der alten Kirche hatte das offene Bekenntnis zum christlichen Glauben in den Mittelpunkt gestellt Auch dieser blieb in der Kreuzzugszeit erhalten, und vor allem an ihm orientierten sich Erzählungen über konkretes Märtyrertum Otto von Freising berichtet in seinen „Taten Kaiser Friedrichs I “, in den Gesta Friderici, über den zweiten Kreuzzug und dessen Misslingen Von Märtyrern ist hierbei keine Rede, sondern das Scheitern des Kreuzzugs und die daraus entstandene Kleingläubigkeit führt hin zu einer philosophischen und theologischen Reflexion über das Gute War der Kreuzzug auch nicht gut „zur Erweiterung der 16

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Gesta Francorum (wie Anm  11), XVIII, 4, 281 mit Anm  30 zu den Lesarten Hill, Deeds (wie Anm  11), 40 lässt die Passage mit et candidati stolam martyrii receperunt enden und rechnet die nur durch den Druck von Bongars (1611) überlieferte Aufforderung an Christus einzugreifen nicht zum ursprünglichen Text der Gesta Die Bitte um Rache in VIII, 9 hat Hill jedoch in ihren Editionstext aufgenommen (siehe die vorherige Anm ) Schon die Bearbeitung der Gesta aus dem frühen 12 Jahrhundert durch Petrus Tudebodus enthält die oben zitierte Passage (siehe die folgende Anm ), worauf sich Hagenmeyer für seine Textgestaltung beruft (in der von ihm zusätzlich genannten anonymen Historia belli sacri = Tudebodus abbreviatus fehlt sie jedoch) Petrus Tudebodus, Historia de Hierosolymitano itinere, in: Recueil des historiens des croisades Historiens occidentaux, Bd  3, Paris 1866, 1–117, hier VII, 2 (47): candidati ferentes stolam recepti martyrii, glorificantes et laudantes Dominum Deum nostrum trinum et unum, in qua feliciter triumphantes dicebant in concordali voce: „Quare non defendis sanguinem nostrum, Deus noster, qui hodie efusus est pro tuo nomine?“ Eudes de Deuil, La croisade de Louis VII, roi de France (Documents relatifs à l’histoire des croisades 3), ed Henri Waquet, Paris 1949, hier VII (74)

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Grenzen oder für das leibliche Wohl, so war er dennoch gut für das Heil vieler Seelen“19 Einen echten und als solchen bezeichneten Märtyrer stellt Otto hingegen in seiner früher entstandenen Chronik vor Auch hier schildert er ein Kreuzzugsunternehmen, nämlich das von 1101 Der Salzburger Erzbischof Thiemo hatte sich daran beteiligt Das Unternehmen endete in einer Tragödie, die Otto nicht genauer schildern will Der Erzbischof war in Gefangenschaft geraten und wurde, so erzählte man, getötet Man habe ihn zum Götzendienst zwingen wollen, er habe Bedenkzeit erbeten, sei in den Tempel gegangen: „Und überaus stark an Kräften des Geistes und des Körpers, schlug er die Götzenbilder, die er anbeten sollte, in Stücke und bewies dadurch, dass es keine Götter waren, sondern Menschenwerk Deshalb wurde er vor Gericht gestellt und unter ausgesuchten Quälereien und Folter aller Art mit dem glorreichen Martyrium gekrönt (glorioso martyrio coronatus est) Dass er dies um seines Glaubens an Christus erlitt, das ist völlig zuverlässige Überlieferung “20 Aber, fügt Otto hinzu, das kann sich nicht so abgespielt haben Denn die Muslime sind strenge Monotheisten, sie besitzen und verehren keine Götzenbilder Als Kern der Erzählung bleibt, dass Thiemo nicht vom Glauben abgefallen ist und lieber den Tod erlitten hat Nicht die aggressive Zerstörung der Götzenbilder mit einer dieser folgenden qualvollen Hinrichtung lässt ihn zum Märtyrer werden, sondern die Weigerung vom Glauben abzufallen Thiemo ist ein Dulder, kein Kämpfer, er wird nicht im Kampf aktiv, sondern bleibt dort passiv Aktiv wird er in seinem Bekenntnis zu Gott, das sich mit der Zerstörung der (angeblichen) Götzenbilder zu einem Missionsversuch und der Demonstration der Überlegenheit des christlichen Gottes steigert, wie er etwa für Bonifatius belegt ist Aber derartige Aktivitäten Thiemos entlarvt Otto von Freising als fromme Legende21 Die Toten der ritterlichen Kreuzfahrer hingegen waren als aktive Kämpfer gestorben  – entweder in direktem Kampf, als in Gefangenschaft Geratene oder im Zuge der Beschwernisse ihres Kriegszugs Darin hatte ihr Martyrium bestanden Doch obwohl sie als Märtyrer galten, wurden sie nicht liturgisch als Märtyrer verehrt Standen die Märtyrer der alten Kirche zusammen mit den Aposteln an der Spitze der Heiligen, waren die neuen Märtyrer des Kreuzzugs von der liturgischen Verehrung in der Regel ausgeschlossen Nicht allein in der Erweiterung des altkirchlichen Märtyrerbegriffes des Dulders zum neuen des Kämpfers besteht deshalb ein Wandel des Märtyrergedankens, der in der Kreuzzugsbewegung erfolgte, sondern auch in der Wertung dieses Martyriums, das eben nicht mehr zu liturgisch gefeierter Heiligkeit führte Die neuen Märtyrer verloren den Vorsprung, den die alten Märtyrer vor den sonstigen Heiligen besessen hatten Das ältere Heiligkeits- und Martyriumsmodell 19

Otto von Freising, Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica (FSGA 17), ed Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1974 u ö , hier I, 66 (270/271) 20 Otto von Freising, Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten (FSGA 16), übers v Adolf Schmidt, hg v Walther Lammers, Darmstadt 1960 u ö , hier VII, 7 (510/511) 21 Zu Bonifatius vgl Lutz E von Padberg, Die Inszenierung religiöser Konfrontationen Theorie und Praxis der Missionspredigt im frühen Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 51), Stuttgart 2003, 244 ff , bes 249 f mit Anm  501

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hat kurz nach der ersten Jahrtausendwende Brun von Querfurt in seiner Lebensbeschreibung Adalberts von Prag, der auf seiner Missionsreise zu den Prußen 997 den Märtyrertod gefunden hatte, nochmals formuliert Bei aller Hochschätzung der Heiligen sind die religiösen Leistungen der Märtyrer größer Denn die Märtyrer finden bei Gott sofortigen Lohn Brun äußert sich grundsätzlich: „Obgleich die übrigen Heiligen ein lauteres und wohlduftendes Leben vor den Augen Gottes geführt haben, kehren sie ohne Zweifel nicht mit dem gesamten Gepäck der Sünden heim und leiden in der letzten Stunde unendliche Qualen, ungewiss, ob auch ihr reines Leben von Dem als würdig beurteilt wird, im Vergleich zu Dem alles unrein ist; beim Martyrium aber steht die abgelegte Rechenschaft als einzigartige Herrlichkeit […] O wie selig, o wie herrlich ist es, so zu sterben, dass keine Sünden erscheinen, die in der Taufe abgewaschen und beim Martyrium getilgt werden (O quam beatum, o quam gloriosum ita mori, ut non appareant peccata, quae lavantur in baptismo, extinguuntur in martirio) Welche Würde, welche Sicherheit auf Freude, gerade dann die Augen zu schließen, denen die Menschen und die Welt sichtbar waren, und sie gleich darauf zu öffnen, um Gott zu schauen und Christus, den mit einer schönen Tat Allerschönsten Fürchte nicht die Gefahr, dass das Sterben bitter ist und ängstlich! Denn wenn es nicht das Beschwernis des Sterbens gäbe, so singt der honigsüße Gregor, gäbe es nicht solchen Ruhm (gloria) der Märtyrer “22 Durch sein Martyrium reiht sich Adalbert unter die höchsten Heiligen ein, er wirkt Wunder und wird jetzt zum „zuverlässigen Zeugen“ dafür, „dass es unter dem Himmel nichts Schöneres, nichts Süßeres gibt, als für den Allersüßesten Christus das süße Leben hinzugeben“ Trotz solchen Lobpreises ist der Märtyrer kein strahlender Held Wie Christus am Ölberg empfindet er Angst: „Wenn Gott zittert, ist es dann schändlich, dass ein Mensch Angst hat, wenn der Tod des Fleischs sich nähert? In der Todesangst (tremor mortis) gereinigt werden die Erwählten“; denn auch sie leben nicht ohne leichte Sünde und tragen geringfügige Makel von Schuld23 Brun von Querfurt hat wenig später ebenso wie Adalbert den Tod als Missionar gefunden und ist so selbst zum Märtyrer geworden, auch Bonifatius wurde zu derartigen Märtyrer-Missionaren gezählt In all diesen Fällen ist der Märtyrertod zwar aus der Missionstätigkeit hervorgegangen, er krönte so geistlich das Leben der Missionare, war aber nicht das religiöse Ziel ihrer Tätigkeit Dieses bestand in der Bekehrung der Heiden, in der erfolgreichen Durchführung von Christianisierung und nachfolgender kirchlicher Organisation Dass man bei solchem Wirken in der Fremde auch den Tod finden konnte, dürfte den auf Missionsreise gehenden Glaubensboten bewusst gewesen sein, bei den Missionen in weiter Ferne wie im 13 Jahrhundert unter den Mongolen wirkten sie ohne Rückhalt bei einer christlichen Macht, auf die politisch Rücksicht zu nehmen war, was einen gewissen Schutz bot Die Bereit22

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Brun von Querfurt, Passio sancti Adalberti episcopi et martyris, in: Lorenz Weinrich unter Mitarbeit von Jerzy Strzelczyk, Heiligenleben zur deutsch-slawischen Geschichte Adalbert von Prag und Otto von Bamberg (FSGA 23), Darmstadt 2005, 70–117, hier c 31 (112/113) Zum Martyrium als zweiter Taufe vgl Angenendt, Heilige und Reliquien (wie Anm  2), 63 ff Brun von Querfurt, Passio sancti Adalberti (wie Anm  22), c 30 (110/111 f )

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schaft, für den christlichen Glauben und seine Ausbreitung zu sterben, bildet den religiösen Kern ihrer Tätigkeit und des (eventuellen) Martyriums Die Auffassung vom Martyrium als zweiter Taufe und Tilgung der Sünden hat die Kreuzzugspolitik und -propaganda übernommen und zeitlich erweitert Auch sie versprach dem Kreuzfahrer die Vergebung der gebeichteten Sünden, die er vor seiner Kreuznahme begangen hatte, und eröffnete ihm damit einen Weg zur ewigen Seligkeit, denn jede Sündenschuld galt als vollständig gebüßt Dieses als Ablass formulierte Versprechen war unabhängig davon, ob er bei dem Kreuzzug zu Tode kommen werde24 Fiel er während dieses Kriegszuges, ohne inzwischen nochmals gesündigt zu haben, war ihm das ewige Leben sicher Das moralische und theologische Problem des Kreuzzuges war deshalb ein zweifaches: 1 War die kriegerische Tätigkeit des Kreuzfahrers immer mit Sünde und Schuld verbunden oder konnte sie auch ohne solchen Makel ausgeübt werden?; 2  und für unseren Zusammenhang entscheidend: Konnte über diese kriegerische Tätigkeit ein Verdienst vor Gott erworben werden, das entweder die bisherige Sündenschuld tilgte oder im Falle des Todes einen sündelosen Kreuzfahrer zum ewigen Leben führte25? Dass kriegerische Tätigkeit nicht automatisch mit Sünde verbunden sei, stellte die gregorianische Reform seit der Mitte des 11 Jahrhunderts immer deutlicher heraus Sie griff dafür nicht nur auf die spätantiken Vorstellungen über den gerechten Krieg zurück, die man bei Augustinus und Isidor von Sevilla fand, sondern auch auf die augustinische Sündenlehre, wonach das Wesen der Sünde weniger in der äußeren Tat als in der inneren Einstellung des Täters liege, nämlich in dessen bewusster Abkehr von Gott und seinen Geboten Erst von dieser auf der Intention des Handelnden beruhenden Wertung ließ sich eine Kriegsteilnahme als gottgefälliges Werk verstehen und dann auch der Tod auf dem Kreuzzug als ein Martyrium, das zu Gott führte26 Wenn in den Quellen die gefallenen Kreuzfahrer deshalb als Märtyrer erscheinen, ist das wenig überraschend Aber trotzdem besteht ein grundlegender Unterschied zu den Märtyrern der alten Kirche Dieser Unterschied lässt sich nicht auf die Begriffe Passivität-Aktivität oder in der Formulierung des Beitragsstitels Dulder-Kämpfer bringen Der passive Märtyrer der spätantiken Kirche wird gegen seinen Willen zu einem solchen gemacht: er bezeugt mit seinem Blut die Festigkeit 24 Zu dem in Clermont verkündeten Kreuzzugsablass Mayer, Kreuzzüge (wie Anm  4), 44 ff ; Ernst-Dieter Hehl, Was ist eigentlich ein Kreuzzug, Historische Zeitschrift 259 (1994), 297–336, hier 311 ff 25 Insgesamt zur theologisch-kanonistischen Diskussion Ernst-Dieter Hehl, Kirche und Krieg im 12 Jahrhundert Studien zu kanonischem Recht und politischer Wirklichkeit (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 19), Stuttgart 1980 26 Klassisch Carl Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 6), Stuttgart 1935; zusammenfassend und die Intention betonend Ernst-Dieter Hehl, War, peace and the Christian order, in: The New Cambridge Medieval History, vol 4/1: c 1024–c 1198, hg v David Luscombe u Jonathan Riley-Smith, Cambridge 2004, 185–228; vgl in diesem Band auch die Beiträge von Jean Flori, Knigthly society, 148–184, bes 176 ff („The knigthts and the chivalric ideologie“), sowie Jonathan Riley-Smith, The crusades, 1095–1198, 534–563

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seines Glaubens und seine Treue zu Christus Ohne ein solches Martyrium wäre er ein genau so guter Christ gewesen Aber manchmal wirkt die durch das Martyrium bewiesene Glaubensstärke so ansteckend, dass sich Teile seiner Umgebung (gelegentlich sogar der Henker) zum Christentum bekennen und sofort hingerichtet werden Das Martyrium auf dem Kreuzzug bezeugt im Grundsatz etwas anderes: nämlich die Bußfertigkeit des Kreuzfahrers, seine innere Umkehr und erneute Hinwendung zu Gott Dass er es ernst damit meint, geht aus seiner Bereitschaft, das eigene Leben einzusetzen, hervor Das alte Martyrium krönt ein schon immer oder wenigstens für längere Zeit geführtes heiliges Leben, das neue des Kreuzfahrers seine aktuelle und ernsthafte Abkehr von der Sünde Der duldende Märtyrer alten Stils konnte deshalb als Heiliger liturgisch verehrt werden und seine Heiligkeit durch Wunder allen vor Augen stellen Der kämpfende Märtyrer neuen Stils demonstrierte die Möglichkeit, sich auch nach einem sündhaften Leben erneut Gott zuzuwenden, und – so vor allem Guibert von Nogent zum ersten und Bernhard von Clairvaux zum zweiten Kreuzzug27  – dass die Gnade Gottes mit dem Kreuzzug einen eigenen Weg zu derartiger Umkehr geschaffen habe Solcher Möglichkeit zur Umkehr bedurften gerade diejenigen, denen ihre Macht und ihr sozialer Rang die größtmöglichen Verbrechen erlaubte, nämlich die waffenführende Schicht, die Ritter Ein trostloses Bild ihres gängigen Verhaltens zeichnen bereits die Überlieferungen der Kreuzzugspredigt Urbans II auf dem Konzil von Clermont und dann der Rundbrief, mit dem Bernhard von Clairvaux für den zweiten Kreuzzug warb28 Bereits Bernhards vor diesem Kreuzzug entstandene Schrift zum Lob der neuen Ritterschaft der Templer ist davon geprägt Eine wahre Verbrecherbande soll in Kreuzzugsgesinnung umkehren Gott „der Allmächtige erachte Mörder, Ehebrecher, Meineidige und in andere Verbrechen verstrickte Menschen für würdig, sie zu seinem Dienst zu mahnen“, schreibt Bernhard in seinem Kreuzzugsaufruf, Gott „erbarmt sich seines Volkes und reicht denen, die schwer gefallen sind, ein heilbringendes Mittel“ In den bisherigen Kämpfen untereinander hätten die Ritter als Verlierer ihr Leben, als Sieger ihr Seelenheil eingebüßt Aber: „Jetzt, tapferer Soldat, jetzt streitbarer Mann, hast du ein Feld, wo Du ohne Gefahr kämpfen kannst, wo der Sieg Ruhm, der Tod aber Gewinn ist “29 Wie ein kluger Kaufmann soll der Ritter diese von Gott gegebene Chance nutzen Hier kann er nur gewinnen, gleich wie das Unternehmen endet Bereits mit der Kreuznahme erreicht er die Gewinnzone, „denn zugleich wirst du für alle 27

Guibert von Nogent, Dei Gesta per Francos (Corpus Christianorum Continuatio Mediaeualis 127 A), ed Robert B C Huygens, Turnhout 1996, hier I, 1 (87 Z 68 f ): der Kreuzzug (prelia sancta) als novum salutis promerendae genus; Bernhard von Clairvaux, Brief 363, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, lateinisch/deutsch, hg v Gerhard B Winkler, Bd  3, Innsbruck 1992, 648–661, hier 654/655 28 Gerd Althoff, Nunc fiant Christi milites, qui dudum extiterunt raptores Zur Entstehung von Rittertum und Ritterethos, Saeculum 21 (1981), 317–333 Das Titelzitat stammt aus Urbans II Kreuzzugsaufruf in der Version von Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana (wie Anm  9), I, 3, 7 (136) 29 Bernhard von Clairvaux, Brief 363 = Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke 3 (wie Anm  27), 314/315 f die Abschnitte 4 und 5

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Sünden, die du reuigen Herzens beichtest, Vergebung erlangen“ Der Kreuzzug ist auf irdischen Sieg ausgerichtet und auf individuelle Sündenvergebung, nicht auf das Martyrium Spirituell steht die Umkehr des Sünders im Mittelpunkt, zu der Gott ihm eine Chance gibt und die von Gott belohnt wird Den Tod in den Mittelpunkt der Kreuzzugswerbung zu stellen, wäre widersinnig gewesen, aber die Aussage, dass der Tod letztlich Gewinn sei, ist aus der Kreuzzugsidee nicht wegzudenken Der Misserfolg des zweiten Kreuzzugs ließ sich damit religiös bewältigen Die religiöse Erklärung, die Kreuzfahrer seien auf ihrem Kriegszug erneut in Sünde gefallen und hätten deshalb den Sieg in den Augen Gottes gar nicht verdient, war eine logische Ableitung aus dem Kreuzzugsablass, wonach man – wie 1095 formuliert – aus reiner Gottergebenheit (sola devotione) auf den Kreuzzug gehen müsse, um sich dort ein Verdienst vor Gott zu erwerben, und Schlussfolgerung aus der Überzeugung, dass man aufgrund der eigenen Sündhaftigkeit (peccatis exigentibus) den Muslimen unterlegen gewesen sei Die Kreuzfahrer auf diese Weise zu den Urhebern des eigenen Unglücks zu machen, erschien schon einigen Zeitgenossen als theologische Rabulistik der Propagatoren des Kreuzzugs Deshalb entstanden bald Erzählungen, kurz vor ihrem Tod hätten viele Kreuzfahrer eingesehen, wie sehr sie sich auf dem Kreuzzug selbst versündigt hätten30 Aufgrund solcher Umkehr er reichen sie im letzten Moment das ewige Leben, ihr Tod verwandelt sich in ein Martyrium, die Niederlage in einen Sieg Das Martyrium ist nun die letzte verbleibende Deutungskategorie, die Tod und Niederlage einen Sinn zu geben vermag31 Bernhards Schrift zum Lob des neuen Rittertums der Templer lässt sich anders als sein Kreuzzugsaufruf als Preis des Todes lesen Der inneren Umkehr des Kreuzfahrers entspricht der Eintritt des Ritters in den neuen Orden, dem er sein Leben lang angehören wird Seine religiöse Vollendung findet der Templer im Tod Der Templer „umgibt seinen Leib mit dem Panzer aus Eisen, seine Seele aber mit dem des Glaubens Da er nun durch beide Waffen geschützt ist, fürchtet er weder Teufel noch Menschen Nicht einmal vor dem Tod ist dem bange, der sich zu sterben sehnt Denn was könnte der im Leben oder im Tode fürchten, dem Christus Leben und Sterben Gewinn ist? Er setzt sich treu und freudig für Christus ein; aber mehr sehnt er sich danach aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein“32 Im Kampf verhalten sich die Templer wie die alten Israeliten und fürchten keine Übermacht Bernhard hat hier die Makkabäer vor Augen, denn in dieser Passage zitiert er aus den beiden Makkabäerbüchern des Alten Testaments Wenn die 30 Zu dieser von Zisterziensern propagierten Lesart Hehl, Kirche und Krieg (wie Anm   25), 147; zur Reaktion auf das Scheitern des zweiten Kreuzzugs vor allem Giles Constable, The Second Crusade as seen by Contemporaries, Traditio 9 (1953), 213–279, hier 266 ff Siehe auch oben bei Anm  19 die Bewertung durch Otto von Freising 31 Grundsätzlich Martin Clauss, Kriegsniederlagen im Mittelalter Darstellung – Deutung – Bewältigung (Krieg in der Geschichte 54), Paderborn 2010, 266 ff mit Beispielen aus der Kreuzzugsgeschichte ab 1187 32 Bernhard von Clairvaux, Ad milites Templi De laude novae militiae, in: Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, lateinisch/deutsch, hg v Gerhard B Winkler, Bd   1, Innsbruck 1990, hier I, 1 (270/271)

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Templer siegen, kehren sie ehrenvoll zurück, aber Bernhards Preis gilt den Gefallenen: „Wie selig sterben sie als Märtyrer im Kampf (Quam beati moriuntur martyres in proelio)! Freue dich starker Kämpfer, wenn du im Herrn lebst und siegst! Aber noch mehr frohlocke und rühme dich, wenn du stirbst und dich mit dem Herrn vereinst Das Leben ist fruchtbringend (an Werken), und der Sieg ist ruhmvoll Beiden aber wird ein seliges Sterben (mors sacra) zu Recht vorgezogen Denn wenn schon die selig sind, die im Herrn sterben (Apc 14,13), sind es dann nicht vielmehr jene, die für den Herrn sterben?“33 Aber bei den Templern, deren Martyrium bzw die Bereitschaft dazu Bernhard preist, trifft das Gleiche zu wie bei den gefallenen Kreuzfahrern, die als Martyrer galten: Liturgische Verehrung wird diesen Märtyrern in der Regel nicht zuteil Doch anders als bei den Kreuzfahrern dient der Märtyrergedanken nicht zur Bewältigung einer Todeserfahrung, sondern gehört zur Sinngebung der im Templerorden und in den sonstigen Ritterorden etablierten Lebensform Fast liegt deren Sinn darin, zum Märtyrer zu werden Der Orden ist gleichsam eine institutionalisierte Form des Märtyrertums Der Ordensritter, der dann sein Leben als Märtyrer beschließt, bleibt in das Gebetsgedächtnis seiner Brüder eingeschlossen, genießt aber keine liturgische Verehrung Er hat sich nämlich genau so verhalten wie ein Mönch, der seiner monastischen Lebensform bis zu seinem Tod treu geblieben ist Die Überzeugung, asketische und monastische Lebensformen seien dem „blutigen“ Martyrium zu vergleichen, hatte sich schon in der Spätantike nach dem Ende der Christenverfolgungen herausgebildet34 Dem Ordensritter standen vielfältige Möglichkeiten des Martyriums offen: aufgrund seiner alltäglichen Lebensweise die monastisch-asketische; in Gefangenschaft getötet, das Martyrium als Glaubenszeuge und Dulder; beim Tod in der Schlacht das Martyrium als Kämpfer Als Vorbild dafür galten die Makkabäer, als deren „neue“ Erscheinungsform sich Kreuzfahrer und Ordensritter sahen Weil die Makkabäer nach den Berichten des Alten Testaments schließlich doch gesiegt hatten, so verband sich auch mit den neuen Makkabäern die Hoffnung auf Sieg Das gilt auch für Bernhard von Clairvaux Denn trotz seiner Spiritualisierung von Krieg, Töten und Sterben – auch er wünscht, dass die Templer siegen und siegreich aus ihrem Kampf zurückkehren Dazu gibt er praktische Anweisungen, die im Kontrast stehen zu den Verhaltensweisen der weltlichen Ritter Diese putzen sich und ihre Pferde heraus und erregen damit allenfalls die Beutegier ihrer Gegner Ihre langen Haare erschweren das im Kampf so wichtige Sehen und die langen Gewänder und weit geschnittenen Ärmel hindern sie an freier Bewegung Die Templer hingegen „rüsten sich innerlich mit Glauben, nach außen mit Eisen, und nicht mit Gold, damit sie durch Waffen den Feinden Angst einjagen, und nicht durch Schmuck deren Habgier herausfordern“ Disziplin auf dem Schlachtfeld und

33 Ebd I, 1; 272/273 34 Angenendt, Heilige und Reliquien (wie Anm  2), 55 ff ; Katherine Allen Smith, War and the Making of Medieval Monastic Culture (Studies in the History of Medieval Religion 38), Woodbridge 2011, 79 ff

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Gottvertrauen, beides dem alten Israel und den Makkabäern entsprechend, sind Grundlagen des Sieges35 Den Zusammenhang zwischen Martyrium und Lebensform hat Bernhard am Beispiel der Makkabäer erörtert Er befasste sich mit der Frage, warum die Makkabäer als einzige Personen des Alten Testaments liturgisch mit einem eigenem Fest geehrt wurden Ursache dafür ist ihr Martyrium Denn mit den altkirchlichen Märtyrern haben sie als einzige aus dem alttestamentlichen Personenkreis gemeinsam, dass sie sich weigern, von ihrem Glauben abzufallen, und lieber sterben Bernhard resümiert: „Nicht nur die für den Herrn sterben wie die Märtyrer, sondern auch die im Herrn sterben, wie die Bekenner, sind gewiss selig Daher scheinen mir zwei Dinge den Tod kostbar zu machen: das Leben und die Todesursache, mehr aber die Todesursache als das Leben Jener Tod aber wird der kostbarste sein, den die Todesursache und das Leben preiswürdig erscheinen lassen “36 Leben in und Sterben für Christus verdienen höchstes Lob und geben dem Tod höchsten religiösen Rang Übertragen wir diese Aussagen auf die Templer Ihre raison d’être ist ihre Bereitschaft für Christus zu sterben Aber diese Bereitschaft ist in eine monastisch geprägte Lebensform eingeordnet, die ein Leben in Christus verwirklichen soll37 Sie sind, wie es in den Papsturkunden für die Templer immer wieder heißt, die „neuen Makkabäer“, sie „folgen Christus, indem sie das Kreuz auf sich nehmen“, sie setzen „ihr Leben für ihre Brüder [womit die Mitmenschen gemeint sind] ein“ und schützen die Jerusalempilger vor den „Überfällen durch Heiden“ Von den Templern strahlt dieses Makkabäer-Ideal auf die übrigen Ritterorden aus38 35 36

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Bernhard von Clairvaux, De laude II, 3 = Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke 1 (wie Anm  32), 274/275, zur weltlichen Ritterschaft; IV, 8 (282/283 f ) zu den Templern Bernhard von Clairvaux, Brief 98 = Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, lateinisch/ deutsch, hg v Gerhard B Winkler, Bd 2, Innsbruck 1992, 736–747, hier der Schlussabschnitt 8 (746/747), vgl auch Abschnitt 2 (738/739 f ) Zu diesem Brief vgl Auffarth, Makkabäer (wie Anm   8), 383 f = ders , Irdische Wege (wie Anm   8), 129 f ; Schreiner, Makkabäer (wie Anm  7), 22 f ; jetzt auch Sylvain Gouguenheim, Les Maccabées, modèles des guerriers chrétiens des origines au xiie siècle, Cahiers de civilisation médiévale 54 (2011), 3–19, hier 13 f Zur altkirchlichen Diskussion über die Verehrung der Makkabäer (positiv: Ambrosius, Augustinus, Leo d Gr ) vgl Ariane B Schneider, Makkabäische Märtyrer, Reallexikon für Antike und Christentum 23 (2010) (Lfg 185, 2010), 1234–1251, hier 1246 f Bernhard von Clairvaux, De laude I, 1–2 = Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke 1 (wie Anm  32), 270/271 f , zum Kampf für Christus sowie IV, 7 (280/281 f ) zur Lebensweise der militia/milites Christi Die Nähe zu den Regularkanonikern betont Nikolas Jaspert, Frühformen der geistlichen Ritterorden und der Kreuzzugsbewegung auf der Iberischen Halbinsel, in: Europa an der Schwelle zum 12 Jahrhundert Beiträge zu Ehren von Werner Goez, hg v Klaus Herbers, Stuttgart 2001, 90–116, hier 93 ff Zur Spiritualität vgl etwa Smith, War (wie Anm  34), 107 ff Vgl Gouguenheim, Les Maccabées (wie Anm  36), 16  Am Beginn dieser päpstlichen Privilegierung steht eine Urkunde Coelestins II , Text bei Rudolf Hiestand, Papsturkunden für Templer und Johanniter Archivberichte und Texte (Vorarbeiten zum Oriens pontificius 1 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen Philologisch-historische Klasse, dritte Folge 77), Göttingen 1972, 214 f Nr   8 (mit Auflistung der Wiederholungen bis 1188): Milites Templi Ierusalemitani novi sub tempore gratiae Machabei abnegantes

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Es galt auch für die Kreuzfahrer Der Kreuzzugsaufruf Urbans II auf dem Konzil von Clermont ist nicht überliefert, die zeitgenössische Historiographie legt dem Papst unterschiedliche Versionen in den Mund Die Makkabäer erwähnt keine von ihnen, erst in späteren Überlieferungen ist von ihnen die Rede39 Über Papst Eugens III an den französischen König Ludwig VII gerichteten Kreuzzugsaufruf haben sie Eingang in die offizielle Kreuzzugswerbung gefunden Der Papst stellte dem König und seinen Rittern nicht nur die Großtaten der Vorfahren, die Jerusalem und die heiligen Stätten 1099 von der „Unflätigkeit der Heiden befreit“ haben, vor Augen, sondern auch das Beispiel „jenes guten Mattathias (Makkabaeus)“, der selbst wie seine Nachkommen „durch göttliche Hilfe und unter viel Mühlsal über die Feinde triumphiert“ habe, sich eben nicht gescheut habe, „sich selbst, seine Söhne und Verwandten der Todesgefahr auszusetzen“40 Ebenso wies Bernhard von Clairvaux – wie bereits gesehen – in seiner Kreuzzugswerbung auf das Vorbild der Makkabäer hin Nach der Eroberung Jerusalems durch Saladin erinnerte Papst Gregor VIII 1187 in seinem Kreuzzugsaufruf daran, „wie die Makkabäer, vom Eifer für Gottes Gesetz entflammt, sich extremen Gefahren aussetzten, um ihre Brüder zu befreien, und lehrten, dass für das Heil der Brüder nicht nur Mittel, sondern auch Menschen geopfert werden müssten“ Er forderte dazu auf, alles zu tun, „jenes Land wiederzugewinnen, wo für unser Heil die Wahrheit aus der Erde spross und nicht verschmähte, für uns die Marter des Kreuzes (crucis patibulum) zu ertragen “ Die Kreuzfahrer sollen den „Willen Gottes“ zu erfüllen streben, „der euch lehrte, für eure Brüder euer Leben ihm selbst zu opfern (qui pro fratribus animas in se ipso docuit esse ponendas)“41 Die Möglichkeit des Märtyrertodes wird in diesen Briefen nur angedeutet, der künftige Sieg steht im Mittelpunkt Das Martyrium als Erdulden fremder Gesecularia desideria et propria relinquentes, tollentes crucem suam secuti sunt Christum […]. Ipsi pro fratribus animas ponere non formidant et peregrinos ad loca sancta proficiscentes […] ab incursibus paganorum defensant. Als „wahre Israeliten“ erscheinen die Templer in dem Generalprivileg Innozenz’ II von 1139 März 29: Accedit ad hoc, quod tanquam veri Israelite atque instructissimi divini prelii bellatores vere karitatis flamma succensi dictum evangelicum operibus adimpletis, quo dicitur: „Maiorem hac dilectionem nemo habet, quam ut animam suam ponat quis pro amicis suis“ (ebd 205 f Nr  3; das Bibelzitat ist Joh 15,13) 39 Zum Kreuzzugsaufruf Urbans vgl Dana Carleton Munro, The Speech of Pope Urban II at Clermont, 1095, The American Historical Review 11 (1906), 231–242; Auffarth, Makkabäer (wie Anm  8), 372 f = ders , Irdische Wege (wie Anm  8), 128 f 40 Rolf Grosse, Überlegungen zum Kreuzzugsaufruf Eugens III von 1145/1146 Mit einer Neuedition von JL 8876, Francia 18/1 (1991), 85–92, der Text des Aufrufs 90–92, vgl dort 91 Z 36–41: Sit vobis etiam in exemplum bonus ille Mathathias, qui pro paternis legibus conservandis se ipsum cum filiis et parentibus suis morti exponere […] nullatenus dubitavit atque tandem divino cooperante auxilio per multos tamen labores de inimicis tam ipse quam sua progenies viriliter triumphavit. 41 Gregors VIII Aufruf ist in die Historia de expeditione Friderici (sogenannter Ansbert) aufgenommen: Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I (MGH Scriptores rerum Germanicarum Nova Series 5), hg v Anton Chroust, Berlin 1928, 6–10, die Zitate 9 Z 26–29 und Z 13–17; Übersetzung nach Arnold Bühler Der Kreuzzug Friedrich Barbarossas Bericht eines Augenzeugen (Fremde Kulturen in alten Berichten 13), Stuttgart 2002, 69 und 68

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walt tritt demgegenüber in den Hintergrund Die zeitgenössischen Berichte zu dem Kreuzzugsaufruf Urbans überliefern zwar, wie drastisch der Papst die Greueltaten schilderte, welche die orientalischen Christen von den Muslimen erlitten hätten Doch es fehlt jeglicher Hinweis auf ein Martyrium42 Ein solcher passt auch nicht recht zu dem Anliegen der Predigt Denn es geht weniger darum, ein erduldetes Martyrium der orientalischen Christen zu beenden, sondern die abendländischen Christen sollen sich im Kampf für die heiligen Stätten in den Dienst Gottes stellen – auch durch die Bereitschaft, bei den zu erwartenden Kämpfen selbst zu Märtyrern zu werden Ebenso eindringlich deutet Gregor VIII muslimische Greuel nach Saladins Sieg bei Hattin und bei der Eroberung von Jerusalem an, deren nähere Ausführung er sich versagt Selbst als er davon berichtet, Saladin habe die gefangenen Ordensritter köpfen lassen, versagt er sich Analogien zum Tod der Märtyrer Die Deutung der Niederlage, die Gregor VIII vornimmt, schließt solche offenbar aus Denn die Niederlage ist Folge der Sünden der Christenheit – nicht allein im Heiligen Land, sondern auch im lateinischen Europa, sie bezeugt deshalb nicht Bekenntnis des Glaubens, sondern Abfall von diesem43 Der neue Kreuzzug, zu dem Gregor VIII aufruft, ist deshalb durch erneutes Bekenntnis zu Gott und christlicher Lebensführung einzuleiten Als „neue“ Makkabäer sollen die Kreuzfahrer in diesem Kampf siegen, das deutet Gregor selbst an Der nachgeborene moderne Historiker kann ergänzen: Diejenigen, die dabei den Tod finden, werden als Märtyrer gelten Die Makkabäervergleiche in der Kreuzzugswerbung sind Siegesverheißungen Die

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Augen- und Ohrenzeugen der Predigt Urbans waren die Kreuzzugshistoriographen Fulcher von Chartres, Balderich von Dol und Robert der Mönch, vielleicht auch Guibert von Nogent Besonders eingehend schildert die Greueltaten Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana, in: Recueil des historiens des croisades (wie Anm  16), 715–882, hier I, 1 (729 f ) Bei den Kreuzzugsteilnehmern spricht er von Martyrium, so bei dem am Altar getöteten Priester (I, 12; 735; vgl oben bei Anm  14), dessen Geschichte er aus den Gesta kennt Bei Balderich von Dol ist das Heilige Land nicht allein durch das Erdenleben Christi, sondern auch durch das Blut der Märtyrer geheiligt Balderich meint damit die frühchristlichen Blutzeugen (den protomartyr Stephan und Johannes den Täufer nennt er eigens), nicht die zeitgenössischen, von den Muslimen getöteten Christen: Historia Jerosolimitana, in: Recueil des historiens des croisades Historiens occidentaux, Bd  4, Paris 1879, 1–111, hier I, 4 (14 D) Guibert von Nogent beklagt die catholicorum neces durch die Muslime im Heiligen Land, ohne von Martyrium zu sprechen, obwohl die in fide Gestorbenen zur vita aeternalis gelangen (Dei Gesta per Francos [wie Anm  27], I, 5; 101 Z 457 f ), auch in seiner Version des Kreuzzugsaufrufs erscheinen die orientalischen Christen nicht als Märtyrer (II, 4; 111 ff ) Fulcher von Chartres gibt eine Analyse der Situation, ohne diese auszumalen (Fulcher von Chartres, Historia Hierosolymitana [wie Anm  9], I, 3, 3; 133 f ) Vgl die Übersicht über die Motive des Aufrufs bei Munro, Speech (wie Anm  39) Vgl den Kreuzzugsaufruf Gregors in der Historia de expeditione Friderici, in: Chroust, Quellen (wie Anm   41), 6–10; das Sündenmotiv dort 7 Z 21, 8 Z 10 und bes 8 Z 25–27: Porro nos qui in tanta illius terrae contritione non solum peccatum habitatoribus eius sed et nostrum et totius populi christiani debememus attendere – Wir nun aber müssen in so großer Betrübnis nicht nur auf die Sünden seiner Bewohner, sondern auch auf die des ganzen christlichen Volkes achten (Übersetzung: Bühler, Kreuzzug [wie Anm  41] 68)

Vom „Dulder“ zum „Kämpfer“

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Märtyrerbilder verkünden in diesem Zusammenhang: Selbst der Tod in einem solchen Krieg sei letztlich ein Sieg, führe er doch zum ewigen Leben Ich schließe mit einigen Thesen, allgemeinen Beobachtungen und Überlegungen: 1 Eine inhaltliche Erweiterung des Märtyrergedankens lässt sich in der These „Vom Dulder zum Kämpfer“ beschreiben 2 Die „neuen“ Märtyrer genießen keine liturgische Verehrung 3 Es entsteht ein quasi institutionalisiertes neues Märtyrertum: auf Zeit bei den Kreuzfahrern und damit bei den Laien, auf Dauer bei den Ritterorden und damit in einer monastisch geprägten Lebensform 4 Diese neuen Märtyrer sind von Anfang an Märtyrer der römischen Kirche – verstanden als universaler Kirche 5 Der ursprünglich lokale Bezug des Märtyrertums wird nun endgültig aufgegeben Hatte die römische Kirche zunächst die Reliquien der römischen Märtyrer entsandt, um ihre universale Stellung zu demonstrieren, so entsendet sie nun mit den Kreuzfahrern und Angehörigen der Ritterorden ihre (potentiellen) Märtyrer an die Grenzen der lateinischen Christenheit Im Martyrium, so eine allgemeine Überlegung, wird eine Zuordnung von Körper/ Körperlichkeit44 und Seele/innere Einstellung des Märtyrers sichtbar Die Märtyrer der alten Kirche verfügten nicht mehr über ihren Körper Sie waren ihren Peinigern ausgeliefert, wurden von ihnen gefangen gehalten, gefoltert und schließlich hingerichtet Ursache dafür war, dass sie niemandem eine Verfügungsgewalt über ihren Glauben und damit über ihre Seele eingeräumt, sondern an ihrer christlichen Überzeugung festgehalten hatten Die Kreuzfahrer und auch die Mitglieder der Ritterorden jedoch mussten über ihren Körper „verfügen“, denn nur mit körperlicher Gewalt konnten sie ihren Gegnern widerstehen und diese besiegen Nur bei Tod in der Schlacht oder einer Niederlage des gesamten Heeres fielen sie körperlich in die Verfügungsgewalt ihrer Feinde Als Sieger litten sie nicht aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung, sondern hatten aus ihr gehandelt Unabdingbar und unter dem Einsatz des eigenen Lebens an ihren Glauben gebunden zu sein, das verband sie mit den Märtyrern der alten Kirche Das tatsächliche Vergießen des eigenen Blutes wurde in gewisser Hinsicht sekundär Bruno Reudenbach hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, wie die früh- und hochmittelalterlichen Darstellungen der Märtyrer immer unblutiger wurden und darin einen Hinweis auf die Wendung des Märtyrergedankens in das Innere des Menschen gesehen45 Der Kreuzfahrer und Ordensritter als aus innerer Überzeugung handelnder Mensch fügt sich in diese Entwicklung ein 44 Die Gesichtspunkte von Körper und Körperlichkeit hat Hedwig Röckelein (Göttingen) auf der Tagung in einem Diskussionsbeitrag zur spätmittelalterlichen Entwicklung angesprochen 45 Bruno Reudenbach, Märtyrertode ohne Blut Mittelalterliche Darstellungen von Martyrien frühchristlicher Heiliger, in: Helden und Heilige Kulturelle und literarische Integrationsfiguren des europäischen Mittelalters, hg v Andreas Hammer u Stephanie Seidl, Heidelberg 2010, 69–81 Auf der Tagung in Weingarten hat Herr Reudenbach seine Ergebnisse vorgestellt

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Entwicklungen des späteren Mittelalters zeigen weitere Möglichkeiten der Zuordnung von Körper und Seele, die sich mit Leid und dessen Erdulden als Martyrium verknüpfen und mit Verfügbarkeit über den Körper verbinden lassen Stigmatisierungen sind körperliche Erscheinungen des seelischen Miterleidens der Passion Christi Die Stigmata sind körperliche Zeichen sowohl der eigenen inneren Zuwendung zu Christus als auch der darauf antwortenden besonderen Gnade Christi Nach Möglichkeit werden sie geheim gehalten46, während die bisher betrachteten Erscheinungen des „Martyriums“ öffentlich waren In den Geißlerzügen fügten die Teilnehmer hingegen öffentlich ihrem Körper Verletzungen und Schmerzen zu und sahen darin ein Zeichen ihrer Nachfolge Christi47 Die Bereitschaft zur Nachfolge Christi bildet deshalb einen Kernbestand des Märtyrergedankens Wie der Körper Christi „bereitwillig“ Schmerz ertragen hatte, sollten das auch die Märtyrer in der Nachfolge Christi tun Zwischen „Dulder“ und „Kämpfer“ hierbei zu unterscheiden, war nicht notwendig, sondern von der historischen Situation abhängig In gewisser Hinsicht bedeutet die Auffassung, die gefallenen Kreuzfahrer seien Märtyrer eine Rückkehr des blutigen Martyriums aus der Zeit der spätantiken Christenverfolgung Entscheidend war jedoch die nach dem Ende der Christenverfolgungen vorgenommene Erweiterung des Märtyrergedankens zur Vorstellung von einem unblutigen Martyrium, das auf Dauer in der Askese verwirklicht wurde, die sich die monastischen Gemeinschaften zum Ziel ihrer Lebensform gesetzt hatten Das war eine unblutige Nachfolge Christi, der im Zeitalter der Kreuzzüge eine blutige zur Seite trat Diese führte zwar den Kämpfer zu ewigem Leben, aber nicht zu liturgisch anerkannter Heiligkeit Zu dieser gelangte man in der lateinischen Christenheit des Mittelalters durch asketisch-unblutiges Martyrium Bei Missionaren, die bei der Verkündigung des Glaubens den Tod fanden, konnte sich unblutiges und blutiges Martyrium verbinden und Letzteres zu einem die Heiden beeindruckenden Zeugnis der Stärke des christlichen Glaubens werden Den Kreuzfahrern und auch den Mitgliedern der Ritterorden war eine solche Verbindung aufgrund ihrer militärischen Aufgaben nur eingeschränkt möglich: Sie sollten kämpfen und siegen – wie die Makkabäer des Alten Testaments –, nicht leidend sterben – wie die altchristlichen Märtyrer

46 Vgl im vorliegenden Band den Beitrag von Gábor Klaniczay 47 Zu Geißlern und Kreuzfahrern vgl Ernst-Dieter Hehl, Kreuzzug  – Pilgerfahrt  – Imitatio Christi, in: Pilger- und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und früher Neuzeit (Mainzer Vorträge 4), hg v Michael Matheus, Stuttgart 1999, 35–51, hier 59 f

SANGUIS MARTYRUM, SEMEN CHRISTIANORUM – DIE MEDIALE DARSTELLUNG UND NUTZUNG ÜBERSEEISCHER MARTYRIEN IM KONFESSIONELLEN ZEITALTER DURCH DIE GESELLSCHAFT JESU Christoph Nebgen

Von dem evangelisch-lutherischen Theologen Wilhelm Löhe1, der 1849 die „Gesellschaft für Innere und Äußere Mission“ in Neuendettelsau gegründet hatte, stammt der Satz: „Wenn einer kalendern kann, kommt er durch die ganze Welt!“2 Unter „kalendern“ verstand Löhe, den liturgischen Kalender bzw die Tageslosungen zu lesen und sich damit bewusst an Glaubenszeugen der Christentumsgeschichte zu erinnern Der missionarische Aufbruch innerhalb der protestantischen Glaubensgemeinschaften im späten 18  und im Verlauf des 19 Jahrhunderts bewirkte, dass nun erstmals auch außereuropäische Glaubenszeugen in den Fokus evangelischer Christen gerieten Im Bereich der römisch-katholischen Kirche galt dieser Satz bereits viel früher Die Reformation in Europa und die mit der spanischen und portugiesischen Expansion einhergehende verstärkte missionarische Präsenz von zumeist Ordensgeistlichen v a in Amerika, Asien und Afrika waren Phänomene, die etwa zur gleichen Zeit begannen Innerhalb des zeitgenössischen Katholizismus entwickelte sich sogar eine Kompensationstheorie: Die Zahl der Gläubigen, die nun in Europa vom „wahren Glauben“ abfalle, werde durch die neugetauften Amerikaner, Asiaten und Afrikaner nicht nur ersetzt, sondern sogar noch weiter gesteigert3 Die katholische 1 2

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Zur Biographie Löhes vgl : Christian Weber, Missionstheologie bei Wilhelm Löhe: Aufbruch zur Kirche der Zukunft, Gütersloh 1996; Erika Geiger, Wilhelm Löhe Leben – Werk – Wirkung, Neuendettelsau 2003 Wilhelm Löhe, Martyrologium: zur Erklärung der herkömmlichen Kalendernamen,  Nürnberg/Ansbach 1868, Band 1/1 An anderer Stelle bemerkt Löhe das historisch belastete Erbe der Martyrologien, in welchem er aber für die Zukunft durchaus ökumenisches Potential sieht, ebd 11: „In den Einleitungen zu dem römischen Martyrologium findet sich eine sehr wertvolle und belehrende ‚Tractatio de Martyrologio romano‘ von Cäsar Baronius Wer da Kap  X den Abschnitt: ‚De falsis haereticorum martyribus eorumque pseudomartyrologiis‘ liest, den weht eine glutheiße Luft des Hasses auch gegen die Protestanten an Aber wir dürfen uns nicht verhehlen, daß auch unsere jetzigen Vorkämpfer bis zur Stunde gegen die nachreformatorischen Römischen die gleiche Sprache führen, und daß wohl noch lange die Zeit nicht gekommen ist, in welcher die gleiche Lust zu Gottes Wort und Wahrheit nach beiden Seiten hin einen Weg nachbarlichen Friedens anbahnt “ Vgl Christoph Nebgen, Canisius und Indien – Kompensation und Erbauung, in: Konfessionskonflikt, Kirchenstruktur, Kulturwandel Die Jesuiten im Reich nach 1556 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Beiheft 77), hg v Rolf Decot, Mainz 2007, 99–111

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Kirche entwickelte ihr Image einer Weltkirche, was sich in den neuen Bildprogrammen der barocken Kirchen – man denke beispielsweise an die Darstellung der Erdteile in den Deckenmalereien von Sant’Ignazio in Rom –, aber auch im liturgischen Kalender niederschlagen sollte Gerade Krisen- und Umbruchsituationen wie die eben benannten verlangen im Sinne christlicher Tugenden vom Gläubigen Standhaftigkeit, Glaubenstreue und Mut zum Bekenntnis In der Erprobung dieser Tugenden kann aus dem Bekennenden ein Heiliger werden, dessen Lebensführung von der Kirche als beispielhaft für alle Christen anerkannt wird Das weite und oft als exotisch wahrgenommene Umfeld der überseeischen Missionen diente in der frühen Neuzeit nunmehr als neues Glaubensschlachtfeld neben dem, das die Reformation in Europa hervorbrachte Doch in Übersee war die Definitionshoheit im Bezug auf den „wahren Glauben“ klar in katholischer Hand, die kontroverstheologischen Debatten der europäischen Bühne hingegen, von manchen Zeitgenossen auch als „trockenes Martyrium“ beschrieben, fanden ja weitestgehend auf Augenhöhe statt4 Im Kontext Übersees konnte das Selbstverständnis der römischen Kirche als Ecclesia afflicta klarer umrissen werden Wenn etwa ein Franz Xaver in apostolischer Manier allen Widrigkeiten zum Trotz als Verkünder des Christentums in absoluter Selbstaufopferung die Meere Asiens bereiste, konnte man sich in der Tradition der frühen Gemeinden und schließlich auch der verfolgten Martyrerkirche einreihen Der gezielte Kult von Martyrern diente somit nicht nur der Vorgabe eines „exemplum“, an welchem der Einzelne sein eigenes Leben ausrichten konnte5, sondern auch der Stiftung einer Gruppenidentität, die in ihrer Differenz zu anderen konfessionellen Gruppierungen im Martyrer und seinem Zeugnis einen Referenzpunkt für die Wahrheit des eigenen Bekenntnisses besaß Diese Identität stiftende Kraft des Martyriums wurde während der konfessionellen Auseinandersetzungen innerhalb des Christentums im 16 , 17 und 18 Jahrhundert vermehrt genutzt, um hiermit das eigene Bekenntnis jenseits von inhaltlich-theologischen Standpunkten als das einzig wahre zu profilieren Das exemplarische und zumeist „heroische“ Sterben des Einzelnen wurde mit einer Be-

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Zum Verständnis vom „trockenen Martyrium“ im frühen 18 Jahrhundert vgl Matthaeus Braendl, Castitas, Martyrium Siccum, Seu Incruentum, Ss Patrum Testimoniis Asserta, Augsburg 1725 Als Martyrer ohne Blut bezeichnete sich z B der junge Jesuit Jacob Eggs in einem Brief an seinen General vom 3 Dezember 1624 aus Ingolstadt und bezieht dies explizit auf die kontroverstheologische Beschäftigung, der er zu diesem Zeitpunkt nachging, vgl Christoph Nebgen, Missionarsberufungen nach Übersee in drei deutschen Provinzen der Gesellschaft Jesu im 17  und 18 Jahrhundert (Jesuitica 14), Regensburg 2007, 230 Für das mittelalterliche Christentum vgl Thomas Füser, Vom exemplum Christi über das exemplum sanctorum zum Jedermannsbeispiel Überlegungen zur Normativität exemplarischer Verhaltensmuster im institutionellen Gefüge der Bettelorden des 13 Jahrhunderts, in: Die Bettelorden im Aufbau Beiträge zu Institutionalisierungsprozessen im mittelalterlichen Religiosentum, hg v Gert Melville u Jörg Oberste, Münster 1999, 27–105 Ein allgemeiner Überblick über das sich wandelnde Martyriumsverständnis bei Märtyrer-Porträts Von Opfertod, Blutzeugen und Heiligen Kriegern, hg v Sigrid Weigel, München 2007

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deutung versehen, welche den Wahrheitsanspruch der ganzen Gruppe verifizieren sollte6 Die Inszenierung und Präsentation der tödlich endenden Glaubensbezeugungen bedienten sich in der frühen Neuzeit sämtlicher medialer Umsetzungsmöglichkeiten: Lieder, Dramen und Bilder nahmen die Motive auf, die ihnen die konfessionellen Auseinandersetzungen und das beispielhafte Wirken von Gläubigen der eigenen Konfession boten Die große Anzahl an protestantischem, vornehmlich aus dem deutschen Sprachraum stammendem Quellenmaterial hat Peter Burschel eindrucksvoll recherchiert und interpretiert Hierzu zählen etwa frühreformatorische Flugschriften, Martyrologien, Trauerspiele; im protestantischen Bereich namentlich die „Catharina von Georgien“ von Gryphius, Märtyrerlieder, wie sie gerade von den süddeutschen Täufern verfasst wurden, und Geschichtsbücher wie die der Hutterer und Mennoniten Für den englischen und den französischen Sprachraum gilt ähnliches für die Arbeiten von Brad Gregory und David El Kenz7 Von katholischer Seite aus waren es vor allem die Jesuiten, welche die Inszenierung des Martyrerkultes kunstvoll betrieben Zum einen lag dies an dem breiten Wirkungsfeld des Ordens, der ihn zur Speerspitze der katholischen Reform werden ließ Zum anderen bedurfte der junge Orden Identität stiftender Bilder und Motive, um das eigene Profil im Kreis der anderen Ordensgemeinschaften klarer zu positionieren Hier bewiesen sich vor allem die außereuropäischen Betätigungsfelder des Ordens als eine wahre Fundgrube für „exempli“, beispielhafte Lebensläufe, die für eine Inszenierung auf den Bühnen des konfessionellen Konkurrenzstrebens besonders eindrucksvoll sein würden8 Zu denken wäre hier etwa an Franz Xaver in Asien oder José de Acosta in Brasilien, die bereits kurz nach Gründung des Ordens mit spanischen und portugiesischen Schiffen in die neu entdeckten Regionen Übersees aufgebrochen waren und von dort aus fleißig über ihre Erfahrungen nach Europa berichteten In gedruckten Martyrologien, auf der Theaterbühne, in Liedund Bildkunst konnten immer wieder Mitglieder des eigenen Ordens als heroische Glaubenszeugen in einem für die Europäer als exotisch erscheinenden Kontext auftreten und somit die katholische, aber eben auch die jesuitische Sache eindrücklich vertreten9

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Vgl hierzu Peter Burschel, Selig sind, die heute Unrecht erleiden Sterben, nicht töten: Der Sinn des christlichen Martyriums, FAZ 40 (17 Februar 2003), 42 Vgl ders , Sterben und Unsterblichkeit Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit (Ancien Régime Aufklärung und Revolution 35), München 2004; Brad S  Gregory, Salvation at stake Christian martyrdom in early modern Europe, London u a 1999; David El Kenz, Les bûchers du roi La culture protestante des martyrs (1523–1572), Seyssel 1997 Markus Friedrich, Beispielgeschichten in den Litterae Annuae Überlegungen zur Gestaltung und Funktion einer vernachlässigten Literaturgattung, in: Das Beispiel Epistemologie des Exemplarischen, hg v Nicolas Pethes, Jens Ruchatz u Stefan Willer, Berlin 2007, 143–166 Die folgenden Ausführungen basieren maßgeblich auf Kapitel III „Die gezielte Propagierung des Missionar-Ideals innerhalb der Gesellschaft Jesu“ bei Nebgen, Missionarsberufungen (wie Anm  4), 107–146

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Die verschiedenen Funktionen, welche die mediale Aufbereitung der überseeischen Martyrien neben dem liturgischen Erinnern (memoria) besaß, lassen sich gut mit dem aus der Rhetorik stammenden Dreischritt docere – delectare – movere beschreiben10 Neben dem belehrenden und dem unterhaltenden Charakter, der dem Martyrer-Stoff zu eigen war, diente seine mediale Aufarbeitung eben auch der Anleitung menschlichen Handelns im Sinne der geistlichen Exerzitien des Ordensgründers Ignatius von Loyola11 Analog zu dessen durch die Lektüre von Heiligenlegenden mit ausgelösten Konversion vom Soldaten zum Geistlichen bildete das konkrete Beispiel eines heiligmäßigen Lebenswandels eine pädagogische Orientierungshilfe für die Formung des Ordensnachwuchses Dieses pädagogische Ideal wurde mittels verschiedener Medien transportiert, die im Folgenden vorgestellt werden sollen DAS IMAGO PRIMI SAECULI – DER MARTYRER IM FIRMENSCHILD Als die Gesellschaft Jesu im Jahr 1640 ihr hundertjähriges Bestehen feierte, spielte im Imago Primi Saeculi Societatis Iesu, einer sechsbändigen Festschrift zum Ordensjubiläum, die auf Wunsch des Provinzials von Flandern unter der Koordination von P Jean Bolland (1596–1665) entstanden war, das Martyrium als wesentliches Merkmal des Ordensprofils eine maßgebliche Rolle Keine noblere Art zu sterben gebe es, so wird an mehreren Stellen bemerkt und dies mit Beispielen von jesuitischen Glaubenszeugen belegt (Martyrum pretiosa mors. Non poterat fato nobiliore mori.)12 Besonders die außereuropäischen Betätigungsfelder des Ordens nahmen einen großen Raum innerhalb der Beschreibung der eigenen Ordensgeschichte ein und hierbei besonders das Schicksal der japanischen Märtyrer13 In Form eines Distychons mit dem Titel: „Der Glaubenseifer der Japaner im Feuer öffnet sich der Liebe“ wird im vierten Teil des Werkes die Standhaftigkeit im Glauben der von Jesuiten bekehrten Inselbewohner besungen: Welche Wunder von Menschen – Ihr Himmlischen – bringt dieses Land hervor? Unsere Welt 10 11 12 13

Sibylle Appuhn-Radtke, Visuelle Medien im Dienst der Gesellschaft Jesu Johann Christoph Storer (1620–1671) als Maler der Katholischen Reform (Jesuitica 3), Regensburg 2000, 18–35 Erhard Kunz, „Bewegt von Gottes Liebe“ Theologische Aspekte der ignatianischen Exerzitien und Merkmale jesuitischer Vorgehensweise, in: Ignatianisch Eigenart und Methode der Gesellschaft Jesu, hg v Michael Sievernich u Günter Switek, Freiburg i Br 1990, 75–95 Jean Bolland u a , Imago Primi Sæcvli Societatis Iesv A Provincia Flandro-Belgica Eivsdem Societatis Repræsentata, Antwerpen 1640, Zitat auf 580 Vgl Katalogteil in: Geschichte der Kirche in Japan Eine Ausstellung der Diözesan- und Dombibliothek Köln in Zusammenarbeit mit der Sophia Universität Tokyo zum 50jährigen Bestehen der Partnerschaft der Erzdiözesen Köln und Tokyo (Libelli Rhenani 7), hg v Werner Wessel u a , Köln 2004, 287 f; speziell zu Miki und Gefährten: Arata Takeda, Der SanFelipe-Zwischenfall oder die Furcht vor dem Anderen Ein gescheiterter Dialog zwischen Japan und Spanien aus der Frühen Neuzeit, in: Kulturen des Dialogs, hg v Heinz-Dieter Assmann, Frank Baasner u Jürgen Wertheimer, Baden-Baden 2011, 95–108

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hat nicht solche Körper […] Gefeierte Seelen, schon längst hat die kündende Sage Euren Siegesruhm über den Indischen Ozean gebracht Europa staunt über die japanischen Triumphe und spendet Beifall [… ] Hätte jemand glauben können, dass aus einer unbekannten Welt solche kommen würden, die Rom seinen Heiligen hinzufügen wünschte?“ In stilistisch ausgefeilter Manier wurde hier die junge japanische Kirche in ihrer Beispielhaftigkeit und Glaubenstreue dargestellt So heißt es weiter über die japanischen Christen: „Die Körper sind vergleichbar, doch die Gesinnung ist vortrefflicher; diese macht den Körper mitten im Feuer unbesiegbar “14 In der durch Glaubenskriege verursachten Krisensituation der abendländischen katholischen Kirche galt, und so schließt das Gedicht: „Ein Barbarenland wird Europa geben, was es verehren soll “ Die Kontrastierung europäischer Wirklichkeit mit „über den Indischen Ozean herüber gekommenen Sagen“ stilisiert die japanische Kirche zum Ort heroischer Standhaftigkeit im Glauben Der Umstand, dass sich all dies in für den damaligen Betrachter unermesslich weit entfernt gelegenen Ländern abspielte, nährte sicherlich einerseits utopische Phantasien einer „glücklichen Christenheit“15, aber bestärkte auch die in einer angefochtenen Situation lebenden zentraleuropäischen Katholiken16 In der Beschreibung der jungen Kirche Asiens boten sich Vergleichsmöglichkeiten zur verfolgten Kirche der römischen Antike, vor allem aber besaßen die Glaubenszeugen aus Übersee legitimierende Kraft für die Wahrheit der römischen Kirche Ihr Tun und Wirken in der den ganzen bewohnten Erdkreis betreffenden (ökumenischen) Perspektive stand nicht zuletzt durch die 14

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Wessel, Katalogteil (wie Anm  13), 288 Beachtenswert in diesem Zusammenhang auch die Verbreitung der Darstellung des Martyriums auf Flugblättern, welche bereits 1628 in Augsburg von Wolfgang Kilian gestochen gedruckt wurden Der Titel lautet Drey Seelige Martyrer der Societet Jesu / Welche in Japon neben andern 23. den Namen Christi mit jhrem Blut bezeugt / […] im Jahre 1597 und besticht vor allem durch die starke Imitatio Christi-Betonung in der Darstellung der Martyrer, wenn die Häscher Miki die Lanze in die Seite bohren Eine Abbildung des ganzen Blattes findet sich in: 1648 Krieg und Frieden in Europa (Ausstellungskatalog), hg v Klaus Bussmann u Heinz Schilling, Münster/Osnabrück 1998, 303 Zum durch die Entdeckung Amerikas ausgelösten Utopie-Diskurs in Europa vgl Alberto Gutierrez, La Iglesia en Latinoamerica: Entre la Utopia y la Realidad, Rom 1996, hier besonders 43–54 Besonders unter den Franziskanern wurde unter erasmianischem Einfluss die Idee formuliert, in der Neuen Welt eine neue Kirche zu errichten, die der Urkirche gleichen solle, vgl Johannes Beckmann, Utopien als missionarische Stoßkraft, in: Vermittlung zwischenkirchlicher Gemeinschaft 50 Jahre Missionsgesellschaft Immensee, hg v Jakob Baumgartner, Schöneck/Beckenried 1971, 361–407; neuerdings: Mariano Delgado, Synkretismus und Utopie in Lateinamerika, Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 94/1–2 (2010), 18–30 Noch im Empfinden des Ordenshistorikers Anton Huonder (1858–1926) waren derartige Vorstellungen virulent und wurden in ihrem apologetischen Aussagewert unkritisch übernommen So schreibt er in seinem Artikel mit dem Titel „P Joseph Stöckleins ‚Neuer Welt-Bott‘, ein Vorläufer der „katholischen Missionen“ im 18 Jahrhundert“, Die katholischen Missionen 33 (1904/1905), 1–4, 30–33, 80–83, 103–107, hier 1: „Diese neuen Märtyrerakten sprachen laut für die Wahrheit der angefeindeten Kirche und weckten unter den Katholiken eine heilige Begeisterung Bekanntlich wurde durch sie auch ein hl Aloysius von Gonzaga zum Eintritt in einen apostolischen Orden angeregt “

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Martyrien ihrer Missionare, wie derjenigen von neubekehrten Asiaten, in apostolischer Tradition und bezeugte somit den Wahrheits- und Traditionsanspruch der römisch-katholischen Kirche17 Der Jesuitenorden nutzte die Darstellung dieser spektakulären missionarischen Aktivitäten zur Selbstprofilierung, indem er sich diese Erfolge vor allem auf die eigene Fahne schrieb Die etwaige Beteiligung anderer Ordensgemeinschaften bei der Missionsarbeit in Übersee – im vorgestellten Fall der Hinrichtung von Nagasaki etwa die Beteiligung der Franziskaner – wurde vornehm verschwiegen DAS THEATER Die Theaterwissenschaftlerin Elida Maria Szarota bezeichnete das Jesuitendrama als barocken Vorläufer der modernen Massenmedien18 Ihr zumeist belehrender Charakter und das durch sie stattfindende Propagieren von Themen und Ansichten lenkte den öffentliche Diskurs und erwies sich vor allem dadurch als stark meinungsbildend, dass es den modern zu nennenden Ansatz, den Menschen als Augenwesen wahrzunehmen, aufgriff19 Die pädagogische Wirkrichtung der Stücke, von Szarota als manipulativ bezeichnet, zielte dabei sowohl in die Richtung der Betrachter als auch auf die Darsteller selbst Denn die Förderung der produktiven Fähigkeiten der Schüler der Jesuitenkollegien – wie etwa des sich Hineinversetzens in andere Personen, geschichtliche und kulturelle Kontexte – konnte durchaus dazu führen, dass den Schauspielenden von mancher Rolle vielleicht „ein kleiner Kern in ihnen zurück [blieb] und wurde ihrem Wesen anverwandelt; denn erst das wäre die echte, die bleibende Ausweitung ihrer Person gewesen“20 Somit dürfte sich das Jesuitentheater wohl als das beste Beispiel für die dreischrittige Funktionalisierung der Medien im Interesse der Gesellschaft Jesu bezeichnen lassen, denn neben dem unzweifelhaft belehrenden Charakter der Stücke (docere), galten die jesuitischen Theateraufführungen in ihrer Zeit als gesellschaftliche Glanzlichter der kulturellen Unterhaltung (delectare) und hatten zuletzt auch eine dezidiert pädagogische Funktion (movere)21 17

Wie diese Legitimation und Traditionsbildung durch das Martyrium auch von den Reformierten gesucht wurde, wird ausgeführt bei Gregory, Salvation at stake (wie Anm  7), 7: „Contested teachings such as papal primacy, believers’ baptism, and justification by faith alone already separated Christians from one another Martyrs demonstrated their willingness to die for these beliefs, proclaiming that commitment to the truth outweighed the prolongation of their lives Doctrines were tightly linked to deaths Catholics, Anabaptists, and Protestants celebrated their respective heroes, creating mutually exclusive martyrological traditions that became woven into their collective identities “ 18 Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien, Daphnis Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 4/2 (1975), 129–143 19 Erich Feldmann, Theorie der Massenmedien, München/Basel 1972, 160 20 Ebd 132 21 Als Überblick zum Jesuitentheater allgemein: Christoph Nebgen, Religiöses Theater (Jesuitentheater), in: European History Online (EGO), published by the Institute of European History (IEG), Mainz 2010–12–03 URL: http://www ieg-ego eu/nebgenc-2010-de URN: urn:nbn:de:0159–20100921613 [11 08 2011]

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Ein Nachweis für diese Vermutung Szarotas lässt sich anhand der Lektüre der Litterae Indipetarum, der Bewerbungsschreiben für die Überseemissionen junger Jesuiten an ihren General, führen Eine Sammlung von rund 22 000 Briefen, die sich im Generalarchiv des Ordens in Rom befinden, erlaubt eine Analyse der Motivationslage der meist jungen Jesuiten für ihre Bewerbung nach Übersee, aber auch für den Ordenseintritt allgemein22 An zahlreichen Stellen wird in diesem Kontext auch auf das Theater und seine einflussreiche Funktion in Hinsicht auf die Berufungsgeschichte der jungen Ordensleute hingewiesen Karl Sonnenberg (1614–1668) etwa schilderte dem General 1635, dass er einst die Rolle eines japanischen Buben in einem Schulstück übernommen habe, in welchem er einem fernöstlichen Götzenbild ein Ohr habe abschlagen müssen, und dass ihn seitdem die asiatischen Missionen faszinierten23 Johannes Codonaeus (1657–1685) erläuterte, dass seine Entscheidung für den Eintritt in die Gesellschaft Jesu gefallen sei, nachdem er den Thomas Morus auf der Bühne gespielt habe Deshalb ziehe es ihn nun nach England: „Noch als Rhetoriker spielte ich nämlich vor 12 Jahren im Anschlussstück den Thomas Morus, Kanzler Englands Im gleichen Jahr hatte ich wegen einer gefährlichen Krankheit das Votum geleistet, in die Gesellschaft Jesu einzutreten; 8 Jahre nach Ableisten dieses Gelübdes wurde ich sodann aufgenommen, und dies aus dem Grunde, dass ich dereinst sowohl zum eigenen Heil wie der Bekehrung meiner Nächsten in England dienlich sein könne “24 Durchaus kann man in dieser Art der unbewussten Beeinflussung der Schüler, dem Propagieren von Leitfiguren und Vorbildern einen weiteren Bestandteil der Reform- und Modernisierungsbewegung im Rahmen der katholischen Konfessionalisierung sehen25 Die Bühnen der Jesuitenkollegien boten eine einmalige Plattform nicht nur zur gezielten Präsentation und Diskurssteuerung von Themen und Argumenten in die gesellschaftliche Breite hinein Auch hinsichtlich ihrer pädagogischen Wirkung auf den Einzelnen zielten die Aufführungen nicht allein auf Pflege und Stärkung allgemeiner christlicher Tugenden, sondern beinhalteten als Kinder ihrer Zeit sehr oft auch – manchmal versteckte, dann offensichtlichere – ge-

22 Hierzu ausführlich Nebgen, Missionarsberufungen (wie Anm  4) 23 Siehe: Archivum Romanum Societatis Iesu, Germ Sup 18 III, 470–471, Carolus Sonnenberg im März 1635 aus Fribourg (Schweiz): Fovebam a primis iam annis ad Societatem animum, ut tertium aetatis annum, quo litteras sum auspicatus, vixdum egressus parentibus, ad quem statum appellere vellem rogantibus ad Jesuitarum ordinem responderim. Brevi post prima quam egi in comedia pueri Japonici persona obtigit, ut aurem simulacro amputarem. 24 Siehe: Archivum Romanum Societatis Iesu, Rhen Inf 15, 148, Ioannes Codonaeus 1686 aus Köln: Rhetorices olim ego studiosus ante annos 12 egi in theatro publice pro finali actione Thomam Morum Cancellarium Angliae, eodemque anno periculose aeger feci votum ineundi Societatem JESU; ad quam ante annos circiter octo juxta votum meum admissus fui, illa de causa ut tandem aliquando et saluti propriae et proximorum conversioni in Anglia deservire possem. 25 Jean-Marie Valentin, Gegenreformation und Literatur Das Jesuitendrama im Dienste der religiösen und moralischen Erziehung, Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 100 (1980), 240–256

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genreformatorische und repräsentative Elemente im Sinne der Gesellschaft Jesu26 Die häufige Präsentation von missions- und damit zur damaligen Zeit aktuell zeitgeschichtlichen Themen diente augenscheinlich nicht ausschließlich der Belehrung und Unterhaltung, sondern auch der Demonstration eines vitalen Katholizismus, der weltweit aktiv den Heroismus der Apostelzeit wach hielt und als dessen Vorreiter der Jesuitenorden präsentiert wurde In Niederlandt, Hispania, in Franckreich, in Italia, in Indien, Brasilia, in China, in Japonia, ia heut biß an das endt der welt man freudenfest und iubel helt. So jubilierte die Kölner Katechismusschule S  Columba in einer aus Anlass der ersten Jahrhundertfeier des Ordens 1640 gegebenen Darbietung27 und machte damit deutlich, dass als eines der charakteristischen Merkmale der Gesellschaft Jesu ihre weltüberspannende Tätigkeit empfunden und propagiert wurde28 Es waren vor allem wieder die japanischen Martyrer, die schon recht früh ihren Platz auf den europäischen Jesuitenbühnen fanden29 Als Stoffquelle dienten den Autoren vor allem Nicolas Trigaults Christianorum apud Japonenses Triumphus von 1623 und P Cornelis Hazarts (1617–1690) Historia Ecclesiastica Japonensis, welche 1678 in deutscher Sprache erschienen war, später dann auch die Historia Societatis Jesu von Joseph Juventius von 1709 Die Stücke orientierten sich in Aufbau und Handlung zunächst meist am historischen Stoff, entwickelten dann aber im Laufe des 17  und 18 Jahrhunderts ein Eigenleben, welches mehr an konzeptionellen und Fragen der Inszenierung interessiert war als an historischer Authentizität Titus von Bungo überragte dabei schon bald alle anderen Stoffe an Beliebtheit, eroberte die Jesuitenbühnen ganz Europas und wurde in Augsburg 1629 zum ersten Mal als Stück gegeben30 Das Thema bezog sich auf den in den Litterae Annuae von 1614 gegebenen Bericht über die grausame Prüfung und folgende Bewährung des japanischen Edelmannes Titus, der in gewisser Anlehnung an das Abraham26 Ders , Jesuiten-Literatur als gegenreformatorische Propaganda, in: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung Späthumanismus, Barock (Deutsche Literatur Eine Sozialgeschichte 3), hg v Harald Steinhagen, Reinbek bei Hamburg 1985, 172–205; Fidel Rädle, Das Jesuitentheater in der Pflicht der Gegenreformation, in: Gegenreformation und Literatur Beiträge zur interdisziplinären Erforschung der katholischen Reformbewegung (Beihefte zum Daphnis 3; Daphnis 8/3–4 [1979]), hg v Jean-Marie Valentin, Amsterdam 1979, 167–199 27 Theo G M Van Oorschot, Die erste Jahrhundertfeier der Gesellschaft Jesu (1640) in Kölner Katechismusspielen, in: Theatrum Europaeum Festschrift für Elida Maria Szarota, hg v Richard Brinkmann u a , München 1982, 127–151, hier 133 28 Eine Tatsache, die so auch in den Kontroversen mit den Protestanten aufgegriffen wurde Vgl dazu Frieder Ludwig, Zur Verteidigung und Verbreitung des Glaubens Das Wirken der Jesuiten in Übersee und seine Rezeption in den konfessionellen Auseinandersetzungen Europas, Zeitschrift für Kirchengeschichte 112 (2001), 44–64 29 Thomas Immoos, Japanische Helden des europäischen Barocktheaters, in: Maske und Kothurn Internationale Beiträge zur Theaterwissenschaft 7/1 (1981), 36–56 Als Gesamtüberblick zur Verwendung asiatischer Themen im Jesuitentheater: Adrian Hsia / Ruprecht Wimmer, Mission und Theater China und Japan auf den deutschen Bühnen der Gesellschaft Jesu (Jesuitica 7), Regensburg 2005 30 Willi Flemming, Geschichte des Jesuitentheaters in den Landen deutscher Zunge, Berlin 1923, 227 u 240

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Isaak-Motiv eher seine Kinder opferte als seinem Glauben abzuschwören bereit war In der Regel handelte es sich vor allem um Adlige, Fürsten und Königssöhne, die in diesem und weiteren Stücken über die Christentumsgeschichte Japans auftauchten und ein leuchtendes Beispiel für heroische und standhafte Glaubenstreue gaben31 Natürlich diente auch die Vita Franz Xavers als beliebter Theaterstoff So wurde im Xaveriusmonat 1710 in Eichstätt das Stück Xaverius mundi vanitatis victor aufgeführt32, weitere Xaverdramen sind vom 16  bis ins 18 Jahrhundert hinein nachweisbar für Augsburg, Olmütz, Freiburg im Breisgau, Wien, Straubing, Emmerich, Luzern und Aachen33 Als 1698 verschiedene Gewänder, mit denen der Leichnam des Heiligen in Indien lange Zeit eingehüllt war, nach Paderborn gegeben worden waren, führten die Rhetoriker des Gymnasiums am Oktavtag des Xaveriusfestes ein Melodram auf, in welchem der neuerworbene Kirchschatz mit dem Vlies des Jason verglichen wurde In Köln gab man 1732 das Stück Wie Xaverius in China stirbt, in Emmerich 1735 Wie Xaverius über den Götzendienst triumphiert Mit der wachsenden China-Begeisterung in Europa erhielten auch chinesische Stoffe eine vermehrte Aufmerksamkeit im jesuitischen Theaterprogramm Nach dem Grundsatz Victor quia Victima bildeten vor allem durch jesuitische Missionare zum Christentum konvertierte Einheimische das Personal der Stücke34 Erst in der zweiten Hälfte des 17 Jahrhunderts öffneten sich die Jesuitenbühnen auch langsam für Stoffe aus der Missionsgeschichte anderer Kontinente MARTYRIEN ALS STOFF VON LIEDDICHTUNGEN Die wohl bekannteste Umsetzung der Missions- und insbesondere der XaveriusMotivik in Liedform innerhalb des deutschen Sprachraums findet sich im Güldenen Tugendbuch und der Trutz-Nachtigall Friedrich Spees Der vormalige Missionsbewerber Spee bezog vor allem in seinem Tugendbuch Franz Xaver und andere Überseemissionare, wie etwa Francisco Pinto (1552–1608) oder die japanischen Martyrer der Gesellschaft Jesu, mit ein in ein in seiner Intention und seinem Ablauf stark an die Exerzitien erinnerndes „Tugendprogramm“ Der Benutzer wird dabei vor allem im zehnten und elften Kapitel des ersten Teils des Güldenen Tugend-Buchs zu einem gedanklichen wie fühlendem Nachvollzug der Mar31

Johannes Beckmann, Der Missionsgedanke auf Schweizer Bühnen des 17  und 18 Jahrhunderts, Bethlehem 37 (1932), 292–296 32 Anton Dürrwächter, Das Jesuitentheater in Eichstätt, Sammelblatt des Historischen Vereins Eichstätt 10 (1896), 43–102, hier 64 u 67 33 Johannes Müller, Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665), 2 Bde, Augsburg 1930, hier Bd  2, 112 34 Eine umfangreiche Darstellung der chinesischen Stoffe bei: Claudia von Collani, Theaterstücke mit chinesischen Themen auf bayerischen Jesuitenbühnen, in: Bayerisch-chinesische Beziehungen in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 34), hg v Peter Claus Hartmann u Alois Schmid, München 2008, 35–72

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terqualen animiert Spee befördert hier eine applicatio sensuum, welcher eindeutig die Thematik und der Nachvollzug des Martyriums vorangestellt werden Auch in seinem Poetisch gesang von dem H. Francisco Xauièr der geselschafft IESU, als er in Jappon schiffen wollte, welcher sich in der Trutz-Nachtigall befindet, fällt mehr ein soldatisch klingender Unterton auf, Beschreibungen asiatischer Exotik und der dort lebenden Menschen findet man überhaupt nicht Diese Beobachtung lässt sich ebenfalls anhand von Xauerius der mütig Helt […]. aus dem Güldenen Tugend-Buch machen, wo der Ton sich eher als der einer Missions-Aszese beschreiben ließe, die mit besonderer Betonung des anzutreffenden Leids, der Gefahren und Widrigkeiten getragen wird von der tiefen Sehnsucht nach Glaubensverbreitung und dem Bedauern darüber, Daß nitt all heyden Christen sein!, wie es in der fünften Strophe des Liedes heißt Der Text konzentriert sich somit lediglich auf den missionarischen Eifer als Wert an sich, wodurch der „daheimgebliebene“ Spee seine subjektiven Sehnsüchte zum Ausdruck brachte, den Kontext fremder Kulturen und der geographischen Weite des Wirkens Franz Xavers jedoch in keiner Weise thematisierte Auch in seinem Bewerbungsbrief für die Überseemission geizte P Spee mit Informationen über die Genese seiner Berufung – gerade im Vergleich zu vielen Mitbrüdern, die dem General sehr viel eindeutiger vor Augen führen konnten, woher ihr Anliegen komme, welche Qualifikationen sie mitbrächten und was sie letztendlich antreibe Friedrich Spee hingegen blieb hier recht einsilbig und beinahe mystisch verschlossen Indien habe ihm die Seele verwundet, so schreibt er, diese Leidenschaft brenne in ihm wie glühende Kohlen, er habe versucht, sie zu unterdrücken, doch sie lodere nunmehr auf in offenen Flammen Spees Verarbeitung der von ihm als Berufung nach Übersee empfundenen Regungen in seinen späteren Lieddichtungen verbleibt in diesem sehr subjektiv gehaltenen Ton Die Meditationen über die Leistungen eines Franz Xaver thematisieren dessen inneren wie äußeren Kampf, seinen Mut und „Seeleneifer“ Die zweite Strophe des Xaverius der mütig Helt schildert unmittelbar die Empfindungen des Missionsbewerbers Spee, transponiert in die Stimmlage des Asienmissionars: Hör auff, hör auff, felt mir zu schwer, Die Gnad ist mir zu mächtig. Der Seelen eyffer wütet sehr, Vnd brennet mich so kräfftig, Daß kaum vor hitz kan bleiben mehr: O Gott die brunst ist hefftig! Ein weiteres Beispiel aus der Lieddichtung findet sich in einem Mainzer Gesangbuch von 1628 Die japanischen Martyrer rund um Paul Miki (1566–1597) wurden der Mainzer Bevölkerung, drei Jahre bevor die Schweden die Stadt plündern sollten, zum guten Beispiel für wahre Glaubenstreue und Standhaftigkeit gegeben: Dein reiches Creuz schenck PAULE mir / Des bitt ich IACOB auch von dir / IOANNES schenck das deine / Daß ich gern trag das meine. Ihr Martyrer euch bitten fein / Die Maynzer Kinder groß und klein / Abwendet thewre Zeiten / All schädlich Kranckheiten.

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Den Krieg auch endlich wendet ab / Daß den gewünschten Frieden hab / Das Volck zu Gottes Ehren / Den Glauben helfft uns mehren.35

Zwar wird auch hier nicht auf die Exotik des asiatischen Raumes eingegangen, aber die japanischen Martyrer von 1597 um Paul Miki werden ob ihres Martyriums als Heilsmittler betrachtet und, was noch viel interessanter ist, die Situation von Verfolgung und Bedrohung in der japanischen Mission wurde vom anonymen Texter in Bezug zu jener in den rhein-hessischen Landstrichen während des Dreißigjährigen Krieges gesetzt Die Kreuzigung der japanischen Glaubenszeugen wird in direkter Analogie zu dem eigenen „Kreuz“ gesehen, welches man hier zu tragen hatte: Dein Creutzes Werth Paulus schenck uns.36 Kurz vor dem Einfall der Schweden in Mainz (1631–1636) baten die Meintzer Kinder groß und klein um eine Abwendung der drohenden Gefahr und der schädlich Newrung, der Reformation Anders als bei Friedrich Spees Lieddichtungen erhielten die Missionierten nunmehr selbst einen aktiven Part im Rahmen der Dichtung, und darüber hinaus auch im Ablauf der vom unbekannten Dichter, respektive dem späteren Sänger, imaginierten himmlischen Gnadenökonomie Der subjektive Charakter Spee’scher Dichtung wurde somit gesprengt, und wenn man so möchte – auch wenn der Gebrauch des Wortes in diesem Zusammenhang anachronistisch erscheint  – deren eurozentrische Ausrichtung Es ist nicht mehr allein der Seeleneifer des europäischen Missionars, welcher zum Vorbild gereicht und dessen erbauende Wirkung dem abendländischen Christentum zugute kommt Bereits um 1628 konnte auch der missionierte überseeische Neuchrist dem vom Konfessionskrieg ausgezehrten Europäer als Vorbild im Glauben dienen, gerade dann, wenn dieser zuvor das Martyrium erlitten hatte DAS MARTYROLOGIUM DES P MATTHIAS TANNER Eindrücklicher als die verbale Beschreibung der außereuropäischen Martyrien erscheint die bildliche Darstellung, welche die Szenen des „heroischen Sterbens“ für den Betrachter in gnadenlos erscheinender und detailreicher Art und Weise in 35

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Himmlische Harmony von vielerlei lieblich zusamenstimmenden Freud-, Leid-, Trost-, und Klagvöglein, das ist neu mayntzisch [New Mayntzisch] Gesangbuch / in Truck verfertigt aus sonderen befehl […] Georgii Friderici, Erzbischoffen zu Mayntz. Meyntz: Anthonio Stroheckern 1628. Fünffter Theil : Unmüssiges zuckerliebliches Canari-Vögelein : durch die selige Insulen, nemblich, durch das frewd- und glorireiche himlische Paradeiß, durch alle Chör der lieben Heiligen und Außerwehlten Gottes herumb fliegend, und denen zu Lieb und Ehren viel schöne liebliche Gesäng modulierend. Welche jetzt auffs new in ein Ordnung verfast, vermehret, und neben dem General Bass in Druck außgangen. Zur Dialektik zwischen Überseemission und Glaubenskampf in Europa vgl Ronnie Po-chia Hsia, Mission und Konfessionalisierung in Übersee, in: Die katholische Konfessionalisierung (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 135), hg v Wolfgang Reinhard u Heinz Schilling, Münster 1995, 158–165, hier 158 f

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Szene setzte Die Darstellungen, die zu sehen sind, stammen aus dem prächtig bebilderten Martyrologium des Jesuiten Matthias Tanner (1630–1692), das 1683 auch in deutscher Sprache erschienen war37 P Tanner präsentierte in seinem Werk die Viten von 304 jesuitischen Blutzeugen Von den in diesem Werk vorgestellten Martyrien spielten sich lediglich 68 in Europa ab, genauso viele in Afrika, 50 in Amerika und 120 in Asien38 Die Ordensgeistlichen werden in den Abbildungen als furchtlose Kämpfer gegen den Götzenkult gezeichnet, die stoisch das eigene Schicksal annehmen und bereitwillig ihr Sterben in Kauf nehmen Die Darstellung der fremden Kulturen ist dabei stark an Stereotypen ausgerichtet, was dazu führt, das etwa ein Japaner mit Turban dargestellt wird oder aber Pagodenbauten im Hintergrund einer Sterbeszene in Südamerika als Ausschmückung auftauchen Auch indigene Glaubenszeugen werden in das Martyrologium aufgenommen, die wegen des „odium fidei“, dem Hass ihrer Landsleute gegen den christlichen Glauben, ihr Leben lassen mussten Gestorben wird in allen möglichen Varianten, wobei der Körper des Glaubenszeugen als Instrument der tugendhaften Leidenserduldung dient Je grausamer die Foltermethode, desto größer und eindrücklicher – so die Botschaft der Bilder – die Bezeugung der Wahrheit der eigenen Konfession Denn, so steht es auf einer der asiatischen Mission des Ordens gewidmeten auszufaltenden Sonderseite des Martyrologiums: sanguis martyrum, semen christianorum Das vergossene Blut und das aufgeopferte Leben des Martyrers sind im Sinne einer heilsgeschichtlichen Gnadenökonomie Investitionen in eine positivere Zukunft der Christenheit insgesamt So begießen die Engelsfiguren in der allegorischen Darstellung der asiatischen Missionsfelder die Gräber der Martyrer mit deren Blut, und vereinzelt sind schon Sträucher aufgeschossen, die als Früchte Kreuze tragen – Symbol für die aus den jesuitischen Martyrerwurzeln herauswachsende Christenheit Die in diesem Beitrag vorgestellten Abbildungen stammen aus einem Exemplar des Martyrologiums, das in der Bibliothek der Krankenabteilung des Jesuitenkollegs in Mainz den dort auf Genesung Wartenden als Bettlektüre zur Verfügung gestellt wurde39 Die starken Lesespuren machen deutlich, wie beliebt das Werk und die dargestellten Motive waren Für die Jesuitenkollegien Paderborn und das Missionsnoviziat des Ordens in Landsberg am Lech sind weiterhin groß dimensionierte Gemäldetafeln überliefert, auf denen insgesamt 128 Martyrer aus der Gesellschaft präsentiert werden; auch hier spielte sich der überwiegende Teil der Sterbe-

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Matthias Tanner, Societas Jesu usque ad sanguinis et vitae profusionem pro Deo et Christiana Religione militans in omnibus Mundi partibus fortitudinis sua trophaea erigit, Prag 1675 Deutsche Ausgabe: Die Gesellschaft Jesu Bis zur Vergiessung ihres Blutes wider den Gotzendienst, Unglauben und Laster, für Gott, den wahren Glauben, und Tugendten in allen vier Theilen der Welt streitend: Das ist: Lebens-Wandel, und Todes-Begebenheit der jenige, die aus der Gesellschaft Jesu umb verthätigung Gottes, des wahren Glaubens, und der Tugenden, gewalthätiger Weiß hingerichtet worden, Prag 1683 Vgl Burschel, Sterben und Unsterblichkeit (wie Anm  7), 229 Das benutzte Werk findet sich heute unter der Signatur I/313 in der Martinus-Bibliothek, der wissenschaftlichen Diözesanbibliothek des Bischöflichen Priesterseminars Mainz

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szenen in Übersee ab40 Als ergänzendes Leitbild für die Ordensjugend traten nunmehr neben die aufopferungsvoll frommen und bis zur Erschöpfung studierenden Aloysius von Gonzaga, Stanislaus Kostka und Jan Berchmans (als Sinnbilder des martyrium siccum) die im abenteuerlich wirkenden Ambiente Übersees als Missionare getöteten Mitbrüder NUTZUNG DES MARTYRIUMS ZUR MITGLIEDERWERBUNG Welche Wirkung entfaltete nun diese breite mediale Funktionalisierung des „heroischen Sterbens in Übersee“ unter den Betrachtern? Inwieweit wurde das angestrebte movere tatsächlich umgesetzt? Anhand der bereits angesprochenen Quellengattung der sogenannten Litterae Indipetarum kann an zahlreichen Stellen sehr gut nachgewiesen werden, wie die jungen Ordensleute durch die verschiedenen Medien beeinflusst wurden und sie von den in Theater, Literatur und Bild gegebenen exempli angeregt wurden, ihren eigenen Lebensentwurf diesen anzupassen Ungeheuer ist das Martyrium, kein Martyrer sein zu können.41 Diese zunächst paradox erscheinende Klage stammt aus einem Brief des Jesuiten P Philipp Jeningen (1642–1704)42, den dieser am 2 Februar 1686 von Ellwangen aus seinem Ordensgeneral, P Charles de Noyelle (1615–1686), zugesandt hatte Bereits mehrfach zuvor hatte er seinen Vorgesetzten von seinem Verlangen nach dem Martyrium in Kenntnis gesetzt, verbunden mit dem Wunsch nach einem Ortswechsel, den ihm der General bewilligen solle: P Jeningen fühlte sich am falschen Ort, um seinen Lebenstraum realisieren zu können Die exotischen Strände Asiens und die tropischen Wälder Lateinamerikas boten dem jungen Jesuiten einen sehr viel geeigneteren Hintergrund für seine Sehnsüchte: Hier konnte man offenbar mit Leichtigkeit das Martyrium finden, während man versuchte, die Seelen der scheinbar gottlosen Eingeborenen zu retten „O glückselige und gesegnete Portugiesen, gesegnete Spanier, welchen nahezu allein die ungeheuere Gnade, diese herrlichste Wohltat und das höchste Glück zuteil wurde, welches von uns Deutschen mit allen Mitteln so sehr begehrt wird; ihr genießt es, durch Euch werden Indien und Japan bereichert, ihr zeigt Euch als die glückseligen Erben der Martyrer Oh dass doch schon in kurzer Zeit Portugiesen und Spanier anerkennen mögen, dass mein Wunsch Erfüllung finde und daraufhin wir Deutsche versuchten, unter Euch zu sein mit deutschem Glauben, mit deutscher und brüderlicher Seele […] Solange ich atme, hoffe ich “43 So schreibt der 40 Abgebildet bei Burschel, Sterben und Unsterblichkeit (wie Anm  7), 261 41 Siehe: Archivum Romanum Societatis Iesu, Fondo Gesuitico 754, 277, Philipp Jeningen am 2 Februar 1686 aus Ellwangen: Ingens martyrium non posse esse martyrem! 42 Die aktuellste Publikation zum Leben des in der Region Ellwangen aktiven Volksmissionars Philipp Jeningen: „Auch auf Erd ist Gott mein Himmel “ Pater Philipp Jeningen – Missionar und Mystiker, hg v Julius Oswald, Ostfildern 2004 43 Siehe: Archivum Romanum Societatis Iesu, Germ 18 II, 438r, Nicolaus Martius am 24 April 1634 aus Ingolstadt: O Beatos nimiumque felices Lusitanos, felices Hispanos quibus fere solis hac ingens gratia, haec praeclarum beneficium, summa haec felicitas conceditur, ut quod nos Germani omnibus modibus instantissime desideramus, nos fruamini, vos Indiam vos Iaponiam

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Jesuitennovize Nicolaus Martius am 24 April 1634 aus Ingolstadt sehnsüchtig an seinen Ordensoberen Und sein Mitbruder Nicolaus Obracht schreibt runde 80 Jahre später ebenfalls aus Ingolstadt: Ich habe mich aus anblick einer bildnuß des h. Xaverii da ich noch weltlich war entschlossen und gesprochen wo diser gestorben will ich auch sterben. Und darüber mit solchem himlichen trost übergoßen worden, daß ich fast nit mächtig war die Zeher zu verhalten.44 Diese beiden Zitate junger Jesuiten machen deutlich, dass die mediale Umsetzung des heroischen Sterbens von Ordensmitgliedern in Übersee seine Wirkung auch in Europa und dort gerade unter der Jugend zeigte Hinsichtlich der Rekrutierung von Ordensnachwuchs waren solche Aushängeschilder von einiger Wichtigkeit45 So ist Friedrich Spee nicht der einzige junge Jesuit, der freimütig eingesteht, dass es die Möglichkeit, nach Übersee gehen zu können, war, die ihn gerade in die Gesellschaft Jesu geführt habe46 Auch andere sahen hierin den ausschlaggebenden Punkt für ihren Eintritt in den Jesuitenorden Der junge Franz Lang (1654–1725) berichtete in seinem Bewerbungsschreiben vom 28 September 1676 aus Ingolstadt von einem Gespräch mit seinen Eltern, die ihn fragten, ob er lieber in die Fußstapfen des einen Bruders treten würde, der Augustiner-Chorherr geworden war, oder ob er dem anderen Bruder nachfolgen möchte, der Jesuit sei Auf die Nachfrage hin, was denn das für welche seien, diese Jesuiten, erzählten ihm die Eltern, „[…] jene seien dadurch besonders ausgezeichnet, bis nach Indien, ja bis zu den äußersten Gegenden des Erdkreises zu gehen, um andere Menschen zu Gott zu bekehren, wo sie dann unter unermesslicher Mühsal und Gefahr eigenes Leben und eigenes Blut für Christus aufopferten, ja sogar härteste Folterqualen erdulden müssten“47 Ähnlich beschrieb auch der Luzerner Jesuit Beat Amrhyn 1662 das heroische Auftreten von Mitgliedern des Jesuitenordens in Übersee: „Hochwürdiger Pater in Christus! Nochmals nahe ich mich als letzter Ihrer Söhne Eurer Paternität und eröffne Ihnen meinen Herzenswunsch, mit dem mich der gütigste Gott, obwohl impleatis, vos Martyriorum haeredes fortunatissimi existatis, utinam vel tantillo tempore Lusitanus aut Hispanus agnoscerer, quosq. desiderio meo esset satisfactum, germani deinde nos inter, esse conabimur, fide germana, germano ac fraterno animo […] dum spiro spero. 44 Siehe: Archivum Romanum Societatis Iesu, Fondo Gesuitico 754, 510, Nicolaus Obracht am 30 August 1720 aus Ingolstadt 45 Hierzu ausführlicher Friedrich, Beispielgeschichten (wie Anm  8) 46 Friedrich Spee am 17 November 1617 aus Worms, in: Archivum Romanum Societatis Iesu, Rhen Sup 42, 22: […] ac per illam mihi animus, vix alio canali, in hanc Sanctam Societatem efflueret 47 Siehe Archivum Romanum Societatis Iesu, Fondo Gesuitico 754, 184, Franciscus Lang am 28 September 1676 aus Ingolstadt: Quaerebant quondam in puerilibus adhuc annis ex me parentes mei, quemnam e germanis fratribus meis (binos enim habebam; unum Canonicum Regularem S. Augustini, in Societate alterum) ego quoque vellem olim imitari, an Canonicum, an vero Jesuitam? quo audito, cum nullos unquam videram, scire petii, qui qualesque homines essent Jesuitae? respondere Parentes, esse illos homines perquam insignes, qui ut alios ad Deum converbant, ad Indos & ultimas terrarum plagas abire gestiant, ubi inter immensas aerumnas & pericula, vitam tandem ipsam & sanguinem, atrocissimis excruciati tormentis, pro Christo profundant

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ich dessen ganz unwürdig bin, doch stets erfüllt hat, nämlich mich in irgend eine schwierige Mission zu senden Ich schäme mich meiner Schwäche und der Mängel meines Geistes, wenn ich sie mit den heroischen Tugenden jener Patres und Brüder vergleiche, die in verschiedenen Erdteilen zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen so Großes vollbringen und so Schweres ertragen “48 Manche Bewerber verfassten ihr Schreiben sogar mit dem eigenen Blut statt normaler Tinte, um ihren Oberen somit zu verdeutlichen, dass sie unbedingt für einen Einsatz in den überseeischen Missionsfeldern, in denen die Martyrerkrone so leicht erreichbar zu sein schien, tauglich seien49 Aus der Perspektive der Ordensleitung erwies sich das vorgegebene jesuitische Idealbild des Missions-Martyrers damit durchaus als zweischneidiges Schwert Denn in personalpolitischer Hinsicht war den Entscheidungsträgern nicht daran gelegen, die zur Verstärkung der personalschwachen überseeischen Provinzen entsandten Ordensleute gezielt zum Martyrium zu führen Pragmatisch gedacht galt es, in körperlicher wie geistiger Verfassung taugliche Männer zu gewinnen, die als Missionare die Katechese unter den Eingeborenen der neu etablierten und stetig wachsenden Missionsprojekte in Übersee leiten sollten Mit diesem „Humankapital“ musste vorsichtig und verantwortungsvoll umgegangen werden Bewerber, die ihren eigenen Tod als Martyrer suchten – und seien die Motive hierfür noch so fromm –, konnten im Sinne einer nachhaltigen Personalpolitik nicht berücksichtigt werden RESÜMEE In den konfessionellen Auseinandersetzungen des 16 Jahrhunderts reaktivierten die sich auseinanderdividierenden christlichen Nominationen die frühkirchliche Vorstellung des Martyriums als Prüfsiegel für den Wahrheitsanspruch des eigenen Bekenntnisses Während die protestantischen Kirchen ausschließlich europäische Martyrer präsentieren konnten, war das personelle Reservoir der katholischen Kirche in seiner geographischen Weite wesentlich umfangreicher Das Zeitalter der spanischen und portugiesischen Entdeckungen hatte christliche Glaubenszeugen auf allen zu der Zeit bekannten Erdteilen hervorgebracht, zum Teil handelte es sich sogar um neubekehrte Gläubige aus den für den zeitgenössischen Betrachter exotisch erscheinenden Regionen und Kulturen Auch die junge Gesellschaft Jesu benutzte Darstellungen und Berichte über Martyrer aus den eigenen Reihen zur Konstruktion eines exemplarischen Bildes vom Orden als Streiter für die Wahrheit der katholischen Kirche Auch für den Ordensnachwuchs bedeutete die Möglichkeit zum heroischen Sterben in Übersee einen besonderen Anreiz für den Eintritt in den Jesuitenorden Für die breite Streuung des Themas in der Gesellschaft nutzte der Orden Medien wie Theater, Drucke, Gemälde, Lyrik und Lieddichtung 48 Beat Amrhyn am 6 Juli 1662 aus Ingolstadt, in: Archivum Romanum Societatis Iesu, Fondo Gesuitico 754, 7: Erubesco quidem ipse tenuitatem meam et spiritus inopiam, quando illam confero cum heroicis virtutibus illorum Patrum ac Fratrum, qui in variis orbis partibus pro Dei Gloria et animarum salute tam fortia agunt, et tam dura patiuntur. 49 Nebgen, Missionarsberufungen (wie Anm  4), 147 f

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Abb. 1: „Sanguis Martyrum, Semen Christianorum“ (aus: Matthias Tanner, Societas Jesu usque ad sanguinis et vitae profusionem pro Deo et Christiana Religione militans in omnibus Mundi partibus fortitudinis sua trophaea erigit, Prag 1675, Exemplar: Mainz, Martinus-Bibliothek, I/313)

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Abb. 2: Tod des P. Petrus Suarrez (aus: Matthias Tanner, Societas Jesu usque ad sanguinis et vitae profusionem pro Deo et Christiana Religione militans in omnibus Mundi partibus fortitudinis sua trophaea erigit, Prag 1675, Exemplar: Mainz, Martinus-Bibliothek, I/313)

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Abb. 3: Hinrichtung des Belgiers Cornelius Beudin 1650 (aus: Matthias Tanner, Societas Jesu usque ad sanguinis et vitae profusionem pro Deo et Christiana Religione militans in omnibus Mundi partibus fortitudinis sua trophaea erigit, Prag 1675, Exemplar: Mainz, Martinus-Bibliothek, I/313)

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Abb. 4: Folter und Tod des Portugiesen Didacus Carvalho 1624 (aus: Matthias Tanner, Societas Jesu usque ad sanguinis et vitae profusionem pro Deo et Christiana Religione militans in omnibus Mundi partibus fortitudinis sua trophaea erigit, Prag 1675, Exemplar: Mainz, Martinus-Bibliothek, I/313)

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V IDENTITÄT UND AKTUALITÄT

MÄRTYRER IN DER PAPSTKIRCHE DES 19 JAHRHUNDERTS – KANONISATION ALS GEZIELTE KURIENPOLITIK Stefan Samerski

Historische Beatifikationen und Kanonisationen wurden und werden immer wieder als Ausdruck und Signa der zeitgenössischen Spiritualität herangezogen1 Viel zu wenig wurde dabei bislang ihre Funktion innerhalb des Selbstverständnisses der Römischen Kurie beachtet, dem die folgenden Ausführungen gewidmet sind2 Denn gerade im 19 Jahrhundert, näherhin im Pontifikat Pius’ IX (1846–1878)3, wird die päpstliche Kurie  – pauschalisierend gesagt  – mehr und mehr inhaltlich und formal zur Orientierungsgröße für die einzelnen Ortskirchen4 Die Weltkirche mutierte zur Papstkirche, was exemplarisch in den dogmatischen Beschlüssen des Ersten Vatikanischen Konzils (1869/1870) deutlich greifbar wird, etwa in den Lehrsätzen von der päpstlichen Unfehlbarkeit oder dem Jurisdiktionsprimat5 Das ist nicht zuletzt dem Ultramontanismus6, der gezielten Politik der Päpste, den stark 1

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Exemplarisch: Massimo Petrocchi, Storia della spiritualità italiana, Turin 1996; Storia della Spiritualità, vol 5: La Spiritualità cristiana nell’età moderna, hg v Costante Brovetto u a , Rom 1987 Heiligenverehrung als Ausdruck der Volksreligiosität: Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997, 333; Peter Dinzelbacher, Zur Erforschung der Geschichte der Volksreligion Einführung und Bibliographie, in: Volksreligion im hohen und späten Mittelalter (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte [Görresgesellschaft], NF 13), hg v dems u Dieter R Bauer, Paderborn 1990, 9–27 Vor allem: Global-Player der Kirche? Heilige und Heiligsprechung im universalen Verkündigungsauftrag, hg v Ludwig Mödl u Stefan Samerski, Würzburg 2006, 9 Umfangreichstes Standardwerk zur Person und zum Pontifikat: Giacomo Martina, Pio IX, 3 Bde (Miscellanea Historiae Pontificiae 38, 51, 58), Rom 1974–1990; Christian Schaller, Papst Pius IX begegnen, Augsburg 2003; Stefano Trinchese, Pio IX Mythos und Geschichtsschreibung, in: Eigenbild im Konflikt Krisensituationen des Papsttums zwischen Gregor VII und Benedikt XV , hg v Michael Matheus u Lutz Klinkhammer, Darmstadt 2009, 178–186 Stefan Samerski, Kanonisation und Identität – wie die Kurie die ‚Katholizität‘ der Kirche entdeckte, in: Global-Player (wie Anm  2), 157–177 Dazu kurz: Klaus Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit, Bd  II, Düsseldorf 2003, 86–95 Ausführlich zum Konzil: ders , Vaticanum I, 3 Bde, Paderborn 1992–1994 Zur antimodernen und strikt romtreuen Ausrichtung innerhalb der deutschsprachigen und niederländischen Katholiken: Ultramontanismus Tendenzen der Forschung (Einblicke Ergebnisse  – Berichte  – Reflexionen aus Tagungen der Katholischen Akademie Schwerte 8), hg v Gisela Fleckenstein u Joachim Schmiedl, Paderborn 2005; Rudolf Lill, Der Ultramontanismus Die Ausrichtung der gesamten Kirche auf den Papst, in: Kirche im 19 Jahrhundert (Themen der Katholischen Akademie in Bayern), hg v Manfred Weitlauff, Regensburg 1998, 163–185

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verbesserten Verkehrs- und Kommunikationswegen und den kolonialpolitischen Gegebenheiten geschuldet Vor dem Hintergrund dieser neuen politischen, gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Rahmenbedingungen wurde die alte, urkirchliche Idee des Martyriums innerhalb der Kirche zu neuem Leben erweckt, was im Anschluss holzschnittartig aufgezeigt werden soll War in der Zeit der Gegenreformation und des Barock der Märtyrer geradezu en vogue, was sich besonders deutlich anhand von Translationen von Katakombenheiligen und Jesuitendramen mit all ihren Folgeerscheinungen ablesen lässt7, so setzte im 18 Jahrhundert eine konsequente Neubesinnung ein, die vor allem durch die Sanktionsgewalt der Päpste hervorgerufen wurde8 Urban VIII (1623–1644)9, der zwar noch selbst eifrig Märtyrer beatifizierte und kanonisierte, hatte die kultische Verehrung von Kandidaten sehr restriktiv und ausschließlich als päpstliches Instrument der Volksfrömmigkeit geregelt Etwa 100 Jahre später kam auch der Export von Katakombenheiligen, die man als frühchristliche Märtyrer Roms verehrte, zum Erliegen, da die päpstliche Kurie seit 1730 keine entsprechenden Indulte mehr ausgab10 Der Zenit des barocken Märtyrerbooms war damit längst überschritten Auch die Statistik der Beatifikationen und Kanonisationen belegt dies deutlich: Zwischen 1588 und 1767 wurden nur zwei Blutzeugen heiliggesprochen (Johannes von Nepomuk 1729; Fidelis von Sigmaringen 1746)11 Unter Benedikt XIV (1740–1758) wurde diese Praxis noch stärker reglementiert und damit ganz erheblich eingeschränkt12 Mit dem bedeutenden Rechtsgelehrten Prosper Lambertini bestieg 1740 nämlich ein fundierter und anerkannter Fachmann den Stuhl Petri, der schon als Erzbischof von Bologna und Kardinal ein umfassendes Grundlagenwerk über die Selig- und Heiligsprechung der Kirche verfasst hatte, 7

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Andrea Polonyi, Römische Katakombenheilige  – Signa authentischer Tradition Zur Wirkungsgeschichte einer Idee in Mittelalter und Neuzeit, Römische Quartalschrift 89 (1994), 245–259; Andreas Holzem, Katakomben und katholisches Milieu Zur Rezeptionsgeschichte urchristlicher Lebensformen im 19 Jahrhundert, Römische Quartalschrift 89 (1994), 260– 286, hier 261; Angenendt, Heilige und Reliquien (wie Anm  1), 250 In der Neuzeit kam dem Papst nicht nur in dogmatischen Fragen ein Deutungsmonopol zu, sondern auch in der Steuerung der Frömmigkeit mittels Kanonisation und Beatifikation Rosa spricht von einer „regolata devozione“: Mario Rosa, Prospero Lambertini tra ‚regolata devozione‘ e mistica visionaria, in: Finzione e santità tra medioevo ed età moderna, hg v Gabriella Zarri, Turin 1991, 521–549 Zu seiner Reform des Heiligsprechungsverfahrens: Marcus Sieger, Die Heiligsprechung Geschichte und heutige Rechtslage (Forschungen zur Kirchenrechtswissenschaft 23), Würzburg 1995, 96–105 Kurz: Stefan Samerski, ‚Wie im Himmel, so auf Erden‘? Selig- und Heiligsprechung in der Katholischen Kirche 1740 bis 1870 (Münchener kirchenhistorische Studien 10), Stuttgart 2002, 70–73 Polonyi, Römische Katakombenheilige (wie Anm  7), 254, 256 Edgar Harvolk, ‚Volksbarocke‘ Heiligenverehrung und jesuitische Kultpropaganda, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hg v Peter Dinzelbacher u Dieter R Bauer, Ostfildern 1990, 262–278, hier 271 Zum Pontifikat immer noch: Marco Cecchelli, Benedetto XIV (Prospero Lambertini) Convegno internazionale di studi storici sotto il patrocinio dell’Archidiocesi di Bologna Cento 6–9 dicembre 1979, 2 Bde, Cento 1981–1982 Zu seiner Kanonisationspraxis: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 74–77, 85–106

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das bis ins 19 Jahrhundert hinein als unumstößliche Autorität für die Verfahren galt13 Die Messlatte für die Anerkennung eines Martyriums legte er nun so hoch, dass sie kaum noch zu überspringen war14: Im Prozessverfahren der zuständigen Ritenkongregation wurde ein zweifelsfreier und eindeutiger Nachweis des Martyriums ex parte tyranni et in odium fidei gefordert, wodurch der genaue Tathergang und der Zeitkontext zu entscheidenden Kriterien wurden Ferner spielten nun die Disposition und das Verhalten des Kandidaten eine wichtige Rolle: Er musste vor dem gewaltsamen Tod beichten und kommunizieren, sonst lag eine Geringschätzung der Sakramente vor War das nicht möglich, musste dies im Verfahren eigens nachgewiesen werden Nachweise waren ebenso nötig, wenn es um das Blutzeugnis selbst ging: Provozierendes Sich-Anbieten oder kurzfristige Annahme des Todesschicksals reichten nicht aus Vielmehr verlangte die Kongregation ein kontinuierliches und geduldiges Ausharren des Kandidaten bis zum Letzten Eine bloß habituelle Zustimmung wurde nicht akzeptiert; Benedikt XIV forderte außerdem hinsichtlich eines freiwilligen Todesgeschicks des Blutzeugen persönliche Worte und äußere Zeichen, die in der päpstlichen Behörde geprüft werden mussten Da sich Martyrien zumeist außerhalb oder am Rande des christlichen Einzugsbereichs ereigneten, war die Beschaffung solcher Dokumentationen verständlicherweise schwierig, wenn nicht sogar unmöglich Angesichts dieser nahezu unüberwindlichen Hürden bat bereits im November 1740 der Postulator der Causa des polnischen Jesuitenmärtyrers Andrzej Bobola (1591–1657)15 den Papst signifikanterweise, die Prüfung des Martyriums grundsätzlich zu vereinfachen und abzukürzen16 Obgleich der Pontifex immer wieder mit Indulten und Dispensen in das Prozessverfahren des Bobola persönlich eingriff, kam diese Causa, die mit immerhin 400 Wundern aufwarten konnte, 1755 zum Erliegen Ähnlich versandeten die übrigen, nicht sehr zahlreichen Märtyrerverfahren des 18 Jahrhunderts17 Das beginnende 19 Jahrhundert war dann vor allem von zwei relevanten Faktoren geprägt: Die von der katholischen Kirche traumatisch erfahrene Französische Revolution mit ihrer kirchenfeindlichen Aktivität18 und der Unmenge an blutigen Glaubenszeugnissen sowie die nach 1820 intensiv wiedereinsetzende Missionsbewegung, die nun auch die entlegensten Regionen der Welt erfasste19 Flankiert wurden diese beiden Faktoren von einer breit rezipierten literarischen Produktion, die sich mit dem Märtyrertum auseinandersetzte – nicht nur mit dem der Urkirche, 13 14 15 16 17 18 19

Benedikt XIV , De servorum Dei beatificatione et beatorum canonizatione […], Padua 1734– 1743 Zum Folgenden vgl zusammenfassend: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 376–377 Celestino Testore, Andrea Bobola, in: Bibliotheca Sanctorum, Bd  3, Rom 1963, 1153–1155 Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 377 Dazu ausführlicher: ebd 378–382 Ausführlich: Pratiques religieuses, mentalités et spiritualités dans l’Europe révolutionnaire (1770–1820), hg v Bernard Plongeron, Turnhout 1988 Stefania Nanni, Il Mondo nuovo delle missioni (1792–1861), in: Santi, culti, simboli nell’età della secolarizzazione (1815–1915), hg v Emma Fattorini, Turin 1997, 401–427, hier 402–412

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sondern auch mit Blutzeugnissen der letzten Jahrhunderte in Fernost20 Signifikanterweise wurden die Verfahren der Märtyrercausen in den zwanziger Jahren des 19 Jahrhunderts zaghaft wiederbelebt Große Fortschritte und Erfolge waren damals noch nicht zu erwarten Der entscheidende Impuls kam, wie so oft in der Kirchengeschichte, von außen: Die koloniale Expansion Europas mit ihrer verkehrstechnischen und wirtschaftlichen Erschließung eröffnete der katholischen Mission weite, zum Teil bis dahin unbekannte Gebiete Kurz nach dem Wiener Kongress 1814/1815 (wieder-)eröffnete vor allem Frankreich etliche Missionsinstitute, die die Evangelisierung des Fernen Ostens trugen21 Auch dieser christliche Aufbruch wurde von einer literarischen Produktion begleitet, die die missionarische Dimension der christlichen Botschaft nicht nur wiederentdeckte, sondern auch popularisierte Zu denken ist an die Werke von François-René Chateaubriand (1768– 1848), Denis Chaumont (1752–1819) und Joseph-Marie de Maistre (1753–1821)22 Besonders unter Gregor XVI (1831–1846), der bereits als Kardinal die Missionskongregation der Römischen Kurie, die Propaganda Fide, geleitet hatte, ist ein bedeutender Aufschwung des Missionswesens in nahezu allen Teilen der Welt festzustellen23 Mit ihm begann eine neue Ära der Missionsgeschichte Dieses bislang ungekannte weltweite Ausgreifen der Kirche darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese sich in Europa nach Französischer Revolution, napoleonischer Herrschaft und Säkularisation in der Defensive befand Die Restauration stellte zwar weitgehend ihre Lebensgrundlagen und ihren äußeren Status wieder her, doch waren die politischen Umwälzungen und gesellschaftlichen Veränderungen nach 1815 immer noch deutlich zu spüren Dazu blies der Kirche der Gegenwind des Liberalismus über das ganze 19 Jahrhundert hinweg in politischer, wirtschaftlicher und philosophisch-theologischer Hinsicht mitten ins Gesicht24 In dieser höchst ambivalenten Situation erlitt der Apostolische Vikar von Szechwan in Indochina25, Jean Gabriel Taurin Dufresse MEP (1750–1815), den Märtyrertod26 Pater Dufresse war Ende 1775 nach Indochina gesandt worden, 20 Vor allem die Schriften des Alfonso de’ Liguori Dazu zusammenfassend: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 383 21 Nanni, Il Mondo nuovo delle missioni (wie Anm  19), 402–405 22 Dazu: Jean Guennou, Floraison missionnaire dans les persécutions: les Missions d’Indochine au xixe siècle, in: Sacra Propaganda Fide memoria rerum, Bd  3/1, hg v Josef Metzler, Rom u a 1975, 461–475, hier 462–464 23 Immer noch lesenswert: Josef Schmidlin, Gregor XVI als Missionspapst (1831–1846), Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 21 (1931), 209–228; Josef Metzler, Präfekten und Sekretäre der Kongregation im Zeitalter der neueren Missionsära (1818– 1918), in: ders , Sacra Propaganda (wie Anm  22), 30–66, hier 35–37 24 Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit (wie Anm  5), 28–36 25 Zur Situation und dem Tiefstand der Missionsaktivität jener Jahre kurz: Bernard Plongeron, Ein schwieriger Wechsel innerhalb der Missionierung im abgeschlossenen China (1770– 1840), in: Die Geschichte des Christentums Religion – Politik – Kultur, Bd  10: Aufklärung, Revolution, Restauration (1750–1830), hg von dems u a , Freiburg i Br u a 2000, 145–152, hier 152 26 Zur Person und Causa zuletzt: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 347–348

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wo ihm der nördliche Teil des Distrikts Szechwan übertragen wurde 1803 hatte er dort eine zukunftsweisende Diözesansynode abgehalten, die in Rom nicht nur mit allgemeiner Anerkennung approbiert, sondern wegen ihrer Missionsstrategie auch von der Propaganda Fide exemplarisch mehrfach publiziert worden war27 Das blutige Ereignis rief in Rom Entsetzen und Hochachtung vor dem Blutzeugnis hervor Ungewöhnlich deutlich strich Pius VII (reg 1800–1823) im Konsistorium von 1816 die Leiden und den glorreichen Tod des Apostolischen Vikars28 heraus Dieser noch verhaltene Auftakt entwickelte sich unter Gregor XVI allmählich zu einem veritablen Trend in der Beatifikationspraxis der Römischen Kurie, da nun verstärkt Märtyrer und Glaubensboten aus Fernost auf den Weg zur Seligsprechung gebracht wurden, und zwar durch die Propaganda Fide29 Das bedeutete ein völliges Novum! Weitere Nachrichten von Gräueln und Verfolgungen in Fernost lieferten 1831 neue Nahrung, so dass man im Frühjahr 1832 in der Propaganda-Kongregation die Möglichkeit ventilierte, die ostasiatischen Märtyrer in einer vorbildhaften Weise – man wusste offensichtlich noch nicht wie – herauszustellen30 Doch schon ein Jahr später schien man ernsthaft an eine Seligsprechung gedacht zu haben Hinzu kam noch eine wunderbare Heilung im Jahre 1837, die an der Kurie den Blick für die Märtyrercausa schärfte31 Weitere Massaker an Missionaren, Katecheten und einfachen Gläubigen in Tonkin wurden in Rom zu hektographierten Berichten verarbeitet und in ganz Italien verbreitet, wo sie „allgemeine Bestürzung und Erbauung“32 hervorriefen Als dann die Römische Kurie 1838 die Nachricht von heftiger werdenden Christenverfolgungen und dem grausamen Tod des Dominikanerbischofs Clemente Ignacio Delgado y Cebrian (1762–1838)33 und seines Koadjutors erhielt, geriet die Sache definitiv in Bewegung Die fernasiatische Märtyrerkirche hatte eine bisher nicht dagewesene geistige Präsenz an der Kurie erreicht, die die bislang nahezu unerreichbare kultische Anerkennung von Martyrien wesentlich beförderte34 27

Josef Metzler, Die Synoden in China, Japan und Korea 1570–1931 (Konziliengeschichte, Reihe A), Paderborn u a 1980, 43–67 28 „Passione e la gloriosa morte del Vicario Apostolico“; zitiert nach: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 348 29 Ebd 384–387 30 Aufgrund des chinesischen Edikts vom 6 1 1831 gingen die staatlichen Behörden in Kotschinchina und Tonkin gegen Gläubige und Missionare vor Schon im Frühjahr 1831 erreichten Berichte über neue Martyrien Paris und Rom Vgl dazu: ebd 350 31 Auf Fürsprache von Bischof Dufresse trat in Frankreich im November 1837 eine Heilung auf: ebd 351 32 Bericht über die Martyrien in Tonkin vom November 1837 (ohne Datum) zitiert nach: ebd 33 Delgado verhungerte am 21 Juli 1838 in einem Käfig kurz vor seiner Hinrichtung Seine Seligsprechung erfolgte im Mai 1900 Zu ihm: Sadoc M Bertucci, Ignazio Delgado, in: Bibliotheca Sanctorum, Bd  4, Rom 31995, 542–543 34 Gregor hatte beispielsweise 1838 für das chinesische Kaiserreich neue Apostolische Vikariate eingerichtet; Celso Costantini, Gregorio XVI e le missioni, in: Gregorio XVI Miscellanea commemorativa, Bd  2, Rom 1948, 1–28, hier 24–25 Zusammenfassend dazu: Stefan Samerski, Far-East Mission and Global Awareness of the Catholic Church in the 19th Century, in: Proceedings of the CISH Conference, 3–9 July 2005: 20th International Congress of Historical Sciences, Sydney 2005, 34–48

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Weitere Verfolgungen und neue authentische und detaillierte Materialien aus China lösten dann in Rom ein entschiedenes päpstliches Vorgehen aus: Seit dem Frühjahr 1840 bemühte sich der Kardinalpräfekt der Ritenkongregation, eine Congregatio particularis für die chinesischen Causen einzurichten, um die Vielzahl von prozessualen Problemen gebündelt diskutieren und verfahrenstechnisch leichter bewältigen zu können35 Eine solche Einrichtung stand ganz außerhalb des normalen Prozessverfahrens und ist daher als außerordentliches Interesse der Kurie zu werten36 Unterstützung erhielt der Präfekt vom Papst, der im Konsistorium Ende April 1840 nicht nur das Bemühen des Kardinals unterstützte, sondern vor allem in formaljuristischer Hinsicht den Weg zur Seligsprechung ebnete: In seiner Ansprache vor den Purpurträgern ging Gregor XVI auf das Sterben der Missionare als Märtyrertod ein und nannte sie Heroen des katholischen Glaubens Die bislang eingegangenen Berichte und Dokumente qualifizierte der Pontifex als testimonia satis idonea37, um das Martyrium der Kandidaten zu approbieren Er verzichtete sogar auf den allgemein üblichen Processus Ordinarius, also den Prozess im Bistum bzw Vikariat Eine Bittschrift der Propaganda Fide, die formaljuristisch der Actor des Beatifikationsverfahrens war38, legte im Mai 1840 den Gesamthorizont der neuen Causa offen: Gegenüber allen Nichtchristen sei es „immer eine lobenswerte Pflicht der Heiligen Kirche gewesen, das Andenken der Märtyrer zu ehren als Triumph unserer Religion“39 Das Papier führt aus, dass es „in unseren Tagen von herausragender Bedeutung ist, vor dem gesamten Erdkreis zu dokumentieren, dass im Schoß der Katholischen Kirche stets Helden sind […], die den Tod nicht scheuten, um die heiligste Religion rein zu halten“40 Vor diesem apologetischen Hintergrund wurde der Delgado-Prozess bereits im Juni eröffnet Damit war der Märtyrergedanke von höchster kirchlicher Stelle nicht nur rehabilitiert, sondern geradezu zum Signum des wahren Christen avanciert, der viel weniger seinen Glauben als angesichts des Gegenwinds von Liberalismus und Laizismus seine Kirche verteidigen sollte – so sah man es zumindest in Rom! Eine Aufwertung des Missionsgedankens war ebenfalls intendiert, kann aber hier beiseite bleiben Er wurde zum Vehikel für die neu35 36

Auch zum Folgenden: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 354 Zum Prozessverfahren und seiner historischen Entwicklung: Sieger, Die Heiligsprechung (wie Anm  9), 14–206; kurz: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 61–77 37 Angesichts der äußerst schwierigen Materialbeschaffung aus Übersee, die bisher zur Anerkennung eines Martyriums notwendig gewesen war, bedeutete diese Qualifizierung der bereits vorliegenden Dokumentation einen gewaltigen Schritt nach vorn Die Allokution des Papstes fand am 27 April 1840 statt: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 354 38 Der Actor einer Causa strengt die entsprechenden Prozesse an, bestellt einen Postulator, betreut die Causa und finanziert sie auch Dazu: Sieger, Die Heiligsprechung (wie Anm  9), 77–78, 121, 269–271 39 „Come sempre è stata una lodevole premura della Chiesa Santa di onorare la memoria dei Martiri […] per ricordare i trionfi della Religione nostra“, Supplik der Propaganda zitiert nach: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 355 40 „ai dì nostri, nei quali troppo importa il giustificare all’Orbe Universo, che nel grembo della Cattolica Chiesa sonovi sempre Eroi che tutto dispregiano […] e la istessa morte per conservare illibata quella Religione Santissima“: zitiert nach ebd

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bewertete Märtyreridee, die nicht nur an der Römischen Kurie präsent war, sondern durch religiöses Schriftgut in kürzester Zeit auch Breitenwirkung erzielt hatte41 Breitenwirkung auch in den Missionsterritorien: Bis April 1843 gingen in der zuständigen Ritenkongregation Anträge mit insgesamt 55 neuen Kandidaten ein, was zweifellos in Rom mehr Verwirrung als Fortschritt bedeutete42 Der große Missionspapst Gregor XVI dispensierte jedoch, wo er nur konnte, um die immer noch sehr zahlreichen lambertinischen Barrieren für die Anerkennung des Martyriums aus dem Weg zu räumen Trotz aller päpstlicher Gunst und Förderung galt es immer noch, zahlreiche Hürden zu nehmen, da selbst die Atmosphäre an der Kurie noch nicht reif für die neuentdeckte Idee war Der Postulator der Causa des Jan Sarkander (1576–1620)43 – eines mährischen Märtyrers der Gegenreformation, von dem noch die Rede sein wird – brachte es in jenen Jahren prägnant auf den Punkt: „Dem Mann kommt höchste Ehre zu, die Märtyrercausa ist in unseren Zeiten jedoch ungewöhnlich “44 Ein Durchbruch konnte erst unter Gregors Nachfolger Pius IX erzielt werden Aus der Retrospektive lässt sich erkennen, dass Pius Missionscausen noch zielstrebiger und entschiedener protegierte als sein Vorgänger45 Außerdem beobachtet man bei ihm eine ausgeprägte Aufmerksamkeit für weltkirchliche und politische Fragen46 Unter Pius IX kamen nicht nur die ostasiatischen Causen zügig voran, sondern auch die im 18 Jahrhundert liegengebliebenen Märtyrerprozesse wurden nun energisch zum Abschluss gebracht, nachdem es für Andrzej Bobola und andere Kandidaten seit 1822 zaghafte Fortschritte gegeben hatte Nicht ohne Grund setzte nach der Revolution von 1848 und der Restauration des Kirchenstaates von 1850 eine breite Wieder- bzw Neuaufnahme von Märtyrerprozessen ein, so dass man in der Folge geradezu von einer Dominanz entsprechender Verfahren an der Ritenkongregation sprechen kann47 Der Papst selbst setzte sich teilweise sogar brüsk gegen die Kongregation durch: Als die Mitgieder der Ritenkongregation die für die Seligsprechung Bobolas noch erforderlichen Wunder im April 1852 zurückwiesen, zog Pius die Causa kurzentschlossen an sich und hieß drei vorliegende Mirakel für stichhaltig Die Kongregation winkte dann schon im Mai die gesamte Causa durch, so dass das Schlussdekret am 8 Juli promulgiert und Bobola selbst am 30 Oktober seliggesprochen werden konnte48 In etwas mehr als zwei Jahren wurde damit ein Verfahren abgeschlossen, das knapp 100 Jahre geruht hatte

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Dazu ausführlicher: ebd 356–359 Ebd 361 Zuletzt zu Person, Prozess und Kultgeschichte: Rudolf Grulich / Stefan Samerski, Johannes Sarkander, in: Die Landespatrone der böhmischen Länder Geschichte – Verehrung – Gegenwart, hg v Stefan Samerski, Paderborn u a 2009, 123–140 44 Brief des Postulators an den Erzbischof von Olmütz, 6 2 1838: zitiert nach: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 386 45 Dazu zuletzt: ebd 209–211 46 Martina, Pio IX (wie Anm  3), Bd  2, 357 47 Ausführlicher: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 365–369 48 Dazu: ebd 387–388

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In vergleichbaren zeitlichen Dimensionen erreichte auch der Jesuit und Märtyrer João de Brito (1647–1693)49 bereits Anfang 1852 den Status der Seligkeit Andere Jesuiten folgten, aber auch der einfache mährische Landpfarrer Jan Sarkander, der seit seinem Martyrium durch böhmische Protestanten im Jahre 1620 auf die Beatifikation wartete50 Sein Mitte 1855 wiederaufgenommener Prozess wurde Mitte 1859 erfolgreich abgeschlossen Dank Pius’ ausgeprägtem kirchenpolitischen Interesse war selbst das noch zu steigern: Im Rahmen der Märtyrereuphorie besann man sich im Vatikan plötzlich auf alte Prozessakten des 17 Jahrhunderts: Eine Gruppe von 26 Missionaren aus verschiedenen Orden hatte 1597 in Japan den Märtyrertod erlitten51 Auf die Bitte der Franziskanerobservanten, ihre Blutzeugen zur Ehre der Altäre zu befördern, ließ sich der Papst rasch ein: Schon am 22 August 1861 gestattete er die Aufnahme der Causa, die nur durch eine (!) Sitzung der Kongregation am 3 September erfolgreich abgeschlossen wurde, und zwar mit dem dürftigen Prozessmaterial von 1627 Ominöserweise wurde nicht einmal ein Sitzungsprotokoll angefertigt oder das Ergebnis in die Registerbände der Behörde eingetragen Am 8 September jedenfalls kündigte der Ordensgeneral die bevorstehende Heiligsprechung in einem Zirkularschreiben an die Provinzen an und bat um Geld, um die Feierlichkeit zu finanzieren52 Ein solch veritabler ‚kurzer Prozess‘ weckte verständlicherweise großes Interesse in der Nachbarschaft: Die Jesuiten besannen sich plötzlich auf ihre drei Märtyrermissionare, die gleichzeitig mit den Franziskanern in Japan umgekommen waren53 Noch bevor das Schlussdekret für die Observanten abgefasst worden war, wandte sich der Jesuitengeneral an den Papst, um die drei Blutzeugen der Gesellschaft Jesu in das Dekret über die Heiligsprechung aufzunehmen Pius entschied erwartungsgemäß positiv, doch musste wenigstens eine Kongregationssitzung mit ebenfalls alter Dokumentation abgehalten werden, und zwar am 6 März 1862 Das entsprechende Schlussdekret wurde am 25 März promulgiert, um die Jesuiten noch rechtzeitig in die große Heiligsprechungsfeier zu integrieren, die an Pfingsten 1862 stattfand Die große Feierlichkeit, die erstmals seit Jahrhunderten wieder in der Mehrzahl Märtyrer ehrte, konnte mit einem weiteren Novum aufwarten: Erstmals in der Kirchengeschichte wurde nun der Weltepiskopat eingeladen und nicht mehr nur die Bischöfe und Gläubigen Roms und aus der Umgebung, wie bislang üblich54 Damit kam nicht nur die Märtyreridee als solche hochoffiziell zu neuen, auch quantitativ sichtbaren Ehren, sondern diese wurde in den Kontext einer neuen weltkirchlichen Identität des Papsttums gestellt, die vordem undenkbar war Die Kanonisationsfeier von 1862 löste zudem einen veritablen Erdrutsch aus: In den folgenden Jahren wurde eine Vielzahl von nicht zum Abschluss gekom49

Zu Leben und Wirkungsgeschichte des Indienmissionars: Albert M Nevett, John de Britto and his times, Anand (Indien) 1980 50 Zur Beatifikation von Sarkander: Grulich/Samerski, Sarkander (wie Anm  43), 137–138 51 Dazu: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 367–368, 390 52 Ebd 368 53 Dazu: ebd 368–369 54 Zur Kanonisationsfeier von 1862 und ihrem neuen Charakter: ebd 369–370, 478–480

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menen Märtyrerprozessen aufgegriffen und in Windeseile erfolgreich erledigt Wie eng die Causen auf den Papst und sein kirchenpolitisches Programm zugeschnitten waren, lässt sich zunächst am Prozessverlauf erkennen Nicht nur, dass Pius immer wieder Erleichterungen ermöglichte, Dispensen ausgab oder schlichtweg abkürzte, er selbst setzte auch den Ponens der Causa, also den offiziellen Vertreter für den Kandidaten in der Kongregation, ein und ließ Postulatoren auswählen, was vollständig den üblichen Prozessvorschriften entgegenlief55 Hinzu kam, dass der Termin für die neue Kanonisationsfeier seit langem feststand: das Peters- und Paulsfest von 1867, also die 1800 Jahrfeier des Märtyrertodes der Apostelfürsten Dieses papalistische Großereignis wurde auch quantitativ entsprechend begangen: Geschätzte 500 Bischöfe, 14 000 Priester und etwa 130 000 Pilger aus aller Welt fanden sich auf dem Petersplatz zusammen56, um nicht nur die neuen Heiligen zu feiern, sondern auch dem Papst zuzujubeln, der sich nach dem stückweisen Verlust des Kirchenstaates immer mehr selbst als Märtyrer für die gerechte Sache fühlte Er sah sich sowohl im Kampf gegen die Häresien seiner Zeit, die er im Syllabus errorum57 von 1864 verurteilt hatte, als auch in einer militärisch-politischen Auseinandersetzung mit dem liberal-laizistischen Staat vor der eigenen Haustür, der 1870 sogar Rom besetzte58 Der urkirchliche Märtyrer musste für Pius IX geradezu ein Spiegelbild seiner eigenen Situation und damit der des Papsttums und der Kirche als solcher abgeben Das alles wird noch deutlicher, wenn man sich die 1867 kanonisierten Figuren näher anschaut: Mit Pedro de Arbues (1441–1485) wurde der erste Inquisitor Aragons als Märtyrer heiliggesprochen, der die Inquisition im iberischen Teilstaat eingerichtet und schlussendlich zum Erfolg geführt hatte, nachdem er 1485 durch Mörderhand  – die Kurie identifizierte sie mit der eines Juden59 – blutig ums Leben gekommen war60 Damit stand diese Causa für radikale Glaubensstrenge, Abwehr von Häresien und für einen antisemitischen Affekt an der Kurie, die die von Juden durchsetzte Freimaurerei als Strippenzieher hinter der italienischen Einigungsbewegung vermutete61 Mit der in den Prozessakten

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Detailliert dazu: ebd 390–394 Zur Kanonisation und Zentenarfeier von 1867: Martina, Pio IX (wie Anm   3), Bd   2, 39; Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 137–138, 370–372 57 Dazu zuletzt: Hubert Wolf, Der ‚Syllabus errorum‘ (1864): Sind katholische Kirche und Moderne unvereinbar?, in: Die Kirche (wie Anm  6), 115–139 58 Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit (wie Anm   5), 75–77; Giacomo Martina, Storia della Chiesa da Lutero ai nostri giorni, vol 3: l’età del liberalismo, Brescia 1995, 227–252; Harry Hearder, Italy in the Age of the Risorgimento 1790–1870, London/New York 1983 59 Zum Verhältnis von Pius IX und den Juden sowie der Freimaurerei vgl ausgewogen und ausführlich: Rosario F Esposito, Pio IX La Chiesa in conflitto col mondo La S  Sede, la Massoneria e il radicalismo settario, Rom 1979 60 Zu der Inquisition in Aragon und der Bluttat von Zaragoza: Angel Alcalá Galve, Los origenes de la inquisición en Aragón: S  Pedro Arbués, mártir de la autonomia aragonesa, Zaragoza 1984; kritisch: Benzion Netanyahu, The origins of the Inquisition in Fifteenth Century Spain, New York 1995 61 Martina, Pio IX (wie Anm   3), Bd   3, 436 Zum Kanonisationsprozess vgl ausführlich: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 156–169

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immer wieder vorkommenden Formulierung Synagoge des Satans klingen apokalyptische Dimensionen an62 So ist Pius’ Pontifikat gerade auch im Bereich der Selig- und Heiligsprechung häufig von päpstlichen Redewendungen und Begrifflichkeiten durchsetzt, die in Schwarz-Weiß-Malerei den endzeitlichen Kampf zwischen Gut und Böse beschwören Weiterhin wurden 1867 19 Märtyrer aus dem niederländischen Gorkum kanonisiert, die von Protestanten verleumdet, misshandelt und 1572 grausam ermordet wurden63 Auch hier bildete die Bluttat den Höhepunkt des niederländischen Aufstands unter der Führung des Hauses Oranien, der durch die Kanonisation ins Gegenteil verkehrt werden sollte Schon 1840 schrieb eine niederländische katholische Zeitschrift, eine mögliche Heiligsprechung sei als Racheakt für die Erbschaft der Väter zu verstehen64 Dementsprechend musste Rom auch den zuständigen Bischof von Haarlem kurz vor 1863 über den wahren Hintergrund der Causa informieren, da dieser vorher keinerlei Interesse an der Kanonisation zeigte65 Die politische Dimension der Causa Gorcum wie auch ihre antiprotestantische Stossrichtung sind unverkennbar Diplomatische Verwicklungen waren daher unvermeidlich, die Pius billigend in Kauf nahm: Schon vor der Kanonisation meldete der Internuntius aus den Benelux-Staaten, eine solche Würdigung der Märtyrer von Gorkum werde vor Ort als Attentat auf die nationale Ehre der Niederländer und ihres Königshauses verstanden66 Wie dicht die Märtyrer von 1867 auf den Papst und sein kirchenpolitisches Programm ausgerichtet wurden, zeigt wohl am deutlichsten die Causa des Josaphat Kuncewycz (ca 1580–1623), der aus einem ukrainischen orthodoxen Kontext stammte, auf Anraten der Jesuiten der kurz zuvor geschlossenen Union von Brest67 beitrat, Basilianer wurde und als Erzbischof von Polozk durch Predigten und Schriften intensiv für den Unionsgedanken mit Rom warb68 Er wurde von einer aufgewiegelten orthodoxen Volksmenge in Vitebsk 1623 grausam misshandelt und umgebracht Nach diesem Attentat avancierte Vitebsk zum Zentrum der unierten Ruthenen Diesen Blutzeugen, der im 17 Jahrhundert als Exponent der Union mit der lateinischen Kirche verehrt wurde, instrumentalisierte der Vatikan um 1864 zum Verfechter der päpstlichen Primatsidee, die im Ersten Vatikanischen Konzil festgeschrieben und dogmatisch verankert werden sollte Die Kurie tat dies mit 62

Die Wendung ist in der Geheimen Offenbarung des Johannes zu finden Zum Vokabular in den Prozessakten: ebd 166–168 63 Zu den Martyrien und der Causa Gorcumensis vgl ausführlich: ebd 391–393 64 Johannes Petrus De Valk, Roomser dan de paus? Studies over de betrekkingen tussen de Heilige Stoel en het Nederlands katholicisme 1815–1940, Nijmegen 1998, 158 65 Ebd 66 Ebd 163 67 Die Kirchenunion der Metropole von „Kiev und ganz Ruthenien“ mit ihrem byzantinisch-slawischen Ritus wurde 1595 geschlossen und auf der Synode von Brest 1596 bestätigt: Sophia Senyk, The Background of the Union of Brest, Rom 1994 68 Grundlegend und detailliert: Athanasius Welykyj, S   Josaphat Hieromartyr, 3 Bde, Rom 1952–1967; Erika Unger-Dreiling, Josafat, Vorkämpfer und Märtyrer für die Einheit der Christen, Wien/Heidelberg 1960

Märtyrer in der Papstkirche des 19 Jahrhunderts 

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einem Hinweis auf Josaphats Katechismus, in welchem er in einer kurzen Passage den Vicarius Christi als den definiert hatte, dem die Seelsorge über die ganze Welt von Gott übertragen wurde und keinem anderen Apostel69 Tatsächlich hatte aber Josaphat nie das Wort Primat oder vergleichbare Begriffe verwendet Die 1867 zum Abschluss gekommene Causa Josaphat bediente ganz offensiv eine papalistische Ideenwelt, aus der Pius IX sein Material für das bevorstehende Vatikanische Konzil schöpfte70 Außerdem wird deutlich, wie stark sich der Papst inhaltlich mit den Causen identifizieren konnte und identifiziert hatte Der zeitgenössische franziskanische Hagiograph Agostino da Osimo brachte es in einer Heiligenbiographie jener Tage auf den Punkt: „Die Kirche hob für ihre Helden die höchsten Ehren des katholischen Kultes für jene Tage auf, in welchen die Welt, die sich ganz den Genüssen des Fleisches und des Reichtums hingibt, wirklich angsterfüllte Abneigung gegen das Leiden und Kreuz Jesu Christi zeigt “71 Die Märtyrer aus der Zeit des Mittelalters und der Frühen Neuzeit seien es, die „sich erhoben, um den Kampf unseres Herren auf den Schlachtfeldern der Gottlosigkeit und der Barbarei aufzunehmen“72 Das war nicht allein römische Rhetorik angesichts einer Situation, die in den 1860er Jahren eine kuriale Mentalität der belagerten Festung erzeugte73, sie war oder wurde mehr und mehr zum Signum des innerkirchlichen Zeitgeistes Ein solch hohes Ansehen des Martyriums, angereichert mit modernen politischen Dimensionen und urkirchlich-apokalyptischen Zügen, ist nicht nur beim Papst und seiner Umgebung nachzuweisen, sondern auch bei einem Großteil des italienischen Episkopats und weit darüber hinaus Der Bischof von Pisa etwa deutete die 205 japanischen Märtyrer, die ebenfalls 1867 seliggesprochen wurden, als Sieger, die die Kirche zu Triumphen geführt habe74 Der Postulator der mährischen Causa Jan Sarkander bewertete das Leben seines 1860 seliggesprochenen Märtyrers als Kampfesschule, die dieser gestärkt verlassen habe, um dem Feind mutig entgegenzugehen75 Selbst im fernen Asien konnte man solche urkirchlichen, martialischen Deutungsmuster wiederfinden: Zwei Vikare aus China beschrieben die bereits

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Dazu: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm   9), 147; Welykyj, Josaphat (wie Anm   58), Bd  3, 261 Auch die zeitgenössische Hagiographik ließ sich auf diese Deutung ein: Nicola Contieri, Vita di S  Giosafat, arcivescovo e martire ruteno dell’ordine di S  Basilio il Grande, Rom 1867, 325 Zur Causa Josaphat: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 138–156 Agostino da Osimo, Storia dei ventitre martiri giapponesi dell’Ordine dei Minori Osservanti detti scalzi di S  Francesco […], Rom 1862, XII: „La chiesa riserbasse a’ nostri eroi gli onori più solenne del culto cattolico proprio in questi nostri giorni, in che il mondo datosi tutto a’ godimenti della carne e delle ricchezze, mostra avversione veramente paurosa a’ patimenti ed alla croce di Gesù Cristo“ Ebd : „Sorgano  a combattere le battaglie del Signore ne’ campi della idolatria  e delle barbarie“ Schatz, Kirchengeschichte der Neuzeit (wie Anm  5), 75 Dazu: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 394–395 Francesco Liverani, Das Leben und Leiden des seligen Märtyrers Johannes Sarkander […], Olmütz 1860, 154

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erwähnten japanischen Märtyrer als milites Christi, die der Ecclesia Triumphans angehörten76 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Spätestens seit der Mitte des 18 Jahrhunderts hatten Märtyrer aufgrund der hohen Prozessvorgaben Benedikts XIV keine Chance mehr, zur Ehre der Altäre befördert zu werden Die Wertschätzung für die Idee des christlichen Blutzeugnisses entwickelte sich erst wieder im 19 Jahrhundert angesichts eines inneren und äußeren Gefährdungsbewusstseins der römischen Kirche Missionsmartyrien in Ostasien lieferten nur den Anlass für ein kuriales Umdenken in Prozessrecht und -führung Diese Entwicklung erreichte mit Pius IX ihren Höhepunkt, der nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ mit den Blutzeugnissen des Mittelalters und der Frühneuzeit etwas ganz Neues schuf: Der kanonisierte Märtyrer, der funktionalisiert die kirchenpolitische und geopolitische Situation des Papsttums widerspiegelte und das Kirchenregiment Pius’ IX flankierte Angesichts der inneren und äußeren Bedrohung war die päpstliche Antwort Apologetik in Schwarz-Weiß-Format, und zwar in Rhetorik und Vokabular Die wiederentdeckte Heiligenkategorie erfüllte vollständig diese Bedürfnisse Ihre personale Botschaft wurde unter Pius IX samt und sonders in einmaliger Weise auf die römische Identität der Papstkirche zugeschnitten

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Die Supplik von zwei Apostolischen Vikaren aus China, November 1865, findet sich paraphrasiert bei: Samerski, Wie im Himmel (wie Anm  9), 395

MÄRTYRER IN CÓRDOBA – IDENTITÄTSBILDUNG UND MARTYRIUMSVORSTELLUNGEN AUF DER IBERISCHEN HALBINSEL IM 8 –11 JAHRHUNDERT* Christofer Zwanzig

I Die Zielsetzung, am Beispiel von „Märtyrern in Córdoba“ Wechselwirkungen zwischen Identitätsbildung und Martyriumsvorstellungen auf der Iberischen Halbinsel zu untersuchen, lässt beinahe zwangsläufig an die sogenannten „freiwilligen Märtyrer von Córdoba“ denken Diese Gruppe von 49 Christen wurde in den 850er Jahren in einer Phase der Konsolidierung und kulturellen Entfaltung des muslimischen Emirats von Córdoba auf Grund von Schmähungen des Islam und des Propheten Muḥammad hingerichtet Verbunden mit Ausführungen zur Situation der Cordobeser Christen und theologischen Reflexionen schildern uns die Werke des 859 hingerichteten Cordobeser Priesters Eulogius und des gelehrten Laien Paulus Albarus († um 861) die Martyrien aus der Sicht glühender Unterstützer1 In ihren Texten hoben beide Autoren insbesondere die Märtyrer hervor, die durch öffentliche antimuslimische Predigten ihre Hinrichtung willentlich gesucht hatten, und forderten nachdrücklich zu deren Verehrung auf Da die von Eulogius und Albarus geschilderten Ereignisse weder in der lateinischen noch in der arabischen Historiographie des Mittelalters Niederschlag fanden, sind die Texte der beiden Autoren zugleich unsere Hauptzeugnisse für die Reaktionen auf die von ihnen zur Bewegung stilisierten Martyrien Schenkt man den Texten Glauben, so begriff die muslimische Obrigkeit die Gefahr eines radikalisierten Christentums und reagierte mit Repressionen Unterstützer der Märtyrer wurden verhaftet2; durch weitere Maßnahmen wie die Verbrennung der Märtyrerleiber oder deren Vernichtung im Fluss Guadalquivir sollte die Entstehung eines identitätsstif-

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Der Aufsatz entstand im Teilprojekt „Die Mozaraber Kulturelle Identität zwischen Orient und Okzident“ im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“ Vgl Albarus von Córdoba, Indiculus luminosus, ed Juan Gil Fernández, in: Corpus scriptorum Muzarabicorum (Manuales y anejos de „Emerita“ 28), hg v dems , 2 Bde, Madrid 1973, Bd  1, 270–315; Albarus von Córdoba, Vita vel passio beatissimi presbiterii Eulogii, ed ders , in: ebd 330–344; Eulogius, Memoriale Sanctorum, ed ders , in: Corpus scriptorum Muzarabicorum, Bd  2, 365–459; Eulogius, Liber Apologeticus Martyrum, ed ders , in: ebd 475–495; Eulogius, Documentum Martyriale, ed ders , in: ebd 459–475 Vgl insbesondere ebd ep I, 459, Z 3–6

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tenden Reliquienkultes unterbunden werden3 Offenbar konnte die muslimische Obrigkeit in ihrem Vorgehen auch auf innerchristliche Unterstützung bauen: So wurden teils die Aufbewahrungsorte von Märtyrerreliquien verraten4 Zudem wandten sich insbesondere kirchliche Würdenträger gegen die aus ihrer Sicht teils unverhältnismäßig aggressiven Provokationen, die sämtliche Repressionen gegen die Christen überhaupt erst hervorgerufen hätten5 Wie Albarus und Eulogius ausführen, beriefen sich die Kritiker auf die Heilige Schrift und lehnten das Vorgehen der neuen Blutzeugen etwa mit Verweis auf das Gebot der Feindesliebe ab6 Vor allem aber wurde das Beispiel frühchristlicher Blutzeugen herangezogen: Die Hervorhebung von Unterschieden zu früheren Verfolgungssituationen und Glaubensgegnern aber auch der Verweis auf die kurzen Todesqualen und das weitestgehend ausbleibende Wunderwirken in der Hinrichtungssituation erlaubte es den Kritikern, die Singularität der Cordobeser Situation herauszustellen und den Hinrichtungen den Wert eines Martyriums abzusprechen7 Auch außerhalb des zeitgenössischen Kontextes wurden die von Eulogius und Albarus geschilderten Martyrien offenbar nur zurückhaltend rezipiert: Von den Hauptwerken des Albarus und des Eulogius ist auf der Iberischen Halbinsel jeweils nur eine mittelalterliche Abschrift bekannt, lediglich die Texte des Albarus sind heute noch handschriftlich erhalten8 Sieht man von wenigen Ausnahmen ab, 3

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Vgl dazu die zahlreichen Berichte in den Einzelpassiones, etwa Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I c 11, 378; Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), c 32, 492 und c 35, 494 Auch Aimoin berichtet vom Verbot, die Märtyrer zu verehren (Aimoin von Saint-Germainde-Prés, De Translatione martyrum Georgii monachii, Aurelii et Nathaliae, in: Patrologia latina, Bd  115, Paris 1852, 939–960, lib I, c 11, 946, Abs  A) Dennoch bleiben diese Aussagen widersprüchlich, scheinen doch Reliquientranslationen durchaus möglich gewesen zu sein (Eulogius, Liber apologeticus [wie Anm  1], c 34, 493 f ; vgl auch Kenneth Baxter Wolf, Christian Martyrs in Muslim Spain [Cambridge Iberian and Latin American Studies History and Social Theory], Cambridge 1988, 12) Vgl Samson, Apologeticum contra perfidos, ed Juan Gil Fernández, in: Corpus scriptorum Muzarabicorum (wie Anm  1), Bd  2, 505–658, praef , § 5, 551 Dieser Kritik entgegnen Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 21, 385 ff ; Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm  1), c 16, 469; Albarus, Indiculus (wie Anm  1), c 4, 276 f und c 14, 286 f Vgl Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 18, 382 f Vgl beispielsweise Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), 385–387, lib I, c 21; Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), 481–483, c 12  Dazu auch Christofer Zwanzig, Der Kontakt zwischen Christen und Muslimen auf der Iberischen Halbinsel im Spiegel hagiographischer Quellen des 8 –11 Jahrhunderts, in: Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter (Europa im Mittelalter 11), hg v Michael Borgolte, Julia Dücker, Marcel Müllerburg u Bernd Schneidmüller, Berlin 2011, 23–41, hier 35 f Vgl dazu die editorischen Vorbemerkungen im Corpus Scriptorum Muzarabicorum (wie Anm  1) Zum umstrittenen Entstehungskontext der Handschrift 123 des Archivo Capitular de la Catedral de Córdoba mit den Werken des Albarus vgl J Mellado Rodríguez, Paulus Albarus Cordubensis, in: La trasmissione dei testi latini del Medioevo (Te Tra 1), hg v Paolo Chiesa, Firenze 2008, Bd  1, 340–348, hier 341–347 Nur die Vita Eulogii des Albarus ist noch eigenständig überliefert (Biblioteca Nacional de España, Madrid, Ms 10029)

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so erinnerten weder das berühmte Kalendar von Córdoba9 noch die im Norden der Iberischen Halbinsel überlieferten Kalendare an die von Eulogius verherrlichten Märtyrer10 Für das  – diesem Befund entsprechende  – weitestgehende Fehlen von Reliquien dürfte nicht allein die bei Eulogius beschriebene Vernichtung zahlreicher Märtyrerleiber ausschlaggebend gewesen sein: Während ein aus dem 16 Jahrhundert überlieferter Bericht die Reliquien des Eulogius und der Leocritia als so wichtig erachtete, dass ihre Translation in die asturische Reichshauptstadt Oviedo der Initiative König Alfons’ III zugeschrieben wurde11, fehlen zeitgenössische Belege für das Ereignis12 Lediglich um die Gebeine der in Huesca hingerichteten Märtyrerinnen Nunilon und Alodia sowie der drei Cordobeser Blutzeugen Georgius, Aurelius und Natalia entwickelte sich außerhalb Córdobas ein Kult13 Grundlage für die Verehrung Nunilons und Alodias bildete dabei nicht die von Eulogius überarbeitete, ins Memoriale Sanctorum aufgenommene Passio (BHL 6252), sondern die ursprüngliche, im 9 Jahrhundert wohl unabhängig vom Cordobeser Kontext 9

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Vgl Le Calendrier de Cordove Nouvelle éd , accompagnée d’une trad française annotée par Charles Pellat (Medieval Iberian Peninsula 1), hg v Reinhart Pieter Anne Dozy, Leiden 1961 zusammen mit der Übersichtstabelle in Bonnie Effros, Usuard’s Journey to Spain and its Influence on the Dissemination of the Cult of the Cordovan Martyrs, Comitatus A Journal of Medieval and Renaissance Studies 21 (1990), 21–37, hier 30, Tabelle 1  Aus einer knappen Notiz erfahren wir außerdem, dass die Reliquien des Eulogius offenbar im 10 Jahrhundert in der Basilika San Zoilo erhoben wurden (vgl Patrologia latina [wie Anm  3], Bd  115, 722) Vgl José Vives Gatell / Ángel Fábrega Grau, Calendarios hispánicos anteriores al siglo XII, Hispania sacra Revista española de historia eclesiástica 2 (1949), 119–146, 339–380 zusammen mit der Übersichtstabelle in Effros, Usuard’s Journey (wie Anm  9), 30 Vgl España Sagrada, Bd 10: Las iglesias sufraganeas antiguas de Sevilla Abdera, Asido, Astigi y Córdoba, hg v Henrique Flórez, Madrid 31792, 467 mit Anm  * mit der Wiedergabe des Textes aus dem Breviario antiguo von Oviedo, das im 16 Jahrhundert gedruckt wurde (vgl España Sagrada, Bd  38: Memorias de la Santa Iglesia exenta de Oviedo, hg v Manuel Risco, Madrid 1793, 84) Vgl Patrick Henriet, La santidad en la historia de la Hispania medieval, in: Hagiografía y archivos de la iglesia santoral Hispano-Mozárabe en las diócesis de España Actas del XVIII congreso de la Asociación celebrado en Orense (9 al 13 de septiembre de 2002) (Memoria Ecclesiae 26–27), hg v Agustín Hevia Ballina, Oviedo 2004, Bd  1, 13–81, hier 30 Reliquien des Eulogius und der Leocritia sind erstmals im 11 Jahrhundert in Oviedo nachzuweisen (vgl Donatien de Bruyne, Le plus ancien catalogue des reliques d’Oviedo, Analecta Bollandiana 55 [1927], 93–96, hier 95) Die Präsenz weiterer Gebeine von Cordobeser Märtyrern im iberischen Norden ist umstritten (so etwa bezüglich der Felix-Reliquien in Carrión die Diskussion bei Ambrosio de Morales, Viage de Ambrosio de Morales por orden del rey D Phelipe II a los reynos de León, y Galicia, y Principado de Asturias [Galicia sagrada 3], Madrid 1765, ND La Coruña 2005, 31; España Sagrada, Bd  10 [wie Anm  11], 327) und in den meisten Fällen lediglich unbelegbare Vermutung (so wie für die Reliquien Christobáls und Columbas in Kloster San Millán de Cogolla, die Manuel Gómez Moreno, Iglesias mozárabes Arte español de los siglos IX–XI [Archivum 71], hg v Isidro G Bango Torviso, Madrid 1919, ND Granada 1998, 160 mit Anm  2 vorschlägt) Über die bloße Erwähnung der Gebeine hinaus bestehen in keinem der Fälle Kultzeugnisse, die eine Verbindung zur Cordobeser Märtyrerbewegung erlauben würden

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entstandene Fassung (BHL 6252b und c)14 Weder in diesem Text noch in einem in Kloster Leyre entstandenen Translationsbericht (BHL 6253) wurden die beiden Märtyrerinnen – so wie von Eulogius im Memoriale Sanctorum beabsichtigt – mit den Cordobeser Ereignissen in Verbindung gebracht15 Selbst die Zeugnisse zur Verehrung der Cordobeser Märtyrer Georgius, Aurelius und Natalia, deren Gebeine in das fränkische Kloster Saint-Germain-desPrés übertragen wurden, lassen keine Wahrnehmung einer umfassenden Bewegung im von Eulogius und Albarus intendierten Sinne erkennen: Die in der Forschung dem Eulogius zugeschriebene eigenständige Passio der drei Heiligen (BHL 3408) nimmt keinen Bezug auf die Märtyrerbewegung16 Der durch den fränkischen Mönch Aimoin verfasste Translationsbericht (BHL 3409) erwähnt zwar allgemein den Tod von Christen durch Verfolgungen in Córdoba17, stellt aber letztlich nur die Geschichte der drei Märtyrer in den Vordergrund, deren Gebeine ins Frankenreich übertragen wurden Das nach der Translation entstandene Martyrologium des Usuard erwähnt in 14 Einträgen immerhin 30 der Cordobeser Märtyrer18 Obwohl Usuard somit vermutlich größere Teile von Eulogius’ Werk bekannt waren, geht er bei keinem der Märtyrer auf die spezifische Cordobeser Situation als Hintergrund der Hinrichtung ein19

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Edition in Juan Gil Fernández, En torno a las santas Nunilón y Alodia, Revista de la Universidad de Madrid 19 (1970), 103–140, hier 113–121 sowie Passio Nunilonis et Alodie, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico Introducción, edición crítica y tradución (Filosofía y letras 131), hg v Pilar Riesco Chueca, Sevilla 1995, 287–308 Da der Herkunftsort der Schwestern Nunilo und Alodia umstritten bleibt, lässt sich jedoch der Abfassungsort der Passio nicht mit letzter Sicherheit klären Vgl dazu etwa die gegensätzlichen Positionen von Ann R Christys, Christians in al-Andalus (711–1000) (Culture and civilization in the Middle East), Richmond 2002, 70 und Ramón López Domech, De nuevo sobre las dos mártires mozárabes Nunilo y Alodia, Qurṭuba 5 (2000), 121–145 Ediert in: Gil Fernández, Nunilón y Alodia (wie Anm  14), 136–140 Die Entstehung des Textes wird zwischen dem 9  und 12 Jahrhundert datiert Für eine frühe Datierung plädiert Christys, Christians (wie Anm   14), 71–74 Zum Kult der Heiligen vgl auch das in Silos überlieferte Offizium zu Ehren der beiden Heiligen (The Mozarabic Psalter [Ms British Museum add 30851], hg v Julius Parnell Gilson, London 1905, 262 f ) In Córdoba fanden die Bemühungen des Eulogius offenbar keinen Nachhall, wurden die beiden Heiligen doch nicht einmal in das Kalendar von Córdoba eingetragen (Christys, Christians [wie Anm  14], 67 f ) Vgl dazu die synoptische Edition in Rafael Jiménez Pedrajas, San Eulogio de Córdoba, autor de la pasión francesa de los martires mozárabes cordobeses Jorge, Aurelio y Natalia, Boletín de la Real Academia de Córdoba de Ciencias, Bellas Letras y Nobles Artes 15 (1970), 465–583, hier 485–576 Zu den Unterschieden zwischen beiden Texten vgl Zwanzig, Kontakt (wie Anm  7), 37 f Vgl Aimoin, Translatio (wie Anm  3), c 4, 943, Abs  A Vgl die Zusammenstellung in Le Martyrologe d’Usuard Texte et commentaire (Subsidia hagiographica 40), hg v Jacques Dubois, Brüssel 1965, 62 sowie Baudouin de Gaiffier, Les notices hispaniques du martyrologe romain, Analecta Bollandiana 58 (1940), 79–89 und Ann R Christys, St -Germain-des-Prés, St - Vincent and the Martyrs of Córdoba, Early Medieval Europe 7 (1998), 199–216 Vgl die entsprechenden Einträge in Martyrologe (wie Anm  18) Vgl dazu auch John Victor Tolan, Saracens Islam in the Medieval European Imagination, New York 2002, 101

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Die erhaltenen Textzeugnisse zu den wenigen späteren Hinrichtungen von Christen durch die Muslime20 belegen den Eindruck einer ausbleibenden Nachwirkung der Cordobeser Märtyrerbewegung Weder die Passio zu Ehren der im 10 Jahrhundert hingerichteten Königstochter Argentea (BHL 672)21 noch des während eines Kriegszuges des Kalifen ’Abd ar-Raḥman III gegen Ordoño III in Galizien gefangenen und dann in Córdoba hingerichteten Jünglings Pelagius (BHL 6617)22 setzten die Martyrien zu den früheren Hinrichtungen in Bezug Hrotsvith von Gandersheim, die zu Ehren des Pelagius eine Passio in Versform verfasste (BHL 6618), wusste zwar zu berichten, dass die Cordobeser Christen den Gebeinen von Hingerichteten große Verehrung zukommen ließen23, stellte diese Aussage aber ebenfalls nicht in Zusammenhang mit den von Eulogius und Albarus verherrlichten Martyrien Offenbar wurden die von Eulogius und Albarus geschilderten Ereignisse also nicht aufgegriffen, obwohl Martyrien in Córdoba in späteren Texten durchaus Interesse fanden Wenn wir – trotz der letztlich unbedeutenden mittelalterlichen Rezeption – mit Märtyrern in Córdoba in erster Linie die von Eulogius und Albarus geschilderten Ereignisse verbinden, so resultiert das nicht zuletzt aus neuzeitlichen Identitätsbildungsprozessen Mit der Herausgabe der Werke des Eulogius durch den Cordobeser

20 Vgl Übersicht und Quellenbelege bei Christys, Christians (wie Anm  14), 80 f ; Silke Knippschild, Fundamentalismus im Spanien der Omayaden: die Märtyrer von Córdoba Überlegungen zum Zusammenleben von Christen und Muslimen im Al-Andalus des 9 Jahrhunderts, in: Fundamentalismo político y religioso De la Antigüedad  a la Edad Moderna Segundo coloquio internacional del Grupo Europeo de Investigación Histórica Religión Poder y Monarquía Castelló de la Plana – Vinaròs (España) 11, 12 y 13 de noviembre de 2002 (Collecció „Humanitats“ 11), hg v Pedro A Barceló, Castelló de la Plana 2003, 171–200, hier 188 f 21 Vgl Passio Argenteae et Comitum, ed Ángel Fábrega Grau, in: Pasionario hispánico (Monumenta Hispaniae sacra Serie litúrgica 6), hg v dems , 2 Bde, Madrid 1953–1955, Bd  2, 382–387 mit den Verbesserungen bei Manuel Cecilio Díaz y Díaz, Correciones y conjeturas al pasionario hispánico, Revista de Archivos, Bibliotecas y Museos 63 (1957), 453– 465, hier 465 Vgl auch Passio Argenteae et Comitum, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico (wie Anm  14), 253–266 Zur allgemeinen Kritik der Edition vgl Christys, Christians (wie Anm  14), 85–88 Zum umstrittenen Entstehungskontext der Passio Argenteae vgl beispielsweise Francisco Javier Simonet, Historia de los mozárabes de España, 4 Bde, Madrid 1897, ND Madrid 1983, Bd  3, 598 u 635 und Pasionario hispánico (wie Anm  14), Bd  1, 239; Christys, Christians (wie Anm  14), 105 22 Passio Pelagii, ed Celso Rodríguez Fernández, in: La pasión de S  Pelayo (Publicaciónes en literatura 40), hg v Celso Rodríguez Fernández, Santiago de Compostela 1991, 27– 84, sowie Passio Pelagii, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico (wie Anm  14), 309–324 Im Folgenden wird wegen des ausführlicheren Apparats auf die Edition von Rodríguez Fernández verwiesen Zur Datierung vgl Pasión (wie in dieser Anm ), 17  Für eine Entstehung der Passio Pelagii in Córdoba plädieren Manuel Cecilio Díaz y Díaz, La pasión de San Pelayo y su difusión, Anuario de estudios medievales 6 (1969), 97–116, hier 109 f ; Pasión (wie in dieser Anm ), 18 f Kritisch hingegen Christys, Christians (wie Anm  14), 89–94 u 101–105 23 Vgl Hrotsvit von Gandersheim, Opera omnia (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), hg v Walter Berschin, München 2001, lib I,1, 74–77

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Humanisten Ambrosio de Morales im Jahre 157424 wurden die Märtyrer von Córdoba rasch zu einem Symbol für die Unterdrückung der Christen durch die Muslime In bedeutenden Klöstern wie Cardeña oder Sahagún verstärkten oder bildeten sich in dieser Zeit rasch eigenständige Märtyrerkulte, die die Gemeinschaften mit der Cordobeser Märtyrerbewegung in Verbindung brachten25 War die moderne Forschung in Auseinandersetzung mit diesen Positionen zunächst von Debatten um die Ursachen und die Legitimität der bei Eulogius geschilderten Ereignisse geprägt, geriet zunehmend ihre Interpretation im Sinne einer nationalen Geschichtsschreibung in den Vordergrund26: Zusammen mit den militärischen Aktionen der asturischen Könige gegen das andalusische Emirat und weiteren Aufständen im muslimischen Herrschaftsbereich stilisierte man das Wirken der Cordobeser Märtyrer zum Ausdruck des Kampfes der spanischen Nation gegen die Besatzer Das Handeln der Märtyrer galt als exemplarisch für den Widerstandsgeist der häufig als Christen unter muslimischer Herrschaft definierten „Mozaraber“ Insbesondere im offenen Festhalten der Märtyrer und ihrer Unterstützer an der westgotisch-christlichen Kultur wollte man einen radikalen Ausdruck spanisch-nationaler Identität erkennen27 Spätere Martyrien in Córdoba wurden, wie das Beispiel der Argentea besonders deutlich zeigt, diesen Überlegungen untergeordnet: Auf unsicherer Quellenlage wurde Argentea zur Tochter des von Babastro gegen das Emirat von Córdoba agierenden und möglicherweise zum Christentum konvertierten ’Umar Ibn Ḥafṣun erklärt28 Ihren Wunsch nach dem 24 Divi Eulogii Cordubensis martyris, doctoris, et electi archiepiscopi Toletani opera, hg v Ambrosio de Morales, Compluti 1574 25 Zu den Märtyrern von Cardeña vgl zuletzt Dalmacio Ortiz Espinosa, Los doscientos mártires de Cardeña, in: Religiosidad popular en España Actas del simposium 1/4-IX-1997 (Colección del Instituto Escurialense de Investigaciones Históricas y Artísticas 9), hg v Francisco-Javier Campos u Fernández de Sevilla, San Lorenzo del Escorial 1997, Bd  1, 853–876; Rafael Sánchez Domingo, La narración de la memoria histórica y de la tradición Los mártires de Cardeña (Burgos) en la memoria colectiva de la Castilla Medieval, in: El culto a los santos Cofradías, devoción, fiestas y arte (Colección del Instituto Escurialense de Investigaciones Históricas y Artísticas), Madrid 2008, 571–592 Zu den Märtyrern von Sahagún vgl künftig Christofer Zwanzig, Monastische Migration aus dem Andalus im 8 –10 Jahrhundert Selbst- und Fremdwahrnehmungen, in: Von Mozarabern zu Mozarabismen Zur Vielfalt kultureller Ordnungen auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter, hg v Michele C Ferrari, Klaus Herbers u Matthias Maser, Münster 2014, 215–232 (im Druck) 26 Vgl zusammenfassend Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3), 36–45 27 Vgl Simonet, Historia (wie Anm  21), Bd  2, 452–455 und ebd Bd  3, passim sowie Justo Pérez de Urbel, San Eulogio de Córdoba (Colección „Vidas de Santos españoles“), Madrid 1928 28 Die Überlegungen basieren auf der Angabe der Passio Argenteae, die künftige Märtyrerin sei Tochter des König Samuel aus der urbs Bibistrensis (Passio Argenteae [wie Anm  21], c 3, 252) Diese Ausführungen ließen sich mit den umstrittenen Quellenberichten zur Konversion des ’Umar Ibn Ḥafṣun verbinden, der als Christ den Namen Samuel angenommen haben soll Zur nationalen Ausdeutung und Instrumentalisierung der Apostasie des ’Umar Ibn Ḥafṣun durch die moderne Historiographie vgl Ann R Christys, Cordoba in the „Vita vel Passio Argenteae“, in: Topographies of power in the Early Middle Ages (The Transformation of the Roman World 6), hg v Mayke De Jong, Carine Van Rhijn u Frans Theuws, Leiden/ Boston/Köln 2001, 119–136, hier 127–130; Christys, Christians (wie Anm  14), 101–105

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Martyrium, der schließlich in Córdoba erfüllt wurde, interpretierte man als Symbol eines bereits in der Cordobeser Märtyrerbewegung greifbaren und nun wiedererstarkten religiös motivierten Widerstands gegen die Besatzer29 Dass die Leidensgeschichte Argenteas Handeln weder mit der Konversion ihres mutmaßlichen Vaters noch mit den von Eulogius und Albarus geschilderten Ereignissen in Verbindung brachte, wurde ausgeblendet Nicht zuletzt unter Verweis auf die – hier am Beispiel der Passio Argenteae greifbaren  – geringen Nachwirkung der Cordobeser Märtyrerbewegung30 ist in einer mittlerweile beinahe unüberschaubaren Zahl von Einzeluntersuchungen die kritische Auseinandersetzung mit den Postulaten der national-spanischen Historiographie gelungen31 Insbesondere das Bewusstsein darum, wie tendenziös Eulogius und Albarus die Vorgänge im emiralen Córdoba schilderten, hat die Perspektiven der modernen Historiographie erheblich differenziert Während sich Forschungspositionen, die Eulogius’ und Albarus’ Schilderungen in ihrer Faktizität anzweifeln, nicht durchsetzen konnten32, werden die Cordobeser Entwicklungen gerade in ihrer Historizität zunehmend als singulär betrachtet: Es seien die besonders tiefgreifenden Akkulturationsprozesse im Herrschaftszentrum des Emirats gewesen, die zur Radikalisierung von Teilen der dortigen Christenheit geführt hätten33 Die wenigen späteren Martyrien in Córdoba hingegen ständen in keinem Zusammenhang mit den von Eulogius und Albarus geschilderten Ereignissen34

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Reinhart Pieter Anne Dozy, Histoire des Musulmans d’Espagne jusqu’à la conquête de l’Andalousie par les Almoravides, 4 Bde, Leyden 1861, Bd  2, 325 f 30 Vgl dazu Christys, Christians (wie Anm  14), 54 und 80 31 Vgl etwa Jessica A Coope, The Martyrs of Córdoba Community and Family Conflict in an Age of Mass Conversion, Lincoln (Neb )/London 1995, XIf ; Franz Richard Franke, Die freiwilligen Märtyrer von Cordova und das Verhältnis der Mozaraber zum Islam Nach den Schriften des Speraindeo, Eulogius und Alvar, Spanische Forschungen der Görres-Gesellschaft 13 (1958), 1–170; Patrick Henriet, Sainteté martyriale et communauté de salut Une lecture du dossier des martyrs de Cordoue (milieu ixe siècle), in: Guerriers et moines Conversion et sainteté aristocratiques dans l’Occident médiéval (ixe –xiie siècle) (Collection d’études médiévales 4), hg v Michel Lauwers, Antibes 2002, 39–139; Klaus Herbers, Patriotische Heilige in Spanien vom 8 –10 Jahrhundert, in: Patriotische Heilige (Beiträge zur Hagiographie 5), hg v Dieter R Bauer, Klaus Herbers u Gabriela Signori, Stuttgart 2007, 67–86; Igor Pochoshajew, Die Märtyrer von Cordoba Christen im muslimischen Spanien des 9 Jahrhunderts, Frankfurt a M 2007; Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3) 32 Christys, Christians (wie Anm  14), 52–79 und Juan Pedro Monferrer Sala, Mitografía hagiomartirial De nuevo sobre los supuestos mártires córdobeses del siglo IX, in: De muerte violenta Política religión y violencia en Al-Andalus (Estudios onomástico-biográficos de Al-Andalus 14), hg v María Isabel Fierro Bello, Madrid 2004, 415–450, hier 444, etwa stellen den polemisch-propagandistischen Charakter der Texte in den Vordergrund und betrachten zentrale Ausführungen als literarische Fiktion Dagegen etwa Coope, Martyrs (wie Anm  31), XII; Pochoshajew, Märtyrer (wie Anm  31), 33–37 33 Richard Hitchcock, Mozarabs in Medieval and Early Modern Spain, Aldershot 2008, 30 hält fest, die Martyrien seien letztlich Ausnahmeerscheinungen im christlich-muslimischen Verhältnis gewesen 34 Vgl Christys, Christians (wie Anm  14), 80

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Trotz des zunehmenden Bewusstseins darum, dass die Cordobeser Martyrien keinesfalls Ausdruck einer objektiv greifbaren, auf unveränderlichen kulturellen Gemeinsamkeiten beruhenden spanisch-nationalen Identität waren, bleiben bei der Bewertung überaus starre Identitätsvorstellungen beherrschend Greifbar werden hier nicht zuletzt die vielfältigen Einflüsse der traditionsreichen Mozaraberforschung: Folgt man dem Rückschluss moderner Foschungsansätze von der mutmaßlichen Etymologie des Begriffs Mozaraber von musta’rib („sich als Araber geben“) bzw musta’rab („als Araber bezeichnet werden“) auf die von Austausch geprägte kulturelle Identität „arabisierter Christen“35 muss das Handeln der Märtyrer als Ausnahme im christlich-muslimischen Verhältnis erscheinen36 Auch wenn dieses Urteil in einem historisch-faktischen Sinne zutreffen mag37, so kann es doch die vielfältigen symbolischen Bedeutungsebenen christlicher Martyrien in al-Andalus im Allgemeinen und in Córdoba im Besonderen gerade auch in Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Blut- und Glaubenszeugnis nicht hinreichend erfassen So lässt sich nämlich erkennen, dass das Martyrium in Córdoba durchaus auch jenseits der von Eulogius und Albarus geschilderten Ereignisse Bedeutung hatte: In der Passio Argenteae und der Passio Pelagii wurde Córdoba zum Ort, an dem die Heiligen Frömmigkeit und Askese steigerten und durch das standhafte Glaubenszeugnis gegenüber der muslimischen Herrschaftsgewalt ihre Hinrichtung fanden Diese Symbolik fand offenbar auch außerhalb der Iberischen Halbinsel Widerhall: Insbesondere durch die von Saint-Germain-des-Prés aus verbreiteten Traditionen war Córdoba auch ohne explizite Bezugnahme auf die von Eulogius geschilderten Ereignisse als Ort christlicher Martyrien präsent38 Insofern verwundert es nicht, wenn die Passio Argenteae berichtet, auch der Franke Wulfura sei vom Wunsch nach dem Martyrium erfüllt gewesen und durch gött35

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Vgl zur Diskussion um die Etymologie Dominique Urvoy, Les aspects symboliques du vocable „mozarabe“ Essai de réinterprétation, Studia Islamica 78 (1993), 117–154, hier 120 f Zur Arabisierung etwa Dominique Millet Gérard, Chrétiens mozarabes et culture islamique dans l’Espagne des viiie –ixe siècles, Paris 1984, 71–78; Marie-Thérèse Urvoy, La question de l’arabisation des Mozarabes, Mélanges de l’Institut Dominicain d’Études Orientales du Caire 25/26 (2004), 499–506 sowie jüngst Cyrille Aillet, Les Mozarabes Christianisme, islamisation et arabisation en péninsule ibérique (ixe –xiie siècle) (Bibliothèque de la Casa de Velázquez 45), Madrid 2010, 133–246 und zusammenfassend Matthias Maser, Die Mozaraber – ein undefinierbares Phänomen?, in: Die Mozaraber Definitionen und Perspektiven der Forschung (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 7), hg v Klaus Herbers u Matthias Maser, Berlin 2011, 11–35, hier 25 Hitchcock, Mozarabs (wie Anm  33), 30 Vgl jedoch die berechtigte Kritik bei Maya Soifer, Beyond Convivencia Critical Reflections on the Historiography of Interfaith Relations in Christian Spain, Journal of Medieval Iberian Studies 1 (2009), 19–35, dass die in der Forschung lange in konkurrierenden Vorstellungen von einem – entweder durch Konflikte oder durch friedliches Zusammenleben und Austausch geprägten – Grundzustand die kulturelle Komplexität der Iberischen Halbinsel nicht erfassen kann Vgl neben der vielfachen Nennung der Stadt im Martyrolog des Usuard das durch die Verbreitung der Passio des Georgius, des Aurelius und der Natalia aber auch durch die Überlieferung des Translationsberichts des Aimoin greifbare Wissen um Córdoba als Ort von Martyrien (zur Überlieferung Jiménez Pedrajas, San Eulogio [wie Anm  16], 478 f )

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liche Inspiration nach Córdoba gelangt39 Hrotsvith von Gandersheim ergänzte ihre Fassung der Passio Pelagii insbesondere auch um Informationen zu Córdoba, dessen einstige Blüte sie lobte und mit Ausführungen zum Verfall unter muslimischer Herrschaft kontrastierte40 Die Symbolik Córdobas wird aber auch in der Vita des Johannes von Gorze greifbar: Wie es dort heißt habe sich dieser nicht zuletzt wegen seines Verlangens nach dem Martyrium zur Gesandtschaft im Auftrag Ottos des Großen nach Córdoba bereit gefunden41 Offenbar hat die Konzentration der Forschung auf die neuzeitlich-ideologische Instrumentalisierung der Märtyrer von Córdoba davon abgebracht, die Symbolkraft zu untersuchen, die das Martyrium im muslimischen Herrschaftsbereich in mittelalterlichen Identitätsbildungsprozessen erlangen konnte Wie im Folgenden aufgezeigt werden soll, kann die kulturwissenschaftliche Aufforderung, kollektive Identitäten verstärkt in ihrer Prozesshaftigkeit zu untersuchen, über die bisherigen Ansätze hinausgehende Perspektiven auf das mittelalterliche Quellenmaterial eröffnen Identität in diesem Sinne lässt sich in einer durch Selbst- und Fremdwahrnehmungen „reflexiv gewordenen gesellschaftlichen Zugehörigkeit“42 erkennen Als von zentraler Bedeutung gilt vor allem aber auch ein gemeinsames „Symbolsystem“43 Dieses konnte ebenso „formativ“ wie „normativ“ wirken, indem es Antworten auf die Fragen „Wer sind wir?“ und „Was sollen wir tun?“ gab44 Gerade mittels der Aneignung von Vergangenheit aber auch durch die „Distanznahme“ vom Fremden konnte ein gemeinsames Symbolsystem helfen, identitäre Selbstbilder als kohärent und kontinuierlich zu interpretieren45

39 Vgl insbesondere Passio Argenteae (wie Anm  21), c 9, 258 40 Vgl Hrotsvit, Opera (wie Anm  23), lib I,1, 63–66 41 Johannes von Metz, Vita Iohannis abbatis Gorziensis, ed Michel Parisse, in: La vie de Jean, abbé de Gorze, hg v dems , Paris 1999, 40–161, hier c 117, 144 Zu den Hintergründen der Reise Helmut G Walther, Der gescheiterte Dialog Das Ottonische Reich und der Islam, in: Orientalische Kultur und Europäisches Mittelalter (Miscellanea medievalia 17), hg v Albert Zimmermann, Ingrid Craemer-Ruegenberg u Gudrun Vuillemin-Diem, Berlin/ New York 1985, 20–44, vgl Fernando Valdés Fernández, Die Gesandtschaft des Johannes von Gorze nach Cordoba, in: Otto der Große Magdeburg und Europa Eine Ausstellung im Kulturhistorischen Museum Magdeburg vom 27 August – 2 Dezember 2001 Katalog der 27  Ausstellung des Europarates und Landesausstellung Sachsen-Anhalt, Bd  1: Essays, hg v Matthias Puhle, Mainz 2001, 525–536 42 Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis Schrift Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (Beck’sche Reihe 1307), München 52005, 134; Peter Wagner, FestStellungen Beobachtungen zur sozialwissenschaftlichen Diskussion über Identität, in: Identitäten (Erinnerung, Geschichte, Identität 3), hg v Aleida Assmann u Heidrun Friese, Frankfurt a M 1998, 44–72, hier 58 f 43 Assmann, Kulturelles Gedächtnis (wie Anm  42), 139 44 Zur Unterscheidung normativer und formativer Inhalte vgl ebd 142 f 45 Wagner, Fest-Stellungen (wie Anm  42), insbesondere 63 und 71

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II Wenn Eulogius und Albarus in ihren Schriften mehrfach betonten, ihre Aufforderung zur Verehrung der Märtyrer und zum offenen Bekenntnis des Christentums sollten die Einheit der Cordobeser Christenheit wiederherstellen46, so ist das keinesfalls bloße Topik47 Vielmehr scheinen sich beide Autoren durchaus darüber bewusst gewesen zu sein, dass die Ehrerweisung gegenüber den unter den Muslimen hingerichteten Christen Teil  eines gemeinsamen „Symbolsystems“ innerhalb der Cordobeser Gemeinde sein konnte Dieses speiste sich nicht zuletzt aus der gemeinsam geteilten Erfahrung christlicher Hinrichtungen in der jüngeren Vergangenheit: Zwar stellten Eulogius und Albarus durch die Komposition ihrer Werke die Märtyrer in den Vordergrund, die durch die öffentliche Predigt des Christentums und die Schmähung des Propheten Muḥammad ihren Tod letztlich willentlich gesucht hatten48 Dennoch nahmen sie auch Berichte zu Hinrichtungen auf, zu denen es durch gezielte Provokation seitens der Muslime oder durch – insbesondere gegen muslimische Apostaten gerichtete – Denunziationen gekommen war49 Freilich lässt sich in den meisten Fällen lediglich vermuten, dass diese Personen auch jenseits der Kreise des Eulogius und des Albarus – etwa durch die Abfassung von eigenständigen Passiones  – Verehrung erfuhren50 Nicht zuletzt die Unsicherheit eines 852 einberufenen Konzils, das sich lediglich zur Ächtung künftiger, nicht jedoch der bisherigen Martyrien entschließen konnte, belegt eine offenbar breiter verankerte Ehrerbietung gegenüber den in der jüngeren Vergangenheit hingerichteten Christen51 Vor diesem Hintergrund müssen auch Ausführungen, wie sie der Translationsbericht des fränkischen Mönches Aimoin noch für das Jahr 858 enthält, nicht ver46 Vgl dazu etwa Albarus, Indiculus (wie Anm  1), c 1, 272 f In diesen Kontext gehört auch die Aussage des Eulogius, dass das Verbot, sich gegen schwache Glieder der katholischen Kirche zu richten, nicht die Notwendigkeit aufhebe, gegen Menschen vorzugehen, die den Satan beherbergen (vgl Eulogius, Memoriale [wie Anm  1], lib I, c 21, 385, Z 9 ff ) 47 Vgl bereits Franke, Freiwillige Märtyrer (wie Anm  31), 93; Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3), 63–66 48 Vgl dazu ausführlich unten 261 49 Vgl dazu Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3), 103; Coope, Martyrs (wie Anm  31), 18, 23 50 So soll Abt Speraindeo bereits eine Passio zu Ehren der um das Jahr 824 hingerichteten Märtyrer Adulphus und Johannes verfasst haben (vgl Eulogius, Memoriale [wie Anm  1], lib II , c 8, § 9, 412) Bei der separat erhaltenen Passio (BHL 84) handelt es sich wohl aber nicht um diese Fassung, sondern um einen apokryphen Text Zu den beiden Heiligen allgemein vgl Igor Pochoshajew, Christliche Märtyrer in al-Andalus Adolfus und Johannes von Sevilla, Islamochristiana 32 (2006), 145–158 Zur eigenständigen Passio von Nunilon und Alodia vgl bereits oben, bei Anm  14 Auffällige inhaltliche Brüche lassen aber auch fraglich erscheinen, ob Eulogius tatsächlich Verfasser der eigenständigen Passio zu Ehren von Georg, Aurelius und Natalia war Zur Verehrung der Märtyrer allgemein über das engere Umfeld des Eulogius und des Albarus hinaus vgl etwa aber auch die Angabe des Eulogius, zum Martyrium des Isaak habe zunächst große Zustimmung geherrscht (vgl Eulogius, Memoriale [wie Anm  1], ep I, 363 f ) 51 Zu diesem zentralen Aspekt vgl Franke, Freiwillige Märtyrer (wie Anm  31), 106–111 und 149

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wundern: Wir erfahren dort, dass die Gruppe fränkischer Mönche um Usuard bei ihrem Vorhaben, die Gebeine der Märtyrer Georgius, Aurelius und Natalia ins Frankenreich zu überführen, unter anderem durch Bischof Saul von Córdoba52 und einen hochgestellten Laien namens Leovigild unterstützt wurde Saul, der die Verehrung der von Eulogius verherrlichten Märtyrer offenbar durchaus förderte53, war wegen der Ableitung seiner Autorität von den muslimischen Herrschern möglicherweise bereits in Auseinandersetzungen mit Eulogius geraten54 Von Albarus wurde er später wegen angeblicher Anbiederung an die Muslime und damit verbundener Simonie scharf kritisiert55 Leovigild, der den wohl aus dem Arabischen hergeleiteten Beinamen Abadsolomes (von ’Abd as-Salam) trug56, war Heerführer des Emirs57 Zugleich pflegte er offenbar aber enge Kontakte zu den Verehrern der Cordobeser Märtyrer58 Die lobende Erwähnung Sauls und Leovigilds muss aber keineswegs – wie von Christys postuliert59 – auf Aimoins Unwissen zur Situation innerhalb der Cordobeser Gemeinde oder seine Absicht hindeuten, die Reise der fränkischen Mönche nach Córdoba nur im besten Licht erscheinen zu lassen Vielmehr können die Ausführungen auch als Hinweis darauf interpretiert werden, dass trotz der bei Eulogius und Albarus beschriebenen Zuspitzung und Radikalisierung der Positionen in Córdoba und darüber hinaus60 in unterschiedlichsten Personenkreisen nach wie vor eine positive Bezugnahme auf die Martyrien der jüngeren Vergangenheit möglich war61 Dass die Deutung der Hinrichtungen von Christen unter muslimischer Herrschaft als Martyrien  – wie insbesondere am Kompromiss des Konzils von 852 deutlich wird – innerhalb der Cordobeser Christenheit durchaus integrative Kraft entfalten konnte, ist freilich ohne das Bewusstsein um die vielfältige Präsenz frühchristlich-martyraler Vergangenheit kaum erklärbar: Eulogius und Albarus stell52 53

Vgl Aimoin, Translatio (wie Anm  3), c 10 f , 945 f , Abs  C–A Vgl insbesondere die Ausführungen zu den Reliquienbeisetzungen durch den allerdings nicht namentlich genannten Bischof in Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib II, c 1, § 4, 400, Z 14 ff und Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), c 34, 493 f Offenbar gehörte er auch zu den wohl infolge der ersten freiwilligen Martyrien auf Veranlassung des Metropolitanbischofs Reccafred von Sevilla 851 verhafteten Klerikern (Albarus, Vita Eulogii [wie Anm  1], c 4, 332) 54 Vgl Coope, Martyrs (wie Anm   31), 61–44 Kritisch zu diesen Überlegungen jedoch Henriet, Sainteté (wie Anm 31), 106–112 55 Albarus von Córdoba, Epistolae, ed Juan Gil Fernández, in: Corpus scriptorum Muzarabicorum (wie Anm  1), Bd  1, 144–270, ep XIII, c 3, 225 56 Vgl Aimoin, Translatio (wie Anm  3), c 7, 944, Abs  C Zur arabischen Herleitung vgl Juan Carlos Lara Olmo, El relato del traslado de los santos mártires Jorge, Aurelio y Natalia, Hispania sacra Revista española de historia eclesiástica 51/103 (1999), 55–89, hier 85 57 Vgl Aimoin, Translatio (wie Anm  3), c 13, 946, Abs  D 58 Vgl ebd c 8, 944 59 Vgl Christys, St -Germain-des-Prés (wie Anm  18), 205 f 60 Vgl Aimoin, Translatio (wie Anm  3), c 4, 943 zur angeblichen Bekanntheit der Martyrien in Barcelona 61 Diese Überlegungen werden auch durch die Beobachtung Frankes gestützt, dass die Fronten innerhalb der Cordobeser Christenheit sich nie vollkommen verhärteten vgl Franke, Freiwillige Märtyrer (wie Anm  31), 148

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ten ihre expliziten Vergleiche zwischen frühchristlichen und gegenwärtigen Martyrien in erster Linie als Reaktion auf die Infragestellung von Würdigkeit und Wert des Blutzeugnisses durch die innerchristlichen Kritiker dar Wie die grundlegenden Studien von Jacques Fontaine, Patrick Henriet und Juan Pedro Monferrer verdeutlichen können62, waren die Anknüpfungen an die Vergangenheit jedoch zentral für ihr Martyriumsverständnis Insbesondere die Bezugnahmen des Eulogius gingen über ausdrückliche Vergleiche weit hinaus: Teils in deutlicher symbolischer Absicht übernahm er aus früheren Passiones Struktur und Aufbau oder Einzelpassagen63 Die Intention ging aber weiter: Die Schilderung der Leiden Pomposas etwa baute Eulogius analog zur Passio der Eulalia von Mérida auf, die während der diokletianischen Verfolgungen umgekommen war Der Rückgriff auf diese Märtyrerin war dabei keinesfalls zufällig, wurde doch Pomposa in der Basilika Santa Eulalia begraben64 Frühchristliche Märtyrer wurden darüber hinaus durch Traumvisionen eingebunden65 Weitere symbolische Anknüpfungspunkte ergaben sich durch die Präsenz von frühchristlichen Märtyrerreliquien in Córdoba: Neben den Klöstern in den Cordobeser Bergen waren in den Schilderungen des Eulogius die Grabstätten frühchristlicher Märtyrer wichtige Orte der Vorbereitung auf die spätere Hinrichtung66 Hier setzte man auch die wenigen Märtyrergebeine, die nicht vernichtet wurden, bei67 Auf besondere Weise wurden der Entschluss zum Martyrium und die Bezugnahme auf frühchristliche Märtyrergräber in Eulogius’ Ausführungen zu den Märtyrerinnen Flora und Maria verbunden: Bereits vom Willen zum Martyrium beseelt sei Maria in der Basilika San Acisclo auf Flora getroffen, deren Wunsch zum Martyrium dort unter Anrufung der früheren Blutzeugen wieder voll entbrannt war68 Während der Körper Floras verschollen blieb, wurde der Körper Marias in ihr Herkunftskloster Santa Maria de Cuteclara gebracht Die Häupter beider Märtyrerinnen wurden aber in San Acisclo verwahrt69 62

Jacques Fontaine, La literatura mozárabe „extremadura“ de la latinidad cristiana antiqua, in: I Congreso internacional de estudios mozárabes, Toledo, 1975 Ponencias y comunicaciones presentadas, Serie A, Bd  1: Arte y cultura mozárabe, Toledo 1979, 101–137; Henriet, Sainteté (wie Anm  31); Monferrer Sala, Mitografía (wie Anm  32) 63 Fontaine, Literatura (wie Anm  62), 118–121; Coope, Martyrs (wie Anm  31), 41; Pochoshajew, Märtyrer (wie Anm  31), 53 f 64 Vgl Fontaine, Literatura (wie Anm  62), 120; Henriet, Sainteté (wie Anm  31), 126 mit Bezug auf Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib III, c 11, 452 ff 65 So soll der Märtyrerin Digna die heilige, angeblich unter Kaiser Decius hingerichtete Agata von Catania im Traum erschienen sein und sie auf ihre nahende Hinrichtung vorbereitet haben (vgl ebd lib III , c 8, § 2, 446) 66 Eulogius selbst wirkte als Kleriker in San Zoilo (vgl Albarus, Vita Eulogii [wie Anm  1], c 2, 331 f ) und machte diese Gemeinschaft offenbar zu einem Ort der Unterweisung zahlreicher Märtyrer Zur Ausbildung künftiger Märtyrer in San Acisclo vgl etwa Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib II, c 2, § 2, 389 (zu Perfectus); lib II, c 5, 404 (zu Sisenandus); lib III, c 8, § 1, 445 (zu Anastasius) 67 Vgl dazu die Übersicht zu den Märtyrern und ihren Bestattungsorten in Henriet, Sainteté (wie Anm  31), 132–139 68 Vgl etwa Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib II, c 8, § 12, 413 f 69 Vgl ebd lib II , c 8, § 15, 415 mit ausdrücklichem Verweis auf die schützende Präsenz der Reliquien des Acisclus

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Die von Albarus und Eulogius offenbar gleichermaßen wie von den innerchristlichen Kritikern genutzten Bezüge auf frühchristliche Vorbilder machen bewusst, dass die Kontroversen innerhalb der Cordobeser Gemeinde des 9 Jahrhunderts auch als Debatten um Möglichkeiten und Formen der Aneignung martyraler Vergangenheit betrachtet werden können Diese Überlegung weist zugleich über Córdoba hinaus: Die in verschiedenen monastischen Zentren überlieferten Passiones von Nunilon und Alodia sowie von Argentea und von Pelagius zeugen davon, dass man sich ihrer ebenfalls im Zuge umfassender Prozesse der Aneignung martyraler Vergangenheit erinnerte Im sogenannten Pasionario Hispánico wurden die Märtyrer der jüngeren Vergangenheit in eine Reihe mit zahlreichen frühchristlichen Märtyrern in der Spania, in der Gallia, in Rom und im Orient gestellt Viele der Passiones zu Ehren iberischer Heiliger entstanden erst nach der muslimischen Invasion von 711, teils auch im muslimischen Herrschaftsbereich70 Auch die Ausführungen des Aimoin, nach denen die fränkischen Mönche eigentlich auf der Suche nach Vinzenzreliquien waren71 und – nach dem Misslingen ihrer Mission – eher zufällig von den Cordobeser Martyrien erfuhren, sollte in ihrer Widersprüchlichkeit nicht als absichtlich verzerrte Darstellung einer eigentlich politischen Mission nach Córdoba verstanden werden72: Ebenso wie die Überlieferungskontexte der Kultzeugnisse aus Saint-Germain-des-Prés und die Aufnahme zahlreicher Cordobeser Blutzeugen in Usuards Martyrolog zeugen sie vielmehr von dem Bemühen, die frühchristlich-martyrale Vergangenheit und die eigene Gegenwart zu verbinden Die Tatsache, dass die von Eulogius und Albarus geschilderte Märtyrerbewegung einzigartig blieb und über einen eng begrenzten Personenkreis in Córdoba hinaus keine gemeinschaftsstiftende Symbolkraft entfaltete, darf also nicht darüber hinwegtäuschen, dass Martyrien im muslimischen Herrschaftsbereich und insbesondere in Córdoba offenbar vielfältige Anknüpfungspunkte für die Vergegenwärtigung frühchristlich-martyraler Vergangenheit bieten konnten Gerade die auf den ersten Blick erkennbaren Unterschiede zwischen den Quellencorpora bieten dabei vielfältige Möglichkeiten zum Vergleich: Während uns die Schriften des Albarus und des Eulogius theologische und historiographische Diskurse erkennen lassen, innerhalb derer die Martyrien gedeutet wurden, lässt die Überliefe70

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Vgl Pasionario (wie Anm  21), Bd  1, 265–273 mit den Korrekturen in Manuel Cecilio Díaz y Díaz, Notes for a chronology of the Pasionario Hispanico, Classical folia Studies in the Christian perpetuation of the classics 24 (1970), 28–45 Vgl auch Fontaine, Literatura (wie Anm  62), 119 Zum weiteren Kontext, zu dem auch die Entstehung von Offizien gehörte, vgl Manuel Cecilio Díaz y Díaz, Textos litúrgicos mozárabes, in: Actas del I Congreso Nacional de Cultura Mozárabe Historia, arte, literatura, liturgia y música (Córdoba 27 al 30 de Abril 1995), Córdoba 1996, 105–115 Vgl Aimoin, Translatio (wie Anm  3), lib I, c 1 f , 941B–942C In diesem Sinne argumentieren Janet L Nelson, The Franks, the Martyrology of Usuard and the Martyrs of Córdoba, in: Martyrs and Martyrologies Papers read at the 1992 summer meeting and the 1993 winter meeting of the Ecclesiastical History (Studies in Church History 30), hg v Diana Wood, Oxford 1993, 67–80 und Christys, St -Germain-des-Prés (wie Anm  18), 210 mit Bezug auf Aimoin, Translatio (wie Anm  3), lib I, c 1–3, 941 f

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rungssituation nahezu keine weiterreichenden rezeptionsgeschichtlichen Schlüsse zu Die unabhängig entstandenen Passiones hingegen lassen zwar bei weitem nicht so starke Bemühungen zur Interpretation der Martyrien erkennen, eröffnen aber Einblicke in vielfältige Überlieferungs- und Rezeptionskontexte Diese Überlegungen sollen als Ausgangspunkt dienen, um jenseits starrer Abgrenzungen die Deutungen von Martyrien im muslimischen Herrschaftsbereich der Iberischen Halbinsel vergleichend gegenüberzustellen und so Grenzen und Möglichkeiten auszuloten, die der Aneignung martyraler Vergangenheit als Teil der vielfältigen christlichen Selbstpositionierungen gegenüber den arabisch-orientalischen Lebensformen des Andalus zukommen konnte III Die bei Eulogius und Albarus wiedergegebenen innerchristlichen Positionen zu den Hinrichtungen in Córdoba lesen sich wie eine Zusammenschau frühchristlicher Debatten um Voraussetzungen und Würdigkeit von Martyrien Direkte Übernahmen aus der einschlägigen patristischen Literatur sind zwar weder bei Eulogius noch bei Albarus nachzuweisen73 Dennoch wird in ihren Texten der den christlichen Martyriumsvorstellungen innewohnende Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach dem Blutzeugnis als höchster Form gläubiger Hingabe und Weltverachtung auf der einen und der Ablehnung der bewussten Suche nach dem Tode auf der anderen Seite exemplarisch74 Nicht zuletzt durch eine – insbesondere bei Eulogius greifbare  – radikale Zeitkonzeption musste dieser Gegensatz in den Cordobeser Debatten des 9 Jahrhunderts wieder präsent werden Im Memoriale Sanctorum dankte Eulogius dem Herrn, dass nun die glücklichen Zeiten zurückgegeben worden seien, in denen die Kirche während zahlreicher Verfolgungen die Steine zur Errichtung des himmlischen Jerusalem zusammengetragen habe75 Diese Äußerung war – wie Henriet überzeugend herausgearbeitet hat76 – programmatisch Eulogius zielte mit dem Verweis auf frühchristliche Martyrien nicht allein auf die Legitimation der willentlichen Suche nach 73 74

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Vgl neben dem Register der Edition auch Fontaine, Literatura (wie Anm   62); Pedro Herrera Roldán, Sobre monjes y literatura monástica en la Córdoba emiral, Meridies Revista de Historia Medieval 7 (2005), 7–28 Vgl dazu zusammenfassend Dorothea Wendebourg, Das Martyrium in der Alten Kirche als ethisches Problem, Zeitschrift für Kirchengeschichte 98 (1987), 295–320 sowie mit Bezug auf Córdoba Fontaine, Literatura (wie Anm  62), 122 und 132 Der von der Psychologie angeregte Deutungsversuch für die Cordobeser Situation bei Clayton J Drees, Sainthood and Suicide The Motives of the Martyrs of Cordoba, The Journal of Medieval and Renaissance Studies 20 (1990), 59–89, hier 84 ff scheint vor dem Hintergrund dieser Traditionen nicht überzeugend […] laudum Deo persolvamus libamina, cuius dona reddita sunt nobis inoliti temporis felicia saecula, quibus olim tempestatibus persecutionem crebrissimis christiana ecclesia lapides in illius caelestis Hierusalem coaptabat digniter structuram ad Dei gloriam […] (Eulogius, Memoriale [wie Anm  1], lib I, c 37, 395 f , Z 29–32) Vgl Henriet, Sainteté (wie Anm  31), 125

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der Hinrichtung77, sondern auf eine radikale Vergegenwärtigung frühchristlichmartyraler Vergangenheit: Durch den Rückgriff auf eine vielschichtige Symbolik setzte er die gegenwärtigen und die früheren Blutzeugen gleich78 In diesem Sinne erhob er die Verehrung der im muslimischen Córdoba hingerichteten Christen zur einzig wahren Form der Ehrerweisung gegenüber biblischen Vorbildern und frühchristlichen Märtyrern79 Die öffentliche Predigt der künftigen Blutzeugen gegen Muḥammad wurde als Fortsetzung biblischer Traditionen des Glaubenskampfes begriffen80, die damit einhergehende Bereitschaft zum Selbstopfer mit der Kreuznahme Christi verglichen81 So sehr sich die Bemühungen des Eulogius und des Albarus um eine kohärente Interpretation von Vergangenheit und Gegenwart auf den ersten Blick gleichen82, so unterschiedlich war doch die Stellung der eigenen Zeit in den Werken Albarus zielte im Indiculus luminosus darauf ab, die gegenwärtigen Martyrien unter Verweis auf heilsgeschichtliche Parallelen zu legitimieren Durch einen umfassenden Vergleich zwischen Muḥammad und dem Antichrist83 schilderte er die eigene Gegenwart aber zugleich als Situation gesteigerter Gefahr für den Glauben des Einzelnen und für die christliche Einheit In diesem Sinne gelang es ihm gerade unter 77

Vgl etwa Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I, c 23 f , 389 f mit der namentlichen Nennung verschiedener Märtyrer und C 24 schließt mit einem Zitat aus der Passio Emetherii et Celedonii zum Lob der Suche nach dem Martyrium 78 Vgl Henriet, Sainteté (wie Anm  31), 127 Zu den Bezugnahmen auf frühere Martyrien vgl oben 257 79 Vgl dazu etwa die allgemeinen Ausführungen in Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 17, 381 f Dem Memoriale Sanctorum etwa wurde im Prolog der im muslimischen Córdoba hingerichtete Mönch Isaak in seiner Bereitschaft, für seine Brüder hingerichtet zu werden, unter Verweis auf seinen alttestamentarischen Namensbruder beispielhaft vorangestellt (ebd prol , c 5, Z 8 ff , 369) Zur symbolischen Bedeutung des Vergleichs mit Isaak vgl Zwanzig, Kontakt (wie Anm  7), 32 Weitere Vergleiche etwa in Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm   1), c 6, 464 f Zur Bedeutung biblischer Zitate bei Eulogius vgl auch das Register in Eulogius Obras Completas (Akal clásicos latinos medievales 18), hg v Pedro Herrera Roldán, Madrid 2005, 261–264 sowie Edward P Colbert, The martyrs of Córdoba (850–859) A study of the sources (Studies in mediaeval history / The Catholic University of America, New Series 17), Washington, D C 1962, 170 80 Vgl etwa Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 21, 385 f sowie Fontaine, Literatura (wie Anm  62), 126 81 Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 6, 374: Die Bereitschaft zum offenen Glaubensbekenntnis wird als Ausdruck der Christusnachfolge beschrieben Vgl auch ebd lib I , c 23, 388 Im Vordergrund steht dort aber das Beispiel des Paulus 82 Auch Albarus stellt die Märtyrer in die Reihe biblischer Vorbilder (vgl Albarus, Indiculus [wie Anm  1], c 8, 279 f ) Das Streben der freiwilligen Märtyrer, ihren Glauben offen auszuüben wurde ebenso wie ihre Ablehnung jeglicher Anpassung an die Muslime  – und sei sie auch nur vorgeblich – etwa mit den alttestamentarischen Makkabäerbrüdern verglichen (vgl ebd c 17, 288 f ) In ihrem Kampf gegen Heiden nannte Albarus Elias und Moses als Vorbilder der Cordobeser Märtyrer (ebd , c 11, 283 ff ) 83 Vgl dazu ausführlich Kenneth Baxter Wolf, Muḥammad as Antichrist in Ninth-Century Córdoba, in: Christians, Muslims, and Jews in Medieval and Early Modern Spain Interaction and Cultural Change (Notre Dame conferences in medieval studies 8), hg v Mark D Meyerson, Notre Dame (Ind ) 2000, 3–19

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Verweis auf die spezifische Situation der Cordobeser Christen, die willentlich gesuchten Martyrien als gerechtfertigte Reaktion darzustellen Auch Eulogius musste auf die gegenwärtige Bedrohung für den Glauben des Einzelnen und die Einheit der Kirche eingehen So konnte er verdeutlichen, dass die Verweigerung des Martyriums die Verleugnung des eigenen Glaubens bedeutet hätte84 Ähnlich wie Albarus war er sich der Historizität der eigenen Situation bewusst, sah er doch die Lage der Cordobeser Gemeinde als eine Folge der Sündhaftigkeit an, die bereits zur muslimischen Invasion geführt hatte85 Die Martyrien stilisierte er in diesem Sinne zur militia Christi und zum Ausdruck der endzeitlichen Reinigung der Christenheit86 Eulogius’ Ausführungen zur Besonderheit der eigenen Situation schufen jedoch Distanz zur heilsgeschichtlichen Vergangenheit Diese suchte Eulogius zu überwinden, indem er der willentlichen Suche nach dem Martyrium zentrale Bedeutung gab: Die Willensstärke der künftigen Märtyrer drückte aus seiner Sicht die göttliche Prädestination ihres Handelns aus87 und ermöglichte die Gleichstellung mit den Märtyrern der Vergangenheit Diese Argumentation erlaubte es Eulogius zudem, nicht in erster Linie zur kollektiven Nachfolge im Martyrium, sondern zur Nachahmung ihrer Glaubensstärke aufzurufen88 Die Nachahmung der Märtyrer musste sich aus Eulogius’ Sicht vor allem in deren konsequenter Verehrung ausdrücken89 War diese Argumentation auf den ersten Blick ein Weg zur Ineinssetzung von Vergangenheit und Gegenwart, so eröffnete sie doch weitere Spannungsfelder: Albarus wie Eulogius bezogen in ihre Texte nämlich auch die christlichen Martyrien im muslimischen Herrschaftsbereich ein, die nicht willentlich durch die offene Pre84 Entsprechend stellte auch er Bezüge zwischen Muḥammad und dem Antichrist her: Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I, c 6, 375; lib II, c 4, § 3, 403 f und c 10, § 33, 430; Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm  1), c 15, 469; Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), c 12, 482 85 Vgl beispielsweise Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm  1), c 18, 470 f ; Albarus, Indiculus (wie Anm  1), c 18, 289 f 86 Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm   1), c 18, 470 f Zur Bedeutung des militiaGedankens vgl Franke, Freiwillige Märtyrer (wie Anm  31), 16; Antonio Yelo Templado, El monacato mozárabe Aproximación al oriente de al-Andalus, in: La cueva de la Camareta (Antigüedad y cristianismo Monografías históricas sobre la antigüedad tradía 10), hg v Antonio Blanco González, Rafael González Fernández u Manuel Amante Sánchez, Murcia 1993, 453–466, hier 454 87 Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I, c 6, 374 f Entsprechend verband Eulogius etwa in seinen Ausführungen zur Hinrichtung des Isaak die Vorstellungen von göttlicher Prädestination und willentlicher Suche des Martyriums, ebd , lib I, praef , c 2–6, 367 ff Besonders deutlich beispielsweise auch ebd , lib III, c 11, § 34, 53 ff 88 Ebd lib I , c 28 f , 391 f Eine der Ursachen für diese Argumentation dürfte nicht zuletzt auch die Notwendigkeit gewesen sein, sich gegen den Vorwurf der Anstiftung zum Martyrium zu wehren (ebd lib II, c 15, 434 f ) Dennoch betonte er mehrfach, die Martyrien hätten zur Nachahmung eingeladen und seien durch Nachfolge entstanden (ebd lib II , c 1, § 6 401 ff [allgemein]) oder in Einzelfällen (ebd lib II , c 10, § 5 417 ff [Aurelius]) 89 Eulogius, Memoriale (wie Anm   1), lib I , c 34, 394; Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), c 11, 481

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digt gesucht, sondern durch Denunziation hervorgerufen worden waren Albarus, der nicht den Anspruch verfolgte, eine möglichst vollständige Zusammenstellung von Cordobeser Passiones zu schaffen, konnte diesen Widerspruch durch die Komposition des Werkes auflösen: Die erlittenen Martyrien nutzte er, um die Verfolgungssituation der Cordobeser Christen zu illustrieren Das willentlich gesuchte Martyrium hingegen stellte er als angemessene Antwort auf diese Situation dar90 Eine tiefergehende Legitimation erhielt das Handeln der freiwilligen Blutzeugen zudem durch den Verweis auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Predigt vor den Ungläubigen und des Kampfes gegen die Heiden91 Eulogius hingegen wollte gerade durch die Vielzahl der aufgenommenen Passiones die Tragweite der von ihm geschilderten Ereignisse herausstellen Dennoch zielte er auf die Hervorhebung des willentlich gesuchten Martyriums, indem er etwa dem Memoriale Sanctorum die Leidensgeschichte Isaaks, des ersten tatsächlich freiwilligen Märtyrers, voranstellte92 Durch die Einbeziehung der erlittenen Martyrien der jüngeren Vergangenheit musste der normative Anspruch des willentlichen Martyriums und der offenen Predigt gegen die Muslime jedoch undeutlich werden: Viele der so ins Werk aufgenommenen Märtyrer hatten ihren christlichen Glauben nämlich im Verborgenen ausgeübt und erst durch die Provokationen seitens der Muslime den Propheten geschmäht Wohl unter dem Einfluss radikaler Bußvorstellungen93 entstand zudem ein weiterer Widerspruch: Entgegen seiner Ausführungen zur notwendigen göttlichen Prädestination der Blutzeugen stellte Eulogius das willentliche Martyrium als einen Mönchen und Klerikern ebenso wie Laien94 offen stehenden Weg dar, um durch den Tod der irdischen Sündhaftigkeit entgehen und die Vergebung der Sünden zu erlangen95 Eulogius betonte zwar, die Märtyrer verfolgten nicht den Wunsch zu sterben, sondern hätten den himmlischen Lohn als Ziel96 Dennoch erhielt das 90 Entsprechend sind zunächst die Martyrien des Perfectus (Albarus, Indiculus [wie Anm  1], c 3, 275 f ) und des Johannes (ebd , c 5, 277 f ) genannt Erst danach folgt Isaak (ebd , c 12, 285) 91 Vgl ebd c 3, 274 f 92 Zur neuen Qualität des Martyriums von Isaak vgl Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3), 14 f 93 Vgl James Waltz, The Significance of the Voluntary Martyr Movement of Ninth-Century Córdoba, Muslim World 60 (1970), 143–159; 226–236, hier 157 ff ; Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3), 112–117 Vgl freilich auch hier die vielfältigen Bezüge zu frühchristlichen Debatten, zusammengefasst in Ernst Dassmann, Sündenvergebung durch Taufe, Buße und Martyrerfürbitte in den Zeugnissen frühchristlicher Frömmigkeit und Kunst (Münsterische Beiträge zur Theologie 36), Münster 1973, 153–174 94 Zur sozialen Zusammensetzung der Märtyrerbewegung vgl Henriet, Sainteté (wie Anm  31), 96 f 95 Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I, c 5, 373, Z 6–13: Adeo illa primordialis abrenuntiatio rerum mundique contemptus praecipuis votis et studio ardentiori ab eis exercitatus est, ut contuendi velocius Deum et beatorum fruendi consortio desiderum haberent, ut etiam labentis vitae obnixe occasum appeterent, melius putantes sub unius puncti spatio ferre sententiam hominum, quae ilico nulla intercidente dilatione eos ferret ad caelum, quam per varia et longa discrimina temporum cum gravi molestia sustinere versutias daemonum. Vgl ferner ebd lib I, c 35, 394 96 Vgl ebd lib I, c 32, 393

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Blutzeugnis der Märtyrer eine herausragende Stellung, das ihr in vielfältigen asketischen Übungen ausgedrücktes Glaubenszeugnis in seiner normativen Kraft überdecken musste97 Gerade auf individueller Ebene resultierten aus dieser Argumentation Spannungsfelder, die sich an der Person des Eulogius besonders deutlich greifen lassen In einer Phase zunehmender Verfolgung sah er sich gezwungen, sich vor der drohenden Hinrichtung zu verbergen98 Er, der sich nach Auskunft seiner Lebensbeschreibung ebenfalls um eine streng asketische Lebensweise bemühte und – nach anfänglichem Zögern99  – zu einem glühenden Verehrer der Märtyrer geworden war, verwirklichte in diesem Moment seine Aufforderung zum offenen Glaubensbekenntnis nicht und gefährdete so aus seiner eigenen Sicht sein Heil100 Wie die Darstellungen des fremden Glaubens zeigen können, schuf der Anspruch einer umfassenden Aneignung heilsgeschichtlicher Vergangenheit aber auch erhebliche Schwierigkeiten für die Distanznahme vom Anderen: Beide Autoren kennzeichneten – in Abgrenzung zur positiven Wahrnehmung des Islam als monotheistischer Offenbarungsreligion101 – den fremden Glauben trotz erstaunlicher Islam kenntnisse102 teils als Heidentum, teils aber auch als christliche Häresie103 Das öffentliche Glaubenszeugnis der Märtyrer wurde entsprechend widersprüchlich und bewegte sich zwischen Schmähung des fremden Glaubens und Bekehrungsversuchen in der Tradition des Missionsbefehls104 Eulogius stellte es als be97 Vgl auch die Überlegungen bei Franke, Freiwillige Märtyrer (wie Anm  31), 24 f 98 Qui ideo forte martyrium fugimus non quia timemus mortem […] sed quia indigni sumus martyrio, quod quibusdam et non omnibus datum est (Eulogius, Memoriale [wie Anm  1], lib II , c 14, 433 f , Z 13 ff ) 99 Möglicherweise nahm sogar Eulogius zunächst eine ungefestigte Position zu den Martyrien ein, konnte aber von Albarus zur Unterstützung angehalten werden (vgl Franke, Freiwillige Märtyrer [wie Anm  31], 95 mit Anm  609) mit Bezug auf Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm  1), ep I, 459, Z 3–6 Noch die Einkerkerung des Eulogius scheint das Ziel verfolgt zu haben, ihm ein Abrücken von seinen Positionen zu den Martyrien zu erleichtern (vgl Franke, Freiwillige Märtyrer [wie Anm  31], 105) mit Bezug auf Eulogius, Documentum Martyriale (wie Anm  1), ep I, 459, Z 9 f Zur mutmaßlichen Nähe von Eulogius’ Familie zum Hofe des Emirs Coope, Martyrs (wie Anm  31), 37 100 Vgl Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib II, c 15, § 14, 34 101 Diese Sichtweise war in der Cordobeser Gemeinde offenbar durchaus verbreitet (Eulogius, Liber apologeticus [wie Anm  1], c 12, Z 1–4, 481 und c 17, 486) 102 Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), c 16, 484; Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I, c, 7 f , 375–377 Vgl aber auch die in wörtlicher Rede prominent im Prolog des Memoriale Sanctorum wiedergegebenen Ausführungen des Märtyrers Isaak (Eulogius, Memoriale [wie Anm  1], lib I, praef , c 2, 367) Zur christlichen Islampolemik in al-Andalus Franke, Freiwillige Märtyrer (wie Anm  31), 37–67 103 Vgl Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I, c 7, Z 1–4, 375; Eulogius, Liber apologeticus (wie Anm  1), c 19, 487; Albarus, Indiculus (wie Anm  1), c 8, 280, Z 37–41 104 Vgl Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 5, 373 f Vgl aber auch die wörtlich wiedergegebenen Fragen des Mönchs Isaak an den Richter (ebd praef , c 2,367, z 18–21) oder auch Eulogius, Epistolae, ed Juan Gil Fernández, in: Corpus scriptorum Muzarabicorum (wie Anm  1), Bd  2, 495–503, ep II, c 11, 501, Z 8–13 sowie Albarus, Indiculus (wie Anm  1), c 2, 273 f und c 10, 281 ff Vgl auch die – trotz der scharfen methodischen Kritik von Waltz, Significance (wie Anm  93), 144 mit Anm  1 – wertvollen Hinweise bei Allan Cutler, The

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sonderen Ausdruck der Feindesliebe dar, die Feinde Christi zu mahnen, nicht in ihrem Unglauben zu verharren, und dies sogar durch die Bereitschaft zum eigenen Tod zu unterstreichen105 Neben den widersprüchlichen Ausführungen zum fremden Glauben nutzte insbesondere Eulogius das Mittel der Personifizierung, um kulturelle und religiöse Differenzen zu den Muslimen aufzuzeigen In den einzelnen Passiones wurde die Schönheit von Körper und Sprache der Cordobeser Blutzeugen durch die Hässlichkeit der muslimischen Richter kontrastiert, der angeblich ausschweifenden Sexualität der Muslime stellte man die Keuschheit der künftigen Märtyrer gegenüber106 Am deutlichsten wird dieses Vorgehen im Liber apologeticus, in den Eulogius die Historia Mahometi, eine in ihrer Herkunft umstrittene polemische Lebensbeschreibung des Propheten Muḥammad107, einarbeitete Durch die Aufnahme dieses Textes wurden die Märtyrer in ihrer Nachfolge Christi dem als Häresiarch verunglimpften Propheten besonders drastisch gegenübergestellt Diese Zuspitzung musste aber in Gegensatz zu Eulogius’ Anspruch geraten, eine möglichst große Anzahl von Martyrien aus der jüngeren Vergangenheit in sein Werk aufzunehmen Viele der von ihm beschriebenen Märtyrer stammten nämlich aus muslimisch-christlichen Mischfamilien und waren teils muslimische Apostaten108 Auch wenn der Weg dieser Märtyrer die Möglichkeit aufzeigte, sich von der Verderbtheit des früheren Lebens zu lösen, so mussten die propagierten Formen der Distanznahme angesichts der engen kulturellen Verflechtung109 mit den Muslimen den Konflikt mitten in die Cordobeser Gemeinde tragen, an deren Einheit Eulogius und Albarus nach wie vor interessiert waren Zugleich wurden aber die Frontstellungen zwischen Christentum und dem anderem Glauben unterlaufen, die Eulogius und Albarus konstruierten Insofern markieren beide Werke in ihrer einzigartigen Verbindung von hagiographisch-theologischen und historiographischen Diskursen die Grenzen der Aneignung einer Märtyrervergangenheit in den Prozessen christlicher Selbstpositionierung und Identitätsbildung gegenüber den arabischorientalischen Lebensformen des Andalus

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Ninth-Century Spanish Martyrs Movement and the Origins of Western Christian Missions to the Muslims, Muslim World 55 (1965), 321–339, hier 325 f , der freilich zu weit geht, wenn er die Cordobeser Märtyrer als Vorläufer der Franziskanermission bezeichnet Eulogius, Memoriale (wie Anm  1), lib I , c 20, 383 Vgl dazu mit den entsprechenden Belegen Zwanzig, Kontakt (wie Anm  7), 30–34 Zur Diskussion um den Text, den Eulogius im nordspanischen Kloster Leyre angeschrieben haben will, vgl beispielsweise Manuel Cecilio Díaz y Díaz, La circulation des manuscrits dans la Péninsule Ibérique du viiie au xie siècle, Cahiers de civilisation médiévale 12 (1969), 219–241, 383–392, hier 228 f ; Kenneth Baxter Wolf, The earliest Latin Lives of Muḥammad, in: Conversion and Continuity Indigenous Christian Communities in Islamic lands Eighth to Eighteenth Centuries (Papers in Mediaeval Studies 9), hg v Michael Gervers u Ramzi Jibran Bikhazi, Toronto 1990, 89–101, hier 91; Janna Wasilewski, The „Life of Muhammad“ in Eulogius of Córdoba Some Evidence for the Transmission of Greek Polemic to the Latin West, Early Medieval Europe 16 (2008), 333–353 Vgl Coope, Martyrs (wie Anm  31), 23–31 Vgl etwa die berühmten Klagen des Albarus (Albarus, Indiculus [wie Anm  1], c 35, 313 ff ) Vgl auch Wolf, Christian Martyrs (wie Anm  3), 9; Coope, Martyrs (wie Anm  31), 56

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IV Zweifelsohne erschwert die Einzigartigkeit von Eulogius’ und Albarus’ Werken einen Vergleich mit den unabhängig entstandenen Passiones: Eulogius und Albarus zielten darauf ab, die Martyrien als Ausdruck eines kollektiven Kampfes der Cordobeser Christen gegen die Muslime darzustellen und gaben nicht zuletzt deshalb der historischen Schilderung der eigenen Situation großen Raum Die unabhängig entstandenen Passiones hingegen enthielten nur knappe Bezüge auf die historischen Umstände, innerhalb derer die Martyrien stattfanden110 Wie die Überlieferungskontexte vermuten lassen, waren sie dennoch nicht allein Teil einer umfassenden liturgischen Aneignung einer Märtyrervergangenheit, sondern wurden gerade auch in Kontexten formativer und normativer Sinnstiftung genutzt Für die älteste handschriftliche Überlieferung der Passio Nunilonis et Alodiae und der Passio Pelagii (Biblioteca Nacional de España, Madrid, Ms 822) wird die Fertigung im Skriptorium der Klöster San Millán de Cogolla oder Albelda diskutiert111 Das deutet auf Gemeinschaften mit umfassendem historiographischen Interesse hin: Noch in der gefälschten Fundationsurkunde des Kloster Albelda erinnerte man sich der muslimischen Eroberung als Strafe für die christliche Sündhaftigkeit und wertete die Gründung des eigenen Klosters als ein Zeichen der wiedererlangten göttlichen Gnade112 Bereits früh wurden in den Skriptorien von San Millán und Albelda einzelne der sogenannten asturischen Chroniken abgeschrieben, die mit ihren Ausführungen zu den Bemühungen der asturischen Herrscher, an das niedergegangene Westgotenreich anzuknüpfen, auf kollektive Sinnstiftung zielten113 In den berühmten Codices Albeldensis und Emilianensis (Real Biblioteca del Escorial, Mss d I 2 und d I 1 ) wurden diese Texte114 etwa mit verschiedenen Schriften verbunden, die von der Canónica Hispana über den Liber 110 Am ausführlichsten dabei die Passio Nunilonis et Alodiae mit ihren Ausführungen zur Ausbreitung des Islam (Passio Nunilonis et Alodie [wie Anm  14], c 5, 288) 111 Vgl José Janini / José Serrano / Anscario Marcet Mundó, Manuscrítos litúrgicos de la Biblioteca nacional, Madrid 1969, 57, Nr  40 Zur Handschrift vgl auch Díaz, Circulation (wie Anm  107), 97 f Sollten die Überlegungen Christys’ zutreffen, Eulogius habe bereits während seiner Reise in den christlichen Norden der Iberischen Halbinsel in Kloster Leyre den Kult der Märtyrerinnen Nunilon und Alodia kennengelernt und deren Passio dort abgeschrieben, so ist hier eine der ältesten Überlieferungen zu vermuten (Vgl Christys, Christians [wie Anm  14], 68 und 76) 112 Cartulario de Albelda (Textos medievales 1), hg v Antonio Ubieto Arteta, Zaragoza 21981, Nr  2, 9–12 Zur Gründung vgl Francisco Javier García Turza, El Monasterio de San Martín de Albelda Introducción Histórica, in: El Códice Albeldense, 976 Original conservado en la Biblioteca del Real Monasterio de San Lorenzo de El Escorial (d I 2) (Coleción Scriptorium 15), hg v Francisco Javier García Turza u a , Madrid 2002, 9–27 113 Zu Überlieferung und Entstehungskontext vgl Chroniques Asturiennes (fin du ixE siécle), hg v Yves Bonnaz, Paris 1987, VII–XCIII; Crónicas Asturianas (Universidad de Oviedo Publicaciones del Departamento de Historia Medieval 11), hg v Juan Gil Fernández, José Luis Moralejo u Juan Ignacio de La Ruiz Peña, Oviedo 1985, 11–105 114 Die Handschrift d I 2  überliefert die Chronica Albeldense, in der Handschrift d I 1  sind hingegen wegen des Verlusts einzelner Seiten heute lediglich Fragmente der Chronica prophetica überliefert

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iudicorum bishin zu päpstlichen Dekretalen und der polemischen Historia Mahometi reichen115 Im Kontext dieser Bemühungen um eine umfassende Aneignung westgotischer Traditionen und der Deutung der eigenen, durch die muslimische Eroberung veränderten Gegenwart wurde offenbar auch Heiligen und Märtyrern große Bedeutung beigemessen: In die besagten Codices wurden nämlich Kalendare aufgenommen, die unter anderem auch die Märtyrer Nunilon, Alodia und Pelagius verzeichneten116 Während sich im Falle der Klöster San Millán und Albelda die Nutzung hagiographischer Texte zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit nur vermuten lässt, ist sie in anderen Kontexten sicher zu greifen Auszüge aus der Passio Nunilonis et Alodiae, deren Abfassung man hier offenbar Isidor von Sevilla zuschrieb, wurden unter dem Titel De Mahomet eiusque errore in eine während des 12  oder 13 Jahrhunderts im Nordosten der Iberischen Halbinsel oder der Gallia Narbonensis entstandene Handschrift aufgenommen Wenn in dem Codex auch die Chronica Pseudo-Isidoriana, Auszüge aus dem Werk des Orosius aber auch der Etymologien überliefert sind117, so unterstreicht dies das Interesse für die Martyrien in einer weit über hagiographische Kontexte hinaus reichenden Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und dem fremden Glauben Auch die Überlieferung der Passio Nunilonis et Alodiae sowie der Passio Pelagii aus dem Kloster Cardeña lässt eine über den liturgischen Bereich hinausgehende Nutzung der Passiones deutlich erkennen: Die Passiones sind dort Teil einer nicht nach dem liturgischen Kalender geordneten Sammlung aus dem 11 Jahrhundert118, deren Entstehung unweit Leóns wahrscheinlich ist119 Dass die Handschrift 115 Zur Zusammensetzung vgl Catálogo de los códices latinos de la Real Biblioteca del Escorial, hg v Guillermo Antolín, 5 Bde, Madrid 1910–1923, Bd  1, 320–404 Vgl ferner die Beiträge in Códice Albeldense (wie Anm  112) sowie Manuel Cecilio Díaz y Díaz, Lecturas y Lectores en San Millán, in: Los monasterios de San Millán de la Cogolla, hg v Ignacio GilDíez Usandizaga, Logroño 2000, 15–26 116 Die Kalendarien sind ediert in Vives Gatell / Fábrega Grau, Calendarios (wie Anm  10), 137 (19)–146 (28) 117 Eine knappe Beschreibung der Handschrift findet sich in: Patrick Gautier Dalché, Notes sur la „Chronica Pseudo-Isidoriana“, Anuario de estudios medievales 14 (1984), 13–32, hier 14 ff (ND in: ders , Géographie et culture La représentation de l’espace du vie au xiie siècle [Variorum Collected Studies Series 592], Aldershot, Hampshire 1997, 13–32); La chronica gothorum pseudo-isidoriana (ms Paris BN 6113) Edición crítica traducción y estudio (Biblioteca filológica 6), hg v Fernando González Muñoz, La Coruña 12000, 16 ff 118 Pasionario (wie Anm  21), Bd  2, 240 ff spricht zwar von der „Unordnung“ der Eintragungen, sieht in der Handschrift aber dennoch in erster Linie die Ergänzung zu British Library Ms Add 25 600 und meint so die Liste der im 11 Jahrhundert in der Liturgie Cardeñas verehrten Heiligen vollkommen rekonstruieren zu können 119 Antolín plädierte zwar dafür, dass der Codex in Córdoba verfasst wurde und gemeinsam mit den sterblichen Überresten des Grafen Garcí-Fernández von dort in das Kloster Cardeña gelangte (vgl Catálogo [wie Anm   115], Bd   1, 127) Diesen Überlegungen steht allerdings die veränderte Passio Marcelli gegenüber: Diese Passio taucht erstmals in Silos in Biblioteca Nacional de España, Madrid, Ms 494, fol 112 auf, wobei das Martyrium noch in Tanger lokalisiert wird In Real Biblioteca del Escorial, Mss b I 4 , fol 261 ist hingegen erstmals die Rede davon, Marcellus sei in León hingerichtet worden

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offenbar in Kontexten klösterlicher Wissensvermittlung zur historisch-kritischen Auseinandersetzung mit den Texten diente, lässt sich an den Marginalien zu den beiden Passiones des Apostels Matthäus erkennen Nur einer der Texte wurde als passio vera et rationale gekennzeichnet120; bei der zweiten Leidensgeschichte hingegen wurde der Leser auf deren apokryphen Charakter aufmerksam gemacht und auf den ersten Text verwiesen121 Die Randnotizen machen zudem das besondere Interesse deutlich, welches die Cordobeser Passiones im Kloster Cardeña erfuhren: So benannte man für die Passio Pelagii mittels einer Randnotiz den Autor des Textes122 Die Passio Nunilonis et Alodiae, die wie andere Texte der Handschrift auf Inkarnationsjahre datierte, wurde – offenbar um eine genaue zeitliche Einordnung des Geschehens zu ermöglichen  – als einzige mit einer Marginalie zur Umrechnung in die spanische Era versehen123 Zugleich bemühte man sich darum, das erstaunlich detaillierte Wissen des Textes zum Islam124 in Bezug zur christlichen Heilsgeschichte zu setzen: So gab eine Marginalie zum einen an, wie lange die Himmelfahrt Christi zurücklag, zum anderen wurden der Zeitraum zwischen der Himmelfahrt Christi und dem Wirken Muḥammads benannt125 Eulogius und Albarus zielten in ihrer Argumentation darauf ab, die Brüche zwischen der Vergangenheit der frühchristlichen Märtyrer und ihrer Gegenwart durch die besondere Würdigung des neuerlichen christlichen Blutzeugnisses zu überwinden Die herausragende Stellung des kollektiven Blutzeugnisses ließ aber das nicht zuletzt auch in der asketischen Lebensführung ausgedrückte Glaubenszeugnis der Märtyrer in den Hintergrund treten In den unabhängig von Eulogius und Albarus entstandenen Passiones lassen sich entsprechende Tendenzen nicht erkennen In ihnen trat das Beispiel der einzelnen Märtyrer in ihrer heiligen Lebensführung und Distanznahme von der Welt stärker in den Vordergrund126 Die Überlieferungskontexte – und hier insbesondere die Handschrift aus Cardeña – ver120 Real Biblioteca del Escorial, Mss b I 4 , fol 76r: Hec est passio sancti mathei apostoli vera et rationale und nochmals ebd , fol 81v: Hec est passio vera et rationabile sancti mathei apostoli et martiris christi, vgl auch Catálogo (wie Anm  115), Bd  1, 118 121 Real Biblioteca del Escorial, Mss b I 4 , fol 84r: Hec passio scias vere quia apogriva est sed si vis investigare passio sancti mathei apostoli torna sex folias retro et invenies passio eiusdem apostoli valde laudabile et nimis rationale 122 Ebd fol 127r Vgl Catálogo (wie Anm  115), Bd  1, 121 123 Real Biblioteca del Escorial, Mss b I 4 , fol 30r Vgl Catálogo (wie Anm  115), Bd  1, 127 124 Dieses umfasste das Wissen um die Bedeutung des Erzengels Gabriel für die Offenbarung des Koran und um die muslimische Polytheismuskritik, die hier ausdrücklich auch auf die göttliche Natur Christi bezogen wurde (vgl Gil Fernández, Nunilón y Alodia [wie Anm  14], c 4, 114; vgl auch Passio Nunilonis et Alodie [wie Anm  14], c 5, 288) 125 Real Biblioteca del Escorial, Mss b I 4 , fol 30v Vgl Catálogo (wie Anm  115), Bd  1, 127; Gil Fernández, Nunilón y Alodia (wie Anm  14), c 4, 114 mit Anm  5 Die Bezugnahme auf die Himmelfahrt Christi lässt sich etwa durch orientchristliche Einflüsse, möglicherweise aber auch aus einer Nutzung des Textes in Auseinandersetzung mit Muslimen oder mit durch den Islam beeinflussten Christen erklären In Sure 4,157 f lehnte der Koran nämlich die Vorstellungen von der Kreuzigung Jesu ab, sprach aber zugleich von dessen Erhebung in den Himmel 126 Vgl dazu auch Zwanzig, Kontakt (wie Anm  7), 33 f

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deutlichen zudem, dass man sich der zeitlichen Brüche zur Vergangenheit der früchristlichen Märtyrer aber auch zu den Martyrien der jüngeren Vergangenheit bewusst war und sie nicht negierte Offenbar ermöglichte aber gerade dieses Bewusstsein eine veränderte Aneignung der jüngeren Martyrien auf der Iberischen Halbinsel in Prozessen der Identitätsbildung: In Kloster Silos etwa wurde die Passio Pelagii in einer Handschrift des 10  oder 11 Jahrhunderts mit einem Offizium dieses Heiligen überliefert Das Offizium hob das standhafte Bemühen des Pelagius hervor, seine Keuschheit trotz der unzüchtigen Verführung durch den Kalifen zu schützen127 Wenn die Handschrift ferner Auszüge aus verschiedenen normativen Texte für weibliche Religiosen überliefert128, lässt dies die normative Funktion der Märtyrer in monastischen Kontexten erkennen Kaum zufällig richtete sich eine im 10 Jahrhundert auf Grundlage des Smaragdus-Kommentars verfasste Adaption der Benediktsregel für Frauenklöster an eine Gemeinschaft, die Nunilon und Alodia geweiht war129 Obwohl die beiden Märtyrerinnen nicht aus einer monastischen Gemeinschaft hervorgingen, zeichneten sie sich doch durch ihre asketischen Bemühungen aus130 An monastische Vorstellungen knüpft aber auch das Armutsideal der beiden Jungfrauen an, die sich vor dem muslimischen Richter weigerten, sich für reiche Besitzschenkungen vom Christentum loszusagen131 Das Martyrium bezeugte die Heiligkeit, forderte aber nicht zur Nachahmung durch das Streben nach der eigenen Hinrichtung sondern durch Verehrung und Nachfolge im asketischen Leben auf und entfaltete so normative Kraft Die Standhaftigkeit gegenüber der muslimischen Obrigkeit wurde in diesem Sinne zu einem besonderen Symbol für die Distanznahme von der Welt und konnte so in das Selbstbild von monastischen Gemeinschaften einfließen Diese Auslegungen hatten auch Einfluss auf die liturgische Interpretation der Texte, stellte doch der Hymnus für Nunilon und Alodia aus Silos die Abwehr der weltlichen Verführung in den Vordergrund132 127 Im Hymnus zu Ehren des Pelagius heißt es: Quem saeculi blandities / Nec gladii ferocitas / Inclinere praevaluit / Ut te [sic!] negaret Dominum / Aurum nam sibi respuit / Collatum a tyrannico / Fugitque simul epulas / Pomposasque delicias / Adgressus namque principem / Christum laudare non desinit / Pro quo nec mori timuit / Nec declarari veruit (España Sagrada, Bd  23: Iglesia de Tuy Continuación, hg v Henrique Flórez, Madrid 21799, 237) Vgl auch die Ausführungen in der Missa in die Sancti Pelagii (Marius Férotin, Le Liber Mozarabicus Sacramentorum et les manuscrits mozarabes [Instrumenta liturgica Quarreriensia 4], hg v Anthony Ward, Paris 1912, ND Rom 1995, 567) Flórez griff für den Druck des Hymnus auf eine Handschrift aus Túy zurück Zur Silenser Überlieferung vgl ebd 888 128 Zu der Zusammensetzung der Handschrift Leopold Victor Delisle, Mélanges de paléographie et de bibliographie, Paris 1880, 76 ff ; Férotin, Liber Mozarabicus (wie Anm  127), 888 ff Vgl ferner Díaz, Pelayo (wie Anm  22), 100; Christys, Cordoba (wie Anm  28), 134; dies , Christians (wie Anm  14), 92 129 Vgl Antonio Linage Conde, Una regla monástica riojana femenina del siglo X El „Libellus a regula sancti Benedicti Subtractus“ (Acta Salmanticensia Filosofía y letras 74), Salamanca 1973, 95 f Zum Kloster vgl Tomás Moral, El monasterio riojano de las santas mártires Nunilo y Alodia, Príncipe de Viana 36 (1975), 435–445 130 Vgl Passio Nunilonis et Alodie (wie Anm  14), c 8, 290 und c 12, 294 131 Vgl ebd c 10, 292 und c 14, 296 132 Vgl Mozarabic Psalter (wie Anm  15), 262 f

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Dass die unabhängig von Eulogius und Albarus entstandenen Passiones offenbar vor allem in monastischen Kontexten normative Wirkung entfalten konnten, ist auch für die Interpretation möglicher politischer Dimensionen der hier untersuchten Märtyrerkulte zu berücksichtigen Zweifelsohne wurden in unterschiedlichen Quellen die königlichen Bemühungen um die Förderung der Märtyrerkulte besonders herausgestellt Der heute nur noch unsicher zu datierende Bericht zur Translation der Gebeine von Nunilon und Alodia in das Kloster Leyre führte die Überführung der Gebeine auf königliche Initiative zurück133 Vor allem der Kult des aus einer einflussreichen nordiberischen Familie stammenden Pelagius134 erfuhr, wie die Chronik des Sampiro135 oder auch eine umfangreiche Schenkungsurkunde König Ferdinands I für das Pelagius-Kloster in Oviedo aus dem Jahre 1053 belegen, intensive königliche Förderung136 Der Schluss, die Herrscher hätten die Martyrien in der politisch-militärischen Auseinandersetzung mit den Muslimen instrumentalisiert, liegt angesichts der Bedeutung, die kämpfende Heilige gerade im 12 Jahrhundert erfuhren137, nahe Anhand der überlieferten Quellen lässt er sich jedoch kaum erhärten: Während die Chronik des Sampiro zu den Motiven der Übertragung weitgehend schweigt, lässt eine Notiz zum Reliquienbesitz in der Kathedrale von Oviedo ebenso wie der Liber Chronicorum des Ovetenser Bischofs Pelagius erneut erkennen, dass die Reliquien teil einer umfassenden Aneignung der Vergangenheit der Märtyrer waren: Die sterblichen Überreste des Pelagius wurden hier gemeinsam mit weiteren frühchristlichen Märtyrerreliquien erwähnt138 Der im 133 Vgl Gil Fernández, Nunilón y Alodia (wie Anm   14), c 2 ff , 136 ff Zum Entstehungskontext vgl Christys, Christians (wie Anm  14), 70–74 134 Zur Vernetzung der Familie des Pelagius Thomas Deswarte, De la destruction à la restauration L’idéologie du royaume d’Oviedo-León (viiie –xie siècles) (Cultural Encounters in Late Antiquity and the Middle Ages 3), Turnhout 2003, 146 f ; Pierre David, Études historiques sur la Galice et le Portugal du vie au xiie siécle (Collection portugaise 7), Coimbra 1947, 220 135 Historia Silense, hg v Justo Pérez de Urbel u Atilano González Ruiz-Zorilla, Madrid 1959, c 18, 163 f und c 27 f , 170 f 136 Colección diplomática de Fernando I (1037–1065), hg v Pilar Blanco Lozano, León 1987, Nr   47, 136 ff ; vgl auch El monasterio de San Pelayo de Oviedo Colección diplomática (996–1325), hg v Francisco Javier Fernández Conde u Isabel María Torrente Fernández, Oviedo 1978, Nr  3, 23 ff Zur Etablierung des Kultes in León vgl Ludwig Vones, Leon als Zentrum ideologischer Selbstdarstellung des Königtums im 10  und 11 Jahrhundert Baukunst, Ikonographie und Geschichtsschreibung, in: Städte im Wandel Bauliche Inszenierung und literarische Stilisierung lokaler Eliten auf der Iberischen Halbinsel Akten des internationalen Kolloquiums des Arbeitsbereiches für Alte Geschichte des Historischen Seminars der Universität Hamburg und des Seminars für Klassische Archäologie der Universität Trier im Warburg-Haus Hamburg 20 –22 Oktober 2005 (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt 5), hg v Sabine Panzram, Hamburg/Münster 2007, 307–324, hier 312 f 137 Vgl Klaus Herbers, Kämpfende Heilige im 10  und 12 Jahrhundert Der heilige Ulrich, der heilige Jakob, in: Augsburger Netzwerke zwischen Mittelalter und Neuzeit Wirtschaft, Kultur und Pilgerfahrten (Jakobus-Studien 18), hg v dems u Peter Rückert, Tübingen 2009, 215–236; Henriet, Santidad (wie Anm  12), 22–29 138 Bruyne, Catalogue de reliques (wie Anm  12), 94 f Der Auszug aus dem Liber Chronicorum ist ediert in Jan Prelog, Die Chronik Alfons’ III Untersuchungen und kritische Edition der vier Redaktionen (Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 134), Frankfurt a M 1980, 94 f Die Pelagiusreliquien wurden hier offenbar zur Beschreibung der Ovetenser Sakrallandschaft

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Liber Chronicorum ebenfalls überlieferte Bericht zur gemeinsamen Übertragung der Gebeine des Pelagius und früherer Könige nach Oviedo lässt des Weiteren greifen, wie eng die königliche Memoria und der Pelagiuskult verbunden waren139 Auch die bereits erwähnte Urkunde Ferdinands I macht in diesem Sinne die Verehrung des Märtyrers und seine Verbindung mit der Fürbitte für die herrscherliche Familie deutlich140 Eine politische Ausdeutung der Leidensgeschichte des Pelagius lässt sich hingegen nicht greifen Wenn die Überlieferung der Passiones von Märtyrern aus dem muslimischen Herrschaftsbereich in erster Linie in Kontexten zu greifen ist, die der Vergegenwärtigung christlicher Heilsgeschichte dienten und wenn ihre normative Nutzung vor allem darauf abzielte, die Märtyrer in ihrer Weltentsagung als Vorbilder darzustellen, so wirft das die Frage auf, ob die Könige sich nicht als Förderer bedeutender Heiliger und monastischer Reform darstellen wollten V

„Märtyrer in Córdoba“ – vor allem auf Grund moderner Identitätsbildungsprozesse lässt ein solcher Titel an die von Eulogius geschilderten Märtyrer denken Zurecht setzt man sich deshalb bis in die jüngere Forschungsgeschichte kritisch mit Positionen auseinander, die in der Cordobeser Märtyrerbewegung den Ausdruck eines auch in diachroner Perspektive kohärenten Selbstbildes der spanischen Nation erkennen wollten und stellt diesen Überlegungen die geringe Nachwirkung entgegen, die das Werk des Eulogius und des Albarus entfaltete Wie ich aufgezeigt habe, kann ein von kulturwissenschaftlichen Debatten inspirierter Blick für die Prozesshaftigkeit von Identitätsbildung jedoch über diese Positionen hinausgehen und lässt erkennen, dass die Werke zu den Cordobeser Märtyrern Teil  einer durch Aneignung von Vergangenheit und Distanznahme geprägten Selbstpositionierung iberischer Christen gegenüber den muslimisch-orientalischen Lebensformen des Andalus waren So unterschiedlich die Nutzungs- und Überlieferungskontexte der hier untersuchten Passiones waren, so ist ihnen doch die Nutzung in formativen Kontexten gemeinsam Die Bezugnahmen auf die – teils bis in die jüngste Vergangenheit reichende – Märtyrervergangenheit konnte helfen, um auf die in Identitätsbildungsfür so wichtig erachtet, dass der Text bereits in seinen Ausführungen zur Zeit Alfons’ II auf ihren späteren Besitz verwies Zur Bedeutung des Berichts zur Überführung der Arca Sancta vgl Alexander Pierre Bronisch, Reconquista und Heiliger Krieg Die Deutung des Krieges im christlichen Spanien von den Westgoten bis ins frühe 12 Jahrhundert (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 2 Reihe 35), Münster 1998, 169–172 139 Vgl España Sagrada, Bd  14: Las Iglesias Ávila, Calabria, Coria, Coimbra, Évora, Egitania, Lamego, Lisboa, Ossonaba, Pacense, Salamanca, Viseo y Zamora, hg v Henrique Flórez, Madrid 21786, 483 Zur schwierigen Gründungsgeschichte des Pelagiusklosters in León vgl Francisco Javier Fernández Conde / Isabel Torrente Fernández, Los orígenes del monasterio de San Pelayo (Oviedo) Aristocracia, poder y monacato, Territorio, sociedad y poder 2 (2007), 181–202 140 Colección diplomática de Fernando I (1037–1065) (wie Anm  136), 136 ff , Nr  47

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prozessen so zentrale Frage „Wer sind wir?“ Antwort zu geben Wenn insbesondere Eulogius die eigene Gegenwart und die Märtyrervergangenheit zunehmend gleichsetzte, so war das zweifelsohne eine besonders radikale Form der Aneignung von Vergangenheit Dennoch lassen auch die Überlieferungskontexte der eigenständig entstandenen iberischen Passiones zu Martyrien im muslimischen Herrschaftsbereich ein Verschwimmen von Zeitvorstellungen erkennen: Allein durch gemeinsame Überlieferung wurden die jüngeren Martyrien auf der Iberischen Halbinsel in die Tradition der frühchristlichen Blutzeugen gestellt Dabei entstand ein widersprüchliches Bild der Iberischen Halbinsel: Indem selbst die nach 711 entstandenen Passiones zu Ehren frühchristlicher Märtyrer sich ohne Unterscheidung nach christlichem und muslimischem Herrschaftsbereich auf die Grabstätten der Blutzeugen und den dort anhaltenden Kult beriefen141, ließen sie die gesamte Iberia als christliche Heilslandschaft erscheinen Die Passiones zu Ehren der jüngeren Märtyrer hingegen machten die historischen Brüche bewusst Gerade durch die jüngeren Passiones wurde die Iberische Halbinsel aber zu einem Raum, in dem nach wie vor die besondere Steigerung der eigenen Frömmigkeit bis hin zum Martyrium möglich erscheinen musste Auch wenn Córdoba unter den genannten Orten keinesfalls der einzige war, so musste die Stadt – vielfach als Synonym zur Bezeichnung muslimischen Herrschaftsbereichs verwendet  – doch besondere Strahlkraft erlangen142 Córdoba erlaubte  – wie etwa die gleichzeitige Ergänzung eines Passionars aus Silos (British Library Ms Add 25600) um Texte zum frühchristlichen Cordobeser Märtyrer Zoilus und um die Passio Argenteae zeigen kann143 – vielschichtige Bezugnahmen auf die Zeit vor und nach der muslimischen Invasion Die geringe Strahlkraft von Eulogius’ und Albarus’ Werk im Mittelalter ist wohl kaum allein mit der scharfen Kritik innerhalb der Cordobeser Gemeinde an der willentlichen Suche des Martyriums zu erklären Die Passio der in Calahorra hingerichteten Märtyrer Emetherius und Celedonius etwa wurde trotz ihrer zugespitzten Ausführungen zur freiwilligen Suche nach dem Martyrium144 auch außerhalb des Cordobeser Kontextes rezipiert Vorstellungen von Sehnsucht und Suche nach dem Martyrium fanden auch in jüngeren Texten wie der Passio Argen141 So etwa in der Leidensgeschichte des Torquatus und seiner Begleiter (vgl insbesondere Passio Torquati et Comitum, ed Ángel Fábrega Grau, in: Pasionario [wie Anm   21], Bd   2, 255–260, hier c 8 ff , 258 f ; Passio Torquati et Comitum, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico [wie Anm  14], 131–139, hier c 8 ff , 136 ff ), des Servandus und Germanus (Passio Servandi et Germani, ed Ángel Fábrega Grau, in: Pasionario [wie Anm  21], Bd  2, 353–357, hier c 10, 357; Passio Servandi et Germani, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico [wie Anm  14], 201–211, hier c 10, 208) oder auch in Inventio Zoili, ed Ángel Fábrega Grau, in: Pasionario (wie Anm  21), Bd  2, 379–381, hier c 6 und c 8, 381; Inventio Zoili, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico (wie Anm  14), 244–249, hier c 6 und c 8, 246 ff 142 Vgl dazu auch die Überlegungen in Zwanzig, Monastische Migration (wie Anm  25), 223 f 143 Vgl Pasionario (wie Anm  21), Bd  1, 238 f 144 Vgl insbesondere Passio Emetherii et Celedonii, ed Ángel Fábrega Grau, in: Pasionario (wie Anm  21), Bd  2, 238–243, hier c 4 ff , 239 f ; Passio Emetherii et Celedonii, ed Pilar Riesco Chueca, in: Pasionario hispánico (wie Anm  14), 117–127, hier c 4, 118

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teae Niederschlag145 Zur Erklärung des geringen Widerhalls der Texte des Eulogius und des Albarus liegt deshalb eine andere Vermutung nahe: Die insbesondere bei Eulogius greifbaren Versuche, Vergangenheit und Gegenwart gleichzusetzen und die Notwendigkeit des Blutzeugnisses in einer konkreten historischen Situation herauszustellen, reduzierten die Symbolkraft Córdobas Diese lag gerade in den vieldeutigen Bezugsebenen, wie sie etwa in der Passio Argenteae deutlich werden: Wenn es in dem Text heißt, dass die künftige Märtyrerin letztlich nur mit ihrem Körper zur Einwohnerin Córdobas wurde, so wird klar: Auch jenseits der körperlichen Präsenz in Córdoba ließ sich das Vorbild der Heiligen im Geiste nachahmen146 Dieser Gedanke entfaltete offenbar vor allem in monastisch geprägten Identitätsbildungsprozessen große Bedeutung: Die im Blutzeugnis gipfelnde Distanznahme vom fremden Glauben konnte so von ihrem historischen Kontext gelöst und zu einem normativen Vorbild in Glaubensstärke und Weltentsagung werden

145 Im Anschluss an die Ausführungen zum frommen Leben der Argentea heißt es: […] beatissima Argentea martyrii titulo volens […] (Passio Argenteae [wie Anm  21], c 5, 256, Z 12 f ) 146 […] Cordobensem urbem petuit advena, cuius mox futura erat corpore tenus perhennis incola. Nachfolgend wird die geistige Ebene betont: Quam ingressa, revolvere cepit mente qualiter frueretur propositi sui perfectione (ebd c 8, 257 f , Z 3 ff )

DER MARTYRIUMSGLEICH GEWÜRDIGTE TOD VON PAPST JOHANNES PAUL II Zur Stilisierung von Gottesmenschen im Kontext moderner Sinnsuche Hubertus Lutterbach Zwar legt sich der Mediävist Horst Fuhrmann auf den Grundsatz fest: „Überall ist Mittelalter“, wenn er „von der Gegenwart einer vergangenen Zeit“ spricht1 Doch soll diese umfassende Feststellung im Folgenden allein daraufhin überprüft werden, ob das während der Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen Papst Johannes Paul II von der Menschenmenge skandierte „subito santo!“ („sofort heilig!“) ebenfalls als Ausdruck frühchristlichen wie mittelalterlichen Denkens in der Gegenwart gewürdigt werden kann Artikuliert sich in dieser Forderung entgegen aller sonstigen Aufgeklärtheit und Wissenschaftsgläubigkeit aktuell die anhaltende Prägekraft von voraufgeklärten Deutungskategorien, die auf die Frühe Kirche zurückweisen und im Mittelalter verbreitet waren? Entspricht die Johannes Paul II im Tod von der versammelten Menschenmenge und den anwesenden Medienvertretern zuteil gewordene Stilisierung zum Heiligen – und damit zu einem entgegen aller naturwissenschaftlichen Plausibilität Fortlebenden  – jener Weise der „Kultpropaganda“, die bereits ab dem 2 Jahrhundert als erstes den Märtyrern galt und das Mittelalter durchzog2? Bereits an dieser Stelle sei unterstrichen, dass das hier gemeinte ‚Heilighalten‘ eines blutigen oder unblutigen Märtyrers nichts mit einem juristisch ausdifferenzierten und von kirchenrechtlicher Fachkenntnis getragenen Kanonisationsverfahren gemein hat3 Vielmehr artikulierte sich die ‚Heiligsprechung‘ seit dem 2 Jahrhundert in der Weise, dass eine lokale Gemeinde ihren als heilig erachteten Verstorbenen auch über den irdischen Tod hinaus für weiterhin lebendig und einflussreich hielt, was man innerhalb und außerhalb des Kultes durch Verehrung,

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Horst Fuhrmann, Überall ist Mittelalter Von der Gegenwart einer vergangenen Zeit (Beck’sche Reihe 1473), München 22003 Friedrich Prinz, Hagiographie als Kultpropaganda Die Rolle der Auftraggeber und Autoren hagiographischer Texte des Frühmittelalters, Zeitschrift für Kirchengeschichte 103 (1992), 174–194; auch Gabriela Signori, Kultwerbung  – Endzeitängste  – Judenhass Wunder und Buchdruck an der Schwelle zur Neuzeit, in: Mirakel im Mittelalter Konzeptionen, Erscheinungsformen, Deutungen (Beiträge zur Hagiographie 3), hg v Martin Heinzelmann, Klaus Herbers u Dieter R Bauer, Stuttgart 2002, 433–472, 472 Stefan Samerski, „Wie im Himmel, so auf Erden?“ Selig- und Heiligsprechung in der Katholischen Kirche 1740–1870 (Münchener kirchenhistorische Studien 10), Stuttgart 2002, 61–63

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Anrufung und Nachahmung zum Ausdruck brachte4 Im Unterschied dazu fand die früheste juristisch-formal ausdifferenzierte Heiligsprechung, zu der es übrigens ohne die populare Forderung nach dem ‚subito santo‘ der Massen für einen verstorbenen Mitchristen überhaupt nicht gekommen wäre, erst im 10 Jahrhundert statt5 Dieser kanonistische Verfahrensaufwand, den die christliche Basis allerdings auch über das Spätmittelalter hinaus durch die Wucht ihrer weiterhin ‚inoffiziellen Heiligsprechungen‘ zu unterlaufen suchte, wurde seit dem 16 Jahrhundert als Antwort auf die Reformation nochmals erhöht6 Er „resultierte“, so maßgeblich der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt, „nicht zuletzt aus der tiefen [kirchenoffiziellen] Abneigung vor den volkstümlichen Kulten um unschuldig vergossenes Blut“7 Wie bereits angedeutet, spiegelt sich das Ideal des Gottesmenschen  – fortan gleichzusetzen mit dem Ideal des Heiligen – mit Blick auf Johannes Paul II nach dessen Tod sowohl in den Beifallsstürmen jener Tage auf dem Petersplatz als auch in der medial vielfältigen Berichterstattung (Radio, Fernsehen, Zeitung etc ) wider So soll als erstes die Rezeption des Johannes Paul II zugeschriebenen Gottesmensch-Ideals in deutschsprachigen überregionalen Zeitungen und Illustrierten bzw Journalen knapp vorgestellt werden; näherhin bleibt dieser Vergleich konzentriert auf die Bedeutung des „Martyriums“ und des „lebenden Toten“ in der Berichterstattung der deutschen Presse über den verstorbenen Papst Zeitlich soll die knappe Analyse konzentriert sein auf die Zeit zwischen dem 4 April 2005 – dem ersten Werktag nach dem Versterben des Papstes – und dem 9 April als dem Tag nach seiner Beisetzung Sie soll münden in die Frage, welchen Sinn der Rückgriff auf das Deutungsmuster des sühnenden Blutstodes und des über den irdischen Tod hinaus lebendigen Heiligen in der Gegenwart haben könnte 1 JOHANNES PAUL II  – EIN GOTTESMENSCH? Die Berichterstattung der deutschen Presse zwischen dem Todestag des Papstes und seiner Beisetzung zeigt, dass der Verstorbene sowohl in Rom als auch in den Printmedien als Heiliger stilisiert wurde Entsprechend sei hier summarisch zusammengefasst, was sich andernorts ausführlich darlegen ließ: Im direkten Anschluss an seinen Tod würdigte man Johannes Paul II als Prophezeiten, als Beter und Mystiker, als Segensspender, aufgrund des ihm widerfahrenen Attentates als 4 5 6 7

Bernhard Kötting, Heiligenverehrung, in: Ecclesia peregrinans Das Gottesvolk unterwegs Gesammelte Aufsätze, Bd  2, hg v dems , Münster 1988, 75–84, 75 Ders , Entwicklung der Heiligenverehrung und Geschichte der Heiligsprechung, in: Ecclesia peregrinans (wie Anm  4), 120–136, 133 f ; auch Theofried Baumeister, Die Anfänge der Theologie des Martyriums (Münsterische Beiträge zur Theologie 45), Münster 1980, 299–301 Stefan Samerski, Kanonisation und Identität Wie die Kurie die „Katholizität“ der Kirche entdeckte, in: Global-Player der Kirche? Heilige und Heiligsprechung im universalen Verkündigungsauftrag, hg v Ludwig Mödl u Stefan Samerski, Würzburg 2006, 157–177 Arnold Angenendt, Heilige und Reliquien Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, München 21997, 65; zum mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund siehe ebd 181

Der martyriumsgleich gewürdigte Tod von Papst Johannes Paul II

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Blutsmärtyrer, als selbst gegenüber seinem Attentäter aufmerksamen Vergebungsbereiten, als Grenzüberschreiter von inneren und äußeren Mauern, als Wundertäter, als Anwalt der Bedrängten, als Vater, als Jesus-Gleichen oder als jesusgleich Leidenden und Sterbenden8 a Sein Leben – Ein Martyrium? Unter all den Charakteristika, die einen mittelalterlichen Gottesmenschen ausmachen, nehmen die ihm über seinen irdischen Tod hinaus zugeschriebene Lebendigkeit und Wirkmächtigkeit eine zentrale, ja die zuvor genannten Charakteristika eines Heiligen gewissermaßen bestätigende Rolle ein Diese Attribuierung wurzelt in der ihm zugebilligten Rolle des blutigen Märtyrers Tatsächlich schätzte man in der Christentumsgeschichte das Blutsmartyrium bereits seit dem 2 Jahrhundert als wirkmächtiger ein denn das neutestamentlich erstrangig geforderte Martyrium der Wortverkündigung9, wie auch die Berichterstattung anlässlich des Todes von Johannes Paul II zu erkennen gibt Im Rückblick auf das Leben des verstorbenen Johannes Paul II schildern die Medien sein gesamtes Leben als eine einzige lebensgefährliche Bedrohung: So erinnert DER SPIEGEL eindrucksvoll daran, dass der spätere Papst beinahe schon als Jugendlicher das Opfer einer Waffe geworden wäre10, im Untergrund sein Theologiestudium absolviert und mit jüdischen Jugendlichen Fußball gespielt hätte11 Tatsächlich erlebte Karol Wojtyla vor allem die Schrecken und Martyrien des Nationalsozialismus aus nächster Nähe So unterstreicht Kardinal Karl Lehmann im FOCUS die Lage des Geburtsortes: „Vielleicht ist gerade bei uns in Deutschland zu sehr vergessen, dass der Papst nicht weit von den Vernichtungslagern um Auschwitz in Wadowice geboren wurde, dass er dort aufwuchs und auch als Priester und Erzbischof dort gewirkt hat Aus unmittelbarer Nähe musste er diese grauenhafte Vernichtung menschlichen Lebens erfahren Eine tiefe Prägung, gerade auch im Blick auf das ‚Evangelium des Lebens‘ “12 Im Feuilleton der FRANKFURTER 8 9

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Hubertus Lutterbach, Tot und heilig? Personenkult um ‚Gottesmenschen‘ in Mittelalter und Gegenwart, Darmstadt 2008, 15–54 Zum christlich-neutestamentlichen Martyriumsverständnis siehe Norbert Brox, Zeuge und Märtyrer Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (Studien zum Alten und Neuen Testament 5), München 1961, 232–237; umfassend siehe auch Theofried Baumeister, Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums (Traditio Christiana 8), Bern u a 1991; im Überblick siehe Barbara Henze, Martyrium, in: Lexikon für Theologie und Kirche 6 (1997), 1436–1441; Michael Schlusser, Martyrium III 1 (Christentum Neues Testament / Alte Kirche), in: Theologische Realenzyklopädie 12 (1992), 207–212, bes 208 N N , Der Marathonmann Gottes, DER SPIEGEL 26 03 2005, Nr  13, 99 Peter Hartmann, Der Athlet des Glaubens Papst Johannes Paul II und seine Liebe zum Sport, NZZ 07 04 2005, Nr  80, 58 N N , Gedenken von Mensch zu Mensch Staatsmänner und Vertraute beschreiben ihre ganz persönlichen Gespräche und Erfahrungen mit dem Heiligen Vater, FOCUS 14 04 2005, Nr  14, 30 (hier Kardinal Karl Lehmann)

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ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ) weist Christian Geyer darauf hin, dass die von Johannes Paul II offensiv betriebene Annäherung an die Juden nicht zuletzt in der

von ihm erlebten lebensgefährlichen Bedrohung durch das Konzentrationslager Auschwitz wurzele: „Als Teilnehmer des von den Nazis verbotenen und im Untergrund weitergeführten Priesterseminars in Krakau stand Wojtyla in der ständigen Gefahr, nach Auschwitz deportiert zu werden Einigen seiner Mitseminaristen, die entdeckt wurden, ist es so ergangen wie auch jüdischen Klassenkameraden aus Wadowice “13 In einem Hintergrundartikel für die FAZ sieht der Tübinger Kunsthistoriker Sergiusz Michalski die Martyriumsbereitschaft des Papstes eingespannt zwischen zwei polnische Widerstandstraditionen, die er mit den Namen „Warschau“ und „Krakau“ charakterisiert: „In einem Land, das durch den Dualismus zwischen einer bedenkenlos aufstandsbereiten, ein unkritisches heroisches Ethos vertretenden Hauptstadt, nämlich Warschau, und der eher zur Vorsicht neigenden alten Kulturhauptstadt Krakau geprägt war, verstand es Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakau und auch als Papst, beide Traditionslinien zu vereinen “14 Näherhin verkörperte er die „besten Traditionen des Krakauer politischen Realismus“ durch seine Wertschätzung „einer lang andauernden moralisch und lebensgestalterisch geprägten Resistenz“, wobei er „präzise formulierte politische Kompromissbereitschaft mit einem ethischen Widerstand und Enklavendenken im täglichen Leben verband“15 Vor allem sah sich Johannes Paul II bei dem blutigen Attentat auf dem Petersplatz in die Nähe der blutigen Lebenshingabe oder  – wie DER SPIEGEL mutmaßt – „an den Anfang des päpstlichen Kreuzweges“ gebracht16 Für viele Menschen war dieser Anschlag mehr als eine einzelne Episode, sondern eher so etwas wie das bleibende Symbol für die Grunddimension dieses Pontifikates So erläutert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ) einen Trauergang angesichts des Todes von Johannes Paul II im Bilde einer ‚weißen Kreuzestheologie‘: „In Krakau, wo Karol Wojtyla 20 Jahre lang Bischof war, nahm nach Schätzungen der Behörden rund eine halbe Million Menschen am ‚weißen Marsch‘ durch die Innenstadt teil Mit ‚weiß‘, der Farbe der Freude, sollte dem verstorbenen Papst für sein Wirken gedankt werden Die riesige Prozession knüpfte damit an den ‚weißen Marsch‘ vom Mai 1981 an, bei dem eine unübersehbare Menschenmenge am Tag nach dem Attentat auf den Papst für dessen Gesundheit gebetet hatte “17 Mehr noch: „Auf allen Gipfeln der Hohen Tatra und der Beskiden im Süden Polens wurden in der Nacht zum Freitag große Feuer in Kreuzesform entzündet “18 13 14 15 16 17 18

Christian Geyer, Sein Leid Johannes Paul II , ein Rationalist auf dem Papstthron, FAZ 04 04 2005, Nr  77, 31 Sergiusz Michalski, In Polen stirbt man tapfer Die nationalen Vorbilder des Papstes, FAZ 04 04 2005, Nr  77, 39 Ebd N N , Der Marathonmann Gottes (wie Anm  10), 104 Thomas Urban, Langer Marsch in Weiß Polen zeigt beim Trauern Farbe, SZ 08 04 2005, Nr  80, 2 Ebd

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Überhaupt spielt  – hier anknüpfend an altkirchlich-mittelalterliche Gepflogenheiten – der fehlgeschlagene Attentatsversuch bzw das vergossene Blut eines Unschuldigen bei der Wertschätzung des Pontifikats von Johannes Paul II eine Schlüsselrolle Gemäß DER SPIEGEL sah sich der Papst als Werkzeug Gottes, und der fehlgeschlagene Mordversuch hätte ihm als Ausdruck des himmlischen Beistandes gegolten: „Wojtyla ist überzeugt, dass ihm die Jungfrau Maria das Leben gerettet habe, die Geschosse aus ihrer ansonsten tödlichen Bahn gelenkt habe Das Projektil, das ihm aus dem Bauch geschnitten wird, widmet er ihr Er lässt es ins portugiesische Marienheiligtum der ‚Jungfrau von Fatima‘ bringen und der Muttergottes in die diamant-besetzte Krone stecken Ihr opfert er auch die weiße, blutdurchtränkte Schärpe seiner Soutane, die er beim Attentat trug “19 Vergleichbar hallt die heilsgeschichtlich motivierte Einschätzung des Attentates durch den Papst in der Illustrierten BUNTE nach: „Der Papst war überzeugt, dass er durch die Fürsprache Marias verschont wurde ‚Eine Hand hat geschossen, eine andere das Geschoss geleitet ‘ Und: ‚In allem, was gerade an jenem Tag mit mir geschehen ist, habe ich einen außerordentlichen Schutz und besondere mütterliche Fürsorge gespürt Diese hat sich als stärker erwiesen als das tödliche Geschoss ‘“20 Ähnlich formuliert DIE ZEIT: „Dass höchste Gefahr und wunderbare Rettung wie zwei Seiten einer Medaille sind, war diesem Papst eine geradezu mystische Überzeugung ‚Eine Hand schoss, und eine andere leitete die Kugel‘, sagte er nach dem bis heute rätselhaften Attentat “21 Mehr noch sah Johannes Paul II in dem ihm zugedachten Attentat eine Erfüllung jener Prophezeiung, welche eine der Seherinnen in Fatima erhalten hatte, wie in der Presse immer wieder hervorgehoben wird, wie die TAGESZEITUNG (TAZ) in einem beeindruckenden Artikel bewertet: „Das Attentat vom 13 Mai 1981, dem er fast zum Opfer gefallen wäre, war für ihn die Erfüllung einer Prophezeiung, des sogenannten ‚dritten Geheimnisses von Fatima‘ Am 13 Mai 2000 nämlich hatte Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano in dem portugiesischen Marienwallfahrtsort im Auftrag von Johannes Paul II verkündet: Die bis dahin geheim gehaltene Weissagung handele von einem ‚weiß gekleideten Bischof, der von Schüssen getroffen zu Boden fällt‘ Damit hatte Sodano ein Grundmuster zum Verständnis des Pontifikates von Johannes Paul II geliefert […]: Er glaubte, der polnische Messias zu sein, der Kirche und Welt vor dem Untergang retten sollte “22 Auch die Pilgerbesuche von Johannes Paul II in vieler Herren Länder waren immer wieder mit Jubiläen oder Heiligsprechungen von Märtyrerinnen und Märtyrern verbunden Unübertroffen fiel sein erster Besuch in Polen mit einem symbolisch hoch aufgeladenen Datum zusammen, wie der Warschauer Historiker Wlodzimierz Borodziej in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG (NZZ) herausstellt: 19 N N , Der Marathonmann Gottes (wie Anm  10), 101 20 Christine Roider, Papst Abschied, BUNTE 07 04 2005, Nr  15, 121 21 Jan Ross, Der Löwe auf dem Heiligen Stuhl Johannes Paul II war konservativ, autoritär, kompromisslos Seine historische Leistung wurde dadurch erst möglich, DIE ZEIT 06 04 2005, Nr  15, 3–4, hier 4 22 Bernhard Pötter, Der polnische Messias, TAZ 04 04 2005, Nr  7630, 4

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„Auf den Mai 1979 fiel der 900 Jahrestag des Martyriums des heiligen Stanislaus, eines Krakauer Bischofs, der von seinem königlichen Gegenspieler getötet worden war Die Explosivität dieser Symbolik war mit den Händen zu greifen Wojtyla hatte den Kult des heiligen Stanislaus in seiner Krakauer Zeit gepflegt und gefördert, das Programm der Feierlichkeiten war noch unter seiner Federführung entstanden “23 Die Wirkung der symbolischen Reise auf den Spuren eines der bedeutendsten Märtyrer Polens war durchschlagend, ja brachte Johannes Paul II in der Sicht der Menschenmassen selbst in die Nähe der Märtyrer: „Er predigte vor Millionen von Menschen, wie es seine Gegner befürchtet hatten “ Und wenn er „nach neun Tagen ein verwandeltes Polen“ hinterließ, dann ist damit womöglich auch ein zum Martyrium bereites Land gemeint, wie die NZZ im Rückblick mutmaßt24 Angesichts der vielfältigen menschengemachten Bedrohungen, denen das Leben von Johannes Paul II ausgesetzt war, nehmen die Medien auch seine vielfältig nachklingende Vergebungsbereitschaft als ein Beispiel für vorbildlich gelebte Christlichkeit in die Erinnerung auf25 b Johannes Paul II  – Ein toter Lebender? Bemerkenswerterweise billigte man Johannes Paul II sowohl unter den in Rom trauernden Menschen als auch in der über den toten Papst und die Trauerfeierlichkeiten in Rom berichtenden Presse den Status eines Lebenden zu, wie im Folgenden erläutert sei Für wichtiger als jede Einbalsamierung hält die FRANKFURTER RUNDSCHAU (FR) die Überzeugung möglichst vieler Menschen, dass der naturwissenschaftlich tote Papst dennoch weiterhin lebendig ist: „Sie betrauerten und feierten ihn [den verstorbenen Papst] in der gleichen Weise, in der sie das Kirchenoberhaupt etwa bei Weltjugendtagen gefeiert hatten “26 Entsprechend lautet die Überschrift des Artikels: „Santo subito Noch während der Trauerfeier für Johannes Paul II fordern Gläubige die Heiligsprechung des verstorbenen Papstes“ Die FR führt aus: „Die lauten Sprechchöre, die sich während der religiösen Fürbitten erheben, klingen italienisch Ratzinger bleibt ruhig stehen Selbst als die Gläubigen immer lauter skandieren: ‚Santo subito ‘ Und danach immer wieder den Namen des toten Papstes: ‚Giovanni Paolo ‘“27 Die zitierte Sichtweise bleibt keineswegs auf die BoulevardPresse begrenzt, sondern hallt unter anderem bis hinein in die FAZ: „Der schmucklose Sarg, das bilderlose Signum marianischer Mystik darauf und die unscheinbare

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Wlodzimierz Borodziej, Papst und Pole Wie Johannes Paul II ein Weltsystem ins Wanken brachte, NZZ 04 04 2005, Nr  77, 21 24 Ebd 25 Lutterbach, Tot und heilig? (wie Anm  8), 29–31 26 Roman Arens, Santo subito Noch während der Trauerfeier für Johannes Paul II fordern Gläubige die Heiligsprechung des verstorbenen Papstes, FR 09 04 2005, Nr  82, 3 27 Ebd ; ähnlich N N , Johannes Paul im Petersdom beigesetzt Vier Millionen Besucher in Rom – Forderung nach sofortiger Heiligsprechung, DIE WELT 09 04 2005, Nr  82–14, 1

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Grabplatte waren schon bei der gestrigen Trauermesse und der Beerdigung allzu schwache Zeichen des Aufbegehrens gegen einen Heiligenkult, der in Sprechchören und auf Transparenten in einem gewaltigen Chor eingefordert wurde – einem Chor, der nun nicht mehr abschwellen wird “28 Nicht von ungefähr betitelt BILD den verstorbenen Johannes Paul II  – übrigens in ergänzender ikonographischer Gegenüberstellung mit Lady Diana – als „Papst der Herzen“29 Veranschaulichend untertitelt DIE WELT im Feuilleton-Teil ein Bild, das den verstorbenen Papst auf seiner Bahre im Petersdom zeigt, mit folgenden Worten: „Das, was man ‚sterbliche Hülle‘ nennt, ist voller Leben “30 Und unter dem einleitenden Satz „Tote sind nicht tot“, heißt es in weiterer Erläuterung: „Die Toten sprechen weiter oder fangen damit überhaupt erst richtig an Johannes Paul II spricht als Leichnam nicht weniger deutlich denn als unermüdlicher Pilgerreisender um den Globus Erst machte er sein Leiden öffentlich, jetzt die Erlösung “31 Und die FAZ führt aus: „Echte Römer, die sich so gerne pfaffenfresserisch geben, pflegen heute noch einen kindlichen naiven Wunderglauben Darum sind sie jetzt mitten in der Nacht mit Kind und Oma und Digitalkamera angerückt, um sich wenigstens vom Anblick ihres toten Hirten Heil zu holen Denn der Körper von Johannes Paul II liegt für jede Berührungsmagie unerreichbar auf seinem Prunkbett direkt am Petrusaltar “32 Auch der BILD -Reporter Norbert Körzdörfer berichtet von Menschen in Rom, die sich den Segen des verstorbenen Papstes holen, als dieser „wie eine Arche Noah in den Dom getragen wird“: „Ein Spalier der Liebe Mütter halten dem Papst ihre Babys entgegen Als könne er sie noch segnen Seine Kraft geht über den Tod hinaus “33 Unübertroffen bringt Jan Ross in DIE ZEIT mit einem gewissen zeitlichen Abstand genau jene uralte Grundvorstellung ins Wort, derzufolge der Tote in seinem Grab wie in einem Haus lebt: „Am Petersdom hat man einen direkten Weg in die Krypta eröffnet, der nicht mehr durch die Kirche führt Die Leute ziehen am Grab Johannes Pauls II vorbei; es wird gebetet, gesungen, gekniet, fotografiert und geweint Die Grabplatte selbst darf man nicht berühren, aber es steht ein Offizieller daneben, der sich Münzen, Autoschlüssel, Rosenkränze anreichen lässt und sie kurz auf den Stein legt Eine Kontaktmagie, wie sie schwerlich im Buch der Kirchenlehre steht, ein Schuss Aberglauben – aber am Ende ist es auch so, als ob der touristisch übernutzte, geistlich entleerte riesenhafte Petersdom ein kleines neues Herz hätte “34 In der FAZ sekundiert Heinz-Joachim Fischer ein Jahr nach dem Tode von Johannes Paul II : „Eine Völkerwanderung setzte sich [im April 2005]

28 Dirk Schümer, Irdisch Nach dem Willen Wojtylas  – Wie ein Papst begraben wird, FAZ 09 04 2005, Nr  82, 33 29 N N , Warum wird der Papst im Tod plötzlich zum Pop-Star?, BILD 06 04 2005, Nr  79, 4 30 Eckhard Fuhr, Leeres Grab und schöne Leich, DIE WELT 06 04 2005, Nr  79–14, 27 31 Ebd 32 Dirk Schümer, An der Bahre, FAZ 06 04 2005, Nr  79, 33 33 Norbert Körzdörfer, Ich sehe den toten Papst, BILD 05 04 2005, Nr  78, 3 34 Jan Ross, Daheim, aber nicht zu Hause Der deutsche Papst besucht Köln, DIE ZEIT 18 05 2005, Nr  34, 2

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zu dem Toten in Rom in Bewegung – so wie jetzt wieder Zehntausende zu seinem Grab in den Grotten von Sankt Peter pilgern Es ist vielen, als ob da etwas Heiliges die Erde berührte “35 2 GRÜNDE FÜR DAS RELIGIÖSE FORTLEBEN EINES TOTEN Die ‚Proklamation‘ von Johannes Paul II als einen über den Tod hinaus wirkmächtig Lebenden ruft die Frage wach, auf welchen Kriterien diese Würdigung eigentlich beruht Aufgrund eines (hier nicht weiter darstellbaren) Vergleiches zwischen den unmittelbaren Reaktionen auf den Tod von Papst Johannes Paul II und auf das Ableben Papst Johannes’ XXIII († 1963) – jeweils vor Ort in Rom sowie in der Berichterstattung von Zeitungen und Journalen  – lassen sich drei Kriterien für die spontane Erhebung eines Menschen unter die Heiligen herausstellen: Als erstes bedarf es für das Prädikat ‚ewig lebendig‘ eines langjährigen Wirkens in der Öffentlichkeit und damit eines hohen Bekanntheitsgrades Zweitens kommt es auf eine Politik-, Nationen- und Religionsgrenzen übersteigende Wertschätzung des verstorbenen Menschen an Als wichtigstes Kriterium ist drittens das Blutvergießen im Sinne eines erlittenen Martyriums zu nennen36 Mit Blick auf den verstorbenen Papst Johannes Paul II ist erstens hervorzuheben, dass er mehr als 25 Jahre als Papst amtierte Zweitens hallte ihm auch im Tode ein lebhaftes Echo entgegen aufgrund seines Einsatzes zugunsten der Menschenrechte und seiner Initiativen für die Umgestaltung der ehedem sozialistischen Staatengemeinschaften, aufgrund seiner den Menschen aller Länder geltenden Hochachtung und seines Respekts gegenüber den Religionsführern der Welt Drittens wurde er 1981 das Opfer eines Attentates, welches er zwar knapp überlebte, mit dessen Folgen er allerdings bis zu seinem Tode immer wieder zu kämpfen hatte „Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit haben so viele Menschen einen Verstorbenen betrauert wie Papst Johannes Paul II Das lag nicht nur an seinem Charisma und auch nicht nur an seiner Lebensleistung, sondern schlicht und einfach daran, dass noch nie zuvor so viele Menschen in der Geschichte des Globus mit einem bestimmten Menschen ein ganz persönliches, bestimmtes Erlebnis, eine Erinnerung verbanden “37 Gewiss hat die von Andreas Englisch gemachte Aussage zur „medialen Trauer“38 die vordergründige Plausibilität auf ihrer Seite; zugleich wirft sie die hintergründige Frage auf, welche Verstorbenen über Johannes Paul II

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Heinz-Joachim Fischer, Nun der Seelsorger, FAZ 01 04 06, Nr  74, 1; ähnlich Stefan Ulrich / Thomas Urban, Aufleben am Todestag Vor einem Jahr starb Johannes Paul II , SZ 01 /02 04 06, Nr  77, 10: „Angeblich soll das Grab unter Rom-Touristen bereits begehrter sein als das Kolosseum “ Lutterbach, Tot und heilig? (wie Anm  8), 78–86 Andreas Englisch, Habemus Papam Von Johannes Paul II zu Benedikt XVI , München 22005, 161 Ebd 161–166

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hinaus im 20 Jahrhundert aufgrund des Echos der Zeitgenossen und der Medien als Gottesmenschen im Tode zu überzeitlicher Reichweite erhoben wurden Drei auch in religiöser Hinsicht wertgeschätzte Menschen bieten sich an, um auf dieses Phänomen hin exemplarisch und knapp überprüft zu werden39: Mahatma Gandhi († 1948), Martin Luther King († 1968) und Lady Diana Spencer († 1997)40 Bemerkenswerterweise treffen alle drei maßgeblichen Kriterien für die spontane Erhebung unter die Heiligen auf alle drei Persönlichkeiten zu Dieses Faktum verdient umso größere Aufmerksamkeit, da Mahatma Gandhi außerhalb der christlichen Welt zu verorten und in einem Zeitalter zu Tode gekommen ist, in dem das Fernsehen seinen Siegeszug noch längst nicht angetreten hatte Martin Luther King wurde im Tode unter die Heiligen aufgenommen, obwohl er als Protestant eigentlich in einer Glaubensgemeinschaft verwurzelt war, die der Heiligenverehrung mittelalterlicher Provenienz ablehnend gegenübersteht Lady Diana Spencer schließlich galt als ‚Celebrity‘ und hatte ihren Platz in einer von Glamour und Popkultur geprägten Welt Während die drei Biographien höchst unterschiedlich verliefen, konvergieren sie doch in der Erfüllung der drei für einen Gottesmenschen maßgeblichen Kriterien: öffentliches Wirken von langer Dauer; politik-, nationen- und religionsübergreifende Wertschätzung; gewaltsamer Martyriumstod mit Blutvergießen Während Mahatma Gandhi und Martin Luther King durch gegnerische Pistolenschüsse zu Tode kamen, rechneten die über Lady Diana Spencer trauernden Menschen dieser ihre im Unfalltod endende Flucht vor den verfolgenden Paparazzi als Martyrium an und proklamierten sie als religiös Fortlebende, wie ein knapper Blick in die deutsche Presse des Jahres 1997 exemplarisch veranschaulichen mag 3 ZUM VERGLEICH: LADY DIANA SPENCER († 1997) – EIN GOTTESMENSCH? Als prominentes zeitgeschichtliches Beispiel für die per Akklamation vollzogene Erhebung einer verstorbenen ‚weltlichen‘ Persönlichkeit unter die Heiligen sei der Blick auf Lady Diana Spencer, die damalige Ehefrau des englischen Thronfolgers Prinz Charles, gerichtet „‚Born  a Lady, Died  a Saint‘“ fassen die Autoren einer entsprechenden Analyse den Weg dieser prominenten britischen Frau zusammen41 Und Peter Nonnenmacher übermittelt für die FR zur „‚Herzdame‘ der britischen

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An anderer Stelle wurde auch der österreichische Politiker Jörg Haider auf sein Gottesmenschentum hin überprüft Ihn erhoben die Menschen allerdings nicht zu einem Gottesmenschen, weil er die dafür maßgeblichen Kriterien nicht erfüllte Dazu siehe umfassend Hubertus Lutterbach, Warum hat Jörg Haider das ‚subito santo‘ nicht gehört? Eine christentumsgeschichtliche Vergewisserung, Kirchliche Zeitgeschichte / Contemporary Church History 23/2 (2010), 575–593 40 Lutterbach, Tot und heilig? (wie Anm  8), 104–123 41 Gillian Bennett / Anne Rowbottom, „Born a Lady, Died a Saint“ The Deification of Diana in the Press and Popular Opinion in Britain, Fabula 39 (1998), 197–208

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Monarchie“42: „Der Tod der Prinzessin von Wales beraubt Britannien seiner populärsten und umstrittensten Ikone “43 Tatsächlich schreiben viele traurig-betroffene Menschen sowie zahlreiche zeitgenössische Print-Medien der jungen Lady Diana Spencer die für einen Gottesmenschen charakteristischen Merkmale zu: 1  ein jahrelanges Leben mit öffentlich beachteter Wirksamkeit, hier: im Dienste des englischen Königshauses und der Armensorge, 2  eine Reputation, die die religiösen und nationalen Engführungen überwindet, 3  das Blutsmartyrium Im einzelnen: Der erste Grund für die spontan von den Menschenmassen vorgenommene oder zumindest geforderte ‚Heiligsprechung‘ Dianas ist ihr jahrelanges karitatives Engagement – offenbar einerlei, wie stark sie es wirklich ausgeübt hat bzw wie sehr es durch die Medien ‚verstärkt‘ wurde44: „Sie besucht Hospize, Krebsstationen, Waisenhäuser, misshandelte Frauen, gibt Aidskranken die Hand und zieht dazu die Handschuhe aus Andere HIV-Infizierte umarmt sie“45, wie BILD würdigt Und in der FAZ ist zum Sozialengagement der Verstorbenen – illustriert durch ein Bild mit einem behinderten Kind, einem beinamputierten Landminenopfer auf dem Schoße von Lady Diana Spencer – zu lesen: „Wenige Stunden nach ihrem Tode zeigt sich, wer am meisten um Lady Di trauert – Schwarze, Inder, Behinderte, Menschen im Rollstuhl und an Krücken, Homosexuelle, Kinder, alte Leute, Kranke “46 Und Patrick Bahners erinnert in seinem Kommentar an die im Mittelalter stets vorausgesetzte religiöse Legitimation des selbstverständlich aufopferungsvollen Königtums, an deren Tradition Diana anzuknüpfen suchte: „Elisabeths Schwiegertochter berührte tatsächlich die Aids-Kranken, die modernen Aussätzigen Eine mittelalterliche Gestalt schien zurückzukehren, die heilige Fürstin, die aus der Demut heilende Kräfte schöpft “47 Als zweites ist an die ihr zuteil gewordene öffentliche Anerkennung zu erinnern; dieser Zuspruch gewinnt vor dem Hintergrund an Bedeutung, dass sie zu-

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Peter Nonnenmacher, „Es ist Diana – es kann doch nicht Diana sein“ Der Tod der Prinzessin von Wales beraubt Britannien seiner populärsten und umstrittensten Ikone, FR 01 09 1997, Nr  202, 3 43 Ebd 44 Wissenschaftliche Untersuchungen weisen nach, dass das sozial-karitative Engagement von Lady Diana vor allem durch die Medien ‚hochstilisiert‘ wurde: Oliver Bentz, Die Medienkarriere der Lady Diana Untersucht am Beispiel der Zeitschrift „Gala“, [masch -schr Magisterarbeit], Münster 1998, 60–62 und 71; auch Rayk Wieland, Eine humanitäre Persönlichkeit Lady Dianas Engagement für Stiftungen und Wohltätigkeitsvereine ist unbestritten Viel zum Bestreiten ist allerdings auch nicht vorhanden, in: The Neurose of England Massen, Medien, Mythen nach dem Tod von Lady Di, hg v dems , Hamburg 1998, 88–94, 91 f 45 N N , Diana  – Ihr bitter-schönes Leben, BILD 01 09 1997, Nr   203, 5; Juliette Wood, Diana Memorabilia Mail Order Values in Popular American Magazines, Folklore A FullyReviewed Biannual Journal of Folklore and Folkloristics 109 (1998), 109–110, hier 110 präsentiert eine Zusammenstellung von Werbeanzeigen, die Produkte mit Hinweis auf Dianas Sozialengagement anpreisen 46 Bettina Schulz, Wer wird sie nun berühren? Lady Diana und ihr Einsatz für Kranke, Alte und Kinder, FAZ 02 09 1997, Nr  203, 12 47 Patrick Bahners, Die sterbliche Göttin, FAZ 02 09 1997, Nr  203, 1

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gleich von den Windsors als „‚Nebenkönigin‘“ gefürchtet wurde48: „Als sie sich nach der Scheidung nicht mehr ‚Königliche Hoheit‘ nennen durfte, sagte sie: ‚Ich möchte die Königin der Herzen sein ‘ Das ist sie geworden Das wird sie bleiben Für immer “49 Und ihr Bruder bezeichnete sie – gemäß dem Muster vieler mittelalterlicher Heiligenlegenden – als Frau mit „‚natürlichem Adel‘“, die „‚zum Glänzen ‚keinen königlichen Titel brauchte‘“, wie es in der FR heißt50 Um die Wirkung dieses Rückzugs durch Lady Diana vom Hause Windsor mit den Worten von Patrick Bahners in der FAZ zu beschreiben: „Der ostentative Verzicht auf die Stilisierung vollendete die Ikone “51 Drittens ist schließlich an das Martyrium der „am meisten photographierten Frau der Welt“52 zu erinnern, die zugleich als die „am meisten gejagte Person der Moderne“53 und als eine durch das Königshaus „Tiefverwundete“ Schlagzeilen machte54; an das tragische Ende der erbarmungslosen Verfolgung durch sensationslüsterne Foto-Jäger (Paparazzi)55 sowie an die Nachstellungen des englischen Königshauses („Der Palast wird ihr zur Gruft“56), die ihre spontane ‚Heiligsprechung‘ durch das Volk beflügelten: „Sie war das Opferlamm, von dessen Tod sich die 48 Peter Nonnenmacher, Ein Juwel aus der Krone verloren Eine Woge der Trauer hat die Briten erfasst Das Begräbnis von Prinzessin Diana wird zum nationalen Ereignis, FR 02 09 1997, Nr  203, 3 49 N N , Diana – Ihr bitter-schönes Leben (wie Anm  45), 5; auch N N , Trauer in der ganzen Welt, FAZ 01 09 1997, Nr  202, 2; Christian Schubert, Heute haben wir eine Königin verloren Die ersten Trauernden stehen schon um sechs Uhr vor dem Kensington-Palast, FAZ 01 09 1997, Nr  202, 12 50 Peter Nonnenmacher, Stumm verneigt sich die Queen Das Begräbnis von Prinzessin Diana Halb königliches Zeremoniell, halb Popkonzert mit subversivem Einschlag, FR 08 09 1997, Nr  208, 3 51 Bahners, Die sterbliche Göttin (wie Anm  47), 1 52 N N , Diana  – die am meisten photographierte Frau der Welt Das Leben einer Märchenprinzessin in Bildern, SZ 01 09 1997, Nr  200, 11; auch Titus Arnu, Mit modernen Märchen Auflage machen Für die Regenbogenpresse wird der Tod der britischen Prinzessin noch einmal ein gutes Geschäft, SZ 02 09 1997, Nr  201, 2; Klaus Podak, Klatschgeschichten erfüllen soziale Funktion Mit ihrem Interesse an Prominenten gleichen viele Menschen eigene Defizite aus, SZ 02 09 1997, Nr  201, 2 53 N N , Die Welt nimmt Abschied von Prinzessin Diana, SZ 08 09 1997, Nr  206, 1 54 Nonnenmacher, „Es ist Diana“ (wie Anm  42), 3 55 N N Auf der Flucht vor Sensationsphotographen Prinzessin Diana in Paris tödlich verunglückt, SZ 01 09 1997, Nr  200, 1; auch N N , Aktuelles Lexikon Paparazzo, SZ 01 09 1997, Nr  200, 2; Rudolf Chimelli / Thiérry Chervel, „Laßt mich in Ruhe“ Eine kurze Flucht – dann waren Diana und ihre Begleiter auf der Zielgeraden in den Tod, SZ 01 09 1997, Nr  200, 3; N N , Tödliche Jagd, FAZ 01 09 1997, Nr  202, 1: Diana sei „Opfer einer Hetzjagd“ geworden, „verfolgt bis ans Ende“ Auch Gerald Braunberger, Von den Paparazzi zu Tode gehetzt Schon am Samstag hatten Fotografen Jagd auf Prinzessin Diana gemacht, FAZ 01 09 1997, Nr  202, 11; Bettina Schulz, Die erbitterte Verfolgung einer Prinzessin Millionen für ein Foto „Die sterbende Lady Di für 750 000 Mark“, FAZ 01 09 1997, Nr  202, 12; Axel Vornbäumen, Die Geschichte vom Geben und Nehmen Manchmal unscharf, selten zufällig – die Fotos der Paparazzi gehören zum Unterhaltungsgewerbe der „High-Society“, FR 06 09 1997, Nr  207, 3 56 N N , Diana – Ihr bitter-schönes Leben (wie Anm  45), 5

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Menschheit Besserung versprach“, titelt BILD in terminologisch subtiler Parallelität zum Opfertod Jesu57 Als einzigartig muss in diesem Zusammenhang die Darstellung eines Herz Jesu-Bildes herausgehoben werden, das Jesus mit freiem Oberkörper und einem auf die Brust stilisierten Herz darstellt; denn das ursprünglich in die Darstellung gehörige Herz wurde herausgeschnitten und durch ein in Herzform ausgeschnittenes Bild von Lady Diana Spencer ersetzt58 Aus historisch-theologischer Sicht könnte dieses Ineinander einerseits die Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass die Verstorbene über ihren irdischen Tod hinaus in äußerster Nähe zu dem als Lebensquell vorausgesetzten christlichen Erlöser fortlebt; andererseits könnte man in dieser Darstellung sogar eine Konkurrenz zwischen Jesus und Lady Diana Spencer sehen, insofern es die Prominente wäre, die mit ihrem Opfertod die Lebenskraft des göttlichen Herrn (mit-)bewirkt In der Erhebung von Lady Di unter die Heiligen der Mediengesellschaft sind sich die Zeitungen weitgehend einig So ist der in der Presse vielfältig rezipierten offiziellen Trauerrede ihres leiblichen Bruders in Westminster Abbey zu entnehmen, dass „sie als Mensch groß genug gewesen sei, um zur Heiligen zu werden“59 Und ein namhafter Hofkorrespondent des Massenblattes „Daily Mail“ prognostizierte im Eifer des Augenblicks, „Diana werde nun gewiss in den Rang einer Heiligen erhoben“60 – eine Perspektive, deren Suggestivkraft sich auch ein Leitkommentar der FAZ nicht entziehen kann: „Am Firmament unseres Zeitalters leuchtet auch der Name von Diana, Prinzessin von Wales “61 Entsprechend wird sie nicht zuletzt auf den Kondolenzschreiben, die an die Gitterstäbe von Kensington Park geklebt waren, immer wieder „als Engel, als Heilige, als ‚the Queen of the hearts‘“ bezeichnet62 „Göttlich, aber nicht Gott“ lautet das Diana-Fazit in der SZ 63 „Und Diana ging zum Regenbogen“ – so titelt die genannte Zeitung weiter unter Rückgriff auf jenes Lichtzeichen, das in der Heiligen Schrift so häufig als Zeichen der Nähe Gottes dient64 Tatsächlich spielte Lady Diana ihre ‚Heiligkeit‘ auch in religiö57

N N , Diana – Abschied von einer Königin, BILD 08 09 1997, Nr  209, 37 Die Schlagzeile ist von BILD übernommen aus „Sunday Times“ Bezeichnenderweise finden sich abseits der seitenlangen Berichterstattung über das Begräbnis von Lady Diana in derselben BILD-Ausgabe auf Seite 2 einige knapp gehaltene Hinweise zum Tode von Mutter Teresa („Mutter Teresa Weisheiten sind ihr Vermächtnis“), ergänzt durch ein Bild vom Gesicht der verstorbenen Ordensschwester 58 Zu derartigen ‚Devotionalien‘ siehe umfänglich den Sammelband von The Mourning for Diana, hg v Tony Walter, Oxford 1999 59 Ebd 60 Nachzulesen bei Gina Thomas, Das verfluchte Objekt In England wird nach einem Schutz vor der Presse gerufen, FAZ 01 09 1997, Nr  202, 37 61 Bahners, Die sterbliche Göttin (wie Anm  47), 1 62 Schulz, Wer wird sie nun berühren? (wie Anm  46), 12; auch Bettina Schulz, In langen Schlangen zur „Königin der Herzen“ London bereitet sich auf die Trauerfeier für Prinzessin Diana vor Der Hof und das Volk, FAZ 04 09 1997, Nr  205, 9 63 Axel Hacke, Und Diana ging zum Regenbogen Jede Woche kaufen fast zehn Millionen Deutsche die moderne Version von Grimms Märchen, deren Erzähler nicht die Spur eines Zweifels beschäftigt, SZ 06 /07 09 1997, Nr  205, 3 64 Ebd

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sen Ausdrucksformen aus, wie die FR markant kommentiert: „Sie ersetzte das Mysterienspiel der maroden Monarchie durch die Passionsspiele der Popkultur “65 In der Konsequenz wurde sie – wie Papst Johannes Paul II  – im Tode von der Öffentlichkeit als Gottesmensch verehrt 4 DAS PÄPSTLICHE UND DAS ‚KÖNIGLICHE‘ MARTYRIUM IM KONTEXT MODERNER SINNSUCHE Die Auflösung der hierarchisch-ständischen und bürgerlichen Ordnungen des Zusammenlebens, der zunehmende Einfluss von Weltdeutungen anderer Kulturen in Europa, auch der außereuropäische Zustrom von Angehörigen fremder Religionen und Weltanschauungen führen in der Folge jene pluralistischen Gesellschaften herauf, in denen das Individuum der einzige gemeinsame Nenner ist: „Seine Würde, seine Erfahrungen und Selbstbindungen werden zum Maß der Verankerung von Überlieferung – und Glauben “66 Wendete man diese Wertschätzung des Individuellen auf Papst Johannes Paul II oder Lady Diana an, dann spiegelt auch deren Leben bis in den Tod hinein ein hohes Maß an Individualität: „Ich habe euch gerufen …“ oder: „Ich möchte die Königin der Herzen sein …“, wie die Berichterstattung über die Trauerfeierlichkeiten oftmals erinnerte Bemerkenswerterweise – und auch das wurde vielfach in Erinnerung gerufen – wandte sich sowohl Papst Johannes Paul II vom Majestätsplural („Wir“) ab wie auch Prinzessin Diana die Ablegung königlicher Hoheitstitel als Selbstbefreiung zugunsten der von ihr eigentlich beabsichtigten königlichen Mission empfand So korrespondiert die Wirkung der Gottesmenschen in ihrer bis zur Beisetzung erkennbaren Individualität mit der grundsätzlichen Bedeutsamkeit des Individuums und des Individuellen in den heutigen Gesellschaften des Westens Gleichzeitig steht hinter den beiden genannten Persönlichkeiten jeweils eine Großinstitution mit einem je unterschiedlichen, gleichwohl bis in den Tod ihrer Repräsentanten hinein wahrnehmbaren religiösen Anspruch: auf der einen Seite das mehr als anderthalb Jahrtausende alte Papstamt mit einer sogar mythologischen Reichweite bis hin zu Jesus selbst; auf der anderen Seite der Anspruch auf einen zwar ‚selbstgeschaffenen‘ Königin-Titel bei allerdings gleichzeitig fortdauernder Einbindung in eine mehr als 1000-jährige Tradition der englischen SakralMonarchie, welche noch heute die Leitung der Anglikanischen Kirche für sich beansprucht 65

Rolf Paasch, Passionsspiele, FR 08 09 1997, Nr  208, 3  Übrigens bedient sich sogar die Kritik am ‚Medienereignis Lady Diana‘ der Sakral-Sprache, dazu siehe Kay Sokolowsky, Lady Di’s historische Sendung Drei Aphorismen zum größten Abgang der Fernsehgeschichte, in: The Neurose of England (wie Anm  44), 75–87, wo u a von einem „OberammersuperGAU“ (86), von einem „gigantischen Byzantinismus“ (84) oder von einer „schier endlosen Karwoche“ (86) die Rede ist 66 Hans-Georg Soeffner, Kulturrelikt – Reservat – Grenzzeichen Kirchen in der offenen Gesellschaft, in: ders , Gesellschaft ohne Baldachin Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen, Weilerswist 2000, 124–143, 127 (Hervorhebungen H -G S )

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Bemerkenswerterweise geben also beide Persönlichkeiten ihrer Individualität breiten Raum  – bei gleichzeitiger Beibehaltung institutionell-sakraler Verankerungen Anders gesagt: Wohl keine der beiden Personen hätte im Tod ihre gesellschaftsprägende Rolle ohne die hintergründig jeweils tragende (Sakral-)Institution zugesprochen bekommen; umgekehrt hätte weder die katholische Kirche noch das englische Königshaus einen derartigen Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit erlangen können, wenn sich Johannes Paul II oder Lady Diana nicht als Spitzenrepräsentanten zugunsten ihrer Kirche oder ihres Landes mit einer darüber jeweils hinausreichenden globalen Perspektive eingesetzt hätten und im Tode nochmals in dieser Weise erkennbar geworden wären Die neue Rolle der Gottesmenschen in einer nicht länger ‚geschlossenen‘, sondern mittlerweile ‚offenen‘ Gesellschaft spiegelt sich auch in der veränderten Sicht auf das Blutsmartyrium sowie in einer neuartigen Wertschätzung von Autoritäten, näherhin von ‚Über-Vätern‘ oder ‚Über-Müttern‘ der einen Menschheitsfamilie wider Sowohl Papst Johannes Paul II als auch Lady Diana standen Institutionen vor, deren Amtsinhaber von Anfang an zum Martyrium bereit sein mussten und es bisweilen auch erlitten Diese im Dienste für die Religion und das Volk durch Menschen zu Tode gebrachten Spitzenrepräsentanten von Sakral-Monarchien verkörperten damals und verkörpern heute eine wichtige Botschaft: Wer an der Spitze der Kirche oder eines Sakral-Königtums steht, muss bereit sein, sein Leben hinzugeben zugunsten seiner Kirche und seines Volkes; er/sie muss sich als Papst oder als König/Königin bewähren und als würdig erweisen in der irdischen Vertretung des Göttlichen und Überzeitlichen Erst im Tod zeigen sich die Echtheit und die Tragfähigkeit, mit der ein Papst oder eine ‚Monarchin der besonderen Art‘ ihre Verbindung von Individualität und Institutionenbindung gelebt hat Während die Katholiken des 19 Jahrhunderts das Martyrium entsprechend ihrem Verständnis der spätantiken Christenverfolgungen als gottgewirkten Ausdruck gleichzeitig nahe geglaubter himmlischer Rettung in scheinbar aussichtsloser Situation interpretierten, so könnte das Martyrium aktuell als erstklassiges Gütesiegel für die äußerste lebensverheißende Verbindung von individueller Überzeugung auf der einen und institutioneller Rückbindung des Gottesmenschen auf der anderen Seite gelten; offenbar entfacht erst eine solche als authentisch eingestufte und Sozialsinn veranschaulichende Kombination aus Individualität und institutionell-religiöser Verwurzelung – notfalls bis hin zur Blutshingabe (für die Vielen) – jenen Enthusiasmus der Menschenmenge, welcher die spontane Proklamation zum Gottesmenschen in der Welt-Gesellschaft („Universal-Idol“) ermöglicht Wenn ein solcher Gottesmensch der Welt im Tode verloren geht, lässt ihn die Menschenmenge in religions- und nationenübergreifendem Zusammenschluss auch nach seinem irdischen Ableben nicht los: Augenscheinlich halten sich die multikulturellen Gesellschaften des Westens um der Stärkung ihrer eigenen Identität willen sowie unter Rückgriff auf vielfältig-traditionsgeprüfte religiöse, offenbar für viele Menschen verstehbare Symboliken an einem solchen Gottesmenschen fest Ja, wegen seiner im gewaltsamen Tod wurzelnden und so über den irdischen Tod hinausweisenden, individuell wie sozial fortwirkenden, schließlich identitätsstiftend verbürgten Potentiale

Der martyriumsgleich gewürdigte Tod von Papst Johannes Paul II

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sprechen die Menschen ihm spontan eine überzeitliche Existenz als ‚Welt-Heiliger‘ oder Universal-Idol zu 5 ZUSAMMENFASSUNG Tatsächlich ist die interaktive ‚Konstruktion‘ eines Gottesmenschen67, die  – wie gezeigt  – mittels vielfältiger, oftmals ritueller Vollzüge geschieht und in den untersuchten Fällen eine mediale Verstärkung erfuhr, als Ausdruck mittelalterlicher Frömmigkeit in der Moderne zu verstehen Vor dem Hintergrund, dass viele ‚Normalsterbliche‘ im Tod vergessen werden, nachdem sie zu Lebzeiten den authentischen Zusammenklang von Individualität und institutioneller Rückbindung oftmals vergeblich gesucht haben oder sie der aktuell hoch beschleunigten Lebenswelt zum Opfer gefallen sind, darf die im Mittelalter vorgeprägte Erhebung von Menschen zu Heiligen auch in der Moderne durchaus als Ausdruck sinnstiftenden und identitätsstärkenden Verhaltens angesprochen werden Ihre Wirkung kann so weit reichen, dass sie – die Gottesmenschen – die „Kontinuität christlicher Erfahrungsgeschichte jenseits aller Brüche signalisieren“, wie der Soziologe Georg Soeffner treffend formuliert68 Vor allem gilt derlei für den Zeitraum zwischen dem Ableben und der Beisetzung einer als Gottesmensch gewürdigten Persönlichkeit Im Anschluss an diese Ausnahmephase – man könnte von einer kollektiven Trauer sprechen  – gewinnen neuerlich jene rationalen Bewertungskategorien die Oberhand, wie sie einer empirisch-naturwissenschaftlich ausgerichteten Gesellschaft entsprechen Aus einer solch aufgeklärten Perspektive erscheint den auf allen gesellschaftlichen Ebenen angesiedelten Beteiligten die vorherige ‚Stilisierung eines Gottesmenschen‘ fast unnachvollziehbar

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Diese Formulierung lehnt sich an Hans-Georg Soeffner, Authentizitätsfallen und mediale Verspiegelungen Inszenierungen im 20 Jahrhundert, in: ders , Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung (UTB 2519), Konstanz 22004, 285–300, 297 an; zur theoretischen Reflexion der hintergründig wirksamen Mechanismen derartiger ‚Konstruktionen‘ siehe auch Jürgen Martschukat / Steffen Patzold, Geschichtswissenschaft und „performative turn“ Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: Geschichtswissenschaft und „performative turn“ Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit (Norm und Struktur 19), hg v dens , Köln/Weimar/Wien 2000, 1–31, 8 68 Soeffner, Kulturrelikt – Reservat – Grenzzeichen (wie Anm  66), 135

DAS GEISTIGE OPFER* Arnold Angenendt Gebet und Opfer sind Urakte aller Religion Beide Akte erfuhren in der von Karl Jaspers sogenannten „Achsenzeit“ eine radikale Umwandlung: Sie wurden, wie die ganze Religion, vergeistigt und ethisiert Das hatte zur Folge: Sowohl Gebet wie Opfer mussten ethisch aufgefasst und innerlich vollzogen werden Hierbei geschah die Geburt des geistigen Opfers Weil Götter, oder wie jetzt vornehmlich gedeutet wurde, der eine Gott der Repräsentant von Rechtschaffenheit und Herzlichkeit sei, müsse der Mensch sich entsprechend verhalten, nämlich rechtschaffen leben und von Herzen beten – das war das geistige Opfer Fortan brauchen Gott/Götter nicht länger geopfertes Blut, um davon zu leben; vielmehr werden Gott/Götter jetzt im Materiellen „bedürfnislos“ Vom Menschen erwarten sie nurmehr Geistiges statt des Materiellen Dieses neue geistige Opfer wird zu Recht als „eine der großen Revolutionen bei der Deutung von Gottesdienst in der Weltgeschichte“ bezeichnet1 Jan Assmann misst dieser vergeistigenden Wende eine epochale Bedeutung für das menschliche Selbstverständnis zu: Die monotheistischen Religionen hätten den „inneren Menschen“ hervorgebracht und damit eine Psycho-Historie im Menschen entwickelt: „Der Eine und Einzige Gott findet im Akt seiner Weltzuwendung keinen anderen Partner als das Volk seiner Gläubigen und das menschliche Herz “2 Für diese revolutionäre Neukonzeption lassen sich zwei Entwicklungsstränge aufzeigen, zum einem der griechische, der aus der Kultur des Logos kommt, zum anderen der hebräische, der aus der Kultur des Herzens kommt 1 GRIECHISCH Die Opferkritik der griechischen Philosophie bezeichnet Walter Burkert als deren „eigentümlichste Leistung“3 Heraklit von Ephesus († 480 v Chr ), „der eigenwilligste der Vorsokratiker“, kritisierte die Rituale des herkömmlichen Kultes, und * 1

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Der folgende Beitrag ist gutenteils entnommen aus: Arnold Angenendt, Die Revolution des geistigen Opfers Blut – Sündenbock – Eucharistie, Freiburg i Br 2011 Everett Ferguson, Spiritual Sacrifice in the Early Christianity and its Environment, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung/2 Principat 23/2, hg v Hildegard Temporini u Wolfgang Hase, Berlin/New York 1980, 1151–1189, 1151 Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München u a 2003, 158 Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (Die Religionen der Menschheit 15), Stuttgart u a 1977, 452

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zwar in einer „Schärfe, die christlichen Polemikern vorzugreifen scheint“4 Insbesondere wandte er sich gegen die Blutopfer Die sühnende Reinigung durch Blut, wie sie die alten Blutopfer intendierten, denunziert er als Besudelung: „Aber Reinigung von (Blutschuld)  suchen sie, indem sie sich mit neuem Blut besudeln “5 Seine neue Forderung heißt: „Bei den Opfern sind zwei Arten zu unterscheiden Die einen werden dargebracht von innerlich vollständig gereinigten Menschen Die anderen aber sind materiell “6 So war fortan das immaterielle, eben das ‚geistige Opfer‘, zu vollziehen Auf die innere geistige Einstellung war zu achten, nicht etwa auf Art oder Größe der materiellen Gaben7 Das geistige Opfer erforderte, sich gegebenenfalls mit der nun selbstbindenden Erkenntnis gegen alle anderen zu stellen Der ideale Philosoph wurde dadurch „Zeuge der Wahrheit, der sich weigert, Konzessionen zu machen, die dazu führen könnten, seine eigenen Überzeugungen zu verraten“8 Sokrates († 399 v Chr ) „starb offenbar in dem Bewusstsein, den [juristischen] Prozess verloren, aber den moralischen Zweikampf mit der Stadt Athen gewonnen zu haben“9 Platon († 348) zufolge akzeptieren die Götter nur Huldigungen von solchen Menschen, die wie sie selbst moralisch fehlerfrei sind: „Von einem Befleckten aber Geschenke anzunehmen ist weder für einen guten Menschen noch für einen Gott jemals das richtige Vergeblich ist also das eifrige Bemühen um die Götter für die Unfrommen, für alle Frommen aber höchst zweckmäßig “10 Beim Vergleich des Gerechten und des Ungerechten sieht Platon überdies eine mögliche Seitenverkehrtheit aufkommen: Der Unrechte erscheint gerecht und umgekehrt der Rechte als ungerecht „Ohne irgend unrecht zu tun, habe er [der Gerechte] nämlich den größten Schein der Ungerechtigkeit, damit er uns ganz bewährt sei in der Gerechtigkeit, indem er auch durch die üble Nachrede und alles, was daraus entsteht, nicht bewegt wird, sondern unverändert bleibe er uns auch bis zum Tode, indem er sein Leben lang für ungerecht gehalten wird und doch gerecht ist “11 Insofern kann man „die Ungerechtigkeit vor der Gerechtigkeit loben Sie [die Ungerechten] sagen aber so, daß der so gesinnte Gerechte wird gefesselt, gegeißelt, gefoltert, geblendet werden an beiden Augen, und zuletzt, nachdem er alles mögliche Übel erduldet, wird er noch aufgeknüpft werden“12 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Ebd 457 Heraklit, Fragment Nr  5, in: Die Fragmente der Vorsokratiker, griechisch und deutsch, hg v Hermann Diels Berlin 61951, 151 Heraklit, Fragment Nr  69, in: ebd 166 f Paul Veyne, Die griechisch-römische Religion Kult, Frömmigkeit und Moral, Stuttgart 2008, 86–98 Jan W van Henten, Martyrium II (ideengeschichtlich), in: Reallexikon für Antike und Christentum 24 (2011), 300–325, 306 Thomas Alexander Szlezák, Was Europa den Griechen verdankt Von den Grundlagen unserer Kultur in der griechischen Antike, Tübingen 2010, 212 Platon, Gesetze IV, 717a, in: Platon Gesetze Buch I–VI (Platon, Werke in acht Bänden, Griechisch und Deutsch, Sonderausgabe 8/1), hg v Klaus Schöpsdau, Darmstadt 1990, 259 Platon, Vom Staat II, 361 c, in: Platon Der Staat (Platon, Werke in acht Bänden, Griechisch und Deutsch, Sonderausgabe 4), übers v Friedrich Schleiermacher, Darmstadt 21990, 106 Ebd

Das geistige Opfer

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Das fortan geforderte ‚reine‘ Opfer bezieht sich auf die innere Rechtlichkeit und scheut nicht vor äußerer Verunglimpfung, ja nicht einmal vor Tortur und Tötung zurück Insofern kulminierte die philosophische Opferdeutung im ‚geistigen Opfer‘, in der ‚thysia logike‘, die ins philosophische Allgemeinbewusstsein der Antike einging Seneca († 65 n Chr ) konnte sagen: Nicht will Gott verehrt werden „durch Opfer und Blutströme – welche Freude soll er an der Schlachtung der [in Frömmigkeit] verdienstlosen (Tiere) haben? – sondern durch ein reines Herz und durch guten, ehrenwerten Vorsatz; nicht Tempel sind mit Stein hoch aufzurichten, sondern jeder soll ihn in seinem Herzen heiligen“13 Dennoch setzten sich die Blutkulte in der Antike weiter fort Augustus († 14) stiftete für seine in Rom errichtete Ara Pacis ein jährliches Stieropfer Auf den Altar-Reliefs erscheint er selber als Pontifex Maximus in einer Prozession der römischen „Priesterprominenz“14, die für den von ihm herbeigeführten Frieden das Opfer darbringt, darunter auch Stiere, die jedes Jahr von neuem für die salus publica geopfert werden sollten 2 ALTTESTAMENTLICH Das Alte Testament kennt eine Fülle von Opfern, neben Schlachtopfern auch Speiseopfer und Erstlingsopfer Herausragende Bedeutung hat hierbei das Blut15 Aber in Israel meldete sich gleichfalls Kritik, nämlich seit dem 8 Jahrhundert v Chr seitens der Propheten Sie forderten das Hören des Gotteswortes, wie es etwa Psalm 40 erläutert: „An Schlacht- und Speiseopfern hast du kein Gefallen, Brand- und Sündopfer forderst du nicht Doch das Gehör hast du mir eingepflanzt; darum sage ich: Ja, ich komme […] deinen Willen zu tun […] (Ps 40,7 f ) “ Überdies ist Gott ‚bedürfnislos‘; er lebt nicht von den Opfergaben der Menschen: „Hätte ich Hunger, ich brauchte es dir nicht zu sagen, denn mein ist die Welt […] Bring Gott als Opfer dein Lob“ Daraus folgt das Dankopfer, nämlich ‚das Opfer des Lobes‘: „Bring Gott als Opfer dein Lob“; denn „wer Opfer des Lobes bringt, ehrt mich; wer rechtschaffen lebt, dem zeig ich mein Heil (Ps 50,12 14 23)“ Mit dem Opfer als der Hörbereitschaft gegenüber Gott ist in Israel immer ein Zweites verbunden, nämlich das Sozialopfer als Hilfsbereitschaft gegenüber Witwen, Waisen, Armen und Unterdrückten Früh schon übt der Prophet Amos († 8 Jahrhundert v Chr ) sozial begründete Opferkritik: „Wenn ihr Brandopfer darbringt, ich habe keinen Gefallen an euren Gaben […], sondern das Recht ströme wie Wasser (Amos 5,22 24) “ Ebenso bezeugt das Jesaja-Buch: „Das Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke ist mir zuwider […] Sorgt für das Recht! Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen! (Jes 1,11;17)“ 13 14 15

Seneca, Fragmenta 123; L Annaei Senecae opera quae supersunt Supplementum, ed Friedrich Haase, Leipzig 1902, 42 Ruth Stepper, Augustus et sacerdos Untersuchungen zum römischen Kaiser als Priester (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 9), Stuttgart 2003, 129 Bernd Janowski, Ein Gott der straft und tötet?, Neukirchen-Vluyn 2013, 261–289

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Der Prophet Hosea bringt für das Opfer die Doppelformel: „Liebe will ich, nicht Schlachtopfer, Gotteserkenntnis statt Brandopfer (Hos 6,6) “ Ausführlicher noch finden sich die beiden Seiten des neuen Opfers im Buch ‚Jesus Sirach‘: „Viele Opfer bringt dar, wer das Gesetz befolgt; Heilsopfer spendet, wer die Gebote hält; Speiseopfer bringt dar, wer Liebe erweist; Dankopfer spendet, wer Almosen gibt: Abkehr vom Bösen findet das Gefallen des Herrn: als Sühne gilt ihm die Abkehr vom Unrecht (Sir 35, 1–5) “ Außerhalb des Tempelkults diente zur Sühne die Trias von Gebet, Fasten und Almosen16 Mit der Opferkritik sollten indes die Blut-Opfer keineswegs abgeschafft sein, waren vielmehr, um die rechte Gesinnung gegenüber Gott und den Mitmenschen zu ergänzen In der Zeit des Zweiten Tempels praktizierte das Judentum weiterhin Opferschlachtungen, gerade auch solche von Blut, wofür im erneuerten Tempelbezirk der gewaltige Brandopferaltar stand17 3 NEUTESTAMENTLICH Beide Opfertraditionen, die griechische wie die hebräische, vereinten sich im Christentum Jesus stellte sich in die Tradition der Propheten Sein eigenes Leben versteht er als dienenden Einsatz für den Willen Gottes: „Meine [Opfer-]Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat (Joh 4,34) “ Denn „der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele (Mk 10,45)“ Jesus wiederholt zweimal das Hosea-Wort: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer (Mt 9,13; 12,7) “ In diesem Sinne vollzieht Jesus mit seinem Lebensopfer den Willen Gottes und dessen Verkündigung, ebenso den Dienst an den Menschen Diese seine Opferhingabe hält Jesus bis in den Tod durch, ja er vollendet sie „durch Kreuz und Auferstehung“18 Indem Jesu Opfer „ein Selbstopfer“19 ist, soll im Gedenken daran jeder Christ ebenso sich selbst als geistiges Opfer darbringen, jeweils aus der Bereitschaft heraus, wie Jesus „den Kelch [zu] trinken (Mk 10,38)“ und das „Kreuz auf sich zunehmen“ (vgl Mk 8,34 par ), also bis zum Selbstopfer und zur Lebenshingabe „Der Begriff der ‚Lebenshingabe‘ meint die Gesamtexistenz Jesu, d h das Leben, das Jesus in liebender Hingabe an die anderen gelebt hat, und den Tod, der die Konsequenz

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Stefan Schreiner, Sühne (III Judentum), in: Theologische Realenzyklopädie 32 (2001), 338–342, 339 f Rainer Albertz, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit, Bd   2 (Grundrisse zum Alten Testament 8/2), Göttingen 21997, 489 Sigrid Brandt, War Jesu Tod ein „Opfer“? Perspektivenwechsel im Blick auf eine klassische Theologische Frage, in: Das Kreuz Jesu Gewalt – Opfer – Sühne, hg v Rudolf Weth, Neukirchen-Vlyn 2001, 65–76, 72 Ferdinand Hahn, Das Verständnis des Opfers im Neuen Testament, in: Das Opfer Jesu Christi und seine Gegenwart in der Kirche Klärungen zum Opfercharakter des Herrenmahles (Dialog der Kirchen 3), hg v Karl Lehmann u Edmund Schlink, Freiburg i Br /Göttingen 21986, 51–91, 79

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und nicht das Ziel oder der Finalsinn des Lebens war “20 Jesu Tod als „Zerbrechen seines Leibes“21 soll sich gleicherweise an den Jüngern vollziehen Oder ausführlicher: „Das Ganzopfer unserer leibhaftigen Existenz in konkreter Entsprechung zu Gottes Barmherzigkeit, in der er sich uns hingab, ist jenes wahre Wesen des Opfers, das […] eine ungleich radikalere Hingabe ist: die Hingabe unserer selbst im leibhaftigen Gehorsam gegen den Willen der Liebe “22 Der Hebräer-Brief radikalisiert die alttestamentlich-prophetische Opfer-Deutung anhand des ‚opferkritischen‘ Psalms 40, dass Gott an den herkömmlichen Opfern kein Gefallen finde, dass vielmehr der Mensch sich zum Hören des Gotteswortes bereite: „An Schlacht- und Speiseopfern hast du keinen Gefallen […] Doch das Gehör hast du mir eingepflanzt […] Deinen Willen zu tun, mein Gott, macht mir Freude (Ps 40,7–9) “ Diese Verse werden auf Jesus Christus bezogen: „Zunächst sagt er: Schlacht- und Speiseopfer, Brand- und Sündopfer forderst du nicht, du hast daran kein Gefallen […]; dann aber hat er gesagt: Ja, ich komme, um deinen Willen zu tun So hebt Christus das Erste auf, um das Zweite in Kraft zu setzen (Hebr 10,8–10) “ Exegetisch gesehen, treibt der Hebräer-Brief „die lange opferkritische Tradition innerhalb des Judentums auf die Spitze“23, wobei er „nicht in erster Linie Jesu Kreuzestod meint, sondern […] sein leibliches Leben zur Erfüllung von Gottes Willen“24 Neben der biblisch orientierten Opferdeutung erscheint zuvor schon im Neuen Testament, nämlich bei Paulus, die ‚thysia logike‘, die gemäß griechischer Auffassung auf Ethos und Wahrheit verpflichtet ist Im Römer-Brief mahnt Paulus, „euch leibhaftig darzubringen als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer – das ist euer Gottesdienst im Geist (logike latreia)“ (Röm 12,1) Für Heinrich Schlier († 1978) ist es „das Opfer meiner selbst, meines leiblichen Ichs in seiner gesamten Leiblichkeit“, ja „eine leibhaftige Selbsthingabe“ als „eine Darbringung meines ganzen Lebens“25 Für Ulrich Wilckens ist es „die Leiblichkeit […], die Paulus als den Bereich herausstellt, in dem sich der ‚geistige Gottesdienst‘ vollziehen soll“, was ein Affront gegen eine nur ‚geistige‘ Religion sei, „die sich sei es in der Nichtachtung, sei es im Verlassen des Leibes vollziehen soll“26 Sein eigenes Leben sieht Paulus im seelsorglichen Dienst wie „ein Trankopfer ausgegossen“ und freut sich „mit euch allen über den Opfer- und Gottesdienst eures Glaubens (Phil 2,17)“27 Seinen Missionsdienst begreift er als Hinopferung seiner selbst, so dass er sogar 20 Janowski, Ein Gott der straft und tötet (wie Anm 15), 316 21 Hahn, Das Verständnis des Opfers (wie Anm  19), 69 22 Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer, Bd   3: Röm 12–16 (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament IV/3), Zürich u a 1982, 8 23 Ruben Zimmermann, Die neutestamentliche Deutung des Todes Jesu als Opfer Zur christologischen Koinzidenz von Opfertheologie und Opferkritik, Kerygma und Dogma 51(2005), 72–99, 91 24 Brandt, War Jesu Tod (wie Anm  18), 72 25 Heinrich Schlier, Der Römerbrief (Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament 4), Freiburg i Br u a 21979, 350 (Übersetzung), 355 26 Wilckens, Der Brief an die Römer (wie Anm  22), 6 27 Übersetzung nach: Joachim Gnilka, Der Philipperbrief (Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament 10/3), Freiburg i Br u a 1968, 154

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von den Wundmalen Jesu an seinem Leib sprechen kann (Gal 6,17)28 Im Grunde erscheint hier die prophetische Opfer-Deutung, nämlich sich für Gottes Willen und Wort einzusetzen, freilich im griechischen Begriff der ‚thysia logike‘ Die Idee des geistigen Opfers setzte sich fort Justin der Märtyrer († 165) verteidigt als christliche Lehre, „daß Gott keiner materiellen Opfergabe von seiten der Menschen bedarf“, sondern „daß er nur jene in Gnaden aufnimmt, die das ihm innewohnende Gute nachahmen: Enthaltsamkeit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe“29 Klar ist auch, „daß er [d h Gott] keiner Schlacht-, Trank- und Räucheropfer bedarf“, daß die Christen ihn vielmehr „durch Gebet und Danksagungswort […] lobpreisen“30 Für Irenäus von Lyon († 200) sind es „nicht die Opfer, die den Menschen heilig machen, denn Gott braucht überhaupt kein Opfer, sondern das Gewissen dessen, der das Opfer darbringt, macht das Opfer heilig, wenn es rein ist“31 Stimmen aus der Alten Kirche klingen hier recht selbstbewusst Clemens von Alexandrien (†um 215) interpretiert radikal ethisch: „Aus diesem Grunde bringen wir mit Recht Gott keine Opfer dar, weil er bedürfnislos ist und allen alles geschenkt hat; wir preisen aber den für uns Geopferten und opfern uns selbst zu immer größerer Bedürfnislosigkeit und zu immer völligerer Freiheit von Leidenschaften “32 Nachdrücklich hat Joseph Ratzinger die ‚thysia logike‘ als Wesensgestalt der christlichen Liturgie herausgestellt und als die angemessenste Formel für die christliche Liturgie bezeichnet: „In diesem Begriff fließen die geistige Bewegung des Alten Testaments wie die Prozesse der inneren Reinigungen der Religionsgeschichte, menschliches Suchen und göttliche Antwort zusammen Der Logos der Schöpfung, der Logos im Menschen und der wahre, menschgewordene ewige Logos – der Sohn – treffen aufeinander “33 Der Kern des ‚geistigen Opfers‘ und damit der christlichen Liturgie ist als „Selbsthingabe“ zu interpretieren: Jesu Tod „war die einzige wirkliche Liturgie der Welt […]“; denn er trat „durch den Vorhang des ‚Fleisches‘ (Hebr 10,20), d h durch den Todesvorhang hindurch in den wirklichen Tempel, vor das Angesicht des lebendigen Gottes, nicht um irgendwelche Dinge, sondern um sich selbst darzubringen“34 Wir halten fest: Die Christen stellten sich sowohl in die griechische wie israelitische Tradition des geistigen Opfers

28 Franz Mussner, Der Galaterbrief (Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament 9), Freiburg i Br u a 1974, 417–420 29 Justin, Erste Apologie 10, in: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten, Bd  1 (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Reihe 12), München 1913, 19 30 Justin, Erste Apologie 13, in: ebd 23 31 Irenäus von Lyon, Gegen die Häresien 4, 33, 15; Irenäus von Lyon Adversus Haereses IV (Fontes Christiani 8/4), übers v Norbert Brox, Freiburg i Br u a 1995, 142 32 Clemens von Alexandreia, Teppiche VII 14,5; Clemens von Alexandrien, Teppiche: Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis), Bd  3 (Bibliothek der Kirchenväter, 2 Reihe 20), aus dem Griechischen übersetzt v Otto Stählin, München 1938, 21 33 Joseph Ratzinger, Der Geist der Liturgie Eine Einführung, Freiburg i Br u a 2000, 42 34 Ders , Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, Geist und Leben Zeitschrift für Aszese und Mystik 41 (1968), 347–376, 349

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4 SOZIALOPFER Grundsätzlich sollte es christlicherseits ein geistiges Opfer sein, freilich wie schon im Alten Testament mit zwei Dimensionen, nämlich als Dienst für Gott wie als Dienst für die Menschen35 Das bewirkte, dass der christliche Opferdienst immer auch materielle Gaben einschloss Folglich bedeutet das geistige Opfer nicht, dass nun nichts Konkretes mehr zu opfern gewesen wäre War es zuallererst das Selbstopfer an Gott, so zusätzlich auch Werke der Nächstenliebe und Sozialopfer36 Markus stellt das Erst- und Hauptgebot der Gottes- wie aber auch der Nächstenliebe allen Kultopfern „weit“ voran: „[Gott] mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer (Mk 12,33) “ Die Nächstenliebe steht hier grundsätzlich höher als das Kultopfer, das ohne Nächsten-, ja Feindesliebe seine Voraussetzung verliert: „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe (Mt 5,23 f) “ „Das eucharistische Mahl der Kirche hat seinen Grund in Jesu Lebenseinsatz bis zum Äußersten, in seiner ‚Diakonie‘ für andere, in seinem Sterben ‚für viele‘ (Mk 14,24) Deshalb wird es nun auch seinerseits für diejenigen, die es im Gedenken an seinen Tod feiern, zur Quelle von Caritas und Diakonie “37 Die Sozialaktivität setzte sich altkirchlich gleichfalls fort Nur eine Stimme: Justin der Märtyrer († 165) sieht bei den Christen die Brandopfer durch die Nächstenliebe ersetzt, nämlich nicht „das von [Gott] zur Nahrung Geschaffene durch Feuer zu verzehren, sondern […] es […] den Bedürftigen zugute kommen zu lassen“38 Paul Veyne hat auf die gesellschaftlichen Fernwirkungen hingewiesen: Die Christenheit vermochte als „starke Minderheit eine ganze Gesellschaft für die Armen zu sensibilisieren“39 5 DAS ENDE DER BLUTOPFER Die Abschaffung des Blut-Opfers ist für alle Religionsgeschichte als weltgeschichtlicher Vorgang zu bezeichnen Genau besehen geschah diese Abschaffung, so sehr sie in unseren Augen als Fortschritt erscheint, unter Zwang Es war zunächst das 35

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Dass das geistige Opfer, sofern es aus der prophetischen Deutung hervorging, die ArmenSorge einschloss, wird weder bei Joseph Ratzinger noch bei seinen Interpreten wahrgenommen Siehe dazu: Josip Gregur, Fleischwerdung des Wortes – Wortwerdung des Fleisches Liturgie als logike latreia bei Joseph Ratzinger, in: Der Logos-gemäße Gottesdienst Theologie der Liturgie bei Joseph Ratzinger (Ratzinger Studien 1), hg v Rudolf Voderholzer, Regensburg 2009, 46–75 Michael Theobald, Eucharistie als Quelle sozialen Handelns, Neukirchen-Vluyn 2012 Theobald, Eucharistie als Quelle (wie Anm  36), 283 Justin, Erste Apologie 13, in: Frühchristliche Apologeten (wie Anm  29), 77 Paul Veyne, Brot und Spiele Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike, Frankfurt a M 1992, 42

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äußerliche Ereignis der Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n Chr , wodurch den Juden der einzig legitime Ort für Blutopfer zerstört wurde Infolgedessen musste das Opfer jüdischerseits neu definiert werden: „Neben Gebet und Fasten trat das Almosen an die Stelle der Tempelliturgie “40 Aber auch die Christen waren betroffen Die judenchristliche Gemeinde Jerusalems ging in den Tempel und nahm, in welcher Weise auch immer, „weiter am Opferkult teil“41 Kritisch zu Tempel und Opfer stellte sich sofort der ‚hellenistische Kreis‘ um Stephanus, der den Tempel nicht mehr als Haus Gottes ansehen wollte (vgl Apg 7,42–50), sodann auch Paulus, der die Beschneidung, welche Vorbedingung des Opferns war, für das Christwerden ablehnte (vgl Gal 5,2), aber doch selbst zum Tempelopfer bereit war (vgl Apg 21,18–26) Letztgültig vollzog auch das Christentum nach der Tempelzerstörung seine Absage an den Tempel- und Opferkult Insofern ist die christliche Absage an die Opfer „auf keinen Fall der große Fortschritt des Christentums gegenüber dem Judentum“42 Den Christen fiel die Absage umso leichter, als Jesus das Ende des Tempels und seines Kultes vorausgesagt und sich selbst zum letztgültigen Opfer erklärt hatte43 Im judenchristlichen Ebioniten-Evangelium verkündet Jesus: „Ich bin gekommen, die Opfer abzuschaffen “44 Das frühpatristische Schrifttum kennt allein „die ‚geistlichen Opfergaben‘ wie Lobpreis, Fasten, Almosengeben, gute Lebensführung und Märtyrertod“, begründet in der „Deutung des Kreuzestodes Christi“ sowie im „Gedächtnis dieses Todes in der Eucharistie“45 Neben dem Zwang, der durch die Tempel-Zerstörung auf die Abschaffung der Blut-Opfer einwirkte, ist ein weiterer Zwang anzuführen, dass nämlich die Christen, nachdem ihr Glaube Staatsreligion geworden war, die Blutopfer als Gräuel bezeichneten und sogar mit Todesstrafe ahndeten46 Der Codex Justinianus gebietet: „Wir befehlen, daß sie sich der Opfer enthalten Haben sie dergleichen unternommen, so werden sie mit dem Schwerte bestraft “47 Die Konsequenz wurde bis dahin getrieben, selbst noch die Voraussetzung für die Blutopfer, nämlich Altar und Tempel zu zerstören Die Abschaffung der Blutopfer ist als Einschnitt in der ganzen Religionswelt zu bezeichnen Der Exeget Gerd Theißen bezeichnet das Ende der Blutopfer als „gewaltige[n] Bruch in der Religionsgeschichte“48 Weitreichender noch deutet 40 Guy G Stroumsa, Das Ende des Opferkults Die religiösen Mutationen der Spätantike, Berlin 2011, 100 41 Gerd Theissen, Die Religion der ersten Christen Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 32003, 198 42 Ebd 199 43 Joseph Ratzinger / Benedikt XVI , Jesus von Nazareth, Bd  2, Freiburg i Br u a 2011, 44–56 44 Ebioniten-Evangelium, Bd  5, ed Klaus Berger u Christiane Nord, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, Frankfurt a M /Leipzig 1999, 984 45 Frances M Young, Opfer (IV Neues Testament und Alte Kirche), in: Theologische Realenzyklopädie 25 (1995), 271–278, 271 46 Karl Leo Noethlichs, Heidenverfolgung, in: Reallexikon für Antike und Christentum 13 (1986), 1149–1190, 1166 f und 1175 f 47 Codex Justinianus, ed Gottfried Härtel u Frank-Michael Kaufmann, Leipzig 1991, 42, 1,11,1 48 Theissen, Die Religion der ersten Christen (wie Anm  41), 199

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der Oxforder Religionshistoriker Guy Stroumsa Er bezeichnet das Ende der Blutopfer direkt als „Revolution“ und möchte zusätzlich die von Jaspers postulierte Achsenzeit von der Mitte des vorchristlichen Jahrtausends in die Spätantike verlegen49 Immerhin, wenn heute die alten Opfer, wie sie allgemein in der Menschheitsgeschichte und noch für die ganze außereuropäische Vormoderne üblich waren, verschwunden sind, ist das nicht zuletzt jüdisch-christlicher Einwirkung zu verdanken Auf keinem Marktplatz, vor keinem Regierungsgebäude, in keinem Religionsheiligtum werden heute noch – wie ehemals in der Antike – Großopfer dargebracht; keine Tiere werden mehr geschlachtet oder verbrannt und erst recht keine Menschen mehr geopfert Wenn heute noch irgendwo in Wüste, Savanne oder Busch Huhn, Schwein, Früchte oder Korn geopfert werden, wird das, so steht zu erwarten, bald verschwunden sein Dass gleichwohl Menschenopfer auch in unserer Zeit wieder aufleben können, zeigt sich in Afrika, wie Presseberichte vermelden: „In tödlichen Ritualen werden afrikanische Kinder geopfert“; ein Huhn oder eine Ziege zu schlachten genügt nicht „Menschenblut muss fließen “50 6 MARTYRIUM Jesus nachzufolgen bedeutet, sein Zeuge (martys) zu werden: „Ihr seid Zeugen (Lk 24,48) “ Die pfingstliche Geist-Sendung befähigt dazu, „Zeugen [zu] sein […] bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8)“ Paulus ist dank seiner besonderen Berufung „zum Diener und Zeugen (Apg 26,16)“ geworden Inhaltlich ist das christliche Zeugnis in zwei Aspekten zu sehen: einerseits in der Berufung Gottes zum Zeugen, um für sein Recht unter Menschen einzutreten, andererseits in der Beauftragung des Menschen, vor aller Welt Gottes Gerechtigkeit zu vertreten51 Dieses Zeugnis soll der Christ bis zum Tod durchhalten Wenn er dabei durch die Hingabe des eigenen Lebens zum Blutzeugen wird, kommt er Jesus Christus, der für sein Zeugnis ebenfalls in den Tod ging, besonders nahe, weswegen der Begriff ‚Martyrium‘ bald das Blutzeugnis einschloss Wer sein Jünger sein wolle, so forderte Jesus, „nehme sein Kreuz auf sich (Mk 8,34)“ Das ist Angleichung an ihn bis zum Kreuzestod Petrus bekundet vor Jesu Verurteilung: „Und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen (Mt 26,35) “ Dennoch schließt das Zeugnis nicht grundsätzlich den Tod ein Lukas überliefert das Kreuzeswort in der Version, „sich selbst zu verleugnen und täglich sein Kreuz auf sich“ (Lk 9,23) zu nehmen Hier ist die ganze Lebensführung mit ihren tagtäglichen Selbstverleugnungen gemeint Bei aller Zeugnis-Bereitschaft bis zum Tod findet sich andererseits eine Empfehlung zur Flucht: „Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, so flieht in eine andere (Mt 10,23) “ Insofern gilt: Niemand darf das Martyrium provozieren, soll sogar fliehen Justin der Märtyrer († 163/167) verbietet das Anstreben des Mar49 50 51

Stroumsa, Das Ende des Opferkults (wie Anm  40), 141, 149 f Arne Perras, Mörderischer Zauber, Süddeutsche Zeitung vom 5 März 2010 (Nr  53), 3 Johannes von Lüpke, Zeuge/Zeugnis (II Theologie), in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 12 (2004), 1324–1330, 1325

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tyriums52 Tatsächlich ist „die Flucht nicht nur faktisch, sondern auch ethisch und theologisch als normale Reaktion“ aufgefasst worden53 Die große Masse der Christen, die Verfolgungen ausgesetzt war, „drängte sich nicht zum Tod“; in Märtyrerakten erscheint die Formel: „Ich lebe gern “54 Somit gilt: So sehr der Christ sein Zeugnis bis zum Tode durchhalten soll, ja darin eine besondere Einswerdung mit Jesus Christus erreicht, so sehr ist es ihm andererseits verwehrt, sich zum Martyrium zu drängen, gar Andere mit in seinen Tod zu reißen Das unterscheidet den Märtyrer vom religiösen Selbstmord-Attentäter Doch konnte die Kennzeichnung des Martyriums als eines nicht nur bereitwillig erlittenen, sondern auch mutig ergriffenen Todes ganz in den Vordergrund treten55 Ein frühes Beispiel bietet Ignatius von Antiochien († 110) in seinen Briefen auf dem Wege zum Martyrium nach Rom: An die dortige Gemeinde richtet er die Bitte: „Mir steht die Geburt bevor […]; hindert mich nicht, das Leben zu gewinnen […] Gönnet mir, ein Nachahmer zu sein des Leidens meines Gottes“56; ja, „erweiset mir damit den größten Gefallen, daß ich Gott geopfert werde, solange der Altar noch bereit steht“57 Hier klingt Martyriumsverlangen auf: „Nahe dem Schwerte ist nahe bei Gott, inmitten der wilden Tiere ist inmitten Gottes “58 Beim Martyrium des Ignatius-Schülers Polykarp († 156 bzw 167) erscheint erstmals der uns geläufige Sprachgebrauch des Märtyrers als jenes Zeugen, der sein Blut vergossen hat: „μαρτυρεῖν heißt den Märtyrertod erleiden, und μαρτυρία bzw μαρτύριον ist das Martyrium, das heißt der Vorgang des Leidens und Sterbens, das um des Festhaltens am Glauben willen ertragen wird “59 Dieses Zeugnis mit Lebenshingabe ist es von nun an, das die Höchstform der Christusnachfolge darstellt und im Moment des Todes sogleich in die ewige Gegenwart Gottes führt Polykarp hat seinem Martyriumsbericht zufolge ein Gebet gesprochen, das die Lebenshingabe als Schicksalsgemeinschaft mit Jesus Christus, als Anteilhabe an seinem Kelch (vgl Mt 20,22 f ) deutet und Gott dafür Dank ausspricht: „‚Herr, allmächtiger Gott, du Vater deines geliebten und gelobten Sohnes Jesus Christus, durch den wir zur Kenntnis über dich gelangt sind, Gott der Engel, Kräfte, der ganzen Schöpfung und der ganzen Schar der Gerechten, die in deiner Gegenwart leben: Ich lobe dich, daß du mich dieses Tages und dieser Stunde für würdig hieltest, in der Zahl der Märtyrer Anteil zu bekommen an dem Kelch deines Christus zur Auferstehung des ewigen Lebens von Seele und Leib in der Unvergänglichkeit des heiligen 52 53

Justin, Zweite Apologie 3 (4), in: Frühchristliche Apologeten (wie Anm  29), 142 Dorothea Wendebourg, Das Martyrium in der Alten Kirche als ethisches Problem, Zeitschrift für Kirchengeschichte 98 / Vierte Folge 36 (1987), 295–320, 309, 312 54 Ebd 305 f 55 Ebd 295–320, 301 56 Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer 6, 1–3, in: Die Apostolischen Väter (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Reihe 35), aus dem Griechischen übersetzt v Franz Zeller, München 1918, 139 57 Ignatius von Antiochien, Brief an die Römer 2, 2, in: ebd 137 58 Ignatius von Antiochien, Brief an die Smyrnäer 4, 2, in: ebd 148 59 Norbert Brox, Zeuge und Märtyrer Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (Studien zum Alten und Neuen Testament 5), München 1961, 227

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Geistes; unter diesen möchte ich vor deinen Augen heute aufgenommen werden als ein fettes und wohlgefälliges Opfer, wie du es vorbereitet, vorher angekündigt und auch jetzt erfüllt hast, du untrüglicher und wahrhaftiger Gott Deswegen und für alles lobe ich dich, preise ich dich und verherrliche ich dich durch den ewigen und himmlischen Hohenpriester Jesus Christus, deinen geliebten Sohn, durch den dir mit ihm und dem heiligen Geist Ehre sei jetzt und in alle Ewigkeit Amen ‘“60 Polykarps Gebet ist eine eucharistisch bestimmte Danksagung: Der Becher Christi ist zum Blut des Martyriums geworden, „daß Gott ihn […] gewürdigt hat, um in der Zahl der Märtyrer Anteil zu haben an dem Becher Christi zur Auferstehung ewigen Lebens“61 Hatte die Eucharistie in der altkirchlichen Liturgie nicht nur ein ‚geistiges‘, sondern auch ein ‚unblutiges Opfer‘ geheißen62, so sehen wir bald das reale Blut, den Urstoff aller Religionen, wieder hochkommen Schon Tertullian († nach 220) hielt dafür, dass zur Vergebung der nach der Taufe begangenen Sünden das eigene Blutvergießen erforderlich sei63 Zusätzlich kam die Meinung auf, die Sühnewirkung der Märtyrer sei auf andere übertragbar, woraus die Märtyrer-Fürbitte entstand: Man wollte am Sühne-Überschuss der Märtyrer Anteil erhalten64 In der Eucharistie verschwand seit dem 6 Jahrhundert die Redeweise vom ‚unblutigen Opfer‘ und dafür erschienen erstmals blutende Hostien In den seit Beginn des 5 Jahrhunderts gesammelten ‚Apophthegmata patrum‘ wird berichtet, beim eucharistischen Brechen des Brotes sei darin das Jesus-Kind erschienen, welches ein himmlischer Engel mit einem Schwert schlachtete und das Blut in den Kelch leerte65 Im Westen folgten die ‚blutenden‘ Hostien66 Nur nebenbei sei von hier aus auch ein Blick auf das muslimische Verständnis geworfen Im Koran begegnet ebenfalls der ‚Zeuge‘, wobei der ‚Blutzeuge‘ erst später in der Hadith-Literatur erscheint; dort ist Märtyrer derjenige, der im Jihad, der heiligen Schlacht, den Opfertod erlitten hat und damit für Allah gestorben ist: Märtyrer ist der, der im Glaubenskampf fällt, und das ist zu allererst der muslimische

60 Martyrium des Polykarp 14, ed Theofried Baumeister, Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums (Traditio Christiana 8), Bern 1991, 784 61 Ders , Die Anfänge der Theologie des Martyriums (Münsterische Beiträge zur Theologie 45), Münster 1980, 299 62 Kenneth Stevenson, „The Unbloody Sacrifice“: The Origins and Development of a Description of the Eucharist, in: Fountain of Life In memory of Niels K Rasmussen, hg v Gerard Austin, Washington 1991, 103–130; Arnold Angenendt, Sühne durch Blut, in: ders , Liturgie im Mittelalter Ausgewählte Aufsätze zum 70 Geburtstag (Ästhetik – Theologie – Liturgik 35), hg v Thomas Flammer u Daniel Meyer, Münster 22005, 191–225 63 Franz Joseph Dölger, Tertullian über die Bluttaufe, Antike und Christentum Kultur- und religionsgeschichtliche Studien 2 (1930), 117–141, 126 64 Ernst Dassmann, Sündenvergebung durch Taufe, Buße und Martyrerfürbitte in den Zeugnissen frühchristlicher Frömmigkeit und Kunst (Münsterische Beiträge zur Theologie 36), Münster 1973, 153–182 65 Apophthegmata 189, Apophthegmata patrum Aegyptiorum Weisung der Väter (Sophia Quellen Östlicher Theologie 6), ed Bonifaz Miller, Trier 31986, 79 66 Peter Browe, Die eucharistischen Wunder des Mittelalters, Breslau 1938

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Soldat67 Wiewohl solche Martyriumsvorstellungen zweitweilig auch im Christentum aufscheinen68, bleibt doch ein grundsätzlicher Unterschied: Das Christentum kennt keinen heiligen Krieg mit religiösem Martyrium; es kennt allein den ‚gerechten Krieg‘69 7 BLEIBENDE BEDEUTUNG Das geistige Opfer hat unsere Welt so tief geprägt, dass es selbst auch die Säkularisierungswellen überdauert hat Am besten lässt sich das mit der Formel von Walter Burkert „Leben für Leben“70 erläutern: Das Opfer leitet Burkert unter anderem aus dem Erschrecken darüber ab, dass der Mensch, um zu Nahrung zu kommen, töten müsse; er zerstört dabei sowohl Pflanzen wie er Tiere sogar tötet Es gehe „um ein Töten und damit um eine Bestätigung des Lebens“71 Diese urtümliche Praxis sei bei der Konzeption des geistigen Opfers auf eine andere Ebene gehoben worden: Der Mensch habe erkannt, dass sein je eigenes Leben immer geopfertes Leben von anderen Menschen in sich enthalte, nämlich deren Lebenseinsatz für Menschlichkeit Als Beispiel kann man schon das Ins-Leben-Kommen anführen: Zeugung und Aufzucht zehren am Leben der Gebärenden und Erziehenden, ja zehren es möglicherweise aus Tatsächlich kann von der Zoologie und Verhaltensforschung her gesagt werden: „Brutpflege ist scheibchenweiser ‚Selbstmord‘“72 Die Verantwortung und Pflicht für die Kinder bilde – so Hans Jonas – den „Archetyp alles verantwortlichen Handelns, der zum Glück keiner Deduktion aus einem Prinzip bedarf, sondern uns […] von der Natur mächtig eingepflanzt ist“73 Für die Erwachsenen geben die Kinder „die entscheidende Norm“ vor, und das verlangt „persönliche Opfer“74 Geradezu warmherzig bezeugt Jürgen Habermas seinen „Respekt, ja die Hochachtung vor jener unspektakulär selbstlosen Aufopferung, meistens von Seiten der Mütter und Frauen, ohne die in vielen pathologisch entstellten Gesellschaften, aber nicht 67

Ephraim Kanarfogel, Martyrium, Theologische Realenzyklopädie 22 (1992), 196–212, hier 199 68 Gerd Althoff, Selig sind, die Verfolgung ausüben Päpste und Gewalt im Hochmittelalter, Darmstadt 2013 69 Gerhard Beestermöller, Thomas von Aquin und der gerechte Krieg, Köln 1990 70 Walter Burkert, Kulte des Altertums Biologische Grundlagen der Religionen, München 1998, 70 71 Walter Burkert, Anthropologie des religiösen Opfers, München 1983, 33 72 Wolfgang Wickler, Hat die Ethik eine evolutionären Ursprung?, in: Die Verführung durch das Machbare Ethische Konflikte in der modernen Medizin und Biologie, hg v Peter Koslowski, Philipp Kreuzer u Reinhard Löw, Stuttgart 1983, 125–140, 129, zitiert nach Christian Vogel, Anthropologische Spuren Zur Natur des Menschen, hg v Volker Sommer, Leipzig 2000, 112 73 Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a M 1984, 85 74 Gerd Roellecke, Staat und Tod (Schönburger Gespräche zu Recht und Staat), Paderborn u a 2004, 40

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nur dort, das letzte moralische Band längst zerfallen wäre“75 Mit dem Altruismus für das Kind wandelt sich das Opfer zum zwischenmenschlichen Ethos Von der griechischen und israelitischen Umwandlung des alten Opferbegriffs zum Wahrheitszeugnis und Sozialdienst lebt gerade auch die moderne Welt: der Wissenschaftsbetrieb, die Berufsarbeit, sogar die Demokratie, nicht zuletzt die so oft persönlich beanspruchende Sozialtätigkeit Schon Émile Durkheim († 1917), der angesichts der laizistischen Dritten Republik Frankreichs auf die bleibende Bedeutung von Religion verweisen wollte, hielt das Opfer für unaufgebbar, denn eine Aufopferung des Einzelnen für den anderen sei für jede Gesellschaft unabdinglich, etwa des Forschers für die Wissenschaft76 Ebenso ist an Sigmund Freuds († 1939) „Triebverzicht“ mit den dafür erforderlichen Opfern zu erinnern: „Die Triebsublimierung ist ein besonders hervorstechender Zug der Kulturentwicklung, sie macht es möglich, daß höhere psychische Tätigkeiten, wissenschaftliche, künstlerische, ideologische, eine so bedeutsame Rolle im Kulturleben spielen“, wobei „die Kultur nicht allein der Sexualität, sondern auch der Aggressionsneigung […] große Opfer auferlegt“77 Der von Freud inspirierte Soziologe Norbert Elias († 1990) erfand für den notwendigen Triebverzicht Begriffe wie „Selbstzwangsapparatur“ und „Selbstkontrollapparatur“78, die zu Zitatworten geworden sind Grundsätzlicher noch argumentierte der englische Kulturphilosoph Arnold Toynbee († 1975): Ein Mensch, der von einer Hochreligion erleuchtet und inspiriert sei, verfüge über die geistige Kraft, sich seiner Gesellschaft als unabhängige sittliche Macht gegenüberzustellen, ihr kritisch zu begegnen und äußerstenfalls ihren Befehlen zu widerstehen „Wenn er sich seiner Gesellschaft widersetzt, muß er natürlich auf das Martyrium gefaßt sein […] Diese geistige Freiheit bis zum möglichen Preis des Martyriums ist […] die Quelle der Freiheit in jeder anderen Sphäre, der politischen, der wirtschaftlichen, der ästhetischen “79 Der Dogmatiker Wolfhart Pannenberg verweist auf die Märtyrer der Alten Kirche; sie hätten vor der Welt die im Tode Christi begründete Freiheit des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und dem Staat bewiesen; erst durch das Martyrium sei der Einzelne radikal unabhängig geworden von jedem absoluten Anspruch der Gesellschaft oder des Staates auf sein Leben „Was man heute als Prinzip der individuellen Freiheit kennt, hat hier seine historische Wurzel “80 Der Religionssoziologe Hans Joas führt Luthers bekanntes Wort 75

Jürgen Habermas, Ein Gespräch über Gott und die Welt, in: ders , Zeit der Übergänge Kleine Politische Schriften, Bd  IX (edition suhrkamp 2262), Frankfurt a M 2001, 193 76 Émile Durkheim, Soziologie und Philosophie Mit einer Einleitung von Theodor W Adorno (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 176), Frankfurt a M 31996, 87 77 Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur III und V; Sigmund Freud Werkausgabe in zwei Bänden, Bd   2, ed Anna Freud u Ilse Grubrich-Simitis, Frankfurt a M 1978, 367–424, 391, 403 78 Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Bd  2: Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Baden-Baden 1976, 312–366 79 Arnold J Toynbee, Menschheit – woher und wohin?, Stuttgart u a 21971, 153 80 Wolfhart Pannenberg, Die Bestimmung des Menschen Menschsein, Erwählung und Geschichte (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1443), Göttingen 1978, 11

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vom Wormser Reichstag an: „Hier stehe ich; ich kann nicht anders Gott helfe mir Amen“ Dieses Wort sei zum „Gründungsmythos des protestantischen Individualismus“ geworden: „Indem er der Stimme seines Gewissens folgte, Verfolgung und möglicherweise Tod in Kauf nahm, blieb der Rebell oder Reformator mit sich selbst im reinen “81 Die gesellschaftlich-politischen Auswirkungen zeigen sich universal „Wohl deshalb finden sich in allen liberalen Gesellschaften […] Erinnerungen an Menschen, die Opfer von Gewalt wurden, die Mut bewiesen, die sich opferten oder den Zumutungen derjenigen entgegenstellten, die Macht ausübten und keine Selbstbindungen akzeptierten: Wilhelm Tell, Jan Hus, Anselm von Canterbury, Jeanne d’Arc, Simon Bolivar, Mahatma Gandhi, in Deutschland das Spektrum von Arminius über Luther bis zum Prinzen von Homburg “82 Oder eine amerikanische Studie: „Das 20 Jahrhundert hat schlagende Beispiele von Opfern gesehen Dietrich Bonhoeffer, Mutter Theresa, Gandhi und Martin Luther King […] sind bekannt für ein aufopferndes Leben, das manche von ihnen zu einem gewaltsamen Tod geführt hat “83 8 MISSBRAUCHTE OPFERBEREITSCHAFT Soweit die erste, auch säkular unverzichtbare Auswirkung des geistigen Opfers Tatsächlich aber ist nicht zu verkennen, dass Opferbereitschaft auch ganz ungeheuerlich missbraucht werden kann Die modernen Nationalismen und mehr noch die Terrorsysteme haben nur dank einer todesbereiten Einsatzwilligkeit ihrer Gefolgsleute so viel Unheil anrichten können Der ersatzreligiöse Nationalismus des 19 Jahrhunderts machte den nationalen Volksraum zum heiligen Vaterland, feierte den Heldentod als heiliges Opfer, dargebracht auf dem Altar des Vaterlandes Ein im Jahre 2000 unter dem Titel ‚Gott mit uns‘ publizierter Sammelband bringt gleich als ersten Satz: „Der Zusammenhang von Nation, Religion und Gewalt bezeichnet ein zentrales Element europäischer Staatswirklichkeit der Neuzeit, insbesondere aber im langen 19 Jahrhundert, der Zeit von 1789 bis 1914 “84 In dieser Nationalreligion traten Historiker, Philosophen, aber auch Literaten und Künstler wie Priester und Propheten auf Man hat von einem säkularen „Sog des Opferdenkens“85 gesprochen Und das zeitigte Folgen: „Nie sah sich eine Gesellschaft so 81

Hans Joas, Die kulturellen Werte Europas Eine Einleitung, in: Die kulturellen Werte Europas, hg v dems u Klaus Wiegandt, Frankfurt a M 2005, 11–39, 14 82 Peter Steinbruch, Die totalitäre Weltanschauungsdiktatur des 20 Jahrhunderts als Ausdruck „Politischer Theologie“ und als Bezugspunkt des antitotalitären Widerstands, Kirchliche Zeitgeschichte 12 (1999), 20–46, 28 83 Erin Lothes Biviano, The Paradox of Christian Sacrifice The loss of self, the gift of self, New York 2007, 9 84 Gerd Krumeich / Hartmut Lehmann, Nation, Religion und Gewalt: Zur Einführung, in: ‚Gott mit uns‘ Nation, Religion und Gewalt im 19  und frühen 20 Jahrhundert, hg v dens , Göttingen 2000, 1–6, 1 85 Hans Richard Brittnacher, Erschöpfung und Gewalt Opferphantasien in der Literatur des Fin de siècle, Köln u a 2001, 66

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reif zum Opfer wie zur Zeit der Jahrhundertwende, nie waren sich rechts und links so nahe wie in ihrer euphorischen Zustimmung zum Krieg, und nie waren sich die Nationen Europas so einig in der Bereitschaft zum Opfer wie am Vorabend des Ersten Weltkrieges “86 Auch die Konfessionen stimmten national mit ein, zumal die Protestanten; ein ‚Sakraltransfer‘ vereinigte unter dem Glaubenshelden Luther sowohl Thron wie Altar, Vaterlandskrieg wie Katechismus Man hat von einem „Pastorennationalismus“87 gesprochen, der von 1815 bis zu den Weltkriegen im 20 Jahrhundert andauerte und zuletzt auch die Katholiken erfasste, mit dem „Opfertod für die Nation als höchstem Wert“88 Der Oxforder Militärhistoriker John Keegan verzeichnet für die Vernichtungsschlachten des Ersten Weltkrieges „eine Opferbereitschaft, die deren Grauenhaftigkeit wenigstens zum Teil erklärt“89 Mehr noch wurde der Zweite Weltkrieg dadurch so ungeheuerlich, dass er bis zur letzten Stunde mit „grenzenloser Hingabe“ betrieben wurde90 Wenig verwunderlich, dass heute jegliche Selbstaufopferung in Misskredit geraten ist und als Aneiferung zu sinnloser Selbstzerstörung denunziert wird Friedrich Nietzsche († 1900) hatte schon höhnisch gewarnt: „Wenn du eine Tugend hast, eine wirkliche, ganze Tugend (und nicht nur ein Triebchen nach einer Tugend!) – so bist du ihr Opfer!“91 Vielen erscheint Religion heute zuerst als Gewalt, infolgedessen „die These vom Zusammenhang zwischen Monotheismus und Intoleranz längst zum Common Sense selbst prominenter philosophischer Lehrbücher gehört“92 Hierdurch erscheint gerade auch das Selbstopfer, zumal auch wegen der derzeitigen islamischen Selbstmord-Anschläge, als Anstiftung zu sinnloser Selbstzerstörung, wobei aber kritische Kenner dafür keine Grundlage im Islam selbst finden Was heute freilich oft zu wenig hervorkommt, ist jene Aufopferung, die auch den Widerstand gegen den Totalitarismus beseelte Ohne Opfer, so hat man gerade im Blick auf die Terror-Diktaturen des 20 Jahrhunderts sagen können, sei kein Widerstand möglich gewesen Wenn Joachim Fest seinen Lebenserinnerungen den Titel ‚Ich nicht‘ gegeben hat, zitiert er damit ein Wort seines Vaters, der seinen Widerstand gegen die Hitlerei anhand des neutestamentlichen Petrus-Wortes formulierte: „Wenn alle dich, Herr, verraten, so ich nicht“ (Mt 26,33) Der am 22 Januar 1945 hingerichtete Helmuth James von Moltke war überzeugt, Gott habe ihn be86 87

Ebd 127 Frank-Michael Kuhlemann, Pastorennationalismus in Deutschland im 19 Jahrhundert – Befunde und Perspektiven der Forschung, in: Nation und Religion in der deutschen Geschichte, hg v Heinz-Gerhard Haupt u Dieter Langewiesche, Frankfurt a M u a 2001, 548–586 88 Gangolf Hübinger, Sakralisierung der Nation und Formen des Nationalismus im deutschen Protestantismus, in: ‚Gott mit uns‘ (wie Anm  84), 233–247, 233 89 John Keegan, Der Erste Weltkrieg Eine europäische Tragödie, Reinbek bei Hamburg 2000, 416 f 90 Marita Krauss, Grenzenlose Hingabe, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17 Oktober 2006 (Nr  241), 9 (verweist auf: Brigitte Penkert, Briefe einer Rotkreuzschwester von der Ostfront, Göttingen 2006) 91 Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft 1, 21; Nietzsche Werke Kritische Gesamtausgabe, Bd  5/2, hg v Giorgio Colli u Mazzino Montinari, Berlin/New York 1973, 65 92 Klaus Müller, Streit um Gott Politik, Poetik und Philosophie im Ringen um das wahre Gottesbild, Regensburg 2006, 33

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stimmt, „vor dem Thron der Mächtigen die Wahrheit des christlichen Glaubens zu bekennen und dafür zu sterben“93 Hier, so wird man sagen können, lebt das Zeugnis des christlichen Martyriums fort: für die Wahrheit Gottes und für das Allgemeinwohl sein Leben einsetzen 9 OPFERVERSESSENHEIT – OPFERVERGESSENHEIT Im derzeitigen Europa und gerade auch in Deutschland ist die einstige Opferversessenheit längst umgeschlagen in Opfervergessenheit: Die Einsatzbereitschaft des eigenen Lebens sowohl für Freiheit oder Vaterland wie ebenso für Gott steht unter Verdacht, einmal wegen des Nationalsozialismus, ebenso wegen des Kommunismus, derzeit wegen des religiösen Fanatismus94 Das heißt allerdings nicht, dass heute von Opfern nicht mehr die Rede wäre Im Gegenteil; die Opferbezeichnung ist von den Tätern auf die Geopferten übergewechselt, und das mit Recht Als Opfer gelten nun solche Menschen, die von Unrecht welcher Art auch immer betroffen sind: geschädigte Einzelpersonen oder ganze Gruppen, politisch Verfolgte und Inhaftierte, Kolonialvölker und vormalige Sklaven, sexuell Vergewaltigte und Missbrauchte Sie alle klagen heute ihren Opfer-Status ein und fordern Wiedergutmachung, die ihnen so gut wie möglich zu gewähren ist Inzwischen hat man auch schon sagen können: „Als Opfer wahrgenommen zu werden, bedeutet ein strategisches Privileg im sozialpolitischen Verteilungskampf“95; man könnte darin, freilich nicht ohne Zynismus, ein „‚negatives Privileg‘“ sehen96 10 OHNE OPFER KEIN LEBEN Ist damit nun die Bedeutung des geistigen Opfers, ist nunmehr alle Selbstaufopferung erledigt? Hat der Missbrauch das geistige Opfer außer Kraft gesetzt? Tatsächlich kann hier vorschnell eine Verteufelung betrieben werden Für das heutige Deutschland stehen inzwischen besondere Fragen an: Kann der freiheitliche Rechtsstaat – so der Kölner Rechtsprofessor Otto Depenheuer – die Opferbereitschaft seiner Bürger nicht nur als Loyalitätspflicht erwarten, „sondern darüber hinaus diese im Grenzfall auch einfordern“97? Bedarf es einer rechts93

Günther Brakelmann, Helmuth James von Moltke 1907–1945 Eine Biographie, München 2007, 357 94 Herfried Münkler / Karsten Fischer, „Nothing to kill or die for…“ – Überlegungen zu einer politischen Theorie des Opfers, Leviathan 3 (2000), 343–362, 348 95 Ebd 351 96 Hans-Joachim Höhn, Spuren der Gewalt Kultursoziologische Annäherungen an die Kategorie des Opfers, in: Das Opfer Biblischer Anspruch und liturgische Gestalt (Quaestiones Disputatae 186), hg v Albert Gerhards u Klemens Richter, Freiburg i Br u a 2000, 11–29, 15 97 Otto Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaates (Schönburger Gespräche zu Recht und Staat 8), Paderborn u a 22008, 76

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staatlichen Theorie des Opfers? Sofern erstes Ziel des Staates die Abwehr von Willkürgewalt ist, braucht es Rechtsgewalt, um Lebensschutz und Frieden sicher zu stellen Aber bedarf es dafür der Opfer? Immerhin haben Polizisten, Ärzte oder Feuerwehrleute Gefahrenmomente zu bestehen, die im Extremfall auf Leben und Tod gehen Politiker, Richter und Staatsanwälte, die für Recht und Gerechtigkeit auch gegen Mafiosi oder Terroristen einzutreten haben, müssen gegebenenfalls mit persönlicher Bedrohung rechnen Oder auch die Geiselnahme zur Erpressung des Staates; einzelne hochrangige Vertreter von Staat und Wirtschaft haben für ihre Person erklärt, auf ihr Leben solle keine Rücksicht genommen werden Ganz neu hat die bundesrepublikanische Öffentlichkeit den Soldatentod zu realisieren, wie er jetzt bei den Nato-Einsätzen eingetreten ist Hier überall müsse der Staat das Recht haben – wie jetzt wieder betont wird – zur Tötung oder zu Tötungen verpflichten zu können Zur Begründung wird dafür der uralte Opfer-Satz angeführt: „Wer sein Leben auf Kosten anderer erhalten will, muß es, sobald es nötig ist, auch für sie hingeben “98 Zu sparsamer Anwendung rät Jürgen Habermas; wohl seien „für allgemeine Interessen Opfer in Kauf zu nehmen“, aber „nur in kleiner Münze“, nur sofern sie „für den Bestand einer Demokratie wesentlich“ seien99 So hat also der Staat um seiner selbst willen tatsächlich auf Opfer zu bestehen, wie der mehr als Schriftsteller bekannte Jurist Bernhard Schlink argumentiert: Eine jede Menschengemeinschaft sei bei wirklicher Gefahr darauf angewiesen, „daß einige von ihnen sich opfern, damit die anderen leben“100 Damit wären wir wieder bei der alten Opferformel „Leben um Leben“ Weltweit rückt ein völlig neuer Aspekt in den Blick, nämlich unsere ökologische Situation Hierbei erscheint das „‚Opfer‘ zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit einer Gemeinschaft und zur Abwendung kollektiver Bedrohungen“; gefordert wird darum, „auf kurzfristig wirksame Vorteile zugunsten eines langfristig erzielbaren bzw bedeutsamen Nutzens zu verzichten“; dem Homo faber wird abverlangt, auf sein wissenschaftlich-technisch Mögliches zu verzichten: „Er soll nicht eine ‚Habe‘, sondern ein ‚Vermögen‘ opfern “101 Opfer gebieten hier einen kurzfristigen Verzicht, aber versprechen einen langfristigen Gewinn Tatsächlich lebt die Moderne aus der Umwandlung des alten Opferbegriffs zum geistigen Opfer Sowohl Demokratie wie Wissenschaftsbetrieb, Berufsarbeit ebenso wie die Sozialtätigkeit zehren davon Hier überall sieht sich der Mensch ‚verantwortlich‘ und weiß sich zur ‚Aufopferung‘ verpflichtet Aber – so befürchtet Walter Burkert heute – „der Wille zum ‚Opfer‘, die Freiwilligkeit des Opfers bis zur Selbstaufopferung, dies ist kaum noch anzubringen“ Burkert erinnert hierbei an die christliche Opfertheologie, an „das freiwillige, stellvertretende Sterben, damit die anderen leben“ Er registriert indes für die Gegenwart, dass die „Aufforderung […] zum aktiven ‚Opfer‘, die doch noch vor wenigen Jahrzehnten möglich war, 98 Roellecke, Staat und Tod (wie Anm  74), 85 99 Jürgen Habermas / Joseph Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung Über Vernunft und Religion, Freiburg i Br 32005, 23 100 Bernhard Schlink, Das Opfer des Lebens, Merkur 679 (2005), 1021–1031, 1027 101 Höhn, Spuren der Gewalt (wie Anm  96), 21–25

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der Wille zum ‚Opfer‘, die Freiwilligkeit des Opfers bis zur Selbstaufopferung, […] kaum noch anzubringen“ sei102 Was Burkert hier religiös-historisch anmahnt, findet sich auch poetisch formuliert, so bei Rose Ausländer († 1988): „Wir essen das lebendige Sterben, / um am Leben zu bleiben / Das Leben bleibt nicht bei uns / Es stirbt in ein anderes Leben, / das sich in ein anderes Sterben einlebt / Wir essen das sterbliche Leben, / das uns verzehrt “103

102 Burkert, Anthropologie (wie Anm  71), 16, 35 103 Rose Ausländer, Stilleben II, in: dies , Die Nacht hat zahllose Augen, Frankfurt a M 1995, 19

ORTS- UND PERSONENREGISTER erstellt von Julia Hümmer Das vorliegende Register erfasst Personen und Orte im Haupttext und in den Anmerkungen Für Personen wurden nach Möglichkeit die Lebensdaten angegeben Personen des Mittelalters (bis 1500) sind im Allgemeinen unter ihrem Vornamen verzeichnet Das Register weist nur bei den deutschsprachigen Lemmata die zugehörigen Seitenzahlen auf Die englischen und französischen Entsprechungen der Orts- und Personennamen wurden in Klammern hinzugesetzt, sofern diese in den nicht deutschsprachigen Beiträgen des Bandes erscheinen Namen oder Orte, für die es im Deutschen keine geläufige Entsprechung gibt, wurden in der jeweils gängigen Sprache aufgenommen Märtyrergruppen wurden nur dann verzeichnet, wenn ein einheitlicher dies natalis überliefert ist Folgende Abkürzungen werden verwendet: Äbt (Äbtissin) Anm (Anmerkung) AT (Altes Testament) Bf (Bischof) Bm (Bistum) ca (circa) d (der/die/das etc ) Ebf (Erzbischof) Fs (Fürst) Fsn (Fürstin) Gf (Graf) Hl (Heilige/r) Hzg (Herzog) Jh (Jahrhundert)

Kg (König) Kgn (Königin) Ki (Kirche) Ks (Kaiser) NT (Neues Testament) n Chr (nach Christus) O (Ort) L (Land, Landschaft, Region) Lgf (Landgraf) Mgf (Markgraf) röm (römisch) u (und) v (von) v Chr (vor Christus)

Aachen, O 66, 219 Abbo, Abt v Fleury, Hl , Märtyrer (um 943–1004) 97 Abd ar-Rahmann III , Emir, Kalif v Córdoba (889–961) 249 Abraham, Patriarch d AT 96 Adalbert, Bf v Prag, Ebf v Gnesen, Hl (956–997) 125, 131, 201 Adam, Figur d AT 79 Adrevald, Mönch v Fleury, Hagiograph (9 Jh ) 96 (Anm ), 97 f Adulphus u Johannes, Hl , Märtyrer in Córdoba († 825) 254 (Anm ) Aegidius v Assisi (Gilles d’Assise), Franziskaner, Mystiker († 1262) 187

Ägypten (Égypte), L 33, 36, 143, 160, 168 f , 193 Ælfric, Abt v Eynsham, Gelehrter (um 950–1020) 105 Ælfthryth, Äbtissin v Repton (8 Jh ) 74 Ärmelkanal (Mare Britannicum) 91 (Anm ) Äthiopien, Kgr u L 80 f Afrika 211, 222, 297 Agata v Catania, Hl , Märtyrerin (225–250) 256 (Anm ) Agaune (Acaunum, Agaunum, Saint-Maurice), Kl 136 Agilus, Abt v Rebais, Hl († 650) 89 Agnes, Hl , Märtyrerin in Rom († um 250) 31

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Orts- und Personenregister

Agnes Blannbekin, Begine, Mystikerin (1250–1305) 153 Agostino da Osimo, Franziskaner, Hagiograph 243 Aigulf (Aigulphe), Mönch v Fleury, Abt v Lérins, Hl , Märtyrer (um 630–um 676) 96–99 Aimoin, Mönch v Saint-Germain-des-Près, Hagiograph († 896) 246 (Anm ), 248, 252 (Anm ), 254 f , 257 Akkon (Saint-Jean d’Acre), O 188 Al-Andalus 17, 250, 252, 258, 262 (Anm ), 263, 269 Albrecht Dürer, Maler (1471–1528) 9 f Aldhelm, Abt v Malmesbury (639–709/710) 60 Alexander, bei Eusebius v Caesarea erwähnter christlicher Apostat 29 (Anm ) Alexandria (Alexandrien), O 32 Alfons II , Kg v Asturien (761–842) 269 (Anm ) Alfons III , Kg v Asturien (848–910) 247 Alkuin (Alcuin de York), Abt v Saint-Martin in Tours, karolingischer Gelehrter (um 730–804) 90, 91 (Anm ), 94, 102 Alodia siehe Nunilo u Alodia Aloysius v Gonzaga, Hl , Jesuit (1568–1591) 215 (Anm ), 223 Altbunzlau (Stará Boleslav), O 130 Alverna, Anhöhe am Monte Penna, Einsiedelei d hl Franziskus v Assisi 142 Amalarius v Metz, Ebf v Trier, karolingischer Liturgiker (775–850) 173 Amandus (Amand), Bf v Tongern-Maastricht, Abt v Elnone, Hl , Märtyrer (um 575–um 676) 89, 91 ff , 96, 99 Amastris (Amasra), O 42 Ambrogio Lorenzetti, Fresken- u Tafelmaler (um 1290–um 1348) 194 (Anm ) Amelbert, fränkischer Adeliger, Patron d  Frauenkl Pavilly (7 Jh ) 95 Amerika 211, 222 Amisos (Samsun), O 42 Amos, Prophet d AT 291 Amrhyn, Beat, Jesuit (17 Jh ) 224 Andreas (Andrew), Hl , Apostel u Märtyrer 58–61, 64 f Andreas Rudolf Bodenstein, genannt Karlstadt, Reformator (1486–1541) 23 Angelus Clarenus (Pietro da Fossombrone), Franziskaner, Gründer d Clarenerordens (um 1250–1337) 149 Angelus Tancredi, Ritter aus Rieti, Franziskaner (13 Jh ) 145

Anna, Hl , Mutter d Mutter Jesu Maria 170, 171 (Anm ) Anselm, Ebf v Canterbury, Theologe u Philosoph (1033–1109) 302 Anselm II , Herr v Ribemont, Gf v Ostrevent († 1099) 196 Ansgar, Ebf v Hamburg-Bremen, Märtyrer (801–865) 37 Anstrud (Anstrude), Äbt v Saint-Jean-Baptiste in Laon, Hl († 688/707) 88 Antiochia, O 198 Antiochos IV Epiphanes, seleukidischer Kg (um 215 v Chr –164 v Chr ) 101, 107 f , 110 f , 114 f , 117 Antonius, Hl , Eremit u Kirchenvater (251–356) 35 f , 151 Antonius v Padua (Antoine de Padoue), Frankiskaner, Theologe, Hl (um 1195–1231) 187 Apulien (Les Pouilles), L 186 Aquitanien (Aquitaine), L 92 f Aragon, Kgr u L 241 Arbeo, Bf v Freising, Hl (723– 784) 92 f Arcadius, Mönch v Lérins (7 Jh ) 96 Arfaxat, äthiopischer Zauberer, Figur d Passio d Apostel Simon u Judas 74 Argentea, Hl , Märtyrerin, Tochter d Umar Ibn Hafsun († 931) 249 ff , 257, 271 (Anm ) Arminius, Fs d Cherusker (17 v Chr – 21 n Chr ) 302 Arnaud de Sarrant, Franziskaner, Chronist (14 Jh ) 190 Arnulf (Arnoul), Bf v Metz, Hl (582 [?]–641) 89 Asia, röm Provinz 53 Asia minor siehe Kleinasien Asien 211 ff , 215, 222 f , 243 Assisi, San Damiano, Ki u Franziskanerkonvent 145 Assisi, San Francesco, Grabki d hl Franziskus 146 Athanasius, Bf v Alexandrien, Hl , Kirchenvater (295–373) 32 f , 35 f , 151 Athen, O 290 Augsburg, O 215 (Anm ), 218 f Augsburg, Unserer Lieben Frau, Kathedralki 173 Augustinus (Augustin), Bf v Hippo, Hl , Kirchenvater (354–430) 28, 30, 32 f , 35 f , 89 (Anm ), 97 (Anm ), 108 (Anm ), 202, 206 (Anm ) Augustus (Caius Octavius Thurinus), röm Ks († 14) 291

Orts- und Personenregister Aunemund (Aunemond), Ebf v Lyon, Hl , Märtyrer († um 660/664) 85 Aurelius siehe Georgius, Aurelius u Natalia Auschwitz, O 275 f Ausländer, Rose, Lyrikerin (1901–1988) 306 Austreberta (Austreberte), Hl , Äbt v Pavilly († 704) 95 Autun, St Stephan (St Lazarus, St Stephen), Kathedralki 60 f Auxerre, O u Bm 87 Bacchus, röm Gottheit 46 Balderich v Bourgueil (Balderich v Dol, Baudri de Bourgueil), Bf v Dol, Hagiograph (1046–1130) 208 (Anm ) Balduin (Baudoin), Diakon v Laon, Hl († 679) 88 Barbastro, O 250 Barcelona, Santa Eulalia, Kathedralki 255 (Anm ) Baronius, Caesar (Cesare Baronio), Kardinal, Kirchenhistoriker (1538–1607) 211 (Anm ) Bartholomäus (Bartholomew), Hl , Apostel u Märtyrer 58–61, 73 f , 77 ff , 81 Bartholomäus v Pisa (Barthélemy de Pise), Franziskaner, Theologe (um 1338–1401) 189 Bayern (Bavière), L 92 Beda Venerabilis (Bède le Vénérable), Hl , Mönch, angelsächsischer Gelehrter (672/673–735) 58 (Anm ), 75, 90 f , 94, 99, 105 (Anm ) Benedikt XIV (Prosper Lambertini), Papst (1675–1758) 234 f , 244 Benedikt XVI siehe Joseph Ratzinger Benedikt (Benedict) v Aniane, Abt, karolingischer Klosterreformer (747–821) 66 Benedikt v Nursia (Benoît de Nursie), Hl , Abt v Montecassino, Eremit (um 480–547) 84, 95 ff , 99 Benelux-Staaten 242 Berchman, Jan, Hl , Jesuit (1599–1621) 223 Bernard Gui, Dominikaner, Inquisitor (1261/1262–1331) 91 (Anm ) Bernhard, Abt v Clairvaux, Hl , Mystiker (1090–1153) 203–207 Bernold v Konstanz, Benediktiner, Geschichtsschreiber (1050–1100) 174 Beskiden, Gebirge 276 Bethlehem, O 158 ff , 162, 168, 175 Bethsaida, O 67 Bithynien (Bithynia et Pontus), röm Provinz 15, 39, 42, 46 (Anm )

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Blandina, Hl , Märtyrerin in Lyon († 177) 31 f , 34 Blidulf (Blidulfe), fränkischer Mönch 87 (Anm ) Bobbio, Kl 75 Bobola, Andrzej, Jesuit, Märtyrer (1591–1657) 235, 239 Bobolenus, Priester, Autor d Passio d Germanus v Moutier-Granval (7 Jh ) 88 Böhmen, L 125, 132 Boleslav I , böhmischer Fs (915–967/72) 127–133 Bolívar, Simón, südamerikanischer Unabhängigkeitskämpfer, Präsident Großkolumbiens (1783–1830) 302 Bolland, Jean, Jesuit, Hagiograph (1596–1665) 214 Bonaventura (Bonaventure, Giovanni [di] Fidanza) (1221–1274), Hl , Franziskaner, Kardinalbf v Albano, Hagiograph, Theologe 145–146, 184 Bonaventura Berlinghieri, Maler (um 1228–1274) 144 Bongars, Jacques, französischer Diplomat (1554–1612) 199 (Anm ) Bonhoeffer, Dietrich, Theologe (1906–1945) 302 Bonifatius (Boniface), Bf v Mainz, Hl , Märtyrer (673–754) 16, 71 f , 77, 81, 90, 93 f , 99, 129, 200 f Bořivoj I , böhmischer Fs (852/855–888/889) 132–134 Bourges, O 96 Bova, Äbt v Saint-Pierre-le-Haut in Reims, Hl (7  Jh ) 89 (Anm ) Brandenburg an d Havel, St Peter u Paul, Kathedralki 126 Brasilien 213, 218 Brest, O 242 Briconius, Mönch v Lérins (7 Jh ) 98 (Anm ) Brito, João de, Jesuit, Märtyrer (1647–1693) 240 Brun v Querfurt, Ebf v Magdeburg, Hl , Märtyrer (947–1009) 201 Brunichild (Brunehaut), fränkische Kgn (um 545/550–613) 85 f , 89 Burgund (Burgundy), L 60–61, 134 Burgundofara, Äbt v Faremoutiers, Hl (595–656) 87 (Anm ) Burkard, Bf v Würzburg, Hl (684–755) 71 f Byzacena, röm Provinz 159 Caesarius, Ebf v Arles, Hl (um 470–542) 13 Calahorra, O 97 (Anm ), 270

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Orts- und Personenregister

Cardeña, Kl 250, 265 f Carpentras, O 144 Cassian, Hl , Märtyrer in Imola († 303/304) 38 (Anm ) Cassiodor (Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus Senator), röm Staatsmann, Gelehrter, Schriftsteller (485–580) 104 Catania, O 25 Celedonius siehe Emetherius u Celedonius Charles (Charles Philip Arthur George), Prince of Wales, Duke of Cornwall (* 1948) 281 Chateaubriand, François-René, Schriftsteller, französischer Politiker, Diplomat (1768–1848) 236 Chaumont, Denis, Schriftsteller (1752–1819) 236 China 218 f , 238, 243 Chlothar (Clotaire) II , fränkischer Kg (584–629/630) 86, 89 Christina v Stommeln, Begine, Mystikerin (1242–1312) 150, 153 Christobál, Hl , Märtyrer in Córdoba (9 Jh ) 247 (Anm ) Clemens v Alexandrien, Theologe (150–215) 27, 35, 294 Clermont, O 202 f , 207 Cnoberesburgh, Kl 88 Coimbra (Coïmbre), O 187 Colmar, Dominikanerkl 149 Columba, Hl , Märtyrerin in Córdoba (9 Jh ) 247 (Anm ) Columban (Colomban), Hl , Mönch u Missionar 87, 89 Columbus, Mönch v Lérins (7 Jh ) 96 Córdoba (Cordoue), O u Emirat 184, 186, 245, 247–253, 255–259, 265 (Anm ), 269 ff Córdoba (Cordoue), San Acisclo, Ki 256 Cyprian (Cyprien de Carthage), Bf v Karthago, Hl (200–258) 26, 30, 33, 83 (Anm ), 116 ff , 120, 159 f , 163 Cyran (Siran, Sigiramnus), Abt v Longrey († 657) 95 f Dagobert II , Kg v Austrasien, Hl (652–679) 89 Damaskus (Damas, Damascus), O 63, 95 (Anm ), 96 Daniel, Prophet d AT 86, 170 David, Kg v Juda u Israel 159 f Decius (Gajus Messius Quintus Trajanus Decius), röm Ks (200–251) 29, 52 (Anm ), 256 (Anm )

Delgado y Cebrian, Clemente Ignacio, Dominikaner, Titularbf v Milopotamus, Hl , Märtyrer (1762–1838) 237 Desiderius (Didier), Ebf v Vienne, Hl , Märtyrer († um 606) 85 f Deutschland 166, 275, 302, 304 Diana, Princess of Wales (Diana Frances Spencer) (1961–1997) 17, 279, 281–286 Digna, Hl , Märtyrerin in Córdoba (9 Jh ) 256 (Anm ) Diokletian (Marcus Aurelius Gaius Valerius Diocletianus), röm Ks (239–313) 28 f , 33 Dionysius (Denis), Bf v Paris, Hl , Märtyrer († nach 250) 83 (Anm ) Doda, Äbt v Saint-Pierre-le-Haut in Reims, Hl (7  Jh ) 89 (Anm ) Dominikus (Dominique de Caleruega), Gründer d Dominikanerordens, Hl (1170–1221) 149, 186 Domitian (Titus Flavius Domitianus), röm Ks (51–96) 110, 111 (Anm ) Domnolus, Ebf v Vienne († 620 [?]) 86 Drahomíra, böhmische Fsn (890–934) 133 f Drusiana, Gefährtin d Evangelisten Johannes 76 Dufresse, Jean Gabriel Taurin, Vikar v Szechwan in Indochina, Hl , Märtyrer (1750–1815) 236, 237 (Anm ) Durkheim, Émile, Soziologe, Ethnologe (1858–1917) 301 Ebroin (Ébroïn), fränkischer Hausmeier († 681) 89 Eichstätt, O 219 Eleasar, Schriftgelehrter d AT 101, 105, 107 ff , 116, 120 Elias, Norbert, Soziologe (1897–1990) 301 Elias, Prophet d AT 259 (Anm ) Elias v Cortona, Franziskaner (1180–1253) 141 Elisabeth II , Kgn v Großbritannien (* 1926) 282 Elisabeth v Spalbeek, Begine, Mystikerin († 1316) 150, 152 Ellwangen, O 223 Elnone, Kl 92 (Anm ) Elsass, L 81 (Anm ) Elsbeth v Oye, Dominikanerin in Zürich, Mystikerin (um 1290–1340) 139 f , 152 f Elvira, O 26 Emetherius u Celedonius, Hl , Märtyrer in Spanien († um 300) 270

Orts- und Personenregister Emmeram (Emmeran de Ratisbonne, Haimhramm), Bf v Regensburg, Hl , Märtyrer († 652) 92 f Emmerich, O 219 Engelrand v Saint-Paul, Ritter, Kreuzfahrer 196 England (Angleterre) 84, 217 Ephesus, O 65 Ephigenia, äthiopische Prinzessin, Anhängerin d Apostels Matthäus 74, 80 f Ermine de Reims, Mystikerin (1347–1396) 153 Erzincan, O (Türkei) 192 Eticho (Adalricus), elsässischer Hzg (645–682/700) 88 Eufenosa, Kgn v Ägypten, Figur d Passio d Apostels Matthäus 74 Eufrasius, Diener d Pardulf v Guéret (8 Jh ) 98 (Anm ) Eugen III , Papst († 1153) 207 Eulalia v Mérida, Hl , Märtyrerin (303/305–315/317) 256 Eulogius, Hl , Märtyrer in Córdoba (819–859) 17, 245–252, 254–264, 266, 268–271 Euplus, Hl , Märtyrer in Catania († 304) 25 ff Europa (Europe) 17, 60, 185, 195, 208, 211 f , 215, 218 f , 221 (Anm ), 222, 224, 236, 285, 303 f Eusebius, Bf v Caesarea, Theologe u Geschichtsschreiber, Hl (260/264–339/340) 29 (Anm ), 47 (Anm ), 119 ff Eva, Figur d AT 79 Evechardus, Dominikaner, Prediger in Oppava (Moravien) (13 Jh ) 147 Fátima, Marienheiligtum 277 Faustus, Bf v Riez, Hl († um 495) 36 Felicitas siehe Perpetua u Felicitas Ferdinand I , Kg v León, Kastilien u Galicien (1018–1065) 268 f Fidelis v Sigmaringen, Hl , Märtyrer (1577–1622) 234 Flandern, L 214 Flora u Maria, Hl , Märtyrerinnen in Córdoba (8 Jh ) 256 Foillan (Feuillen), Abt v Fosses, Hl , Märtyrer (um 600–655/656) 87 f , 98 f Fosses, Kl 87 f Fra Elemosina, Franziskaner, Chronist († um 1336/1337) 190 Francesca Romana, Mystikerin (1384–1440) 153

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Francesco Petrarca, Dichter, Geschichtsschreiber (1304–1374) 148 Frankenreich (Francia, Royaume des Francs) 66, 71, 76, 90, 92 f , 102, 248, 255 Frankreich (France) 12, 166, 181, 186 f , 236 f , 301 Franz Xaver (Francisco de Xavier), Jesuit, Missionar, Hl (1506–1552) 212 f , 219 f Franziskus v Assisi (François d’Assise, Franz), Hl († 1226) 16, 140–150, 152, 154, 181, 183–187, 190 f Fredegund (Frédégonde), Ehefrau d fränkischen Königs Chilperich I († 597) 85 (Anm ) Freiburg i Breisgau, O 219 Freising, St Marien u St Korbinian, Kathedralki 134 f Freud, Sigmund, Neurologe, Tiefenpsychologe, Kulturtheoretiker (1856–1939) 301 Friedrich II , Lgf v Hessen-Homburg (Prinz v Homburg) (1633–1708) 302 Friesland (Frise), L 93 Fulcher v Chartres, Geschichtsschreiber (1059–1127) 197, 208 (Anm ) Fulda, Kl 71 Furseus (Fursa, Fursy), Hl , irischer Missionar († 649) 87 Gabriel, Erzengel 266 (Anm ) Galizien, L 249 Gallia Narbonensis, römische Provinz u L 265 Gallien (Gallia, Gaul, Gaule), römische Provinz u L 60 (Anm ), 65, 88, 91 f , 105, 162 f , 257 Gandhi, Mahatma, indischer Rechtsanwalt u Widerstandskämpfer (1869–1948) 17, 281, 302 García Fernandez, Gf v Kastilien u Álava († 995) 265 (Anm ) Genoveva (Genovefa, Geneviève), Hl († 502) 87 Georg, Hl , Märtyrer (3 Jh ) 197 Georg Friedrich v Greiffenclau, Ebf v Mainz (1573–1629) 221 (Anm ) Georgius, Aurelius u Natalia, Hl , Märtyrer in Córdoba († 852) 247 f , 252 (Anm ), 255 Gerhard v d Mark, Bf v Münster (1220–1272) 174 Gerhard v Frachet, Dominikaner, Chronist (1205–1270) 149 Gerhoch, Propst v Reichersberg, Regularkanoniker, Theologe (1093–1169) 173

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Orts- und Personenregister

Germanien (Germania, Teutonia), röm Provinz u L 71, 181 Germanus (Germain), Abt v Moutier-Grandval, Hl , Märtyrer († 675) 88 Germar (Germer), Abt v Flay u Pontale, Hl (um 610–660) 96 Gerold, Archidiakon Ludwigs d Frommen (9 Jh ) 104, 106 f Gertrud (Gertrude), Äbt v Nivelles, Hl (626–659) 87 Giovanni Balbi, Dominikaner, Theologe († 1298) 185 (Anm ) Giovanni (Jean) de Marignolli, Bf v Bisignano (um 1290–nach 1357) 190 Girolamo Savanarola, Dominikaner, Bußprediger (1452–1498) 155 Gnesen, St Mariä-Himmelfahrt, Kathedralki 131 Godegrand, Bf v Séez, Hl , Märtyrer († 765) 88 (Anm ) Gorkum, O 242 Gregor (Gregory, Grégoire), Bf v Tours, Geschichtsschreiber, Hagiograph (538–594) 65, 85 f Gregor I (Gregor d Große, Grégoire le Grand), Papst, Hl (540–604) 36 f , 84 f , 89 f , 94, 96, 201 Gregor VIII , Papst (1100–1187) 207 f Gregor IX , Papst (1167–1241) 147 Gregor XVI , Papst (1765–1846) 236–239 Grimoald d Ältere, fränkischer Hausmeier (um 615/616–656/662) 93 Großbritannien 282 Gryphius, Andreas, Dichter, Dramatiker (1616–1664) 213 Guadalquivir, Fluss 24, 45 Guglielma v Mailand, Laienpredigerin, Gründerin d Guglielmiten († 1281) 150 Guibert v Nogent, Benediktiner, Schriftsteller (1053–1124) 203, 208 (Anm ) Gumpold, Bf v Mantua (um 966–981) 126 Gundobad (Gundobald), Kg de Burgunden († 516) 135 Guthlac, Eremit, Hl (673–715) 73 Haarlem, Bf 242 Hadrian (Adrien), Mönch v Longrey 96 Hadrian (Publius Aelius Hadrianus), römischer Ks (76–138) 53 Hadrian I , Papst († 795) 66, 69 Haider, Jörg, österreichischer Politiker (1950–2008) 281 (Anm ) Hattin, Hörner v 208

Hazarts, Cornelis, Jesuit, Schriftsteller (1617–1690) 218 Heiliges Land (Terre sainte) 181, 186, 188, 195, 208 Helena v Ungarn, Priorin d Dominikarinnenkonvents v Veszprém, Mystikerin († 1241) 150 Heraklit v Ephesus, Philosoph († 480 v Chr ) 289 Herodes Agrippa I (Herod), Tetrarch v Ituräa, Kg v Judäa u Samaria (10 v Chr – 44 n Chr ) 37, 58, 158, 160–164, 167 ff , 171, 173, 174 (Anm ) Herodes Agrippa II , Kg v Judäa (27–93) 63 (Anm ) Herodes Archelaos, Ethnarch v Judäa (23 v Chr –18 n Chr ) 168 f Hersfeld, Kl 75 Hierapolis, O (Phrygien) 67, 77 Hieronymus (Jérôme), Bf v Kaffa (14 Jh ) 192 Hieronymus (Jerome), Kirchenvater, Hl (347–420) 60, 101, 107, 151 Hilduin, Abt v Saint-Denis, Erzkaplan Ludwigs d Frommen, Hagiograph († 840/844) 106, 107 (Anm ) Hiob, Prophet d AT 197 Hispania siehe Iberische Halbinsel Hohe Tatra, Gebirge 276 Hohenburg/Odilienberg, Kl 81 (Anm ) Honorius III , Papst (um 1148–1227) 181, 183 Hosea, Prophet d AT 292 Hrabanus Maurus, Abt v Fulda, Ebf v Mainz, karolingischer Gelehrter († 856) 16, 71, 102–118, 120 ff Hrotsvith, Kanonisse v Gandersheim, Dichterin (um 938–nach 973) 249, 253 Huesca, O 247 Hyrtacos (Hyrtacus), Figur d griech Mythologie, Vater d Kge Nisios u Asios 81 Iberische Halbinsel (péninsule Ibérique) 181, 186 f , 218, 245 ff , 252, 258, 264 (Anm ), 265, 267, 270 Ida v Löwen, Zisterzienserin v Roosdaal, Mystikerin (um 1220–um 1295) 150 Ignatius, Bf v Antiochien (2 Jh ) 298 Ignatius v Loyola, Hl , Mitbegründer d Gesellschaft Jesu (1491–1556) 214 Indien (Inde) 77 f , 181, 189, 218 f , 223 f Indischer Ozean 215 Indochina 236 Ingolstadt, O 212 (Anm ), 224

Orts- und Personenregister Innozenz II , Papst († 1143) 207 (Anm ) Irenäus (Irenaeus), Bf v Lyon, Hl , Kirchenvater (ca 135–200) 65, 159, 160 (Anm ), 164, 294 Isaak, Hl , Märtyrer in Córdoba (9 Jh ) 254, 259 (Anm ), 260 (Anm ), 261, 262 (Anm ) Isidor (Isidore), Bf v Sevilla, Hl , Theologe, Kirchenschriftsteller (560–636) 60, 67, 105 (Anm ), 202, 265 Israel 112, 113 (Anm ), 160, 167, 197, 206, 291 Italien (Italia, Italie) 181, 185, 187, 194, 218, 237 Iuppiter Sabazios, röm Gottheit 48 (Anm ) Jacobus d Jüngere (James the Less), Hl , Apostel († um 62) 37, 58 f , 61, 65–68, 70, 73, 77, 163, 220 Jacobus (Jakobus) v Voragine, Ebf v Genua, Hagiograph (1230–1298) 147 Jakob (Jacques) II , Kg v Aragón (1267–1327) 191 Jakob v Vitry, Augustinerchorherr, Kardinal, Chronist (um 1160/1170–1240) 152 Jan Hus, Theologe, Prediger (1369–1415) 302 Japan 218 ff , 223, 240 Jeanne d’Arc, Hl (1412 [?]–1431) 302 Jeningen, Philipp, Volksmissionar, Mystiker (1642–1704) 223 Jerusalem, O 65 f , 101, 113, 118, 162, 197 (Anm), 207 f , 258, 296 Jerusalem, Berg Zion 165, 168 Jerusalem, Ölberg 144, 201 Jerusalem, St Stephan, Ki 197 (Anm ) Jerusalem, Tempel 101 f , 110, 113, 296 Jesaja, Prophet d AT 291 Johann Očko v Wlašim, Bf v Olmütz, Erzbf v Prag (1292–1380) 132, 134 Johann v Neumarkt, Bf v Leitomischl u Olmütz (1315–1380) 130 Johannes siehe Adulphus u Johannes Johannes, Abt v Gorze (um 900–974) 253 Johannes (John), Hl , Apostel u Evangelist 37, 58 f , 61, 65 f , 68 ff , 72, 76 f , 111, 130, 163, 165, 220 Johannes (Hyrkanos) I , hasmonäischer Herrscher über Judäa († 104 v Chr ) 102 Johannes III , Papst († 574) 66 Johannes XXII , Papst (1245/1246–1334) 191 Johannes XXIII , Hl , Papst (1881–1963) 280 Johannes Beleth, Liturgiker (12 Jh ) 173 Johannes Clunsevoet, Domvikar in Münster (1387–1421) 174 (Anm ) Johannes Codonaeus, Jesuit (1657–1685) 217

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Johannes d Täufer (Jean le Baptiste), Hl (1 Jh ) 93, 97, 99, 162 (Anm ), 208 (Anm ) Johannes v Avranches, Erzbf v Rouen († 1079) 173 Johannes v Nepomuk, Generalvikar d Erzdiözese Prag, Hl (1350–1393) 234 Johannes (Jean) v Winterthur, Franziskaner, Chronist (um 1300–1348/1349) 190 Johannes Paul II (Karol Wojtyla), Papst, Hl (1920–2005) 17, 39, 273–280, 285 f Jonas, Mönch v Bobbio (Jonas de Suse), Hagiograph (um 600–nach 659) 87 Jonathan, hasmonäischer Herrscher über Judäa († 143 v Chr ) 102 Jordan (Jourdain) v Giano, Franziskaner, Chronist († nach 1262) 181, 187, 190 José de Acosta, Jesuit, Missionar, Gelehrter (1539–1599) 213 Joseph, Ehemann Marias, Hl 168 f Judäa (Juda), L u Königreich 101, 109, 159 Judas Maccabaeus, jüdischer Freiheitskämpfer u Heerführer († 160 v Chr ) 101 Judas Thaddäus (Jude), Hl , Apostel, Märtyrer 58–61, 73 ff Judith, Person d Apokryphen d AT 107 (Anm ) Jumièges, Kl 95 Justin, genannt d Märtyrer, Kirchenvater, Hl (um 100–165) 28, 53 (Anm ), 294 f , 297 Juventius, Joseph, Jesuit, Chronist (1643–1719) 218 Kärnten (Carinthie), L 92 f Karl IV , dt Kg , röm Ks (1316–1378) 125, 127, 130 f Karl d Gr (Charlemagne), fränkischer Kg , Ks (747/748–814) 66, 75, 186 Karlburg, Kl 71, 73 f , 76, 81 Karlstein, O u Burg 128, 132, 134 Karthago, O u Bm 160 (Anm ), 162 Katharina (Catharina) Mattei Racconigi, Dominikanertertiarin, Mystikerin (1486–1547) 155 Katharina v Siena, geweihte Jungfrau, Mystikerin, Kirchenlehrerin (1347–1380) 150, 153 ff Kent 89 (Anm ) Kilian v Würzburg, Bf , Hl (um 640–um 689) 93 King, Martin Luther, Bürgerrechtler (1929–1968) 17, 281, 302 Klara (Clara) v Assisi (Claire d’Assise), Hl (1193/1194–1253) 187

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Orts- und Personenregister

Klara v Montefalco, Mystikerin, Hl († 1307) 151, 154 Kleinasien (Asia minor) 27, 65, 67, 198 f Köln (Cologne), O 90, 99, 219 Köln (Cologne), St Kolumba (Columba), Pfarrkirche u Katechismusschule 218 Konstantinopel (Constantinople), O 163, 194, 198 Korbinian (Corbinian), Bf v Freising, Hl (670/680–724/730) 92 f Kostka, Stanislaus, Jesuit, Hl (1550–1568) 223 Kotschinchina 237 (Anm ) Krakau, O 276 Krakau, Priesterseminar 276 Krakau, St Stanislaus u Wenzel, Kathedralki 132 Kuncewycz, Josaphat, Ebf v Polozk, Hl (1580–1623) 242 Lambert, Bf v Tongern-Maastricht-Lüttich (Lambert de Liège), Hl , Märtyrer (635–705) 85 Landsberg am Lech, Missionsnoviziat d Societas Jesu 222 Lang, Franz, Jesuit aus Ingolstadt (1654–1725) 224 Languedoc, L 185 Lateinamerika 223 Leo, Beichtvater d Franziskus v Assisis (13 Jh ) 142, 145 Leocritia (Lucretia), Hl , Märtyrerin in Córdoba († 859) 247 Leodegar (Léger), Bf v Autun, Hl , Märtyrer († 677/679) 13, 85 León, O 265 Leonidas I , Kg v Sparta (5 Jh ) 7 Leovigild Abadsolomes, Heerführer d Emirs v Córdoba (9 Jh ) 255 Le Puy, Bf 196 (Anm ) Lérins, Kl 96 Leyre, Kl 248, 263 (Anm ), 264 (Anm ), 268 Limoges, O 144, 166 Lioba, Äbt v Tauberbischofsheim (um 700/710–um 782) 71 f , 77, 81 Livinius (Livinus), Franziskaner, Missionar in Kairo (14 Jh ) 193 Löhe, Johann Konrad Wilhelm, Theologe (1808–1872) 211 Loire, Fluss 92 (Anm ) London, Kensington Gardens 284 London, Westminster Abbey 284 Longrey, Kl 96

Lucia Broccadelli v Narni, Dominikanertertiarin, Mystikerin (1467–1554) 155 Ludmilla, böhmische Fsn , Hl (um 855/ 860–921) 16, 125, 129, 132 ff Ludwig VII , französischer Kg (1120–1180) 199, 207 Ludwig IX , d Hl , französischer Kg (1226–1270) 12 Ludwig d Deutsche, ostfränkischer Kg (um 806–876) 104 ff , 107 (Anm ) Ludwig d Fromme, fränkischer Kg , Ks (778–840) 104 Lukardis, Zisterzienserin v Oberweimar, Mystikerin (um 1274–1309) 150, 153 Lukas, Hl , Evangelist (1 Jh ) 297 Lullus, Ebf v Mainz, Abt v Hersfeld (um 710–786) 71, 74 ff Luxeuil, Kl 61, 163 Luzern, O 219 Lydda (Lod), Bm 197 (Anm ) Lydda (Lod), St Georg, Ki 197 (Anm ) Lyon, O 31, 47 (Anm ), 52, 121, 166 Märtyrer d Thebäischen Legion 19, 29 Märtyrer v Marrakech († 1220) 180 ff , 187 f , 190 f Maghreb, L 181, 187 f Mainz, O 221 f Maistre, Joseph Marie de, Politiker, Philosoph (1753–1821) 236 Marcellus, Hl , Märtyrer in Tanger († 298) 265 (Anm ) Marcia siehe Rusticula Margarete v Ungarn, Dominikanerin, Tochter Kg Bélas IV v Ungarn, Hl (1242–1270) 150, 155 Maria siehe Flora u Maria Maria (Mary), Mutter Jesu 68 f , 76–81, 167 (Anm ), 168 f , 185, 277 Marie d’Oignies, Begine, Mystikerin, Hl (1177–1213) 152 Marokko (Le Maroc, Royaume du Miramolin) 143, 183 f , 187, 189 Martin, Bf v Tours, Hl (um 316/317–397) 35, 37, 102, 151 Martin Luther, Reformator (1483–1546) 23 f , 301 f Martius, Nicolaus, Jesuitennovize (17 Jh ) 224 Mattatias, Priester, Widerstandskämpfer in Judäa († 166 v Chr ) 101, 207 Matthäus (Matthew), Hl , Apostel u Evangelist 58–61, 73 f , 77, 80 f , 266

Orts- und Personenregister Matthäus Paris, Mönch v St Albans, Geschichtsschreiber (um 1200–1259) 144 Maximinus Daja (Gaius Galerius Valerius Maximinus), röm Ks († 313) 33, 35 Menas, Hl , Märtyrer in Ägypten (3 Jh ) 36 Merowech (Mérovée), Mönch in Bobbio (6 /7 Jh ) 87 (Anm ) Migdonia, indische Adlige, Anhängerin d Apostels Thomas 78 Miki, Paul, Hl , Märtyrer (1566–1597) 220 f Minicius Fundanus (Gaius Minicius Fundanus), röm Prokonsul d Provinz Asia (2 Jh ) 53 Minucius Felix (Marcus Minucius Felix), christlicher Apologet (2 /3 Jh ) 29 Moltke, Helmuth James, Gf v , Jurist, Widerstandskämpfer gegen d Nationalsozialismus (1907–1945) 303 Morales, Ambrosio de, Historiker, Humanist (1513–1591) 250 Moses, Patriarch d AT 259 (Anm ) Münster, St Paul, Kathedrale 174 Muhammad (Mahomet), Religionsstifter d Islam, Prophet (570–632) 193, 245, 254, 259, 260 (Anm ), 263, 266 Mummolus (Mummole), Bf v Uzès, Hl (7 Jh ) 92, 96 Mutter Teresa (Theresa), Gründerin d Gemeinschaft d Missionarinnen d Nächstenliebe (1910–1997) 284 (Anm ), 302 Nagasaki, O 216 Natalia siehe Georgius, Aurelius u Natalia Neapel, O 148 f Nero (Lucius Domitius Ahenobarbus), röm Ks (37–68) 63, 110, 111 (Anm ) Nicaea, O 198 Niederlande 218 Nietzsche, Friedrich, Philosoph (1844–1900) 303 Nikolaus IV , Papst (1227–1292) 149 Nivelles, Doppelkl 87 Nordafrika 32 f , 162 f Norditalien 162 f Noyelle, Charles de, General d Societas Jesu (1615–1686) 223 Nürnberg, O 132 Nunilo u Alodia, Hl , Märtyrerinnen in Huesca († 851) 247, 264 (Anm ), 265, 267 f Obracht, Nicolaus, Jesuit (17 Jh ) 224 Olivier, Paladin, Figur d Chanson de geste 186 Olmütz, O 219

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Oppava, O 147 Opportuna v Séez (Opportune de Sées), Äbt v Almenèches, Hl († um 770) 88 (Anm ), 89 (Anm ) Optatus, Bf v Mileve, Hl (4 Jh ) 160 Orange, Bf 196 (Anm ) Ordoño III , Kg v León (926–956) 249 Orléans, O 134 Orosius, Geschichtsschreiber, Theologe (385–418) 265 Osanna Andreasi, Mystikerin in Mantua (1449–1505) 155 Ostasien 244 Otranto (Otrante), O 180 Otto, Bf v Freising, Geschichtsschreiber (1111–1158) 199 f Otto I , d Gr , röm Ks , dt Kg (912–973) 253 Otto II , röm Ks , dt Kg (955–983) 126 Oviedo, O 247, 269 Oviedo, San Pelayo, Kl 268 Oviedo, San Salvador, Kathedralki 268 Oxford, O 152 Paderborn, O 219 Paderborn, Jesuitenkollegien 222 Padre Pio (Pio v Pietrelcina), Kapuziner, Hl (1887–1968) 140 Palästina, L 199 Paolino da Venezia (Paulin de Venise), Franziskaner, Chronist, Inquisitor (um 1270/1274–1344) 188, 190, 192 Paolo Cortesi, Schriftsteller, Sekretär d apostolischen Stuhls (1465–1510) 154 Pardulf (Pardulphe), Abt v Guéret (657–um 737) 98 Paris, O 19, 145, 237 (Anm ) Paris, Saint-Germain-des-Prés, Kl 248, 252, 257 Patmos, Insel 76 Paulus (Paul), Hl , Apostel, Märtyrer († um 64) 31, 58, 61, 63 f , 95 (Anm ), 96, 116 f , 220 f , 293, 296 f Paulus Albarus, Priester, Hagiograph (um 800–861/862) 17, 245 f , 248 f , 251 f , 254 f , 257–261, 262 (Anm ), 263 f , 266, 268–272 Pavilly, Frauenkl 95 Pedro de Arbués, Inquisitor, Hl (1441–1485) 241 Pehor, äthiopischer Kg , Figur in d Passio d Apostels Matthäus 81 Pelagius, Hl , Märtyrer in Córdoba (911/912– 925/926) 249, 257, 265, 267 ff

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Orts- und Personenregister

Pelagius I , Papst († 561) 66 Pentale, Kl 96 Perpetua u Felicitas, Hl , Märtyrerinnen in Karthago († 203) 11 Pescia, Franziskanerki 144 Petrus (Peter, Pierre, Simon Petrus), Hl , Apostel, Märtyrer († um 65/67) 58, 61, 63 f , 67, 91 f , 297 Petrus, Bf v Alexandrien († 311) 32 f , 35 Petrus Abaelardus, Theologe u Philosoph (1079–1142) 173 Petrus Chrysologus, Bf v Ravenna (380–450) 36, 161 Petrus de Dacia, Dominikaner, Hagiograph, Mystiker (um 1235–1289) 153 Petrus Martyr (Petrus v Verona, Pierre de Vérone), Dominikaner, Inquisitor, Hl , Märtyrer (1205–1252) 148, 180 Petrus Thomae, Karmeliter, Patriarch v Konstantinopel (1305–1366) 148 Petrus Tudebodus, Bearbeiter d Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitanorum (12 Jh ) 199 (Anm ) Petrus (Pierre) v Nemours, Bf v Paris († 1219) 181 Philibert, Abt v Jumièges, Noirmoutier, Rebais u Tournus, Hl (617/618–684) 89, 95 Philippus (Philip), Hl , Apostel, Märtyrer († um 81) 58 f , 66–69, 73, 76 f Phrygien (Phrygia), L 67 Pierre de Castelnau, Zisterzienser, päpstlicher Legat, Hl , Märtyrer († 1208) 185 Pilsen (Plzeň), O 128 Pinto, Francisco, Jesuit, Missionar (1552–1608) 219 Pippin (Pépin) II , d Mittlere, fränkischer Hausmeier (um 640/650–714) 90 Pippin (Pépin) III , d Jüngere, fränkischer Hausmeier u Kg (714–768) 92 Pisa, Bf 243 Pius II , Papst (1405–1464) 154 Pius V , Papst (1504–1572) 160 Pius VII , Papst (1740–1823) 237 Pius IX , Papst (1792–1878) 17 f , 233, 239–244 Platon, Philosoph († 348 v Chr ) 290 Plinius d Jüngere (Gaius Plinius Caecilius Secundus), röm Senator, Statthalter d Provinz Bythinia et Pontus (61/62–113/115) 15, 29, 41 f , 43 (Anm ), 44–52 Polen 276 ff

Polykarp, Bf v Smyrna, Hl , Märtyrer (um 69–um 155) 26, 28, 30 f , 298 f Pomposa, Hl , Märtyrerin in Córdoba († 853) 256 Pontius Pilatus, röm Präfekt in d Provinzen Judäa u Samaria (1 Jh ) 23 Praejectus (Prix), Bf v Clermont, Hl , Märtyrer († 679) 13, 85 Praetextatus (Prétextat), Bf v Rouen, Hl († 556) 85 (Anm ) Prag, O 130, 134 Prag, St Georg, Ki u Kl 134 Prag, St Veit, Kathedralki 132 Prokop, Abt v Sázava, Eremit, Hl (um 970–1053) 125 Prudentius (Aurelius Prudentius Clemens), Dichter (348–410) 38, 160, 164 Rachel, Frau d Patriarchen Jakob 164, 167 ff , 172 Raimund IV , Gf v Toulouse, Markgraf v d Provence, Gf v Tripolis (1041/1042–1105) 196 Rainer (Rainier), Ebf v Spalato (Split), Hl , Märtyrer († 1180) 185 Ratzinger, Joseph (Papst Benedikt XVI ) (* 1927) 278 Raymund v Aguilers, Chronist, Kaplan Raimunds IV v Toulouse (11 Jh ) 196 Raymund v Capua, Ordensmeister d Dominikaner (um 1330–1345/1348) 154 Rebais, Kl 95 Reccafred, Ebf v Sevilla (um 860) 255 (Anm ) Regensburg, Niedermünster, Kanonissenstift 81 (Anm ) Repton, Doppelkl 74 Rhein (Rhin), Fl 90 Rictrude, Äbt v Marchiennes, Hl († 688) 89 (Anm ) Rimbert, Ebf v Bremen-Hamburg (um 830–888) 37 Robert d Mönch, Chronist (um 1055–1122) 208 (Anm ) Robert v England, Bf v Olmütz († 1240) 147 Roland, Gf d bretonischen Mark (um 736–778), Figur d Chanson de geste 186 Rom (Rome), O 31, 46, 63, 66, 91, 93, 162 f , 195, 215, 217, 237–242, 257, 274, 278 ff , 298 Rom (Rome), Petersplatz 274

Orts- und Personenregister Rom (Rome), Sant’Ignazio di Loyola, Jesuitenki 212 Rom (Rome), St Peter, Basilika 279 f Rufin, Cousin d hl Klara, Franziskaner (13 Jh ) 145 Rufinus (Rufin), Bf v Assisi, Hl , Märtyrer 185 Rufinus v Aquilea, Geschichtsschreiber, Theologe (um 345–411/412) 121 Rusticula (Rusticule), Äbt v Saint-Jean in Arles, Hl († 632) 86 Rusticus, röm Präfekt (2 Jh ) 28 Sachsen (Saxe), L 75, 90 Sahagún, Kl 250 Saladin, Sultan v Ägypten, Emir v Damaskus (1138–1193) 207 f Sallust (Gaius Sallustius Crispus), Geschichtsschreiber, röm Senator (86 v Chr –34/35 n Chr ) 169 Salvius (Saulve), Bf v Angoulême, Missionar bei Valenciennes, Hl , Märtyrer (8 Jh ) 85 Salzburg, Nonnberg, Frauenkl 81 (Anm ) Sampiro, Bf v Astorga (11 Jh ) 268 Samuel siehe Umar Ibn Hafsun San Martín de Albelda, Kl 264 f San Millán de Cogolla, Kl 264 f San Pedro de Cardeña, Kl 250, 265 f San Zoilo, Kl 256 (Anm ) Santa Maria de Cuteclara, Kl 256 Santiago de Compostela (Saint-Jacquesde-Compostelle), O 186 Santo Domingo de Silos, Kl 67, 265 (Anm ), 267, 270 Sarkander, Jan, Hl , Märtyrer (1576–1620) 239 f , 243 Saturninus (Saturnin), Bf v Toulouse, Hl , Märtyrer († um 250) 83 (Anm ) Saturninus (Publius Vigellius Raius Plaurius Saturninus Atilius Braduanus Caucidius Tertullus), röm Prokonsul in Karthago (2 Jh ) 47 (Anm ) Saul, Bf v Córdoba (um 850–862) 255 Scilitanische Märtyrer († 180) 52 Sebastian, Hl , Märtyrer († um 288) 9 f Seneca (Lucius Annaeus Seneca), Philosoph, Schriftsteller, Staatsmann (um 4 v Chr – 65 n Chr ) 291 Sergius II , Papst (um 790–847) 104 Seußling, St Sigismund, Pfarrki 104, 136 Siena (Sienne), Franziskanerkonvent 194 (Anm ) Sigismund, Kg d Burgunden († 523/524) 16, 125 f , 134–138

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Simeon, jüdischer Freiheitskämpfer, Hohepriester u Ethnarch in Judäa († 134 v Chr ) 102 Simeon, Prophet im NT 171 (Anm ) Simon Zelotes (Simon), Apostel, Hl (1 Jh ) 58–61, 73 ff Sinope (Sinop), O 42 Sisebut, westgotischer Kg († 621) 85 f Sixtus (Sixte) IV , Papst (1414–1484) 155, 180 Sizilien, Insel 25, 73 Skythien (Scythia) 67, 76 Smyrna, O 31 Sodano, Angelo, ehemaliger Kardinalstaatssekretär d röm Kurie (* 1927) 277 Sokrates, Philosoph († 399 v Chr ) 290 Sonnenberg, Karl, Jesuit (1614–1668) 217 Spania siehe Iberische Halbinsel Spanien (Spain) 18, 60, 67 f , 162 Spee, Friedrich, Jesuit, Dichter (1591–1635) 219 ff , 224 Speraindeo, Abt v San Zoilo (9 Jh ) 254 (Anm ) Speratus, Hl , Märtyrer in Karthago († 180) 47 (Anm ) Stanislaus, Bf v Krakau, Hl , Märtyrer (um 1030–1079) 278 Stefana Quinzani, Dominikanerin, Mystikerin (1457–1530) 155 Stephan (Étienne, Stephanus), Hl , Erzmärtyrer († um 36/40) 11, 86, 163, 197, 208 (Anm ), 296 Stephan, Abt v Obazine, Hl (um 1085–1159) 151 Straubing, O 219 Südamerika 222 Sulpicius Severus, Hagiograph (um 363– 420/425) 36, 151 Susanna (Suzanne), Person d AT 86 Syrien (Syria, Syrie), L 65, 143, 163, 184, 187 Szechwan, O 236 f Tanner, Matthias, Jesuit, Schriftsteller (1630–1692) 222 Tassilo (Tassilon) III , bairischer Hzg (um 740–um 797) 92 Tauberbischofsheim, Frauenkl 71 Terra Mater, röm Gottheit 79 Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus, Tertullien), Schriftsteller, christlicher Apologet (nach 150–nach 220) 11, 27, 29, 35, 42, 47, 50, 52 f , 69, 83 (Anm ), 299

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Orts- und Personenregister

Tetin (Tetín), O u Burg 133 f Teutonia siehe Germanien Thana, O (Indien) 189, 192, 194 (Anm ) Thekla, Hl , Märtyrerin in Ikonium (1 Jh ) 31, 71 Theoderich, Meister d Ludmilla-Tafelbildes auf Burg Karlstein 132 Thermopylen, Landenge (Griechenland) 7 Theuderich (Thierry) II , fränkischer Kg (587–613) 87 (Anm ), 89 Thibaris, O 159 Thiemo, Ebf v Salzburg (um 1040–1101/1102) 200 Thomas, Hl , Apostel, Märtyrer († um 72) 58, 77 f Thomas Becket, Ebf v Canterbury, Hl , Märtyrer (1118–1170) 180, 185 Thomas Morus, Schriftsteller, Hl , Märtyrer (1478–1535) 217 Thomas Müntzer, Reformator (1489–1525) 24 Thomas v Aquin, Dominikaner, Theologe, Hl (um 1225–1274) 192 Thomas v Aversa, Dominikaner (13 Jh ) 148 f Thomas v Celano, Franziskaner, Chronist (um 1190–1260) 142–146, 152, 184 Tobit (Tobi), Person d Apokryphen d AT 107 (Anm ) Tommaso del Garbo, Professor d Medizin in Perugia u Bologna (um 1305–1370) 148 Tommaso v Siena, genannt Caffarini, Prior d Dominikanerkonvents San Giovanni e Paolo in Venedig 154 f Tonkin, L (Vietnam) 237 Trajan (Marcus Ulpius Traianus), röm Ks (53–117) 29, 41, 43 (Anm ), 46 (Anm ), 48–53 Treptia, indische Kgn , Anhängerin d Apostels Thomas 78 Trient, O 12 Trigault, Nicolas, Jesuit, Missionar (1577–1628) 218 Tunesien 159 Túy, Santo Domingo, Kl 267 (Anm ) Ulrich v Hutten, Humanist (1488–1523) 23 Umar Ibn Hafsun (Samuel), Führer eines Aufstandes in Al-Andalus (850–917) 250 Ungarn (Hongrie) 181

Unschuldige Kinder (Infantes, Innocentes), Hl , Märtyrer in Bethlehem 16, 18, 105, 157–165, 167–176 Urban II , Papst (1035–1099) 203, 207 f Urban VIII , Papst (1568–1644) 234 Ursula, Hl , Märtyrerin (4 Jh ) 19, 29 Usuard, Mönch v Saint-Germain-des-Prés († 877) 248, 255, 257 Valerian (Publius Licinius Valerianus), röm Ks (190–262) 29, 52 (Anm ) Veit (Vitus), Hl , Märtyrer († um 304) 125, 130 Velislaus (Velislav), Kanoniker in Prag, Auftraggeber d sogenannten VelislausBibel 129 Venantius Fortunatus (Venantius Honorius Clementianus Fortunatus), Bf v Poitiers, Hagiograph, Dichter (um 540–600/610) 60 Venedig, San Giovanni e Paolo, Dominikanerkonvent 154 Verdun, O 106 Vienne, O 47 (Anm ), 50, 121 Vierzig Märtyrer v Sebaste, Hl (4 Jh ) 29 Vitebsk, O 242 Vratislav I , böhmischer Hzg (um 888–921) 133 Wadowice, O 275 f Walter (Walter v Geroldseck), Bf v Straßburg (1231–1263) 149 Warschau, O 276 Watkyn, Gesandter d Herodes, Figur d Mysterienspiels 171 Wenzel I (Wenzeslaus), Hl , böhmischer Fs (um 921–929/935) 16, 125–134 Wertinger, Hans, Tafel-, Glas- u Freskenmaler aus Landshut (um 1465–1533) 134 Westlicher Mittelmeerraum (Méditerranée occidentale) 181 Widin (Vidin), O (Bulgarien) 193 Wien, O 219 Wilhelm Tell, legendärer Freiheitskämpfer d Schweiz 301 Willibald, Kanoniker d Stifts St Viktor in Mainz, Hagiograph (8 Jh ) 93 Willibrord, Missionar, Hl (658–739) 90 f , 94 Wimbourne, angelsächsisches Doppelkl 71 Wolfram (Vulfran), Bf v Sens, Hl (um 640–703/720) 93 Worms, O 23, 106, 107 (Anm ) Wulfura, Franke in d Passio Argenteae 252

Orts- und Personenregister Xerigordon, O 198 Zaragoza, O 241 (Anm ) Zaroes, äthiopischer Zauberer, Figur d Passio d Apostel Simon u Judas 74 Žďár u Blovic, O 128

Zebedäus (Zebedee), Person d NT 37, 58, 65, 70 Zentralasien (Asie centrale) 181 Zoilus, Hl , Märtyrer in Córdoba (3 Jh ) 270 Zypern 73

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b e i t r äg e z u r h ag i o g r a p h i e

Herausgegeben von Dieter R. Bauer, Klaus Herbers, Volker Honemann und Hedwig Röckelein.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 1439–6491

Dieter R. Bauer / Klaus Herbers (Hg.) Hagiographie im Kontext Wirkungsweisen und Möglichkeiten ­historischer Auswertung 2000. XXVIII, 288 S. mit 2 Abb. und 1 Kte., kt. ISBN 978-3-515-07399-8 Anke Krüger Südfranzösische Lokalheilige zwischen Kirche, Dynastie und Stadt vom 5. bis zum 16. Jahrhundert 2001. 398 S., geb. ISBN 978-3-515-07789-7 Martin Heinzelmann / Klaus Herbers / ­Dieter R. Bauer (Hg.) Mirakel im Mittelalter Konzeptionen, Erscheinungsformen, ­Deutungen 2002. 492 S., kt. ISBN 978-3-515-08061-3 Charles Mériaux Gallia irradiata Saints et sanctuaires dans le nord de la Gaule du haut Moyen Âge 2006. 428 S. mit 10 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08353-9 Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Gabriele Signori (Hg.) Patriotische Heilige Beiträge zur Konstruktion religiöser und politischer Identitäten in der Vormoderne 2007. 405 S., kt. ISBN 978-3-515-08904-3 Berndt Hamm / Klaus Herbers / Heidrun Stein-Kecks (Hg.) Sakralität zwischen Antike und Neuzeit 2007. 294 S. mit 27 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08903-6 Uta Kleine Gesta, Fama, Scripta



8. 9.

10. 11. 12.

13.

Rheinische Mirakel des Hochmittelalters zwischen Geschichtsdeutung, Erzählung und sozialer Praxis 2007. XVI, 481 S. mit 6 Abb. und 6 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-08468-0 Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Hedwig Röckelein / Felicitas Schmieder (Hg.) Heilige – Liturgie – Raum 2010. 293 S. mit 35 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09604-1 Christofer Zwanzig Gründungsmythen fränkischer ­Klöster im Früh- und Hoch­ mittelalter 2010. 539 S. mit 10 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09731-4 Sofia Meyer Der heilige Vinzenz von Zaragoza Studien zur Präsenz eines Märtyrers zwischen Spätantike und Hochmittelalter 2012. 383 S., kt. ISBN 978-3-515-09068-1 Waltraud Pulz (Hg.) Zwischen Himmel und Erde Körperliche Zeichen der Heiligkeit 2012. 227 S. mit 28 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10283-4 Daniel Nuß Die hagiographischen Werke Hildeberts von Lavardin, Baudris von Bourgueil und Marbods von Rennes Heiligkeit im Zeichen der Kirchenreform und der Réécriture 2013. 257 S., kt. ISBN 978-3-515-10338-1 Andrea Beck / Andreas Berndt (Hg.) Sakralität und Sakralisierung Perspektiven des Heiligen 2013. 210 S. mit 2 Abb. und 20 Farbtaf., kt. ISBN 978-3-515-10624-5

In zahlreichen Glaubenskontexten gilt das individuelle oder kollektive Selbstopfer als unüberbietbarer Weg, Grundüberzeugungen durch das Blut als Opferleistung zu besiegeln. Im Christentum werden so die Märtyrer zu wichtigen Zeugen vor Gott, stehen sie doch in der Schar der Heiligen an erster Stelle. Die Autorinnen und Autoren des Bandes widmen sich vor diesem Hintergrund dem Martyrium als historischem Phänomen. Die epochenübergreifende Perspektive richtet den Blick auf die Ursachen seiner langfristigen Wirkmächtigkeit als Denkfigur. Die spätantiken Grundlagen von Martyriumskonzeptionen

und deren Tradition und Vermittlung in Mittelalter und Neuzeit werden ebenso untersucht wie Wandlungsprozesse in der Darstellung der Figur des Märtyrers. Denn über dessen Bedeutung als personifiziertes Glaubensideal bestand über Jahrhunderte hinweg Konsens, auch wenn der Märtyrer gerade in Konfliktsituationen von konkurrierenden Parteien als Leitfigur instrumentalisiert werden konnte. So eröffneten sich vielfältige Perspektiven der Adaption und Rekontextualisierung des Martyriums, die in den einzelnen Beiträgen ergründet werden.

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ISBN 978-3-515-10715-0

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