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German Pages 222 Year 2000
CLAUS KÖHLER
Beschlüsse zu einer fehlentwicklungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung in der EWU
VOLKSWIRTSCHAFfLICHER KURZKOMMENTAR
Beschlüsse zu einer fehlentwicklungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung in der EWU
Von
Claus Köhler
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Köhler, Claus: Volkswirtschaftlicher Kurzkommentar: Beschlüsse zu einer fehlentwicklungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung in der EWU I CI aus Köhler. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 ISBN 3-428-10197-9
Alle Rechte vorbehalten
© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-10197-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069
Vorwort Stabile Preise und ein hohes Beschäftigungsniveau sind wichtige wirtschaftspolitische Ziele der Europäischen Union. Mit der Schaffung der Europäischen Währungsunion für elf Mitgliedstaaten sind die Voraussetzungen geschaffen worden, durch eine einheitliche Geld- und Kreditpolitik Preisstabilität zu gewährleisten. Eine einheitliche Wirtschaftspolitik mit dem Ziel, ein hohes Beschäftigungsniveau zu verwirklichen, fehlt bisher. Die Wirtschaftspolitik liegt in den Händen der einzelnen Mitgliedstaaten. Sie betrachten die Wirtschaftspolitik nur als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse. Man versucht, die Arbeitslosigkeit auf dem Wege der Kooperation zwischen Europäischer Kommission und den Mitgliedstaaten einzudämmen. Die starke Betonung der Subsidarität bremst diese Bemühungen eher, als dass sie sie fördert. Der vorliegende Kurzkommentar zu den Beschlüssen für eine fehlentwicklungsfreie wirtschaftliche Entwicklung zeigt die Bemühungen des Europäischen Rates - der Staats- und Regierungschefs der EWU- und EU-Länder -, die Arbeitslosigkeit zu verringern, ohne die Preisstabilität zu gefahrden. Diese Beschlüsse sind auch ein Dokument der Zähflüssigkeit des Integrationsprozesses in Europa. Von der Unterzeichnung der Römer Verträge bis zur EWU vergingen mehr als 40 Jahre. Erst mit der Schaffung des Europäischen Systems der Zentralbanken, das vorrangig für stabile Preise zu sorgen hat, ist die geldund kreditpolitische Aufgabe befriedigend gelöst worden. Man muss sich weiter in Geduld üben, ehe man feststellen können wird, dass auch die wirtschaftspolitischen Voraussetzungen gegeben sind, um zu einem hohen Beschäftigungsniveau zu gelangen. Weitere Länder in die EU aufzunehmen, stellt die Mitgliedstaaten und die EWU vor neue Herausforderungen. Es wird noch großer Anstrengungen bedürfen, um einen Weg zu finden, auf dem man sowohl die Integration der Mitgliedstaaten
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Vorwort
vertiefen als auch die Gemeinschaft und Währungsunion erweitern kann. Diese Arbeit ergänzt den Volkswirtschaftlichen Kurzkommentar zu den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Währungsunion. Sie führt ein wenig durch den Dschungel der vertraglichen Grundlagen und gefassten Beschlüsse des Europäischen Rates, mit denen man sich einer fehlentwicklungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung in der EWU nähern will. Meine Frau hat auch diese Arbeit ideenreich und kritisch begleitet. Dafür danke ich ihr. Kronberg im Taunus, April 2000
Claus Köhler
Inhalt A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität . . . . . . . . . . . . .. 11 I. Die zwei wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele . . . . . . . .. 11 II. Einheitliche Geldpolitik in der Gemeinschaft zur Sicherung der Preisstabilität ............................... 17 III. Keine einheitliche Beschäftigungspolitik in der Gemeinschaft zur Verringerung der Arbeitslosigkeit. . . . . . . . . . . .. 20 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend. .. I. Vorerst ein Beschäftigungspakt statt einer Beschäftigungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. II. Die drei Säulen des Beschäftigungspaktes ........ . . . . .. III. Koordinierung der Beschäftigungspolitik - der Luxemburg-Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Modernisierung der Märkte - der Cardiff-Prozess. . . . . . .. V. Makroökonomischer Dialog - der Köln-Prozess. . . . . . . ..
C. Angemessenes Wirtschaftswachstum - notwendig und unabdingbar ................................................. I. Der Maßstab: die Wachstumsrate des Produktionspotentials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Wirtschaftswachstum in den Beschlüssen der EU. . . . . . .. III. Preisneutrale Verringerung der Arbeitslosen. . . . . . . . . . . .. IV. Der quantitative Aspekt angemessenen Wirtschaftswachstums ............................................... V. Erforderliche Investitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. VI. Angemessenes Wirtschaftswachstum und die tatsächliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
25 25 27 29 35 37 41 41
47 51 53 54
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D. Preisstabilität - notwendig und unabdingbar. . . . . . . . . . . . . . . .. 59 I. Die quantitative Zielsetzung der Europäischen Zentralbank ............................................... 59 11. Preisstabilität und die tatsächliche Entwicklung ......... 63 E. Eine Orientierungsgröße für eine fehlentwicklungsfreie wirtschaftliche Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 65 I. Angemessene Zuwachsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 65
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Inhalt
11. Nonnative und unvenneidliche Preissteigerungsrate. . . . .. 67 F. Koordinierung der Wirtschaftspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 70 I. Koordinierung statt einheitlicher Wirtschaftspolitik in der EWU ............................................... 70 11. Das Spannungsverhältnis Koordinierung und Subsidiarität 74 G. Orientierungsgröße und Geldpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die Strategie der Europäischen Zentralbank. . . . . . . . . . . .. 11. Referenzwert ohne Bandbreiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Das geld- und kreditpolitische Instrumentarium der EZB. IV. Geldpolitik in der Wirklichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
77 77 80 81 85
H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten. . . .. I. Keine makroökonomische Orientierung der Finanzpolitik in der EWU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Das Problem der Zuständigkeit für ein hohes Beschäftigungsniveau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. III. Die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Orientierungsgrößen für die Finanzpolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IV. Notwendige Abweichungen von der Orientierungsgröße .. V. Finanzpolitik in der EWU: der Stabilitätspakt . . . . . . . . . .. VI. Problematische Messgrößen für die Haushaltsdisziplin ... VII. Ausgeglichener Haushalt: keine überzeugenden Gründe .. VIII. Ausgeglichener Haushalt: problembelastet . . . . . . . . . . . . . . IX. Bemühungen um Steuerhannonisierung .................
92 92 92 94 96 98 102 104 105 110
I.
Die Finanzpolitik der Europäischen Kommission ............. 116
1.
Orientierungsgröße und Sozialpartner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
K. Wechselkurse und Finanzmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Wechselkursmechanismus in der EU ............... 11. Wechselkursregelungen gegenüber Drittstaaten .......... III. Eine tripolare Währungsordnung ....................... IV. Finanzmärkte und GIobalisierung ......................
122 122 128 130 134
L. Der Erweiterungsprozess .................................. I. Die allgemeine Herausforderung ....................... 11. Die beitrittswiIIigen Länder ........................... III. Wirtschaftliche Probleme ............................. IV. Institutionelle Fragen .................................
143 143 144 148 155
Zitierte Veröffentlichungen ................................... 157
Inhalt
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Anhang
I. Aufgaben und Ziele der EU ............................. 163 II. Preisstabilität. ......................................... 167 III. Beschäftigung......................................... 171 IV. Allgemeine Wirtschaftspolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 V. Finanzpolitik der Mitgliedstaaten ........................ 188 VI. Finanzpolitik der EU. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 VII. Steuerpolitik der EU ................................... 200 VIII. Europäische Investitionsbank ............................ 202 IX. Wechselkurse .......................................... 203 X. Finanzmärkte und Globalisierung ........................ 210 XI. Erweiterung der EU .................................... 215 Sachregister ................................................ 217
Abkürzungen AKP
Der EU assoziierte Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik
CCL
Contingent Credit Line
EGKS
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
EIß
Europäische Investitionsbank
ESZB
Europäisches System der Zentralbanken
EU
Europäische Union
EWS
Europäisches Währungssystem
EWU
Europäische Währungsunion
EZB
Europäische Zentralbank
GAP
Gemeinsame Agrarpolitik
GASP
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
HLI
Highly Leveraged Institution
IFI
Internationale Finanzinstitutionen
IMF
International Monetary Fund
IWF
Internationaler Währungsfonds
MOE
Mittel- und osteuropäische Länder
NZB
Nationale Zentralbanken
PHARE
Poland and Hungary Action for Restructuring of the Economy
SVR
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
WKM
Wechselkursmechanismus
WWU
Wirtschafts- und Währungsunion
A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität I. Die zwei wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele Ein hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität gehören in allen Volkswirtschaften und somit auch in der Europäischen Union EU und der Europäischen Währungsunion EWU zu den wichtigen wirtschaftspolitischen Zielen. Die Menschen müssen sich, da der Planet Erde kein Paradies ist, anstrengen, um ihr Leben und das ihrer Familien zu erhalten. Ökonomisch ausgedrückt heißt dies, sie müssen arbeiten. Das bedeutet aber auch, dass es den Menschen ermöglicht werden muss, einer Arbeit nachzugehen. Die Gesellschaft und das heißt stellvertretend der Staat, müssen Rahmenbedingungen setzen und Initiativen ergreifen, um die Unternehmen zu veranlassen, so viele Arbeitsplätze zu schaffen, dass ein hohes Beschäftigungsniveau erreicht wird. Maßnahmen, um die hohe Arbeitslosigkeit in der EWU zu verringern, müssen vor allem der Jugend und den Langzeitarbeitslosen Chancen auf eine wirtschaftliche Betätigung einräumen. Die Staats- und Regierungschefs der EU sehen dies ebenso. Card Zi 12: Eine Gesellschaft, die auf Innovation und Integration setzt, muß allen Bürgern, insbesondere den arbeitslosen Jugendlichen und den Langzeitarbeitslosen, die Möglichkeit geben, einer Arbeit nachzugehen und zur wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt beizutragen.
Auf den Gipfelkonferenzen der EU werden immer wieder die Gründe hervorgehoben, die den Europäischen Rat und die Europäische Kommission veranlassen, sich anzustrengen, um die Arbeitslosigkeit zu verringern. Köln P Zi 1: Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß mehr Beschäftigung der Schlüssel zu mehr Wohlstand, sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt ist. Die Bekämpfung der
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
viel zu hohen Arbeitslosigkeit ist deshalb unser wichtigstes wirtschafts- und sozialpolitisches Ziel.
Wenn die Beschäftigung in einem Lande zunimmt, dann steigen auch die gesamten Leistungen in einer solchen Volkswirtschaft und damit der Wohlstand. Aber dieser Effekt einer höheren Beschäftigung ist nicht der Wesentliche. Viele in der Gesellschaft sind sogar der Auffassung, dass es nicht erforderlich ist, sich darum zu bemühen, den Wohlstand weiter zu erhöhen. Wichtiger ist bei der Aufzählung das Argument der sozialen Gerechtigkeit. Arbeitslose sind vom Produktionsprozeß ausgeschlossen. Ihr Leben können sie nur erhalten, wenn die im Produktionsprozeß stehenden Beschäftigten ihnen die erforderlichen Mittel bereitstellen. Ein soziales Netz sichert sie ab. Naturgemäß wird aber der Lebensstandard eines Arbeitslosen geringer sein als der eines Beschäftigten. Diese sich dabei entwickelnden sozialen Unterschiede lassen sich nur durch zusätzliche Arbeitsplätze beseitigen. Liss Zi 32: Der beste Schutz gegen soziale Ausgrenzung ist ein Arbeitsplatz.
Besonders wichtig aber ist das Argument des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Es wird vom Europäischen Rat mehrmals hervorgehoben. Lux N Zi 2.: Die Frage der Beschäftigung ist eines der wichtigsten
Anliegen des europäischen Bürgers. und es muß alles darangesetzt werden. um die Arbeitslosigkeit. deren unannehmbar hohes Niveau den Zusammenhalt unserer Gesellschaften bedroht. zu bekämpfen.
Hier geht es nicht um den Zusammenhalt der Staaten untereinander, sondern um den Zusammenhalt in der Gesellschaft bei der Bejahung demokratischer Grundwerte. Deutschland lieferte ein Beispiel, wie wirtschaftliche Fehlentwicklungen solche Grundwerte beseitigen können. Das war der Fall, als eine Generation durch Inflation (1923/24) alle ihre Ersparnisse einbüßte und danach in der Weltwirtschaftskrise (1929/30) Viele ihre Arbeitsplätze verloren. Dies trug zur Radikalisierung und schließlich zum Nationalsozialismus bei. Man hat den Eindruck, dass diesem Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen - Inflation und Arbeitslosigkeit - einerseits und radikalen Tendenzen in der
I. Die zwei wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele
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Gesellschaft andererseits nicht mehr die Aufmerksamkeit zugemessen wird, die ihm zukommt. Gegen Ende der siebziger Jahre war es allgemeine Auffassung: "Was das Vollbeschäftigungsziel anlangt, so muß man vermuten, daß es um so dringlicher wird, je länger es in bestimmtem Maße verletzt ist: Eine Arbeitslosigkeit von - sagen wir - 4 oder 5 v. H. mag in einem Lande wie der Bundesrepublik für ein halbes Jahr und vielleicht auch für ein Jahr erträglich sein, nachdem es jahrelang weniger als 1 v. H. waren, aber wenn die Unterbeschäftigung mehrere Jahre andauert und infolgedessen auch mehr und mehr Familien als Dauerplage betrifft, kann die Situation politisch gefahrlich werden." (Giersch (1977), S. 195). Seit 1981, d.h. seit 19 Jahren werden diese Werte überschritten und in den letzten vier Jahren waren die Arbeitslosenquoten zweistellig. Es ist daher kaum überraschend, wenn erneut ein Rechtsextremismus aufkeimt. Man kann diese Entwicklung als "ekelhaft" und die daran beteiligten Menschen, meist Jugendliche, als "ewig Gestrige" kennzeichnen. Weiter hilft das nicht. Weiter hilft nur, wenn man energisch anpackt, was die Staats- und Regierungschefs der EU gefordert haben: Eine Gesellschaft muss allen Bürgern die Möglichkeit geben, einer Arbeit nachzugehen. Nicht nur die Willenserklärungen in den Schlußfolgerungen des Vorsitzes der Gipfelkonferenzen, sondern auch der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und der Vertrag über die Europäische Union fordern daher, ein hohes Beschäftigungsniveau zu verwirklichen. So bestimmt der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV: Art. 2 EGV: Aufgabe der Gemeinschaft ist es, ... ein hohes Beschäftigungsniveau ... zu fördern.
Auch der Vertrag über die Europäische Union EUV gibt ein solches Beschäftigungsziel vor: Art. 2 EUV: Die Union setzt sich folgende Ziele: ... - die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts und eines hohen Beschäftigungsniveaus. ...
Zu den wirtschaftlichen Grundforderungen der Menschen gehört, neben der Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen, auch die nach Preisstabilität. In einer arbeitsteiligen auf Geld basieren-
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
den Wirtschaft kann der Einkommensbezieher Teile seines Einkommens sparen. Er legt solche Beträge zurück, um damit z. B. später Konsumgüter zu kaufen oder um für sein Alter, wenn er nicht mehr berufstätig ist, eine Reserve zu bilden. Es sollte selbstverständlich sein, dass jemand, der sein Einkommen nicht sofort, sondern erst später ausgibt, keine Kaufkraftverluste erleidet. Das ist aber nur dann der Fall, wenn im Zeitraum zwischen Einkommensbezug und späterer Ausgabe die Preise stabil geblieben sind. Preissteigerungen sind also stets sozial ungerecht. Die Europäische Währungsunion ist daher entschlossen, Preisstabilität zu wahren und zu sichern. Entsprechend dem EG-Vertrag wurde ein Europäisches System der Zentralbanken ESZB geschaffen, das als unabhängige Institution die Geldund Kreditpolitik durchzuführen hat. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, in erster Linie für Preisstabilität zu sorgen. Art. 105 EGV: (1) Das vorrangige Ziel des ESZB ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. ...
Die Europäische Zentralbank hat noch auf eine Reihe anderer Vorteile hingewiesen, die mit Preisstabilität verbunden sind: Preisstabilität verbessert die Transparenz des relativen Preismechanismus und stellt sicher, dass die realen Ressourcen effizient verteilt werden; sie minimiert die Inflationsprämie in den langfristigen Zinssätzen und hält dadurch diese Zinsen niedrig; sie vermeidet, dass reale Ressourcen zur Absicherung gegen Inflation oder Deflation eingesetzt anstatt produktiv genutzt zu werden und sie vermeidet große und willkürliche Umverteilung des Vermögens und der Einkommen. (EZB (1999 I), S. 44) Die tatsächliche Entwicklung zeigt, dass die Arbeitslosigkeit von Jahrzehnt zu Jahrzehnt beunruhigend stark anstieg. Das Erreichen zweistelliger Arbeitslosenquoten in Volkswirtschaften der EWU hat die Staats- und Regierungschefs alarmiert. Um so wichtiger ist es, dass die Preissteigerungsraten eine Tendenz zu mehr Preisstabilität erkennen lassen. Infolge der Ölkrisen in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre stiegen die Preise vorübergehend stärker an. Den Zentralbanken in der EWU und seit 1999 der Europäischen Zentralbank gelang es schließlich, Ende der neunziger Jahre weitgehend Preisstabilität zu erreichen.
1. Die zwei wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele
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Durchschnittliche Arbeitslosenquote und Preissteigerungsrate in der EWU und in Deutschland in v. H. a) Arbeitslosenquote
Preissteigerungsrate
EWU
Deutschland
EWU
Deutschland
1961-1970
2,2
0,7
4,4
3,8
1971-1980
4,2
2,2
10,1
5,2
1981-1990
9,1
6,0
6,5
2,8
1991-1999
10,8
8,2
2,9
2,4
Quelle: Eur. Wtsch. H. Nr. 68/1999, Grundzüge d. Wirtsch. Pol. 1999, Anhang Tab. 3 und 24; a) Arbeitslosenquote in v. H. der zivilen Erwerbsbevölkerung, Preissteigerungsrate: Deflator des BIP
Es ist dieses Bild steigender Arbeitslosigkeit bei sinkenden Preissteigerungsraten, das die Staats- und Regierungschefs der EU und damit der EWU veranlassen, die Arbeitslosigkeit mit Vorrang zu bekämpfen. Im Dezember 1996 auf seiner Gipfelkonferenz in Dublin stellte der Europäische Rat - das sind die Staats- und Regierungschefs - fest, Dubl 1lI 1: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist nicht nur die oberste Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sondern auch eine vorrangige Aufgabe der Union.
Bei dieser Prioritätensetzung ist es in den nachfolgenden Jahren geblieben. Auf seiner Tagung im Juni 1999 in Köln bekräftigte der Europäische Rat: Köln Zi 7: Mehr Beschäftigung bleibt das vorrangige Ziel in Europa.
Zu dieser Tagung legte der Rat der Europäischen Union, das sind in diesem Falle die Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten, beschäftigungspolitische Leitlinien für 1999 vor. In der Präambel dieser Leitlinien stellt der Rat der EU fest: Leit 1999 Zi (1): Die Beschäftigung ist die oberste Priorität der Europäischen Union.
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
Es liegt nahe, dass der Europäische Rat und die Kommission der EU angesichts zweistelliger Arbeitslosenquoten bei gleichzeitig annähernder Preisstabilität ihre Bemühungen um eine fehlentwicklungsfreie wirtschaftliche Entwicklung in erster Linie auf das Arbeitsmarktproblem konzentrieren. Das ist auch dringend geboten. Das darf aber nicht zu einer Prioritätenstrategie in dem Sinne führen, dass dem Ziel Verringerung der Arbeitslosigkeit ohne Rücksicht auf andere Ziele der Vorrang eingeräumt wird. Es war eine weise Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, von der Exekutive zu verlangen (§ 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft und § 2 des Gesetzes zur Bildung eines Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung SVR), dass die gesamtwirtschaftlichen Ziele gleichzeitig zu erfüllen sind. Der SVR soll untersuchen, "wie im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum gewährleistet werden können." (SVR (1963), § 2). Die Wirtschaftspolitik wird ein solches ehrgeiziges Ziel nur auf der Grundlage einer wirtschaftspolitischen gesamtwirtschaftlichen Strategie verwirklichen können, in die neben der Finanzpolitik, die unabhängig geführte Geld- und Kreditpolitik der EZB sowie die Lohnpolitik der Sozialpartner einbezogen sind. Eine solche gesamtwirtschaftliche Strategie fehlt noch in der EWU. Um so mehr ist darauf zu achten, dass die Priorität für das Beschäftigungsziel nicht bedeutet, dass zu ergreifende Maßnahmen sich zuungunsten anderer wirtschaftspolitischer Ziele auswirken. Der Gleichzeitigkeit der Zielerreichung nahe kommt eine Bestimmung im EG-Vertrag, die die Mitgliedsländer der EU verpflichtet, sogenannte richtungsweisende Grundsätze zu beachten. Art. 4.3 EGV: Diese Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft setzt die Einhaltung der folgenden richtungsweisenden Grundsätze voraus: stabile Preise. gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz.
11. Einheitliche Geldpolitik zur Sicherung der Preisstabilität
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Bei allen von der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen, also auch denen, die dazu dienen, die Arbeitslosigkeit zu verringern, sind diese richtungsweisenden Grundsätze zu beachten. Zwar fehlt in den Bestimmungen der EU die Forderung nach Gleichzeitigkeit der Zielerfüllung, jedoch dürfen wirtschaftspolitische Maßnahmen, z. B. zur Stimulierung am Arbeitsmarkt, stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen, die monetären Rahmenbedingungen und die dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz nicht beeinträchtigen. Auch in der EU scheidet also eine Prioritätenstrategie aus, die ein Ziel auf Kosten eines anderen Zieles zu erreichen sucht.
11. Einheitliche Geldpolitik in der Gemeinschaft zur Sicherung der Preisstabilität Die Verantwortung für die Preisstabilität wurde in der EWU dem System der Europäischen Zentralbanken ESZB übertragen. Das vorrangige Ziel ist es, wie der EG-Vertrag (Artikel 105, Absatz I) festlegt, Preisstabilität zu gewährleisten. Der Europäische Rat sieht in einer auf Erhaltung der Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik ein Element eines makroökonomischen Policy-Mix im Euro-Gebiet (ER (1999), S. 53). Dieses Europäische System der Zentral banken besteht aus der Europäischen Zentralbank EZB und den Nationalen Zentralbanken NZB. Das ESZB wird von den Beschlußorganen der EZB geleitet. Das ist der EZB-Rat, bestehend aus den elf Präsidenten der NZB's und den sechs Mitgliedern des Direktoriums der EZB. Während der EZB-Rat die geld- und kreditpolitischen Beschlüsse fasst, führt das Direktorium diese Beschlüsse durch. Auf den monetären Märkten fließen häufig umfangreiche Mittel zu oder ab und verlangen, wenn Kontinuität und Stabilität gewahrt werden sollen, rasche Entscheidungen der EZB. Um dies sicherzustellen, hat man dem ESZB bei der Anwendung seiner geldpolitischen Befugnisse völlige Unabhängigkeit gegenüber Einflüssen Dritter gewährt. Nur diese völlige Unabhängigkeit des ESZB und die dadurch ermöglichten raschen Reaktionen des ESZB auf plötzlich auftretende Störungen an 2 Köhler
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
den monetären Märkten, gibt die Chance, dass die Geld- und Kreditpolitik bei ihrem Ziel, die Preisstabilität zu sichern, erfolgreich sein kann. Art. J08 EGV: Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse. Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlußorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft. Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich. diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen. die Mitglieder der Beschlußorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.
Zu den Aufgaben, die das ESZB in der EWU wahrzunehmen und unabhängig von Dritten zu lösen hat, gehören die Geldpolitik festzulegen und auszuführen, Devisengeschäfte durchzuführen, offizielle Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten und dafür zu sorgen, dass die Zahlungssysteme reibungslos funktionieren. Die Geldpolitik wird also in der EWU einheitlich von dem ESZB durchgeführt. Man ist sich durchaus bewusst, dass liquiditäts- und zinspolitische Maßnahmen der EZB auch Einfluss auf die reale Sphäre der Wirtschaft haben und damit andere wirtschaftspolitische Ziele, wie Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsniveau, beeinflussen. Es wurde daher bestimmt: Art. J08 (1): ... Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist. unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft. um zur Verwirklichung der ... festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Aber auch umgekehrt gilt, dass finanzpolitische und andere wirtschaftspolitische Maßnahmen die monetäre Sphäre und damit die Geld- und Kreditpolitik beeinflussen. Der Europäische Rat hat daher appelliert: Köln Zi 20: ... Der Europäische Rat fordert Regierungen und Sozialpartner auf, die Geldpolitik bei ihrer vorrangigen stabilitätspolitischen Aufgabe zu unterstützen.
II. Einheitliche Geldpolitik zur Sicherung der Preisstabilität
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Wenn geldpolitische Maßnahmen des ESZB auch auf andere als monetäre Bereiche der Wirtschaft einwirken und nationale wirtschaftspolitische Eingriffe die Geld- und Kreditpolitik berühren, dann wird es notwendig, im Rahmen der EWU einen gesamtwirtschaftlichen Dialog über die zweckmäßige Wirtschaftspolitik, d. h. die Finanzpolitik und die Geld- und Kreditpolitik sowie die Einkommenspolitik der Sozialpartner zu führen. Der Europäische Rat hat einen solchen gesamtwirtschaftlichen Dialog institutionalisiert. Er verfolgt damit das Ziel eines angemessenen Zusammenwirkens aller Akteure, die Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nehmen. Köln Zi 20: Im Euro-Bereich wird die Verstärkung des Dialogs in der Euro-li-Gruppe einen Beitrag zur Verwirklichung eines besser ausgewogenen Policy Mix leisten.
Wenn in der EWU eine einheitliche Geld- und Kreditpolitik praktiziert wird, dann werden Unterschiede in den nationalen Finanzpolitiken stärker spürbar, als das noch der Fall war, solange es in den Ländern der heutigen EWU unterschiedliche Währungen gab. Der Europäische Rat war sich daher der Tatsache bewusst: Wien Zi 9: Die einheitliche Währung verstärkt den wirtschaftspolitischen Koordinierungsbedarf.
Es gab Stimmen, die die Einbeziehung der EZB in einen solchen gesamtwirtschaftlichen Dialog kritisch beurteilten. Sie befürchteten, dass dadurch die Unabhängigkeit des ESZB beeinträchtigt werden könnte. Das aber ist nicht der Fall. Das ESZB kann entsprechend dem EG-Vertrag und seiner Satzung in ihrer Geld- und Kreditpolitik in eigener Verantwortung auf der Basis der allein vom Zentralbankrat des ESZB festgelegten monetären Strategie agieren. Unter solchen Bedingungen besteht kein Grund, sich von einer gesamtwirtschaftlichen Diskussion fernzuhalten. Im Gegenteil, die Vertreter der EZB haben in einer solchen Diskussionsrunde die Chance, für Verständnis ihrer Politik bei den anderen wirtschafts- und einkommenspolitischen Akteuren zu werben. Die EZB hat sich daher auch bereit gefunden, an einem solchen Gedankenaustausch mitzuwirken.
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
K Anh I Zi 7: Der Europäische Rat begrüßt ... die Bereitschaft ... der für die Geldpolitik Verantwortlichen. am Makroäkonomischen Dialog mitzuwirken.
III. Keine einheitliche Beschäftigungspolitik in der Gemeinschaft zur Verringerung der Arbeitslosigkeit Während das wirtschaftspolitische Ziel Preisstabilität durch eine wirtschaftspolitische Institution, das ESZB, vorrangig angestrebt wird, ist das beim Ziel hohes Beschäftigungsniveau nicht der Fall. Es gibt keine europäische wirtschaftspolitische Institution, die vorrangig sich dem Ziel Verringerung der Arbeitslosigkeit annimmt oder annehmen könnte. Der EG-Vertrag bestimmt vielmehr, dass Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik, die Geldund Kreditpolitik ausgenommen, allein von den zuständigen nationalen Institutionen getroffen werden. In der EU und damit auch in der EWU hat man sich nur darauf verständigt: Art. 99. I EGV: Die Mitgliedstaaten betrachten ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und koordinieren sie im Rat . ..
Dieses Koordinierungsverfahren wird folgendermaßen gehandhabt: Die Wirtschafts- und Finanzminister legen den Staats- und Regierungschefs einen Entwurf über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft vor. Die Staats- und Regierungschefs ziehen Schlußfolgerungen aus diesem Entwurf, die die Wirtschafts- und Finanzminister in Empfehlungen umsetzen, in denen die Grundzüge der Wirtschaftspolitik dargelegt werden. Es ist dann die Aufgabe der Kommission. die wirtschaftliche Entwicklung in jedem Mitgliedsland vor dem Hintergrund der Empfehlungen darzustellen. Anhand dieser Berichte überwachen die Wirtschafts- und Finanzminister die nationalen Wirtschaftspolitiken. Sie haben in regelmäßigen Abständen zu beurteilen, inwieweit diese Wirtschaftspolitiken mit den Grundzügen vereinbar sind. Ist die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik in der EU nicht vereinbar
III. Keine einheitliche Beschäftigungspolitik
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oder droht gar eine solche nationale Wirtschaftspolitik das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion zu gefahrden, dann können die Wirtschafts- und Finanzminister an dieses Mitgliedsland Empfehlungen richten. Der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister hat betont, wie bedeutsam die Grundzüge der Wirtschaftspolitik für das Zusammenwirken aller Kräfte ist, die die Wirtschaftspolitik tragen oder beeinflossen. Köln Ber S. 522: Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik sind das zentrale Instrument der wirtschaftspolitischen Koordinierung in der EU. Sie eignen sich als Rahmen dafür, ein verbessertes wachstumsund beschäftigungsorientiertes Zusammenspiel zwischen den makroökonomischen Entscheidungsträgem in Europa zu beschreiben.
Das recht umständliche Verfahren zur Kordinierung der Wirtschaftspolitik soll dazu dienen. dass die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik so ausrichten, dass sie Art. 98 EGV: ... zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 beitragen.
In diesem Artikel 2 des EG-Vertrages ist ein hohes Beschäftigungsniveau nur ein Ziel neben mehreren. Daneben verlangt dieser Artikel in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges. nicht-inflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern. Die Mitgliedstaaten der EU und die Gemeinschaft können sich keinesfalls allein dem Beschäftigungsproblem widmen; sie dürfen auch die übrigen Ziele nicht aus dem Auge verlieren. Die EU verfolgt aber nicht nur wirtschafts- und gesellschaftspolitische Ziele, sondern strebt auch eine politische Union an. Im EU-Vertrag, Artikel 2 werden Punkte aufgezählt, die die EU zu verwirklichen gedenkt. Dazu gehört u. a., die Identität der
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
EU auf internationaler Ebene zu behaupten. Das geschieht durch eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GASP. Sie schließt eine Gemeinsame Verteidigungspolitik ein. Die Rechte und Interessen der Angehörigen der Mitgliedstaaten werden durch die Unionsbürgerschaft geschützt. Die EU als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gilt es zu erhalten und weiter zu entwickeln. Hierbei ist zu gewährleisten, dass die Außengrenzen hinreichend kontrolliert werden, Asyl und Einwanderung geregelt sind, Kriminalität verhindert und bekämpft werden und der freie Personenverkehr sichergestellt ist. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit haben sich die Vertragspartner des EG-Vertrages - die 15 EU-Mitglieder - entschlossen, gesonderte Bestimmungen in den Vertrag aufzunehmen, um die Beschäftigung zu verbessern und damit die Arbeitslosigkeit in der Gemeinschaft zu verringern. Das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus aber kann die Kommission nicht durch eine einheitliche Politik erreichen. Vielmehr sind allein die Mitgliedsländer für ihre Wirtschaftspolitik und damit für das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus zuständig. Art. 126. 2 EGV: Die Mitgliedstaaten betrachten die Förderung der Beschäftigung als Angelegenheit von gemeinsamen Interesse und stimmen ihre diesbezüglichen Tätigkeiten ... im Rat aufeinander ab . ...
Der Europäischen Gemeinschaft fällt damit beim Beschäftigungsziel nur die Rolle eines Koordinators nationaler wirtschaftspolitischer Bemühungen der Nationalstaaten zu. Art. 127. I EGV: Die Gemeinschaft trägt zu einem hohen Beschäftigungsniveau bei. indem sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und deren Maßnahmen in diesem Bereich unterstützt und erforderlichenfalls ergänzt. Hierbei wird die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten beachtet.
Bisher war es nicht möglich, durch Handeln der Kommision zu einer einheitlichen Beschäftigungspolitik zu gelangen. Die Nationalstaaten reagieren auf Versuche dieser Art äußerst sensibel. Wenn, wie im Artikel 127 EG-Vertrag, auch nur angedeutet wird, die Kommission könne die nationalen Wirtschaftspoliti-
III. Keine einheitliche Beschäftigungspolitik
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ken im Bereich der Beschäftigungspolitik unterstützen und ergänzen, wird sofort gewarnt, dass dies aber die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Wirtschaftspolitik nicht beeinträchtigen dürfe. In der EU und damit in der EWU kann das Beschäftigungsproblem also nur gelöst werden, indem die Mitgliedsstaaten untereinander und mit der Gemeinschaft eng zusammenarbeiten. Art. 126. 2 EGV: Die Mitgliedstaaten ... stimmen ihre diesbezüglichen Tätigkeiten nach Maßgabe des Artikels 128 im Rat aufeinander ab.
Schon für die Wirtschaftspolitik sieht der EG-Vertrag ein recht kompliziertes Abstimmungsverfahren vor. Für die Beschäftigungspolitik hat man zusätzlich ein ganz ähnliches Verfahren institutionalisiert. Die entsprechenden Regelungen finden sich im Artikel 128 EG-Vertrag. Danach müssen zunächst die Wirtschafts- und Finanzminister gemeinsam mit der Kommission jährlich über die Beschäftigungslage in der Gemeinschaft berichten. Die Staats- und Regierungschefs verabschieden anhand dieses Berichts Schlußfolgerungen, die wieder die Wirtschafts- und Finanzminister in Leitlinien fassen. Diese sind von den Mitgliedstaaten in ihrer Beschäftigungspolitik zu berücksichtigen. Selbstverständlich gibt es eine "Erfolgskontrolle". So haben die Mitgliedstaaten dem Rat und der Kommission jährlich zu berichten, mit welchen beschäftigungspolitischen Maßnahmen sie die beschäftigungspolitischen Leitlinien umgesetzt haben. Art. 128. 3 EGV: Jeder Mitgliedstaat übermittelt dem Rat und der Kommission jährlich einen Bericht über die wichtigsten Maßnahmen, die er zur Durchführung seiner Beschäftigungspolitik im Lichte der beschäftigungspolitischen Leitlinien ... getroffen hat.
Diese Berichte werden von den Wirtschafts- und Finanzministem geprüft. Auch hier kann der Rat Empfehlungen an einzelne Mitgliedstaaten aussprechen, wenn das von der Kommission angeregt wird. Das Verfahren wird mit einem gemeinsamen Jahresbericht von Rat und Kommission an die Staats- und Regierungschefs abgeschlossen, in dem dargestellt wird, wie die Leitlinien von den Mitgliedstaaten umgesetzt worden sind.
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A. Hohes Beschäftigungsniveau und Preisstabilität
Um die Koordinierung der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik der Mitgliedstaaten zu fördern sieht der EG-Vertrag einen Beschäftigungsausschuss vor. Er hat beratende Funktion. Art. J30 EGV: ... Der Ausschuß hat folgende Aufgaben: - Er verfolgt die Beschäftigungslage und die Beschäftigungspolitik in den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft; - er gibt . .. auf Ersuchen des Rates oder der Kommission oder von sich aus Stellungnahmen ab und trägt zur Vorbereitung der in Artikel 128 genannten Beratungen des Rates bei. Bei der Erfüllung seines Auftrags hört der Ausschuß die Sozialpartner. Jeder Mitgliedstaat und die Kommission entsenden zwei Mitglieder in den Ausschuß.
Der Europäische Rat will dazu beitragen, die Wirtschaftspolitik intensiver zu koordinieren. Um ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen sowie einen größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen, soll die EU zum wettbewerbsfahigen und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt im kommenden Jahrzehnt gemacht werden. Dieses "neue strategische Ziel" (Liss Zi 5) beschlossen die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Beschäftigungsgipfel im März 2000 in Lissabon. Liss Zi 36: Der Europäische Rat wird diese Verbesserungen unterstützen, indem er eine herausragende leitende und koordinierende Rolle im Hinblick auf die Sicherstellung der Gesamtkohärenz und der wirksamen Überwachung der Fortschritte auf dem Weg zu dem neuen strategischen Ziel spielen wird. Der Europäische Rat wird zu diesem Zweck jedes Frühjahr eine Tagung über Wirtschafts- und Sozialfragen abhalten.
Die Beschäftigungspolitik als Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist den nationalen Regierungen überlassen. Es sind auch die nationalen Regierungen, die dieses Recht immer wieder betonen. So bleibt es augenblicklich nur bei dem ständigen Bemühen, insbesondere der Kommission, auf dem Wege der Koordinierung der nationalen Beschäftigungspolitiken erfolgreich zu sein, d. h. die Arbeitslosigkeit in der EWU zu verringern.
B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend J. Vorerst ein Beschäftigungspakt statt einer Beschäftigungsstrategie So wichtige wirtschaftspolitische Ziele wie Preisstabilität und hohes Beschäftigungsniveau lassen sich nur auf der Basis einer Strategie verwirklichen, der ein im Hinblick auf die Zielerreichung konsistentes gesamtwirtschaftliches Rahmenwerk zugrunde liegen muss. Das Beschäftigungskapitel des EG-Vertrages beginnt mit einem verheißungsvollen Satz: Art. 125 EGV: Die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft arbeiten nach diesem Titel auf die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie ... hin ...
Es ist verständlich, dass man für die Entwicklung einer solchen Strategie Zeit benötigt. Aber die Vorstellung, man würde auf ein konsistentes gesamtwirtschaftliches Rahmenwerk hinarbeiten, erhielt im selben Artikel sogleich einen Dämpfer. Es wurde nämlich deutlich gemacht, worauf man bei der koordinierten Beschäftigungsstrategie hinarbeiten würde: Art. 125 EGV: ... insbesondere auf die Förderung der Qualifizierung, Ausbildung und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer sowie die Fähigkeit der Arbeitsmärkte ... , auf die Erfordernisse des wirtschaftlichen Wandels zu reagieren, um die Ziele ... des Vertrags über die Europäische Union und ... des vorliegenden Vertrags zu erreichen.
Im Beschäftigungskapitel des EG-Vertrages wird noch auf eine andere Möglichkeit hingewiesen, wie in der Europäischen Gemeinschaft die Beschäftigung gefördert werden kann: Art. 129 EGV: Der Rat kann ... Initiativen beschließen, die darauf abzielen, den Austausch von Informationen und bewährten Verfahren zu entwickeln, vergleichende Analysen und Gutachten bereitzu-
26 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend stellen sowie innovative Ansätze zu fördern und Erfahrungen zu bewerten, und zwar insbesondere durch den Rückgriff auf Pilotverfahren.
Alle diese Maßnahmen sind notwendig. Niemand wird bestreiten, dass es erforderlich ist, die Menschen besser auszubilden und bisher nicht qualifizierte Arbeitskräfte auf einen Beruf vorzubereiten. Nur so haben sie eine Chance, einen Arbeitsplatz zu erhalten. In einer Zeit der technischen Revolution und der Globalisierung der Märkte muss man den Arbeitskräften zumuten, flexibel zu sein. Häufig ist es auch für ausgebildete Arbeitskräfte erforderlich, sich weiter zu bilden. Die Sicherung eines Arbeitsplatzes verlangt u. U. einen Ortswechsel, so schwierig das für eine Familie im Einzelfall auch sein mag. Gewerkschaftliche Rahmenverträge am Arbeitsmarkt und individuelle Arbeitsverträge, aber auch das Verhalten der Unternehmen, soziale Aspekte dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, müssen den rasanten Veränderungen in der Wirtschaft gerecht werden. Auch der Austausch zwischen den Mitgliedstaaten der EU und damit der EWU über bewährte Verfahren bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist hilfreich. Aber alle diese notwendigen Maßnahmen können die hohe Arbeitslosigkeit nur marginal verbessern. Chancen für einen nachhaltigen Abbau eröffnen sich nur, wenn eine - koordinierte - Wirtschaftspolitk im EWU-Raum praktiziert wird, die auf national unterschiedlichen, aber im EWU-Raum einheitlichen gesamtwirtschaftlichen Größen beruht. Das wirtschaftspolitische "Grundgesetz" der EU, der EG-Vertrag, sieht das nicht vor. Im Gegenteil, immer wieder wird die Priorität nationaler Wirtschaftspolitik vor einer Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft hervorgehoben. Selbst bei dem im Artikel 129 EG-Vertrag vorgesehenen Informations- und Erfahrungsaustausch wird dies deutlich. Art. 129 EGV: ... Diese Maßnahmen schließen keinerlei Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ein.
Nun wird der Weg zu einer einheitlichen Beschäftigungsstrategie, auf den hingearbeitet werden soll, wie alles, was multina-
11. Die drei Säulen des Beschäftigungspaktes
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tional zu vereinbaren ist, lang sein. Das Problem ist allerdings, dass die hohe Arbeitslosigkeit zu einer Lösung drängt.
11. Die drei Säulen des Beschäftigungspaktes Das Beschäftigungskapitel der Artikel 125 ff wurde 1997 in den EG-Vertrag aufgenommen. In der Zeit danach haben sich die Staats- und Regierungschefs sowie die Kommission bemüht, die Bestimmungen des Vertrages umzusetzen. Sie sind dabei Schritt für Schritt vorgegangen. Zunächst trafen sich die Staats- und Regierungschefs im November 1997 zu einem Beschäftigungsgipfel in Luxemburg. Gegenstand der Beratungen und auch der Beschlüsse war, die im Beschäftigungskapitel des EG-Vertrages Artikel 125 erwähnte Koordinierte Beschäftigungsstrategie umzusetzen und weiter zu entwickeln. Indem man bestrebt war, die Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern, den Unternehmergeist und die Anpassungsflihigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer zu verbessern, half man, die Effizienz der Arbeitsmärkte zu fördern. Außerdem beschloss man, die Frauen gleichberechtigter am Erwerbsleben teilnehmen zu lassen. Die Staats- und Regierungschefs bezeichneten diese Beschlüsse des Treffens als Luxemburg-Prozess. Er ist die eine Säule des Beschäftigungspaktes. Auf dem Europagipfel im Juni 1998 in Cardiff widmete man sich dem Problem umfassender struktureller Reformen und der Modernisierung der Märkte. Dies geschah mit dem Ziel, die Innovationsfähigkeit und die Effizienz der Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalmärkte zu verbessern. Diese dort gefassten Beschlüsse werden als Cardiff-Prozess bezeichnet. Er ist die zweite Säule des Beschäftigungspaktes. Ein Jahr später, im Juni 1999 wird ein weiterer Schritt getan, um die Koordinierung der Wirtschaftspolitik und das wechselseitige Zusammenwirken von Lohnentwicklung sowie Geld-, Haushalts- und Finanzpolitik zu verbessern. Das Ziel ist, auf diese Weise eine nachhaltige nicht-inflationäre Wachstumsdynamik freizusetzen. Das Instrument dies zu erreichen ist ein Makroökonomischer Dialog. Zum ersten Male werden damit
28 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
makroökonomische Betrachtungen eingebracht, um das Beschäftigungsproblem zu lösen. Man bezeichnet diese Beschlüsse als Köln-Prozess. Er ist die dritte Säule des Beschäftigungspaktes. Diese drei Säulen bilden zusammen den Beschäftigungspakt. Der Europäische Rat, die Staats- und Regierungschefs, haben diese im Rahmen dreier Gipfelkonferenzen gefassten Beschlüsse als umfassendes Gesamtkonzept bezeichnet. Köln Zi 7: Im Europäischen Beschäftigungspakt werden alle beschäftigungspolitischen Maßnahmen der Union in ein umfassendes Gesamtkonzept eingebunden. Der Europäische Rat unterstützt die drei Säulen des Europäischen Beschäjtigungspaktes und sieht darin auf längere Dauer angelegte und aufeinander abgestimmte Prozesse.
An diesem Konzept des Beschäftigungspaktes hält der Europäische Rat nach wie vor fest. Die drei Säulen dieses Paktes sind für ihn nach wie vor hinreichend. Liss Zi 35: Ein neuer Prozeß ist nicht erforderlich. Die bestehenden Grundzüge der Wirtschaftspolitik und der Luxemburg-. der Cardiffund der Köln-Prozeß bieten die erforderlichen Instrumente. sofern diese vereinfacht und besser koordiniert werden• ...
Diese Feststellung gilt auch für das "neue strategische Ziel", das wirtschaftliche Wachstums potential, die Beschäftigung sowie den sozialen Zusammenhalt zu fördern und zu einer wissensbasierten Wirtschaft überzugehen. Der Europäische Rat betont, dass diese Themen im einzelnen im Rahmen des Cardiff- und des Luxemburg-Prozesses behandelt werden können. Die für eine Verringerung der Arbeitslosigkeit notwendigen makroökonomischen Rahmenbedingungen werden durch den Beschäftigungspakt nicht gesetzt. Es besteht die Hoffnung, dass weitere Gipfelkonferenzen - auch hier Schritt für Schritt - sich dieses Themas über den makroökonomischen Dialog hinaus annehmen werden.
III. Der Luxemburg-Prozess
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III. Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Luxemburg-Prozess Die Schlussfolgerungen, die die Staats- und Regierungschefs nach den Gipfelkonferenzen ziehen und das gilt nicht nur für den Luxemburg-Gipfel, enthalten zum Beschäftigungsproblem zunächst einmal eine weitgehende Wiederholung des Inhalts der Bestimmungen des Beschäftigungskapitels im EG-Vertrag. Dabei wird wiederum zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien betont: Lux N Zi 14: Sie müssen das Subsidiaritätsprinzip sowie die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, einschließlich der ihrer regionalen Gebietskörperschaften, im Bereich der Beschäftigung wahren und mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitk vereinbar sein.
Subsidiarität bedeutet, dass wirtschaftspolitische Maßnahmen, wenn das rechtlich möglich ist, von der Ebene getroffen werden sollen, die der Bevölkerung am nächsten ist. In Deutschland z. B. sind das die Kommunen, gefolgt von den Bundesländern und dem Bund. Nur was auf diesen Ebenen nicht geregelt werden kann, obliegt der Europäische Kommission. Die Tatsache, dass im Nebensatz der Ziffer 14 (Lux N) betont wird, "einschließlich der ihrer regionalen Gebietskörperschaften" zeigt, dass Regionen, vor allem die deutschen Bundesländer, auf eigenen Kompetenzen beharren. Dadurch werden die Bestrebungen der Europäischen Kommission Maßnahmen vorzuschlagen, um die Arbeitslosigkeit zu verringern, erschwert. Unter diesen Umständen bleibt den Staats- und Regierungschefs nicht viel mehr übrig, als an alle Beteiligten, in erster Linie an die Mitgliedstaaten, Appelle zu richten. Dabei betonen sie, Lux N Zi 3: ... daß für die Beschäftigung wie für die Wirtschaftspolitik derselbe Wille zur Konvergenz im Hinblick auf gemeinsam beschlossene. überprüjbare und regelmäßig aktualisierte Ziele aufgebracht wird.
In der Tat ist der Wille der Mitgliedstaaten, gemeinsam formulierte Ziele mit nationalstaatlichen Maßnahmen zu erreichen, entscheidend. Den Gremien stehen nämlich außer gemeinsam beschlossenen Empfehlungen an einen Staat keine Mittel zur Verfügung, Beschlüsse durchzusetzen.
30 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
Die Staats- und Regierungschefs sind sich durchaus darüber im klaren, dass eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik, so auch eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik, das Zusammenwirken aller die Märkte beeinflussenden Kräfte erfordert. Aber auch hier bleibt weitgehend nur das Instrument der Appelle. Lux N Zi 7: Der Europäische Rat ruft alle Beteiligten - die Mitgliedstaaten, die Regionen, die Sozialpartner, die Organe der Gemeinschaft - dazu auf, die einmalige Gelegenheit, die sich heute bietet, zu ergreifen, um den Lauf der Dinge zu ändern und sich dem neuen kohärenten und entschlossenen Vorgehen anzuschließen, das der Europäische Rat in diesen Schlußfolgerungen darlegt.
Zu den wichtigen Voraussetzungen jeder erfolgreichen Wirtschaftspolitik gehört - wie es der Europäische Rat ausdrückt ein gesunder gesamtwirtschaftlicher Rahmen. Lux N Zi 10: Was den gesamtwirtschaftlichen Rahmen anbelangt. so ist es für die Union wesentlich. eine auf Stabilität, auf die Sanierung der Staatsjinanzen. auf maßvolle Lohnabschlüsse und auf Strukturreformen gerichtete Wachstumspolitik weiterzuführen.
Stabilität, genauer gesagt Preisstabilität, ist eine Grundforderung der Menschen. Voraussetzungen für Preisstabilität zu schaffen, ist vornehmlich Sache des Europäischen Systems der Zentralbanken. Man sollte beurteilen können, wie sich die Geld- und Kreditpolitik des ESZB in die wirtschaftspolitische Gesamtkonzeption einfügt. Das aber setzt einen quantitativen makroökonomischen Rahmen der relevanten Größen voraus. Das gilt auch für die so wichtige Sanierung der Staatsfinanzen. Die hier zu ergreifenden Maßnahmen, um die Defizite öffentlicher Haushalte zu begrenzen und den Schuldenanstieg abzubremsen, müssen sich in das Gesamtbild einer konjunkturellen Entwicklung einpassen. Ohne ein solches quantitatives Bild der wirtschaftlichen Entwicklung vor Augen ist es auch nicht möglich zu bewerten, ob ein Lohnabschluss maßvoll ist oder nicht. Eine Lohnsteigerungsrate von 2% kann unter gegebener wirtschaftlicher Entwicklung sehr maßvoll oder auch maßlos sein. Strukturreformen im Hinblick auf mehr Flexibilität und Anpassungsflihigkeit an den Märkten lassen sich eher in einem konjunkturellen Aufschwung als in Zeiten rezessiver wirtschaftlicher Entwicklung durchsetzen.
III. Der Luxemburg-Prozess
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Die allgemeinen Feststellungen des Europäischen Rates zum gesunden gesamtwirtschaftlichen Rahmen sind notwendig. Ohne ein quantitatives Gerüst eines solchen Konzepts geben sie den Teilnehmern - Mitgliedsländern, Kommission und Sozialpartnern - jedoch keinen Maßstab für ihr Handeln. Der Mangel an vergleichbaren statistischen Daten, um die Maßnahmen der Mitgliedstaaten mit den Vorgaben der Gemeinschaft vergleichen und beurteilen zu können, ist den Staatsund Regierungschefs durchaus bewusst. Sie haben daher beschlossen: Lux N Zi 17: Der Europäische Rat verweist darauf, wie wichtig gemeinsame, anhand vergleichbarer statistischer Daten erarbeitete Indikatoren sind, damit die Beschäjtigungspolitiken wirksam verfolgt und bewertet und die vorbildlichen Verfahren ermittelt werden können. Der Europäische Rat hat sich damit einverstanden erklärt, dass die für diese Zwecke vorgesehenen Instrumente und Mittel rasch angenommen und zur Anwendung gebracht werden.
Dieser Beschluss wurde im November 1997 gefasst. Im August 1998 wurde auf dem Cardiff-Gipfel festgestellt, dass noch weitere Arbeiten erforderlich sind, "um, soweit nötig, vergleichbare Fortschrittsindikatoren festzulegen ... " (Card Zi 14). Auf der Gipfelkonferenz in Wien im Dezember 1998 begrüßten die Staats- und Regierungschefs die in Bezug auf gemeinsame Leistungs- und Politikindikatoren erzielten Fortschritte. Sie ersuchten die Kommission und die Mitgliedstaaten, "sich rechtzeitig vor der Tagung des Europäischen Rates in Köln auf eine Definition aller einschlägigen Indikatoren zu einigen." (Wien Zi 33). Auf dieser Kölner Tagung, die im Juni 1999 stattfand, stellten die Staats- und Regierungschefs fest: Köln Zi 12: Der Europäische Rat begrüßt den Bericht der Kommission zu den Beschäftigungsindikatoren und bittet die Kommission und die Mitgliedstaaten, ihre Arbeiten daran fortzusetzen.
Auch auf dem Gebiet der Statistik mahlen die Mühlen langsam; aber für den Integrationsprozess in Europa ist allein entscheidend, dass sie mahlen. Erst die Ergebnisse werden zeigen, welche Statistiken und Indikatoren die Instanzen der EU und die Mitgliedstaaten für notwendig halten. Sollten die Ergeb-
32 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
nisse nicht befriedigen, so können sie in einer neuen Beratungsrunde ja durchaus verbessert werden. Wenn von dem Beschäftigungsgipfel im November 1997 von einem Luxemburg-Prozess gesprochen wird, der der Koordinierung der Beschäftigungspolitik diente, so bezieht sich das offensichtlich auf die dort beschlossenen Leitlinien 1998. Diese haben vier Ziele: Lux N Zi 22: Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, Entwicklung des Unternehmergeistes, Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer, damit der Arbeitsmarkt auf die wirtschaftlichen Veränderungen reagieren kann. sowie Stärkung der Maßnahmen für Chancengleichheit.
Beim ersten Ziel, mit dem die Beschäftigungsfähigkeit verbessert werden soll, stehen Maßnahmen im Vordergrund, mit denen die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und Langzeitarbeitslosigkeit verhütet werden soll. Nur bei diesem Thema gibt es konkrete quantitative Vorgaben. Die Mitgliedstaaten der EU sind aufgerufen, entsprechende vorbeugende Strategien auszuarbeiten, Lux N Zi 49: ... damit binnen einer von jedem Mitgliedstaat festzulegenden Frist. die fünf Jahre nicht überschreiten darf, in Mitgliedstaaten mit besonders hoher Arbeitslosigkeit aber länger sein kann. Lux N Zi 50: - allen Jugendlichen ein Neuanfang in Form einer Ausbildung. einer Umschulung. einer Berufserfahrung. eines Arbeitsplatzes oder einer anderen die Beschäftigungsfähigkeit fördernden Maßnahme ermöglicht wird. ehe sie sechs Monate lang arbeitslos sind; Lux N Zi 51: - den arbeitslosen Erwachsenen durch eines der vorgenannten Mittel oder genereller durch individuelle Betreuung in Form von Berufsberatung ebenfalls ein Neuanfang ermöglicht wird. ehe sie zwölf Monate lang arbeitslos sind.
Quantitativ festgelegt wurde durch die Staats- und Regierungschefs auch der Prozentsatz der Arbeitslosen, denen eine Ausbildung oder eine entsprechende Maßnahme angeboten wird. Als Ziel vorgabe wurde festgelegt, Lux N Zi 54: ... eine schrittweise Annäherung an den Durchschnitt der drei erfolgreichsten Mitgliedstaaten. mindestens aber einen Anteil von 20 Prozent zu erreichen.
III. Der Luxemburg-Prozess
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Solche Initiativen des Europäischen Rates sind zu begrüßen. Bei den langen Fristen, die man den Mitgliedstaaten einräumt, um diese Zielvorgaben zu erreichen, darf man von solchen Maßnahmen nicht erwarten, dass die Arbeitslosigkeit spürbar verringert wird. Solange es an einem angemessenen Wirtschaftswachstum fehlt, wird die Beschäftigung kaum erhöht werden können. So sind Mitgliedstaaten der Aufforderung des Europäischen Rates gefolgt und haben z. B. die Wirtschaft ihres Landes gebeten, Jugendliche einzustellen. Die Unternehmen sind in der Regel einem solchen Wunsch ihrer Regierung gefolgt. Aber angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen Lage wurden zusätzliche Arbeitsplätze nicht benötigt. So erhielten zwar Jugendliche Arbeitsplätze, andererseits wurden jedoch ältere Arbeitskräfte entlassen oder in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Regierungen konnten dann auf den "Erfolg" dieser Maßnahme hinweisen: Die Arbeitslosenquote war gesunken. Das lag aber nicht an einer höheren Beschäftigung, sondern allein an der Statistik. Die eingestellten Jugendlichen erhöhen die Zahl der Erwerbstätigen. Die in den vorzeitigen Ruhestand entlassenen Arbeitskräfte werden nicht als arbeitslos registriert. Die Mitgliedstaaten wurden ferner aufgefordert, die Qualität des Schulsystems zu verbessern sowie Lehrlingsausbildungssysteme einzurichten oder auszubauen. Damit soll der Übergang von der Schule zum Beruf erleichtert werden. Der Europäische Rat ist davon überzeugt, dass mit den Maßnahmen der Mitgliedstaaten allein die vorgegebenen Ziele nicht zu erreichen sind. Er appelliert daher an die Sozialpartner, das ihre zu tun, um zusätzliche Möglichkeiten für Ausbildung, Berufserfahrung, Praktika oder sonstige Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit zu schaffen. Das zweite Ziel, die Entwicklung des Unternehmergeistes, setzt an einem Punkt an, der in der Tat ein Investitionshemmnis darstellt: unklare, sich schnell ändernde und damit unberechenbare gesetzliche Vorschriften. Der Europäische Rat fordert daher klare, dauerhafte und berechenbare Vorschriften. Risikomärkte sollen entwickelt werden und die Mitgliedstaaten sollen die Gründung neuer Unternehmen erleichtern. 3 Köhler
34 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Unternehmergeistes, aber auch an vielen anderen Stellen der Beschlüsse des Europäischen Rates, wird eine "Umkehr des langfristigen Trends zu einer höheren Steuer- und Abgabenlast der Arbeit" (Lux N Zi 66) gefordert. Spätestens hier stellt sich die Frage nach der Konsistenz aller Beschlüsse. Die vielen vorgesehenen Maßnahmen, um die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern, erfordern zusätzliche finanzielle Mittel, die die öffentlichen Haushalte belasten. Die schlechte Beschäftigungslage hat zu einer Knappheit dieser Mittel geführt. Die vom Europäischen Rat verlangte Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung wird die Lage öffentlicher Haushalte noch mehr anspannen. Daher ist Zweifel angebracht, ob alle gefassten Beschlüsse auch finanzierbar sind. Dem Europäischen Rat kann man zugute halten, dass ihm eine Konsistenzprüfung auch nicht möglich ist. Die gefassten Beschlüsse sind dazu nicht konkret genug, bestehen sie doch größtenteils aus Appellen. Beim dritten Ziel, der Förderung der Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und ihrer Arbeitnehmer, geht es vornehmlich um die Modernisierung der Arbeitsorganisation. Die Mitgliedstaaten sollen prüfen, ob es zweckdienlich wäre, in den Rechtsvorschriften anpassungsfähigere Formen von Arbeitsverträgen vorzusehen. Adressat für eine modernere Arbeitsorganisation sind die Sozialpartner. Sie werden ersucht, Vereinbarungen über anpassungsfähige Arbeitsregelungen zu treffen. Die Staats- und Regierungschefs erwähnen dabei Regelungen von lahresarbeitszeiten, Arbeitszeitverkürzungen, Reduzierung der Überstunden, Ausbau der Teilzeitarbeit, lebenslange Weiterbildung und Unterbrechung der Erwerbstätigkeit. Um die Anpassungsfähigkeit der Unternehmen zu fördern, sollen die Kenntnisse und Fertigkeiten der Beschäftigten in den Unternehmen verbessert werden. Hemnisse, insbesondere steuerliche, die Investitionen in Humankapital entgegenstehen, sollen von den Mitgliedstaaten überprüft werden. Anreize für eine innerbetriebliche Fortbildung wären zu schaffen.
IV. Der Cardiff-Prozess
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Das vierte Ziel ist darauf gerichtet, Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern herzustellen. Der Europäische Rat fordert, die Diskriminierung von Frauen zu bekämpfen. Lux N Zi 74: Die Mitgliedstaaten sollten ihren Willen zur Förde-
rung der Chancengleichheit durch eine Erhöhung der Frauenbeschäjtigungsquote zum Ausdruck bringen.
Die Mitgliedstaaten sind auch aufgerufen, das Gefalle zwischen der Arbeitslosigkeit von Frauen und von Männern zu vermindern. Der Europäische Rat stellt auch Forderungen auf, um Beruf und Familie zu vereinbaren. So soll es möglich sein, die Erwerbstätigkeit zu unterbrechen, Elternurlaub zu gewähren und Teilzeitarbeit zu leisten. Konsequent fordern die Staatsund Regierungschefs: Lux N Zi 76: ... Es muß ein angemessenes Angebot an guten Betreuungs- und Pflegedienstleistungen für Kinder und andere Familienangehörige geschaffen werden, um Frauen und Männern den Zugang zum Arbeitsmarkt und das Verbleiben im Erwerbsleben zu erleichtern.
Das ist gut gemeint, aber die Probleme, bei Arbeitsunterbrechung den Anschluss an die wirtschaftlich-technische Entwicklung nicht zu verlieren, sind nach wie vor ungelöst. Der Europäische Rat bemerkt dazu nur, die Mitgliedstaaten sollen prüfen, wie sich die Hindernisse, die dem im Wege stehen, schrittweise beseitigen lassen. Der Europäische Rat wünscht ferner, die Eingliederung Behinderter in das Erwerbsleben zu fördern. Er bittet die Mitgliedstaaten den Schwierigkeiten, denen Behinderte bei der Eingliederung in das Erwerbsleben begegnen können, besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
IV. Modernisierung der Märkte der CarditT-Prozess Bei der Behandlung der Beschäftigungsprobleme durch die Staats- und Regierungschefs der EU im Juni 1998 lag ein Schwergewicht beim Binnenmarkt. Der Europäische Rat will den europäischen Binnenmarkt als einen Motor nutzen, um
36 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
neue Arbeitsplätze zu schaffen. Er betonte, dass der Binnenmarkt in der Vergangenheit modernisiert, ausgedehnt und vereinfacht worden ist. Card Zi 17; ... Damit der Binnenmarkt seinen vollen Beitrag zu Wettbewerbsfähigkeit. Wachstum und Beschäftigung leisten kann. muß noch mehr unternommen werden.
Dazu zählt eine statistische Analyse der Marktintegration, bei der auch die Unterschiede in den Preisniveaus deutlich werden sollen ("Binnenmarktanzeiger"). Diese Analyse dient dazu sicherzustellen, dass den Verbrauchern die niedrigen Preise in vollem Umfang zugute kommen, die mit dem Binnenmarkt und der EWU einhergehen. Noch immer sind die Binnenmarktrichtlinien noch nicht in jedem Mitgliedstaat in einzelstaatliche Rechtsvorschriften umgesetzt. Der Europäische Rat verlangt, dies unverzüglich nachzuholen. Überdies sollten in den Bereichen der Normung und der öffentlichen Auftragsvergabe Verbesserungen erzielt werden. Das Gleiche gilt für den Bereich der Finanzdienstleistungen, in dem Schwachstellen ermittelt und durch Änderung der Rechtsvorschriften beseitigt werden sollen. Beeinträchtigt wird die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes immer wieder durch einen schädlichen Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten und durch Beihilfen. Diese Beschlüsse zur Modernisierung des Binnenmarktes stellen einen der auch in der Vergangenheit vorgenommenen kleinen Schritte dar, mit denen sich der Integrationsprozess vorwärts bewegt. Die in Cardiff außerdem verkündeten strukturellen Reformen sind nur eine Wiederholung der Beschlüsse von Luxemburg. Card Zi 15; Für unsere künftige Arbeit auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik werden folgende Leitlinien gelten; - verstärkte Heranbildung qualifizierter und anpassungsfähiger Arbeitskräfte• ...• - verstärkte Maßnahmen zur Herstellung der Chancengleichheit ... von Männern und Frauen . ..• - Bekämpfung der Diskriminierung von Behinderten. ethnischen Minderheiten und anderen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen;
V. Der Köln-Prozess
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- Förderung neuer Fonnen der Arbeitsorganisation mit dem Ziel, Flexibilität und Arbeitsplatzsicherheit miteinander zu verbinden; - Überprüfung der Steuer- und Sozialsysteme ... ; - Entwicklung einer Kultur des Untemehmergeistes ... ;
Die Frage liegt nahe, welchen Sinn es macht, Leitlinien, die bereits in früheren Gipfelkonferenzen aufgestellt worden waren, in späteren Gipfelkonferenzen zu wiederholen. Ein solches Vorgehen ist notwendig. Der Europäische Rat listet damit die Punkte auf, über die die Kommission sich rechtfertigen muss. Card. Zi 25: Die Kommission wird ersucht, vor der Tagung des Europäischen Rates in Wien über die Fortschritte in allen diesen Bereichen Bericht zu erstatten.
Die Staats- und Regierungschefs erhalten auf diese Weise einen kontinuierlichen Überblick über die Eintwicklung auf den Gebieten, die sie relevant für den Integrationsfortschritt gehalten haben und halten. Forderungen des Europäischen Rates und die Wiederholung dieser Forderungen von Treffen zu Treffen. sind ein Mittel, den Integrationsprozess nicht einschlafen zu lassen, sondern voranzutreiben.
v.
Makroökonomischer Dialog - der Köln-Prozess
Der Beschäftigungspakt, der mit den Beschlüssen des Europäischen Rates auf dem Beschäftigungsgipfel im November 1997 und auf dem Gipfeltreffen in Cardiff im Juni 1998 vorbereitet worden war, wurde mit Beschlüssen zu einem Makroökonomischen Dialog anlässlich des Treffens der Staats- und Regierungschefs im Juni 1999 in Köln vorläufig abgeschlossen. In vielen Treffen des Europäischen Rates wurde darauf hingewiesen, die Koordinierung in der Wirtschaftspolitik zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zu verstärken. Auf dem Treffen des Europäischen Rates in Wien im Dezember 1998 wurde im Rahmen einer "Wiener Strategie für Europa" gefordert: Wien Zi 18: Die Wirtschaftspolitiken in der WWU müssen sich auf eine enge Koordinierung unter Einbeziehung aller Akteure, gegebenenfalls einschließlich der europäischen Sozialpartner stützen.
38 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
Den Staats- und Regierungschefs ging es darum, eine solche Koordinierung durch einen regelmäßigen Makroökonomischen Dialog zu verbessern. Dies wurde auf dem Kölner Treffen erreicht. Dort wurde beschlossen: Köln P Zi 5: Für ein starkes Beschäftigungswachstum bei Preisstabilität müssen Finanzpolitik, Geldpolitik und Lohnentwicklung dauerhaft spannungsfrei zusammenwirken. . .. In einem makroökonomischen Dialog auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens sollten in geeigneter Weise Informationen und Meinungen zu der Frage ausgetauscht werden, wie die gesamtwirtschaftliche Politik zu gestalten ist, damit die Möglichkeiten für Wachstum und Beschäftigung ausgebaut und voll ausgeschöpft werden können.
Der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister hat dem Europäischen Rat dazu ein zweistufiges Verfahren vorgeschlagen. Zunächst sollen die jeweilige aktuelle Entwicklung und die Voraussetzungen für einen Policy-Mix auf fachlicher Ebene erörtert werden. Das geschieht in einer Arbeitsgruppe im Rahmen des Ausschusses für Wirtschaftspolitik. An ihr sollen auch Vertreter des Ausschusses für Beschäftigung und Arbeitsmarkt, der makroökonomischen Gruppe des Sozialen Dialogs, der Europäischen Zentralbank und der Kommission beteiligt sein. Das so geschaffene Gremium sollte Empfehlungen zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik abgeben. Es soll sich auch äußern, sobald die Herbstprognose und der Jahreswirtschaftsbericht der Kommission vorliegen. Mit den politischen Entscheidungsträgern ist dann ein Gedankenaustausch vorgesehen, der zweimal im Jahr stattfinden soll. Die zweite Tagung wird so terrninlich vereinbart, dass der Europäische Rat die Ergebnisse des Dialogs in seinen Schlussfolgerungen berücksichtigen kann. Von diesem Verfahren verspricht sich der Europäische Rat, dass nicht nur das Zusammenwirken zwischen Mitgliedstaaten verbessert wird, sondern die Geldpolitik, die Finanzpolitik und die Einkommspolitik der Sozialpartner zielgerecht auf eine höhere Beschäftigung bei Preisstabilität gestaltet werden können. Köln P Zi 2: ... der Makroökonomische Dialog ... soll die Voraussetzungen für einen auf Wachstum und Beschäftigung bei Preisstabi-
v.
Der Köln-Prozess
39
lität ausgerichteten und auf Zusammenarbeit gegründeten gesamtwirtschaftlichen Policy-Mix verbessern.
Es ist nahe liegend, dass ein solcher Makroökonomischer Dialog für die elf Länder, die sich zu einer Europäischen Währungsunion zusammengeschlossen haben, bedeutsamer ist als für die EU-Länder, die der EWU noch nicht angehören. Köln Zi 20: Im Euro-Bereich wird die Verstärkung des Dialogs in der Euro-I I-Gruppe einen Beitrag zur Verwirklichung eines besser ausgewogenen Policy-Mix leisten.
Ein Makroökonomischer Dialog kann dazu beitragen, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen der beteiligten Gruppen zu fördern. Er ersetzt allerdings keine einheitliche makroökonomische Wirtschaftspolitik. Eine Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog ist, dass der Kreis der Beteiligten an einem solchen Dialog nicht zu groß ist. Das folgende Schema zeigt noch einmal die Grundkonzeption des Makroökonomischen Dialogs.
Halbjährliche Zusammenkunft
• Europ.)ib8~geber
Europ. Gewerksch.
EZß Abb. 1: Grundkonzeption des Makroökonomischen Dialogs
40 B. Der Beschäftigungspakt: notwendig, aber nicht hinreichend
Beteiligt sollten grundsätzlich nicht mehr als ein bis zwei Vertreter jeder Gruppe sein. Den Vorsitz hätte das Ratsmitglied des Landes, das zum Zeitpunkt der Sitzung den Vorsitz des Europäischen Rates inne hat. Die übrigen zwei Ratsmitglieder gehören den Länder an, die zuvor und danach den Vorsitz im Europäischen Rat ausgeübt haben bzw. ausüben werden. Am Dialogtisch sitzen außerdem die Vertreter der Europäischen Gewerkschaften und der Europäischen Arbeitgeber sowie der Europäischen Zentralbank. Für die Vertreter der Europäischen Gewerkschaften und der Arbeitgeber ergibt sich die Schwierigkeit, Ergebnisse dieses Makroökonomischen Dialogs ihren Organisationen in den Mitgliedländern zu übermitteln. Denn nur wenn in den elf Mitgliedstaaten der EWU ein im Makroökonomischen Dialog als strategiegerecht erkanntes Verhalten umgesetzt wird, kann die Wirtschaftspolitik in der EWU erfolgreich sein. Immer wieder muss man betonen, dass Fortschritte im Integrationsprozess in Europa sich nur in sehr kleinen Schritten vollziehen. Ein solcher Minischritt ist der Beschäftigungspakt. Ein Makroökonomischer Dialog ersetzt keine makroökonomische Politik. Auch noch so gute Formulierungen können darüber nicht hinwegtäuschen. Köln Ber, S. 524: Der Europäische Beschäftigungspakt verbindet den makroökonomischen Policy-Mix, die koordinierte Beschäftigungsstrategie des Luxemburg-Prozesses und die Wirtschaftsreformen des Cardiff-Prozesses zu einem wirtschaftspolitischen Dreiklang.
Die Wirtschaftspolitik in der EWU bedarf quantitativer Orientierungsgrößen, an denen sich die Mitgliedsländer, unter Wahrung ihrer Zuständigkeiten, das Europäische System der Zentralbanken, unter Wahrung seiner Unabhängigkeit und die Sozialpartner, unter Wahrung ihrer Tarifautonomie, in ihrem Handeln ausrichten können.
c.
Angemessenes Wirtschaftswachstum notwendig und unabdingbar J. Der Maßstab: die Wachstumsrate des Produktionspotentials
Wenn die Arbeitslosigkeit in einer Volkswirtschaft, so also auch in den Volkswirtschaften der EWU, verringert werden soll, dann muss das reale Bruttoinlandsprodukt BIP angemessen wachsen. Dieses Faktum gehört zum kleinen Einmaleins der Volkswirtschaftslehre. Aber was bedeutet angemessen? Maßstab hierfür ist die Wachstumsrate des Produktionspotentials. Unter dem Produktionspotential einer Volkswirtschaft versteht man das - fiktive - reale BIP, das produziert werden könnte, wenn die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital optimal ausgelastet wären, wenn also ein hohes Beschäftigungsniveau und eine optimale Auslastung der Sachkapazitäten gegeben wären. "Beim Produktionspotential handelt es sich um ein Meßkonzept, das den gesamtwirtschaftlichen Output bei einer nonnalen Auslastung der Produktionsfaktoren zu ermitteln versucht." (Bofinger (1996), S. 254). Einen solchen Maßstab quantitativ zu gewinnen, ist recht schwierig. So überrascht es nicht, dass dafür ganz unterschiedliche Methoden angewandt werden. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verwendet einen Ansatz, der von den Sachkapazitäten ausgeht (SVR (1999), Anhang IV A, S. 284). Die Deutsche Bundesbank benutzt eine Cobb-Douglas-Funktion mit konstanten Elastizitäten (Dt. Bundesbk (1981), S. 37). Komplizierter sind Verfahren, bei denen nicht nur eine, sondern mehrere Produktionsfunktionen zugrunde gelegt werden. Ein solches vintage-capital-Produktionsmodell legte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung seinen Berechnungen eines Produktionspotentials zugrunde (DIW (1971), S. 268).
42
C. Angemessenes Wirtschaftswachstum
Es liegt nahe, dass bei so unterschiedlichen Verfahren auch die Ergebnisse unterschiedlich sind. Für Probleme der Wachstumsrate des Produktionspotentials sind diese konzeptionellen Unterschiede aber nicht wesentlich. Es interessiert nämlich nicht die absolute Höhe des Produktionspotentials, sondern allein die Wachstumsrate dieser Größe. Dabei hat sich gezeigt, dass die Unterschiede, die sich aus den verschiedenen Verfahren ergeben, im Zeitablauf relativ konstant sind. Das bedeutet, dass unabhängig vom benutzten Verfahren die ermittelten Wachstumsraten des Produktionspotentials sich nicht wesentlich unterscheiden. Die Bedeutung des Maßstabes Wachstumsrate des Produktionspotentials liegt darin, dass er es erlaubt zu beurteilen, ob die Arbeitslosigkeit sinkt, steigt oder unverändert bleibt. Das wird möglich bei einem Vergleich mit den tatsächlichen Zuwachsraten des realen BIP. ,,sind die Wachstumsraten der tatsächlichen Produktion niedriger als die Wachstumsraten des Produktionspotentials, dann sinkt der Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten. Umgekehrt steigt der Auslastungsgrad, wenn die tatsächliche Produktion stärker wächst als das Produktionspotential." (Cezanne (1993), S. 497). So gelten die Sätze: Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt unverändert, wenn die Zuwachsrate des realen BIP gleich ist der Wachstumsrate des Produktionspotentials. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, wenn die Zuwachsrate des realen BIP unter der Wachstumsrate des Produktionspotentials liegt. Die Arbeitslosigkeit wird sich nur verringern, wenn die Zuwachsrate des realen BIP die Wachstumsrate des Produktionspotentials übersteigt. Aus diesen Sätzen ergibt sich auch die Definition eines angemessenen Wirtschaftswachstum. Für den Fall - wie er in der EWU und den einzelnen Mitgliedstaaten gegeben ist -, dass Arbeitslosigkeit besteht, ist eine Zuwachsrate des realen BIP angemessen, die höher ist als die Wachstumsrate des Produktionspotentials. Für den Fall - der anzustreben ist -, dass ein hoher Beschäftigungsgrad bereits erreicht ist, ist eine Zuwachs-
1. Der Maßstab: die Wachstumsrate des Produktionspotentials 43
rate des realen BIP angemessen, die der Wachstumsrate des Produktionspotentials entspricht. Der Zusammenhang, der zwischen Wirtschaftswachstum und Veränderungen am Arbeitsmarkt besteht, soll mit Hilfe einer schematischen Übersicht erläutert werden: Jahr für Jahr nimmt in der EWU, ebenso in den meisten Mitgliedsländern das Angebot an Arbeitskräften zu. Ursache ist das Bevölkerungswachstum. Menschen, die vor 15 bis 20 Jahren geboren worden waren, drängen auf den Arbeitsmarkt. Auch Zuwanderungen von Menschen aus Nicht-Mitgliedländern der EWU spielen eine Rolle. Gedämpft wird dieses zusätzliche Arbeitsangebot durch die Erwerbspersonenquote, denn nicht alle im Arbeitsalter stehenden Menschen streben auch eine Arbeit an. Man muss sich allerdings darüber im klaren sein, dass es bei diesem zusätzlichen jährlichen Arbeitsangebot nur eine Alternative gibt. Entweder es gelingt, für diese Menschen zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen oder sie werden arbeitslos. Werden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, dann steigt entsprechend der gegebenen Arbeitsproduktivität das reale BIP, d. h. die Wirtschaft wächst. Von größerer Bedeutung für den Arbeitsmarkt als das Bevölkerungswachstum ist in der EWU der Produktivitätsfortschritt. Niemand kann verhindern, dass Menschen sich Gedanken darüber machen, wie sie ihr Leben verbessern und erleichtern
Abb. 2: Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt
44
c.
Angemessenes Wirtschaftswachstum
können. Das Ergebnis nennt sich technischer Fortschritt. Er führt zu einer zunehmenden Mechanisierung der Produktionsprozesse bis hin zur völligen Automatisierung. Wirtschaftlich hat das zur Konsequenz, dass der Mitteleinsatz für jeden Arbeitsplatz zunimmt. Die Kapitalintensität steigt. Jede Maschine und jeder Automat, der von Arbeitskräften bedient wird, stößt Produkte aus, und zwar mit fortschreitendem technischen Fortschritt mehr und mehr. Die Kapitalproduktivität steigt also auch. Beides zusammen, die Zuwachsrate der Kapitalintensität und die der Kapitalproduktivität determinieren die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität. Wenn Jahr für Jahr in der EWU und ihren Mitgliedstaaten die Arbeitsproduktivität zunimmt, dann bedeutet das, dass Jahr für Jahr weniger Arbeitskräfte benötigt werden, um das reale BIP des jeweiligen Vorjahres zu produzieren. Wiederum ergibt sich nur eine Alternative: Entweder es gelingt, für die Menschen, die im Produktionsprozess nicht mehr benötigt werden, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen oder sie werden arbeitslos. Werden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, dann steigt entsprechend der gegebenen Arbeitsproduktivität das reale BIP, d. h. die Wirtschaft wächst. Beides, die Zuwachsrate des Arbeitsangebots infolge Bevölkerungswachstums und die Zuwachsrate der Arbeitsproduktivität ergeben die Wachstumsrate des Produktionspotentials. Nur wenn das reale BIP mit der Wachstumsrate des Produktionspotentials fortschreitet, wird eine zusätzliche Arbeitslosigkeit vermieden. Verringert werden kann eine bestehende Arbeitslosigkeit aber nur, wenn die Fortschrittsrate des BIP höher ausfallt als die Wachstumsrate des Produktionspotentials. In der Gesellschaft gibt es teilweise Vorbehalte gegenüber einem Wirtschaftswachstum. Der Lebensstandard sei hoch genug und die Gesellschaft habe sich schon zu einer reinen Konsumgesellschaft entwickelt. Damit aber werden in erster Linie Verteilungsprobleme angesprochen. Das zusätzliche Wirtschaftswachstum führt zu einem zusätzlichen Einkommen in der Volkswirtschaft. Mit diesem Einkommen kann man einmal die Löhne der augenblicklich Beschäftigten erhöhen. Man kann
I. Der Maßstab: die Wachstumsrate des Produktionspotentials 45
es aber auch dazu verwenden, um bisher arbeitslosen Menschen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Das bedingt, dass sich die Einkommen der bisher Beschäftigten nicht erhöhen. Einen ähnlich positiven Beschäftigungseffekt erhält man, wenn trotz Wirtschaftswachstum die bisher Beschäftigten sich mit dem unveränderten Einkommen begnügen und dafür ihre Arbeitszeit verringern. Um den Produktionsprozess wie bisher aufrechtzuerhalten, muss die Verringerung der Arbeitszeit durch NeueinsteIlungen ausgeglichen werden. Die Beschäftigung nimmt zu. Theoretisch ließe sich die Beschäftigung auch ohne Wirtschaftswachstum erhöhen. Bei den bisher Beschäftigten würde die Arbeitszeit verringert. Um auf die Gesamtarbeitszeit in der Volkswirtschaft wieder zu kommen, müssten Arbeitslose eingestellt werden. Wenn die Aufwand-Ertragslage der Unternehmen nicht beeinträchtigt werden soll, dann müssen die Einkommen der bisher Beschäftigten entsprechend der Arbeitszeitverkürzung sinken. Die Senkung des Lebensstandards der bisher Beschäftigten ist schwer vermittelbar und wenig akzeptabel. An diesem Problem der Akzeptenz findet auch die Teilzeitarbeit ihre Grenze. Die Aufteilung einer Vollzeitstelle in zwei Teilzeitplätze ist für Unternehmen nur annehmbar, wenn sich dadurch ihre Aufwand-Ertragslage nicht ändert. Das bedeutet, die Teilzeitkräfte müssen sich in diesem Fall mit jeweils der Hälfte des Einkommens einer Vollzeitstelle begnügen. Wahrgenommen werden können solche Teilzeitstellen vor allem von jenen Arbeitskräften, die zum Familieneinkommen hinzu verdienen wollen. Mit hohen Einkommenseinbußen, durch Teilzeitarbeit verursacht, können Hauptverdiener nicht die Existenz ihrer Familie sichern. Ein spürbarer Abbau der Arbeitslosigkeit, bei dem das Einkommen ausreicht, das Lebensnotwendige zu decken, ist nur bei angemessenem Wirtschaftswachstum möglich. Es gibt noch einen weiteren gewichtigen Grund, ausreichendes Wirtschaftswachstum anzustreben und zu verwirklichen: die Aufrechterhaltung internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Wenn in irgend einem Land eine technische Entwicklung stattfindet,
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C. Angemessenes Wirtschafts wachstum
die dort die Arbeitsproduktivität ansteigen lässt, dann erhält dieses Land einen Kostenvorteil. Anderen Ländern droht dadurch ein Wettbewerbsnachteil. Will man ihn vermeiden, dann müssen auch die anderen Länder diese technische Entwicklung nachvollziehen. Das bedeutet Wirtschaftswachstum. Ein Land, dass in der technischen Entwicklung zurückbleibt, hätte zwar weniger oder kein Wirtschaftswachstum und damit auch keinen Konsumzuwachs, jedoch müsste es wegen nachlassender internationaler Wettbewerbsfahigkeit einen Anstieg der Arbeitslosen hinnehmen. Solange es auf der Welt Menschen gibt, die darüber nachdenken, wie sie das Leben erleichtern können und sich daraus technischer Fortschritt ergibt, ist Wirtschafts wachstum unvermeidlich, wenn weitere Fehlentwicklungen am Arbeitsmarkt verhindert werden sollen. Alle diese Zusammenhänge zwischen Wirtschaftswachstum und Veränderungen am Arbeitsmarkt sind selbstverständlich auch den Organen der EU bekannt. Dazu zählt insbesondere die Erkenntnis, dass Arbeitslosigkeit nur abgebaut werden kann, wenn die Zuwachsrate des BIP die Wachstumsrate des Produktionspotentials, als Summe der Zuwachsraten des Arbeitspotentials und der Arbeitsproduktivität, übersteigen. Zur Vorbereitung der Gipfelkonferenz des Europäischen Rates in Köln im Juni 1999 erhielten die Staats- und Regierungschefs einen Bericht von den Wirtschafts- und Finanzministern über den Europäischen Beschäftigungspakt. Darin wird betont, dass die gemeinsamen Anstrengungen durch ein umfassendes Konzept für ein starkes Binnenwachstum verstärkt werden müssen. Köln Ber, S 521: Der Europäische Beschäftigungspakt soll den Weg zum Abbau der Arbeitslosigkeit und für ein nachhaltiges Beschäftigungswachstum mit Wachstumsraten, die die Steigerungen der Arbeitsproduktivität und die Zunahme des Arbeitskräfteangebots erheblich übersteigen, bahnen.
Bei einem solchen Konzept muss danach gefragt werden, wie hoch die angemessene Zuwachsrate des BIP sein soll, um die Arbeitslosigkeit zurückzuführen ohne die Preisstabilität zu gefahrden. Dann ergibt sich die Anschlussfrage, in welchem Umfange Investitionen notwendig sind, um das Ziel eines ange-
11. Wirtschaftswachstum in den Beschlüssen der EU
47
messenen Wirtschaftswachstums zu erreichen. Folgerichtig heißt es in dem Bericht an den Europäischen Rat: Köln Ber, S. 521: Zugleich gilt es, ein hohes Investitionsniveau zu erreichen, damit über die Ausweitung der Produktionskapazitäten dauerhaft höhere Wachstumsraten und mehr Arbeitsplätze ennöglicht werden.
Ein solches Konzept erfordert eine gezielte Wachstumspolitik, um private und öffentliche Investitionen zu stimulieren und damit das Wirtschaftswachstum anzuregen. Bemerkenswert ist, dass diese Anregungen sich nicht in den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs niedergeschlagen haben.
11. Wirtschaftswachstum in den Beschlüssen der EU Wirtschafts wachstum spielt in den Beschlüssen auf den Gipfelkonferenzen der Staats- und Regierungschefs der EU eine wichtige Rolle. Allerdings bleibt es dabei bei allgemeinen Erklärungen. Einer Konkretisierung, wie sie notwendig wäre, um angemessenes Wirtschafts wachstum für die Mitgliedstaaten und die Kommission zu definieren, geht der Europäische Rat aus dem Wege. Im Mittelpunkt der Beschlüsse der EU und damit der EWU steht die Bestimmung im EG-Vertrag: Art. 2 EGV: Aufgabe der Gemeinschaft ist es, ... ein hohes Beschäftigungsniveau und ... ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, .,. zu fördern.
Die Formel beständiges, nicht-inflationäres Wachstum, ist geeignet, eine wirtschaftspolitische Strategie zu beschreiben. Beständiges Wachstum bedeutet, dass die Wirtschaftspolitik bei der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveau darauf abzielen soll, die wirtschaftliche Entwicklung zu verstetigen. Dies hat zu geschehen, ohne dass die Preisstabilität gefährdet wird. Implizit ist damit auch gesagt, dass die allgemeine Wirtschaftspolitik die Bemühungen der Europäischen Zentralbank, Preisstabilität aufrecht zu erhalten, zu unterstützen hat. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass diese Formel des EGVertrages in den Beschlüssen des Europäischen Rates auf den
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C. Angemessenes Wirtschaftswachstum
verschiedenen Gipfelkonferenzen immer wiederkehrt. So hat er in Amsterdam im Juni 1997 den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachturn und Veränderungen am Arbeitsmarkt betont: Amst, S. 787: Die Rückkehr zu einem anhaltend hohen, inflationsfreien Wachstum ist notwendig, um das Problem der Arbeitslosigkeit in der Gemeinschaft dauerhaft zu lösen ...
Auf der Gipfelkonferenz im Juni 1998 in Cardiff haben die Staats- und Regierungschefs dem Wirtschaftswachstum und der Beschäftigung sogar eine gewisse Priorität eingeräumt. Card Zi 11: Die Wirtschaftspolitik hat sich darauf zu konzentrieren, Wachstum und Beschäftigung zu fördern und makroökonomische Stabilität sowie eine effiziente Funktionsweise der Arbeits-, der Waren- und Dienstleistungs- sowie der Kapitalmärkte zu gewährleisten.
Im Juni 1999 hat der Europäische Rat im Zusammenhang mit dem Wirtschafts wachstum auf die Notwendigkeit des Zusammenwirkens aller Politikbereiche hingewiesen. Köln Zi 19: Er sieht den Schlüssel für nachhaltiges, nicht-inflationäres Wachstum und mehr Beschäftigung im abgestimmten Zusammenwirken einer wachstums- und stabilitätsorientierten makroökonomischen Politik mit umfassenden Strukturreformen auf der Ebene der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten.
Bei allen diesen Bekundungen ist es um so erstaunlicher, dass der Europäische Rat eine Konkretisierung des angemessenen Wirtschafts wachstum nicht vornahm. Aber offensichtlich scheut er eine direkte Wachstumspolitik. Vielmehr vertraut er auf Markteinflüsse, wenn bestimmte Rahmenbedingungen gegeben sind. Das wird in einem Beschluss deutlich, den er in Cardiff gefasst hat. Card Zi 9: Der Europäische Rat begrüßt die in allen Mitgliedstaaten erreichten Fortschritte auf den Gebieten der Preisstabilität, der gesunden öffentlichen Finanzen und der wirtschaftlichen Reform, die die Grundlage für mehr Wachstum, mehr Wohlstand und mehr Arbeitsplätze in ganz Europa bilden. Er bestätigt die Auffassung des Rates, daß gesunde wirtschaftliche Grunddaten und die in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik dargelegten soliden Politiken die Bedingungen für eine weitere Stärkung des Aufschwungs und dessen
II. Wirtschaftswachstum in den Beschlüssen der EU
49
Überführung in einen mittel- und langfristigen Prozeß eines sich selbst tragenden inflationsfreien Winschaftswachstums als Voraussetzung für eine wesentlich und dauerhaft höhere Beschäftigungsrate bieten.
Wenn in den vorangehenden Ausführungen beklagt wurde, dass der Europäische Rat von einer Konkretisierung angemessenem Wirtschaftswachstums absah, so wird an dem in Cardiff gefassten Beschluss deutlich, warum das geschah. Der Europäische Rat verfolgt ein anderes Konzept als das einer direkten Wachstumspolitik. Allgemein anerkannt werden dürfte sein Hinweis auf den kausalen Zusammenhang zwischen einern sich selbst tragenden inflationsfreien Wirtschaftswachstum und der daraus folgenden wesentlich und dauerhaft höheren Beschäftigungsrate. Problematisch aber ist die Vorstellung, dass allein gesunde wirtschaftliche Grunddaten und solide Politiken zu einern angemessenem Wirtschaftswachstum führen werden. Preisstabilität, gesunde öffentliche Finanzen und wirtschaftliche Reformen sind notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingungen, ein angemessenes Wirtschaftswachstum sicherzustellen und damit die Arbeitslosigkeit zu verringern. Auf das Konzept gesunder Rahmenbedingungen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit vertrauen viele Regierungen. Daher wird diese These auch immer wieder in den Beschlüssen der EU vertreten. Eines aber muss in den vergangenen Jahren aufgefallen sein, die Rahmenbedingungen sind immer gesünder geworden. Preisstabilität wurde in den Volkwirtschaften der EWU erreicht. Die Defizite öffentlicher Haushalte liegen entsprechend den EWU-Regeln bei 3 % des BIP und der Schuldenstand öffentlicher Haushalte der Mitgliedstaaten wird den geforderten 60% gemessen am BIP angenähert. Reformen für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt, Beseitigung von administrativen Investitionshernnissen wurden eingeleitet und teilweise durchgeführt. Die Arbeitslosigkeit konnte dadurch aber nicht wesentlich verringert werden. Einige Mitgliedstaaten haben auf dem Gipfeltreffen im März 2000 in Lissabon darauf gedrängt, das Wirtschaftswachstum zu konkretisieren und eine anzustrebende Zuwachsrate des realen 4 Köhler
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c.
Angemessenes Wirtschaftswachstum
BIP festzulegen. Dem ist der Europäische Rat nicht gefolgt. Als Kompromiss beschloss er: Liss Zi 6: Sofern die nachstehend aufgeführten Maßnahmen in einem gesunden makroäkonomischen Kontext durchgeführt werden, dürfte eine durchschnittliche wirtschaftliche Wachstumsrate von etwa 3 % eine realistische Aussicht für die kommenden Jahre darstellen.
Der Europäische Rat verfolgt das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus unverändert mit dem Konzept gesunder makroökonomischer Rahmenbedingungen. Er hofft, wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt sind, dass sich dann ein angemessenes Wirtschafts wachstum von allein ergeben wird. Er scheut sich also nach wie vor, seiner Wirtschaftspolitik eine angemessene Zuwachsrate des realen BIP zugrunde zu legen, um seine Ziele zu erreichen. Die in dem Beschluss genannten "nachstehend aufgeführten Maßnahmen" betreffen die Vorbereitung des Übergangs zu einer wettbewerbsfähigen, dynamischen und wissensbasierten Wirtschaft sowie die Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells durch Investitionen in die Menschen und den Aufbau eines aktiven Wohlfahrtsstaates. Die meisten der aufgeführten Maßnahmen finden sich bereits in Beschlüssen früherer Gipfelkonferenzen. Gesunde Rahmenbedingungen sind eine Seite des Problems einer fehlentwicklungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung. Die andere Seite ist, Investitionen der Unternehmen zu stimulieren und damit zu einem angemessenen Wirtschaftswachstum zu gelangen. Drei Bedingungen müssen dabei zugunsten der Unternehmen gegeben sein: 1. Aufträge, 2. Aufträge und 3. Aufträge. Eine Wirtschaftspolitik, die dies aus dem Auge verliert, wird nicht erfolgreich sein, denn kein Unternehmen investiert, weil die Preise stabil, die öffentlichen Finanzen gesund und admistrative Hemmnisse durch Reformen beseitigt sind.
III. Preisneutrale Verringerung der Arbeitslosen
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III. Preisneutrale Verringerung der Arbeitslosen Wenn, wie es das Ziel in der EU und damit der EWU ist, ein mittel- und langfristiger Prozess eines sich selbst tragenden inflationsfreien Wirtschaftswachstums als Voraussetzung für eine wesentlich und dauerhaft höhere Beschäftigungsrate geschaffen werden soll, dann bedarf es mehr als nur gesunder Rahmenbedingungen. Im "Bericht an den Europäischen Rat über den Europäischen Beschäftigungspakt" wurde darauf hingewiesen, dass es zur Verringerung der Arbeitslosigkeit notwendig ist, Wachstumsraten zu realisieren, die die Steigerung der Arbeitsproduktivität und die Zunahme des Arbeitskräfteangebots erheblich übersteigen. Die Kernfrage der Wirtschaftspolitik bei ihrem Bemühen die Arbeitslosigkeit abzubauen ist es also, sich ein quantitatives Bild zu machen, in welchem Umfange die Arbeitslosigkeit jährlich abgebaut werden kann, ohne die Preisstabilität zu gefährden. Eine solche nachvollziehbare jährliche quantitative Konkretisierung des Abbaus der Arbeitslosigkeit hat es bisher nicht gegeben. Es ist ein Fortschritt, dass der Europäische Rat erstmals auf einer Gipfelkonferenz, nämlich in Lissabon im März 2000, langfristige Ziele formuliert hat. Liss Zi 30: Der Europäische Rat ist der Auffassung, daß das übergeordnete Ziel dieser Maßnahmen darin bestehen sollte, ausgehend von den verfügbaren Statistiken die Beschäftigungsquote von heute durchschnittlich 61 % bis 2010 möglichst nah an 70% heranzuführen und die Beschäftigungsquote der Frauen von heute durchschnittlich 51 % bis 2010 auf über 60% anzuheben. Die Mitgliedstaaten sollten, jeweils unter Berücksichtigung ihrer Ausgangslage, die Festlegung nationaler Ziele für die Steigerung der Beschäftigungsquote prüfen. Dies wird zu einer Zunahme der Erwerbsbevölkerung führen und dadurch die langfristige Tragfähigkeit der Sozialschutzsysteme stärken.
Es ist zu hoffen, dass zukünftig solche langfristigen Ziele durch lahresziele ergänzt werden. Anhand eines Beispiels wird das im Folgenden gezeigt. Man könnte sich in der EWU dazu entschließen, die gegebene Arbeitslosenquote von 10% auf 5% in einem Zeitraum
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C. Angemessenes Wirtschaftswachstum
von sieben Jahres zurückzuführen. Das würde bedeuten, dass man die Zahl der Arbeitslosen in diesem Zeitraum jährlich jeweils um 10% verringert. Eine solche Verringerung bei der gegeben Ausgangssituation würde die Zahl der Erwerbstätigen im ersten Jahr um etwa 1% steigen lassen. Da das Arbeitspotential infolge Bevölkerungswachstums noch um einen Bruchteil eines Prozentsatzes zunimmt, heißt das, im ersten Jahr der angestrebten Eingliederung von Arbeitslosen in den Produktionsprozess müßte die Zuwachsrate des realen BIP die Wachstumsrate des Produktionspotentials um gut 1% übersteigen. Die Wirtschaftspolitik hat, so schwierig das auch ist, die Frage zu beantworten und damit über die daraus folgenden Maßnahmen zu entscheiden, ob der geschilderte Ansatz oder ein nach oben oder unten revidierter Ansatz mit dem Ziel Preisstabilität zu verantworten ist. Vermieden werden muss, dass ein höherer Beschäftigungsgrad auf Kosten von Preissteigerungen realisiert wird. Es ist keine sinnvolle Strategie eine Fehlentwicklung - Arbeitslosigkeit - durch Hinnahme neuer Fehlentwicklungen - Preisteigerungen - zu beseitigen. Es ist daher anzuraten, dass eine quantitative Strategie zur Verringerung der Arbeitslosigkeit im Rahmen des Makroökonomischen Dialogs besprochen wird, an dem die Europäische Zentralbank beteiligt ist. Ihren Argumenten gebührt dabei ein hohes Gewicht, denn sie hat die Aufgabe vorrangig für Preisstabilität zu sorgen. Eine quantitative Strategie zum Abbau der Arbeitslosigkeit kommt der Bedingung, diese Strategie bei Preisstabilität abzuwickeln, entgegen. Mit fortschreitendem Prozess nimmt nämlich die Differenz zwischen der höheren Zuwachsrate des BIP gegenüber der Wachstumsrate des Produktionspotentials ab. Je mehr sich die Lage am Arbeitsmarkt verbessert, um so weniger muss die Wirtschaftspolitik stimulierend eingreifen. Da von Jahr zu Jahr die Zahl der Arbeitslosen zurückgeht und die Zahl der Beschäftigten steigt, nimmt bei konstantem Prozentsatz einer angestrebten Verringerung der Zahl der Arbeitslosen auch die Zahl der angestrebten zusätzlichen Arbeitsplätze ab und damit auch der erforderliche Prozentsatz, um den die Zuwachsrate des realen BIP die Wachstumsrate des Produktionspotentials übersteigen muss.
IV. Der quantitative Aspekt angemessenen Wirtschaftswachstums 53 Zielbegrenzung: Gefährd.d.Preisstab.
Zus.ZuwR d.BIP(Erw.Tät.)z.Verring.d.ArbL.
Angestrebte Arbeitslosenquote
Abb. 3: Verringerung der Arbeitslosigkeit
Das wiedergegebene Schema verdeutlicht noch einmal die quantitative Strategie zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Die Wirtschaftspolitik hat den Umfang des jährlichen Abbaus der Arbeitslosigkeit festzulegen. Er steht unter der Bedingung, die Preisstabilität nicht zu gefährden. Die Verringerung der Arbeitslosigkeit bedeutet eine höhere Zahl an Erwerbstätigen. Daraus wiederum resultiert eine Zuwachsrate der Erwerbstätigen. Die Arbeitslosenquote würde in diesem Fall sinken.
IV. Der quantitative Aspekt angemessenen Wirtschaftswachstums Das zuvor Gesagte soll noch einmal zusammengefasst werden. Jede Volkswirtschaft und somit auch jeder Mitgliedstaat der EU und damit der EWU sowie die Kommission der EU sehen sich bei bestehender Arbeitslosigkeit mit drei quantitativen Problemen konfrontiert. Einmal nimmt die Bevölkerung zu und damit das Arbeitspotential. Für diese auf den Markt drängenden Arbeitskräfte sind zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. Zweitens führt der technische Fortschritt, d. h. die Zunahme der Arbeitsproduktivität zu einer Freisetzung von Arbeitskräften. Auch für diese Menschen sind Arbeitsplätze zu schaffen. Diesen beiden Erfordernissen
54
c. Angemessenes Wirtschafts wachstum
können die nationalen Regierungen nur gerecht werden, wenn sie durch ihre Wirtschaftspolitik ein Wirtschaftswachstum amegen, das der Wachstumsrate des Produktionspotentials entspricht. Wachstumsrate des Produktionspotentials
Zusätzl.Zuw.Rate d.BIP (Erw.rät.) z.Verringerung d.ArbL.
Abb. 4: Angemessenes Wirtschafts wachstum Ein solches Wirtschafts wachstum aber ist bei bestehender Arbeitslosigkeit noch nicht angemessen. Drittens hat die Wirtschaftspolitik zu entscheiden, in welchem Umfange, vor allem durch finanzpolitische Eingriffe, die Zuwachsrate des BIP über die Wachstumsrate des Produktionspotentials angehoben werden kann, ohne die Preisstabilität zu gefährden. Nur eine solche höhere Zuwachsrate des realen BIP verringert die Arbeitslosigkeit und kann als angemessen bezeichnet werden.
v.
Erforderliche Investitionen
Wenn eine quantitative Strategie beschlossen ist, um wieviel die Arbeitslosigkeit verringert und die Beschäftigung erhöht werden können und sollen, dann ergibt sich daraus auch der Umfang der erforderlichen Investitionen. Ihn zu kennen ist auch notwendig, denn eine Strategie zum Abbau der Arbeitslosigkeit kann nur über entsprechende Investitionen in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Steht die angestrebte Zahl zusätzlicher Erwerbstätiger fest, dann müssen für diese Menschen Arbeitsplätze geschaffen werden. Um einen solchen Arbeitsplatz einzurichten, bedarf es,
v.
Erforderliche Investitionen
55
je nach Beruf, eines höheren oder niedrigeren Kapitaleinsatzes. Der Durchschnitt dieser Kapitaleinsätze, das ist die Kapitalintensität, ergibt die durchschnittlichen Kosten neu zu schaffender Arbeitsplätze. Die erforderlichen zusätzlichen Investitionen für die einzelnen Jahre ergeben sich jeweils aus dem Produkt der angestrebten Zahl zusätzlicher Erwerbstätiger und der Kapitalintensität. Kapitalintensität
Erforderliche zusätzliche Investitionen
Abb. 5: Erforderliche Investitionen
Vorrangig verantwortlich für ein hohes Beschäftigungsniveau ist die Finanzpolitik. Sie müsste, ähnlich wie das in der Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland geschehen ist, auch in der EWU die wirtschaftliche Entwicklung dadurch stimulieren, dass sie der Bauwirtschaft staatliche Aufträge für Instandsetzungen und Neubauten erteilt, um Investitionen anzuregen und damit den Wirtschaftablauf zu beleben. Private Investitionen können daneben durch steuerliche Maßnahmen, wie höhere Abschreibungen sowie durch den Abbau administrativer Hemnisse, angeregt werden. Solange der Europäische Rat sich scheut, quantitative Überlegungen anzustellen, wie ein höheres Beschäftigungsniveau erreicht werden kann, solange kann er sich auch kein Bild machen, in welchem Umfang zusätzliche Investitionen erforderlich sind. Damit wird es für ihn schwer, den Mitgliedstaaten der EWU und der Kommission Ratschläge für wirtschaftspolitisches Handeln zu geben, um die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen. Hinzu kommt, dass die nationalen Regierungen nicht damit einverstanden sind, dass sich die EU selbst verschuldet. Das behalten sich die Mitgliedstaaten vor.
56
c.
Angemessenes Wirtschaftswachstum
Die von der Europäischen Kommission bisher angeregten und von dem Europäischen Rat beschlossenen Investitionsmaßnahmen sind marginal. Sie haben nicht das Gewicht, um nachhaltige beschäftigungspolitische Effekte auszulösen. Auf dem Treffen in Köln im Juni 1999 hat der Europäische Rat die Maßnahmen, die er für eine verbesserte Beschäftigung einzusetzen in der Lage ist, zusammengefasst. Köln Zi 13: Europa braucht eine Investitionsinitiative. Der Europäische Rat beschließt zusätzliche Impulse für mehr Beschäftigung und Investitionen. Zu diesem Maßnahmenbündel gehören der Ausbau der Aktivitäten der Europäischen Investitionsbank, die Mobilisierung der Gemeinschaftspolitiken auf Basis der Beschlüsse des Europäischen Rates in Berlin für das Beschäftigungsziel und die Beschleunigung von Innovationen.
Die Europäische Investitionsbank soll vor allem Mittel für die Finanzierung von Risikokapital bereitstellen. Damit soll der technische Fortschritt, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen gefördert werden. Zusätzliche Kredite sollen für die Stadterneuerung, für Bildung und Gesundheit sowie für den Umweltschutz gewährt werden. Dabei sollen erneuerbare Energien gefördert werden. Die Europäische Investitionsbank soll ferner Darlehen zur Struktur- und Regionalförderung bereitstellen, um das Entwicklungspotential der Regionen zu erschließen. Auch von einer zusätzlichen Kreditgewährung der Europäischen Investitionsbank an die Beitrittskandidaten der EU versprechen sich die Staats- und Regierungschefs positive Beschäftigungseffekte für die Europäische Union, weil damit in diesen Staaten eine dynamische Wirtschaftsentwicklung gefördert wird. Um die Gemeinschaftspolitiken zu mobilisieren, war der Umfang von Mitteln zur Strukturförderung und für Aktivitäten des Sozialfonds auf der Tagung des Europäisches Rates im März 1999 in Berlin festgelegt worden. Danach haben die Staats- und Regierungschefs die Mitgliedstaaten aufgefordert, die beschlossenen Förderprogramme rasch zu verabschieden. Die zu treffenden Maßnahmen sollen die europäische Beschäftigungsstrategie und die nationalen Aktionspläne unterstützen. Appelle, Genehmigungen von Projekten zu beschleunigen,
VI. Angemessenes Wirtschaftswachstum
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umfassen auch die Programme, die Transeuropäischen Netze, d. h. vor allem die Verkehrswege in der EU auszubauen. Die Initiative, Investitionen zur fördern, die geeignet sind, die Beschäftigung in der EU und damit in der EWU nachhaltig zu verbessern, muss, den Verträgen entsprechend, von den Mitgliedstaaten ausgehen. Sie tragen damit auch die Verantwortung dafür, dass das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus erreicht werden kann. Die Initiative auf die Europäische Kommission zu übertragen ist der Europäische Rat bis jetzt noch nicht willens.
VI. Angemessenes Wirtschaftswachstum und die tatsächliche Entwicklung Inwieweit die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung im EWU-Raum angemessen war, um das Problem hoher Arbeitslosigkeit langsam zu lösen, ist nur sehr schwer zu beurteilen. Einmal fehlt es an einer quantitativen Vorgabe des Europäischen Rates oder der Kommission zur angemessenen Zuwachsrate des BIP. Nur dann kann man die tatsächliche Entwicklung im Hinblick auf ihre Beschäftigungswirkungen hinreichend beurteilen. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die EWU erst 1999 in Kraft getreten ist. Vorangegangene statistische Zahlen für den EWU-Raum sind nicht unbedingt mit Zahlen vergleichbar, die unter der Bedingung eines einheitlichen Währungsraumes ermittelt wurden. Schließlich ist zu beachten, dass einheitliche Statistiken bisher nur in begrenztem Umfang verfügbar sind. Auch die Konsolidierung des statistischen Materials der elf Teilnehmerstaaten dürfte noch nicht abgeschlossen sein. Darauf deuten Unregelmäßigkeiten in den statistischen Reihen hin. Trotzdem wurde hier versucht, einen Maßstab zur Beurteilung der tatsächlichen Entwicklung zu erarbeiten: die Wachstumsrate des Produktionspotentials. Vertretbar erschien dies nur für die Jahre 1996 bis 1998. Auch hier zeigten sich stärkere Schwankungen, die vor allem von Veränderungen der Arbeitsproduktivität bestimmt waren. Wiedergegeben wird der Durch-
c.
58
Angemessenes Wirtschaftswachstum
schnitt der Wachstumsraten des Produktionspotentials dieser drei Jahre. Die Ergebnisse dieser Potentialberechnung wurden der Zuwachsrate des realen BIP und der Arbeitslosenquote gegenübergestellt. Die Verläufe dieser Größen sind dem folgenden Schaubild zu entnehmen. Im Jahre 1996 verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum. Die Zuwachsrate des realen BIP lag etwas unter der Wachstumsrate des Produktionspotential. In diesem Jahr 1996 nahm die Arbeitslosenquote von 11,4% auf 11,6% zu. In den Jahren 1997 bis 1999 belebte sich die Konjunktur. Die Zuwachsraten des realen Sozialprodukts überstiegen die Wachstumsrate des Produktionspotentials. So ging die Arbeitslosenquote in diesen Jahren zurück. Trotz aller statistischen Unsicherheiten bestätigt sich, dass es notwendig ist, dass die Zuwachsrate des realen BIP die Wachstumsrate übersteigt, damit es zu einer Verringerung der Arbeitslosigkeit kommt. Es wäre zu wünschen, dass die Organe der EU und der EWU diesem Phänomen größere Aufmerksamkeit widmen. 3 2,8
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ArbLosQuote
Abb. 6: Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit in der EWU
D. Preisstabilität notwendig und unabdingbar I. Die quantitative Zielsetzung der Europäischen Zentralbank Preisstabilität ist - neben der Forderung eines hohen Beschäftigungsniveaus - das andere wesentliche wirtschaftspolitische Ziel, das in einem Währungsraum zu verwirklichen ist. Wird das Ziel Preisstabilität verletzt, drohen wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Probleme. Preissteigerungen verleiten Unternehmen, in Verkennung der realen Lage, Investitionen vorzunehmen. Erst später, zu spät, erkennen sie, dass der nominalen Zunahme der Nachfrage keine realen Aufträge entsprechen. Auf Grund von Preissteigerungen vorgenommene Investitionen entpuppen sich dann meist als Fehlinvestitionen. Mit weiteren Investitionen halten sich die Unternehmen dann zurück. Die Zentral bank, durch Preissteigerungen alarmiert, zieht die geldpolitischen Zügel an. Beides führt in eine rezessive Entwicklung. Getroffen durch Preissteigerungen werden die Sparer. Von ihrem Einkommen zurückgelegte Beträge verlieren mit steigenden Preisen real an Wert. Rücklagen für das Alter können auf diese Weise stark dezimiert werden. Die Vergangenheit hat gelehrt, dass die Verletzung wirtschaftlicher Grundforderungen - Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Stabilität der Währung - sich auch gesellschaftspolitisch auswirken. Radikale Strömungen sind in solchen Fällen zu beobachten. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme von Fehlentwicklungen gebieten auch, der Preisstabilität hohe Priorität einzuräumen. In der EWU ist das geschehen. Eine unabhängige und starke, weil mit ausreichenden geld- und kreditpolitischen Instrumen-
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D. Preisstabilität notwendig und unabdingbar
ten versehene Europäische Zentralbank wacht darüber, dass Preisstabilität eingehalten wird. Es ist besonders bemerkenswert, dass es die von politischen Einflüssen unabhängige Europäische Zentralbank ist, die - im Gegensatz zum Europäischen Rat und zur Kommisssion - ihre Ziele quantitativ festlegt. Dabei hatte die EZB drei Komplexe quantitativ zu definieren: ihr Ziel Preisstabilität, das monetäre Aggregat, das diesem Ziel adäquat ist und die Einflüsse, die sie zu der Zuwachsrate des von ihr gewählten monetären Aggregates führten. Preisstabilität misst die EZB an den Konsumentenpreisen. Es wurde schon in der Vorbereitungsphase zur EWU für den EWU-Raum ein sogenannter Harmonisierter Verbraucherpreisindex entwickelt. Auf ihm basiert die Definition der EZB. EZB (1999 1), S. 51: Preisstabilität wird definiert als Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für das Euro- Währungsgebiet von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr.
Von den verschiedenen monetären Aggregaten misst die EZB der Geldmenge eine herausragende Rolle zu. Sie wählte für ihren Referenzwert die Geldmenge M3. Dieses Aggregat umfasst: "Täglich fällige Einlagen, Einlagen mit einer vereinbarten Laufzeit von bis zu zwei Jahren, Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist von bis zu drei Monaten, Repogeschäfte, Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren, Geldmarktfondsanteile und Geldmarktpapiere (netto)." (EZB (1999 11), S. 2). Der EZB-Rat beschloss für das Jahr 1999 EZB (19991), S. 54: ... den Referenzwertfür das M3-Wachstum auf 4 'l2% pro Jahr festzulegen.
Es sind drei Einflüsse, die zu diesem Beschluss beigetragen haben. Dazu gehört einmal die angemessene Wachstumsrate des BIP: EZB (1999 I), S. 54: Die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegt zwischen 2-2 'l2% pro Jahr.
Die EZB ist nicht von der Wachstumsrate des Produktionspotentials ausgegangen, sondern hat explizit eine angemessene Zuwachsrate des realen BIP genannt. Das war auch kaum
I. Die Zielsetzung der Europäischen Zentralbank
61
anders möglich, denn noch ist es äußerst schwierig, für den EWU-Raum das Produktionspotential zu ermitteln. Die EZB betont, dass sie ein Wirtschaftswachstum von 2-2 Y2 % im EWU-Raum mit Geldwertstabilität für vereinbar hält. (EZB(l999 11), S. 2). Der Beschluss des EZB-Rates zeigt, dass die Europäische Zentralbank bereit ist, Zentralbankgeld für ein Wirtschaftswachstum in einem Umfang bereitzustellen, der einen Abbau der Arbeitslosigkeit nicht behindert. Sie entspricht damit auch dem Gebot des EG-Vertrages (Artikel 108 Absatz I), die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft zu unterstützen - soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist -, um dazu beizutragen, die festgelegten Ziele der Gemeinschaft zu verwirklichen. Der zweite Faktor, der bei der Festlegung der Zuwachsrate der Geldmenge M3 berücksichtigt wurde, ist die von der EZB festgelegte Definition der Preisstabilität. EZB (1999 I), S. 54: Die Preisstabilität muß gemäß der vom Eurosystem veröffentlichten Definition gewährleistet werden, so daß der Anstieg des HVPI gegenüber dem Vorjahr im Euro- Währungsgebiet unter 2 % beträgt.
Schließlich muss eine Zentralbank, die der Geldmenge eine herausgehobene Bedeutung beimisst, noch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes schätzen: EZB (1999 1), S. 54: Mittelfristig verringert sich die Umlaufsgeschwindigkeit von M3 um ca. 1fr-l % jährlich.
Die Umlaufsgeschwindigkeit zu bestimmen, war für die EZB besonders schwierig, da unsicher war, wie sich diese Größe im einheitlichen europäischen Währungsraum entwickeln würde. Die gewählten Sätze hält die EZB vereinbar mit der historischen Entwicklung in den letzten 20 Jahren. (EZB (1999 11), S.3). Die Summe der den Referenzwert der EZB bestimmenden Einflüsse ergibt sich aus 2-2Y2% Zuwachsrate des realen BIP, einem Anstieg der Verbraucherpreise von unter 2 % und einer Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit von M3, die die erforderliche Geldmenge erhöht, um Y:z-l %. Das sind zusammen 4Y:z-5Y2%. Man hätte also erwarten können, dass der
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D. Preisstabilität notwendig und unabdingbar
EZB-Rat einen Referenzwert von 5 % beschließt. Bei dem Beschluss des EZB-Rates, einen Referenzwert für M3 von 4Y2% festzulegen, wurde aber noch berücksichtigt, dass die Preissteigerungsrate unter 2 % liegen soll und der trendmäßige Rückgang der Umlaufsgeschwindigkeit knapp unter dem oberen Wert von 1 % liegen werde. Im ersten Jahr des Bestehens des ESZB hat sich das nicht bewahrheitet. Im Jahre 1999 verringerte sich die Umlaufsgeschwindigkeit um rd. 2 %: die Zuwachsrate des nominalen BIP betrug 3,5 % und die von M3 5,5 %. Die EZB hat wiederholt betont, dass ihre Geldpolitik mittelfristig ausgerichtet sei. Das bedeutet, dass der Referenzwert für M3 grundsätzlich nicht nur für ein Jahr festgelegt wurde, sondern durchaus mehrere Jahre bestehen bleiben könnte. Das geht schon aus den Formulierungen hervor, die die EZB bei der quantitativen Festlegung der Einflussfaktoren auf den Referenzwert gebrauchte. Es ist dort die Rede von "pro Jahr festzulegen" oder "liegt zwischen ... pro Jahr" oder "verringert sich ... jährlich." So ist grundsätzlich auch nicht vorgesehen, jährlich die Zuwachsraten des Referenzwertes und die Veränderungsraten der sie beeinflussenden Faktoren zu ändern. Für das Jahr 2000 ist auch so gehandelt worden. "Auf der Grundlage einer gründlichen Überprüfung der der Ableitung zugrunde liegenden Komponenten beschloß der EZB-Rat, den Referenzwert von 4Y2% für die Jahreswachstumsrate des weit gefaßten Geldmengenaggregats M3 ... zu bestätigen." (EZB (1999 VI), S. 10). Die mittelfristige Orientierung der Geldpolitik der EZB hat den EZB-Rat auch dazu veranlasst, die Größen, die er für die Ableitung des Referenzwertes benötigt, aus längeren statistischen Reihen zu gewinnen. EZB (19991), S. 53: Außerdem ist es angesichts der Mittelfristorientierung der Geldpolitik angebracht, bei der Ableitung des Referenzwerts Annahmen bezüglich der mittelfristigen Entwicklung des realen BIP und der Umlaufsgeschwindigkeit zugrunde zu legen.
n.
Preisstabilität und die tatsächliche Entwicklung
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11. Preisstabilität und die tatsächliche Entwicklung Um die Politik einer Institution beurteilen zu können, bedarf es nicht nur gesicherter quantitativer Beurteilungsmaßstäbe, sondern auch einer Analyse, der melujährige Datemeihen zugrunde liegen. Beides ist im Falle der EZB nicht gegeben. Die EWU ist zu jung, um bereits über gesicherte Daten z. B. über das Produktionspotential und die Umlaufsgeschwindigkeiten von Geldmengenaggregaten zu verfügen. Der Start in eine Geld- und Kreditpolitik für einen Währungsraum, der elf Länder umfasst, ist der EZB gelungen. Ihr Ziel, eine Preissteigerungsrate von unter 2 % hat sie bisher erreicht. Die Zunahme der Verbraucherpreise, gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex lag 1999 deutlich unter 2 %. Allerdings hat zu der sehr niedrigen Preissteigerungsrate die sehr hohe Arbeitslosigkeit beigetragen. Der rezessive Druck hat Preissteigerungen weitgehend verhindert. Die EZB war von einer monetär tolerierbaren Zuwachsrate des realen BIP von 2,5 % ausgegangen. Es ist den Mitgliedstaaten und der Kommission der EU nicht gelungen, im Jahre 1999
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Abb. 7: BIP, Verbraucherpreise und Geldmenge in der EWU
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D. Preisstabilität notwendig und unabdingbar
eine solche Zuwachsrate im EWU-Raum zu verwirklichen. Die Geldpolitik der EZB aber hat unabhängig von dieser tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung eine Zunahme der Geldmenge M3 von über 5 % zugelassen und damit anregend gewirkt. Sie konnte diese ihren Referenzwert von 4,5 % übersteigende Zuwachsrate billigen, da Gefahren für die Preisstabilität nicht drohten.
E. Eine Orientierungsgröße für eine fehlentwicklungsfreie wirtschaftliche Entwicklung I. Angemessene Zuwachsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts Es ist die Aufgabe der Gemeinschaft, ein hohes Beschäftigungsniveau zu fördern (Artikel 2 EGV). Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken ESZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten (Artikel 105 Absatz 1 EGV). Damit sind die Verantwortlichkeiten klar umschrieben: Die Gemeinschaft, das sind die Mitgliedstaaten der EU und damit der EWU sowie die Kommission der EU sind für ein hohes Beschäftigungsniveau zuständig. Das ESZB ist verantwortlich, die Preisstabilität zu sichern. Nicht verkannt wurde, dass sich die Gemeinschaft und die EZB bei ihren Bemühungen, die Beschäftigung zu fördern und Preisstabilität zu sichern, helfen müssen. So wird vom ESZB verlangt, dass es die allgemeine Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft unterstützt, soweit dies das Ziel Preisstabilität nicht beeinträchtigt (Artikel 108 Absatz 1 EGV). Andererseits sind die Regierungen der Mitgliedstaaten und die Sozialpartner aufgerufen, die Geldpolitik bei ihrer vorrangigen stabilitätspolitischen Aufgabe zu unterstützen (Köln Zi 20). Die gesetzten Ziele zu erreichen und sich gegenseitig zu unterstützen verlangt für die zuständigen Organe der Gemeinschaft Orientierungsgrößen. Zur Förderung der Beschäftigung hat die Gemeinschaft eine angemessene Zuwachsrate des realen BIP vorzugeben. Allerdings ist das bisher nicht geschehen. Eine solche anzustrebende Zuwachsrate des realen BIP wird etwas höher sein müssen als die Wachstumsrate des Produktionspotentials, um die Arbeitslosigkeit zu verringern ohne dadurch Preissteigerungen auszulösen. 5 Köhler
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E. Eine Orientierungsgröße
Auch das ESZB hat eine quantitative Definition ihres Ziels Preisstabilität festzulegen. Das ist geschehen. Die Preissteigerungsrate soll "unter 2 % gegenüber dem Vorjahr" liegen. Ein quantitative Festlegung einer angemessenen Zuwachsrate des realen BIP, um die Beschäftigung zu fördern und die Festlegung einer mit Preisstabilität zu vereinbarenden Preissteigerungsrate führt geradewegs zu einer Orientierungsgröße für eine fehlentwicklungsfreie wirtschaftliche Entwicklung: eine anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP. Auch die Deutsche Bundesbank hat eine Zuwachsrate des nominalen Produktionspotentials, die der hier benutzen Definition einer anzustrebenden Zuwachsrate des nominalen BIP weitgehend entsprach, ihren Überlegungen zugrunde gelegt. Sie begründete das folgendermaßen: "Denn das Produktionspotential wird durch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage genutzt, bei der es sich - ebenso wie bei der Geldmenge - um eine nominale Größe handelt. Seine Zunahme muß also ebenfalls in jeweiligen Preisen ermittelt werden." (Dt. Bundesbk (1995), S.83). Die Gemeinschaft hat keine anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP festgelegt, die geeignet ist, die Beschäftigung zu fördern ohne die Preisstabiliät zu gefahrden. Daher soll eine Schätzung zeigen, welchen Umfang die wirtschaftspolitische Orientierungsgröße, die anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP in der EWU haben könnte. Bei einer Wachstumsrate des Produktionspotentials von rd. 2 % und seiner besseren Auslastung von rd. V2% ergibt sich eine angemessene Zuwachsrate des realen BIP von rd. 2V2%. Die mit Preisstabilität zu vereinbarende und vom EZB-Rat festgelegte Preissteigerungsrate von unter 2% (normative Preissteigerungsrate) führt zu einer wirtschaftspolitischen Orientierungs größe von rd. 4V2% (anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP). Eine solche wirtschaftspolitische Orientierungsgröße ist von allen, die wirtschaftliche Macht ausüben, bei ihrem Handeln zu berücksichtigen. Das gilt für die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten der EWU und die Gemeinschaft der EU ebenso wie für die Geld- und Kreditpolitik der EZB und für die Einkommenspoli-
H. Nonnative und unvenneidliche Preissteigerungsrate Angemessenes WtWachstum (angemessene Zuwachsrate des realen BIP)
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Die normative oder unvermeidliche Preissteigerungsrate
~ ~ Anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP (Wtschpol.Orientierungsgr.)
Abb. 8: Wirtschaftspolitische Orientierungsgröße
tik der Sozialpartner. Nur dann wird man gemeinsam ein "nicht-inflationäres Wachtum" (Artikel 2 EGV) verwirklichen können, das zu einem höheren Beschäftigungsniveau bei Preisstabilität führt.
11, Normative und unvermeidliche Preissteigerungsrate Es mag erstaunen, dass der EZB-Rat Preisstabilität mit einer Preissteigerungsrate definiert, nämlich mit einem Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex von unter 2 % gegenüber dem Vorjahr. Vielleicht hätte der eine oder andere Preisstabilität mit einer Rate von Null definiert. Die EZB hat hierzu aus der Sache heraus keine Erklärung gegeben. Vielmehr wies sie darauf hin, "daß die Definition des Eurosystems von Preisstabilität mit den von den meisten NZBen im Euro-Währungs gebiet vor Beginn der Währungsunion übereinstimmt; dies stellt ein wichtiges Element der Kontinuität ihrer erfolgreichen geldpolitischen Strategien sicher." (EZB (1999 I), S. 51). So hat auch die Deutsche Bundesbank bei der Ableitung ihres Geldmengenziels einen normativen Preisanstieg von 2 % berücksichtigt. "Mit Hilfe dieser Preisnorm, die als in der mittleren Frist maximal zu tolerierende Inflationsrate aufzufassen ist, wird das Stabilitätsziel für die geldpolitische Praxis operationalisiert. Eine geringe positive Toleranzgrenze für PreisniS'
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E. Eine Orientierungsgröße
veauveränderungen empfiehlt sich insbesondere mit Blick auf statistische Erfassungsfehler und eine gewisse Überzeichnung des Preisanstiegs durch die Preisstatistik (infolge der Nichtberücksichtigung von Substitutionseffekten und Qualitätsänderungen sowie der zwangsläufig unvollkommenen Auswahl der erfaBten Preise)." (Dt. Bundesbk (1995), S. 83). Ein anderer Grund, weshalb Preisstabilität nicht mit der Rate Null definiert werden kann, sondern mit einer positiven Rate, liegt in der Unvollkommenheit der Märkte. Grundsätzlich gilt der Satz, dass Preisstabilität gesichert werden kann, wenn die (Lohn)Kostensteigerungen je Beschäftigten sich im Rahmen der Zunahme der Arbeitsproduktivität halten. Dann nämlich bleiben die (Lohn)Stückkosten unverändert. Allerdings ist im Gegensatz zu Lohn- und Zinskosten der Anstieg der Arbeitsproduktivität in den einzelnen Wirtschaftsbereichen nicht gleich. In Dienstleistungsbereichen, wie z. B. bei Friseuren, steigt die Arbeitsproduktivität nicht oder unterproportional. In diesen Bereichen ist mit Preissteigerungen zu rechnen. In der Industrie, wenn z. B. der Produktionsprozess automatisiert wird, nimmt die Arbeitsproduktivität überproportional zu. In diesen Bereichen müssten die Preise entsprechend sinken. Das Preisniveau in der gesamten Volkswirtschaft bzw. im EWU-Raum würde unter diesen Bedingungen unverändert bleiben. Die Unvollkommenheit der Märkte aber führt dazu, dass die Preise in Bereichen mit überproportionalem Produktivitätsanstieg nicht oder relativ wenig gesenkt werden. Wenn das der Fall ist, dann ist eine Preissteigerungsrate von Null nicht zu erzielen. Selbst bei optimalem Einsatz aller wirtschaftspolitischen Instrumente, um Preisstabilität zu sichern, muss daher mit einer positiven Preissteigerungsrate gerechnet werden. Der EZB sind bisher externe Schocks, wie plötzliche Ölpreissteigerungen oder interne Schocks, wie überaus stark steigende Löhne, erspart geblieben. In der Vergangenheit traten sie auf und für die Zukunft können sie nicht ausgeschlossen werden. In solchen Fällen steigen zunächst die Verbraucherpreise stark an. Dann aber ist es nicht möglich, sie sofort, innerhalb eines Jahres, wieder auf die normative Rate von "unter 2 % gegen-
II. Normative und unvermeidliche Preissteigerungsrate
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über dem Vorjahr" zurückzuführen. Senkung der Preissteigerungsrate auf das normative Niveau ist nur in mehreren Schritten möglich. Preisziel ist dann eine unvermeidliche Preissteigerungsrate, die allerdings unter der aktuellen Preissteigerungsrate liegt. Wegen "ungünstiger Umfeldbedingungen bis 1984" sah sich z. B. die Deutsche Bundesbank "gezwungen, einen ,unvermeidlichen Preisanstieg' einzukalkulieren. Damit trug sie der Tatsache Rechnung, daß sich Preissteigerungen, die in die Dispositionen der Wirtschaft bereits Eingang gefunden haben, nicht sofort, sondern nur schrittweise wieder abbauen lassen. Andererseits lag dieser tolerierte Preisanstieg stets unter der laufenden beziehungsweise für das kommende Jahr prognostizierten Inflationsrate. Damit machte die Bundesbank deutlich, daß sie nicht durch ein übertrieben ,gradualistisches' Vorgehen in der Inflationsbekämpfung dazu beitragen wollte, daß sich Inflationserwartungen verfestigen." (Dt. Bundesbk (1995), S.83).
F. Koordinierung der Wirtschaftspolitik I. Koordinierung statt einheitlicher Wirtschaftspolitik in der EWU Einheitliche wirtschaftspolitische Ziele zu vereinbaren, erfordert grundsätzlich eine einheitliche Wirtschaftspolitik. Sie ist in der EWU nicht gegeben. Die Wirtschaftspolitik ist eine Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten. Denkbar wäre, dass der Europäische Rat quantitative Orientierungshilfen, wie angemessene Zuwachsraten des realen und nominalen BIP, vorgibt. Sie wären von der Kommission entsprechend den Verhältnissen in den einzelnen Mitgliedstaaten in nationale Orientierungsgrößen umzusetzen. Aber auch dazu konnten sich die Mitgliedstaaten der EWU bisher nicht durchringen. So verbleibt gegenwärtig nur das im Abschnitt A III. "Keine einheitliche Beschäftigungspolitik in der Gemeinschaft zur Verringerung der Arbeitslosigkeit" geschilderte Verfahren. Jährlich werden recht allgemein gehaltene Grundzüge der Wirtschaftspolitik durch die Staatsund Regierungschefs der Mitgliedstaaten verabschiedet. Sie sollen von den Mitgliedstaaten in ihren Ländern umgesetzt werden. Die Kommission überwacht, ob und wie diese Grundzüge durchgeführt werden. Sie kann Empfehlungen geben; eingreifen, indem sie Sanktionen verhängt, kann sie aber nicht. Es ist unverkennbar, dass die Staats- und Regierungschefs der EU der Koordinierung der Wirtschaftspolitik einen hohen Stellenwert beimessen. Sie haben auf ihren Gipfeltreffen in Luxemburg im Dezember 1997 eine besondere "Entschliessung des Europäischen Rates über die wirtschaftliche Koordinierung in der dritten Stufe der WWU ... " (Lux D Anl) angenommen. Auf ihrem Treffen in Wien im Dezember 1998 nahmen sie dazu einen "Bericht an den Europäischen Rat über die wirtschaftspolitische Koordinierung" (Wien Anl) entgegen. Der Europäische Rat ist sich bewusst, dass mangels einer einheitli-
I. Koordinierung statt einheitlicher Wirtschaftspolitik
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chen Wirtschaftspolitik in der EU und damit in der EWU die Koordinierung über Erfolg oder Misserfolg der wirtschaftspolitischen Bemühungen entscheidet. Mit der Einführung einer einheitlichen Währung, dem Euro, in elf EU-Ländern, ist es notwendig geworden, der Koordinierung der Wirtschaftspolitiken noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Lux D Anl Zi 1: Durch die WWU werden die Volkswirtschaften der dem Euro- Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten enger miteinander verflochten . ... In dem Maße, wie die Entwicklung der einzelnen Volkswirtschaften Auswirkungen auf die künftige Inflationsrate im Euro- Währungsgebiet hat, beeinflußt sie auch die Bedingungen der Geldpolitik in diesem Gebiet. Dies ist der wesentliche Grund dafür, daß die Einführung einer gemeinsamen Währung eine genauere Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten des Euro- Währungsgebietes auf Gemeinschaftsebene erforderlich macht.
Der Europäische Rat betont, dass alle Mitgliedstaaten, also auch die, die gegenwärtig nicht der EWU angehören, Teilnehmer des Binnenmarktes sind und dass zwischen den EWU-Mitgliedstaaten und den übrigen EU-Ländern, insbesondere wenn sie dem europäischen Festkurssystem, dem EWS, angehören, enge wirtschafts- und geldpolitische Wechselbeziehungen bestehen. Lux D Anl Zi 2: Die Notwendigkeit, die weitere Konvergenz und ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes sicherzustellen, macht es daher erforderlich, daß alle Mitgliedstaaten in die Koordinierung einbezogen werden.
Ein Vorteil, die Nichtmitgliedsländer der EWU in die Koordinierung einzubeziehen, liegt auch darin, dass sie bei einem späteren Beitritt mit dem Koordinationsprocedere bereits vertraut sind. Ein Wirtschaftsraum mit einer einheitlichen Währung - die EWU mit dem Euro - muss darauf achten, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten infolge nationaler Wirtschaftspolitik die wirtschaftlichen Entwicklungen nicht auseinanderlaufen. Vielmehr ist es die Aufgabe, zu einer möglichst gleichgerichteten wirtschaftlichen Entwicklung, d. h. zu einer Konvergenz zu gelangen. Die vom Europäischen Rat festgelegten Grundzüge
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F. Koordinierung der Wirtschaftspolitik
der Wirtschaftspolitik und die Koordinierung innerhalb der EU und damit der EWU, sollen das ermöglichen. Lux D Anl Zi 4 Abs 2: Zu diesem Zweck sollten die ... verabschiedeten Grundzüge der Wirtschaftspolitik zu einem wirksamen Instrument der Sicherung dauerhafter Konvergenz in den Mitgliedstaaten ausgebaut werden.
Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik dienen aber auch dazu, die Koordinierung der Mitgliedstaaten zu überwachen. Rechtzeitig soll erkannt werden, ob die wirtschaftliche Entwicklung in einem Mitgliedstaat von der erwünschten Entwicklung innerhalb der Gemeinschaft abweicht. Dem Rat soll dadurch möglich gemacht werden, einem solchen Mitgliedstaat zu empfehlen, seine Wirtschaftspolitik zu ändern. Lux D Anl Zi 4 Abs 3: Durch die verstärkte Koordinierung sollte die Vereinbarkeit der nationalen Wirtschaftspolitiken und ihrer Durchführung mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik und einem ordnungsgemäßen Funktionieren der WWU überwacht werden.
Auf seinem Treffen im März 2000 in Lissabon hat der Europäische Rat unter dem Begriff "offenes Koordierungsverfahren" die einzelnen Koordinierungsbemühungen zusammengefasst. Er betonte, dass dieses Verfahren ein Mittel ist, mit dem sich ... Liss Zi 37: ... die Verbreitung der bewährten Praktiken und die Herstellung einer größeren Konvergenz in bezug auf die wichtigsten Ziele der EU leichter verwirklichen lassen. Diese Verfahrensweise, die den Mitgliedstaaten eine Hilfe bei der schrittweisen Entwicklung ihrer eigenen Politiken sein soll, umfaßt folgendes: - Festlegung von Leitlinien für die Union mit einem jeweils genauen Zeitplan für die Verwirklichung der von ihnen gesetzten kurz-, mittel- und langfristigen Ziele; - gegebenenfalls Festlegung quantitativer und qualitativer Indikatoren und Benchmarks im Vergleich zu den Besten der Welt, die auf die in den einzelnen Mitgliedstaaten und Bereichen bestehenden Bedürfnisse zugeschnitten sind, als Mittel für den Vergleich bewährter Praktiken; - Umsetzung dieser europäischen Leitlinien in die nationale und regionale Politik durch Vorgabe konkreter Ziele und den Erlaß entsprechender Maßnahmen unter Berücksichtigung der nationalen und regionalen Unterschiede;
1. Koordinierung statt einheitlicher Wirtschaftspolitik
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- regelmäßige Überwachung, Bewertung und gegenseitige Prüfung im Rahmen eines Prozesses, bei dem alle Seiten voneinander lernen.
Der Erfolg einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik hängt mit davon ab, dass die Formulierung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik - der Leitfaden für die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten - und die Koordinierung in den Händen eines Gremiums liegen. Die Staats- und Regierungschefs wollten vermeiden, dass zu viele und zu umfangreiche Gremien die Bemühungen um Konvergenz verwässern. Sie legten daher die Koordinierung in die Hände der Wirtschafts- und Finanzminister, den sogenannten ECOFIN-Rat. Lux DAn!. Abs 1 Zi 6: Der ECOFlN-Rat ist gemäß dem Vertrag das zentrale Gremium für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und befugt, in den entsprechenden Bereichen tätig zu werden. Der ECOFIN-Rat ist insbesondere das einzige Gremium, das befugt ist, die Grundzüge der Wirtschaftspolitik, die das Hauptinstrument der wirtschaftspolitischen Koordinierung darstellen, zu formulieren und zu verabschieden.
Wie der Europäische Rat betont hatte, werden Volkswirtschaften, die dem EWU-Raum angehören, enger miteinander verflochten. Damit ergibt sich für die Kooperation dieser Länder im Hinblick auf die einheitliche Währung eine besondere Verantwortung. Ihr hat der Europäische Rat dadurch Rechnung getragen, dass er informelle Treffen der Wirtschafts- und Finanzminister, die Mitgliedsländern der EWU angehören, ausdrücklich gestattet. Lux D Anl Zi 6 Abs 3: Die Minister der dem Euro- Währungsgebiet angehörenden Staaten können sich in informellem Rahmen treffen, um Fragen zu erörtern, die im Zusammenhang mit ihrer gemeinsam getragenen Verantwortung für die gemeinsame Währung stehen.
Zu solchen Treffen muss die Kommission eingeladen werden. Von Fall zu Fall, das entscheidet der ECOFIN-Rat der 11, wird auch die EZB hinzugezogen.
74
F. Koordinierung der Wirtschaftspolitik
11. Das Spannungsverhältnis Koordinierung und Subsidiarität Das Subsidiaritätsprinzip in der EU bedeutet, dass Aufgaben, die der Gemeinschaft gestellt sind, grundsätzlich von den Mitgliedstaaten zu lösen sind. Nur wenn das den Mitgliedstaaten nicht möglich ist, wird die höhere Ebene, die Gemeinschaft, tätig. Dieses Prinzip ist in den EG-Vertrag aufgenommen worden. Art. 5 EGV: In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.
Beim Subsidiaritätsprinzip lässt sich der Trennungsstrich zwischen den Aufgaben, die von den Mitgliedstaaten wahrzunehmen sind und denen, die die Gemeinschaft erfüllen muss, nicht klar ziehen. Es besteht immer die Gefahr, dass ein solches Prinzip missbraucht wird. Man beruft sich auf das Subsidiaritätsprinzip, nicht weil eine bestimmte Aufgabe besser auf der Ebene der Mitgliedstaaten gelöst werden kann, sondern weil man verhindern will, dass die Gemeinschaft tätig wird. Dieses Subsidiaritätsprinzip wird auch bei den Regelungen der Koordinierung der Wirtschaftspolitik betont. Lux D Anl Zi 3: Eine verstärkte wirtschaftspolitische Koordinierung muss den Vertragsgrundsatz der Subsidiarität wahren, die Befugnisse der nationalen Regierungen bei der Festlegung ihrer Strukturund Haushaltspolitik ... beachten, ... sowie die nationalen Gepflogenheiten und die Tarifautonomie der Sozialpartner berücksichtigen.
Auf diese Befugnisse und Gepflogenheiten muss bei der Kooperation der Wirtschaftspolitik Rücksicht genommen werden. Dieser Beschluss der Staats- und Regierungschefs weist außerdem darauf hin, was daneben von den Mitgliedstaaten bei der Koordinierung zu beachten ist: Die Bestimmungen des EG-Vertrags, die des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die Unabhängigkeit des Europäischen Systems der Zentralban-
11. Koordinierung und Subsidiarität
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ken und die Rolle des ECOFIN-Rates als das zentrale Beschlussfassungsgremium für Fragen der Wirtschaftskoordinierung. Auch in jüngerer Zeit ist es nicht gelungen, Klarheit über die Aufgaben der einzelnen Entscheidungsebenen zu schaffen. Ein im März 2000 von den Staats- und Regierungschefs gefasster Beschluss schafft eher Begehrlichkeiten unterer Ebenen auch dort mitzuwirken, wo sie nicht zuständig sein können. Liss Zi 38: Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip wird nach einem völlig dezentralen Ansatz vorgegangen werden, so daß die Union, die Mitgliedstaaten, die regionalen und lokalen Ebenen sowie die Sozialpartner und Bürgergesellschaften im Rahmen unterschiedlicher Formen von Partnerschaften aktiv mitwirken.
In einem einheitlichen Währungsraum bedarf es nicht nur einer einheitlichen Geld- und Kreditpolitik, sondern auch einer gleichgerichteten Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten. Die Koordinierung ist ein dafür geeignetes Instrument, solange es an einer einheitlichen Wirtschaftspolitik in der EU bzw. der EWU mangelt. Allerdings wird die Koordinierung durch die starke Betonung des Subsidiaritätsprinzips geschwächt. Unter diesen Umständen verbleibt den Staats- und Regierungschefs kaum viel mehr als ein Appell an die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner, für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachtum zu sorgen. Köln Zi 5: Der Europäische Rat fordert alle, die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Entscheidungen fällen oder diese beeinflussen, unter voller Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und Autonomie in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich auf, zu mehr Beschäftigung auf der Grundlage eines starken und nichtinflationären Wachstums beizutragen.
Von dem im Abschnitt B. V. erläuterten Makroökonomischen Dialog verspricht sich der Europäische Rat eine Intensivierung der Kooperation. Nationale Regierungen, Europäische Zentralbank, Sozialpartner und Kommision sollten dort Informationen und Meinungen austauschen, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern.
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F. Koordinierung der Wirtschaftspolitik
Eine Kooperation innerhalb der EWU, die zu einer gleichgerichteten Wirtschaftspolitik und zu mehr Konvergenz in der wirtschaftlichen Entwicklung beitragen kann, bedarf quantitativer Vorgaben. Für den EWU-Raum sollten angemessene Zuwachsraten des realen und des nominalen BIP vorgegeben und in Vorgaben für die einzelnen Mitgliedstaaten der EWU umgesetzt werden. Auf der Basis solcher quantitativen Vorgaben könnten die Wirtschaftspolitiken in der EWU besser als bisher koordiniert und überwacht werden.
G. Orientierungsgröße und Geldpolitik I. Die Strategie der Europäischen Zentralbank Die Europäische Zentralbank legt ihrer Geld- und Kreditpolitik, im Gegensatz zur übrigen Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten der EWU und der Gemeinschaft, quantitative Orientierungsdaten zugrunde. Dabei genießt die Geldmenge, wie die EZB betont, eine herausragende Rolle. Eine solche Geldmenge kann unterschiedlich abgegrenzt werden. Der EZB-Rat entschied sich für ein breites Aggregat, nämlich die Geldmenge M3. Er begründete: EZB (19991), S. 53: In der Vergangenheit war die Nachfrage nach der WU-weiten breiten Geldmenge langfristig stabil. Breite Aggregate waren Frühindikatoren der Preisniveauentwicklungen. Dies steht im Gegensatz zu den empirischen Eigenschaften der engen WU-weiten Geldmenge, die über die kurifristigen Nominalzinsen zwar zu steuern ist, aber weder eine stabile Beziehung zum Preisniveau, noch wesentliche Indikatoreigenschaften aufwies.
In der Vergangenheit war eigentlich nicht die Geldmenge, sondern waren die Kredite das monetäre Aggregat mit dem bestem Zusammenhang zur Nachfrage. Aber auch schon früher wollte man die Kredite nicht zur Basis eines monetären Ziels oder Referenzwertes machen. Man befürchtete, jemand könne auf die Idee kommen, eine Kreditplafondierung einzuführen, d. h. den Kreditinstituten aufzugeben, die Kredite in einer Periode nur um einen bestimmten Prozentsatz steigen zu lassen. Ein solcher administrativer Eingriff ist bei den Krediten möglich, nicht dagegen bei der Geldmenge. Allerdings besteht bei der EZB nicht die Gefahr, dass sie sich einseitig an der Geldmenge orientiert. Vielmehr ... EZB (1999 1), S. 54: ... werden Entwicklungen anderer monetärer Aggregate, verschiedener Komponenten von M3 und der Gegen-
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G. Orientierungsgröße und Geldpolitik
posten zu all diesen Aggregaten in der Konsolidierten MFI-Bilanz ebenfalls gründlich und kontinuierlich beurteilt.
Der EZB-Rat hat betont, dass monetäre Daten für fundierte geldpolitische Entscheidungen allein nicht ausreichen. EZB (1999 1), S. 54: Daher wird neben der Analyse des monetären Wachstums in Relation zum ReJerenzwert eine breit fundierte Beurteilung der Aussichten für die Preisentwicklung und der Risiken für die Preisstabilität im Euro- Währungsgebiet eine wichtige Rolle in der Strategie des Eurosystems spielen.
Wie im Abschnitt D.I. dargestellt wurde, hat der EZB-Rat seinen Referenzwert für M3 abgeleitet. Ihm liegen zugrunde eine mittelfristig abgeleitete Zuwachsrate des realen BIP (angemessenes Wirtschafts wachstum) und eine normative Preissteigerungsrate gemessen am Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex HVPI. Beide Raten zusammen - wobei man den HVPI besser durch den Deflator des BIP ersetzt - ergeben eine angemessene Zuwachsrate des nominalen BIP. Diese vom EZB-Rat de facto festgelegte Zuwachsrate des nominalen BIP könnte auch der übrigen Wirtschaftspolitik als Orientierungsgröße dienen. Neben diesen Größen spielt in der Geld- und Kreditpolitik noch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, hier also von M3, eine Rolle. Sie gibt Auskunft über den Einsatz der Geldmenge bei gegeben Ausgaben. Wenn die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes z.B. sinkt, dann bedeutet dies, es wird mehr Geld benötigt, um eine bestimmte Ausgabe zu tätigen. Der EZB-Rat ist bei der Ableitung seines Referenzwertes von einer solchen Abnahme der Umlaufsgeschwindigkeit ausgegangen. Alles zusammen kam er zum Ergebnis eines Referenzwertes für die Geldmenge M3 sowohl für 1999 als auch für 2000 von 4Y2%. Die folgende schematische Übersicht fasst die Tätigkeitsschwerpunkte einer Zentralbank, so auch der EZB, zusammen. Es ist das Ziel der EZB, Preisstabilität zu gewährleisten. Sie ist vorrangig dafür verantwortlich. Das bedeutet, dass sie auch die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft zu unterstützen hat, sofern dadurch das Ziel Preisstabilität nicht beein-
1. Die Strategie der Europäischen Zentralbank
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Angemessene Zuwachsrate des nominalen BIP (Wtschpol.Orientierungsgr.)
Zu erw.ZuwR.d.Geldmenge (Referenzwert d.EZB)
Abb. 9: Die Geld- und Kreditpolitik
trächtigt wird (Artikel 105 Absatz 1 EGV). Um das Ziel Preisstabilität zu erreichen, bedarf es einer wirtschaftspolitischen Orientierungsgröße in Form einer quantitativen Vorgabe für eine angemessene Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts. Bei der EZB ergibt sich diese Rate aus der Ableitung für den Referenzwert der Geldmenge M3: angemessenes reales Wachstum (2 Y2 %) zuzüglich normativer Preissteigerungsrate (unter 2%). Mit Hilfe der Offenmarktpolitik stellt die Zentralbank den Banken Liquidität zur Verfügung und bestimmt dadurch die Geldmarktzinsen. Auf diesen Wegen steuert sie die Zuwachsrate der Kredite, die erforderlich ist, um sich letztlich dem Referenzwert zu nähern. Die Zuwachsrate der Kredite führt zu einer bestimmten Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts und dann schließlich zu einer dem entsprechenden Zuwachsrate von M3. Die Verbindung zwischen Krediten und nominalen Sozialprodukt wird durch die Finanzierungsrelation hergestellt und die zwischen nominalem Sozialprodukt und der Geldmenge durch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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G. Orientierungsgröße und Geldpolitik
11. Referenzwert ohne Bandbreiten Vor der EWU hatte die Deutsche Bundesbank, aber hatten auch andere Zentralbanken in Europa, ein Geldmengenziel festgelegt. Der EZB-Rat dagegen entschied sich für einen Referenzwert. Bei einem Referenzwert ist die Zentralbank nicht unbedingt verpflichtet, geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen, wenn die tatsächliche Entwicklung von M3 von diesem Wert abweicht. EZB (1999 1), S. 53: Daher muß das monetäre Aggregat für das Euro- Währungsgebiet, für das der Referenzwert angekündigt wird, nicht auf kurze Sicht anhand eines kurifristigen nominalen Zinssatzes, der vom Euro-System sehr genau beeinflußt wird, kontrollierbar sein. Dies ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Festlegung eines Referenzwerts und der Ankündigung eines geldpolitischen Zwischenziels.
Vor der Schaffung der EWU haben Zentralbanken ihre monetären Zwischenziele gerne in Form von Bandbreiten verkündet. Solche Korridore haben erhebliche Nachteile. Überschritt die monetäre Zielgröße die obere Korridorgrenze oder unterschritt sie die untere Korridorgrenze, dann sah die Öffentlichkeit darin ein Fehlverhalten der Geldpolitik. Man wand nichts ein, wenn das Ziel nicht genau erreicht worden war. Man erwartete aber, dass sich die Ziel größe wenigstens im oberen oder unteren Bereich des Korridors befand. Es waren diese Gründe, die den EZB-Rat veranlassten, eine Korridorlösung zu verwerfen. Er gab einen Referenzsatz bekannt, ... EZB (1999 I), S. 54: ... da die Ankündigung eines Referenzkorridors von der Öffentlichkeit dahingehend falsch interpretiert werden könnte, daß die Zinsen automatisch geändert würden, wenn das Geldmengenwachstum den Korridor verläßt; dies würde der Rolle des Referenzwertes in der Gesamtstrategie widersprechen.
Die Geld- und Kreditpolitik der EZB ist mittelfristig orientiert. Das bedeutet, Preisstabilität, wie die EZB ausführt, muss mittelfristig beibehalten werden. Anders ausgedrückt, es ist u. U. kurzfristig nicht zu verhindern, dass es zu Preissteigerungen kommt, die von nicht-monetären Schocks ausgelöst
III. Das geldpolitische Instrumentarium der EZB
81
werden. Das ist der Fall, wenn z. B. die indirekten Steuersätze erhöht werden oder die internationalen Rohstoffpreise steigen. EZB (1999 1), S. 52: Das Eurosystem kann für diese kurljristigen Schocks, denen das Preisniveau ausgesetzt ist, nicht verantwortlich gemacht werden.
Die Geld- und Kreditpolitik der EZB wird an einem Referenzwert ausgerichtet, der aus Größen abgeleitet wurde, die sie aus längeren statistischen Reihen gewonnen hat. Eine solche mittelfristige Ausrichtung ihrer Geldpolitik bedeutet, dass sie konjunkturstabilisierend wirkt. EZB (1999 I), S. 53: In dieser Hinsicht würde die Annahme eines trendmäßigen Wachstums des realen BIP der Geldpolitik eine antizyklische Eigenschaft verleihen, da eine unter dem Trend liegende Wachstumsrate des BIP in der Regel mit einem langsameren Geldmengenwachstum einhergehen würde, als dies in Relation dazu bei einem ReJerenzwert der Fall ist, der von einer trendmäßigen Produktion abgeleitet wurde.
Diesen Fall hat die EZB 1999 praktiziert. Ursprüngliche Schätzungen einer Zunahme des realen BIP um 2,5 % wurden im Verlaufe des Jahres nach unten revidiert. Für die EZB hatte das keine geldpolitischen Folgen. Sie tolerierte einen Anstieg der Geldmenge M3, der etwas höher als der Referenzwert war. Damit wirkte die Geldpolitik der EZB der konjunkturellen Dämpfung entgegen.
111. Das geld- und kreditpolitische Instrumentarium der EZB Um ihre Aufgabe, die Preise stabil zu halten, sachgerecht zu lösen, hat der Europäische Rat dem Europäischen System der Zentralbanken eine Satzung gegeben, in der ihr umfangreiche geld- und kreditpolitische Befugnisse eingeräumt werden (Köhler (1999), S. 79ff.). Liquidität und Zinssätze, über die eine Zentralbank die monetären Aggregate steuert, können von der EZB vor allem mit Instrumenten der Offenmarktpolitik und mit der Mindestreservepolitik sowie sogenannter Ständiger Fazilitäten beeinflusst werden. 6 Köhler
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G. Orientierungsgröße und Geldpolitik
EZB (1999 1V). S. 34: 1m Rahmen der geldpolitischen Strategie spielen die Offenmarktgeschäfte eine wichtige Rolle bei der Zinssteuerung und der Bereitstellung von Liquidität am Markt.
Um die Zinsen am Geldmarkt zu steuern, muss die EZB grundsätzlich ständig am Markt präsent sein. Gewöhnlich genügt es, wenn sie solche den Zinssatz beeinflussenden Offenmarktgeschäfte wöchentlich durchführt. Die EZB kauft von den Banken Wertpapiere an und vereinbart mit ihnen gleichzeitig den Rückkauf dieser Papiere. Die Frist zwischen Kauf und Rückkauf und damit die Laufzeit dieser Geschäfte beträgt 14 Tage. Der Zinssatz am Geldmarkt lässt sich dabei am besten bestimmen, wenn diese Geschäfte als Mengentender durchgeführt werden. Das ist bei der EZB auch der Fall. Bei dieser Art der Offenmarktgeschäfte legt die EZB bei der Ausschreibung den Zinssatz fest. Die Banken nennen dann die Beträge, zu denen sie bereit sind Zentralbankgeld aufzunehmen. In seiner reinen Form ist der Mengentender dadurch gekennzeichnet, dass die Zentralbank die Beträge akzeptiert, die die Banken bieten. Bei der EZB zeigt sich, was schon bei der Deutschen Bundesbank zu beobachten war: Die Bietungen übersteigen bei festgelegtem Zinssatz den Betrag, den die Zentral bank maximal dem Markt zuführen will. Bei den Ausschreibungen der EZB gehen die Bietungen. der Banken über den zugeteilten Betrag hinaus. Tatsächlich sind die Mengentender eine Kombination von Zinsfestlegung und gleichzeitiger Festlegung des Zuteilungsbetrages durch die EZB. Diese die Zinssätze am Geldmarkt bestimmenden wöchentlich durchgeführten Offenmarktgeschäfte bezeichnet die EZB als Hauptrefinanzierungsgeschäfte. Woche für Woche muss die EZB umfangreiche Geschäfte am offenen Markt abwickeln. Sie muss im allgemeinen die fallig werdenden Beträge ersetzen und wenn eine zusätzliche Liquiditätsausstattung notwendig ist, auch diese Beträge bereitstellen. Zur Zins steuerung ist es nicht erforderlich, jeweils alle fällig werden Beträge auszutauschen. Daher sorgt die EZB durch länger laufende Offenmarktgeschäfte für eine gewissen Grundausstattung der Banken mit Zentralbankgeld. Diese sogenannten
III. Das geldpolitische Instrumentarium der EZB
83
Längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte haben eine Laufzeit von drei Monaten und werden monatlich angeboten. Da mit diesen Geschäften nicht die Geldmarktsätze gesteuert werden sollen, sondern eine Grundausstattung der Banken mit Zentralbankgeld geschaffen wird, werden diese Transaktionen als Zinstender durchgeführt. Die Banken nennen dabei den Zinssatz zu dem sie bereit sind, Zentralbankgeld längerfristig aufzunehmen. Die EZB entscheidet dann, welche der gebotenen Zinssätze sie akzeptiert. Damit bestimmt sie die Menge an Zentralbankgeld, die sie den Banken bereitstellen will. Sollte plötzlich durch Devisentransaktionen im Europäischen Währungssystem oder durch Dispositionen öffentlicher Haushalte zugunsten oder zulasten ihrer Einlagen der Geldmarkt mit Zuflüssen oder Abflüssen an Zentralbankgeld konfrontiert werden, dann kann die EZB rasch eingreifen. Sie kann innerhalb weniger Stunden sogenannte Schnelltender durchführen und auf diese Weise Liquiditätsüberschüsse oder Liquiditätsfehlbeträge kompensieren. Ein weiteres wichtiges geld- und kreditpolitisches Instrument der EZB ist die Mindestreservepolitik. EZB (1999 IV), S. 35/: Eine Hauptaufgabe des Mindestreservesystems besteht zunächst darin, die Geldmarktsätze zu stabilisieren. ... Eine zweite wichtige Aufgabe des Mindestreservesystems besteht darin, das Liquiditätsdefizit des Bankensystems zu vergrößern.
Das ESZB verlangt von allen Kreditinstituten in einer vom EZB-Rat festgelegten Höhe, die in Prozenten der Einlagen bemessen wird, Reserven im Eurosystem zu unterhalten (Mindestreserven). Dieses Mindestreservesystem erfüllt seine Aufgabe, die Geldmarktsätze zu stabilisieren, durch eine bestimmte technische Ausgestaltung des Systems. Die Kreditinstitute müssen nämlich ihr Mindestreservesoll nicht täglich erfüllen, sondern nur im Durchschnitt eines Monats. Besteht ein Zentralbankgeldbedarf bei einer Bank, dann kann dieses Kreditinstitut diesen Bedarf durch Rückgriff auf seine Mindestreserve decken. Es muss dann nur dafür sorgen, dass im weiteren Verlauf des Monats entsprechend höhere Beträge auf dem Zentralbankkonto gehalten werden. Auch eine "intertemporale Arbi-
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G. Orientierungsgröße und Geldpolitik
trage" findet statt. Banken können "Gewinne erzielen, indem sie Interbankkredite gewähren und ihr Reservesoll unterschreiten, wenn der Tagesgeldsatz über dem Satz liegt, den sie für den Rest der Erfüllungsperiode erwarten, und im umgekehrten Fall Interbankkredite aufnehmen und Überschußreserven unterhalten." (EZB (1999 IV), S. 35). Wenn z.B. kurzfristig ein Bedarf an Zentralbankgeld auftritt, dann muss das nicht zu Zinssteigerungen führen, sondern er kann aus dem Mindestreservesystem heraus ausgeglichen werden. Die zweite wichtige Aufgabe der Mindestreserve ist es, die Banken eng an die Zentralbank zu binden. Die Mindestreservepflicht bedeutet, dass sich die Banken das zur Erfüllung ihrer Mindestreservepflicht notwendige Zentralbankgeld allein beim ESZB beschaffen können. Sollten die Kredite und die Einlagen und damit die Zielgröße M3 in nicht erwünschten Tempo zunehmen, dann müssen die Banken höhere Mindestreserven unterhalten. Es entsteht ein zusätzlicher Zentralbankgeldbedarf der Banken. Wird dieser zusätzliche Bedarf nicht sofort vom ESZB gedeckt, indem Hauptrefinanzierungsgeschäfte nur mäßig erhöht werden, dann steigen die Zinsen am Geldmarkt. Die monetäre Expansion wird gedämpft. All dies geschieht im Augenblick der monetären Expansion automatisch. Es bedarf dazu keiner geld- und kreditpolitischen Beschlüsse. Ebenfalls der Zinsteuerung dienen die sogenannten Ständigen Fazilitäten. Sie sorgen dafür, dass bei kurzfristigen Liquiditätsschwankungen die dadurch ausgelösten Zinssteigerungen oder Zinssenkungen am Geldmarkt bestimmte vom EZB-Rat festgelegte Zinssätze nicht über- oder unterschreiten. EZB (1999), S. 35: Diese Fazilitäten dienen der Zuführung beziehungsweise Abschöpfung von Übernachtliquidität. Die Geschäftspanner können die Spitzenrejinanzierungsfazilität in Anspruch nehmen, um sich Übernachtliquidität gegen rejinanzierungsfähige Sicherheiten von den nationalen Zentralbanken zu beschaffen, während sie die Einlagenfazilität nutzen können, um über Nacht Beträge bei den nationalen Zentralbanken anzulegen.
Immer wieder kommt es vor, dass die Konten der Kreditinstitute, wenn die Abrechnungszeit endet, Fehlbeträge oder Über-
IV. Geldpolitik in der Wirklichkeit
85
schüsse aufweisen. Der Ausgleich solcher Salden kann am Geldmarkt zu erheblichen Zinsschwankungen führen. Um das zu vermeiden, stehen den Banken die Ständigen Fazilitäten zur Verfügung. Wenn sie über Nacht die Spitzenrefinanzierungsfazilität des ESZB in Anspruch nehmen, dann müssen sie allerdings einen höheren Zinssatz zahlen als am Geldmarkt. Umgekehrt erhalten die Kreditinstitute eine unter dem Marktzins liegende Verzinsung, wenn sie die Einlagefazilität in Anspruch nehmen. Die Mindestreserven, mit ihrer monatsdurchschnittlichen Erfüllung und die Ständigen Fazilitäten führen automatisch, d. h. ohne Beschlüsse des EZB-Rates zu einer von hektischen Bewegungen freien Zinsentwicklung.
IV. Geldpolitik in der Wirklichkeit Die Geld- und Kreditpolitik einer Zentralbank zu beurteilen, verlangt eine monetäre Konzeption. An ihr kann man dann die tatsächliche Entwicklung messen. Die EZB hat ihre Strategie wie folgt formuliert: EZB (1999 IIl), S. 30/: Zentralbanken können aufgrund ihrer MonopolsteIlung auf der Angebotsseite den Preis ... für die Haltung von Basisgeld, nämlich den kurzfristigen Marktzins, festsetzen. Dies geschieht, indem Kreditinstituten Liquidität in Fonn von Basisgeld zu grundsätzlich festgelegten Zinssätzen zur Verfügung gestellt wird. Die Bildung von Bankeinlagen und Schaffung anderer monetärer Instrumente ist wiederum verbunden mit der Verfügbarkeit von Zentralbankgeld und der Höhe der Leitzinsen. Durch den Bedarf an Zentralbankgeld verfügt das Eurosystem auf diesem Wege über einen Hebel zur Beeinflussung der Geldmengenexpansion insgesamt.
Im Vordergrund steht, wie die EZB betont, die Liquidität der Kreditinstitute, deren Umfang die EZB vor allem durch ihre Offenmarktgeschäfte bestimmt. Mit ihrer Monopolstellung bei der Bereitstellung von Zentralbankgeld - die EZB benutzt zum Teil den Begriff Basisgeld - bestimmt sie die Höhe der Tagesgeldzinsen am Geldmarkt. Der Umfang an Zentralbankgeld und die Höhe der Geldmarktsätze, die die EZB fixiert und die sie als Leitzins bezeichnet, bestimmt auch die Bildung von Bankeinlagen und "anderer monetärer Instrumente". Gemeint können
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G. Orientierungsgröße und Geldpolitik
damit eigentlich nur die Kredite sein, die die Banken den Nichtbanken gewähren. Sie werden in der folgenden Analyse berücksichtigt. Zentralbankgeld bei Banken, d. h. die Bankenliquidität und Geldmarktzinsen bestimmen nach Ansicht der EZB letztlich die Geldmengenexpansion. Da der Europäische Rat keine quantitativen Vorgaben für ein angemessenes reales und nominales BIP gegeben hat, werden die Daten zugrunde gelegt, die der EZB-Rat für die Ableitung seines monetären Referenzwertes verwendet hat. Das ist eine Zuwachsrate von (2 %) bis 2,5 % für das reale BIP und eine normative Preissteigerungsrate der Verbraucherpreise von unter 2%. Hier soll diese Rate auch für den Deflator des BIP benutzt werden. Damit ergibt sich eine angemessene Zuwachsrate des nominalen BIP von ca. 4,5 %. Eine Analyse der Geld- und Kreditpolitik einer Zentralbank erfordert längere Zeitreihen. Da die EWU erst Anfang 1999 in Kraft trat, ist die statistische Basis für eine solche Analyse äußerst schmal. In der Anfangsphase der EWU sich zeigende Tendenzen müssen daher im längeren Zeitablauf nicht Bestand haben. Im Vordergrund des geld- und kreditpolitischen Bemühens der EZB steht die Steuerung der Bankenliquidität und des Tagesgeldsatzes am Geldmarkt. Die EZB begann mit der Festlegung eines Tagesgeldsatzes von 3% (1. Vj. 1999). Das war, angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit und rezessiver Tendenzen in der EWU, eine vorsichtige, dem Beginn mit einer einheitlichen Währung in Europa aber angemessene Setzung. Sobald deutlich wurde, dass die Preisstabilität nicht gefährdet war, führte die EZB das Zinsniveau am Geldmarkt mit Hilfe ihrer Offenmarktoperationen zurück (2. Und 3. Vj. 1999). Erste Anzeichen einer konjunkturellen Belebung veranlassten sie, die geldpolitischen Zügel durch Zinserhöhrung wieder etwas anzuziehen (4. Vj. 1999 und 1. Vj. 2000). Die Veränderung der Bankenliquidität wird mit der Veränderung des Liquiditätssaldos gemessen. Der Liquiditätssaldo enthält die Guthaben, einschließlich Mindestreserven, die die Kreditinstitute im ESZB halten, abzüglich der Schulden der
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IV. Geldpolitik in der Wirklichkeit Uquiditätssaldo
x
Elastizität d.Zinsen i.Bez.auf d.UquS.
1999 01 02 03 Q4
13,3 15,0 28,0 -28,9
01 02 03 04
-4,1
01
2000 01
1999 -2,01 -2,56 -1,61 0,06 2000 -4,38
Geldmarlrtzinsen agesgeld) Zins i. % Veränd
er
01 02 03 04 01
1999 2,93 -26,8 2,56 -38,4 2,43 -45,0 3,04 -1,6 2000 3,51 18,1
Veränderungen in v. H. (Exp. Raten) gegenüber dem Vorjahr. sofern nichts anderes vermerkt
Abb. 10: Liquiditätstransaktionen der Europäischen Zentralbank und Geldmarktzinsen
Banken aus ihrer Mittelaufnahme beim ESZB. Die Schulden der Banken beim ESZB waren 1999 höher als die Guthaben. Die ausgewiesene Zunahme des Liquiditätssaldos infolge Zuführung von Zentralbankgeld zu den Kreditinstituten führte zu einem Rückgang dieser Schuld. Die Elastizität des Tagesgeldsatzes in Bezug auf die Bankenliquidität lag 1999 nahe -1,5. Das bedeutet, dass die Geldmarktzinsen, im Vergleich zum Vorjahre, relativ stärker zurückgingen als die Bankenliquidität erhöht wurde. Während des Übergangs von sinkenden zu steigenden Zinsen schwankte die Elastizität der Zinsen in Bezug auf den Liquiditätssaldo erratisch. Von wesentlicher Bedeutung für die Finanzierung wirtschaftlicher Aktivitäten ist die Kreditgewährung. Ein wichtiger Einflussfaktor auf die Nachfrage nach Krediten durch Nichtbanken sind die Zinsen. Die direkt von der EZB mit Hilfe von Offenmarktoperationen veränderten Tagesgeldsätze verändern in gleiche Richtung auch die Kreditzinsen. Sinkende Tagesgeldzinsen z. B. sind mit sinkenden Kreditzinsen verbunden. Das stimuliert die Kreditnachfrage. Die von der EZB initierten Zins senkungen haben zu einer leichten Zunahme der Kreditgewährung an Nichtbanken in der EWU und an Nichtbanken außerhalb der EWU geführt. Die Elastizität der Kredite in Bezug auf die Zinssätze war gering. Das bedeutet, dass sich nur ein geringer Teil der prozentualen Veränderung der Zinssätze in Veränderung der Kreditgewäh-
88
G. Orientierungsgröße und Geldpolitik
Geldmarktzinsen (Tagesgeld) Zins i. % Veränd
01 02 03 04 01
1999 2,93 -26,8 2,56 -38,4 2,43 -45,0 3,04 -1,6 2000 18,1 3,51
x
Kredite an Nichtbanken
Elastizität d.Kredite i.Bez.auf d.Zinsen
01 02 03 04 01
1999 -0,24 -0,17 -0,15 -4,44 2000 0,43
1999 6,3 6,7 6,7 7,2
01 02 03 04 2000 01
7,7
Veränderungen in v.H. (Exp. Raten) gegenüber dem Vorjahr, sofern nichts anderes vermerkt
Abb. 11: Geldmarktzinsen und Kreditgewährung
rung niederschlug. Das Vorzeichen Zinselastizität der Kreditnachfrage war erwartungsgemäß negativ. Sinkenden Zinsen entsprach also eine zunehmende Kreditgewährung und umgekehrt. Im 1. Vj. 2000, während des Übergangs zu steigenden Zinsen, wies diese Elastizität ein positives Vorzeichen auf. Wenn ein angemessenes reales und nominales Wirtschaftswachstum erforderlich ist, dann können die zusätzlichen wirtschaftlichen Aktivitäten keinesfalls allein mit der vorhandenen Geldmenge finanziert werden. Zusätzliche Kredite sind erforderlich, mit denen zusätzliche Leistungen finanziert werden und die auch zu einer Zunahme der Geldmenge führen. Somit ist die Kreditgewährung wohl die wichtigste monetäre Größe. Die Zuwachsrate der Kredite in der EWU hat zu einer demgegenüber geringeren Zuwachsrate des nominalen BIP geführt. Das war zu erwarten. Auch in der Bundesrepublik war vor Gründung der EWU die Finanzierungsrelation negativ. Um eine bestimmte Zuwachsrate des nominalen BIP zu finanzieren, ist eine höhere Zuwachsrate an Krediten erforderlich. Die Finanzierungsrelation spielt bei der Kreditgewährung dieselbe Rolle wie die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bei der Geldmenge. Die aus Sicht der Ableitung des Referenzwertes der Geldmenge M3 angemessene Zuwachsrate des nominalen BIP (4-4,5%) wurde nicht erreicht. Es waren einmal negative Einflüsse, die von den Sparpolitiken der öffentlichen Haushalte in den Mitgliedstaaten der EWU ausgingen. Zum anderen hat eine
IV. Geldpolitik in der Wirklichkeit Kredite an Nichtbanken
01 02 03 04 01
1999
2000
+
89
Finanzierungsrelation
6,3 6,7 6,7 7,2
01 02 03
7,7
01
Q4
1999
2000
BIP nominal
-4,0 -2,8 -2,6 -3,2
01 02 03 04
-3,2
01
1999
2000
2,4 3,9 4,2 4,0 4,5
Veränderungen in v. H. (Exp. Raten) gegenüber dem Vorjahr, sofern nichts anderes vermerkt
Abb. 12: Die Finanzierung der gesamtwirtschaftlichen Leistung
rückläufige Bautätigkeit die konjunkturelle Entwicklung nachteilig beeinflusst. Hinzu kam, dass eine Asienkrise und eine Krise in Südamerika den Welthandel dämpfte. Darunter litten die Exporte aus dem EWU-Raum und damit das Wirtschaftswachstum. Eine Zentralbank, so auch die EZB, steuert die monetären Aggregate Kredite und Geldmenge. Sie beeinflusst auf diese Weise das nominale BIP. Worauf sie allerdings kaum Einfluss hat, ist die Zusammensetzung des BIP, d. h. wie sich das nominale BIP auf das reale BIP und die Preise verteilt. Gesteuert wird der monetäre Prozess über die Bankenliquidität und damit die Zinssätze. Veränderungen der Zinssätze beeinflussen nicht nur die nominale Seite der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch die reale. In einer rezessiven Entwicklung helfen Zinssenkungen der Zentralbank, die nach unten gerichteten Tendenzen teilweise zu kompensieren. Die Senkung der Zinsen am Geldmarkt durch die Zentralbank führt auch zu Zinssenkungen am Einlagen-, Kredit- und Rentenmarkt. Dadurch wird vor allem die Bautätigkeit stimuliert. Allerdings kann eine Zentralbank in einer solchen restriktiven Phase leicht in ein Dilemma geraten. Die Zentralbank, das gilt für die EZB und galt für die Deutsche Bundesbank, leitet die grundsätzlich anzustrebende Zuwachsrate der Geldmenge M3 aus der für angemessen erachteten Zuwachsrate des realen BIP und der normativen Preissteigerungsrate ab. Es kann daher passieren, dass das nominale BIP entsprechend zunimmt. Wenn
90
G. Orientierungsgröße und Geldpolitik BIP nominal
01 02 03 04 01
1999
2000
+
BIP real
2,4 3,9 4,2 4,0
01 02 03 04
4,5
01
1999
2000
Preise . (Deflator)
1,7 2,0 2,5 3,0
01 02 03 04
3,4
01
1999
2000
0,7 1,8 1,7 1,0 1,5
Veränderungen in v. H. (Exp. Raten) gegenüber dem Vorjahr, sofern nichts anderes vermerkt
Abb. 13: Die Verteilung auf die realen Leistungen und die Preise
sich aber der rezessive Prozess weiter fortsetzt, d. h. wenn die Zuwachsrate des realen BIP weiter abnimmt, dann steigen bei hohen nominalen Zuwachsraten die Preise. Die Zentralbank, deren Ziel Preisstabilität ist, wird dadurch gezwungen, die monetären Zügel anzuziehen. Der rezessive Prozess verschärft sich zusätzlich. In der EWU ist die EZB im Jahre 1999 nicht in eine solche Dilemmasituation geraten. Obwohl sie ihrem geid- und kreditpolitischen Kurs einen Referenzwert für die Geldmenge M3 von 4V2% zugrunde legte und eine tatsächliche Überschreitung dieser Zuwachsrate tolerierte, nahm das nominale BIP weniger zu. Die Verlangsamung des realen Wachstums in der EWU im Jahre 1999 gegenüber dem Vorjahr führte nicht zu einem Anstieg der Preise. Der Deflator, der Preisindex aller volkswirtschaftlichen Leistungen, ging von 2,1 % im 1. Vj. 1999 auf 1,1 % im 4. Vj. 1999 zurück. Allerdings misst die EZB den Erfolg ihrer Tätigkeit nicht an der Zuwachsrate des Deflators, sondern an der der Konsumentenpreise, und zwar des sogenannten Harmonisierten Verbraucherpreisindex. Dessen Zuwachsrate war im allgemeinen niedriger als die des Deflators. Wenn zusätzliche Kredite gewährt werden, um wirtschaftliche Aktivitäten zu finanzieren, dann nimmt auch die andere Bilanzseite bei den Kreditinstituten zu, das Mittelaufkommen. Ein Teil dieses Mittelaufkommens, die Geldmenge - die Referenzgröße der EZB -, wird dabei verfügbar gehalten. Wieviel vom Zuwachs des Mittelaufkommens verfügbar gehalten wird, hängt von zwei Größen ab: dem Einkommens- oder Umsatzzu-
IV. Geldpolitik in der Wirklichkeit BIP nominal
91
Umlaufsgeschwindes Geldes
Geldmenge
d~keit
Q1 Q2 Q3 Q4 Q1
1999
2000
2,4 3,9 4,2 4,0
Q1 Q2 Q3 Q4
4,5
Q1
1999
2000
-3,0 -1,8 -2,2 -3,0
Q1 Q2 Q3 Q4
-2,8
Q1
M3 1999
2000
5,4 5,7 6,4 7,0 7,3
Veränderungen in v. H. (Exp. Raten) gegenüber dem VOljahr, sofern nichts anderes vermerkt
Abb. 14: Der Einfluss auf die Geldmenge
wachs bzw. der Erwartung der Veränderung dieser Größen und den Zahlungsgewohnheiten. Je nach der Höhe des (erwarteten) Einkommenszuwachses oder der (erwarteten) Umsatzsteigerung oder der (erwarteten) Investitionsausgaben, wird bei gegebenen Zahlungsgewohnheiten die Zuwachsrate der Geldmenge höher oder niedriger ausfallen. Im EWU-Raum ist die Zuwachsrate der Geldmenge M3 stets höher als die Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts. Das bedeutet, die Umlaufsgeschwindigkeit der Geldmenge M3 weist einen abwärtsgerichteten Trend auf. Ihre Veränderungsraten sind negativ. Eine solche Tendenz war auch in den nationalen Volkswirtschaften, so in der Bundesrepublik Deutschland, vor Gründung der EWU zu beobachten. Auch die EZB hat damit gerechnet. Als sie den Referenzwert der Geldmenge M3 für die Jahre 1999 und 2000 ableitete, ging sie von einer Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit von Y:z-I % aus. Sie wagte die Vorhersage: "Außerdem dürfte der tatsächliche trendmäßige Rückgang der Umlaufsgeschwindigkeit knapp unter der oberen Grenze des Korridors von Y:z-I % liegen." (EZB (1999 I, S. 54). Bisher ist der Rückgang allerdings deutlich höher. Zu berücksichtigen ist, dass der von der EZB ermittelten Umlaufsgeschwindigkeit längere Zeitreihen zugrunde gelegen haben, d. h. sie wurde mittelfristig abgeleitet. Solche Ableitungen auf der Basis von Zeitreihen von elf Ländern müssen nicht notwendigerweise die Veränderungen in dem einheitlichen Währungsraum EWU widerspiegeln. Erfahrungen müssen hier erst noch gewonnen werden.
H. Orientierungs größe und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten I. Keine makroökonomische Orientierung der Finanzpolitik in der EWU Die Finanzpolitik in der EU und damit auch in der EWU liegt grundsätzlich in den Händen der Mitgliedstaaten. Sie betrachten diese Politik als eine Angelegenheit gemeinsamen Interesses, die sie im Rat koordinieren (Artikel 99 Absatz 1 EG-Vertrag). Ein sinnvolles, gemeinsames und koordiniertes finanzpolitisches Handeln in der EWU ist nur dann zu erwarten, wenn sich ebenso wie es der EZB-Rat bei der Geld- und Kreditpolitik getan hat - die Finanzpolitiken der Mitgliedsländer an makroökonomischen Größen orientieren. Gelegentlich könnte man den Eindruck haben, dass der Europäische Rat dies ebenso sieht. Köln Zi 19: Er sieht den Schlüssel für nachhaltiges nicht-inflationäres Wachstum und mehr Beschäftigung im abgestimmten Zusammenwirken einer wachstums- und stabilitätsorientierten makroökonomischen Politik . ..
Das klingt nach einer quantitativen makroökonomischen Orientierung. Die Staats- und Regierungschefs haben das aber nicht so gemeint. Quantitative Orientierungen haben sie den Mitgliedsländem der EWU nicht vorgegeben. Um die Finanzpolitiken wirkungsvoll zu koordinieren, hätte das geschehen müssen.
11. Das Problem der Zuständigkeit für ein hohes Beschäftigungsniveau Da das nicht geschehen ist, stellt sich die Frage, wer eigentlich von den Gemeinschaftsinstitutionen für die Lösung des Beschäftigungsproblems zuständig ist. Zwei wichtige wirt-
11. Zuständigkeit für ein hohes Beschäftigungsniveau
93
schaftspolitische Ziele gilt es zu erreichen: Preisstabilität und ein hohes Beschäftigungsniveau. Preisstabiltät zu gewährleisten, diese Aufgabe hat der EG-Vertrag dem ESZB als vorrangiges Ziel übertragen. Das ist sinnvoll, da Preis stabilität mit Quantitäten monetärer Größen verbunden ist. Die monetären Größen werden vor allem von der Geld- und Kreditpolik der Zentralbank bestimmt. Ein hohes Beschäftigungsniveau wird von Veränderungen realer Größen, vor allem von zusätzlichen Investitionen bestimmt. Es sind die Instrumente der Finanzpolitik, insbesondere Infrastrukturinvestitionen und Steuersatzänderungen, die auf diese realen Größen einwirken. Es wäre daher sinnvoll gewesen, wenn der EG-Vertrag bestimmt hätte: Das vorrangige Ziel der Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ist es, - unter Wahrung der Zuständigkeiten der Mitgliedsländer für die Finanzpolitik - ein hohes Beschäftigungsniveau zu fördern. Aber weder im EG-Vertrag noch in den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs findet sich ein Hinweis, welche staatliche Institution für eine angemessene Beschäftigungspolitik zuständig ist. Vielmehr hat man aus Äußerungen von Politikern den Eindruck, dass sie eine solche Verantwortung umgehen wollen. Es werden dann zwei Argumente genannt. Einmal, der Staat könne keine Arbeitsplätze schaffen und zum anderen, die Sozialpartner, die über die Lohnhöhen entscheiden, sind für die Beschäftigung verantwortlich. Der Staat kann selbstverständlich Arbeitsplätze schaffen. Das ist der Fall, wenn er z. B. in den Krankenhäusern das Pflegepersonal erhöht oder wenn er in den Schulen zusätzlich Lehrer einstellt, um die Schüler besser zu betreuen. Wichtig, um das Beschäftigungsproblem zu lösen, aber ist, dass der Staat Rahmenbedingungen setzt, um ein verstärktes Wirtschaftswachstum zu induzieren. Durch zusätzliche Infrastrukturinvestitionen des Staates erhalten die Unternehmen Aufträge, also das Wichtigste, was die wirtschaftliche Entwicklung stimuliert. Daneben kann und sollte der Staat z. B. durch steuerpolitische Maßnahmen und durch Abschreibungserleichterungen die private Investitionstätigkeit anregen.
94
H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
Die Höhe der Löhne, die die Sozialpartner vereinbaren, ist selbstverständlich ein wichtiger Faktor, der die Beschäftigung beeinflusst. Daher muss man auch von den Sozialpartnern fordern, dass sie sich mit ihrer Lohnpolitik strategiegerecht verhalten. Das ist aber nur möglich, wenn Größen für ein angemessenes Wachstum des realen Sozialprodukts und die angestrebte normative Preissteigerungsrate vorgegeben werden, die sie bei ihren Lohnabschlüssen berücksichtigen können. Man kann aber von den Sozialpartnern nicht verlangen, das Beschäftigungsproblem zu lösen. Wenn der Staat - im Fall der EU der Europäische Rat - wirtschaftspolitische Ziele aufstellt, dann müssen auch staatliche Institutionen verantwortlich sein und entsprechend handeln, um diese Ziele zu erreichen. Die Staats- und Regierungschefs der EU haben dem Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus "oberste Priorität" eingeräumt (Leit 1999 Zi (1)) und dieses Ziel als "vorrangig" bezeichnet (Köln Zi 7). Dann aber muss die Gemeinschaft auch bereit sein, auf der Basis von gesamtwirtschaftlichen Orientierungsgrößen sowohl in den Mitgliedstaaten also auch in der Kommission dieses Ziel konsequent anzustreben. Der Europäische Beschäftigungspakt reicht dafür nicht aus.
111. Die Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Orientierungsgrößen für die Finanzpolitik In dem einheitlichen Währungsraum EWU sind für die Finanzpolitik die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig. Eine minimale Einheitlichkeit im finanzpolitischen Handeln, mit dem Ziel eines höheren Beschäftigungsniveaus, ist unter solchen Bedingungen nur zu erreichen, wenn für alle Mitgliedstaaten quantitative Vorgaben für ein Wirtschaftswachstum bei Preisstabilität gemacht werden. Die schematische Übersicht zeigt, wie die Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten der EWU koordiniert werden könnten, um dazu beizutragen, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Dabei darf kein Zweifel daran bestehen, dass die Mitgliedstaaten, und zwar ihre Finanzpolitik, dafür
III. Orientierungsgrößen für die Finanzpolitik
95
zuständig sind, die erforderlichen Schritte auf dem Wege zu einer höheren Beschäftigung in ihren Ländern umzusetzen. Gemeinsamer Ausgangspunkt für die Kooperation auf diesem Felde der Beschäftigung ist die wirtschaftspolitische Orientierungsgröße, die anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP in der EWU. Sie ist von den Mitgliedstaaten, ihren Verhältnissen entsprechend, so zu modifizieren, dass Chancen bestehen im EWU-Raum insgesamt die Orientierungsgröße auch zu erreichen. Das bedeutet, dass bei Aufrechterhaltung der Preisstabilität ein reales Wirtschaftswachstum verwirklicht wird, das die Beschäftigung erhöht und die Arbeitslosigkeit vermindert. Die wirtschaftspolitische Orientierungsgröße ist ein Leitfaden für die öffentlichen Ausgaben. Sie ist ein Maßstab für die erforderliche Zuwachsrate dieser Ausgaben. Häufig wird darauf hingewiesen, dass eine solche Zunahme öffentlicher Ausgaben zu einer Erhöhung der öffentlichen Schulden führt. Das aber ist unwahrscheinlich. Wenn der Staat Lehrer und Krankenpflege-
Zu erwartende Zuwachsrate öffentlicher Einnahmen
Erforderliche Zuwachsrate öffentlicher Ausgaben
Nebenbedingung: Off. Defizit oder< 3% d.BIP
=
Abb. 15: Die Finanzpolitik als Teil einer wirtschaftspolitischen Strategie
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H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
personal einstellt und damit die öffentlichen Ausgaben erhöht, dann steigen bei diesem Personenkreis die Einnahmen, d. h. die Einkommen. Wenn der Staat Unternehmen beauftragt Infrastrukturinvestitionen durchzuführen, also z. B. Straßen zu bauen, dann nehmen bei den Unternehmen und ihren Mitarbeitern ebenfalls die Einkommen zu. Steigende Einkommen aber führen auch zu zusätzlichen Steuereinnahmen des Staates. Da die Einkommensteuertarife in allen Mitgliedstaaten der EWU progressiv gestaltet sind, sind die öffentlichen Einnahmen im Zusammenhang mit solchen Maßnahmen des Staates relativ hoch. Wird durch dieses staatliche Handeln die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt stimuliert, so ist auch die im EG-Vertrag festgelegte Grenze maximaler zusätzlicher Verschuldung kein wesentliches Hindernis für ein aktives Eingreifen des Staates. Orientierungsgrößen für die Finanzpolitik gelten für alle öffentlichen Hände. Einmal ist es die Zentralregierung, die sie ihren Dispositionen zugrunde zu legen hat. Sie hat aber auch darauf zu achten, dass diese Größen von den Provinzen oder Bundesländern einzuhalten sind. Aufgabe dieser staatlichen Ebenen ist es, auf die Gemeinden einzuwirken, sich in ihrer Haushaltspolitik ebenfalls an den von der Zentralregierung vorgegeben Größen zu orientieren. Das ist besonders wichtig, da die Gemeinden im allgemeinen umfangreiche Infrastrukturinvestitionen vornehmen. Sie neigen dazu, Mittel hierfür auszugeben, wenn ihre Kassen voll sind und sich zurückzuhalten, wenn sie leer sind. Anders ausgedrückt, Gemeinden handeln meist prozyklisch. Das gilt es zu venneiden.
IV. Notwendige Abweichungen von der Orientierungsgröße Eine wirksame, die Beschäftigung fördernde Finanzpolitik auf der Basis wirtschaftspolitischer Orientierungsgrößen durchzuführen verlangt von allen Beteiligten ein hohes Maß an Kooperationsbereitschaft. Die Staats- und Regierungschefs haben die angemessene Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts festzulegen. Sie folgt aus der für angemessen betrachte-
IV. Notwendige Abweichungen von der Orientierungsgröße
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ten Wachstumsrate des realen BIP und der von der EZB definierten normativen Preissteigerungsrate. Die Wirtschafts- und Finanzminister hätten dann diese Orientierungsdaten in die Grundzüge der Wirtschaftspolitik einzuarbeiten. Die Europäische Kommission müsste dann überwachen, wie diese Vorgaben in den einzelnen Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die globalen Vorgaben sind in länderspezifische Vorgaben zu transformieren. Die Mitgliedstaaten haben dabei die globalen Vorgaben in zweierlei Richtung zu modifizieren. Einmal müssen sie aufgrund der in ihren Ländern gegebenen wirtschaftlichen Entwicklung eventuell die Globalgröße erhöhen oder verringern. Die revidierten Größen sind so festzusetzen, dass sie bei Einsatz der den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Instrumente dazu beitragen, in der EWU das angestrebte inflationsfreie wirtschaftliche Wachstum zu erreichen. Zum anderen sind die länderspezifischen Vorgaben eine Orientierungsgröße für die Finanzpolitik in dem jeweiligen Mitgliedstaat. Aber auch hier dürfen die Mitgliedstaaten diese Vorgaben nicht schematisch anwenden. Sie haben zu berücksichtigen, in welcher konjunkturellen Phase sich das Land befindet. Wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten im privaten Sektor, im Unternehmensektor und mit dem Ausland über die Orientierungsgröße hinausgehen, dann muss sich der Staat mit einer Inanspruchnahme des Sozialprodukts zurückhalten. Eine solche günstige konjunkturelle Phase ist ein Zeitraum, in dem der Staat sparen und Finanzen konsolidieren kann. Sollte sich dagegen die Wirtschaft eines Mitgliedstaates in einer rezessiven Phase befinden. dann werden die Ausgaben im privaten Sektor. im Unternehmenssektor und gegenüber dem Ausland weniger stark steigen als es der länderspezifischen Vorgabe entspricht. In diesem Fall muss der Staat sich stärker engagieren. Zusätzliche Staatsschulden sind in einer solchen rezessiven Phase kaum zu vermeiden.
7 Köhler
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H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
V. Finanzpolitik in der EWU: der Stabilitätspakt Eine Finanzpolitik in der EWU mit dem Ziel, die Beschäftigung zu fördern, der Notwendigkeit Maßnahmen vorzuschlagen, die von den Mitgliedsländern akzeptiert werden und geleitet von Orientierungsgrößen in Form von angemessenen Zuwachsraten des realen und des nominalen BIP, würde umfangreiche Regelungen verlangen. Umfangreiche Regelungen sieht in der Tat der EG-Vertrag für die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten vor. Als Ziel aber ist nicht genannt, die Arbeitslosigkeit abzubauen, sondern die Haushaltsdisziplin einzuhalten. Zunächst verlangt der EG-Vertrag (Artikel 104 Absatz 1) von den Mitgliedstaaten übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Die Kommission ist beauftragt, zu überwachen, wie sich die Haushaltslage und die Höhe des öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten entwickeln. Sie hat festzustellen, ob dabei schwerwiegende Fehler gemacht werden. Art. 104 (2) EGV: Insbesondere prüft sie die Einhaltung der Haushaltsdisziplin anhand von zwei Kriterien, nämlich daran, a) ob das Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimmten ReJerenzwert überschreitet, ... b) ob das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimmten ReJerenzwert überschreitet, ...
Diese Referenzwerte wurden festgelegt und im Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit im Anhang zum EU-Vertrag veröffentlicht. Art. 1 P-EUV: Die in Artikel 104 Absatz 2 dieses Vertrags genannten ReJerenzwerte sind: - 3% für das Verhältnis zwischen dem geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizit und dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen.
- 60% für das Verhältnis zwischen dem öffentlichen Schuldenstand und dem Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen.
Von dieser Regel gibt es Ausnahmen. Der Satz von 3 % kann auch überschritten werden. Das wird toleriert, wenn der tatsächliche Satz erheblich und laufend zurückgegangen ist und einen
v.
Finanzpolitik in der EWU: der Stabilitätspakt
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Wert in der Nähe von 3 % erreicht hat. Überschreitet das öffentliche Defizit gemessen am BIP den Satz von 3 %, so wird das hingenommen, wenn das ausnahmsweise und vorübergehend geschieht und der tatsächliche Satz in der Nähe von 3 % bleibt. Auch ein über 60% liegender Schuldenstand im Verhältnis zum BIP wird nicht beanstandet, wenn der tatsächliche Satz hinreichend rückläufig ist und sich rasch 60 % nähert. Wenn Überschreitungen der Referenzwerte nicht hingenommen werden können, dann setzt nach dem EG-Vertrag ein umfangliches Verfahren ein. Zunächst berichtet die Kommission. Dieser Bericht enthält eine Analyse, in der gewürdigt werden soll. ob das öffentliche Defizit die öffentlichen Ausgaben für Investitionen übertrifft. Auch die mittelfristige Wirtschafts- und Haushaltslage des Mitgliedstaats ist dabei zu prüfen. Zunächst nimmt dazu der Wirtschafts- und Finanzausschuss Stellung. Bleibt die Kommission bei ihrer Auffassung, dass eine nicht hinnehmbare Überschreitung vorliegt, so unterrichtet sie den ECOFIN-Rat, den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister. Nachdem der Rat den betreffenden Mitgliedstaat gehört hat, entscheidet er, ob ein "übermäßiges Defizit" besteht. Bejaht er das, dann empfiehlt er dem Mitgliedstaat innerhalb einer Frist dieser Lage abzuhelfen. Geschieht das nicht, dann kann der Rat die Öffentlichkeit unterrichten und er kann den Mitgliedstaat in Verzug setzen, d. h. eine letzte Frist für den Defizitabbau setzen. Dabei muss der Mitgliedstaat regelmäßig über seine Bemühungen zum Defizitabbau berichten, damit der Rat die Anpassungsbemühungen überprüfen kann. Wenn auch diese Maßnahmen nicht wirken, dann kann der Rat beschließen, dass der Mitgliedstaat vor der Emission von Wertpapieren vom Rat näher zu bezeichnende zusätzliche Angaben veröffentlicht. Er kann auch die Europäische Investitionsbank ersuchen, ihre Darlehenspolitik gegenüber dem Mitgliedstaat zu überprüfen. Auch kann er vom betreffenden Mitgliedstaat verlangen, dass er eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft hinterlegt. Schließlich kann der Rat Geldbußen in angemessener Höhe verhängen. Von diesen Beschlüssen wird das Europäische Parlament unterrichtet.
100 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
Die Bundesrepublik Deutschland regte an, diese Bestimmungen des EG-Vertrages noch zu verschärfen. Es wurde geltend gemacht, dass bei einem konjunkturellen Abschwung öffentliche Defizite anstiegen. Daher müsse man normalerweise unter den 3 % bleiben. Dann könne man in einer restriktiven Phase das Defizit bis auf 3 % ausdehnen. Dies wurde von den übrigen Teilnehmern gutgeheißen und so entschieden die Staats- und Regierungschefs: Amst Anl I, IV: Die Mitgliedstaaten 1. verpflichten sich, das in ihren Stabilitäts- oder Konvergenzprogrammen festgelegte mittelfristige Haushaltsziel eines nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuß aufweisenden Haushalts einzuhalten . ..
Dieser Beschluss wird von den Mitgliedsländern grundsätzlich beachtet. Er wird seitdem in den Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Gipfeltreffen der Europäischen Staats- und Regierungschefs wiederholt. Eine Präzisierung wünschte man zu der Formulierung, dass eine Überschreitung des Referenzwertes toleriert wird, wenn er "nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird." Man einigte sich darauf, dass dieser Fall gegeben ist, ...
va, S. 75: ... wenn dies auf ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaats entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt, oder auf einen schwerwiegenden Winschaftsabschwung zurückzuführen ist. Wieder gab es eine Unklarheit. Was hatte man unter einem schwerwiegenden Wirtschaftsabschwung zu verstehen? Noch einmal beschloss der Europäische Rat eine äußerst stringente Definition. Berichtet die Kommission wie vorgesehen über einen Mitgliedstaat, ...
va, S. 75: ... so betrachtet sie den Referenzwert in der Regel nur dann aufgrund eines schweren Winschaftsabschwungs als ausnahmsweise überschritten, wenn das reale BIP innerhalb eines Jahres um mindestens 2% zurückgegangen ist. Man kann sich kaum vorstellen, dass eine Regierung eines Mitgliedstaates einen nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts anstrebt, wenn z. B. das reale
V. Finanzpolitik in der EWU: der Stabilitätspakt
tOl
BIP um 1,9% rückläufig ist. Offenbar sind dem Europäischen Rat selbst Bedenken gekommen. Jedenfalls fügte er einen weiteren Beschluss hinzu. Der Rat solle, wenn er zu entscheiden hat, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt, alle Bemerkungen des betroffenen Mitgliedstaates berücksichtigen, ...
va, S. 75: ... aus denen hervorgeht, daß ein innerhalb eines Jahres eingetretener Rückgang des realen BIP um weniger als 2 % angesichts weiterer relevanter Umstände, insbesondere bei einem jähen Abschwung oder einem gegenüber den vorangegangenen Trends insgesamt sehr starken Rückgang der Produktion, gleichwohl außergewöhnlich ist. Man muss sich fragen, was alle diese Regelungen und Verfahren mit der Lösung des Beschäftigungsproblems zu tun haben. Bei einem Rückgang des realen BIP von bis zu 2 % und einer Finanzpolitik, die in diesem Fall immer noch einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben hat, ist damit zu rechnen, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt verschlechtert. Der Europäische Rat sieht das anders. Für ihn sind ausgeglichene und Überschüsse aufweisende Haushalte Zeichen gesunder öffentlicher Finanzen. Gesunde öffentliche Finanzen, zusammen mit Preis stabilität und wirtschaftlichen Reformen sind für die Staats- und Regierungschefs der EU offensichtlich ausreichend, auch eine höhere Beschäftigung sicherzustellen. Es sind diese Rahmenbedingungen, ... Card 9: ... die die Grundlage für mehr Wachstum, mehr Wohlstand und mehr Arbeitsplätze in ganz Europa bilden. Er bestätigt die Auffassung des Rates, daß gesunde wirtschaftliche Grunddaten und die in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik dargelegten soliden Politiken die Bedingungen für eine weitere Stärkung des Aufschwungs und dessen Überführung in einen mittel- und langfristigen Prozeß eines sich selbst tragenden inflationsfreien Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für eine wesentlich und dauerhaft höhere Beschäftigungsrate bieten.
Offenbar hat sich der Europäische Rat nicht davon irritieren lassen, dass schon seit längerem Preisstabilität besteht und die Mitgliedstaaten der EWU gesunde öffentliche Finanzen, zumindest entsprechend den vorgegebenen Referenzwerten aufweisen. Die Lage am Arbeitsmarkt aber hat sich nicht spürbar gebes-
102 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
sert. Preisstabilität, gesunde öffentliche Finanzen sowie wettbewerbsfähige und flexible Märkte sind notwendig. Sie sind aber nie hinreichend, Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dazu bedarf es zusätzlicher Aufträge für die Unternehmen. Ohne diese zusätzlichen Aufträge wird kein Unternehmen investieren und zusätzliche Kapazitäten schaffen, auch wenn die Rahmenbedingungen befriedigend sind.
VI. Problematische Messgrößen für die Haushaltsdisziplin Der EG-Vertrag verlangt von den Mitgliedstaaten, dass sie Haushaltsdisziplin einhalten. Dagegen ist nichts einzuwenden. Die Kommission verwendet zwei Referenzwerte, um festzustellen, ob Haushaltsdisziplin geübt wird oder nicht: Das öffentliche Defizit gemessen am nominalen BIP darf 3 % nicht übersteigen und die gesamten öffentlichen Schulden gemessen am nominalen BIP dürfen über 60% nicht hinausgehen. Erst wenn man Motive unterstellt, warum gerade diese bei den Relationen gewählt wurden, um Haushaltsdisziplin zu beurteilen, kann man etwas über die Höhe der Sätze aussagen. Die 60%-Regel kann man gewählt haben, um die Zinsbelastung öffentlicher Haushalte in Grenzen zu halten. Geht man davon aus, dass die öffentlichen Haushalte ca. 40% der volkswirtschaftlichen Gesamtleistungen betragen, dann kommt man bei gegebenen Zinsen und einem Anteil öffentlicher Schulden von 60% am nominalen BIP zu Zinsbelastungen, die man grundsätzlich als tragbar ansehen kann. Das Motiv für die 3 %-Regel mag man im Umfang der vom Staat vorgenommenen Anlage- und Bauinvestitionen sehen. Diese Investitionen haben eine Lebensdauer von mehreren oder vielen Jahren. Es ist daher sinnvoll, sie mit Krediten zu finanzieren. Die tatsächlichen Anteile dieser Investitionen liegen im allgemeinen etwas unter diesen 3 % gemessen am nominalen BIP. Die 3 %-Regel kann allerdings verhindern, dass der Staat in einer rezessiven wirtschaftlichen Entwicklung zusätzliche Infrastrukturinvestitionen vornimmt.
VI. Problematische Messgrößen für die Haushaltsdisziplin
103
Wenn ein Mitgliedstaat seine öffentlichen Schulden bei 60% des BIP hält und das öffentliche Defizit bei 3 % stabilisiert, dann verlangt das eine nominale Zuwachsrate des BIP von 5 %. In diesem Fall steigt die öffentliche Schuld um 3% von 60%, also auch um 5 %. Aus der Ableitung, die die EZB vorgenommen hat, um einen Referenzwert für M3 ZU ermitteln, ergibt sich eine angemessene Zuwachsrate des nominalen BIP von 4,5 %. Soll auch in diesem Fall die öffentliche Schuld 60% des BIP nicht übersteigen, darf das Defizit nur 4,5% von 60%, das sind 2,7%, betragen. Würde ein solcher Mitgliedstaat, wie es ihm grundsätzlich möglich wäre, ein Defizit von 3 % aufweisen, dann stiege seine öffentliche Schuld auf 66,7%. Mit der Festlegung zweier Kriterien, eines für die öffentlichen Defizite und eines für die öffentliche Schuld, sind die Mitgliedstaaten in eine Zwangsjacke geraten. Sie wird um so spürbarer, je weiter die nominale Zuwachsrate des BIP 5 % unterschreitet. Da die öffentliche Schuld gemessen am BIP 60% nicht überschreiten darf, sind die Mitgliedstaaten gezwungen, ihre öffentlichen Defizite gemessen am BIP auf unter 3 % zurückzuführen. Bei einer nominalen Zuwachsrate des BIP von z. B. 4% auf 2,4% und bei einer Zuwachsrate des BIP von 3% auf 1,8%. Die Wirkung dieser Regelung im EG-Vertrag ist prozyklisch. Wenn eine wirtschaftliche Entwicklung in eine rezessive Phase gerät, dann sinkt nicht nur die Zuwachsrate des realen BIP, sondern auch die des nominalen BIP. Gerade dann wird der Spielraum für Infrastrukturinvestitionen, die mit Kredit finanziert werden können, eingeschränkt. Umgekehrt, in einer Phase mit expansiven Einflüssen, möglicherweise auch mit Preissteigerungen, steigt die Zuwachsrate des nominalen BIP stärker an. Die Mitgliedstaaten können ihr Haushaltsdefizit auf 3 % ausdehnen und wenn die Zuwachsrate des nominalen BIP über 5 % hinausgeht, sinkt ihr Schuldenstand. Die Haushaltskriterien im EG-Vertrag sind ein Mittel, Haushaltsdisziplin einzuhalten. Haushaltsdisziplin ist kein Instrument, das Beschäftigungsproblem zu lösen. In einer rezessiven wirtschaftlichen Entwicklung bewirkt sie eher das Gegenteil.
104 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
VII. Ausgeglichener Haushalt: keine überzeugenden Gründe Die Staats- und Regierungschefs der EU haben die im EGVertrag vorgesehenen Referenzwerte für die öffentliche Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten der EWU-Staaten noch verschärft. Diese Staaten haben sich verpflichtet, einen nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt anzustreben und einzuhalten. Die Bundesrepublik Deutschland, eines der großen Mitgliedstaaten der EWU, will - so erklärt die Bundesregierung - "so schnell wie möglich einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden." (BMF (1999 11), S. 6). Das Bundesfinanzministerium nennt zwei Gründe für dieses ehrgeizige Ziel. "Die Konsolidierung der Staatsfinanzen stellt ein klares Vertrauenssignal für die Wirtschaft, die Finanzmärkte und die Tarifpartner dar. . .. Der Staat muß sich auch von der zu hohen Verschuldung befreien, um wieder verstärkt Wachstumspotentiale erschließen und verstärkt Zukunftsvorsorge (Humankapitalinvestitionen durch Bildung und Ausbildung, Infrastrukturinvestitionen) betreiben zu können." (BMF (1999 I), S. 2). Vertrauen kann man nur erringen, wenn man in der Lage ist, die wirtschaftspolitischen Ziele zu erreichen. Die EZB erlangt Vertrauen, wenn sie Preisstabilität geWährleistet. Der Staat und damit die Finanzpolitik wird Vertrauen erlangen, wenn sie durch eine aktive Finanzpolitik die Arbeitslosigkeit verringern hilft. Das aber fällt schwer, denn das Bundesfinanzministerium macht recht deutlich, dass eine aktive Finanzpolitik nicht zu erwarten ist. Vielmehr begnügt es sich mit einem passiven Finanzgebaren, das in einem wirtschaftlichen Abschwung dazu führt, dass automatische Stabilisatoren (geringere Steuereinnahmen und Kreditaufnahme) wirksam werden und zusätzlich Gelder für Arbeitslose gezahlt werden müssen. Das Ministerium führt dazu aus: "Solide Staatsfinanzen und eine stabilitätsorientierte Konjunkturpolitik sind kein Gegensatz: Der Grundsatz des ausgeglichenen Haushalts schließt nicht aus, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen und in Phasen eines
VIII. Ausgeglichener Haushalt: problembelastet
105
konjunkturellen Abschwungs konjunkturbedingte Steuennindereinnahmen und Mehrausgaben für Arbeitslose durch neue Kredite zu finanzieren." (BMF (1999 11), S. 6). Wenig einsichtig ist das Argument, der Staat müsse sich "von der zu hohen Verschuldung befreien, um wieder verstärkt Wachstumspotentiale erschließen und Zukunftsvorsorge betreiben zu können". Die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland betrug im Jahre 1998 61,1 %, gemessen am nominalen BIP. Sie lag damit nahe dem vom EG-Vertrag vorgegebenen Referenzwert. Man kann also kaum von einer zu hohen Verschuldung der öffentlichen Hand in Deutschland sprechen. Dabei ist auch noch zu bedenken, dass die Wiedervereinigung Deutschlands die Verschuldung des Staates stark erhöht hat. Im Jahre 1991 lag die Verschuldungsquote noch bei 41,4%. (Dt. Bundesbk (1999), S. 53*).
VIII. Ausgeglichener Haushalt: problembelastet Ein Problem eines ausgeglichenen oder sogar Überschüsse aufweisenden öffentlichen Haushalts ist, dass der Staat von seinen Bürgern verlangt, Investitionsvorhaben sofort mit Steuergeldern zu finanzieren. So wie jedes Unternehmen Anschaffungen und andere Investitionen über einen längeren Zeitraum abschreibt und entsprechend finanziert, müsste das auch beim Staat selbstverständlich sein. Die sofortige Finanzierung von Investitionen durch Steuern belastet die die Steuern zahlende Generation viel zu stark. Sie ist nicht gerecht. Wenn der Staat sich wie ein Unternehmen verhält und Investitionen entsprechend ihrer Lebensdauer mit Krediten finanziert, dann muss er sich in seinem übrigen Finanzgebaren allerdings ebenfalls wie ein Unternehmen verhalten. Er muss die geschaffenen Vennögensgegenstände auf die Jahre ihrer voraussichtlichen Nutzung verteilen, d. h. abschreiben. Er schafft damit Mittel, die es ihm gestatten, seine ursprünglich am Kapitalmarkt aufgenommen Kredite ohne erneute Kreditaufnahme zurückzuzahlen. Ähnliches gilt für Instandsetzungen. In den öffentlichen Haushalten sind Rückstellungen für Instandsetzun-
106 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
gen zu bilden. Sie sollen es ermöglichen, den Vermögensbestand pfleglich zu behandeln. Dadurch wird verhindert, dass der Vermögensbestand mangels verhandener Haushaltsmittel langsam zerfällt, wie das in den neunzig er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Deutschland deutlich zu spüren war. Problematisch sind auch die Anpassungsprozesse in der wirtschaftlichen Entwicklung, wenn sich der Staat weigert zu verschulden. Es wird offenbar zu wenig daran gedacht, dass einer Verschuldung immer in gleicher Höhe Ersparnisse entsprechen. Zusätzliche Ersparnisse erfordern umgekehrt zusätzliche Schulden. Man darf nicht außer Acht lassen, dass man es auch in der Volkswirtschaft und nicht nur im Betriebe mit jeweils zwei Seiten einer Bilanz zu tun hat, die immer summengleich sind. In jeder Volkswirtschaft, so auch im EWU-Raum sind vier Gruppen zu unterscheiden, die wirtschaftlich aktiv sind: die privaten Haushalte, die Unternehmen, die öffentlichen Haushalte und das Ausland. Ersparnisse werden gewöhnlich von den privaten Haushalten angesammelt. Ihnen stehen Schulden der Unternehmen und der öffentlichen Haushalte gegenüber. Wenn ein außen wirtschaftliches Gleichgewicht besteht, d. h. die Leistungsbilanz dieses Staates ausgeglichen ist, dann ist das Ausland weder Sparer noch Schuldner. Ein Bild wie sich Ersparnisse und Schulden im EWU-Raum entwickelten, ist statistisch bisher noch nicht möglich. Daher soll diese Entwicklung am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland dargestellt werden. Sie wich stets von dem geschilderten normalen Bild ab. Mit Hilfe einer schematischen Darstellung wird das gezeigt. Charakteristisch für die Bundesrepublik Deutschland über mehrere Jahrzehnte war, dass das Land gegenüber dem Ausland hohe Leistungsbilanzüberschüsse aufwies. Damit entsprach diese Entwicklung dem Bild, das in der schematischen Darstellung für 1989 wiedergegeben wird. Die von der Bundesrepublik netto gelieferten Waren und sonstigen Leistungen schuldete das Ausland. So stand den recht hohen privaten Ersparnissen bis Ende der 80er Jahre eine Schuld des Auslandes gegenüber. Für ihre Investitionen brauchten sich die Unternehmen kaum zu
VIII. Ausgeglichener Haushalt: problembe1astet 1989
Verschuldung Untemehmen
23
Ausland
1998
Erspamis
Verschuldung
Private Haushalte
Untemehmen
85
75
Erspamis
Private Haushalte
119
53
Off.Haush: 1
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Off. Haush.
40
Ausland 6 Quelle: SVR, Gutachten 1999/2000, Tab. 32"
Abb. 16: Finanzierungssalden in der Bundesrepublik Deutschland in Mrd. Euro
verschulden. Ein hoher Export stimulierte die wirtschaftliche Entwicklung und ließ das Steueraufkommen steigen. Die öffentlichen Haushalte brauchten bis Ende der 80er Jahre in den einzelnen Jahren ebenfalls kaum fremde Mittel aufzunehmen. Wenn im Jahre 1989 in der schematischen Darstellung eine Nettoersparnis öffentlicher Haushalte ausgewiesen wurde, so ist zu berücksichtigen, dass der Betrag. der für die öffentlichen Haushalte ausgewiesen ist, auch die Überschüsse der Sozialversicherung enthält. In den 90er Jahren hat sich dieses Bild geändert. Die Bundesrepublik Deutschland war nicht mehr in der Lage, die aus dem Ausland bezogenen Waren und Dienstleistungen mit eigenen Leistungen zu bezahlen. Das Ausland ist wettbewerbsnihiger gegenüber der Bundesrepublik Deutschland geworden. Die Leistungsbilanz wies in diesen Jahren also Defizite auf. Das Ausland besitzt dadurch Forderungen an die Bundesrepublik Deutschland, es wurde zum Sparer (siehe schematische Darstellung 1998). Dass die privaten Haushalte sparen, ist erwünscht. So bleiben nur zwei Gruppen übrig, die die Schuldenseite der Bilanz dar-
108 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
stellen können: die Unternehmen und die öffentlichen Haushalte. In der Tat, sowohl die Unternehmen als auch die öffentlichen Haushalte mussten sich stärker verschulden. Was geschieht, wenn in einer solchen Entwicklung die öffentlichen Haushalte "sparen", d. h. ihre Ausgaben senken? Vier Möglichkeiten sind denkbar. Deutschland wird wieder wettbewerbsfähiger und erzielt Überschüsse in seiner Leistungsbilanz. Dann würden an die Stelle von Schulden der öffentlichen Hand Schulden des Auslandes treten. Eine zweite Möglichkeit als Folge öffentlichen "Sparens" wäre, dass sich die Unternehmen anstelle der öffentlichen Haushalte stärker verschulden. Das wäre der Fall, wenn z. B. öffentliche Infrastrukturinvestitionen teilweise unterbleiben. Unternehmen müssten dann wegen fehlender Aufträge und Anzahlungen Kredite aufnehmen, sofern sie nicht Arbeitskräfte entlassen. Eine dritte Möglichkeit wäre, dass die privaten Haushalte weniger sparen. Das ist tendenziell auch zu erwarten, denn öffentliches "Sparen" ist stets mit einem rezessiven Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung verbunden. Davon werden auch die Einkommen berührt. Wenig steigende Nominaleinkommen oder sinkende Realeinkommen veranlassen die privaten Haushalte, weniger von ihrem Einkommen zurückzulegen. Die vierte Möglichkeit ist, dass trotz "Sparens" die öffentlichen Haushalte ihr Ziel, einen Schuldenabbau, nicht erreichen. Wird durch das öffentliche "Sparen" ein rezessive wirtschaftliche Entwicklung ausgelöst oder mündet sie in einem Konjunkturabschwung, dann ist es wahrscheinlich, dass die öffentlichen Haushalte ihr Ziel, einen ausgeglichenen Haushalt, verfehlen. Die kontraktiven Einflüsse führen zu Steuermindereinnahmen. Zwar gehen infolge des "Sparens" die öffentlichen Ausgaben auch zurück. Das Defizit aber bleibt bestehen. Wird die Forderung der Staats- und Regierungschefs in der EWU nach einem ausgeglichenen oder Überschüsse aufweisenden öffentlichen Haushalt verwirklicht, dann muss damit gerechnet werden, dass in den Mitgliedstaaten die vier mögli-
VIII. Ausgeglichener Haushalt: problembeJastet
109
chen Einflüsse des öffentlichen "Sparens", vielleicht mit unterschiedlicher Gewichtung in den einzelnen Ländern, spürbar werden. Eine Wende zu einem Wirtschaftsaufschwung ist dann nur zu erwarten, wenn sich die wirtschaftliche Entwicklung in den Volkswirtschaften außerhalb der EWU deutlich belebt. Die Forderung nach einem ausgeglichenen Haushalt in den Mitgliedstaaten der EWU bedeutet, dass die öffentlichen Schulden auf Null tendieren. Die Staatsausgaben enthalten die vereinbarten Tilgungen. Wegen des ausgeglichenen Haushalts werden neue Schulden nicht mehr gemacht. Die öffentlichen Schulden werden dadurch abgebaut. Zur gleichen Zeit hält man das Umlageverfahren beim Rentensystem für nicht mehr finanzierbar, was bei einer Arbeitslosenquote von 10% richtig ist, bei einer Arbeitslosenquote von 5 % aber nicht mehr zutrifft. Anstatt die Wirtschaftspolitik auf das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus auszurichten, fordert man die privaten Haushalte auf, in einem Kapitaldeckungsverfahren selbst zur Altersvorsorge beizutragen. Das bedeutet, die privaten Haushalte müssten aus ihrem Einkommen Beträge zurücklegen. Wer aber erklärt sich bereit, für diese zusätzlichen Sparbeträge Schulden zu übernehmen? Die oben skizzierten vier Möglichkeiten werden als Folge dieser zusätzlichen privaten Ersparnis spürbar werden. Trotz aller dieser Probleme halten die Staats- und Regierungschefs an den Vereinbarungen über den Stabilitäts- und Wachstumspakt fest. Auf ihrem Treffen im Juni 1999 in Köln erklärten sie: Köln Z. 6: Der Europäische Rat betont erneut die Notwendigkeit einer strikten Anwendung der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Dazu gehört die klare Einhaltung realistischer und glaubwürdiger Budgetziele in jedem Haushaltsjahr. die nur durch ehrgeizige Konsolidierungsanstrengungen in den öffentlichen Haushalten zuverlässig erreicht werden können.
110 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
IX. Bemühungen um Steuerharmonisierung Den öffentlichen Haushalt festzulegen, betrachten die nationalen Parlamente als ihre vornehmste Aufgabe. Das gilt für die öffentlichen Ausgaben, aber vor allem für die Steuergesetzgebung. Die Steuern und ihre Sätze zu harmonisieren stößt daher mehr als auf anderen Gebieten auf große Schwierigkeiten. Man ist in den nationalen Parlamenten wenig bereit, auf dieses souveräne Recht zugunsten europäischer Regelungen zu verzichten oder es einschränken zu lassen. Die Harmonisierung der Steuern und ihrer Sätze ist im Artikel 93 des EG-Vertrages geregelt. Art. 93 EGV: Der Rat erläßt auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschaftsund Sozialausschusses einstimmig die Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern, soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts ... notwendig ist.
Die Formulierung stellt recht eindeutig klar, dass die Steuern nicht harmonisiert werden sollen, um durch eine weitgehend gleichgerichtete Finanzpolitik in den Mitgliedstaaten, Fehlentwicklungen - Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit - zu bekämpfen. Die Steuern sollen vielmehr harmonisiert werden, um sicherzustellen, dass der Gemeinsame Europäische Markt funktioniert. Dieser Gemeinsame Markt ist Anfang 1993 errichtet worden. Die bis dahin harmonisierten steuerlichen Rechtsvorschriften, ein kaum zu unterbietendes Minimum, wurden offensichtlich als ausreichend angesehen. Erreicht wurde, dass alle Mitgliedsländer die Mehrwertsteuer einführten. Es wurde grundsätzlich ein Mindestsatz von 15 % vereinbart, von dem es allerdings Ausnahmen nach unten gibt. Noch immer wird auf die grenzüberschreitenden Transaktionen bei der Mehrwertsteuer das recht umständliche Bestimmungslandprinzip angewendet. Bei der Ausfuhr wird die Ware von der Mehrwertsteuer des Lieferlandes entlastet und bei der Einfuhr mit der Steuer des Bestimmungslandes belastet. Geplant ist, das Ursprungslandprinzip einzuführen. Zu zahlen ist dann
IX. Bemühungen um Steuerharmonisierung
111
der Mehrwertsteuersatz des Ursprungslandes. Auch für die indirekten Steuern auf Benzin, Heizöl, Alkohol und Tabakwaren wurden Mindestsätze festgelegt, ebenfalls mit Ausnahmen für einige Mitgliedsländer. Ein Hindernis bei dieser Harmonisierung ist, dass über entsprechende Maßnahmen nur einstimmig entschieden werden kann. So entscheiden Eigeninteressen eines einzelnen Mitgliedstaates, ob man bei der Harmonisierung vorankommt oder nicht. Praktisch besitzen also einzelne Staaten in diesen Fragen ein Vetorecht. Der EG-Vertrag Artikel 93 erwähnt nur indirekte Steuern, die harmonisiert werden sollen, nicht dagegen direkte Steuern, wie z. B. die Einkommens- oder die Körperschaftssteuer. Allerdings muss das kein Hindernis sein, auch direkte Steuern innerhalb der EU aufeinander abzustimmen. Der EG-Vertrag enthält nämlich eine Generalklausel, mit deren Hilfe Rechtsvorschriften angeglichen werden können. Art. 94 EGV: Der Rat erläßt einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses Richtlinien für die Angleichung derjenigen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken.
Die Voraussetzung für solche Richtlinien - Funktionieren des Gemeinsamen Marktes - und das Verfahren - Einstimmigkeit und Anhörungen - entsprechen den Bestimmungen des Artikels 93 EG-Vertrag, die die Harmonisierung indirekter Steuern regeln. Der EG-Vertrag enthält neben dem Artikel 93 zur Harmonisierung der Steuern noch andere steuerliche Vorschriften, die Artikel 90 bis 92. Ihr Ziel ist es zu verhindern, dass im Gemeinsamen Markt einzel staatliche steuerliche Regelungen den Wettbewerb verzerren. So ist es Mitgliedstaaten der EU untersagt, auf eingeführte Waren aus anderen Mitgliedstaaten höhere inländische Abgaben, gleich welcher Art, zu erheben als gleichartige inländische Waren zu tragen haben. Solche Abgaben auf eingeführte Waren aus Mitgliedstaaten dürfen auch die
112 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
inländischen Produktionen nicht schützen (Artikel 90). Bei dem angewendeten Bestimmungslandprinzip darf die Rückvergütung an inländische Exporteure nicht höher sein, als es den darauf erhobenen inländischen Abgaben entspricht (Artikel 91). Außer den im EG-Vertrag geregelten Rückvergütungen auf Ausfuhren in andere Mitgliedstaaten sind sonstige Rückvergütungen nicht zulässig, es sei denn, der Rat hat ihnen mit qualifizierter Mehrheit für eine begrenzte Frist zugestimmt (Artikel 92). Diese Bestimmungen sind mehr oder weniger geeignet, zu verhindern, dass der Wettbewerb innerhalb des Gemeinsamen Marktes durch steuerliche Maßnahmen einzelner Mitgliedsländer beeinträchtigt wird. Es galt zu verhindern, dass die Einfuhr aus Mitgliedstaaten diskriminiert und die Ausfuhr subventioniert wird. Man kann von den steuerlichen Vorschriften des EG-Vertrages nicht erwarten, dass z. B. durch gleichgerichtete steuerpolitische Maßnahmen das Wirtschaftswachstum angeregt wird, was dazu beitragen könnte, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Zwar betonen die Staats- und Regierungschefs, dass die gesamtwirtschaftliche Stabilitäts- und Wachstumspolitik eine wachstumsorientierte Steuerpolitik erfordert, jedoch verstehen sie darunter "insbesondere eine Senkung der Steuer- und Abgaben last auf den Faktor Arbeit" (Köln Zi 6), nicht jedoch eine an gesamtwirtschaftlichen Orientierungsgrößen ausgerichtete Steuerpolitik. Wie schwierig es ist, sich auf steuerlichem Gebiet in der EU zu einigen, zeigt das Problem des "unfairen Steuerwettlaufs". Seit Jahren ist es ein Ärgernis, dass einige Mitgliedstaaten der EU ihren eigenen Standort durch steuerliches Entgegenkommen gegenüber Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten aufwerten. So stellten die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Treffen im November 1997 fest: Lux N Zi 31: Der Europäische Rat verweist auf sein bereits dargelegtes Anliegen, den unfairen Steuerwettlauf, der sich negativ auf die Beschäftigung auswirken kann, zu beendigen.
Viel ist auf diesem Gebiet danach nicht erreicht worden. Jedenfalls sahen sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Kölner Treffen im Juni 1999 zu der Feststellung genötigt,
IX. Bemühungen um Steuerhannonisierung
113
Köln Zi 22: Der Europäische Rat hebt hervor, daß ... schädlicher Steuerwettbewerb zu bekämpfen ist.
Man strebt an, wenigstens einen "Verhaltenskodex" für diese Steuerfragen zu verabschieden. Zu den steuerlichen Fragen, die man dringend lösen möchte, zählt die Hannonisierung der Kapitalertragssteuer. Größere Differenzen in diesen Steuers ätzen zwischen Mitgliedstaaten oder eine fehlende Kapitalerstragssteuer verzerren die Kapitalströme und führen zu Steuerhinterziehungen. Man bemüht sich deshalb mit Nachdruck zu Steuersätzen bei der Kapitalerstragssteuer zu kommen. die nur wenig differieren. Als Alternative denkt man an Benachrichtigungen der zuständigen Finanzämter (Kontrollmitteilungen) durch die Depotstellen, die diese Wertpapiere verwahren. Erschwert wird dieses Abstimmungsproblem auch noch dadurch, dass es eigentlich nicht nur auf EU-Länder beschränkt werden kann. Es ist notwendig. solche Regelungen mehr oder weniger weltweit zu vereinbaren. Die Staats- und Regierungschefs der EU konnten feststellen: Köln Zi 21: Der Europäische Rat ... stellt mit Befriedigung fest, daß die Beratungen über die Richflinienvorschläge zur Besteuerung von Kapitale,rträgen gut vorangekommen sind. Er begrüßt die konstruktiven Beratungen mit europäischen Drittländern über eine wirksame Besteuerung von Zinserträgen.
Diese optimistische Feststellung im Juni 1999 beruhte auf der Erwartung, dass die Tagung der Staats- und Regierungschefs im Dezember 1999 zu einer Einigung in diesen Steuerfragen führen werde. Diese Hoffnung täuschte. da Großbritannien. aber auch Luxemburg, sich nicht imstande sahen. ausgearbeiteten Kompromissformeln zuzustimmen. So blieb dem Europäischen Rat nur übrig festzustellen: Hels Zi 34: Alle in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Bürger sollten sämtliche auf ihre gesamten Zinserträge anfallenden Steuern entrichten.
Da bekannt ist, dass man nur sehr geduldig auf dem Wege der Harmonisierung mit kleinen Schritten voranschreiten kann, bedeutet ein solches Ergebnis nicht, dass die Bemühungen in 8 Köhler
114 H. Orientierungsgröße und Finanzpolitik der Mitgliedstaaten
diesen Steuerfragen gescheitert sind. Vielmehr wird, was in solchen Situationen nahe liegt, ein Ausschuss eingesetzt. Hels Zi 35: Bei der Prüfung, wie wir in Europa diesen Grundsatz am besten zur Anwendung bringen können, ist der Europäische Rat übereingekommen, daß eine Hochrangige Gruppe insbesondere prüfen wird, wie dieser Grundsatz am wirksamsten umgesetzt werden kann und ob das vom Vorsitz und der Kommission am 7. Dezember 1999 vorgelegte Papier als Ausgangspunkt für diese Überlegungen einen Lösungsansatz bietet.
In einigen Mitgliedstaaten der EU ist man der Auffassung, dass es zweckmäßig ist, zusätzliche Steuern einzuführen und andere Maßnahmen zu ergreifen, um die Umwelt besser zu schützen. Jedes dieser Länder ist sich bewusst, dass ein Alleingang in diesen Fragen nicht möglich ist, denn kein Land will dadurch allein Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen. So strebt man nach europäischen Lösungen. Die Kommission und die Staats- und Regierungschefs aber scheuen sich Beschlüsse zu fassen, die in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingreifen. So bleibt es bei Apellen an die Mitgliedstaaten. Jeder Mitgliedstaat prüft ... Lux N Zi 67: ... gegebenenfalls, ob die Einführung einer Energiesteuer, einer Besteuerung der Schadstoffemission oder sonstiger steuerlicher Maßnahmen zweckmäßig ist.
Eineinhalb Jahre später forderte der Europäische Rat dazu auf, ... Köln Zi 22: ... daß der Rat auf der Grundlage des Berichts des ECOFlN-Rates seine Arbeit an einem Rahmen für die Energiebesteuerung fortsetzt und dabei auch den diesbezüglichen Auswirkungen auf die Umwelt Rechnung trägt.
Die völlige Souveränität der Mitgliedstaaten in Fragen ihrer öffentlichen Haushalte und damit auch der Steuerprobleme führt dazu, dass Mitgliedstaaten auch gelegentlich versuchen, gefasste Beschlüsse in ihrem Sinne wieder zu modifizieren. Nach langen Verhandlungen wurden für die Mehrwertsteuer Mindestsätze beschlossen. Danach drängte man auf Ausnahmen, so dass die Staats- und Regierungschefs 1997 beschlossen: Jeder Mitgliedstaat ...
IX. Bemühungen um Steuerhannonisierung
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Lux N Zi 68: ... prüft, ohne Verpflichtung die Zweckmäßigkeit einer Senkung des MWSt-Satzes für arbeitsintensive Dienstleistungen, die nicht dem grenzüberschreitenden Wettbewerb ausgesetzt sind.
Offenbar sind solche Wünsche nur schwer abzuwehren. Jedenfalls haben die Staats- und Regierungschefs für solche Sonderwünsche grünes Licht gegeben: Köln Zi 24: Der Europäische Rat bittet den Rat, den von der Kommission vorgelegten Richtlinienvorschlag mit dem Ziel einer Verabschiedung zu beraten, der es den Mitgliedstaaten, die dies wünschen, erlauben soll, niedrigere Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive und nicht grenzüberschreitende Dienstleistungen probehalber einzuführen.
Der Europäische Rat setzt hohe Erwartungen in die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten. Er will, dass die Steuer- und Abgabebelastung insgesamt schrittweise gesenkt wird. Arbeitskräfte sollen steuerlich weniger belastet werden. Die Lohnnebenkosten sollen herabgesetzt werden. Gleichzeitig sollen die öffentlichen Haushalte saniert werden und die Sozialversicherungssysteme sollen wieder zu einem Gleichgewicht finden. Alle diese Forderungen bezeichnet der Europäische Rat als "Ziel vorgabe" (Lux N Zi. 67). Elf Länder der EWU bzw. 15 Länder der EU zu einem gleichgerichteten Verhalten in der Haushaltspolitik zu veranlassen, deren Ergebnisse den Zielvorgaben gerecht werden, ist ohne quantitative Orientierungshilfen kaum denkbar. Die öffentlichen Haushalte der Mitgliedstaaten müssen sich an den Zuwachsraten des nominalen BIP orientieren, die mit Preisstabilität und einer Verringerung der Arbeitslosigkeit vereinbar sind.
I. Die Finanzpolitik der Europäischen Kommission Es ist nicht nur der EG-Vertrag, der betont, dass die Finanzpolitik in der EU, und damit auch in der EWU, grundsätzlich in den Händen der Mitgliedstaaten liegt (Artikel 99 Absatz 1), sondern es ist auch der immer wieder bekundete Wille der Mitgliedstaaten, daran vorerst nichts zu ändern. Eine gewisse Einheitlichkeit in der Finanzpolitik der EU herzustellen, ist unter diesen Umständen nur auf dem Wege der Koordinierung möglich. Bereit erklärt haben sich die Mitgliedstaaten nur, dass sie diese Politik als eine Angelegenheit von gemeinsamen Interesse betrachten. Nun hat allerdings die EU Verpflichtungen übernommen, für die sie selbst Mittel einsetzen muss. Damit gibt es also auch eine Finanzpolitik der Europäischen Kommission. Die Bereiche, in denen die Kommission tätig ist, ergeben sich aus ihrem Haushaltsplan: Landwirtschaft, für die eine Gemeinsame-AgrarPolitik GAP entwickelt wurde, Strukturpolitische Maßnahmen, die über die Strukturfonds und den Kohäsionsfonds abgewickelt werden sowie Ausgaben für interne und externe Politikbereiche sowie für die Verwaltung, und zwar für die der EG, die der EURATOM und die der EGKS. Schließlich zählen zu den Gemeinschaftsaufgaben auch die Hilfen, um mittelosteuropäische Länder auf ihren Beitritt zur EU vorzubereiten. Diese Finanzpolitik unterliegt strengen Restriktionen. So ist es der EU nicht gestattet, am Kapitalmarkt Kredite aufzunehmen. Das bedeutet, Art. 268 Abs. 3 EGV: Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausnahmen auszugleichen.
Anders ausgedrückt: Art. 269 Abs. 1 EGV: Der Haushalt wird unbeschadet der sonstigen Einnahmen vollständig aus Eigenmitteln finanziert.
I. Die Finanzpolitik der Europäischen Kommission
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Zu diesen Eigenmitteln gehören die Zölle, die von der EU eingenommen werden, ferner ein Teil des Mehrwertsteueraufkommens der Mitgliedstaaten und Abgaben der Mitgliedstaaten. die in v. H. des jeweiligen Bruttosozialprodukts erhoben werden. Der quantitative Umfang des Haushalts der Kommission ist gering. Auf ihrer Tagung im März 1999 in Berlin beschlossen die Staats- und Regierungschefs: Bin Zi 72: Die Obergrenze der Eigenmittel der Union wird auf der derzeitigen Höhe von 1,27 Prozent des BSP der EU beibehalten.
Mit einem Haushalt diesen Umfangs lässt sich die wirtschaftliche Entwicklung und somit die Beschäftigungslage kaum beeinflussen. Auf der Berliner Tagung wurden diese 1.27 %. auch unter der Prämisse eines Beitritts von sechs mittelosteuropäischen Ländern. bis zum Jahre 2006 festgeschrieben. Das bedeutet: Bin Zi 72: indem ... die Ausgaben der EU nicht schneller als die öffentlichen Ausgaben der Mitgliedstaaten steigen, wird die Höhe der Gesamtausgaben der Union nunmehr in einem konsolidierten Rahmen stabilisiert.
Die EU besitzt ein Instrument, dass ihr neben dem stringent geführten Haushalt eine gewisse Flexibilität gibt, um wirtschaftspolitische Ziele zu verfolgen. Das ist die Europäische Investitionsbank EIB. Mitglieder dieser Bank sind alle Mitgliedstaaten der EU. Um ihre Aufgaben zu erfüllen, kann die EIB auch Kapitalmarktmittel aufnehmen. Art. 266 EGV: Aufgabe der Europäischen Investitionsbank ist es, zu einer ausgewogenen und reibungslosen Entwicklung des Gemeinsamen Marktes im Interesse der Gemeinschaft beizutragen; hierbei bedient sie sich des Kapitalmarkts sowie ihrer eigenen Mittel. ...
Der EG-Vertrag ermöglicht der EIB durch die Gewährung von Darlehen oder Bürgschaften verschiedene Vorhaben zu finanzieren. Sie dienen einmal dazu, weniger entwickelte Gebiete zu erschließen und zum anderen Unternehmen zu modernisieren und umzustellen und neue Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Es können auch Mittel bereitgestellt werden für Vorhaben von gemeinsamem Interesse mehrerer Mitgliedstaaten,
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I. Die Finanzpolitik der Europäischen Kommission
wenn diese Vorhaben mit den dort vorhandenen Geldern nicht vollständig finanziert werden können. Die Mittelbereitstellungen der EIB kommen überwiegend den Ländern der EU zugute. Die EIB gewährt aber auch Kredite an Länder außerhalb der EU. Nachdem mittelosteuropäische Staaten Anträge auf Mitgliedschaft in der EU gestellt und zum Teil Kandidatenstatus erlangt haben, fließen erhebliche Mittel in diese Region. An zweiter Stelle rangieren die Mittelmeerländer. Auch die im Lome-Abkommen mit der EU assoziierten Staaten in Afrika, der Karibik und im Pazifik (AKP-Staaten) erhalten Kredite. In geringem Umfang flossen auch Gelder nach Asien und Lateinamerika. Die EIB ist beteiligt an der Finanzierung der sogenannten Transeuropäischen Netze. Dabei handelt es sich um Infrastrukturinvestitionen auf den Gebieten Verkehr, Telekommunikation und Energie. Um die umfangreichen Finanzierungsbeträge auf mehrere Schultern zu verteilen, ist man bestrebt, Privatkapital zu mobilisieren. Es wurde daher ein Europäischer Investitionsfonds gegründet. An ihm ist die EIB wesentlich beteiligt. Daneben haben viele private Banken das Kapital gezeichnet. Der Fonds wird von der EIB verwaltet. Er garantiert Darlehen. Es gehört zu seinen Aufgaben, es kleinen und mittleren Unternehmen zu erleichtern, Mittel aufzunehmen.
J. Orientierungsgröße und Sozialpartner Wer wirtschaftliche Macht ausübt und dadurch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung beeinflussen kann, muss sich strategiegerecht verhalten. Hierzu zählt die Einkommenspolitik der Sozialpartner. Es war stets das Bestreben des Europäischen Rates, die Sozialpartner in seine strategischen Überlegungen einzubeziehen. Im Zusammenhang mit der Überwachung der Beschäftigungspolitiken der Mitgliedstaaten stellte er fest: Lux N Zi 18: 1m Rahmen der notwendigen Verstärkung des sozialen Dialogs werden die Sozialpartner aller Ebenen bei diesem Vorgehen einbezogen und erbringen ihren Beitrag zur Durchführung der .. Leitlinien ".
Entsprechend dem EG-Vertrag, Artikel 130. hat der Rat einen Beschäftigungsausschuss eingesetzt. Ihm gehören jeweils zwei Vertreter der Mitgliedstaaten der EU an. Er hat beratende Funktion und soll helfen. die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik der Mitgliedstaaten zu fördern. Er muss dazu die Beschäftigungslage und die Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft beobachten. Er kann von sich aus, oder wenn ihn die Kommission darum ersucht, Stellungnahmen abgeben. Wenn die beschäftigungspolitischen Leitlinien festgelegt werden sollen, dann beteiligt sich der Ausschuss an den Vorbereitungen. Außerdem heißt es: Art. 130 EGV: Bei der Erfüllung seines Auftrags hört der Ausschuß die Sozialpartner.
Die Staats- und Regierungschefs messen der Arbeit dieses Ausschusses größere Bedeutung zu. Es soll insbesondere gewährleistet werden, dass die europäischen Unternehmen auf den Weltmärkten weubewerbsfahig sind und dass das Wachstumspotential der europäischen Wirtschaft voll genutzt werden kann. Das haben sie auf ihrem Treffen in Köln im Juni 1999 hervorgehoben.
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J. Orientierungsgröße und Sozialpartner
Köln P II Zi 4: In diesem Zusammenhang möchte der Europäische Rat auch die Bedeutung eines kontinuierlichen Dialogs zwischen dem Rat. der Kommision und den Sozialpartnern über die koordinierte Beschäftigungsstrategie im Ständigen Ausschuß für Beschäftigungsfragen unterstreichen.
Wenn man den Sozialpartnern zumutet, dass ihre Einkommenspolitik mit Preistabilität und höherer Beschäftigung vereinbar sein muss und dass somit die Einkommenspolitik der Sozialpartner, die Finanzpolitik und die Geld- und Kreditpolitik zusammenwirken sollen, dann muss man den Sozialpartnern quantitative Orientierungsgrößen an Hand geben, die es ihnen ermöglichen, sich strategiegerecht zu verhalten. Wie solche Orienterungsgrößen gestaltet werden könnten, erläutert das folgende Schema. Anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP (Wtschpol.Orientierungsgr.)
Angestrebte Zuwachsrate der Erwerbstätigen
Korrekturen d. unv. PStRate wegen Terms-of-Trade-Effekt und Steuersatzänderungen
Abb. 17: Strategiegerechtes Verhalten der Sozialpartner
Ausgangspunkt ist die gesamtwirtschaftliche Orientierungsgröße, die anzustrebende Zuwachsrate des nominalen BIP. Das zusätzlich verteilbare pro-Kopf-Einkommen ergibt sich aus der Differenz zwischen der Orientierungs größe und der angestrebten Zuwachsrate der Erwerbstätigen. Allerdings sind u. U. Korrekturen anzubringen. Wenn z. B. die Ausfuhrpreise in der EWU schneller steigen als die Einfuhrpreise, wenn sich also die Terms-of-Trade verbessern, dann vergrößert sich der Verteilungsspielraum. Ein positiver Terms-of-Trade-Effekt kann
1. Orientierungs größe und Sozialpartner
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berücksichtigt werden. Wenn - ein zweites Beispiel - der Umsatzsteuersatz erhöht wird, dann will der Staat, getragen vom Parlament, bewusst eine Umverteilung von Privaten zum Staat durchführen. Ein sich in den Preisen niederschlagender höherer Umsatzsteuersatz darf nicht zu entsprechenden Einkommensteigerungen führen. Man würde sonst die gewollte Umverteilung wieder rückgängig machen. Alle so errechneten quantitativen Größen würden grundsätzlich zu einer unveränderten Einkommensverteilung beitragen. Es liegt bei den Sozialpartnern im Rahmen ihrer Tarifautonomie, ob sie davon abweichen wollen. Entscheidend ist bei solchen Abweichungen, dass sich Gewerkschaften und Arbeitgeber wirklich einigen. Sie müssen willens sein, die erzielten Ergebnisse ohne spätere Gegenmaßnahmen zu akzeptieren. Würden die Unternehmen bei vereinbarten relativ hohen Lohnabschlüssen versuchen, ihre Preise stärker zu erhöhen oder werden nach relativ niedrigen Lohnabschlüssen in den Betrieben außertarifliche Zuschläge gewährt, dann ist die Gesamtwirtschaft der Verlierer. Preise steigen, die Zentralbank erhöht die Zinsen und Investitionen und Beschäftigung werden betroffen. Die Gefahr, dass sich die Sozialpartner in ihrer Einkommenspolitik fehl verhalten, ist höher, wenn es an quantitativen Orientierungsdaten mangelt, wie das in der EWU, von der Europäischen Zentralbank abgesehen, der Fall ist.
K. Wechselkurse und Finanzmärkte I. Der Wechselkursmechanismus in der EU Eine Ursache für Fehlentwicklungen - Preissteigerungen und Arbeitslosigkeit - sind Wechselkursschwankungen. Stärkere Abwertungen einer Währung verteuern die Einfuhren und lassen die Preise steigen. Stärkere Aufwertungen einer Währung behindern die Ausfuhr, beeinträchtigen Investitionen und Produktion und führen zu erhöhter Arbeitslosigkeit. Die Länder, das gilt auch für die EWU, sind daher an einer stabilen Entwicklung der Wechselkurse interessiert. Wechselkursschwankungen können den Erfolg gut geführter Unternehmen erheblich beeinträchtigen. Der Wechselkurs ist neben den Preisen für Güter und Dienstleistungen ein zweiter Preis. Dieser zweite Preis aber kann den fairen Wettbewerb erheblich behindern. Am Markt durchsetzen sollten sich Unternehmen, die durch ihre Tüchtigkeit sich einen Produktivitätsvorsprung vor ihren internationalen Konkurrenten verschafft haben. Ein solcher Produktivitätsvorsprung aber kann durch den zweiten Preis, den Wechselkurs, über Nacht verloren gehen. Der Wettbewerb wird verzerrt. Zwar können sich Unternehmen auf verschiedenen Wegen gegen Wechselkursschwankungen absichern, jedoch entstehen dadurch zusätzliche Kosten. Auch sie beeinträchtigen den Wettbewerb. Mit der Schaffung einer einheitlichen Währung, dem Euro, sind diese Probleme zwischen den Mitgliedstaaten der EWU beseitigt. Noch nicht gänzlich beseitigt sind sie zwischen der EWU einerseits und den Mitgliedstaaten der EU, die nicht Mitglieder in der EWU geworden sind und damit ihre eigenen Währungen behalten haben. Der Europäische Rat war sich der Probleme und Gefahren von Wechselkursschwankungen für den europäischen Binnenmarkt bewusst. Auf seiner Sitzung im Juni
I. Der Wechselkurs mechanismus in der EU
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1997 in Amsterdam beschloss er die Schaffung eines Wechselkursmechanismus, um durch Wechselkursschwankungen entstehende Nachteile für die Mitgliedstaaten der EU zu vermeiden. Er begründete das folgendermaßen: Amst WK Zi 1.2: Ein stabiles wirtschaftliches Umfeld ist für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und mehr Investitionen, Wachstum und Beschäftigung notwendig und liegt daher im Interesse aller Mitgliedstaaten. Der Binnenmarkt darf nicht durch Verzerrungen der realen Wechselkurse oder übennäßige Schwankungen der nominalen Wechselkurse zwischen dem Euro und den anderen EU- Währungen gefährdet werden, da dies die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten stören würde.
Der von den Staats- und Regierungschefs geschaffene Wechselkursmechanismus WKM besteht aus Leitkursen, Schwankungsbreiten um die Leitkurse, in denen sich die Wechselkurse bewegen können, Interventionsverpflichtungen und einem Kreditmechanismus. Bedeutsam ist die Festlegung des Leitkurses, also des Wechselkurses einer nicht der EWU angehörenden EU-Währung zum Euro. Er sollte so fixiert werden, dass der Handel zwischen diesem EU-Mitgliedsland und den Mitgliedsländern der EWU unverzerrt und damit wettbewerbsneutral abgewickelt werden kann. Deshalb wurde die Entscheidung über den Leitkurs im EG-Vertrag auch dem Europäischen Rat übertragen. Art. 1J 1 Abs. 1 EGV: Der Rat kann ... die ECU [EuroJ-Leitkurse innerhalb des Wechselkurssystems festlegen, ändern oder aufgeben.
Solche Leitkursregelungen werden von der EZB oder der Kommission empfohlen. Der Europäische Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit. Die EZB ist in jedem Fall zu hören, um zu einem Konsens zu gelangen, der mit dem Ziel Preisstabilität in Einklang steht. Der Ratspräsident unterrichtet das Europäische Parlament über die getroffenen Maßnahmen. Leitkurse müssen sich ändern, wenn z. B. die Preisentwicklung in der EWU und den EU-Ländern, die nicht zur EWU gehören, auseinanderläuft. Geschieht das nicht, ist Handelsneutralität nicht mehr gegeben. Man muss dann damit rechnen, dass es zu umfangreichen Devisenzuflüssen oder -abflüssen kommt. Der Europäische Rat hat daher beschlossen:
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
Amst WK Zi 1.5: Es sollte sichergestellt werden, dass etwaige Leitkursanpassungen rechtzeitig erfolgen, um spürbare Kursverzerrungen zu vermeiden.
Die Leitkurse müssen am Devisenmarkt keinesfalls immer erreicht werden. Vielmehr bedarf ein solches Wechselkurssystem einer gewissen Wechselkurselastizität. So wurden auch im WKM Schwankungsbreiten, d. h. Kursbänder, beschlossen. Die Marktkurse können innerhalb dieser Kursbänder schwanken. Amst WK Zi 2.1: Es wird eine Standardbandbreite von +/- 15 Prozent bezogen auf die Leitkurse geben.
Diese Standardbandbreite lässt also recht umfangreiche Wechselkursbewegungen zu. Nun ist es das Ziel der EU, dass alle ihre Mitgliedsländer auch Mitglieder der EWU werden. Diese Länder müssen sich anstrengen, dass ihre wirtschaftliche Entwicklung mit der der EWU konvergiert. Sind sie dabei erfolgreich, dann kann die Bandbreite für erlaubte Wechselkursschwankungen auch verengt werden. Amst WK Zi 2.4: Auf Antrag des betreffenden, nicht dem Euro- Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaats können im Einzelfall förmlich vereinbarte engere Bandbreiten als die Standardbandbreite festgelegt werden, die grundsätzlich durch automatische Intervention und Finanzierung gestützt werden.
Von den vier EU-Mitgliedländern, die nicht der EWU angehören, haben nur zwei, Griechenland und Dänemark, die Regeln des WKM akzeptiert. Für die griechische Drachme gilt die Standartbandbreite von +/- 15%. Für die dänische Krone wurde eine engere Bandbreite von +/ - 23,4% festgelegt. In dem WKM bestehen Interventionsverpflichtungen. Erreichen z. B. die Devisenkurse das Ende der oberen Schwankungsbreite, das ist der obere Interventionspunkt, oder erreichen die Wechselkurse das Ende der unteren Schwankungsbreite, das ist der untere Interventionspunkt, dann sind die EZB und die beteiligte Nationale Zentralbank verpflichtet zu intervenieren. Amst WK Zi 2.1: Interventionen an den Interventionspunkten werden grundsätzlich automatisch und in unbegrenzter Höhe erfolgen, wobei die Fazilität der sehr kurl,{ristigen Finanzierung zur Verfügung steht.
I. Der Wechselkursmechanismus in der EU
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Interventionen in einern solchen Wechselkurssystem vollziehen sich immer automatisch. Die Beteiligten am Devisenmarkt wissen, dass sie eine Währung in jedem Fall zum Kurs des oberen Interventionspunktes bei der entsprechenden Nationalen Zentral bank erwerben können. Tendiert der Marktkurs durch eine hohe Nachfrage dazu, den oberen Interventionspunkt zu überschreiten, dann erwerben die Marktteilnehmer diese Devise nicht länger am Markt, sondern bei der entsprechenden Nationalen Zentralbank. Die NZB hat damit interveniert. Im Falle eines stärkeren Angebots verhalten sich die Marktteilnehmer ebenso. Sie verkaufen Devisen am Markt nur solange, wie der Wechselkurs oberhalb des unteren Interventionspunktes liegt. Tendiert der Wechselkurs dazu, den unteren Interventionspunkt zu unterschreiten, dann verkaufen sie die Devisen der NZB. Der Europäische Rat hat es der EZB und den NZB' s im Rahmen des WKM auch ermöglicht, intramarginal zu intervenieren. Amst WK Zi 2.2: ... es wird die Möglichkeit zu koordinierten intramarginalen Interventionen bestehen.
Wie der Begriff intramarginal schon besagt, haben die EZB und die NZB's das Recht bereits an den Devisenmärkten des Euro und anderer EU-Währungen zu intervenieren, wenn die Devisenkurse den oberen oder unteren Interventionspunkt noch nicht erreicht haben. Man hat früher beobachtet, dass wenn die Interventionspunkte erreicht wurden, die Devisennachfrage bzw. das Devisenangebot stark zunahm. Um das zu verhüten, können die Zentralbanken auch schon eingreifen, wenn sich die Devisenkurse noch innerhalb der Bandbreite befinden. Solche intramarginalen Interventionen sind dann keine automatischen mehr. Hier greifen die Zentralbanken mit eigenen Kauf- oder Verkauforders in das Marktgeschehen offen oder verdeckt - über Vertrauensadressen - ein. Die Beschlüsse des Europäischen Rates verlangen, dass in unbegrenzter Höhe interveniert wird. Das ist nur möglich, wenn die betroffene Nationale Zentralbank in unbegrenzter Höhe ihre Währung abgibt oder aufnimmt. Gibt sie unbegrenzt einer anderen Nationalen Zentralbank ihre Währung, dann ist sie
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
gewillt, der anderen Zentralbank unbegrenzt Kredit einzuräumen. Dies ist auch vorgesehen. Kreditaufnehmende Zentralbanken können auf eine Fazilität der sehr kurzfristigen Finanzierung zurückgreifen, die grundsätzlich unbegrenzt ist. Was die Konditionen der sehr kurzfristigen Finanzierung betrifft, so hat der Europäische Rat nur festgestellt: Amst WK Zi 2.6: Die Einzelheiten der Fazilität der sehr kurifristigen Finanzierung werden in dem Abkommen zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken weitgehend auf der Grundlage der derzeitigen Vereinbarungen festgelegt.
Die "derzeitigen Vereinbarungen" betrifft das Abkommen zwischen der EZB und den nationalen Zentral banken der nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten über die Funktionsweise eines Wechselkursmechanismus in der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion vom September 1998. (EZB (1999 V), S. 96ff.). Dieses Abkommen wiederholt die Beschlüsse, die auf der Gipfelkonferenz in Amsterdam im Juni 1997 (Amst Wk) gefasst wurden. Außerdem bestimmt es, dass grundsätzlich nur in Euro und in den Währungen von EUMitgliedstaaten interveniert werden darf, die dem WKM angehören. Zu verzinsen sind die gewährten Kredite zum Dreimonatsgeldsatz, wie er am ersten Handelstag der Erstfinanzierung für die Währung des Kreditgebers bestand. Die Laufzeit der Kredite beträgt 3 Monate. Sie kann zweimal verlängert werden. Einmal um 3 Monate auf Ersuchen der Schuldnerzentralbank. Dabei dürfen allerdings im Abkommen festgelegte Höchstbeträge nicht überschritten werden. Eine zweite Verlängerung der gewährten Kredite ist möglich, sofern die Gläubigerzentralbank zustimmt. Interventionen, die unbegrenzt sind, können es allerdings der EZB schwierig machen, ihr Ziel Preisstabilität zu erreichen. Mit solchen Interventionen sind nämlich Liquiditätszuflüsse oder -abflüsse zu bzw. von den Banken verbunden. Interventionen können u. U. die Geld- und Kreditpolitik konterkarieren. Der Europäische Rat hat daher der EZB, aber auch den anderen beteiligten NZB das Recht eingeräumt, in einem solchen Fall die Interventionen am Devisenmarkt einzustellen.
I. Der Wechselkursmechanismus in der EU
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Amst WK Zi 2.1: Sowohl die EZB als auch die Zentralbanken der übrigen Teilnehmer hätten die Möglichkeit, Interventionen auszusetzen, wenn diese ihrem vorrangigen Ziel zuwiderlaufen würden. Bei ihrer Entscheidung würden sie sämtliche maßgebenden Faktoren, insbesondere die Notwendigkeit der Wahrung der Preisstabilität und das glaubwürdige Funktionieren des Wechselkursmechanismus, gebührend berücksichtigen
Auch dieser Passus ist im Abkommen zwischen der EZB und den nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten der EU wiederholt: "Sowohl die EZB als auch die nicht dem Euro-Währungsgebiet angehörenden nationalen Zentralbanken, die am WKM 11 teilnehmen ... , können die Interventionen jedoch aussetzen, wenn diese ihrem vorrangigen Ziel der Gewährleistung der Preisstabilität zuwiderlaufen sollten. Bei ihrer Entscheidung werden alle maßgebenden Faktoren, insbesondere die Notwendigkeit der Gewährleistung der Preisstabilität und das glaubwürdige Funktionieren des WKM 11, gebührend berücksichtigt." (EZB (1999 V) S. 96f.). Wenn eine EU-Währung an den Devisenmärkten unter Druck gerät, wenn also Devisen aus diesem Lande abströmen oder in das Land zuströmen, dann sollte nicht nur interveniert werden. Der Europäische Rat sieht es in einem solchen Fall für geboten, die Zinssätze herauf- oder herabzusetzen. So ... Amst WK Zi 2,2: ... wird der flexible Einsatz der Zinssätze ein wichtiges Merkmal des Mechanismus darstellen, ....
Strömen Devisen ab, dann muss die betreffende Zentral bank ihre Zinsen erhöhen, im umgekehrten Fall senken. Eine Zentralbank wird dabei abzuwägen haben, in welchem Umfang sie interveniert und/ oder die Zinsen verändert. Aus Interventionen herrührende Liquiditätsströme zu den Banken kann die Zentralbank, wenn erforderlich, durch Geldmarktoperationen neutralisieren. Zinsveränderungen beeinflussen den realen Bereich der Wirtschaft. Von den 15 Mitgliedstaaten der EU bilden 11 Staaten die EWU. Die nicht zu den EWU-Staaten zählenden Mitglieder der EU werden im EG-Vertrag als "Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt", bezeichnet (Artikel 122 Absatz 1). Dabei
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
sind zwei Kategorien zu unterscheiden. EU-Mitglieder, die bei Vertragsabschluss erklärt haben, dass sie selbst entscheiden wollen, ob und wann sie beitreten. Diesen Staaten hat der Europäische Rat in Protokollen zum EG-Vertrag die Ausnahmeregelung zugesprochen. Das sind Dänemark und Großbritannien. Die zweite Kategorie sind Länder, die die Beitrittskriterien noch nicht erfüllt haben. Dazu zählen Griechenland und Schweden. Bei diesen Ländern wird mindestens alle 2 Jahre geprüft, inwieweit sie den Beitrittskriterien genügen. Ist das gegeben, dann hebt der Europäische Rat die Ausnahmeregelungen der betreffenden Mitgliedstaaten auf. Von den vier EU-Ländern, die nicht der EWU beigetreten sind, akzeptieren zwei Länder auch nicht den Wechselkursmechanismus: Großbritannien und Schweden. Die Staats- und Regierungschefs haben dazu festgestellt: Amst WK Zi 1.6: Allerdings kann von den Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, erwartet werden, daß sie sich an dem Mechanismus beteiligen. Ein Mitgliedstaat. der sich nicht von Anfang an dem Wechselkursmechanismus beteiligt, kann dies zu einem späteren Zeitpunkt tun.
Die abseits stehenden Länder wissen, dass ein EU-Land nur Mitglied der EWU werden kann, wenn es zwei Jahre dem WKM angehört hat.
11. Wechselkursregelungen gegenüber Drittstaaten Mögliche Wechselkursprobleme durch abwertende oder aufwertende Währungen gibt es nicht mehr innerhalb der 13 Länder der EU, die entweder in der EWU eine einheitliche Währung eingeführt haben oder dem Wechselkursmechanismus angehören. Solche Probleme bestehen vor allem gegenüber Drittlandswährungen in Amerika oder Asien. Die überaus starken realen Abwertungen von Währungen in Asien und Lateinamerika gegen Ende des 20sten Jahrhunderts haben zu einem Einbruch im Welthandel und damit auch zu Einbußen in den Industriestaaten geführt. In einem System flexibler Wechsel-
11. Wechselkursregelungen gegenüber Drittstaaten
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kurse, das gegenwärtig das Wechselkurssystem der Welt kennzeichnet, muss man stets mit überraschenden realen Aufwertungen oder Abwertungen rechnen, die die wirtschaftliche Entwicklung stören. Eine Möglichkeit, gleichsam prophylaktisch, solchen störenden Wechselkursbewegungen zu begegnen, bestünde darin, zusammen mit Drittstaaten ein dem WKS ähnliches Verfahren mit Drittstaaten zu vereinbaren. Der EG-Vertrag hat dem Europäischen Rat das Recht eingeräumt, ein solches Wechselkurssystem zu schaffen. Danach ... Art. 111 Abs. 1: ... kann der Rat ... förmliche Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem für die ECU [Euro] gegenüber Drittlandswährungen treffen.
Ein solcher Schritt muss von der EZB oder der Kommission empfohlen worden sein. In jedem Fall ist die EZB anzuhören. Mit ihr ist ein Konsens zu schaffen, der mit dem Ziel der Preisstabilität im Einklang steht. Auch das Europäische Parlament ist zu konsultieren. Ein solcher Beschluss muss einstimmig gefasst werden. Eine weitere Möglichkeit störenden Wechselkursbewegungen zu begegnen, könnte darin bestehen, dass die EWU mit Hilfe der EZB selbst versucht, die Wechselkursbewegungen in einem gewissen Rahmen zu halten. Für einen solchen Fall gibt der EG-Vertrag dem Europäischen Rat das Recht, Orientierungen für die Wechselkurspolitik festzulegen. Art. 111 Abs. 2: Besteht gegenüber einer oder mehreren Drittlandswährungen kein Wechselkurssystem ... , so kann der Rat ... allgemeine Orientierungen für die Wechselkurspolitik gegenüber diesen Währungen aufstellen. Diese allgemeinen Orientierungen dürfen das vorrangige Ziel des ESZB, die Preisstabilität zu gewährleisten, nicht beeinträchtigen.
Solche von den Staats- und Regierungschefs zu erlassenden allgemeinen Orientierungen für die Wechselkurspolitik bedeuten für die EZB, dass sie, um diesen Orientierungen zu genügen, wahrscheinlich am Devisenmarkt intervenieren muss. Auch dazu ist sie offensichtlich nur solange verpflichtet, wie dadurch die Preisstabilität nicht gefährdet wird. Für diesen Fall 9 Köhler
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
gilt mithin, dass sie die Interventionen aussetzen kann, wenn diese ihrem vorrangigen Ziel Preisstabilität zuwiderlaufen würden (Amst WK Zi 2.1). Auf den Gipfeltreffen brauchten sich bisher die Staats- und Regierungschefs mit den Fragen, die sich aus Artikel 111 EGVertrag ergeben, nicht zu beschäftigen. Die tatsächliche Entwicklung am Euro-Devisenmarkt gab dazu keinen Anlass.
111. Eine tripolare Währungsordnung Mit der EWU wurde nun auch in Europa ein umfangreicher Währungsraum, der des Euro, geschaffen. Er ist vergleichbar dem amerikanischen Währungsraum des US-Dollar und dem asiatischen Währungsraum des japanischen Yen. Es sind diese drei Währungen Euro, Dollar und Yen, die das Währungs geschehen der Welt bestimmen. In der Vergangenheit wurde von den sieben führenden Wirtschaftsnationen, der Group of Sevem G7, immer wieder gefordert, "to foster stability of exchange rates around current levels" (Köhler (1990), S. 121). Nachteile des Systems frei schwankender Wechselkurse, vor allem erratische Wechselkursschwankungen, sollten so beseitigt werden. Die Wechselkursentwicklung sollte stabiler verlaufen. Dieses Problem ist jetzt eher lösbar, da nun in Europa statt 11 Währungen nur noch der' Euro an den Devisenmärkten gehandelt wird. Die Lösung "der" Wechselkursprobleme verengt sich auf das tripolare Wechselkursproblem. Wenn man stabilere Wechselkursentwicklungen auf der Welt anstrebt, dann genügt es weitgehend die tripolaren Währungen stabil zu halten, also ein tripolares Währungssystem zu schaffen. Der EG-Vertrag mit seinen Bestimmungen zu allgemeinen Orientierungen für die Wechselkurspolitik gegenüber Drittlandswährungen oder zu förmlichen Vereinbarungen über ein Wechselkurssystem für die tripolaren Währungen, gibt die Möglichkeit, dem weltweiten Wechselkursproblem zu begegnen. Vereinbarungen dieser Art bedürfen einer Richtschnur. Sie sollte nur lauten, die realen Wechselkurse weitgehend stabil zu
III. Eine tripolare Währungsordnung
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halten. Wenn die Preise in den USA um 5 % steigen, in der EWU aber nur um 2 %, dann sollte der Euro um 3 % aufwerten, d.h. der US-Dollar um 3% abwerten. Der reale Wechselkurs Dollar/Euro bleibt dann unverändert. Es besteht Handelsneutralität. Wenn in den USA die Preise schneller steigen als in der EWU, dann sollten die Zinssätze in den USA auch höher sein als in der EWU. Würde die Zinsdifferenz in diesem Beispiel 3 % betragen, so bestünde auch Kapitalverkehrsneutralität. Zwar würde ein Europäer, der sein Geld in US-Dollar anlegt, einen höheren Zinsertrag erzielen als in Europa, jedoch ginge dieser Vorteil durch die Aufwertung des Euro wieder verloren, wenn er die Dollar später wieder in Euro zurück tauscht. Größere spekulative wechselkurs- und zinsbedingte Transaktionen würden minimiert. Für Unternehmen herrscht fairer, vor allem auf Produktivitätsunterschieden basierender Wettbewerb. Handeisneutralität der Wechselkurse verhindert Wettbewerbsverzerrungen. Vereinbarungen, um stabilere Wechselkursentwicklungen zu erhalten, verlangen von den beteiligten Zentral banken immer wieder Interventionen an den Devisenmärkten der drei beteiligten Währungen. Dabei sollten zwei Dinge vermieden werden: koordinierte Interventionen und Zielzonen. Koordinierte Interventionen, von denen auch in den Beschlüssen des Europäischen Rates auf den Gipfelkonferenzen die Rede ist, beruhen auf dem Vorurteil, eine einzige Zentralbank habe keine Chance, die Wechselkursentwicklung zu beeinflussen. Hunderte von Milliarden Umsätzen an einem Tag an einem Devisenmarkt machten das unmöglich. Schon ein Blick auf die Geldmärkte führt das ad absurdum. Auch dort werden täglich hunderte von Milliarden Gelder umgesetzt. Trotzdem gelingt es jeder Zentralbank, die Geldmarktsätze zu steuern. Nicht die Umsätze bestimmen den Zinssatz bzw. Devisenkurs, sondern die marginalen Beträge, die die Zentralbank dem Markt zuführt oder aus ihm entnimmt. Das gilt für den Geldmarkt ebenso wie für den Devisenmarkt. Am Devisenmarkt kommt noch etwas anderes hinzu. Auch eine stürmische Nachfrage oder ein stürmisches Angebot wäh-
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
rend einer spekulativen Phase hält nicht den ganzen Tag an. Immer wieder wird die Entwicklung kurz unterbrochen; der Markt stellt sich glatt. Das ist der Moment, an dem die Zentralbanken intervenieren müssen. Dann wird konstatiert: Die Spekulation wurde auf dem falschen Fuß erwischt. Anders ausgedrückt, man überlasse die Intervention den Profis an den Devisendesks der Zentralbanken. Dann ist die Intervention auch erfolgreich. Zwischen Zentralbanken koordinierte Interventionen verpuffen häufig. Jede Zentralbank fühlt sich entsprechend den Abmachungen verpflichtet, am Devisenmarkt einzugreifen. Wenn dies während einer spekulativen Welle geschieht, ist eine solche Intervention erfolglos. Koordinieren kann man Interventionen nur in dem Sinne, dass man zwischen den Zentralbanken vereinbart einzugreifen, aber den Zeitpunkt in das Ermessen jeder einzelnen Zentralbank stellt. Wenn man der Richtschnur folgt, die nominalen Wechselkurse entsprechend den Preisdifferenzen zweier Länder zu steuern, dann sollte man das dem Markt mitteilen und diesen Willen durch gelegentliche Interventionen unterstreichen. Zielzonen sind dabei nur schädlich. Der Markt tendiert nämlich dazu, die Zentral banken zu testen, ob sie den oberen oder unteren Punkt einer Ziel zone halten können. Das können die Zentralbanken aber nicht. Sie müssten nämlich in spekulative Wellen hinein intervenieren. Möge sich die Spekulation auszutoben versuchen. Ein- oder zweimal durch geschickte Eingriffe auf dem falschen Fuß erwischt, wird sie nach anderen Verdienstmöglichkeiten Ausschau halten. Sie findet sie, wenn sie die Richtschnur der Zentralbanken ihrem Handeln zugrunde legt. Sie wird dann Abweichungen der Kursentwicklung von diesem Pfad gewinnbringend korrigieren. Damit wirkt sie selbst stabilisierend. Sie vollendet die Arbeit der Zentralbanken, die diese mit Interventionen begonnen haben. In einem von drei Währungen, dem Euro, dem US-Dollar und dem Yen, dominierten Weltwährungssystem können alle übrigen Volkswirtschaften ihre Währungen entsprechend ihren jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten gegenüber dem tripolaren Währungssystem positionieren. Sie können sich durch frei schwankende Wechselkurse von diesem System völlig
III. Eine tripolare Währungsordnung
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lösen oder durch feste Wechselkurse gegenüber einer der tripolaren Währungen an das System binden. Zwischen diesen bei den Extremen gibt es viele Zwischenfonnen, die gewählt werden, wenn es die nationalen wirtschaftlichen Gegebenheiten nahe legen. Einen Überblick über die jeweils gewählten Wechselkursregelungen gibt die Deutsche Bundesbank (Dt. Bundesbk (1999 11), S. 36f.). Sie unterscheidet zwischen folgenden Regelungen: (a) Wechselkursregelungen ohne eigenes gesetzliches Zahlungsmittel. In diesem Fall ist die Währung eines anderen Landes alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel. (b) Regelungen in Fonn eines "Currency Board". Länder, die eine solche Regelung bevorzugen, sind grundsätzlich verpflichtet, zu jeder Zeit Inlandswährung zu einem festen Wechselkurs zu tauschen. Das bedeutet, dass praktisch die Auslandswährung, an die man sich gebunden hat, im Inlande umläuft. (c) Sonstige konventionelle Regelungen mit festen Wechselkursen (einschI. de-facto-Festkursen bei kontrolliertem Floating). Darunter werden subsummiert Wechselkursregelungen, bei denen die nationale Währung mit einem festen Wechselkurs an eine der tripolaren Währungen gebunden wird. Wechselkurse dürfen hier nur um höchstens I % um die Parität schwanken. Es handelt sich hier also grundsätzlich um ein Festkurssystem. (d) Feste Wechselkurse innerhalb horizontaler Bandbreiten. Hier werden Währungen erfasst, die um mehr als I % um die festgelegte Parität schwanken können. (e) Stufenweise Kursanpassung ("crawling peg"). Die Wechselkurse werden hier regelmäßig in kleinen Schritten mit festem Prozentsatz den Unterschieden in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen eigenem Land und dem Partnerland angepasst. (f) Wechselkurse innerhalb stufenweise angepasster Bandbreiten. Dieses System entspricht grundsätzlich dem crowling peg. Allerdings wird hier auch noch eine Bandbreite um die Leitkurse gelegt. (g) Kontrolliertes Floating ohne einen vorgegebenen Wechselkurspfad. Die Zentralbank eines Landes, das diesem System folgt, interveniert an den Devisenmärkten. Sie kündigt aber weder einen Pfad an, dem sie zu folgen gedenkt, noch verpflichtet sie sich zu bestimmten Wechselkurszielen. (h) Unabhängiges Floating. Der Wechselkurs wird hier grundsätzlich von den Markteinflüssen bestimmt. Es kommt allerdings
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
auch hier zu Interventionen der Zentralbank. Sie will damit übermäßige Kursausschläge dämpfen, strebt aber kein bestimmtes Kursniveau an. Unabhängig von den tripolaren Währungen haben sich auch währungspolitische Beziehungen bilateral entwickelt. Kleine Länder verzichten auf eine eigene Währung und erklären eine dritte Währung als gesetzliches Zahlungsmittel. In Europa z. B. benutzt Lichtenstein den Schweizer Franken als gesetzliches Zahlungsmittel. Eine andere Spielart ist, dass jedes von zwei Ländern seine eigene Währung besitzt, diese Währungen jedoch in bei den Ländern als Zahlungsmittel benutzt werden. So ist in Asien z. B. in Brunei Darussalam nicht nur der Brunei-Dollar gesetzliches Zahlungsmittel, sondern auch der Singapur-Dollar. In Singapur werden sowohl der S$ als auch der BR$ als Zahlungsmittel zum Kurs I: 1 angenommen. Es ist durchaus denkbar, dass sich aus solchen währungspolitischen Kooperationen regionale Währungssysteme - z. B. zwischen den Asean-Staaten - entwickeln. Ein tripolares Währungssystem hat also zwei Elemente. Einmal den Euro, den US-Dollar und den Yen. Die drei Staaten und ihre Zentralbanken sollten dafür sorgen, dass die Wechselkursentwicklung dieser drei Währungen stabil verläuft, d. h. die realen Wechselkurse möglicht konstant sind. Das zweite Element bilden die übrigen Staaten. Sie können sich das Währungssystem und die währungspolitische Zusammenarbeit wählen, die der Wirtschaft ihres Landes angemessen ist.
IV. Finanzmärkte und Globalisierung Spekulative Attacken auf Währungen in Asien und Südamerika haben Ende der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts zu Wirtschaftskrisen in diesen Regionen geführt, die auch die wirtschaftlichen Entwicklungen in den Industrieländern beeinträchtigten. Des öfteren wurde darauf hingewiesen, dass das Ausmaß dieser Krisen geringer ausgefallen wäre, hätte es nicht die Globalisierung der Weltwirtschaft mit völlig freiem Kapitalverkehr gegeben.
IV. Finanzmärkte und Globalisierung
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Diese Diagnose ist zutreffend. Aber sie darf nicht dazu verleiten, die Globalisierung wieder rückgängig zu machen und den freien Kapitalverkehr über Gebühr einzuschränken. Beides sind Daten, die das wirtschaftliche Geschehen auch in Zukunft erheblich mitbestimmen werden. Die Weltwirtschaft muss damit leben. Die Globalisierung, d. h. das Entstehen globaler, also weltumspannender Märkte, beruht auf dem technischen Fortschritt. Man kann heute und wird zukünftig in sekundenschnelle von Kontinent zu Kontinent telefonieren, faxen und Nachrichten via Internet übertragen können. Diese Informationstechnik wird sich noch weiter entwickeln; die Globalisierung wird noch perfekter werden. Der freie Austausch von Waren und Dienstleistungen auf dem Erdball bringt allen, den Entwicklungsländern ebenso wie den Industrieländern, Vorteile. Das Tempo des mit der Globalisierung verbundenen Anpassungsprozesses führt in den Entwicklungsländern zu zunehmenden Wohlstand, in den Industrieländern drückt es allerdings den Lebensstandard. Ein freier Austausch von Waren und Dienstleistungen ist nur möglich, wenn er von einem freien Geld- und Kapitalverkehr begleitet wird. Zahlungen, Investitionen, Kreditgewährungen, Risikoabsicherungen und Geldanlagen müssen dabei möglich sein. Allerdings gibt es Grenzen dieser Freizügigkeit des Geld- und Kapital verkehrs. Sie liegen dort, wo sich die Kapitaltransaktionen von den Waren- und Dienstleistungstransaktionen deutlich entfernen. Die Krisen in Asien und Lateinamerika, die die Weltwirtschaft beeinträchtigt haben, werfen Fragen auf, wie funktionsfähig das internationale Finanzsystem ist und ob und wie es verbessert werden soll. Das Wechselkursproblem ist dadurch etwas in den Hintergrund gerückt. Die Stärkung der internationalen Finanzarchitektur steht im Vordergrund. So haben sich auch die Staats- und Regierungschefs der EU mit diesen Themen auseinandergesetzt. Sie kamen zum Ergebnis: Köln Zi 27: ... Besondere Bedeutung mißt der Europäische Rat einer verstärkten Einbeziehung des Privatsektors in die Vermeidung und Lösung von Finanzkrisen bei. ... Weiterhin unterstützt der Euro-
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
päische Rat die Bemühungen zur wirksamen Gestaltung der Finanzmarktaufsicht, ... Der Europäische Rat unterstreicht, dass alle angestrebten Verbesserungen der Funktionsfähigkeit des internationalen Finanzsystems im Rahmen der bestehenden Bretton Woods Institutionen erfolgen sollen und betont die zentrale Rolle des internationalen Währungsfonds.
Die Fragen der Funktionsfähigkeit des internationalen Finanzsystem berühren direkt die EWU, den Euro und alle Mitgliedstaaten der EU. Aber diese Fragen gehen weit über die EU hinaus. Sie werden daher auch auf der Etage der Group of Seven G7 behandelt. Dieser G7 gehören die Staats- und Regierungschefs von vier EU-Staaten an: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Außerdem sind die USA, Kanada und Japan in der G7 vertreten. Die zitierte Passage aus dem Schlusskommunique des Kölner Gipfels spiegelt nur die Ergebnisse wieder, die auf verschiedenen Treffen der G7 erzielt wurden. Auf ihrem Gipfeltreffen im Juni 1999 in Köln haben die Staats- und Regierungschefs der G7 sich eingehender mit der "Stärkung der internationalen Finanzarchitektur" beschäftigt. (G7 (1999), S. 448f.). Ihnen lag zu diesem Thema ein umfangreicher Bericht der G7-Finanzminister vor (G7 (1999), S. 453 ff.). Um Krisen des internationalen Finanzsystems in Zukunft zu vermeiden, haben sie zu sechs Punkten Vorschläge unterbrei tet. 1. Stärkung und Reform der Internationalen Finanzinstitutionen (IFI) und Vereinbarungen. Die Staats- und Regierungschefs fordern, dass die Führungsstrukturen der IFI, d. h. insbesondere die des Internationalen Währungsfonds IWF und die der Weltbank gestärkt werden. In diesem Zusammenhang soll der für Beschlussfassungen wichtige Interimsausschuss des IMF in einen "Internationalen Finanz- und Währungsausschuß" umgewandelt werden. Das bedeutet, dass dieser Ausschuss sich Fragen der Finanzarchitektur stärker widmen wird. Zwischen wichtigen Ländern, dem IMF sowie der Weltbank soll ein "informeller Mechanismus für den Dialog" geschaffen werden. Ferner regten die Staats- und Regierungschefs ein neues Forum für Finanzmarktstabilität an. Es soll die Zusammenarbeit und Abstimmung auf dem Gebiet der Überwachung und Regu-
IV. Finanzmärkte und Globalisierung
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lierung der Finanzmärkte verbessern. Zum Vorsitzenden dieses Forums wurde der ehemalige Präsident der deutschen Bundesbank Hans Tietmeyer bestellt. Er umschrieb die Aufgabe dieses Forums: " ... to consult with other appropriate bodies and to consider with them the arrangements for cooperationand coordination between the various international financial regulary and supervisory bodies and the international financial institutions interested in such matters, and to put to us expeditiously recommendations for any new structures and arrangements that my be required. (Tietmeyer (1999), S. 1). 2. Verbesserung der Transparenz und Förderung bewährter Praktiken. Die Staats- und Regierungschefs betonen, dass solche Maßnahmen es ermöglichen werden, Risiken besser einzuschätzen. Die politischen Entscheidungsträger wurden angeregt, eine solide Politik umzusetzen. Es sollen sogenannte Transparenz-Kodizes und Standards bewährter Praktiken international vereinbart werden. Sicher, es ist notwendig, in einer globalen Welt alle wirtschaftlich Interessierten mit zeitnahen Statistiken und Informationen auszustatten. Aber bevor man immer neue Instrumente entwickelt, sollten erst einmal die Mitgliedsländer des IWF angehalten werden, zeitnahe Statistiken zu liefern. Statistische Publikationen sind wertlos, wenn ihre veröffentlichten Daten ein bis zwei Jahre hinter dem aktuellen Datum zurückliegen (vergl. z. B. in International Financial Statitics des IWF, Heft April 2000 die Angaben über Preise und Löhne sowie über Arbeitslosigkeit in der Ukraine). Die Staats- und Regierungschefs fordern vom IWF und der Weltbank vermehrt Dokumente freizugeben. Das kann einerseits zu mehr Transparenz beitragen. Anderseits kann es aber auch krisenhafte Entwicklungen auslösen, wenn z. B. der IWF in solchen Dokumenten Entwicklungen in einem Land negativ beurteilt. 3. Stärkung der Finanzmarktaufsicht in den Industrieländern. Sie soll die Kreditgeber, also die Gläubiger, anregen, diszipliniert zu handeln und ihre dabei einzugehenden Risiken vorsichtig einzuschätzen. Ein angemessenes Eigenkapital spielt dabei eine entscheidende Rolle. Außerdem sollen Offshore-Zentren
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
dazu bewegt werden, sich auch an international vereinbarte Regulierungsnormen zu halten. 4. Stärkung der makroökonomischen Politik und der Finanzsysteme in den Schwellenländern. Diese Länder werden aufgefordert, ihre politischen Rahmenbedingungen und Finanzsysteme zu stärken. Sie dürfen nicht übermäßig abhängig sein von kurzfristigen Kapitalströmen und sollten angemessene und tragfahige Wechselkurs systeme aufrechterhalten. Sie sollten auf einer schlüssigen makroökonomischen Politik und auf einem robusten Finanzsystem beruhen. Der IWF und die Weltbank sollten helfen, dass Schwellenländer dieses Ziel erreichen. 5. Verbesserung der Krisenpräventation und -bewältigung und Einbeziehung des Privatsektors. Die verschiedenen Krisen in Teilen der Welt haben immer deutlich werden lassen, dass letztlich nur die Internationalen Finanzinstitutionen und die öffentlichen Hände die finanziellen Lasten der Krisenbewältigung tragen. Dies sollte sich nach Ansicht der Staats- und Regierungschefs ändern. Es werden, vor allem im Bericht der Finanzminister, umfangreiche Vorschläge gemacht. Sie alle zielen darauf ab, den Privatsektor in die Krisenbewältigung einzubeziehen. Gedacht ist an ein breit angelegtes Rahmenwerk, in dem Grundsätze, Überlegungen sowie ein breites Spektrum an Instrumenten dargelegt werden, mit denen private Investoren in die Krisenbewältigung einbezogen werden sollen. So verständlich der Wunsch ist, auch den privaten Sektor in die Krisenbewältigung einzubeziehen, so kann ein solcher Schritt auch erhebliche Nachteile haben. Es ist denkbar, vermutlich wahrscheinlich, dass sich private Investoren in Schwellenländern weniger engagieren werden, wenn ein solches Rahmenwerk besteht. Man darf nicht vergessen, dass z. B. vor Ausbruch der Asienkrise die wirtschaftliche Entwicklung in den meisten dieser Länder von vielen Analysten, einschließlich der Ratingagenturen als positiv beurteilt wurde. Selbst bei solchen positiven Urteilen würden sich private Investoren stärker zurückhalten. Wesentlich ist, dass die Verwendung von Mitteln, die an Entwicklungs- und Schwellenländer fließen, besser kontrolliert
IV. Finanzmärkte und Globalisierung
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wird. Solche Kreditgewährungen sollten einen positiven Effekt für die empfangende Volkswirtschaft haben. Werden die Mittel nicht sachgerecht verwendet, dann können sie auch nicht zurückgezahlt werden. Spätere Schuldenerlasse sind jedenfalls keine Alternative zu einer laufenden Verwendungskontrolle der Kredi tgeber. 6. Förderung einer sozialen Politik zum Schutz der Armen und Schwächsten. Die Staats- und Regierungschefs fordern, die Armen und Schwächsten besser vor Anpassungslasten zu schützen. Das ist gut gemeint, aber die Wirklichkeit zeigt, dass dies im Falle einer Krise nicht zu realisieren ist. Abwertungen, wie in der Asienkrise, um 30% und mehr, führen im betroffenen Land zu hohen Preissteigerungen. Die Beeinträchtigung des Welthandels dämpft den Export. Die heimische Produktion leidet unter hohen Einfuhrpreisen. Arbeitskräfte verlieren ihre Beschäftigung. Inflation und Arbeitslosigkeit aber gehen immer zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft. Der Katalog, den die Staats- und Regierungschefs der G7 auf ihrem Kölner Treffen im Juni 1999 aufgestellt haben, ist äußerst umfangreich und auch recht schwierig zu verwirklichen. Man muss sich wohl auf wenige Punkte konzentrieren. Sie sollten vor allem dazu beitragen, Krisen, wie die in Asien und in Lateinamerika, die die Weltwirtschaft erschütterten, möglichst zu venneiden. Dabei richten sich die Forderungen an drei Gruppen: a) an die einzelnen Schwellenländer selbst, b) an die Kreditgeber und c) an die Internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank. a) Die einzelnen Länder sollten sich auf drei Probleme konzentrieren: ein gesundes wirtschaftliches Umfeld, eine nur schrittweise Liberalisierung des internationalen Geld- und Kapitalverkehrs und eine verstärkte Bankenaufsicht. Ein gesundes wirtschaftliches Umfeld schließt ein, ein angemessenes Wirtschaftswachstum, geringe Preissteigerungen mit dem Ziel Preisstabilität zu erreichen sowie möglichst geringe Defizite in den öffentlichen Haushalten und in der Leistungsbilanz. Die Liberalisierung des Geld- und Kapitalverkehrs soll dazu dienen, vor allem die Freizügigkeit des internationalen Waren-
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
und Dienstleistungsverkehrs sicherzustellen. Dazu ist eine schrittweise mit dem internationalen Handel parallel verlaufende Liberalisierung ausreichend. Dies schlagen auch die G7 vor: Wir ermutigen "die Schwellenländer, ihre Finanzsysteme im Zuge einer umsichtigen und schrittweisen Liberalisierung des Kapitalverkehrs zu stärken ... " (G7, 11. D, S. 448). Im Mittelpunkt verstärkter Bankenaufsicht steht die Frage des Eigenkapitals. Es zeigte sich, insbesondere während krisenhafter Entwicklungen, dass das Eigenkapital vieler Finanzinstitute unzureichend war. Der Fremdkapitalanteil (leverage) war zu groß. Es muss Aufgabe der Bankenaufsicht sein, für ein den Risiken angemessenes Eigenkapital ihrer Banken zu sorgen. Auch die G7 sind der Auffassung, dass zu hohen Fremdkapitalanteilen entgegengewirkt werden müsse. "Es sollten Schritte unternommen werden, um Qualität und Zeitnähe der Offenlegung des direkten finanziellen Engagements bei Institutionen mit hohem fremdfinanziertem Risikoportfolio (Highly Leveraged Institutions, HLIs) und einschlägiger Informationen durch die HLI zu verbessern." (G7, 11. B, S. 448). Die Bankenaufsicht sollte in die Lage versetzt werden, spekulative Attacken gegen die eigene Währung rechtzeitig zu erkennen. Spekulative Transaktionen erfordern Kreditaufnahmen und Hedgeoperationen in dieser nationalen Währung in hohen Beträgen. Daher sollte die Bankenaufsicht vor der Kreditgewährung oder vor Hedgeoperationen, ab einer bestimmten Höhe, von den eigenen Banken im voraus informiert werden. Der Verwendungs zweck solcher Transaktionen lässt erkennen, ob Investitionen oder Währungsspekulation der Zweck der Transaktionen ist. b) Die Forderungen an die Kreditgeber, die meist in den Industrieländem beheimatet sind und deren Aufsichtsbehörden, ähneln den an die Kreditnehmer. Das Eigenkapital muss angemessen sein. Was angemessen ist, richtet sich nach den Risiken, die der Kreditgeber mit seiner Mittelbereitstellung eingeht. Diese Forderungen richten sich an die Finanzinstitute. Sie könnten von ihnen nach eigener Einsicht eingehalten werden. Offensichtlich aber bedarf es einer Bankenaufsicht, die sich
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dieser Probleme annimmt. So sind Eigenkapitalregeln für Finanzinstitute unverzichtbar. Immer wichtiger wird es, dass die Aufsichtsbehörden sich ein Bild machen, ob die Finanzinstitute in der Lage sind, Kreditrisiken ausreichend zu erkennen. Sie müssen auch wissen, ob die Finanzinstitute vorgesorgt haben, Risiken zu bewältigen. c) Der IWF hat nach wie vor die Aufgabe, die wirtschaftlichen Entwicklungen der Mitgliedsländer zu überwachen und für Transparenz zu sorgen. Er muss vor allem dafür sorgen, dass Volkswirtschaften ihre statistischen Pflichten gegenüber dem IWF erfüllen. Der IWF sollte verhindern, dass in eine krisenhafte Entwicklung auch Länder hineingezogen werden, deren wirtschaftliches Umfeld zufriedenstellend ist. Dieses Problem ist schon seit geraumer Zeit allgemein erkannt worden. Beim IWF wurde eine Eventualkreditfazilität, die Contingent Credit Line CCL, eingerichtet, deren Mittel bereitstehen, um Dominoeffekte zu venneiden. Auf ihrem Kölner Treffen im Juni 1999 erklärten die Staats- und Regierungschefs der G7 dazu: "Wir fordern Unterstützung der Länder, die eine solide und tragfähige Politik betreiben, aber potentiell von einer "Ansteckung" der Finanzmärkte betroffen sind, durch die neue Eventualkreditfazilität (Contingent Credit Line, CCL) des IWF." (G7, 11. E, S. 449). Eine fehlentwicklungsfreie wirtschaftliche Entwicklung zu sichern, war im 20sten Jahrhundert schwierig zu erreichen. Immer wieder gab es Preissteigerungen und höhere Arbeitslosigkeit als Folge innerer und äußerer wirtschaftlicher und politischer Einflüsse. Aber es gab eine nationale Wirtschaftspolitik, die immer wieder versuchte, solche Fehlentwicklungen zu beseitigen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist es noch schwieriger geworden, Preisstabilität und Vollbeschäftigung zu verwirklichen. Die Globalisierung hat national staatliches wirtschaftspolitisches Handeln wirkungsloser gemacht. Eine Wirtschaft ohne Fehlentwicklungen zu schaffen, verlangt weit mehr als früher internationale wirtschaftspolitische Kooperation der Nationalstaaten. Die Europäische Union, die Europäische Währungsunion, andere regionale wirtschaftliche Zusammen-
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K. Wechselkurse und Finanzmärkte
schlüsse, die G7, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank sowie weitere wirtschaftliche UN-Institutionen versuchen das zu verwirklichen. Es wird noch vieler Mühen bedürfen, ehe man einen Grad der wirtschaftspolitischen Kooperation erreicht haben wird, der die Chance eröffnet, einer fehlentwicklungsfreien wirtschaftlichen Entwicklung näher zu kommen.
L. Der Erweiterungsprozess I. Die allgemeine Herausforderung Nach der Schaffung eines wirtschaftlichen Raums ohne Binnengrenzen und einer Währungsunion in den westeuropäischen Staaten sieht sich die EU und damit auch die EWU neuen Herausforderungen gegenüber. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden auch seine europäischen Satellitenstaaten aus Diktatur und Planwirtschaft entlassen. Viele dieser mittel- und osteuropäischen Länder (MOE-Länder) wählten den Weg zur Demokratie und zur Marktwirtschaft. Sie suchen nun den Anschluss an die westeuropäischen Volkswirtschaften und beantragten, der EU beizutreten. Seitens der EU steht man diesem Begehren positiv gegenüber. Es sind in erster Linie politische Gründe, die die EU veranlassen, diese Bitten zu unterstützen. Im März 1998 fand in London eine Europakonferenz statt. Auf der Eröffungstagung stellte der Vorsitzende in seinen Schlussfolgerungen fest: "Seit über 40 Jahren ist die Europäische Gemeinschaft und nun die Europäische Union ein Hoffnungsträger für alle, die ein Ende der Rivalitäten herbeisehnten, die im Laufe dieses Jahrhunderts so zerstörerisch gewirkt haben. Sie hat eine Ära unbekannten Friedens und Wohlstands für ihre Mitglieder geschaffen. [Absatz] Die historischen Veränderungen, die unsere Generation erlebt hat, bieten uns die Chance, durch die Erweiterung der Europäischen Union diese Vorteile auch dem größeren Europa zugute kommen zu lassen, den Versöhnungsprozeß zu beschleunigen und zu vollenden und Stabilität und Wohlstand für den gesamten Kontinent zu sichern." (Lond, S. 249). Die EU verhandelt mit zehn MOE-Ländern, die der Gemeinschaft beitreten wollen. Das sind Polen, die Tschechische Repu-
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L. Der Erweiterungsprozess
blik, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien. Hinzu kommen drei Mittelmeerländer, die schon längere Zeit eine Mitgliedschaft in der EU anstreben. Das sind Malta, die Türkei und Zypern. So ist es durchaus möglich, dass in naher oder ferner Zukunft die Zahl der Mitgliedstaaten der EU von 15 auf 28 ansteigt. Wird ein Beitrittskandidat in die EU aufgenommen, so gehört er auch der EWU an. Er erhält den Status eines Mitgliedstaates, für den eine sogenannte Ausnahmeregelung gilt. Das bedeutet, er muss erst Kriterien erfüllen, ehe er seine nationale Währung durch den Euro ersetzen kann. Es bedarf keiner vertieften Begründung, welche schwierigen Probleme dabei auf die EU zukommen. Wie die Darstellung in den vorangegangenen elf Abschnitten zeigt, ist das Werk einer Europäischen Union der 15 Mitgliedstaaten noch keinesfalls vollendet. Es gibt eine einheitliche Geldpolitik innerhalb der EWU, die in erster Linie Preisstabilität geWährleisten soll, aber eine hinreichend koordinierte Wirtschaftspolitik, um auch ein hohes Beschäftigungsniveau zu sichern, ist noch nicht vorhanden. Auch ist die angestrebte politische Union noch nicht vollendet. Die EU steht also vor der Aufgabe einerseits den Integrationsprozess zu vertiefen und andererseits sich für neue Mitglieder zu öffnen. Die Schwierigkeit, diese duale Aufgabe zu lösen, besteht darin, dass man sich ständig der Gefahr gegenüber sehen wird, in die eine oder andere Richtung abzugleiten. Zu starke Bemühungen, den Integrationsprozess der EU-15 zu vertiefen, macht es den Beitrittskandidaten schwer, zu diesen Ländern aufzuschließen. Zu starke Bemühungen, den Erweiterungsprozess schnell zu vollenden, kann dazu führen, dass der gesamte Integrationsprozess verwässert.
11. Die beitrittswilligen Länder Die Gesuche der 13 Länder, die der EU beitreten wollen, basieren auf dem EU-Vertrag. Er gibt allen europäischen Ländern grundSätzlich das Recht, Anträge auf Mitgliedschaft zu stellen.
1I. Die beitrittswilligen Länder
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An. 49 EUV: Jeder europäische Staat, der die in Anikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.
Diese unverzichtbaren Grundsätze lauten: An. 6. 1 EUV: Die Union beruht auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam.
Auf seiner Tagung in Luxemburg im Dezember 1997 hat der Europäische Rat diese Grundsätze noch vertieft. Zum gemeinsamen Fundus .. . Lux D Zi 5: ... müssen ihr jeweiliges Eintreten für Frieden, Sicherheit und gutnachbarliche Beziehungen, die Achtung der Souveränität, die Grundsätze auf denen die Europäische Union beruht, die Unversehnheit und Unverletzlichkeit der Außengrenzen sowie die Grundsätze des Völkerrechts und die Verpflichtung gehören, territoriale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln, insbesondere auf gerichtlichem Wege über den Internationalen Gerichtshof in Den Haag beizulegen.
Sinngemäß hat der Europäische Rat diese Forderungen anlässlich seiner Tagung im Dezember 1999 in Helsinki wiederholt (Hels Zi 4). Er hat dabei auch auf die "Kopenhagener Kriterien" hingewiesen, die er im Juni 1993 beschlossen hatte. Sie umfassen drei Punkte (EZB (2000) S. 47): - die institutionelle Stabilität als Garantie für demokratisch und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten, - eine funktionsfahige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten, und - die Fähigkeit, die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen und sich die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) zu eigen zu machen. Die Staats- und Regierungschefs haben mehrfach betont, dass die Kriterien für sie unabdingbar sind. 10 Köhler
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L. Der Erweiterungsprozess
Hels Zi 4: Darüber hinaus weist der Europäische Rat darauf hin, dass die Erfüllung der vom Europäischen Rat (Kopenhagen) festgelegten politischen Kriterien eine Voraussetzung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen ist und daß die Erfüllung sämtlicher Kriterien von Kopenhagen die Grundlage für einen Beitritt zur Union ist.
Wenn die EU mit 13 MOE- und Mittelmeer-Ländern begonnen hat, über eine Mitgliedschaft zu verhandeln, so kann man davon ausgehen, dass die EU die Bedingungen des Artikel 6 Absatz 1 des EU-Vertrages und des postulierten "gemeinsamen Fundus" als erfüllt ansieht oder erwartet, dass diese Länder spätestens, wenn sie in die EU aufgenommen werden, diese Bedingungen und die "Kopenhagener Kriterien" erfüllen werden. Wenn die Verhandlungen beendet sind, entscheiden die Staatsund Regierungschefs mit absoluter Mehrheit über den Antrag. Die Kommission ist dazu anzuhören und das Europäische Parlament muss zugestimmt haben. Die beitrittswilligen Länder müssen selbst versuchen, durch angemessene Maßnahmen den Anschluß an das wirtschaftliche und rechtliche Niveau zu finden. Sie werden aber auch von der EU in diesen Bemühungen unterstützt. Lux D Zi 2: Das Ziel der nächsten Jahre besteht darin, die Staaten, die den Beitritt anstreben, in die Lage zu versetzen, Mitglieder der Union zu werden ... Diese Erweiterung ist ein globaler, allumfassender, evolutiver Prozeß, der in mehreren Etappen und für jeden Bewerberstaat in dem Tempo, das seinem Vorbereitungsstand entspricht, ablaufen wird.
Dem Europäischen Rat liegt daran, immer wieder zu betonen, dass nicht kollektiv verhandelt wird, sondern individuell mit jedem Bewerberstaat. Hels Zi J J: Bei den Verhandlungen wird jedes beitrittswillige Land für sich genommen beurteilt werden.
Das bedeutet, die Zeitpunkte, zu denen einzelne Kandidaten aufgenommen werden, können mehr oder weniger differieren. Die EU hat 12 der 13 beitrittswilligen Länder in zwei Gruppen geteilt. Außerdem bildet die Türkei eine weitere "Gruppe". Man kann wohl grundSätzlich davon ausgehen, dass die Länder
II. Die beitrittswilIigen Länder
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der Gruppe 1 das Ziel, Mitglied der EU zu werden, eher erreichen als die Länder der Gruppe 2. Zur ersten Gruppe gehören fünf MOE-Länder und ein Mittelmeeranrainer: Hels Zi 8: Der Europäische Rat nimmt mit Genugtuung Kenntnis von der bei den Beitrittsverhandlungen mit Zypern. Ungarn. Polen. Estland. der Tschechischen Republik und Slowenien in Angriff genommenen substanziellen Arbeit und den bisher erzielten Fortschritten.
Auch zur zweiten Gruppe gehören fünf MOE-Länder sowie ein Mittelmeerland. Der Europäische Rat hat beschlossen, ... Hels Zi 10: ... bilaterale Regierungskonferenzen einzuberufen. um mit Rumänien. der Slowakei. Lettland. Litauen. Bulgarien und Malta Verhandlungen über die Bedingungen ftir ihren Beitritt zur Union und die sich daraus ergebenden Anpassungen des Vertrags aufzunehmen.
Die EU unterscheidet also zwischen Beitrittsverhandlungen, an denen die Länder der Gruppe 1 beteiligt sind und Verhandlungen über Bedingungen für den Beitritt mit den Ländern der Gruppe 2. Der Europäische Rat gibt Ländern der Gruppe 2 die Chance, ebenso schnell wie Länder der Gruppe 1 ihr Ziel zu erreichen, Mitglied der EU zu werden. Hels Zi 11: Die beitrittswilligen Länder. die jetzt in den Verhandlungsprozeß einbezogen worden sind {Gruppe 2J. werden die Möglichkeit haben. innerhalb eines vertretbaren Zeitraums die Länder einzuholen. mit denen bereits verhandelt wird {Gruppe 1J. sofern sie hinreichende Fortschritte bei ihrer Vorbereitung auf den Beitritt erzielt haben.
Probleme bereitet das in Gruppe 1 befindliche Zypern. Das Land ist in einen griechischen und einen türkischen Teil geteilt. Die sich daraus ergebenen Probleme sind noch nicht gelöst. Legt man den vom Europäischen Rat beschlossenen "gemeinsamen Fundus" (Lux D, Zi 4) zugrunde, dürfte Zypern erst EUMitglied werden, wenn das Problem umfassend gelöst ist. Es erstaunt, was die Staats- und Regierungschefs der EU dazu beschlossen haben: Hels Zi 9b: Der Europäische Rat betont. daß eine politische Lösung den Beitritt Zyperns zur Europäischen Union erleichtern wird. Sollte bis zum Abschluß der Beitrittsverhandlungen keine Lösung e"eicht
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L. Der Erweiterungsprozess
werden, so wird der Rat über die Frage des Beitritts beschließen, ohne dass die vorgenannte politische Lösung eine Vorbedingung darstellt. Dabei wird der Rat alle maßgeblichen Faktoren berücksichtigen.
Auch die Türkei, die sich bereits seit Jahnehnten um eine Mitgliedschaft in der EU bemüht, kann jetzt als Beitrittskandidat angesehen werden. Hels Zi 12: Die Türkei ist ein beitrittswilliges Land, das auf der Grundlage derselben Kriterien, die auch für die übrigen beitrittswilligen Länder gelten, Mitglied der Union werden soll.
Ein verstärkter politischer Dialog soll sich politischen Beitrittskriterien, wie der Frage der Menschenrechte und des Zypernproblems zuwenden. Im Dezember 1997 beschloss der Europäische Rat eine ständige Europakonferenz einzurichten, die halbjährlich zusammentritt. Es sind politische Konsultationen der EU mit den Beitrittskandidaten vorgesehen, insbesondere zu Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, über Justiz und Inneres sowie über Wirtschaft und regionale Zusammenarbeit. Ende 1999 beschloss der Europäische Rat: Hels Zi 13: Die Zukunft der Europa-Konferenz wird im Lichte der sich entwickelnden Situation und der in Helsinki gefaßten Beschlüsse über den Beitrittsprozeß überprüft werden.
111. Wirtschaftliche Probleme Die Beitrittskandidaten haben in ihren Ländern die Aufgabe zu lösen, die planwirtschaftlichen Strukturen zu beseitigen und durch marktwirtschaftliche Strukturen zu ersetzen. Das erfordert höchste Anstrengungen, denn es müssen Eigentumsverhältnisse geändert und die vorhandenen Rechtssysteme auf den verschiedenen Gebieten marktwirtschaftlichen Verhältnissen und dem Rechtssystem in der EU angepasst werden. Ein noch schwierigeres Problem als die strukturellen Fragen sind die Differenzen im Lebensstandard zwischen den beitrittswilligen Ländern und den Mitgliedstaaten der EU. Das folgende Schaubild vermittelt einen Eindruck dieser Diskrepanzen. Es spiegelt grundSätzlich die Verhältnisse des Jahres 1998 wider.
III. Wirtschaftliche Probleme . ,,, ... " + .. . .. "...... ......
30000 25000
149
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