Der Träger: Zu einer »tragenden« Figur der Kolonialgeschichte 9783839437537

About a "carrying" character of colonial history: This volume documents the central economical, political and

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German Pages 392 Year 2018

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
Einleitung
THEORIE UND PRAXIS
Von unbewegten Bewegern, Muschellasten, Notenständern, gesattelten Menschen und Exoskeletten Methodisch-theoretische Überlegungen zur Geschichte des kolonialen Trägerwesens
Fotoausstellung „Der Träger in der Kolonialzeit“ Bericht von einer Expedition ins Land der Fotografie
TRÄGER IN SÜDAMERIKA
Narrative der Träger Die Konstruktionen von Hierarchien in Amerika von der Conquista bis in das 19. Jahrhundert in deutschsprachigen Quellen
Vertikale Trage-Maschinen als Kritik an der traditionellen Kolonialfotografie Zu christologischen Anspielungen in Sebastião Salgados Fotoband Serra pelada
TRÄGER IN OSTAFRIKA UND IM INDISCHEN OZEAN
Mori Duise oder Fragmente einer afrikanischen Trägergeschichte
Träger-Arbeiten Die Zirkulation kolonialer Dinge und Bilder der Tendaguru-Expedition (1909-1913)
„Mancherlei habe ich von ihnen gelernt“ Beziehungen zwischen deutschen Forschern und einheimischen Trägern in Ostafrika und auf der Insel La Réunion in den Jahren um 1860
TRÄGER IN WEST-, ZENTRAL- UND SÜDWESTAFRIKA
Vom Träger zum Getragenen: Das Trägerwesen im (vor-)kolonialen und postkolonialen Afrika am Beispiel Kamerun
Für eine Kulturgeschichte des Trägers Anthropologische Repräsentationen und diskursive Praktiken in Berichten französischer Reisenden in Zentralafrika
Lastentragen, antikoloniale Revolten und Repressionen in Logone und Schari (1957-1961)
„Ach, wäre ich doch Pygmäe!“ Die Figur des Babinga-Trägers in Le silence de la forêt von Bassek ba Kobhio
Das Lastentragen im heutigen Afrika – vom weltlichen zum heiligen Tragen Einige persönliche Beobachtungen
Deutsch-Südwestafrika: „Der Träger“ – mal ganz anders
TRÄGER IN AFRIKA ALLGEMEIN
„… von Trägern und Askari – Heia Safari!“ – Herrschaft und Begehren im deutschen Kolonialspielfilm
Mehr als ein Träger? Zum täglichen Miteinander von europäischen Individualreisenden und ihrem Personal im kolonisierten Afrika
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Sonja Malzner, Anne D. Peiter (Hg.) Der Träger

Edition Kulturwissenschaft  | Band 127

Sonja Malzner, Anne D. Peiter (Hg.)

Der Träger Zu einer »tragenden« Figur der Kolonialgeschichte Unter Mitarbeit von Pauline Grebert

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: »Wie der Europäer in Afrika über den Fluß geht« (7659/15); Fotograf: Julius Hermann Schott; Koloniales Bildarchiv Frankfurt am Main, Bildnummer: 084-1711-16 Druck: docupoint GmbH, Magdeburg Print-ISBN 978-3-8376-3753-3 PDF-ISBN 978-3-8394-3753-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt Danksagung | 9 Einleitung

Sonja Malzner und Anne D. Peiter | 11

THEORIE UND PRAXIS Von unbewegten Bewegern, Muschellasten, Notenständern, gesattelten Menschen und Exoskeletten Methodisch-theoretische Überlegungen zur Geschichte des kolonialen Trägerwesens

Anne D. Peiter | 33 Fotoausstellung „Der Träger in der Kolonialzeit“ Bericht von einer Expedition ins Land der Fotografie

Pauline Grebert | 49

TRÄGER IN SÜDAMERIKA Narrative der Träger Die Konstruktionen von Hierarchien in Amerika von der Conquista bis in das 19. Jahrhundert in deutschsprachigen Quellen

Ludolf Pelizaeus | 69 Vertikale Trage-Maschinen als Kritik an der traditionellen Kolonialfotografie Zu christologischen Anspielungen in Sebastião Salgados Fotoband Serra pelada

Anne D. Peiter | 111

TRÄGER IN OSTAFRIKA UND IM INDISCHEN OZEAN Mori Duise oder Fragmente einer afrikanischen Trägergeschichte

Clemens Gütl | 133 Träger-Arbeiten Die Zirkulation kolonialer Dinge und Bilder der Tendaguru-Expedition (1909-1913)

Mareike Vennen | 157 Permanente Krisen Opposition, Kooperation und Konkurrenz ostafrikanischer Träger in europäischen Expeditionen

Andreas Greiner | 181 „Mancherlei habe ich von ihnen gelernt“ Beziehungen zwischen deutschen Forschern und einheimischen Trägern in Ostafrika und auf der Insel La Réunion in den Jahren um 1860

Marlene Tolède | 205

TRÄGER IN WEST-, ZENTRAL- UND SÜDWESTAFRIKA Vom Träger zum Getragenen: Das Trägerwesen im (vor-)kolonialen und postkolonialen Afrika am Beispiel Kamerun

Esaïe Djomo | 229 Für eine Kulturgeschichte des Trägers Anthropologische Repräsentationen und diskursive Praktiken in Berichten französischer Reisenden in Zentralafrika

Sylvère Mbondobari | 249 Lastentragen, antikoloniale Revolten und Repressionen in Logone und Schari (1957-1961)

Harouna Barka | 269 „Ach, wäre ich doch Pygmäe!“ Die Figur des Babinga-Trägers in Le silence de la forêt von Bassek ba Kobhio

Sylvie Kandé | 283

Das Lastentragen im heutigen Afrika – vom weltlichen zum heiligen Tragen Einige persönliche Beobachtungen

Jean-Pierre Tardieu | 303 Deutsch-Südwestafrika: „Der Träger“ – mal ganz anders

Marianne Zappen-Thomson | 317

TRÄGER IN AFRIKA ALLGEMEIN „… von Trägern und Askari – Heia Safari!“ – Herrschaft und Begehren im deutschen Kolonialspielfilm

Niels Hollmeier | 333 Mehr als ein Träger? Zum täglichen Miteinander von europäischen Individualreisenden und ihrem Personal im kolonisierten Afrika

Sonja Malzner | 353 Autorinnen und Autoren | 381 Register | 387

Danksagung

Dieses Buch hätte ohne Hilfe nicht entstehen können, und so möchten wir denn hier einer Reihe von Menschen unseren herzlichsten Dank aussprechen. Die Vielfalt des vorliegenden Buches ist das Ergebnis reger Diskussionen über die Geschichte des Trägerwesens, in die BeiträgerInnen aus den verschiedensten Ländern eingetreten sind. Der Student Romain Bègue hat, nachdem Frau Cécile Röthlin in der Universitätsbibliothek von La Réunion mit Umsicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt hat, Recherchen für die Ausstellung der historischen Fotos übernommen, die die Träger-Konferenz begleitete. Pauline Grebert hat mit viel Klugheit und Sinn für’s Praktische den gesamten Weg – zur Konferenz, zur Ausstellung und zum Buch – begleitet. Der Iconothèque Historique de l’océan Indien danken wir für die Veröffentlichung der Ausstellung auf ihrer Internetseite und die nette Zusammenarbeit. Die schöne Form des Buches wäre ohne Katia Auzoux, Sabine Tangapriganin und, last but not least, Marie-Pierre Rivière nicht zustande gekommen. Herr Gero Wierichs vom transcript Verlag war von gleichbleibender Freundlichkeit und beispielhafter Langmut. Großzügige Gelder sind uns vom Observatoire des sociétés de l’océan Indien (OSOI) der Universität von La Réunion sowie dem Forschungszentrum ERIAC der Universität Rouen zugeflossen. Un grand merci und grazie auch an Reinhold, Duccio, Irene und Michelangelo. Sie wissen um ihren Anteil an diesem Buch.

Einleitung S ONJA M ALZNER UND A NNE D. P EITER Koloniales Tragen. Die Geschichte der europäischen Expansion und Kolonialisierung kann ohne den Rückgriff auf bestimmte tragende Figuren nicht vorgestellt werden: Die Träger – im Wortsinn verstanden – gehörten zu ihnen. Sie waren es, die in unterschiedlichen Kontexten das räumliche Vordringen europäischer Entdecker überhaupt ermöglichten – durch ihre Kenntnisse des Landes, das erkundet oder beherrschbar gemacht werden sollte, aber natürlich auch durch die schiere Muskelkraft, die sie, freiwillig oder erzwungen, in den Dienst der Fremden stellten. „Den Trägern ist die Erforschung Zentralafrikas zu verdanken; ohne sie hätten die großen Forscher, die erst vor wenigen Jahrzehnten den Schleier über dem Inneren des äquatorialen Afrikas lüfteten, ihr Ziel nicht erreicht“, vermerkte das Deutsche Kolonial-Lexikon aus dem Jahr 1914.1 Am Beispiel der kriegerischen Auseinandersetzungen, zu denen es 19141918 in Ostafrika, gleichsam in chronologischer Fortsetzung zu diesem Lexikoneintrag, zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich kam, zeigt Geoffrey Hodges in Kariakor The Carrier Corps (1999)2, dass ohne Träger auch keine Schlachten hätten gewonnen werden können. Die dortigen Kämpfe seien, so Hodges, ein regelrechter „Krieg der Träger“ und die Träger selbst „Füße und Hände der kolonialen Armeen“ gewesen.3 Auch aus militärgeschichtlicher Perspektive stellten sie also die alles entscheidenden Akteure dar.4 1

Eintrag „Trägerwesen“. In: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. Quelle & Meyer, Leipzig, 1920, Band 3, S. 533. Das 1914 fertig gestellte Lexikon konnte wegen des 1. Weltkriegs erst 1920 erscheinen

2

Hodges, Geoffrey: Kariakor. The Carrier Corps. Nairobi University Press, 1999.

3

Ebd., S. 3. Er bezieht sich dabei auf ein Zitat von Rudyard Kipling („The Carriers, who were the feet and hands of the army“).

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Die sozialen Konsequenzen, die sich aus dem gemeinsamen Kampf im Feld ergaben, waren erheblich. Zum einen waren die Verluste auf Seiten der Afrikaner um ein Viel-

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Das Tragen an sich ist keine Erfindung der Kolonisatoren. Es handelt sich um eine Transporttechnik, die seit jeher von Menschen praktiziert wurde. Tragen ist eine anthropologische Konstante, ja mehr noch: Es verbindet den Menschen mit dem Tier, denn schon immer musste Nahrung an sichere Orte gebracht oder dem Nachwuchs bei seiner Fortbewegung geholfen werden. In menschlichen Gesellschaften erfolgte eine soziale Ausdifferenzierung, durch die auch die Beförderung von Lastendie unterschiedlichsten Formen annahm. Die Lasten selbst konnten entweder Sachen eines bestimmten Gebrauchswerts sein – oder hochrangige Persönlichkeiten, denen durch eine Gemeinschaft besondere Ehre erwiesen wurde. Auch sakrale Gegenstände spielen in diesem Kontext eine Rolle. Eine grundlegende Veränderung des Trägerwesens setzte dort ein, wo der Träger nicht mehr aus freien Stücken, aus beruflichen Gründen, seinen Traditionen oder Mythen verpflichtet oder aus religiöser Überzeugung trug, sondern von Außenstehenden zum Tragen genötigt, gezwungen wurde. Dies sind Situationen, in denen das Tragen für den Träger selbst seine Sinnhaftigkeit verlor, weil es aus vorkolonialen Traditionen herauskatapultiert, „fremdgesteuert“ und allein auf die Bedürfnisse und Interessen dieser Außenstehenden, der Kolonisatoren, umgepolt wurde.5 In seiner 2006 erschienenen Studie Carriers of Culture zum vorkolonialen Trägerwesen im Ostafrika des 19. Jahrhunderts geht Stephen J. Rockel diesen Aspekten nach,6 indem er Funktionen, Strukturen, Abläufe und soziale Aspekte des etablierten Trägerwesens zwischen der Küste (v. a. Sansibar) und dem inneren Ostafrika detailliert beleuchtet. Mehrere Beiträge des vorliegenden Bandes beziehen sich auf seine Studie. Rockel selbst beschreibt seine Unternehmung nicht nur als eine Reise in die ostafrikanische Vergangenheit, sondern auch als eine Geschichte afrikanischer Initiativen und Anpassung an die Mo-

faches höher als auf Seiten der Europäer. Zum anderen hatte der gemeinsame Kriegseinsatz eine nivellierende Wirkung, denn die Afrikaner begriffen schnell, dass die Waffen der Europäer nichts mit Zauberei zu tun hatten. Sie sahen auch, dass die Europäer wie sie selbst auf dem Boden schliefen, sich auch untereinander bekämpften, Befehlen gehorchen mussten und nicht zuletzt durch eine Kugel aus der Waffe eines Afrikaners getötet werden konnten. Dies alles waren Erkenntnisse, die das weitere Zusammenleben in der britischen Kolonie (ab 1920) nachhaltig prägten. Vgl. Hodges (1999): S. 186-187. 5

Vgl. Osterhammel, Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2001, S. 19.

6

Rockel, Stephen J.: Carriers of Culture. Labor on the Road in Nineteenth-Century East Africa. Portsmouth, NH, Heinemann, 2006.

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derne.7 Insofern stehen neben der Analyse von organisatorischen und ökonomischen Aspekten die sozialen Bedingungen, die die Zusammenarbeit von Auftraggebern und der Berufsgruppe der Träger bestimmten, im Fokus seines Erkenntnisinteresses. Rockel zeigt, dass der Beruf des Trägers im Ostafrika der vorkolonialen Zeit ein angesehener, von einer spezifischen Berufsethik getragener war, der den kulturellen Austausch in der Region beflügelte. Rockel zeigt auch, wie sich die Träger organisierten, wie sie verhandelten und welche Strategien des Widerstands sie im Lauf der Jahrzehnte entwickelten. In dem hier vorliegenden Band ist es Andreas Greiner, der sich mit dieser Thematik auseinander setzt. Er zeigt am Beispiel des Trägerwesens in Ostafrika, wie hergebrachte Trägertraditionen, die bei den betroffenen Bevölkerungsgruppen (z. B. den Nyamwezi) mit einen hohen sozialen Status sowie einem spezifischen Berufsethos unter den Lastenträgern verbunden waren, durch die Ankunft der Europäer zuerst ins Wanken gerieten und mit der kolonialen Inbesitznahme durch die Deutschen schließlich zerstört wurden, weil die neuen Kolonialherren ihre Forderungen mit Zwang und Gewalt durchzusetzen pflegten. Entwicklungen hin zur Zerschlagung bestehender sozialer Strukturen dokumentiert im vorliegenden Band auch Sylvère Mbondobari anhand des Berichts La mission de l’Ouest africain von Pierre Savorgnan de Brazza. Ähnliche Entwicklungen sind auch in Lateinamerika zu konstatieren. Ludolf Pelizaeus zeichnet in seinem Beitrag nach, wie sich in Auseinandersetzung mit Trägersystemen, die bereits vor der Ankunft der Europäer bestanden hatten, von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum frühen 19. Jahrhundert das Recht der Mita durchsetzte. Durch dieses konnten Einheimische zum Transport von Waren und Menschen verpflichtet werden. Zahlreiche visuelle Quellen sowie deutschsprachige Reiseberichte aus drei Jahrhunderten verdeutlichen, dass sich auf Seiten der Europäer schrittweise das gleiche Überlegenheitsgefühl aufbaute wie auch in Afrika.

* „Mettre quelqu’un au pas.“ Zu den wenigen Forschungsprojekten, die sich in den letzten Jahren mit der Geschichte von Trägerinnen und Trägern beschäftigt haben, gehört das Buch von Beatrix Heintze, die mit Blick auf das westliche Zentralafrika die widersprüchliche Geschichte von Trägerkarawanen dokumentiert hat. Ihr Augenmerk gilt vor allen Dingen den „afrikanische[n] Pionieren“ – so der Titel ihres Buches –, die als ökonomische Akteure für den Aufbau eines

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Ebd., S. 229.

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komplexen Handelsnetzes sorgten, d.h. durchaus nicht nur europäischen Vorgaben folgten. Insofern kann die Geschichte des Trägerwesens nur in einem Wechselspiel geschrieben werden: Die Unterdrückung der Träger und ihre Eigenmacht sind zwei gleichermaßen wichtige Aspekte ihrer Geschichte. Diese Dialektik soll denn auch ein Leitfaden des vorliegenden Bandes sein. Zu den Konstanten der europäischen Kolonialgeschichte gehört die Vorstellung, Afrika als „schwarzer Kontinent“ habe sich – selbstverschuldet – von jeder geschichtlichen Entwicklung ausgeschlossen, sei ein Raum der Rückschrittlichkeit, dessen Unterwerfung legitimiert werde durch die besondere Fähigkeit der Europäer, das Ungestalte, Ungestaltete planend in die Zukunft hinein zu lenken – längst überfällige Fort-Schritte nach dem Muster der jeweiligen „Mutterländer“ hervorbringend. Das Wort „Fort-Schritt“ wurde im Kolonialismus seiner metaphorischen Dimension entkleidet. Fort-Schritt bedeutet im Kontext des Trägerwesens, dass Europäer als „Schrittmacher“ im Wortsinn wirkten, d.h. die „Subjekte“ kolonialer Eroberung in Marsch setzten. Man könnte hier auf eine Wendung verweisen, die es in der französischen Sprache gibt: „mettre quelqu’un au pas“ heißt so viel wie „jemanden zur Ordnung rufen“ oder „jemanden auf Vordermann bringen“. Der Schritt – „le pas“ – wird zu einer körperlichen Aktion, deren Richtung vorgegeben ist. Sie erfolgt in vorgezeichneten Bahnen: Nicht der Schreitende setzt den Schritt. Vielmehr wird er gesetzt, nämlich durch den Träger des Fort-Schritts – den Kolonisator. Nun enthält die Formulierung „mettre quelqu’un au pas“ jedoch einen Bedeutungsaspekt, der wiederum Zweifel daran aufkommen lässt, er eigne sich zur Beschreibung des Verhältnisses von kolonialen Trägern und europäischen Schrittmachern. Auf „Vordermann“ gebracht zu werden, könnte in einem ersten Schritt missverstanden werden als Vertrauensbeweis: Den Trägern käme die Aufgabe zu, bei Expeditionen tatsächlich den Vordermann abzugeben. Damit würden die zu Kolonialisierenden zu denjenigen, die Expeditionen tatsächlich vor-stehen. Genau das aber ist im Bildprogramm der Kolonialliteratur zu Afrika nicht vorgesehen. Fotografien aus der Kolonialzeit zeigen Trägerkarawanen gern als lang gezogene Linien, an deren Spitze die Europäer gehen. Auch wenn die einheimischen Träger die zu durchquerenden Räume weit besser kannten als die Kolonisatoren und daher selbstverständlich auch die Aufgabe von Führern übernahmen, wird diese Realität in der Kolonialpropaganda so gut wie möglich in Abrede gestellt. Man „met au pas“, „ruft zur Ordnung“, indem man die Rollen in Text wie Bild den propagandistischen Erwartungen gemäß verteilt (Einschlägig sind in diesem Kontext die Bildanalysen von Pauline Grebert). In einem dialektischen Umschlag erweist sich die Übersetzung „jemanden auf Vordermann bringen“ dann aber doch als adäquat. Die deutsche Formulie-

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rung ist dem Bereich des Militärischen entlehnt, verweist auf die Tradition der Exerzierreglements im 18. Jahrhundert, durch die jeder Soldat seine Kopfhaltung an der des Vordermanns auszurichten hatte. Der Versuch zur Militarisierung der Trägerkarawanen und die Durchsetzung einer Disziplin, gegen die die zu Kolonialisierenden, so die verbreitete Klage,unablässig verstoßen, gehören untrennbar zur Rhetorik der Berichte, in denen das europäische Vordringen in fremde Räume beschrieben wird. Der Topos vom ungehorsamen Träger ist das Gegenbild des Zieles, „Auf-Vordermann-Gebrachte“ hinter sich aufzureihen. Der Optimismus, der Elias Canettis anthropologische Beschreibung des Stehenden grundiert, erweist sich plötzlich als unrealistisch. In Masse und Macht argumentiert Canetti, das Stehen mache den Eindruck noch unverbrauchter Energie, weil man es am Anfang aller Fortbewegung sieht: „man steht gewöhnlich, bevor man sich zu gehen oder zu laufen anschickt. Es ist die zentrale Position, aus der man ohne Übergang, sei es in eine andere Position, sei es in irgendeine Form von Bewegung, hinüberwechseln kann.“8 Im Kolonialismus hingegen zeigte sich, dass das auf Vordermann-Bringen stehender Askaris zum Vorbild einer Politik des Marschschrittes ziviler Träger wurde und dass das Ziel des „mettre au pas“ ohne die Institutionalisierung der Gewalt von Seiten der europäischen Schrittmacher nicht zu erreichen war. Die Geschichte der kolonialen Träger ist daher wesentlich eine Geschichte der waffentechnischen Überlegenheit Europas. Sie wurde genutzt, um Träger im Gleichschritt zu halten, wenn das ökonomische Gewinnstreben, das ihrer Entscheidung zugunsten der Trägerdienste zugrunde gelegen hatte, als Argument nicht mehr griff.

* Gewalt machen. Norbert Elias hat argumentiert, die ersten beiden Grundfunktionen menschlicher Gesellschaften seien die Wirtschaftsfunktion – welche das Überleben ihrer Mitglieder sichere9 – und die Gewaltkontrolle. Letztere beziehe sich sowohl auf das, was innerhalb der Gruppe geschehe, als auch auf die Gewalt, die von außen – im gegebenen Kontext: vom Kolonisator – ausgehe. Der Sprachgebrauch sowie die visuellen Inszenierungen der Kolonialherren reflektieren diese Gewalt, sie machen Gewalt, denn Repräsentation ist ein „Prozess der Sinnkonstituierung, in dessen Verlauf die Komponenten Referenz

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Canetti, Elias: Masse und Macht. Frankfurt/M., Fischerverlag, 2001, S. 460.

9

Vgl. Elias, Norbert: Die Gesellschaft der Individuen (1987). Frankfurt/M., Suhrkamp, 2001, S. 84.

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und Performanz insofern eine eminente Rolle spielen, als sie Ambiguität und Neues schaffen.“10 Repräsentationen sind Glieder eines Vermittlungsvorgangs, der zu einer „Kluft zwischen Intention und Realisation, Original und Kopie“11 führt. Es kommt zu einem performativen Akt, bei dem es immer um Selbst- und Fremddarstellung bzw. um die Identitätskonstruktionen sozialer Gruppen geht.12 Das Massensterben, das sich unter König Leopold II. in Belgisch-Kongo unter den Trägern und ihren Familien ausbreitete, ist ein Beispiel für die Konsequenzen einer solchen Gewalt. Die Geschichte dieses Sterbens wird in der Habilitation von Anne D. Peiter zur Sprache kommen, deren Veröffentlichung in 13 Vorbereitung ist. In den vorliegenden Beiträgen von Sylvère Mbondobari, Esaïe Djomo und Sylvie Kandé, die sich ebenfalls mit der zentralafrikanischen Region beschäftigen, spielt das Zusammenspiel von sprachlicher und tatsächlicher Gewalt eine entscheidende Rolle. Einschlägig ist außerdem die Forschung von Marianne Zappen-Thomson. Sie nutzt die Darstellung von „Kru-Negern“ in Margarethe von Eckenbrechers autobiographisch eingefärbtem Kolonialroman Was Afrika mir gab und nahm als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zu den Arbeitsbedingungen dieser auf die Be- und Entladung von Schiffen spezialisierten Träger. Diese waren ihrer Heimat Liberia entrissen und über Tausende von Kilometern bis nach DeutschSüdwestafrika (ins heutige Namibia) gebracht worden. Da es im ganzen ‚Schutzgebiet‘ keine Landungsbrücke gab und die Brandung sehr stark war, waren die Deutschen auf ihr Können angewiesen. Auch wenn die Kru wegen ihres hohen ‚ökonomischen‘ Wertes vor Ort gut versorgt wurden, blieben sie in den Augen der deutschen Kolonisatoren doch nur „Kru-boys“, die nach Abschluss des Baus einer Landungsbrücke sang- und klanglos in der Vergessenheit verschwanden. Es ist die erstaunlich schnelle Auslöschung der Kru aus der kollektiven Erinnerung, die eine weitere Form von Gewaltausübung darstellt, und sei sie auch ‚nur‘ eine symbolische. Die historische Spur dieser Träger

10 Vgl. Wagner, Hans-Peter: Eintrag „Repräsentation“. In: Nünning, Ansgar: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Stuttgart: Metzler 32004, S. 569. 11 Ebd., S. 570. 12 Vgl. Burdorf, Dieter & Fasbender, Christoph & Mönnighoff, Burkhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. 3. Auflage. Stuttgart, Metzler, 2007, S. 647-648; siehe dazu auch: Malzner, Sonja: „So sah ich Afrika“. Repräsentationen von Afrikanern in plurimedialen Reiseberichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Würzburg, Königshausen & Neumann, 2013. 13 Der Titel des Buches lautet Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kolonialismus und erscheint voraussichtlich Ende 2018 bei transcript.

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scheint sich vollständig verloren zu haben, und zwar sowohl in Namibia als auch in ihrem Herkunftsland Liberia.

* Widerständige Träger. Es gibt jedoch auch andere historische Konstellationen. Die Geschichte des Trägerwesens ist durchaus nicht immer durch die vielfältigen Formen von Unterdrückung – durch physische Gewalt, durch fehlende Erwähnung, durch Abwesenheit in der kollektiven Erinnerung – gekennzeichnet. Andreas Greiner führt in seinem Beitrag Beweise dafür auf, dass die Träger Strategien des Widerstands entwickelten und sich so ‒ wenn auch bisweilen nur minimale ‒ Spielräume schufen, was in den (Reise)Berichten von Europäern mitunter Niederschlag fand. In dem vorliegenden Buch geht es also auch um die 14 Frage, was in den „contact zones“, den entstehenden hybriden kulturellen Zwischenräumen, genau passierte. Norbert Elias hat in seiner Theorie der gesellschaftlichen Figuration festgestellt, dass jeder Mensch, ob er nun innerhalb der eigenen Gesellschaft agiert oder aber in Auseinandersetzung ist mit 15 einer Konstellation von „Etablierten“ und „Neuen“ , individuelle Entscheidungsspielräume hat: „In keiner Art von Gesellschaft fehlt es ganz an solchen individuellen Spielräumen, selbst ein Sklave hat welche, sind sie auch noch so 16 schmal“. Es geht dabei also um Auseinandersetzungen mit dem Ziel, einen gewissen Grad an Selbstkontrolle zu erlangen, in der Elias eine weitere Grundfunktion von menschlichen Gesellschaften sieht. Die heutige Forschung steht vor der Schwierigkeit, dass mangels schriftlicher Aufzeichnung von den Trägern bezüglich der Gewaltgeschichte selbst meist nur Rückschlüsse aus europäischen Quellen möglich sind. Wir können uns ihrem Kampf um Selbstbestimmung, ihrem Denken und Fühlen deshalb meist nur durch die Dekonstruktion der Texte ihrer Unterdrücker annähern.

14 Der Begriff „contact zone“ wurde von Mary Louise Pratt eingeführt. Unter ihm versteht sie den Raum imperialer Begegnungen, in dem zeitlich und räumlich voneinander getrennt lebende Menschen zueinander in Kontakt treten und Beziehungen aufbauen, was normalerweise Bedingungen von Zwang, radikaler Ungleichheit und Konflikte mit sich bringe. Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel writing and Transculturation (1992). London & New York, Routledge, 2008, S. 8. 15 Vgl. Elias, Norbert: Etablierte und Außenseiter. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 4, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2002, S. 16. 16 Ebd., S. 79.

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Mehrere Beiträge dieses Bandes zeigen jedoch, dass sehr wohl methodische Zugänge existieren, durch die sich die Lebenswirklichkeit der Träger jenseits der europäischen Zuschreibungen rekonstruieren lässt. Dazu gehört Clemens Gütls Artikel über Fragmente der Lebensgeschichte von Mori Duise. Auch Harouna Barka liefert in seinem Beitrag einen wichtigen Baustein zur Debatte um den Grad an Selbstbestimmung auf Seiten der Träger, indem er die herkömmliche, von den Kolonisatoren ausgehende Perspektive umdreht. Dies gelingt ihm durch die Auswertung von Interviews, die er mit ehemaligen Trägern aus dem LogoneSchari-Becken führen konnte. Diese ‚Innenperspektive‘ fördert nicht nur die extrem harten sozialen Realitäten der Träger und ihrer Familien zutage, sondern zeigt auch die direkten Auswirkungen des kolonialen Zwangssystems auf die Formierung von politischen Parteien sowie auf Wahlergebnisse zur Zeit der Unabhängigkeitsbestrebungen. Das Problem des Trägerwesens erwies sich für weite Bevölkerungsschichten als derart drängendes, dass andere politische Forderungen in den Hintergrund traten. Die Abschaffung des Trägerwesens stellte sich als politischer Mobilisierungsfaktor ersten Ranges heraus. In diesem Zusammenhang sei auf die bereits 1992 erschienene sozialhistorische Studie Sur les pistes de l’Oubangi-Chari au Tchad von Pierre Mollion 17 verwiesen, in der nicht nur an konkreten Zahlen Umfang und Entwicklung des kolonialen Trägerwesens in dieser Region belegt werden (Rekrutierungsmethoden, Arbeitsbedingungen und Widersetzungsversuche der Träger sowie demographische und soziale Folgen der Zwangsrekrutierung), sondern auch die Sichtweisen beider beteiligter Parteien in den Fokus rücken. Neben den diskursdominierenden Rechtfertigungsstrategien auf europäischer Seite, die auf das moralische Recht der Europäer zielten, die Afrikaner aufgrund ihrer vermeintli18 chen ‚Wildheit‘ zur körperlichen Arbeit zu zwingen, fördert eine Analyse von Interviews, die er mit ehemaligen Trägern und zentralafrikanischen Jugendlichen 19 in den 1980er Jahren führen konnte, die Perspektive der Träger selbst sowie 20 den postkolonialen Trägerdiskurs in Zentralafrika zutage. Je nach Epoche und Region bestehen also große Differenzen bezüglich der Dialektik, die sich zwischen der ausrottenden Unterdrückung durch die jeweiligen Kolonialmächte und der Rückgewinnung von Handlungsmacht, d.h. der

17 Mollion, Pierre: Sur les pistes de l’Oubangi-Chari au Tchad. Paris, L’Harmattan, 1992. 18 Ebd., S. 233-254. 19 Ebd., S. 254ff. 20 Im vorliegenden Band siehe dazu vor allem die Beiträge von Harouna Barka und Esaïe Djomo.

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Selbstermächtigung durch die Träger, abzeichnet. Das Trägerwesen gehörte zur Geschichte der kolonialen Ausbeutung, doch zugleich war es auch ein Widerhaken, in dem sich die Europäer verfingen und so ihre eigene Ohnmacht erfuhren.

* Die Träger von Kulturtransfer. Um die Interaktion zwischen sozialen Gruppen also geht es, um ihr Verwobensein, um ihre Konflikte und ihre Aushandlungsmechanismen und nicht etwa um das Aufeinandertreffen von historischen Akteuren, die klar voneinander geschieden wären. In den Beiträgen von Marlene Tolède und Sonja Malzner wird folglich die Frage nach einer weiteren, von Elias beschriebenen Grundfunktion einer Gesellschaft gestellt, nämlich die, Wissen zu generieren. Im Kontext des gemeinsamen (Reise-)‚Abenteuers‘ konnten die Träger, beabsichtigt oder unbeabsichtigt, zu Mittlern zwischen bereisten ‚Eingeborenen‘ und reisenden Europäern werden: die Träger waren diejenigen, die dem Fremden am nächsten standen.21 Die beiden Artikel schreiben sich demnach ein in die Debatte um Wissens- und Kulturtransfer, die im deutsch-französischen Kontext der Kulturwissenschaften mit Michel Espagne und Michael Werner ihren Ausgangspunkt nahm und die Wandlungen, die bei der Übertragung von Konzepten, Normen und Repräsentationen von einer Kultur in die andere stattfinden, zum Thema macht.22 Im Zentrum der Überlegungen steht die Frage nach einer möglichen gegenseitigen Beeinflussung zweier (oder mehrerer) Kulturen, die in den vorliegenden Fällen über „personale Vermittler“23 läuft, über die Reisenden auf der einen und die Träger auf der anderen Seite. Im Kontext von Privatreisen wohlhabender bzw. abenteuerlustiger Europäer war die Beziehung zwischen Trägern und Getragenen etwas anders gelagert als im staatlichen, von ökonomischen oder wissenschaftlichen Interessen geleiteten. Hier wurde in einer relativ kleinen Gruppe gemeinsam fortgeschritten – oft über

21 Vgl. Heintze, Beatrix: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika. Frankfurt/M., Lembeck-Verlag, 2002. 22 Vgl. Kaelble, Hartmut: „Die interdisziplinären Debatten um Vergleich und Transfer“. In: Kaelble, Hartmut & Schriewer, Jürgen (Hg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt/M., Campus, 2003, S. 469-494, S. 475; vgl. Espagne, Michel: Les transferts culturels francoallemands. Paris, PUF, 1999. 23 Vgl. Lüsebrink, Hans-Jürgen: „Kulturwissenschaft – Teildisziplin oder Metadiskurs?“. In: Gipper, Andreas & Klengel, Susanne (Hg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Würzburg, Königshausen & Neumann, 2008, S. 15-28.

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Tage und Wochen hinweg –, und man kam sich, wohl oder übel, näher. Dies ist der Fall der vier „Tipoyeurs“ (Tragsessel-Träger), auf die beispielsweise in der französischen Kolonie Oubangui-Chari jeder reisende Europäer ein Recht hatte.24 In solchen gemeinsam erlebten Ausnahmesituationen konnte es durchaus vorkommen, dass der eine oder andere Träger in den Fokus rückte und als Individuum aus der Masse hervortrat. Die Frage von Russel A. Berman „Does experience matter?“ erweist sich im Kontext solcher Privatreisen als besonders relevant. Sind Touristen nur auf ihre Vorurteile „programmiert“, oder ist es ihnen möglich, auf ihre Reiseerfahrungen und -gefährten zu reagieren, d. h. etwas dazu zu lernen? In Bezug auf die Repräsentation von Trägern stellt sich die Frage, wie sich diese potentiellen Lernprozesse (oder ihr Scheitern) in ihren Reiseberichten niederschlagen.25 Die Beiträge von Sonja Malzner und Marlene Tolède schließen daher sowohl an Bermans Arbeiten an, als auch an Homi Bhabha, Axel Dunker, Monika Albert, Oliver Lubrich oder Wolfgang Struck, und zwar in dem Bestreben, abweichende Blicke vom vorherrschenden kolonialen Diskurs freizulegen.26 Solche abweichenden Blicke, die den anonymen Träger zum Individuum machen, bringen jedoch nicht unbedingt eine Distanzierung von Gewalt mit sich. Dafür ein Beispiel, das in diesem Buch durch Clemens Gütls Rekonstruktion der Lebensgeschichte Mori Duises ausgeleuchtet wird: Nachdem dieser Träger von österreichischen Forschungsreisenden mit nach Wien genommen worden war, wurde er zum Opfer von pseudowissenschaftlichen Experimenten zur „Rassenkunde“. Individualisierung bedeutete in diesem Fall keineswegs einen höheren Grad von Anerkennung.

*

24 Vgl. Mollion (1992). 25 Berman. Russell A.: Enlightenment or Empire. Colonial Discourse in German Culture. Lincoln and London, University of Nebraska Press, 1998, S. 4-5. 26 Vgl. Berman (1998); Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur. Tübingen: Stauffenburg 2000. [Original: The Location of Culture, 1994]; Dunker, Axel & Albrecht, Monika: „Europa ist nicht die Welt“ – (Post)Kolonialismus in Literatur und Geschichte der westdeutschen Nachkriegszeit. Bielefeld: Aisthesis 2008; Lubrich, Oliver: Das Schwinden der Differenz. Postkoloniale Poetiken. Alexander von Humboldt, Bram Stoker, Ernst Jünger, Jean Genet. Bielefeld, Aisthesis, 2009; Struck, Wolfgang: Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik. Göttingen, V&R unipress, 2010.

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Menschenträger. Die symbolisch wie psychologisch wohl folgenreichste Last, die Trägern im Kolonialismus aufgebürdet wurden, waren die Weißen selbst. Indem sie sich selbst das Recht zusprachen, zu Getragenen zu werden, d.h. in bequemer Stellung, ohne jede körperliche Anstrengung, fremde Räume zu durchqueren, führten sie, so die Grundthese von Esaïe Djomo, eine Umkehrung derkiplingschen Formel von den „Schwarzen“ als der „Bürde des weißen Mannes“ herbei. Plötzlich erwies sich ganz konkret, dass im Gegenteil der Weiße die „Bürde des schwarzen Mannes“ darstellte: Ihn mussten die Kolonialisierten in Tragesesseln oder -stühlen, in Sänften oder Hängematten oder aber, in weiterer Steigerung der körperlichen Nähe, direkt auf Kopf und Schulter von einem Ort zum anderen befördern. Die afrikanischen Gesellschaften reagierten sehr unterschiedlich auf das Ansinnen der Europäer, sich in Gegenden, in denen keine Tiere als Lastenträger zum Einsatz kommen konnten, tragen zu lassen. In manchen Kulturen (nicht nur in Afrika, sondern auch anderswo) hatten Könige seit vorkolonialen Zeiten das Recht, auf Träger zurückzugreifen. Es handelte sich um eine Ehrerweisung, wie sie auch in anderen, religiösen Kontexten praktiziert wird, wie zum Beispiel beim Tragen von Heiligenfiguren bei Umzügen (Katholizismus, Hinduismus, u. a.). Jean-Pierre Tardieu liefert dazu im Rückgriff auf persönliche Feldforschung einen Beitrag zur Symbolkraft des rituellen Tragens von Masken im westlichen Afrika südlich der Sahara. Afrikanische Privilegierte, die sich tragen ließen, bildeten in jedem Fall eine Hierarchisierung der entsprechenden Gesellschaften vor, in die die Europäer ihren Anspruch, neue Herrscher und Getragene zu sein, einspeisen konnten. Dieser Anspruch erwies sich in dem Maße als trag-bar, in dem zuvor die Tragbarkeit der traditionellen Privilegien von Königen anerkannt worden war. Mitunter konnte die Konkurrenz zwischen den Rechten der eigenen Herrscher und den Rechten der neu auftretenden Fremden jedoch auch zu einer Steigerung der Demütigung führen. Die Kolonisatoren sprachen sich selbst eine Rolle zu, die bis dahin den Würdenträgern der einheimischen Gesellschaften vorbehalten gewesen war. Sie zeigten damit, dass sie so etwas wie „Ersatz-Könige“ zu sein beanspruchten, d.h. sich anschickten, traditionelle Eliten auszuhebeln. Umgekehrt schrieben sich im Zuge der Ausbreitung von Tragesesseln, Hängematten etc. durch die Europäer dann auch aufstiegsbewusste Afrikaner das Recht zum Getragen-Werden zu. Beatrix Heintze schreibt dazu: Ein sozialer Aufstieg [der Träger; die Verf.] manifestierte sich vor allem in mehreren Ehefrauen, einer wachsenden Zahl von Abhängigen, besonders Sklaven, zur Schau getragenen Macht- und Wohlstandssymbolen (z.B. europäische Kleidung und die Benutzung einer tipoia, der in Angola zum Transport höher gestellter Personen benutzten

22 | S ONJA M ALZNER , A NNE D. P EITER Hängematten) und konnte darüber hinaus durch den Kauf eines politischen Titels abgesichert werden.27

Besonders die Ambakisten hätten sich, sobald sie gehobenen Positionen erreicht hatten und kein Reittier zur Verfügung stand, „als Ausweis ihres Status vorzugsweise in Hängematten tragen [lassen] und sei es nur für den unmittelbaren 28 Einzug in ein Dorf oder zu einem feierlichen Empfang […].“ Das Sich-Tragen-Lassen konnte allerdings für die Getragenen einen Verlust an Autonomie mit sich bringen. Im Beitrag von Anne D. Peiter zu den Trägern als „unbewegten Trägern“ spielt das Wechselspiel von Unterdrückungsgelüsten und zunehmender Abhängigkeit auf Seiten der Kolonialherren eine wichtige Rolle. Ausgehend von der technischen Apparatur des so genannten Exoskeletts (= Außenskeletts) – einer technischen Vorrichtung, die das Tragen schwerer Lasten bei minimalem Kraftaufwand erlaubt –, versucht sie zu zeigen, dass die Träger, obwohl sie in den Dienst der Erleichterung von Transport- und Herrschaftsaufgaben gestellt wurden, ein Eigengewicht hatten, das von Seiten der Kolonialisten durchaus als Erschwerung ihrer Aufgaben erlebt werden konnte. Immerhin musste man eine minimale Versorgung der Träger sicherstellen, was jedoch bei Expeditionen durch unwegsames oder dünn besiedeltes Gelände nicht immer leicht zu bewerkstelligen war. Der Forderung, die Einheimischen sollten die soziale Aufwertung der Europäer in Szene und in die Tat um-setzen – nämlich durch deren Recht auf sitzende Fortbewegung –, konnte also die Erfahrung des eigenen Bedeutungs- und Statusverlustesgegenüberstehen: Die Träger brachten die europäische Handlungsmacht mitunter zum Schwinden.

* Träger als „Kamerabeute“. Die Fotografie ist zweifelsfrei zu den tools of empire29, so wie sie Daniel Headrick definiert, zu rechnen. Sie ist zwar nicht Voraussetzung für die Schaffung eines Imperiums, trägt aber zu dessen Aufrechterhaltung bei, indem sie den Kolonisatoren ständig Bilder der unterdrückten Kolonisierten vor Augen führt und somit das Gefühl der Überlegenheit bei ihnen verfestigt.30 Aufgrund ihrer Unmittelbarkeit, die nicht, wie die Sprache, den Umweg über das Kognitive nehmen muss, und ihrer vermeintlichen Objektivität

27 Heintze (2002): S. 45. 28 Ebd., S. 164. Für konkrete Beispiele vgl. ebd., S. 165. 29 Headrick, Daniel R.: The Tools of Empire: technology and European imperialism in the nineteenth century. New York & Oxford, Oxford University Press, 1981. 30 Ebd.

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ist es wohl sie, die unsere Vorstellung von ‚dem Träger‘ ‒ bis heute ‒ am meisten geprägt hat: „Car c’est peut-être finalement cette iconographie, plus encore que le texte, qui a façonné notre perception de l’Autre“31. Dass das Fotografieren von kolonisierten Menschen in vielen Kontexten eine Gewalthandlung darstellt, ist daher nicht zu bestreiten. Schon der Ausdruck „Schnappschuss“ verweist auf den engen Zusammenhang zwischen der Jagd mit dem Gewehr und der mit dem Fotoapparat. Walter Benjamin bezeichnet das fotografierte Erlebnis als „Kamerabeute“ und vergleicht den heimkehrenden Amateur mit einem Jäger, der mit Massen von Wild nach Hause kommt.32 Susan Sontag bezeichnet das Erbeuten von „photograph-trophies“33 gar als einen indirekten Mord am fotografierten Objekt: To photograph people is to violate them, by seeing them as they never see themselves, by having knowledge of them they can never have; it turns people into objects that can be symbolically possessed. Just as the camera is a sublimation of the gun, to photograph someone is a sublimated murder – a soft murder34.

Im kolonialen Kontext tritt diese Gewalt am fotografierten Subjekt besonders deutlich hervor, was die von Pauline Grebert, Anne Peiter und Sonja Malzner kuratierte Ausstellung Der Träger zur Zeit des Kolonialismus („Le porteur à l’époque coloniale“), online zu sehen unter www.ihoi.org,demonstriert. Pauline Grebert widmet ihren Beitrag sowohl der Entstehung dieser Ausstellung als auch einer theoretischen Reflexion zur gewalttätigen Fotografie im Kontext des Kolonialismus. So scheint beispielsweise die Integration – und das will heißen: visuelle Auflösung – der Träger in die Großartigkeit und Exotik ferner Landschaften allein der Glorifizierung des europäischen Vordringens gedient zu haben. Die auffallende Häufigkeit, mit der europäische Fotografen im Kolonialismus Flussüberquerungen zum Sujet ihrer Bilder machten, verweist ihrerseits auf die besonderen Schwierigkeiten, die hier zu überwinden waren, sowie auf das Bedürfnis der Europäer, die heldische Rhetorik zu untermauern, die Teil der Kolonialpropaganda war.35

31 Bancel, Nicolas et al. (Hg.): L’Autre et Nous. Scènes et Types. Paris, ACHAC, 1995, S. 14. 32 Benjamin, Walter: Kleine Geschichte der Photographie. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 2, Teil 1. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2002, S. 381. 33 Sontag, Susan: On photography. London, Penguin books, 1979, S. 9. 34 Ebd., S. 14-15. 35 Mit Beatrix Heintze ist jedoch festzuhalten, dass „unbenommen ihrer topographischen

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Um Ambivalenz geht es bei Anne D. Peiters Versuch, die Durchbrechung kolonialer Trägertopoi in Sebastião Salgados Serra pelada auszuleuchten. Einerseits erfolgt in diesem berühmten Fotoband eine implizite Kritik an der Gesichtslosigkeit der Trägerdarstellungen – doch andererseits führt die Nutzung christologischer Archetypen zu einer Überhöhung und Enthistorisierung der realen Arbeitsbedingungen, die einer Umdeutung des Trägerwesens zu etwas Erhabenem gleichkommt. Insofern erfolgt durch diese Fotos keine wirkliche Loslösung von den Topoi, die Niels Hollmeier am Beispiel deutscher Kolonialspielfilmen vorstellt. Vielmehr kippt Salgados Darstellung derjenigen, die man ebenso wie die Sherpas als „Vertikalträger“ zu bezeichnen hätte (die brasilianischen Träger hatten Säcke mit Erde über ein kompliziertes Leitersystem aus einem riesigen Loch nach oben zu befördern), in ein mythisches Denken. Neue Ikonen entstehen. Wie die Selbstinszenierung von Forschern auf die mediale Ikonisierung der Trägerkarawanen angewiesen war, das stellt eine weitere wichtige Frage dieses Buches dar. So steht bei Mareike Vennen die mediale Berichterstattung über die paläontologische Grabungsexpedition im Zentrum, die in den Jahren 1909-1912 das Berliner Museum für Naturkunde, damals Teil der Berliner Friedrich-

und aller anderen herausragenden wissenschaftlichen Leistungen […] die weißen Forschungsreisenden in ihrer Heimat zu Helden wurden, weil sie in Zentralafrika vorgeblich ,jungfräulichen‘ Wegen folgten, die Afrikaner – wenn auch nicht immer in einem Zug auf der gesamten Strecke – schon seit Jahrzehnten, in einigen Fällen seit Jahrhunderten, gegangen waren“. Heintze (2002): S. 24. – Marianne Zappen-Thomson, Ludolf Pelizaeus, Mareike Vennen, Niels Hollmeier, Sylvie Kandé, Anne Peiter (in ihrem Beitrag über Salgado), Sonja Malzner und Esaïe Djomo beschäftigen sich ebenfalls mit der visuellen Darstellung von Trägern. – Ein neuer Aspekt der Geschichte des Trägerwesens, der in Zukunft weiter erforscht werden müsste, betrifft die Sherpas im Himalaya, die Grebert zufolge auf den Fotos häufiger als vollwertige – mit Namen erinnerte – Individuen erscheinen als die afrikanischen oder südamerikanischen Träger. Es ist zu fragen, ob sich dieser Umstand allein durch die extremen Bedingungen erklären lässt, unter denen der Aufstieg in Richtung Gipfel vor sich zu gehen pflegten. Auch in Afrika oder Amerika waren Expeditionen vielfältigen Gefahren ausgesetzt, so dass man auch dort eine häufigere namentliche Nennung von Trägern hätte erwarten können. So aber stehen genauere Einblicke in die Besonderheiten der Träger, die man im Rückgriff auf Anne D. Peiters Terminologie als die „Vertikalträger“ bezeichnen könnte, noch aus. Das Verhältnis von Gewalt und Fotografie im Himalaya bedarf noch einer größeren, die kolonialen Fotoarchive quantitativ wie qualitativ auslotenden Forschung.

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Wilhelm-Universität, im Süden des heutigen Tansaniaunternahm. Träger wurden hier für ein ungewöhnliches Unternehmen eingesetzt, nämlich für den Abtransport von Saurierknochen, die das wissenschaftliche Interesse der Deutschen geweckt hatten. Vennen unterzieht die Träger-Fotografien, die von diesen Expeditionen überliefert sind, einer minutiösen Analyse, um eine doppelte Mobilisierung zu beleuchten: Während die Träger in Ostafrika Fossilienfunde in Bewegung gesetzt hätten, hätten sich zugleich auch die Bilder dieser Mobilisierung in Bewegung gesetzt, um auf diese Weise zu „Bedeutungsträgern einer wissenschaftlichen, nationalen und kolonialen Erfolgserzählung“ zu werden. Dieser „Selberzählung“ der Kolonisatoren stehe jedoch die Unsichtbarkeit der Träger als Handlungsträger gegenüber. Vennens Befund ist besonders darum bemerkenswert, weil die Arbeit, die dem eigentlichen Transport voranging, wesentlich auf das Know-how der Afrikaner angewiesen war: Die Verpackung der Skelettfunde ging zum Beispiel auf afrikanisches Wissen zurück.

* Bewegte Fiktionen. Die Darstellung bewegter Menschen in bewegten Bildern ist alles andere als eine Dopplung der ersteren. Vielmehr lag die politische Funktion von Kolonialfilmen vielfach in der Festschreibung von Herrschaftsbefugnissen, d.h. in einer Stillstellung derjenigen, deren sich die Europäer bei der Eroberung der Welt bedienten. Die heutige Forschung bringt also wieder in Bewegung, was im Kolonialismus als unveränderlicher, hierarchischer Aufbau gedacht war. Ganz so wie bei Mareike Vennen geht es bei Niels Hollmeier um Bilder in Bewegung, hier jedoch um gleichsam ‚naturgemäß‘ bewegte, nämlich um die fiktionale Darstellung von Trägern in vier deutschen Kolonialspielfilmen der Jahre 1926 und 1943.In seiner historisch-medienwissenschaftlichen Produktund Kontextanalyse skizziert Hollmeier Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Darstellung ‚schwarzer‘ Hilfskräfte und Träger. Die Darstellung von ‚Schwarzen‘ dient, so seine These, der deutschen Herrschaftslegitimierung, was jedoch nicht ausschließe, dass die Dialektik von Begehren und Ablehnung auf Seiten des zeitgenössischen Kinopublikums insbesondere den sexualisierten Körper der Afrikaner zu ihrem Objekt erkläre und so die mühsam errichteten Differenzen zwischen ‚Schwarz‘ und ‚Weiß‘ wieder aufhebe. Ambivalenz wird also zum Thema, doch eine ungewollte, unbewusst wirksame. Eine kritische Gegenlektüre mit dem Ziel, koloniale Bewegungs- und Lektüremuster neu zu definieren, unternimmt auch Sylvie Kandé. Sie beschäftigt sich in ihrem Beitrag zur postkolonialen fiktionalen Auseinandersetzung mit der

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„kolonialen Bibliothek“ mit intertextuellen und intermedialen Bezügen, genauer 36 gesagt mit einem „Medienwechsel“ . Ihr Beitrag ergänzt also auf besondere Weise die Filmanalysen Hollmeiers. Im Zentrum ihrer Überlegungen stehen die Transformationsprozesse, die beim Übergang vom literarischen Werk Le silence de la forêt von Etienne Goyémidé auf die Kinoleinwand des Bassek ba Kobhio wirksam werden. Dieser versucht laut eigener Aussage, die „filmische Adaption von der Autorität des Quelltextes zu befreien“. Kandé zeigt, dass die Träger eine Allegorie des Kolonialismus, der Gewalt seiner Institutionen und seines fortgesetzten Profitdenkens sind. Die so genannten ‚Pygmäen‘ als Verteter des „Hyper-Anderen“ werden noch heute als Träger für touristische Touren benutzt, als eine Art Fortsetzung des pseudo-wissenschaftlichem Ethnozentrismus, das das Verständnis für die ‚Pygmäen‘ damals wie heute prägt. Es geht um einen Ethnozentrismus, der sich nicht nur auf die Beziehung zwischen Europäern und Afrikanern beschränkt, sondern auch zwischen den so genannten ‚Pygmäen‘ und den ‚großen‘ Afrikanern zum Tragen kommt. In der Beziehung zwischen dem Protagonisten Gonaba, einem kongolesischen Schulinspektor, und seinem Träger Babinga, tritt dieser interethnische Rassismus deutlichhervor.

* Empathie, transnational. Allen Beiträgen, zu deren Lektüre wir jetzt einladen möchten, ist etwas gemeinsam: Sie versuchen, einen Blick auf die Träger zu richten, der aus kolonialen Topoi und dem Denken in Hierarchien hinausführt, und im Sinne einer postkolonialen Perspektive für Empathie, Verstehenwollen und einer „transnationalen Anerkennung der Menschenrechte“37 plädiert.

L ITERATUR Albrecht, Monika: „Europa ist nicht die Welt“ – (Post)Kolonialismus in Literatur und Geschichte der westdeutschen Nachkriegszeit. Bielefeld, Aisthesis, 2008. Baer, Martin & Schröter, Olaf: Eine Kopfjagd. Deutsche in Ostafrika. Berlin, Ch. Links, 2001.

36 Begriff von Irina Rajewsky. Vgl. dies.: Intermdialität. Tübingen, Francke, 2002. 37 Vgl. Lützeler, Paul Michael: „Mission Impossible. Politisches und religiöses Sendungsbewusstsein in Uwe Timms Morenga. Zu Aspekten des postkolonialen Romans“. In: ZiG 4 (2013), Heft 1, S. 135-155, S. 136.

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Bancel, Nicolas et al. (Hg.): L’Autre et Nous. Scènes et Types. Paris, ACHAC, 1995. Bancel, Nicolas et al. (Hg.): Images et colonies. Iconographie et propagande coloniale sur l’Afrique française de 1880 à 1960. Images et colonies. Paris, Achac, 1993. Benjamin, Walter: Kleine Geschichte der Photographie. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 2, Teil 1. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2002. Berman, Russell A.: Enlightenment or Empire. Colonial Discourse in German Culture. Lincoln & London, University of Nebraska Press, 1998. Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur. Tübingen, Stauffenburg, 2000 [The Location of Culture, 1994]. Burdorf, Dieter & Fasbender, Christoph & Mönnighoff, Burkhard (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. 3. Auflage. Stuttgart, Metzler, 2007. Canetti, Elias: Masse und Macht. Frankfurt/M., Fischer-Verlag, 2001. Dunker, Axel: Kontrapunktische Lektüren. Koloniale Strukturen in der deutschsprachigen Literatur des 19. Jahrhunderts. München, Fink, 2008. Elias, Norbert: „Etablierte und Außenseiter“. In: ders.: Gesammelte Schriften. Band 4, Frankfurt/M., Suhrkamp, 2002. Espagne, Michel: Les transferts culturels franco-allemands. Paris, PUF, 1999. Gründer, Horst (Hg.): „… da und dort ein junges Deutschland gründen“ – Rassismus, Kolonien und kolonialer Gedanke vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. München, dtv, 1999. Gründer, Horst: Geschichte der deutschen Kolonien. 5. Auflage. Paderborn, Schöningh, 2004 [UTB 1332]. Headrick, Daniel R.: The Tools of Empire: technology and European imperialism in the nineteenth century. New York & Oxford, Oxford University Press, 1981. Heintze, Beatrix: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika (ca. 1850-1890). Franfurt/M., Lembeck-Verlag, 2002. Hochschild, Adam: Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines fast vergessenen Menschheitsverbrechens. Reinbeck bei Hamburg, Rowohlt, 2002. Hodges, Geoffrey: Kariakor. The Carrier Corps. Nairobi, Nairobi University Press, 1999. Kaelble, Hartmut: „Die interdisziplinären Debatten um Vergleich und Transfer“ In: Kaelble, Hartmut & Schriewer, Jürgen (Hg.): Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt/M., Campus, 2003. Kundrus, Birthe (Hg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus. Frankfurt/M., Campus, 2003.

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Lubrich, Oliver: Das Schwinden der Differenz. Postkoloniale Poetiken. Alexander von Humboldt, Bram Stoker, Ernst Jünger, Jean Genet. Bielefeld, Aisthesis, 2009. Lüsebrink, Hans-Jürgen: „Kulturwissenschaft – Teildisziplin oder Metadiskurs?“. In: Gipper, Andreas & Klengel, Susanne (Hg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Würzburg, Königshausen & Neumann, 2008, S. 15-28. Lützeler, Paul Michael: „Mission Impossible. Politisches und religiöses Sendungsbewusstsein in Uwe Timms Morenga. Zu Aspekten des postkolonialen Romans“. In: ZiG 4/2013, Heft 1, S. 135-155. Malzner, Sonja: „Transferts de savoirs sur l’Afrique dans les relations de voyage illustrées à l’époque coloniale“. In: Espagne, Michel & Lüsebrink, HansJürgen (Hg.): Transferts de savoirs sur l’Afrique, Paris, Khartala, 2015, S. 320-337. Dies.: „So sah ich Afrika“ Repräsentationen von Afrikanern in plurimedialen Reiseberichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Würzburg, Königshausen & Neumann, 2013. Mollion, Pierre: Sur les pistes de l’Oubangui-Chari au Tchad. Paris, L’Harmattan, 1992. Müller-Funk, Wolfgang: Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. 2. Auflage. Wien, New York, Springer, 2002. Osterhammel, Jürgen: Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2001. Peiter, Anne D.: Komik und Gewalt. Zur literarischen Verarbeitung der beiden Weltkriege und der Shoah. Köln, Böhlauverlag, 2007. Dies.: Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kolonialismus, Nationalsozialismus, Kalter Krieg. Veröffentlichung in Vorbereitung. Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel writing and Transculturation (1992). London & New York, Routledge, 2008. Rockel, Stephen J.: Carriers of Culture. Labor on the Road in NineteenthCentury East Africa. Portsmouth, NH, Heinemann, 2006. Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. Leipzig, 1920, URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/ lexikon.htm [Zugriff: 20. August 2017]. Sontag, Susan: On photography. London, Penguin books, 1979. Struck, Wolfgang: Die Eroberung der Phantasie. Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik. Göttingen, V&R unipress, 2010.

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Theye, Thomas (Hg.): Der geraubte Schatten. Die Photographie als ethnographisches Dokument. Eine Ausstellung des Münchner Stadtmuseums in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt. München, Stadtmuseum, 1989. Zantorp, Susanne: Colonial fantasies – conquest, family, and nation in precolonial Germany (1770-1870). Durham, Duke University Press, 1997.

Theorie und Praxis

Von unbewegten Bewegern, Muschellasten, Notenständern, gesattelten Menschen und Exoskeletten Methodisch-theoretische Überlegungen zur Geschichte des kolonialen Trägerwesens A NNE D. P EITER

U NBEWEGTE B EWEGER Das Motiv revoltierender Träger und der Gefahren, die daraus für den kolonialen Herrschaftsanspruch folgten, gehört zu den festen Topoi der europäischen Kolonialliteratur. Doch die Angst vor Widersetzlichkeiten ist nicht ohne Ambivalenzen, impliziert sie paradoxerweise doch die Anerkennung der Tatsache, dass Expeditionen ohne Träger nicht auszukommen vermochten.1 Ebenso waren Europäer, die mit dem Aufbau einer kolonialen Infrastruktur betraut worden

1

In Esaïe Djomos Beitrag zum Trägerwesen im (vor-)kolonialen und postkolonialen Kamerun sowie in Sylvère Mbonobaris Überlegungen zu einer Kulturgeschichte des Trägers werden Techniken brutaler Ausbeutung von Trägern diskutiert, die von Seiten der jeweiligen Kolonialapparate mit der vermeintlichen ,zivilisatorischen‘ Überlegenheit Europas begründet wurde. Das Trägerwesen erscheint hier als Institution, die bis zursklavereiartigen Unterdrückung gehen konnte. Das Widerstandspotential leuchtet hingegen Andreas Greiner mit Blick auf ostafrikanische Träger aus. Er sieht in der Organisation von kollektiver Arbeitsverweigerung, in Forderungen nach einer Verbesserung von Arbeitsbedingungen oder höherer Bezahlung die Agency der Träger dokumentiert, die eben durchaus nicht nur Unterdrückte und leidende Objekte historischer Veränderungen gewesen seien, sondern im Laufe der Zeit das sich etablierende Regelsystem auf eine Weise beeinflusst hätten, die ihnen selbst Vorteile verschaffte.

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waren, notwendig auf ihre Hilfe angewiesen. Auf der anderen Seite kontrastiert mit dem Bewusstsein der Europäer, sich in Abhängigkeit von den Trägern zu befinden, ihr auffallendes Bemühen, sich selbst als eigentliche Träger in Szene zu setzen: als Träger nämlich, die das Schwerste trugen – Verantwortungsträger. Das, was Hannah Arendt in ihren Reflexionen zum europäischen Imperialismus als „totales Verantwortungsmonopol“ bezeichnet hat, begründete in der Tat eine Darstellung, die umgekehrt die Passivität der Träger, ihre Unfähigkeit, Geschichte „in Bewegung zu setzen“, plausibel machen sollte. Auffällig ist, dass an der Spitze der Kolonnen, wie sie z.B. in Hergés KongoComic2 oder auf einschlägigen Photographien (aus Afrika oder dem Himalaya) zu sehen sind, in der Regel diejenigen stehen, die sich selbst als die eigentlichen Träger des Eroberungsprojekts betrachteten, Männer also, die nichts zu tragen hatten: richtungsweisende, da richtungsbewusste Europäer. Die europäische Kolonialpropaganda hat, ausgehend von den ersten ‚Entdeckungs‘-Reisenden in Afrika oder Südamerika bis hin zum Imperialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein Bildprogramm hervorgebracht, das die weitere Finanzierung des kolonialen Projektes durch private wie staatliche „Träger“ sicherstellen sollte.3 In Wirklichkeit waren diejenigen, die eine Strecke erstmals begingen, aber häufig AfrikanerInnen mit speziellen Kenntnissen und Erfahrungen, z.B. die Ambakisten, „die eine neue Route als erste ausprobierten, bevor ihre weißen Auftraggeber bzw. die weißen Neuankömmlinge ihnen folgten und sie ,offiziell‘ eröffneten […].“4

2

Hergé: Les aventure de Tintin au Congo. Paris, Casterman, 2003, passim.

3

Mareike Vennen zeigt am Beispiel der Tendaguru-Expedition der Jahre 1909-1913, wie sich das Naturkundliche Museum zu Berlin in Deutsch-Ostafrika an die Ausgrabung und den Transport kostbarer Saurier-Fossilien machte und Fotos von Trägerkolonnen dabei zu Werbe- und Legitimationszwecken einsetzte. – Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Pauline Grebert in ihrem Beitrag zur Konzeption einer Ausstellung von Kolonialfotos, die Sonja Malzner und ich begleitend zum Konferenzband als Wanderausstellung sowie in einer online-Version erstellt haben. – Die Durchsicht einschlägiger Fotoarchive macht deutlich, dass Trägerkolonnen oft aus großer Distanz gezeigt wurden. Ihre Einbettung in eine als exotisch empfundene Landschaft versuchte, die Beherrschung fremder Räume mit der Beherrschbarkeit fremder Menschen in eins zu setzen. Dahinter standen expansive Vorhaben, deren praktische wie finanzielle Durchsetzbarkeit visuell bewiesen werden sollte.

4

Heintze, Beatrix: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika. Frankfurt/M., Lembeck-Verlag, 2002, S. 156.

V ON UNBEWEGTEN B EWEGERN

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In vielen (wenn auch nicht in allen) Kolonien galt, dass die Beförderung von Lasten durch mehrere Punkte im Raum gekennzeichnet war: durch den Punkt, von dem aus die Träger aufbrachen und durch die verstreuten anderen Punkte und „Stationen“, an denen die Europäer auf ihre Ankunft warteten. In Bewegung waren also die ,Schwarzen‘, in Wartestellung die ,Weißen‘. Doch dadurch, dass die ,Weißen‘ als verstreute Punkte im Raum den Zielpunkt der Trägerkolonnen bildeten (bzw. genauer: sich selbst als solche interpretierten5), galt die allgemeine Bewegung dann doch in erster Linie als die Ihre. Auch wenn die Europäer nichts trugen und sich nicht bewegten, waren sie, so ihre These, die Träger der Bewegung: sozusagen unbewegte Beweger, d.h. diejenigen, die die Träger in Bewegung setzten und (was nicht weniger wichtig und schwierig ist) auch in Bewegung hielten – sei es nun durch ökonomische Anreize oder durch Zwang.6 Wesentlich für die auf Dauer angelegte Organisation von Trägerdiensten zu Wasser oder zu Land war, dass die Einheimischen keineswegs das Recht hatten, zu Trägern der Bewegung zu avancieren: Sie waren allein Träger in Bewegung, und das wollte in Wirklichkeit erneut heißen: passiv, d.h. unbewegt. Denn nur derjenige, der Dinge und Menschen kraft seiner Projekte in Bewegung zu setzen verstand, konnte der Kolonialpropaganda zufolge Träger des Fort-Schritts sein, während die Träger, die, mit erdrückenden Lasten auf dem Kopf, Schritt vor Schritt setzten, die oft großräumigen Projekte nur ausführten, d.h. passiv blieben. Es ergibt sich, dass die Europäer in dem Maße Bewegung hervorzubringen glaubten, in dem sich ihre eigene Aufgabe darauf beschränkte, zu bestimmen, in

5

Zur Kritik an dem einfachen Modell von Ausgangs- und Zielpunkten vgl. Heintze (2002): S. 167. „Die Ambakisten galten […] als die großen Experten des zentralafrikanischen Karawanenhandels. Wer diesen jedoch mit den großen transsaharenischen Kamelkarawanen assoziiert, die mit ihren Waren regelmäßig von einem Ausgangspunkt A nach einem Hunderte von Kilometern entfernt liegenden Zielpunkt B oder C und wieder zurück zogen, wird in die Irre geführt. Die Struktur des Karawanenhandels im westlichen Zentralafrika, namentlich derjenige der Ambakisten, war wesentlich komplexer.“ Typisch seien gewesen „sich ständig neu konstituierende Mischformen aus Fern-, Etappen- und Lokalhandel, aus kürzeren und längeren Strecken, aus küstennäheren und innerafrikniaschen Ausgangspunkten, aus kleinen, großen und selbst noch unterwegs sich neu zusammensetzenden Handelsgruppen. Dadurch fügten sich hier die Karawanenrouten zu einem sehr flexiblen Handelsnetz, das sich kurzfristig aktuellen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen vermochte.“ Ebd.

6

Siehe dazu die Beiträge von Marianne Zappen-Thomson und Ludolf Pelizaeus, die in diesem Band enthalten sind.

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welche Richtung fort-geschritten werden sollte – nämlich weg von der „Statik“, die Afrika, Südamerika und dem Himalaya (man denke an die Sherpas) gleichermaßen zugeschrieben wurde. Dass dies alles nur Propaganda war, das zeigt das hervorragende Buch von Beatrix Heintze Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika. In Wirklichkeit war die Beteiligung afrikanischer Träger an europäischen Handelskarawanen oft mit eigenen Handelsaktivitäten verbunden. Wenn man, so Heintze, das Internet nicht nur als neue Technologie verstehe, sondern vor allem „als einen quantitativen Sprung hinsichtlich der Informationsübermittlung und -verbreitung gegenüber den zuvor benutzten Systemen und als eine Strukturverstärkung mit signifikanten Auswirkungen auf die Schnelligkeit und Dichte der Kommunikationsvernetzung“, dann sei es nicht abwegig, „die Trägerkarawanen des westlichen Zentralafrika als ‚Internet‘ des 19. Jahrhunderts“ zu bezeichnen.7 Dies beweist wiederum, dass der ökonomische Wandel und der Aufbau komplexer Handels- und Informationsnetze wesentlich von der einheimischen Bevölkerung ausgingen – was allerdings am Fortbestehen stereotyper Zuschreibungen von Seiten der Europäer wenig änderte.

M ETAPHORISIERTE T RÄGER Die Aktualität des Trägerwesens liegt in der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen zwischen dem kolonialen und der postkolonialen Zeit. Dafür ein Beispiel aus dem heutigen Tourismus: Zur Gartenarchitektur des Königsschlosses der Bourbonen in Caserta (in der Nähe von Neapel) gehört ein Brunnen, dessen Balustrade von marmornen Trägern flankiert wird. Je zu zweit stemmen sie riesige Muscheln in die Höhe, und zwar als Teil einer Szenerie, in der sich die ganze Macht der Bauherren ausspricht. Auf einem Schild wird der heutige Besucher belehrt, es handle sich um Sklaven, „vielleicht“ „Bezug nehmend“ auf die Männer, die damals wirklich als Sklaven eingesetzt worden seien. Mehr wird nicht gesagt. Auf einschlägigen Internetseiten pflegen die realen Sklaven unter dem Stichwort „curiosità“ zu erscheinen. Angegeben wird, man habe damals „Türken“ verwendet. Die Sklaven waren Muslime, kamen aus dem Osmanischen Reich, genauer: aus dem Maghreb, besonders Tunesien. In Caserta hatte man ihnen ein separates Wohnviertel zugeteilt. Dass die Sklaven in den Skultpuren rund um den Brunnen in marmorner Form präsent geblieben sind, heißt jedoch keineswegs, dass diese ihre Präsenz heute eine allgemeine Reflexion über den Zusammenhang von Kunst und 7

Heintze (2002): S. 256.

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Realität in Gang setzen würde. Vielmehr pflegt in der offiziellen Selbstdarstellung des Schlosses betont zu werden, den Moslems sei die Chance geboten worden, sich vom Status des Sklaven zu befreien, nämlich durch die Annahme der Taufe. Die Eignung der Sklaven als Bildmotiv scheint in Wirklichkeit aber vorausgesetzt zu haben, dass die Befreiung noch nicht stattgefunden hatte, denn gezeigt wurden nicht einfach nur die Körper junger Männer, sondern vielmehr die Körper junger Männer unter einer schweren Last. Auf der anderen Seite scheint die Last wiederum ganz metaphorisch zu sein – die Muschelschalen beweisen es. Doch die Mischung aus Freimütigkeit (man zeigt Sklaven, die man tatsächlich verwendet hat, unter ihren Lasten) und ihrer Metaphorisierung (man beschwert diese mit Muschelschalen und nicht mit realen Lasten und realem Traggerät) entspricht auf der anderen Seite genau dem, was heute weitergeschrieben wird. Man liest, die echten Sklaven hätten als künstlerische Inspiration für die Marmorsklaven gedient, doch betrachtet wird das Ergebnis der künstlerischen Inspiration – als das Ergebnis von Metaphorisierungen –, und nicht etwa die Echtheit der Sklaven, deren Arbeitskraft die Voraussetzung war für die reale Umsetzung des Bauvorhabens. Das Absehen von den realen Lebensbedingungen derer, die nach Verlust ihrer Freiheit zur Sklavenarbeit gezwungen wurden, tritt hinter der ,Schönheit‘ des Garten- und Schloss-Ensembles zurück. Zugleich ist es aber auch so, dass die ‚Schönheit‘, die man der Metaphorisierung zuerkennt, nur funktioniert, wenn ein kleiner Rest von Realität in der Metapher erhalten bleibt. Anders gesagt: Die Wahrnehmung von ,Schönheit‘ scheint damit zu tun zu haben, dass der Marmor die Sklaverei zu einer dauerhaften Angelegenheit macht, denn anders als die realen Träger in ihrer realen Verletzlichkeit und Sterblichkeit sind die metaphorischen Träger aus Marmor und damit unsterblich. Für die Kunst ergibt sich also eine merkwürdige Zwitterstellung. Sie verdeckt reale Unterdrückung, indem sie sie metaphorisiert, doch sie hält sie als Realität auch fest, indem sie sie in Marmor schreibt. Getragen wird auch im Marmor wirklich, doch weil das Tragen ein marmornes ist, ist es zugleich eben auch nur ein marmornes, und nicht ein reales. Wenn jedoch umgekehrt nicht auch ein Stück Realität im marmorn-metaphorischen Tragen gesteckt hätte, dann hätten die Skulpturen genau das verloren, woran sich die bourbonischen Könige des 19. Jahrhunderts delektieren wollten: dass die Sklavenarbeiter, für die man sich nur insoweit interessierte, als sie billig waren und das Voranschreiten der Bauarbeiten sicherten, der offensichtlichste Beweis der eigenen Macht waren. Eine doppelte Unterdrückung wurde instauriert: Sklaven mussten Sklavenarbeit verrichten und überdies das künstlerische Modell für die Glorifizierung der erfolgten, also erfolgreichen Unterwerfung abgeben. Ist dies aber nicht eine

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Einsicht, die sich durch die Geschichte der Darstellung des kolonialen Trägerwesens insgesamt zieht?8 Abb. 1: Afrikanische Träger im Garten des bourbonischen Königsschlosses von Caserta

Quelle: Foto: Anne D. Peiter, 2017.

8

Das vorliegende Buch schreibt auch die Geschichte des Imaginären, das Figur des Trägers zum Mittelpunkt hat. Die Frage nach den Kontinuitäten zwischen der Kolonialpolitik des 18. und 19. Jahrhunderts auf der einen und heutigem Tourismus auf der anderen Seite stellt einen Aspekt von Sylvie Kandés Untersuchung im vorliegenden Band dar. Kontinuitäten zeigt auch Esaïe Djomo auf, wenn er die Fortführung des kolonialen Tragens von Menschen durch afrikanische Vertreter der Oberschicht im heutigen Kamerun dokumentiert. Es stellt sich also wie in Caserta die Frage nach der Berechtigung, zwischen kolonialem und postkolonialem Denken, zwischen realem und fiktivem Träger eine klare Grenze zu ziehen. Einschlägig ist in diesem Kontext der Artikel von Niels Hollmeier, der anhand von Kolonialspielfilmen der Weimarer Republik die Ambivalenz von Begehren und Ablehnung gegenüber den sexualisierten schwarzen Körpern herausarbeitet.

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ALS

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S TÄNDER

Kehren wir zu theoretischen Ansätzen zurück, die stimulierend wirken könnten für die weitere Erforschung des kolonialen Trägerwesens. Ein Sprung ist nötig. Ein Sprung hin zu zwei Fotos aus ganz unterschiedlichen Kontexten. Das erste Foto zeigt eine Art Privatkonzert. Mit wirklichen Lastenträgern scheint es nichts zu tun zu haben. Oder doch? Sehen wir genau hin. Abb. 2: Eine französische Nonne mit Kindern aus Papua-Neuguinea

Quelle: Georges Delbos: Cent ans chez les Papous. Mission accomplie? Issoudon, Fraternité Notre-Dame du Sacré-Cœur, 1984, S. 297.

Zu sehen ist eine Nonne, die Geige spielt. Ein junger Papu steht vor ihr. Er ist ein Notenständer, ihr Notenträger. Seine Eignung besteht in seiner Körpergröße: Anders als die kleinen Jungen, die die Szene, zuhörend und -schauend, umstehen, ist der Jugendliche in der Lage, das Blatt Papier in angemessener Höhe zu halten. Das Blatt Papier wiegt nicht viel. Der Trägerdienst, den er verrichtet, ist nicht schwer. Und doch ist im Halten des Blattes ein wichtiger Aspekt der Geschichte der Träger insgesamt enthalten: Wann wohin etwas gebracht wird,

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wie und zu welchem Zweck etwas getragen (oder wie hier: einfach nur in die Höhe gehalten) wird, darüber entscheidet vielfach nicht der Träger, sondern das ist ins Belieben derjenigen gestellt, die die Träger anheuern. Der papusische Notenträger ist einer im Stillstand. Solange das Spiel mit dem exotischen Instrument – der Geige – andauert, wird er Träger sein und bleiben. Er ersetzt offenbar den hölzernen Notenständer, den die Nonne auf ihrem Weg in die ferne Mission hat Zuhause hat lassen müssen. Doch aus Holz ist auch er (nämlich der Träger): aus Ebenholz. Und weiteres Holz für weitere Geige spielende Nonnen ist schon im Kommen: Die kleinen Jungen sind Notenständer in nuce, die unter dem Regen der Geigenmusik ihrer künftigen Aufgabe entgegen wachsen. Anders als die Nonne sind die Kinder weitgehend nackt. Sie tragen lediglich einen Lendenschurz. Ihre dunkle Haut kontrastiert mit der Helligkeit der Französin, die denn auch durch die Rhetorik des begleitenden Textes als regelrechte Heilige zelebriert – will heißen: zusätzlich aufgehellt – wird. Die ‚Farb‘-Kontraste werden verstärkt durch die Verteilung der Rolle von Bewegern und Bewegten. Allgemein gesprochen sind Träger dadurch definiert, dass sie Dinge oder Menschen an Orte bringen, wo diese gebraucht werden. Träger sind, weil sie Lasten in Bewegung setzen, notwendig selbst in Bewegung. Doch der papausische Notenträger ist ganz offensichtlich kein Notenbeweger. Träger ist er paradoxerweise in dem Maße, in dem er es versteht, still zu halten. Die eigentliche Bewegung ist ganz und gar auf Seiten der Nonne, und zwar durch die unausgesetzte Bewegung ihres Bogenstrichs. Wenn hier der junge Papu die Nonne über den rechten Moment von Bewegung und Stillstand entscheiden lässt, akzeptiert er das Erziehungsprogramm, das französische Missionare ihm und den nachwachsenden Notenständern zugedacht haben: dass er bewegungslos Teil hat, Teilhaber wird an der ‚Zivilisation‘, die, hier in Form eines Violinkonzerts, in ihn eindringt und ihn vielleicht irgendwann in die Lage versetzen wird, selbst den Bogen der ‚Zivilisation‘ zu ergreifen. Wie wichtig neben dem Tragen und Lasten-Bewegen dieser Moment des Stillstands ist, hat Samuel Beckett in En attendant Godot in Szene gesetzt.9 Es gibt in diesem Theaterstück einen Träger, die über lange Seiten kein einziges Wort zu sagen, dafür aber umso mehr zu tragen hat. Er ist regelrecht überhäuft mit Lasten. Seine Besonderheit besteht jedoch darin, dass er zwar viel zu tragen, doch nichts zu bewegen hat. Seine Trägerdienste beschränken sich, ebenso wie bei unserem Notenständer, darauf, in aufrechter Haltung zu warten, und zwar auf

9

Beckett, Samuel: En attendant Godot. Paris, Les éditions de minuit, 1973, besonders S. 28-33.

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das, was da kommen wird: auf Befehle. Statt jedoch beim Warten Koffer, Korb, Mantel und Klappstuhl abzusetzen, legt er sich eine permanente Wartehaltung auf. Er trägt also immer, pausenlos. Das will heißen: Er bewährt sich, ebenso wie der junge Papu auf dem Foto, in dem Maße als Träger, in dem er ein Ständer ist.10 Doch ist das Verhältnis zwischen Kolonialherren und Kolonialisierten hinreichend genau beschrieben, wenn man erneut an die obige Definition erinnert, die Auftraggeber der Träger seien unbewegte Beweger gewesen, die Träger hingegen bewegte Ständer?11

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ALS

E XOSKELETT

Vollführen wir einen zweiten Sprung, hin zu einem weiteren Foto. Ich fand es im Guiness-Book of Records von 2006. Es scheint mir Ausblicke auf weitere Fragen zum kolonialen Trägerwesen zu eröffnen. Unter dem Titel „Le plus puissant“ – „der Mächtigste“ – ist ein schwer beladener, weißhäutiger Mann zu sehen, an dessen Beinen ein „menschliches Exoskelett“ befestigt ist. Der Bildlegende ist zu entnehmen, dass dieses Außenskelett aus hydraulischen Muskeln besteht, die die „Kraft“ („force“) und das „Durchhaltevermögen“ („endurance“) des Trägers erhöhten. Ein Rucksack mit einem Gewicht von 32 Kilogramm sowie das 45 Kilogramm schwere Exoskelett würden von ihm empfunden wie ein Gewicht von nur 2,2 Kilomgramm. Von der Robotik, die hier in Verbindung zum menschlichen Körper tritt, erfahren wir, dass sie das Ergebnis von amerikanischen Militärforschungsinstituten ist. Der Träger steht im Dienst des Krieges. Ist das aber überhaupt noch ein Träger? Was mich in theoretischer Hinsicht an der Darstellung dieses Menschenroboters interessiert, ist ein ebenso winziges wie wichtiges Detail: Das Guiness-Book spricht stets nur vom Träger in Anführungszeichen. Es ist diese Zeichensetzung, 10 Eine ausführliche Interpretation der Darstellung des Trägerwesens in En attendant Godot findet sich im zweiten Teil meiner Habilitationsschrift: Anne D. Peiter: Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kolonialismus. Einschlägig ist dort das Schlusskapitel. Das Buch erscheint voraussichtlich Ende 2018. 11 Die Beiträge von Sonja Malzner und Marlene Tolède zwingen zur Differenzierung: Bei den Bergbesteigungen, die die deutschen Reisenden Carl Claus von Decken und Otto Kersten 1863 auf der Insel La Réunion vornahmen, wurden den Auftraggebern durchaus ihre Abhängigkeit vom know-how der Einheimischen bewusst. Auch Sonja Malzner hebt diesen Aspekt hervor, und zwar für touristische Afrika-Reisen von Europäern.

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die mir bedenkenswert erscheint. Der Träger ist, sobald das Außenskelett die eigentliche Last trägt, und nicht das Innen- also Menschenskelett, kein Träger mehr, sondern nur ein „Träger sozusagen“, ein uneigentlicher Träger. Das Skelett trägt den Träger und nicht umgekehrt der Träger das Skelett. Das aber bedeutet, dass diesem Träger die Last keine Last ist, sondern die Last, die das Außenskelett darstellt, einer Abnahme der Last gleichkommt. Der „Träger“ in Anführungszeichen vereint also genau das in sich, was sich die Kolonisatoren des 19. Jahrhunderts gewünscht haben: dass der technische Fortschritt – nicht zuletzt der Aufbau einer Infrastruktur nach europäischem Muster – das Trägerwesen an sich überflüssig machen würde. Für die kolonialpolitische Rechtfertigung des Trägerwesens ist der Hinweis auf die Vorläufigkeit seiner Nutzung zentral. Das zeigt auch die Analyse zu den Trägern in Belgisch-Kongo, die in meiner Habilitationsschrift enthalten ist: Hier wurde durch eine Enquêtekommission, die den Verbrechen in der Kolonie nachgehen sollte, stets teleolgisch argumentiert. Die Vorwegnahme der Fertigstellung des im Bau befindlichen Eisenbahnnetzes diente als Legitimation des Massensterbens, das sich unter den Trägern und ihren Familien ausgebreitet hatte. Der amerikanische Soldat, der als iron man nur ein „Träger“ in Anführungszeichen sein will, zeigt uns, wie diese Legitimation funktioniert. Für ihn ist kennzeichnend, dass er der „stärkste“ ist. Der stärkste, weil sein Körper seine Schwäche unumwunden zugibt. Die Stärke wächst ihm von Außen zu. Die Stärke und das Durchhaltevermögen beim Tragen von Lasten definieren sich über die Fähigkeit, sie nicht selbst zu tragen. So kommt es, dass ein Träger ohne Anführungszeichen – also ein Träger, der wirklich und wahrhaftig Lasten trägt, z.B. einen Rucksack von 32 Kilogramm oder eine Eisenbahnschiene – durchaus von einem Träger mit Anführungszeichen, der nur 2,2 Kilogramm trägt oder empfindet, an Stärke übertroffen wird. Für den Robotermenschen käme es einer Zumutung gleich, als wirklicher Träger bezeichnet zu werden. Träger zu sein, ist – das zeigen die Anführungszeichen – an sich etwas Verächtliches. Nicht anders verhielt es sich im Kolonialismus. So wie die Träger des kolonialen Projekts stets unbewegte Beweger waren, so wollten sie auch, wenn es um schwere Rucksäcke ging, stets nur „Träger“ in Anführungszeichen sein, also nicht selbst tragen (oder sterben – wie die ‚kolonialen Subjekte‘ Leopolds II.) Dass dann aber doch ein Gewicht auf ihnen lastete – nämlich das Gewicht des Außenskeletts, das in diesem Fall in der Masse der angeheuerten Trägern lag –, daran besteht kein Zweifel. Wenn die Europäer nicht selbst trugen, mussten sie sich doch mit den Schwierigkeiten auseinandersetzen, die sich im Kontakt zu denjenigen ergaben, die ihre Lasten trugen. Soziale Spannungen waren in Trägerkarawanen an der Tagesordnung. Eine leitende Frage des vorliegenden

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Buches betrifft das Verhältnis zwischen Innen- und Außenskelett. Das Innenskelett wäre dasjenige, das nicht tragen will oder kann. Das Außenskelett wäre dasjenige, das tragen will oder muss – die Träger –, Außenskelette also, die wie die Lasten selbst für die Europäer ihrerseits ein Gewicht hatten, sei es nun ein ökonomisches, politisches oder soziales. Wenn die Innenskelette sich darauf verließen, dass die „Exoskelette“ sie schon an den Ort bringen würden, an den sie gelangen wollten, dann entstanden ungewollt Abhängigkeiten, und durch diese war plötzlich nicht mehr so klar, ob der ,Weiße‘, der sich mit einem komplizierten System von „Außenskeletten“ umgeben hatte, nicht plötzlich seinen Status als „der Stärkste“ einbüßen würde. Auch darum also hat es also in diesem Buch gehen: um die Rhetorik einer Beherrschung, gegen die Trägerinnen und Träger – ohne Anführungszeichen – mitunter Protest einzulegen wagten.

G ESATTELTE M ENSCHEN Der deutsche Formulierung „sich über jemanden anderen setzen“ beschreibt in drastischer Deutlichkeit die Rolle, die den Menschenträger im Kolonialismus zugeschrieben wurde. Die Überlegungen Elias Canettis erweisen sich in diesem Kontext als fruchtbar. Er geht von dem Gegensatz zwischen wenigen Einzelnen und der Masse der Vielen aus: Einer, der allein, durch eine Art von Entfernung getrennt, vielen anderen gegenübersteht, wirkt besonders groß, so als stünde er für sie alle zusammen allein. Rückt er mehr in ihre Nähe, so wird er trachten, erhöht zu stehen; und wenn er ganz unter sie gerät, so wird er in Fortsetzung seiner früheren Position auf die Schultern genommen und herumgetragen. Er verliert dadurch seine Selbständigkeit und kommt sozusagen auf sie alle zusammen zu sitzen.12

Das Spezifische der kolonialen Situation bestand darin, dass das Wort „sozusagen“ entfiel. Die Kolonisatoren kamen wirklich und wahrhaftig auf anderen Menschen zu sitzen. Unabhängig davon, ob Tragegeräte eingesetzt wurden oder die Getragenen direkt auf den Trägern lasteten – deutlich war immer, dass die Menschenträger implizit zu tierartigen Wesen erklärt wurden. Die Träger mussten durch unwegsames Gelände wie durch Flüsse hindurch, und dabei stellte das jeweilige Tragegerät eine Art Sattel dar, der ihren Körpern aufgeschnallt wurde und diese zum bloßen Muskelapparat innerhalb eines im Übrigen auf Technisierung und Modernisierung zielenden Herrschaftsgefüges degra-

12 Canetti, Elias: Masse und Macht. Frankfurt/M., Fischerverlag, 2001, S. 460.

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dierte. Wenn Flüsse ganz ohne Boote oder Flöße zu durchqueren waren, wandelten sich die Träger Esaïe Djomos These nach sogar direkt in Piroggen. Da sich das Tragen von Menschen in Europa selbst auf Kleinkinder sowie Situationen von Krankheit und Unfällen zu beschränken pflegte, kann die Anmaßung, die eigene Bequemlichkeit in den Kolonien bis ins Übermaß steigern zu dürfen, als ein Rückfall in archaische Denkmuster und das koloniale Projekt insgesamt als Ausnutzung einer waffentechnischen Überlegenheit gedeutet werden, mit deren Hilfe sich der Kolonialist – wiederum im Wortsinn – als naturgegebener Reiter setzte: als Reiter auf einem Reittier. Dazu erneut Canetti: Im Sitzen holt sich der Mensch fremde Beine zu Hilfe, an Stelle jener zwei, die er seiner Aufrichtung zuliebe aufgegeben hat. Der Stuhl in der Form, wie wir ihn heute kennen, leitet sich vom Thron ab; dieser aber setzt unterworfene Tiere oder Menschen voraus, die den Herrscher zu tragen haben. Die vier Beine eines Stuhles stehen für die Beine eines Tieres […].13

Abb. 3: Norddeutsche Missionsgesellschaft. Mit Hängematte auf gebahnter Straße bei Kpalime, o.D.

Quelle: Staatsarchiv Bremen, 7,1025-Fotos-3328.

Wenn man diese These konsequent weiter denkt, dann bedeutet das, dass der Tragestuhl durch die Träger, die ihn zu packen und in Bewegung zu setzen hatten, dem Prozess einer regelrechten Belebung unterlag, d.h. sich vom leblo-

13 Ebd., S. 461.

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sen Objekt wandelte zu einem Wesen, das zwar vom Wert her weit unter dem Getragenen stand, dem jedoch zugleich die Fähigkeit zu Empfindungen aller Art zukam. Der Getragene verabschiedete sich gleichsam von der Versächlichung der in die Leblosigkeit abgesunkenen Machtsymbole seiner eigenen Geschichte und belebte im kolonialen Trägerwesen das archaische Recht wieder, den aufrechten Gang des geborenen Herrschers zu kombinieren mit der Bequemlichkeit, die in der Verfügbarkeit zweier zusätzlicher Beine beschlossen lag. Dieser Interpretation zufolge wären die Hängematten als Betten anzusprechen, denen in dem Moment, in dem die Träger sie schulterten, die fehlenden Beine angeschraubt wurden. Das bequeme Sitzen hatte demnach das bequeme Liegen im Gefolge. Während ‚unten‘ die Träger das Gewicht des Getragenen empfanden, konnte der Getragene ‚oben‘ durch ein Schlümmerchen die Kräfte auffrischen, die er fürs Gehen eingespart hatte. Ein gleich doppelter Zugewinn an Körperkraft ist also zu beobachten, der dann wiederum deutlich macht, warum in so vielen Kolonien das Trägerwesen in ungebrochener Kontinuität zum System der Sklaverei stand bzw. dieses neu belebte.14 Dass diese Unterwerfungs-Vorgänge dann jedoch auch ein dialektisches Gegengewicht inne wohnte, steht nicht in Abrede. Denn in der Tat ist Canetti darin zuzustimmen, dass die Getragenen im Wortsinn ihre Selbständigkeit verloren. Und dies stellte dann wiederum die Kerbe im Kolonialapparat dar, an der der Widerstand der Träger ansetzen und das gesamte Tragesystem zum Kippen bringen konnte: hin zur Rückgewinnung der Eigenständigkeit der Kolonialisierten. Die Eigenständigkeit stellte jedoch nicht notwendig den Abschluss der Entkolonialisierung dar. Vielmehr zeigt Esaïe Djomo, dass neue, politische Eliten sich in kolonialistischer Manier den Anspruch erhoben, getragen zu werden – als Machtdemonstration.

14 Heintze konstatiert mit Blick auf das westliche Zentralafrika: „Die Karawanenreisen und die Erschließung des Kontinents führten in keine bessere Zukunft. Zwar gelang einzelnen der soziale Aufstieg und neue Eliten erreichten einen gewissen Wohlstand. Aber insgesamt gesehen überwogen die negativen Folgen für das Land. Nach dem Ende von dreihundert Jahren Atlantischen Sklavenhandels, der immer weitere Gebiete des afrikanischen Inneren erfasst hatte, förderte der Fernhandel durch den Transfer sogenannter ,legitimer Produkte‘ nun verstärkt den innerafrikanischen Sklavenhandel und die innerafrikanische Sklaverei. Im Nordosten trat als neue Bedrohung der von der Ostküste ausgehende arabische Sklavenhandel hinzu.“ Heintze (2002): S. 273.

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S KLAVEN

ALS

T RANSPORTEURE

IHRER SELBST

Sklavinnen und Sklaven waren eine ‚Ware‘ wie andere auch, erschienen, da bloßes Tauschobjekt, als vergleichbar mit Kautschuk, Elfenbein, Wachs und anderen Handelsartikeln. Dennoch bestand ein Unterschied: Während andere Produkte die Verfügbarkeit von Trägern nötig machten (nur so konnten sie überhaupt weiter transportiert werden), trugen Sklavinnen und Sklaven sich selbst. Sie waren ihre eigenen Träger, Transporteure ihrer versklavten (und also gewichtlosen) Körper. Ja mehr noch: Während sie sich – als ‚Ware‘ – von einem Ort zum anderen bewegten, konnten die Europäer ihnen zusätzlich Lasten aufbürden. Die Vorteile lagen auf der Hand. Man sparte Transportkosten gleich in doppelter Hinsicht: erstens weil Sklavinnen und Sklaven, da ohne Gewicht, keiner Trägerdienste bedurften; und zweitens weil sie aufgrund ihrer Unabhängigkeit von Trägerdiensten selbst welche verrichten konnten, und zwar kostenlos. Sklavinnen und Sklaven als Kombination von Ware und Träger waren die logische Konsequenz des europäischen Wunsches nach effizientem Transport von Handelsprodukten. Man kaufte SklavInnen für Trägerdienste nach Kauf (und als Folge) des Kaufs anderer Produkte. Die Unfreiheit ihrer Bewegung enthielt also einen Mechanismus zur Preissenkung, die wiederum mit dem verbreiteten Mangel an Trägern zusammenhing. Wie der innerafrikanische Sklavenhandel und Trägerdienste zusammen hingen, das bedarf noch einer genaueren Erforschung.

D IE T RÄGHEIT

DER

T RÄGER

Zum Abschluss möchte ich auf eine etymologische Beobachtung hinzweisen, die aufschlussreich für diese Geschichte ist: Die Wortgeschichte des Adjektivs „träge“ hängt mit „tragen“ und „Träger“ zusammen. Im etymologischen Wörterbuch von Kluge findet sich der Hinweis, das Adjektiv „träge“ bewege sich in verschiedenen Sprachen zwischen Bedeutungen, die mit „Unwilligkeit“, „Langsamkeit“, „Trauer“, „Zähigkeit“, „Festigkeit“ und „Stärke“ zu tun hätten.15 Was finden wir davon in den historischen Quellen und unterschiedlichen medialen Darstellungen der Träger wieder? Wie schon erwähnt, ist die Widersetzlichkeit – also Unwilligkeit – der Träger ein Topos, gleichzeitig gehört zu ihr aber auch die Idee von Stärke und Zähigkeit. Diese letztgenannten Eigenschaften zeugen einerseits von der Abhängigkeit der Europäer, die wir nach dem Vorhergesagten

15 Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York, de Gruyter-Verlag, 1989, S. 734 (Stichwort „träge“).

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auch als „Innenskelette“ bezeichnen können. Da sie aber nicht eindeutig positiv konnotiert sind – stark und zäh kann auch ein Tier sein –, muss sich das Buch erneut mit einer wesentlich widersprüchlichen Geschichte beschäftigen.16

F AZIT Welche Gedankenstränge werden sich in den folgenden Kapiteln zu einem Netz verbinden? Ob nun die Kolonisatoren als unbewegte Beweger sich durchzusetzen vermochten oder die Träger in Bewegung; ob nun geigende Nonnen (als Symbol „sanfter Gewalt“) oder iron men (als Symbol eines brutalen Unterwerfungsapparats) den jeweiligen Kolonialapparaten ihre Signatur aufdrückten; ob Träger sich als Menschen in Bewegung verstehen durften oder aber als reine, auf Abruf bereitstehende Ständer; ob Außen- oder Innenskelette zu einer Art von Kulturtransfer fanden oder im Gegenteil als Kontrahenten gegeneinander stießen; ob Gehorsam oder „Widersetztlichkeit“ überwogen; ob Träger sich selbst oder Waren oder beides (ihre eigenen, versklavten Körper und die Lasten) zugleich tragen mussten; ob sie als Inbegriff von Stärke oder als Exempel von „Trägheit“ und „Langsamkeit“ dargestellt wurden – wichtig scheint mir die Aufgabe, die vielen Facetten dieser komplexen und von Gewalt geprägten Geschichte auszuleuchten. Zu hoffen ist, dass dieses Buch vertiefende Forschung zur Geschichte des Lebens der Träger sowie zur Geschichte ihrer künstlerischen und literarischen Rezeption anstößt.

16 Das wird bei der Analyse fortwirkender Tragepraktiken im heutigen Afrika durch Jean-Pierre Tardieu deutlich. – Harouna Barka zeigt in seinem Aufsatz über antikoloniale Revolten und deren Repressionen in Logone und Schari wiederum einen weiteren wichtigen Aspekt: Er macht deutlich, dass die politische Willensbildung im Kamerun der späten 1950er Jahre in dieser Zeit wesentlich durch das Bedürfnis der Bevölkerung bestimmt wurde, sich von konkreten Belastungen – u.a. dem Trägerwesen – zu befreien. Dieses Anliegen wog sehr viel schwerer als politische Projekte wie die Vereinigung der beiden Kameruns, die von weiten Bevölkerungskreisen als abstrakt erlebt wurden.

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L ITERATUR Beckett, Samuel: En attendant Godot. Paris, Les éditions de minuit, 1973. Canetti, Elias: Masse und Macht. Frankfurt/M., Fischerverlag, 2001. Delbos, Georges: Cent ans chez les Papous. Mission accomplie? Issoudon, Fraternité Notre-Dame du Sacré-Cœur, 1984. Glenday, Greg et al. (Hg.): Guiness world records. Le livre de tous les records. Paris, Hachette pratique, 2005, S. 118 (Stichpunkt: Exoskelett). Heintze, Beatrix: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika. Frankfurt/M., Lembeck-Verlag, 2002. Hergé: Les aventure de Tintin au Congo. Paris, Casterman, 2013. Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York, de Gruyter-Verlag, 1989. Peiter, Anne D.: Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kolonialismus. Diese Habilitationsschrift erscheint voraussichtlich Ende 2018 bei transcript.

Fotoausstellung „Der Träger in der Kolonialzeit“ Bericht von einer Expedition ins Land der Fotografie P AULINE G REBERT

E INFÜHRUNG Ein Kolloquium an der Universität von La Réunion zur Figur des Trägers in der Kolonialzeit war schon allein ein spannendes Vorhaben. Hier sollte eine Figur in den Blick genommen werden, die während der Kolonialzeit, auch auf La Réunion, zwar eine wesentliche Rolle spielte, der jedoch bei der Darstellung der westlichen Großprojekte zur Erforschung und Kolonisierung Afrikas nur allzu oft die Statistenrolle zugewiesen wurde. Als es darum ging, eine begleitende Fotoausstellung zu dieser Tagung zu konzipieren, erwies sich die Quellensuche als gleichermaßen ergiebig: So existiert eine Fülle von Abbildungen zu Landschaften und weißen Reisenden, die sich in Szene setzen, wo aber war jene Person aus der zweiten Reihe, der Träger, zu finden? Und wie konnte man ihn, der häufig nur als nebensächliches Detail auf einem Foto erscheint, zum Thema einer ganzen Ausstellung machen? Eine solche Ausstellung mit alten Fotos auf die Beine zu stellen, wovon ich nachfolgend einige Etappen skizziere, erfordert einen langen Atem. Doch über die konkrete Umsetzung des Projekts hinaus mussten wir insbesondere danach fragen, wie diese Bilder aus der Vergangenheit, diese bewussten oder unbewussten Spuren, aufgenommen von weißen Fotografen, die ein bestimmtes Afrikabild vermitteln, einzusetzen sind. Die Ausstellung wollte eine Geschichte zeigen, die Geschichte des Tragens, und zwar zunächst den angereisten Teilnehmern der wissenschaftlichen Tagung, dann aber auch einem breiteren Publikum. Daher musste die Präsentation der Archivfotos redaktionell vermittelt werden, damit die Bilder zu den Trägern besser verstanden werden und damit jeder erfassen konnte, „was damals war“. Im Folgenden soll erläutert werden, welche Auswahl

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anhand dieses Narrativs getroffen wurde und mit welcher Haltung das Publikum angesprochen und zum Nachdenken über das Tragen angeregt werden sollte. Tatsächlich sollte man stets, in der gesamten Ausstellung und vor jeder einzelnen Fotografie, die Warnung von Laurent Gervereau im Kopf behalten: „die Fotografie ist niemals neutral, sie ist wie die Malerei ein Konstrukt des Wirklichen“1.

D AS M ATERIAL DER A USSTELLUNG : R ECHERCHE UND P RÄSENTATION Zur Erforschung und Kolonisierung Afrikas findet man zahlreiche fotografische Quellen. Tatsächlich wäre man in den Anfangszeiten der großen Entdeckungsreisen ohne Träger überhaupt nicht in der Lage gewesen, solche Fotos aufzunehmen. So erinnert Jean Bastié daran, dass im 19. Jahrhundert „Fotografieren zunächst eine schwere Ausrüstung erfordert, die zum Teil aus Holz, aber auch aus Glasplatten besteht und daher sperrig und zerbrechlich ist, weshalb sich Profis und Amateure, die es sich leisten können, von einem Träger begleiten lassen“2. Er nennt dann das Beispiel von Samuel Bourne, der 1864 bei einer Reise nach Kaschmir 42 Träger für seine Ausrüstung, vor allem für die Fotoausrüstung, angeheuert haben soll. Zum Glück sind diese fotografischen Schätze, die von den gigantischen Expeditionen dank der Anstrengungen der BilderTräger mit nach Hause gebracht wurden, heute zum großen Teil online verfügbar. Aufgrund ihres Entstehungsdatums sind die meisten Dokumente inzwischen gemeinfrei, oder die Rechteinhaber genehmigten uns bei Kontaktaufnahme die Veröffentlichung im Rahmen der Ausstellung. Allerdings galt es, diese Fotos, auch wenn sie online zugänglich sind, erst einmal zu finden. Bei der langwierigen Suche nach Fotos von Trägern war für uns die Website der Deutschen Kolonialgesellschaft in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 3 besonders hilfreich; ihr entstammt der größte Teil der Fotos, die für die Ausstellung ausgewählt wurden. Der vorhandene Bestand ist sehr ergiebig und verfügt zudem über eine gute thematische und geografische Suchfunktion, was die Recherche erheblich erleichtert. Auch die Suche in Papierarchiven, die aufwän1

Gervereau, Laurent: Voir, comprendre, analyser les images. Paris, Éditions La Découverte, 2004, S. 136.

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Loiseaux, Olivier (Hg.): Trésors photographiques de la société de géographie. Paris, Bibliothèque Nationale de France, und Editions Glénat, 2006, S. 11.

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Die Archive können unter folgender Adresse kostenlos konsultiert werden: URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/ [Zugriff: Februar 2018].

F OTOAUSSTELLUNG „D ER T RÄGER IN DER K OLONIALZEIT “

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diger und zufallbehafteter war, förderte einige erfreuliche Überraschungen zutage. Nach einer Auswahl unter den Fotos präsentierte die Ausstellung rund hundert Dokumente: 82 Fotografien, 10 Postkarten und 8 Lithografien, die aus folgenden dokumentarischen Beständen stammen: • Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft in der Universitätsbibliothek Frankfurt a.M. (27 Dokumente) • Sammlung Polenyk der Universität La Réunion4 (17 Dokumente) • Private Bestände, die mit Erlaubnis der Rechteinhaber für die Ausstellung digitalisiert wurden (17 Dokumente) • Verschiedene frei zugängliche Archive5 (16 Dokumente) • Archive des Departements La Réunion6 (5 Dokumente) • Bestände der Staatlichen Museen zu Berlin7 (4 Dokumente). Es wurde schnell deutlich, dass diese Materialien nach Themen und Schlüsseletappen geordnet werden müssen, um so den Ausstellungsbesuchern verschiedene Aspekte zur Geschichte des Tragens nahe zu bringen. Das Publikum sollte durch die Ausstellung geführt und die Archivauswahl zusammenhängend präsentiert werden, ohne dass die Vielfalt der Quellenauswahl preisgegeben würde. Auch wenn zu damaliger Zeit insgesamt eine deutlich geringere Menge an Fotos existierte ‒ während heute schlichtweg jeder Bilder produziert ‒, sind auf den gesammelten Dokumenten, ob zu den Entdeckungsreisen oder zu Szenen der Kolonialisierung, sehr häufig Träger abgebildet. Es ist kein Zufall, dass zu bestimmten Etappen eine Fülle, zu anderen Aspekten nur sehr wenige Fotos

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Michel Polenyk, der an der Universität La Réunion lehrte, vermachte dieser eine beeindruckende Sammlung von Dokumenten zur Geschichte Deutschlands, insbesondere zur Kolonialzeit. Dieser Bestand wird derzeit an der Universitätsbibliothek von La Réunion, der Bibliothek des Département La Réunion sowie im Musée Villèle bearbeitet.

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Folgende frei zugänglichen Archive waren für uns besonders wertvoll: URL: www.archive.org, http://digitale.bnnonline.it/ Nationalbibliothek Neapel, http://www.stadtarchiv-bamberg.de/ Stadtarchiv Bamberg, http://www.staatsarchiv.bremen.de/ Staatsarchiv Bremen und http://www.mfa.org/ Museum of Fine Arts of Boston [Zugriff: Februar 2018].

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Die Archive des Département La Réunion sind konsultierbar auf der Website der historischen Bildbibliothek des Indischen Ozeans: URL: http://www.ihoi.org/

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Die Bestände des Museums sind online konsultierbar: URL: http://www.smb.museum/ [Zugriff: Febraur 2018].

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existieren. Auch diese Gegensätze sollten in der Ausstellung gezeigt werden. So kamen wir auf die Idee der Foto-Montage. Manche Tafeln bestehen aus einer Montage von etwa 10 Fotografien, die einen Topos aus jener Zeit darstellen. Dies gilt beispielsweise für die Schautafel zur Überquerung der Flüsse. Andere Aspekte waren weitaus schwieriger zu zeigen, was vermuten lässt, dass sie von den Fotografen, entweder aus mangelndem Interesse an der Szene oder vielleicht aus Gründen persönlicher oder kollektiver Zensur, übergangen wurden. Wie Howard Becker8 anmerkt, unterliegt jeder Fotograf, bewusst oder unbewusst, in einem bestimmten Maße der Zensur: man fotografiert nicht alles. So bestand eine der Schwierigkeiten dieser Ausstellung darin, Fotos zu finden, die Misshandlungen der Träger abbilden. Zu diesem Aspekt gibt es nur sehr wenige Bilder, und wenn man eines findet, dann ist die Bildqualität häufig für eine Ausstellung nicht ausreichend. Die Foto-Montage ermöglichte es uns, Abbildungen von bescheidener Größe und Qualität zu präsentieren und damit Quellen zu berücksichtigen, die für eine Vergrößerung nicht geeignet gewesen wären. Schließlich konnten wir durch das Verfahren der Montage auch zwei Probleme pragmatischer Art lösen. Denn zum einen verfügte die Ausstellung für ihre praktische Umsetzung nur über ein eng begrenztes Budget, das uns nicht erlaubt hätte, Hunderte von Abzügen anzufertigen. Dagegen musste die Montage, nachdem sie zusammengestellt war, nur einmal gedruckt werden, also insgesamt rund 20 Exemplare. Zum anderen war es von Anfang an unsere Idee, die Ausstellung reisen zu lassen, weshalb die Tafeln möglichst kostengünstig transportiert und wieder aufgebaut werden sollten. Mit einer solchen Wanderausstellung konnten Bilder, die in selten frequentierten Archiven schlummern, von einem nicht universitären Publikum erlebt und das Thema des Trägers in einem geografischen Kontext, wo bis vor kurzem das Tragen noch praktiziert wurde, wahrgenommen werden. So sollte die Ausstellung, die auf La Réunion mit Hilfe von Partnern vor Ort konzipiert worden war, in entlegenere Gegenden reisen, wo selten größere Ausstellungen präsentiert werden. Die 22 Schautafeln mit den Foto-Montagen lassen sich sehr leicht auf- und abhängen, auch in Sälen, die kleiner sind als die beiden Bibliotheken, in denen sie erstmalig gezeigt wurden. Schließlich ermöglichte das Verfahren der Montage, verschiedenartige Exponate für die Ausstellung zusammenzufügen. So wurden Fotos, Lithografien und Postkarten zusammengestellt, die dem Illustrationstypus der jeweiligen Epoche entsprechen. Begleitend zu den Abbildungen wurden Textpassagen und

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Becker, Howard: „Les photographies disent-elles la vérité?“. In: L’Ethnographie française. Nr. 3-1 (2007), S. 38.

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Zitate in die Rahmen eingefügt, wovon die meisten aus André Gides9 Kongoreise stammen. Dieses Puzzle aus Texten und Bildern wurde schließlich mit Untertiteln versehen, die dem Publikum eine Orientierung innerhalb der Ausstellung an die Hand gaben. Mit diesem Mosaik aus Fragmenten zur Wirklichkeit des Tragens sollte das Publikum aufgefordert werden, über den Bezug der einzelnen Dokumente zueinander nachzudenken.

K ULTURELLE V ERMITTLUNG : W ELCHE G ESCHICHTE DES T RAGENS SOLL ERZÄHLT WERDEN ? E RLÄUTERUNGEN ZUM P ARCOURS DER A USSTELLUNG In ihrem Handbuch Concevoir et réaliser une exposition 10 (Eine Ausstellung konzipieren und realisieren) unterscheidet Benaiteau zwei Arten von Ausstellungen. Bei dem ersten Typus werden Kunstwerke ausgestellt, die von sich aus auf das Publikum wirken sollen. Dieser Hängung von Kunstwerken kann pädagogisches Material beigefügt werden, oder man lässt die Werke anhand einer vorgegebenen Anordnung der Exponate miteinander in Beziehung treten. Der zweite Typus hat keinen zwangsläufig ästhetischen Anspruch. Eine solche Ausstellung will eine „Botschaft“ mit wissenschaftlichem Hintergrund vermitteln. Dem Publikum werden Dokumente präsentiert, die Auskunft über die Welt geben. Diese Dokumente werden von ausführlichem pädagogischen Material, von Erklärungen und verständnisfördernden Kontexten begleitet. Im Unterschied zum Kunstwerk sprechen die Dokumente nicht für sich allein. Auch wenn beide Ausstellungstypen häufig kombiniert werden, ist diese Differenzierung wichtig, um den Ansatz bei der Präsentation der Exponate zu verstehen. Nach Abschluss der Recherche und Gestaltung der Schautafeln erschienen uns diese letztlich doch nicht ohne ästhetischen Wert. Manche Fotos, die mit einem eher künstlerischen als wissenschaftlichen Blick aufgenommen wurden (wir werden auf diese Nuancierungen später zurückkommen), schienen fast für sich selbst zu sprechen. Immerhin vermochte schon allein das Thema der Ausstellung ein größeres Publikum anzuziehen und Fragen aufzuwerfen. Die Fotos waren nicht neutral, daher galt es, diese Subjektivität zu erläutern und das

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Gide, André: Voyage au Congo suivi du retour du Tchad. Paris, Gallimard, 1927/1937; Gide, André: Gesammelte Werke 5: Reisen und Politik. Bd. 1: Kongoreise u. a. (übersetzt von Gertrud Müller, Christiane Brockerhoff und Ralph Schmidberger). Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1992.

10 Benaiteau, Carole: Concevoir et réaliser une exposition. Paris, Eyrolles, 2016.

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Lastentragen in den Kontext einer Epoche sowie verschiedener geografischer Räume zu stellen. In diesem Sinne erinnert Cécile Tardy daran, „dass die Fotografie letztlich zurückverweist auf den spezifischen Akt eines fotografierenden Beobachters, so dass man das Bild nicht ohne Bezug auf diesen denken kann“11. Es galt also, diese Bezüge zwischen Bildern und deren Urhebern als Produkte einer bestimmten Epoche und deren sozialen Werte zu schildern. Bourdieu erklärt seinerseits, „Das adäquate Verständnis eines Photos […] stellt sich nicht allein dadurch her, daß man die Bedeutungen übernimmt, die es verkündet, d.h. in gewissem Maße die expliziten Absichten ihres Urhebers; man muß auch jenen Bedeutungsüberschuß entschlüsseln, den es ungewollt verrät, soweit es an der Symbolik einer Epoche, einer Klasse oder einer Künstlergruppe partizipiert.“12 In diesem Sinne war es erforderlich, einen Parcours für das Publikum zu entwerfen, der ausgehend von einem allgemeinen Blick auf den Träger und das Tragen hin zu immer spezifischeren Situationen gelenkt würde. Diese Bewegung vom Allgemeinen zum Lokalen erlaubte auch eine zunehmende Kontextualisierung mit informativen Elementen, die das Verständnis beim Betrachten der Fotos unterstützt. Bei der Redaktion der Begleittexte musste man doppelte Rücksicht nehmen. So galt es, sowohl die moralischen Rechte an den ausgestellten Dokumenten durch die Nennung der Quellen als auch die wissenschaftlichen Anforderungen des Bibliografierens zu respektieren. Die Bildunterschriften zu den Fotos wurden durchgängig ins Französische übersetzt, um die Kontextualisierung zu unterstützen. Die wichtigste Arbeit bei der Präsentation der Ausstellung bestand jedoch im Entwurf einer Art Szenario mit einer Struktur aus Kapiteln und zusammenfassenden Texten. Erste Etappe zur Einführung: Nach einer allgemeinen Einführung zum Kontext und zur Intention der Ausstellung wird zunächst die Tradition des Tragens in der Welt beleuchtet, ohne Bezug auf eine bestimmte Epoche oder ein geografisches Gebiet. Dieser globale Aspekt des Tragens wird anhand von zahlreichen Fotos und einer Reihe von Werbepostkarten illustriert. Es geht darum, das Tragen als Gemeinplatz in der Geschichte der Menschheit darzustellen, wobei die Bilder keinerlei Kontextualisierung benötigen. In dieser ersten Etappe soll

11 Tardy, Cécile: Einführung. In: dies.: Représentations documentaires de l’exposition. Paris, Hermann, 2012. 12 Bourdieu, Pierre: Un art moyen, essai sur les usages sociaux de la photographie. Paris, Les éditions de Minuit, 1965, S. 25 [Deutsch: Bourdieu, Pierre & Boltanski, Luc u.a (Hg.): Eine illegitime Kunst. Die sozialen Gebrauchsweisen der Photographie. Frankfurt/M., Europäische Verlagsanstalt, 1981, S. 18].

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auch bekundet werden, dass die Ausstellung den Einsatz des Tragens generell nicht verurteilt oder bewertet, sondern nur in den Fällen, wo dies im Kontext der sozialen Unterwerfung geschieht. Die zweite Etappe des Parcours ist abstrakter. Hier werden Panoramabilder von afrikanischen Landschaften gezeigt. Die Träger erscheinen darauf nur in der Ferne und winzig klein, wobei der Begleittext die Frage an das Publikum stellt, weshalb der Fotograf diese Art von Inszenierung wählte. Dritte Etappe: Einsatz der Träger für kommerzielle Zwecke. Unmittelbar darauf wird das Publikum damit konfrontiert, wie die Weißen bei ihren Unternehmungen zur Erforschung und Kolonisierung Afrikas das Lastentragen einsetzten. Der folgende Rahmen mit der Überschrift „Inbesitznahme der Gebiete und des Körpers der Träger“ zeigt eine einzige Lithografie 13 mit einer Karawane von Trägern, auf der die Unterwerfung des Trägers klar zutage tritt. Abb. 1: „Karawane“

Quelle: Bory, Paul: Die Eroberung Afrikas, S. 53.

13 Brunet, Paul: A l’assaut de l’Afrique par Paul Bory (pseud.). Tours, Mame, 1901, S. 53.

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Nachdem auf den ersten beiden Tafeln das traditionelle Tragen gezeigt wird, erfolgt das Lastentragen hier im Dienst einer Bevölkerung, die über die andere herrscht. Es folgen verschiedene Tafeln, die erklären, zu welchen Zwecken das Tragen in der Kolonialzeit diente. Ein erster Rahmen zeigt die verschiedenen Lasten des Trägers. Diese Fotos illustrieren sehr gut, was Paul Edwards in Soleil noir: photographie et littérature14 festhält, nämlich, dass „die Fiktion und der Reisebericht dieselbe Geschichte erzählen: die Kolonie besitzt die Voraussetzungen dafür, ein touristischer Ort zu werden“, und so richten sich die Illustrationen „an potentielle Touristen, an künftige Siedler und an Unternehmen“15, allgemein an eine Elite, die von einem touristischen oder rentablen Afrika träumt. Der nächste Rahmen zeigt die in Afrika errichteten Infrastrukturen. Das Motiv der Brücke und der Eisenbahngleise ist ein wiederkehrendes Klischee dieser Zeit, häufig von Unternehmen oder dem Staat in Auftrag gegeben, entweder im Sinne einer kommerziellen Strategie oder als Propagandamaßnahme zur Darstellung der Größe der Nation.16 Der Rahmen enthält eine Montage von Fotos, auf der keine Träger zu sehen sind. Die Infrastruktur scheint hier ganz alleine und ohne Mühe angelangt zu sein. Die explizite Frage an das Publikum lautet: Wo ist der Träger? Derart direkt befragt, sind einige Ausstellungsbesucher tatsächlich auf das Spiel hereingefallen und haben – vergeblich – den Träger auf dem Bild gesucht. Vierte Etappe: Der Träger und das Reisen. Die meisten Illustrationen, auf die wir bei unserer Recherche gestoßen sind, zeigen den Transport von Menschen. Sie erscheinen in Reise- und Forschungsberichten, in Illustrierten und auch in Werken der Missionare oder Siedler in Afrika, die von ihrem Alltag erzählen. Da sie in zahlreichen, sehr unterschiedlichen Quellen auftauchen, waren sie leicht aufzufinden, und die Herausforderung bestand darin, aus der Vielzahl identischer Bilder eine Auswahl zu treffen. Einige Topoi wurden auf Schautafeln reproduziert, vor allem die Überquerung der Flüsse, die eine solche Herausforderung darstellte, dass die Fotografen nicht müde wurden, diese Heldentat zu verewigen. Beim Betrachten der Fotos erkennt man, dass die Vorbereitungen zur Überquerung dem Fotografen genügend Zeit ließen, um sich darauf einzustellen und die beste Perspektive zu wählen, die er als Erinnerung festhalten wollte. Ein anderes Erinnerungsklischee dieser Zeit ist das Reisen in einer Hängematte. Dies ist keineswegs eine Erfindung der Europäer oder auch nur typisch

14 Edwards, Paul: Soleil Noir. Photographie et littérature. Rennes, PUR, 2008, S. 248. 15 Vgl. Edwards (2008): S. 250. 16 Vgl. Zu diesem Thema das Kapitel von Robert Pitter (S .75ff.) in dem Band Trésors photographiques de la société de géographie.

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für Afrika. Die Hängematte oder der Tragesessel waren offenbar in der Vorstellungswelt der Weißen sehr beliebt, und sie ließen sich in diesem von Menschenkraft bewegten Transportmittel stolz ablichten. In einem Zitat von André Gide wird die Begeisterung der Weißen für die Hängematte allerdings relativiert. Er erklärt, er habe eine Abscheu vor dem Tragesessel wegen der Unbequemlichkeit, aber auch weil er Verlegenheit empfinde, solcherart getragen zu werden.17 Diese Art von Fotos erinnern an heutige Bilder von Touristen, die sich in Ländern, wo dies noch möglich ist, in einer von Menschen gezogenen Rikscha fortbewegen lassen. Der nächste Rahmen löst sicher die stärkste Distanzierung aus. Er zeigt Weiße, die sich fröhlich und im Vollbewusstsein ihres Selbst auf den Schultern von Trägern transportieren lassen, um bei der Überquerung eines Wasserlaufs nicht nass zu werden. Abb. 2: „Wie der Europäer in Afrika über den Fluß geht 18 (7659/15)“

Quelle: Koloniales Bildarchiv Frankfurt/M. [Zugriff: Febraur 2018].

17 Vgl. Gide (1992): S. 120-21. Zitat: „Ich habe die fünfzehn Kilometer zu Fuß nur mit großer Mühe bewältigen können; aber mir graust immer mehr vor dem Tragsessel, in dem man unbequem hin und her geschüttelt wird und wo ich das Gefühl nicht loswerde, die Träger zu überanstrengen“. 18 URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/frames/ hauptframe. html [Zugriff: September 2016].

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Diese Bilder werden allerdings etwas nuanciert durch die Schautafel, die zwei humoristische Lithografien zu den „Gefahren des Tragens“19 zeigt. Man sieht darauf eine auf dem Boden abgestellte Sänfte. Die zwei erschrockenen Träger haben den transportierten Weißen aus Angst im Stich gelassen, der sich nun Auge in Auge mit einem Tiger befindet. Abb. 3: „Gefahren des Tragens“

Quelle: Journal des voyages et des aventures de terre et de mer. Nr. 273 (1882) [Journal der Reisen und Abenteuer zu Lande und zu Wasser].

Diese beiden nebeneinander gestellten Tafeln lösten die stärksten Reaktionen beim Publikum aus. Allerdings bilden die beiden Lithografien keineswegs eine Umkehr der Herrschaftsverhältnisse ab, denn sie zeigen gleichzeitig die Schwäche und Feigheit der Träger, die vor einer Gefahr fliehen, der sich der Weiße seinerseits mit Mut entgegenstellt. Fünfte Etappe: Der Träger als Individuum. Nach den allgemeinen Darstellungen zu den verschiedenen Facetten des Tragens in der Kolonialzeit wurden im weiteren Verlauf der Ausstellung spezifischere Kontexte beschrieben, die aus 19 Journal des voyages et des aventures de terre et de mer. Nr. 265 (1882) und Nr. 273 (1882).

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dem Träger zunehmend ein Individuum und nicht nur ein anonymes Lasttier machen. Die nächsten beiden Schautafeln beschäftigen sich mit der Situation der Frauen als Trägerinnen sowie mit dem Leben an den Lagerplätzen bei der Rast. Bis dahin waren die Träger auf den ausgestellten Bildern kaum zu identifizieren. Ob als Karawane oder im Gänsemarsch abgebildet, waren sie stets nur ein Element der Landschaft und standen nie im Vordergrund. Tatsächlich war es besonders schwer, Bilder von Frauen und von den Zeltlagern zu finden, rückte doch damit ein selten fotografiertes Motiv in den Blickpunkt. Zwei Tafeln zum spezifischen Umfeld des Himalayas vermitteln indessen eine andere Sicht auf das Lastentragen. Die Sherpas sind zunächst im Gänsemarsch vor einem Bergpanorama abgebildet, werden dann aber anschließend im Porträt als Individuen dargestellt und ihr Name in der Bildunterschrift genannt. So war es möglich, dank der geografischen Exkursion in den Himalaya jene seltenen Fotografien zu zeigen, auf denen Träger ohne Lasten als vollwertige Individuen erscheinen. Und schließlich werden auf einer abschließenden Tafel mit Fotos jüngeren Datums bei einer nicht ganz vollständigen Reise um die Welt Monumente gezeigt, die zu Ehren der Träger errichtet wurden. Sechste Etappe: Das Tragen auf der Insel La Réunion. Die Ausstellung endet mit zwei Schautafeln, die das Tragen auf La Réunion illustrieren. Die Geografie der Insel mit ihren Talkesseln, den sogenannten Cirques, die durch Bergketten von den Küsten getrennt sind, machte das Lastentragen bis in jüngster Zeit erforderlich. Die Erinnerung an das Tragen ist in den Cirques noch sehr lebendig, insbesondere im Cirque de Cilaos, wo ein Denkmal für die Träger errichtet wurde, oder im Cirque de Mafate, wo die Post immer noch von einem BriefTräger zugestellt wird. Die ausgestellten Bilder, die den lokalen Archiven entstammen, erinnern an eine noch sehr lebendige kollektive Vorstellungswelt. Dieser Ausstellungsparcours soll einen allgemeinen Überblick über die Situation der Träger vermitteln. Manche Elemente zur Realität des Tragens konnten nicht berücksichtigt werden, entweder weil sie nicht zu den gewählten Themen passen und man das Publikum nicht ermüden wollte, oder weil zu bestimmten Aspekten des Tragens keine Quellen existieren. Wie mehrfach erwähnt, richtet sich die Ausstellung an zwei Arten von Besuchern, an ein universitäres und an ein breiteres Publikum. Mit dem Verfahren der Montage und erläuternden Legenden soll der Besucher begleitet und sein Blick auf einen bestimmten Aspekt des Tragens gelenkt werden. War eine solche Vermittlung für ein universitäres Publikum aber tatsächlich erforderlich? Hätte man letztlich die Fotos für sich selbst sprechen lassen können?

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F UNKTION

UND

E INSATZ

DES

A USSTELLUNGSMATERIALS

Bei den Nachweisen zu den Fotografien kann man häufig feststellen, dass die Bildlegenden mit großer wissenschaftlicher Sorgfalt erstellt wurden. So werden jeweils geografische oder zeitliche Referenzen genannt, die das Bild in einen Bezugszusammenhang stellen. Die Fotografen hatten offenbar den Ehrgeiz, bestmöglich zu informieren und die neuen Räume zu inventarisieren. Es ist die Zeit, da mittels der Fotografie Archive geschaffen und Register erstellt wurden, wie etwa das Projekt von Albert Kahn, der zwischen 1910 und 1931 seine „Archive des Planeten“ zusammentrug, die nahezu 72 000 Autochrome und 170 000 Meter Film umfassen.20 In der Presse wurden zu dieser Zeit massiv Fotos zur Illustrierung eingesetzt. Gisèle Freund schreibt, diese Einführung der Fotografie „ändert die Sicht der Massen“, und „mit der Weitung des Blicks schrumpft die Welt“21. Diese umfängliche Illustrierung der Presse war noch jungen Datums. Da die Zeit der Erforschung Afrikas sich jedoch dem Ende zuneigte und in jene der Ausbeutung dieser neuen Territorien überging, zeigen die ausgestellten Fotos die Epoche der Kolonisierung und nicht die der frühen Afrikaexpeditionen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob die Fotos tatsächlich die Realität des Lastentragens wiedergeben oder ob sie ausschließlich Propagandamaterial im Sinne der Kolonialmacht sind. Welche wissenschaftliche Legitimierung besitzen sie? André Rouillé verweist in seinem Werk La photographie22 auf verschiedene Funktionen der Fotografie, die sich in unseren Quellen ebenfalls finden und wissenschaftlichen Anforderungen nahe kommen. Fotos archivieren eine Welt, sie ordnen sie zu Alben anhand von Schlagwörtern, wie es in den Archiven zur Kolonialgeschichte der Universitätsbibliothek von Frankfurt am Main der Fall ist. Diese Alben fügen Abzüge zusammen mit dem Ziel, einen Panoramablick auf einen bestimmten Ort zu schaffen. Und indem sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend Eingang in die Presse finden, informieren sie über die Welt. Sie sind so unwiderlegbare Beweise für die Existenz der jeweils beobachteten Dinge. Dank der Fotos weiß man, dass es Karawanen von Trägern gegeben hat, dass die Weißen regelmäßig in Hängematten getragen wurden und dass

20 Die von Albert Kahn finanzierten Archive der Welt können konsultiert werden unter: URL: http://albert-kahn.hauts-de-seine.fr/archives-de-la-planete/presentation/ [Zugriff: September 2016]. 21 Freund, Gisèle: Photographie et société. Paris, Seuil, 1974, S. 102. 22 Rouillé, André: La photographie. Paris, Folio Essais, 2005.

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diese Art des Transports in verschiedenen Gegenden der Welt existierte. Was aber wird nicht auf diesen Fotos gezeigt? Bourdieu erinnert daran, dass „die Fotografie einen Aspekt des Wirklichen fixiert, der immer nur das Ergebnis einer willkürlichen Auswahl, und damit einer Transkription ist“23. Was aber wollte man nicht auf Fotos zeigen? Becker geht in dem oben erwähnten Artikel noch weiter und stellt folgende Frage: Sagen die Fotos die Wahrheit? Für ihn ist die Fotografie „verdächtig“, „fragwürdig“, selbst und vor allem dann, wenn der Fotograf eine künstlerische Ambition verfolgt. Für ihn „tritt die künstlerische Intention in Konflikt mit der dokumentarischen Verwendung der Fotografie, denn sie beeinflusst Auswahl und Darstellung der Einzelheiten“24. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die begleitenden Fotografen bei diesen Reisen irgendeine „künstlerische Intention“ verfolgten, doch sei daran erinnert, wie schwierig es war, auch nur eine einzige Fotografie zu finden, auf der die dramatischen Folgen des Lastentragens für die Gesundheit des Trägers gezeigt werden. Dieses Foto, das im Band von Hélène de France Reisen in Afrika25 abgebildet ist, trägt die lapidare Unterschrift: Abb. 4: „Wir lagern den Verletzten“

Quelle: Hélène de France Duchesse d’Aoste: Voyages en Afrique (1913)

Es werden keine Angaben dazu gemacht, ob der „arme Verletzte“ ein Träger ist, der misshandelt wurde oder, von der befohlenen Arbeit ausgezehrt, an den

23 Vgl. Bourdieu (1981): S. 17. 24 Vgl. Becker (2007): S. 38. 25 de France, Hélène: Viaggi in Africa. Milano, Fratelli Treves, 1913, S. 337.

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Folgen des Tragens gestorben ist. Das Foto gibt dazu ebenso wenig Auskunft wie der Text. Und was ist mit den Dutzenden von Fotos, auf denen lächelnde Weiße in Sänften posieren? Von André Gide erfahren wir, dass dieses Transportmittel unbequem ist, was die Fotos der majestätischen Weißen nicht enthüllen. Man sollte daher fragen, welche Geschichten diese Bilder erzählen und welchen Absichten sie dienten. Die Fotografie ist keineswegs neutrales und unmittelbares Material, sie bedarf der Auslegung, denn sie konstituiert einen Ort der verborgenen Aussage. Philippe Dubois, der das Fotografieren vor allem als einen „pragmatischen Akt“26 sieht, fordert dazu auf, nach dem inhärenten Ziel dieser Fotos zu fragen. Bei den Reiseberichten etwa von Hélène de France konnte es vor allem darum gehen, Erinnerungen festzuhalten. Robert Pitte meint, „auf den Auslöser zu drücken, entspricht dem Willen, die Erinnerung an ein Gesicht, eine Szene oder eine Landschaft zu bewahren, und damit dem Wunsch, die vergehende Zeit aufzuhalten“27. In diesem Willen, sich an einen bestimmten Augenblick zu erinnern, erkennt man auch eine persönliche Beziehung zwischen der Gegenwart des Fotografen und seiner Vergangenheit: man fotografiert einen Augenblick, der nicht mehr sein wird. Man fotografiert diese langen Expeditionen von Menschen, die sich in der Landschaft verlieren, denn bald werden diese unberührten Flächen beherrscht sein ‒ so sieht es zumindest das Projekt der Kolonisierung vor. Man fotografiert Träger, die sich in einen Bach stürzen, um sich abzukühlen, denn bald wird man wieder aufbrechen müssen. Man lässt sich mit einem Affen auf dem Arm fotografieren, in einem Tragesessel, denn bald wird man dieses Foto in einem komfortablen Salon in Europa für seinen Bekanntenkreis ausstellen. Dies erklärt auch, warum man sehr wenige Einzelaufnahmen von Trägern findet: Sie waren bei diesen Expeditionen einfach anonyme Statisten ‒ welcher Fotograf hätte sich an ihr Porträt erinnern wollen? Häufig ist jedoch auf dem ausgestellten Material kein Bezug des Fotografen zu sich selbst vorhanden. Hier handelt es sich vor allem um das Anliegen eines Auftraggebers im Dienste einer Ideologie oder eines Handelsunternehmens. Diese Fotos sind als Reklameapparat, als Werbung bezüglich eines Auftrags gedacht. Ein offenkundiges Beispiel für eine solche Werbekampagne ist dieses Foto, das im Auftrag der Faktorei der Firma F. Oloff & Co. aufgenommen wurde.

26 Dubois, Philippe: L’acte photographie. Paris, Nathan, 1990, S. 9. 27 Pitte, Robert. In: Loiseaux, Olivier (Hg.): Trésors photographiques de la société de géographie. Paris, BNF / Glénat, 2006, S. 75.

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Abb. 5: Faktorei der Firma F. Oloff & Co. In Lome/Togo, hier: Hammochreise nach Danoe, 27.8.1906

Quelle: Koloniales Bildarchiv Frankfurt/Main [Zugriff: Februar 2018].

Im Mittelpunkt posiert ein kränklich wirkender Weißer mit in seiner Hängematte, umgeben von seinem Personal. Die Ananas, die ihm die schwarze Angestellte reicht, scheint ihm für seine Genesung sehr nützlich zu sein. Insgesamt sollte ihn diese Pose als Familienvater inmitten seiner gehorsamen und gefügigen Hausangestellten zeigen, doch wird das erwünschte Ergebnis, vermutlich aufgrund des Gesundheitszustands des Weißen, nicht unbedingt erreicht. Darin besteht vielleicht ein wesentlicher Trumpf der Fotografie als Analysematerial, nämlich, dass sie zuweilen unwillentlich etwas preisgibt. Lange galt sie als objektiver Spiegel einer Wirklichkeit, bis eine solche Objektivität in Frage gestellt wurde; dennoch bewahrt die Fotografie eine Spur des Wirklichen, eine Spur, die der Fotografen aus einem bestimmten Grund gewählt haben, oder die unabhängig vom Willen des Fotografen auftauchen kann. Ob vom Fotografen beabsichtigt oder nicht, immer erscheint auf dem Foto das Zeugnis dessen, „was war“28. In seinem Werk La chambre claire/Helle Kammer stellt Roland Barthes zwei Arten von Fotografie einander gegenüber, die auf unsere Quellen angewendet werden können. Er unterscheidet zwischen Fotos der Kategorie studium, die das

28 Barthes, Roland: La chambre claire, Note sur la photographie. Paris, Seuil, 1980 [Deutsch: Helle Kammer. Bemerkung zur Photographie. Aus dem Französischen von Dietrich Leube. Frankfurt/M., Suhrkamp, 1989].

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Ziel haben, „zu informieren, abzubilden, zu überraschen, zu bedeuten, Lust zu machen“ 29 mit allen erforderlichen Vorbehalten, die bei der Auslegung von Bildern angebracht sind. Es gibt aber auch andere Fotos, die er der Kategorie punctum zuordnet und wie folgt definiert: „Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft)“30. Die Ausstellung zeigte letztlich ein Material, das aufgrund seiner Quellen (Archive, Universitätsbestände) für das studium bestimmt ist und so ein neues Publikum erreichen und anrühren soll. Das punctum findet sich vielleicht in den bloßen Händen des jungen Sherpa, der einen warm eingepackten Forschungsreisenden auf seinem Rücken trägt, oder im unerträglichen Lächeln auf dem fröhlichen Gesicht eines Soldaten, der sich auf Schultern tragen lässt und dessen Träger zu drei Vierteln im Wasser steht, oder aber, und dies ist dem Publikum dieser Ausstellung auf La Réunion vielleicht näher, im Blick eines Hafenarbeiters, der sich zu einer Pause auf den ‚Gonis‘ niedergelassen hat, jenen mehrere Dutzend Kilo schweren Jutesäcken, die beim Entladen der Schiffe auf den Schultern transportiert werden. So haben diese Bilder, auch wenn sie nicht mit diesem expliziten Ziel aufgenommen wurden, zumindest insofern der Sache der Träger gedient, als diese nunmehr sichtbar sind. Abschließend sei daran erinnert, dass diesen fotografischen Quellen zumindest wegen eines besonderen Aspekts zu vertrauen ist: sie sind anrührend. Wenn man darauf Hunderte von Trägern sieht, zumeist im Hintergrund, die als Einzelperson ignoriert und nur als anonyme Masse präsentiert werden, kann man nicht umhin, von deren Dasein ergriffen zu werden. Diese Fotoausstellung ermöglicht es, ihre Rolle und ihre Gesichter ins Licht zu rücken, wobei wir bei der Darstellung ihrer Wirklichkeit keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Diese Fragmente wären durch weitere schriftliche, auditive oder visuelle Quellen zu den Trägern zu vervollständigen, wobei es hoffentlich noch nicht zu spät dafür ist, dass eines Tages deren eigener Blick auf das Tragen indexiert, fotografiert und registriert werden kann. Denn die gezeigten Bilder haben letztlich alle eines gemeinsam: Sie wurden von Weißen aufgenommen. Man stelle sich vor, welches Bild vom Tragen und von den Trägern man heute vor Augen hätte, wenn ihnen der Fotoapparat anvertraut worden wäre, und zwar nicht nur, damit sie diesen auf ihren Schultern tragen… Übersetzung: Erika Mursa

29 Vgl. Barthes (1989): S. 49. 30 Vgl. Barthes (1989): S. 35.

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L ITERATUR Barthes, Roland: La chambre claire, note sur la photographie. Paris, Seuil, 1980 [Deutsch: Helle Kammer. Bemerkung zur Photographie. Aus dem Französischen von Dietrich Leube. Frankfurt/M., Suhrkamp, 1989]. Becker, Howard: „Les photographies disent-elles la vérité?“ In: L’Ethnographie française. Nr. 3-1 (2007), S. 33-42. Benaiteau, Carole: Concevoir et réaliser une exposition. Paris, Eyrolles, 2016. Benjamin, Walter: Petite histoire de la photographie. Paris, Allia, 2015. Bourdieu, Pierre: Un art moyen, essai sur les usages sociaux de la photographie. Paris, Les éditions de Minuit, 1965. Conord, Sylvaine: „Usages et fonctions de la photographie“. In: L’Ethnologie française. Nr. 37-1 (2007), S. 11-22. Dubois, Philippe: L’acte photographique. Paris, Nathan, 1990. Edwards, Paul: Soleil Noir. photographie et littérature. Rennes, PUR, 2008. Freund, Gisèle: Photographie et société. Paris, Seuil, 1974. Gervereau, Laurent: Voir, comprendre, analyser les images. Paris, La Découverte, 2004. Gide, André: Voyage au Congo suivi du retour du Tchad. Paris, Gallimard, 1927/1937. Gide, André: Gesammelte Werke 5: Reisen und Politik, Bd. 1: Kongoreise u.a. (übersetzt von Gertrud Müller, Christiane Brockerhoff und Ralph Schmidberger, Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1992. Loiseaux, Olivier (Hg.): Trésors photographiques de la société de géographie. Paris, Bibliothèque Nationale de France & Grenoble, Glénat, 2006. Piette, Albert: „Fondements épistémologiques de la photographie“. In: Ethnologie française. Nr. 37-1 (2007), S. 23-28. Rouillé, André: La photographie. Paris, Folio Essais, 2005. Tardy, Cécile: Représentations documentaires de l’exposition. Paris, Ed. Hermann, 2012.

Träger in Südamerika

Narrative der Träger Die Konstruktionen von Hierarchien in Amerika von der Conquista bis in das 19. Jahrhundert in deutschsprachigen Quellen L UDOLF P ELIZAEUS

E INLEITUNG Tragen und Getragenwerden weisen in Lateinamerika eine Kontinuität in vorund nachkolonialer Zeit auf. Dies ist bemerkenswert, denn nach der europäischen Expansion benutzte man in dem hier zu betrachtenden Zeitraum neben den menschlichen Trägern in erheblich größerem Umfang Lasttiere als zuvor. Trotz der Bedeutung der Träger ist auch für Amerika die Überlieferung von Zeugnissen über diese Gruppe eher schlecht, und es ist nicht einfach, die einzelnen Figuren scharf herauszuarbeiten. Die folgenden Ausführungen fokussieren nun spezifische Träger, widmen sich deren Entwicklungslinien und verschiedenen regionalen Schwerpunkten, wobei für die Analyse sowohl Texte als auch Bilder herangezogen werden.1

1

Wie hoch dabei die erkenntnistheoretischen Funktionalitäten von Bildern und Texten sind, auf welche Weise Narrative gefunden werden können oder ob gar von einem „systematische Vorgehensweise, ein epistemischer Rhythmus in formaler Anordnung“ gesprochen werden kann, wie dies Lorenz in Bezug auf die Neubewertung der Tagebücher von Alexander von Humboldt vorgeschlagen hat, bleibt noch zu diskutieren. Vgl. Hey’l, Bettina: Das Ganze der Natur und die Differenzierung des Wissens. Alexander von Humboldt als Schriftsteller. Berlin, New York, De Gruyter, 2007, S. 214-226. Ebenso, aber auch nur als Vermutung: Lenz, Markus Alexander: „Bewegte Systematik. Alexander von Humboldts Amerikanische Reisetagebücher als Problemfelder der Literaturgeschichte und historischen Epistemologie“. In: HiN. XVI, 31

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Im folgenden Aufsatz gehen wir der Entwicklung der verschiedenen Sichtweisen auf die Trägerinnen und Träger in der Frühen Neuzeit nach. Ausgangspunkt ist dabei die Expansion nach Lateinamerika als Beginn der kolonialen Auseinandersetzung mit dieser Realität. Es wird eine Epoche untersucht, in der sich die Diskursformationen herausbildeten, die sich sodann im europäischen Kolonialismus zu einer Semantik verfestigten. Denn Determinierung kultureller Differenz ist der Frühen Neuzeit als Vorstellung nicht unbekannt, allerdings ist sie auch bei der Einordnung des „Trägers“ noch nicht mit rassischen Theorien und festgelegten kulturellen Charakterisierungen verbunden, wie dies in der Folge der Expansion des 19. Jahrhunderts der Fall sein wird.2 Somit ist bei der Untersuchung von Differenzen der Frage nach Kontinuitäten und Brüchen in der Rezeption nachzugehen. In einem ersten Schritt wird ein Überblick über den Einsatz von Trägern in Lateinamerika unternommen werden, um uns dann der Konstruktion eines Bildes anhand von Texten und Bildern aus dem deutschsprachigen Raum zuzuwenden. Das Zeitfenster umfasst die historische Epoche von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis in das ausgehende 18. und frühe 19. Jahrhundert sowie einen Ausblick in das frühe 20. Jahrhundert. Die von uns konsultierten publizierten Quellen, die einen Überblick ermöglichen sollen, führen von Theodor de Bry über die Übersetzungen spanischer Reiseliteratur bis hin zu den Tagebüchern Alexander von Humboldts und zu Hugo Brehme als Fotografen in Mexiko. Dabei ist vorweg zu schicken, dass einzelne Nennungen von Trägern sehr spärlich sind und es dementsprechend galt, einschlägige Archiv- und Textmaterialien zu finden und diese dann zusammen zu führen. Es kann als Ergebnis festgehalten werden, dass bereits im 16. Jahrhundert für den deutschsprachigen Raum ein Narrativ konstruiert worden ist, welches sich als wirkungsmächtig für die folgenden Jahrhunderte bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein erweisen sollte. Um nun der Genese der Wirkungsdominanz nachzugehen, widmet sich die folgende Analyse den Metaphern, den epistemologischen und bildlichen Konstruktionen dieses Narrativs. Methodisch werden wir drei Schritten vorgehen: Zunächst wird in einem Überblick auf die Einsatzorte der Träger in Amerika, und dabei insbesondere in

(2015), S. 78-104, hier S. 89-91. „[…] möglicherweise überschreitet Humboldt in einer epistemischen Überforderung bereits im Erkenntnisraum der Tagebücher ganz neukantianisch die Apriorizität raumzeitlicher Anschauung […]“. 2

Messling, Markus & Ette, Ottmar: Einleitung. In: dies. (Hg.): Wort Macht Stamm. Rassismus und Determinismus in der Philologie (18./19. Jahrhundert). München, Wilhelm Fink, 2013, S. 11-30.

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Lateinamerika, eingegangen. Anschließend werden wir uns der Sicht deutschsprachiger Autoren in der ersten Phase der Eroberung und schließlich im letzten Abschnitt im Zeitalter der Aufklärung zuwenden.

G ESCHICHTE

UND

E INSATZ

DER

T RÄGER

IN

A MERIKA

Wie bereits erwähnt, besteht die Besonderheit Lateinamerikas in Bezug auf die Verwendung der TrägerInnen in der Frühen Neuzeit darin, dass sich die Expansion in Zusammenhang mit ihrer Nutzung vor der Ankunft der Europäer in großer Zahl und verschiedenen Regionen vollzog. In Mittelamerika, besonders aber im andinen Raum waren die befestigten Straßen für die Nutzung durch Träger gebaut worden.3 Damit verdankten die Inkas und später die europäischen Eroberer ihr räumliches Vordringen einem bereits gut organisierten Trägersystem. Der Kreis schließt sich mit dem Tourismus des 20. und 21. Jahrhunderts in Peru, wo gerade in den letzten Jahren die indigenen TrägerInnen für die europäischen oder US-amerikanischen Besucher wieder sehr wichtig werden, die Gepäck auf vorkolumbinen Wegen tragen.4 Wenngleich die Träger also nicht erst durch die Europäer zu den wichtigsten Übermittlern von Waren, Nachrichten, Informationen und Gepäck geworden sind, so scheint es doch, dass auch im vorkolumbinen Amerika ihr sozialer Status vielfach nicht besonders hoch war. Ausgenommen von dieser Regel waren Träger, die hochgestellte Persönlichkeiten trugen.5 Das Fehlen von Schriftquellen für Südamerika erschwert die Beurteilung darüber, wie Träger in vorkolumbiner Zeit gesehen und bewertet wurden, doch finden sich bereits in der Mochica Zeit vor den Inkas Figuren von Trägern als Keramikskulpturen. (Abb. 1) Somit kann man annehmen, dass auch ihre Bedeutung für den Aufbau

3

Guadalupe Martínez, Martínez Qhapaq Ñan: „El Camino Inca y las transformaciones territoriales en los Andes peruanos“. In: Ería: Revista cuatrimestral de geografía. Nr 78-79 (2009), S. 21-38, hier S. 22-30; Catepillán, Ximena & Szymanski, Waclaw: „Counting and Arithmetic of the Inca“. In: Revista Latinoamericana de Etnomatemática. Bd. 5, Nr. 2 (2012), S. 47-65, hier S. 50.

4

Vgl. Angebote auf Internetseiten oder im Heft „Mobil“ der DB. Vgl. van den Berghe, Pierre L.: „El Camino Inca: a Profile of Cuzco Tourists“. In: International journal of hospitality and tourism administration, 1, Nr. 3-4 (2000), S. 99-110.

5

Zwar gibt es eine umfangreiche Literatur zu den Straßen der Incas, nicht aber zu den Trägern, die sie bevölkerten. Vgl. Guadalupe Martínez (2009): S. 30-38.

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einer kolonialen bzw. dann auch imperialen Infrastruktur schon in dieser Zeit, also lange vor der Ankunft der Europäer, bestand.6 Abb. 1: Träger (Tonfigur)

Quelle: Smlg. Everett Rassiga, Mexiko Colima, Ethnologische Museen der Staatlichen Museen Berlin, URL: http://www.smb-digital.de/ [Zugriff: Februar 2018]

Damit verbunden ist die Hervorhebung des Motivs des ‚Getragenen‘, welches sich zumindest bereits für die Expansion in der Inkazeit nachweisen lässt.7 Insofern ist das Tragen und der Zuweisung von Bedeutung und Verantwortung durch das Getragenwerden dem Inkareich nicht fremd. Der entscheidende Unterschied liegt aber im Prozess der Kommunikation des Aktes selber. Dabei

6

Sanchez Montanes, Emma: La céramica precolumbina. El barro que los indios hicieron arte. Madrid, Anaya, 1988, S. 17, 45, 49, 93. Zu Atlanten in der präkolumbinen Kunst: Kubler, George: Arte y architectura en la America precolonial. Madrid, Cátedra, 1986, S. 314-315.

7

Neben der altamerikanischen Kunst überliefern die Abbildungen in dem erst am Anfang des 20. Jahrhundert als Manuskript wieder entdeckten Werk von Guaman Poma de Ayala, verfasst zu Anfang des 17. Jahrhunderts, in einigen Bildern einen Eindruck von der Figur des Trägers. Guaman Poma: Nueva corónica y buen gobierno (1615) auf der Seite der Dänischen Königlichen Bibliothek Kopenhagen: URL: http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/387/es/text/?open=id3087886 [Zugriff: 16.06.2017].

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wurde eine Grundstruktur aufgebaut, in welcher der Träger als Führer, als Übersetzer und eben als eigentlicher Träger fungierte. Dies erklärt sich dadurch, dass sich im Inkareich die von Cuzco kommenden Verwalter ähnlichen Sprachbarrieren, geographischen Hindernissen und Transportproblemen gegenüber sahen, wie später die Spanier, weil hier wie dort das Reich in nur wenigen Jahren seit dem Ende des 15. Jahrhunderts sehr gewachsen war.8 Es kann somit als eine Grundmotivation kolonialen Handelns, nicht aber als europäisches Spezifikum angesprochen werden, dass das Transportieren von Verwaltern der Zurschaustellung von Überlegenheit diente.9 Im spanischen und portugiesischen Kolonialreich war dann in der Folge der Träger zunächst für die langen Eroberungszüge im 16. Jahrhundert erforderlich. Mit der Einrichtung einer Verwaltung und infolge weiterer Kriegszüge im 17. und 18. Jahrhundert nahm die Zahl an beschäftigten Trägern, insbesondere als Transporteure von Lasten, zu denen auch das in Mexiko und Peru (heute Bolivien) geförderte Silber gehörte, immer mehr zu. 10 Aufgrund der Abschottung Lateinamerikas durch die spanische Regierung und die Inquisition reisten hingegen nur wenige Europäer nach Lateinamerika. Zwar unterhielten Menschen aus fernen Ländern vielfältige Kontakte zu lateinamerikanischen Geschäftspartnern und lebten trotz der Handelsverbote auch dort, wenn auch in geringer Zahl. Aber das Reisen galt aufgrund der Gesetzeslage im Allgemeinen doch als zu risikoreich. Dies verhinderte aber keinesfalls, dass ein großes Interesse an Lateinamerika bestand und die europäische Leserschaft Informationen aus Übersee wünschte.11 Doch sollte es

8

Vgl. seit 1471 die Expansion in den Tawantinsuyu. Es ist wichtig, dass man bei den Diskussionen über europäischen Rassismus, Exklusion, Diskurse von kultureller Hegemonie nicht aus den Augen verliert, dass dies nicht alleine Diskurse waren, die Europäer über unterworfene Völker führten, sondern sich auch außereuropäisch entwickelten. Lynch, Julieta: „Una aproximación cronológica al centro administrativo Hualfín Inka, Catamarca, Argentina“. In: Revista española de antropología americana. Nr. 42, 2 (2012), S. 321-337, hier S. 322-323.

9

Tragen als Symbol von Überlegenheit: „Dibujo 133. El consejo del Ynga: Inkap rantin qhapaq apu, el gran señor que reemplaza al Ynga; Guaman Chaua, excelentísimo señor“. Guaman Poma (1615): S. 342.

10 Zu den Silberminen vgl. Pedro Damián Cano: La minería en las Indias Españolas y la mita de minas, Revista de la Inquisición: (intolerancia y derechos humanos). Nr. 19 (2015), S. 199-218, hier 199-207. 11 Zu den Begrenzungen für Ausländer, Lateinamerika zu betreten: Palmiste, Clara: „Aspectos de la circulación de libros entre Sevilla y América (1689-1740). In: Escudero, Antonio Gutiérrez & Laviana Cuetos, María Luisa (Hg.): Estudios sobre Amé-

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noch bis zum 19. Jahrhundert dauern, bis Lateinamerika Reisende aus Europa empfing, die dann auch der Dienste von Trägern bedurften. Erst ab diesem Moment kam es zur häufig anzutreffenden Funktion des Trägers wie in Afrika, der nämlich als Mittler für die ‚Erforschung‘ der Strecke eingesetzt wurde, da nicht mehr Transport an sich, sondern die Weitergabe von Erlebtem und von Gesehenem im Zentrum des Interesses der Reisenden stand. Die besseren Möglichkeiten der Veröffentlichung und der Beginn der Entstehung von Reiseführern hatten dazu geführt, dass Nachrichten eher ‚überprüfbar‘ sein mussten.12 Nach der europäischen Eroberung konnten Träger in Lateinamerika im Rahmen der so genannten Mita 13 für Dienste rekrutiert werden, wobei dies durchaus an vorspanische Traditionen anknüpfte. Für das Verständnis des Umgangs mit Trägern im 19. Jahrhundert ist es besonders wichtig, auf die lange Tradition der Institution Träger einzugehen. In vorkolonialer Zeit war es üblich, dass Menschen Lamas und Alpakas begleiteten, wobei sich die Transportmengen mit der Einführung des Pferdes änderten, weil man nun einerseits mehr Lasten mitgeben und andererseits auch Menschen reiten lassen konnte, während die Lamas und Alpakas keine Menschen zu tragen vermochten, die ihrerseits zuvor stets mit Sänften getragen worden waren. Nach der Einführung des Pferdes waren es vornehmlich Nahrungsmittel und Ausrüstungsgegenstände, welche die Träger mitzuführen hatten. Es konnten aber auch ganze Schiffe sein, wie dies für Panama gilt, wo meerestaugliche Schiffe beträchtlicher Größe von Mexiko über Land gebracht wurden, um im Pazifik nach Peru zu fahren. Im Umfang am wichtigsten waren aber die Edelmetalle,

rica, siglos XVI-XX: Actas del Congreso Internacional de Historia de América. Sevilla, Asociación Española de Americanístas, 2005, S. 831-842. 12 Zu Reisenden im 19. Jahrhundert: Achenbach, Sigrid (Hg.): Kunst um Humboldt: Reisestudien aus Mittel- und Südamerika von Rugendas, Bellermann und Hildebrandt im Berliner Kupferstichkabinett. Ausstellungskatalog Kupferstichkabinett Staatliche Museen zu Berlin. München, Hirmer, 2009. 13 Von hundert Indigenen mussten vier Dienste in den Minen in Peru leisten. Die Einsatzorte wurden von den Criollos oder den Spaniern bestimmt und waren verpflichtend. In Peru alsMita bezeichnet, hieß die, teilweise entlohnte, Zwangsarbeit in Mexiko meist Cuatequil (wo Nahua vorherrschend war), wo auch weniger Indigene eingesetzt wurden. Dabei wurde in Peru auf die Tradition aus vorspanischer Zeit zurückgegriffen, auch in Bezug auf die Rekrutierung. Diese erfolgte nicht persönlich, sondern in Bezirken, und die indianischen Gemeinden hatten die zu stellenden Leute selbst auszuwählen. Cano (2015): S. 211-212.

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vornehmlich Silber, das aber keinesfalls nur in die Häfen für den Abtransport nach Europa, sondern auch in großen Mengen im Kontinent transportiert wurde“.14 Aufgrund der dünnen Luft und der starken Höhenunterschiede, gerade in Peru zwischen Potosí und dem Hafen Callao, ergaben sich neben der körperlichen Belastung durch das zu tragende Gewicht auch weitere gesundheitliche Probleme. Träger waren in vorkolumbiner Zeit bereits von großer Bedeutung für Kommunikation, Wirtschaft und Verwaltung gewesen.15 Nach der Eroberung nahm die Bedeutung der Träger aber zu, da die Europäer aufgrund der klimatischen Bedingungen bereits ohne Lasten die Strecken kaum bewältigten und Mobilität allein mit Hilfe der Träger möglich war.16 Die langen Strecken bedingten Trägerdienste über einen längeren Zeitraum. Neben den Trägerdiensten für die Begleitung von Europäern waren die Träger von zentraler Bedeutung für den Transport von Edelmetallen. In den großen Minen in Südamerika arbeiteten drei Gruppen von Bergleuten, nämlich Personen spanischer, afrikanischer und indigener Herkunft. Nur für die Indigenen galten, wie sonst in Lateinamerika, bestimmte Schutzbestimmungen für die Arbeit in

14 In Mexiko dominierte der „Camino Real de Tierra Adentro“ oder „Camino de la Plata“ (Silberweg), der zunächst von Mexiko Stadt über Zacatecas bis Santa Fe (Nuevo México) führte. In die andere Richtung lief der „Camino de Europa“ oder „Camino de los Virreyes“ (Weg der Vizekönige), der México Stadt mit Veracruz verband. In Lateinamerika war es der Camino de la Sierra o Correo de Lima, der über die Inkaroute des Chinchasuyo lief und sich vom Norden bis Südosten über 5200 Kilometer streckte und Cartagena de Indias in der Karibik mit Buenos Aires verband. Im Vizekönigreich Peru liefen die Routen für den Export über Land zu den Häfen von El Callao (Lima) und Arica, von wo aus das Metall über den Seeweg bis Panamá und dann über den Landweg bis zum Atlantik gebracht wurde. Margarita Villalba Bustamante: „El trabajo en las minas de Guanajuato durante la segunda mitad del siglo XVIII“. In: Estudios de historia novohispana48 (2013), S. 35-83, hier S. 72-75. 15 Delgadillo, J. Mendoza: „Del Batolito a un monumento: Machu Picchu“. In: Studia geologica salmanticensia 49, 2 (2013), S. 157-190, hier S. 181-190. 16 Im Mexiko entstand aus den verschiedenen indigenen Gruppen des 16. Jahrhunderts durch Verheiratungen eine eigene Gruppe, die sich auf Spanisch verständigte und sich von ihrer Herkunftskultur absonderte. Dies gilt für Peru erheblich weniger, da es einmal mehr Indigene waren und zudem Aymara und Quechua als Sprachen eine weite Verbreitung besaßen, so dass diese intern als Kommunikationsmittel dienten. Cano (2015): S. 210, 215. Restall, Matthew: The Maya world: Yucatec culture and society, 1550-1850. Stanford, 1999, S. 41-51.

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den Minen, die also für afrikanischstämmige Menschen noch härter war. Indigene waren beispielsweise ausdrücklich vom Wasserschöpfen in den Minen ausgenommen, da das Tragen der Wassereimer allein von Sklaven oder ‚anderen Personen‘, wie verurteilten Mestizen, durchgeführt werden sollte, was aber oft nicht eingehalten wurde.17 In den Bergwerken gilt es zwei Gruppen von Trägern zu unterscheiden: Zunächst die Träger innerhalb der Bergwerke, so die Bergleute, die das Heraustragen des Gesteins zur Aufgabe hatten. Dazu zählten auch Kinder, die in den vielfach niedrigen Stollen eingesetzt wurden, während den Frauen die Aufgabe der Familienversorgung zugewiesen wurde.18 Die andere Gruppe von Trägern, die cumuris, leisteten die Trägerdienste von den Minen weg zu den Verschiffungsstellen. 19 Aufgrund dieser Arbeitsstruktur, die lange Abwesenheit der Männer mit sich brachte, war es unabdingbar, dass auch die Frauen einer entlohnten Arbeit nachgingen, um die Schwankungen, die sich bei der Metallgewinnung ergaben und für die Familien zu Verdienstausfall führten, wenigstens abmildern zu können. Rechtsgrundlage für die genannte Verpflichtung der Indigenen war die aus der vorkolumbinen Zeit übernommene Verpflichtung zu Diensten, die Mita. Besonders stark war die Nachfrage im 16. und frühen 17. Jahrhundert gewesen,

17 „Otro género de gente“, dies waren „mulatos, negros y mestizos condenados“, also verurteilte Mestizen. Cano (2015): S. 214. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die spanische Krone die Versklavung von Indigenen, die sich im Krieg gegen Spanien befanden und bei Kriegszügen gefangen genommen waren, erlaubte. Dies bedeutete, dass sich unter den Sklaven auch Indigene befunden haben können. Weiteren Misshandlungen, denen sich die Mitaverpflichteten ausgesetzt sahen, führten immer wieder zu Untersuchungen. Ein Hinweis darauf ist das Vorgehen der Krone gegen die Zahlung von „Schutzgeldern“, die sich die „Mineros“, also Criollos oder Espanoles von den Mitayos, also den Indigenen, zahlen ließen, um ihre Befreiung von bestimmten Diensten zu erreichen. Cano (2015): S. 215. 18 Die Versorgung der Familien hing von den Einnahmen, also von einer Grundentlohnung und einer Leistungszulage ab. Cano (2015): S. 217. 19 Die Bergleute, also auch die Träger indianischer Herkunft, hatten, wie sonst auch, in indianischen Orten (pueblos de Indios) zu wohnen, zu denen weder Mulatten, noch „Neger“ noch „Weiße“ Zugang hatten. De Solano Pérez-Lila, Francisco: „Die hispanoamerikanische Stadt, aus dem Spanischen übersetzt von Brunhild und Rolf Seeler“. In: Pietschmann, Horst (Hg.): Handbuch der Geschichte Lateinamerikas, Bd. 1: Mittel- Südamerika und die Karibik bis 1760. Stuttgart, Klett-Cotta, 1994, S. 555575.

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als die Metallausbeutung in Lateinamerika stark anstieg.20 Wenngleich dann die Verpflichtungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachließen, führte der ansteigende Metallbedarf am Anfang des 18. Jahrhunderts zur erhöhten Nachfrage bei der Rekrutierung von Indigenen. Wenige verpflichteten sich bei diesen Mitadiensten freiwillig, die Mehrheit wurde verpflichtet und damit oft lebenslang aus ihrem bisherigen Arbeits- und Lebenszusammenhang herausgerissen, weil eine Wiedereingliederung in den agrarischen Bereich im Anschluss nur schwer möglich war. Nach dem Überblick über die Grundlinien der Entwicklung ist es nun wichtig, sich mit der Konstruktion von Narrativen auseinander zu setzen. Mit der Ankunft der Europäer, die in den Jahren 1519 und 1535 in geringer Anzahl auf dem amerikanischen Festland landeten, nahm ein mit dem Träger verbundenes Narrativ europäischer Überlegenheit seinen Ausgang. Für die Europäer – als Beispiel seien hier die Briefe von Hernan Cortes an Karl V. angeführt – war es wichtig, den Mut und die Leistung der Spanier hervor zu heben und dabei nach Kräften die Abhängigkeit der Europäer von den Indigenen vergessen zu machen. Wenngleich zahlreiche Studien gezeigt haben, dass vornehmlich die Zusammenarbeit mit den Indigenen und die Ausnutzung von internen Konkurrenzen verbunden mit eingeschleppten Krankheiten die Hauptfaktoren für den europäischen Sieg über die altamerikanischen Kulturen waren, so wurde diese Geschichte in einem ab 1519 entstandenen und danach immer wieder erneuerten Narrativ anders erzählt.21 Dabei haben sich Mythen lange gehalten, es seien die Spanier gewesen, welche die Indigenen durch die Mitnahme von Pferden beeindruckt hätten, da sie dank des Reittieres den Eindruck von Zentauren hervorzurufen im Stande gewesen seien. Insofern war das Reisen zu Pferd stets auch ein Zeichen von Überlegenheit, im Sinne des Gegensatzes zwischen europäischem Reiter und „Unberittenem“.22 Indigene Kulturen, so ergab sich als

20 Im 18. Jahrhundert nahm der Anteil der Mita immer mehr ab, bis er um 1770 durch Verträge mit angestellten Arbeitern, den tequios ersetzt worden war, die aber nur teilweise in Geld, sondern auch in einem durch einen Anteil von Edelmetall bezahlt wurden. Da auch Indigene, Frauen wie Männer, Minenbesitzer sein durften, konnten sie Träger auch selbst anstellen. Cano (2015): S. 207. Nach Bennassar, Bartolomé: La América española y la América portuguesa, Siglos XVI-XVIII. Madrid, Akal, 2001, S. 123, wurde die Mita zwar 1719 von Philipp V. abgeschafft, das Dekret in Lateinamerika aber nie umgesetzt, so dass es bis zu den Cortes von Cádiz 1812 dauerte, bis formal auch das Ende verkündet wurde. 21 Restall, Matthew: Seven Myths of the Spanish Conquest. Oxford, 2003, S. 131-146. 22 Pferde spielen in dem Bericht eines Indigenen, dem Inka Titu Kusi Yupanki, zwar

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Gegenpaar, waren auf Träger angewiesen gewesen, Ausdruck ihrer „Wildheit“ war gewissermaßen die Abhängigkeit von Trägern, während Europäer das Pferd eingeführt hätten.23

D IE G RUNDLEGUNG

EINES

B ILDES

Um die Entstehung und Verfestigung des geschilderten Narrativs besser nachvollziehen zu können, möchten wir uns nun der Darstellung des ersten Zusammentreffens der spanischen Delegation unter Francisco Pizarro mit dem Inkaherrscher Atahualpa zuwenden,24 zu welchem sich eine divergierende Bildund Textüberlieferung herausgebildet hat. So gibt es einmal die niederländische Überlieferung mit den Illustrationen von Theodore de Bry in der Edition des Bartolomé de las Casas.25 Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der in Lüttich geborene eine Rolle. Zugleich betont er aber, dass sich niemand durch die bloße Anwesenheit der Pferde habe beeindrucken lassen. „[…] langten in Cajamarca… vierzig oder fünfzig Spanier auf ihren wohlausgestatteten Pferden an. Diese Nachricht erreichtemeinen Onkel Atau Wallpa, als er gerade daran war, in einem wenig entfernten Ort namens Huamachuco ein bestimmtes Fest zu feiern. Er brach sogleich mit seinem Gefolge auf, ohne Waffen zum Gefecht oder Harnische zum Schutz, nur mit Tumis […] um jene Art von „Lamas“ zu jagen: damit waren die Pferde gemeint…“ Yupanki, Titu Kusi: Der Kampf gegen die Spanier: ein Inka-König berichtet. Hg., mit einer Einf. vers. und aus dem Span. übers. von Martin Lienhard. Düsseldorf, Patmos, 2003, S. 34. 23 Restall (2003): S. 64-76. 24 Es ist verwunderlich, dass über das Ereignis in Cajamarca eigentlich nur wenig bekannt ist und selbst Datum und Ort umstritten sind. Cajamarca stellt einen entscheidenden Wendepunkt, ein Schanierereignis dar, da es sich um ein Zusammentreffen, ein „encuentro“ zwischen zwei Kulturen, die sich erstmals offiziell begegneten, handelte. Vermutlich hatten die Europäer den Bürgerkrieg zwischen den Söhnen Huana Capacs eigentlich erst ausbrechen lassen, nun aber trafen Atahualpa und Francisco Pizarro zusammen. Cevallos-Candau, Francisco J. & Cole, Jeffrey A. & SuarezArauz, Nicomedes (Hg.): Coded Encounters, Writing, Gender and Ethnicity in Colonial Latin America. Amherst, Univ. of. Massachusetts Press, 1994, S. 122; Menninger, Annerose: „Unter Menschenfressern? Das Indiobild der Südamerika-Reisenden Hans Staden und Ulrich Schmidl zwischen Dichtung und Wahrheit“. In: Beck, Thomas (Hg.): Kolumbus’ Erben. Europäische Expansion und überseeische Ethnien im Ersten Kolonialzeitalter 1415-1815. Darmstadt, WB, 1992. S. 63-98. 25 Der 1528 in Lüttich geborene de Bry nutzte seine Kenntnis als Kupferstecher gegen

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Protestant bereits in Nürnberg, wo ein Stich als Illustration für die 1598 erschienenen Ausgabe des „kurzgefassten Berichts“ des Dominikanermönches Bartolomé de las Casas erschien.26 (Abb. 2) Abb. 2: Gefangennahme des Inka Atahualpa in Cajamarca, in: Theodore de Bry, Illustration aus der „Brevisima Relacion“ von Bartolomé de las Casas

Quelle: Wikipedia, auf: URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_von_Cajamarca#/media/File:IncaSpanish_confrontation.JPG [Zugriff: Februar 2018]

die Spanier, nachdem ihm um 1570 wegen seines protestantischen Glaubens nachgestellt worden war. Er floh zunächst nach Straßburg, dann 1578 nach Frankfurt. Hier, wie auch in London, veröffentlichte er eine Reihe von Werken, unter denen die Illustrationen der „Kurzgefassten Beschreibung“ herausragen. Las Casas, Bartolomé de: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der westindischen Länder = Brevísima relación de la destruición de las Indias von Bartolomé de las Casas. Hg. von Michael Sievernich. Aus dem Span. von Ulrich Kunzmann. Mit einem Nachw. von Hans Magnus Enzensberger. Frankfurt/M., Insel, 2006. 26 Vgl. Höfert, Almut: Den Feind beschreiben: „Türkengefahr“ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450-1600. Frankfurt/M., Campus, 2003, S. 2426. Porras, Raúl: Atahualpa no murió el 29 de agosto, auf: URL: http://catedraporras.blogspot.com/2007/07/antologa-de-ral-porras-xxiii.html [Zugriff: 13.4.16]. Cabanillas, Retrato, S. 1.

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Zentrales Element der Radierung ist der Gegensatz zwischen dem aufgrund seiner Goldgier bis zum Äußerten entschlossenen, schwer bewaffneten Spanier einerseits und dem ihm ausgelieferten wehrlosen Indigenen andererseits.27 Bei Las Casas sucht der Indigene Atahulapa durchaus die Konfrontation mit den Spaniern und will diese zur Rede stellen, doch vergeblich, denn er wird besiegt. Im Zentrum der Darstellung nämlich befindet sich die Sänfte, getragen von Trägern, die gewissermaßen die Stütze der Macht symbolisieren, da dem Herrscher ohne Träger keine Erhöhung verliehen werden kann. Gleichwohl ist diese Darstellung auch mit einem anderen Stereotyp verbunden, dergestalt, dass die getragene Macht auch mit dem Träger fallen kann.28 Die Darstellung transportiert einerseits die ‚schwarze Legende‘ über die Grausamkeit der Spanier, andererseits die ‚unschuldige Wildheit‘ der Indigenen. Dabei fällt der Figur des Trägers eine zentrale Bedeutung bei der Konstruktion von Unterlegenheit insofern zu, als die Sänftenträger bei de Bry hilflos im

27 „Wenige Tage nachher näherte sich ihnen [den Spaniern] der Kaiser und allgemeine Oberherr dieser Länder, namens Atabaliba, nebst einer großen Menge Volks, das entweder ganz wehrlos war, oder doch nur zum Spaß bewaffnet zu sein schien. Er wusste viel davon, wie scharf ihre Schwerter, wie spitzig ihre Lanzen, wie schnell ihre Pferde oder was diese Spanier überhaupt für Leute waren, die, wenn die Teufel Gold besäßen, selbst diese angepackt und ihnen dasselbe geraubt haben würden. Als er in die Gegend kam, wo sie sich aufhielten, rief er: wo sind denn die Spanier? Laßt sie herkommen! Ich weiche nicht eher von der Stelle, bis sie mir wegen meiner Untertanen, die sie ermordeten, wegen der Örter, die sie verheerten, und wegen der Schätze, die sie mir raubten, Genugtuung geben! Darauf machten sie sich an ihn, brachten eine große Menge seiner Leute um und nahmen ihn, der in einer Sänfte getragen war, in eigener Person gefangen. Als sie ihn in ihrer Gewalt hatten, trugen sie darauf an, er solle sich loskaufen…“ Casas (2006): S. 104. 28 Nicht inkaische Soldaten oder Herrscher treten ins Bild, sondern Spanier und wilde Indianer, die sich von jenen der Abbildungen für die Karibik nicht unterscheiden. Diese Gleichsetzung ist de Bry deshalb so wichtig, weil es die Untaten der Spanier noch erhöht. Wie Todorov herausgearbeitet hat, hatte bereits Columbus immer wieder auf die Nacktheit der Indigenen verwiesen: Nacktheit ohne Scham. Damit befinden sich die Indianer in einem Zustand vor dem Sündenfall, da ihnen die biblische Scham über ihre Nacktheit noch abgeht. Gegen diese Wesen vorzugehen, ist also umso verwerflicher, wenngleich an dem Konzept der europäischen Superiorität natürlich nicht gerüttelt wird. Todorov, Tzvetan: Die Eroberung Amerikas: das Problem des Anderen. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2005. (Edition suhrkamp; 1213 = N.F. 213), S. 4766, S. 197-207.

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Geschehen stehen bleiben, während ihr Herrscher vom Thron gezogen wird.29 (Abb. 2) Auf dem Holzschnitt einer zeitgenössischen Chronik der beiden Spanier Cristóbal de Mena und Francisco de Xerez wird, obwohl selbstverständlich nicht das Bild eines ‚graumsamen Spaniers‘ entworfen wird, auch der Gegensatz zwischen den bekleideten Spaniern und den zurückgebliebenen Indigenen gezeichnet, insofern der Herrscher von Nackten in der Sänfte getragen wird. Es bleibt aber bei der Gegenüberstellung, und das so wirkungsmächtige Herunterreißen fehlt in dieser Darstellung.30 Gewissermaßen die Bestätigung als Gegenprobe enthält schließlich die ganz andere Interpretation, welche Guaman Poma de Ayala31 in seiner Zeichnung von den Ereignissen liefert. In der 1615 an König Philipp III. von Spanien gerichteten Schrift, die jedoch erst am Anfang des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt wurde und daher erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfassende Wirkungsmächtigkeit entwickeln konnte, erhalten die Träger eine ganz andere Aufgabe als bei de Bry oder Mena. 32 Poma hebt in seiner Zeichnung hervor, wie sich der Inka, der als einziger mit seiner Familie und ausgewählten Repräsentanten das Recht der Sänftennutzung hatte, eben gerade diese Sänfte bei dem Treffen als Zeichen seiner Würde nutzte. Poma

29 Cillessen, Wolfgang: „Massaker in der niederländischen Erinnerungskultur: Die Bildwerdung der Schwarzen Legende“. In: Vogel, Christine (Hg.): Bilder des Schreckens: die mediale Inszenierung von Massakern seit dem 16. Jahrhundert. Frankfurt/M., Campus-Verl., 2006, S. 93-135, hier S. 100. Wir finden also drei unterschiedlich stark geprägte Räume des Informationstransfers und -flusses: 1. Auflagenstarke Druckindustrie (Niederlande, England), 2. Durch Zensur eingeschränkte Druckindustrie (Spanien, spanisch Lateinamerika), 3. Fehlen von Druckindustrie, stattdessen begrenzter Radius durch Handschriften. 30 Pelizaeus, Ludolf: „Guerra, Violência, Massacre: A Importância da medialidade pela a representação na Europa Cristiana e Islâmica e na América“. In: Revista Lusofona de Ciencias da Religiao. Martírios e Massacres fazer da morte uma vitória. Hg. v. Maria Cristina Guerreiro Osswald & José Eduardo Franco. Lissabon, 2009, S. 247267 [Übersetzung: Cristina Osswald]. 31 Guaman Poma de Ayala, Felipe: El primer nueva corónica y buen gobierno. Hg. v. John V. Murra & Rolena Adorno. Bd. 2. Mexico, Siglo Veintiuno Ed., 1980 (Colección América nuestra, 31). Volltext von Guaman Poma, 1615, auf: URL: http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/387/es/text/?open=id3087886 [Zugriff: Februar 2018]. 32 Guaman Poma, 1615, auf: URL: http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/387/es/text/?open=id3087886.

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unterstreicht in seiner Darstellung die Sänfte und das ‚Getragenwerden‘ und damit die Würde des Herrschers auch in diesem Kontext.33 (Abb 3) Abb. 3: Zusammentreffen des Inka Atahualpa mit Francisco Pizarro, in: Guaman Poma de Ayala, Cronica del buen gobierno

Quelle: Det Kongelige Bibliotek auf: URL: www.kb.dk/permalink/2006/poma/ 384/en/image/?open=idp503152 [Zugriff: Februar 2018].

Doch das Narrativ, und gerade jenes, welches sich in den Geschichtsbüchern findet, wird durch den häufig reproduzierten Stich von de Bry dominiert. Es

33 „Y llegado con su magestad y sercado de sus capitanes con mucho más gente doblado de cien mil yndios en la ciudad de Caxamarca, en la plasa pública en el medio en su trono y aciento, gradas que tiene, se llama usno, se asentó Ataguálpa Ynga. Y luego comensó don Francisco Pizarro y don Diego de Almagro a dezille, con la lengua Felipe yndio Guanca Bilca, Responde el Ynga con una magestad y dixo que será la uerdad que tan lexo tierra uenían por mensage que lo creyýa que será gran señor, pero no tenía que hazer amistad […]“, auf: Guaman Poma, 1615, fol. 387.

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konnte sich besonders dank des Kulturtransfers weiter halten und breitete sich durch deutsche Drucker in vielen Teilen Europas aus.

W ANDLUNG DES E RZÄHLNARRATIVS IN DER A UFKLÄRUNG Ein neues Kapitel wurde aufgeschlagen, als seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Geschichten Amerikas auch im deutschsprachigen Raum einen zunehmenden Absatzmarkt fanden. Auf der einen Seite nahm allgemein die Buchproduktion erheblich zu. Zudem belieferten die großen religiösen Orden und besonders die Jesuiten, die ja als einzige deutschsprachige Vertreter an ganz verschiedenen Orten Lateinamerikas zugelassen waren, gezielt das interessierte Publikum in Europa mit Informationen. Im Zuge einer geistesgeschichtlichen Globalisierung fanden somit viele Nachrichten aus der ganzen Welt Eingang in ein enzyklopädisches Gesamtverständnis der Aufklärung. Daher sind für die erste Phase vornehmlich Übersetzungen zu verzeichnen, während zum Ende des 18. Jahrhunderts hin dann auch von deutschen Autoren Darstellungen zu Lateinamerika geschrieben wurden, allerdings noch keine Reiseberichte, da Reisen für Protestanten unmöglich und auch für Katholiken nach der Ausweisung der vielfach deutschsprachigen Jesuiten zu risikobehaftet war.34 Von den Übersetzungen sind für diesen Aufsatz drei Werke ausgewählt

34 Bekannte Beispiele für diese Entwicklungen sind die Übersetzungen von Raynal oder die Bücher von Cornelius de Pauw. Courtney, Cecil P.: „The Art of Compilation and the Communication of Knowlegde: the Colonial World in Enligtenment Encyclopaedic Histories: the Example of Raynal’s, Histoire philosophique des deux Indes“. In: Lüsebrink, Hans-Jürgen (Hg.): Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt. Göttingen, Wallstein, 2006, S. 39-50, hier S. 44-49. Zum gleichzeitigen Interesse in Frankreich die Werke von La Condamine, der als der erste wichtige französische Lateinamerikaforscher gelten kann. Lüsebrink, Hans-Jürgen: Einleitung. In: Lüsebrink (2006): S. 9-18, hier S. 11. La Condamine, Charles Marie de: Relation abrégée d’un voyage fait dans l’intérieur de l’Amérique méridionale. Depuis la Côte de la Mer du Sud, jusqu’aux Côtes du Brésil & de la Guiane, en descendant La rivière des Amazones. Lûe [sic] à l’Assemblée publique de l’Académie des Sciences, le 28. Avril 1745. Paris, Chez la Veuve Pissot, 1745; La Condamine, Charles Marie de: Journal du voyage fait par ordre du roi, à l’Équateur, servant d’introduction historique à la mesure des trois premiers degrés du méridien. Paris, De l’imprimerie royale, 1751; La Condamine, Charles Marie de: Supplément au Journal historique du

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worden, nämlich erstens die 1789 von dem Ex-Jesuiten Franz Xaver Veigl verfasste Gründliche Nachrichten über die Verfassung der Landschaft von Maynas in Süd-Amerika und zweitens die Übersetzung des Reiseberichts von Antonio de Ulloa. Neben Franz Xavier Veigel [Weigel] mit seiner Gründlichen Verfassung der Geschichte von Maynas gehört Florian Paucke mit seinem Hin und zurück betrübt dann bereits der zweiten Welle, d.h. dem Schub von Publikationen an, die nach der Ausweisung der Jesuiten entstanden.35 Betrachtet man nun diese Bücher zu Lateinamerika, so hat sich der Umfang der erschienenen Werke verändert, nicht aber maßgeblich die zentrale Aussage.36 Wie zu Anfang des 17. Jahrhunderts verurteilten die meist protestantischen Autoren der deutschen Aufklärung die Spanier scharf, aber auch die früheren Jesuiten stimmen in diese Kritik ein. So galten die Spanier den Protestanten als fanatische Katholiken, die aus Habgier über die hilflosen Indianer hergefallen seien, während die Ex-Jesuiten eher Falschheit, Faulheit37 und ebenso den Topos

voyage à l’Équateur: et au livre de la mesure des trois premiers degrés du méridien: Servant de réponse à quelques Objections. Paris, Durand, Pissot 1752. 35 Vgl. zur Darstellung Nordamerikas: Butel-Dumont, Georges-Marie & Uhlich, Adam Gottfried: Geschichte und Handlung der Englischen Colonien in dem nördlichen Amerika worinnen man den jetzigen Zustand ihrer Bevölkerung und besondere Umstände von ihrer Regierungsform, bevorab von Neu England, Pensilvanien, Carolina und Georgien findet. Frankfurt am Mayn, 1755. Veigl, Franz Xaver: Gründliche Nachrichten über die Verfassung der Landschaft von Maynas in Süd-Amerika bis zum Jahre 1768: nebst des Herrn P. Anselm Eckarts Zusätze zu Pedro Cudenas Beschreibung der Länder von Brasilien. Mit einer Landkarte und Kupfern. Nürnberg, Zeh, 1798. 36 „Die Indianer sind von Nathur hochmütig, sehr verständig und haben etwas andere Gewohnheiten, als die Einwohner in Quito. Sie geben einen Beweis von demjenigen ab, […] daß nämlich der Verstand der Indianer dadurch viel fähiger gemacht wird, wenn sie die spanische Sprache verstehen, denn die hiesigen Indianer können sie alle reden […].“ Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande; oder Sammlung aller Reisebeschreibungen, welche bis itzo in verschiedenen Sprachen von allen Völkern herausgegeben worden, […] welcher des Don Georg Juan und des Don Antonio de Ulloa Reis nach Süd-America, aus dem Spanischen übersetzet, in sich fasset. Leipzig, Arkstee und Merkus, 1751, S. 364. 37 „[…] hat es ein Missionar, das noch niemals anderswo geschehen, dahin gebracht, dass es gutwillig ein Vorath von ordentlich gebrannten Ziegeln zusammen brachte und hierraus eine ansehnliche Kirche[…] aufführte[…]“, Veigel (1798): S. 47.

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der Habgier hervorhoben. 38 Gleichzeitig betonen letztere in Bezug auf die Indigenen deren Widerstand, sich zum Christentum zu bekehren,39 bemerken aber andererseits, welche vielfältigen Zwangsdienste die Indigenen leisten mussten. Dennoch hat sich freilich keine Stelle bei den deutschsprachigen Autoren gefunden, bei der unmittelbar von Trägerdiensten als Zwangsdienst die Rede ist.40 Wir finden somit die Verwendung von kulturellen Typisierungen unter Heranziehung einer imaginären Identifikationsfigur.41 Die Art des Reisens und seine Darstellung können wir dem Reisebericht von Antonio de Uloa (1716-1795) und Jorge Juan y Santacilia (1713-1773), der 1751 in Leipzig unter dem Titel Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande; oder Sammlung aller Reisebeschreibungen, welche bis itzo in verschiedenen Sprachen von allen Völkern herausgegeben worden erschienen ist, entnehmen.42 In dem immerhin 656 Seiten umfassenden Reisebericht finden sich viele Reiseschilderungen und Berichte von den Beschwerlichkeiten der Reisen, selten jedoch die Erwähnung von Trägern. „Don Georg Juan und die Bedienten nahmen Pferde und setzten ihren Weg zu Lande fort. Reisende müssen hier notwendig Pferde haben, denn das ganze Land ist eben und besteht aus Sümpfen und Morasten, welche allemal zu der Zeit der Flut von den Seewassern überschwemmt werden.“43 Auch für eine

38 „Eine so mässige Lebensarth kame uns Deutschen von Soldaten so ungemein für, daß wir es nicht fassen kunten. Das Oberhaubt dieser Soldaten Rotte ware von keinem Unterschied, und man hätte ihn nicht gekennt, so fern wir nach ihm nicht gefragt hätten. Spiellen, essen, sauffen, schlaffen und sacramentiren kunte der Offizier wie der gemeine Soldat. Ich stellete mir für eine in Deutschland zusammen vereinigte Mörder Rotte […].“ Paucke, Codex, S. 205. 39 „Anfangs, wie es bei Barbaren gewöhnlich ist, thaten sie der Ankündigung des Glaubens einigen Widerstand […]“, Veigel (1798): S. 30. 40 „[…] von wannen die spanischen neuen Einwohner, wie es zu selbigen Zeiten der Brauch war, öftere Einfälle in ihre Länder getan, und sie mit Gewalt oder List in ihre Pflanzörter zur Dienstbarkeit hinausgeschleppt hatten, noch vor dem als ihr Land dieserseits von Missionarien betretten wurde“, Veigel (1798): S. 38. 41 Lüsebrink, Hans-Jürgen: Interkulturelle Kommunikation. 4. Auflage. Stuttgart, Metzler, 2016, S. 100-101. 42 Die Vorlage war erst 1748 in Madrid erschienen, und das schnelle Erscheinen in Deutschland bezeugt das große Interesse für die neue Welt. Vgl. die Ausgabe: Ulloa, Antonio de: Viaje a la América meridional. 1716-1795. Madrid, 1748. ND Madrid 1990. 43 Historie der Reisen (1751): S. 357.

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völlig andere Situation wird nur darauf eingegangen, dass man zu Pferde unter Begleitung von Mauleseln gereist sei:44 „Ordentlich thut man diese Reise des Nachts. Denn da das ganze Land aus einem trockenem Sande besteht, so machen die Sonnenstrahlen einen großen Eindruck darauf und die Maulesel können am Tage die Hitze nicht ausstehen […]. Also wird der ganze Weg mehr durch die Gerippe der Maulesel, die aus Mattigkeit auf der Straße umkommen, kenntlich gemacht, als durch die Spuren und Fußtapfen von ihnen.“45 Träger werden nicht direkt erwähnt und wir können sie uns allenfalls bei der Schilderung der Nutzung der Sänfte denken: In Peru bedient man sich zwar ordentlich der Maulesel, wenn man eine Reise thun will, denn die bösen und gefährlichen Wege gestatten keine andere Bequemlichkeit. Aber von Piura bis nach Lima hat man die Erleichterung, daß man sich in einer Sänfte forttragen lassen kann. Diese hängen nicht an Stricken oder Bändern, sondern an ein [sic] Paar guayaquilischen Röhren. Sie sind so gebaut und eingerichtet, daß sie, bey dem übersetzen über die Flüsse, nicht auf das Wasser treffen und bey dem Auf und Absteigen, wenn der Weg ungleich ist, keine Verhinderung verursachen. Die Maulesel, welche von Piura mitgenommen werden, müssen die ganze Reise bis nach Lima thun.46

Allerdings wurden solche Sänften nicht nur von Trägern getragen, sondern teilweise auch mit Mauleseln geführt. So wird davon gesprochen, wie „[…] auf vier beladene Maulesel, und eine andere [Wasserflasche] auf zween Maulesel, welche die Sänfte tragen, […]“ die Ladung aufgeteilt wird.47 Am Rande wird das Führen durch Flüsse oder schwieriges Gelände erwähnt, doch soll dadurch vor allen Dingen die eigene Leistung und die Fähigkeit zur

44 Ebenso bei Florian Paucke: „[Z]weyerley Fuhrzeuge oder Wägen gebrauchet man bey den Paraquarischen Reisen […]. Nebst diesen [den Ochsen; d.Verf.] ist in jeder Carreta voran ein Mulat oder Indianer, welcher die Ochsen mit zwey Stechstangen antrenget […].“ Paucke: Codex, S. 199; oder „Da wir also beysamen fortritten, erbliketen wir auf dem flachen Feld bis 2000 Schrit von uns eine grosse Menge kleiner Rehelein […].“ Paucke, Florian: Hin und her: hier süss und vergnügt, her bitter und betrübt; das ist: treu gegebene Nachricht durch einen im Jahre 1748 aus Europa in West-America, nahmentlich in die Provinz Paraguay, abreisenden und im Jahre 1769 nach Europa zurukkehrenden Missionarium. Zwettler-Codex 420, Bd. 1, Wien, Braumüller, 1959-1966, S. 203. 45 Historie der Reisen (1751): S. 373. 46 Ebd., S. 362. 47 Ebd., S. 365.

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Überwindung von Gefahren hervorgehoben werden, deren Erwähnung aber auch der Überwindung eigener Grenzen dient: Etwan eine Meile von der Stadt sieht man einen Fluß, der mit seinem Wasser die umliegenden Felder fruchtbar machet. Den 4ten wadeten wir hindurch, setzten unsere Reise fort und kamen in den Flecken Moche […]. In dem Flecken Moche muss dem Alcalden der Pass des corregidors zu Trujilio vorgezeiget werden, sonst lassen sie die Reisenden ihren Weg nicht weiter fortsetzen […] wir setzten unseren Weg bis an das Ufer des Flußes Santa fort. Wir setzten vermittelst der Chimbadoren darüber […]. Man wadet hindurch, und findet hier gewisse dazu bestellte Leute, mit sehr hohen Pferden, welche so abgerichtet sind, daß sie der beständigen starken Gewalt des Stromes widerstehen. Man nennt diese Leute Chimbadores […]. Selbst den Chimbadoren widerfährt sehr oft das Unglück, daß sie, wenn sich die Fuhrt in einem der Arme des Flußes ändert, von dem Strome fortgerissen werden und in dem Wasser umkommen […].“48

Noch seltener wird der mit dem Tragen verbundene Alltag erwähnt: Solche Dörfer wären von der nothwendigen Gemeinschaft mit anderen, durch unwegsame Wälder zu sehr abgeschnitten, und wo kein Lastvieh ist, noch bestehen kann, wie unerträglich wäre es nicht, wenn die armen Leute alle Lebensbedürfnisse, Holz, Wasser, Erdfrüchte, und weit nachhause auf den Schultern tragen müssten, das sie sonst doch auf dem Flusse mit weniger Mühe an den Rand des Dorfes, ja fast vor das Hausthor bringen können […].49

Es ist bemerkenswert, dass die Figur des Trägers in den Berichten fast nie erwähnt wird, obwohl sie im Alltag Lateinamerikas auch in der Frühen Neuzeit 50 immer eine Rolle gespielt hat. Dabei ist davon auszugehen, dass die Träger die

48 Beide Zitate ebd., S. 368-369. 49 Veigel (1798): S. 44. 50 Dies, so scheint es, führt auch dazu, dass der Begriff des „Trägers“ für Außereuropa keinen Eintrag im Universallexikon der Wissenschaften und Künste, bekannt als „Zedler“ oder „Hübner“, findet, obwohl sich eine ganze Reihe von Einträgen zu Lateinamerika in beiden Lexika nachweisen lassen. Bei der Beschreibung der Belastung der Träger in Italien wird lediglich angeführt, in extremis werde ein Träger bis „Calicut“ (Kalkutta) gehen, und somit das Verständnis für das gedankliche Einbeziehen des außereuropäischen Raums einbezogen. Grossesvollständiges UniversalLexicon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden worden, Bd. 44, hg. v. Johann Heinrich Zedler. Halle [u.a.], 1742, S. 939. URL: http://mdz.bib-bvb.de/digbib/lexika/zedler [Zugriff: 08.06.2017].

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Reisen auch über größere Distanzen hinweg begleiteten. Wenn nun aber die Europäer stets betonen, dass sie entweder per Maulesel, Pferd, in einer Kutsche oder in Ochsenkarren gereist seien, so zeigt dies ihre Verortung in gewissen Prägungen insofern, als sie damit in der schriftlichen Überlieferung die Ableh51 nung der Idee einer nicht standesgemäßen Reise zum Ausdruck bringen. Im Ancien Régime firmieren Träger somit als Gestalten, welche bei Reisen keiner Erwähnung bedürfen, und falls doch, dann nur mit dem Zweck der Erhöhung des Ansehens als Sänftenträger in der Stadt und dies ist bei unseren Beispielen nicht der Fall.

D EUTSCHE R EISEBERICHTE

DES

19. J AHRHUNDERTS

Das 19. Jahrhundert führt zu einem neuen Erfahrungshorizont, da die Reisetätigkeit von deutschsprachigen Autoren nach Lateinamerika zunahm und damit das bisherige Überlieferungsmonopol der deutschsprachigen Jesuiten beendet wurde. 52 Emblematisch erscheinen mir hier die Reisen von Alexander von Humboldt und Johann Moritz Rugendas. Für die Auswertung der Reiseberichte gilt es, sowohl ein ‚zivilisatorisches Bewusstsein‘ als auch den Eurozentrismus in den Werken beider Reisender zu bedenken, wenngleich sich dieser unterschiedlich auswirkte.53 Alexander von Humboldt und die selbstreflexive Erwähnung des Trägers Durch die Tagebücher von Alexander von Humboldt (1769-1859) sind wir über seine Amerikareise von 1799 bis 1804 informiert,54 die ihn durch Venezuela, Vgl. ohne Eintrag: Hübner, Johann: Reales Staats-, Zeitungs- und Conversations Lexicon. Regensburg, Wien, Emerich Felix Bader, 1759. 51 „ […] begiebt sich der Unterkönig mit eben dem Gefolge […] in seiner Kutsche nach der Hauptkirche. Historie der Reisen (1751): S. 391. 52 Friedrich, Markus: Der lange Arm Roms? Globale Verwaltung und Kommunikation im Jesuitenorden; 1540-1773. Frankfurt/M. [u.a.], Campus-Verl. 2011, S. 41-43; Palmiste, Clara: „Aspectos de la circulación de libros entre Sevilla y América (16891740), Estudios sobre América, siglos XVI-XX“. In: Escudero, Antonio Gutiérrez & Cuetos, María Luisa Laviana: Actas del Congreso Internacional de Historia de América. Sevilla, Asociación Española de Americanístas, 2005, S. 831-842. 53 Lenz (2015): S. 97. 54 Minguet, Charles: Alexandre de Humboldt. Historien et géographe de l’Amérique espagnole (1799-1804). Paris, Maspero, 1969.

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Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru, Mexiko und die Vereinigten Staaten führte. Dabei müssen wir uns der Intention der Tagebücher bewusst sein, die nicht einfach, wie dies lange die dominierende Sichtweise war, nur ‚Tagebücher‘ im heutigen Sinne waren. Denn schon während der Fahrt hob Humboldt hervor, ihr Charakter changiere zwischen Aufzeichnung und literarisch verarbeiteter Ausarbeitung: In diesen Tagen habe ich so viel gesehen, empfunden und erfragt, daß ich jetzt in der Furcht, vieles aus dem Gedächtnis zu verlieren, die Materialien nur flüchtig und ungeordnet niederschreiben will. Meine Einbildungskraft wird noch mehrere Jahre warm genug bleiben, um einst ein nicht unvollständiges Bild des Ganzen daraus zusammenzusetzen, um einst andere einen Theil der Freude mitgenießen zu lassen […].55

Humboldt hat also sein späteres Werk nicht ohne sein Tagebuch gedacht, so dass die Ausgestaltung des später Ausgearbeiteten nicht in unmittelbar aufgezeichneten Vorstudien lag, sondern vielmehr in einem Erkenntnisprozess zu finden ist. Das Tagebuch ist somit nicht einfach eine ‚Vorstudie‘, sondern vielmehr eine literarische Ausarbeitung. Wenn die Figur des Trägers Erwähnung fand, geschah dies wohlüberlegt.56 Natürlich konnte Alexander von Humboldt seine ausgedehnten Reisen nur aufgrund der Träger, die ihn begleiteten, unternehmen. Dennoch bleiben auch bei ihm die Erwähnungen der Träger eher selten, doch sie existieren immerhin. Die Träger betreten die Bühne, wenn ihnen ein Name und somit ein ‚Ich‘ zugewiesen werden kann. Es muss bei der Untersuchung der Texte zunächst nach den eher zufälligen Stellen, den Bereichen, in denen nach Humboldt Träger zum Einsatz kamen, gefragt werden. Dabei führen uns jene

55 Humboldt (2000): S. 81. 56 „Les Journaux de Voyage Américains lancent un défi aux études de l’épistémologie historique. Basé sur l’échec d’une attribution explicite à un genre littéraire bien défini, cet essai veut souligner la position exceptionnelle des volumes comme instruments d’expérience, lesquels, à l’aube du 19e siècle, donnent accès à l’optimisme ontologique, ainsi qu’à l’échantillonnage méthodologique d’un écrivain, scientifique et explorateur, qui devient manifeste comme sujet découvrant. D’une part, le caractère multifonctionnel des cahiers comme journaux de bord, journaux de voyage et carnets de croquis semble un éloignement de l’ordre formel d’une écriture scientifique, d’autre part, ce caractère dévoile les conditions préalables pour les processus épistémologiques qui conduisent à des connaissances scientifiques. Dans les coordonnés kantiennes de l’espace et du temps, Humboldt semble suivre son propre rythme épistémologique d’expérience de la situation, qui concerne la nature et le monde à coup d’un moyen de stockage dynamique“, Lenz (2015): S. 80.

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Passagen näher an Schlüsselpartien heran, die von den Schwierigkeiten Humboldts selber handeln und dabei die betroffenen Indigenen mit einbeziehen. Dabei ist aber auch zu beobachten, dass neben der selbstverständlichen Aufteilung von Arbeitsaufgaben auch für ihn die Kluft, die ihn von den Trägern scheidet, sehr groß ist.57 Von den mitgeführten Begleitern berichtet Humboldt nur dann, wenn sie ihm unmittelbar als Führer oder als Diener zur Seite standen. So erwähnt er seinen Diener José de la Cruz, den er zunächst als „Exot“ bezeichnet, dann nach Paris mit nahm und ihn nun auch als Träger aufführt.58 Auch ein anderer Begleiter, Carlos de Pino, wird in diesem Zusammenhang erwähnt. In Bezug auf die Bergtouren nennt Humboldt nur Philipp Aldas, weil dieser ihn zum Krater des Rucipinchincha begleitete. Abends sprachen sich beide gegenseitig Mut zu, er zeichnete sich somit also als ‚herausgehobener‘ Ansprechpartner aus.59 Sind ihm keine Namen bekannt, so erfolgt die Erwähnung eher beiläufig. Die Strapazen der Ruderer hebt Humboldt in einem antikischen Vergleich hervor: „[D]ie Ruderer sind Zamben, selten Indianer, ganz nackt, den Guayuco [Lendenschurz] abgerechnet, von herkulischer Stärke. Es ist sehr pittoresk, wenn diese bronzenen Gestalten […] mächtig einhertreten […] es sind freie, obwohl schlecht bezahlte, dabei sehr übermüthige freche Menschen […].“ Humboldt notiert aber auch fast statistisch die Verluste durch Krankheit: „Von 20 Bogas, Ruderknechten, ließen wir 7-8 krankheitshalber zurück“ – eine Bemerkung, die sich als Grundhaltung sicher sowohl auf Ruderknechte als auch auf Träger beziehen lässt.60

57 So hebt Humboldt als Grundannahme hervor, dass eben normalerweise Essen für Alle da sei und erst aufgrund der Expedition und ihrer Länge die Versorgungssituation zu einem Problem werden könne. Thiemer Sachse (2013): S. 79. 58 Biermann Kurt-R. & Schwarz, Ingo: „Indianische Reisebegleiter Alexander von Humboldts in Amerika“. In: Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien. Bd. 8, 14 (2007), S. 86-99, hier S. 88. 59 Humboldt (1986): S. 201-202; Humboldt, Alexander von: Reise auf dem Rio Magdalena. Berlin, 1990, S. 86 f. „[…] mit den indigenen Trägern und Helfern während der einzelnen Exkursionen. Die Darstellungen der alltäglichen „[…] indianische[n] Helfer, die ihm als Träger, Ruderer, Bergführer, Dolmetscher u.a. unentbehrliche Dienste leisteten […].“ 60 Humboldt, Alexander von: Forschungsreisen in den Tropen Amerikas. Darmstadt, WB, 1986, S. 69; 89; Ette, Ottmar: Alexander von Humboldt und die Globalisierung: das Mobile des Wissens. Frankfurt/M. [u.a.], Insel-Verlag, 2009, S. 169-212. Zitat in:

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Mit seiner Konzentration auf wenige Individuen betont Humboldt, der als Reisender die Bergtouren teilweise nur mit seinem Begleiter Bompland bis zum Schluss durchzuführen im Stande war, freilich seine eigene Superiorität. Strapazen oder ,Schwächen‘, wie beispielsweise der Wassermangel, zeigen blitzlichtartig die Abhängigkeit von den Trägern und ihre besondere Bedeutung, der sich dann auch Humboldt bewusst wird. So erwähnt er beispielsweise, dass er gezwungen gewesen sei, „durstig, ohne Wasser“ eine Nacht mit Bonpland zu verbringen, weil er keine „Begleiter“ hatte und er dies als „in der Tat bestürzend“ empfand. Gleichwohl bleiben dies aber nur kurze Erwähnungen.61 Dabei ließ er sich eine durchaus erlesene Speisekarte von Trägern bringen: „Stark gefrühstückt, Fleisch, Eierkuchen mit Platanus […] Gegessen Platanus in allen Gestalten […]. Dann Punsch mit engl[ischem] Bier“.62 Dabei war ihm durchaus bewusst, dass „Indianer Nachts […] für uns an Casave“ arbeiteten, andererseits „andre Neger mit der Speise“ zu ihm gekommen waren.63. Eine Kaufliste gibt uns dann einen Eindruck von den Waren, welche die Träger mitzuführen hatten:

Humboldt: Reise auf dem Río Magdalena, nach Biermann. Berlin, Schwarz, 2007, S. 89. 61 Wurden die Vorräte knapp, musste vor Ort weiter Essen beschafft werden. „Aber ach, auf dem Antisana – die Indios mit dem Essen und mit den Betten kamen nicht an. Wir blieben fast 24 Stunden ohne Nahrung, wir fanden nur Kartoffeln (die auch von weit her kommen, denn in 2100 Toisen Höhe wächst keine eßbare Pflanze.“ Humboldt, Alexander von: Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern. Herausgegeben von Margot Faak. Beiträge zur Alexander-von-HumboldtForschung 12, Akademie Verlag, Berlin, 2000, S. 224, Humboldt, Alexander von: Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und Mexico. Teil II: Übersetzung, Anmerkungen, Register. Übersetzt und bearbeitet von Margot Faak. Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 9, Akademie-Verlag, Berlin, 2003, S. 61, nach: Thiemer-Sachse, Ursula: „,Wir verbrachten mehr als 24 Stunden, ohne etwas anderes als Schokolade und Limonade zu uns zu nehmen‘. Hinweise in Alexander von Humboldts Tagebuchaufzeichnungen zu Fragen der Verpflegung auf der Forschungsreise durch Spanisch-Amerika“. In: Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien. Bd. 14 (2013), S. 77-83, hier S. 81. 62 Humboldt (2000): S. 203, 267, nach: Thiemer Sachse (2013): S. 80. 63 Humboldt (2000): S. 178, nach: Thiemer Sachse (2013): S. 80. Vgl. Malvillel, Nancy:

„Bearing the Burden: Portage Labor as an Adaptive Response to Predictable Food Deficits in Eastern Nepal“. In: Human Ecology. Bd. 33, 3 (2005), S. 419-438.

92 | L UDOLF P ELIZAEUS Wir luden Lebensmittel auf vier Wochen, Pisang, Hühner, Eier, Kassave, Brandwein (um von Indianern Waren zu erkaufen), Tamarindenschoten, um eine erfrischende Limonade zu machen und besonders Cacao […]. Am meisten wurde auf Angel, Netz und Schießge wehr gerechnet, denn der Fluß wimmelt von Fischen, Schildkröteneiern, Garzas, Paujís, Guacharacas, Wild […] alles vortreffliche Speisen.64

Humboldt vermag im Gegensatz zum 18. Jahrhundert seine Superiorität gegenüber den gewöhnlichen Reisenden gerade dadurch auszudrücken, dass er die üblichen Pfade verlässt und zu Fuß seine Ziele zu erreichen vermag. Es gelingt ihm also trotz des Verzichtes auf die herkömmlichen Transportmittel, seine Wünsche zu verwirklichen. Seine Rolle als Expeditionsführer ermöglicht ihm darüber hinaus auch, wenngleich selten, die Träger bisweilen als Vorbild zu sehen. So betont er den Gemeinsinn seiner indianischen Träger und Führer, weil sich ihm eben gerade durch sie eine stärker auf die Gemeinschaft ausgerichtete Gesellschaft auftat: „Keiner trinkt, ißt etwas allein, ohne nicht dem Gefährten mitzugeben“.65 Etwa zwanzig Jahre nach den Reisen Alexander von Humboldts erschien in Mühlhausen / Mulhouse bei Engelmann das finanziell von Humboldt unterstützte Werk Voyage au Brésil. Es stammte aus der Feder des aus Augsburg stammenden Malers und Kupferstechers Johann Moritz Rugendas und zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass hier kurze Textpassagen mit vielen Stahlstichen verbunden wurden. Diesem Œuvre wollen wir uns nun zuwenden. Joseph Moritz Rugendas und die Übermittlung der Bilder vom Trägern Als der Künstler Joseph Moritz Rugendas66 1822 nach Brasilien aufbrach, hatte er bereits eine umfassende Ausbildung absolviert. Diese Kenntnisse sollten ihn

64 „[I]n Hoffnung, Eßwaren dort einzukaufen, denn schon mangelten wir an Provision“. Humboldt (2000): S. 256. Oder am Cotopaxi: „Nachdem wir aus Mangel an Lebensmitteln gefastet hatten (alles verfault, und wir verbrachten mehr als 24 Stunden, ohne etwas anderes als Schokolade und Limonade zu uns zu nehmen), aßen wir am 4. Tag nach unserer Abreise in Las Bodegas zu Abend“. Humboldt (2003): S. 183, nach: Thiemer Sachse (2013): S. 81. 65 Humboldt (2000): 255, 258, nach: Thiemer Sachse (2013): S. 80. 66 1802 geboren als Spross der seit dem 17. Jahrhundert in Augsburg nachweisbaren Künstlerfamilie Rugendas, die katalanische Wurzeln besaß. Bereits Vater und Großvater waren Künstler. Achenbach, Sigrid: „Johann Moritz Rugendas“. In: Achenbach, Sigrid (Hg.): Kunst um Humboldt: Reisestudien aus Mittel- und Südamerika von

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dazu befähigen, trotz vielfach widriger Bedingungen bis 1848, dem Jahr seiner Rückkehr nach Deutschland, einzigartige Bilder Lateinamerikas zu schaffen. Die Reisetätigkeit des Künstlers war enorm, und überall fertigte er Zeichnungen an, die er dann in Stiche übertrug. Das auf diese Weise geschaffene Gesamtwerk zeigt Figurentypen aus ganz Lateinamerika, weshalb es legitim ist, von ihm als Identität stiftender Figur zu sprechen. 1822 bis 1825 war er in Brasilien, es folgten Aufenthalte in Haiti, Mexiko, Guatemala, Chile, Argentinien und Peru. Von dort kehrte er dann 1848 endgültig nach Deutschland zurück und starb 1858 verarmt in Weilheim an der Teck (Württemberg).67 Seine Bilder machten ihn in Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts berühmt. Sie zirkulierten vor allem zwischen Deutschland und Frankreich. Für uns von Bedeutung ist dabei insbesondere, dass die Bilder durch die besseren Reproduktionstechniken auch ein lange Zeit nachwirkendes Bild prägten. Wie de Bry für das 16. Jahrhundert, so kann auch Rugendas als „Bildschöpfer“ für eine bestimmte Zeit angesprochen werden.68 Sein erster großer Erfolg, die Voyage au Brésil, umfasst 374 Seiten und enthält Stiche, die unkoloriert und als Farblithographien erschienen. In dem eher kurzen Begleittext werden Träger nur selten erwähnt, so dass der Leser über diese anhand des Textes kaum Informationen erhält.69

Rugendas, Bellermann und Hildebrandt im Berliner Kupferstichkabinett. Ausstellungskatalog Kupferstichkabinett Staatliche Museen zu Berlin. München, Hirmer, 2009, S. 59-132. Teuscher, Andrea (Hg.): Werkkatalog Rugendas. Die Künstlerfamilie Rugendas 1666-1858. Werkverzeichnis zur Druckgraphik. Augsburg, Wissner, 1998, S. 15-241. 67 Sein Schaffen umfasst mehr als 3300 Zeichnungen und Skizzen, auf deren Grundlage Stahlstiche entstanden. Diener-Ojeda, Pablo: Rugendas: 1802-1858. Augsburg, Wißner, 1998, S. 136-140; Werkkatalog 1998, S. 136-140. Araoz, Flores & José, Juan: Mauricio Rugendas, El Perú romántico del siglo XIX. Lima, Carlos Milla, 1975; Diener-Ojeda, Pablo: Rugendas: América de punto a cabo: Rugendas y la Araucanía. Santiago de Chile, Aleda, 1992; Diener-Ojeda, Pablo: Johann Moritz Rugendas. Bilder aus Mexiko. Bildband und Katalog zur Ausstellung in der Universitätsbibliothek Augsburg anlässlich der Ausstellung „Johann Moritz Rugendas: Bilder aus Mexiko“. Augsburg, Wissner, 1993; Diener-Ojeda, Pablo & Maria de Fatima G. Costa: Rugendas e o Brasil. São Paulo, Capivara, 2002. 68 Gerade in Schulbüchern werden die Darstellungen von de Bry und Rugendas oft verwandt. 69 Rugendas, Maurice: Voyage pittoresque dans le Brésil. Traduit de l’allemand par M. de Golbéry. Mühlhausen Engelmann, 1835, auf: URL :

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Je weniger sich die Träger anhand des Textes erschließen, desto mehr jedoch durch die Stiche, die ja den Hauptteil des Werkes ausmachen. Sie zeigen von Trägern begleitete Reisende,70 die Ochsenkarren nehmen71 oder in Karawanen mit Maultieren reisen. 72 Eine von Führern begleitete Flussdurchquerung 73 ist ebenso Thema einer Darstellung wie die Träger von Sänften in verschiedenen Variationen. Auch Sänften, die von Maultieren getragen werden, kommen vor (Abb. 4-6).74

http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k55677273 [Zugriff: 08.06.2017]. „On y porte aussi beaucoup de poterie: cependant on la fabrique principalement à Jagoaripe, bourg assez considérable […] Quand ils quittent une place, ils abandonnent leurs huttes, et emportent leurs effets dans un sac de nattes, que les femmes s’attachent au front au moyen d’un lien, qui le suspend sur leur dos; de sorte que c’est la nuque qui supporte principalement ce fardeau: elles portent aussi les provisions, puis un ou deux enfans [sic !]. Les hommes viennent; à cheval, les dames également à cheval ou dans des litières que portent, des mulets ou des esclaves“.Voyage, o. Nr. (In dem pdf Dokument aus der Bibliothek Nationale de France, pdf. BNF S. 42, 9, 36. 70 „Caravane des marchands“, Darstellung einer Sänfte, die von Mauleseln getragen wird mit dem Begleitpersonal. Voyage o. Nr., pdf. BNF, S. 306. „Repos d’une caravane“ mit Darstellung von Lasten, die unter einem Zelt abgestellt sind. Voyage, o. Nr., pdf. BNF, S. 310. 71 Reise mit Ochsenkarren: „Famille de planteurs“, Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 306. 72 „Serra das orguas“: Bildvordergrund beladene Pferde, Begleiter, die für die Beladung der Pferde zu sorgen haben. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 203. 73 „Rio Panayba“: Durchschwimmen des Flusses der Pferde mit den Begleitern. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 205. 74 Verschiedene Sänften mit regulären Trägern auf einem Platz. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 324.

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Abb. 4: Joseph Moritz Rugendas, Voyage au Brésil „Caravane des marchands“

Quelle: BNF auf: URL: http://gallica.bnf.fr/ [Zugriff: März 2018]

Abb. 5: Joseph Moritz Rugendas, Voyage au Brésil Träger von Wasserfässern („Porteurs d’Eau“)

Quelle: BNF auf: URL: http://gallica.bnf.fr/ [Zugriff: März 2018]

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Abb. 6 : Joseph Moritz Rugendas, Voyage au Brésil Hospiz von unserer Jungfrau der Barmherzigkeit in Bahia („Hospice de N.S. de Piedade Bahia“).

Quelle: BNF auf: http://gallica.bnf.fr/ [Zugriff: März 2018]

Aber die Motivik greift noch weiter über das, was bisher in Europa bekannt war, hinaus. Ein zentrales Anliegen des Illustrators bestand darin, den aussichtslosen Alltag der Sklaven aus Afrika in Brasilien zu schildern. Wenngleich nur ein Stich den Begriff „Träger“ im Titel führt, nämlich jener der „Wasserträger“,75 so begegnen uns nicht nur hier die Träger als Trägerinnen und Träger. Auf dem Markt, in der Stadt,76 beim Tragen von Lasten auf dem Land,77 bei den Zuckermühlen, beim Tragen von Zuckerrohr 78 und als Träger von Kaffeesäcken. 79 Frauen balancieren Lasten auf dem Kopf,80 tragen Waren auf den Markt,81 die

75 Träger von Wasserfässern („Porteurs d’Eau“). Dies ist das einzige Mal, dass der Begriff „Träger“ verwendet wird. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 360. 76 „Rue droite à Rio“, mit Personen, welche getragene Lasten abgestellt haben. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 298. 77 Reiter, die Lasten tragen, im Vordergrund, daneben Sklaven als Begleiter, die aber auch noch Lasten tragen. Voyage, o. Nr. (pdf. BNF S. 212). 78 Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 350. 79 „Recolte de Café“: Träger von Kaffeesäcken: Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 348. 80 „Venta a Recife“, eine Darstellung, bei der Frauen Lasten, die sie verkaufen, auf dem Kopf balancieren. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 326. 81 „Catas Altas“, Träger von Lasten auf dem Kopf, begleitet von einem Reiter. Voyage,

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sie dort feilbieten, tragen Wäsche zum Waschen und Bleichen,82 ja selbst Sargträger sind auf einem Stich festgehalten.83 (Abb. 4-6) Diese Vielfalt bei der Darstellung von Trägern erlaubt es uns, vier Themengruppen voneinander zu scheiden, nämlich erstens die Darstellung von Landschaften, in denen uns die Träger als Begleiter von Reisenden gegenübertreten, zweitens die Arbeit von Sklaven und Indigenen, drittens Stadtszenen, anhand derer Rugendas die alltägliche Präsenz der Träger aufzeigt, und schließlich viertens die Trägerinnen von Lasten, die solche auf dem Kopf transportieren. Damit wird die bei Rugendas erfolgende Repräsentation von Trägern auch in den Diskurs der Abolitionisten eingeordnet. Rugendas war offenbar so sehr von dem Schicksal der Sklaven ergriffen, dass sich eine große Zahl seiner Stiche auf die Sklaverei beziehen. Seine Darstellungen ordnen sich in Europa in ein Narrativ ein, welches das Ziel verfolgte, eben aufgrund der drastischen Darstellung der Situation der Sklaven für deren Befreiung zu kämpfen.84 Die Wiederentdeckung: Roger Casement 1910 und Hugo Brehme Es ist bemerkenswert, dass die Trägerfiguren in den einschlägigen Nachschlagewerken wie beispielsweise dem Brockhaus weder am Ende 1898 noch 1958 einen Eintrag wert sind, denn es findet sich weder etwas zu dem Begriff ‚Träger‘ noch zu dem Begriff ‚Lastenträger‘. Ihre Existenz, obwohl seit Ende des 19. Jahrhunderts in Afrika weit verbreitet im Einsatz, wird nicht wahrgenommen. Es erscheint daher umso wichtiger, abschließend den wenigen existierenden Spuren nachzugehen. Daher soll auf Roger Casement (1864-1916) und Hugo Brehme (1882-1954) eingegangen werden. Ihre Biographien sind für die weitere Entwicklung des Motivs der Trägerfigur in Lateinamerika im 19. und frühen 20. Jahrhundert exemplarisch.

o. Nr., pdf. BNP S. 220. „Marche sur la Braia dos Mineros“, mit Männern und Frauen, die Waren auf dem Kopf tragen. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 358. 82 „Blanchisseuses à Rio“, Frauen, die gebleichte Wäsche tragen. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 354. 83 „Enterrement d’un nègre“. Voyage, o. Nr., pdf. BNF S. 372. 84 Les frères Humboldt, l’Europe de l’esprit, auf: URL: http://www.univ-psl.fr/default/EN/all/humboldt/ [Zugriff: 1.11.2016]; Messling (2013): S. 11-30.

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Während der Ire Casement mit seinen Darstellungen politische Ziele verfolgte und durch einen medialen Feldzug zu internationalem Ruhm gelangte, steht Brehme für die Gruppe der ethnographisch arbeitenden Fotografen. Der aus Irland stammende Casement war bereits 1903 durch die Aufdeckung des Missbrauchs von Arbeitern und Trägern durch den EIC (Etat Independent du Congo) hervorgetreten.85 Er gilt in diesem Zusammenhang als einer der ersten, der die schweren Missstände auch in Amerika anprangerte. Als Casement 1911 von Iquitos aus als Untersuchungsbeauftragter Vorwürfe von Misshandlung der eingesetzten Indigenen, auch als Träger, bei der Kautschukförderung formulierte, konnte er sich kaum einer umfangreichen Unterstützung seiner Regierung sicher sein. Zwar waren seine Vorwürfe glaubhaft, weil auch schon in Peru gegen die in Putumayo arbeitenden PAC (Peruvian Amazon Company) Vorwürfe in Bezug auf den Umgang mit der indigenen Bevölkerung geäußert worden waren, doch spielten hier, anders als im Kongo, keine britischen Interessen eine Rolle. Es war daher für Casement erheblich schwieriger, die notwendige Aufmerksamkeit für seine Mission zu erhalten.86 Um also wirksam auf die Miss-

85 Eaton, Michael: „Ruling Passions: The Story of Roger Casement“. In: Critical quarterly. Bd. 41, 2, 105-152 und Bd. 41, 3 (1999), S. 71-117; Casement, Roger: The Amazon Journal of Roger Casement. London, Anaconda Editions, 2000, S. 15-56. 86 Denn es darf nicht vergessen werden, dass hinter der Beauftragung von Casement 1903 massive britische Kolonialinteressen standen. Damit sollen keinesfalls die für Peru gegebenen wirtschaftlichen britischen Interessen negiert werden, doch ergab sich für Casement eine schwächere Position bei der Durchsetzung seines Rapports. Vargas Llosa, Mario: Der Traum des Kelten. Roman, Aus dem Span. von Angelica Ammar. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2011. Casement (2000): S. 57-114. Dabei spielt natürlich auch die herablassende Sicht auf die Iren in England, aber auch in Spanien wohl für die Titelgebung „Traum des Kelten“ eine gewisse Rolle. The Oxford Illustrated History of Ireland, hg. v. R. F. Forster. Oxford, Oxford University Press, 1991, S. 118f. Auch die Spanier teilten übrigens bereits im 17. Jahrhundert die Sicht des „barbarischen und unzivilisierten“ Iren, wie dies in den Briefen von Francisco de Cuellar deutlich wird, der ihnen daher auch abspricht, wahre Katholiken zu sein. Vgl. Cuellar, Francisco de: Captain Cuellar’s Adventures in Connacht and Ulster. In: URL: http://www.ucc.ie/celt/published/T108200/index.html [Zugriff: 17.2.2017]. Zu den Zirkulationswegen: Kohl, Frank Stephan: „Albert Frisch und die ersten global zirkulierende Amazonasfotographien“. In: Wolff, Gregor (Hg.): Forscher und Unternehmer mit Kamera. Geschichten von Bildern und Fotographien aus der Fotothek des Ibero-Amerikanischen Instituts. Berlin, IAI 2014, S. 26-35.

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stände aufmerksam zu machen, versandte er schockierende Bilder nach Europa, die dann auch das gewünschte Interesse erzielten.87 Anders verhält es sich mit den Bildern von Hugo Brehme. Er war um die Jahrhundertwende in Mexiko als Fotograf tätig und suchte nach Motiven, die sich, was ja besonders geschätzt wurde, auch als Postkarten verkaufen ließen. So dokumentierte er den Alltag mit seiner Kamera und war somit ein Fotograf zwischen „Revolution und Romantik“.88 Das verbindende Element zwischen den Illustratoren Brehme und Rugendas bestand vornehmlich in der Einbeziehung des Alltags von Trägerfiguren in ihr Œuvre. Bei Rugendas und Casement ist die dann später erfolgte literarische Idealisierung von Bedeutung, sei es durch Vargas Llosa und seinen Roman Der Traum des Kelten oder von Rugendas durch Cesar Aira. Wenn der Titel der deutschen Übersetzung des Buches von Cesar Aira Im Schatten Humboldts, Französisch hingegen La vie d’un peintre voyageur lautet, so kann, wie übrigens auch bei Brehme, eine Verbindungslinie zwischen Humboldt, Rugendas und Brehme gezogen werden.89 Allen drei Autoren ist gemeinsam, durch ihre jeweils eigenen Stilmittel die lateinamerikanischen Trägerfiguren in ihrer Vielfalt, in verschiedenen Situa-

87 Vgl. das Foto im Bericht von 1913 auf: URL: https://en.wikipedia.org/wiki/Peruvian_Amazon_Company [Zugriff: 20.6.2017]. 88 Vgl. das Buch Brehme, Hugo: Mexico Pintoresco. Ciudad de Mexico, Brehme, 1923. Weitere Fotografien finden sich in der Sammlung des Iberoamerikianischen Instituts (IAI) Berlin. Smlg. Hugo Brehme: Mappe 1 und Mappe 4 und Signatur 0089-s1,482: „Indios de Taxco“, „Träger von Holzbündel“ Signatur: 0089-s1,485 „Bilder vom Straßenhandel: Frutero“: Fruchthändler mit Kiepe, Signatur: 0089-s1,487 „Muchacho de Xochimilco“: Junge mit Joch und zwei angehängten Wassereimern. 89 Aira, César: Un épisode dans la vie du peintre voyageur. Marseille, André Dimanche, 2001; Magnin, Lucile: Un episodio de la vida del pintor de César Aira. Le peintre voyageur dans l’Amérique Latine du XIXe siècle entre littérature, art et science. Dissertation, Langues étrangères appliquées. Grenoble, 2012. URL: http://www.theses.fr/2012GRENL002/document [Zugriff: 22.06.2017]. Mbaye, Djibril: La obra de César Aira: una narrativa en búsqueda de su crítica. Dissertation. Madrid, Universidad Complutense, 2011. URL: http://eprints.ucm.es/12821/1/T32965.pdf [Zugriff: 22.06.2017]; Pelizaeus, Ludolf: „Peintre Voyageur: Johann Moritz Rugendas und die Prägung von Modellbildern in Lateinamerika,Circulations – interactions“. In: Liard, Véronique (Hg.): Revue Interdisciplinaire „Textes & contextes“. Nr. 11 (2016). Online unter: URL: http://revuesshs.u-bourgogne.fr/textes&contextes/document.php?id=1307 [ Zugriff: 22.06.2017].

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tionen und in verschiedenen Funktionen festzuhalten. Bei Brehme finden wir beispielsweise auf einer Reihe von Fotos Trägerfiguren recht neutral vor einen städtischen Hintergrund dargestellt.90 (Abb. 7-9) Abb. 7: Joseph Moritz Rugendas, Voyage au Brésil: „Blanchisseuses à Rio“, Frauen, die gebleichte Wäsche tragen

Quelle: BNF, URL: http://gallica.bnf.fr/ [Zugriff: März 2018]

Abb. 8: C. B. Waite, Träger Mexiko (Tätigkeitszeit: 1895-1905*) vor 1903 Iberoamerikanisches Institut

Quelle: http: //www. smb-digital.de/eMuseumPlus [Zugriff: März 2018]

90 Vgl. die Aufnahmen, „Holzträger und Junge“, 1925, S. 8; „Mädchen in Tehuantepec, Oaxaca“, S. 30, Hutverkäuferin 1910, S. 63, 122; „Junge mit Eimer“, S. 121; Früchteverkäufer 1925, S 123; Vogelhändler 1910, S. 124. Vgl. Nugesser, Michael (Hg.): Hugo Brehme Fotograf – Fotografo. Berlin, Wilhmuth Arenhövel, 2004.

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Abb. 9: Früchteverkäufer 1910, Hugo Brehme

Quelle: URL: http://www.hugo-brehme.de/bild02.htm [Zugriff: März 2018]

Wichtiger als diese Parallele, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, scheint mir aber auch in einer inhaltlichen Nähe zwischen Rugendas und Casement zu bestehen. Leider haben sich, anders als bei Humboldt und Casement, die Tagebücher von Rugendas Reisen nicht erhalten, und viele Stationen konnten nur dort rekonstruiert werden, wo sich dies durch das Journal seines Begleiters Karl Krause erschließt,91 so dass allein seine Stiche aussagekräftig sind. Es ist zunächst bemerkenswert, wie Rugendas sein vorgestelltes Werk gegliedert hat. Gewissermaßen um den Leser behutsam einzuführen, beginnt er mit Landschaftsdarstellungen und Darstellungen von Sitten und Gebräuchen, erst am Schluss stehen seine dramatischen Stiche bezüglich der Ausnutzung von Sklaven und der indigenen Bevölkerung. Nur mit einem kurzen Untertitel, ganz im Sinne von Francisco Goya, der eben auch dem Betrachter das Erkennen der Konsequenz des Dargestellten überlässt, werden jene Punkte, die sich auch bei Casement finden, bereits einbezogen. Denn schon seit der Kolonialzeit ist bekannt, dass mit gewalttätigen Expeditionen Indigene gefangen genommen und auf Plantagen oder in den Metallabbau verbracht wurden, eine Praxis, die das koloniale Spanisch- wie Portugiesisch Amerika betraf. 92 Rugendas verfügte

91 Casement (2000): S. 115-489; Pelizaeus (2016). 92 Casement (2000): S. 15-56. Zur kritischen Betrachtung der Situation in Lateinamerika im 18. Jahrhundert: Röben de Alencar-Xavier, Wiebke & Tomás Antônio Gonzagas

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dabei noch nicht über die medialen Netze, besonders die Unmittelbarkeit der Photographie, wie sie Casement und Brehme zur Verfügung standen. Dennoch zeigt sich bei ihm der kritische und anklagende Geist sehr deutlich, ganz besonders auch, wenn man ihn in Bezug zu seinem distanziert beobachtenden Zeitgenossen Alexander von Humboldt setzt.93 Casement und Brehme gelang gewissermaßen das, was so scheint mir, Rugendas schon früher versucht hatte, doch fehlten ihm die medialen Mittel, die notwendige Aufmerksamkeit und die Einflussmöglichkeiten in Europa, über die Casement und Brehme verfügten.94

A USBLICK Die Darstellung und die Quellen, die auf den „Träger“ in der deutschsprachigen Literatur Bezug nehmen, sind selten. Dies liegt aber keinesfalls am fehlenden Interesse an Außereuropa oder an fehlenden deutschen Kolonien in der Frühen Neuzeit. Denn in Deutschland bestand es, und so erschien auch viel Literatur, die auf Amerika Bezug nahm. Wenn also Amerika im deutschsprachigen Zusammenhang Interesse fand und wenn auch der „Träger“, wie am Eintrag im Zedler gezeigt werden konnte, im 18. Jahrhundert bereits bekannt war, warum findet sich dann keine unvoreingenommene Verbindung zwischen Amerika und der Figur des Trägers? Als Gründe für die dezidiert negative Sicht auf den Träger nehmen wir zunächst die Entstehung eines schon im 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum verbreiteten Narratives an. Dieses konstruierte im Moment der Eroberung und Unterwerfung den Träger als zentrale Figur, die mit der Niederlage der Inka mit der Funktion der Sänftenträger verbunden wird. Durch die Verbreitung

Cartas Chilenas: „Eine satirische Kritik der kolonialen Verhältnisse im kolonialen Minas Gerais vor dem Hintergrund des europäischen Aufklärungsdenkens“. In: Lüsebrink (2006): S. 371-387, hier. 371-373. 93 Weitere Biographien in: Wolff, Gregor (Hg.): Forscher und Unternehmer mit Kamera. Geschichten von Bildern und Fotografien aus der Fotothek des IberoAmerikanischen Instituts. Berlin, IAI, 2014. Vgl. die Fotonachlässe im Iberoamerikanischen Institut: Matteson, Sumner W. (1867-1920), Waite, Charles Burglingame (1860-1920), Theobert Maler (1842-1917) und Brehme, Hugo (1882-1954). Alle vier sammelten oder erstellten Aufnahmen, wobei Sumner Aufnahmen kaufte und als seine eigenen ausgab. Vgl. Eintrag im IAI. 94 Gewiss lastet auf der späteren Erinnerung von Casement sein Verfahren und seine Hinrichtung im Jahre 1916, aber zu der Zeit seines Rapports fand dieser noch ungeteilte Aufmerksamkeit. Eaton (1999): S. 105-152 , S. 71-117.

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dieses Bildes durch Theodor de Bry wurde ein ambivalentes Superioritätsnarrativ geschaffen, nämlich das des Trägers als Inkarnation des „feigen“ Indianers. Demgegenüber stand die ,Grausamkeit‘ im Vorgehen der Spanier gegen die Träger und den Herrscher, was sich gerade in der protestantischen Welt als ‚schwarze Legende‘ verfestigte. Andererseits konnte sich in Lateinamerika selber das ‚Getragenwerden‘ als Herrschaftssymbol und als Symbol der Überlegenheit fortsetzen, da es als Symbol der Distinktion von den Spaniern aus der Inkazeit übernommen werden konnte. In Deutschland hingegen erfolgte in dem stark protestantisch geprägten deutschen Buchmarkt eben aufgrund der Verbindung mit der negativen Sicht Spaniens eine ähnliche Konnotation der Funktion des Trägers. Dieser blieb auch in der Aufklärung als der „Wilde“ im Hintergrund. Damit erhielt die indigene Bevölkerung in Amerika die Rolle des passiven Trägers, des sich tragen Lassenden, wobei gewissermaßen ‚Träger‘ und ‚träge‘ in eine tautologische Verbindung miteinander traten. Der europäische Reisende hingegen unterstrich seine Überlegenheit durch das Reisen zu Pferde, manchmal mit dem Maultier, ließ sich hingegen nur selten von Trägern in einer Sänfte tragen. Von diesem Narrativ vermochte sich auch Alexander von Humboldt nicht vollständig zu lösen, wenngleich er jenen Trägern / Begleitern, die ihn in schwierigen Situation zur Seite gestanden hatten, ein Gesicht verlieh. Bei Humboldt wurde der Träger auch deswegen zu einem Legitimationsmotiv, weil er sich gerade von dem ,normalen‘ Reisenden absetzen wollte und die Begleitung durch Träger, die ungewöhnliche Pfade beschritten, unterstützte. Noch stärker wurden die Trägerfiguren in dem Werk von Johann Moritz Rugendas gewürdigt, weil es ihm gelang, in Zeichnungen, die in Stahlstiche umgesetzt wurden, beobachtend eine Situation einzufangen und damit zur Diskussion zu stellen. Im Rahmen des Abolitionismusdiskurses, der andere Aussagen des Werkes von Rugendas überlagerte, wurde dokumentarisch auf die Situation der Indigenen eingegangen. In der Folge wurde diese Linie gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Roger Casement und Hugo Brehme fortgesetzt. Brehme mehr im Sinne von Rugendas durch Beobachtung und Dokumentation, Casement hingegen durch eine ganze Kampagne, mithilfe derer er auf das Schicksal der Indigenen aufmerksam machen wollte, wenngleich sich dies aber durchaus in einen kolonialen Kontext einordnen lässt, weil Casement von der britischen Regierung zunächst aus politischen Interessen unterstützt wurde. Doch mit den neuen Mitteln der Bildübermittelung und der Reproduktion von Fotos zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann die Figur des Trägers zu einem fast schon romantisch zu nennenden Postkartenmotiv zu werden, das dann in der interessierten deutschen Öffentlichkeit sein gewisses Eigenleben entwickelte.

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L ITERATUR Sammlung des Iberoamerikianischen Instituts (IAI) Berlin. Smlg. Hugo Brehme: Mappe 1 und Mappe 4 und Signatur 0089-s1,482; Signatur: 0089-s1,487. Achenbach, Sigrid (Hg.): Kunst um Humboldt: Reisestudien aus Mittel- und Südamerika von Rugendas, Bellermann und Hildebrandt im Berliner Kupferstichkabinett. Ausstellungskatalog Kupferstichkabinett Staatliche Museen zu Berlin. München, Hirmer, 2009. Aira, César: Un épisode dans la vie du peintre voyageur. Marseille, André Dimanche, 2001. Anonym: Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Lande; oder Sammlung aller Reisebeschreibungen, welche bis itzo in verschiedenen Sprachen von allen Völkern herausgegeben worden […] welcher des Don Georg Juan und des Don Antonio de Ulloa Reis nach Süd-America, aus dem Spanischen übersetzet, in sich fasset. Leipzig, Arkstee und Merkus, 1751. Bennassar, Bartolomé: La América española y la América portuguesa, Siglos XVI-XVIII. Madrid, Akal, 2001. Berghe, Pierre L. van den: „El Camino Inca: a Profile of Cuzco Tourists“. In: International journal of hospitality and tourism administration. Bd. 1, Nr. 34 (2000), S. 99-110. Biermann Kurt-R. & Schwarz,Ingo: „Indianische Reisebegleiter Alexander von Humboldts in Amerika“. In: Internationale Zeitschrift für Humboldt Studien. Bd. 8, 14 (2007), S. 86-99. Brehme, Hugo: Mexico Pintoresco. Ciudad de Mexico, Brehme, 1923. Butel-Dumont, Georges-Marie & Uhlich, Adam Gottfried: Geschichte und Handlung der Englischen Colonien in dem nördlichen Amerika worinnen man den jetzigen Zustand ihrer Bevölkerung und besondere Umstände von ihrer Regierungsform, bevorab von Neu England, Pensilvanien, Carolina und Georgien findet. Frankfurt am Mayn, Andräa, 1755. Cano, Pedro Damián: „La minería en las Indias Españolas y la mita de minas“. In: Revista de la Inquisición: intolerancia y derechos humanos. Bd. 19 (2015), S. 199-218. Casement, Roger: The Amazon Journal of Roger Casement. London, Anaconda Editions, 2000. Catepillán, Ximena & Szymanski, Waclaw: „Counting and Arithmetic of the Inca“. In: Revista Latinoamericana de Etnomatemática. Bd. 5, Nr. 2 (2012), S. 47-65.

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Vertikale Trage-Maschinen als Kritik an der traditionellen Kolonialfotografie Zu christologischen Anspielungen in Sebastião Salgados Fotoband Serra pelada A NNE D. P EITER

V ERTIKALES T RAGEN „Gold […] ist nicht eine Ware wie andere Waren, sondern primär ein Spekulationsobjekt, dessen Nachfrage von politischen Faktoren abhängig ist, und Goldminen dienen keiner weiteren Produktion wie Eisen und Kohle [...]“, schreibt Hannah Arendt in ihrem Buch über totale Herrschaft.1 In dem Gesamtgebäude moderner Produktion mögen Gold und Diamanten ihre bescheidene Stelle haben neben Kohle, Eisen, Öl und Gummi; für die Einbildungskraft der Menschheit sind sie seit uralten Zeiten identifiziert mit Reichtum als solchem. Sie sind das einzige Material, das wie ein Wert an sich erscheint […]. Gerade die scheinbare Unabhängigkeit von Bedürfnissen und Gebrauch, die lockende Stabilität gegenüber allen anderen Rohstoffen, deren Werte funktionell jeweils neu festgelegt werden, macht das rein Imaginäre, Phantastische und Schwindelhafte aller Goldgräberei aus. Sie ist seit alters die einzige Produktion, die sicher außerhalb der Gesellschaft hielt und von Abenteurern, Glücksrittern und Verbrechern betrieben wurde.2

Man konnte sich also der Aussicht hingeben, alle persönlichen wie finanziellen oder sozialen Probleme würden sich lösen, sobald man dieses „Lebensbluts“

1

Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Iperialismus, totale Herrschaft. München, Zürich, Piper-Verlag, 2014, S. 431.

2

Ebd., S. 412.

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teilhaftig würde. Abenteuernde Europäer kamen an Goldgräberstätten, doch nicht etwa „um zu siedeln, sondern um reich zu werden“.3 Das Tragen, das Sebastião Salgado auf seinen Fotos zur Serra pelada zeigt, war ein kleinräumiges: Die Fundstätte, zu der in den 1970er Jahren Tausende von brasilianischen Goldgräbern strömten, war nicht größer als ein Fußballfeld. Anders als die Träger, die im Kolonialismus in den Dienst der Eroberung von Kontinenten gestellt wurden, blieben die brasilianischen Träger Jahr für Jahr an Ort und Stelle. Während jene nach vorn strebten, war den Trägern in diesem Erdloch der Horizont entzogen. Es ging nicht darum, Dinge auf ihn zu zu tragen. Aufgabe war vielmehr ein vertikales Tragen. Unzählige hölzerne Leitern führten von den winzigen Grabungsparzellen jeder Gruppe aus dem Loch hinaus, nach oben. Die Last, die die Leitern hinauf geschafft wurde, unterschied sich ebenfalls von der anderer Träger: Die Goldgräber gruben zwar nach Gold, waren jedoch keineswegs Goldträger. Sie trugen in der Regel nichts anderes als Erde. Diese wurde in Säcke aus grobem Stoff gefüllt. Ihr Gewicht betrug zwischen 35 und 65 Kilo. Je mehr Erde nach oben gelangte, desto schwieriger, da länger wurde das Tragen. Die Träger trugen sich buchstäblich den Boden unter den Füßen weg: „damnés de la terre“4 – im Wortsinn verstanden. Sie selbst waren es, die ihre Arbeit immer schwerer machten. Denn mit der Zeit wurde das Erdloch so tief, dass ein kompliziertes System von Leitern errichtet werden musste, um überhaupt noch Wege nach oben offen zu halten. Die Träger, die Salgados Fotos zeigen, waren Karawanen, die stets zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehrten, Spezialisten eines unablässigen Hin und Her zwischen oben und unten. Ihre Motivation, die Gefahr des Leitersystems ebenso wie die Erdsäcke auf sich zu nehmen, lag klar zutage: Alle Träger hofften, umso weiter nach oben zu gelangen, je weiter sie unten, ins Erdinnere eindrangen. Denn irgendwo im Schlamm lag der Reichtum versteckt, dessen Anziehungskraft Hannah Arendt analysiert hat, und je tiefer die Träger im Dreck versanken, je mehr sie selbst von Erde bedeckt wurden, desto stärker und beharrlicher mussten sie an der Hoffnung festhalten, dass gerade ihre Parzelle zum Ort der Verwandlung werden würde: Aus dem Schlamm sollte das Gold, aus dem Unten das Oben, aus dem Träger ein von überwältigendem Reichtum Getragener werden.

3

Ebd., S. 431.

4

Frantz Fanon: „Les damnés de la terre“. In: ders.: Œuvres. Paris, Editions de la Découverte, 2011, S. 419-682.

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In dieser Hinsicht kam es dann aber doch zu Ähnlichkeiten zu anderen Trägern, die man in Abgrenzung von den brasilianischen die Horizontträger nennen könnte. 5 Denn die Hoffnung, nach oben zu gelangen, sich in den sozialen Hierarchien, die die Kolonialherrschaft auf je neue Weise konfigurierte, einen Platz jenseits der Niederung der Armut zu verschaffen, ist auch das Movens für Träger anderer Länder gewesen. Das Tragen konnte, so wie bei der Goldsuche, ein in gewisser Weise freiwilliges sein: Das Tragen als Arbeit hatte mitunter den Aufstieg im übertragenen Sinne zum Ziel. In dieser Hinsicht sind also viele Horizontträger in Wirklichkeit ebenfalls Verikalträger gewesen, Träger, die, während sie auf den Horizont zu strebten, in Wirklichkeit sozial nach oben zu gelangen hofften.6 Doch die Goldgräber der Serra pelada, die nur in Ausnahmefällen zu Goldträgern avancierten, wirken wie ein Symbol dafür, wie wenig tragfähig die vertikale Hoffnung war. Nach oben zu kommen, setzte vor allen Dingen voraus, dass man hinzunehmen bereit war, immer tiefer nach unten zu müssen. Die Hoffnung, dass man, je tiefer man im Dreck versank, desto glänzender von unten auferstehen werde, konnte umkippen: Die Regel war in der Tat, dass die Träger, die sich immer weiter nach unten gruben, auch dort unten blieben, und zwar weil sie kein Gold fanden. Vor dem Hintergrund des vor allen Dingen mythischen Charakters, dem der schnelle Reichtum durch Gold zukam, stellt sich die Frage, wie der Fotograf Sebastião Salgado durch seine Fotos an diesem Mythos der Vertikalträger mitgeschrieben hat. In dem vorliegenden Beitrag werde ich versuchen, zwei Thesen gegeneinander zu halten: Die erste besagt, dass es Salgado gelingt, mit seinem Bildband

5

Fast alle Beiträge des vorliegenden Bandes handeln von diesen Horizontträgern. Zu den Vertikalträgern hingegen zählten die Sherpas, die im Himalaya in den Dienst europäischer Alpinisten traten. Marlene Tolède berichtet außerdem von Bergbesteigungen in Afrika und auf der Insel La Réunion. Auch diese Träger waren Spezialisten der Vertikalität.

6

Beatrix Heintze schreibt zum Beispiel mit Blick auf die soziale Zusammensetzung und Mobilität von Trägern im westlichen Zentralafrika: „[U]nter den Träger gab es nicht nur Sklaven, Freigekaufte und Freie, sondern die freien Träger konnten ganz unterschiedlichen sozialen Schichten entstammen. Neben den einfachen Leuten und – besonders in den Zeiten der Zwangsrekrutierungen – den Ärmsten der Armen gab es auch Adlige, Häuptlingssöhne und sogar Dorfchefs. Trägerdienste standen oft am Beginn einer späteren Händlerkarriere und waren demzufolge Lehrjahre, die oft schon in frühem Knabenalter begannen […].“ Beatrix Heintze: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika. Frankfurt/M., Lembeck-Verlag, 2002, S. 185.

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einen Gegenentwurf zur Kolonialfotografie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts vorzustellen, und zwar indem er ein wichtiges Charakteristika derselben – das Verschwinden des einzelnen Trägers – durch eine Dopplung des Verschwindens ausstellt und dadurch paradoxerweise wieder sichtbar macht. Die zweite These ist der ersten entgegengesetzt. Ihr zufolge bewirkt die christologische Aufladung seiner Trägerfotos eine Mythisierung, die die kritische Analyse der Kolonialgeschichte dann doch wieder in Frage stellt. In jedem Fall kommt Salgados Trägerfotos ein zentraler Platz innerhalb der fotografischen Tradition zum Motiv des Trägers zu, und zwar als post-koloniale Rezeption der ästhetischen Rhetorik, zu der die Entindividualisierungstendenzen gehören, die die europäischen Reiseberichte und allgemein die Kolonialliteratur prägten. Salgados Fotos sind also keine Kolonialfotos, sondern Reflexionen über deren spezifische Bildrhetorik. Das aber heißt wiederum nicht, dass nicht doch bestimmte Kontinuitäten zu dieser existierten – wie, das wird zu zeigen sein.

D AS E RHABENE

ARCHAISCHER

M YTHEN

Salgados Fotosammlung aus der Serra pelada setzt sich, wie all seine Fotobände, aus Schwarz-Weiß-Aufnahmen zusammen. Dies ist für die Frage, wie sich die Bilder zu der Hoffnung auf Vertikalität verhalten, eine ebenso einfache wie wichtige Feststellung, denn Farbaufnahmen pflegen intuitiv mit Aktualität, also einer Bindung an das Jetzt, an Gegenwärtiges assoziiert zu werden, SchwarzWeiß-Fotos hingegen mit historisch Vergangenem, wenn nicht gar mit Zeitlosigkeit. Und in der Tat vermitteln Salgados Trägerfotos den Eindruck, ein mythisches Geschehen fern der Gegenwart zum Gegenstand zu haben. Die Träger spiegeln mit ihren erdverschmierten Körpern und Gesichtern und in ihrer Massenhaftigkeit, was Salgado wie folgt formuliert hat: Jamais depuis la construction des pyramides par des milliers d’esclaves ou la ruée vers l’or du Klondike en Alaska, on n’avait assisté à une tragédie humaine aussi épique: hommes enfoncés dans la boue, creusant pour trouver de l’or à Serra Pelada […].7 Seit dem Bau der Pyramiden durch Tausende von Sklaven oder dem Goldrausch von Klondike in Alaska ist man nicht mehr Zeuge einer solch epischen Tragödie von Menschen geworden: Männer, die im Schlamm stecken, mit Grabungen beschäftigt, um in der Serra Pelada Gold zu finden […]. [Übersetzung A.P.]

7

Sebastião Salgado: Einleitung. In: ders.: Serra pelada. Photographies. Paris, Photo Poche Société, 1999, ohne Seitenangabe.

V ERTIKALE T RAGE -M ASCHINEN

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Hoffnungen werden von Salgado nicht erwähnt. Im Gegenteil hebt er den Aspekt des Leids hervor. Es scheint ihm also darum zu gehen, die soziale Unterdrückung der Träger ins Bild zu setzen – und nicht um die Umsetzung befreiender Zukunftsentwürfe. Doch das, was das soziale Engagement des Fotografen rhetorisch auf eigenartige Weise durchkreuzt, ist das Adjektiv „episch“. Salgados Vergleich zu zwei anderen Trägergruppen, die in ganz unterschiedlichen Zeiten – zur Zeit der Pharaonen und im 19. Jahrhundert in Alaska 8 – Beispiele menschlicher Tragödie geliefert hätten, impliziert, dass, obwohl (oder vielleicht weil?) in der Serra pelada die Arbeitsbedingungen ebenso schrecklich waren wie dort, irgendwie doch etwas Großartiges vor sich ging. Mit anderen Worten: Das Mitgefühl mit den brasilianischen Trägern mischt sich auf eigenartige Weise mit der Absicht, etwas Erhabenes in Szene zu setzen, jenseits dieses konkreten Ortes in einer ganz konkreten Zeit.9 Die Analyse einiger ausgewählter Fotos soll zeigen, was das heißt.10 Salgados Fotos bilden eine Komposition, die einer ausgeklügelten Logik folgt. Während die ersten Fotos sämtlich aus großer, räumlicher Distanz aufgenommen wurden11, d.h. die Träger in ihrer Massenhaftigkeit zeigen, erfolgt im Laufe des

8

Bilder vom Goldrausch in Alaska liefert Charlie Chaplins Film The Gold Rush, USA 1925, der auf youtube verfügbar ist. Vgl.: URL: https://www.youtube.com/watch?v=nt-_DXC-aik [Zugriff: 14.10.2017].

9

Folgen möchte ich den Überlegungen von Friedrich Schiller: „Beim Erhabenen hingegen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und eben in diesem Widerspruch zwischen beiden liegt der Zauber, womit es unser Gemüth ergreift. Der physische und der moralische Mensch werden hier aufs schärfste von einander geschieden; denn gerade bei solchen Gegenständen, wo der erste nur seine Schranken empfindet, macht der andere die Erfahrung seiner Kraft und wird durch eben das unendlich erhoben, was den andern zu Boden drückt.“ Friedrich Schiller: Über das Erhabene. URL: http://gutenberg.spiegel.de/buch/ueber-das-erhabene [Zugriff: 14.10.2017]. Maßgeblich für das Erhabene ist, Kant zufolge, eine „Bewegung des Gemüts“. Erhaben sei, „was schlechthin groß ist“, „was über alle Vergleichung groß ist“. Die „Unangemessenheit unseres Vermögens der Größenschätzung“ erweckt das Gefühl eines „übersinnlichen Vermögens in uns“. Emmanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, Kapitel 34 (= A. Vom Mathematisch-Erhabenen, §25 Namenerklärung des Erhabenen); URL: http://gutenberg.spiegel.de/buch/kritik-der-urteilskraft-3507/34 [Zugriff: 14.10.2017].

10 Leider können diese Fotos hier nicht abgedruckt werden, doch ich verweise auf das erwähnte Buch. 11 Vgl. die Tafeln 1-3, in: Salgado (1999).

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Zyklus eine stetige Annäherung, die sich bis hin zu Porträtaufnahmen der Einzelträger steigert. Das Episch-Mythische – im Sinne von „zeitlich Entrückte“ – besteht darin, dass die Menschen auf dem ersten Foto als Menschen quasi nicht erkennbar sind. Sie bilden eine Art Muster, ein Gewirr von Punkten, deren Sinn und Aufgabe zunächst nicht erkennbar sind. Das zweite Foto12 ist dann ein erster Schritt auf dem Wege, zu verstehen, was genau hier vor sich geht. Zu erkennen sind mauerartige Stapel von Säcken, die augenscheinlich darauf warten, von den Trägern nach oben befördert zu werden. Im Hintergrund sind in der Tat einfache Leitern aus Holz zu erkennen, auf denen die Träger, die Säcke auf der Schulter, in die Höhe klettern. Noch ist die ungheure Tiefe des Grabungsortes nicht in seinem vollen Ausmaß erkennbar, doch sind sämtliche Motive, die der Zyklus enthält, vorgebildet: die Träger in ihrer Massenhaftigkeit; die Schwere der Lasten, die sie zu tragen haben; das Leitersystem für den Aufstieg nach oben; die Erde, in deren Tiefe sich alles vollzieht und sich auf alle Körper legt. Zwei erste Kennzeichen dessen, was man mit dem „Epischen“ zu bezeichnen pflegt, sind gegeben: Die Komplexität dessen, was es in den Bildern zu erzählen gilt, trifft mit der Bedeutung des Erzählten zusammen. Das dritte Foto13 versucht nach dieser Einführung der Erzählmotive einen ersten Sprung in die Totale. Hier wird der Betrachter erneut in große Distanz zum Geschehen gerückt und so aufgefordert, sich dem Verschwinden des Einzelnen in dem ungeheuren „Werk“ zu stellen. Etwas Archaisches geht von dem Foto aus: ein Abstieg in eine Welt, die weit vor der Erfindung der Fotografie zu liegen scheint. Das technische Hilfsmittel, das diese Welt festhält, steht also im Widerspruch zu dieser und macht sich selbst zugleich erfolgreich vergessen. Denn der Eindruck, der von dem Gezeigten ausgeht, ist so stark, dass man das Archaische als Archaisches zu glauben geneigt ist, auch wenn die Voraussetzung des Zugangs zu ihm auf einer Erfindung beruht, die keineswegs archaisch ist. Dass Salgado sich für die Schwarz-Weiß-Fotografie entschieden hat, erweist hier erneut seine Bedeutung. Der Reduktion der Palette auf Weiß-, Grau- und Schwarztöne entspricht sozusagen am ehesten dem Ziel, den Betrachtern das Gefühl zu vermitteln, zu Zeugen einer anderen Zeit zu werden – vielleicht der der Pharaonen? –, jenseits aller technischen Hilfe, diese darzustellbar zu machen.

12 Vgl. ebd., Tafel 2. 13 Vgl. ebd., Tafel 3.

V ERTIKALE T RAGE -M ASCHINEN

D ER T URMBAU

ZU

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B ABEL

Zum Aspekt des Archaischen gehört auch, dass der Bau, der in der Serra pelada im Gang ist, einem umgekehrten Turmbau entspricht, also von Beginn an biblische Motive heraufbeschwört. Die Hybris der Goldsucher bezieht sich nicht darauf, in die höchsten Höhen zu bauen, sondern im Gegenteil, die Erddecke aufzureißen und in eine Tiefe zu gelangen, deren Gefährlichkeit offensichtlich ist. Denn die kubischen Formen, die sich bei der Grabung ergeben, stehen durch die Nässe der Erde und die Tiefe, die die Menschen hervorbringen, offensichtlich in der Gefahr, in sich zusammenzusacken, abzubröckeln und die Träger unter sich zu begraben. Ein furchtbarer Kontrast entsteht zwischen der Kleinheit und Gefährdung des Einzelnen und dem Gesamtwerk, das er im Wortsinne „mit trägt“. Die Möglichkeit der Katastrophe ist in den Fotos immer schon greifbar, doch wird ihr Eintreffen nicht gezeigt. Vielmehr feiern die Fotos, obwohl den Aspekt der Hybris ins Bild setzend, in gewisser Weise stets von Neuem das Gelingen des Baus. Der Fotograf schlägt sich entgegen der Botschaft der biblischen Geschichte auf die Seite der Träger, denn wider Erwarten brechen die Leitern nicht, stürzt nicht ein Träger nach unten, alle anderen mit sich reißend. Im Laufe des Zyklus setzt sich die Idee durch, dass die Archaik des Kontakts zur Erde mit einer Ordnungsleistung einhergeht, der die Hilfsarbeiter denn auch ihren Namen verdankten: Sie, die die Erdsäcke aus den Schürfparzellen hinaus transportierten, wurden im Jargon als „formigas“, also als „Ameisen“, bezeichnet.14 Und in der Tat machen Salgados Fotos diesen Aspekt stark. Eine quasi militärische Ordnung ergibt sich durch die Bildung von Kolonnen, in der sich, rhythmisiert durch stets gleiche Abstände, ein Träger hinter dem anderen nach oben zieht. Die große Transportleistung scheint, darin gleichfalls ameisenhaft, das Körpergewicht des einzelnen Trägers weit zu übersteigen.

D AS P ROBLEM

DER A BBILDBARKEIT DER EINZELNEN T RÄGER Was von ihren Körpern zu sehen ist, ist entsprechend wenig. Optisch stehen die Säcke im Vordergrund. Das wird selbst da deutlich, wo sich Salgado einzelnen Trägergruppen oder gar Individuen nähert und sie als Individuen zeigt. Oft sind sie als solche aber gar nicht zu erkennen, denn ihre Arbeit erdrückt nicht nur

14 Der dritte Band meiner Habilitationsschrift enthält auch eine Motivgeschichte zu Termiten und Ameisen. Vgl.: Anne D. Peiter: Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kalter Krieg. Das Buch erscheint voraussichtlich Ende 2018.

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ihren Körper, sondern auch ihre Abbildbarkeit als Individuen. Und hier sind wir an einem Punkt angekommen, der für das Verständnis der Kolonialfotografie zum Trägerwesen von eminenter Bedeutung ist: Während die Fotografie im 19. Jahrhundert und dann bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Träger als Einzelne im Moment des Tragens nur in seltenen Ausnahmefällen ins Bild rückte, schlicht weil diejenigen, die die Träger angeheuert hatten, zwar an deren Trageleistung, nicht jedoch am Träger unter der Last interessiert waren, beschreiben Salgados Fotos den umgekehrten Weg. Auch er zeigt den Einzelnen auf vielen Fotos nicht, doch der Grund dafür liegt in der Wucht der Last und nicht etwa in einem Mangel an Interesse für das Schicksal dessen, der unter der Last versteckt ist.15 Die Träger sind sozusagen unfotografierbar, weil sie unter der Last verschwinden. Als Träger können sie aber nur dann im Bild erscheinen, wenn sie auch wirklich beim Tragen sind. Zugleich muss jedoch dem durch das Tragen bedingten, optischen Verschwinden mit Hilfe der Fotografie ihre Selbstverständlichkeit genommen werden. Das kann paradoxerweise nur dadurch gelingen, dass man das Unfotografierbare als solches fotografiert. Dass aber wirklich das Unfotografierbare (will heißen: Verschwinden) dessen, was abgebildet werden soll, zum Sujet des Fotos wird und nicht etwa das Fotografierbare bei gleichzeitigem Absehen von allem Unfotografierbaren, darin liegt die eigentliche Schwierigkeit. Eine Sache ist es, wenn etwas ungenannt, unabgebildet bleibt, etwas anderes, wenn die Ungenanntheit, Unabbildbarkeit markiert wird. Die Frage ist also, wie etwas markiert werden kann, was selbst nicht wirklich da ist. Oder einfacher gefasst: Wie stellt man etwas dar, wenn es nicht zu sehen ist? Man könnte einwenden, dass Fotografen, die die Ideologie der Kolonialherrschaft mit trugen, sich von ihrer Darstellung der Lasten her nicht wirklich von der Salgados unterscheiden, denn auch sie zeigen ja sehr wohl die Lasten, die zu schultern waren. Die Lasten wurden durchaus nicht verschwiegen, sondern im Gegenteil stets von Neuem ins Bild gesetzt (siehe dazu z.B. das untenstehende Foto). Doch das Argument, die Lasten als Ursache der Verdecktheit derer, die sie trugen, seien auch hier, in der kolonialen Photographie, zu sehen, scheint nicht zu stimmen. Denn es kommt nicht schlicht darauf an, dass Träger unter

15 In der Tat erklärte Salgado in einem Interview das Folgende: „I felt a certain revulsion, and a compulsion to show that others also have dignity, that dignity is not an exclusive property of the rich countries of the north but exists all over the planet.“ Vgl. die Internetseite der New York Times, und zwar in der Rubrik „Lens. Photography, Video and Visual Journalism – Sebastiao Salgado“. URL:

http://lens.blogs.nytimes.com/2015/03/23/sebastio-salgados-journey-from-

brazil-to-the-world/?_r=0 [Zugriff: 10.5.2017].

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den Lasten zu sehen sind (das ist ohnehin ein Topos der Kolonialfotografie). Vielmehr ist zu eruieren, wie die Träger unter den Lasten jeweils ins Bild gesetzt werden. Um die Frage entscheiden zu können, ob der Träger als Individuum sozusagen „von selbst“ verschwindet oder ob im Gegenteil das Moment des Verschwindens selbst zum Thema des Fotos wird, muss die Darstellung der Lasten in den Blick genommen werden. Abb. 1: Lastenträger16

L ASTEN

IM

Z OOM

Auf der Tafel 22 des Zyklus von Salgado ist eine Gruppe von Trägern zu sehen, die von oben her beim Aufstieg aus dem Riesenloch fotografiert worden sind.17 Zu erkennen sind die Beine von Männern, die Schritt vor Schritt setzen und

16 Quelle: Bildarchiv der ehemaligen Deutschen Kolonialgesellschaft (heute integriert ins Kolonialarchiv der Universität Frankfurt/M.) Das Foto hat den folgenden Standort: StuUB, Bildnummer: 046-0909-081, CD-Code: CD/7199/3262/1050/7199_3262_1050_0084. Text auf dem Bild: 11. Text auf der Hülle: I / Neg.H.Schlesing / 105 Neg. Format Bildträger: 6x9. Entstehungsjahr: unbekannt. Entstehungsjahr der Vorlage: unbekannt. Photograph: Schlesing? Region: Asien (?). Völker: Asiaten. Bildbeschreibung: I / Neg.H.Schlesing / 105 Neg. Vgl. die ausgezeichnete Internetseite: URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de /Bildprojekt/formular/arraybilderg.php?bild=CD/7199/3262/1050/7199_3262_1050_0 084.jpg&format=0 [Zugriff: 12.5.2017]. 17 Vgl. Salgado (1999), Tafel 22.

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zugleich mit den Händen die gefüllten Säcke gepackt halten, die auf Kopf und Rücken lasten. Alle Träger gehen direkt auf den Betrachter zu, so dass dieser sich unmittelbar aufgefordert sieht, die Details in Augenschein zu nehmen, die die Träger als ihr eigener Zoom ihm darbieten. Zu sehen ist die Haltung der nackten Arme, die, vom Körper weg, dahin greifen, wo das oberste Ende des Sacks zusammengedreht worden ist, um das Herausfallen der Last zu verhindern. Die Finger des vordersten Trägers sind deutlich zu unterscheiden, zum Prototyp der Hände all derer werdend, die hinter ihm nachrücken. Weil auf diesem Foto kein einziges Gesicht zu erkennen ist, sondern die Träger wie Säcke mit Beinen erscheinen, wird auf Seiten des Betrachters das Bedürfnis geweckt, sich sozusagen von der gebotenen Perspektive zu verabschieden und unter die Last – will heißen: dem Träger ins Gesicht – zu blicken. Die Markierung der Leerstelle gelingt mithin durch den Blick auf das Regelhafte des Verschwindens der Träger unter ihrer Last. Salgado wagt eine Komplizenschaft mit den einstigen Fotografen der Kolonialzeit – auch er durchbricht die Distanz zum Träger nicht, auch er scheint sie zu bloßen Beinmenschen ohne Kopf, Verstand und Individualität zu machen. Doch diese Komplizenschaft ist eben nur der erste Schritt hin zu einem neuen Blick, und der besteht darin, sich selbst als Fotograf den Trägern in den Weg zu stellen und so zum Hindernis ihres Weitergehens zu werden. Der Fotograf wird zum Blockierer von Bewegung. Er hält Bewegung im Wortsinn fest. Es ist denn auch kein Zufall, wenn sich der Zoom im darauf folgenden Foto weiter verstärkt18: Nach dem Blick auf die vielen gekrümmten Rücken des vorangegangenen Fotos ist jetzt plötzlich das Gesicht eines Träger zu sehen, der im Hintergrund auf beiden Seiten von zwei Kollegen flankiert wird. Der Träger in der Mitte ist weiterhin im Tragen begriffen. Seine Anstrengung wird zum Thema des Bildes. Zu sehen ist der Strick, der vom Sack nach vorne führt. Der Träger hält ihn mit seinen Fingern fest umklammert, um das Abrutschen der Last zu verhindern. Sein Haar guckt wirr unter dem Kopftuch hervor, das von dem Stoff des Tragesackes kaum unterschieden ist. Der Strick schneidet tief in die Finger der rechten Hand ein, so dass nicht nur die gebeugte Körperhaltung, sondern auch dieses Detail eindrucksvoll die Schwere des Sackes vorstellbar macht. Das Gesicht des Mannes ist zudem voller Bartstoppeln, als habe er weder Zeit noch Gelegenheit für seine Körperpflege. Gesicht und Hände sind an einzelnen Stellen mit Erde verschmutzt, so dass sich eine Kontinuität zum Träger rechts von ihm ergibt: Dessen Gesicht ist im Schwarz der Kleidung und Kopfbedeckung nur ansatzweise zu erkennen. Es sticht allein das Weiß der Augäpfel

18 Vgl. ebd., Tafel 23.

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hervor, während Arme und Hände, anders als beim vordersten Träger, fast gar nicht zu erkennen sind. Die Detailstudie, die dem vorderen Träger gewidmet wird, ist also eine, die sich verallgemeinern lässt: Die Anstrengung, die diesem einen Träger in den Blick geschrieben ist – er blickt starr ins Leere, ganz auf die körperliche Anstrengung konzentriert –, ist zugleich auch die Anstrengung aller anderen. Und damit sind wir erneut bei der Tatsache, dass das, was man nicht sehen kann, integraler Bestandteil der Fotografien Salgados ist.

D AS Z EIGEN

IM

N ICHT -G EZEIGTEN

Dass ein Foto bestimte Dinge nicht zeigt, kann zwei Gründe haben: Entweder ist es dem Fotografen nicht wichtig oder bewusst gewesen, dass er etwas hätte zeigen können; oder er hat sich, obwohl er es hätte zeigen können und sich dieses Umstands auch bewusst war, bewusst dagegen entschieden, es zu zeigen. Die Gesichtslosigkeit der Träger auf vielen Fotografien, die in der Zeit kolonialer Herrschaft entstanden sind (siehe erneut die obige Abbildung aus Asien), muss also auf ihre jeweiligen Gründe hin befragt werden. Wenn im NichtZeigen die Absicht aufscheint, es nicht zu zeigen, damit beim Betrachter eine Reflexion darüber in Gang kommt, was wohl im Verborgenen geblieben sein mag, dann weist die Fotografie über sich hinaus, indem sie in der Abwehr gegenüber der Möglichkeit, Dinge zu zeigen, auf andere, scheinbar ähnliche Fotos verweist, die dieselben Dinge auch nicht zeigten. Doch sind diese beiden Arten von Fotografie einander trotz formaler Übereinstimmungen diametral entgegengesetzt. Bei der ersten (dem Kolonialismus affirmativ gegenüberstehenden) Art von Fotografie sieht man Dinge nicht und soll sich auch nicht aufgefordert fühlen, sie sehen zu wollen. Salgado scheint mit seinen Fotos zu der entgegengesetzten Kategorie zu gehören, denn er legt seine Fotos so an, dass das Nicht-Gezeigte im Nichtzeigen hervortritt. Damit wird dem, was stets im Verborgenen gehalten wurde, plötzlich Bedeutung zugesprochen und empfindet der Betrachter den Wunsch, bestimmte Darstellungsmodi zu durchbrechen. Es ist zuzugeben, dass Salgado nicht allein mit dem Nicht-Zeigen operiert. Er erleichtert den Betrachtern ihre Aufgabe insofern, als er nach einem ersten, distanzierten, „gesichtslosen“ Teil dann sehr wohl die einzelnen Träger mit Gesichtern zeigt. Doch das Foto, das all die gebeugten Rücken mit den aufgeladenen Säcken zeigt – ganz ohne Gesichter – nimmt sich eben schon wie ein Zwischenglied hin zu den Porträtaufnahmen aus.

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D IE K OPFLOSIGKEIT

DER

T RÄGER

Die Stärke dieses Fotos beruht darauf, dass es ein Charakteristikum der kolonialen mainstream-Fotografie bis ins Extrem treibt und gerade dadurch umkehrt. Die Träger optisch zu Säcken mit Beinen und Händen zu machen, ihnen also gewissermaßen den Kopf abzusprechen (oder abzubrechen), ist eine Methode, ihnen den Kopf wieder aufzusetzen, und zwar durch die Imagination, die sein Fehlen beim Betrachter auslöst. Und in der Tat antworten andere Foto von Salgado auf diese Bereitschaft, Vorstellungskraft aufzubringen. Die Tradition der kolonialen Darstellung der Träger wird in ihrer Leere lesbar. Fotos als Lesehilfe zur Lesbarmachung einer Realität, in der es bestimmte Dinge (hier Gesichter) stets gegeben hatte, obwohl die Bilder an ihrer Stelle die Leere zeigten, korrespondieren kritisch mit dem Vorgegebenen, ohne auf das LesenWollen und zum Lesen-Einladen zu verzichten. Die Leere der kolonialen Fotografie wird als gewalttätige Entleerung verständlich. Da, wo kein Gesicht zu sehen ist, wird das Gesicht plötzlich als eines erkennbar, das nicht mehr ist. In dem Moment, in dem bei Salgado der Einzelne wieder auf der Bildfläche erscheint – quasi erstmals –, wird dieses eine Gesicht als Kontrast zu den anderen Gesichtern erlebt, die noch nicht zu sehen sind, weil die Säcke auf denjenigen lasten, zu denen das Gesicht gehört.19 Salgado macht den Zusammenprall zwischen der Gesichtslosigkeit der Masse der Träger und der Hervorhebung weniger einzelner – oft sogar nur eines einzigen – zum dominierenden Bildprogramm seines Zyklus.

C HRISTOLOGISCHE B EDEUTUNGSSCHICHTEN Die Konzentration auf den Einzelnen bringt gleichzeitig etwas hervor, was dann wiederum zu dem quasi mythischen Charakter zurückführt, von dem eingangs die Rede gewesen war. Die körperliche Anstrengung ist den wenigen Trägern, denen man dann wirklich ins Gesicht schauen darf, mit derartiger Dramatik ins Gesicht geschrieben, dass sie, kaum zum Status von Individuen in einer Ge-

19 Man könnte sagen, dass Gayatri Chakravorty Spivaks berühmte Frage „Can the subaltern speak?“ emphatisch mit „Ja“ beantwortet wird. Ja, er kann, ja, er soll sogar – jetzt im Modus des Bildes. Vgl. Spivak, Gayatri Chakravorty: Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien 2007. Vgl. auch dies.: „Can the subaltern speak?“. In: Ashcroft, Bill & Griffiths, Gareth & Tiffin, Helen (Hg.): The post-colonial studies reader. London, New York, Routledge, 2005, S. 2837.

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schichte des Vergessens erwacht, sogleich wieder ihre Individualität verlieren. Das geschieht dadurch, dass andere Darstellungstraditionen die Suche nach dem Gesicht des Einzelnen überlagern. Der einzelne Träger wird zur Christusgestalt, die Lebenswirklichkeit in der Serra pelada zum Kreuzweg. Die Leitern, auf denen die Träger zwischen unten und oben zirkulieren, erfahren entsprechend eine Verwandlung ins Marterinstrument des Kreuzes. Diese meine Lesart möchte ich jetzt genauer vorstellen. Salgado hat auf einer der Tafeln einen einzelnen, offenbar noch jungen Mann ins Bild gesetzt, der gerade im Begriff ist, seinen Fuß auf die letzte Sprosse zu setzen.20 Da der Sack ihm lose, will heißen: entleert, auf dem Kopf liegt, gewinnt man den Eindruck, dass seine Arbeit für heute beendet ist. Sein letzter Gang nach oben dient nicht mehr dem Tragen von Lasten, sondern ist Ausdruck der Überwindung des Kreuzes: der Träger als Christus triumphans. Einzelne, halmartige Bänder, aus denen der Sack gefertigt ist, ragen ihm zwar noch ins Gesicht, doch dieser Dornenkrone steht die Position, die der Träger in all der Schönheit seines Körpers erreicht hat, gegenüber. Er hat die Anstrenung hinter sich, doch zugleich steht ihm das Dunkel von unten – der Tod – noch ins Gesicht geschrieben. Die Lichtverhältnisse, unter denen das Foto entstand, waren in der Tat so, dass vom Gesicht dieses Trägers nicht das Geringste zu erkennen ist. Die Gesichtslosigkeit kehrt in diesem Foto also zurück, wenn auch mit neuer Akzentsetzung. Weil das Gewicht auf Kopf und Schultern fehlt und der Aufstieg nach oben das Ende des Leidens, wenigstens für diesen Tag, anzuzeigen scheint, ergibt sich der Eindruck, dieser Einzelne habe die Gesichtslosigkeit der vielen anderen auf sich genommen – wie Christus das Leid der sündigen Menschheit. Tatsächlich ist das Riesenloch unterhalb seiner Kreuzes-Leiter fast gänzlich leer, so als habe der neue Christus schon alle zu sich ins rettende Oben gezogen. Hinzu kommt, dass der Hintergrund der Christusfigur sehr hell ist, was im Gegenzug den Eindruck von der Dunkelheit seines Körpers verstärkt. Theologisch gesprochen, scheint der Christus-Träger die Dunkelheit akzeptiert und die Welt dort unten, in den Tiefen menschlichen Leids, hell gemacht zu haben.

D AS P ROBLEM DER Ä STHETISIERUNG VON G EWALTERFAHRUNG Einmal angekommen bei dieser Art von Deutung stellt sich jedoch erneut die anfängliche Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Dokumentation der 20 Vgl. Salgado (1999), Tafel 20.

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Lebenwirklichkeit der brasilianischen Träger und den mythisch-epischen Dimensionen ihrer Darstellung durch Salgado. Besteht nicht die Gefahr, dass durch die biblischen Konzeptionen, die in großer Häufung auftreten, erneut eine Art von Verdeckung dessen geschieht, was die Wirklichkeit der Träger darstellte? Stellt sich nicht wie bei so vielen Darstellungen von Gewalt das Problem der spezifischen Ästhetik, die die Darstellung überhaupt ermöglicht?21 Die ästhetische Qualität von Salgados Fotos kann schwerlich in Frage stehen. Doch das Problem ist, dass die wahrhaft furchterregenden Bedingungen, unter denen die Garimpeiros – so die Selbstbezeichnung dieser „Kletterer“ – arbeiteten und lebten, in der durch den Einleitungstext verstärkten Bildrhetorik, die Schrecken und Fasziniation zu einer Einheit verschmelzen lässt, wieder zum Verschwinden gebracht werden. Die Imitatio Christi, die viele Fotos in Szenen setzen, verleiht dieser Tendenz Nachdruck. Ein Christus, der als Rettergestalt der Mitwelt in Erscheinung tritt, fordert Bewunderung, wenn nicht gar Anbetung heraus, macht also vergessen, dass Leid und Tod am Leiter-Kreuz nicht allein sein Leben bestimmten, sondern auch das Leben all derer, von denen man auf den Fotos allein die gebeugten Rücken mit den Säcken sieht. Man könnte argumentieren, Salgado vervielfältige Christus, indem er implizit alle Träger zu Märtyrern macht, die die Kraft hätten, aus dem Dunkel des Todes ins ewige Licht zu steigen, doch diese Interpretation entspricht schwerlich den Bedingungen, die vor der Flutung dieses riesigen Grabungslochs (also Grabes) herrschten. Doch schließlich scheint es Salgado selbst zu sein, der in einem dritten Schritt vom Dreiklang von Körper, Erde und Leiter-Kreuzen Abstand nimmt und uns – wenn auch in aller Kürze – vorführt, was nach erfolgtem Aufstieg mit der Erde aus den Säcken zu geschehen pflegt. Wir sehen die Träger (oder ihre Vorgesetzten?) bei der Goldwäsche22, und hier ist plötzlich die große Konzentration zu spüren, die den Wunsch nach Reichtum begleitet. Stille zieht ein. Einzelne Träger sind vor kleinen Wasserbecken mit der Auflösung der Erde beschäftigt. Die körperliche Erschöpfung tritt zurück – die Realisierung der Hoffnung, sie habe sich gelohnt, hervor.

21 Ich stelle diese Fragen vor dem Hintergrund der Ästhetisierung, die dann auch Salgados Flüchtlingsfotos aus dem Exodus-Band charakterisieren. Mir scheint einer Enthistorisierung das Wort geredet zu werden, die das Verständnis der spezifischen Umstände, die die Menschen jeweils zur Flucht zwangen, erschwert. Vgl. dazu das Kapitel „Kritik der Ästhetisierung“, in: Greiner, Peter: Theorien der Fotografie zur Einführung. Hamburg, Junius-Verlag, 2009, S. 92-98. 22 Vgl. Salgado (1999), Tafel 32.

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Doch der Moment des Erfolgs wird nirgends gezeigt. Vielmehr legt der Zyklus den Akzent auf das Tragen. Die stillen Bilder am Wasser werden erneut von Ameisenbildern abgelöst. Und diese zeigen nun zwei Aspekte des Tragens: Der erste betrifft erneut seinen kollektiven Charakter. Und zweitens werden gewalttätige Konflikte zwischen den Trägern als Konsequenz einer „politique d'initimitié“23 gezeigt, die der Wunsch, der Armut zu entkommen, sowie das beengte Zusammenleben mit sich brachten.

T RAGE -M ASCHINEN Wenden wir uns zunächst der Rückkehr des Motivs dessen zu, was man als „Trage-Maschine“ zu bezeichnen hätte. Der einzelne Träger ist, weil die Last, die zu schultern er imstande ist, im Vergleich zur Gesamtlast verschwindend klein ist, selbst verschwindend klein. Statt ihn als Träger hervorzubringen, bewirkt die Last das Gegenteil: Sie erkennt nicht den Einzelträger an, sondern allein das Gesamtgebilde, das auf dem Zusammenspiel aller beruht. Zum Träger wird der Träger also nicht durch das, was und dass er trägt, sondern allein dadurch, dass die Trage-Maschine ihn hineinnimmt, aufnimmt.24 Dies galt, so meine These, für alle vom Menschen getragenen Lastentransporte – auch die im Kolonialismus –, sofern sie über den häuslich-privaten Bereich hinausgingen. Die Schwierigkeit derer, die die Transporte organisierten, bestand nicht so sehr darin, den Einzelträger zum Tragen zu bringen, als vielmehr in der Schaffung des Zusammenspiels, also des mechanischen Ineinander-Greifens aller Beteiligten. Konkret gesprochen musste der Vertikalträger in der Serra pelada genau wissen, welche Wege er mit der Last nehmen durfte und wie er sie, sobald diese abgeladen war, zu seinem Ausgangspunkt zurückzukommen hatte, ohne die anderen zu stören. Der Einzelträger musste, anders gesagt, „einrasten“ und den Rhythmus der Gesamtmaschine mittragen. Nur so trug der Rhythmus umgekehrt auch ihn – Voraussetzung des Rechts, sich überhaupt als Träger bezeichnen zu dürfen. Die Trage-Maschine war den Einzelnen im Wortsinn vorgängig: Sie ging ihnen voran, als trage sie den Träger und nicht umgekehrt der Träger den Gesamtmechanismus. 23 Der Begriff stammt von: Mbembe, Achilles: Politiques de l’inimitié. Paris, La Découverte, 2016. Vgl. auch: ders.: Critique de la raison nègre. Paris, La Découverte, 2013. 24 Hier kommt erneut zum Tragen, was ich in meiner theoretischen Annäherung an das Trägerwesen im Rückgriff auf das Konzept des „Exoskeletts“ zu entwickeln versuche. Vgl. den entsprechenden Artikel in diesem Band.

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In Wirklichkeit waren es aber natürlich die besonderen Besitzverhältnisse (und nicht allein die Billigkeit der Träger), die den Verzicht auf wirkliche Maschinen erklärten. Da die Parzellen, auf denen nach Gold geschürft wurde, sehr klein waren, war es unmöglich, schichtenweise die Gesamtoberfläche des Gebietes abzutragen. Die Verteidigung des Rechts der einzelnen Besitzer konnte nur gelingen, wenn die Integration ins Gesamtsystem die Kontrolle über die eigene Parzelle nicht aushebelte. Die Waffengewalt, mit der Einzelparzellen gegen Übergriffe verteidigt werden mussten, beweist, dass die Herstellung eines einzigen, exakt getakteten Maschinenrhythmus mit dem Anspruch der einzelnen Besitzer, zumindest die eigene Zelle nicht aufzugeben, zum Ausgleich gebracht werden musste. Denn wenn die Einzelzelle verrückt spielte und den Gesamtmechanismus in Frage stellte, dann konnte eben auch letzterer aus dem Takt geraten, und das wäre fatal gewesen. Die Gefahr einer solchen Widersetzlichkeit jedoch war gering, denn der Zusammenschluss in der Massenhaftigkeit bei gleichzeitiger Vereinzelung (die bedingt war durch die herrschenden Besitzverhältnisse) war es, die zwar die Träger zu einer großen, einheitlichen Maschine verschmolz, das Bedürfnis, Gemeinsamkeiten über das Tragen hinaus (bzw. gegen dieses) zu artikulieren, jedoch unterdrückte. Zu sehr war der Einzelne an die Hoffnung gebunden, gerade auf seiner Parzelle werde Gold gefunden werden, als dass er sich mit den Trägern anderer, fremder Parzellen zu einer Art Gegen-Maschine hätte zusammeschließen können.25

25 Wim Wenders’ Film Das Salz der Erde (Deutschland 2014) zeigt, wie sich die Abwendung von den Schrecken, die Salgado über Jahrzehnte hin dokumentiert hat, dann auch in seinem Gesamtwerk durchsetzt: hin zu Fotos einer paradiesisch schönen Natur, die er in dem Fotoband Genesis veröffentlichte. – Der Journalist Radek Krolczyk kritisierte am 16.8.2014 in der TAZ, die Fotoausstellung mit dem Titel Exodus, die Salgado 2014 im Bremer Focke-Haus gezeigt hatte, demonstriere, dass seine Ästhetik „regressiv“ sei: „Flucht wird in ihnen zu einer Universalie der Menschheitsgeschichte verklärt.“ Vgl.: URL: http://www.taz.de/!309564/ [Zugriff: 12.5.2017]. Ich halte diese Kritik für stichhaltig und anwendbar auf die Trägerfotos aus der Serra pelada. Vgl.: Sebastião Salgado: Exodes. Köln, Taschenverlag, 2016, sowie: ders.: Genesis. Köln, Taschenverlag, 2013.

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V ERSELBSTVERSTÄNDLICHUNG ALS S ELBSTVERSTÄNDIGUNG DES S YSTEMS Der Rhythmus war auch in Bezug auf den Erhalt der Maschine ein entscheidender Faktor. Er diente nicht allein der Effizienz des Gesamtsystems, sondern war außerdem Ausdruck der Selbstverständlichkeit, die diesem zuwuchs und eine Gegenwehr durch den Einzelnen erschwerte. Der gegebene Rhythmus schien sozusagen von selbst zu existieren – und nicht erst durch die Schritte der vielen Träger, die hier hin- und hergingen. Dem Rhythmus war demnach eigen, sich durch seine bloße Existenz selbst zum Verschwinden zu bringen. Zu sprechen wäre nicht allein von den scheinbaren Selbstverständlichkeiten dessen, was war. Vielmehr wäre mit Blick auf Salgados Fotos der Neologismus der „Verselbstverständlichung“ des Selbstverständlichen einzuführen. Die Verselbständigung des Rhythmus der Schritte aller führte zu ihrer Selbstverständlichkeit, obwohl diese in Wirklichkeit erst das Produkt eines Prozesses der „Verselbstverständlichung“ war, die sich durchaus nicht von selbst verstand.26 Und doch stellt sich die Frage, ob die Fotos zu einem Faktor der Rückgängigmachung der „Verselbstverständlichung“ – also sozusagen eine EntVerständlichung bis hin zur Unverständlichkeit – zu werden vermögen oder nicht. Denn das Ende des Foto-Zyklus mischt mit größerer Schnelligkeit als zuvor alle vorangegangenen Bildmotive. Ameisenbilder stehen neben christologischen, Bilder eines großen Durcheinanders neben dem allerletzten, das abschließend das Funktionieren des Rhythmus einer perfekt funktionierenden Ordnung zeigt. Meine These ist, dass das Christliche letztlich überwiegt. Denn kurz vor dem Ende kehrt Christus zurück.27 Ein einzelner Mann, offensichtlich ein Träger (denn er trägt eine für diese typische Kopfbedeckung) steht inmitten

26 Im ersten Band meiner Habilitationsschrift versuche ich, dieses Konzept der „Verselbstverständlichung“ in Bezug auf die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten zu entwickeln. Die Drucklegung des Buches, das den Titel Träume der Unverhältnismässigkeit. Nationalsozialismus, Kolonialismus, Kalter Krieg trägt, ist in Vorbereitung. Weitere Überlegungen dazu finden sich auch in: Anne D. Peiter: „Kinder im Angesicht der Vernichtung. Überlegungen zum Begriff ,Alltag‘ in Zeugnissen jüdischer Shoah-Opfer“. In: Oxford German Studies, 2015, S. 71-84, sowie in: Anne D. Peiter: „Puppen, Alltag, Deportation. Fotos von in Frankreich lebenden jüdischen Kindern aus den 1940er Jahren“. In: Fooken, Insa & Mikota, Jana (Hg.): Puppen – Menschheitsbegleiter in Kinderwelten und imaginären Räumen. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2014, S. 231-246. 27 Vgl. Salgado (1999), Tafel 59.

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der allgemeinen Tätigkeit an einen hölzernen Stamm gelehnt, an dem offenbar gleich eine neue Leiter aufgerichtet werden soll. Seine Arme hält er verschränkt. Er tut bei der Aufrichtung des Kreuzes nicht mit, sondern wartet diese ab. Um ihn herum wird gearbeitet, doch niemand kümmert sich um ihn. Dennoch steht er im Zentrum. Er wird das Opfer sein. Seine Ruhe ist jedoch so groß, dass er zu einer überindividuellen Figur wird: zum Märtyrer, der in sein Martyrium einwilligt.28 So bleibt es sogar für die kolonialismuskritische Fotografie schwer, Bilder des einzelnen Trägers zurückzugewinnen.

L ITERATUR Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft. München, Zürich, Piper-Verlag, 2014. Fanon, Franz: „Les damnés de la terre“. In: ders.: Œuvres. Paris, Editions de la Découverte, 2011, S. 419-682. Ders.: „Peau noire, masques blancs“. In: ders.: Œuvres. Paris, Editions de la Découverte, 2011, S. 45-258. Greiner, Peter: Theorien der Fotografie zur Einführung. Hamburg, JuniusVerlag, 2009. Heintze, Beatrix: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika. Frankfurt/M., Lembeck-Verlag, 2002. Krolczyk, Radek: „Flucht ohne Grund“. In: TAZ vom 16.8.2014; vgl.: URL: http://www.taz.de/!309564/ [Zugriff: 12.5.2017]. „Lens. Photography, Video and Visual Journalism – Sebastiao Salgado“. In: New York Times; vgl.: http://lens.blogs.nytimes.com/2015/03/23/sebastiosalgados-journey-from-brazil-to-the-world/?_r=0; abgerufen am 10.5.2017. Mbembe, Achilles: Critique de la raison nègre. Paris, La Découverte, 2013. Ders.: Politiques de l’inimitié. Paris, La Découverte, 2016. Memmi, Albert: Portrait du colonisé. Portrait du colonisateur. Paris, Folio 2016. 28 Vgl. zum Aspekt der Glorifizierung von Last und Leid siehe die Ausschnitte des Dokumentarfilms Powaqqatsi des Regisseurs Godfrey Reggio, die im Internet abrufbar sind. Hier untermalen die schnellen, sich suggestiv wiederholenden Rhythmen der von Philipp Glass komponierten Musik eine extreme Zeitlupe, die in Verbindung mit der Musik das Pathos hervorbringt. Vgl.: URL: https://www.bing.com/videos/search ?q=powaqqatsi+film+serra+pelada&&view=detail&mid=844A3D38DE1D25308DD7 844A3D38DE1D25308DD7&FORM=VRDGAR [Zugriff: 12.5.2017]. Interessant ist zum Beispiel das stand-still, das man findet bei 2 Minuten, 40 Sekunden.

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Peiter, Anne D.: „Kinder im Angesicht der Vernichtung. Überlegungen zum Begriff ,Alltag‘ in Zeugnissen jüdischer Shoah-Opfer“. In: Oxford German Studies (2015), S. 71-84. Dies.: Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kolonialismus, Nationalsozialismus, Kalter Krieg; diese Habilitationsschrift erscheint voraussichtlich Ende 2018. Dies.: „Puppen, Alltag, Deportation. Fotos von in Frankreich lebenden jüdischen Kindern aus den 1940er Jahren“. In: Fooken, Insa & Mikota, Jana (Hg.): Puppen – Menschheitsbegleiter in Kinderwelten und imaginären Räumen. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2014, S. 231-246. Salgado, Sebastião: Exodes. Köln, Taschenverlag, 2016. Ders.: Genesis. Köln, Taschenverlag, 2013. Ders.: Serra pelada. Photographies. Paris, Photo Poche Société, 1999. Schiller, Friedrich: Über das Erhabene. URL: http://gutenberg.spiegel.de/buch/ueber-das-erhabene [Zugriff: 14.10.2017]. Spivak, Gayatri Chakravorty: Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Wien, Verlag Turia-Kant, 2007. Dies.: „Can the subaltern speak?“. In: Ashcroft, Bill & Griffiths, Gareth & Tiffin, Helen (Hg.): The post-colonial studies reader. London, New York, Routledge, 2005, S. 28-37.

F ILMOGRAPHIE Charlie Chaplin: The Gold Rush, USA 1925, vgl.: URL: https://www.youtube.com/watch?v=nt-_DXC-aik [Zugriff: 14.10. 2017]. Wim Wenders: Das Salz der Erde, Deutschland 2014.

Träger in Ostafrika und im Indischen Ozean

Mori Duise oder Fragmente einer afrikanischen Trägergeschichte C LEMENS G ÜTL

E INE K . U . K .-E XPEDITION IM BRITISCHEN P ROTEKTORAT U GANDA Zwischen Oktober 1911 und April 1912 fand unter der Leitung des Wiener Architekten Rudolf Kmunke eine Expedition in das seit 1894 britische Protektorat Uganda statt. An der Forschungsreise nahmen vier Männer aus der ehemaligen Habsburger Monarchie teil.1 Kmunke hatte die Idee zu einer großen Afrikareise bereits mehrere Jahre vor ihrer tatsächlichen Ausführung. Daher kann es kaum verwundern, dass schon Monate vor dem Aufbruch über die laufenden Vorbereitungen Informationen an Journalisten gelangen konnten. Schon das Abendblatt vom 25. Juli 1911 berichtete über ein wichtiges wissenschaftliches Ziel der Entdeckungsreise, das der Expeditionsarzt Robert Stigler, finanziert von der Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien, umsetzen sollte: „Wie wir erfahren, werden die Vorarbeiten getroffen zu einer großen wissenschaftlichen Forschungsexpedition, welche von Oesterreich in diesem Herbste nach Innerafrika ausgehen wird. […]. Die bevorstehende Expedition hat sich zum erstenmal die weitreichende Aufgabe gestellt, rassenphysiologische Studien an den Naturvölkern Innerafrikas durchzuführen.“ 2 Die Berichterstattung im Anschluss an die Expedition war allerdings von den Schilderungen anderer Hauptziele durch die Reiseteilnehmer und die Presse dominiert, nämlich von ausgedehnten Beschreibungen ihres Aufenthaltes im Krater des erloschenen 1

Vgl. Loidl, Simon: „Safari und Menschenjagd. Die Uganda-Expedition von Rudolf Kmunke und Robert Stigler 1911/12“. In: Österreich in Geschichte und Literatur (mit Geographie). Bd. 55, Heft 1 (2011), S. 38-53.

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Vgl. Anonymus: „Kleine Chronik. Eine österreichiche Expedition nach Innerafrika“. In: Neue Freie Presse, Abendblatt (25. 7. 1911), S. 1.

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Vulkans Elgon3 und von der Durchquerung einer angeblich von Europäern bis dato unbetretenen Region in Ostafrika.4 Die k. u. k.-Expedition wurde Anfang April 1912 zwischen dem Grenzstädtchen Nimule und Gondokoro (Ismailia) im damaligen Anglo-Ägyptischen Sudan vorzeitig aufgelöst.5 Die strapaziöse Forschungsreise in die Tropen hatte zwar keine Menschenleben gefordert, so die Eigendarstellung, sie soll den Europäern aber einiges an Kraft abverlangt haben. Sie reisten nilabwärts über Ägypten wieder zurück in „Zivilisation und Kultur“6, wie sie selbst meinten. Als sie in Wien ankamen, waren sowohl Kmunke als auch Stigler in Begleitung von zwei afrikanischen Trägern.7 Wenn der Expeditionsleiter Kmunke vor dem Antritt der Reise noch als „Sportsman“8 karikiert worden ist, so zollten ihm die Journalisten der gleichen Zeitung nach der Rückkehr aus Afrika hohen Respekt, indem sie ihn nun wertschätzend als „Wiener Forschungsreisende[n]“9 titulierten, der seine Fähigkeit

3

Vgl. Kmunke, Rudolf: Quer durch Uganda. Eine Forschungsreise in Zentralafrika 1911/12. Berlin, Reimer, 1913 b, S. V.

4

Vgl. Stigler, Robert: „Ethnographische und anthropologische Mitteilungen über einige wenig bekannte Volksstämme Ugandas“. In: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. 52 (1922), S. 197-261, S. 198. Vgl. auch Stigler, Robert: „Rassenphysiologische Ergebnisse“. In: Anzeiger der Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse. Bd. 55 (1918), S. 201-207, S. 201; Stigler, Robert: „Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte Ugandas“. In: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft Wien. Bd. 94 (1952 a), S. 230-242, S. 230.

5

Vgl. Stigler (1918): S. 201. Vgl. auch Stigler (1952 a): S. 230.

6

Vgl. Anonymus (1912): S. 1; Anonymus: „Vortrag Rudolf Kmunkes über seine Uganda-Expedition“. In: Neue freie Presse (1913 c), Morgenblatt (22. 1. 1913), S. 910, S. 10; Stigler (1952 a): S. 237.

7

Stigler, Robert: „Rassenphysiologische Ergebnisse meiner Forschungsreise in Uganda 1911/12“ (= Denkschriften der Akademie der Wissenschaften, mathematischnaturwissenschaftliche Klasse, Bd. 109). Wien, Springer, 1952 b, S. 3-4: „Mein ungefähr 23jähriger Boy Mori Duise, wegen seiner Größe von 187,5 cm von den Trägern ‚Kilimandscharo‘ genannt, ein Dschaluo (Kavirondo) aus Uyoma am Nordostende des Viktoria-Sees, und Kmunkes Boy Simon, ein etwa 30jähriger Mganda, wurden von uns auf ein Jahr nach Europa mitgenommen und dienten mir in Wien als Versuchspersonen.“

8

Vgl. Anonymus (1911 b): S. 7.

9

Vgl. Anonymus: „Rückkehr des Architekten Rudolf Kmunke aus dem Ugandagebiet“. In: Neue freie Presse (1912), Abendblatt (20. 4. 1912), S. 1.

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zur Berichtigung von kartografischen Irrtümern und zur Ergänzung von weißen Flecken in den bisherigen Landkarten bewiesen hätte.10 Zur veränderten Rezeption seiner Person dürfte neben Kmunkes selbstbewusstem Auftreten in diversen wissenschaftlichen Vereinigungen auch sein Reisewerk Quer durch Uganda beigetragen haben. Er veröffentlichte es 1913 mit dem Untertitel Forschungsreise in Zentralafrika 1911/1912 im Berliner Verlag Reimer.11 Im Dezember desselben Jahres erschien eine Rezension seines Buches, in der ein Reporter die beeindruckenden Reproduktionen von Farb- und Schwarz-Weiß-Fotografien hervorhob, die einen „Begriff von der seltsamen Schönheit des Ugandagebietes“12 vermittelten. Die österreichischen Reiseteilnehmer waren mit modernsten Apparaten ausgerüstet und hatten entlang der Strecke u. a. kartographische, meteorologische, astronomische, zoologische und ethnographische Daten erhoben und Objekte, Tiere, aber auch Menschenschädel gesammelt.13 Das aus Afrika mitgebrachte Material (Gegenstände der materiellen Kultur, Fotografien, Tierpräparate, etc.) gelangte – auf teils verschlungenen Pfaden – an mehrere Institutionen der k. u. k.-Monarchie, wie z. B. in die Anthropologisch-Ethnographische Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien, von wo es später in das Museum für Völkerkunde (heute Weltmuseum)14 oder in das Archiv des heutigen Instituts für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien überstellt wurde. Stigler berichtete 1922 davon, dass Kmunke seine eigene große Sammlung in Budapest deponiert hätte, wo sie „bis auf einen geringen Rest während und nach dem Kriege abhanden gekommen“15 sei.

10 Vgl. Anonymus (1912): S. 1. 11 Kmunke, Rudolf: Quer durch Uganda. Eine Forschungsreise in Zentralafrika 1911/12. Berlin, Reimer, 1913 b. 12 Vgl. Anonymus (1913 b): S. 36. 13 Vgl. Anonymus (1911 b): S. 7-8; Kmunke, Rudolf: „Meine Forschungsreise durch Uganda“. In: Petermanns Mitteilungen. Bd. 59, Heft 2 (1913 a), S. 75-77; Stigler, Robert: „Ethnographische und anthropologische Mitteilungen über einige wenig bekannte Volksstämme Ugandas“. In: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. 53 (1923), S. 113-189, S. 199; Stigler, Robert: „Vergleichende Sexualphysiologie der schwarzen und der weissen Frau“. In: Marcuse, Max (Hg.): Verhandlungen des 1. Internationalen Kongresses für Sexualforschung 1926. Berlin, Marcus & Weber, Bd. 2, 1928, S. 182-206, S. 206. 14 Vgl. Anonymus: „Die Marokkoreise des Forschers Rudolf Kmunke“. In: Neue freie Presse (1913 a), Morgenblatt (27. 5. 1913), S. 10. 15 Vgl. Stigler (1922): S. 197.

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Der populäre Reisebericht von Rudolf Kmunke diente Max Blaeulich als Vorlage für seinen ersten Band (2005) der sogenannten MenschenfresserTrilogie, die sich zeitlich von der k. u. k.-Monarchie über den Nationalsozialismus bis zur Diktatur unter Idi Amin in Uganda erstreckt. Blaeulich hat die besagte Forschungsreise im Spannungsfeld von geschichtlicher Realität und Fiktion literarisch verarbeitet. 16 Seine Romanfiguren „Krumpke“, „Stackler“, „Kranich“ und „Weiss“ sind an Rudolf Kmunke, Robert Stigler, Richard Štorch und Johann Schwarzer angelehnt.17 Die zentrale Rolle spielt jedoch ein Afrikaner, der dem Buch den Namen gibt, „Kilimandscharo zweitmeteracht“.18

Z USAMMENSETZUNG

UND P FLICHTEN DER AFRIKANISCHEN T RÄGER Kmunke begann seine Reise zusammen mit Stigler und Schwarzer im Oktober 1911 in Wien. Sie führte nach Triest und über den Suezkanal und das Rote Meer nach Mombasa und von dort mit dem Zug nach Nairobi, in die Hauptstadt des damaligen Protektorats Britisch-Ostafrika (Kenia), wo bereits der Prager Richard Štorch auf sie wartete, der damit beauftragt worden war, afrikanische Träger für die Expedition anzuwerben.19 „Storch reist bereits am 15. d. [Monats September 1911] nach Mombassa und Nakuro, um die nötigen Träger mit Tragtieren und Askaris, eingeborne Soldaten, zu beschaffen.“20 In Kmunkes Buch wird Štorch kaum erwähnt, obwohl er von den Vieren als der erfahrenste Afrikakenner galt

16 Blaeulich, Max: Kilimandscharo zweimeteracht. St. Pölten, Residenz Verlag, 2005; ders.: Gatterbauerzwei oder Europa überleben. St. Pölten, Residenz Verlag, 2006; ders.: Stackler oder Die Maschinerie der Nacht. St. Pölten, Residenz Verlag, 2008. 17 Für Kurzbiografien zu diesen Personen vgl. Achenbach (2014): S. 1-2; Pack, Birgit: „The Austrian Expedition to British East Africa (1911-1912): biographical notes on Rudolf Kmunke, Robert Stigler and Richard Storch“. In: Gütl, Clemens & Lechleitner, Gerda & Liebl, Christian (Hg.): Recordings in Egypt (Junker 1911) and the Archive (Stigler 1912-1913). Kenzi-Dongolawi, Nobiin and Arabic – Dholuo and Luganda (= Sound Documents from the Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences: The Complete Historical Collections 1899-1950, Series 13, Data CD: Contributions on the context and protagonists). Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014, S. 1-4. 18 Blaeulich (2005). 19 Vgl. Stigler (1922): S. 198, S. 217. Vgl. auch Stigler (1959): S. 9. 20 Vgl. Anonymus (1911 b): S. 7-8.

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und in der Öffentlichkeit mitunter sogar als „Leiter der Kmunkeschen Reise“21 bezeichnet wurde. In Nairobi verhandelte Štorch mit dem Luxus-Ausstatter Newland, Tarlton and Company Limited.22 Die noch heute tätige Firma23 vermittelte ihm Zelte, Decken, Geschirr, Waffen und eine Mannschaft von afrikanischen Trägern und Expeditionsführern (headmen), aber auch bewaffnete Soldaten (Askaris), sowie einheimische Köche und so genannte „Zeltburschen“ (tentboys), usw.24 Von Nairobi führte die Reise per Zug nach Kisumu und dann per Schiff über den Viktoriasee in die Hafenstadt Entebbe.25 Von hier im Südwesten der heutigen Republik Uganda brach die Karawane Ende November 1911 mit 230 Trägern und 180 Kisten Gepäck in nordöstlicher Richtung durch Siedlungsgebiete der Baganda und der Basoga nach Mbale auf, dem Lokalsitz der britischen Bezirksverwaltung und dem Ausgangspunkt für Bergtouren am Mount Elgon.26 An der Besteigung des Berges nahmen zwischen 83 und 89 Träger teil,27 von denen viele an Bronchitis erkrankten und deswegen aus dem Dienst entlassen wurden.28 Andere verweigerten aus Furcht vor Konflikten mit rivalisierenden Gesellschaften die Weiterreise. Deshalb wäre die Expedition nach der ersten Etappe beinahe gescheitert. Britische Kolonialbeamte konnten aber für Kmunke „130 kräftige, ausgesuchte Träger unter Führung eines Arabers […] als

21 Vgl. Grauer, Rudolf: Urteile über Rudolf Kmunke’s „Quer durch Uganda“. Wien, Bruno Bartelt, 1914, S. 23. 22 Kmunke (1913 b): S. 8-9. 23 Vgl. die Homepage der Firma N & T Newland, Tarlton & Co – Safari furniture & Décor est. 1904. URL: http://www.newlandtarltonfurniture.com/ [Zugriff: 19. Februar 2017]. 24 Vgl. Newland, Tarlton & Co. (1910). 25 Vgl. Stigler, Robert: „Rassenphysiologische Ergebnisse“. In: Anzeiger der Akademie der Wissenschaften, mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse. Bd. 55 (1918), S. 201-207, S. 201. Vgl. auch Stigler (1952 a): S. 230. 26 Vgl. Anonymus (1911 b): S. 7-8; Anonymus (1912): S. 1; Stigler (1918): S. 201; Stigler (1922): S. 215, S. 219; Stigler (1952 a): S. 230; Stigler (1959): S. 9, S. 12. 27 Vgl. Stigler, Robert: „Einwirkungen von Sonne und Luftdruck auf den Menschen im Hochgebirge“. In: Bodenstein, Gustav (Hg.): Aus der Ostmark. Ein Buch von Landschaft und alpinem Leben, Kultur und Geschichte (= Festschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins). Wien, Österreichischer Alpenverein, 1927, S. 257319, S. 275. 28 Vgl. Stigler (1952 a): S. 239.

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Headman“29 für die Fortsetzung der Reise in nord-, nordwestlicher Richtung durch die Siedlungsgebiete der Karamojong, Teso und Acholi organisieren.30 Stigler beschrieb die Zusammensetzung der Expeditionsgruppe so: „Unsere Safari bestand aus vier Weißen, 200 bis 250 eingeborenen Trägern, 16 Askari (sogenannten Banúbi, größtenteils aus dem Sudan) unter Führung eines sudanesischen Sergeanten, mehreren Boys und Köchen, vier Maultieren zum Reiten, 30 abessinischen Lasteseln und den dazugehörigen Maultier- und Eseltreibern (Sais), sowie mehreren Knaben und Weibern, die sich den Trägern angeschlossen hatten. Täglich wurden 18 bis 25 km, ausnahmsweise bis 35 km, zurückgelegt. Die Träger hatten 20 bis 30 kg, einzelne bis 35 kg auf dem Kopf zu tragen.“31 Auf der Abbildung 132 kommt gut zum Ausdruck, dass für die differenzierte Analyse von Trägerkollektiven u. a. die jeweilige ethnisch-kulturelle bzw. soziale Zusammensetzung mitberücksichtigt werden muss. Die Fotografie zeigt Kmunke und Štorch mit Mitgliedern von mehreren afrikanischen Gesellschaften und zwar der Waswahili („Amisi, Suaheli-Boy“), der Baganda („Mganda“), der Basoga („Wasoga“) und der Karamojong („Karamodscho-Häuptling“). In der Bildmitte sitzt der angeblich aus Arabien gebürtige „[p]rof.[essionelle] TrägerHäuptling“ Abeidi, der im englischen Sprachgebrauch als headman33 bezeichnet wurde. Er soll „bei seinen früheren Reisen Eseltreiber und später Diener“34 gewesen sein. Auch andere Beispiele verdeutlichen die prinzipielle Möglichkeit zum Wechsel einer Rolle bzw. Funktion innerhalb der Karawanenhierarchie, wobei die jeweiligen Anlässe und Gründe dafür im Einzelnen eruiert werden müssten. Beispielsweise war der Mganda Simon Kasajja vor seiner Beförderung zum ,boy‘ Kmunkes, ein Karawanenführer wie Abeidi.35

29 Vgl. Anonymus (1912): S. 1. 30 Vgl. Stigler (1918): S. 201. Vgl. auch Stigler (1952 a): S. 230. 31 Vgl. Stigler (1952 b): S. 3. 32 Vgl. Weltmuseum Wien: Fotosammlung Robert Stigler, VF 13052 („Bageshu, Provinz Mbale. Zelt Kmunkes; davor verschiedene Stammes-Häuptlinge“). 33 Vgl. Kmunke (1913 b): S. 29, S. 147. 34 Vgl. Storch, Richard: „Brief von Präparator Richard Storch an Rudolf Grauer, Khartoum, 14. März 1914“. In: Grauer, Rudolf (Hg.): Urteile über Rudolf Kmunke’s „Quer durch Uganda“. Wien, Bruno Bartelt, 1914, S. 23-25, S. 25. 35 Vgl. PhA, Wien: Protokoll zur Aufnahme Ph 1209; Kmunke (1913 b): S. 17, S. 61, S. 105.

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Abb. 1: „Bageshu, Provinz Mbale. Zelt Kmunkes; davor verschiedeneStammes-Häuptlinge“

Bei den meisten hier abgebildeten Personen handelt es sich nicht um Träger, sondern um in ihren jeweiligen Gesellschaften sozial bzw. politisch höher gestellte Personen, wie chiefs, die im Prozess der Rekrutierung von Trägern für europäische Expeditionen maßgeblich beteiligt waren oder innerhalb der Karawane eine privilegierte Stellung einnahmen, ein Umstand, der zu kritischen Gedanken über spezifische Rollen, Machtverhältnisse, Konflikte und Gewalt, aber auch die sprachlichen Grenzen der Kommunikation mit den Europäern, sowie innerhalb der betreffenden Gesellschaften aber auch in der Gesamtzusammensetzung einer Karawane Anlass geben sollte. Zwei kurze Beispiele können die problematische Kommunikation zwischen europäischen Forschungsreisenden und afrikanischen Trägern verdeutlichen: Schon 1896 war A Handbook of the Kavirondo Language, eine Konversationsgrammatik der Sprache Dholuo verfügbar.36 Im Abschnitt „Phrase Book“ konnten auch sprachunkundige Europäer etwa unter den Rubriken „In Caravan“ oder „A Visit to a Village“ die folgenden Satzbeispiele ablesen und so ihre Bedürfnisse äußern: „Go and look for some more [porters]“37 oder „Tell the chief that I want a sheep and

36 Some Fathers of St. Joseph’s Society (Mill-Hill, London): A Handbook of the Kavirondo Language. Nairobi, Caxton Printing & Publishing Works, 1896. 37 Some Fathers (1896): S. 111.

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potatoes for the porters“. 38 Der Befehlston, der den einheimischen Trägern gegenüber häufig angeschlagen wurde, ist schließlich einem Gedicht zu entnehmen, das während des Ersten Weltkrieges in Ostafrika populär war: „Oh, die Straße nach Lindi war staubig. Und die Straße nach Lindi war lang. Aber der Kerl, der die härteste Plackerei tat, […] War ein Kavirondo-Träger mit seinem Kavirondo-Song. Da hieß es ‚Porter njo hapa!‘ [Träger, komm her!]. Da hieß es: ‚Omera, hya! Git!‘ [Omera, los! Mach!].“39 An der Forschungsreise in Uganda waren neben Waswahili und „KavirondoTrägern“ (Luos) u. a. Wanyamwezi (auch Nyamwezi) als wapagazi (das ist die Pluralform des Kiswahili-Wortes mpagazi, dem im Deutschen etwa das Wort Karawanenträger entsprach) beteiligt. Das geht aus einer historischen Fotoquelle in der Sammlung von Robert Stigler hervor, die im Weltmuseum Wien aufbewahrt wird (s. Abb. 2).40 Stiglers (falscher) Schreibweise „Munjamwés“ nach, war der darauf abgebildete afrikanische Träger ein Mnyamwezi (Singular von Wanyamwezi). Die Erwähnung ist deshalb von Interesse, weil sich viele Angehörige dieser afrikanischen Gesellschaft schon früh auf den Trägerberuf spezialisiert hatten. Sie verfügte schon im 19. Jahrhundert über ausgeprägte Handelsnetzwerke von der Küste ins Landesinnere. In der neueren Fachliteratur ist für die Charakterisierung der Wanyamwezi im Trägerkontext sogar der Ausdruck „nation of porters“41 in Gebrauch.

38 Some Fathers (1896): S. 117. 39 Auszug des Gedichtes zit. nach Pesek, Michael: Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg. Frankfurt, New York, Campus Verlag, 2010, S. 366. 40 Vgl. Weltmuseum Wien: Fotosammlung Robert Stigler, VF 13079 („Wa-pagasi [Träger unserer Safari] auf der Straße von Mbale nach Bukedin. Der Träger des Äffchens ist ein Munjamwés“). 41 Vgl. Rockel, Stephen J.: „’A Nation of Porters‘. The Nyamwezi and the Labour Market in Nineteenth-Century Tanzania“. In: The Journal of African History. Bd. 41, Nr. 2 (2000), S. 173-195.

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Abb. 2: „Wa-pagasi (Träger unserer Safari) auf der Straße von Mbale nach Bukedin. Der Träger des Äffchens ist ein Munjamwés“

Die Hauptaufgabe der afrikanischen Träger lag im Transport aller Ausrüstungsgegenstände (Zelte, Koch- und Waschgeräte, wissenschaftliche und medizinische Apparate, Kleidung, Bücher, etc.), der Tauschartikel für die einheimische Bevölkerung (Tabak, Eisen- und Messingdraht, billiger Baumwollstoff) und der Monatsrationen an Konservennahrung für die Europäer. Sie schleppten dabei Lasten von bis zu 36 Kilogramm auf ihren Köpfen.42 Bei Temperaturen von bis zu 44 Grad Celsius schwitzten sie „ausserordentlich stark und klagten auch sehr über Durst“43. Ihre Pflichten beschränkten sich keineswegs auf die Beförderung von Gepäck. Sie trugen beispielsweise auch den, im Zuge eines Selbstversuchs, vorübergehend erblindeten Stigler. 44 Die handschriftliche Bildbeschreibung

42 Vgl. Stigler, Robert: „Bergtouren in Kenia und Uganda 1911/12“. In: Österreichische Alpenzeitung. Bd. 77 (1959), S. 8-20, S. 8. Vgl. auch Stigler, Robert: „Vergleich zwischen der Wärmeregulierung der Weissen und der Neger bei Arbeit in überhitzten Räumen“. In: Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere. Bd. 160 (1915 b), S. 445-486, S. 466; Weber, Bd. 2, 1928, S. 182-206. Stigler, Robert: „Vergleichende Untersuchung der physiologischen Wärmeregulation bei Steigerung der Körpertemperatur infolge hoher Außentemperatur, bei Fieber und bei Hitzschlag“. In: Naunyn-Schmiedeberg’s Archiv für die experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. 152, Heft 1-2 (1930), S. 68-90, S. 79-80. 43 Vgl. Stigler (1915 b): S. 466. 44 Vgl. das Foto „Dr. Stigler erkrankt“ in Kmunke (1913 b): S. 144; Stigler (1917): S. 301.

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unter einer anderen Fotografie liefert dagegen die Information über die Beteiligung von Trägern am Tierfang für den Wiener Zoo Schönbrunn. 45 Bei der Expedition waren afrikanische Träger für das Sammeln von Feuerholz zuständig, sie mussten Zelte aufstellen, kochen oder entlang der Reiseroute für Nachschub an Nahrung und Trinkwasser sorgen, sie garantierten die sichere Navigation durch unwegsames Gelände und gefährliche Regionen, organisierten, vermittelten, übersetzten, warnten und beschützten die Europäer, usw. 46 In Kmunkes Reisewerk sind zwei sehr ähnliche Bilder abgedruckt, die mit recht neutralen Bildunterschriften versehen sind. Die eine lautet „Die Träger bringen Holz für die Küche“ und die andere „Lager am Kirpatricksumpf“.47 Ein weiteres Foto aus der gleichen Aufnahmesituation befindet sich im Weltmuseum Wien. Stiglers Bildunterschrift klärt über die geografische Lage und über den Kontext der Fotografie auf: Mehrere nackte Männer wurden in Ketten gelegt und von einem bewaffneten Askari bewacht, nachdem sie zwangsrekrutiert worden waren, weil für den bevorstehenden Reiseabschnitt nicht genügend freiwillige Träger zur Verfügung standen (s. Abb. 3). 48 Der Zwangscharakter bei der Anwerbung von Trägern wird auch auf einer Fotografie in Richard Štorchs Privatalbum sichtbar. Die tschechische Bildbeschreibung („Naši nosiči spojeny okovy, protože jsou nespolehliví“) liefert hier gemeinsam mit einer englischen Übersetzung („Our Porters chained together because unreliable“) den zusätzlichen Hinweis auf ein vorgebliches Motiv der Zwangsrekrutierung, nämlich „wegen Unzuverlässlichkeit der Träger“.49 In vielen Fällen könnte diese allerdings auch als bewusste Widerstandshandlung gemeint worden sein bzw. als solche interpretiert werden.

45 Vgl. Weltmuseum Wien: Fotosammlung Robert Stigler, VF 13078 („Einer unserer Nairobi-Träger mit einem für Schönbrunn bestimmten Tier in Kumi“). 46 Vgl. Kmunke (1913 b): S. 15, S. 17, S. 19, S. 41, S. 45, S. 49, S. 88 (Foto „Die Träger bringen Holz für die Küche“): S. 105, S. 142. 47 Vgl. die Fotos „Die Träger bringen Holz für die Küche“ und „Lager am Kirkpatricksumpf“) in Kmunke (1913 b): S. 88. 48 Vgl. Weltmuseum Wien: Fotosammlung Robert Stigler, VF 13055 („Kaketta, unser Lager, ein Askari und fünf an einer Kette gefesselte Zwangsträger, die wir aus Mangel an Trägern fangen mussten“). 49 Vgl. Harper’s Books, New York: Privates Fotoalbum von Richard Storch „My Journey in Uganda in the Years 1911-12“ […], Foto „Naši nosiči spojeny okovy, protože jsou nespolehliví“. URL: https://www.harpersbooks.com/pages/books/15058/richard-storch/my-journeyin-uganda-in-the-years-1911-12 [Zugriff: 19. Februar 2017].

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Abb. 3: „Kaketta, unser Lager, ein Askari und fünf an einer Kette gefesselte Zwangsträger, die wir aus Mangel an Trägern fangen mussten“

S PUREN

VON

„K ILIMANDSCHARO “

AUF

T ONTRÄGERN

Wien, Phonogrammarchiv der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften im Physiologischen Institut der Universität, 25. Juni 1912. Hier wurde ungefähr zwei Monate nach dem Ende der Expedition mit der Nadel eines Phonographen die Stimme eines Afrikaners in eine Schallplatte aus Wachs eingeschrieben und so die erste aus einer Reihe von Sprach- und Musikaufnahmen mit einem Mann produziert, der uns als „Kilimandjaro Mori Duise“50 überliefert ist.51 Für die

50 Vgl. PhA, Wien: Protokoll zur Tonaufnahme Ph 1208. Die Schreibweise des Beinamens variiert in den Quellen zwischen „Kilimandscharo“ und „Kilimandjaro“. Der „richtige“ Name Mori Duise wird nur selten genannt. Es gibt übrigens von Muttersprachlern auch Zweifel an der Existenz dieses Namens. Vgl. Ochieng (27.4.2016): „I have made inquiries and nobody seems to recognize the name or the person. Personally, I think that the name was either wrongly spelt, or the person in question was not a Luo, especially from Uyoma.“ 51 Die Tonaufnahmen Ph 1208, Ph 1210, Ph 1287, Ph 1788 und Ph 1794 sind bereits veröffentlicht; vgl. Gütl, Clemens & Lechleitner, Gerda & Liebl, Christian (Hg.): Recordings in Egypt (Junker 1911) and the Archive (Stigler 1912-1913). KenziDongolawi, Nobiin and Arabic – Dholuo and Luganda (= Sound Documents from the

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Recherchen über den 24-Jährigen, die Gründe für seinen Aufenthalt in Europa und die Entstehungskontexte der Tonaufnahmen half u. a. ein Vermerk über seine früheren Reiseerfahrungen weiter. Er hatte sie nämlich bei „Jagdsafari[s] in Ostafrika“52 gesammelt und zwar zunächst als Träger.53 Mori Duise („Kilimandjaro“) wurde im Dorf Uyoma geboren. Es liegt heute auf dem Staatsgebiet der Republik Kenia. Damals hatten es Kolonialverwalter der Provinz Kavirondo im britischen Protektorat Uganda zugeteilt. Den Spitznamen „Kilimandjaro“ hatte er nicht von Europäern, sondern von anderen Trägern erhalten, wohl aufgrund „seiner Körpergröße von 187,5 cm […] nach dem höchsten Berg Afrikas“54. Bis November 1911 lebte Duise in Nairobi, wo er bei einer britischen Ausrüstungsfirma für Expeditionen angestellt war.55 Laut dem Begleitprotokoll zur Aufnahme mit der Signatur Ph 1208 war der Urheber des historischen Tondokumentes niemand anderer als Kmunkes Reisebegleiter Robert Stigler.56 Stigler hatte sich für die Dauer der Expedition aus den in Nairobi rekrutierten Trägern seinen persönlichen afrikanischen ,boy‘ ausgewählt, was für jenen den Aufstieg in eine privilegiertere Position innerhalb der Karawane bedeutete:57 „Wichtig ist die Beschaffung guter Boys und guter Köche für die Safari. […] Das meiste Glück hatte ich selbst mit meinem Boy Kilimandscharo Mori Duise, einem Dschaluo aus Uyoma an der Kavirondobai, einem […] sehr intelligenten und tüchtigen Burschen, der mir ein überaus treuer und anhänglicher Diener wurde und nach der Safari mit mir nach Wien reiste. Dieser Dschaluo war einer unserer Nairobiträger […]. Er war von prächtigem Wuchs, 189’5 cm groß und sehr schlank. […] Grundzug seines Wesens war ein außerordentlicher Ehrgeiz, Eitelkeit, Mut und rasche Entschlossenheit. […]. Durch das Avancement vom Träger zum Boy des Arztes war Kilimandscharo im Ansehen seiner Landsleute sehr hoch gestiegen.“58

Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences: The Complete Historical Collections 1899-1950, Series 13). Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014. 52 Vgl. die Angaben zum „Phonographierten“ der „Platte Nr. 1208“ auf dem entsprechenden Begleitprotokoll zur Tonaufnahme (PhA, Wien: Protokoll zur Tonaufnahme Ph 1208). 53 Vgl. Stigler (1922): S. 217. Vgl. Gütl (2014): S. 95. 54 Vgl. Stigler (1922): S. 217. 55 Vgl. PhA, Wien: Protokoll zur Aufnahme Ph 1208; Stigler (1928): S. 199-200, S. 204. 56 Vgl. PhA, Wien: Protokoll zur Tonaufnahme Ph 1208. 57 Vgl. Stigler (1922): S. 198, S. 217; Stigler (1959): S. 9. 58 Vgl. Stigler (1922): S. 217.

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Mori Duise gehörte den Luo an. Stigler verwendete für die Singularform (der Luo) mitunter den Begriff „Dschaluo“ (richtig Ja-Luo). Meistens nannte er aber die Angehörigen dieser afrikanischen Gesellschaft und gleichermaßen ihre Sprache „Kavirondo“. 59 Das entsprach der gängigen Fremdbezeichnung im kolonialen Staat.60 Für Mori Duises Herkunft und seine Muttersprache Dholuo wurde auch in den Protokollen des Phonogrammarchivs durchwegs der pejorative Begriff „Kavirondo“ notiert und gleichzeitig seine sprachlich-kulturelle Identität verschleiert,61 denn auf den Schriftdokumenten fehlt jeder Hinweis darauf, ob es sich um einen nilotisch-sprachigen „Kavirondo“ oder einen deutlich unterscheidbaren Bantu-sprachigen „Kavirondo“ handelt.62 Stigler hob in seinen Schriften mehrfach seine guten Kenntnisse in der „unentbehrlich[en]“63 Verkehrssprache Suaheli (Kiswahili) für das Reisen und seine Forschungen hervor. Spätestens beim Abhören der am 3. März 1913 mit Mori Duise in Wien entstandenen Tonaufnahme Ph 1287 und beim Vergleich mit einer dreisprachigen Niederschrift des Inhalts (in Dholuo, Kiswahili und Deutsch) kommen berechtigte Zweifel daran auf. Der Arzt reagierte nicht auf das Code-Switching von Duises Muttersprache Dholuo in Kiswahili. Der Afrikaner hatte wohl Hoffnung, dass Stigler wenigstens so versteht, was er ihm mitteilen wollte.64 In der Tonaufnahme hatte sich Duise kritisch über das Eindringen der Europäer in Uganda geäußert. Er verpackte die Warnung vor der kolonialen Landnahme, so die Interpretation des Linguisten Ochieng, dessen Mutter aus Mori

59 Vgl. AÖAW, Wien: Subventionen 1159/1912 […], Antrag von Robert Stigler zur Bewilligung von entstandenen Mehrkosten, Wien, 12. Dezember 1912; Stigler (1952 b): S. 3. 60 Vgl. Okia, Opolot: Communal Labor in Colonial Kenya. The Legitimization of Coercion, 1912-1930. New York, Palgrave Macmillan, 2012, S. 119. 61 Vgl. PhA, Wien: Protokoll zur Aufnahme Ph 1208. 62 Vgl. Cunningham, James Frederick: Uganda and its Peoples. London, Hutchinson & Co, 1904, S. 269-279. Das nilotische Dholuo wird heute dem Zweig der nilosaharanischen Sprachfamilie zugeordnet. Linguistisch besteht ein deutlicher Unterschied zum Luhya (auch Luyia), einer Bantusprache aus dem Zweig der Niger-Kongo-Sprachen; vgl. Heine &Nurse (2008): S. 4-6, S. 131; vgl. auch Stigler (1964): S. 160. 63 Vgl. Stigler (1922): S. 217. 64 Vgl. PhA, Wien: Protokoll zur Aufnahme Ph 1287; Ochieng (2014): S. 41-42. Der Zweifel erhärtet sich nach einer späten Aussage Stiglers, wonach er vor der Abreise aus Europa keine Sprachkenntnisse besaß; vgl. Stigler (1959): S. 8.

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Duises Heimatort stammt, in die Metapher einer „Ugonjwa mkubwa sana […] natoka huko baharini“, also einer „sehr großen Krankheit“, die „vom Meer [Viktoriasee?] ins Land kommt“.65 Die historischen Tondokumente mit Mori Duise sind im Gesamtkontext der umfangreichen rassenphysiologischen Menschenversuche entstanden, die Stigler zunächst in Uganda durchgeführt, dann in Ägypten fortgesetzt und schließlich in Wien abgeschlossen hat. Als besonders tragisches Beispiel sei ein Experiment zur Hitzewiderstandsfähigkeit verschiedener Personen und „Rassen“ angeführt. Laut Stigler fehlte es den bisherigen Untersuchungen zu den Ursachen der bekannten Unterschiede noch an der wissenschaftlichen Beweiskraft.66 Diesen Mangel wollte er endlich mit mehreren Versuchsreihen in der Heißluftkammer des Wiener Beatrix-Bades beheben, die im November 1912 begann. 67 Bei Temperaturen bis 76,5 Grad Celsius68 (!) musste Mori Duise am sogenannten Gärtner’schen Ergostaten, dem Vorläufer des modernen Fahrradergometers, gegen mehrere Österreicher antreten. Das deklarierte Ziel dieser Experimente war die Gewinnung von Erkenntnissen über die Körpertemperaturregulierung des Afrikaners im Vergleich mit jener der Europäer:69 „Dieser Versuch ging bis an die alleräusserste Grenze der Leistungsfähigkeit beider Versuchspersonen, welche zur vollständigen Durchführung desselben buchstäblich gezwungen wurden. Kilimandscharo fühlte sich nach Beendigung des Versuches völlig erschöpft und erklärte, eine Fortsetzung der Arbeit würde ihn sicher ohnmächtig machen. Dr. Schilder war nach diesem Versuche ebenfalls vollständig ermattet, aber psychisch nicht so deprimiert wie Kilimandscharo.“70

65 Vgl. Ochieng, Daniel Orwenjo: „Transcriptions, translations and comments: Dholuo“. In: Gütl & Lechleitner & Liebl (2014): S. 39-45, S. 41-42. 66 Vgl. Stigler (1912): S. 351; Stigler (1915 a): S. 514. 67 Vgl. Stigler (1915 b): S. 469, S. 477. 68 Vgl. Stigler (1915 a): S. 514; Stigler (1915 b): S. 471-472. 69 Vgl. Stigler (1915 a): S. 514; Stigler (1915 b): S. 471-472, S. 476-486. 70 Vgl. Stigler (1915 b): S. 481-482. 37 Jahre später berichtete Stigler über dasselbe Experiment in einer etwas geänderten Wortwahl: „Dieser Versuch erreichte die äußerste Grenze der Leistungsfähigkeit beider Versuchspersonen; sie mußten zur vollständigen Durchführung, natürlich einverständlich, buchstäblich gezwungen werden. Beide Versuchspersonen waren hernach vollständig ermattet, der Neger noch mehr als der Weiße.“ Vgl. die Abschwächung von „alleräusserste Grenze“ (1915) auf „äußerste Grenze“ (1952) und die entschuldigende Einschiebung „natürlich einverständlich“ (1952). Vgl. Stigler (1952 b): S. 19, S. 21.

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S CHLUSS

UND

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R EFLEXION

Stigler machte eine steile Karriere als Physiologe und breitete bis Anfang der 1970er Jahre seine Forschungsergebnisse in einer Fülle von Publikationen aus. Schon 1915 war als Resultat seiner Humanexperimente in der Wiener klinische[n] Wochenschrift ein Bericht über den „Physiologischen Selbstschutz gegen Hitzschlag bei Weißen und Negern“ erschienen, in dem er einen bedenklichen Gedanken formulierte: „Es ist eine längst bekannte Erfahrungstatsache, daß Neger die Hitze besser aushalten als Weiße. […]. Zur schweren Arbeit sind in den Tropen im Allgemeinen nur die Eingebornen zu verwenden. Hitzschlag ist bei den Schwarzen viel seltener als bei den Weißen.“71 Mehrere Jahre nach der Expedition lieferte Stigler einen ausführlichen Bericht ab, der die Resultate aus seinen so genannten rassenphysiologischen Studien an afrikanischen Trägern und Askaris, an Gefangenen einer britischen Militärexpedition,72 an Afrikanerinnen und Afrikanern aus der Umgebung der durchquerten Gebiete, an sich selbst und an seinen österreichischen Mitreisenden zum Inhalt hat. Seine Ausführungen im Anzeiger der mathematischnaturwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften in Wien kann entnommen werden, dass er innerhalb der knapp viermonatigen Expedition antragsgemäß u. a. die folgenden Körperfunktionen der Beteiligten untersucht hat: Blut, 73 Kreislauf, Atmung, Ernährung, Körpertemperatur, Muskulatur, Sinnesorgane, Hautfunktionen, Schmerzempfindlichkeit und Schlafverhalten. Darüber hinaus hatte er Beobachtungen zum Sexualleben („geschlechtsphysiologische Beobachtungen“), psychologische Tests bzw. Beobachtungen und Untersuchungen der Muttermilch gemacht.74 Am häufigsten und oftmals als einzige afrikanische Versuchsperson bei seinen Humanexperimenten nennt Stigler in seinen Publikationen Mori Duise. Er bildete die Kontinuität in den Texten über seine Untersuchungen in Uganda im

71 Vgl. Stigler (1915 a): S. 514. 72 Stigler (1952 a): S. 235. 73 Vgl. Stigler, Robert: Normaler und hoher Blutdruck und kardiovaskuläre Mortalität bei verschiedenen Völkern. Epidemiologie und Ätiologie (= Kreislauf-Bücherei 22). Darmstadt, D. Steinkopff, 1964, S. 159: „Während unserer Forschungsreise in Uganda habe ich [Stigler] zahlreiche Blutdruckmessungen von unseren 200 Trägern und 20 schwarzen Askari gemacht; […], doch waren diese Messungen inmitten des sehr lauten und ruhelosen Betriebes der Karawane gemacht und weit entfernt von den zur Erzielung eines brauchbaren Wertes nötigen Umständen.“ 74 Vgl. Stigler (1918): S. 201-207. Vgl. auch (1952 b).

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Winter 1911/1912 und in Wien.75 Stigler hat den ehemaligen Karawanenträger zuerst zu seinem persönlichen ,boy‘ gemacht, dann zum Beweisträger seiner rassenphysiologischen Thesen missbraucht, der im Zuge – teils lebensbedrohlicher Menschenversuche – Unmenschliches er-tragen musste. Im Februar und März 1913 entstanden mit Mori Duise in Wien weitere Schallplatten.76 Der Afrikaner soll noch im selben Monat die Stadt verlassen haben.77 Bis heute sind die Umstände seines Todes unbekannt. Stigler hatte ihm nach dem einjährigen Aufenthalt als Bediensteter im Haushalt seiner Mutter noch eine Anstellung in Nairobi vermittelt. Bald darauf sei Duise in sein Heimatdorf zurückgekehrt, wo sich seine Spur verlor. Stigler vermutete seine Ermordung wegen des „Hochmut[s] gegenüber seinen Rassegenossen, zu dem sich noch eine tollkühne Rauflust gesellte“ 78 und auch der frühere Phonogrammarchiv-Mitarbeiter Hans Pollak erinnerte sich Jahrzehnte später daran, von „ein[em] unglücklich[en] Ende“79 des Afrikaners erfahren zu haben. Was von Mori Duise bleibt, sind Fragmente eines ohnehin kurzen Lebens, Bruchstücke, die sich nur für die letzten Lebensjahre schemenhaft rekonstruieren lassen. Es liegen einige Beschreibungen über Duises Persönlichkeit aus Stiglers Sicht vor, denen tendenziell ein anekdotischer Charakter anhaftet und eine

75 Vgl. beispielsweise die Abhandlung Rassenphysiologische Ergebnisse meiner Forschungsreise in Uganda 1911/12 in Stigler (1952 b): S. 11, 19, 23, 27, 31. Diese hatte Stigler bereits 1943 zum Druck vorgelegt, das Manuskript wurde aber in den Kriegsjahren zerstört (AÖAW, Wien: Allgemeine Akten 129/1943, Bericht von Eduard Pernkopf […], Wien, 23. Juli 1943). Vgl. auch Stigler (1939): S. 212, S. 216, S. 219, einen Aufsatz, in dem sich das einzige veröffentlichte Foto von Mori Duise befindet. Es muss zwischen 16. und 18. Jänner 1912 gemacht worden sein und trägt den Untertitel: „Teso-Leute im Rasthaus von Magóro. In der Mitte, auf dem Streckstuhl, Häuptling Bunja, ca. 26 J. alt. Links von der Snellenschen Sehprobe steht mein Boy Kilimandscharo, ein Dschaluo, vor ihm sitzt das Teso-Weib Akarerútu, mit einem mamma-ähnlichen Tumor über der linken Brust.“ Ich danke Margit Berner für den Hinweis auf die Fotografie. 76 Vgl. PhA, Wien: Protokolle zu den Tonaufnahmen Ph 1208, Ph 1210, Ph 1287, Ph 1788 und Ph 1794. 77 Vgl. Stigler, Robert: „Ethnographische und anthropologische Mitteilungen über einige wenig bekannte Volksstämme Ugandas“. In: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien. Bd. 53 (1923), S. 113-189, S. 174. 78 Vgl. Stigler (1923): S. 176. 79 Vgl. PhA, Wien: Briefe 1973, P-Z (ad 51/73), […], Anhang zum Brief von Hans Pollak an Walter Graf, Perth, 23. Jänner 1973.

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Menge physiologischer Messdaten. Was bleibt, sind Eindrücke über einen Mann, dessen Individualität kurzzeitig aus der kollektiven Trägermasse auftaucht. Seines wirklichen Namens beraubt und auf körperliche Merkmale reduziert, droht er als „Kilimandscharo“ oder „Kibo“ (vgl. Abb. 4) stets aufs Neue in die Anonymität abzugleiten.80 Abb. 4: „Stigler mit seinem Kibo“

Bis zum heutigen Tag existieren verzerrte Erinnerungen an Mori Duise. 81 Akustische Spuren seiner Stimme haben die vergangenen 105 Jahre auf Schallplatten überdauert. Was er mitteilte, blieb bis vor Kurzem ungehört, unverstanden. Die Tonaufnahmen sind trotz der Herausforderung bei der Interpretation der Inhalte wahrscheinlich die authentischsten Überlieferungen des ehemaligen Trägers.

80 Vgl. die unveröffentlichte Fotografie im Nachlass des ehemaligen SS-Humanbiologen Emil Breitinger, in der Mori Duise lediglich als „Kibo“ beschrieben wird, das ist der höchste Gipfel im Kilimanjaro-Massiv (NHM, Anthropologische Abteilung, Wien: Nachlass Emil Breitinger, Foto „Stigler mit seinem Kibo“). Ich danke Maria TeschlerNicola für den Hinweis auf diese Fotografie. 81 Vgl. Gütl (2014): S. 95.

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Und wie steht es um die satirische Aufarbeitung der österreichischen Expedition nach Uganda im Roman Kilimandscharo zweimeteracht,82 der mit Sicherheit wesentlich deutlicher wahrgenommen wird, als die Schriften von Kmunke und Stigler oder die wissenschaftliche Edition der Schallaufnahmen? Der Germanist Dirk Göttsche gesteht dem Autor Max Blaeulich zwar grundsätzlich eine gute Absicht und die Fähigkeit zur literarisch-kritischen Auseinandersetzung mit der kolonialen Rolle der k. -k.-Monarchie in Afrika zu. Gleichzeitig erkennt er in der grotesken Überzeichnung des historischen Stoffes, insbesondere in Bezug auf die Darstellung von Afrikanerinnen und Afrikanern, die latente Gefahr einer Aktivierung rassistischer Denkmuster bei der Leserschaft, eine Analyse der man sich durchaus anschließen kann.83 „Blaeulich’s ambiguous use of colonial discourse about Africa and Africans reflects the tension throughout Kilimandscharo zweimeteracht between satirical radicalism, which stages and deconstructs European clichés to the point of disgust and horror, and detailed critical reference to the Habsburg Empire, the history of European exploration in Africa, and the links between colonial imperialism, racism, and later National Socialism.“84 Im Grunde macht auch Blaeulich die Hauptfigur „Kilimandscharo zweitmeteracht“ in seiner Schilderung als dummer, passiver und formbarer (wie „knetbare[r] Wachs“), aber gut erzogener „Salonneger“, lächerlich.85 Die ersten beiden Bände seiner Romanreihe sollen „auf der Grundlage historischen Materials“86 entstanden sein. Nach heftiger Kritik sah sich Blaeulich im Vorwort zum dritten Band87 zur folgenden Klarstellung veranlasst: „Die Figuren dieses Romans sind keine Menschen, sie sind literarische Gestalten. Als solche sind sie ein Gemenge aus Eigenschaften historischer Personen und fiktiven, angedichteten Elementen. Ähnlichkeiten einzelner Figuren mit ihren vermeintlichen lebenden oder toten Vorbildern sind nicht zufällig, sie bestehen aber immer nur partiell und betreffen nie die Figur als Ganzes, in allem, was sie sagt oder tut.“88

82 Blaeulich (2005). 83 Vgl. Göttsche, Dirk: Remembering Africa. The Rediscovery of Colonialism in Contemporary German Literature. New York, Camden House, 2013, S. 300-306. 84 Göttsche (2013): S. 306. 85 Vgl. Blaeulich (2005): S. 182, S. 198, S. 210, S 217, S. 237. 86 Blaeulich (2005), Schutzumschlag. 87 Blaeulich (2008). 88 Vgl. Blaeulich (2008): S. 5.

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L ITERATUR Unveröffentlichte Quellen AÖAW [= Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften], Wien: Allgemeine Akten 129/1943, Bericht von Eduard Pernkopf vor den Mitgliedern der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Akademie der Wissenschaften, Wien, 23. Juli 1943. AÖAW, Wien: Subventionen 1159/1912 [= Ansuchen um Ersatz von Mehrauslagen bei der Forschungsreise, 1912], Antrag von Robert Stigler zur Bewilligung von entstandenen Mehrkosten, Wien, 12. Dezember 1912. NHM [= Naturhistorisches Museum], Anthropologische Abteilung, Wien: Nachlass Emil Breitinger, Foto „Stigler mit seinem Kibo“. Ochieng, Daniel Orwenjo (27. 4. 2016): E-Mail an Clemens Gütl. PhA [= Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften], Wien: Aufnahmen und Protokolle Ph 1208, Ph 1209, Ph 1210, Ph 1287, Ph 1788 und Ph 1794. PhA, Wien: Briefe 1973, P–Z (ad 51/73), von Dr. Hans Pollak geliefertes Material zur Benutzung nach Wunsch für die Verfasser der Geschichte des Wiener Phonogrammarchivs, Anhang zum Brief von Hans Pollak an Walter Graf, Perth, 23. Jänner 1973. Weltmuseum Wien: Fotosammlung Robert Stigler, VF 13052, VF 13055, VF 13078, VF 13079. Veröffentlichte Quellen und Literatur Achenbach, Michael: „The Austrian Expedition to British East Africa (19111912): biographical notes on Johann Schwarzer“. In: Gütl, Clemens & Lechleitner, Gerda & Liebl, Christian (Hg.): Recordings in Egypt (Junker 1911) and the Archive (Stigler 1912-1913). Kenzi-Dongolawi, Nobiin and Arabic – Dholuo and Luganda (= Sound Documents from the Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences: The Complete Historical Collections 1899-1950, Series 13, Data CD: Contributions on the context and protagonists). Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014, S. 1-2. Anonymus: „Kleine Chronik. Eine österreichische Expedition nach Innerafrika“. In: Neue freie Presse (1911 a), Abendblatt (25. 7. 1911), S. 1. Anonymus: „Eine österreichische wissenschaftliche Expedition nach Britisch Ostafrika-Uganda“. In: Neue freie Presse (1911 b), Morgenblatt (13. 9. 1911), S. 7-8.

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Anonymus: „Rückkehr des Architekten Rudolf Kmunke aus dem Ugandagebiet“. In: Neue freie Presse (1912), Abendblatt (20. 4. 1912), S. 1. Anonymus: „Die Marokkoreise des Forschers Rudolf Kmunke“. In: Neue freie Presse (1913 a), Morgenblatt (27. 5. 1913), S. 10. Anonymus: „Rudolf Kmunke. Quer durch Uganda. Eine Forschungsreise in Zentralafrika“. In: Neue freie Presse (1913 b), Morgenblatt (21. 12. 1913), S. 36. Anonymus: „Vortrag Rudolf Kmunkes über seine Uganda-Expedition“. In: Neue freie Presse (1913 c), Morgenblatt (22. 1. 1913), S. 9-10. Blaeulich, Max: Kilimandscharo zweimeteracht. St. Pölten, Residenz Verlag, 2005. Ders.: Gatterbauerzwei oder Europa überleben. St. Pölten, Residenz Verlag, 2006. Ders.: Stackler oder Die Maschinerie der Nacht. St. Pölten, Residenz Verlag, 2008. Cunningham, James Frederick: Uganda and its Peoples. London, Hutchinson & Co, 1904. Göttsche, Dirk: Remembering Africa. The Rediscovery of Colonialism in Contemporary German Literature. New York, Camden House, 2013. Grauer, Rudolf: Urteile über Rudolf Kmunke’s „Quer durch Uganda“. Wien, Bruno Bartelt, 1914. Gütl, Clemens: „Afrikanische Geschichte hören? Gedanken zur Quellenkritik des Tons“. In: Kowar, Helmut (Hg.): International Forum on Audio-Visual Research (= Jahrbuch des Phonogrammarchivs, Bd. 5). Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2004, S. 82-100. Gütl, Clemens & Lechleitner, Gerda & Liebl, Christian (Hg.): Recordings in Egypt (Junker 1911) and the Archive (Stigler 1912-1913). Kenzi-Dongolawi, Nobiin and Arabic – Dholuo and Luganda (= Sound Documents from the Phonogrammarchiv of the Austrian Academy of Sciences: The Complete Historical Collections 1899-1950, Series 13). Wien, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2014. Harper’s Books, New York: Privates Fotoalbum von Richard Storch „My Journey in Uganda in the Years 1911-12“ [128 hand-captioned sepia toned gelatin silver prints chronicling an expedition through Kenya and Uganda, Prague. Privately published, c. 1912]. URL: https://www.harpersbooks.com/pages/books/15058/richard-storch/myjourney-in-uganda-in-the-years-1911-12 [Zugriff: 19. Februar 2017].

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Träger-Arbeiten Die Zirkulation kolonialer Dinge und Bilder der Tendaguru-Expedition (1909-1913) M AREIKE V ENNEN

E INLEITUNG 1 Auf einer undatierten Schwarz-Weiß-Aufnahme (Abb. 1), aufbewahrt in den Historischen Bild- und Schriftgutsammlungen des Museums für Naturkunde Berlin, durchzieht eine Reihe farbiger Männer das Bild. Sie tragen Lasten, allein oder zu mehreren, auf ihren Schultern oder Köpfen und teils mit Hilfe von Tragevorrichtungen. Durch ihre Lasten werden die Männer als Gruppe erkennbar und die Situation als Arbeitsszene. Barfuß laufen sie in leichter Kleidung, viele mit nacktem Oberkörper, der Blick geradeaus. Sie bewegen sich auf einem unbefestigten Weg, der, umgeben von einer kargen Landschaft, quer durch den Bildraum verläuft. Der Pfad ist deutlich erkennbar nur ein Ausschnitt eines längeren Weges, der hinten und vorne aus dem Bild hinausführt. Gleiches gilt für die Menschenkolonne, deren Ende sich hinter einer Wegbiegung verliert. Die Aufnahme lässt keine offensichtliche Pose erkennen; weder halten die Männer für die Aufnahme inne noch scheinen sie die Kamera überhaupt zu sehen. Bewegung ist hier als Momentaufnahme festgehalten, der wir als Betrachtende beizuwohnen scheinen, ohne den Gang der Dinge zu stören. Das Ziel dieses Ganges wiederum, auf das die Blicke und Schritte der Männer gerichtet sind, liegt außerhalb des Bildes. In dieser medialen Konfiguration kristallisiert sich ein Blick auf die Arbeit afrikanischer Träger, um den es im Folgenden geht. 1

Der vorliegende Aufsatz entstand im Rahmen des Verbundforschungsprojekts „DiBDinosaurier in Berlin. Der Brachiosaurus brancai – eine politische, wissenschaftliche und populäre Ikone“, mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

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Abb. 1: Aufnahme im Archivbestand der Tendaguru-Expedition

Quelle: MfN, HBSB, Pal. Mus. B IV 74

Die Fotografie von der Arbeit der Träger stammt aus dem archivarischen Bestand der Tendaguru-Expedition (1909-1912). Zu dieser paläontologischen Grabungsexpedition hatte im Jahr 1909 das Berliner Museum für Naturkunde, damals Teil der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität, den Paläontologen Werner Janensch, Kustos am Museum, und den Assistenten Edwin Hennig entsandt. Ihr Ziel war der Süden des heutigen Tansania in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika. In der Gegend um den Tendaguru-Berg, etwa vier Tagesmärsche von der Küstenstadt Lindi entfernt, sollten die beiden Wissenschaftler die Funde von Dinosaurierknochen untersuchen und bergen, die dort zwei Jahre zuvor entdeckt worden waren. Als erster berichtete der Mineningenieur Bernhard Sattler, der im Auftrag der Lindi-Schürfgesellschaft in der Gegend nach Mineralen suchte, von großen, aus der Erde witternden Knochen. 2 Auf die

2

Vgl. zur Geschichte der Expedition und ihrer Funde Maier, Gerhard: African Dinosaurs Unearthed. The Tendaguru Expeditions, Bloomington & Indianapolis, Indiana University Press, 2003; Colbert, Edwin H.: „Tendaguru“. In: ders.: The Great Dinosaur Hunters and their Discoveries, New York, Dover Publications Inc., 1968, S. 239-249, Kretschmann, Carsten: „Noch ein Nationaldenkmal? Die deutsche Tendaguru-Expedition 1909-1913“. In: Samida, Stefanie (Hg.): Inszenierte Wissenschaft. Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert. Bielefeld, transcript, 2011, S. 191-209; Schwarz-Wings, Daniela: „Die Tendaguru-Sammlung“. In: Damaschun,

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Meldungen dieser Funde hin hatte zunächst ein Stuttgarter Paläontologe die Fundstelle besichtigt und die wissenschaftliche Bedeutung der riesigen Dinosaurierknochen bestätigt.3 Daraufhin rief in Berlin der Direktor des Paläontologischen Instituts und Museums, Wilhelm von Branca, eine großangelegte Spendenaktion ins Leben, um eine Expedition für weitere Aufsammlungen in die Gegend um den Tendaguru-Hügel auszurüsten. Die Grabungen begannen 1909 und währten, nachdem die Arbeiten zunächst 1911 aufgrund mangelnder Ressourcen unterbrochen werden mussten, durch neuerliche Spenden und einen staatlichen Zuschuss schließlich bis 1913. 4 Am Ende der Expedition waren 225 Tonnen Gestein in das Museum für Naturkunde Berlin befördert worden, aus denen nicht zuletzt das weltweit größte aufgestellte Dinosaurierskelett präpariert und montiert wurde: die Rekonstruktion von Brachiosaurus brancai, die noch heute im Lichthof des Berliner Naturkundemuseums zu sehen ist. Als eine der größten und erfolgreichsten paläontologischen Unternehmungen ist damit die unter dem Namen Tendaguru-Expedition bekannt gewordene Grabung in die Geschichte der Wissenschaften wie auch des Berliner Naturkundemuseums eingegangen. Dinge in Bewegung zu setzen, gehörte ebenso zur praktischen Arbeit der wissenschaftlichen Expedition wie zur Selbsterzählung ihrer Leiter. Dabei kam den afrikanischen Trägern der Tendaguru-Expedition gleich in zweifacher Hinsicht eine tragende Rolle zu. Während sie in Ostafrika Fossilienfunde in Bewegung setzten, begannen zugleich Bilder von dieser Mobilisierung zu zirkulieren, in Form fotografischer Aufnahmen der Träger bei ihrer Arbeit. Um diese doppelte Mobilisierung geht es im Folgenden. Die Lastenträger, die vor Ort physische Arbeit verrichteten, wurden so zu Bedeutungsträgern einer wissenschaftlichen, nationalen und kolonialen Erfolgserzählung, welche durch

Ferdinand & Hackethal, Sabine et al. (Hg.): Klasse, Ordnung, Art. 200 Jahre Museum für Naturkunde, [Ausstellungskatalog], Rangsdorf, 2010, S. 188-191; Remes, Kristian & Unwin, David M. & Klein, Nicole & Heinrich, Wolf-Dieter & Hampe, Oliver: „Skeletal reconstruction of Brachiosaurus brancai in the Museum für Naturkunde“. In: Nicole Klein & Kristian Remes & Carol T. Gee & P. Martin Sander (Hg.): Biology of the Sauropod Dinosaurs. Understanding the Life of Giants. Bloomington, University of Indiana Press, S. 305-316. 3

Vgl. zu Fraas’ Reise: Maier, Gerhard: African Dinosaurs Unearthed. The Tendaguru Expeditions. Bloomington & Indianapolis, Indiana University Press, 2003, S. 1-12.

4

Von staatlicher Seite wurden zunächst keine Mittel zur Verfügung gestellt. Erst im dritten Grabungsjahr gewährte das Königlich Preußische Kultusministerium einen Zuschuss von 50.000 Mark aus dem Staatshaushaltsetat.

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die Verbreitung von Träger-Aufnahmen sichtbar wurde. Gleichzeitig blieben die abgebildeten Träger, so die These, als Handlungsträger jedoch selbst unsichtbar. Steven Shapin hat in Bezug auf die Wissenschaftsgeschichte den Begriff der unsichtbaren Akteure geprägt und seitdem ist die Thematik vermehrt auch in Bezug auf koloniale Arbeitskontexte untersucht worden.5 Im Falle der Tendaguru-Expedition waren die afrikanischen Träger und ihre Arbeit zugleich sichtbar und unsichtbar (gemacht). Während sie einerseits prominent ins Bild gesetzt waren, wurden sie doch vor allem als kollektive, anonyme Figuren, als kolonialer Bildtopos sichtbar, während ihre Geschichten und Geschichte, ihre Individualität und Identität unsichtbar blieb. Um diese Funktionsweisen zu analysieren, nimmt der Beitrag den Prozess der Medialisierung der Träger-Arbeit anhand eines Fallbeispiels in den Blick. Im Zentrum steht eine Fotografie von Trägern mit Knochenlasten auf dem Weg vom Tendaguru zur Küste (Abb. 1), die bereits in der zeitgenössischen Berichterstattung zu einem der ikonischen Bilder der Expedition avancierte.6 Diesen Prozess verfolgt der Beitrag in seinen Herstellungsbedingungen, Verwendungsweisen und Verbreitungswegen. Wie wurden die Träger der TendaguruExpedition und ihre Arbeit hier von wem ins Bild gesetzt? In welchen Kontexten und medialen Formaten wurde dieses Bild wiederum eingesetzt? Diese Fragen vermögen Aufschluss über das Selbstbild der Expeditionsmitglieder wie auch die Bewertung der Träger-Arbeit und ihre Rolle in der Popularisierung, Legitimierung und Autorisierung der Expedition zu geben. Anhand der Analyse der medialen Dokumentation, Inszenierung und Bewertung dieser Arbeit und insbesondere der sozialen, politischen und rhetorischen Funktionen der Bildern

5

Vgl. zum Begriff der „Unsichtbarkeit“ von Akteuren und Akteursgruppen in Forschungsprozessen Shapin, Steven: „The Invisible Technician“. In: American Scientist, Bd. 77, Heft 6 (1989), S. 554-563; sowie daran anschließend Güttler, Nils: „Unsichtbare Hände: die Koloristinnen des Perthes Verlags und die Verwissenschaftlichung der Kartographie im 19. Jahrhundert“. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Bd. 68 (2013), S. 133-153; sowie für koloniale Kontexte Shepherd, Nick: „’When the Hand that holds the Trowl is Black’. Disciplinary Practices of Self-Representation and the Issue of ,Native‘ Labour in Archeology“. In: Journal of Social Archeology. Bd. 3 (2003), S. 334-352.

6

Vgl. exemplarisch Passavant, Hermann: „Dinosaurier in Deutsch-Ostafrika“. In: Die Woche, Nr. 18 (1911), S. 753-758; Anonym: „Die Ausgrabungen von Tendaguru in Deutsch-Ostafrika“. In: Deutsche Kolonialzeitung, 04.05.1912, Jg. 29, Nr. 18, S. 293295; Janensch, Werner: „Bericht über den Verlauf der Tendaguru-Expedition“. In: Archiv für Biontologie. Bd. 3 (1914), S. 15-58, Tafel VI, Fig. 1.

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lassen sich so die historischen Bedingungen, Formen und Hierarchien kolonialer Arbeit im Kontext wissenschaftlicher Expeditionen um 1900 besser verstehen.

D INGE

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Was die Aufnahme aus dem Archivbestand der Museums (Abb. 1) zeigt, war Routine. Denn die Beförderung von Dingen durch menschliche Träger gehörte zur wesentlichen Arbeit der Expedition. In welchem Maße die beiden Expeditionsleiter Werner Janensch und Edwin Hennig und das Gelingen der Expedition in Ostafrika von der Arbeit afrikanischer Trägern abhingen, war bereits bei der Ankunft der beiden Wissenschaftler in der Küstenstadt Lindi am 6. April 1909 offensichtlich. Keinen einzigen Schritt vermochte die Expedition in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika ohne Träger zu tun, denn die Fundplätze der Saurierknochen lagen im Innern des Landes. Nachdem 40 Träger vorausgeschickt wurden, um am Tendaguru ein permanentes Lager zu errichten, brachen am 12. April 1909 die beiden Expeditionsleiter mit dem Mieneningenieur Bernhard Sattler und weiteren 160 afrikanischen Trägern von Lindi zur Ausgrabungsstätte im ostafrikanischen Hinterland auf. Die gesamte Ausrüstung der 7 Expedition, die Grabungswerkzeuge , Zeltplanen und Proviantvorräte für mehrere Monate sowie Messinstrumente 8 und wissenschaftliche Literatur umfasste, wurde zunächst am Hafen von Lindi zu Trägerlasten von 25 bis 30 Kilogramm umgepackt und auf die einzelnen Träger verteilt. Dass der gesamte Verkehr zwischen den Ausgrabungsstätten und der Küste ausschließlich auf den Schultern und Köpfen menschlicher Träger lastete, lag zum einen daran, dass es in der Region zu jener Zeit kaum ausgebaute Straßen und weder schiffbare Flüsse noch motorisierte Fahrzeuge gab. Zum anderen war die verbreitete Tsetsefliege als Überträgerin von Krankheiten dafür verantwortlich, dass keine lasttragenden oder -ziehenden Tiere verfügbar waren.9 So mussten nicht nur die Versorgungsgänge von menschlichen Trägern übernommen werden, sondern 7

Für die eigentlichen Grabarbeiten wurden Hauen und Schaufeln, Hämmer und Meißel mitgenommen, Gerätschaften zur Instandhaltung der Werkzeuge, darunter eine Feldschmiede sowie Handwerkzeug für die Bearbeitung von Holzstielen; außerdem Kisten, Vorräte an Gips und Gummi arabicum.

8

Hierzu zählten ein Zielfernrohr, Kompasse und Höhenbarometer, ein Barograph und mehrere Thermometer.

9

Vgl. zu Verbreitung und Bekämpfung der Tsetse-Fliege in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika Beinart, William & Hughes, Lotte: Environment and Empire. Oxford/ New York, Oxford University Press, 2007, S. 184-200.

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auch der gesamte Transport der ausgegrabenen Knochenlasten. Hierfür wurden überwiegend professionelle Träger engagiert, die pro Gang entlohnt wurden, während die meisten Arbeiter vor Ort, die für die Grabungen und andere Arbeiten eingesetzt wurden, erst angelernt und zu einem festen Monatssatz bezahlt wurden. Aufgrund der großen Anzahl von Fundplätzen und Knochenmaterial hatte es sich laut den Berichten der Expeditionsleiter schon bald zur Routine entwickelt, jeden Montag eine Kolonne mit 50 bis 60 Lasten zur Küste zu senden.10 In eben dieser Funktion wurden die Träger wiederum zu einem prominenten Bildmotive der Expedition. Bereits während die Expedition noch im Gange war, schickte Werner Janensch fotografische Platten nach Berlin, die das Museum auch Zeitungen und Zeitschriften auf Anfrage zwecks Reproduktion zur Verfügung stellte. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zählte die Fotografie zur Arbeit wissenschaftlicher Expeditionen11 und kam spätestens ab den 1870er Jahren, wie Nick Shepherd gezeigt hat, bei archäologischen Grabungsprojekten in kolonialen und quasikolonialen Settings zum Einsatz. 12 In diese Geschichte reiht sich auch die

10 Im Hafen von Lindi wurden die kleinen und großen „Knochensendungen“ in Seekisten umgepackt und mit Dhauschiffen nach Daressalam und von dort mit Ozeandampfern nach Hamburg verschifft. 11 Vgl. Sampson, Gary D.: „Expedition Photography“. In: Hannavy, John (Hg.): Encyclopedia 19th Century Photography. Bd. 1, New York (u.a.), Routledge, 2008, S. 510-512; Hartmann, Wolfram & Silvester, Jeremy & Hayes, Patricia (Hg.): The Colonising Camera. Photographs in the Making of Namibian History. Cape Town, University of Cape Town Press, 2001. Vgl. zur Rolle der Fotografie in der Geologie wiederum Sampson, Gary D.: Art. „Geology“. In: Hannavy, John (Hg.): Encyclopedia 19th Century Photography. Bd. 1, New York (u.a.), Routledge, 2008, S. 579-581; Rudwick, Martin: „The Emergence of a Visual Language for Geological Science, 1760-1840“. In: History of Science. Bd. 14, (1976): S. 149-195. Vgl. zur Geschichte ethnografischer Fotografie Oinheiro, Nuno de Avelar: „Ethnography“. In: John Hannavy (Hg.): Encyclopedia 19th Century Photography. Bd. 1, New York (u.a.), Routledge, 2008, S. 499-503. 12 Nur drei Monate nachdem Louis Jacques Mandé Daguerre 1839 seine Erfindung vor der Akademie der Wissenschaften in Paris vorführte, erreichten die ersten Daguerreotypisten Kairo in Afrika. Vgl. zur Fotografie in der Archäologie etwa Guha, Sudeshna: „Visual Histories, Photography and Archaeological Knowledge“. In: Lalit Kala Contemporary. Bd. 52 (2012), S. 29-40; Guha, Sudeshna: „Introduction: Archaeology, Photography, Histories“. In: dies. (Hg.): The Marshall Albums. Photography and Archaeology. Ahmedabad, Mapin Publishing, 2010, S. 11-67; Bohrer,

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paläontologische Grabung am Tendaguru ein.13 Darüber hinaus machte aber auch der Umstand, dass die Expedition in den ersten beiden Grabungsjahren ausschließlich durch private Spenden finanziert war14, eine öffentliche Sichtbarmachung ihrer Fortschritte geradezu zwingend. Den afrikanischen Trägern der Tendaguru-Expedition kam damit eine tragende Rolle in zweifacher Hinsicht zu. Während sie in Ostafrika Fossilienfunde in Bewegung setzten, begannen zugleich Bilder und Texte dieser Mobilisierung zu zirkulieren. Die Lastenträger, die vor Ort physische Arbeit verrichteten, wurden in so eben dieser Funktion zugleich zu Bedeutungsträgern einer wissenschaftlichen, nationalen und kolonialen Erfolgserzählung. Den Fortgang der Arbeiten hielten Werner Janensch und Edwin Hennig im Format 13x18 cm und 9x12 cm fest. Hauptsächlich hantierten sie noch mit Glasplatten, teilweise bereits mit Rollfilm. Die fotografischen Aufnahmen der Arbeiten vor Ort stammen – soweit bekannt – sämtlich von den beiden Expeditionsleitern.15 Während bei vergleichbaren Großgrabungen wie in Olympia oder

Frederick N.: Photography and Archaeology. London, Reaktion Books, 2011; Shanks, Michael: „Photography and Archaeology“. In: Molyneaux, Brian Leigh (Hg): The Cultural Life of Images. Visual Representation in Archeology. London, Routledge, 1997, S. 73-107; Klamm, Stefanie: Bilder des Vergangenen. Visualisierung in der Archäologie im 19. Jahrhundert – Fotografie, Zeichnung und Abguss (HumboldtSchriften zur Kunst- und Bildgeschichte. Bd. 20), 2017; Klamm, Stefanie: „Graben – Fotografien – und Zeichnen? Praktiken der Visualisierung auf deutschen Ausgrabungen um 1900“. In: Wolf, Herta & Kempf, Michael (Hg.): Zeigen und/oder beweisen? Die Fotografie als Kulturtechnik und Medium des Wissens. Berlin, De Gruyter, 2016, S. 247-266. 13 Während innerhalb der Geschichte der Archäologie die Rolle und Bedeutung der Fotografie im Feld bereits eingehender erforscht ist, steht dies für die Disziplin der Paläontologie noch aus. 14 Diese umfassten wissenschaftliche Gesellschaften wie Firmen und Privatpersonen. Vgl. zur Finanzierung der Expedition HBSB, SII, Tendaguru-Expedition, 7.1-7.5; Ostafrika Maier, Gerhard: African Dinosaurs Unearthed. The Tendaguru Expeditions. Bloomington/ Indianapolis, Indiana University Press 2003, S. 13-22. 15 Ich konzentriere mich hier auf die ersten drei Grabungsperioden, in denen Janensch und Hennig Expeditionsleiter und damit auch die Fotografen waren. Es existieren darüber hinaus Aufnahmen von einer ersten kleineren Grabung am Tendaguru unter der Leitung des Stuttgarter Paläontologen Eberhard Fraas aus dem Jahr 1907 sowie Aufnahmen von Hans Reck aus dem vierten Grabungsjahr der Tendaguru-Expedition 1912.

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bei der ägyptischen Tutanchamun-Grabung häufig professionelle Fotografen engagiert wurden oder angereiste Pressefotografen und Touristen eigene Aufnahmen anfertigten16, beschränkt sich hier die fotografische Dokumentation auf zwei Akteure und damit auch auf ihre Perspektive. Betrachtet man dagegen die Bedingungen der fotografischen Dokumentation vor Ort, hing wiederum die Herstellung und Mobilisierung der Bilder zuallererst unmittelbar von Trägern ab. Sie waren es, die neben den Arbeitswerkzeugen und Vorräten auch die fotografische Ausrüstung zum Tendaguru trugen und anschließend die Fotoplatten wiederum zur Küste beförderten.17 Zunächst agierten die Träger somit im wahrsten Sinne des Wortes als ‚Bild-Träger‘, um anschließend im Rahmen eben dieser Arbeit des Tragens wiederum zu Bildmotiven zu werden.

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Nick Shepherd konstatiert in Bezug auf die fotografische Dokumentation archäologischer Feldarbeit in Afrika im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine weitgehende Abwesenheit indigener Arbeiter im Bild: „In fact, what becomes remarkable is the near-total absence of reference to black excavators, assistants and camp followers. When the hand that holds the trowel is black, it is as though holes dig themselves and artefacts are removed, labelled and transported without human agency.“18

Die Geschichte der Archäologie in Afrika ist für ihn daher vor allem eine verborgene Geschichte: „The secret history of archeology in Africa is the history

16 Vgl. Klamm, Stefanie: „Olympia entsteht im Bild – Die Klassische Archäologie des 19. Jahrhunderts und ihre Abhängigkeit von medialen Praktiken“. In: Müller, Harald & Eßer, Florian (Hg.): Wissenskulturen. Bedingungen wissenschaftlicher Innovation. Kassel, Kassel University Press,2012, S. 87-116; Sösemann, Bernd: „Olympia als publizistisches National-Denkmal. Ein Beitrag zur Praxis und Methode der Wissenschaftspopularisierung im Deutschen Kaiserreich“. In: Kyrieleis, Helmut (Hg.): Olympia 1875-2000. 125 Jahre Deutsche Ausgrabungen. Internationales Symposion, Berlin 9.-11. November 2000, Mainz, 2002, S. 49-84; Riggs, Christina: „Shouldering the Past: Photography, Archeology, and Collective Effort at the Tomb of Tutankhamun“. In: History of Science (2016), S. 1-28. 17 Für Werner Janensch zwei Stativkameras Format 13x18 cm mit unterschiedlichen Brennweiten der Objektive sowie eine Spiegelreflexkamera 9x12 cm. 18 Shepherd (2003): S. 340.

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of ‚native‘ labour.“19 Bei den Fotografien der Tendaguru-Expedition liegt der Fall anders. Hier sind die Arbeiten und Arbeiter bewusst beim Arbeiten ins Bild gesetzt. Ja, nicht nur im archivarischen Bestand der Expedition ist eine ausführliche Dokumentation der Arbeiten im Feld abgelegt, sondern auch das in der damaligen Berichterstattung vermittelte Bild funktionierte größtenteils über Abbildungen von Arbeit und Arbeitern. Hier ging es also gerade nicht um ein „effacement of labour“20, sondern um deren Sichtbarmachung. In den veröffentlichten Fotografien tauchen die Expeditionsleiter selbst sogar erstaunlich selten auf. Was die Aufnahmen von Janensch und Hennig zeigen, sind unterschiedliche Formen und Etappen der Arbeiten im Feld: afrikanische Arbeiter bei Grabungsund Präparationsarbeiten in den Schürfgräben, die Arbeit des Verpackens durch eine eigens dafür abgestellte Gruppe von Arbeitern und schließlich der Transport der Knochenlasten zur Küste. Dreizehn der insgesamt zweiundsechzig Fotografien21 in Edwin Hennigs populärem Reisebericht aus dem Jahr 1912 behandeln das Thema Mobilisierung22; sieben Aufnahmen präsentieren Trägerkolonnen zwischen dem Tendaguru und der Küste. Dabei dominierte in der zeitgenössischen Berichterstattung über die Tendaguru-Expedition das Motiv von Trägern in Bewegung (Abb. 1). Welches Bildmotiv vermochte schließlich den Fortschritt der Arbeiten besser zu veranschaulichen als das Fort-Schreiten von Trägern mit Lasten? Die Dynamik, die der Schritt der Männer erzeugt, wird beim Vergleich mit einer weit seltener veröffentlichten Träger-Aufnahme der Expedition augenfällig (Abb. 2).

19 Shepherd schreibt: „It is the story of those men […] who remain unsung and unremembered in official tellings of the development of the discipline. Shepherd (2003): S. 335. 20 Shepherd (2003): S. 346. 21 Zudem sind in der Publikation eine Karte, eine farbige Tafel sowie mehrere Zeichnungen abgedruckt. 22 Dieses Thema wird in Form von Infrastrukturen (Straßen, Wegen) und Transport (Verpackungs- und Transportarbeiten, Träger) visualisiert. Daneben dominieren Aufnahmen von Landschaften, den Grabungsarbeiten, dem Lagerleben, ethnografische Aufnahmen sowie solche von lebenden und getöteten Tieren.

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Abb. 2: Träger-Aufnahme von Werner Janensch in Edwin Hennigs Reisebericht

Quelle: Hennig, Edwin: Am Tendaguru. Leben und Wirken einer deutschen Forschungs-Expedition zur Ausgrabung vorweltlicher Riesensaurier in Deutsch-Ostafrika. Stuttgart, Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, 1912, Abb. 24 (Foto: Werner Janensch)

Während es auch hier eindeutig um das In-Bewegung-Setzen der Dinge geht, erscheint die Karawane der verharrenden Träger mit ihren abgestellten Lasten im Moment vor dem Aufbruch23 vor allem als Warteschlange. Während im einen Fall die Männer in die Kamera blicken und durch diese Blickkonstellation die Aufnahmesituation mit ausgestellt ist, halten im anderen Fall (Abb. 1) die Träger für die Aufnahme weder inne noch scheinen sie die Kamera überhaupt zu sehen. Bewegung ist hier als Momentaufnahme festgehalten, was dem Bild Dynamik verleiht und die Aufmerksamkeit stärker auf das Ziel der Bewegung lenkt. Dieses Ziel wiederum ist hier entscheidend. Anders gesagt: Nicht nur auf Bewegung kam es bei der Tendaguru-Expedition an, sondern auf die Bewegungsrichtung. Denn der Weg war hier nicht das Ziel. Im Gegensatz zu den großen wissenschaftlichen Erschließungs- und Erkundungsexpeditionen der Zeit

23 Die Trägerkolonne ist, wie es im Text heißt, vor dem Abmarsch versammelt worden und befindet sich noch am Rand des Lagers, das in der Aufnahme am hinteren Bildrand zu sehen ist.

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verlief die Bewegungsrichtung bei Grabungskampagnen wie der TendaguruExpedition nicht in eine unumkehrbare Richtung. Vielmehr ging es hier darum, Routen und Routinen für einen regelmäßigen und geregelten Verkehr zwischen Lager und Küste zu etablieren. Entsprechend stand auch die visuelle Dokumentation der Expedition weniger im Zeichen eines abenteuerlich-explorativen Vordringens ins Unbekannte. Im Zentrum standen hier vielmehr Schilderungen dessen, wie das zusammengetragene Material weggeschafft und dem Berliner Museum „einverleibt“ wurde. Die Beförderung der Knochenlasten zur Küste markierte dabei einen wichtigen Schritt in der Chronologie des Transfers vom Feld in die europäische Sammlung. Dem entspricht, dass trotz des ständigen Verkehrs zwischen dem Ausgrabungsgebiet und der Küste zwecks Versorgungsnachschub24 die Aufnahmen von Trägern auf dem Rückweg vom Tendaguru zur Küste weit häufiger publiziert wurden als solche in umgekehrte Richtung. In der Aufnahme vom Marsch zur Küste (Abb. 1) vermitteln die geradeaus gerichteten Blicke der Träger und ihr dynamischer Schritt den Eindruck einer Zielgerichtetheit ihrer Bewegung und setzen ein Telos ihrer Laufrichtung ins Werk. Dieses Ziel wiederum, auf das die Blicke und Schritte der Männer gerichtet sind, liegt außerhalb des Bildraums und außerhalb des Bildes. In diesem Motiv des Transports oder vielmehr des Abtransports der Dinge kommt noch ein weiterer Topos zum Tragen: Mit der Visualisierung der an den Fossilien verrichteten Arbeit sollte der Übergang von ‚Naturdingen‘ zu ‚Kulturobjekten‘ in Szenen gesetzt werden. Dieser Wandel, so suggeriert das Bild, setzt nicht erst mit der Präparation des Materials im Berliner Museum, sondern bereits auf dem Rücken der selbst wiederum ent-individualisierten Afrikaner ein, die den Besitzverhältnissen nach fremde Dinge trugen. Im Zentrum der visuellen und textuellen Rhetorik der Tandaguru Expedition stand neben der Größe der gefundenen Knochen vor allem die schier unglaubliche Masse an forgeschafftem Material. Eben das setzen auch die Fotografien ins Bild. In der visuellen Rhetorik der Aufnahme nun verweist dabei die Anzahl der Träger auf die Anzahl der mobilisierten Objekte. Dafür ist es wichtig, die Dinge als zusammengehörig, als ‚Materialfluss‘ erkennbar zu machen. In der Formation der Träger als – scheinbar endlose – Reihe manifestiert sich visuell deren Zusammengehörigkeit und hierdurch wiederum erscheinen in der Verweisstruktur von Dingen und Menschen die einzelnen Traglasten als Zusammenhang, genauer gesagt als Teil einer größeren logistischen Kette, die teleologisch im Berliner Museum mündet. Dadurch wird wiederum klarer, dass es hier gerade

24 Die Trägerkolonnen wurden von einem afrikanischen Führer und teils auch von Janensch oder Hennig angeführt, so dass Aufnahmen möglich gewesen wären.

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nicht um einzelne Individuen geht, sondern um die Konfiguration der Träger als Gruppe. Das deutet sich bereits in der Tatsache an, dass kaum Bilder einzelner Träger veröffentlicht wurden. Visuelle Überzeugungskraft gewann dieses Motiv erst als Kollektivaufnahme. Das Motiv der „Trägerkarawane“, das die Bewegung von Dingen und Menschen in Szene setzt, war zur Zeit der TendaguruExpedition bereits fest im kolonialen Ikonografie verankert und durch populäre Bildmedien wie Illustrierte, Postkarten, Reklamebilder und Dioramen wie auch durch die Reiseberichte wissenschaftlicher Expeditionen weit verbreitet. Die Berichterstattung aus Ostafrika schloss daran an und trug selbst zur Festigung dieses kolonialen Bildtopos bei. Entscheidend dafür war nicht nur die stete Wiederholung des Bildmotivs, sondern zugleich die einheitliche Bezeichnung als „Trägerkarawane“. Sowohl in den handschriftlichen Dokumenten der Expeditionsleiter – die Beschriftung von Expeditionsalben und Diapositiven (Abb. 3 und 5) – wie auch in den offiziellen Berichten und der Presse lauten die Bezeichnungen stets „Transport durch eine Trägerkarawane“ oder „Trägerkarawane mit Knochenlasten“. Abb. 3: Expeditionsalbum der Tendaguru-Expedition von Werner Janensch

Quelle: MfN, HBSB, Pal. Mus. B IV 74

Die Träger waren durch die Sammelbezeichnung als (Berufs-)Gruppe, als „professional type“25 adressiert, die über ihre Tätigkeit – das Tragen – und das,

25 Oinheiro, Nuno de Avelar: „Ethnography“, in: Hannavay, John (Hg.): Encylopedia 19th Century Photography. Bd. 1, New York (u.a.), Routledge 2008, S. 499.

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was sie trugen, definiert und darauf reduziert waren. Bilder und Bildunterschriften arbeiteten so einer visuellen Stereotypisierung in die Hände, bei der es um die Figur eines bestimmten Arbeitertypus ging. Um als visuelles Argument zu funktionieren, mussten die Träger in den Bildern zum anonymen Kollektiv vereinheitlicht und zusammengefasst auftreten. Dadurch wiederum konnten die einzelnen deutschen Wissenschaftler als Individuen und als Personen hervortreten. Während die afrikanischen Träger stets kollektiv und anonym blieben und nur selten mit Namen, geschweige denn biografischen Angaben auftauchen, waren in den Alben, Reise- und Ergebnisberichten die europäischen Wissenschaftler stets durch Namensnennung identifiziert, individualisiert und personalisiert. In den Bildunterschriften wird somit eine Hierarchie gespiegelt, die sich auf die Arbeiten wie auch die soziale Stellung der Akteure bezieht. Hinweise hierauf liefert auch die Aufnahme selbst, genauer gesagt die Kameraeinstellung. Gerade weil in der Träger-Aufnahme kein Europäer zu sehen ist, zeigt sich hier, so die These, ein Blickregime, in dem sich koloniale Arbeits- und Machtverhältnisse spiegeln. Der Standort des Aufnahmeapparates – und damit auch die Perspektive der Betrachtenden – befindet sich ein wenig abseits des Weges im Gestrüpp. Dieser Standpunkt eines seitlichen Blicks auf die Szene positioniert den Fotografierenden und uns Schauende gleichzeitig nah am Geschehen und doch in gewissem Abstand zu ihm; als Teil derselben Umgebung wie die Träger, nicht jedoch Teil ihrer Gruppe. Was sich in der Kameraeinstellung spiegelt, war also wiederum eine bestimmte Arbeitsteilung, welche die Aufnahmen als Bedeutungsgehalt mittransportierten: Der physischen Arbeit der hunderten Träger als Kollektivkörper steht die geistige (die wissenschaftliche und dokumentarische) Arbeit individueller, namentlich zweier Wissenschaftler gegenüber, ausgestattet mit dem Fotoapparat als Signum technischen Fortschritts.26 Den Trägern wurde eine Bildwürdigkeit nur als Angeblickte, als Arbeiterkollektiv zugestanden, nicht aber in Form einer souveränen Blickposition. In der Kameraeinstellung manifestiert sich somit nicht nur die Stellung der Expeditionsleiter, sondern auch ihre Einstellung zur (abgebildeten) Arbeit.

26 Vgl. Oinheiro: „The control over those photographed enforced by the photographer was a part of the white upper class westerner power over the other. The power needed to make people pose to the photographer was a part of the wider colonial or ruling class power. The eye of the photographer and the eye of the camera were analogous to the eye of the surveillance needed to ensure control“. Oinheiro (2008): S. 499.

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Die Träger traten in den Texten und Bildern der Expedition also vornehmlich als Glieder der Logistik auf. Als Teil einer größeren logistischen Kette beschrieb bereits 1907 der Stuttgarter Paläontologe Eberhard Fraas, der als erster Wissenschaftler die Fundstelle am Tendaguru aufgesucht und kleinere Ausgrabungen vorgenommen hatte, die Translokation der Objekte durch Träger: „Aus den Knochen […] wurden Trägerlasten abgewogen und auf die einzelnen Köpfe der Eingeborenen verteilt, so daß sich bald eine lange Trägerkolonne von etwa 90 Mann durch die engen Waldpfade, über Höhen und durch Schluchten nach der Küste schlängelte, wo die Stücke in Kisten und Ballen für den Schiffstransport nach Deutschland zurecht gemacht wurden.“27

Die Tätigkeit der Träger wurde somit in einen größeren Arbeitskontext der Expedition eingeordnet. Dieser Zusammenhang zwischen den einzelnen Arbeitsschritten fand seinen bildlichen Ausdruck in den Presseberichten über die Expedition darin, dass die Träger-Aufnahme fast immer im Verbund mit anderen Fotografien abgedruckt wurde. In der Zeitschrift Die Woche etwa, die 1911 in einem Artikel über die „Dinosaurier in Deutsch-Ostafrika“28 berichtete, (Abb. 4), sind einzelne Arbeitsvorgänge in einer mehrteiligen Bilderserie abgedruckt.

27 Fraas, Eberhard: „Die ostafrikanischen Dinosaurier“. In: Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Bd. 83 (1911) 1, S. 27-41. 28 Passavant (1911): S. 753-758.

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Abb. 4: Träger-Aufnahme in der Zeitschrift Die Woche mit der Bildunterschrift „Transport der Funde durch eine Trägerkarawane“

Quelle: Passavant, Herman: „Dinosaurier in Deutsch-Ostafrika“. In: Die Woche. Nr. 18 (1911), S. 756.

Die Seite, auf der die Bilder untereinander und teilweise sich überlappend angeordnet sind, zeigt unterschiedliche Etappen der Arbeit im Feld. Die Fotografien werden durch ihre Zusammenstellung als Zusammenhang lesbar, der zugleich ein prozessuales Moment unterstreicht.

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Während die Träger-Aufnahme einerseits durch publizierte Berichte verbreitet wurde, hatte sie zugleich weitere öffentliche Auftritte, für die sie Form und Gestalt wechselte. Am 27. Februar 1912, kurz nach dem Ende der dritten Grabungsperiode, lud die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin – eben jene Gesellschaft, die als prominenter Förderer der Expedition aufgetreten war – zu einer Festsitzung in den neuen Hörsaal der Königlich Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin ein. Während dieser Sitzung, abgehalten vor etwa 350 geladenen Gästen, hielt Werner Janensch einen Vortrag über „Verlauf und Ergebnisse der Expedition“29. Über den Vortrag schrieb am folgenden Tag die Vossische Zeitung: „Dr. W. Janensch […] schildert anschaulich den Verlauf der Expedition […]. Vom Hafenort Lindi führte – an der Hand von Lichtbildern – Dr. Janensch die aufmerksam lauschenden Hörer und Hörerinnen nach dem etwa 3 bis 4 Tagemärsche entfernten Fundort.“30 Performativ wiederholte der Vortrag so den Fortgang der Expedition und nahm das Publikum anhand der Lichtbilder auf eine visuelle Reise zur Grabungsstätte und von dort zur Küste mit. Janensch illustrierte seinen Vortrag zudem mit „Lichtbildern“, für die eine Reihe seiner und Hennigs Fotografien in Glasdiapositiven umgewandelt und von einem Museumsmitarbeiter per Hand koloriert worden waren. 31 (Abb. 5). Kolorierte Diapositive kamen bereits um die Jahrhundertwende vermehrt bei wissenschaftlichen und populären Vorträgen zum Einsatz. Als „aktualisierte Form der Laterna magica-Vorträge“ waren die projizierten Lichtbilder vor allem im volksbildnerischen Bereich und zur Illustration von Reiseberichten äußerst beliebt.32 Und auch hier verfehlten sie ihre Wirkung nicht: „Eindringlicher fast noch als der Bericht“, heißt es im Berliner Tageblatt über Janenschs Vortrag, „führten uns die vorzüglichen Lichtbilder […] die geleistete Arbeit vor

29 Janensch, Werner: „Verlauf und Ergebnisse der Expedition“. In: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, Bd. 2 (1912), S. 124-136. 30 Anonym: „Die deutsche Tendaguru-Expedition“. In: Vossische Zeitung, 28.2.1912, o.S. 31 Einundneunzig Glasdiapositive von der Tendaguru Expedition lagern noch heute in der Historischen Bild- und Schriftgutsammlung des Museums für Naturkunde Berlin, darunter auch die Träger-Aufnahme. Die Beschriftung am linken oberen Rand des Rahmens ist nachträglich hinzugefügt und verweist auf die Archivgeschichte dieses Foto-Objekt. 32 Die ersten farbigen Projektionsbilder kamen bereits ab den 1890er Jahren zum Einsatz. Vgl. Starl, Timm: Bildbestimmung. Identifizierung und Datierung von Fotografien 1839 bis 1945. Marburg, Jonas Verlag, 2009.

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Augen.“33 Im Anschluss an die Vorträge sprach im Schlussplädoyer der Vorsitzende der Gesellschaft den weiterführenden Zweck einer solchen ‚Leistungsschau‘ unumwunden aus. Derzeit fehle es, so Gustav Tornier, im Berliner Naturkundemuseum an personellen und räumlichen Ressourcen, um die Funde schnell und fachgerecht zu bearbeiten. In der Kolonie wiederum fehle es an finanziellen Mitteln, um die Arbeiten vor Ort ein weiteres Jahr fortzusetzen. Der Einsatz der Lichtbilder war somit in eine konkrete Ökonomie eingebunden: Bilder von der „geleisteten Arbeit“ dienten als Veranschaulichung und zugleich als handfeste visuelle Argumente, mit deren Hilfe nicht nur bereits getätigte Spenden legitimiert, sondern auch weitere finanzielle Mittel akquiriert werden sollten. Abb. 5: Handkoloriertes Diapositiv der Träger-Aufnahme für Lichtbildvorträge aus dem archivarischen Bestand des Museum für Naturkunde Berlin

Quelle: MfN, HBSB, Pal. Mus. B V 0168

Im gleichen Zuge arbeiteten die Lichtbilder daran mit, ein bestimmtes Bild von Afrika zu vermitteln. Ihre visuelle Überzeugungskraft erhielten die Glasbilder dabei besonders durch die Kolorierung. Einzelne Kleidungsstücke der abgelichteten Träger waren in Rot- und Blautönen koloriert, die umgebenden Bäume und Gräser in braunen und grünen Farben und die Transportbehälter in Gelb- und Brauntönen getaucht. Landschaft und Träger scheinen durch die Farbgebung zunächst differenziertere Konturen und individuellere Züge zu gewinnen. Dass 33 Anonym: „Die Gesellschaft naturforschender Freunde“. In: Berliner Tageblatt, 28.2. 1912, S. 2. Einem ähnlichen Zwecke diente darüber hinaus die Aufstellung einzelner bereits präparierter Riesenknochen der Tendaguru-Funde im Lichthof des Museums.

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es jedoch weniger um eine ‚authentische‘ Wiedergabe der Verhältnisse und Menschen vor Ort anhand exakter (Farb-)Rekonstruktionen ging als vielmehr um lebendige Bildeindrücke, darauf deutet der Umstand, dass die Glasplatten nachträglich im Museum koloriert wurden – also weder vor Ort noch von denjenigen, die vor Ort gewesen waren. Die aus zweiter Hand kolorierten Lichtbilder steigerten vor allem die Anschaulichkeit und ästhetische Attraktivität der Bilder.34 Dabei fügten die kräftigen Farben der Landschaft und den Menschen ein exotisch anmutendes ‚Lokalkolorit‘ hinzu. Materiales Substrat dieser Exotisierung waren die Glasplatten. Der Projektionsapparat ließ durch die gläsernen Bildträger die „heißere, leuchtendere Sonne“35 Afrikas und die Farben der Landschaft und Kleidung erstrahlen. Während so einerseits die Arbeit am Bild die konkrete Umgebung, die lokalen Wegebedingungen und Tragevorrichtungen und die Arbeit einer Trägerkarawane greifbarer zu machen schien, war die Kolorierung zugleich als Projektionsfläche prädestiniert, zeittypische visuelle Stereotypen zu (re-)produzieren. Und diese wurden in der Folge weiter verbreitet, indem die Lichtbilder der Expedition, die während der Festsitzung nur einer selektiven Teilöffentlichkeit zugänglich waren, durch zahlreiche weitere öffentliche Vorträge erneut zum Einsatz kamen.36

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IN

B EWEGUNG

SETZEN

In der Kameraeinstellung der Träger-Aufnahmen ist, so wurde gezeigt, die Arbeit der Träger dokumentiert und zugleich die (fotografische) Arbeit der im Bild abwesenden Expeditionsleiter abgebildet. Mehr noch: Mit der Momentaufnahme laufender Träger, die die „Knochenlasten“ transportieren, ist nicht zuletzt die funktionierende Organisation und Koordination der Bewegung von Objekten

34 Sampson (2008): S. 510-512. 35 Janensch (1912): S. 124. 36 Anonym:

„Die

Tendaguru-Expedition“.

In:

Berliner Abendpost.

30.3.1912,

o.S. Hierüber berichtete ebenfalls Anonym: „Die Ausgrabungen auf dem Tendaguru“. In: Tägliche Rundschau. 30.3.1912. Im Mai desselben Jahres (11. Mai 1912) hielt Sir Arthur Smith Woodward von der geologischen Abteilung des British Museum (Natural History) einen Abendvortrag über „The Great Finds of Fossil Bones in German East Africa“, ausgerichtet von der Londoner Abteilung der Deutschen KolonialGesellschaft. Hierfür bat er Wilhelm von Branca in einem Brief unter Berufung auf verschiedene Zeitungsartikel um die Zusendung einiger Fotografien. Ob sich allerdings die Träger-Aufnahme unter diesen befand, konnte ich bislang nicht ermitteln.

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und Menschen ausgestellt, die gleichsam als Instanz zweiter Ordnung aus dem ‚Off‘ agiert. Um die Träger, die Dinge in Bewegung setzten, selbst in Bewegung zu setzen, bedurfte es umfassender bürokratischer Techniken der Koordination des Menschen- und Dingverkehrs. An der Organisation und Verwaltung des Dingund Menschenverkehrs war ein verteiltes Netzwerk von Akteuren beteiligt, die zwischen Berlin, Daressalam, Lindi und dem Tendaguru agierten. Da die beiden Expeditionsleiter zum ersten Mal afrikanischen Boden betraten, waren sie anfangs auf verschiedene Vermittlungsinstanzen und die Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort angewiesen. Zum einen konnte die Expedition dabei auf das in Ostafrika bereits seit vorkolonialer Zeit etablierte Karawanensystem 37 , zum anderen auf die ab den 1890er Jahren entstehenden kolonialen Verwaltungsstrukturen zurückgreifen. 38 Vor Beginn der Expedition hatte jener deutsche Mieneningenieur der Lindi-Schürfgesellschaft, der zwei Jahre zuvor als erster von den Knochenfunden am Tendaguru berichtet hatte, die Anwerbung von hundert professionellen Trägern für den Marsch zum Tendaguru organisiert. Im weiteren Verlauf fungierte neben dem Kaiserlichen Bezirksamt zu Lindi vor allem die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft mit ihren Abteilungen in Daresalaam und Lindi als zentrale operative Vermittlungsinstanz, die während der vier Grabungsjahre im Auftrag der Expedition weitestgehend die Anwerbung und Entlohnung professioneller Träger übernahm.39 So schickten die Mitarbeiter

37 Auf dem ersten Marsch zum Tendaguru traf die Expedition nach einem Weg „über angeschwollene Bäche, durch Pfützen und nasses Gestrüpp“ auf „eine jener breiten, ausgehauenen Karawanenstraßen, die in reichgegliedertem Netzwerk den ganzen Bezirk durchziehen“. Hennig, Edwin: Am Tendaguru. Leben und Wirken einer deutschen Forschungs-Expedition zur Ausgrabung vorweltlicher Riesensaurier in DeutschOstafrika. Stuttgart, Nägele & Spoesser, 1912, S. 17. 38 Bereits zwei Jahre zuvor hatte sich der Stuttgarter Paläontologe Eberhard Fraas zum Tendaguru „dank der hilfreichen Unterstützung der dortigen Beamten“ mit einer „wohlausgerüsteten Karawane von etwa 60 Trägern, Askaris und sonstigem Trosse unter Begleitung des Bezirksamtsmannes und Oberarztes der Schutztruppe auf die ‚Saffari‘ [sic] begeben“. Fraas, Eberhard: „Dinosaurier in Deutsch-Ostafrika“. In: Die Umschau. Bd. 12, Heft 48 (1908), S. 943-948, hier S. 947. 39 Vgl. Janensch (1912): S. 124. Die Bezahlung der Träger erfolgte im Auftrag der Expedition durch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft in Lindi, die den Trägern durchschnittlich 1 bis 1,5 Rupien für einen Gang zahlte, während die Arbeiter vor Ort einen festen Monatslohn erhielten. Insgesamt wurden an Löhnen für alle Arbeiter in den drei ersten Grabungsjahren für die 170, 400 und dann 500 schwarzen Arbeiter

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der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft regelmäßig eine jeweils notwendige Anzahl von Trägern mit Vorräten, Werkzeugen oder Nachrichten von Lindi zum Tendaguru, von wo diese wiederum jeden Montag mit Knochenlasten wie auch Nachrichten zurückgeschickt wurden. Die Korrespondenz betraf wiederum die mobilisierten Objekte wie auch die Organisation des Transports. Die DeutschOstafrikanische Gesellschaft sandte detaillierte Angaben über die Anzahl der Träger, ihren Lohn und ihre Traglasten gemeinsam mit den Knochenlasten durch die Träger selbst an Janensch und Hennig zum Tendaguru. Die übermittelten Zahlen wiederum übertrugen die Expeditionsleiter in ihre Akten und in die zweiwöchentlichen Berichte, die an den Museumsdirektor Branca in Berlin gingen. In Form dieser Lohn- und Abrechnungslisten zirkulierte so zwischen Deutsch-Ostafrika und Berlin, was später im Museum (und noch später im Archiv) als Papierstapel akkumulierte: das paper work der Expedition. In solchen Arbeits-Listen kreuzen sich die Geschichte naturhistorischer Aufschreibepraktiken und der Quantifizierung menschlicher Arbeit. 40 Um die Knochensendungen herum entspann sich so eine logistische Korrespondenz nicht nur über die zu transportierenden Objekte, sondern auch über den Transfer und seine Akteure selbst, über seine Bedingungen und Regeln – eine Kommunikation, die in Form von Listen, Telegrammen und Instruktionen und diese wiederum durch Träger zirkulierte. Die Träger fungierten somit auch als Transportmedien für den Nachrichtenverkehr, der ihre eigene Arbeit betraf. Indem sie Dinge in Bewegung setzten, wurden die Träger somit zugleich selbst zum Objekt bürokratischer Kontrolltechniken. Der Verkehr zwischen dem Tendaguru, Lindi und Berlin stellte einen Schritt der Diskursivierung dar, bei dem die Trägerkolonnen zu Zahlenkolonnen umgewandelt und in Listen zusammengefasst wurden. Die Träger und ihre Arbeit wurden zu beweglichen

90 000 Mark gezahlt. Vgl. Branca, Wilhelm von: „Allgemeines über die TendaguruExpedition“. In: Archiv für Biontologie (1914), Nr. 3, S. 3-13, hier S. 10. Vgl. ebd. S. 11: Arbeitslöhne in Afrika insgesamt: 1909: 20 148,64 Mark, 1910: 38 676,01 Mark; 1911: 30 534,22 Mark. Gesamtkosten der Expedition: 1909-911 insg. 180 000 Mark, 1912 35 000 Mark; für Präparation und Transport zudem 20 000 Mark vom preußischen Unterrichtsministerium, daher insgesamt etwa 235 000 Mark. 40 Dies weist vor allem auf den afrikanischen Sklavenhandel zurück, wie James Delbourgo feststellt: „In an era that witnessed the development of new biopolitical programs for counting people as labor resources, Africans were notoriously listed as anonymous priced commodities within the Atlantic slave trade – and so were not deemed creditable as named contributors to natural history.“ Delbourgo, James: „Listing People“. In: Isis. Bd. 103 (2012), S. 735-742, hier S. 739.

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Inskriptionen, die sie wiederum selbst in Bewegung setzten. Ding-, Nachrichtenund Menschenverkehr41 waren dadurch Elemente einer umfassenden Logistik und Logik der Mobilisierung, die eine Verortung ebenso wie die Regelung von Verkehrsflüssen zum Ziel hatte. Die zirkulierenden Listen bildeten ein gleichzeitig wissenschaftliches und (kolonial-)administratives Instrument, um die versendeten Objekte wie auch die Träger und ihre Verrichtungen – aus der Ferne – zu Objekten einer möglichst umfassenden Kontrolle zu machen. Im Transit wurden damit die mobilisierten Dinge und Menschen zum Gegenstand umfassender Listenproduktion und davon ausgehend zum Objekt gouvernementaler Praktiken der Verwaltung und Steuerung. In der Träger-Aufnahme bleiben diese unterschiedlichen Formen von Arbeit als Spannungsverhältnis präsent: Während das Tragen sichtbar wurde, unterstrich gerade die Unsichtbarkeit der machthabenden Instanzen die effiziente Organisation des Objekt- und Menschenverkehrs. Die Träger und ihre Arbeit haben somit in den Akten des Archivs wie auch in den Veröffentlichungen der Geschichte der Expedition sichtbare Spuren hinterlassen. In welcher Form und zu welchem Zweck sie dadurch aber für wen sichtbar wurden, ist eine komplizierte Frage. Denn während die Träger, so wurde gezeigt, als Arbeitskräfte und als Bildmotive im Dienste eines kolonialen und wissenschaftlichen Erfolgsnarrativs zunehmend medial sichtbar (gemacht) wurden, blieben sie im gleichen Zuge als Individuen und als Handlungsträger weitgehend unsichtbar. Das lag vornehmlich daran, wem eine souveräne Blickposition und eine autorisierte Stimme zugestanden wurde. Dass die Quellen dadurch bestimmte Perspektivierungen vornehmen und inszenieren, ist symptomatisch, dadurch aber nicht weniger problematisch für die Rekonstruktion der Geschichte kolonialer Expeditionen. Mindestens ebenso wichtig wie das, was die Bilder zeigen und die Texte berichten, ist daher das, was sie nicht sagen und zeigen. Innerhalb der doppelten Funktion der afrikanischen Arbeiter als Lastenträger bei der Expedition und als Zeichenträger in der Konstruktion von deren Erfolgsnarrativ lässt sich die mediale Gleichzeitigkeit der Un/Sichtbarkeit der Träger-Arbeit nicht auflösen, wohl aber die Bedingungen, Herstellungs- und Funktionsweisen historisch sichtbar machen.

41 Diese drei Felder lassen sich mit Gabriele Schabacher unter dem Begriff der Infrastrukturen fassen. Schabacher, Gabriele: „Medium Infrastruktur. Trajektorien soziotechnischer Netzwerke in der ANT“. In: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung. Heft 2, (2013): S. 129-148; vgl. auch Thrift, Nigel: „Transport and Communications 1730-1914“. In: Robert Dodgshon/ Robin Butlin (Hg.): An Historical Geography of England and Wales. London, Academic Press, 21990, S. 453-486.

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L ITERATUR Anonym: „Die Ausgrabungen auf dem Tendaguru“. In: Tägliche Rundschau. 30.3.1912. Anonym: „Die deutsche Tendaguru-Expedition“. In: Vossische Zeitung. 28.2.1912, o.S. Anonym: „Die Gesellschaft naturforschender Freunde“. In: Berliner Tageblatt. 28.2.1912, S. 2. Anonym: „Die Tendaguru-Expedition“. In: Berliner Abendpost. 30.3.1912, o.S. Beinart, William& Hughes, Lotte: Environment and Empire. Oxford/ New York, Oxford University Press, 2007, S. 184-200. Bohrer, Frederick N.: Photography and Archaeology. London, Reaktion Books, 2011. Branca, Wilhelm von: „Allgemeines über die Tendaguru-Expedition“. In: Archiv für Biontologie (1914), Nr. 3, S. 3-13. Colbert, Edwin H.: „Tendaguru“. In: ders.: The Great Dinosaur Hunters and their Discoveries. New York, Dover Publications Inc., 1968, S. 239-249. Delbourgo, James: „Listing People“. In: Isis. Bd. 103 (2012), S. 735-742. Fraas, Eberhard: „Die ostafrikanischen Dinosaurier“. In: Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Bd. 83 (1911) 1, S. 27-41. Fraas, Eberhard: „Dinosaurier in Deutsch-Ostafrika“. In: Die Umschau. Bd. 12, Heft 48 (1908), S. 943-948. Guha, Sudeshna: „Introduction: Archaeology, Photography, Histories“. In: Dies. (Hg.): The Marshall Albums. Photography and Archaeology. Ahmedabad, Mapin Publishing, 2010, S. 11-67. Guha, Sudeshna: „Visual Histories, Photography and Archaeological Knowledge“. In: Lalit Kala Contemporary. Bd. 52 (2012), S. 29-40. Güttler, Nils: „Unsichtbare Hände: die Koloristinnen des Perthes Verlags und die Verwissenschaftlichung der Kartographie im 19. Jahrhundert“. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Bd. 68 (2013), S. 133-153. Hartmann, Wolfram& Silvester, Jeremy& Hayes, Patricia (Hg.): The Colonising Camera. Photographs in the Making of Namibian History. Cape Town, University of Cape Town Press, 2001. Heintze, Beatrix: „Wahrnehmungsblockaden: Das Stereotyp vom ‚unberührten‘ Afrika“. In: dies.: Afrikanische Pioniere. Trägerkarawanen im westlichen Zentralafrika (ca. 1850-1890). Frankfurt/M., Otto Lembeck, 2002, S. 15-24. Hennig, Edwin: Am Tendaguru. Leben und Wirken einer deutschen ForschungsExpedition zur Ausgrabung vorweltlicher Riesensaurier in DeutschOstafrika. Stuttgart, Nägele & Spoesser, 1912.

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Permanente Krisen Opposition, Kooperation und Konkurrenz ostafrikanischer Träger in europäischen Expeditionen A NDREAS G REINER

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts umspannte ein dichtes Netz an Handelsstraßen den Osten des afrikanischen Kontinents. Ausgerichtet auf den Handel Sansibars,1 reichte es vom Indischen Ozean zu den großen innerafrikanischen Seen: zum Viktoriasee, zum Malawisee und vor allem zum Tanganjikasee mit seinem Handelszentrum Ujiji. Das dort zwischen arabischen Kaufleuten und lokalen Unternehmern gehandelte Elfenbein war neben Sklaven und lokalen Erzeugnissen wie Eisenwerkzeug die wichtigste Ware in diesem vorkolonialen Handelsnetz.2 Sein Transport bedurfte menschlicher Kraft: Da die Schlafkrankheit den Einsatz von Lasttieren unmöglich machte, 3 waren es menschliche Träger, die in großen Handelskarawanen aus dem Inneren Ostafrikas an die Küste und zurück zogen.4 In einigen Regionen entlang der großen Karawanen1

Begünstigt nicht zuletzt durch die Eröffnung des Suezkanals 1869 und den so verkürzten Seeweg nach Europa, wurde Sansibar im 19. Jahrhundert zum wichtigen Handelszentrum, von dem aus v.a. Elfenbein nach Indien, Amerika und Europa verschifft wurde.

2

Siehe einführend Iliffe, John: A Modern History of Tanganyika. Cambridge, Cambridge University Press, 1979, S. 40-52 sowie Sheriff, Abdul: Slaves, Spices & Ivory in Zanzibar. Integration of an East African Commercial Empire into the World Economy, 1770-1873. Athens (OH), Ohio University Press, 1987.

3

Der Krankheitsverlauf endet für viele Tierarten tödlich. In den Waldgebieten Ostafrikas, wo der Überträger der Krankheit, die Tsetsefliege, weit verbreitet war, erschwerte die Schlafkrankheit nicht nur den Transport, sondern v.a. auch die Viehzucht. Siehe Iliffe (1979), S. 12, 163-165.

4

Die Forschung zu ostafrikanischen Trägern im 19. Jahrhundert ist sehr überschaubar.

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straßen und an der Küste war das Tragen von Handelsgütern seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem professionellen Gewerbe avanciert. Diese Berufsträger waren nicht nur für die längst etablierten Händler unentbehrliche Reisebegleiter. Sie wurden es auch für die neu hinzugekommenen europäischen Forschungsreisenden. Angetrieben vom christlichen Missionseifer oder auf der Suche nach den Quellen des Nils, drangen selbsternannte ‚Entdecker‘ aus Europa ab den 1850er Jahren immer tiefer in das ein, was sie den „dunklen Erdteil“ nannten.5 Dabei profitierten sie erheblich von der vorhandenen Infrastruktur und bewegten sich nahezu ausschließlich auf den bekannten Karawanenstraßen. Und natürlich waren es Menschen, die ihr Gepäck, ihre Messinstrumente und zuweilen auch die Europäer selbst trugen. Mit dem Rückgriff auf professionelle, an den Karawanenhandel gewöhnte Träger mussten die europäischen Reisenden jedoch auch die schon vor ihrer Ankunft etablierten Gewohnheiten und Regeln des Karawanenhandels in Kauf nehmen. Diese leiteten die Träger einerseits aus den regionalen Praktiken ihrer Heimat ab, darunter die Organisation in kleinen Kochgemeinschaften (Makambi), Mitbestimmungsrechte wie die Wahl des Anführers (Kirangozi) und die

Zu erwähnen sind Cummings, Robert J.: Aspects of Human Porterage. With Special Reference to the Akamba of Kenya: Towards an Economic History, 1820-1920. Dissertation, University of California, Los Angeles (CA), 1975, sowie der Sammelband Coquery-Vidrovitch, Catherine & Lovejoy, Paul Ellsworth (Hg.): The Workers of African Trade. Beverly Hills (CA), Sage Publications, 1985. Mit ostafrikanischen Trägern in Expeditionen haben sich eingehender auseinandergesetzt: Simpson, Donald Herbert: Dark Companions. The African Contribution to the European Exploration of East Africa. New York, Barnes & Noble Books, 1976; Rockel, Stephen John: Carriers of Culture. Labor on the Road in Nineteenth-Century East Africa. Portsmouth (NH), Heinemann, 2006; Rempel, Ruth: Exploration, Knowledge, and Empire in Africa. The Emin Pasha Relief Expedition, 1886-1890. Dissertation, University of Toronto, Toronto, 2000; Rempel, Ruth: „‚No Better than a Slave or Outcast‘. Skill, Identity, and Power among the Porters of the Emin Pasha Relief Expedition, 1887-1890“. In: The International Journal of African Historical Studies. Bd. 43, Heft 2 (2010), S. 279-318; Pesek, Michael: Koloniale Herrschaft in DeutschOstafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880. Frankfurt/M., Campus, 2005, v.a. S. 40-189 sowie jüngst Gräbel, Carsten: Die Erforschung der Kolonien. Expeditionen und koloniale Wissenskultur deutscher Geographen, 1884-1919. Bielefeld, transcript, 2015, S. 127-177. 5

Eine gute Einführung bietet Jeal, Tim: Explorers of the Nile. The Triumph and the Tragedy of a Great Victorian Adventure. London, Faber, 2012.

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Praxis des gemeinsamen Beratschlagens (Shauri).6 Andere Regelungen, Normen und Praktiken hatten sich erst im Zusammenspiel mit den Arbeitgebern etabliert: das Maximalgewicht der Lasten, die Länge des täglichen Marsches, der Lohn sowie die Abfolge von Arbeits- und Ruhetagen.7 Aus dieser Kombination von Gewohnheitsrecht und neuen Standards war eine professionelle Arbeitskultur8 hervorgegangen, die die Träger pflegten und auf deren Einhaltung sie gegenüber ihren Arbeitgebern pochten. Tatsächlich blieben viele Praktiken von den Europäern zunächst unangetastet. Das Resultat war, dass die Träger die Reisenden mit Verweis auf das Gewohnheitsrecht regelmäßig zum Umdisponieren zwangen. So verkehrten die meisten Trägergruppen nur auf einzelnen Handelsrouten, die Wanyamwezi aus der Region östlich des Tanganjikasees etwa ausschließlich auf der Strecke zwischen der Küste und ihrer Heimat. Wollten die europäischen Reisenden von dieser Route abweichen oder tiefer ins Landesinnere vordringen, ließen sich die meisten Wanyamwezi auszahlen und verließen die Expedition.9 Die Europäer, die keinerlei Befehlsgewalt über die Träger hatten, mussten dann vor Ort mühsam neues Personal anwerben. Die Expeditionen kamen so mitunter für mehrere Monate zum Erliegen. In Kombination mit der gefürchteten Malaria, der lebensfeindlichen Umwelt sowie bewaffneten Konflikten mit lokalen ‚Chiefs‘ ließ das eigensinnige Verhalten der Träger die Expedition für viele Reisende schnell zu einer permanenten Krise werden, die ihr Leben bedrohte.10 Die Bewältigung dieser Krise schien sich im letzten Drittel des Jahrhunderts anzukündigen, als die europäische Expansion in Ostafrika ihren Höhepunkt erreichte. Im Zeichen des Hochimperialismus war es zunächst Carl Peters, der

6

Pesek (2005): S. 69; Glassman, Jonathon: Feasts and Riot. Revelry, Rebellion and Popular Consciousness on the Swahili Coast, 1856-1888. Portsmouth (NH) et al., Heinemann, 1995, S. 59f.

7

Rockel (2006): S. 31, 111.

8

Zur Übertragbarkeit des europäisch geprägten Begriffs der ‚Arbeit‘ auf außereuropäische Kontexte vgl. Linden, Marcel van der: Workers of the World. Essays toward a Global Labor History. Leiden, Brill, 2008.

9

Das berichtet u.a. Burton, Richard Francis: “The Lake Regions of Central Equatorial Africa. With Notices of the Lunar Mountains and the Sources of the White Nile; being the Results of an Expedition Undertaken Under the Patronage of Her Majesty’s Government and the Royal Geographical Society of London, in the Years 18571859“. In: Journal of the Royal Geographical Society. Bd. 29 (1859), S. 1-454, hier S. 408.

10 Vgl. zu dieser Krise Fabian, Johannes: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas. München, C.H. Beck, 2001.

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1884 im Auftrag einer privaten Gesellschaft Gebiete im heutigen Tansania requirierte, deren „Schutz“ das Deutsche Reich ein Jahr später garantierte. Die Gesellschaft wurde mit Hoheitsrechten ausgestattet. Infolge ständiger Konflikte und eines bewaffneten Aufstandes der Küstenbevölkerung übernahm das Reich 1891 jedoch offiziell die Verwaltung von Deutsch-Ostafrika. Ganz ähnlich war die Entwicklung in Kenia, wo ab 1888 eine private Handelsfirma die britischen Ansprüche vertrat, ehe 1895 die britische Regierung selbst die Kolonie BritischOstafrika übernahm.11 Angesichts des so entstandenen Machtgewinns schickten sich Kolonialverwaltungen und europäische Reisende an, das Reisen in Ostafrika zu rationalisieren. Reisehandbücher sollten allen Neuankömmlingen als Leitfaden für Ausrüstung, Personal und Tropenhygiene dienen und den Alltag der Expedition normieren. 12 Die Verwaltungen waren bemüht, Verträge mit Trägern zu standardisieren und deren Einhaltung durchzusetzen. Gleichzeitig hatten sich ab den späten 1870er Jahren europäische Handelsfirmen wie Smith, Mackenzie & Co. darangemacht, die Trägeranwerbung zu monopolisieren und die bislang als Mittelsmänner benötigten einheimischen Händler auszustechen.13 Der Imperialismus bot nicht nur die Machtmittel, um das ostafrikanische Reisen umzuwälzen, sondern auch die entsprechende Mentalität. Denn wie Carl Peters waren inzwischen vielfach Agenten imperialer Staaten an die Stelle von Forschungsreisenden getreten, denen es nicht mehr um Wissensgenerierung, sondern um Eroberung im Auftrag oder zumindest im Sinne der Kolonialmächte ging.14 Sie waren beseelt vom Glauben an eine Hierarchie zwischen ‚Weißen‘

11 Vgl. zur Nachbarschaft der beiden Kolonien und zur gegenseitige Rezeption bzw. Kooperation der beiden Mächte: Lindner, Ulrike: Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika 1880-1914. Frankfurt/M., Campus, 2011. 12 Ein Beispiel für einen solches Handbuch ist Reichard, Paul: Vorschläge zu einer praktischen Reiseausrüstung für Ost- und Centralafrika. Sonderabdruck aus der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Berlin, Dietrich Reimer, 1889. 13 Rockel (2006): S. 93. 14 Natürlich waren auch die früheren Reisenden nicht unbefleckt. Folgt man Kerstin Rüther, so halfen die Forscher mit ihren Erkundungsreisen, „Grenzen zu ziehen, Handelsbeziehungen zu verzerren und Raum zu rationalisieren“. Siehe Rüther, Kerstin: „Räume jenseits von Kolonie und Metropole.“ In: Habermas, Rebekka & Przyrembel, Alexandra (Hg.): Von Käfern, Märkten und Menschen. Kolonialismus und Wissen in der Moderne. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2013, S. 97-114, hier S. 101; zur Problematik außerdem Vogel, Jakob: Public-private partnership. Das koloniale Wissen und seine Ressourcen im langen 19. Jahrhundert. In: Ebd.: S. 261-284 sowie für

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und ‚Schwarzen‘. Letztere galt es zu disziplinieren und zu beherrschen. In dieser Disziplinierung der Träger lag für viele Reisende der Schlüssel, die Unwägbarkeiten des Reisens endlich einzudämmen. Dafür musste allerdings die alte Ordnung des Karawanenhandels mit all ihren Regeln außer Kraft gesetzt werden. Statt auf Mitbestimmungsrechte setzten Expeditionsleiter spätestens seit den 1880er Jahren auf unbedingten Gehorsam und Disziplin. Schließlich hatten die meisten von ihnen eine militärische Erziehung in den Armeen ihrer Heimatländer genossen. Drill, straffe Zeitpläne und eine strenge, quasi-militärische Marschordnung sollten eine tägliche Routine schaffen.15 Hinzu kam ein hohes Maß an Zwang und Gewalt. Viele der Bestrafungspraktiken wurden von arabischen Karawanenführer übernommen; darunter die Maßnahme, eingefangene Deserteure tagelang in Halsketten zu legen, ebenso die Prügelstrafe.16 Neu waren aber deren Intensität und Häufigkeit. So sollte den Trägern jede Aufsässigkeit aus dem Leib geprügelt und sie dadurch zum künftigen Gehorsam „erzogen“ werden. Der Körper wurde zentrales Objekt der Grenzziehung und Hierarchisierung, nicht nur vermittels Züchtigung, sondern auch durch die unterschiedliche Verteilung der Last auf ‚schwarze‘ und ‚weiße‘ Körper und die höchst ungleiche Rationierung der Verpflegung entlang ‚rassischer‘ Kategorien.17 Der Krise des Reisens Herr zu werden, hieß für die Europäer folglich, sich zum Herrn über die Träger zu machen. Für die Träger selbst bedeutete die Neuorganisation ihrer Arbeit aber, dass ihre erkämpften Rechte in Gefahr gerieten, sie sich zur Schwerstarbeit genötigt und mit drakonischen Strafen konfrontiert sahen. Plötzlich geriet auch für sie die Expedition zur permanenten Krise. Diese Veränderungen sollten sie jedoch nicht tatenlos hinnehmen. Viele Träger lernten, innerhalb des neuen Systems zu navigieren. Sie entwarfen Anpassungsstrategien, mit denen sie ihren Alltag in der Expedition verbesserten. Der vorliegende Beitrag analysiert ebendiese Agency, die Handlungsmacht, von Trägern in europäischen Expeditionen. Er lotet ihren Spielraum aus, skizziert die Maßnahmen, die Träger ergriffen, um sich im neuen System zu behaupten und ihr Überleben in der Expedition zu sichern. Entsprechend der beschriebenen Umbrüche konzentriert sich die Untersuchung auf Expeditionen, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten des 19.

Ostafrika Driver, Felix: „Henry Morton Stanley and His Critics. Geography, Exploration and Empire“. In: Past & Present. 133 (1991): S. 134-166. 15 Beschrieben z.B. von Stuhlmann, Franz: Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Ein Reisebericht. Berlin, Dietrich Reimer, 1894: S. 17; Reichard (1889): S. 71f. 16 Pesek (2005): S. 60. 17 Siehe Rempel (2000): S. 173-203.

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Jahrhunderts durch Ostafrika bewegten.18 Da nur sehr wenige Selbstzeugnisse von Trägern überliefert sind, stützt sie sich zu großen Teilen auf Berichte und Tagebuchaufzeichnungen der europäischen Expeditionsteilnehmer. Diese Quellen sind zweifellos mit Vorsicht zu genießen, spiegeln sich in ihnen doch zeitgenössische koloniale Diskurse. Michelle Moyd hat 2014 in ihrer Arbeit über ostafrikanische Kolonialsoldaten jedoch gezeigt, dass auch diese Texte geeignet sind, dem Wirken von nicht-europäischen Akteuren nachzuspüren. Denn liest man sie kritisch gegen den Strich, enthalten gerade die Tagebücher viele Randbemerkungen und Episoden, die das Handeln der Träger dokumentieren. Entsprechend soll in diesem Beitrag trotz der einseitigen Quellenbasis versucht werden, den nicht aktiv überlieferten Stimmen der Expeditionen Gehör zu verschaffen.19 Wie sich zeigen wird, waren die Maßnahmen, die Träger ergriffen, vielgestaltig und umfassten verschiedenste kollektive und individuelle Verhaltensweisen. Aktionen gegen die europäischen Arbeitgeber existierten neben Zusammenarbeit mit diesen, und das Streben nach einem besseren Alltag konnte zu Konflikten mit anderen Trägern führen. Der Beitrag ist entlang dieser drei Linien strukturiert. Zunächst beleuchtet er exemplarisch drei Mittel, aus der neuen Ordnung auszubrechen bzw. diese herauszufordern: individuelle Pausen, Spott und den kollektiv ausgetragenen Arbeitskampf in Form des Streiks. Daran anschließend wird am Beispiel der Wanyampara, der Träger-Anführer, gezeigt,

18 Unter den untersuchten Expeditionen sind hervorzuheben: die Durchquerung Zentralafrikas von Ost nach West, 1880-1883 durchgeführt von den Deutschen Paul Pogge und Hermann Wissmann, dem späteren Gouverneur von Deutsch-Ostafrika; eine Expedition Wissmanns zum Aufbau einer Station im Kongobecken im Auftrag König Leopold II. von Belgien (1883-1885); Henry Morton Stanleys Suche nach Emin Pascha (1887-1890, eigentl. Eduard Schnitzer, einem Schlesier im Dienste der ägyptischen Regierung) sowie eine spätere Expedition Emin Paschas und seines Begleiters Franz Stuhlmann zum Viktoriasee (1890-1891 bzw. 1892), die mit militärischen Mitteln die deutsche Herrschaft im Landesinneren sicherstellen sollte. Zu diesen Expeditionen wurden sowohl gedruckte Berichte als auch Tagebuchaufzeichnungen der Beteiligten ausgewertet. 19 Siehe zur Problematik Moyd, Michelle R.: Violent Intermediaries. African Soldiers, Conquest, and Everyday Colonialism in German East Africa. Athens (OH), Ohio University Press, 2014, insb. S. 23-31; sowie Roque, Ricardo & Wagner, Kim A.: „Introduction. Engaging Colonial Knowledge“. In: dies. (Hg.): Engaging Colonial Knowledge. Reading European Archives in World History. Basingstoke, Palgrave Macmillan, 2012, S. 1-32.

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wie einzelne Expeditionsmitglieder versuchten, sich durch Kooperation mit den Europäern persönlich zu bereichern. Im dritten Abschnitt soll dann abschließend umrissen werden, wie sich Träger durch Abgrenzung voneinander und die Schaffung interner Hierarchien Vorteile sicherten.

O PPOSITION : VON DER A RBEITSPAUSE ZUM A RBEITS KAMPF Die europäische Karawanenordnung, so allumfassend sie von den Europäern konzipiert wurde, hatte zahlreiche Schlupflöcher. Die Möglichkeiten, aus ihr auszubrechen, waren vielfältig.20 Manche Träger konfrontierten ihre Arbeitgeber direkt, brachten ihren Unmut vor, wurden zuweilen gar gewalttätig.21 Andere Träger nutzten die Gelegenheit zur persönlichen Bereicherung durch kleinere Diebstähle, um so an Tauschartikel für Lebensmittel zu kommen; wiederum andere entzogen sich den Europäern durch Desertion und in aussichtslosen Situationen, etwa bei schweren Krankheiten, gar durch Suizid.22 Weniger drastisch war die temporäre Flucht aus der Ordnung. Individuell entflohen Träger dem täglichen Zwang zur Höchstleistung, indem sie Schwäche oder Krankheiten vortäuschten und so selbst getragen werden mussten bzw. leichteres Gepäck zugewiesen bekamen,23 oder indem sie vor oder während des 20 Viele der alltäglichen Widerstandsmittel der Träger ähneln denen von Sklaven. Vgl. Craton, Michael: Testing the Chains. Resistance to Slavery in the British West Indies. Ithaca (NY), Cornell University Press, 1982 sowie Cooper, Frederick: Plantation Slavery on the East Coast of Africa. New Haven (CT) und London, Yale University Press, 1977, S. 200-210. 21 So droht ein Träger dem Reisenden Paul Pogge offen mit einem Messer, siehe Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1881-1882. Königliches Museum für Zentralafrika (KMZA) 59.77, C II, 31.1.1882. Einer von Henry Morton Stanleys Unteroffizieren, Edmund Barttelot, wird 1888 gar hinterrücks von einem Träger erschossen. Das berichtet u.a. Stanley, Henry Morton: In Darkest Africa. Or: The Quest, Rescue and Retreat of Emin, Governor of Equatoria. Bd. 1, New York, Charles Scribner’s Sons, 1891, S. 499. 22 Dies dokumentiert Henry Morton Stanley: „We have had a suicide […] since you left. Mrima a young Zanzibari suffering from ulcers shot himself yesterday about 11 a.m.“ Brief an Emin Pascha, Kavalli, 24.02.1889. In: Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. Staatsarchiv Hamburg (StAHH) 622-2/16 A VI b, angeheftet an S. 208. 23 Hinweise darauf finden sich bei Stuhlmann, Franz: Reise-Tagebuch. 1888. StAHH 622-2/63 BI 2, 25.08.1888; Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b,

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Marsches einfach im Gebüsch verschwanden und sich für eine Weile schlafen legten.24 Solche Auszeiten blieben den Expeditionsleitern nicht immer verborgen (sonst wären sie nicht dokumentiert), und die Träger machten Pausen trotz der drohenden Gefahr, von den begleitenden Soldaten entdeckt und bestraft zu werden. Das Nickerchen im Gebüsch war kein Versuch, zu desertieren: Nach ausreichend Pause kehrten die Träger in der Regel zu ihren Karawanen zurück. „Die Arbeitspause“, schreibt Alf Lüdtke, „läßt sich als praktizierte Verweigerung, als eine Form von Selbstbestimmung im Rahmen der betrieblichen Arbeitszeit fassen.“25 Folgt man seiner Deutung, die sich auf europäische Industriearbeiter um 1900 bezieht, ging es auch den Trägern darum, sich kleine Freiräume zu schaffen; darum, für einen Moment auf Distanz zu gehen und so den Alltag in der Karawane selbst zu bestimmen, ohne deren Grundordnung aus den Angeln zu heben. Eine zweite Methode der Distanzierung, gleichzeitig aber auch der Provokation, war der Spott. Diesen äußerten Träger durch Nachäffen,26 Spottlieder27 und

S. 287; Höhnel, Ludwig Ritter von: Zum Rudolph-See und Stephanie-See. Die Forschungsreise des Grafen Samuel Teleki in Ost-Aequatorial-Afrika, 1887-1888. Wien, Alfred Hölder, 1892, S. 32; Thomson, Joseph: To the Central African Lakes and Back. The Narrative of the Royal Geographical Society’s East Central African Expedition, 1878-1880. Bd. 1, London, Sampson Low, Marston, Searle, & Rivington, 1881, S. 178f. 24 Stuhlmann, Franz (Hg.): Die Tagebücher von Emin Pascha. Bd. 1, Hamburg/Braunschweig/Berlin, Georg Westermann, 1916 (ND 2005), S. 127f; Stuhlmann, Franz: Reise-Tagebuch. 1891-1892. StAHH 622-2/63 BII 3, 30.10.1891; Höhnel (1892), S. 43. 25 Lüdtke, Alf: „Arbeitsbeginn, Arbeitspausen, Arbeitsende. Skizzen zur Bedürfnisbefriedigung und Industriearbeit im 19. und frühen 20. Jahrhundert“. In: ders.: EigenSinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus. Hamburg, Ergebnisse Verlag, 1993, S. 85-119, hier S. 112. 26 Das berichtet u.a. Stanley (1891): S. 371. 27 Der Musikethnologe Erich Moritz von Hornbostel dokumentiert den Fall eines Europäers auf Jagdsafari, der statt einer Antilope nur einen Stein traf und dessen mangelnde Treffsicherheit seine Träger mit den Worten „Bwarí apiga mawe nyáma tayári“ („Der Herr schießt Steine, das Fleisch ist bereit“) besangen. Vgl. Hornbostel, Erich Moritz von: „Wanyamwezi-Gesänge“. In: Anthropos. Bd. 4, Heft 3 (1909) S. 781-800, hier S. 785. Vgl. zu Trägerliedern auch Gunderson, Frank: „Music Performance on 19th-Century Sukuma-Nyamwezi Caravans to the Swahili Coast“. In: African Music. Bd. 8, Heft 2 (2008), S. 6-25.

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durch die Verwendung von Spitznamen für die Expeditionsleiter. Sie sollten deren Charakter oder Eigenschaften nach außen kehren, häufig die negativen. So berichtet der ehemalige Träger Rashid bin Hassani in einem der wenigen afrikanischen Selbstzeugnisse von einem „Bwana Sakarani“, zu Deutsch ‚Herr Trunkenbold‘.28 Verspottet wurden die Expeditionsleiter nicht nur hinter vorgehaltener Hand, zuweilen wurde ihnen offen ins Gesicht gelacht, was sie aufgrund fehlender Swahili-Kenntnisse oftmals nicht einmal registrierten. Diesbezüglich warnt Paul Reichard, der 1880-84 zum Tanganjikasee und in den Kongo gereist war, in einem Reisehandbuch alle Neuankömmlinge vor Betrügern, die sich zwar das Gehalt sichern, selbst aber nicht dafür arbeiten wollten. Sie meldeten sich bei der Anwerbung an der Küste unter falschem Namen und strichen die Vorschusszahlung von bis zu fünf Monatslöhnen ein, um dann bei Abmarsch nicht zu erscheinen oder kurz darauf zu desertieren. 29 Reichard zählt diese falschen Namen auf, damit Reisende sie wiedererkennen können: [Die Betrüger] kennzeichnen sich oft selbst schon mit allerdings dem Neuling unverständlichen Namen, z.B. dji Krumenja (dji hinterlistig entfliehen, also etwa s. v. a. Schub – weg ist er!) oder Mdchanga (= Sand, soll hier andeuten: ich verrinne wie Sand in der Hand) oder suaga (entfliehen) oder Mtoro (Flüchtling). Man wird oft schon beim Nennen derartiger Namen den Nebensinn am Lachen der anderen erkennen.30

Augenscheinlich waren diese Träger so selbstbewusst, den Betrug mit offener Verhöhnung der Expeditionsleiter zu verknüpfen. Indem sich die niedrig gestellten Expeditionsmitglieder über die vermeintlich Überlegenen lustig machten, ihnen wie in diesem Beispiel einfach ins Gesicht lachten, konnten sie die angebliche Ordnung der Karawane infrage und für einen Moment auf den Kopf stellen.31 Die Machthaber zu verspotten, hieß demnach, auf Distanz zu diesen zu

28 Hassani, Rashid bin & Baldock, W.F.: „The Story of Rashid Bin Hassani of the Bisa Tribe, Northern Rhodesia“. In: Perham, Margery (Hg.): Ten Africans. Evanston (IL), Northwestern University Press, 21963, S. 81-119, hier S. 113; siehe auch Moyd (2014): S. 91. 29 Diese Praxis wird auch von William Grant Stairs dokumentiert: „Great numbers enlist simply for the sake of getting the advance pay and then clear out, and remain undetected,“ vgl. Stairs, William Grant: Journals. 1891-1892. KMZA 95.48, 05.06.1891. 30 Reichard (1889): 58f. 31 Vgl. Vinthagen, Stellan & Johansson, Anna: „Everyday Resistance. Exploration of a Concept and its Theories“. In: Resistance Studies Magazine. Bd. 1, Heft 1 (2013), S. 1-46, hier S. 19.

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gehen und sich nicht in die vorgegebene Rolle des Unterdrückten einzupassen. Doch ähnlich wie die Arbeitspause rüttelte auch der Spott nur bedingt an der Machtverteilung der Expedition. Viel eher war er Selbstvergewisserung. Gerade weil die Adressaten den Spott aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse häufig nicht einmal mitbekamen, half die geteilte Sprache aus Anspielungen und Witz den Trägern, gemeinsame Erfahrungen zu verarbeiten und ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen.32 Zwar mussten sie so wohl selten Sanktionen fürchten, der Protest blieb dafür aber oft ungehört. Doch es gab auch offenere Unmutsbekundungen. In zahlreichen Expeditionen schafften es die Träger, kollektiven Protest zu organisieren. Der Streik wurde zum häufigsten Mittel des Arbeitskampfs.33 In seinem Zentrum stand meist die Verteidigung etablierter Rechte des Karawanenhandels. Schließlich lag ein möglicher Weg, der durch die Europäer evozierten Krise zu entkommen, in der Rückkehr zur bewährten Routine des Karawanenhandels. Diese versuchten manche Trägergruppen zu erzwingen, wie 1884 der französische Reisende Victor Giraud im Bergland von Usagara erfahren sollte. Er berichtet, wie seine Träger nach mehreren kräftezehrenden Tagesmärschen erklärten, nicht weitergehen zu wollen. Daraufhin zogen sie sich geschlossen zurück und ließen Giraud durch dessen Träger-Anführer ausrichten: [I]ls se sont réunis pour te faire savoir qu’ils veulent rester un jour de plus ici, et que demain ils refuseront de partir. L’usage des caravanes veut qu’on s’arrête un jour tous les sept jours, et que, lorsqu’on est obligé par le puri de marcher dix jours de suite, on se repose quarante-huit heures au lieu de vingt-quatre. Or voilà dix jours qu’ils ne se sont pas arrêtés, et ils se disent incapables de continuer demain.34

32 Vgl. dazu auch den Beitrag von Clemens Gütl in diesem Band. 33 Beispiele finden sich u.a. bei Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 289, 315; Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1881-1882. KMZA 59.77, C II, 19.09.1881; Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1884-1885. KMZA 59.77, C II 1, 02.08.1884; Holub, Emil: Von der Capstadt ins Land der Maschukulumbe. Reisen im südlichen Afrika in den Jahren 1883-1887. Bd. 2, Wien, Alfred Hölder, 1890, S. 87, 110-112. Siehe auch Rockel (2006), S. 188-191. Dort wird auch das nachfolgende Beispiel aufgeführt. Vgl. zu einer allgemeinen Typologie des Streiks auch Linden (2008), S. 173-207. 34 Giraud, Victor : Les Lacs de l’Afrique équatoriale. Voyage d’exploration exécuté, de 1883 à 1885. Paris, Librairie Hachette et Cie, 1890, S. 99.

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Die Träger beriefen sich hier explizit auf das Gewohnheitsrecht des Karawanenhandels und legten die Arbeit nieder, um dieses durchzusetzen. Zwar versicherte Giraud ihnen, „[i]l n’est pas possible […] d’établir une comparaison entre nos marches et celles des Arabes“,35 gestand den Trägern anschließend dennoch den rechtmäßigen Ruhetag zu, wohlgemerkt ohne für diesen Lohn auszuzahlen. Das Beispiel zeigt, dass Träger durch Kollektivmaßnahmen erfolgreich sein konnten. Sie waren es auch dann, wenn zur Verteidigung der verbrieften Rechte die Forderung nach höheren Löhnen oder zusätzlichen Rationen trat. Ständige Neuverhandlungen und die erzwungene Ausgabe von Poscho (Proviant) gehörten zum verhassten Alltag vieler Europäer. Dies sollte das Klima in der Karawane beruhigen und zum Weitermarsch motivieren.36 Doch es gibt auch Gegenbeispiele, in denen Streiks erfolglos blieben. Der Ausgang der Arbeitskämpfe war immer auch eine Frage der Souveränität und des Drohpotenzials der Expeditionsleiter. Züchtigung als Kollektivstrafe, wie sie der berüchtigte Henry Morton Stanley nutzte, um opponierende Träger gefügig zu machen,37 konnte nur erfolgreich sein, wenn ein ausreichend großes Kontingent an Trägern zu Verfügung stand. Denn die Expeditionsleiter brauchten zum Tragen gesunde Körper, nicht durch Prügelstrafe geschundene. Stattdessen berichten einige Reisende von der Maßnahme, im Falle eines Streiks einfach alleine loszumarschieren und die Träger stehen zu lassen, statt auf deren Forderungen einzugehen. Diese würden dann nach einiger Zeit aus Furcht vor Bestrafung von selbst nachkommen.38 Da für diese Fälle einzig die Darstellung der Europäer überliefert ist, bleibt unklar, ob diese Kaltschnäuzigkeit tatsächlich so effektiv war oder es ihnen schlicht darum ging, der Nachwelt die eigene Überlegenheit vorzuführen. Schließlich durften Reiseberichte und Selbstzeugnisse am

35 Giraud (1890): S. 99f. 36 Etwa Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1884-1885. KMZA 59.77, C II 1, 06.09.1884; Stuhlmann, Franz: Reise-Tagebuch. 1891-1892. StAHH 622-2/63 BII 3, 20.10.1891; Stairs, William Grant: Journals. 1891-1892. KMZA 95.48, 22.08.1891. 37 Emin Pascha berichtet, wie Stanley bei einem Streik „nach rechts u. links Tritte u. Stösse austeilend […] er sodann die entwaffneten Leute einen nach dem andern prügeln [ließ].“ Vgl. Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 211. 38 Wissmann, Hermann: Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost. Von 1880 bis 1883 ausgeführt von Paul Pogge und Hermann Wissmann. Berlin, Walter & Apolant, 71890, S. 63, 129; Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1881-1882. KMZA 59.77, C II, 06.08.1881; Holub (1890): S. 234f.; Stuhlmann (1916): S. 129. Dies ist eine typische elterliche Erziehungsmaßnahme und somit auch ein Beispiel für die Infantilisierung afrikanischer Menschen durch Europäer.

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Mythos des souveränen europäischen Anführers nicht rütteln. Erst eine von der historischen Forschung noch zu leistende systematische Auswertung aller verzeichneten Streiks wird Klarheit darüber schaffen, wie häufig und in welchen Situationen diese erfolgreich waren. Ebenso spannend ist die Frage, wie streikende Träger – von denen sich viele erst während des Marsches kennen lernten – die gemeinsamen Aktionen koordinierten. Dass sie koordiniert waren oder als koodiniert empfunden wurden, legt die zeitgenössische Verwendung des Begriffs Streik bzw. „strike“ oder „grève“ nahe. 39 Mit ihm zogen die Reisenden Parallelen zu den Kampfmitteln der organisierten Arbeiterschaft in den Fabriken ihrer Heimatländer. Ein Vergleich, der zuweilen ganz direkt gezogen wurde. So schreibt etwa der kanadische Missionar Rowland Bingham, seine „carriers knew how to conduct a strike as effectively as any labour union at home. They would get about 20 miles from anywhere and then every man would put down his load and say, ‚White man, we cannot go any farther unless you double our pay‘“.40 Es ist noch zu wenig über Vorbereitung und Durchführung dieser Streiks bekannt, um sie in eine Linie mit denen europäischer Arbeiter zu rücken, doch die Beobachtungen der bestreikten Europäer deuten bereits den hohen Organisationsgrad an, den Träger erreichen konnten. Fraglos zeigen Streiks jedoch, dass unter den Träger ein Gemeinschaftsgefühl herrschte. Es lässt sich nur mutmaßen, wie sich diese Solidarität entwickelte. Geteiltes Leid und gemeinsamer Spott als identitätsstiftende Elemente wurden oben bereits angesprochen. Hinzu kamen die geteilte Arbeitserfahrung und der Islam, zu dem viele Träger konvertierten.41 Zentral war zudem das gemeinsame Leben im täglichen Camp, während manche Verbindungen schon von vorhergehenden, gemeinsamen Reisen herrühren mochten. So brachten erfahrene Träger ihre Bekannten mit zur Musterung, die dann ebenfalls verpflichtet wurden, wie aus einer 1879 von dem Schotten Joseph Thomson angefertigten Teilnehmerliste seiner Expedition hervorgeht. 42 Nicht vergessen

39 Etwa Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 315; Höhnel (1892): S. 20. 40 Bingham, Rowland: Ohne Titel, ca. 1895. In: Sudan Witness. Bd. 39, Heft 1 (1963), S. 3. 41 Pesek (2005): S. 74f. 42 Die Liste enthält Namen, Herkunft, Reiseerfahrung, Kontakte und Gehalt sämtlicher Träger der Expedition. Eintrag Nummer 87 ist etwa ein Träger namens Mvumo, dessen Reiseerfahrung als „Known to Chuma; Travelled with Juma“ – beides TrägerAnführer dieser Expedition – angegeben wird. Die darauf folgenden Einträge 88-92

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werden darf indes, dass es auch Träger gab, die sich temporär aus diesem Kollektiv ausklammerten. In den Expeditionen fanden sich Streikbrecher,43 und die wenigsten Träger begegneten ihren Arbeitgebern mit Fundamentalopposition. Individuelle Kooperation mit den Europäern war eine gängige Anpassungsstrategie. Sie stand diametral zum Streik. Umso bemerkenswerter erscheint es, dass Träger mit beiden Mitteln die gleiche Zielsetzung verfolgten, wie im nächsten Abschnitt gezeigt wird.

K OOPERATION : D AS B EISPIEL

DER

W ANYAMPARA

Bald nach Aufbruch der Expeditionen von der Küste war der Punkt erreicht, an dem europäisches Wissen über das Innere Afrikas an seine Grenzen stieß. Schließlich wollten die Europäer ja erst etwas entdecken. Das hieß aber nichts anderes, als dass sie in zahlreichen Situationen auf die Kenntnisse ihrer Führer und Träger angewiesen waren. So wussten diese in Zeiten großen Hungers, welche Pflanzen essbar waren und konnten sich in der Umwelt orientieren. Zuweilen waren Träger gar die einzigen, die die Sprache des durchreisten Landes beherrschten und mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt treten konnten. 44 Die Kooperationsbereitschaft einzelner Träger garantierte in solchen Fällen das Weiterkommen der Expedition, wie sich überhaupt zahlreiche Beispiele finden lassen, in denen Träger sich mit ihren Arbeitgebern verbündeten und in Krisenzeiten zu diesen hielten. So berichtet Selim bin Abakari, 1892 Diener in einer deutschen Expedition zum Malawisee, dass er und andere nach einem Streit „abwechselnd Posten vor bana [i.e. Herr] [Theodor] Bumillers Zelt [standen], da wir fürchteten die Sudanesen hätten beschlossen, ihn zu erschießen.“45 Hier deutet sich an, dass Solidarität nicht auf die Gruppe der Träger werden dann als „Known to Mvumo“ geführt. Es ist anzunehmen, dass der oberste Träger-Anführer Chuma den ihm bekannten Mvumo anwarb, der dann wiederum seine Kollegen mitbrachte. Die Liste ist abgedruckt in: Rotberg, Robert I.: Joseph Thomson and the Exploration of Africa. New York, Oxford University Press, 1971, S. 307314. 43 Diese erwähnt etwa Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 211. 44 Stuhlmann, Franz: Reise-Tagebuch. 1892. StAHH 622-2/63 BII 5, 13.06.1892; auch Holub (1890): S. 247. 45 Abakari, Selim bin: „Meine Reise nach dem Nyassa. Mit der Dampferexpedition des Herrn Major von Wißmann“. In: Velten, Carl (Hg.): Schilderungen der Suaheli. Von Expeditionen v. Wissmanns, Dr. Bumillers, Graf v. Götzens, und Anderer. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1901, S. 56-115, hier S. 61. Weitere Beispiele von Solida-

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beschränkt war. Vielmehr überwanden einzelne Expeditionsmitglieder diese Trennung und verbündeten sich mit ihren Arbeitgebern. Einerseits vielleicht aus Respekt vor den Expeditionsleitern oder im Geiste eines in Extremsituationen entstandenen Gemeinschaftsgefühls. Vor allem aber konnten Träger, die den Europäern halfen, auf bessere Rationen oder auf Geschenke hoffen.46 Wieder ging es also um die Verbesserung der Lebensumstände, und entsprechend waren viele der Bündnisse nicht selbstlos, sondern stellten eine Strategie dar, sich Vorteile zu sichern. Dies wird am Beispiel der Träger-Anführer, der Wanyampara, besonders deutlich. In den Expeditionen waren die Wanyampara die wichtigsten ostafrikanischen Verbündeten der Europäer. Einst selbst als Träger aktiv, hatten sie sich im Laufe ihrer Reisen als Anführer hervorgetan und wurden vor Beginn der Expedition von europäischen Reisenden gezielt umworben und für ein hohes Gehalt engagiert. 47 Wanyampara halfen bei der Wahl des richtigen Weges, führten selbstständig Gruppen oder verhandelten mit lokalen ‚Chiefs‘. Aufgrund ihrer Erfahrung genossen viele Anführer zudem großen Respekt unter den Trägern und ihre Meinung hatte Gewicht bei allen Expeditionsmitgliedern – auch den europäischen. Ihre wichtigste Aufgabe war daher die von ‚Go-betweens‘ bzw. ‚Intermediaries‘, sprich sie waren „häufig die zentralen Vermittler für die Anliegen der Europäer und vice versa“.48 Als Vertraute der Expeditionsleiter erklärten sie den Trägern Befehle und traten als deren Fürsprecher auf, wenn der Reisende es denn schaffte, „sie ganz auf seine Seite zu bringen“, wie Paul Reichard in seinem Reiseratgeber schreibt. Er empfiehlt, „den Einfluß der Untergebenen auf die Wanjampara durch häufige Geschenke zu paralysieren […]. Der Reisende höre stets ihren Rat an und meist wird er gut thun demselben

rität beschreiben etwa Paul Pogge, dessen Träger ihm einige Male ihre Nahrungsration abtraten. Vgl. Pogge, Paul: Im Reich des Muata Jamwo. Tagebuch meiner im Auftrage der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrika’s in die LundaStaaten unternommenen Reise. Berlin, Dietrich Reimer, 1890, S. 214. Ebenso Wissmann, dem ein Träger das Leben rettete. Vgl. Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1881-1882. KMZA 59.77, C II, 19.09.1881. 46 Rempel (2000): S. 265-267. 47 Die große Erfahrung dieser Anführer beschreibt William Grant Stairs: „[O]ne of my chiefs is I believe the only man living, or who has ever lived who has drunk of the waters of all the great African Lakes, the Nile, Congo, + Zambezi.“ Stairs, William Grant: Journals. 1891-1892. KMZA 95.48, 30.10.1891. 48 Habermas, Rebekka: „lntermediaries, Kaufleute, Missionare, Forscher und Diakonissen“. In: dies. & Przyrembel, Alexandra (2013), S. 27-48, hier S. 39.

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zu folgen.“49 Ein Beispiel für die Scharnierfunktion und die daraus resultierende Macht der Wanyampara gibt Franz Stuhlmann 1891 im Tagebuch seiner Reise zum Viktoriasee: Mittags kommen die Waniampara […]. Sie hätten seit 9 Tagen viel Redens arten [sic] wegen des Hungers unter den Leuten gehört und heute sogar bemerkt, dass 15 Mann in corpore desertieren wollten. Es gäbe hier absolut nichts zu essen, alle Leute kämen unverrichteter Sache zurück u. die Träger wollten absolut nicht weiter fort. […] Wir stellen Uledi u. den Andern vor, dass nur d. Ostweg Aussicht auf Essen habe, was Uledi auch einsieht; d. andern wollen aber nichts davon wissen. […] Es wird also für morgen früh d. Rückmarsch beschlossen!50

Anders als Stuhlmann schienen ‚seine‘ Wanyampara die Stimmung in der Mannschaft zu kennen und deren Probleme ernst zu nehmen. Gleichzeitig warnten sie aber die Europäer. Durch diese Vermittlung setzten die Träger ihre bevorzugte Route durch, die Anführer verhinderten gleichzeitig jedoch einen Massenexodus; sie lösten die Krise also zu beiderseitigem Vorteil. Die Mitarbeit der Wanyampara und ihre Bereitschaft, Informationen und Wissen zu teilen, waren unerlässlich für den erfolgreichen Verlauf der Reise. Jedoch waren sie nicht nur Vermittler, sondern eigenständige Akteure und verfolgten mit ihrer Kooperation eigene Interessen. Im obigen Tagebucheintrag deutet sich an, dass Wanyampara bei Konflikten nicht unvoreingenommen auftraten, sondern eine eigene Position vertraten oder vielleicht gar selbst zu den Streikbefürwortern zählten. Ihre Rolle als ‚Intermediaries‘ erlaubte es ihnen, Botschaften nicht nur zu übermitteln, sondern auch die Entscheidungsfindung in eine bestimmte Richtung zu lenken. Immerhin lehnten sie im obigen Beispiel den Vorschlag der Europäer kategorisch ab und setzten die Position der Träger durch. Die Loyalität der Anführer galt nicht ihren Vorgesetzten oder Untergebenen, sondern bewegte sich irgendwo dazwischen und war oft auf den eigenen Vorteil bedacht. Manche Wanyampara nutzten den Vertrauensvorschuss der Europäer und die daraus resultierende Verantwortung, um sich persönlich zu bereichern. Anführer, die die Vorräte der Expedition verwalteten, wirtschafteten heimlich in die eigene Tasche oder tauschten mit ihnen Lebensmittel. So beklagte sich Emin Pascha, von 1890 bis Ende 1891 auf derselben Expedition wie Stuhlmann, über den Diebstahl von Stoffen, die als Währung dienten, und mutmaßt: „[A]lle Anführer haben die Hände im Spiel u. auch die Unteroffiziere halte ich für

49 Reichard (1889): S. 68. 50 Stuhlmann, Franz: Reise-Tagebuch. 1891. 622-2/63 BII 2, 29.09.1891.

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beteiligt am Verschwinden mancher Doti [Maßeinheit für Stoffe, A.G.].“ 51 Ebenso berichtet Joseph Thomson über ‚seinen‘ Wanyampara Chuma, „that he had carefully selected all the bales with fine cloths in them, and being of a very gallant nature, with a soft side towards the female sex, he had been somewhat lavish in his gifts to such Liendwe damsels as had the good fortune to attract his attention“, wobei Thomson dies als Chumas einzigen Makel bezeichnet.52 Denn folgt man Thomsons Bericht, trat Chuma ansonsten als unverzichtbare Hilfe auf, verhinderte etwa die massenhafte Desertion der Träger, indem er sie mit einer flammenden Rede auf kommende Aufgaben einschwor. 53 An Chuma wird deutlich, dass Loyalität und Untreue gegenüber den Expeditionsleitern einander nicht ausschlossen, sondern als variable Anpassungsstrategien nebeneinander existieren und sich ergänzen konnten. Eine zweite Form der Loyalität, nämlich die der Träger untereinander, soll zum Abschluss dieses Beitrags noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden.

K ONKURRENZ : D ER A UFBAU

INTERNER

H IERARCHIEN

Ungerechtigkeit gab es in den Expeditionen nicht nur zwischen den Expeditionsleitern und ihren Angestellten. Trotz der geteilten Erfahrung und des gemeinsamen Arbeitskampfs war Solidarität nicht jedem Träger beschieden. Alleine schon aufgrund der extremen äußeren Bedingungen kam es zwischen einzelnen Trägern immer wieder zu Streitereien um Wasser, Nahrung und um die Frage, wer die leichteste Last tragen dürfe.54 Diese Auseinandersetzungen konnten in handfeste Prügeleien und sogar in Mord münden. 55 Europäische Reisende berichten von weiteren Konflikten innerhalb der Trägerschaft, etwa von Ausschlüssen allzu kranker Träger aus den eigentlich eingeschworenen Kochgemeinschaften, weil diese keine Erträge mehr beisteuern konnten. 56 Andere

51 Pascha, Emin: Tagebuch. 1890-1891. StAHH 622-2/16 A VII, S. 32. 52 Vgl. Simpson (1976): S. 152. 53 Thomson (1881): S. 153. 54 Holub (1890): S. 123; Reichard, Paul: Deutsch-Ostafrika. Das Land und seine Bewohner. Leipzig, Otto Spamer, 1892, S. 300; siehe zu Lastverteilung auch Rockel (2006): S. 112. 55 Stanley (1891): S. 174; Wissmann, Hermann: Tagebuch. 1887. KMZA 59.77, C V, 20.03.1887. 56 Konczacki, Janina M. (Hg.): Victorian Explorer. The African Diaries of Captain William G. Stairs 1887-1892. Halifax (NS), Nimbus, 1994, S. 148.

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Träger verwehrten an Pocken erkrankten Kollegen den Zutritt zum Lager.57 Zweifellos ging es den Verantwortlichen derartiger Ausschlüsse darum, die eigenen Überlebenschancen zu verbessern. In Zeiten einer lebensbedrohlichen Krise konnte Solidarität offenbar zweitrangig sein. Es zeigt sich aber auch, dass bestimmte Trägergruppen systematisch versuchten, Vorteile für sich herauszuschlagen – und zwar auf dem Rücken der anderen. Denn anders als beim von den Expeditionsleitern streng gezogenen ‚Racial divide‘ zwischen europäischen Arbeitgebern und afrikanischen Trägern gab es innerhalb der Expeditionen selten eine homogene Trägergruppe. Die an der Küste oder in Orten gruppenweise angeworbenen Träger blieben unterwegs entsprechend ihrer Herkunft unter sich. Oft entwickelten sich Auseinandersetzungen und Schlägereien zwischen den einzelnen Fraktionen.58 Gegenüber den bei Mangel tages- und behelfsweise engagierten Trägern aus dem Landesinneren versuchten sich die dauerhaft engagierten, professionellen Träger von der Küste zu profilieren. Die Träger aus Sansibar, die unter den Reisenden als besonders zuverlässig galten, wurden diesem Ruf gerecht, indem sie den anderen Trägern ihren Arbeitsethos aufzwangen. Einerseits geschah dies auf Weisung der Europäer.59 Andererseits handelten sie mitunter scheinbar aus eigenem Antrieb, wie ein Reisender nahe legt: „Ich hatte nur acht Sansibarleute unter einer Anzahl von 100 Trägern, die sich aus den verschiedensten Elementen zusammensetzten. Wenn von diesen einige Ausschreitungen sich erlaubten, lässig oder widerspenstig waren, so wurden sie von jenen, über die ich niemals zu klagen hatte, zurechtgewiesen und angetrieben.“60 In dieser internen Hierarchie der afrikanischen Expeditionsmitglieder wiesen die Berufsträger von der Küste ihren Kollegen aus dem Landesinneren eine untergeordnete Rolle zu und versuchten, über diese zu bestimmen. Durch den Aufbau interner Hierarchien konnten sich die professionellen Träger Anerkennung erwerben und ihren Gruppenzusammenhalt stärken.

57 Burton, Richard Francis: The Lake Regions of Central Africa. A Picture of Exploration. Bd. 1, New York, Harper & Brothers, 1860, S. 158. 58 Eine Prügelei zwischen Haguema und Sansibariten beschreibt Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 211; einen Streit zwischen Wasangu und Wanyamwezi Höhnel (1892): S. 603. 59 Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 287. 60 Fischer, Gustav Adolph: Mehr Licht im dunklen Weltteil. Betrachtungen über die Kolonisation des tropischen Afrika. Hamburg, E. Friedrichsen & Co., 1885, S. 104; ganz ähnlich Speke, John Hanning: Journal of the Discovery of the Source of the Nile. Edinburgh/ London, William Blackwood and Sons, 1863, S. 170.

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Gleichzeitig erlaubte ihnen die Hierarchie, Aufgaben nach unten zu delegieren. Dies beweist die Praxis der Berufsträger, lokale Träger zu engagieren. Schon aus vorkolonialen Karawanen berichten Reisende, wie ihre Träger vom eigenen Lohn Sklaven erwarben und diese als Träger ihrer Habseligkeiten oder der ihnen aufgetragenen Lasten verwendeten.61 Aus späteren Expeditionen wird zudem von der temporären Anstellung von Hilfsträgern durch Expeditionsträger gegen Lohn berichtet. Die Träger, die sich Untergebene leisten konnten, rückten in der Hierarchie der Karawane in die Position kleiner Arbeitgeber, die nach unten Befehle erteilen konnten, sich gleichzeitig aber um Lohnforderungen und das Problem der Desertion sorgen mussten. Diese Träger, schreibt Paul Reichard folglich, „machen ihren Landsleuten meist dieselben Schwierigkeiten, wie dem Araber oder Europäer“.62 Es zeigt sich somit, dass es auch unter den Trägern eine Hierarchie mit Mächtigen und Machtlosen gab. Nicht nur verhielten sich die Berufsträger skrupellos – und alles andere als solidarisch – gegenüber den von ihnen engagierten Hilfsträgern, letztere kannten auch die Mittel, dies zu durchkreuzen, und konnten ihre Forderungen durchsetzen. Emin Pascha berichtet in seinem Reisetagebuch von zweien seiner Trägern, die „ohne mein Wissen für ihre Lasten im letzten Nachtquartier zwei Träger engagiert u. diesen Stoffe als Lohn versprochen, bei der Ankunft hier aber natürlich keine Stoffe zum Bezahlen gehabt [haben]. Die Warima [die beiden Hilfsträger, A.G.] versuchten nun, die beiden mir gehörigen Lasten zu confiszieren u. drohten, als ich dies verhinderte, die beiden schuldigen Träger als Sklaven an sich zu nehmen. So hatte ich denn schliesslich die Ehre jedem der Warima […] eine halbe Doti Calicut zu bezahlen, übergab aber meine beiden Träger an Stanley, der sie in Ketten legen liess.“ 63 Der Konflikt zwischen Arbeitgebern und Angestellten setzte sich auf dieser untersten Ebene der Lohnbeziehung nahtlos fort.

61 Burton (1859), S. 228; Stanley, Henry Morton: How I Found Livingstone. Travels, Adventures and Discoveries in Central Africa including four months Residence with Dr. Livingstone. London, Sampson Low, Marston & Co., 1872, S. 461f. 62 Reichard (1889): S. 63. 63 Pascha, Emin: Tagebuch. 1889. StAHH 622-2/16 A VI b, S. 296. Wie die Europäer zu dieser Praxis der Trägeranwerbung standen, muss vorerst offen bleiben. Zumindest für Emin Pascha lässt sich jedoch eine positive Haltung feststellen. So schreibt er im Zusammenhang des obigen Zitats, dass „hätten meine Leute mir ein Wort gesagt, ich gern 2-3 [Hilfsträger] gemiethet hätte.“ Ein möglicher Grund für diese Haltung mag sein, dass Hilfsträger die Träger entlasteten, indem sie deren persönliches Gepäck trugen. Die Arbeitskraft der professionellen Träger stand somit ganz den Expeditionsleitern zur Verfügung.

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S CHLUSSBETRACHTUNG Der Soziologe Ulrich Oevermann versteht Krisen als ein Auseinanderbrechen der Lebenspraxis: Im Krisenfall greifen bestehende Handlungsroutinen plötzlich nicht mehr, zur Bewältigung der Extremsituation müssen die Betroffenen neue Routinen und Anpassungsstrategien entwickeln.64 In diesem Sinne herrschte in den Expeditionen in Ostafrika eine doppelte Krise. Zunächst eine Krise für die europäischen Reisenden, weil die lebensfeindliche Umwelt, Krankheiten, Hunger und Konflikte sie täglich an ihre Grenzen brachten. Ihre Anpassungsstrategie an diese permanente Krise lag in der Anwendung für sie bewährter Routinen: Drill und strenge Ordnung entlehnten sie den vertrauten militärischen Praktiken ihrer Heimatländer. Dies aber führte zu einer weiteren Krise, diesmal für ihre Angestellten. Denn die europäischen Reisenden am Jahrhundertende wollten Routinen schaffen, über die sie allein bestimmen konnten. Für die alten Regeln und Gepflogenheiten des vorkolonialen Handels hatten sie kein Verständnis. Der Bruch mit der vielen Trägern bekannten Routine der Handelskarawanen in den 1880er und 1890er Jahren, also der Verlust von Gewohnheitsrechten, zwang die professionellen Träger dazu, ihrerseits Anpassungsstrategien an die neue Situation zu entwickeln. Einige von ihnen wurden im vorliegenden Beitrag beleuchtet. Wie sich zeigt, waren die Träger nicht Opfer der herrschenden Umstände, sondern entwarfen einen Maßnahmenkatalog, aus dem sie selektiv und der Situation entsprechend auswählten.65 Bemerkenswert ist die Zielsetzung aller skizzierten Verhaltensweisen. So ging es beim Streik um die Verteidigung der alten Ordnung, zugleich aber auch um die Verbesserung des Expeditionsalltags und der Rationen. Diese Motive lassen sich auf individueller Ebene auch für die Kooperationsbereitschaft einzelner Träger bzw. der Wanyampara und ebenso für Konflikte innerhalb der Trägergruppe identifizieren. Das Streben nach besseren Lebensbedingungen und also der Weg aus der Krise standen im Zentrum all dieser Bemühungen, egal ob durch Zugeständnisse oder durch Rückkehr zur vorkolonialen Routine. Es wäre daher vermessen, die Aktionen der Träger in monolithische Kategorien von Anpassung und Widerstand zu pressen oder gar teleologisch als Kampf einer

64 Vgl. Oevermann, Ulrich: „‚Krise und Routine‘ als analytisches Paradigma in den Sozialwissenschaften“. In: Becker-Lenz, Roland et al. (Hg.): Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik. Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden, Springer, 2016, S. 43114. Ich danke Bernhard C. Schär für diesen Hinweis. 65 Die Nicht-Reaktion, das Ertragen, kam natürlich auch vor, muss aber genauso als eine mögliche Strategie verstanden werden.

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subalternen Gruppe gegen ihre Unterdrücker zu deuten. Vielmehr macht der Fall der ostafrikanischen Expeditionsträger eines deutlich: Der Raum, den europäische Mächte und Privatpersonen vorfanden, als sie im 19. Jahrhundert ihre Herrschaftssphären auf Afrika ausdehnten, war nicht leer. Sie konnten ihn selten frei gestalten, sondern mussten auf etablierte Strukturen und tradierte Regeln reagieren, indem sie auf diese aufbauten oder mit ihnen brachen. Taten sie Letzteres, bedeutete die Schaffung kolonialer Ordnung für viele nunmehr Kolonisierte nichts anderes als die Abschaffung der Normalität. Wie das Beispiel der Träger beweist, nahmen die Kolonisierten diese Krise aber nicht einfach hin, fügten sich nicht in ihre neue Rolle der Unterdrückten. Sie verfügten über eine bemerkenswerte Agency, fanden individuelle wie kollektive Antworten auf die Krise: deutliche Antworten wie den Streik, aber auch Antworten wie die kleine Arbeitspause, die in der kolonialen Situation der Expeditionen nicht nur eine ungeheure Provokation bedeutete, sondern für ein Individuum auch ein Stück selbstbestimmten Lebens. Es sind daher gerade diese kleinen, alltäglichen Erschütterungen des kolonialen Machtgefüges und ihre Erzeuger, die unsere besondere Aufmerksamkeit verdienen.

A KTENVERZEICHNIS Königliches Museum für Zentralafrika, Tervuren (KMZA) 59.77 Papiers Wissmann, Hermann von 95.48 Papiers Stairs, William Grant Staatsarchiv Hamburg (StAHH) 622-2/16 Emin Pascha 622-2/63 Franz Stuhlmann

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„Mancherlei habe ich von ihnen gelernt“ Beziehungen zwischen deutschen Forschern und einheimischen Trägern in Ostafrika und auf der Insel La Réunion in den Jahren um 1860 M ARLENE T OLÈDE Ein unermesslicher Binnensee und riesige Schneeberge unweit des Äquators in Ostafrika, die Mitte des 19. Jahrhunderts von deutschen Missionaren beschrieben wurden, ziehen viele europäische Entdeckungsreisende in diese Region. Nach den Briten Richard Burton, John Speke, James Grant und dem Deutschen Albrecht Roscher landet im Jahr 1860 ein weiterer deutscher Entdecker, Baron Carl Claus von der Decken (1833-1865), in Sansibar, der Eingangspforte zu Ostafrika, einer terra incognita zu der Zeit. Decken bestreitet seine geographischen Forschungen aus eigenen Mitteln, „von glühendem Enthusiasmus beseelt, der geographischen Wissenschaft zu nützen; Stellung, Familienglück, Europäischen Komfort, Reichthum1 – Alles im Stich lassend und sein Alles einsetzend, um dem schwarzen Kontinente einen Theil seiner Geheimnisse zu entreißen“2. Im Jahr 1861 wird er von dem britischen Geologen Richard Thornton (18381863) begleitet und zwischen 1862 und 1863 von dem deutschen Naturalisten Otto Kersten (1839-1900). Nach einem ersten Besteigungsversuch des Kilimandscharo mit Thornton unternimmt Decken einen zweiten Versuch mit Kersten. Sie erreichen die Höhe von 4 280 m. Zwischen dem 28. Mai und dem 7. August 1863 halten sich Decken und Kersten auf der Insel La Réunion auf. Bis zur Abschaffung der Sklaverei im Jahr

1

Bei allen Zitaten wurde die damalige Rechtschreibung bewahrt.

2

Petermann, August: „Vorwort“. In: Kersten, Otto: Baron Carl Claus von der Decken’s Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1861. Bd. 1, Leipzig/ Heidelberg, Winter’sche Verlagshandlung, 1869.

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1848 trug die seit Mitte des 17. Jahrhunderts von Franzosen besiedelte Insel noch den Namen Bourbon. Die französische Kolonie soll nur eine kurze Zwischenstation auf der Route nach Madagaskar sein, doch die politischen Ereignisse3 dort verhindern die Weiterfahrt. So nutzen die Deutschen ihren zweieinhalbmonatigen Aufenthalt auf der Insel zur Erforschung ihrer geographischen, geologischen und botanischen Merkmale. Sie werden von Père Fava, dem Stellvertreter des Bischofs, beherbergt, der Missionar in Sansibar gewesen ist und dort den Baron als einen „furchtlosen Reisenden“ und „perfekten Gentleman“4 bezeichnet hatte. Nach Deckens Ermordung in Somalia im Jahr 1865 beauftragt seine Mutter, die Fürstin Adelheid von Pless (1807-1868), Otto Kersten5, das Vermächtnis ihres Sohnes wissenschaftlich fortzusetzen. Anhand von Deckens6, Thortons und Kerstens Tagebüchern entsteht mit Hilfe naturwissenschaftlicher Gelehrter ein Werk aus sechs Bänden. Die ersten zwei Bände stellen den von Kersten verfassten erzählenden, die vier weiteren den wissenschaftlichen Teil dar. Die Qualität der Reiseberichte wird von August Petermann (1822-1878), einem der renommiertesten deutschen Geographen und Kartographen des 19. Jahrhunderts, der das Vorwort verfasst hat, anerkannt. Ein wirklich gutes Reisewerk ist eine Seltenheit, eine schwierige, nicht oft gelöste Aufgabe. Ist es anziehend, lesbar und unterhaltend, so hat es in der Regel wenig oder keinen geographischen Werth; ist es dagegen gediegen und inhaltreich, so ist es gewöhnlich seiner Form nach langweilig und abstoßend. Das vorliegende Werk vereinigt in seltener Weise beide gute Eigenschaften.7

Decken und Kersten zählen zu den ersten Deutschen, die zu einem bedeutenden Wissenstransfer über Ostafrika beigetragen haben. Die an Professor Heinrich Barth (1821-1856) gesandten Briefe erscheinen in den geographischen Zeit-

3

Radama II. (1829-1863), König von Madagaskar, wurde nach zwei Jahren Amtszeit ermordet.

4

Brief von Père Fava. 12.08.1862. In: Almanach religieux de La Réunion. Saint-Denis de La Réunion, 1864, S. 157.

5

Kersten hatte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr an der letzten Expedition teilgenommen.

6

Kersten schreibt, dass ein Reisender trotz Müdigkeit jeden Abend seine Beobachtungen niederschreiben muss. Diese Pflicht macht Decken schwer zu schaffen: „Wenn ich einmal des Reisens überdrüssig werde, so ist es, weil ich ein Tagebuch führen muss!“ Vgl. Kersten (1869): S. 233.

7

Vgl. Petermann (1869).

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schriften in Deutschland, Frankreich und England. Die beiden Reisenden können sich keiner neuen Entdeckung auf La Réunion rühmen, da andere Wissenschaftler die Insel schon reichlich erforscht haben. Der Bericht hat zum Ziel, die französische Kolonie in Deutschland bekannt zu machen. Kerstens Reisebeschreibungen wenden sich an eine sowohl an exotischen Abenteuern als auch an wissenschaftlichen Recherchen interessierte Leserschaft. Die vorliegenden Quellen beruhen auf der einseitigen Perspektive der Forschungsreisenden, da diese Epoche über keine einheimischen Zeugenaussagen verfügt. Außerdem ist zu bemerken, dass sich Kersten bei der Beschreibung der Expeditionen, an denen er nicht teilgenommen hat, nur auf Carl Claus von der Deckens Tagebücher beziehen kann. Kersten bittet daher um Nachsicht. Die Reiseberichte stellen ein außergewöhnliches Quellenmaterial dar. In ein und derselben Publikation liefern dieselben Akteure und dieselben Autoren ihre Erfahrungen von zwei ganz verschiedenen Expeditionen: eine lang geplante Entdeckungsreise in Ostafrika und ein zufälliger, improvisierter Aufenthalt auf La Réunion, der zu Forschungszwecken genutzt wird. In beiden Situationen sind die Reisenden auf die Anheuerung von Trägern angewiesen. Meine Untersuchung setzt sich mit der Rolle, die den Trägern bei den Expeditionen in Afrika zugeschrieben wird, und mit der Aufgabe, die die Träger auf La Réunion ausüben, auseinander, sowie mit den gegenseitigen Beziehungen. Es handelt sich um das Zusammenkommen zwei ganz verschiedener sozialer Akteure: In Afrika bilden die Träger eine Gruppe, auf der Insel La Réunion handelt es sich um einzelne Personen, die nach Bedarf engagiert werden. Der erste Teil meines Aufsatzes enthält allgemeine Bemerkungen über die Organisation und Zusammenstellung einer Karawane, die Ladung der Träger und das übliche Tagesprogramm der Entdeckungsreisenden in Afrika. Die von den Trägern auf La Réunion übernommene Rolle wird im zweiten Teil beschrieben. Der Artikel beschäftigt sich abschließend mit den unterschiedlichen Beziehungen zwischen Reisenden und Trägern, die sich aus den beiden Expeditionsmodellen herleiten lassen. Im Mittelpunkt stehen die von den deutschen Forschern gesammelten, voneinander abweichenden Erfahrungen und deren Auswirkungen auf ihre späteren Unternehmungen. In diesem Zusammenhang wird die Infragestellung solcher Begriffe wie ‚Entdeckung‘ und ‚Forschungsreise‘ (Exploration) berücksichtigt. Laut Klaus Dodds „[kann man] der Behauptung, dass Forschungsreisen niemals nur durch wissenschaftliche Neugier motiviert waren, kaum widersprechen“8.

8

Dodds, Klaus: „Forschungsreisen“. In: Spektrum. Heidelberg, Akademischer Verlag, 2001.

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E XPEDITIONEN

IN

O STAFRIKA

Im Vergleich zu anderen Ländern, wo auf Pferde-, Esel-, Kamel- oder Elephantenrücken oder auf Tragstühlen oder Ochsenkarren gereist wird, ist der Entdecker in Ostafrika in den Jahren 1860 auf seine Füße und auf die „dicken Schädel und kräftigen Schultern der Eingeborenen“9 angewiesen. Der Forscher ist sich der Unentbehrlichkeit der Träger voll bewusst. Er spricht von der Notwendigkeit kräftiger Staturen und dicker Schädel, was unvermeidlich den Begriff Dickschädel konnotiert. Diese Situation erklärt teilweise den Umfang einer Karawane. Während der ersten Djagga-Reise setzt sich Deckens Karawane aus 58 Männern zusammen: 1 Karawanenchef, 2 Führer, 5 Diener (2 Komorer sind gleichzeitig Übersetzer) und 47 Träger, von denen mehr als die Hälfte Sklaven sind. 5 Esel ersetzen ermüdete oder kranke Träger. Die Aufgaben des Forschungsreisenden Die Hürden, die die wissenschaftlichen Reisenden überwinden müssen, sind zahlreich: Sie legen bei tropischer Sonnenhitze zwischen 18 und 28 km pro Tag zurück, sie jagen, sammeln Pflanzen und Tiere, nehmen topographische Messungen vor, besteigen Berge, beobachten die Lebensweise der Bevölkerung. Sie feilschen, um die Lebensmittelpreise möglichst auf niedrigem Niveau zu halten, und verhandeln unnachgiebig mit den lokalen Chefs. Am Abend führen sie ihr Tagebuch, zeichnen die am Tag zurückgelegte Strecke auf und vervollständigen ihre Wörterbücher unbekannter Sprachen. Die Nacht wird astronomischen Beobachtungen gewidmet. Hinzu kommen, laut Kersten, Streitereien mit dem Karawanenchef, dem es an Autorität fehle, mit dem Führer wegen seiner Unkenntnis der Wege und Richtungen, mit dem Dolmetscher, dem die Forscher nicht unbedingt trauen wollen, sowie Konflikte mit den Trägern, auf die ausführlich eingegangen wird. Und natürlich bleiben weder Europäer noch Afrikaner von tropischen Krankheiten verschont. Die Ladung eines Trägers (pagasi) 10 Die Ladung eines pagasi ist beträchtlich. Sie besteht aus teuren Waren und Stoffen (die knapp drei Tage für die Verpflegung von hundert Menschen ausreichen), aus Waren geringeren Wertes für Zollgebühren und aus zahlreichen Geschenken. Der Reisende muss sich nämlich bei Ankunft der Karawane an der 9

Vgl. Kersten (1869): S. 223.

10 Die Wörter pagasi (Träger), msigo (Ladung), kitoma (Kürbisflasche), msungo (Europäer), bana mkuba (Herr) sind dem Suaheli entlehnt.

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Grenze eines neuen Gebietes persönlich bei den Vertretern des Stammes vorstellen und ihnen Geschenke überreichen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Für diese Verhandlungen zwischen Forscher und Stammesoberhaupt erweist sich die Beteiligung des Trägers als unentbehrlich. Er muss die kostbaren Geschenke, die den Stammesältesten gewidmet sind, auf seinen Schultern transportieren. Die relativ große Anzahl der Träger erklärt sich außerdem durch die Notwendigkeit, die Karawane mit Speis und Trank zu versorgen, denn die Marschverpflegung kann nur durch die mitgenommenen Austauschwaren auf Märkten oder direkt bei den Dorfbewohnern erworben werden. Die Ladung (msigo) eines Trägers wird zu einem Ballen von 1,5 fraslah (23 kg) geformt und mit maschpatta 11 zum Schutz gegen Beschädigungen umnäht. Die Ladung besteht aus langen Amerikanoballen (amerikanische Baumwolltücher), farbigen indischen Tüchern, Drahtrollen, Glasperlen, Messern, Feuersteinen, Spiegeln, Puder, Tabak, Nadeln, Armbändern, Mundharmonikas usw. Eine Kürbisflasche (kitoma) voll Wasser, Lebensmittel und Schlafzeug, persönliche kleine Sachen zum Tausch, Ledersandalen für die mit Dornen bedeckten Wege und manchmal eine Muskete vervollständigen die Ladung. Kersten schreibt: „Es ist in der That schwierig, auf Kopf, Rücken, Schultern und Lenden noch ein Plätzchen für Etwas mehr zu finden“.12 Die Führer tragen kein Gepäck, müssen aber die Ladung eines kranken Trägers übernehmen. Instrumente, Bücher und Gewehre werden von einheimischen Dienern13 transportiert. Beziehungen zwischen Entdeckern und pagasi Die erste Expedition sollte Decken an den Niassa-See führen, um die Aufzeichnungen des ermordeten Entdeckers Albrecht Roscher14 aufzutreiben. Sie scheitert: der Karawanenchef und seine Träger entlaufen, die Soldaten rebellieren.15

11 Es handelt sich um „bandartige Streifen eines von der Küste kommenden Flechtwerkes“, die zu Matten und Säcken verarbeitet werden. Vgl. Kersten (1869): S. 101. 12 Ebd., S. 232. 13 Ein einziger europäischer Diener und Gefährte begleitet Decken. Er stirbt auf La Réunion. 14 Albrecht Roscher (1836-1860) wurde in der Nähe des Niassa-Sees (Malawi) ermordet. Seine wissenschaftlichen Aufzeichnungen und Tagebücher wurden nicht gefunden. 15 Der für fünfhundert Taler engagierte Führer, ein arabischer „angesehener Kaufmann und Gebieter über Hunderte von Sklaven“, hätte sich verletzt gefühlt, von einem Weißen abhängig zu sein, und wollte sich einer „großen Karawane“ anschließen. Man hatte Decken empfohlen, sicherheitshalber Soldaten einzustellen, da die Verurteilung

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Der deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth bedauert, dass kein Reisegefährte oder der seit vierzehn Jahren in Afrika lebende Missionar Johannes Rebmann (1820-1876) Decken zur Seite stand, um ihm die Beziehungen zu der dort angesiedelten Bevölkerung zu erleichtern.16 Zum gleichen Zeitpunkt bereiten die Briten Speke und Grant ihre Expedition zur Entdeckung der Nilquelle in Sansibar vor und engagieren, dank staatlicher Hilfen, Träger zu viel besseren Bedingungen, so dass Decken sich mit den noch verfügbaren Leuten begnügen muss. Er schreibt: „Speke schadete mir auch sehr, da er durch beispielloses Verschwenden der Gelder die Leute in ihren unangemessenen Forderungen bestärkte“.17 Es ist schwierig zu entscheiden, ob Decken die Träger unterbezahlt hat, weil er über begrenzte Mittel verfügte, oder ob Speke mit der Finanzierung seiner Expedition großzügiger verfahren konnte. Nach dem Scheitern der ersten Unternehmung und einem Besuch bei dem Missionar Johannes Rebmann sieht Decken ein, dass ein isolierter Europäer nicht in der Lage ist, allen Anforderungen einer Entdeckungsreise zu genügen. Deshalb akzeptiert er für die nächste Expedition die Begleitung des britischen Geologen Thornton. Während seiner Forschungsreisen zeigt sich Decken autoritär und unnachgiebig gegenüber allen Mitgliedern der Karawane und besonders gegenüber den Trägern. Als diese unaufhörlich lärmen und schreien, nicht die Anweisungen des Führers respektieren, sich bei der Verteilung der Jagdbeute raufen oder sich weigern, den Kilimandscharo zu besteigen, kündigt Decken Stockstrafen an. „Unter solchen Umständen mußte der Stock Beweisgründe liefern und die Leute überzeugen, daß sie mit mir gehen müßten“.18 Als ein anderes Mal manche Träger nicht den vorgesehenen Weg einschlagen wollen, droht er sogar, sie bei Ungehorsam zu erschießen. Am selben Abend beschenkt er diejenigen, die sich nicht gegen ihn aufgelehnt haben, mit Fleisch und Zuckerrohr. Seiner Meinung nach hat diese Geste eine nachhaltigere Wirkung auf die Widerwilligen, „denn für den Neger gibt es, nächst dem Zwange zur Arbeit, keine härtere Strafe als Entziehung seiner Lieblingsspeisen“19. Diese Äußerung ist ein Beispiel einer typisch rassistischen Sicht: dem positiv konnotierten ‚fleißigen‘ Europäer, der

Roschers Mörder ein Rachegefühl bei den Afrikanern auslösen könnte. Diese Soldaten verlangten Träger für den Transport ihrer eigenen zum Verkauf bestimmten Waren. (Vgl. Kersten (1869): S. 180). 16 Carl Claus von der Decken an Heinrich Barth. In: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Berlin, Verlag Dietrich Reimer, Bd. 10 (1861), S. 231 (Nachschrift). 17 Ebd., S. 135. 18 Vgl. Kersten (1869): S. 279. 19 Ebd., S. 311.

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sich mit ‚Wenigem‘ begnügt, wird der ‚faule‘ und ‚verfressene‘ Afrikaner entgegengesetzt. Wenn sich die Träger beklagen, wegen Kälte keine Ruhe gefunden zu haben, bedauert Decken sie nicht, da er sie am Abend ermahnt hatte, Brennholz herbeizuschaffen. Er gibt auch nicht nach, als sie zusätzlichen Lohn fordern, weil sie dieselbe Strecke ein zweites Mal zurücklegen müssen. Als sie sich auf dem Rückweg an die Küste über das Gewicht ihres inzwischen sehr erleichterten msigo beklagen, verstreut Decken die von ihnen persönlich erworbenen Gegenstände auf dem Weg. Bei Diebstahl und bei als Lügen empfundenen Aussagen zeigt sich der Forscher ebenso unnachgiebig. Als die Träger während der Rasten stehlen, und zwar nicht nur in ihrem Lager, sondern auch in den Nachbardörfern, reagiert er sehr streng, um zu beweisen, dass die Europäer nichts damit zu tun haben. Die Diebe bekommen zwanzig Stockhiebe, die von den afrikanischen Führern ausgeteilt werden. Um die Träger daran zu hindern, sich anderer Vergehen schuldig zu machen, werden sie regelmäßig mit Perlenaufziehen und ähnlichen Arbeiten beauftragt und so unablässig beschäftigt. Diesen von Kersten beschriebenen konfliktbeladenen Beziehungen folgen einige Beispiele einer respektvollen und wohlwollenden Haltung des Barons. Für die erste Besteigung des Kilimandscharo erhalten die Träger, anstatt des verlangten Schnupftabaks – angeblich „die beste Arzenei gegen Kälte“20 – ein Baumwolltuch (Amerikano) zum Schutz. Da die Träger wahrscheinlich nicht wissen, welche niedrigen Temperaturen auf dem Berg herrschen, können sie den Nutzen des Tuchs nicht richtig einschätzen und tauschen es deshalb gegen Honig, Butter und Milch ein. Als sich die ortsansässigen Führer nachts aufgrund des schlechten Wetters entfernen, sieht Decken ein, dass der Aufstieg ohne sie unmöglich ist, und er entschließt sich, mit den Trägern umzukehren: Ohne Führer auf unbekannten Wegen weiter zu gehen, wäre Wahnsinn gewesen. Außerdem würden die Träger mir sicherlich den Gehorsam verweigert haben, und ich mußte mich hüten, Etwas zu verlangen, was ich nicht hätte durchsetzen können.21

Deckens Menschlichkeit beruht auch auf seiner Absicht, die Durchführung seiner Forschung zu sichern, da eine Expedition ohne Träger unrealisierbar ist. Während der zweiten Besteigung des Kilimandscharo, bei der die Reisenden zu einer viel größeren Höhenlage gelangen, werden sie sich des Zustandes des jungen Dieners und der drei mit Theodolit, Barometer und Gewehren beladenen

20 Ebd., S. 279. 21 Ebd., S. 281.

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Träger und des Mangels an Wasser und Holz bewusst und beschließen umzukehren. In einem Brief an Professor Barth schreibt Kersten: Wir Europäer allein hätten es schon durchgesetzt, wenigstens den Schnee zu erreichen; allein die ungenügend gekleideten und der Kälte ungewohnten Schwarzen hätten leicht darauf gehen können, und dies zu riskiren schien das zu hoffende Resultat nicht genügend genug zu sein. Was hätte es der Wissenschaft genützt, wenn man einem ungläubigen Geographen eine Flasche wenigstens geschmolzenen Schnees mitgebracht hätte? 22

Diese Situation scheint nicht die Folge einer grundsätzlichen Entscheidung, die Teilnehmer der Expedition auf unterschiedliche Weise auszustatten, zu sein, sondern beruht eher auf der Unerfahrenheit und den begrenzten Mitteln der Forscher. Niemand konnte jedoch mehr an der Existenz von Schneebergen in Ostafrika zweifeln23, und Decken wird in London mit der Goldmedaille der Royal Geographical Society geehrt. Der Forscher verarztet auch Verwundete und trägt persönlich einen afrikanischen, von einem Tier gebissenen Soldaten, den seine Kameraden zurücklassen wollten. Decken vertraut einem Sultan zwei an Dysenterie leidende Träger an und verspricht ihm eine Entschädigung, wenn letztere wieder gesund an die Küste gebracht werden. Wenn die Träger vor Erschöpfung nicht mehr vorwärtskommen, gewährt er eine Ruhepause. Im Prinzip wird alle zwei Stunden eine Pause eingelegt, damit die Karawane sich zusammenschließt. Da dies nicht immer gelingt, bewundert Decken die Solidarität zwischen den Trägern: Sobald der erste Durst gestillt, gedachte man nach guter, alter Karawanensitte auch der schmachtenden Zurückgebliebenen: aus eigenem Antriebe wanderte eine Anzahl der Träger zurück, um den selbst stundenweit Entfernten das belebende Element entgegen zu bringen – gewiß ein schöner Zug edlen Menschenthums!24

Als Decken eines Tages, umgeben von einer Schar Dorfbewohner, die umliegenden Berge skizziert, eilen die Träger herbei, weil sie ihn in Gefahr wähnen. Kersten glaubt jedoch, dass sie seine Nähe suchen, um sich selbst in Sicherheit zu bringen. Auch die Angst vor wilden Tieren lässt sie Schutz bei Decken

22 Otto Kersten an Dr. Barth. In: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Berlin, Friedrich Reimer, Bd. 15 (1863), S. 144. 23 Die deutschen Missionare und Entdecker Johannes Rebmann und Johann Ludwig Krapf hatten schon 1848 und 1849 Eis und Schnee südlich des Äquators signalisiert, aber Europa, insbesondere der englische Geograph William Desborough Cooley, hatte diesen Beobachtungen keinen Glauben geschenkt. 24 Vgl. Kersten (1869): S. 256.

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suchen, von dem sie wissen, dass er ein erfahrener Jäger ist und mit Schutzwaffen umgehen kann. Das scheint nicht bei den Trägern der Fall zu sein, denen eine Muskete anvertraut wurde. Als die Entdecker vom Kilimandscharo zurückkommen, werden sie von den im Lager zurückgebliebenen Trägern mit „Freudensalven“ begrüßt. Decken respektiert die Sitte, bei Auszahlung des Vorschusses Ochsen zu schlachten und das Fleisch unter den Trägern zu verteilen. Bei Auszahlung des Saldos – und dies ist vielleicht keine afrikanische Sitte – wird allen eine besondere Vergütung für die zweimal zurückgelegte Strecke und eine Belohnung für die Träger, die sich gut verhalten haben, gewährt. Ein Träger, der gestohlen hat, bekommt einen Tag Gefängnisstrafe und diejenigen, die die Träger zum Ungehorsam und zum Entlaufen ermuntert haben, drei Tage. Diese Strafen werden laut Kersten besser akzeptiert als Geldabzüge. Nach Deckens Aussagen schienen alle mit diesen Gratifikationen zufrieden zu sein: „Sie hatten nicht gehofft, das, was ich früher auf ihre Forderung abgeschlagen, jetzt als Geschenk zu erhalten. Sogar die Bestraften freuten sich, so gnädig weggekommen zu sein“.25 Wenn die Forscher während der Reise oft folgende Klagen seitens der Träger hörten: „Wir werden nie wieder mit einem weißen Manne gehen, der uns so streng behandelt“, so vernahmen sie jetzt: „Der Bana mkuba ist doch ein guter und tüchtiger Mann; er hat ganz Recht, die Leute zu bestrafen; thäte er es nicht, so müßte er ja, da er es im Voraus gesagt, als Lügner erscheinen“! 26 Dieses von Kersten in direkter Rede wiedergegebene Argument beruht auf einer Fiktion in Form einer rhetorischen Figur und widerspricht in seiner Komplexität der Fähigkeit zum kommunikativen Austausch zwischen Forschern und Trägern. Wenn Kersten damit schließt, dass „die Meisten […] um Berücksichtigung bei einer späteren Reise bitten“27, ist das als Beweis für eine ausgesprochen einseitige Perspektive zu werten. Nach der zweiten Besteigung des Kilimandscharo fragt sich Kersten, „was die lügnerischen Neger den Ihrigen alles für Fabeln vom Berge nun auftischen werden“28. Was bei Europäern als einfache Übertreibung akzeptiert wird, wird den Fremden als Charaktereigenschaft und Tendenz zum Lügen angelastet.

25 Vgl. Kersten (1869): S. 325. 26 Ebd. 27 Ebd. 28 Vgl. Kersten. Zeitschrift für allgemeine Erdkunde (Bd. 15), S. 149.

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W ISSENSCHAFTLICHER T OURISMUS

AUF

L A R ÉUNION

Auf La Réunion unternimmt Otto Kersten Wanderungen zum Piton des Neiges, in den Talkessel von Cilaos und zum Vulkan. Der Baron nimmt aus gesundheitlichen Gründen nicht an allen Wanderungen teil. Da die Wegbeschreibungen nicht zuverlässig und manche Strecken gefährlich sind, wenden sich die Reisenden an Führer und Träger. Die einen tragen dreisohlige Stiefel, die anderen gehen barfuß. Die europäische Fußbekleidung stellt nicht unbedingt einen Vorteil dar; in Afrika sieht sich Decken manchmal gezwungen, auch barfuß zu gehen, wenn die Schuhe drücken. Der Arzt des Militärhospitals von Salazie, Paul Cassien, großer Wanderer und Landschaftsmaler, gibt den Deutschen gute Ratschläge für die Besteigung des Piton des Neiges. Durch seine Vermittlung verfügen sie über erfahrene Führer und Träger, die sie ebenfalls nach Cilaos begleiten werden. Wanderer und kreolische Träger Für Führer und Träger scheint die Besteigung steiler Felsen eine einfache Angelegenheit zu sein, Kersten hingegen hält sie für unausführbar. Trotz des 35 Pfund schweren Gepäcks auf dem Rücken wussten sie mit wahrer Katzenbehendigkeit hinaufzuklimmen, indem sie Zehen und Finger in wunderbar geschickter Weise gebrauchten. Ohne ihre Hilfe hätte ich umkehren müssen, und selbst, als einige von ihnen glücklich nach oben gekommen, folgte ich erst nach einigem Bedenken ihrem Beispiele und that, was sie mir hießen: der Eine hielt mir die Hand hin, daß ich darauf treten sollte, ein Anderer reichte mir von oben seinen Stock, dem Dritten stieg ich auf die Schulter und so langte ich, geschoben und gezogen, auf der Höhe an. Ich that noch einen Blick in die schwindelerregende Tiefe und warf mich dann, zum Tod erschöpft auf den Rasen. […] Erst nach einiger Zeit gelang es meinen Begleitern, mich aus meiner Theilnahmlosigkeit zu wecken.29

Kersten bewundert die Geschicklichkeit der petits créoles30, sowie die Schnelligkeit, mit der sie ihre Tragbänder aus Bast und ihr Feuerzeug aus Bambus 29 Kersten, Otto: Baron Carl Claus von der Decken’s Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1862 bis 1865. Neue Reisen im Inneren und an der Küste. Die ostafrikanische Inselwelt (Madagaskar, Seschellen, Réunion, Nossibé und Komoren. Reisen in den Ländern der Galla und Somali. Bd. 2, Leipzig/Heidelberg, Winter’sche Verlagshandlung, 1871, S. 154. 30 Dieser Ausdruck entspricht dem der petits blancs, der die Einwohner europäischer Herkunft bezeichnet, die isoliert in bescheidenen Verhältnissen in den Bergen lebten.

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herstellen. Er beobachtet sie beim Zubereiten der Mahlzeit. In einem großen Kessel kochen sie für die ganze Gesellschaft Mais mit Speck und Zwiebeln. Er ist gespannt zu erfahren, wie sie ohne Teller, Messer und Gabel essen werden: Sie schütten das Gericht auf ein Baumblatt und essen „nach Negerart mit den Fingern“ 31 . Dieser Ausdruck verwandelt eine Esskultur in ein abwertendes ethnologisches Kennzeichen. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die Bezeichnung ‚Neger‘ für den Afrikaner zwar erst Ende des 19. Jahrhunderts ihre eindeutig pejorative Konnotation bekam, die aber in diesem Zusammenhang aufgrund des sprachlichen Kontextes schon vorweggenommen zu sein scheint. Kersten empfindet die Kreolensprache „einschmeichelnd“ und „gemütlich“, aber nicht leicht zu verstehen. Er vergleicht sie mit der Sprache der Kinder und findet sie vielleicht deshalb so „herzgewinnend“ 32 . Ihre Kategorisierung als Kindersprache, ein verbreitetes Stereotyp kolonialen Denkens, wäre jedoch zu nuancieren. Der Deutsch-Franzose Gustave Oelsner-Monmerqué, der in den 1840er Jahren auf Bourbon als Journalist und Lehrer tätig war, erklärt den Ursprung der kreolischen Sprache auf folgende Weise: Die Sclaven aber, die aus den verschiedensten Gegenden Afrika’s, aus Madagascar, der Malesie u.s.w. hingebracht wurden, lernten unvollkommen, nach dem Gehör, und zwar nur den zu ihren wesentlichen Verrichtungen erforderlichen Theil der Sprache ihrer Herren. Sie behielten gleich anfänglich eigenthümliche Idiome, und bedienten sich derselben in ihren vertraulichen Unterhaltungen. Aus diesen Idiomen und den aufgedrungenen französischen Brocken, bildete sich jedoch mit der Zeit eine Art eigenthümlicher Sclavensprache, das Patois créole oder Tiatia, welches sich nicht leicht erlernen läßt.33

Die Ankunft der indischen Vertragsarbeiter nach Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1848 trug zu einer weiteren Bereicherung und Entwicklung der kreolischen Sprache bei. Decken und Kersten können sich – ohne Dolmetscher – sprachlich mit Führern und Trägern verständigen. Missverständnisse sind jedoch nicht ausgeschlossen. Da Kersten irrtümlicherweise den Namen caverne des Musards („Höhle der Maulaffen, vielleicht weil man hier einen Blick nach unten hat, oder weil man ausruht?“34) – anstatt caverne Mussard – versteht, zieht er naheliegende, wenn

31 Vgl. Kersten (1871): S. 155. 32 Ebd. 33 Oelsner-Monmerqué, Gustave: Schwarze und Weiße. Skizzen aus Bourbon. Bremen, Schlodtmann, 1848, S. 204-205. Dieser abolitionistische Roman ist in Kerstens Bibliographie verzeichnet. 34 Kersten (1871): S. 154.

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auch falsche etymologische Folgerungen. Er konnte nicht ahnen, dass die Höhle dem chasseur de marrons35, François Mussard, ihren Namen verdankt. Um von den Bergen aus die ersten Häuser im Talkessel von Cilaos zu erreichen, werden acht Stunden angekündigt. Diese Behauptung erscheint den deutschen Forschern übertrieben, und sie denken im Stillen, dass sie – als Europäer – den Weg in der Hälfte der Zeit zurücklegen könnten. Sie geben zu, dass die Führer Recht hatten. Für die Strecke von Cilaos bis zur Straße, die nach Saint-Louis führt, mieten die erschöpften Reisenden einen Esel, auf dem Père Fava und Kersten abwechselnd reiten. Der noch etwas angegriffene Baron benutzt ausnahmsweise einen Tragstuhl, der ganz einfach aus einem an zwei Stangen angebundenen Stuhl besteht. Der Weg ist sehr anstrengend. „Selbst die Kreolen, welche bis dahin sich so wacker gehalten und durch Gewandtheit und Ausdauer unsere Bewunderung erregt hatten, wurden zuletzt müde“.36 Für die Besteigung des Vulkans überlässt ein Gastwirt aus Saint-Benoit Otto Kersten, gegen Entschädigung, einen seiner schwarzen Arbeiter als Träger und Führer. Fantaisie ist ein sogenannter citoyen, ein 1849 freigelassener Sklave. Kersten errät nicht sofort dessen Heimatland. Als sich jedoch Fantaisie auf der Straße mit Steinklopfern unterhält, kommen ihm die Töne bekannt vor – sie sprechen Suaheli. Als er dann einige Worte in dieser Sprache verlauten lässt, sind die Schwarzen so erstaunt, einen Weißen ihre Muttersprache sprechen zu hören, dass sie ihr Gespräch auf kreolisch weiterführen, in einer ihnen geläufigeren Sprache. Kersten schließt daraus, dass sie wohl schon als Kind nach La Réunion herübergebracht wurden und sich die Sprache des Landes aneignen mussten, „da die Franzosen nicht so höflich sind, die ihrer Diener zu lernen“37. Für den Ausflug zum Vulkan wird Kersten von einem Führer aus SaintPierre, zwei Franzosen aus dem Mutterland und zwei Madagassen begleitet. Unterwegs legen Fantaisie und die Madagassen eine Pause für die Anfertigung von Mocassins38 aus Sackleinwand ein, um sich gegen Kälte und scharfe Steine zu schützen. Als sie zum ersten Mal in ihrem Leben gefrorenes Wasser entdecken, stecken die Europäer ihnen zum Scherz ein paar Eisstücke zwischen Hemd und Rücken.

35 Die entlaufenen Sklaven wurden marrons genannt. Chasseur de marron = ‚Neger‘hetzer und -treiber. 36 Vgl. Kersten (1871): S. 169. 37 Ebd., S. 173. 38 Es ist eine Anspielung an die Schuhe der nordamerikanischen Indianer, die vermutlich älteste Fußbekleidung der Menschheit.

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Am Pas de Bellecombe weigern sich Franzosen und Madagassen, in den Abgrund zu steigen, den grand enclos. Fantaisie hätte sich ihnen gern angeschlossen, denn je weiter er sich dem Feuerberg nähert, desto mutloser wird er. Kersten fragt sich, ob es sich um Müdigkeit handelt oder ob er einen Ausbruch des Vulkans befürchtet. Schließlich verschwindet Fantaisie und antwortet nicht mehr. Als er Kersten mit seinem Führer heil vom Krater zurückkehren sieht, verfliegt seine Angst. Da er die Vorräte treu bewacht und nicht berührt hat, wird er mit einem Schluck Rum belohnt. Auf dem Rückweg ruft Fantaisie freudig ein „bonjour! bonjour!“ in alle Hütten, da Kersten ihm einige coups de sec und ein schönes Trinkgeld versprochen hat unter der Bedingung, dass sie noch vor Abfahrt der Post Saint-Benoît erreichen. Fantaisies Eifer hält nicht lange an. Sie verpassen die Postkutsche. Nachdem Kersten ein anderes Transportmittel gefunden hat, schenkt er Fantaisie Kaffee und Rum ein und übergibt ihm seine Reisevorräte und ein unerwartetes Trinkgeld. Sicherlich gerührt durch Kerstens Großzügigkeit verspricht der Träger beim Abschied, ihn nie zu vergessen, und erzählt ihm stolz, daß er bereits in zwei Jahren Grundbesitzer sein würde; er war nämlich vor sechzehn Jahren in Dienste getreten, aber nicht für anderthalb Franken täglich, wie die anderen Engagés, sondern für eine Entschädigung an Land, für die freie Benutzung von dreihundert Gauletten, welche nach achtzehn Jahren Dienstzeit ihm zu eigen gehören sollten.39

Kersten zieht folgendes Fazit über seine Begegnung mit dem citoyen Fantaisie: „Begeistert nahm er [Fantaisie] Abschied von seinem Quäler und Gönner. […] Ich mußte ihm geloben, auf allen meinen künftigen Reisen in der Plaine des Palmistes nur seine Dienste zu benutzen“.40 Obgleich sich die Beziehungen zwischen den deutschen Entdeckern und den Trägern in Afrika und auf La Réunion stark unterscheiden, scheinen die afrikanischen pagasi und der freigelassene Sklave, citoyen Fantaisie, derselben Meinung zu sein, wenn sie die Europäer gleichzeitig als ihre „Quäler“ und „Gönner“ betrachten. Die positive Bewertung scheint den Vorrang zu haben: Sowohl in Afrika als auch auf La Réunion sind die Träger, laut Kersten, bereit, die Forscher bei weiteren Unternehmungen zu begleiten.41

39 Vgl. Kersten (1871): S. 185. 40 Ebd. 41 Wie schon in der Einleitung erwähnt, handelt es sich bei den vorliegenden Quellen ausschließlich um die Sichtweise der Europäer.

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K ONFRONTATION

VERSUS

A NPASSUNG

Die Verhältnisse und Umstände in einem fast unerforschten Teil Ostafrikas und auf einer seit zwei Jahrhunderten von Frankreich kolonisierten, früher unbewohnten kleinen Insel sind nicht ohne weiteres zu vergleichen. Zwei ganz verschiedene Expeditionsmodelle stehen sich gegenüber, die sich in sehr unterschiedlichen Beziehungen zwischen Forschern und Trägern niederschlagen. Forschungsreisende Deckens Reisen in Ostafrika unterscheiden sich kaum von den Expeditionen, wie sie Franzosen und Engländer unternehmen. Decken und Kersten erscheinen in erster Linie als Wissenschaftler. Ihre regelmäßig an den Afrikaforscher Heinrich Barth adressierten Briefe sind ein Beweis dafür. Der zweifache Versuch der Besteigung des Kilimandscharo bestätigt ebenfalls den nichtkommerziellen Zweck ihres Unternehmens. Außerdem bemühen sie sich, die Suahelisprache zu einer besseren Verständigung mit der Bevölkerung zu erlernen.42 Der Baron verzichtet auf Komfort, liebt das Abenteuer, die Anstrengung, das Exotische. Er lässt sich nicht im Tragstuhl transportieren, er geht zu Fuß wie seine Träger. Er verzichtet auf jegliche finanzielle Unterstützung im Gegensatz zu anderen Forschern, deren Reisen vom Staat oder von reichen Kaufleuten finanziert werden. Ich lobe mir die Wildniß, wo man Tag und Nacht die frische Luft frei athmen kann! Wo Mühsal und Entbehrung mit Fülle und Bequemlichkeit wechselt, soweit letztere bei dem Wanderleben möglich, wo die Ereignisse Einen fortwährend in Athem halten und kleine Aufregungen, welche andere Gefahren nennen, sich täglich bieten, da gefällt es mir vorderhand noch am besten. Das Leben im Busche hat für mich noch so viel Reiz, daß ich mit keinem der Sybariten Europas tauschen möchte.43

Kersten ist ebenfalls von der Entdeckung fremder Länder begeistert. „Wahre Sonnenblicke im Leben des Reisenden aber bieten ein hübscher Fund, eine lehrreiche Beobachtung oder gar eine wichtige Entdeckung“. 44 Zahlreiche Pflanzen und Tiere werden ihm zu Ehren benannt.

42 Decken und Kersten haben sich mit ihrem Suaheli-Wörterbuch am Werk des Missionars Edward Steere beteiligt: A handbook of the swahili language, as spoken at Zanzibar. London, Society for Promoting Christian Knowledge, 1870. 43 Vgl. Kersten (1871): S. 382 (Deckens Brief an seine Mutter). 44 Ebd., S. 72.

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Die Reisenden sind sich bewusst, dass eine gute Kenntnis der Charaktere, Sitten und Gebräuche der Afrikaner die erste Voraussetzung ist, um in ein unerforschtes Gebiet einzudringen. Wer in Afrika reist, lernt Geduld als erhabene Tugend würdigen. Der Reisende kann ausgerüstet sein mit den vortrefflichsten Eigenschaften, kann sich Jahre lang vorbereitet haben auf seine Reisen; ohne Geduld wird er schwerlich Etwas erreichen. Wer sie nicht mitbringt nach Afrika, muß sie sich dort erwerben, früher oder später; denn ohne sie und ohne beharrlichen, unabänderlichen Gleichmut ist erfolgreiches Reisen unmöglich. Wer meint, heimische Anschauungen und Gewohnheiten auch dorthin mit sich nehmen zu können, hat diesen Irrthum in der Regel theuer zu bezahlen, mit bitteren Erfahrungen, mit Aerger und Krankheit, selbst mit seinem Leben.45

Für den inneren Widerspruch dieser Äußerung hat der Verfasser keinen Sinn. Geduld beweisen, heißt, seine eigenen Erwartungen und Werturteile zum Maßstab zu erklären, denen sich der Andere anzupassen hat. Das ungleiche paternalistische Verhältnis zwischen Europäern und Afrikanern kommt hier deutlich zum Ausdruck. Die eurozentrischen Kategorien machen einen Austausch auf Gegenseitigkeit unmöglich. Decken gesteht, dass die Vorstellungs- und Geschenkzeremonie ihn sehr viel Geduld kostet und anstrengender ist als ein 30-km-Tagesmarsch in glühender Hitze. Kersten gibt dem Missionar Krapf vollkommen Recht, wenn dieser „die Bettelei ein Ungeheuer nennt, welches den Reisenden in Ostafrika auf Schritt und Tritt verfolgt; jeder kleine Dorfschulze oder Bettelkönig glaubt ein Anrecht auf die Waaren zu besitzen, welche in die Nähe seines Gebietes gebracht werden“46. Die Europäer sind nicht im Stande, soziale Organisationsformen, wie sie sie aus ihrer Heimat kennen, von den afrikanischen Verhältnissen sprachlichkategorial, ideologiekritisch und vielleicht sogar kognitiv zu unterscheiden. Der Vergleich des Vorstehers eines Dorfes oder Gebietes mit einem „Dorfschulzen“ bestätigt einen ausgeprägten kolonialen Blick und erweist sich als vollkommen unangemessen, um die Rolle der örtlichen Chefs zu bestimmen. Kersten erklärt in seinem Bericht, dass das Scheitern von Deckens erster Expedition nicht auf die „Feindseligkeit der Bewohner des Inneren“, sondern vor allem auf das „Widerstreben“ und die „Eifersucht“ der Küstenaraber zurückzuführen sei, weil sie den „wissenschaftlichen Zweck des europäischen Reisenden nicht zu begreifen vermögen, vielmehr fürchten, daß ihnen der Msungu [Euro-

45 Vgl. Kersten (1869): S. 139. 46 Ebd., S. 278.

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päer] unter der Maske der Neugierde ihren einträglichen Zwischenhandel verderben werde“47. Die Besteigung des Kilimandscharo könnte auch als ein Zeichen europäischen Anspruchs auf Dominanz interpretiert werden. Der weiße Gipfel war den Ostafrikanern nicht unbekannt, doch waren die Einheimischen, die in den Tropen lebten, nicht in der Lage, ihn als einen Berg mit einer Schneekappe zu identifizieren. Die von den Forschern erwähnten Feindseligkeiten unter den verschiedenen Djaggareichen stellten eine zusätzliche Schwierigkeit dar, um den Zugang zum Kilimandscharo zu ermöglichen. So wurden die Europäer für diese Schnee-Entdeckung geehrt. In seiner in London 1864 gehaltenen Ansprache48 erwähnt Decken seine europäischen Begleiter Thornton und Kersten, aber nicht Anamuri, den jungen, treuen, fünfzehnjährigen Diener und die drei anonymen Träger. Kersten hingegen ist sich der harten Arbeit der Träger vollkommen bewusst, wenn er folgende Zeilen verfasst: Das Los eines Pagasi, mit derartiger Bepackung sechs bis acht Stunden täglich zu marschiren für Bohnenkost und wöchentlich ein- bis zweimal Fleisch und die Aussicht, nach Verlauf mehrerer Monate sechs Thaler zu erhalten (der Vorschuß ist selbstverständlich schon wenige Tage nach der Auszahlung verjubelt), kann somit kein beneidenswerthes genannt werden; dennoch aber sind diese Träger immer munter und guter Dinge und selbst zu außergewöhnlichen Anstrengungen bereit, wenn man sie nur zu behandeln weiß.49

Die Gegenwart der Träger ist unentbehrlich, ihre Arbeit wird anerkannt. Jedoch werden sie nicht als Individuen wahrgenommen. Den durch die täglichen Aufgaben überforderten Forschungsreisenden fällt es schwer, die große heterogene Gruppe zu leiten. Die Sprachbarriere ist sicherlich nicht ein ausreichender Erklärungsgrund für die Kommunikationsschwierigkeiten, zumal ein Teil der Reisenden sich auf Suaheli verständigen kann. Die Verteilung der Vergütungen, aber auch der Gefängnisstrafen, bestätigt die vermeintliche Superiorität der Forscher, die sich berechtigt fühlen, selbst nach Ende der Expedition noch über die Träger zu verfügen. In der autoritären Behandlung der Träger scheint sich Deckens Verhaltensweise als ehemaliger Offizier in hannöverschen Militärdiensten widerzuspiegeln.

47 Ebd., S. 181. 48 Proceedings of the Royal Geographical Society. Bd. VIII, 1863-64, London, Whitehall Palace, 1864, S. 68. 49 Vgl. Kersten (1869): S. 232.

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Sein Verhalten ist keineswegs mit manchen unmenschlichen Bedingungen in europäischen Kolonien, wo Schweiß billiger als Dampfkraft angesehen wurde, zu vergleichen. Seine letzte Expedition beweist, dass die Trägergruppe eine Last für ihn bedeutet, von der er sich befreien will. Um über eine größere Unabhängigkeit und Unbeschränktheit in seiner Forschungsarbeit zu verfügen und weniger den Anforderungen der Stammesführer und Sultane ausgesetzt zu sein, unternimmt Decken seine nächste Expedition auf dem Flussweg und ersetzt die Träger durch Matrosen und Heizer. Um seine Position als Forscher zu erweitern, kommt er nach der Überwachung des Baus seines Schiffes in Deutschland in Begleitung von neun deutschen und österreichischen Gefährten (Seeoffizier, Arzt, Ingenieur, Maschinist, Tischler, Jäger, Landschaftsmaler und Koch) zurück. Nach Kerstens späteren Aussagen50 hätte diese Reise zum Hauptzweck gehabt, eine Handelsstraße nach dem Innern aufzufinden. Deckens Reisen können ohne den Hintergrund kolonialer Ideen nicht verstanden werden. 51 Den Trägern gegenüber überschneiden sich seitens der Forscher autoritäre Verhaltensweisen, rassistische Stereotypen und eurozentrische Vorurteile mit respekt- und verständnisvollen Entscheidungen und Gesten, denen meistens eine Zweckorientierung zu Grunde liegt. Eine Selbstdarstellung, die zum Ziel hat, Sympathie für die eigene Person bei der Leserschaft zu erwecken, ist auch nicht auszuschließen. Carl Claus von der Decken und Otto Kersten sind unerschrockene, abenteuerlustige junge Deutsche, die sich trotz beschränkter Mittel von einer Mission erfüllt glauben, der sie gerecht werden wollen. Da ihnen oft der kritische Abstand gegenüber den damaligen ideologischen und eurozentrischen Positionen fehlt, sind sie nicht in der Lage, ihre Forschungsreise nach anderen Maßstäben auszurichten als den damals gültigen. Besucher Im Vergleich zu dem bedeutenden Ausmaß und der langen Dauer der Forschungsreisen in Afrika können Deckens und Kerstens Ausflüge auf La Réunion als Wanderungen angesehen werden, die zu wissenschaftlichen Zwecken unternommen werden. Da die Deutschen ihren Aufenthalt dem Zufall verdanken, improvisieren sie ihre Expeditionen und verlassen sich bei ihrer Ausführung

50 Kersten, Otto: „Über Colonisation in Ost-Afrika“. In: Internationale Revue. Monatsschrift für das gesammte Leben und Streben der außerdeutschen Culturwelt. Wien, Arnold Hilberg, 1866, S. 263. 51 1858 hatte Decken die französische Kolonie Algerien besucht.

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vollständig auf Führer und Träger. Sie werden nicht mehr als fremde Eroberer betrachtet. Die reunionesische Gruppe setzt sich aus wenigen Trägern und Führern zusammen, denn die Reisenden sind nicht mehr gezwungen, Perlen gegen Nahrungsmittel zu tauschen, und sie schlafen nicht mehr unter freiem Himmel. Sie bilden eine Gruppe, übernachten alle in Höhlen, teilen die Mahlzeiten. Auf La Réunion entsteht ein spontaner, individueller Kontakt zwischen Reisenden, Führern und Trägern. Kersten nennt sie oft seine „Begleiter“. Ohne ihre konkrete Hilfe hätte er manche Felswände nie besteigen können und umkehren müssen. Er vertraut ihnen, sie werden nicht kommandiert, kontrolliert oder bestraft. Die Beschreibung der reunionesischen ‚Karawane‘ auf dem Weg nach Cilaos zeugt von einem Einvernehmen zwischen Wanderern, von einer Annäherung verschiedener sozialer Gruppen – deutsche Entdecker, ein französischer Geistlicher, kreolische Führer und Träger – und dies trotz sichtbarer Kontraste: Wer uns gesehen hätte, wie wir, in so mannigfachen Trachten und die mit Koth bespritzten Beinkleider emporgestreift, dahinmarschirten, hätte unwillkürlich lachen müssen. Voran schritt P. Fava mit Schnallenschuhen, schwarzen Strümpfen und kurzen Kniehosen, welche seine wohlgeformten Beine eng umschlossen; ihm folgte der noch einen halben Kopf größere Baron in schweren, dreisohligen Stiefeln und Ledergamaschen, sowie ich in dicken Winterkleidern und mit einer Blechbüchse zum Sammeln von Pflanzen, hinter uns acht Kreolen, belastet mit verschiedenartig geformten Bündeln, mit Körben und dem weißblechernen Koffer P. Fava’s – im Nachtrab der muntere kleine Hund des Führers.52

Im Gegensatz zu der kollektiven Leitung der Trägergruppe in Afrika bemüht sich Kersten auf La Réunion, die Verhaltensweise des einzigen aus Afrika stammenden Trägers zu verstehen. Er versucht, gerecht zu sein, als Fantaisie sich weigert, im enclos des Vulkans weiterzugehen: Ich war so aufgebracht über diese Störrigkeit, daß ich ihm sicherlich eine Züchtigung hätte angedeihen lassen, wenn er nicht als Neger, welch Volkes Gemütsschwankungen oft wunderbar sind, einige Nachsicht verdient hätte. Da es unmöglich war, Fantaisie zur geringsten Ortsveränderung zu veranlassen, ließ ich ihn hier und nahm ihm nur die unentbehrlichsten Sachen ab.53

In Kerstens Bemerkungen über die typischen Verhaltensweisen eines durch seine Hautfarbe und Herkunft von ihm unterschiedenen Begleiters spiegeln sich jedoch eher Stereotypen als konkrete Erfahrungen wider. Im vorliegenden Fall

52 Vgl. Kersten (1871): S. 165-166. 53 Ebd., S. 181.

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ignorierte Kersten offensichtlich die von dem Geographen Bory de SaintVincent übermittelten Legenden, nach denen der Vulkan als „Reich des Teufels“ und „Höllenschlund“54 bezeichnet wurde. Fantaisies Ängste beweisen, dass ihm diese Legenden vertraut waren. Auf La Réunion sind die Beziehungen zwischen den Reisenden und Trägern mit einigen Ausnahmen harmonisch. Beide Gruppen bemühen sich, voneinander zu lernen. Die Beherrschung der französischen und teilweise der kreolischen Sprache seitens der Deutschen trägt weitgehend zu einem kulturellen Austausch bei, was trotz aller Bemühungen nicht der Fall in Afrika sein konnte. Die „kleinen Kreolen“ haben ganz und gar die Sympathie und den Respekt der Deutschen gewonnen, die ihre Erfindungsgabe, Gewandtheit, Einfachheit und Ehrlichkeit bewundern und von deren Fähigkeiten beeindruckt sind. Ihr ganzes Wesen hatte etwas Angenehmes; sie waren dienstreich und behilflich, wo sie konnten, und suchten nicht, wie Dies sonst die Führer tun, den Reisenden auszubeuten und zu benachtheiligen. Mancherlei habe ich von ihnen gelernt, und mit Vergnügen denke ich zurück an die in ihrer Gesellschaft verbrachten Tage.55

Die gemeinsamen Wanderungen enthalten zweifellos Ansätze alternativer Formen des Reisens und Entdeckens, in deren Zentrum der Austausch zwischen den Besuchern und den einheimischen Begleitern steht. Ohne dass man von einer Partnerschaft sprechen kann, ist in den Umgangs- und Interaktionsformen eine Wechselseitigkeit zu erkennen. Decken und Kersten bringen ihre Bewunderung für die Führer und Träger klar zum Ausdruck, ohne deren Ortskenntnisse ihre Bergbesteigungen zum Scheitern verurteilt gewesen wären. Anderseits können sie es nicht unterlassen, immer wieder ihre eigene zivilisatorische Überlegenheit zu betonen. Ohne die Unterstützung der Träger und Führer wäre Kersten nicht in der Lage gewesen, die Insel zu erleben und für ihre Einmaligkeit empfänglich zu sein. Aber dieses auf zwei Seiten von den fürchterlichsten Naturkräften bedrohte Stück Land, welches eine kurze Vergangenheit und möglicher Weise eine ebenso kurze Zukunft hat, blüht wie ein Paradies und ist wol die schönste der Inseln – so wenigstens meint Jeder, der sie besucht und durchwandert hat!56

54 Bory de Saint-Vincent, Jean-Baptiste: Voyage dans les quatre principales îles des mers d’Afrique. Paris, Buisson, 1804, S. 182. Das Werk des Autors der ersten wissenschaftlichen Beschreibung des Vulkans ist in Kerstens Bibliographie aufgeführt. 55 Vgl. Kersten (1871): S. 155. 56 Ebd., S. 137.

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Aus den vorausgehenden Kommentaren und Beispielen geht ein deutlicher Unterschied zwischen den afrikanischen Expeditionen und den wissenschaftlichen Wanderungen auf La Réunion hervor. In Afrika verteidigen die Forscher auf autoritäre Weise ihre anmaßende und ambivalente Position, da sie von den Einheimischen mehr oder weniger als Eindringlinge betrachtet werden. In der französischen Kolonie werden sie wie Gäste aufgenommen, die ihre Anpassungsfähigkeit und eine respektvolle Haltung gegenüber den lokalen Sitten und Gebräuchen bezeugen. In den auf La Réunion gesammelten Erfahrungen könnte man Anzeichen eines anderen Expeditionsmodells vermuten, die auf eine zukünftige positive Entwicklung der Verständigungs- und Anpassungsbereitschaft seitens der Forscher in Afrika und anderen Kontinenten hinweisen würden. Diese Annahme scheint jedoch der Realität zu widersprechen. Die Momente eines harmonischen Zusammenlebens und zwischenmenschlichen Austauschs bleiben die Ausnahme und werden immer wieder von der kolonialen Ideologie der jungen Reisenden überlagert, die sich nicht von ihren eurozentrischen Normen befreien können. Den insgesamt positiven Erfahrungen auf La Réunion setzt Deckens Expedition auf dem Jubafluss in Somalia ein Ende. Sein Forschungsdrang kostet ihn das Leben.57 Otto Kersten trifft nicht dasselbe Schicksal; er schlägt andere Wege ein, die einen engen Zusammenhang zwischen Forschungsreise und Kolonialismus deutlich machen. Davon zeugt ein im Jahre 1866 veröffentlichter Artikel, den er ein Jahr nach seiner Rückkehr in Europa verfasst hat. Laut Kersten habe „der hochherzige und unglückliche Baron Carl Claus von der Decken die großartigsten Vorbereitungsarbeiten gemacht. […] Es sei ein Jammer, daß wir Deutschen solche Gelegenheiten vorübergehen lassen, uns auch Colonien zu verschaffen“.58 Abgesehen vom politischen Minderwertigkeitskomplex der „träumerischen, unentschlossenen Deutschen“59 gegenüber den englischen und französischen Kolonialmächten hat die Ermordung von Roscher, Decken und dreien seiner Begleiter Kerstens Einstellung nachhaltig beeinflusst. Kersten beendet seinen 1871 erschienenen Reisebericht über La Réunion mit der Einteilung der Kolonien in Handlungs-, Pflanzungs-, Eroberungs- und Ackerbaukolonien und mit den Argumenten, die die Deutschen zur Anlegung von Kolonien veranlassen könnten.

57 In seiner Londoner Ansprache hatte sich Decken wie folgt geäußert: „Whether the journey for which I am now preparing will be a success, God only knows! But I have the firmest determination.“ Vgl. Proceedings of the Royal Geographical Society. 58 Vgl. Kersten: „Über Colonisation in Ost-Afrika“ (1866). 59 Vgl. Kersten (1871): S. 194.

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L ITERATUR Bory de Saint-Vincent, Jean-Baptiste: Voyage dans les quatre principales îles des mers d’Afrique. Paris, Buisson, 1804. Decken, Carl an Dr. H. Barth. In: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Berlin, Dietrich Reimer, Bd. 10 (1861), S. 229-231. Decken, Carl: „Presentation of the Royal Awards“. In: Proceedings of the Royal Geographical Society. London, Whitehall Palace, 1864, S. 167-168.

Fava, Amand: „Mission de Zanzibar“. In: Almanach religieux de La Réunion. 1864, S. 150-162. Kersten, Otto an Prof. Ermann. In: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Berlin, Dietrich Reimer, Bd. 14 (1863), S. 43-47. Kersten, Otto an Dr. H. Barth. In: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde. Berlin, Friedrich Reimer, Bd. 15 (1863), S. 141-149. Kersten, Otto: „Über Colonisation in Ost-Afrika“. In: Internationale Revue. Monatsschrift für das gesammte Leben und Streben der außerdeutschen Culturwelt. Wien, Arnold Hilberg, 1866, S. 263-271. Kersten, Otto: Baron Carl Claus von der Decken’s Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1859 bis 1861. Bd. 1, Leipzig/Heidelberg, Winter’sche Verlagshandlung, 1869. Kersten, Otto: Baron Carl Claus von der Decken’s Reisen in Ost-Afrika in den Jahren 1862 bis 1865. Neue Reisen im Inneren und an der Küste. Die ostafrikanische Inselwelt (Madagaskar, Seschellen, Réunion, Nossibé und Komoren. Bd. 2, Leipzig/Heidelberg, Winter’sche Verlagshandlung, 1871. (Übers.: Les Voyages en Afrique orientale du Baron Carl Claus von der Decken. La Réunion (28 mai – 7 août 1863), M. Tolède, G. Fois-Kaschel (Hg.), Les Éditions de Villèle, 2016). Oelsner-Monmerqué, Gustave: Schwarze und Weiße. Skizzen aus Bourbon. Bremen, Schlodtmann, 1848 (Neuauflage: G. Fois-Kaschel & M. Tolède (Hg.), Bielefeld, Aisthesis, 2015. Übers.: Noirs et Blancs. Esquisses de Bourbon, M. Tolède & G. Fois-Kaschel & J. Dumonteil (Hg.), Musée historique de Villèle, Université de La Réunion, 2017). Steere, Edward: A handbook of the swahili language, as spoken at Zanzibar. London, Society for Promoting Christian Knowledge, 1870.

Träger in West-, Zentral- und Südwestafrika

Vom Träger zum Getragenen: Das Trägerwesen im (vor-)kolonialen und postkolonialen Afrika am Beispiel Kamerun E SAÏE D JOMO

E INLEITUNG Eines der berühmtesten Bilder in Verbindung mit dem Träger im Kolonialkontext ist das Bild Rudyard Kiplings (1865-1936), nämlich das Bild des Kolonisierten als „Bürde des weißen Mannes“1, eine Idee, die der mit dem LiteraturNobelpreis ausgezeichnete Autor 1899 vertritt. Mein Versuch, Bilder oder Karikaturen zu dieser These im Internet ausfindig zu machen, war mehr als erfolgreich. Ich fand interessante Karikaturen und Bilder, die für die einen Kiplings Meinung bestätigen und ‚Farbige‘ als „Bürde des weißen Mannes“ inszenieren, zum anderen dann aber auch ganz unerwartete Bilder, die als Antithese eher den Weißen als Bürde des schwarzen Mannes zum Vorschein bringen. Dieser Befund entspricht dem Stand der Ideen zu Zeiten von Kiplings kontroverser Aussage. Es gab tatsächlich einen Gegendiskurs zu Kiplings Theorie, und dieser vertrat die folgende Auffassung: Mit der Kolonisation sei nicht der Weiße derjenige, der dazu gezwungen worden sei, den Kolonisierten gegenüber eine philanthropische Pflicht wahrzunehmen, sondern vielmehr sei der schwarze Mann im kolonialen Kontext gezwungen, den weißen Mann als seine Bürde mühsam mit sich zu schleppen. In diesem Sinne erschien gleich im April desselben Jahres, nämlich 1899, eine Replik des afro-amerikanischen Pfarrers und Herausgebers H. T. Johnson, ein Gedicht mit dem Titel The Black Man’s Burden. Mehr noch, „A ,Black Man’s Burden Association‘ was even

1

Kipling, Rudyard: The White Man’s Burden (1899). URL: www.loske.org/html/school/history/c19/burden_full.pdf [Zugriff: 22.3.2016].

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organized with the goal of demonstrating that mistreatment of brown people in the Philippines was an extension of the mistreatment of black Americans at home“2. Aus postkolonialem Blickwinkel versucht dieser Beitrag eben diese Gegenthese zu vertiefen. Dies wird am deutlichsten, wenn man das Phänomen diachron untersucht. Das Land Kamerun, so wie es heute bekannt ist, ist eine Schöpfung deutscher Kolonisatoren, und zwar seit dem Abschluss des sogenannten Deutsch-Duala-Vertrags vom 12. Juli 1884. Die Geschichte des Trägerwesens in einer ehemaligen Kolonie wie Kamerun muss notwendigerweise zuerst auf die Frage nach der Organisation und den bestimmenden Kräften dieser Tätigkeit vor der Begegnung mit den fremden Kolonisatoren eingehen. Was und wie wurde da getragen? Welchen Stellenwert hatte das Trägerwesen in der Ökonomie? Im kolonialen Kontext musste diese wirtschaftliche Tätigkeit nach dem Geschmack der neuen Landesherren organisiert werden: Wie gingen die deutschen und französischen Kolonialherren Kameruns damit um? Von der Trägerkultur profitierten alle Kolonialbehörden (Beamtentum, Klerus, Geschäftsleute) sowie die einheimische, afrikanische Elite. Wie hat sich die Trägerkultur mit der Modernisierung des kolonialen Transportwesens gewandelt? Hat sie nach dem Ende der Kolonisation aufgehört? Mein Beitrag befasst sich also mit den vorkolonialen, kolonialen und postkolonialen Erscheinungsformen oder Figurationen des Trägerwesens hauptsächlich in Kamerun (als Beispiel für Afrika) und möchte zeigen, dass der unter dem Kolonialismus herrschende Habitus des Getragen-Werdens sich in der Mentalität des ehemaligen Kolonisierten, in Identifikation mit dem ehemaligen Aggressor seines Volkes, so festgesetzt hat, dass der Afrikaner selbst in der Postkolonialität den Platz des Getragenen übernommen hat, eine Tatsache, die die mühevoll erkämpfte Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien de facto wieder in Frage stellt.

D AS T RÄGERWESEN

IN

K AMERUN

VORKOLONIAL

Das Transportwesen ist ein wichtiger Sektor jeder Ökonomie. Vor der Erfindung moderner Verkehrsmittel trugen alle Menschen ihre Güter und ihre Waren auf den Schultern, dem Rücken und/oder dem Kopf. Im vorkolonialen Kamerun hatten die Einwohner des Küstengebietes, nämlich die Duala, allein das Privileg, 2

Johnson, H. T.: „The Black Man’s Burden“. In: Voice of Missions, VII (Atlanta, April 1899), 1. Reprinted in Willard B. Gatewood, Jr.: Black Americans and the White Man’s Burden, 1898-1903. Urbana, University of Illinois Press, 1975, S. 183-184. URL: http://historymatters.gmu.edu/d/5476/ [Zugriff : 22.3.2016].

V OM T RÄGER ZUM G ETRAGENEN

| 231

ihre Produkte über den Wasserweg zu transportieren, vorausgesetzt, dass die Absatzmärkte noch auf den schiffbaren Strecken der Flüsse Wouri oder Moungo lagen. Außerhalb ihres Wohngebietes ließen die Duala-Könige, die gute Handelsbeziehungen zu den Völkern des Hinterlandes, besonders den Bamileke und den Banen, pflegten, ihre Lasten auf weiten Strecken durch Menschenkraft befördern. Dafür nutzten sie die Köpfe, die Schultern oder die Rücken ihrer Helfer. Diese stammten aus dreierlei Reservoirs: Es waren Familienangehörige, Sklaven oder professionelle Träger. Das so genannte familiäre Trägerwesen, bestehend aus Kindern oder Ehepartnern des Händlers oder der Händlerin, erlebt man noch heute in Ortschaften, wo moderne öffentliche Verkehrsmittel entweder selten oder sehr teuer für die Geldbörsen der Menschen sind. Hingegen ist die Nutzung von Sklaven als Träger verschwunden. Der Einsatz dieser Art von Trägern kam nur wenigen Privilegierten zu, nämlich den Duala-Königen und ihren Alliierten, die am Sklavenhandel beteiligt waren und dadurch zahlreiche Sklaven besitzen konnten.3 Dass der Sklave als Träger keinen Lohn für seine harte Arbeit verlangen durfte, versteht sich von selbst. Die als Herren auftretenden Händler, die keine oder nur wenige Sklaven besaßen, waren auf Verhandlungen mit professionellen Trägern angewiesen. Aus Mangel an Profi-Trägern vor Ort holten die Duala-Händler sie aus Nachbarländern, nämlich aus Nigeria, Togo oder Liberia. Die professionellen Träger gab es nicht überall in vorkolonialem Kamerun. Dort, wo es sie gab, wurden sie unter Vertrag rekrutiert. Profi-Träger wurden auch in der Gegend von Kanem Bornou (Nordkamerun und Nordost-Nigeria) angeheuert. Die deutschen Forschungsreisenden in Kamerun wie Siegfried Passarge (Adamaua 1895), Eugen Zintgraf (Nord-Kamerun, 1895) und Franz Hutter (Wanderungen und Forschungen durch das Hinterhochland von Kamerun, 1902) erwähnen mehrfach in ihren Forschungsberichten, dass sie ohne die Dienste ihrer afrikanischen Träger nie erfolgreich gewesen wären. In den genannten Ländern war das professionelle Träger-Wesen ein besonderes Phänomen: In manchen Gesellschaften in Nigeria, Ghana und Liberia gab es sogar Träger-Klassen. Mit der Entwicklung eines regen Handelsverkehrs hatten die Haussa, aus deren Reihen ein Großteil der Träger sich rekrutieren ließ, in den Haussa-Ländern des Sudangebietes stellenweise eine Träger-Klasse gebildet, wie die Suaheli und die Wanyamwesi in Ostafrika. Die Träger bildeten keine Kaste, denn jeder konnte dieses Metier ausüben. Trotzdem hatten sich im

3

Vgl. Dikoume, Albert: „Du portage comme point de départ de l’économie coloniale au Cameroun“. In: Annales de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines, Nr. 2 (1985), S. 3-25, hier S. 5.

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Zusammenhang mit der Rekrutierung und den Rechten des Trägers und seines Arbeitsgebers bestimmte Bräuche entwickelt, schreibt der deutsche Geograph und Forschungsreisende Siegfried Passarge in seinem Reise- und Forschungsbericht Adamaua, erschienen 1895.4 In Adamaua, der sahelischen Region um Kanem-Bornu in Nordkamerun und Nordostnigeria, so Passarge, rekrutierte der Reisende selbst seine Träger, ganz so wie die lokalen Arbeitsgeber: Die Auswahl der Menschen und Verhandlungen über ihre Arbeitsbedingungen (Lohn, Taschengeld) übernahm er. Einmal beauftragt, eine Last an einen bestimmten Ort zu befördern, war es dem Träger überlassen, seine Arbeit nachts oder tagsüber zu erledigen. Sein Lohn entsprach dem Gewicht der zu tragenden Last. Durchschnittlich zahlte man „zwei Säcke Kauris (= 40 000 Kauris)“. Hinzu kam ein Betrag von 200 Kauris für den täglichen Nahrungsbedarf. Der Auftraggeber zahlte dem Träger einen Vorschuss zu Beginn der Reise, den Rest am Ende. Der Träger verpflichtete sich dafür, in einem gegebenen Zeitraum die Ware oder Last zu transportieren5. Diese Berufsträger dienten nicht nur den einheimischen Kamerunern, sondern auch den kolonialen Beamten Kameruns. Für seine Forschungsreise im Adamaua-Gebiet rekrutierte Siegfried Passarge seine ersten 40 Träger in Lokodja in Nigeria. Er notiert, dass die Kandidaten sich freiwillig gestellt hätten, sehr herzlich und bereit für die Reise in die Fremde gewesen seien. Der Monatslohn eines Trägers betrug 30 bis 40 Schilling und wurde bar bezahlt. Am Anfang gab der Auftraggeber einen Vorschuss von 20 Schilling. Für die Nahrung erhielt jeder einfache Träger 40 Kauris, jeder „Head man“ und jeder Übersetzer 50 Kauris täglich.6 Die Verwendung ausländischer Träger war eine provisorische Antwort auf die Frage des Transports und der tragenden Arbeiterschaft. Für die Eroberung des Hinterlandes und die Ausbeutung des Landes musste die Kolonialherrschaft eine dauerhafte Lösung für das Transportproblem vor Ort finden, daher kam es zu einer Organisation des Trägerwesens zuerst durch die Deutschen und nach ihnen durch die Franzosen.

4

Passarge, Siegfried: Adamaua: Bericht über die Expedition des Deutschen KamerunKomitees in den Jahren 1893-94. Berlin, Reimer, 1895, S. 11ff.

5

Vgl. ebd., S. 65.

6

Vgl. ebd., S. 33.

V OM T RÄGER ZUM G ETRAGENEN

O RGANISATION DES T RÄGERWESENS UNTER DER K OLONIALHERRSCHAFT

IN

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K AMERUN

Am Anfang des kolonialen Zeitraums herrschte im Bereich des Transports ein großes Durcheinander. Die Deutschen und nach ihnen die Franzosen mussten diesen Beruf bestens organisieren und entwickelten ihn ganz im Interesse ihrer Händler, Kleriker und Kolonialbeamten. Eine gute Organisation des Trägerwesens diente allen diesen Behörden für ihre Geschäfts- oder Dienstreisen innerhalb des Landes. Wie bereits gesehen, waren die Europäer für den Transport ihres Gepäcks in dieser Hinsicht sowohl bei ihrer Ankunft an der kamerunischen Küste, damals der wichtigsten Eingangstür des Landes, als auch während der Kolonialherrschaft selbst ganz von Afrikanern abhängig. Sie waren als Beförderungskräfte von Waren und Gepäck sowie als Soldaten der deutschen Schutztruppe die unentbehrlichsten Träger der kolonialen Bewegung überhaupt. Die Organisation des Trägerwesens wurde für die Deutschen aus zwei wichtigen Gründen unverzichtbar: Erstens verlangten die immer häufigeren Reisen ins Hinterland immer mehr Menschenkraft, doch diese konnte ein einziges Volk nicht dauerhaft anbieten. Und zweitens mochten die Küstenvölker, besonders die Duala, das in ihren Augen entwürdigende Trägermetier nicht. Zwar hatten die Deutschen angesichts dieser widerspenstigen Haltung der einheimischen Küstenvölker gegenüber dem Trägerwesen ausländische Träger aus benachbarten Kolonien ins Land geholt, vor allem die Vei aus Liberia und Ghana7. Doch diese Lösung erwies sich mit der Zeit als äußerst unpraktisch und ineffizient. Es empfahl sich, diese Arbeitskraft vor Ort zu beschaffen. Die Organisation des deutschen kolonialen Trägerwesens Infolge zahlreicher Beschwerden, die deutsche Kolonialbehörden tagtäglich bekamen, entschieden sie sich, den Sektor des Trägerwesens zu reglementieren. Dies gewährleistete der Erlass vom 4. März 1908, der die wichtigsten Bedingungen des Tragens festlegte, nämlich: a) die Qualität des Trägers (nur gesunde Erwachsene durften diesen Beruf ausüben); b) die höchste Belastung eines jeden Trägers durfte 30 Kilogramm (darunter 5 Kilogramm persönlicher Habe) nicht überschreiten; c) ein Ersatzträger für jede Trägergruppe von 6 Personen war vorgesehen; d) die Vertragsdauer und -arten mit entsprechenden Löhnen. Dem Träger standen zur Auswahl: entweder ein sechsmonatiger Vertrag (für einen

7

Vgl. Hutter, Franz: Wanderungen und Forschungen durch das Hinterhochland von Kamerun. Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1902, S. 99ff.

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Lohn in Höhe von 6 Mark pro Monat) oder ein achtmonatiger oder einjähriger Vertrag (für einen Lohn in Höhe von 8 oder 12 Mark pro Monat).8 Nach diesem Erlass musste der Arbeitgeber die Hälfte des Lohnes zu Beginn der Vertragsdauer zahlen und den Rest bei Ablauf der Vertragsfrist. Aber die Arbeitsgeber waren nur ungern bereit, die Löhne in bar zu zahlen. Stattdessen zahlten sie meistens mit Importwaren. Die Auftraggeber waren dazu verpflichtet, den Trägern Lebensmittel in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen. Außerdem waren die Anwohner der an den Karawanenstraßen liegenden Dörfer dazu aufgefordert, den Trägern Lebensmittel auf der Basis der von den lokalen Behörden festgelegten Preise zu verkaufen. Die Administration traf auch Sicherheitsmaßnahmen gegen oder für die Träger. Um die Anwohner von Trägerkarawanen vor Angriffen der Träger zu schützen (d.h. vor Plünderung, Vergewaltigung, Entführung usw.), durften die Karawanen nicht in Dörfern, sondern nur in Nachtlagern weit entfernt von den Ortschaften übernachten. Die meisten Händler waren gegen diese Verwaltungsmaßnahmen, da sie ihres Erachtens so beschaffen waren, dass sie die Unzufriedenheit ihrer Träger hervorrufen mussten. Das Trägerwesen war mitunter ein gefährlicher Beruf, denn es setzte den Träger und die Karawanen den Angriffen von Räubern aus. Aus diesem Grund wurden sie von gut bewaffneten Kriegern der Schutztruppe, den Askaris betreut. Bei Übertretungen der durch diesen Erlass vom 4. Mai 1908 eingeführten Maßnahmen waren folgende Strafmaßnahmen vorgesehen: Ein Europäer zahlte der Verwaltung ein Bußgeld in Höhe von 150 Mark in bar, bei Rückfall bis zu 1 000 Mark. Für dasselbe Vergehen büßten die Afrikaner mit bis zu zwei Monaten Gefängnisstrafe (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme). Die Kolonialadministration kümmerte sich zudem um die Gesundheit der Träger. Deswegen forderte sie 1909 alle Händler und Auftraggeber auf, ihre Träger durch Impfungen vor Krankheiten zu schützen und gleichzeitig dadurch deren Verbreitung zu stoppen.9 Trotz all dieser positiven Maßnahmen von Seiten der deutschen Kolonialadministration stellte das Trägerwesen für die Dörfer eine echte Plage dar, denn es nahm ihnen zugunsten der kolonialen Wirtschaft ihre Jugend. Betroffen waren junge Männer genauso wie Mädchen und Frauen: Malgré les dégâts qu’il provoquait au sein de la population, le flot des porteurs ne faisait que grossir. Il était particulièrement important sur la route Kribi-Yaoundé où étaient

8

Vgl. Dikoume (1985): S. 8. Die Administration folgt hier im Grunde genommen bekannter, im Milieu des professionellen Trägerwesens bereits vorhandener Praktiken. Vgl. hierzu Passarge (1895): S. 65.

9

Vgl. Dikoume (1985): S. 10.

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concentrés jusqu’à 80 000 indigènes. Pourtant, la loi de 1905 spécifiait que seuls les hommes adultes devaient être recrutés. Mais que représentait une loi pour des hommes qui étaient pour la plupart des aventuriers obnubilés par l’appât du gain?10

Die Organisation des französischen kolonialen Trägerwesens Seine afrikanischen Träger halfen dem deutschen Militär, die Kolonie im Ersten Weltkrieg zu verteidigen. Gleich nach der Vertreibung der Deutschen aus Kamerun im Laufe des Jahres 1916 begannen die Franzosen als neue Landesherren mit der Organisation des Trägerwesens und der Weiterentwicklung der Infrastruktur. Sie verfassten eine Reihe von Texten über das Tragen von Beamten und Militärs. Zu nennen sind die Erlasse vom 26. Februar 1917, vom 24. Februar 1920 und vom 10. Dezember 192511. Im Großen und Ganzen bestimmten diese Erlasse die Lohnsätze und ihre Auszahlungsmodi, die maximale Reisestrecke einer Karawane pro Tag (25 km, mit Mittagspause nach ungefähr 12,5 km), die Nachtlager der Karawanen und das maximale Gewicht des für einen reisenden Beamten zu tragenden Gepäcks. Gemäß dem Erlass vom 10. Dezember 1925 bekam ein Träger, der Lasten zu tragen hatte, einen Tageslohn von 1,5 Francs und ein von der Reise zurückkehrender, unbelasteter Träger 0,50 Francs pro Tag. Die Träger wurden rekrutiert von den so genannten „Chefs de circonscriptions et de subdivisions qui s’adressaient ensuite aux chefs traditionnels.“12 In letzter Instanz wurden letztere ihrerseits unterstützt durch ihre Notabeln. Die maximale Last eines Trägers durfte 30 kg nicht überschreiten, wie dies übrigens in der deutschen Ära offizieller Usus war. Zuständig für die Verpflegung und Bereitstellung der Nachtlager für die Karawanen waren „les chefs de villages situés sur l’itinéraire suivi par les caravanes“13. Im Bereich des so genannten privaten Tragens, also des Tragens für Händler und Kaufleute, herrschte ein großes Chaos, denn er war nicht so gut organisiert wie das administrative Tragen. Hier rekrutierte man aus Mangel an gesunden Männern skrupellos auch Kranke. Im Jahre 1922 war das Territorium völlig durchzogen von zahlreichen Trägerstraßen, und die damals bestehenden Dörfer mit Trägerhaltestellen bildeten die Embryonen künftiger Städte, die wiederum als erste durch moderne Verkehrswege verbunden wurden.14

10 Dikoume (1985): S. 11. 11 Vgl. ebd., S. 13f. 12 Ebd., S. 13. 13 Ebd., S. 14. 14 Ebd., S. 16.

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Deutsche und französische Kolonialbehörden hatten das Trägerwesen also zugunsten der Administration, der Kirche, des Militärs und der Wirtschaft organisiert. Damit wurde das Tragen ein Beruf, und viele Arbeitnehmer bevorzugten ihn. Andererseits zeigten andere wegen zahlreicher Nachteile kein Interesse an diesem Beruf. Die ständige Entwicklung der kolonialen Wirtschaft und Verwaltung verlangte aber immer mehr Träger. Angesichts dieser Situation mussten die kolonialen Behörden noch einmal in den Sektor eingreifen und andere Rekrutierungsmethoden ausprobieren. Das Tragen als Zwangsarbeit Der Weiße ist nicht mit eigenen Arbeitern nach Kamerun gekommen, wie gleich noch dargestellt werden wird. Angesichts eines immer größer werdenden Bedarfs an Arbeitskraft für Wirtschaft und Administration mussten alle einheimischen Gegner des Tragens also mit Gewalt dazu gezwungen werden. Auf den damaligen Bildern unterscheiden sich die Zwangsträger oft durch eine große Kette, die sie miteinander verbindet, von den freien Trägern. So trat der Träger als Sträfling in Erscheinung (Bild 1). Nach deren Rekrutierungsmethoden haben wir folgende Sträflinge dieser Art: Träger als Kriegstribut an den Sieger, das Tragen als Steuerarbeit (bekannt unter dem Namen „tax-wok“), der Träger als Zuchthäusler des afrikanischen Chefs15. Abb. 1: Kriegsgefangene in Ostafrika, Sand in Körben tragend

Quelle: Kolonie und Heimat, Nr. 10 (1907), S. 6.

15 Etoga, Eily: Sur les chemins du développement. Essai sur l’histoire des faits économiques du Cameroun. Yaoundé, CEPER, 1971, S. 260.

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Der Träger als Kriegstribut an den Sieger

Um Herr über Land und Leute zu werden, hatte der koloniale Eindringling viele Kriege führen müssen. Diese Kriege waren für die Deutschen jedes Mal ein guter Anlass, das Problem des Arbeitskräftemangels, also der Träger, zu lösen. Denn am Ende gewonnener Kriege, der sogenannten „Strafexpeditionen“, war es Usus für den deutschen Sieger, dem besiegten Königtum einen Teil seiner Bevölkerung als Kriegsentschädigung und Friedensbedingung zu entreißen. Die so entführten Menschen mussten dann in deutschen Plantagen und Firmen als Strafe für die „Frechheit“ ihrer Völker schuften. So hat die Historiographie diese kolonialen Kriege als Beutezüge für Arbeitskräfte beschrieben: „Razzia de maind’œuvre“ wie der Historiker Zacharie Saha dies treffend formuliert hat. So war es am Ende der Kriege gegen die Bangwa (1902) und die Mbo’o (1906/1907). Die beiden „unbotmäßigen“ Völker lieferten den Deutschen jeweils 2 000 und 449 Menschen. In manchen Fällen verlangte der Sieger die Träger ausdrücklich.16 Der Träger als Steuerarbeiter

Im Jahre 1886 hatte die deutsche Kolonialadministration die Deutsche Mark als einzige gültige Währung im Land eingeführt. Dieses Geld zirkulierte hauptsächlich im Kreise der Europäer. Um die Afrikaner zwangsweise in den Dienst der Europäer zu stellen, führte die Behörde durch ein Dekret vom 1. Juli 1903 die Kopfsteuer ein, und Einheimische, die den Betrag in Höhe von 6 Mark nicht bar zahlen konnten, hatten die Möglichkeit, diesen durch 30 Arbeitstage an öffentlichen Baustellen zu begleichen. Befreit von dieser Steuer waren u.a. die Soldaten und die Träger der Schutz- und Polizeitruppe17. Der Träger als Zuchthäusler des afrikanischen Machthabers

Als lokaler Steuereintreiber war der einheimische Machthaber ein wichtiges Dispositiv im kolonialen Finanzsystem. Für seine Mühe erhielt er gesetzlich 10 Prozent aller gesammelten Steuergelder18. Eifrige und geldgierige Dorfchefs nutzten ihre Position aus, um ihre unbotmäßigen Untertanen in die Zwangsarbeit für private Geschäftsleute u.ä. zu schicken. 16 Saha, Zacharie: Le „Bezirk“ de Dschang: Relations entre l’administration coloniale allemande et les autorités traditionnelles (1907-1914). Unveröff. MA-Arbeit. Université de Yaoundé, 1993, S. 41f. 17 „Eingeborenensteuern“. In: Deutsches Koloniallexikon, URL:

http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/Standard-

frameseite.php [Zugriff: 30.5.2017]. 18 „Eingeborenensteuern“. In: ebd.

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Das Trägerkorps der Schutztruppe und der afrikanische Soldat als Träger des Kolonialismus Ein wichtiger Bestandteil der Schutztruppe stellte das Trägerkorps dar, ohne welches die Krieger nie erfolgreich gewesen wären. Für die Armee trug dieses Korps Lebensmittel und Munitionen, und im Ernstfall griff es auch zum Gewehr. Diese Armee diente als Trägerin der kolonialen Bewegung. Im Bereich des kolonialen Trägerwesens ist das Trägerkorps für die Armee, The Carrier Corps19, eine Gruppe für sich. Das Carrier Corps umfasst Leute, die Kriegswerkzeuge (Munition und Waffen) und Lebensmitteln tragen, um die Soldaten auf die Schlachtfelder zu begleiten, und die im Ernstfall das Rückgrat und den erforderlichen Halt abgeben [müssen]. Die Stärke der Trägertrupps schwankt zwischen 30 und 50 pro Kompanie; sie sind Angehörige der Schutztruppe und unterliegen bezüglich Strafrechtspflege, Disziplinarbestrafung, Urlaub und Krankheit den für die Truppe geltenden Vorschriften.20

Angesichts der Bedeutung der Schutztruppe für das koloniale Unternehmen kann man sich die Rolle vorstellen, die diese Träger für die Unterwerfung der Völker gespielt haben. Kipling selbst hat das erkannt; er nannte das Trägerkorps „die Füße und die Hände der Armee“21, ohne dessen Hilfe kein Sieg der Schutztruppe möglich war. In der Tat haben die Träger von 1899 bis 1912 in 146 Feldzügen der Schutztruppe gegen die kamerunischen Völker aktiv mitgewirkt. 22 Einer dieser Feldzüge fand 1905 in Fontsa-Toula bei Dschang statt. Dafür mobilisierte die Schutztruppe 340 Träger sowie 70 außereuropäische Soldaten unter dem

19 Hodges, Geoffrey: Kariakor. The Carrier Corps: The Story of the Military Labour Forces in the Conquest of German East Africa, 1914 to 1918. Nairobi, Nairobi University Press, 1999. 20 „Träger“, in: Deutsches Kolonial-Lexikon. URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.unifrankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/Standardframeseite.php [Zugriff: 30.5.2017]. 21 Zit. n. Hodges (1999): S. 109. „This is to the memory of the Arab and Native African troops who fought: to the carriers who were the feet and hands of the army: and all other men who served and died for their King and Country in Eastern Africa in the Great War, 1914-1918. If you fight for your Country, even if you die, your sons will remember your name.“ 22 Morlang, Thomas: Askari und Fitafita. „Farbige“ Söldner in den deutschen Kolonien. Berlin, Links, 2008, S. 55.

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Kommando von 3 Europäern.23 Im Ersten Weltkrieg (1914-1918) haben die Träger ganz natürlich ihre Rolle gespielt, so beispielsweise im Kampf um Deutsch-Ostafrika begleiteten 35 6452 Träger die englische Armee gegen die Truppen von General Lettow-Vorbeck.24 Am 25. November 1917 zählte die Truppe von Lettow-Vorbeck in einer Kriegsepisode in Deutsch-Ostafrika „278 Europäer, 1 600 Askaris, 4 000 Träger und 1 000 Ehefrauen und Boys von Askaris“25. Das Trägerkorps für die Armee hatte allen Kolonialarmeen gedient. Träger wurden auch nicht von gegnerischen Kugeln geschont. Nach Hodges starben über 100 000 von den über eine Million Trägern in den Ostafrikanischen Feldzügen.26 Auf dem Schlachtfeld war es schwierig, den Carrier von Munition von echten Soldaten zu unterscheiden. Sie genossen als Träger der Kolonialbewegung dieselbe Gesundheitsvorsorge wie die normalen Krieger der Schutztruppe. Deutsche Militärchefs wie General Lothar von Trotha oder Major Hans Dominik waren nicht mit ihren Mannschaften (Bild 2) in die Kolonie gekommen. Erst vor Ort hatten sie sie rekrutiert, und damit eine Söldnertruppe neuen Typs aufgestellt, die „Söldner in ihrem eigenen Land“27. Diese Bezeichnung erklärt sich aus dem Umstand, dass sie gegen ihre eigenen Völker kämpfen mussten, um die Interessen eines fremden Angreifers, des Kolonialherrn, ihres Arbeitsgebers, in einem Territorium zu bewahren, in dem das Leben als Eindringling niemals ruhig sein würde. Durch die Kollaboration dieser Söldner konnte er die Einheimischen endlich erfolgreich unterwerfen. Wer waren diese Träger der Kolonisation? Wie und wo wurden sie rekrutiert? Das Beispiel Kamerun mag hier ausreichen. Die Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika wurde 1891, die für Kamerun und Deutsch-Südwestafrika 1894 gegründet 28 . Das

23 Saha (1993): S. 38. 24 Siehe hierzu die von Hodges gegebenen Statistiken in seinem Buch: Kariakor (1999), S. 211-214. 25 Siehe hierzu den Eintrag „Deutsch-Ostafrika 1885-1919. 1. Weltkrieg“, URL: https://www.deutsche-schutzgebiete.de/ostafrika_1914.htm [Zugriff: 31.5.2017]. 26 Hodges (1999) : S. 216. 27 Djomo, Esaïe: „Mercenaire dans son propre pays. Une étude diachronique de l’Elite africaine dans la littérature coloniale et postcoloniale“. In: Djomo, Esaїe & Gouaffo, Albert (Hg.): Germanistik in und zwischen den Kulturen, Festschrift für David Simo zum 25jährigen Wirken an der Universität Yaoundé. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 2004, S. 62-79. 28 Djomo, Esaie: Imperiale Kulturbegegnung als Identitätsstiftungsprozess. Studien zu Literatur, Kolonialität und Postkolonialität. St. Ingbert, Röhrig, 2011, S. 323.

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Personal der Kameruner Schutztruppe bestand im Jahre 1912 aus 200 Weißen (Reichsangehörigen) und 1 550 Farbigen, eingeteilt in 12 Kompanien, davon eine, die 12., die nur vorübergehend bewilligt worden war.29 Abb. 2: Schwarze Söldner der deutschen Schutztruppe tragen ihren Führer, den Major Hans Dominik, in Jaunde

Quelle: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/ [Zugriff: Februar 2018]

Nach Thomas Morlang rekrutierte die Kolonialbehörde von 1895 bis 1898 echte ‚Söldner‘ für die Schutztruppe in Kamerun, denn sie wurden aus Nachbarländern, nämlich aus Togo, Nigeria und Liberia herbei geholt. So kamen aus Liberia die Kru- und Vai-Leute, die aufgrund ihrer hingebungsvollen Treue als Soldaten und Arbeiter sehr geschätzt wurden. Die ersten Kameruner traten der Schutztruppe ab Mai 1898 bei: Die 60 jungen Männer30 waren Söhne angesehener Persönlichkeiten und Häuptlinge des Ewondo-Volks. Infolge der Eroberung des Ebolowa-Gebiets ließen sich 30 junge Bulu anwerben, und später stellten sich freiwillig Männer aus Dschang, Dume, Bamenda, Bali usw. Nur die Duala

29 Siehe den Eintrag „Schutztruppen“, in: Deutsches Kolonial-Lexikon / hrsg. v. Heinrich Schnee, URL:

http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/Standard-

frameseite.php [Zugriff: 31.5.2017]. 30 Vgl. Morlang (2008): S. 42-60. Einige von ihnen waren noch Kinder. Marianne Bechhaus-Gerst stellt den Fall Mahjub aus Tanzania dar. Siehe hierzu ihr Buch: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen – Eine Lebensgeschichte. Berlin, Links, 12007.

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und Küstenvölker lehnten dieses Söldnerheer ab. Im Jahre 1909 stellten die einheimischen Söldner 75% der Schutztruppe dar. Die Mindestvertragsdauer dieser Soldaten betrug zuerst 2 Jahre, ab 1906 dann fünf Jahre. Verglichen mit anderen Berufen hatten sie die attraktivsten Arbeitsbedingungen: Während Arbeiter in großen Pflanzungen mit maximal 10 bis 12 Mark rechnen durften, kassierten diese Söldner 20 Mark, und nach 12 Dienstjahren durch Zuschläge sogar 68 Mark. Außerdem sind folgende Vorteile zu erwähnen: Der ‚Söldner‘ durfte Frau und ,boy‘ in den Krieg mitnehmen, eroberte Dörfer plündern, gefangene Frauen der Gegner in Beschlag nehmen; Nahrungsmittel und Tabak bekam er kostenlos, außerdem zahlte er keine Kopfsteuer. Von 1899 bis 1912 führte die Schutztruppe 146 große Eroberungskämpfe gegen kamerunische Völker. Sie war wegen ihrer Grausamkeiten sehr gefürchtet. Gleichzeitig wurden die afrikanischen Söldner aufgrund ihrer Kaufkraft sehr bewundert. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden alle pensionierten Söldner unter die deutsche Flagge zurückgerufen. Und sie kämpften mit Engagement, um letztendlich bis 1919 ins Gefängnis in Äquatorialguinea zurückgedrängt zu werden: 5 900 Soldaten, 5 000 Frauen und 4 000 Kinder waren davon betroffen.31 Das Behördentragen Unter Behördentragen versteht man das Tragen kolonialer Behörden (Beamten, Kleriker und Geschäftsleute) während ihrer Dienst- und Geschäftsreisen innerhalb des Bezirkes und des Landes. Diese Figur des Tragens schreibt die totale Erniedrigung des Afrikaners und seiner Verortung im Tierreich fest. So reisten deutsche wie französische Kolonialbeamte und Kleriker zwischen „ciel et terre“, auf Rücken, Köpfen oder Schultern schwarzer Träger, die sich unter Umständen zu einer Art ‚Menschen-Kanu‘ (Hommes-Pirogue)32 des Weißen wandelten. Das oben genannte gesetzliche Dispositiv des Tragens galt also auch fürs Tragen dieser Menschen. Wenn man sich die Art des Tragematerials (Hängematte, Sessel oder Armstuhl, Tipoye/Palanquin etc.) genau ansieht, kann man problemlos den Rang des Getragenen erraten. Kolonialadministratoren auf Dienstreise in Afrika (Bernhard Dernburg), Gouverneure einer Kolonie und Kolonialbeamte (Zahlmeister Fritsch, Bild 3), Kultusminister in der Kolonie und Geschäftsleute

31 Vgl. Morlang (2008): S. 60. 32 Dieses Bild verdanke ich meiner 10jährigen Tochter: Bei der Vorbereitung meines Referats sah Manuella das Bild Nr. 3 und schrie erstaunt: „Papa! Les gens se transforment en pirogue pour transporter une personne?“

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nutzten bedenkenlos dieses Transportmittel. Wie zeitgenössische Photographien zeigen, marschierten die vier Träger der beförderten Behörde an der Spitze des Konvois, und diejenigen, die ihre Koffer und Sachen zu tragen hatten, hinterher. Abb. 3: Wie der Europäer in Afrika über den Fluß geht

Quelle: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de [Zugriff: Febraur 2018].

D AS

POSTKOLONIALE

T RÄGERWESEN

Im Transportsektor erlebt die Postkolonie die Koexistenz von modernen Verkehrsmitteln und Trägerwesen. Der Bau moderner Verkehrsmittel (Straßen und Eisenbahnen) und die Einführung von modernen Transportmitteln (Rikscha, Fahrrad, Wagen und sonstigen Fahrzeugen) haben dem Trägerwesen in Kolonial- wie in Postkolonialafrika kein Ende gesetzt. Bereits im kolonialen Zeitalter wurden Güter aus unwegsamen Gebieten mit Menschenkraft zu den Sammelpunkten befördert, um von diesen Punkten aus mit den wenig vorhandenen Maschinen in allen Richtungen weitertransportiert zu werden. Heutzutage noch lebt das Trägerwesen fort, denn arme Menschen und Familien, die zwar moderne

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Fahrwege benutzen, müssen ihr Gepäck manchmal über sehr lange Strecken selbst tragen. Ferner begegnen uns variable Formen eines residualen administrativen Tragens. In der Postkolonie verfügt das Behördenträgerwesen fortan über moderne Transportmittel. Für Dienstreisen nutzen Beamte und alle Führungspersönlichkeiten moderne Dienstwagen oder die vorhandenen öffentlichen Transportmittel. Doch was die Behörden anbelangt, so begegnet uns ab und zu eine Form residualen Beamtentragens, das sich aus diversen Gründen manifestiert: a) als Rache für die erniedrigenden und traumatisierenden kolonialen Behördenträgerdienste, die schwarze Afrikaner hatten erdulden müssen. So zwang Präsident Idi Amin Dada von Uganda 1975 einige europäische Diplomaten in Kampala, ihn in einem Sessel durch die Stadt zu tragen. b) Aus Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Anlässlich eines Staatsbesuchs in der ehemaligen Kongokolonie 1970 ließen sich der belgische König Baudouin und seine Gattin in Kinshasa und Kisangani (Zaïre) von kongolesischen Trägern durch die Stadt promenieren. Wie die Bilder und Aufnahmen dieses ‚Spaßes‘ zeigen, genossen die Ehrengäste diese Zur-Schaustellung offensichtlich (Bild 4). Abb. 4: Le roi Baudoin de Belgique et la reine Fabiola saluent la foule lors de leur visite à Kisangani au Zaïre (RDC), le 29 juin 1970 (© 2009 AFP)

Quelle: http://threatofrace.org/category/slideshow/ [Zugriff: 22.4.2016]

c) Als Ehrung des afrikanischen Nachfolgers des weißen Beamten in einer staatlichen Machtposition. In Kamerun ist es inzwischen Usus, dass einige Beamte nach ihrer Nominierung für wichtige Machtpositionen in der hohen

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Administration in ihre Herkunftsregionen zurückfahren, um diese Distinktion mit den Ihren zu feiern. In Identifikation mit der kolonialen Aggression und dem ehemaligen Angreifer neigt die Bevölkerung in einigen Ortschaften dazu, dem geehrten „illustre fils“ ein Privileg zuteil werden zu lassen, das allein früher dem weißen Kolonialbeamten gewährt wurde. In den Mentalitäten ist die Tatsache tief verankert, dass dem Nachfolger des Weißen dieses Privileg gebührt. Und es finden sich immerhin Intellektuelle, die sich so zelebrieren lassen wie dieser Minister, den die Öffentlichkeit am 24. Januar 1998 in der Stadt Akonolinga „entre ciel et terre“ sah, getragen von sechs schweißgebadeten Männern, wie dies in der Zeitung zu lesen ist: „Un Ministre entre ciel et terre“, on peut lire sur la toile de Cameroun actualité: Lorsqu’il occupait le poste de vice-doyen à la Faculté des Lettres et Sciences humaines de l’université de Yaoundé, Pius Ondoua, professeur de philosophie africaine ne recevait presque pas ses étudiants dont les sollicitations étaient multiples. Aux secrétariats généraux des ministères de l’Enseignement Supérieur puis de la Culture on lui reprochait sa morgue hautaine […]. La réalité est qu’en fait, M. Pius Ondoua vivait depuis longtemps sur un nuage, sa nomination au „poste prestigieux“ de ministre de la république ne l’a pas ramené sur terre, bien au contraire. Le peuple camerounais l’a redécouvert, médusé […] le 24 janvier dernier. Ce jour mémorable, les populations de la localité d’Akonolinga, bourgade située à une centaine de kilomètres de Yaoundé recevaient solennellement leur „illustre fils“. Ce que l’observateur ou l’homme de la rue aura retenu de cette sortie hautement médiatisée est une image, à la fois expressive et choquante, ubuesque disent certains; celle de M. Ondoua transporté sur une chaise à porteurs par six gaillards tout en sueur. Une image des corvées qu’infligeaient les colons aux nègres!33

d) Das Tragen der postkolonialen afrikanischen Führungselite wird oft inszeniert als herbe Kritik an der Unterdrückung der Bevölkerung durch den schwarzen Nachfolger des weißen Kolonialherren (Minister, Präfekt und Regionsgouverneur). Denn die afrikanische administrative Behörde genießt in manchen Fällen solche Privilegien, die einst nur den weißen Kolonialbeamten vorbehalten waren, ohne sich jedoch um die Probleme der in Armut verharrenden Bevölkerung zu sorgen. Diese Inszenierung der afrikanischen postkolonialen Elite zeigt sie als die Bürde des schwarzen Mannes in seinem eigenen Land, wie man im

33 Ausgabe v. 31. Januar 1998, URL: www.iccnet.cm/cam_actu/societe/s, zit. n. Kom, Ambroise: „Les fondements identitaires d’une intelligentsia africaine d’après Amadou Hampâté Bâ“. In: Albert, Christiane (Hg.): Francophonie et identités culturelles. Paris, Karthala, 1999, S. 197-212, hier S. 210 (Hervorhebung von mir).

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Jahre 2007 am Karneval von Popo in der Elfenbeinküste sehen konnte (Bild 5). Dieses Verhalten der afrikanischen Führungselite macht aus ihr ein Hindernis für die Entwicklung ihres Kontinents. Abb. 5: Spectacle sur la colonisation au Popo carnaval à Bonoua en Côte d’Ivoire (Thierry Gouegnon/Reuters)

Quelle: http://www.tourdivoire.net/culture-bonoua-en-fete-de-popo/ [Zugriff: 22.4.2015]

S CHLUSSBEMERKUNGEN Zur Beförderung von Gütern war das Trägerwesen im vorkolonialen Afrika genauso wie in Afrika unter europäischer Kolonialherrschaft unentbehrlich. Träger halfen beim Transport von Produkten und Waren in alle Richtungen. Ohne ihre Unterstützung wären die Forschungsreisen der ersten Deutschen in Kamerun nicht denkbar gewesen. Zu Anfang der deutschen Herrschaft über Kamerun waren die deutschen Kolonisatoren mit dem Trägerproblem konfrontiert: Die Völker der Küste als Tor zum Land waren nicht bereit, ihnen als Träger zu helfen. Als erste Lösung holten sie fremde professionelle Träger aus den Nachbarländern ins Land. Danach organisierten sie den Sektor und reglementierten das Metier des Trägers. Doch im Zuge der administrativen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes erwiesen sich diese Lösungen als unzureichend. So mussten die Gegner des Tragens dazu gezwungen werden. Neben dem bisherigen freiwilligen Träger fand sich somit der Zwangsträger. Zwei für die Kolonisation unentbehrliche Trägerfiguren stellen das Trägerkorps für die Armee und die Schutztruppe als Trägerin der Kolonialbewegung dar. Auf

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dem Schlachtfeld war die Schutztruppe auf die Unterstützung des Trägerkorps angewiesen. Da es sich in der Tat um eine Söldnertruppe handelte, war sie ebenso unerbittlich wie grausam. Sie half bei der Unterwerfung der Völker und der Zwangsrekrutierung von Trägern und Arbeitern für deutsche Pflanzer und Geschäftsleute. Die Schutztruppe wurde selbst wiederum getragen von Afrikanern, denn abgesehen von den Führern bestand jedes Schutztruppendetachement fast ausschließlich aus Schwarzen. Damit überhaupt kolonisiert wurde, trug der Kolonisierte in der Tat nicht nur den Kolonisator, sondern die ganze Bewegung selbst. Getragen wurden im Zivilbereich nicht nur Güter (Elfenbein, Gummi, Kisten und Koffer, Export- und Importwaren etc.), sondern auch der europäische Kolonist. So war aus dem Träger, eigentlich dem Verantwortungsträger nach Kiplings Formel, ein dauerhaft Getragener geworden: der Europäer als Bürde des Schwarzen Mannes; eine Last, die auch nach dem Ende der Kolonisation ihren Träger weiter unterdrückt, wenn man das Verhalten der postkolonialen Führungselite gegenüber dem Volk genauer betrachtet: die Söldnermentalität und der Habitus des Sich-Tragen-Lassens ohne Rücksicht auf das Leiden der Träger.

L ITERATUR Bechhaus-Gerst, Marianne: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen – Eine Lebensgeschichte. Berlin, Links, 12007. Bechhaus-Gerst, Marianne & Leutner, Mechthild (Hg): Frauen in den deutschen Kolonien. Berlin, Links, 2009. Deutsches Kolonial-Lexikon, hg. von Heinrich Schnee. Leipzig, Quelle & Meyer, 1920, 3 Bde. URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/ Bildprojekt/Lexikon/Standardframeseite.php [Zugriff: Februar 2018]. „Deutsch-Ostafrika 1885-1919. 1. Weltkrieg“, URL: https://www.deutscheschutzgebiete.de/ ostafrika_1914.htm [Zugriff: Februar 2018]. Dikoumé, Albert: „Du portage comme point de départ de l’économie coloniale au Cameroun“. In: Annales de la Faculté des Lettres et Sciences Humaines, Nr. 2 (1985). Djomo, Esaie: Imperiale Kulturbegegnung als Identitätsstiftungsprozess. Studien zu Literatur, Kolonialität und Postkolonialität. St. Ingbert, Röhrig, 2011. Djomo, Esaie: „Mercenaire dans son propre pays. Une étude diachronique de l’Elite africaine dans la littérature coloniale et postcoloniale“. In: Djomo, Esaїe & Gouaffo, Albert (Hg.): Germanistik in und zwischen den Kulturen, Festschrift für David Simo zum 25jährigen Wirken an der Universität Yaoundé. Leipzig, Leipziger Universitätsverlag, 2004, S. 62-79.

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Etoga F., Eily: Sur les chemins du développement. Essai sur l’histoire des faits économiques du Cameroun. Yaoundé, CEPER, 1971. Hodges, Geoffrey: Kariakor. The Carrier Corps: The Story of the Military Labour Forces in the Conquest of German East Africa, 1914 to 1918. Nairobi, Nairobi University Press, 1999. Hutter, Franz: Wanderungen und Forschungen durch das Hinterhochland von Kamerun. Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1902. Johnson, H.T.: „The Black Man’s Burden.“ In: Voice of Missions, VII (Atlanta, April 1899), 1. Reprinted in Willard B. Gatewood, Jr.: ,Black Americans and the White Man’s Burden, 1898-1903. Urbana, University of Illinois Press, 1975, 183-184. URL: http://historymatters.gmu.edu/d/5476/ [Zugriff: 22.3.2016]. Kipling, Rudyard: The White Man’s Burden (1899). URL: www.loske.org/html/school/history/c19/burden_full.pdf [Zugriff: 22.3.2016]. Kolonie und Heimat in Wort und Bild. Unabhängige koloniale Wochenschrift. Organ des Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft. Berlin, Verlag kolonialpolitischer Zeitschriften, Nr. 10 (1907). Kom, Ambroise: „Les fondements identitaires d’une intelligentsia africaine d’après Amadou Hampâté Bâ“. In: Albert, Christiane (Hg.): Francophonie et identités culturelles. Paris, Karthala, 1999, S. 197-212. Morlang, Thomas: Askari und Fita-Fita. „Farbige“ Söldner in den deutschen Kolonien. Berlin, Links, 2008. Passarge, Siegfried: Adamaua: Bericht über die Expedition des Deutschen Kamerun-Komitees in den Jahren 1893-94. Berlin, Reimer, 1895. Saha, Zacharie: Le „Bezirk“ de Dschang: Relations entre l’administration coloniale allemande et les autorités traditionnelles (1907-1914). Unveröff. MA-Arbeit. Université de Yaoundé, 1993. Zintgraf, Eugen: Nord-Kamerun. Schilderung der im Auftrage des Auswärtigen Amtes zur Erschließung des nördlichen Hinterlandes von Kamerun während der Jahre 1886-1892 unternommenen Reisen. Mit 16 Illustrationen und 1 Karte. Berlin, Reimer, 1895.

Für eine Kulturgeschichte des Trägers Anthropologische Repräsentationen und diskursive Praktiken in Berichten französischer Reisenden in Zentralafrika S YLVÈRE M BONDOBARI

In seiner Darstellung von „Schwarzen“ und „Weißen“ im französischen Schwarzafrika legt Henri Brunschwig den Schwerpunkt auf das, was er „die Könige des Busches“ nennt, ohne die jegliche Arbeit in der Kolonie zum Scheitern verurteilt sei. Für den Kolonialhistorikersind die ersten „Könige des Busches“ die Dolmetscher, „c’est-à-dire des gens qui parlent français et une ou plusieurs langues indigènes“1. Die Kolonialmacht greift gleich zu Beginn der territorialen Eroberung und dann auch im gesamten Zeitraum des Aufbaus und der Konsolidierung kolonialer Institutionen auf sie zurück. Henri Brunschwig stellt dazu fest: „,Le commandant‘ tout-puissant, était paralysé s’il ne trouvait pas de coopérants noirs disposés à le renseigner et à exécuter ses décisions. […] Rôle capital parce que le commandant d’une part, les chefs coutumiers de l’autre en étaient souvent réduits à croire ce que disait l’interprète, même si sa traduction n’était pas fidèle“2. Zur zweiten Gruppe der „Könige des Busches“ zählt Henri Brunschwig die „schwarzen Häuptlinge“; die dritte Gruppe wird durch Polizisten gebildet, die rekrutiert wurden, um die Entscheidungen des Kommandanten auszuführen.3 Insofern tritt rasch zu Tage, dass Brunschwig bei seinem Vorhaben, Struktur und Funktion der kolonialen Verwaltung zu erfassen, die

1

Brunschwig, Henri: Noirs et Blancs dans l’Afrique française. Paris, Flammarion, 1983, S. 106.

2

Ebd.

3

Ebd., S. 135.

250 | S YLVÈRE M BONDOBARI

Frage der Träger nur oberflächlich und vage behandelt, obwohl es sich bei diesen um eines der wichtigsten Elemente für die koloniale Eroberung ging. In seiner Typologie der Schwarzen scheint Brunschwig die Träger in die Kategorie der „Masse der schwarzen Bauern“ einzuordnen, die er als eine „stumme Mehrheit“ definiert und beschreibt als: „relativement homogène parce qu’intimement pénétrée par les croyances animistes, profondément attachée aux us et coutumes ruraux des genres de vie pratiqués depuis toujours, elle était, aussi depuis toujours, habituée aux dominations successives des chefs militaires 4 qui la rançonnaient“ . Aus der Darstellung Brunschwigs geht deutlich hervor, dass die Träger nicht als eine bestimmte soziologische Gruppe wahrgenommen werden. Als jemand, der ungewollt zum Helfer der Kolonialisierung geworden ist, verliert sich der Träger vielmehr in einer unbestimmten Masse von Bauern, die entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen der Kolonialverwaltung zum Dienst verpflichtet werden. Wenn das Trägerwesen in Äquatorialafrika auch von jeher das Haupttransportmittel für Waren oder wichtige Persönlichkeiten gewesen ist, so muss doch anerkannt werden, dass die moderne Geschichte des Tragens untrennbar mit der Kolonialgeschichte verbunden ist. Der kolonisatorische Auftrag ist es, der das Trägerwesen organisiert, entwickelt und systematisiert. Ein Brief, den Decazes am 17. Dezember 1884 an Dutreuil de Rhins schickt, beweist dies. Dort heißt es: „Le village où nous nous sommes arrêtés n’est pas la demeure du chef de groupe d’Asséné; c’est un homme jeune encore, intelligent et doux, son pouvoir s’étend depuis le village d’Ounkala jusqu’à l’Alima; il peut faire marcher beaucoup de porteurs; c’est surtout le point qui m’intéresse“.5 Das Vordringen ins Innere Afrikas und der Transport von Handelswaren wären ohne die billige und zugleich zufallsbedingte Arbeitskraft, die die Träger darstellten, nicht denkbar gewesen. Für die zum Dienst verpflichteten Bevölkerungsgruppen war das Trägerwesen je nach Situation entweder ein Mittel, um zu Reichtum zu gelangen, oder aber ein furchtbarer Verlust von Freiheit. Dennoch hat die Forschung zur Kolonialkultur der Figur des Trägers und seiner Rolle bei der territorialen Expansion nur wenig Platz eingeräumt. Es waren sehr viel ‚prestigeträchtigere‘ Figuren, auf die die Forschung den Akzent legte. Zu ihnen gehören die traditionellen Chefs, mit denen man Verträge über Gebietsabtretungen zu unterzeichnen pflegte, oder die Figur des Dolmetschers, der als Vermittler zwischen den

4

Ebd., S. 99.

5

Coquery-Vidrovitch, Catherine & Lovejoy, Paul Ellsworth (Hg.): The Workers of African Trade. Beverly Hills (CA), Sage Publications, 1985, S. 298.

K ULTURGESCHICHTE DES T RÄGERS

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Entdeckern und der einheimischen Bevölkerung fungierte 6 , außerdem die Milizsoldaten, die für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung verantwortlich zeichneten. In der modernen Geschichte Afrikas verbindet sich das Trägerwesen chronologisch mit der Epoche, die als Epoche der ‚Öffnung‘ bezeichnet wird. Emmanuelle Sibeud datiert diese im Zeitraum der Jahre 1870 bis 1900. Es handelt sich um eine Zeit, in der es darum geht, „de s’emparer des espaces africains que de démontrer symboliquement la toute-puissance de la science moderne en ouvrant par la force un continent présenté pour l’occasion comme l’ultime bastion de la 7 sauvagerie“ . In der französischen Historiographie entspricht diese Zeit einer tiefen Zäsur, die sich nach der Niederlage des Jahres 1870 im Krieg gegen Preußen auftut. Emmanuelle Sibeud führt dazu aus: „les explorations à destinations de l’Afrique deviennent, pour les Français, des entreprises d’affirmation ou de reconstruction de la grandeur nationale“ (Sibeud: 20). János Riesz unterstützt diese Auffassung ohne jeden Vorbehalt (1993)8, und Henri Brunschwig schreibt: Désireux tout à la fois de servir la patrie humiliée par la perte de l’Alsace-Lorraine, de fuir la société trop rigide d’Europe pour pratiquer outre-mer la vie aventureuse de l’explorateur et la communion avec la Nature prêtée au légendaire „bon sauvage „et, enfin de s’enrichir en fondant des établissements nouveaux ces hommes jeunes et pauvres s’opposaient aux militaires et aux marins qui contrôlaient l’administration des colonies. Ils

6

Hampaté Bâ, Amadou: L’étrange destin de Wangrin. Paris, 10/18, 1999.

7

Sibeud, Emmanuelle: Une science impériale pour l’Afrique? Paris, Éd. de l’École des Hautes Études en Sciences Sociales, 2002, S. 19.

8

„Es ist fast ein Gemeinplatz zu sagen, daß die koloniale Expansion Frankreichs nach 1870/71 vor dem Hintergrund der Niederlage gegen Preußen-Deutschland zu sehen ist, daß Schriftsteller, Historiker, Intellektuelle und Journalisten die Idee einer zivilisatorischen Mission Frankreichs entwickelten, daß man in dem entstehenden Kolonialreich nicht nur eine Kompensation für die verlorene Provinz Elsaß und Lothringen sah, sondern auch ein Terrain, auf welchem die französische Nation ihre militärischen Tugenden weiterhin erproben und unter Beweis stellen konnte, um sich damit auf die Große militärische Auseinandersetzung mit Deutschland vorzubereiten und die von Frankreich abgetrennten Regionen wieder zu erobern.“ Riesz, János: Koloniale Mythen – Afrikanische Antworten. Frankfurt/M., IKO Verlag, 1993, S. 125. Siehe dazu auch: Lüsebrink, Hans-Jürgen: „Die Niederlage als Trauma – L’Empire Colonial als Kompensation“. In: Grunewald, M. & Schlobach, J. (Hg.): Vermittlungen – Médiations. Aspekte der deutsch-französischen Beziehungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/M., 1992, S. 357-370.

252 | S YLVÈRE M BONDOBARI critiquaient la guerre et le système bureaucratique qui freinaient les Initiatives individuelles et la mise en valeur pacifique.9

Emmanuelle Sibeud zufolge kehren stets drei Argumente wieder, die diese Schwärmerei für das rechtfertigen, was man in jener Zeit das ‚Hinterland‘ nannte: Erstens die Notwendigkeit, den weißen Fleck kleiner zu machen; zweitens die koloniale Expansion als Ablenkung vom verletzten Nationalstolz; drittens der dialektische Gegensatz zwischen der französischen Geistesgröße und der afrikanischen Wildheit. Pierre Savorgnan de Brazza gehört zu der gleichen Generation wie Olivier Pastré de Sanderval, Paul Soleillet und Denis de Rivoyre, die alle die Idee einer friedlichen Eroberung im Rahmen einer Art von Zusammenarbeit mit den ‚indigenen‘ Völkern verteidigen. Er schreibt sich ein „au sein de l’entreprise, savante et collective, de découverte du monde par la réduction 10 systématique des blancs de la carte“ . Die vorliegende Untersuchung, die sich vor allem mit den Berichten der von Pierre Savorgnan de Brazza geleiteten Mission de l’Ouest africain (Westafrikanischen Mission) (1874-1885) beschäftigt, stellt den Versuch dar, die Frage des Trägerwesens nicht nur als Form des Transports zu begreifen, sondern auch als einen Ort, an dem der Entdecker und die einheimische Bevölkerung in Beziehung zueinander treten. Das, was uns hauptsächlich beschäftigen wird, sind die kollektiven Darstellungsmuster und diskursiven Praktiken, die die spezifische Figur des Trägers konstruieren. Es wird darum gehen, den Habitus des typischen Trägers anhand der Lektüre von Briefen und Reiseberichten zu konstruieren bzw. zu rekonstruieren, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Rekrutierung der Träger, ihrer Arbeitsbedingungen und der Beziehungen, die sie zu den Kolonisatoren sowie anderen Bevölkerungsgruppen der Region unterhielten. Unsere Annäherung an das Trägerwesen erfolgt zweigleisig, nämlich ausgehend von einer doppelten Perspektive: Die erste richtet sich auf die Praxis. Es geht darum, herauszufinden, was hier überhaupt transportiert wird und warum die Notwendigkeit besteht, diese oder jene Waren von einem Ort zum anderen zu befördern. Wir werden am Beispiel der Mission de l’Ouest africain sehen, wie das Trägerwesen ein strukturierendes Element der kolonialen Eroberung ist. Die zweite Perspektive wird es uns erlauben, die Beziehung zwischen Entdeckern und Einheimischen in Bezug auf Narrative und Diskurse in Augenschein zu nehmen (einbezogen werden sowohl anthropologische als auch ökonomische

9

Brunschwig (1975): S. 166-167.

10 Surun, Isabelle: „Les figures de l’explorateur dans la presse du XIXe siècle“. In: Le Temps des médias. Nr. 8, Nouveau monde éditions, 2007, S. 57-74, hier S. 59.

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und ethnographische Diskurse). An dieser Stelle werden wir von der Kulturgeschichte des Trägerwesens als einer Geschichte des Anderen in seiner Beziehung zum Tragen sprechen. Es handelt sich darum, sowohl Darstellungsweisen als auch Ausdrucksformen zu analysieren.

K OLONIALISIERUNG

UND LOGISTISCHE

P ROBLEME

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts stellt Afrika für Europa noch immer ein Kontinent mit unbestimmten Konturen dar.11 So bleibt zum Beispiel für die Mehrheit der westlichen Bevölkerung „Schwarzafrika „un continent mythique où les trafiquants d’esclaves ont quelques raisons de s’aventurer“, wie Yves Monnier 12 berichtet. Von nun an wird Afrika, von dem bisher nur die Stationen und die Befestigungsanlagen bekannt waren, die man entlang der Küsten errichtet hatte, zum Gegenstand der allgemeinen Begierden. Eine Welle von Missionaren, Gelehrten, Militärs und Abenteuern fluten in die terra incognitahinein und bringt auf diese Weise die Figur des Entdeckers hervor. Nach der Gründung der Association pour la découverte de l’Afrique (des „Vereins zur Entdeckung Afrikas“) durch die Engländer wird die Veröffentlichung der Reisen durch diejenigen genehmigt, die im Rückgriff auf Yves Monnier als „Beauftragte“ bezeichnet werden können. Unterstützt werden sie durch Karten. Was die Franzosen anbelangt, so gibt es gleich mehrere Erklärungen für diese Reise „dans ‚l’intérieur‘ de l’inconnu“.13 Es ist daher Yves Monniers Recht zu geben, der schreibt: Les nouveaux voyageurs vont jeter un regard différent sur l’Afrique. Une curiosité scientifique, parfois désintéressée mais souvent prospective, une passion antiesclavagiste fréquemment manipulée par des intérêts mercantiles, un gout prononcé pour l’aventure et la découverte sans beaucoup de considération pour l’Autre, une volonté d’évangélisation fondée sur d’honorables certitudes évacuant d’autant plus facilement le risque d’acculturation, un humanisme militant nourri d’une foi indéfectible dans la mission civilisatrice des grandes nations industrialisées, et notamment de la France légitimant par avance, la

11 „Son image restait floue: de grands vides subsistaient à l’intérieur des terres et le tracé du littoral lui-même était incertain, laissant apparaître quelques tirets, voire quelques blancs. Les paysages relevaient plus de la fantasmagorie que d’une composition pertinente à partir de données climatiques, topographiques et botaniques“. In: Monnier, Yves: L’Afrique dans l’imaginaire français (fin du XIXe siècle – début du XXe siècle. Paris, L’Harmattan, 1999, S. 7-8. 12 Ebd., S. 8. 13 Surun (2007): S. 57.

254 | S YLVÈRE M BONDOBARI politique coloniale, autant de sentiments qui animent ces hommes qui vont se lancer sur les pistes ou sur les fleuves et rivières de l’Afrique.14

Mehrere „Gefühle“ beseelen also die Abenteurer bei ihrer Afrikaerfahrung. Evangelisierung, Handel, Suche nach sich selbst, Humanismus, wissenschaftliche Forschung stellen alle gleichermaßen eine Logik dar, die die beispiellose Woge von Reisenden rechtfertigt, die sich über Afrika ergießt. Diese Entdecker, Missionare, Abenteurer usw. durchqueren Afrika in allen Himmelsrichtungen und erschließen so das Innere des Kontinents. Pierre Savorgnan de Brazza, ein junger Offizier der Marine, der italienischer Herkunft und naturalisierter Franzose ist, wird im französischen Apparat der Zeit durch die berühmte Mission de l’Ouest africain sehr schnell zu großer Bedeutung gelangen. Seine erste Reise, die er bei äußerst geringen finanziellen Mitteln mit Hilfe des mit seiner Familie befreundeten Ministers der Marine organisiert, erlaubt es ihm, in den Jahren zwischen 1875 und 1878 das Hinterland Gabons zu erkunden. Sein Aufbruch erfolgt mit einem Budget von 10 000 Franken und unter Mitnahme von drei Begleitern. Nach erfolgreicher Beendigung dieser ersten Reise organisiert er in den Jahren 1878 bis 1885 drei weitere Reisen, und zwar unter Verwendung von sehr viel größeren Reise-Teams und mit einer sehr viel besseren, finanziellen Ausstattung. So stehen Brazza für seine Reise in den Kongo, die in die Jahre 1883 bis 1885 fällt, die Rekordsumme von 1 250 000 Franken zur Verfügung. Außerdem vermag er vierundzwanzig Mitarbeiter 15 einzustellen. Dennoch ist das, was als Inbesitznahme von Äquatorialafrika dargestellt zu werden pflegt, in Wirklichkeit oft ein gefährliches Abenteuer mit Momenten voller Zweifel, Ohnmacht und Entmutigung gewesen. Für Pierre Savorgnan de Brazza und für die meisten Entdecker von Äquatorialafrika sind Zweifel, Ohnmacht und Entmutigung oft mit Fragen des Transports von Waren inmitten einer Umwelt verbunden gewesen, in der Mensch und Natur als feindlich empfunden wurden und Hilfskräfte schwer zu bekommen waren. Auch wenn man Fahrten auf dem Fluss Ogooué inzwischen ziemlich gut beherrschte, führte die weitere Reise bis zum Kongo Pierre Savorgnan de Brazza und seine Mitarbeiter in ein noch weitgehend unbekanntes und geheimnisvolles Terrain, denn, so er selbst, „la pénétration européenne était négligeable au-delà de Franceville; avant de

14 Monnier (1999): S. 9-11. 15 Vgl. Coquery-Vidrovitch (1969).

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16

s’installer, il fallait pénétrer dans une zone nouvelle d’exploration“. Nicht nur die fehlenden Kenntnisse in Bezug auf das Hinterland, sondern auch der Transport von Waren bis zum Kongo stellten ein regelrechtes Dilemma dar. Ein Weg durch das Land muss gebahnt und Gepäckstücke auf dem Rücken von Menschen auf einer Strecke von ca. 170 Kilometern transportiert werden, „le premier quart à travers savane et forêt, le reste sur les sables du plateau qui ralentissaient la 17 marche“, so der Bericht der Mission de l’Ouest africain. Fortan wird sich die Frage der Logistik stellen. Wie kann es gelingen, Träger in einem Land anzu18 heuern, in dem es keine gibt, fragt sich Pierre Savorgnan de Brazza. Die Schwierigkeit, Hilfskräfte aufzutreiben, wird Entdecker vom Schlage Brazzas dazu veranlassen, bei der Suche nach Strategien zur Rekrutierung von Trägern mitunter Zwang und Gewalt anzuwenden. Wenn man die kolonialen Praktiken behandelt, stellt sich sogleich die Frage nach der Art von Waren, die transportiert werden sollten. Anders gesagt: Worin bestand eigentlich der Inhalt dieser Dutzenden von Kisten? Wir haben einen Blick in die Ausstattung geworfen, die Brazza bei seiner ersten Entdeckungsreise in den Jahren 1875 bis 1878 mit sich führte: Armes: Quatorze chassepots d’artillerie à cartouches métalliques; quatre fusils de tirailleurs sénégalais; revolvers. Instruments: Deux sextans de poche; deux horizons à glace, à huile et à mercure; un cercle; trois compas d’embarcation; trois compas de poche; trois baromètres anéroïdes; 4 thermomètres; deux chronomètres. Armement: Quatre grappins avec faux-bras; deux cent mètres de filin de petit diamètre; gaffes, marteaux, haches, scies, etc. Campement: Dix-sept couvertures de laine (couvertures d’équipages); 3 couvertures de laine (couvertures d’officier); dix-sept hâvre-sac de soldat (construits avec soin); des caisses aménagées pour l’arrimage facile des objets à transporter; 8 barils, tortis, etc. Munitions: Cinq fusées de guerre dans une boite étanche en plomb; vingt-quatre fusées de signaux par paquets de huit, dans trois boites étanches en plomb; trois mille cartouches métalliques de chassepot pour exercer les laptots au tir avant le départ; cinq cents cartouches de revolver; vingt kilogrammes de poudre à fusil.

16 Savorgnan de Brazza, Pierre: Conférences et lettres. Trois explorations dans l’ouest africain de 1875 à 1886. Maurice Dreyfous Editeur, 1887; Neuauflage P. Kivouvou, Editions Bantoues, 1984, hier zit. n.: Coquery-Vidrovitch (1969): S. 93. 17 Coquery-Vidrovitch (1969): S. 93. 18 Brazza (1887): S. 20.

256 | S YLVÈRE M BONDOBARI Médicaments: Sulfate de quinine, alcool et poudre de quinquina, arséniate de soude, émétique, sulfate de morphine, laudanum, rhubarbe, pilules de fer, nitrate d’argent, glycérine, acide phénique, extrait de saturne, camphre, sinapismes, toile à cataplasmes, taffetas gommé, agaric, charpie, bandes. Vivres: Biscuit, riz, café, sucre, sardines en daubage, eau-de-vie, vivres d’hôpital, chocolat. Marchandises de traites: Six cents kilogrammes de sel, quarante fusils à pierre destinés à être offerts en cadeaux, des étoffes, verroteries, couteaux, rasoirs, fusils à pierre.19

Abgesehen von den Medikamenten, den Vorräten an Nahrungsmitteln und Waffen erreicht Brazza Franceville im Jahre 1883 ausgestattet mit Handelswaren, ohne die kein Vertrag zustande kommen und unterzeichnet werden kann. In der Tat hängt die Autorität des Europäers während der fortschreitenden Eroberung und territorialen Inbesitznahme entweder von der Durchschlagkraft der Waffen oder von seiner Fähigkeit ab, durch die Austeilung von Geschenken das Vertrauen der einheimischen Bevölkerung zu gewinnen. Brazza scheint von seinen Waffen nur selten Gebrauch gemacht zu haben; bei seinen Verhandlungen mit den Chefs dienten seine Waren also als Hauptargument. Das zeigt, dass die Pakete einer funktionellen Logik gehorchten. Dies geht aus einem Brief hervor, in dem der Gefreite Roche Brazza in Kenntnis davon setzt, dass die Vorräte zur Neige gehen: „Le portage va mal. Devant le mauvais effet de l’étoffe avariée, Mr Decazes a fait donner un verre de sel de plus à titre de compensation. Cela l’a ranimé mais bien peu; il faut absolument de l’étoffe. Je reçois des pagnes d’une brasse, ils ne peuvent remplacer l’indienne, même à 20 deux brasses par porteur […]“ . Das Trägerwesen beruht letzten Endes auf mehreren Strategien, die sich mehr oder weniger komplementär zueinander verhalten: Erstens ist es die Antwort auf ein ökonomisches Bedürfnis, denn es erlaubt den Versand von Waren, die als Tauschgegenstände dienen sollen. Mit den versandten Waren beginnt die einheimische Bevölkerung, in einen sich mit der Zeit immer weiter entwickelnden, ökonomischen Kreislauf einzutreten, der in den eroberten Gebieten das jeweilige Kräfteverhältnis verändern wird. Zweitens erfüllt das Trägerwesen insofern politische und strategische Funktionen, als die Produkte den Prozess vorantreiben, Aushandlungen vor Ort zu vereinfachen. Als Geschenke scheinen die Produkte von den lokalen Chefs gern gesehen worden zu sein. Als letzter Punkt ist die soziokulturelle Dimension des Trägerwesens zu 19 Ebd., S. 18-19. 20 Coquery-Vidrovitch (1969): S. 290.

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nennen. Die Handelswaren, die mit Blick auf die afrikanischen Notablen, die Träger selbst sowie die Elite der Einheimischen importiert werden, lassen neue Bedürfnisse entstehen, die ihrerseits neue soziale Strukturen hervorbringen. Die Waren sind Ausdruck der Absicht Europas, die eigene Lebensweise und damit letztlich auch die eigene Art und Weise, zu denken, durchzusetzen. Die zweite Frage, die sich nun bezüglich des Trägerwesens stellt, steht in Verbindung zum Transport an sich. In den ersten Jahren der Entdeckungsreisen beschränkten sich die Europäer auf die Küsten. Sie folgten auch dem Verlauf der Flüsse. In Gabon war hierbei vor allem der Ogooué von Bedeutung. In dieser ersten Phase waren die Träger noch entbehrlich. Die Europäer griffen eher auf die Paddler der Akandais oder Adumas zurück, die die Waren bis nach Lambaréné und Ndjolé bzw. in späterer Zeit bis zu den Toren von Akanda brachten. Probleme stellten sich ein, sobald es darum ging, das Hinterland von Gegenden zu erkunden, in denen die Wasserwege aufgrund von Stromschnellen und Wasserfällen nicht mehr befahrbar waren. Es ist genau dieses Problem, mit dem sich Pierre Savorgnan und seine Mannschaft nach ihrer Ankunft in Masuku (Franceville) konfrontiert sahen. Es ist eine wichtige Feststellung, dass Pierre Savorgnan de Brazza nach seiner Fahrt über den Ogooué-Fluss zum ersten Mal seiner Ratlosigkeit Ausdruck verleiht. Er wurde sich bewusst, dass er auf dem Landweg würde weitergehen müssen, wenn er seine Reise zum Abschluss bringen wollte. Mehrere Lösungsmöglichkeiten existierten für die Reisegesellschaft, an deren Spitze er stand. Die erste könne, so der Entdecker, darin bestehen, „à raccoler (sic) [à droite et à gauche] un à un des hommes qui, une fois le paiement reçu, abandonnaient le plus souvent leur fardeau à moitié chemin. Pour comble d’exaspération, nous constatâmes, une fois le transport terminé, que 21 plusieurs de nos caisses avaient été ouvertes et en partie dévalisées“ . Eine zweite Lösung könnte darin bestehen, die Dienste einstiger Sklaven zu bezahlen: „Il nous restait une dernière ressource: celle d’employer des esclaves comme porteurs. J’avais déjà essayé, l’année précédente, d’utiliser des esclaves comme interprètes; mais l’essai n’avait point réussi. A peine rentraient-ils dans leur pays 22 qu’ils me quittaient, usant de la liberté que je leur avais donnée dès l’origine“ . Oder man griff auf Völker zurück, die bereits in den ökonomischen Kreislauf integriert waren. Dies war der Fall bei den Batéké in der Gegend des oberen Ogooué. Wir werden den Akzent auf diese dritte Lösung legen, denn Brazza schreibt in großer Ausführlichkeit über seine Zusammenarbeit mit dieser im Osten Gabons lebenden Bevölkerungsgruppe.

21 Brazza (1887): S. 30. 22 Ebd., S. 37.

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T RÄGERWESEN UND K ULTURANTHROPOLOGIE . D IE O GOOUÉ -V ÖLKER Die Öffnung der Trägerstrassen in der Gegend der oberen Ogooué erfolgte also durch die Mission de l’Ouest africain von Pierre Savorgnan de Brazza. Die Praxis des Tragens ist für einen Entdeckungsreisenden, der als friedfertig dargestellt wird und sich nun plötzlich gezwungen sieht, einen Diskurs der Rechtmäßigkeit sowie moralische und anthropologische Rechtfertigungsstrategien zu entwickeln, keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Er argumentiert, dass bestimmte Völkerschaften von ihren physiologischen Eigenschaften her für die Übernahme von Trägerdiensten prädestiniert seien. Diese Ideen erlauben es Brazza, eine Klassifikation der einheimischen Bevölkerungsgruppen vorzunehmen, die deren jeweilige Fähigkeit zum Tragen zum Gradmesser nimmt. Vier Kriterien kehren in seinen Berichten stets von Neuem wieder: Ortskenntnis, Fügsamkeit, Ehrlichkeit und Durchhaltevermögen. Die Erstellung einer solchen Klassifizierung impliziert nun aber eine Art von Sozial- und Kulturanthropologie sowie eine Anthropologie des menschlichen Körpers, durch die sich, so die These, die jeweiligen Völkerschaften voneinander unterschieden. Der Zeitdruck, unter dem Brazza steht, hindert ihn daran, auf diese Weise über die jeweiligen Menschen sowie ihr soziales und kulturelles Milieu nachzudenken, und so verlässt er sich einfach auf seinen Instinkt und auf die Beobachtungen, die die Männer seiner Mannschaft ihm zutragen. Es sind die in der Gegend des oberen Ogooué lebenden Batéké, die als einzige alle vier von Brazza aufgestellten Kriterien zu erfüllen scheinen. Der Entdeckungsreisende verweist auf die Bedeutung, die hier einer althergebrachten Tradition zukomme: Ce qu’il y a de bon chez les Batékés, c’est qu’ils sont un peuple de porteur. Ils portent avec une espèce de hotte, du genre de celle portée par nos colporteurs et un homme chemine jour par jour avec 25 ou 30 kilos sur l’épaule d’un pas rapide, sans s’arrêter avant le soir.23

Brazza erwähnt an keiner Stelle den Ursprung dieser Tradition. Seine rückblickenden Beobachtungen lassen vermuten, dass es ihm einzig darum geht, die Anheuerung der Batéké zu rechtfertigen, denn die wenigen Hinweise, über die wir heute verfügen, lassen keineswegs die Schlussfolgerung zu, dass zwischen dem oberen Ogooué und der Gegend des Kongo ein Kontaktnetz wirtschaftlicher Akteure bestanden hätte. Erst nach den ersten Reisen Brazzas wird sich eine Art von Tradition ausbilden, in der das Trägerwesen regelmäßige und bezahlte 23 Ebd., S. 309.

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Formen annimmt und durch den Rückgriff auf Zwischenstationen den langfristigen Austausch zwischen den beiden genannten Gegenden sicherstellt. Was die Kriterien der Ehrlichkeit und Korrektheit betrifft, so bestätigt Brazza: „Tous les témoins reconnurent l’honnêteté et la régularité des Batéké“24. Er nimmt damit die Auffassung Pradiers wieder auf, der schrieb: „Jusqu’ici les vols ont été très rares et il faut se louer de la probité des Batéké.“25 Brazzas Auffassung nach sind die Batéké als exemplarisches Volk durch ihre moralische und körperliche Veranlagungen für diese Art von Arbeit bestens geeignet. Le Batéké est d’une sobriété singulière. Avec un peu de manioc, quelques sauterelles ou quelques chenilles qu’il ramasse à ses pieds tout en marchant et, sans s’arrêter, il satisfait son appétit. Ils sont maigres comme des squelettes et il est surprenant de voir ces carcasses ambulantes porter d’assez forts poids avec tant de désinvolture. Tous ces gens sont gagnés à l’expédition, et tous font régulièrement le service de transport de Franceville à leur pays.

26

Ist der Batéké ein Avatar des guten Wilden aus Amerika oder vielmehr eine neue Konstruktion des französichen Kolonialismus?27 Sobald man die Typologie der Schwarzen untersucht, die von einem Reisegefährten Brazzas entworfen worden war, könnte man geneigt sein, letzteres zu glauben: Les noirs sont, en général, de bonne gens, le tout est de savoir les prendre; il faut agir avec eux comme avec les enfants: les prendre tantôt de front, tantôt les persuader tout en leur donnant des bonbons comme aux enfants. Pour l’Udumbo, par exemple, il faut le commander sans toutefois le maltraiter. Le Batéké au contraire, plus fier et plus méfiant, se prend avec des cadeaux et beaucoup de patience. Quant à l’Apfourou, peuple guerrier mais intelligent, franc et loyal, on obtient tout de lui avec la persuasion, les discours et aussi quelques cadeaux qui au fond sont le moyen le plus sûr.28

Man kann dem Sinn dieser Typologie nachspüren, die konsequent in die Topoi des paternalistischen und kolonialistischen Diskurses mündet, in dem der Afrikaner als „großes Kind „und der Natur nahe stehendes Wesen dargestellt zu werden pflegte. Dieser Diskurs, der vor allen Dingen im 18. und 19. Jahrhundert im Schwange war, hat dazu gedient, die Bevormundung zu rechtfertigen, der Afrika unterworfen wurde. Man begegnet den Darstellungen der moralischen

24 Brazza (1969): S. 94. 25 Pradier, zit. n. Brazza (1887): S. 309. 26 Brazza (1887): S. 309. 27 Vgl. Riesz (1987). 28 Brazza (1887): S. 315.

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und physischen Merkmale der Batéké als eine Art Echo auf diese diskursive Tradition wieder, und diese Merkmale werden aufgerufen, um die Veranlagung der Batéké für die Arbeit des Tragens zu unterstreichen. Un des caractères typiques des Batékés est leur teint très foncé, leurs membres grêles et leurs maigreurs de squelette; ils sont néanmoins nerveux et forts. Les longues marches sur un sol de sable surchauffé ne semblent pas les gêner; assis par terre ou debout, dédaignant l’ombre, ils affrontent, sans être incommodés, les rayons d’un soleil de feu. On devine en eux des hommes habitués aux fatigues et aux privations des grandes marches.29

Die gleiche Schlussfolgerung erscheint, wenn es sich darum handelt, die BatékéFrauen zu beschreiben. Wenn man dem Entdeckungsreisenden Glauben schenken will, sind die Frauen sogar noch stärker als die Männer dazu geneigt, den Beruf des Trägers anzunehmen: „Les femmes batéké, tout en ayant leur fardeau, filent sans rien dire et ne se querellent pas comme les hommes“30. Diese Zeugnisse sind zu häufig, als dass man ihnen mehr als einen nur relativen Beweiswert beimessen dürfte. Alle Attribute, die den Batéké zugeordnet werden, stellen fast ausnahmslos ein Argument zugunsten des Trägerwesens dar. Natürlich begegnet man Adjektiven wie „gut“ oder „folgsam“, aber man kann mitunter an ihrem Demonstrationswert zweifeln. Das gilt für die Beschreibung „assis par terre ou debout, dédaignant l’ombre, ils affrontent, sans être incommodés, les rayons d’un soleil de feu“. Hier werden aus den Batéké Wesen von fast mythischem Charakter jenseits jeder objektiven Wirklichkeit gemacht. In allen Details, die die Autoren liefern, findet man die gleiche Tendenz wieder. Diese beschränkt sich übrigens keineswegs auf den oberen Ogooué. Im Tschad findet man die gleiche „légende du nègre vivant dans la brousse, se nourrissant indéfiniment de racines et pouvant supporter sans inconvénients des fatigues et des jeûnes prolongés“ 31 . Anhand dieser Beispiele lässt sich eine Wendung an sämtliche Forschungsreisenden beobachten, die nun nicht mehr zögern werden, auf die Dienste der Batéké zurückzugreifen. Die Konsequenzen dieser Empfehlung sind umso schwerwiegender, als sie sich auf die Erfahrungen von Pierre Savorgnan de Brazza und seinen Reisegefährten stützen, die nicht zögern, während ihrer zweiten Reise (1883-1885) diese „gefügige“ und billige Arbeitskraft ihrerseits auszunutzen.

29 Savorgnan de Brazza, Pierre: Au cœur de l’Afrique. Vers la source des grands fleuves 1875-1877. [Neuauflage] Paris, Phébus, 1992, S. 187. 30 Jacques de Brazza an seine Mutter, Kenkuna, 5. Juli 1885. 31 Mahieu, zitiert nach Cantournet, Jean: L’axe de ravitaillement du Tchad entre 1900 et 1905. Route de vie – Route de mort, Paris, L’Harmattan, 2001, S. 93.

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Chavannes quitta Franceville le 21 août. Avec huit laptots et trois Batéké, il entreprit de recruter dans les villages; la première caravane de dix-neuf hommes parvint à Diélé le 7 septembre; une semaine plus tard, soixante-deux porteurs arrivaient sous la seule conduite de leurs chefs. Désormais, la surveillance fut inutile; en novembre, le mouvement était devenu considérable.32

In vieler Hinsicht scheint Brazza auf seine Kosten gekommen zu sein. Sein Pragmatismus ist ein bewusster und systematischer. Das Trägerwesen ist weit mehr als nur eine Frage der Bequemlichkeit. Es stellt vielmehr eine Notwendigkeit dar, ohne die die Durchführung seiner Reise gefährdet gewesen wäre. Die positive Darstellung, die er von den Batéké liefert, erlaubt es ihm, die Zeichen und den Sinn herauszulesen, die ein Beziehungsgeflecht bereithält, in der der Entdecker die Spielregeln vorzugeben und durchzusetzen gedenkt. Im Laufe seiner verschiedenen Reisen wird der Batéké zu einem sozialen Typus sowie zu einem Akteur der kolonialen Eroberung umgeformt. Vom diskursiven Standpunkt her sind die Kennzeichen, die Brazza den Batéké zuschreibt, alles andere als willkürlich.33 Hinzu kommt, dass die Kennzeichen mit umso größerer Deutlichkeit hervortreten, je mehr Beispiele und Zeugnisse von anderen Europäern der französische Entdecker anführt. Er erstellt eine panegyrische Komposition, in der bei der Beschreibung der Batéké die Zuweisung positiver Adjektive als etwas vollkommen Natürliches erscheint. Die Beschreibungsmuster, die er entwickelt, um dieses Volk zu beschreiben, stehen meist in direkter Beziehung zur Praxis des Trägerwesens. Wie wir gleich noch sehen werden, enthalten die Attribute, die zu seiner Charakterisierung eingesetzt werden, bereits das Wesentliche der Argumente, denn es wird umgehend bestätigt, die Eignung der Batéké unterliege im Gegensatz zu anderen Völkern der gleichen Gegend, die aus sehr unterschiedlichen Gründen keinerlei Eignung für den Trägerberuf aufwiesen, keinerlei Zweifel. Die Bakanigué34 und die Bawoumbou35 schienen sich vom Verkehr nicht besonders angezogen zu fühlen, und die Ndoumou gingen nicht

32 Brazza (1969): S. 94. 33 Es ist interessant, diese Darstellung mit den ersten Urteilen Brazzas zu vergleichen, der in diesem Kontext schrieb: „Le pays de Batékés, au contraire, dans lequel nous allons nous engager, nous était dépeint sous les couleurs les plus sombres, comme peuplé des hommes adonnés à la guerre et au pillage [….]“. Brazza (1887): S. 31. 34 Bakaniké oder Akanigui: Bevölkerungsgruppe, die zur Untergruppe der Ndoumou gehört und mit den Abamba und den Téké verwandt ist. [Anmerkung S.M.] 35 Bawoumbou: Stamm aus der Gegend des oberen Ogooué und des oberen Ngounié, der mit den Bakota verwandt ist [Anmerkung S.M.].

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das Wagnis ein, sich auf Abenteuer fern ihrer ursprünglichen Lebensorte einzulassen.36 Was wiederum die Obamba anbelangt, so würden sie von den Europäern „comme des guerriers pillards comparables aux Fang“ betrachtet37, was sie von vornherein von der Übernahme von Trägerdienste ausschließe. Diese gefühlsmäßige Haltung gegenüber den Ambama wird in einem Bericht an Pierre Savorgnan de Brazza vom 12. August 1885 verstärkt, in dem der Gefreite Roche über gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den Batéké-Trägern und den Ambama berichtet. Zu diesen Feindseligkeiten sei es aufgrund des Abbruchs des Warenverkehrs gekommen. An dem Bild vom perfekten Träger fällt jedoch auf, dass die Batéké nur dann die positiven Attribute auf sich ziehen, wenn sie mit den Entdeckungsreisenden zusammenarbeiten. Das aber ist nicht immer der Fall gewesen, wie Brazza mit Blick auf seine erste Begegnung mit diesem Volk zeigt: Comme M. Ballay était resté en arrière avec nos porteurs spéciaux, les Batékés au nombre de cinquante jetèrent à un moment donné leurs fardeaux à terre et nous entourèrent en nous menaçant de leurs sagaies. Un instant de faiblesse eût tout perdu, car ces gens-là n’attendaient que l’occasion de piller les bagages; heureusement la fermeté de notre contenance les tint en respect.38

Nach einer Phase des gegenseitigen Vertrautwerdens hatte sich bei den Batéké aus der Überzeugung heraus, für sich Vorteile aus dieser Arbeit ziehen zu können, in der gesamten Gegend schrittweise ein Monopol für die Trägerdienste herausgebildet: „Les Batékés peu à peu s’étaient humanisés en constatant que nos relations étaient fort amicales et surtout accompagnées de grandes générosités. Bientôt ils devinrent nos amis et nous donnèrent des renseignements précieux sur les populations de l’Alima“, schreibt Pierre Savorgnan de Brazza.39 Der Diskurs ist von gegenläufigen Tendenzen durchzogen, die Roger Mercier

36 Oudombo wäre ein deformierter Ausdruck für Ndoumou. [Anmerkung des Herausgebers] In seinem Bericht vom 5. Juli 1884 schreibt der Gefreite Roche: Dans son rapport du 5 juillet 1884: „A Passa, je verrai à prendre les oudombos, je crois que cela entraînerait à un peu d’émulation ou plutôt à un peu de jalousie chez les Batékés et que nous profiterions. Il faudrait par exemple deux hommes à chaque convoi pour donner de la confiance aux Oudombas. Ces hommes reviendraient avec eux pour assurer le retour […]“. Roche, zitiert nach: Brazza (1969): S. 291. 37 Brazza (1969): S. 95. 38 Brazza (1887): S. 32-33. 39 Ebd., S. 37.

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bereits in der Gesamtheit kolonialistischer Diskurse festgestellt und mit den folgenden Worten zusammengefasst hatte: La première impression, née de l’accueil bienveillant, de la vie simple et facile, est en générale favorable, car elle semble confirmer le rêve de vie primitive caressé dès lors par beaucoup de civilisés. Mais quand les tentatives, soit pour gagner les indigènes à ses idées, en les convertissant au christianisme et aux mœurs européennes, soit plus simplement pour tirer parti de leur naïveté supposée dans le commerce se sont heurtées à des résistances, une attitude de ressentissement se substitue à la première, et au lieu de faire retour sur ses propres procédés, le voyageur accuse les peuples rencontrés de stupidité ou de tromperies. Ce jugement défavorable s’étant communiqué de proche en proche, les nouveaux arrivants se tiennent sur la défensive, et c’est ainsi que se constitue peu à peu l’opinion générale.40

Die Bedeutung dieser Darstellungsmuster ist eine doppelte: Während sie uns über die Praxis des Trägerwesens unterrichten, erlauben sie es uns auch, in Ansätzen das Bild des perfekten Trägers zu skizzieren, wie der Entdeckungsreisende es sich ausmalte. Man muss sich Pierre Savorgnan de Brazza auf der Suche nach Trägern vorstellen, die sich alle gleichermaßen als wenig vertrauenswürdig erweisen – bis er schließlich zum Territorium der Batéké gelangt. Es ist dieses Volk, das der Entdeckungsreisende sodann zum Exempel des perfekten Trägers erheben wird.

D AS T RÄGERWESEN UND U MSTRUKTURIERUNG

DIE SOZIALE UND KULTURELLE

Abgesehen von der beeindruckenden Zahl von Trägern, die einen Eindruck von der Intensivierung des Trägerwesens in der Zeit der Ausbeutung der Kolonie vermitteln, ist es dessen Praxis, die vielfältige ethische Fragen aufwirft. Die Einheimischen werden in Lasttiere verwandelt, die in den Dienst einer systematischen Ausbeutung gestellt werden, und diese dient zuallererst den Interessen der Metropole. Sofern sie nicht als Sklaven eingesetzt werden, ist das Trägerwesen für die Einheimischen dennoch eine Verdienstquelle sowie ein Mittel, um an Handelswaren zu gelangen. In diesem Kontext erklärt Pierre Savorgnan de Brazza:

40 Mercier, Roger: L’Afrique Noire dans la littérature française. Dakar, Université de Dakar, 1962, S. 45.

264 | S YLVÈRE M BONDOBARI L’aisance avec laquelle s’instaura le trafic révélait l’envie de marchandises de traite: chaque porteur touchait en effet quatre brasses d’indienne, un verre de poudre, une petite glace, une poignée de cauris, quelques perles et surtout trois verres de sel – produit obtenu seulement jusqu’alors des tribus côtières par la traite des esclaves; le coût de transport s’établit aux alentours de 200 à 250 francs la tonne.41

Der Entdeckungsreisende hebt die Anziehungskraft der Handelswaren hervor und relativiert auf diese Weise die erniedrigende Dimension des Trägerwesens. Das soziale Problem beschäftigt ihn weit weniger. Hier kommen die Vorsicht und die dominierenden Diskurse schneller in ihm hoch. Jenseits aller Zweifel kann man sagen, dass das Trägerwesen in seiner Wirkung für die Völker, die für diese Arbeit eingesetzt werden, zu einem Teufelskreis wird; dass es verhängnisvolle Folgen für das Gleichgewicht der jeweiligen Gesellschaften und Völker hat, die ihre Dörfer verlassen und sich nach einer gewissen Zeit nicht mehr die nötige Nahrung verschaffen können. Doch für die Entdeckungsreisenden ist dies ein Zugang zur Wirklichkeit, der ihnen vollkommen nebensächlich erscheint. In der Tat wird Brazza den gegebenen Rahmen respektieren und eine Ordnung unterstützen, die es ihm erlaubt, Frankreich die Gesamtheit dieser fremden Territorien einzuverleiben. Diese pragmatische Sichtweise hindert den Forschungsreisenden nicht daran, selbst über die Auswirkungen des Trägerwesens nachzudenken und seine Unsicherheit bezüglich der Rechtmäßigkeit dieser Praxis zu zeigen. Brazza kann nicht umhin, festzustellen, dass das Trägerwesen nicht nur die Stärksten unter den Männern zum Dienst verpflichtet, sondern auch die Gesundheit der Träger gefährdet, insbesondere dann, wenn es sich um Kinder handelt: […] Le portage engendra des abus. Le problème était grave: un homme portant de vingtcinq à vingt-sept kilos, le transport de cent tonnes exigeait 4 000 hommes, soit 48 000 journées. Dès janvier 1884 sévit à Diélé la pénurie de vivres: les transports avaient absorbé non seulement tous les Batéké valides, mais aussi les enfants (qui portaient 12 à 13 kilos) et les femmes.42

Für viele Beobachter dieser Gesellschaften stellt das Trägerwesen eine der wichtigsten Geißeln der westlichen Kolonialisierung dar. So erklärt Toqué: Enfin, les Blancs traînaient avec eux ce supplice atroce du portage qui brise et tue et décime: mal effroyable qui arrache l’homme au foyer pour le traîner sur la route et

41 Brazza (1969): S. 94. 42 Ebd.

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l’écraser sous le poids d’un fardeau. Les morts ne se comptaient plus: les villages, charniers horribles, sombraient dans ce gouffre ouvert. Cette corvée s’accompagnait d’un horrifiant cortège de mille maux pourvoyeurs de la mort: famine, maladie, captivité… Et ce martyre continuait toujours.43

Da man den tragischen Aspekt dieser Problematik leicht feststellen kann, gilt, dass die Interessen der Kolonialisierung und die Interessen der betroffenen Bevölkerung nicht immer übereinstimmen, sondern vielmehr in vieler Hinsicht im Gegensatz zueinander stehen. Im Laufe der Zeit gehören die Träger nicht mehr sich selbst. Sie sind Entwurzelte, die eine Art von Entfremdung im marxschen Sinne erleben, denn sie sehen sich unablässig den Versuchungen des Alkohols, der Verschuldung und des Betrugs ausgesetzt. Auch ihr Know-how verliert sich, weil Bevölkerungsgruppen, die zuvor ein sesshaftes Leben führten, nun einem permanenten Hin und Her unterworfen sind, und zwar zwischen den Gegenden, in denen die zu transportierenden Güter lagern, und den Gegenden, die mit eben diesen Gütern versorgt werden sollen. Desgleichen sehen sich hergebrachte, soziale Hierarchien ausghebelt. Man gewinnt den Eindruck, dass die Psychologie des Volks der Téké durch das Trägerwesen freigelegt wird. Das wiederum zeigt, dass die Darstellung der Batéké in den Berichten der beiden letzten Reisen keineswegs einem neutralen Modus von Kenntnissen folgt, sondern dass ihr in Wirklichkeit eine klare Tendenz zugrunde liegt. Das eigentliche Ziel besteht in der Rechtfertigung der Tatsache, dass die Batéké jahrzehntelang dem Frondienst des Tragens unterworfen bleiben werden.

S CHLUSSFOLGERUNG Die Praxis der Trägerdienste ist, da eingelassen in die Geschichte der kolonialen Eroberung, eine Antwort auf eine doppelte Notwendigkeit: eine ökonomische und eine strategische. Das Trägerwesen war das bevorzugte Transportsystem für Lebensmittel und Waren und erlaubte es zugleich, die Bevölkerungsgruppen vor Ort in ein ökonomisches System hineinzuziehen, dessen Auswirkungen mitunter verhängnisvoll für die betroffenen Gesellschaften waren. Die Untersuchung der Berichte der Mission de l’Ouest africain von Pierre Savorgnan de Brazza bringt ans Licht, dass das Trägerwesen für den Kolonialapparat ein unverzichtbares Element darstellte und dass der Erfolg des kolonialisierenden Auftrags im starken Masse von den Trägern abhing. Weil es keine Verkehrswege gab und die Kolonialisierung zuallererst auf dem Austausch von Waren (Handelswaren)

43 Toqué, zit. n. Cantournet (2001): S. 89.

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beruhte, konnten die Entdeckungsreisenden auf diese kostbare Arbeitskraft nicht verzichten. Indessen bewirkten die Rekrutierungsaktionen in den afrikanischen Gesellschaften eine Umstrukturierung, die Schwächung der lokalen Wirtschaftssysteme und das Aufkommen neuer, sozialer Hierarchien. Im Allgemeinen sind zwei Arten von Haltungen als Reaktion auf die Praxis des Trägerwesens zu beobachten: die eine ist kriegerisch. Die Träger greifen dieser Version nach die Entdeckungsreisenden an und verschwinden mit dem gesamten Gepäck. Die Reisenden leben unablässig in der Furcht, dass man sie ausrauben werde. Pierre Savorgnan de Brazza zitiert einige Beispiele für dieses berühmte Missgeschick. Die andere Haltung ist durch Friedfertigkeit und Gelassenheit geprägt. Sie hängt zum einen von der Beteiligung der jeweiligen Bevölkerung am Handel ab – sei es nun als Akteur oder als Vermittler. Zum anderen ist sie das Ergebnis eines vertrauensvollen Verhältnisses, das sich im Laufe des Austauschs herausbildet. Das Interesse, das der Entdeckungsreisende und seine Begleiter dem Volk der Téké beigemessen haben, ist das Ergebnis eben dieser letzteren Haltung, die sich bis hin zu einer Zusammenarbeit entwickelt. In diskursiver Hinsicht entspricht das Bild vom perfekten Träger, das Pierre Savorgnan de Brazza im Laufe seiner Reisen entwirft, ziemlich gut der Tradition der paternalistischen und kolonialistischen Diskurse des 19. Jahrhunderts, die die Verschiedenheit des Anderen nur dann anerkennt, wenn diese sich in sein eigenes Weltbild einfügt und seinem Willen unterwirft. Der perfekte Träger ist daher derjenige, der den Willen des Kolonisators erfüllt und zur Konsolidierung seiner Macht beiträgt. Übersetzung: Anne D. Peiter

L ITERATUR Brunschwig, Henri: „Le docteur Colin, l’or du Bambouk et la ‚colonisation moderne‘“. In: Cahiers d’études africaines. Bd. 15, Nr. 58, 1975, S. 166188. Brunschwig, Henri: Noirs et Blancs dans l’Afrique française. Paris, Flammarion, 1983. Cantournet, Jean: L’axe de ravitaillement du Tchad entre 1900 et 1905. Route de vie – Route de mort. Paris, L’Harmattan, 2001. Coquery-Vidrovitch, Catherine & Lovejoy, Paul Ellsworth (Hg.): The Workers of African Trade. Beverly Hills (CA), Sage Publications, 1985. Copans, Jean: „Pour une histoire et une sociologie des études africaines“. In: Cahiers d’études africaines. Bd. 11, Nr. 43, 1971, S. 422-447.

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Hampaté Bâ, Amadou: L’étrange destin de Wangrin. Paris, 10/18, 1999. Harth, Dietrich (Hg.): Fiktion des Fremden. Erkundung kultureller Grenzen in der Literatur in Literatur und Publizistik. Frankfurt/M., Fischer, 1994. Lüsebrink, Hans-Jürgen: „Die Niederlage als Trauma – L’Empire Colonial als Kompensation“. In: Grunewald, Michel & Schlobach, J. (Hg.): Vermittlungen – Médiations. Aspekte der deutsch-französischen Beziehungen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Frankfurt/M., 1992, S. 357-370. Mbondobari, Sylvère: „Le Factuel et le fictionnel dans la biographie coloniale. Pierre Savorgnan de Brazza dans Sous le casque blanc de R. Dorgeles“. In: Mouckaga, Hugues & Mbondobari, Sylvère & Owaye, Jean-François (Hg.): Vita activa, vita contemplativa. Autour de l’œuvre et de la pensée d’un homme de culture. Mélanges offerts au Professeur Martin Alihanga. Libreville, Editions Raponda Walker, 2012, S. 315-333. Mercier, Roger: L’Afrique Noire dans la littérature française. Dakar, Université de Dakar, 1962. Monnier, Yves: L’Afrique dans l’imaginaire français (fin du XIXe siècle – début du XXe siècle). Paris, L’Harmattan, 1999. Riesz, János: „Afrika – Die literarische Konstruktion eines Kontinents“. In: Droixhe, Daniel & Kiefer, Klaus (Hg.): Images de l’Africain de l’antiquité au XXe siècle. Frankfurt/M., Bern, New York, Paris, 1987, S. 15-19. Riesz, János: Koloniale Mythen – Afrikanische Antworten. Frankfurt/M., IKO Verlag, 1993. Savorgnan de Brazza, Pierre: Conférences et lettres. Trois explorations dans l’ouest africain de 1875 à 1886. Maurice Dreyfous Editeur, 1887; Neuauflage: P. Kivouvou, Editions Bantoues, 1984. Savorgnan de Brazza, Pierre: Au cœur de l’Afrique. Vers la source des grands fleuves 1875-1877. [Neuauflage] Paris, Phébus, 1992. Steins, Martin: Das Bild des Schwarzen in der europäischen Kolonialliteratur 1870-1918. Frankfurt/M., 1972. Surun, Isabelle: „Les figures de l’explorateur dans la presse du XIXe siècle“. In: Le Temps des médias. Nr. 8, Nouveau monde éditions, 2007, S. 57-74.

Lastentragen, antikoloniale Revolten und Repressionen in Logone und Schari (1957-1961) H AROUNA B ARKA

E INFÜHRUNG Die französische Kolonialpolitik bestand aus einer Reihe von Maßnahmen, die eine leichtere Ausbeutung der Kolonien ermöglichen sollten. In Kamerun und vor allem in Logone und Schari stützte sich die Nutzung des kolonisierten Territoriums auf Dienstleistungen und Zwangsarbeiten, wovon das Tragen von der Bevölkerung am meisten gefürchtet wurde. Diese aufs Engste mit der Kolonisierung verknüpfte Praxis hatte zum Ziel, kostenlos Arbeitskräfte, die von der Bevölkerung der ausgebeuteten Gebiete zur Verfügung gestellt wurden, für die verschiedenen Bauprojekte zu nutzen. Das mit Beteiligung und Unterstützung der Kotoko-Sultane organisierte Tragen in Logone und Schari ging mit zahlreichen Schikanen und Entbehrungen einher, weshalb es in der Region höchst unbeliebt wurde. Zunehmende Schikanen führten zu Spannungen in der Bevölkerung, was politische Formationen mit nationalistischen Tendenzen wie die Union des Populations du Cameroun (UPC) und die Union Démocratique d’Action Sociale (UDAS) für sich nutzten. Beide Parteien entwickelten einen antikolonialen Diskurs, der den Kampf für die Unabhängigkeit mit der Abschaffung von Leistungen wie Steuerzahlungen und Trägerdiensten verband. So entstanden und verstärkten sich antikoloniale Haltungen wie die Weigerung, Steuern zu zahlen, sowie eine Kampagne, die zum Ungehorsam gegen das Tragen aufrief und von Bauern sowie politischen Führern in der Region vorangetrieben wurde. Die Antwort der Kolonialverwaltung ebenso wie der traditionellen Autorität auf diese Revolte war sehr heftig, sowohl gegenüber den aufständischen Bauern als auch gegenüber den politischen Formationen, die hinter ihnen standen.

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A LLGEMEINE Ü BERLEGUNGEN DES T RÄGERDIENSTES

UND

R ECHTFERTIGUNG

Das Verständnis und die Bedeutung, die dem Tragen beigemessen wurde, war bei den Beteiligten durch die jeweilige Herkunftszivilisation bedingt. Für die Kolonialverwaltung, die diese Praxis eingeführt hatte, konnte das Tragen als eine Arbeit, ja als kollektive Leistung gelten, die zur Entwicklung und zu einem akzeptablen Grad an Zivilisierung beiträgt. Für die Afrikaner bedeutete es, über Tage hinweg und ohne Entlohnung schwere Lasten für die Kolonialverwaltung zu transportieren. Es war somit nicht mehr und nicht weniger als eine neue Form von Sklaverei, ganz gleich, welche Namen oder welche Rechtfertigung dafür bemüht wurden. So wurden die Dienste oder Zwangsarbeiten, in deren Rahmen das Tragen stattfand, unterschiedlich beurteilt. Für die Kolonialverwalter als Verfechter der Zwangsarbeit hatte das Verständnis der Afrikaner von Arbeit nichts mit dem der Europäer zu tun, wie Rudin unterstreicht: The climate and civilization of Europe have made work a virtue and a social necessity, with Christianity supplying the sanctions behind that point of view. In tropical Africa… Some work is necessary and native do it, in their own way and their own good time. But work is not regarded as a virtue to be cultivated for its own sake… coming for a civilization in with ideas have been conditioned differently, the European looked upon the African as lazy and construed as a moral difference what was really difference in customs.1

Von dieser spezifischen Einstellung ausgehend, galt den Kolonialmächten die Arbeit als eines der Mittel, das die Afrikaner auf den Weg zur Zivilisation führt. Diese Idee wurde von den meisten Siedlern geteilt, wie Léon Kaptue hervorhebt: „Diese falsche Einschätzung war allen Kolonialherren zu allen Zeiten gemeinsam. In diesem Sinne hielt es Europa für seine zivilisatorische Pflicht, den Neger zur Arbeit zu zwingen, denn auf diese Weise sollte der Eingeborene Zugang zur Zivilisation erhalten.“2 So war für die deutsche ebenso wie für die französische Kolonialverwaltung die Zwangsarbeit ein unverzichtbarer Pfeiler für den Erfolg der Kolonisierungsprojekte in den jeweiligen Ländern. Mit derselben Perspektive verfolgten

1

Rudin, Harry Rudolph: German in the Cameroon 1884-1914. A case study in the modern imperialism. New York, greenwood publisher 1968, S. 317-318.

2

Kaptue, Léon: Travail et main-d’œuvre au Cameroun sous régime français: 19161952. Paris, Harmattan, 1986, S. 24.

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übrigens die Missionare das Anliegen, beim kolonisierten Afrikaner das zu bekämpfen, was ihn an der Hinwendung zu Gott hinderte, nämlich die Faulheit.3 Darüber hinaus wurde ein weiterer Grund für die Rechtfertigung von Diensten oder Zwangsarbeiten genannt. So sollten die Kolonien, die vom wirtschaftlichen Fortschritt profitierten, auch zu dessen Verwirklichung beitragen. In diesem Sinne gründete die Kolonialverwaltung die Planung und Realisierung ihrer Wirtschaftspolitik auf verschiedene Elemente, zu denen sehr hohe Steuern und Abgaben für die Finanzierung der einzelnen Projekte zählten. Damit sollte die Kolonie einen Beitrag zu ihrer eigenen Entwicklung leisten, wozu ihr die Verwaltung Dienstleistungen (französisch: corvée) auferlegte. 4 Diese wurden beim Bau von Straßen oder Eisenbahntrassen, bei der Errichtung von Gebäuden oder beim Transport von Postsendungen in Anspruch genommen.5 Angesichts der Art der Tätigkeit und der Bedingungen, unter denen diese zu leisten waren, versteht man gut, weshalb sie von den meisten Betroffenen als neue Form der Sklaverei betrachtet wurden. Zusätzlich zum Zwang kam nämlich hinzu, dass bei den Trägerdiensten jede Missachtung der Vorgaben mit Strafen und Sanktionen belegt wurde. Wer sich der Arbeit entzog, wurde unter deutscher Herrschaft mit folgenden disziplinarischen Strafen belegt: Einschließen in Eisen für eine Dauer von 14 Tagen, bis zu 20 bzw. 25 Schläge mit dem Stock oder der Peitsche.6 Die französische Kolonialverwaltung hat diese Strafen und Sanktionen abgemildert und am 14. Mai 1916 die nach deutscher Regelung vorgesehenen Bußen durch weniger brutale Maßnahmen wie Gefängnis oder Geldstrafe ersetzt. Bei der Konferenz von Brazzaville 1944 wurde der Code de l’indigénat (eine Sammlung von Dekreten der Kolonialverwaltung) verworfen. Dabei galt ein besonderes Augenmerk den beklagenswerten Bedingungen, unter denen die Arbeiter lebten: unzureichende Nahrungsmittelrationen, elende Unterkünfte, geringe Entlohnung, die durch Abzüge in Form von Strafgeldern weiter verringert wurde, Zwangsumsiedelung der Bevölkerung, Arbeitspflicht der Männer, bis sie vom Arzt als physisch erschöpft erklärt wurden, Ausbeutung von Frauen und Kindern als saisonale Arbeitskräfte. So wurde der Code de l‘indigénat in den verschiedenen französischen Territorien von 1945 an abgeschafft.7

3

Vgl. Ebd.

4

Levine, Victor T.: Le Cameroun du mandat à l’indépendance. Paris, Présence Africaine, 1984, S. 140.

5

Ebd.

6

Vgl. Levine (1984): S. 133.

7

Ebd.

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Bis es aber zur Abschaffung von Zwangsarbeit und des Code de l’indigénat kam, der auch das Tragen regelte, mussten sich verschiedene afrikanische Eliten vielfach dafür einsetzen. Ein Blick auf die Liste derer, die sich bei den konstituierenden Sitzungen zur Nationalversammlung 1946 für die Abschaffung des Tragens engagierten, zeigt dies deutlich. Unter ihnen waren Félix Houphouët Boigny, FilyDabo Sissoko, Joseph Sosea, Saïd Mohamed Cheikh, Lamine Gueye, Sourou MiganApithy, Léopold Sedar Senghor, Jean Félix Tchikaya, Emmanuel d’Artier de la Vigerie, Pascal Copeau, Pierre Villon, Raymond Verges, Aimé Césaire, Léopold Bissok, Henri Lasoray, Pierre Dreyfus Schildt, Pierre Cot Robert, Chambeiron und Lucien Rose.8 Dank des gemeinsamen Einsatzes dieser Männer wurden die Zwangsarbeit und der Code de l’indigénat 1946 aufgehoben. Damit waren diese Praktiken seit 1946 auf dem Papier abgeschafft, doch in der Realität lasteten sie weiterhin auf heimtückische Art und Weise auf den Afrikanern. In Logone und Schari wurde die Bevölkerung weiterhin durch Trägerdienste unterdrückt. Dieses Vorgehen hat die Bevölkerungen sehr geprägt. Um die Dimension des Problems zu verstehen, soll das Räderwerk der Zwangsarbeiten in Logone und Schari gezeigt werden ebenso wie die Auswüchse, zu denen es dabei von Seiten der Kolonialverwaltung und mancher Sultane kam.

D IE O RGANISATION DES T RAGENS IN L OGONE UND S CHARI In Logone und Schari ist das Tragen im Zusammenhang mit dem Beitrag zu sehen, den die Bevölkerung für die Entwicklung der Region leistete. Dabei war das Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren erforderlich, die durch spezifische Charakteristika der ethnischen Gruppen, deren Lebensweise und soziopolitische Organisation bedingt waren. So wandte sich die französische Kolonialverwaltung an erster Stelle an die traditionelle Autorität, um Gehorsam einzufordern, denn diese hatte einen starken Einfluss auf die Bewohner. In diesem Kontext kam dem System der indirekten Verwaltung, das die französischen Kolonialherren hier eingeführt hatten, entscheidende Bedeutung zu. Es sei daran erinnert, dass die französische Kolonialverwaltung ansonsten gemäß einem direkten System funktionierte. Wegen der strukturellen Besonderheiten in Nord-Kamerun stützte sie sich dort aber lieber auf lokale Chefs (Sultans oder

8

Mbembe, Achille: Le problème national kamerunais. Paris, Harmattan, 1984, S. 131.

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lamibe), da diese die Kontrolle über die Bevölkerung hatten.9 Wenn die Kolonialverwaltung Arbeitskräfte für bestimmte Aufgaben benötigte, wandte sie sich an den Sultan. Dieser delegierte seinerseits die Organisation des Tragens an die Chefs der einzelnen Siedlungen, und diese stellten die von der Verwaltung angeforderte Zahl von Personen für die Ausführung des Dienstes zur Verfügung. 10 So wurde ein rotierendes Organisationssystem für die Trägerdienste eingerichtet, in das alle Wohnsiedlungen einbezogen wurden. Im Allgemeinen ging es darum, Kisten und Koffer zu transportieren, die den Kolonialverwaltern gehörten. Auch Post oder Material für den Bau von Gebäuden oder Straßen wurden befördert.11 Bei einer geringen Distanz von wenigen Kilometern wäre dies einfach gewesen. Allerdings mussten die schweren Kisten über weite Entfernungen transportiert werden, in den meisten Fällen zu Fuß. So brachen die Träger je nach Jahreszeit entweder zu Fuß oder in einer Pirogge auf, um von Fort-Foureau nach Logone Birni (in ungefähr 48 km Entfernung) zu gelangen, oder von Logone Birni nach Guirvidic oder Maroua (in ungefähr 250 km Entfernung). Die Schwächeren und Betagten handelten sich dabei häufig Strafen ein, weil sie Zeit auf der Strecke verloren hatten.12 Der Transport der Lasten dauerte mehrere Tage, zuweilen eine ganze Woche, wobei die zurückgelassenen Familien ohne Oberhaupt blieben.13 Die Regel der Kolonialverwaltung für das Verfahren beim Tragen war einfach: Die Träger transportierten die Lasten wie Kisten, Post oder Koffer auf ihrem Kopf von einem Dorf zum anderen. Sobald sie im Nachbardorf ankamen, war ihr Dienst beendet, und die Aufgabe des Weitertransports oblag dem Dorfchef. Dieser musste die Fortsetzung sicherstellen, bis der Zielort der Kolonialverwalter erreicht war.14 In manchen Fällen jedoch verlangten die Chefs und die Kolonialverwalter, dass die Träger den Marsch ohne Halt am vorgesehenen Ort fortsetzten. Dieser Mangel an Verständnis führte zuweilen zu Revolten, denn das brutale Verhalten dieser Verwalter wurde für die afrikanische Bevölkerung immer unerträglicher. Wenn ein Träger erschöpft war, musste er die Last den-

9

Gespräch des Autors mit Mahamat Massé, Grundschullehrer zur französischen Kolonialzeit, 5. März 2006 in Kousseri.

10 Gespräch mit Mamar, 10. April 2006 in Kousseri. 11 Gespräch mit Adam Ako, 27. April 2006 in Zina. 12 Gespräch mit Mamar, Chef einer Siedlung zur Kolonialzeit, 10. April 2006 in Kousseri. 13 Gespräch mit Mamar, 10. April 2006 in Kousseri. 14 Gespräch mit Abaliman China, Händler der Kotoko, dessen Vater während der französischen Kolonialzeit zahlreiche Trägerdienste leistete, 10. April in Kousseri.

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noch weitertransportieren, denn die Karawane durfte aus einem solchen Grund nicht aufgehalten werden. Man musste sich untereinander absprechen, um keine Verspätung des Konvois zu verursachen. Die Pausen wurden von den Kolonialverwaltern angeordnet, die manchmal einfach den Marsch verlängerten, ohne sich um die Erschöpfung der Träger zu kümmern.15 Die untenstehende Illustration zeigt sehr gut, unter welchen Bedingungen das Lastentragen in diesem Gebiet stattfand. Abb. 1: Eine Trägerkolonne auf dem Weg von Kousseri nach Mora

Quelle: Archiv Frédéric Gadmer (1917)

Diese Straße war die Verbindung zwischen zwei Départements, nämlich zwischen Logone und Schari sowie Kayo Sava. Man sieht, dass die Pakete auf dem Kopf getragen wurden, was aufgrund ihrer erheblichen Größe nach mehreren Stunden Marschierens unweigerlich zum Problem wurde. Dies und die schlechte Behandlung der Träger zählten zu den Gründen dafür, weshalb das Tragen so unbeliebt wurde. So kam es 1959 zu Streitigkeiten zwischen der französischen Kolonialverwaltung und der Bevölkerung von Fort-Foureau, und eine Revolte brach aus wegen der Misshandlungen, denen die Träger immer wieder ausgesetzt waren. Manche Quellen berichten, dass es beim Tragen wegen der Unerbittlichkeit der Kolonialherren, die zuweilen jeder Logik entbehrte, zu schweren Ausschreitungen kam: So war 1959 eine Gruppe von Trägern aus Kousseri zusammengestellt worden, um Kisten und Koffer eines Verwalters in das Gebiet von Guirvidic zu transportieren. Gleichzeitig war in Maroua eine andere Gruppe nach Logone-Biri aufgebrochen. Beide Gruppen trafen sich auf dem Weg und befanden, dass es für sie vorteilhaft wäre, die Lasten zu tauschen. So würden sie Zeit gewinnen und sich weniger verausgaben. Die Verwalter, die von dieser

15 Gespräch mit Mamar, 10. April 2006 in Kousseri.

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Aktion erfuhren, haben die Gruppe aus der Region Fort-Fourreau sofort einbestellt und ihr als Strafe einen zusätzlichen Dienst auferlegt. Diese Maßnahme war sehr hart und deren Gründe für sie nicht verständlich, weshalb die Gruppe beschloss, die angewiesene Aufgabe nicht auszuführen. Angesichts der Drohungen sowohl der Kolonialverwaltung als auch der traditionellen Autorität nahmen sie schließlich die Lasten auf, schlugen jedoch nicht den Weg nach Guirvidic ein, sondern zum Ufer des Logone-Flusses, in den sie alle Kisten und Koffer hineinwarfen. Die Notabeln des Sultans sprangen schnell hinterher und versuchten vergeblich, die verschwundenen Kisten aus dem tiefen Wasser des Logone herauszufischen. Die Strafe für diesen Verstoß war entsprechend hoch. Zwar konnten die Betroffenen der umgehend angedrohten Todesstrafe entgehen, doch mussten sie unter glühend heißer Sonne stundenlang riesige Mengen Gesteins transportieren. Von den acht Personen, die derart bestraft wurden, haben letztlich nur zwei überlebt.16 Dieser Bericht über die alltägliche Praxis der Zwangsarbeit beweist, dass die Kolonialverwalter keinerlei Möglichkeiten in Betracht zogen, um die Qualen zu verringern. Dies zeigt die harte Bestrafung jener Träger, die ihre Post und Pakete tauschten, um sich einen unnötig langen Weg zu ersparen. Es wird deutlich, dass das Tragen den Menschen in Logone und Schari als Zwang und Verpflichtung auferlegt wurde und jeder, der den Mechanismus zu Recht oder Unrecht zu stören wagte, eine harte Bestrafung seitens der Kolonialverwaltung zu erleiden hatte. Das Tragen erfolgte gemäß einem genau ausgeklügelten System, wobei Fehler oder Störungen im Räderwerk für die Kolonialverwalter oft als Anlass dienten, um ihre Macht durch die Verhängung unmenschlicher Strafen zu missbrauchen. Was den soziologischen Aspekt anbelangt, so wurden die Träger nicht aus einer bestimmten Kategorie oder sozialen Klasse ausgewählt. Dennoch waren manche Mitglieder der Gesellschaft wie Prinzen oder Söhne aus adligem Hause davon befreit. Gleiches galt für Dolmetscher, die in den traditionellen Gesellschaften der Sultanate von Logone und Schari einen besonderen Status genossen. Darüber hinaus waren es vor allem Männer, die den Transport von Kisten und Postsendungen für die Kolonialverwaltung leisten mussten. Allerdings zögerte diese nicht, auch Frauen schwere Kisten aufzubürden, wenn es darum ging, dass die Kolonne nicht aufgehalten werden durfte. Wie aus verschiedenen Quellen hervorgeht, reichte ein unbegründetes Fehlen aus, damit eine Frau die Stelle eines Mannes in der Kolonne übernehmen musste. Hier der Bericht von Issa Bla: In Zina war das Tragen nach genau festgelegten Regeln

16 Gespräch mit Abaliman China, 10. April 2006 in Kousseri.

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organisiert, die vom Chef und der Kolonialverwaltung aufgestellt worden waren. So musste jede Wohnsiedlung nach einem rotierenden System den Transport von Post und Kisten übernehmen. Niemand konnte sich entziehen, denn man wusste genau, welche Personen jeweils den Dienst zu leisten hatten. Eines Tages war mein Vater, der zur vorbestimmten Gruppe der Träger gehörte, auf Reisen. Die Weißen kamen, stellten seine Abwesenheit fest und beschlossen, dass meine Mutter ihn ersetzen müsse. Dies geschah ohne jede Nachsicht, und man lud ihr schwere Kisten auf. Einige Stunden später kam mein Onkel, der jüngere Bruder meines Vaters, in dessen Haus und erfuhr davon. Er war empört, stellte sein Gepäck ab und lief in den Dschungel, um die Trägerkolonne zu suchen, die bereits einen langen Weg zurückgelegt hatte. Er fand sie und konnte erreichen, dass er seine Schwägerin ersetzte, die nach Zina zurückkehrte. Als mein Vater schließlich von seiner Reise zurückkam und von den Ereignissen erfuhr, begann er, sich systematisch gegen die Kolonialverwaltung und selbst gegen die traditionelle Autorität aufzulehnen.17 Wie der Bericht zeigt, haben die Bewohner von Logone und Schari das Tragen verabscheut, wegen der erniedrigenden Art und der Bedingungen, unter denen es erfolgte. Dennoch geht aus dem Bericht auch hervor, dass die Menschen trotz der Herabsetzung und der Übergriffe durch die Kolonialverwaltung weiterhin die Schikanen dieses Dienstes ertrugen. Im übrigens sei darauf hingewiesen, dass der Grad an Bereitwilligkeit und Konformismus gegenüber der Kolonialordnung bei den Völkern in Logone und Schari je nach historischen Erfahrungen und Gebräuchen variierte. So kann man den Konformismus beispielsweise bei den Kotoko damit erklären, dass diese das Leben in einer hierarchisierten Gesellschaft, wo der Sultan über jeden Untertanen herrscht, gewohnt waren und so problemlos die Zwangsarbeiten der Kolonialverwaltung akzeptierten und sich anpassten. So erklärt sich auch, weshalb sich die Kolonialverwaltung bevorzugt auf die Kotoko-Gesellschaften stützte, die über ein stark hierarchisiertes Organisationssystem verfügten, und weniger auf andere Gemeinschaften wie die Schuwa-Araber, wo dies fast überhaupt nicht existierte.18 Tatsächlich basierte die gesellschaftliche Organisationsform der SchuwaArabern in weitaus stärkerem Maße auf der Einheit des Stammes und der Kultur als auf der Einheit des Territoriums. Da diese zudem Hirtenvölker waren, machte die Suche nach Weidegebieten eine stete Ortsveränderung erforderlich. Aufgrund dieser Tatsache konnte sich die Kolonialverwaltung bei der Verpflich-

17 Gespräch mit Issa Bla, 5. Mai 2008 in Ngaoundéré. 18 Gespräch mit Mamar, 10. April 2006 in Kousseri.

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tung zu Zwangsdiensten nicht auf sie stützen. Kleinere arabische Dörfer hingegen, die mehr oder weniger sesshaft waren, entgingen den Trägerdiensten nicht.19 Allerdings bedeutete die Toleranz oder der Konformismus der Kotoko und Schuwa-Araber keinesfalls, dass ihnen das Tragen gefiel. Vielmehr war es so, dass der Bevölkerung in den Kotoko-Sultanaten das Tragen sowohl von Post als auch von Material für den Straßenbau als Zwangsdienst für die Kolonialverwaltung zuwider war. So schrieb Marc Allégret, das Tragen war „eine Art von Arbeit, die weder den Kotoko noch den Arabern gefällt; gerne würden sie das Doppelte an Steuern zahlen, um von diesem Zwangsdienst befreit zu werden“20.

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Die Gründung von politischen Parteien in Logone und Schari war ein wichtiger Faktor beim Kampf gegen das Tragen. So haben sich verschiedene Parteien wie die UPC und die UDAS offen gegen diese Praxis ausgesprochen und daraus sogar ein Wahlkampfargument gegenüber der Bevölkerung in der Region gemacht. Während der Wahlkampagnen im Vorfeld der Unabhängigkeit in Logone und Schari versprachen die Aktivisten der Union des populations du Cameroun (UPC) und der Union Démocratique d’Action Sociale (UDAS) der Bevölkerung, sie bei der Abschaffung des Kolonialismus und im gleichen Zug der Trägerdienste zu unterstützen.21 Für die Anhänger der UPC und der UDAS sollte mit der Unabhängigkeit die Übertragung zahlreicher Kompetenzen erreicht werden, die bislang der französischen Kolonialbehörde vorbehalten waren. Zudem war es in ihrem politischen Programm Ehrensache, dass die beiden Kamerun vor der Unabhängigkeit wiedervereinigt würden. Und der letzte und wichtigste Punkt war schließlich der Kampf gegen die Zwangsarbeit und das Tragen, unter dem die Völker in Logone und Schari zu leiden hatten. Kurz gesagt, die neuen politischen Formationen erklärten sich zum „Verfechter der materiellen, moralischen und sozialen Interessen der Bevölkerung in Logone und Schari, genauer gesagt der Kotoko, der Araber und der Musgum“22. Diese 19 Gespräch mit Mamar, 10. April 2006 in Kousseri. 20 Allégret, Marc: Carnets du Congo voyage avec Gide. Paris, Edition Presses du CNRS, 1987, S.205. 21 Gespräch mit Adam Alkali, Führer der UPC in Logone und Schari, 12. April 2006 in Kousseri. 22 APM, AI 1959 XVII, UDAS Maroua, A/s des activités de l’UDAS, 7. Februar 1960.

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Kampagnen der Sensibilisierung gegenüber der Kolonialordnung und allem, was sie repräsentierte, brachten den politischen Parteien wie UDAS und UPC beträchtlichen Zulauf seitens der Bevölkerung in der Region. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass die Gründe für diesen massenhaften Zuspruch nicht, wie man denken könnte, allein in den nationalistischen Bestrebungen dieser Völker zu sehen sind. Wenn man davon ausgeht, dass der größte Teil ihrer Anhängerschaft aus Bauern, Fischern oder Feldarbeitern bestand, die nahezu nichts vom politischen Räderwerk verstanden, so mag man sich fragen, was sie mit den Flugblättern über die Prinzipien der Unabhängigkeit oder der Wiedervereinigung anfangen konnten, die von den Aktivisten der politischen Parteien verteilt wurden. Es war deutlich festzustellen, dass sie sich vielmehr deshalb für diese Formationen interessierten, weil sie sich mit den Praktiken der Kolonialverwaltung auseinandersetzten. Eine Analyse des so genannten „Fiebers unter den Bauern“ erhellt die Gründe für den massenhaften Zulauf zu den Parteien. Sie liegen in der Natur des politischen Programms selbst ebenso wie in der Strategie, mit der die Parteiaktivisten die Massen, die über keine Schulbildung verfügten, zu erreichen vermochten. Zusätzlich zur Verteilung von Flugblättern an alle haben die aus den jeweiligen Dörfern stammenden Aktivisten der UDAS politische Kampagnen gestartet, um der Bevölkerung ihr politisches Programm in der lokalen Sprache zu erklären. Meiner Ansicht nach haben jene Aspekte, die den antikolonialen Kampf, insbesondere die Abschaffung der Trägerdienste und Erleichterungen der Steuerpolitik, betrafen, bei der Bevölkerung den stärksten Anklang gefunden. Man kann verstehen, dass es möglicherweise nicht in erster Linie die „großen nationalistischen Bestrebungen“ dieser politischen Partei waren, für die sich die Bevölkerung interessierte, sondern vielmehr der Wunsch, sich von den Verpflichtungen gegenüber der Kolonialverwaltung zu befreien, wie der damalige Sonderkommissar der Stadt Maroua unterstreicht: „Auch wenn die verschiedenen Bevölkerungsschichten, die von dieser Oppositionsbewegung rekrutiert oder vielmehr angesteckt werden, noch alles andere als eine Einheit bilden, sind sie doch alle aus demselben Grund dazu gestoßen: weil sie in der UDAS die Verteidigung ihrer direkten Forderungen sehen.“23 Unter Berücksichtigung dieses ganz entscheidenden Punktes habe ich die Wahlkampfstrategien der UDAS und der UPC verglichen. Die Analyse der Erfahrungen der UPC hat gezeigt, dass die Partei in Logone und Schari ihr Programm vor allem auf die Ideen von Unabhängigkeit und Wiedervereinigung konzentriert hatte. Da die Hälfte der Bevölkerung jedoch keine Schulbildung

23 APM, AI 1959 XVII, UDAS Maroua, A/s des activités de l’UDAS, 26. April 1960.

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besaß, verstand sie nichts von den Reden dieser politischen Aktivisten, selbst wenn sie in der lokalen Sprache gehalten wurden. Tatsächlich fühlte sich die Bevölkerung davon nicht direkt betroffen, denn die Themen von Unabhängigkeit und Wiedervereinigung waren für sie weniger klar als das Tragen und die Zwangsdienste, die für sie reale Situationen waren, in denen die ethnischen Gemeinschaften täglich lebten.24 Die UDAS dagegen konnte die Bevölkerung für ihre Sache gewinnen, indem sie ihre politischen Reden an den Realitäten vor Ort ausrichtete. Analysiert man das politische Programm der UDAS, wie es in deren Statuten formuliert war, so liegt zudem ein besonderer Schwerpunkt auf den Themen Unabhängigkeit, sofortige Wiedervereinigung Kameruns und Zurückgewinnung des Territoriums in den Grenzen von 1884. Fügt man diesen Prinzipien den Kampf gegen das Tragen und die geltende Steuerpolitik in Logone und Schari hinzu, zeigt diese Haltung gegenüber der französischen Kolonialverwaltung die Charakteristika einer nationalistischen und populistischen Partei.25 Tatsächlich haben mit der Entstehung der politischen Parteien in der Region bereits einige Mitglieder in der Gesellschaft begonnen, sich offen gegen das Tragen und unbezahlte Zwangsdienste aufzulehnen. So berichtet Mahamat Massé, Grundschullehrer in Kousseri, dass 1959 ein Kolonialverwalter nach Goulfey gekommen sei, da die Straße von Maltam nach Goulfey erneuert werden sollte. Er forderte den Chef auf, ihm die erforderlichen Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Sultan Ali Mahamat informierte die Bewohner und verlangte, dass sie sich für die Übernahme dieser Arbeit bereithielten.26 Über inoffizielle Quellen hatte die Bevölkerung jedoch erfahren, dass die Verwaltung Mittel für die Bezahlung der Arbeiten zur Verfügung gestellt hatte. Der betreffende Verwalter hatte sich allerdings gehütet, etwas von der Bezahlung der Arbeit, zumindest für diesen Fall, verlautbaren zu lassen. Als der Tag des Aufbruchs kam, scherten einige aus der Gruppe aus und weigerten sich, die Arbeit aufzunehmen, sofern sie nicht bezahlt würden. Der Verwalter versuchte, sie zu überzeugen, indem er erklärte, dass diese Arbeit ihnen selbst zugute käme. Die Betreffenden ließen sich jedoch nicht umstimmen und blieben bei ihrer

24 Gespräch mit Adam Alkali, 17. März 2006 in Kousséri. 25 Barka, Harouna: L’action des partis politiques dans le Logone et Chari: cas de l’UPC, l’UC et l’UDAS 1944-1965. Mémoire de Maîtrise en Histoire, Université de Ngaoundéré, 2006. 26 Mahamat Massé ist ein Grundschullehrer, der den Sultan Ali Mahamat als Chef der Union Camerounaise in Goulfey ersetzt. Er hatte auch Mbida Boniface gekannt, der ihn aufforderte, seiner Partei der UDAS beizutreten.

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Haltung.27 Als der Tag kam, da die Arbeiten begonnen werden sollten, machten sich alle vorgesehenen Männer im Dorf bereit, mit Ausnahmen einiger Personen um Hamey Semba. Die Gruppe weigerte sich, wie geplant, an den Straßenarbeiten teilzunehmen. Der Verwalter, der gesehen hatte, dass sich die Anhänger von Hamey Semba abseits hielten und die Arbeit verweigerten, forderte den Sultan auf, sie dazu zu zwingen, sich den anderen anzuschließen. Die Anhänger der UDAS blieben jedoch unerbittlich und als die Notabeln des Sultans mit Zwang reagieren wollten, gingen sie nach Hause und bewaffneten sich mit Lanzen und Pfeilen, fest entschlossen, sich an diesem Zwangsdienst nicht zu beteiligen.28 Als der Verwalter und der Sultan sahen, dass die Situation kritisch wurde, riefen sie Hamey Semba allein zu sich. Er sollte seine Gefährten davon überzeugen, sich der Gruppe anzuschließen. Dabei wurde der Grund für den Boykott offenkundig, denn Hamey Semba hatte von seinen Parteifreunden in Fort-Lamy erfahren, dass für die Straßenerneuerung Mittel zur Verfügung gestellt worden waren und die Arbeiter bezahlt werden sollten. Der Kolonialverwalter ließ dieses Argument nicht gelten und versuchte, die Karte des „guten Bürgers, der sich am Aufbau seines Landes beteiligen sollte“ zu spielen. Hamey Semba und seine Freunde ließen sich jedoch nichts vormachen. Die Zeit, da die Bürger die Tricks der Verwaltung nicht durchschauten, war vorbei. Sie weigerten sich, die Arbeit aufzunehmen, es sei denn, sie würden bezahlt.29 Damit trat bereits eine Wende der Ereignisse ein, denn die Anhänger dieser politischen Formation wurden für die koloniale und für die traditionelle Verwaltung zunehmend unbequem. Der Sultan und einige ihm Nahestehende beschlossen, den Aktivitäten der UDAS ein Ende zu setzen. Die Unterdrückung der politischen Formationen erfolgte mit Beihilfe der traditionellen Autorität, die der Kolonialverwaltung alle Unterstützung zukommen ließ. Die Führer der UPC und der UDAS wurden aus dem Gebiet Logone und Schari deportiert und die Hütten der UDAS-Anhänger in Brand gesteckt. Mit diesen Repressionen wurden die Aktivitäten beider Parteien und ihre Kampagnen gegen das Tragen beendet. So musste man bis zum Ende der Kolonialherrschaft und der Erlangung der Unabhängigkeit warten, bis der Trägerdienst in Kamerun verschwand.

27 Die betreffenden Männer waren Anhänger der UDAS. Wir kommen darauf im Zusammenhang mit den Aktionen der politischen Parteien in Goulfey zurück. 28 Gespräch mit Abakar Mey Mboulou, Anhänger der UDAS, 15. Mai 2006 in Goulfey. 29 Gespräch mit Mahamat Massé, 23. März 2006 in Kousséri.

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Z USAMMENFASSUNG Das Tragen war vor allem Ausdruck für die Unterdrückung der Bevölkerung, wobei manche wie die Kotoko diese Herabsetzung auf den Status der Knechtschaft, den sie selbst einst gegenüber den Kirdi-Völkern betrieben hatten, nicht ertragen konnten. Ihre Resignation beruhte zum Teil auf der Angst, die ihnen die Kolonialverwaltung und die Sultane einflößten. So ließen sie sich ohne Lohn oder anderes Entgelt ausbeuten. Dies erklärt, weshalb die PropagandaKampagnen der politischen Parteien in dieser Region auf so fruchtbaren Boden fielen. Zum Slogan dieser Parteien wie der UDAS gehörte der Kampf gegen die Kolonialverwaltung und vor allem der Einsatz für die Abschaffung des Tragens oder anderer Zwangsdienste wie Arbeit im Straßen- und Brückenbau. Diese Tätigkeiten brachten die Bevölkerung zur Verzweiflung, und sie sahen darin nichts als Schikane und unnötige Quälerei, ja eine Form von Sklaverei. Mit der Unabhängigkeit Kameruns im Jahre 1960 und dem Abzug der französischen Kolonialverwalter fand diese Praxis ein Ende. Übersetzung: Erika Mursa

L ITERATUR Allégret, Marc: Carnets du Congo voyage avec Gide. Paris, Edition Presses du CNRS, 1987. Archives Provinciales de Maroua (APM), AI 1959 XVII, UDAS Maroua, A/s des activités de l’UDAS, 7. Februar 1960. Archives Provinciales de Maroua (APM), AI 1959 XVII, UDAS Maroua, A/s des activités de l’UDAS, 26. April 1960. Barka, Harouna: L’action des partis politiques dans le Logone et Chari: cas de l’UPC, l’UC et l’UDAS 1944-1965. Mémoire de Maîtrise en Histoire, Université de Ngaoundéré, 2006. Kaptue, Léon: Travail et main-d’œuvre au Cameroun sous régime français: 1916-1952. Paris, Harmattan, 1986. Levine, Victor T.: Le Cameroun du mandat à l’indépendance. Paris, Présence Africaine, 1984. Mbembe, Achile: Le problème national kamerunais. Paris, Harmattan, 1984. Rudin, Harrys Rudolph: German in the Cameroon 1884-1914. A case study in the modern imperialism. New York, greenwood publisher, 1968. Tchouankap, Jean Claude: L’UPC et l’évolution politique au Cameroun: 19481991. Mémoire de Maîtrise en Histoire, Université de Ngaoundéré, 1999.

„Ach, wäre ich doch Pygmäe!“ Die Figur des Babinga-Trägers in Le silence de la forêt von Bassek ba Kobhio S YLVIE K ANDÉ

Das Tragen in all seinen Formen steht als deutliche Allegorie für Kolonialismus, für die Gewalt seiner Institutionen und sein fortgesetztes Profitdenken. Dienste wie das Tragen von Lasten mit den Armen, auf dem Rücken oder dem Kopf oder auch von Personen in Tragesesseln oder Hängematten über kurze oder lange Strecken hinweg, wurden, auch nachdem die Sklaverei auf dem Papier abgeschafft war und in der alltäglichen Praxis in Afrika (vor allem nach dem Ersten Weltkrieg) zunehmend verschwand, den zwangsweise rekrutierten und nicht entlohnten Afrikanern weiterhin abverlangt. Obwohl selbst innerhalb der französischen Kolonialverwaltung nicht selten das Tragen kritisiert wurde, galt es gleichzeitig als Antwort auf die Umweltbedingungen im tropischen Afrika (dichte Vegetation, Fehlen von Lasttieren oder Übertragungsgefahr der Schlafkrankheit), auf die geringe Zahl von Steuerpflichtigen und, geradezu tautologisch, als Linderung der Plage, die diese Naturalleistung offenkundig darstellte. So erklärte Generalgouverneur Raphaël Antonetti bei der Sitzung des Regierungsrats von Französisch-Äquatorialafrika (A. E. F.) im Dezember 1927 in seiner Eröffnungsrede, er halte dies für das einzige Mittel, um „die Kolonie auszurüsten“ und gerade dadurch das Tragen hinfällig zu machen: Er nennt ausdrücklich die Eisenbahnlinie Kongo-Ozean, deren treibende Kraft er war, sowie Fahrwege als „beste Abhilfe gegen das Tragen“.1 Vom gleichem Gewinndenken war allerdings auch die Kampagne des Syndicat Agricole Africain (Afrikanisches Bauernsyndikat) zur Abschaffung der 1

Célérier, Jean & Cholley, André: „Les remèdes au portage en Afrique Équatoriale Française“. In: Annales de Géographie. Bd. 37, 210 (1928), S. 567-568, hier S. 567568.

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Zwangsarbeit unter Führung von Félix Houphouët-Boigny beherrscht: „Es ist verstörend“, schreibt der Historiker Elikia M’Bokolo, „dass afrikanische Unternehmer, die ihrerseits nicht auf diese Zwangsarbeit zurückgreifen können, der Konkurrenz durch europäische Siedler ausgesetzt sind. In dieser entstehenden afrikanischen Agrarbourgeoisie sind vom Ende der 1920-er Jahre an die ersten kritischen Stimmen zur Zwangsarbeit zu hören. Eine der leidenschaftlichsten war Félix Houphouët-Boigny von der Elfenbeinküste“2. Er erreichte 1946 die Abschaffung aller Formen von Zwangsarbeit. Die fiktionale Darstellung des Tragens in einem postkolonialen Umfeld ist in chronologischer Hinsicht unerwartet und der Analyse wert. Der Film von Bassek ba Kobhio Le silence de la forêt (vorgestellt 2003 beim Festival in Cannes) ebenso wie der gleichnamige Roman von Etienne Goyémidé (1984) handeln davon, dass sich Gonaba, der immerhin das Amt eines Inspektors für die Primarschulen im Westen der Zentralafrikanischen Republik (vormals Ubangi-Schari) an der Grenze zu Kamerun innehat, plötzlich in den Urwald zurückzieht.3 Nach einem Gespräch mit Manga, dem Sklaven eines Notabeln, verbringt Gonaba einige Jahre in einer Babinga/Pygmäen-Gemeinschaft im Regenwald. Anders als im Roman wird im Film Manga von Gonaba als Träger rekrutiert, der ihn zu der Babinga-Gemeinschaft führen soll, der er entstammt. Bassek ba Kobhio ist auf die Übertragung von Romanen auf die Leinwand spezialisiert, besser gesagt, auf das Neuschreiben (réécriture), eigentlich das filmische Sich-selbst-Neu-Schreiben. So ist er auch Autor des Romans Sango Malo: le maître du canton, der 1991 beim Verlag Harmattan erscheint, im selben Jahr also, in dem er einen Film unter demselben Titel dreht. Mit seinem Konzept des Neuschreibens plädiert der Kritiker Alexie Tcheuyap dafür, die filmische Adaption von der Autorität des Quellentextes zu befreien. Die Adaption ist für ihn vollwertiges Schreiben, Beseitigung des Ur-Textes.4 Diese Entscheidung für ein „Entsakralisieren“ des Originals zeichnet insbesondere das Werk Bassek ba Kobhios aus, bei dem die Wege zwischen Schrift und Leinwand in beiden Richtungen begehbar sind. So erläutert der kamerunische Regisseur, dass er erst nachdem er den Film Le grand Blanc de Lambaréné 1994 abgeschlossen hatte, einen Roman über Albert Schweitzer schrieb: „Heute glaube ich, muss man das Buch lange vor oder lange nach der Produktion eines Films schreiben“, erklärt

2

URL:

http://ldh-toulon.net/Elikia-M-Bokolo-le-travail-force-c.html

[Zugriff:

Juli

2017]. 3

Goyémidé, Étienne: Le silence de la forêt. Paris, Hatier, 1984, S. 5.

4

Tcheuyap, Alexie: „La littérature à l’écran. Approches et limites théoriques“. In: Protée. Bd. 29, 3 (2001), S. 87-96, hier S. 94.

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er, „denn der einzige Punkt, in dem sich beide Werke ähneln, sind die Personen. […] Wenn man gute Literatur ins Kino übertragen will, macht man schlechtes Kino. Für die umgekehrte Richtung gilt dasselbe Problem.“5 So sollen im Folgenden nicht einfach Roman- und Filmversion von Le silence de la forêt miteinander verglichen werden. Vielmehr geht es darum, die deutliche Präferenz des Filmemachers für binäre literarische Formen zu untersuchen, und zwar mit den Paaren Getragener/Träger, oben/unten, Stadt/Urwald, Bantu/Babinga. Sein Blick auf eine ethnisch unterteilte Welt, in der jede Gruppe ihre eigene exklusive Ökologie besitzt, kann nicht die Gewalt verbergen, die den Untergebenen und dem Urwald widerfahren.

D IESES „S CHWEIN “

VON

G ONOBA

In den ersten beiden Spielfilmen von Bassek ba Kobhio geht es laut Michel Coulombe um “einen Mann, (der) sich in einer Umgebung niederlässt, die ihm fremd ist, wo er einen starken Eindruck hervorruft, wo er stört“. In Le silence de la forêt ist erneut die eigenartige Ungezwungenheit Markenzeichen des Helden. Gonoba (der wie Meursault keinen Vornamen hat) wirft ungeachtet seines sozialen Status’ innerhalb des urbanen Milieus in Zentralafrika einen kritischen Blick auf die postkoloniale Korruption und empört sich (selektiv) über Diskriminierung. Er ist Nonkonformist, bringt seinem ,boy‘ das Lesen bei und schließt sich einer Truppe von Pygmäen-Tänzern an, die der Präfekt als Clou für den Empfang zum Nationalfeiertag präsentiert. Nach und nach werden die entscheidenden Anzeichen für den Ursprung jener Krise erkennbar, die ihn dazu drängt, nicht länger ein Rädchen im System zu sein und sich im Urwald der Bildung der Untergebenen zu widmen: Es ist also keine plötzliche Anwandlung, wenn sich Gonaba einer Gemeinschaft der Babinga-Pygmäen anschließt, die so völlig anders aufgebaut ist als seine eigene. Der Kontrast zwischen Herkunftsort (der Stadt Nola) und Aufnahmegebiet (dem Pygmäenlager im äquatorialen Urwald) wird allegorisch von zwei weiblichen Personen verkörpert: der Bar-Besitzerin Simone, einer selbstverständlich weitgereisten und sinnlichen Mestizin6, und der

5

Coulombe, Michel: „Entretien avec Bassek ba Kobhio ‒ Être de l’élite africaine aujourd’hui, c’est avoir une grosse responsabilité“. In: Cinebulles. Nr. 14, 2 (1995), S. 22-26, hier S. 23.

6

Im Roman ist Simone eine Bäuerin, mit der Gonaba keine sexuelle Beziehung eingeht, da er weiß, dass er sie nicht heiraten wird.

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jungen und zurückhaltenden Kali, die Gonaba nach seinem Sturz in eine Raubtierfalle pflegt und danach seine Frau und Mutter seines Kindes wird. Gonaba, per se ohne Angst, ist schnell davon überzeugt, dass ihm nichts anderes zu tun bleibt, als seinen Auftrag zu erfüllen: die Babinga zu bilden, um aus ihnen vollwertige Bürger der Nation zu machen. Unmittelbar nach seiner Genesung beginnt er, den Dorfkindern Französisch beizubringen, und als guter Hygieniker setzt er sich für den Bau eines rechteckigen Hauses mit guter Durchlüftung an einem wohlüberlegten Standort ein. Es geht um nichts Geringeres als um eine kulturelle und politische Neuformatierung: „Die Aufgabe der Hütte aus Zweigen zugunsten eines Lehmbaus erlaubt es den Pygmäen, […] eine primitive Situation zu überwinden, die für einen modernen Staat etwas beschämend ist“, schreibt der Forscher Henri Guillaume, der nicht ganz ohne Ironie Versatzstücke aus der vorherrschenden Doxa zusammenfasst. Und als Gonaba versucht, sein Kind zu entführen, um es in der Stadt zum „höchst diplomierten Babinga“ zu machen, sieht er in der Rache seiner Schwiegerfamilie die grausame Manifestation der Macht, die das Irrationale über deren Gemüter besitzt. Tatsächlich lassen sie ihn im Wald zurück, da er in ihren Augen den Tod seiner Frau verursacht hatte, indem er das Verbot, jenseits der vom Dorfältesten erlaubten Grenze zu bauen, überschritten hatte. Der Gonaba des Romans weiß um seinen Hedonismus und seinen Hang, die Übergriffe der Kolonialverwalter zu imitieren, an deren Stelle er tritt7. So geht es ihm fortwährend darum, seinen Status innerhalb der Babinga-Gemeinschaft einzuschätzen, wobei er sich über alle seine Fortschritte freut, insbesondere über den Erwerb der Sprache. Nach drei Monaten im Regenwald erklärt er: „Ich habe den Eindruck, dass ich nicht mehr ‚der Fremde‘ bin, jenes anachronistische Element, das aus dem 20. Jahrhundert in ihre prähistorische Raubtierfalle gestürzt ist. Ich beginne, Babinga zu sprechen“8. Auch wenn er die Idee der Kotemporalität9 ablehnt, glaubt er sich doch nach elfmonatigem Aufenthalt „fast vollständig in das Kollektiv integriert“ 10 – eine Gewissheit, die durch seine Heirat mit Kaliwosse zugleich bestätigt und gestört wird.11 Dieser Gonaba ist eine gespaltene Persönlichkeit: einerseits ein autodiegetischer Erzähler auf der Suche nach einer besseren Version von sich selbst, der Erlösung findet durch die

7

Goyémidé (1984): S. 36, 72.

8

Ebd., S. 102.

9

Vgl. Fabian, Johannes: Time and the Other: How Anthropology Makes Its Object. Columbia U. Press, 1983/2002.

10 Goyémidé (1984): S. 107. 11 Ebd., S. 111-115.

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Integration in den Babinga-Kokon, den er aber als letzten Liebesbeweis für seine verstorbene Gefährtin, begleitet von seinen beiden Kindern und mit Geschenken und Segenssprüchen überhäuft, verlassen wird; andererseits einer Erzählung im Nachhinein verpflichtet, in der er voller Selbstironie und Nachsicht seine Epiphanie im Urwald schildert. Das filmische Neuschreiben, die semiotische Verschiebung, die beim Übergang von der Literatur zum Kino (und somit beim Wechsel der Codes) erfolgt, ist nach Tcheuyap12 ist vergleichbar mit einer „Substitution von Phantasmen“. Die geradezu besessene Suche dieses „anderen Gonaba“ nach Empfängern und Orten für sein Bildungsprogramm durch das Medium Buch verbindet Le silence de la forêt mit allen anderen kinematografischen Werken Bassek ba Kobhios, in denen jedes Bildungsprojekt im Interesse der Untergebenen, selbst wenn es zunächst scheitert, zum demokratischen Projekt Afrikas beiträgt. Vor Gonaba gab es bereits Sango Malo, dessen Unterricht sich auf das praktische Leben und die Verteidigung der Interessen der jungen Bauern konzentrierte, und auch Kumba, der hoch diplomiert aus Frankreich zurückkehrte, bereit, es mit Albert Schweitzer aufzunehmen. Die Funktion solcher „Lehrer“ ist leicht zu erklären, ist dieses Kino doch eine „Abendschule für das Volk“, eine Idee, die Bassek ba Kobhio von seinem Lehrer Sembene Ousmane übernahm. Sango Malo und Kumba sind interessante Figuren wegen ihrer Ambiguität, wohingegen Gonaba statisch bleibt und sich vom Blick anderer nie dauerhaft beeinträchtigen lässt. Die simultane Erzählform nimmt ihm zudem die Möglichkeit einer Metareflexion über seine Lernerfahrungen.

M ANGA ,

DER GETRAGENE

T RÄGER

Im Film wie im Roman gibt es eine Figur, die nur einen flüchtigen Auftritt hat: der Babinga Manga („Tabak“) taucht ganz am Anfang der Erzählung auf, danach nicht mehr. Er existiert nur für die Zeit einer Begegnung mit dem Helden. Eine Unterhaltung mit diesem jungen Philosophen, den der Chef des Dorfes – das Gonaba als Schulinspektor besucht – als Sklaven gefangen zu haben glaubt, was dieser jedoch absichtlich geschehen ließ, weil er die Sitten der Sesshaften studieren wollte, bringt den Inspektor auf die Idee, sich bei den Waldmenschen niederzulassen. Bei Goyémidé sind die beiden Personen wie ein Chiasmus konstruiert: Gonaba, der Manga zunächst als Clown bei seinen Abendeinladungen präsentieren wollte,13 kauft ihn und schickt ihn in die Stadt, 12 Tcheuyap (2001): S. 92. 13 Goyémidé (1984): S. 38.

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damit dieser seine Ethnologie der „Großen Menschen“ vollenden könne, während er selbst sich in den Urwald aufmacht, auf der Suche nach einem hypothetischen Pygmäen-Lager: „Manga wird in meinen Zivilisationsdschungel vordringen“, sagt sich der Erzähler,14 der in seinem Schützling für einen Tag den Anlass für seine Anabasis gefunden hat. Der detaillierte Bericht über seinen Aufenthalt bei den Babinga sei im Roman von Goyémidé ein strategischer Realismus, heißt es in der Kritik. Anschließend an „vorangegangene wissenschaftliche Forschungsberichte erscheint er als ein geschicktes Werk der Vulgarisierung für ein Publikum, das nie Zugang zu ethnologischen Dokumenten haben wird“ 15 ; manche begrüßen darin gar die Rehabilitierung der „Kultur der Pygmäen in den Wäldern des Südens“16. Le silence de la forêt ist jedoch eher der Bildungsroman eines Erzählers, den der Ekel erfasst hat17. Inmitten einer existentiellen Krise verlässt er die Gesellschaft, die zu verändern er nicht die Kraft hat, um die Kunst, Mensch zu sein, erneut zu lernen. „Ich habe genug von diesem Leben, wo es so schwer ist, ein Mensch wie jeder andere zu sein“, ruft er aus. Ein Mensch, der sich nicht ständig für das alleinige Zentrum der Welt hält… Ich gehe weg, nicht […] als Asket, der die Tugenden des guten Wilden wiedererlangen will, […] sondern um reifer zu werden, um zu leben, um andere Wirklichkeiten, andere Gewohnheiten zu erleben18.

Manga-der-Weise, Katalysator für Gonabas Erkenntnis, bringt ihn dazu, nach der „Evidenz“ des animalischen Wesens der Babinga zu fragen: „Dieses Babinga-Wesen hat eine Antwort auf alles. Es wird mich noch an meiner intellektuellen Überlegenheit zweifeln lassen“, brummt der Inspektor, dem der herrschende terminologische Umgang mit den Pygmäen bereits Unbehagen bereitet.19 Er wird schließlich ihr gemeinsames Menschsein akzeptieren, ohne didaktischen Hintergedanken: „Wer von uns beiden, die wir unter diesem bleichen Mond zusammen plaudern, kann seelische Größe für sich beanspru-

14 Ebd., S. 71. 15 Oguchukwu, Françoise: „Le silence de la forêt: un roman d’explorateur“. In: Annales Aequatoria. Nr. 9 (1988), S. 73-88, S. 4. 16 Spleth, Janice: „Goyamidé, Étienne“. In: Gikandi, Simon (Hg.): Encyclopedia of African Literature. London, Routledge, 2003, S. 293. 17 Goyémidé (1984): S. 4, 38. 18 Ebd., S. 42. 19 Ebd., S. 29.

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chen? Manga ist ein Mensch. Manga ist ein Babinga. Manga ist mein Bruder und durch ihn sind alle Babinga meine Brüder. Ich möchte es ihm sagen, es ihm zurufen, ihn in meine Arme nehmen und küssen – aber so wie ich ihn nun kenne, wie ich ihn kennengelernt habe, wäre ihm das völlig gleichgültig. Unser Status des Menschseins ist ihm völlig egal. Er ist, was er ist: ein kohärentes Ganzes, das in keiner Weise einer Beglaubigung durch das Gehabe der sogenannten ,zivilisierten‘ Menschen bedarf.“20 Der Film stellt in derselben Szene, ohne jegliche ethische Debatte, in einer Parallelmontage Manga und Simone einander gegenüber als zwei mögliche Wege für Gonaba: Als bedingungsloser Verteidiger der Babinga-Rechte verkündet Gonaba, er werde Schulen eröffnen auf deren Gebiet und er werde Manga die Freiheit zurückgeben. Eine ironische Montage zeigt in der nächsten Szene den jungen Mann mit bloßen Füßen, ausgerüstet mit Gonabas Schultertasche21, der unserem Helden der Gerechtigkeit mit der Machete den Weg durchs Unterholz bahnt. Manga, der zum Führer und Träger seines Befreiers wurde, will Soldat werden – dass Gonaba dies missbilligt, weist er zurück. Gonaba schlägt vor, er solle sein „Vermittler“ (ein „Führer für sein Volk“) bleiben im Sinne eines künftigen politischen Projekts. Im Dunkel der Nacht überlässt Manga Gonaba den Gefahren des Urwalds, nicht ohne ihm zuvor seinen persönlichen Talisman übergeben zu haben. Mit diesem Gegenstand wird er in den Augen der aufnehmenden Babinga-Gemeinschaft zum Double von Manga: Der Träger ist nun der Getragene. Mangas passiv-aggressives Verhalten, ein Vorzeichen für die Feindlichkeit, mit der ihm seine Adoptiv-Gemeinschaft am Ende der Erzählung begegnen wird, kann als ethnischer Charakterzug verstanden werden – dies legt der Film nahe: Im Diskurs über die Pygmäen tauchen Unbeständigkeit und Aberglaube als immer wiederkehrende kulturelle Merkmale auf. Dabei handelt es sich auch um einen Marker für die Klasse: Die Pygmäen als Träger und Arme sind unzuverlässig, verschlagen und diebisch, sie bringen ihre Herrschaft, wann immer es möglich ist, um ihre Arbeitskraft. In einem solchen Denken, bei dem Untergebenen denen zur persönlichen Last werden, die sie ausbeuten, erscheint es für den Gonaba bei Bassek ba Kobhio durchaus gerechtfertigt, seine Kleider und Bücher von „seinem Babinga“ tragen zu lassen. Wird man jemals den Zwängen der kolonialen Bibliothek entkommen, jenem immensen textlichen und virtuellen Wissensarchiv über Afrika, das dessen grundsätzliche Unterschiedlichkeit und Andersartigkeit festschreibt und verbrei-

20 Ebd., S. 30. 21 Im Roman ist es ein Rucksack.

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tet22 ? Diese Frage steht heute im Zentrum philosophischen Nachdenkens und künstlerischen Schaffens zu Afrika. Wie der Politologe Zubairu Wai betont, dient diese Bibliothek paradoxerweise sowohl dem Westen dazu, „Ungeheuerlichkeiten wie den Verkauf und die Versklavung von Schwarzen“ zu rechtfertigen, als auch den Afrikanern, „den westlichen Diskurs zu hinterfragen“ und „ihre diskursive und ideologische Einzigartigkeit zu entwickeln“ 23 . Diese Auffassung ist verworren, wirft sie doch selbst einen essentialistischen Blick auf den Gebrauch der kolonialen Bibliothek und definiert deren Folgewirkungen auf den afrikanischen Menschen als schändlich.24 Auch wenn er dieser Bibliothek nicht entgehen konnte, hätte der Regisseur von Le silence de la forêt doch deren dunkelste Winkel, in denen die Pygmäen leben, jene „Hyper-Anderen“ 25 , erforschen und die Warnung des Ethnologen Serge Bahuchet beherzigen können: „In Wirklichkeit existieren die Pygmäen nicht. Es existieren Menschen mit der Bezeichnung Baka, Babongo, BaKola, BaAka26, BaSua, Èfè, Asua, BaTwa. Wer wird jemals wissen, was ihnen gemeinsam ist, außer, dass sie die Phantasien westlicher Menschen beflügeln?“27 Die sogenannten Pygmäen waren eine recht späte „Entdeckung“ der Forschungsreisenden. Sie wurden gleichgesetzt mit den Zwergvölkern, die bei Homer gegen die Kraniche in den Krieg zogen, von dort stammt auch ihr Name. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren sie selten Objekte anthropologischer Forschung, doch galten sie als letzte Überlebende einer ursprünglichen Rasse, die im äquatorialen Afrika siedelte und infolge des Vordringens der BantuVölker zum Rückzug in den Urwald gezwungen war. Ihr lange Zeit isoliertes Leben wird als Erklärung für ihre physischen Charakteristika herangezogen, die systematisch erforscht wurden: eine geringe Körpergröße und rötliche Hautfarbe. Denn in jener Zeit der Klassifizierungshysterie, die den Beginn der kolonialen Eroberung kennzeichnete, wurde gemessen und fotografiert, wurden

22 Mudimbe, Valentin: The Invention of Africa: Gnosis, Philosophy and the Order of Knowledge. Indiana Press U, 1988. 23 Mudimbe (1988): S. 270. 24 Wai verwendet den Begriff „Kontamination“. 25 Ballard, Chris: „Strange Alliance: Pygmies in the colonial imaginary“. In: World Archeology. Bd. 38, 1 (2006), S. 133-151, hier S. 137. 26 Ursprünglich Babinga, eine Verballhornung von Ba-mbenga, die von der Jagd leben, so der Ethnologe Georges Balandier. Vgl. Balandier, Georges: Afrique ambiguë. Paris, Plon, 1957, S. 157. 27 Bahuchet, Serge: „L’invention des Pygmées“. In: Cahier d’Études Africaines. Nr. 33, 129 (1993), S.153-181, hier S. 175.

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Pygmäen ausgestellt. So ließ beispielsweise der Forscher James Harrison 1904 sechs Mbuti nach Großbritannien kommen und kleidete sie in Matrosenanzüge für Kinder, um sie auf eine große Rundreise zu schicken.28 Auch die Geschichte von Ota Benga ist emblematisch für eine Zeit, in der gelehrter und populärer Rassismus zusammenfallen: Für die Weltausstellung von Saint-Louis in Missouri 1904 war beim Missionar und Forschungsreisenden Samuel Philips Verner ein Pygmäe „bestellt“ worden. Philips erstand ihn bei der Privatarmee des belgischen Königs, der Force Publique. Ota Benga wurde zunächst als Beispiel für das „fehlende Bindeglied“ ausgestellt, dann dem Bronx Zoo überlassen, wo er zwei Jahre im Käfig der Orang Utan verbrachte. Nachdem er ein Jahrzehnt lang verlangt hatte, man möge ihn nach Afrika zurückschicken, beging er 1916 Selbstmord im Waisenhaus von Lynchburg (Newkirk), das ihn aufgenommen hatte. Bei der Kartierung der Völker, deren Ressourcen der Kolonialismus ausbeuten wollte, wurden die Pygmäen oder négrilles als radikaler Gegensatz zu den Bantu ‚erfunden‘ ‒ als primitiv, brutal und ohne Moral. Anders als die Großen Menschen hätten sie jedoch in ihrem Infantilismus keine Praktiken der ‚Wilden‘ wie etwa Opferungen gekannt.29 Die Ethno-Historikerin Tamara Giles-Vernick erinnert an die deutsch-französische Mission Cottes, die eine Kategorisierung der Völker in Kamerun und im Kongo in Pygmäen (oder primitive négrilles) und M’fang, Mestizen aus Pygmäen und Äthiopiern oder Hottentotten, vornahm. Sie führt weiter aus, dass in den äußerst seltenen Erwähnungen der BaAka, die bereits mit den Völkern von den Ufern des Sangah Umgang pflegten, mit denen sie Wildtiere gegen Metall tauschten, in den Forschungsberichten stets mit einer gewissen Faszination von deren Kenntnissen über den Urwald die Rede ist.30 Tatsächlich waren die Pygmäen mit ihrem gleichsam mythischen Status und ihrer unkontrollierbaren Mobilität zu kolonialen Zwangsdiensten schwerlich heranzuziehen: Trotz des Versuchs, sie zu erfassen und eine „Politik der Zähmung“ 31 anzuwenden, mussten sie keine Steuern zahlen. Hinzu kommt, dass für die Zwangsarbeiten eine Nomenklatur der afrikanischen Körper erstellt wurde, wonach jedes Individuum, das der überlieferten Physis der Pygmäen entsprach, als ungeeignet erschien. Bei den vorbereitenden Erdarbeiten für den Bau der Eisenbahn Kongo-Ozean wurden die „Schwächlinge“ aussortiert – eine Katego-

28 Ballard (2006): S. 141. 29 Ebd., S. 140. 30 Ebd., S. 305-306. 31 Bahuchet, Serge: „Les Pygmées d’aujourd’hui en Afrique centrale“, In: Journal des africanistes. Bd. 61, 1 (1991), S. 5-35, hier S. 15.

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rie, die unter dem Druck der Arbeiter selbst bald durch die der „Hilfskräfte“ ersetzt wurde.32 So fiel es den Pygmäen zu, Posten und Baustellen mit Fleisch und Tierhäuten zu beliefern. Die Gesellschaften, die als Jäger und Sammler im Regenwald leben, hatten allerdings Methoden und Gerätschaften für ein effizientes Tragen entwickelt (oder von den Nachbarn übernommen). So beschreibt Lucien Demesse im Kapitel über den Transport bei den Babinga-Pygmäen die Technik des Tragekorbs: Er wird von einem über die Stirn verlaufenden Band gehalten und kann das Gewicht von kleineren Antilopen aufnehmen.33 Goyémidé selbst spricht von 90 Kilo, die ein Erwachsener bei der Rückkehr von der Jagd trägt.34 Die koloniale Idee von der Besonderheit der Pygmäen als menschliches Miniatur-Modell führte zu recht „eigenartigen Allianzen“35, wie es der berühmte Bericht von Jean Dybowski (1856-1928) aus dem Jahr 1894 zeigt. Der französische Forschungsreisende und Agraringenieur, der vom Komitee Französisches Afrika mit einer Mission in Ubangi beauftragt worden war, um Paul Crampel, den Sekretär von Pierre Savorgnan de Brazza, zu finden, beschreibt darin seine Begegnung mit einem „Exemplar“ aus „einer Zwergrasse, die man bislang selten sah, die nicht beschrieben wurde und die… von sehr großem anthropologischen Interesse ist“. Gemeint ist ein Obongo. Als Leser von Georg August Schweinfurth, dem „Entdecker“ der Aka, und von Henry Morton Stanley, jenem der beiden „Pygmäenrassen“ der Ituri36, macht Dybowski Fotos und nimmt Messungen vor. Er merkt an, dass andere Afrikaner über diesen „Sklaven“ spotten, der im Übrigen ein unerschrockener Jäger sei. Da Dybowski Träger fehlen, akzeptiert er zwei Obongo in seiner Truppe, nicht ohne sie darauf hinzuweisen, dass die reguläre Last bei 30 Kilo und das Tagespensum bei zehn Stunden liege. Seine Bedenken erweisen sich jedoch als unbegründet: „Meine Pygmäen… trugen tapfer ihre Lasten und gehörten zum Haupttross der Karawane, nicht zu den Nachzüglern, die von zwei Tirailleuren in der Nachhut angetrieben werden mussten, damit sie nicht gänzlich zurückfielen“, notiert er. Als weiteren Beweis für „die Energie, die im kleinen Körper der Obongo steckt“, berichtet Dybowski, dass einer der

32 Sautter, Gilles: „Notes sur la construction du chemin de fer Congo-Océan (19211934)“. In: Cahiers d’études africaines. Nr. l 7, 26 (1967), S. 219-299, hier S. 247. 33 Demesse, Lucien: Techniques et économie des pygmées Babinga. Paris, Institut d’ethnologie de Paris, 1980, S. 45-47. 34 Goyémidé (1984): S. 117. 35 Ballard (2006): S. 144, und Boyer (1989). 36 Vgl. Ballard (2006): S. 136-137 über die Kolonialbeziehungen zu den Pygmäen.

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beiden irrtümlich und ohne zu klagen einen Tag lang Gewehre mit einem Gewicht von 45 Kilo trug. Über seinen dokumentarischen Wert hinaus ist dieser Bericht ein wichtiges Element in der kolonialen Bibliothek mit seiner Mischung aus pseudowissenschaftlichem Ethnozentrismus und Verständnis für die Pygmäen, die „von den anderen Schwarzen“ unterdrückt und gering geschätzt werden:37 „So war dieser kleine Mensch sehr eigenartig, wie man sieht, er wurde von seinen Gefährten als einer niedrigeren Rasse zugehörig betrachtet aus dem einzigen Grund, weil er der ihren nicht ähnlich sah. Denn, nebenbei gesagt, es wäre ein schwerer Irrtum zu meinen, dass sich die Neger selbst für hässlich und uns für schön halten…“, schreibt Dybowski voll Empörung.38 Die angespannten Beziehungen, die heute zwischen den sogenannten Pygmäen und den sesshaften Bauern entlang der Straßen und Flüsse herrschen, gehen vermutlich auf die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen zurück. Während sich die Völker in der Äquatorialregion zuvor über ihre Komplementärwirtschaften definierten, 39 zwangen die Bauern als Antwort auf die zunehmende Beschlagnahmung von Agrarprodukten, Kautschuk und Elfenbein durch die Kolonialherren ihre „Pygmäen“-Kunden in ein Abhängigkeitssystem, das an Sklaverei grenzte. Die Jäger, die zur Lieferung von Stoßzähnen und Wild zu lächerlichen Preisen verpflichtet wurden, mussten nunmehr zusätzlich auf den Plantagen ihrer „Bantu-Chefs“ arbeiten und verlernten dabei zuweilen das Jagen und ihre eigene Lebensweise. Die Komplexität dieser Beziehungen in Form eines Dreiecksverhältnisses wird in einer Anekdote deutlich, die Balandier nach einem Besuch im Kongo überliefert: Kouka Nganga, ein Basundi-Führer, bezahlt die Aufhebung der Trauerzeit für einen Babinga-Notabeln in der Hoffnung, auf diese Weise die Babinga ihrem Batéké-Chef abspenstig zu machen. Ziel seiner Operation ist es, das Monopol auf dem Fleischmarkt zu brechen und die eigenen Fleischlieferungen in das Basundi-Dorf sicherzustellen. „Wir werden (die Babinga) besser behandeln, als es die Batéké tun, und wir bringen ihnen das moderne Leben bei“, verspricht Kouka Nganga als Gegenleistung.40 Die Misshandlungen, die Manga erfährt (der im Film wie im Roman ausgepeitscht, mit Tabak und Hähnchengerippe bezahlt, in einer Tierhütte untergebracht und beleidigt wird), haben ihren Grund in der ethnischen Unterscheidung

37 Ebd., S. 382. 38 URL:

http://web.cc.yamaguchi-u.ac.jp/~kitanisi/pygmy_doc/article/Dybowski94b.

html [Zugriff: 5. Juli 2017]. 39 Bahuchet (1993): S. 12-15. 40 Ebd., S. 152-164.

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zwischen Babinga und Bantu, denn die Idee der Ethnie, eine Erfindung der Kolonisierung, wurde auch nach der Unabhängigkeit weiter gepflegt und politisch genutzt: 41 Sie hat eine Geschichte, sie ist nicht wesensbedingt. 42 Vor diesem Hintergrund werden die Nomaden und der Urwald, weiterhin ausgebeutet – beides greift ineinander.

D IE „ UNERBITTLICHE R EPUBLIK

DES

U RWALDS “

Der äquatoriale Regenwald, der als Hintergrund für die ersten beiden Spielfilme von Bassek ba Kobhio eine immense Präsenz besaß, wird in Le silence de la forêt zu einer Absicht, ja zu einer Aussage. Er wäre der ungezähmte, außergesetzliche Teil des Landes, jener Kern an Alterität, die in jedem Untergebenen fortbesteht. Er muss also in die Nation integriert werden, um ihr seine Ressourcen zu schenken, und der vielgestaltige Diskurs über Unterschiedlichkeit muss dem politischen Kampf gegen Ungerechtigkeit Platz machen. Gonaba, der nach Zentralafrika zurückkehrte, um am nationalen Aufbau mitzuarbeiten, wie er sagt, begibt sich an diese neue Front im Kampf für die Bildung mit einer positivistischen Haltung. Er ist entschlossen, die Aufklärung in den Urwald zu tragen, wobei er in diesem unbekannten Umfeld zwar nicht ganz ohne Beunruhigung, jedoch linear voranschreitet. Sobald er bei den Babinga angekommen und von unerlässlichen kulturellen Verhandlungen in Anspruch genommen ist, gilt ihm diese pflanzliche Masse nicht mehr als Maßstab, sondern sie erscheint ihm trotz seltener ekstatischer Momente meist als gewöhnlich. Die Kamera begleitet ihn in Halbtotale bei seinen Anstrengungen, sich einen Weg durch das Unterholz zu bahnen, dort Material für den Bau der Schule zu sammeln oder Tiere mit der Lanze zu jagen. Die beiden Panoramaaufnahmen vom Urwald sind Pausen, die diese abgeschottete Welt beschreiben, in die Gonaba sein weltliches Evangelium tragen will: Nahezu das gesamte Bild wird von Bäumen beherrscht, die den Himmel verdecken. Hin und wieder eine Nahaufnahme, die thematisch frei das Sujet der Szene aufgreift: ein gelber Schmetterling, dessen Flügel auf einem großen Blatt vibrieren, Tropfen eines Gewitterregens auf von Blitzen erhellten Blättern. Eine vertikale Kamerafahrt vom Gipfel eines riesigen Kapokbaumes bis zu dessen Fuß, wo Gonaba sitzt, soll nahelegen, dass er das Maß aller Dinge in diesem Universum ist.

41 Vgl. „Des Pygmées logés au zoo de Brazzaville“. URL : http://www1.rfi.fr/actufr/articles/091/article_54031.asp[Stand 5. Juli 2017]. 42 Chrétien, Jean-Pierre & Prunier, Gérard et al. : Les ethnies ont une histoire. Paris, Karthala, 1989.

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Er fordert übrigens seine Verlobte auf, mit ihm dem „Schweigen des Waldes“ zu lauschen – ein Beweis, dass seine Sensibilität für den Rhythmus der Natur inzwischen größer ist als bei jenen, die ihr entstammen. Wir sind hier weit entfernt von der Vermittlung, die der Erzähler im Roman von Goyémidé leistet, der dem langsamen Tod einer bäuerlichen Kultur mit ihren einst lauten Festen im Mondschein die Ewigkeit des Urwalds gegenüberstellt, dessen Schweigen nur eine „kurze Windstille im Leben“43 ist. Während der Gonaba bei Bassek ba Kobhio Rousseau zitiert, um Manga die Freiheit zu verkünden, bezieht sich der Erzähler bei Goyémidé auf eine Passage aus dem Geist des Christentums (1. Teil, Buch V, Kapitel 12), in der Chateaubriand einen „Ozean aus Wäldern“ als geeigneten Ort empfiehlt, um allein mit Gott zu sein. Goyémidés Vision des Waldes ist zudem von Dante inspiriert und seinem Eingang zur Hölle mit jenen „dichten, wilden, dornigen Waldeshallen/ Die, denk ich dran, erneun der Furcht Gewalt!“ Gonaba wird übrigens in konzentrischen Kreisen jenes Wissen erwerben, das zum Überleben in dieser von einem Missionar so bezeichneten „unerbittlichen Republik des Urwaldes“44, erforderlich ist. Der Roman steht letztlich in der literarischen Tradition eines verzauberten Waldes, „ein seltsames Gelände, wo Kräfte des Lebens und des Todes einander gegenüberstehen“45, wie etwa bei Amos Tutoala, Seydou Badiane und Ben Okri. Er ist ein Oxymoron, ein vorsintflutliches Monster46, voll wirksamer Heilmittel für jene, die wie der Inspektor von den falschen Sonnen der Unabhängigkeit verdorben wurden. Bereits vor Gonabas Versuch47 hat der äquatoriale Regenwald zahlreiche Eroberungen erfahren: durch Kapitän Marchand, der auf dem Weg nach Brazzaville den Aufstand von 1896 niederschlug, oder auch durch Stanley (alias BoulaMatari, „der die Steine bricht“), der berichtete, dort „keine anderen Völker als Zwerge angetroffen zu haben, eine hässliche und bösartige Rasse, deren Giftpfeile zahlreiche Opfer verursachten“.48 Auch Widerstandsbewegungen erlebte der Regenwald: den Krieg von Kongo-Wara (1928-1931), dessen Anführer

43 Goyémidé (1984): S. 23. 44 Taylor, Anne-Christine: „,Cette atroce république de la forêt‘. Les origines du paradigme Jivaro“. In: Gradhiva 3 (1987), S. 3-10, hier S. 3. 45 Coussy, Denise: La littérature africaine moderne au sud du Sahara. Paris, Karthala, 2000, S. 16. 46 Ebd. S. 61. 47 Françoise Oguchukwu bezeichnet Le silence de la forêt als Expeditionsroman. 48 Niox, Gustave: L’expansion européenne. U. of Michigan Press, 1898, S. 348-349.

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Karnou im Urwald in Haute-Sangha getötet wurde49. Der Regenwald war Zeuge von Repressalien der Machthaber im Rahmen des Kalten Krieges gegen den Aufstand der UPC in Kamerun 50 oder der Simba-Rebellion in Zaire: „Die Pygmäen wurden mit hineingezogen und entweder von den nationalistischen Militärs oder von den Rebellen als Führer oder Tracker eingesetzt“, notiert Bahuchet.51 Und der Regenwald hat auch die Gräuel der neuen Kriegsherren erlebt: „Die aufständischen Soldaten von Jean-Pierre Bemba (im Osten der Demokratischen Republik Kongo) betreiben eine Menschenjagd, der vor allem Pygmäen zum Opfer fallen. Die Gräueltaten reichen bis hin zu Akten von Kannibalismus“, berichtete Le Monde am 27. Februar 2003.52 Doch weder der Romancier noch der Filmemacher stellen den Urwald, diese Heterotopie, deren Grenze durch einen Wasserlauf markiert und dessen Unversehrtheit durch eine Reihe von Bewährungsproben bewahrt wird, in einen historischen Zusammenhang. In dem Babinga-Dorf, das Bassek ba Kobhio ausgewählt hat, werden die wenigen Spuren der Moderne (bedruckte T-Shirts in Kombination mit Lendenschurzen) durch „natürliche“ Töne überdeckt; das Radio ist verbannt, man lernt aus dem großen Buch der Natur53. Gonaba has gone native. Denn mutatis mutandis sind die Pygmäen für die KompradorenBourgeoisie das, was die Indianer für das tiefste Amerika gewesen sein dürften, eine „idealisierte Version des eigenen Ich, eine Verkörperung verlorener Tugenden“ in der verwestlichten Welt.54 Tatsächlich sind für Gonaba „(die Babinga) wahrer als wir, mehr…“. Er fügt hinzu: „Die Sklaverei, die Kolonisierung, die

49 Ceriana Mayneri, Andrea: Sorcellerie et prophétisme en Centrafrique. L’imaginaire de la dépossession. Paris, Karthala, 2014, S. 219. 50 „,Es war ein asymmetrischer Krieg: Wir konnten den automatischen Waffen der französischen Armee nur Macheten entgegensetzen. Im Urwald, wo wir lebten, hatten wir nichts zu essen‘, erinnert sich ein ehemaliger Widerstandskämpfer.“ URL: http://www.liberation.fr/grand-angle/2008/09/17/la-guerrecacheede-la-francecameroun-1958-la-guerrecacheede-la-france_80364 [Zugriff: 5. Juli 2017]. 51 Bahuchet (1991): S. 15. 52 Vgl. auch BBC News vom 23. Mai 2003 sowie den Bericht von Human Rights Watch vom 7. Juli 2003. URL: https://www.hrw.org/fr/report/2003/07/07/ituri-couvert-desang/violence-ciblee-sur-certaines-ethnies-dans-le-nord-est-de-la [Zugriff: 5. Juli 2017]. 53 Zu einem alternativen, wenn auch problematischen Blick auf ein Aka-Dorf vgl. den Artikel von Jean-Pierre Turquoi (2006, 2010). 54 Huhndorf, Shari M.: Going Native. Indians in the American Cultural Imagination. Cornell U. Press, 2001, S. 6.

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Einheitspartei, all dies ließ uns unsere Persönlichkeit, unsere Seele verlieren, während sie auch nach jahrhundertelangen Demütigungen unverändert blieben“55, und er möchte von Manga „das Geheimnis (seiner) Integrität“ erfahren.56 Obwohl der Held im Film vorgeblich die ethnische Hierarchie seiner Gesellschaft in Frage stellt, gesteht er den Babinga nur eine einzige Funktion zu, nämlich, ihm Zugang zu dieser authentischen Naturbeziehung zu verschaffen, zu dieser Ästhetik der Anspruchslosigkeit, die diese per definitionem besitzen. Ach, wäre ich doch Pygmäe!, klagt er sicherlich in seinem Inneren57. Gonaba steht hier für die Ambivalenz eines Teils der zentralafrikanischen Intelligenzia gegenüber der Moderne und ihrem Wunsch, davon freigesprochen zu werden, dass sie nach der Unabhängigkeit, doch vor allem seit 1986 unter dem Druck von Weltbank und Internationalem Währungsfonds den Urwald an Unternehmen zur Ausbeutung von Holz und Metallen verkauft hat. Seither sind die sogenannten Pygmäen in vielfacher Hinsicht „Opfer der immensen Begehrlichkeiten, die ihre natürliche Umwelt weckt“ 58 . Allgemein gesprochen, sie werden aus ihrem Wald vertrieben, und der Wald ist aus ihrem Leben vertrieben – dies ist die These des Kurzfilms des franko-kongolesischen Regisseurs DavidPierre Fila Le dernier des Babingas59. Ironie des Schicksals: Zuweilen werden sie von Unternehmen zur Holzgewinnung bei der Exploration, an den Maschinen oder auf den Baustellen eingesetzt.60 Nicht immer ist die Umweltbewegung für sie von Nutzen. Als beispielsweise der World Wildlife Fund mit Unterstützung von Weltbank, amerikanischen und deutschen Behörden (u. a. der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) und des zentralafrikanischen Ministeriums für Gewässer und Wald es sich zur Pflicht machte, den Park Dzanga-Ndoki (1220 km2) und das Sonderreservat Dzanga-Sangha (3 359 km2), wo nur noch mit „traditionellen Waffen“ gejagt wird) zu schützen, erfand man neue widersprüchliche Kategorien. So wurde eine künstliche Unterscheidung zwischen „Migranten“ (nicht BaAka, die für die übermäßige Ausbeutung des Urwalds verantwortlich gemacht wurden) und BaAka vorgenommen, die westliche und zentralafrikanische Umweltschützern häufig als „Indigene des Urwalds per definitionem“, die unerbittlich von ihren Nachbarn angegriffen würden, konstru-

55 Film: 11:13-11:27. 56 Film: 30:16-30:17. 57 Huhndorf (2001): S. 1. 58 Guillaume (1989): S. 81. 59 Preis des Umweltfilms, Preis Okoemedia und Preis für den besten Dokumentarfilm bei „Vues d’Afrique 1991“. 60 Bahuchet (1991): S. 20.

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ierten, – weshalb sich der WWF als Vermittler bei der Zuteilung der Waldressourcen sah.61

E INE A RT Z USAMMENFASSUNG Ballard erinnert zu Recht daran: „Solange der Pygmäe für uns weiterhin als Kategorie existiert, steht es in unserer Verantwortung, gegenüber den Implikationen seiner Benennung und den mit seiner Darstellung verbundenen unausgesprochenen Strategien wachsam zu sein, müssen wir uns dieser mythischen Geschichte und der Rolle, die diese Geschichte bei der Konstituierung unserer eigenen Berichte über die Vergangenheit spielt, bewusst sein“62. Die Szene in Le silence de la forêt, in der Manga ohne Notwendigkeit oder Erklärung zum Träger Gonabas wird, basiert auf Codes, in denen sich koloniale Vergangenheit, postkoloniale Sehnsucht und Ökotourismus mischen. 63 Gewiss transportiert Manga Gonaba von einem Universum zum anderen, doch trägt der Film seinerseits die Verantwortung dafür, dass er durch einfache binäre Codes (groß/klein64, Chef/Träger, gebildet/ungebildet, Bantu/Babinga) die Herrschaft des „Großen Menschen“ – die so offensichtlich ist, dass sie nicht begründet wird – über jene Gruppe, die über ihre Unterschiedlichkeit definiert wird, bestätigt. Gonaba wird die Erfahrung seines Niedergangs machen, er wird aus dem Urwald vertrieben, dem Ort, den er als das zu vervollkommnende Paradies betrachtete. Allein, ohne

61 Giles-Vernick, Tamara: „Rethinking Migration and Indigeneity in the Sangha River Basin of Equatorial Africa“. In: de Broch-Due, Vigdis & Schroeder, Richard A. (Hg.): Producing Nature and Poverty in Africa. Nordic Africa Institute, 2001, S. 295-320, hier S. 311-315. 62 Ballard (2006): S. 147. 63 Vgl. das Angebot des Reiseveranstalters „Fleuves du monde“ über zwei Wochen in Zentralafrika, davon eine Woche Trekking im Urwald. „Die Reisenden werden von einem Dolmetscher, von Pygmäen als Träger und einem Tracker begleitet. Der Preis liegt bei 2800 Euro inklusive Flug und Vollpension.“ Le Monde, 24. März 2006/24. August 2010. 64 „Didier und ich (Bassek ba Kobhio) haben uns für ein anderes Pygmäendorf entschieden, wo die Menschen noch kleiner sind als anderswo, damit der Zuschauer auf der Leinwand den Pygmäen so sieht, wie er ihn sich oft vorstellt. Der Pygmäe ist nicht immer klein, aber wir machen ja keinen Dokumentarfilm, man musste also für den Zuschauer die Lektüre des Films vereinfachen.“ URL: http://www.filmfestamiens.org/archives/cinemasacp/films/silence.html [Zugriff Juli 2017].

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Gepäck, findet er sich auf dem Weg wieder, der eines Tages das Pygmäenlager aus der Abgeschiedenheit führen wird; der Weg, Symbol der Moderne, der dem Tragen vermeintlich ein Ende gesetzt hat. Übersetzung: Erika Mursa

L ITERATUR [keine Autorangaben] „Au Congo les Pygmées victimes du cannibalisme“. In: Le Monde, 27. Februar 2003. [keine Autorangaben] „DR Congo Pygmies appeal to UN“. In: BBC News, 23. Mai 2003. URL: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/2933524.stm [Zugriff: 12. März 2017]. [keine Autorangaben] „Des Pygmées logés au zoo de Brazzaville“. URL: http://www1.rfi.fr/actufr/articles/091/article_54031.asp [Zugriff: 12. März 2017]. Bahuchet, Serge: „L’invention des Pygmées“. In: Cahier d’Études Africaines. Nr. 33, 129 (1993), S.153-181. Ders.: „Les Pygmées d’aujourd’hui en Afrique centrale“. In: Journal des africanistes. Bd. 61, 1 (1991), S. 5-35. Balandier, Georges: Afrique ambiguë. Paris, Plon, 1957. Ballard, Chris: „Strange Alliance: Pygmies in the colonial imaginary“. In: World Archeology. Bd. 38, 1 (2006), S. 133-151. Bassek ba Kobhio: Sango Malo: le maître du canton. Paris, Harmattan, 1991. Ders.: Sango Malo: le maître du canton (Film), 1991. Ders.: Le Grand Blanc de Lambaréné (Film), 1995. Ders.: Le silence de la forêt (Film), 2003. Boyer, Pascal: „Pourquoi les Pygmées n’ont pas de culture?“. In: Gradhiva 7 (1989), S. 3-17. Ceriana Mayneri, Andrea: Sorcellerie et prophétisme en Centrafrique. L’imaginaire de la dépossession. Paris, Karthala, 2014. Célérier, Jean & Cholley, André: „Les remèdes au portage en Afrique Équatoriale Française“. In: Annales de Géographie. Bd. 37, 210 (1928), S. 567-568. Chrétien, Jean-Pierre & Prunier, Gérard et al. : Les ethnies ont une histoire. Paris, Karthala, 1989. Coussy, Denise: La littérature africaine moderne au sud du Sahara. Paris, Karthala, 2000.

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Das Lastentragen im heutigen Afrika – vom weltlichen zum heiligen Tragen Einige persönliche Beobachtungen J EAN -P IERRE T ARDIEU Am Ende des 19. Jahrhunderts bot die französische Zeitschrift L’Illustration1 ihren Lesern Berichte zu den großen Entdeckungsreisen nach Afrika, illustriert mit Gravuren, später auch mit Fotos, die einen neuen Exotismus heraufbeschworen. Die wichtigsten Texte daraus wurden in Les grands dossiers de L’Illustration erneut abgedruckt. Man findet darin Reproduktionen von Trägern, die Elfenbein, Reisehängematten und selbst Forschungsreisende auf ihrem Rücken transportieren, und selbstverständlich von den Trägern der Expeditionsausrüstung, die am häufigsten abgebildet wurden.2 Das Lastentragen war in manchen Gebieten Afrikas besonders stark verbreitet. Denn im Unterschied zu den Ländern der Sahelzone oder der Savannen in Subsahara-Afrika konnten in den Waldgebieten der Küste Zugtiere wie Pferde, Maulesel oder Esel nicht eingesetzt werden. Dies lag weniger an der allzu dichten Bewaldung, die beim Anlegen von Wegen hinderlich war, als vielmehr daran, dass die Tiere mangels natürlichen Immunschutzes den Insektenstichen und damit der Übertragung schwerer Krankheiten durch Parasiten wehrlos ausgesetzt waren. Große Gebiete entlang der bewaldeten Wasserläufe in Zentral1

1843 gegründete französische Wochenzeitschrift (mit Zeichnungen und Fotos), die eine starke Verbreitung kannte.

2

„Les expéditions africaines“. In: Les grands dossiers de L’Illustration. Paris, Sefag und L’Illustration, 1987. Siehe vor allem: „Une caravane de porteurs d’ivoire“, S. 76 (Aufsatz: „Voyage du capitaine Trivier dans l’Afrique équatoriale. 1er février 1890“); „M. Lamandon dans son hamac de voyage“, S. 97 und „Passage d’un torrent dans les monts Niéniéya“, S. 98 (Aufsatz: „La vie noire. Un voyage d’exploration au Soudan français, par Félix Dubois, 17 septembre 1892“).

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und Westafrika waren von Seuchen überzogen, die von der Tse-Tse-Fliege mittels Trypanosomen übertragen wurden. Zu ihnen zählt die Schlafkrankheit, die heute noch in diesen Gebieten wütet. Auch mit dem Fortschritt der Kommunikationsmittel sind die Träger nicht verschwunden, und dies aus mehreren Gründen. Zunächst deshalb, weil sich die neuen Technologien aufgrund der häufig erforderlichen kostspieligen Strukturen keineswegs von heute auf morgen überall durchsetzen konnten. Auf die Ursachen dieser Verzögerung wollen wir hier nicht näher eingehen. Sie sorgte jedoch dafür, dass eine überlieferte Gewohnheit erhalten blieb, die bereits lange vor der Kolonisierung existierte, sich allerdings fortentwickelt hatte. Dies beschränkte sich letztlich nicht auf das Tragen zu Nutzzwecken, sondern nahm eine metaphysische Dimension an. So entwickelte die Religion in Afrika das „heilige Tragen“.

B EIBEHALTUNG

DES NÜTZLICHEN

T RAGENS

Im Folgenden will ich an einige Szenen erinnern, die ich während meiner langen vierzehnjährigen Mission nach West-Afrika, nach Benin, das ehemalige Dahomey, und an die Elfenbeinküste persönlich erlebt habe, wobei ich auch zentralafrikanische Länder kennenlernte. Sie lassen weniger eine tatsächliche Fortdauer, als vielmehr eine Weiterentwicklung oder unleugbare Anpassung des Tragens erkennen. Die Rolle der Frau Auf den Gravuren und Fotos der vorkolonialen und kolonialen Epoche kommt den Männern die Hauptrolle zu. Das Tragen war für sie zunächst ein lästiger Dienst, der zu einem Gewerbe wurde, das zwischen Forschungsreisenden und lokalen Chefs ausgehandelt wurde. Die Frauen, denen die häuslichen Tätigkeiten oblagen und die als physisch schwächer galten, waren davon im Allgemeinen ausgenommen. Doch gehörten auch sie in einem engeren und spezifischeren Sinne zu diesem System. Sie übernahmen größtenteils den Transport der Agrarerzeugnisse vom Feld in die Dörfer und dann zu den Märkten der Nachbarstädte, wie es noch heute in vielen Gegenden der Fall ist. Schon sehr früh morgens waren ganze Gruppen von Frauen zu sehen, die sich im Gänsemarsch mit großen Emaille-Schüsseln auf dem Kopf auf den Weg zu den Stadtzentren machten, die sie mit allen Arten von Lebensmitteln versorgten. Die aus Europa, später aus Asien importierten Schüsseln sind inzwischen durch Plastikgefäße ersetzt worden. Ein Stoffpolster

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milderte das Gewicht der Last auf dem Kopf der Frau, die, um das labile Gleichgewicht des Aufbaus nicht zu gefährden, zu einem sehr aufrechten Gang gezwungen war. Damals war häufig zu beobachten, dass schon sehr kleine Mädchen diese Bewegungen der Frauen nachahmten, um sie zu erlernen. Gefährtinnen oder Familienmitglieder halfen jeweils, die Last auf dem Kopf zu platzieren. Dann galt es, deren Schwerpunkt zu finden und sie mit den Händen auf dem Schutzpolster entsprechend auszurichten. Anschließend musste jede abrupte Bewegung vermieden werden. Kamen die Frauen unterwegs mit jemandem ins Gespräch, drehten sie sich nicht um, sondern führten ihre Unterhaltung zuweilen über mehrere Meter hinweg fort, was ich selbst sehr häufig beobachtet habe. Auch außerhalb dieses landwirtschaftlichen Bereichs bedienten sich Bewohnerinnen von Dörfern und Städten dieses Verfahrens, etwa um ihren täglichen Marktgang zu erledigen, wobei sie eine Schüssel oder einen Korb mit den für die erweiterte Familie erforderlichen Nahrungsmitteln füllten. Bei anderen Gelegenheiten wie einem Besuch trugen die Frauen ihre Lasten ebenfalls auf dem Kopf. Bei Feierlichkeiten wie Hochzeiten wurden die Geschenke auf diese Weise zur Wohnung der Braut gebracht, so dass sie öffentlich bewundert werden konnten, zumal die Trägerinnen unterwegs mit entsprechenden Begleitgesängen die Aufmerksamkeit von Passanten und Nachbarn auf sich lenkten. Das gleiche Verfahren galt für Trauerzeremonien, was bei Freunden, Gefährten oder Verwandten Großzügigkeit hervorrufen sollte. Derlei Beobachtungen konnte ich in meinem Viertel in Obalendé in Porto Novo und anderen Ballungsgebieten des früheren Dahomey machen. Infolge des Sklavenhandels wurde dieser Brauch bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch nach Portugal transportiert. Ein Beleg dafür ist der Flügelaltar von Garcia Fernandes mit dem Titel „Niederkunft der Jungfrau Maria“, wo der Maler eine schwarze Dienerin zeigt, die auf dem Kopf einen Korb mit Geschenken für die Wöchnerin trägt.3 Dieses weibliche Tragen verbreitete sich in ganz Afrika, selbst im Subsahara-Gebiet, wo es genügend Lasttiere gab. In der Region von Agadès in Niger habe ich beispielsweise Frauen gesehen, die leichtere, zuweilen jedoch zweistöckige Lasten auf dem Kopf transportierten. Übrigens wurde diese Sitte mit dem Sklavenhandel in die Neue Welt übertragen, wo sie noch heute, beispielsweise in den schwarzen Gemeinden des Chota/Mira-Tals in Ecuador, praktiziert wird.

3

Sesimbra: „Sammlung der Fürstin von Palmela“. In: Devisse, Jean & Mollat, Michel: L’image du Noir dans l’art occidental. Bd. 2. Paris, Bibliothèque des arts, 1979, S. 195 (ill. 198).

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Weiterentwicklung des nützlichen Tragens Mit der Zeit übernahmen Fahrradtaxis und heute Motorrad-Taxis – vor allem in Benin die Kannan-Taxis und später die Zemidjan – eine wichtige Rolle für die Mobilität nicht nur der Menschen, sondern auch der Waren. Die stabilen englischen oder auch holländischen Räder mit ihrer hohen Lenkstange waren bestens gerüstet, um den Unregelmäßigkeiten der Wege, Pisten und später der asphaltierten Straßen – der sogenannten „goudrons“, „Geteerten“ –, die wegen der starken Niederschläge in der Regenzeit zahllose Schlaglöcher aufwiesen, standzuhalten. Dabei nahm der Passagier auf dem gepolsterten Rücksitz Platz, den ein geschickter Schmied angeschweißt hatte, und stellte seine Füße auf Stützen, die an den Radachsen befestigt waren. So wurden der Mann oder die Frau transportiert und waren doch weiterhin Träger. Ihre Last konnte enorm sein: In den siebziger Jahren habe ich in Porto Novo beobachtet, dass die Passagiere kleinere Möbelstücke bis hin zu ganzen Schränken auf dem Kopf beförderten, was ich als vervielfältigtes Tragen bezeichnen würde. Wenn es beim Versuch, das Gleichgewicht zu halten, zu Koordinationsschwierigkeiten kam, führte dies zuweilen, wenn auch selten, zu spektakulären Stürzen.

D AS

SYMBOLISCHE

T RAGEN

Tragen bei Festen und Vergnügungen Ich werde später auf eine bestimmte Art des feierlichen, zuweilen riskanten Tragens eingehen. Zuvor sei jedoch von einem Aspekt die Rede, der im Widerspruch zu den Aussagen über aufgezwungene oder bezahlte Trägerdienste während der Entdeckungsreisen und später der Kolonialzeit steht. Es geht um das zeremonielle Tragen. An der Elfenbeinküste werden bei manchen traditionellen oder politischen Zeremonien Darbietungen gezeigt, die an westliche Zirkusspiele erinnern. Dabei ziehen kleine Truppen von Gauklern, die den Ethnien der Dan oder der Yacouba angehören, durch das Land und lassen sich andernorts zu Festen und Zeremonien einladen. Richtige Athleten tragen kleine Mädchen auf ihren Schultern, die biegsam und gut trainiert sind. Sie benutzen die Schultern ihrer Träger als eine Art Trampolin, um sich in die Luft zu katapultieren und in einem perfekten Bogen nach mehreren Drehungen um sich selbst exakt auf den Schultern eines Trägers zu landen, der sie in einiger Meter Entfernung auffängt. Die Zuschauer lassen nicht den geringsten Fehler zu, der für das Kind ohnehin verheerend wäre. Denn um die Gefährlichkeit des Schau-

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spiels zu erhöhen, sind die beiden Erwachsenen mit spitzen Messern bewehrt, so dass jede falsch berechnete Flugbahn zum Risiko wird. Wie ihre jungen Partnerinnen sind die Männer mit Kauri-Muscheln geschmückt, was an einen lange zurückliegenden Ursprung dieser Zerstreuung denken lässt. In diesem Sinne hätten wir es mit der Wiederaufnahme früherer Spiele zu tun, wobei die Flugbahn der Akrobatinnen möglicherweise eine symbolische Bedeutung besäße, die sich vielleicht auf den Lauf der Sonne bezieht. Bei solchen Schauspielen tauchen Masken auf, allerdings unter gänzlich anderen Umständen als unten dargelegt. Viele Male habe ich solche Veranstaltungen erlebt, wie etwa 1983, beim Maskenfestival in Man an der Elfenbeinküste. Dabei konnte ich mich mit einigen Teilnehmern unterhalten und daraus verschiedene Vermutungen ableiten. An erster Stelle seien hier die „komischen Masken“ erwähnt, eine Bezeichnung, die eigentlich eher für das Treiben ihrer Träger galt. Um die Pausen zwischen wichtigeren Sequenzen zu überbrücken, mussten diese die Menge mit Minenspiel, Gebärden und zweideutigen Verrenkungen vergnügen und eine heitere Stimmung erzeugen. Zwar entstammten die Figuren einem überlieferten Repertoire, doch wurde vom Akteur eine originelle Interpretation erwartet, die in langem Training erworben worden war. Auch wenn hier keine heilige Dimension im Spiel war, blieb die Anonymität des Trägers gewahrt. Denn es ging darum, dessen Würde zu bewahren in einer Gesellschaft, in der dieser Wert wichtig ist. Traditionell gab es keine eigentlichen Polizeidienste, doch ließ sich jeder Bauer von einem gewissen Alter an von einem Krieger begleiten. Diese Männer übernahmen die Aufgabe, die Menge innerhalb bestimmter Grenzen zu halten. Sie traten dabei zuweilen in einer eigenartigen Aufmachung auf, die ihnen gewissermaßen als Uniform, aber auch zur Verhüllung ihrer Identität diente. So waren ihre Glieder mit Lumpen bekleidet, ihr Körper von Bast umhüllt und ihr Gesicht mit einer Kapuze oder einer einfachen Maske ohne allegorische Bedeutung bedeckt. Sobald jemand in den abgegrenzten Bereich eindrang, wurde er von ihnen mit einem Stock zurückgetrieben. An der Elfenbeinküste wurden diese Masken bezeichnenderweise „Gendarmenmasken“ genannt. Allerdings bleibt offen, ob diese bereits vor der kolonialen und nationalen Epoche existierten. Ganz anders war es bei den Zangbetos in Porto Novo. Diese bildeten eine Art geheime Polizei, die sich um die Sicherheit auf den nächtlichen Straßen kümmerte. Da ihr Anblick theoretisch verboten war, ergriffen die Bösewichte beim Ertönen des Muschelhorns die Flucht, und die späten Passanten machten sich schnellstmöglich davon. Auch sie verbargen ihr physisches Äußeres hinter einem besonderen Aufzug, der furchteinflößend wirken sollte.

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Die Träger-Masken Masken konnten ihrerseits wiederum zu Trägern werden. Dieser doppeldeutige Ausdruck bezieht sich auf zwei Ebenen. Die erste entspricht dem Menschen, der gänzlich von einer Kleidung eingehüllt ist, die mit der getragenen Maske korrespondiert. Tatsächlich existiert er nicht mehr als Individuum, denn seine Persönlichkeit ist verdeckt, ja sie wird geleugnet. Die zweite Ebene, eine aus Holz geschnitzte Darstellung, überhöht die erste. Eine solch umfängliche Inbesitznahme ist zumeist, aber nicht immer, metaphysischer Natur, sofern dieser Begriff dem traditionellen afrikanischen Weltbild angemessen ist, das keine Trennung zwischen Natur und Mensch kennt. Dieser definiert sich nicht im Gegensatz zur Welt der Tiere, der Pflanzen oder der Mineralien, sondern sieht sich als ein Element der Natur wie jene, mit denen er in Synergie lebt. Diese darf nicht gestört werden, sofern man keine große Gefahr heraufbeschwören will.4 Zoomorphe Masken

Die Maske kann ein stilisiertes, doch leicht erkennbares Tier darstellen. Der Zamble bei den Guro an der Elfenbeinküste etwa besitzt die Form eines Antilopenkopfes. Stärker ausgearbeitet sind Masken mit menschlichen Gesichtszügen, auf deren Helm Tiere abgebildet sind. In beiden Fällen geht es um dieselbe Bedeutung: Der Mensch ehrt diese Tiere vor oder nach der Jagd, die er betreibt, um das Überleben seiner Gemeinschaft zu sichern. Mit einer Choreografie, die auf sorgfältiger Beobachtung basiert, verleiht der Maskenträger dem Wesen neues Leben, dessen Existenz er zerstört hat oder zerstören wird, allerdings nicht aus Vergnügen, sondern aus unumgänglicher Notwendigkeit. Mehr noch: er verwandelt sich in diese Tiere, da er sich von deren Fleisch ernähren wird. So wird der Angriff auf die natürliche Ordnung ausgeglichen. Dies ist der Fall bei den Yaure an der Elfenbeinküste, deren Masken begehrte Sammlerstücke sind, jedoch in den Kunsthandwerkhandel mit Touristen gelangen. Nach Ansicht von B. Holas sind auf der unten abgebildeten Maske mit ihren feinen weiblichen Gesichtszügen die Vögel als Symbol für das befruchtende männliche Element zu sehen.5

4

Diese Konzepte sind seit den Arbeiten von Marcel Griaule (Masques Dogons. Paris, Institut d’Ethnologie, 1938 und Dieu et l’eau. Paris, Fayard, 1956) gut bekannt. Vgl. auch Thomas, Louis-Vincent Thomas & Luneau, René: Les religions d’Afrique noire. Textes et traditions sacrés. Paris, Stock, 1995.

5

Holas, Bohumil: Arts traditionnels de la Côte d’Ivoire. Paris, CEDA, 1969, S. 84.

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Abb. 1: Yaure-Maske mit zoomorphem Helmschmuck

Quelle: Aus der Sammlung des Autors

Anthropomorphe Trägermasken

Auf den zweistöckigen Senufo-Masken, den Korigo oder Kodal-Masken, sind die menschlichen Darstellungen demselben Weltbild zuzuordnen, in dem die Trennung zwischen Leben und Tod aufgehoben ist und das Neugeborene als Wiedergeburt eines Vorfahren gilt. Das Werkzeug dieser Kontinuität ist die Frau, die mit übergroß dargestellten mütterlichen Attributen über dem Manne thront. Abb. 2: Trägermaske mit anthropomorpher Darstellung

Quelle: Aus der Sammlung des Autors

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Die Künstler verstanden es, diesen Maskentypus dem Lauf der Zeit anzupassen. Bei den Guro an der Elfenbeinküste fand B. Holas eine Maske jüngeren Datums mit „Tendenzen kultureller Anpassung“. Sie zeigt einen jungen Mann mit kurzen Hosen und ärmellosem Sporttrikot, ganz offensichtlich einen Fußballer.6 Komplexe Masken Ganz allgemein ist festzuhalten, dass diese bedeutungstragenden Masken mit einer oder zwei Aufsätzen die Menschen in Afrika innerhalb des vom Abendland so bezeichneten „Animismus“ situieren. Sie erreichen zuweilen einen sehr komplexen Aufbau, so etwa die Gelede-Masken der Yoruba in Nigeria und Benin, bei denen Tierschädel gekrönt werden von einem Terrakotta-Aufbau mit Opferszenen für die Gottheiten. Auf trivialere Weise kann eine Maske auch moralisierenden Zwecken dienen. Carol Beckwith und Angela Fisher verweisen auf Awo-Masken, die Yoruba-Sprichwörter illustrieren, etwa wenn es um die unerwünschten Folgen unkontrollierter Leidenschaften in Liebesdingen geht. So werden außereheliche Schwangerschaften durch die Darstellung einer Frau mit „Topfbrüsten“ angeprangert.7 Theophore Masken Die Ahnen oder die Götter bemächtigen sich in Afrika der Menschen, um sich ihrem Volk zu zeigen. Mit diesen Erscheinungen soll auf anschauliche Weise eine Verbindung gestärkt werden, die nicht abstrakt bleiben darf. Bei solchen Zeremonien übernimmt der Träger unauffällig die Symbole der Gottheit, denn er existiert nicht mehr als Individuum. Er ist nur noch Gefäß, eine Idee, die näher erläutert werden muss. Daher kann er auch nicht gegen deren Geheimnis verstoßen. Eine voluminöse Aufmachung soll ihm Respekt verleihen. Sie besteht aus einer schweren Maske und einem weiten Bastgewand, was den Auftritt sehr anstrengend macht. Der Träger kann ihn nur bewältigen, indem er zuvor stärkende Getränke zu sich nimmt, denn während der gesamten Darbietung darf er weder trinken, noch essen, um seine menschlichen Züge nicht zu offenbaren. Über Stunden hinweg muss er tanzen, ohne verräterische Erschöpfungszeichen erkennen zu lassen, und er muss die Hitze der Umgebung ertragen, die durch

6

Ebd., S. 116.

7

Cérémonies d’Afrique. Bd. 2. Paris, Edition de la Martinière, 1999, S. 125.

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seine voluminösen heiligen Attribute noch verstärkt wird. Für diese Rolle sind eine lange Vorbereitung und eine gewisse Askese erforderlich. Diese Masken haben mich stets beeindruckt. Manche sind auch furchteinflößend, wie die sogenannten „Kriegermasken“. An der Elfenbeinküste sind die We-Masken an den großen, weiß umrandeten Augen, den übertrieben großen, schreiend roten Lippen und den hohen Federkronen erkennbar. Jeder physische Kontakt mit dem Träger ist auszuschließen, weshalb er unter der persönlichen Bewachung eines oder mehrerer Begleitern steht. Abb. 3: Kriegermaske von der Elfenbeinküste

Quelle: Foto des Autors

Zu diesen We-Masken schreibt Marie-Noël Verger-Fèvre, dass „alle Merkmale […] dazu bestimmt sind, Furcht einzuflößen: die stark abfallende Stirn, die zylindrischen Augen mit kaolinweißen Rändern, die riesige Hakennase…“8 Elsy Leuzinger beschreibt ausführlich die Herstellung dieser Masken: Der schwarze Künstler lässt seiner Fantasie freien Lauf bei der Anfertigung der Maske, die den imaginären Schutzgeist aufnehmen soll, der, wenn er in Aktion tritt, auf seltsame Weise übernatürlich wirken soll. Mit Farben, Federn, Hörnern und dem Verlauf der Strukturen werden intensive, lebhafte Wirkungen erzielt.9

8

„Sociétés à masques de la forêt atlantique“, Masques et sculptures de l’Afrique et de l’Océanie. Collection Girardin. Musée d’art moderne de la ville de Paris. Paris, Editions Paris-Musées, 1986, S. 63.

9

Art de l’Afrique noire. Paris, Société Française du Livre, 1979, S. 10.

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Allerdings bleibt zu fragen, ob der Künstler bei seinen Entwürfen völlig frei war. Möglicherweise musste er strenge Kriterien beachten. Mit solchen Kreationen wird nicht gehandelt und sie werden vor profanen Augen geschützt aufbewahrt. Dem kolonialen Vandalismus gelang es dennoch, sich einige Exemplare zu beschaffen und in Museen auszustellen. Ansonsten trennt man sich von solchen Masken theoretisch nur, wenn sie etwa durch einen Brand beschädigt wurden. Die Nachfahren der Afrikaner, die ihrem Land entrissen wurden, haben jenseits des Atlantiks diese Masken nie gänzlich vergessen. In der Hafenstadt Portobelo, wo sie an Land gesetzt wurden, fand ich Masken, die denen der We sehr ähnelten und die von jungen Schwarzen aus Panama getragen wurden, allerdings mit einer Neuinterpretation der Symbolik. So repräsentieren diese bei christlichen Zeremonien offensichtlich die Kräfte des Bösen. Abb. 4: Maske aus Portobelo, Panama

Quelle: Foto des Autors

Jacques Maquet äußert zu Recht, dass „die afrikanischen Masken offensichtlich weder eine einzige Bedeutung, noch eine einzige Funktion haben“. Doch fügt er hinzu, dass „sie grundsätzlich als temporäres Gefäß für einen Gott dienen“. Die Maske bedeutet Theophanie, Erscheinung eines Gottes, der auf diese Weise sichtbar werden kann. Der Träger ist nicht das Objekt aus Holz und Fasern, sondern der ganze darin eingehüllte Mensch, und von diesem Ganzen ergreift der Geist Besitz.10

10 Eintrag „Masques“. In: Dictionnaire des civilisations africaines. Paris, Fernand Hazan, 1968, S. 268.

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Kosmische Masken Der Träger einer solchen Konstruktion mit ihrer hochkomplexen Symbolik machte sich stets auf, den Kosmos zu erobern. Angesichts der Höhe der KanagaMaske der Dogon, die in der Niger-Schleife in Mali leben, lässt sich die Schwierigkeit für den Träger erahnen. Michel Leiris und Jacqueline Delange sprechen von mehrstöckigen Aufsätzen […] die von einem langen durchbrochenen Balken abgeschlossen wurden, oder auch (von) ihrem Kanaga mit Helmschmuck in Form eines Lothringer Kreuzes, dessen Anblick mehrere Bedeutungen besaß. Es wird den Initiierten als Anspielung an einen Vogel gezeigt, dessen Form an ausgebreitete Flügel erinnert, es ist Endphase einer Genese für jene, die in einen höheren Rang aufgenommen wurden und die dessen gesamte Struktur zu deuten verstehen.11

Um diese auffällige Konstruktion der westlichen Vorstellungswelt nahe zu bringen, waren Leiris und Delange nicht die einzigen, die den etwas unvermittelten Vergleich mit dem Lothringer Kreuz heranzogen. Man findet ihn auch bei Jacques Maquet: Die Dogon-Maske Kanaga wird von einer Art Lothringer Kreuz gekrönt. Dieses besteht aus schlichteren Formen, wovon eine den Schöpfergott, den Himmel und die Erde darstellt, die andere die Drehbewegung des Gottes, der seine Unbeweglichkeit aufgibt. Gleichzeitig steht es als Symbol für den Menschen, der seinerseits an die Schöpfung erinnert.12

Beiden Kommentaren ist gemeinsam, dass sie den Initiierten in einen bislang unbekannten Kosmos einführen, wo die Gottheit sich dem Menschen nähert und ihn an sich zieht. Nach Ansicht von J. Maquet vermittelt eine andere Maske, die Sirige, die Anliegen der Dogon noch besser. Sie konnte mehr als fünf Meter hoch sein, „und erinnert mit ihren 80 Etagen an die achtzig Urahnen der Menschheit; wer diesen Hauptschmuck trägt, vollführt damit eine Bewegung von Ost nach West, um den Lauf der Sonne nachzuahmen.“13 Die Ahnen bemächtigen sich des Kosmos mit Unterstützung des Trägers. Sie folgen dem Lauf der Sonne und werden ihrerseits zur Quelle des Lebens für die Menschheit, deren Fortdauer sie damit garantieren. Der Träger ist somit Teil der permanenten

11

Afrique noire. La création plastique. Paris, Gallimard, 1967, S. 136.

12

Eintrag „Masques“. In: Dictionnaire des civilisations africaines, a.a.O.

13

Ebd.

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Schöpfung, eine besondere Dimension des Ahnenkults, wie er in Afrika verbreitet ist. Schlussfolgerung Die Menschen in Afrika waren hauptsächlich wegen der herrschenden klimatischen Bedingungen „Träger“ und besaßen so eine Fähigkeit, die von den Kolonialherren ausgenutzt wurde. Sie sind es heute noch, nachdem sie immerhin die perverse Ausbeutung abgeschüttelt haben. Das Tragen betrifft alltägliche Verrichtungen, wobei die Frau eine herausragende Rolle spielt, es betrifft Vergnügungen, bei denen bereits die Jüngsten auftreten, und vor allem, was von Forschern lange übersehen wurde, betrifft es die esoterischen Aspekte der Religion, wo der Mensch seine menschliche Verfasstheit ablegt, um zum Gefäß für die Götter zu werden. Darf man sich aber auf diese recht materielle Definition beschränken, die den Menschen letztlich zu einem passiven Wesen macht? Gewiss genügten in Afrika zumeist einfache Hütten, um darin die Götter zu verehren. Doch bei den Zeremonien wurde das Individuum von den Göttern bewohnt, und dieses wiederum bewohnte sie in einer Art Osmose, einer Transsubstantiation, die für das Zusammenleben von Toten und Lebenden, für die Durchdringung von Diesseits und Jenseits stand, ein Konzept, das vom Westen bislang gering geschätzt wurde. In einem solchen Zusammenhang wurden äußere Heiligtümer hinfällig. Der Träger war mehr als ein Gefäß, auch mehr als nur heilige Hülle für die Götter, er wurde von einer schöpferischen Dynamik angezogen und eins mit deren Geist: für die Zeit eines Augenblicks, der rituell gedehnt werden konnte, wurde er selbst zum Gott und konnte so die Zukunft seines Volkes angesichts eines stets gewärtigen drohenden Unheils sichern.

Übersetzung: Erika Mursa

L ITERATUR Beckwith, Carol & Fisher, Angela: Cérémonies d’Afrique. Bd. 2. Paris, Edition de la Martinière, 1999. Devisse, Jean & Mollat, Michel: L’image du Noir dans l’art occidental. Bd. II 2. Paris, Bibliothèque des arts, 1979. „Les expéditions africaines“. In: Les grands dossiers de L’Illustration. Paris, Sefag und L’Illustration, 1987. Griaule, Marcel: Masques Dogons. Paris, Institut d’Ethnologie, 1938. Ders.: Dieu et l’eau. Paris, Fayard, 1956.

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Holas, Bohumil: Arts traditionnels de la Côte d’Ivoire. Paris, CEDA, 1969. Leiris, Michel & Delange, Jacqueline: Afrique noire. La création plastique. Paris, Gallimard, 1967. Leuzinger, Elsy: Art de l’Afrique noire. Paris, Société Française du Livre, 1979. Maquet, Jacques: Eintrag „Masques“. In: Dictionnaire des civilisations africaines. Paris, Fernand Hazan, 1968. Masques et sculptures de l’Afrique et de l’Océanie. Collection Girardin. Musée d’art moderne de la ville de Paris. Paris, Editions Paris-Musées, 1986. Thomas, Louis-Vincent & Luneau, René: Les religions d’Afrique noire. Textes et traditions sacrés. Paris, Stock, 1995.

Deutsch-Südwestafrika: „Der Träger“ – mal ganz anders M ARIANNE Z APPEN -T HOMSON

Der folgende Beitrag versucht, die Geschichte einer Kategorie von Trägern zu rekonstruieren, die für die namibische Geschichte von außerordentlicher Bedeutung war. Der Ort, an dem Lasten getragen wurden, sowie das Know-how, über das die Träger verfügen mussten, unterschied sich wesentlich von dem, was für das Trägerwesen in anderen Kolonien charakteristisch war. Ein „anderer“ Träger soll also ins Zentrum rücken, und mit ihm ein weitgehend vergessener Aspekt der namibischen Kolonialgeschichte. Um die Situation des „anderen“ Trägers in Deutsch-Südwestafrika verstehen zu können, soll im vorliegenden Beitrag der geschichtliche Hintergrund skizziert werden, anschließend kurz auf bekannte Trägerfiguren eingegangen werden, bevor sich der Fokus auf die Kru richtet. Hierbei handelt es sich um seetaugliche Arbeiter aus Liberia, die von der Woermann-Linie angeheuert wurden, um in Deutsch-Südwestafrika zu arbeiten. Anhand des Buches Was Afrika mir gab und nahm – Erlebnisse einer deutschen Frau in Südwestafrika 1902-1936 von Margarethe von Eckenbrecher (1940) soll einerseits untersucht werden, wie die „Kru-Boys“ und ihre Arbeit wahrgenommen wurden. Andererseits soll vor allem aber der Fragen nach der Behandlung der Kru sowie der Beziehung der Autorin zu ihnen nachgegangen werden.

G ESCHICHTLICHER H INTERGRUND Im Jahr 1883 geht der Bremer Kaufmann Heinrich Vogelsang im Alter von nur 21 Jahren in Angra Pequena an Land. Er reist „zu Kapitän Josef Frederik nach Bethanien und schließt mit dem Besitzer der Bucht von Angra Pequena am 1. Mai für die Firma F. A. E. Lüderitz in Bremen einen Kaufvertrag ab für die

318 | M ARIANNE Z APPEN -T HOMSON

Bucht und das umliegende Land, fünf Meilen nach allen Richtungen“.1 Dafür werden 100£ in Gold sowie 200 Gewehre mit Zubehör gezahlt. Es folgen weitere Kaufverträge, bis praktisch der gesamte Küstenstreifen vom Oranje bis hin nach Kap Frio in den Besitzwechsel einbezogen ist.2 Keine 8 Jahre nachdem am 7. August 1884 die deutsche Reichsfahne in der heute als Lüderitz bekannten Bucht gehisst und das Land zwischen Oranje und Kunene deutsches Schutzgebiet wurde,3 erfolgte die Grundsteinlegung Swakopmunds, das sich zur Hafenstadt entwickeln sollte. Beide Städte waren Eingangstore ins Inland, das sich dank der Namibwüste, die sich von Norden bis Süden entlang der Küste erstreckt, als äußerst unwirtlich erwies. Wie beschwerlich die Reise damals war, erkennt man, wenn man sich vor Augen führt, dass Heinrich Vogelsang mit seiner „kühnen […] Expedition für die etwa 200 km lange Wegstrecke durch unbekannte afrikanische Einöde, durch baum-, wege- und wasserlose Wüste fünfeinhalb Tage“ brauchte.4 Erstaunlich ist daher, dass schon 1885 in Otjimbingwe, ungefähr 160 km landeinwärts, ein Kommissariat eingerichtet wird und diese Ortschaft bis 1891 Verwaltungssitz undHauptstadt ist. Hauptmann Kurt von François errichtet 1890 im „Gebiet zwischen den Hereros und Witbooi mit reichlich Wasser“ eine Feste, und schon im Dezember 1891 ziehen das Reichskommissariat und die Verwaltung nach Windhoek um.5 Nach der Gründung des Südwestafrikanischen Siedlungssyndikats 1892 nimmt die Besiedelung des Landes durch deutsche Einwanderer zu.

D IE T RÄGER

IN

D EUTSCH -S ÜDWESTAFRIKA

Während in Ostafrika „Träger und Askari“ die Kolonialherren auf ihrem Weg „steil über Berg und Klüfte durch tiefe Urwaldnacht“6 begleiten bzw. oft tatsächlich tragen, sieht dies in Deutsch-Südwestafrika ganz anders aus. Als erstes sei

1

Kube, Sigrid & Carol Kotze: „Chronik“ In: Hess, Klaus A. & Becker, Klaus J. (Hg.): Vom Schutzgebiet bis Namibia 2000. Göttingen/Windhoek, Klaus Hess Verlag, 2002, S. 275-320, hier S. 261.

2

Ebd., S. 264.

3

Dierks, Klaus: „Schmalspureisenbahnen erschließen Afrikas letzte Wildnis – Namibias Schienenverkehr zwischen Aufbau und Rückgang“. In: Hess & Becker (2002): S. 31-49, hier S. 31.

4

Ebd.

5

Kube & Kotze (2002): S. 266/7.

6

Aschenborn: A: Heia Safari! (1916). URL: http://www.musicanet.org/robokopp/Lieder/wieoftsi.html [Zugriff: 01.02.17].

„D ER T RÄGER “ IN D EUTSCH -S ÜDWESTAFRIKA

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hier der Postläufer, der Briefträger, erwähnt. „Anfang April 1888 benachrichtigte das Reichspostamt das General Post Office in London […], das die Postangelegenheiten der Kapkolonie regelte, daß in Otjimbingwe eine Postagentur eingerichtet werden würde. Das Segelschiff ‚Louis Alfred‘ würde die Post alle zwei Monate von Kapstadt nach Walvis Bay und zurück befördern.“7 Abenteuerlich und auch gefährlich wurde die Beförderung von Walvis Bay dann weiter zu den unterschiedlichen Stationen. Diese komplizierte sowie riskante Aufgabe erledigte der Postläufer. Er legte die Strecke Walvis Bay – Windhoek, also etwa 365 Kilometer, in zwölf Tagen im Dauerlauf zurück und trug dabei einen Briefbeutel, der ungefähr 16 Kilogramm wog. Hinzu kam seine Ration, die aus 1kg Fleisch, 1/2kg Reis oder Mehl, Kaffee, Tabak, Zucker und Streichhölzern bestand.8 Der Postläufer wurde 1997 zum Weltposttag von dem namibischen Künstler Joe Madisia mit einer Briefmarke geehrt. Der zweite Träger ist kein Träger im eigentlichen Sinne, doch erwies er sich in der damaligen Zeit einfach als unentbehrlich. Es handelt sich dabei um den Ochsentreiber, der bei der Reise mit dem Ochsenwagen zwar keine Güter und auch keine Weißen trug, dafür aber die Verantwortung. Die Siedler waren auf das Wissen und Können dieser Ochsentreiber angewiesen; auf sich allein gestellt, wären viele Europäer kläglich gescheitert. Die Treiber waren es, die maßgeblich bei der Erschließung Südwestafrikas mitwirkten. In seinem Buch Der Ochsenwagen erzählt berichtet WalterMoritz über sie: Der Wagen mußte gleichsam ein ganzes Haus ersetzen. Bett und Gefäße, Tischgeräte in den Vorder- und Seitenkisten, große Wasserfässer und vieles andere mehr machten den Ochsenwagen zu einem wandernden Hotel. Wenn alles zur Abreise fertig war, schwang der Treiber seine Peitsche und rief: „Trek! Trek!“, und so begann die schwierige Reise. Sechs bis acht Paar Ochsen sind an einem langen Trek-Tau, wobei das vorderste Paar von einem Jungen geleitet wird (Touleier)9, und das letzte Paar an der Deichsel fest ist. Da das Tau natürlich biegsam ist, und meist nur die drei und vier letzten Paare wirklich straff anziehen, so bildet die Ochsen-Linie die schönste und malerischste Schlangenlinie, wie Büttner es beschreibt. Denn der Leiter sucht sich mit dem Vorochsenpaar irgendeine

7

Kube Sigrid: „Der Anschluß an die Welt. Die Geschichte der südwestafrikanischen Post“ In: Hess, Klaus A. & Becker, Klaus J. (Hg.). Vom Schutzgebiet bis Namibia 1884-1984. Göttingen/Windhoek, Klaus Hess Verlag, 1985, S. 475-483, hier S. 475.

8

Vgl. Kube & Kotze (2002): S. 267.

9

Touleier’ ist Afrikaans für Ochsentreiber.

320 | M ARIANNE Z APPEN -T HOMSON Lücke zwischen den Büschen, und wenn er um den hindernden Busch herum ist, sucht er natürlich wieder die allgemeine gerade Richtung einzunehmen.10 Da die Herero ebenso wie die Nama eigene Rinderbestände hatten, diese sehr wertschätzten, konnten sie gut mit ihnen umgehen. Allerdings brach das Transportwesen per Ochsenwagen zusammen, als 1897 die Rinderpest ausbrach, die jedoch dank der einer Doppelimpfung innerhalb einiger Monate eingedämmt werden konnte.11

Mir geht es aber um einen ganz anderen Träger, einen, der praktisch in Vergessenheit geraten ist: den Kru. Bei den Kru, fälschlicherweise häufig auch Crew geschrieben, handelt es sich um eine „afrikanische Völkergruppe, von Monrovia (Liberia) bis zum unteren Bandama an der Elfenbeinküste ansässig“. 12 Im Deutschen Kolonial-Lexikon von 1920 heißt es „Diese Kru sind nun im Grunde genommen das einzige seefeste Volk des dunklen Erdteils. Heute feiert ihre Seetüchtigkeit bekanntlich in der Weise Triumphe, daß sie an der ganzen Küste entlang das Lösch- und Ladegeschäft der europäischen Dampferlinien besorgen, doch muß dieser Form der Seefahrt logischerweise eine andere, eigene vorausgegangen sein.“13

S WAKOPMUND

UND DIE

K RU

Nachdem Swakopmund als Standort für einen neuen Hafen DeutschSüdwestafrikas bestimmt war – Lüderitzbucht lag zu weit im Süden und Walvis Bay befand sich in englischem Besitz –, stellte sich heraus, dass das Landen am Strand lebensgefährlich und für die Reederei nicht erstrebenswert war. Der Dampfer lag „zehn bis vierzehn Tage auf einer bei unruhiger See gefährlichen Reede […] während mit einigen kleinen Booten die Fracht gelöscht wurde.“14 Man überlegte, eine Mole zu errichten, verwarf die Idee aus Kostengründen jedoch wieder und zog den Bau einer „eisernen Brücke mit den nötigen Kränen“

10 Moritz, Walter: Der Ochsenwagen erzählt. Aus alten Tagen in Südwest. Bd. 1, Werther, Selbstverlag, 61996, S. 4. 11 Vgl. Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band III, S. 175 f. 12 Brockhaus (1970): S. 696. 13 Deutsches Kolonial-Lexikon (1920). 14 Rautenberg, Hulda: Das alte Swakopmund 1892-1919 Swakopmund zum 75. Geburtstag. Swakopmund, International Lions Club Swakopmund & Swakopmunder Museum, 1967, S. 94.

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in Erwägung.15 Doch bis zur Umsetzung dieses Projekts sollte noch viel Wasser ins Meer laufen. Es musste eine andere Lösung gefunden werden. Die Woermann-Linie, die schon jahrelang gute Beziehungen zu Westafrika unterhielt, stellte dafür die Kru aus Liberia an, die als seeerfahrene Ruderer galten. Die Männer „kamen an Bord, wenn die Dampfer auf der Ausreise ihren Ort berührten, und wurden dort auf der Rückfahrt wieder abgesetzt.“16 Am 26. Januar 1893 landetet der Kreuzer Falke mit 11 „Kruleuten“ an Bord in Swakopmund. Vermittelt hatte dies Konsul Jäger in Monrovia. Die Kru standen ein Jahr lang unter Vertrag, bekamen ein Monatsgehalt von „1 Pfund Sterling, freie Kost und Station“.17 Die Kost bestand aus einem Becher Reis und zwei Pfund Fleisch. Sonntags gab es außerdem ein Stück Tabak „und so viel Schnaps, wie an der westafrikanischen Küste üblich“.18 Bei Vergehen wurden die Kru mit Lohnabzügen und Prügel bestraft, die ein ‚Headman‘ vollzog. Wie Rautenberg weiter schreibt, war von François viel daran gelegen, „den Krunegern alles so bequem und so gesund wie möglich ein[zu]richten, da ich nicht dafür war, diese durch deutsche Matrosen zu ersetzen“.19 Ferner rechtfertigt Rautenberg auch die in Aussicht gestellte Strafe nicht als „Ausdruck despotenhafter Kolonialmißhandlung verschleppter Neger. Sie legt lediglich eine Rechtsordnung fest, der man im Ernstfall folgen kann. Im Gegenteil, bei genauerem Hinsehen schützt diese Ordnung den Vertragsarbeiter vor spontanen Übergriffen durch einen Aufseher.“20 Dass nicht alles problemlos verlief und die Kru das Klima in Swakopmund nicht gut vertrugen, geht aus der Tatsache hervor, dass die „erste Krumannschaft […] – ihres schlechten Gesundheitszustandes wegen – vorzeitig vom Kreuzer ‚Falke‘ wieder mit nach Monrovia zurückgenommen“ wurde. 21 Das bestätigt auch die Aussage von Massmann: 22 „[A]ufgrund der großen Klimaunterschiede ließen sie sich auf langfristige Kontrakte nicht ein

15 Ebd. 16 Brackmann, Karl: Fünfzig Jahre deutscher Afrikaschiffahrt. Die Geschichte der Woermann-Linie und der Deutschen Ost-Afrika-Linie. Berlin, Dietrich Reimer & Andrews & Steiner, 1935, S. 70. 17 Rautenberg (1967): S. 70. 18 Ebd., S. 78. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 Massmann, Ursula: Swakopmund Eine kleine Chronik. Swakopmund, Wissenschaftliche Gesellschaft Swakopmund, 2006, S. 15.

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und mußten daher je nach Bedarf durch die Reedereien hin- und herbefördert werden.“Dessen ungeachtet mussten die Kur bei allen Wetterbedingungen ihre harte Arbeit verrichten, wie in einem Bericht in der Deutsch-Südwestafrikanischen Zeitung vom 6. Dezember 1905 nachzulesen ist: Am 1. und 2. Dezember war die See wieder ausnehmend schwer. […] Am 2. Dezember hatte man wieder einen aufregenden Anblick. Ein Boot war in der Brandung gekentert; die aus sieben Krujungen bestehende Bemannung hielt sich an dem über das Wasser hervorragenden Kiel fest und beobachtete, wie man deutlich sehen konnte, aufmerksam die ankommenden Brecher, um durch rechtzeitiges Untertauchen der Gefahr, weggewaschen zu werden, vorzubeugen. […] Es ist bewundernswert, wie diese Jungen im Wasser zu Hause sind, den Gefahren der Brandung zu begegnen und jede Chance auszunutzen verstehen. Von sieben Weissen an Stelle der sieben Kielreiter wäre aus der furchtbaren Brandung wohl kaum einer lebend ans Land gekommen (Hervorhebung im Original, MZT).23

Betrachtet man den Landungsprozess genau, wird deutlich, warum die Kru auch als Träger bezeichnet werden können. Die Dampfer lagen etwa 1km von der Küste entfernt auf Reede. Vom Strand aus ruderten, wenn der Seegang es zuließ, sogenannte Kru-Leute die Brandungsboote geschickt durch den Brandungsgürtel zu den Schiffen. Mittels Schiffskränen wurde die Ladung in die Boote befördert und zurückgerudert, wobei wieder der gefährliche Brandungsgürtel zu überwinden war. Die Kisten und Kästen wurden auf höhere, trockene Stellen getragen, gestapelt und später in Lagerschuppen untergebracht.24

23 Deutsch Südwestafrikanische Zeitung, 6. Dezember 1905. 24 Massmann (2006): S. 13.

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Abb. 1: Hafengebiet, Landung von Ochsenwagen

Quelle: Scientific Society Swakopmund

Doch es wurden keineswegs nur Güter auf diese Art und Weise gelöscht, sondern auch Menschen und Tiere. „So kamen beispielsweise zwischen 1904 und 1906 alleine aus Hamburg 11.065 Pferde ins Land, zuzüglich der aus Argentinien und Südafrika importierten Tiere.“25 Da die Kru sehr geschickt waren und folglich im Laufe der Jahre immer mehr Männer eingestellt wurden, „gingen bei den Landungen in den Jahren 1896/97 nicht mehr ganz so viele Waren verloren.“26 Es ist heute fast unvorstellbar, wie es möglich war, außer Hunderten von Passagieren rund 10 Jahre lang auf diese primitive Art alles zu landen, was gebraucht wurde: Von der Stecknadel bis zum Windmotor, Maschinen, Hausrat, fast alle Nahrungsmittel, im Lande selbst wurde noch kaum etwas produziert und als 1897 der Bahnbau begann, auch die Schienen, Lokomotiven und Waggongs.27

Wie schon aus der genannten Pferdezahl ersichtlich ist, kamen seit Beginn des Hererokrieges 1904 noch mehr Soldaten, aber auch vermehrt Waffen und Munition ins Land.

25 Ebd. 26 Rautenberg (1967): S. 101. 27 Massmann (2006): S. 13f.

324 | M ARIANNE Z APPEN -T HOMSON Um das plötzlich hochgeschnellte Landungsgeschäft in Swakopmund abwickeln zu können, unterhielt die Linie dort zeitweilig tausend eigene Arbeiter, darunter fünfhundert bis sechshundert Kruneger von Westafrika, jeweils mit kurzfristigen Arbeitsverträgen, vorübergehend in Swakopmund stationiert. Während des Aufstandes waren dort im ganzen nicht weniger als zwölftausend Kruneger beschäftigt. Es haben bis 21 Dampfer gleichzeitig auf der Reede vor Swakopmund gelegen.28

Auch als man den Bau einer provisorischen Landungsbrücke, allerdings aus Holz, beschlossen und durchgeführt hatte, konnten die Dampfer nicht direkt gelöscht werden. „Sie lagen nach wie vor auf Reede, und ihre Ladungen wurden mittels Schleppern und Leichtern an der Brücke gelandet.“ 29 Nachdem der Kriegszustand im März 1907 aufgehoben wurde, war auch die Zeit für die Kru beendet. Abb.2: Hafengebiet, Crew Jungens bei der Arbeit

Quelle: Scientific Society Swakopmund

D IE D ARSTELLUNG DER K RU IM B UCH W AS A FRIKA MIR GAB UND NAHM In diesem Buch schildert Margarethe von Eckenbrecher, wie sie 1902 aus der alten Hansestadt Hamburg nach Deutsch-Südwestafrika gereist ist und was sie hier während der Kolonialzeit, vor allem während des Hererokriegs sowie im 28 Rautenberg (1967): S. 165. 29 Massmann (2006): S.19.

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Weltkrieg und in der Mandatszeit erlebt hat. Sie betont, dass „es kein großes persönliches Erleben in diesen 22 Jahren“ ist, von dem sie berichtet, sondern „[e]in kleines Einzelschicksal“30. Ihre politische Einstellung kommt im Vorwort klar zum Ausdruck. Es heißt dort: „Wir stehen treu zur alten Heimat, treu zum Reich und seinem Führer und sind stolz darauf, deutsche Pioniere zu sein.“31 Das Buch erschien 1940. Eckenbrechers Treuerklärung Adolf Hitler gegenüber beweist also die kolonialrevisionistische Stoßrichtung ihrer Argumentation. 1904 kehrte die Familie nach Deutschland zurück. Nachdem sie sich von ihrem Mann hatte scheiden lassen, zog sie 1913 mit ihren zwei Kindern wieder nach Windhoek, wo sie bis zu ihrem Ruhestand 1935 als Lehrerin arbeitete. Sie wird als „mutige, tatkräftige und hilfsbereite Frau“ bezeichnet.32 Gleich zu Beginn beschreibt von Eckenbrecher ihre Ankunft in Monrovia, Liberias Hauptstadt. „Monrovia ist für die Woermann-Linie ein äußerst wichtiger Platz. Nicht nur, daß der alte Woermann dort seine einträglichen Faktoreien hat, sondern aus Liberia stammen auch die bei schwierigen Landungsverhältnissen gänzlich unentbehrlichen Kruboys“33. Man meint aus dieser Passage Bewunderung und Anerkennung für diese Männer herauszuhören. Dies wird noch zusätzlich unterstrichen, wenn sie sagt: „[E]inzig stehen sie da, wenn es heißt, ein Boot sicher durch die Brandung zu bringen. Mit unglaublicher Ruhe und Geschicklichkeit rudern sie auf die gewaltigen Brecher los und passen genau den Augenblick ab, um mit ihnen zusammen, von ihnen getragen, vorwärts zu schießen.“ 34 Eckenbrecher ist augenscheinlich bewusst, dass diese jungen Männer mit nach Swakopmund genommen werden, um dort bei der Landung behilflich zu sein. Kaum aber sind sie an Bord, ändert sich von Eckenbrechers Ton. Hier, wo die Träger nicht mehr nur Arbeiter sind, sondern Passagiere, spricht sich ganz anders über sie: „Die schöne Ruhe ist dahin. Das schnattert und schreit durcheinander. Überall liegen sie herum, wo sie gerade Platz finden können.“35 In dem Moment, wo die Kru ihr also persönlich näher kommen, in ihre Privatsphäre eindringen, vergleicht sie sie mit Tieren, die schnattern und schreien und ihre

30 Eckenbrecher, v. Margarete: Was Afrika mir gab und nahm. Berlin, E.S. Mittler & Sohn, 1940/92012, S. V. 31 Eckenbrecher, (1940): S. VI. 32 Namibiana (2012). 33 Eckenbrecher (1940): S. 3. 34 Ebd., S. 3f. 35 Eckenbrecher (1940): S. 4.

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Ordnung durcheinander bringen. Die Hierarchien zwischen Weißen und Schwarzen, für die Eckenbrecher eintritt, sollen wieder hergestellt werden. Relativ ereignislos ging die Reise weiter Richtung Swakopmund, und als man endlich den Küstenort im Sonnenschein liegen sah, „waren wir an Bord wie von Sinnen“36 Man wollte sofort an Land, doch es kam das Signal, „die Landung sei unmöglich, der Brandung wegen.“37 Einen Tag später war es dann endlich soweit: Mit herzlichen Dankesworten verabschiedeten wir uns von dem Kapitän und den Offizieren und wurden auf sehr primitive Art in das tief unten auf dem Wasser schaukelnde Brandungsboot verladen. Nacheinander setzte man sich in einen Korbstuhl, der an einer Kette hing. Vermittels eines Krans wurde der Korb dann in das Boot hinabgelassen, einer der bereits anwesenden Kruboys riß einen heraus und der Korb ward wieder in die Höhe gewunden.38

Da inzwischen dichter Nebel aufgekommen war, wurden alle Bootsinsassen wieder zurück aufs Schiff befördert und konnten erst tags drauf an Land. Wieder ist der bewundernde Ton in Margarethe von Eckenbrechers Bericht zu spüren: „Ich bewunderte die Geschicklichkeit der Kruboys, die mit größter Sicherheit und Kaltblütigkeit ihre Ruder in die Wellen tauchten und schnell vorwärts kamen.“39 Allerdings befremdet der Hinweis auf ihre Kaltblütigkeit auch. Es ist, als ob dies auch der Autorin auffiele, denn sie schreibt weiter: Als ich aber die kolossalen Brecher aus allernächster Nähe sah, die sich entweder haushoch aufzutürmen schienen oder einen tiefen Abgrund schufen, konnte ich mich einer Gänsehaut nicht erwehren. Pfeilschnell schossen wir mit den Brechern dahin, und mit gewaltigem Ruck fuhr das Vorderteil des Bootes auf den Sand, während es sich hinten in die Höhe hob. Vom Lande aus waren uns schon einige Kaffern40 entgegengelaufen, und ehe ich über ihre Absicht klar sein konnte, hatte mich schon einer auf den Rücken genommen und im Trabe aufs Trockene gesetzt.41

Nach diesem kurzen Gefühlsausbruch hätte man erwarten können, dass von Eckenbrecher sich nicht nur bei Kapitän und Offizieren bedankt, sondern Dank 36 Ebd., S. 6. 37 Ebd. 38 Eckenbrecher (1940): S. 7. 39 Ebd. 40 Kaffer: frühere abwertende südafrikanische Bezeichnung für einen Menschen mit sehr dunkler Hautfarbe (Duden). 41 Eckenbrecher (1940): S. 8.

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auch den von ihr bewunderten Männern abstattet. Doch nichts dergleichen passiert. Sie und ihr Mann verschwinden ohne Dankeswort. Eine junge Frau, von der der Rechtsanwalt Georg Wasserfall 1900 berichtet, deren Name jedoch nicht überliefert ist, verhält sich in vergleichbarem Kontext etwas anders. „Nachdem ich mich von den Offizieren verabschiedet hatte, sollte unsere Ausschiffung vor sich gehen, die bekanntlich hier mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.“42 Auch sie wird mit einem Stuhl vom Schiff herabgelassen und unter lebensgefährlichen Bedingungen an Land gerudert. „Plötzlich sei sie von zwei Männern umfasst worden. In Panik krallte sie sich in den Haaren ihres Retters fest.“43 Als sie endlich festen Boden unter den Füßen hat, zeigt sie sich erkenntlich – wenn auch mit einem Gestus der Herablassung: „Ich gab gerne das Kleingeld, das ich noch hatte, denn diese Neger hatten es wohl verdient. Kein Weißer würde eine so gefährliche Arbeit verrichten.“44 Der Hinweis auf das „Kleingeld“ vermittelt jedoch den Eindruck der Überheblichkeit der jungen Frau, die einen geringen Lohn für eine äußerst gefährliche Arbeit zahlt. Der Kontrast zwischen Eckenbrecher und ihr existiert also nur auf den ersten Blick, denn auch sie scheint der Überzeugung zu sein, dass die Weißen eben die Klügeren seien, da sie sich gar nicht erst auf so eine Gefahr einließen.

U ND

DANN …

Georg Wasserfall nutzte die Geschichte der jungen Frau als Druckmittel für einen Hafenausbau in Swakopmund. Der Hinweis auf die Gefahren sollte die Obrigkeiten von der Notwendigkeit des Projekts überzeugen. In der Tat wurde das Molenbecken ausgebaggert, doch es versandete immer wieder. Erst 1912 „begann man mit dem Bau einer Eisenbrücke, die 640 m lang werden sollte“.45 Die Arbeit der Kru wurde überflüssig und sie verschwanden sang- und klanglos.

42 Kraft (2016): S. 7. 43 Ebd. 44 Ebd. 45 Massmann (2006): S. 20.

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F AZIT In diesem Beitrag wurde untersucht, wie die „Kru-Boys“ und ihre Arbeit von Vertretern des Kolonialapparates wahrgenommen wurden. Insgesamt wurde ihrer Arbeit große Bewunderung gezollt. Man war beeindruckt von ihrer Kraft und Geschicklichkeit im Wasser. Doch sie selbst wurden eher als Störenfriede wahrgenommen, die man nur darum duldete, weil sie diese außergewöhnliche Arbeitverrichteten. Das bedeutet, dass sie Arbeitstieren gleichgestellt wurden. Im Hinblick auf ein menschliches Miteinander fehlt es daher an Mitgefühl. Man ließ sie fern ihrer Familie in viel zu kaltem Wasser und unter schwierigen klimatischen Bedingungen gefährliche Arbeit verrichten. Bei der Durchsicht von Dokumenten aus der Kolonialzeit fällt auf, dass sie nie als Personen mit Namen oder Beschreibung in Erscheinung treten. Es wird lediglich von „Krujungen“46, Crewboys“47 oder „Krujungen der Woerman Linie“48 berichtet. Die Gesichtslosigkeit fällt besonders bei der Passagierliste auf: Swakopmunder Schiffsnachrichten. D. Alexandra Woermann am 15. November 1902 ab Swakopmund nach Hamburg. Passagiere: Herr Henrichsen, Frl. Jakobsen, Herren Rothkamm, Guthke, Rieger. Nach der Goldküste: Herren Hesse, Taülor. An Deck: 2 Krujungen, 1 Accramann.49

Bedenkt man, welch wichtige Rolle die Kru bei der Besiedlung und Entwicklung der damaligen Kolonie gespielt haben, sollte man eigentlich erwarten, dass ihrer gedachtworden wäre. Doch das Gegenteil geschah. Wie Margarethe von Eckenbrecher haben wohl auch die anderen Ankömmlinge die Träger nach der Landung vergessen. Ebenso wenig hat man daran gedacht, ihren Einsatz und ihre Arbeit der Nachwelt in Erinnerung zu halten. Dieser Beitrag ist ein erster Baustein für die Wiederentdeckung der Geschichte der Kru.

46 Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. 6. Dezember 1905. 47 Swakopmunder Zeitung. 23. März 1923. 48 Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. 9. Mai 1906. 49 Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. 19. November 1902.

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L ITERATUR Aschenborn, A: Heia Safari! (1916). URL: www.musicanet.org/robokopp/Lieder/wieoftsi.html [Zugriff: 01.02.17]. Brackmann, Karl: Fünfzig Jahre deutscher Afrikaschiffahrt. Die Geschichte der Woermann-Linie und der Deutschen Ost-Afrika-Linie. Berlin, Dietrich Reimer & Andrews & Steiner, 1935. Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. III, 1920, S. 175 f. URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni- frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/php/ suche_db.php?suchname=Rinderpest [Zugriff: 19.02.2017] Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. 6. Dezember 1905. Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. 9. Mai 1906. Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. 19. November 1902. Duden Bd. 1, Pößneck, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 24 2006, S. 553. Dierks, Klaus: „Schmalspureisenbahnen erschließen Afrikas letzte Wildnis – Namibias Schienenverkehr zwischen Aufbau und Rückgang“. In: Hess, Klaus A. & Becker, Klaus J. (Hg.): Vom Schutzgebiet bis Namibia 2000. Göttingen/Windhoek, Klaus Hess Verlag, 2002, S. 31-49. Eckenbrecher, v. Margarete: Was Afrika mir gab und nahm. Berlin, E.S. Mittler & Sohn, 1940/92012. Karlowa, O.J.: „Eine Kutterfahrt auf dem Atlantischen Ozean“. In: Swakopmunder Zeitung, 23. März 1923. Kraft, Kirsten: „Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 8): Der ewige Kampf gegen Neptuns Launen“. In: Allgemeine Zeitung WAZONGeschichten, 18. März 2016, S. 7. Kube Sigrid: „Der Anschluß an die Welt. Die Geschichte der südwestafrikanischen Post“. In: Hess, Klaus A. & Becker, Klaus J. (Hg.): Vom Schutzgebiet bis Namibia 1884-1984. Göttingen/Windhoek, Klaus Hess Verlag, 1985, S. 475-483. Kube, Sigrid & Carol Kotze: „Chronik“ In: Hess, Klaus A. & Becker, Klaus J. (Hg.): Vom Schutzgebiet bis Namibia 2000. Göttingen/Windhoek, Klaus Hess Verlag, 2002, S. 275-320. Massmann, Ursula: Swakopmund Eine kleine Chronik. Swakopmund, Wissenschaftliche Gesellschaft Swakopmund, 2006. Moritz, Walter: Der Ochsenwagen erzählt. Aus alten Tagen in Südwest. Bd. 1, Werther, Selbstverlag, 61996.

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Namibiana. URL: http://www.namibiana.de/namibia-information/who-iswho/autoren/infos-zur-person/margarethe-von-eckenbrecher.html [Zugriff : 17.02.17] Rautenberg, Hulda: Das alte Swakopmund 1892-1919. Swakopmund zum 75. Geburtstag. Swakopmund, International Lions Club Swakopmund & Swakopmunder Museum, 1967.

Träger in Afrika allgemein

„… von Trägern und Askari – Heia Safari!“ – Herrschaft und Begehren im deutschen Kolonialspielfilm1 N IELS H OLLMEIER

„Heia Safari!“ – der vom deutschen Tiermaler und Schriftsteller Hans Aschenborn verfasste Liedtext symbolisiert wie kein anderer den Ersten Weltkrieg in den Kolonien, speziell den über vier Jahre andauernden Kampf in Ostafrika. Deutlich hervorgehoben in drei der vier Strophen werden immer wieder die eigenen Träger und Askari; sie trugen die Hauptlast auf dem kolonialen Kriegsschauplatz, ohne sie wären sowohl Mittelmächte als auch Entente weitestgehend handlungsunfähig gewesen. In der Erinnerungskultur avancierten afrikanische Hilfskräfte nicht nur auf musikalischer, literarischer, fotografischer oder künstlerischer, sondern auch auf der neu entstehenden filmischen Ebene zum viel zitierten Motiv. Handelte es sich zu Beginn der Kinematografie mehrheitlich um nichtfiktionale (Kurz-)Filme, die dem heimischen Publikum als „Reise-Ersatz“ dienten,2 entstanden ab 1917 – auch als Antwort auf die alliierten „Hunnenfilme“ – die ersten deutschen Kolonialspielfilme, namentlich Der Verräter 3 , 1

Ein Teil des Aufsatzes beruht auf der unveröffentlichten Masterarbeit „Dieses verfluchte, geliebte Afrika“ – Der propagandistische Kolonialspielfilm im Dritten Reich. Prüfer: Irmtraud Götz von Olenhusen & Winfrid Halder. Univ. Düsseldorf 2015.

2

Vgl. Fuhrmann, Wolfgang: „Propaganda und Unterhaltung. Kolonialismus im frühen Kino“. In: Warnke, Ingo (Hg.): Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919. Berlin/New York, de Gruyter, 2009, S. 349364, hier S. 351.

3

Alexander, Georg & Boese, Carl: Der Verräter. Deutschland, Deuko, 1917.

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Farmer Borchardt4 und Der Gefangene von Dahomey5. In der Regel begrüßten Publikum wie Presse das koloniale Engagement im Lichtspielhaus, gleichwohl blieb bis zum Untergang des Dritten Reiches die Anzahl an fiktiven Filmen mit propagandistischem Grundgehalt vor afrikanischer Kulisse überschaubar. Erst Mitte der 1920er Jahre wagte sich mit Conrad Wiene wieder ein deutscher Regisseur an ein derartiges Projekt, das dafür umso aufwendiger beworben wurde. So fand die Uraufführung von Ich hatt’ einen Kameraden6 zeitgleich mit der Hamburger Reichskolonialwoche statt. 7 Wienes Film verarbeitet die Kriegsereignisse in Ostafrika, setzt sich im Abspann explizit für die Wiedergewinnung der Überseebesitzungen ein und ist trotz aller Lobpreisungen der einzige Streifen seiner Machart in der Weimarer Republik. Im Dritten Reich und unter der Schirmherrschaft des neu gegründeten Reichskolonialbundes gab der experimentierfreudige Regisseur Herbert Selpin dann sein Kolonialdebüt. Teilweise gedreht an Originalschauplätzen wie dem Kilimandscharo bewegt sich Die Reiter von Deutsch-Ostafrika8 von 1934 zwischen Propaganda- und Abenteuerfilm. Der Film greift eine ähnliche Handlung wie Ich hatt’ einen Kameraden acht Jahre zuvor auf. Selpins zweites Werk mit afrikanischem Schauplatz wiederum thematisiert nicht die Erlebnisse einer größeren Gruppe, sondern legt seinen Fokus auf das Los einer einzelnen Person. Gespielt von Hans Albers schildert Carl Peters9 von 1941 mehr oder minder biografisch korrekt das Leben und Wirken des umstrittenen Afrikaforschers. Für Germanin – Die Geschichte einer kolonialen Tat10 von 1943 und somit die letzte Kolonialproduktion des Dritten Reiches zeichnete kein Geringerer als der Schwager von Joseph

4

Boese, Carl: Farmer Borchardt. Deutschland, Deuko, 1917.

5

Moest, Hubert: Der Gefangene von Dahomey. Deutschland, Deuko, 1918. Vgl. Fuhrmann, Wolfgang: „Kolonie und / oder Heimat? Ein Stück ungeschriebener Filmgeschichte“. In: Barsch, Achim & Scheuer, Helmut & Schulz, Georg-Michael (Hg.): Literatur-Kunst-Medien. Festschrift für Peter Seibert zum 60. Geburtstag. München, Meidenbauer, 2008, S. 321-334, hier S. 325ff.

6

Wiene, Conrad: Ich hatt’ einen Kameraden. Deutschland, Ifco, 1926.

7

An dieser Stelle sei auf Nagls umfassende Analyse zu Wienes und anderen Produktionen der Weimarer Republik verwiesen: Nagl, Tobias: Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino. München, edition text + kritik, 2009 (zugl. Diss. Univ. Hamburg 2005).

8

Selpin, Herbert: Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Deutschland, Terra, 1934.

9

Ders.: Carl Peters. Deutschland, Bavaria, 1940/41.

10 Kimmich, Max: Germanin. Die Geschichte einer kolonialen Tat. Deutschland, Ufa, 1942/43.

V ON T RÄGERN UND A SKARI

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Goebbels, Max Kimmich, verantwortlich. Mit Luis Trenker in der Hauptrolle stellt der Film die Bekämpfung der Schlafkrankheit durch deutsche Ärzte in einer nicht näher benannten afrikanischen Tropenregion dar. Wie aber erfolgt die Repräsentation von Trägern und Askari im deutschen propagandistischen Kolonialspielfilm? Lässt sich in der Kinematografie wie in der Politik von einer gewissen „Kontinuität kolonialer Propaganda vom Kaiserreich zum Dritten Reich“11 sprechen? Gerade der Film, welcher sich „an die anonyme Menge“ wendet und „herrschende Massenbedürfnisse befriedigen“ muss,12 greift zwangsläufig bestehende Diskurse auf, wählt sie aber auch aus und schafft (neu-)strukturierte Räume. Und dennoch waren die Geschichtswissenschaften bisher geprägt von einer „Abstinenz gegenüber der Analyse von Filmen“13, insbesondere beim Genre des Kolonialfilms. Dies ist umso verwunderlicher, als gerade die deutsche Kolonialzeit sich „zwei Drittel ihrer Geschichte mit dem frühen Kino teilt“14 und, wie oben in einem kurzen Überblick gezeigt, auch der faktische Verlust von Überseebesitzungen nicht zum Erliegen kolonialer Produktionen führte. In einer historisch-medienwissenschaftlichen Produkt- und Kontextanalyse sollen die (Dis-) Kontinuitäten in der Repräsentation schwarzer Hilfskräfte nachgezeichnet werden, wobei theoretische Zugänge der cultural/postcolonial studies die Analyse ergänzen. Das erste Kapitel „Vom guten Kameraden und wehrlosen Träger“ zeigt, inwiefern weiße Herrschaftslegitimierung und Macht anhand der Darstellung von Schwarzen erzielt werden, unter welchen Umständen Trennlinien schwinden können und die koloniale Ordnung gefährden. Das Kapitel „Offene Faszination und heimlicher Voyeurismus“ eruiert den Blickwinkel der Protagonisten bzw. des Zuschauers auf den schwarzen, sexualisierten Körper, jener Ambivalenz des Kolonialismus von Begehren und Ablehnung. Da die erstgenannten Kolonialfilme von 1917/18 als verschollen gelten und ihre Rekonstruktion lediglich durch Filmzeitschriften möglich ist, 15 beschränkt sich die Untersuchung auf die vier Produktionen zwischen 1926 und 1943.

11 Hildebrand, Klaus: Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919-1945. München, Fink, 1969 (zugl. Diss. Univ. Mannheim 1967), S. 391. 12 Vgl. Kracauer, Siegfried: Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. In: ders.: Schriften, Bd. 2. Frankfurt/M., Suhrkamp, 1979, S. 11. 13 Riederer, Günter: „Film und Geschichtswissenschaft. Zum aktuellen Verständnis einer schwierigen Beziehung“. In: Paul, Gerhard (Hg.): Visual History. Ein Studienbuch. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2006, S. 96-113, hier S. 97. 14 Fuhrmann (2009): S. 350. 15 Vorgenommen u.a. durch Fuhrmann (2008): S. 326ff.

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V OM

GUTEN

K AMERADEN

UND WEHRLOSEN

T RÄGER

‚Wir werden bei dir bleiben, bis wir fallen!‘ Klingt das nicht wie der Ausdruck unseres eigensten germanischen Wesens mit seiner schlichten, wortkargen Treue, mit seiner mannhaften Festigkeit, die die Zähne aufeinanderbeißt? Haben nicht Rüdiger von Bechelaren, haben nicht die Grenadiere des alten Fritz so empfunden und gehandelt? Und doch waren es einfache schwarze Soldaten, deutsche Askari, die so zu mir sprachen […].16

Unabhängig von nationaler Perspektive waren sich Europäer vor und während des Ersten Weltkrieges meist einig über die soldatischen Qualitäten von Afrikanern, resümieren unter anderem Henri Barbusses Protagonisten: „– I‘ sont vraiment d’une autre race que nous […] – Au fond, ce sont de vrais soldats. – Nous ne sommes pas des soldats, nous, nous sommes des hommes […]“17. Nach dem Weltkrieg wiederum vereinnahmte der koloniale Diskurs Afrikaner als Beweis für die eigene Fähigkeit zur Kolonisierung. Auf französischer Seite dienten die tirailleurs sénégalais als Beleg für eine erfolgreiche mission civilisatrice, auf deutscher gerieten die Askaris mit ihrer, wie es Lettow-Vorbeck ausdrückte, „wortkargen Treue“ 18 zum Symbol einer humanen Kolonialherrschaft. Oftmals als Synonym für die gesamte afrikanische Zivilbevölkerung 19 aufgefasst, hätten sie ohne Widerspruch eine deutsche Hegemonie befürwortet. Eben an jenen zeitgenössischen Diskurs vom „treuen Askari“ schließt Conrad Wienes Ich hatt’ einen Kameraden nahtlos an und geht hier gar noch einen Schritt weiter. Der anfangs europäische Krieg greift auf die Kolonien aus und nach einer kurzen Lagebesprechung treten die deutschen Offiziere vor die Hütte

16 Lettow-Vorbeck, Paul von: Heia Safari!. Deutschlands Kampf in Ostafrika. Leipzig, Koehler, 1920, S. V. Der Vergleich zwischen Rüdiger von Bechelaren und den Askaris dürfte bewusst gewählt worden sein, da sich an jener Figur des Nibelungenliedes der Konflikt zwischen verwandtschaftlicher Verpflichtung, Bechelarens Tochter ist mit dem Burgunder Königssohn Giselher verheiratet, und der Vasallentreue gegenüber König Etzel äußert. Schlussendlich entscheidet sich Bechelaren für die Treue und zieht gegen seine Verwandten, ähnlich den Askaris, in den Kampf. 17 Barbusse, Henri: Le Feu. Journal d’une Escouade. Paris, Ernest Flammarion, 1916, S. 49. 18 Lettow-Vorbeck (1920): S. V. 19 Vgl. Michels, Stefanie: Schwarze deutsche Kolonialsoldaten. Mehrdeutige Repräsentationsräume und früher Kosmopolitismus in Afrika. Bielefeld, transcript, 2009, S. 125.

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zu ihren afrikanischen Unteroffizieren. Auf die Frage hin, ob sie bereit wären, deutschen Boden zu verteidigen, antworten diese in ihrer „wortkargen Treue“: „Herr Major! Wir sind Deutsche!!“. Der lakonische Ausruf symbolisiert erstens die widerspruchslose Befürwortung kolonialer Herrschaft und widerlegt dadurch die den Deutschen in der Nachkriegszeit vorgeworfene Unfähigkeit zur Kolonisation. Zweitens ist er zugleich eine wenn auch kurzfristige Aufdeckung des tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnisses. Während bei weißen Soldaten die Pflichterfüllung im Krieg erwartet wird, wird sie bei schwarzen erhofft. Der sonst als Anführer inszenierte Europäer muss sich seines Status vergewissern. Für einen Augenblick zieht dies die Gefährdung der kolonialen Ordnung nach sich. Drittens, und dies dürfte der interessanteste Aspekt sein, findet durch den lakonischen Ausruf und die darauf folgende Antwort des Offiziers „So wollen wir denn zusammenstehen für unser gemeinsames Vaterland!“ eine explizite Integration ‚des Afrikaners‘ in die weiße Gesellschaft statt. Die Unteroffiziere sind nicht deutsche Schwarze, sondern schwarze Deutsche. Ihre Teilnahme am Krieg lässt eine derartige Aussage zu, der, zumindest im Film, nicht widersprochen wird. Auffällig unauffällig gestaltet sich hingegen die Repräsentation afrikanischer Träger. Allein auf deutscher Seite standen zu Höchstzeiten (März 1916) 12 100 Askaris 45 000 Trägern und Gefolge gegenüber. 20 Der Film hingegen beschränkt sich auf kurze Einblendungen nicht-soldatischer Einheiten. So wird Leutnant von Goritz samt Mannschaft nach Kifumbiro verlegt und auf eine ganze Reihe an der Kamera vorbeiziehender Askaris folgen gerade einmal zwei Träger. Einen ähnlichen Weg in der Repräsentation von Hilfskräften schlägt der inoffizielle Nachfolger Die Reiter von Deutsch-Ostafrika ein. Bereits der österreichische FilmKurier wartet in seiner Ausgabe mit einem bildfüllenden schwarzen Soldaten auf, der durch eine untersichtige Perspektive als überlegener Krieger erscheint.21

20 Vgl. Hodges, Geoffrey: „African Manpower Statistics for the British Forces in East Africa, 1914-1918“. In: The Journal of African History. Bd. 19, Heft 1 (1978), S. 101116, hier S. 114. 21 Illustrierter Film-Kurier. Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Heft 961 (1934), S. 6.

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Abb. 1: Schwarze Soldaten, deutsche Askari – Grenadiere des ,alten Fritz‘?

Quelle: Illustrierter Film-Kurier Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Heft 961 (1934), S. 6.

Zwischentexte im Film künden vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges und berichten vom „[…] Zusammenwirken aller Kräfte der Deutschen und der treuen eingeborenen Bevölkerung […]“. Speziell hervorgehoben von den Einheimischen wird erneut der Soldat, nicht Träger, denn gemeinsam „[…] marschierten 3 000 deutsche Männer und 11 000 treue Askaris […]“ unter Lettow-Vorbecks Befehl gen Feind. Die bemerkenswerteste Szene zur Betonung jener „wortkargen Treue“ findet sich in Die Reiter von Deutsch-Ostafrika weniger in lakonischen Ausrufen oder Zwischentexten, als vielmehr in aussagekräftigen Bildern am Ende des Films. Durch den englischen Gegner von sämtlichen Wasserstellen abgeschnitten, steht die deutsche Reitertruppe um den Hauptprotagonisten Peter Hellhoff kurz vor einer Niederlage. Es gelingt jedoch dem jungen Volontär Klix, welcher als Angestellter auf Hellhoffs Farm arbeitet, zur Truppe durchzustoßen und das dringend benötigte Wasser zu überbringen. Sämtliche (weißen) Soldaten drängen sich um die Wasserbeutel und ebenfalls der Askari Hamissi, im Übrigen

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vom bekannten schwarzen deutschen Schauspieler Louis Brody verkörpert, streckt sein Trinkgefäß apathisch danach aus. Nachdem ihm eingegossen wurde möchte er den vollen Becher umgehend hinunterstürzen, besinnt sich jedoch in letzter Sekunde und gibt dem auf seinen Beinen liegenden, weißen und offensichtlich stark geschwächten Kameraden als Erstem zu trinken. Abb. 2: Wortkarge Treue: Der schwarze ,Rüdiger von Bechelaren‘

Quelle: Illustrierter Film-Kurier Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Heft 2215 (1934), S. 6-7.

In diesem Bild der gegenseitigen Kameradschaft und Abhängigkeit voneinander, vielmehr der erneuten Abhängigkeit des Kolonisators vom Kolonisierten, drückt sich abermals die Befürwortung deutscher Herrschaft aus. In einem von der Reitertruppe unbeobachteten und somit herrschaftsfreien Augenblick, hervorgehoben durch die auf zwei Protagonisten reduzierte Kameraeinstellung medium two shot, nimmt sich der Schwarze dem zu keiner Aktion mehr fähigen Weißen selbstlos an. Die Legitimität deutscher Herrschaft, so die Botschaft, beruhe nicht auf einem Gewaltmonopol, sondern einer aktionsfreien Führung. Zugleich ist es eine Integration in die weiße Gesellschaft, denn „Kameradschaft […] ist eine Notgemeinschaft“22, bei der „zivilgesellschaftliche und weltanschauliche Trennlinien“ schwinden.23 Insbesondere im Ideal der Ritterlichkeit, welches nicht nur 22 Wöss, Fritz: Hunde, wollt ihr ewig leben. Wien/Hamburg, Neuen Kaiser, 1958, S. 393. 23 Vgl. Kühne, Thomas: „Zwischen Männerbund und Volksgemeinschaft: Hitlers Soldaten und der Mythos der Kameradschaft“. In: Archiv für Sozialgeschichte. Bd. 38 (1998), S. 165-189, hier S. 178.

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„den Gegensatz zwischen Freund und Feind“24 sondern auch ethnische Unterschiede belanglos werden lässt, konnten schwarze Soldaten in den weißen Kameradschaftsmythos miteinbezogen werden.25 Der Askari (Hamissi) wird als Teil einer „als ursprünglich und sakral verstandene[n] Totalität männlicher communitas‘“26 empfunden. Diese sich hier bildlich artikulierende Faszination für den ritterlichen Afrikaner findet sich in etlichen literarischen Veröffentlichungen der 1920er und 1930er. Allen voran in der Erinnerungskultur europäischer Weltkriegsteilnehmer, aber auch in Artikeln wie „Im Lande der afrikanischen Ritter“, welcher einen mittelalterlichen Lehnsstaat schildert und von Menschen mit „der eisernen Faust des ritterlichen Reiters“ schwärmt.27 Selbst 1939 schreibt noch ein Autor des Sammelbandes Afrika braucht Großdeutschland unter dem Bild von schwarzen ‚Kriegern‘: „Jede reine Rasse freut sich ihrer Wehrhaftigkeit, das gilt auch für Afrika!“28. Die Bewunderung für den wehrhaften Schwarzen selbst auf dem Höhepunkt des Nationalsozialismus scheint ungebrochen zu sein, zumindest auf literarischer Ebene. Auf filmischer hingegen vermeidet Selpins zweiter Kolonialfilm Carl Peters derart positive Hervorhebungen. Schon früh strecken die Schwarzen hier ihre Waffen und werfen dem Kolonisator ihre Speere als Zeichen des Friedens vor die Füße. Vom Joch der arabischen Sklaverei befreit, unterzeichnen sie dankbar die ausgehandelten Schutzverträge. Peters eigene Träger erscheinen ebenfalls unbewaffnet und sind allein für den Transport der nötigen Waren angeworben. In Wirklichkeit jedoch, folgt man seinen Lebenserinnerungen, ließ der Afrikaforscher die „sechsunddreißig Träger mit Speeren“ sowie „sechs persönliche Diener mit Vorderladern“ ausrüsten,29 wissend, dass nicht alle Einheimischen die Schutzverträge wohlwollend begrüßen würden. Auf Widerstand stießen viele Kolonialpioniere nicht erst

24 Vgl. ebd. 25 Vgl. Maß, Sandra: Weiße Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland 1918-1964. Köln/Weimar/Wien, Böhlau, 2006 (zugl. Diss. Europ. Hochschulinstitut Florenz 2004), S. 163f. 26 Kühne (1998): S. 175. 27 Vgl. Amerun, K.: „Im Lande der afrikanischen Ritter“. In: Jambo. Abenteuer, Unterhaltung und Wissen aus Kolonien und Übersee. Jg. 8, Heft 1 (1931), S. 2-6, hier S. 2. 28 Janisch, Ernst: „Selbstbehauptung und Verpflichtung der weißen Rasse in Afrika“. In: Brüsch, Karl (Hg.): Afrika braucht Großdeutschland. Das deutsche koloniale Jahrbuch 1940. Berlin-Wilmersdorf, Süßerott, 1939, S. 60-64, hier S. 62. 29 Vgl. Peters, Carl: Die Gründung von Deutsch-Ostafrika. Kolonialpolitische Erinnerungen und Betrachtungen. Berlin, Schwetschke, 6.-10. Tsd., 1906, S. 72.

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bei der eigentlichen Expedition, sondern bereits bei deren Organisation. Die Anwerbung von Helfern wurde schon von den meisten Zeitgenossen als „die schwierigste, komplexeste und mühsamste Aufgabe“ wahrgenommen. 30 Der filmische Peters indes wirbt in einer fast schon ironisch wirkenden einzigen Kameraeinstellung den zukünftigen Dolmetscher an. So beraten er, Karl Jühlke und Graf Pfeil das weitere Vorgehen der geplanten Expedition. Wie nebenbei wird der von Mohamed Husen gespielte Ramasan rekrutiert und praktisch in die Bildmitte gezerrt: „… wir nehmen uns Träger, engagieren… komm mal her Du, bist Du einverstanden als Dolmetscher? Du mietest uns sofort für die Überfahrt eine arabische Dau!“. Die Szene kaschiert die in der Realität mit einer eigenen Dynamik ablaufenden Verhandlungen und untergräbt, wie auch der weitere Verlauf der Handlung, die eigentliche Bedeutung des Dolmetschers. Seine Redeanteile sind äußerst begrenzt, auf Fragen antwortet er beinahe einsilbig und trägt kaum zum Gelingen des Unternehmens bei. In Wirklichkeit jedoch gestand selbst Peters seinem Übersetzer eine größere Rolle zu, denn die „Rettung unseres Lebens danken wir vornehmlich der Treue und Hingabe unseres Dolmetschers Ramassan […]“.31 Im Übrigen bleibt er das einzig namentlich benannte schwarze Expeditionsmitglied im Film, andere Hilfskräfte verschwinden in der anonymen Masse der Karawane. Szenen wie die Ankunft an der Küste, in der die Träger die Weißen schulternd zum Ufer bringen oder aber das Reisen per Hängematte während eines Fieberanfalls ermöglichen und dadurch auch visuell zum Träger des Unternehmens werden, haben Seltenheitswert. Während Peters im Film 1941 trockenen Fußes ankommt, gestaltete sich die tatsächliche Ankunft 1884 weniger heroisch: Vom Ufer waren wir noch etwa 300 Schritte entfernt, mich hielt meine Ungeduld nicht länger, und ich bestieg den Rücken eines meiner Diener, um mich persönlich sofort ans Land tragen zu lassen. Dies hatte das Unbequeme – da der Boden des Meeres ziemlich uneben war, wodurch mein Diener plötzlich ganz unter mir verschwand – daß ich völlig durchnäßt im schwarzen Erdteil ankam. Mein Diener fiel obendrein noch einmal auf dem schlüpfrigen Boden hin.32

Jene Passage dürfte den damaligen Leser noch erheitert, zugleich für einen kurzen Augenblick das Bild vom überlegenen Weißen, der auf die Geschicklich-

30 Vgl. Fabian, Johannes: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas. München, Beck, 2001, S. 50. 31 Peters (1906): S. 85. 32 Ebd., S. 71.

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keit seiner Träger angewiesen ist, dekonstruiert haben. Der Film hingegen erzeugt eine illuminierte Aura um den Anführer, indem sämtliche Personen konsequent einen Schritt zurück treten und Freund wie Feind vielfach deutlich dunkler gestaltet sind. Abb. 3: Auf dem Rücken der Träger zur Kolonie: Carl Peters, gespielt von Hans Albers

Quelle: Illustrierter Film-Kurier Carl Peters. Heft 3185 (1941), S. 2.

Aufnahmen von Peters erfolgen in einer Untersicht und werden spätestens gegen Ende des Films einer anonymen Masse in der Totalen signifikant entgegengesetzt, wodurch die Nähe zu medialen Inszenierungen des „Führers“ in Riefenstahls Parteitagsfilmen augenfällig ist. Das Hierarchiegefälle ist größer als in früheren Produktionen, und entsprechend wird dem Zuschauer die visuelle Ermordung eines Weißen durch Schwarze vorenthalten. So neiden die Engländer dem Deutschen seinen Erfolg und wiegeln die Einheimischen gegen ihn auf. Der folgende Hinterhalt und Tod von Peters bestem Freund Karl Jühlke wird aber bildlich ausgespart und lediglich in Form eines Botenberichtes präsentiert. Im Weimarer Kino war die Bedrohung durch einen Schwarzen, so auch in Ich hatt’ einen Kameraden in Form des aufrührerischen Mkalimoyo, ein gängiges und

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beliebtes, 33 im NS-Kino offensichtlich unerwünschtes und möglichst ausgeklammertes Motiv. Eine Gefahr entsteht erst, so die intendierte Botschaft, wenn der Kolonisierte vom falschen Kolonisator beherrscht wird. Dieser Vater-SohnBeziehung bedient sich ebenfalls der letzte Kolonialfilm, Germanin. Und auch hier lässt sich ein signifikanter Unterschied zwischen literarischer Vorlage und filmischer Umsetzung ausmachen. In Hellmuth Ungers Roman ist der Schwarze durch den „ewigen Daseinskampf mit der Natur“ beinahe furchtlos geworden. Als wehrhafter ‚Krieger‘ schuf er „sich Waffen der Abwehr und der Vernichtung“ gegen „Löwe, Elefant und das Nashorn mit seiner besonderen Heimtücke“. Nur gegenüber dem „grausamsten kleinsten Feind blieb er immer wehrlos, und erst der weiße Mann mußte kommen, zu helfen […]“.34 In Kimmichs Film hingegen erscheinen die Afrikaner schon zu Beginn trotz ihrer Waffen wehrlos. Vor einem angreifenden Leoparden suchen die Träger ihr Heil in der Flucht. Nur das entschlossene Eingreifen des Tierfängers Dr. Hofer (Luis Trenker) lässt auch seinen ‚boy‘ den Kampf aufnehmen, der mit einem beherzten Schuss das Tier erlegt. Es bleibt die einzige Szene, in der der Kolonisierte dem Kolonisator rettend zur Seite steht. Eher wird Wert darauf gelegt, dass der Weiße in seiner Funktion als Tropenarzt „immer und unter allen Umständen das Gefühl behält, über dem Kranken zu stehen, das Gefühl, der Gebende zu sein.“35 Anders als Peters, welcher sich auf den Schultern zur Küste tragen ließ oder das Reisen in der Hängematte bevorzugte, verzichten die weißen Protagonisten auf derartige Fortbewegungsmöglichkeiten. Träger dienen neben dem Warentransport ausschließlich zur Beförderung schlafkranker Landsleute. Die Kontrolle über diese und Heilung des schwarzen Körpers indiziert dabei das Kräfteverhältnis zwischen den miteinander konkurrierenden Engländern und Deutschen36. Afrika erscheint als kontinentaler Seuchenherd, seine Bewohner primär als Patienten, als Träger der Schlafkrankheit. Die gesundheitliche Repräsentation des schwarzen Körpers wird so zum Symbol für ein infiziertes oder geheiltes Afrika und die Notwendigkeit einer (deutschen) Kolonialherrschaft. Eine weitere Abgrenzung

33 Vgl. hierzu auch Nagl (2009): S. 456ff., 472ff., 491ff. 34 Vgl. Unger, Hellmuth: Germanin. Geschichte einer deutschen Großtat. Berlin/Wien, Neues Volk, 101-110. Tsd., 1943, S. 5-6. 35 Liek, Erwin: Der Arzt und seine Sendung. Gedanken eines Ketzers. München, Lehmanns, ²1926, S. 37. 36 Vgl. Hake, Sabine: „Mapping the Native Body: On Africa and the Colonial Film in the Third Reich“. In: Friedrichsmeyer, Sara & Lennox, Sara & Zantorp, Susanne (Hg.): The Imperialist Imagination. German Colonialism and its Legacy. Ann Arbor, University of Michigan Press, 42001, S. 163-187, hier S. 166.

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erfolgt neben den Dichotomien weiß/schwarz, wehrhaft/wehrlos durch die Separierung in gesund/infiziert. Zu keinem Zeitpunkt jedoch ist in Germanin eine Integration des Schwarzen in die weiße Gesellschaft mehr vorgesehen. Offensichtlich wird dies an einem ehemaligen Askari, der aus Freude über die Genesung alte deutsche Uniformstücke wieder anzieht. Die sichtbare Markierung der nationalen Zugehörigkeit, ermöglicht durch die unsichtbare medizinische Kontrolle des schwarzen Körpers durch deutsche Ärzte, währt nur kurz. Der eintreffende englische Offizier fürchtet um seinen Einfluss und lässt den Afrikaner umgehend auspeitschen. Eine Szene, die im Sinne der NS-Machthaber gewesen sein dürfte. Wohl wird auf den ehemaligen Kolonialbesitz verwiesen, wichtiger erscheint jedoch die Darstellung des Gegners als Sadisten sowie das rasche Verschwinden der Uniform aus dem Zuschauerblick. Die vorzeitige Negation einer Wehrhaftigkeit und somit potentiellen Kameradschaft hält „zivilgesellschaftliche und weltanschauliche Trennlinien“37 aufrecht.

O FFENE F ASZINATION

UND HEIMLICHER

V OYEURISMUS

Trommelschlag rollt fanatisch. Kreise, Gruppen bilden sich. Es wird bis zur Selbstvergessenheit getanzt. […] Wilde, verzückte Einzelsprünge von Männern und Frauen verraten, daß peitschende, glutende Ekstase die Menschen in taumelnde Besessenheit stürzt. […] Wir Weißen erbeben in der Seele: Welche Veränderung!38

„[W]ie lauschten wir dem Klange, [/] dem alten trauten Sange [/] der Träger und Askari […]“ heißt es schon in der ersten Strophe von „Heia Safari“. Aschenborn greift in seinem Lied wie so viele andere Autoren vor und nach ihm eines der beliebtesten kolonialen Motive auf: die Darstellung von Gesang und Tanz bei der Beschreibung des Fremden. Betrachtet aus der distanzierten Ferne erlaubte der Blick auf den Tänzer einen scheinbaren Einblick in seine gesamte Lebenswelt. 39 Das vor allem im ethnografischen Kulturfilm inszenierte Spektakel drückt jene Ambivalenz von Begehren und Ablehnung aus, welche wie beim Kolonialoffizier Werner von Rentzell in einem „Meer unendlich bitterer, nie zu stillender Sehnsucht“ enden konnte.40 Ähnlich wie das Moment der Kamerad-

37 Kühne (1998): S. 178. 38 Rentzell, Werner von: „Aid’ el Kebir“. In: Bolsinger, Willy & Rauschnabel, Hans (Hg.): Jambo watu! Das Kolonialbuch der Deutschen. Stuttgart-Gablenberg, Steffen, 1927, S. 29-32, hier S. 31. 39 Vgl. Nagl (2009): S. 250. 40 Rentzell (1927): S. 32.

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schaft wirkte die positive Bewunderung des schwarzen Körpers oft grenzüberschreitend und öffnete „einen Spalt in der Konstruktion herabsetzender Gegensätze“.41 In Die Reiter von Deutsch-Ostafrika sind es der Farmer Hellhoff, sein englischer Freund Cresswell und der Assistent Lossow, die einem nächtlichen Tanz ihrer Hilfskräfte beiwohnen. Die offene Faszination für die Darbietung drückt sich vor allem in den gewählten Kameraeinstellungen und der Montage aus. So werden die Protagonisten gemeinsam mit den Tanzenden in der Totalen gezeigt, ihre Teilnahme am Geschehen dadurch hervorgehoben. Insbesondere die Schuss-Gegenschussnahaufnahmen von Hellhoff und Milini verdeutlichen ein Interesse des Farmers an seiner schwarzen Dienerin. Im Übrigen erschien den Filmzensoren schon 1934 die offene Faszination der weißen Protagonisten als zu ausgeprägt. So musste die Großaufnahme der „drei Negerinnen, die Bauchtanzbewegungen ausführen“ mit dem Bild des „prüfend zuschauenden Hellhof“ vor Veröffentlichung um 14 Meter gekürzt werden.42 Gleichwohl wirkt die Schönheit der Afrikanerin Milini im Film grenzüberschreitend. In Ermangelung einer weißen Heiratspartnerin zieht der Kolonisator die Liebschaft zu einer Schwarzen in Betracht, trotz der mahnenden Blicke (und späteren Worte) seines englischen Freundes. Er weist seinen Aufseher an, Milini fortan im Haus zu beschäftigen. Die eigentliche Hierarchie und Grenze zwischen Schwarzen und Weißen hält der Film dennoch aufrecht. Erstere, die Hierarchie, wirkt unbewusst auf den Kinozuschauer. Die Afrikaner sind beim Tanz konsequent durch eine leicht aufsichtige, die in der Montage gegenübergestellten Weißen durch eine untersichtige Kamera abgelichtet. Letztere, jene Grenze, wird insofern gewahrt, da Hellhoffs Verlobte doch noch den Weg von Europa nach Afrika findet. Ganz in der Tradition vieler Filme der 1920er Jahre entsagt der Weiße seiner exotischen Geliebten, und es wird die Unmöglichkeit einer (dauerhaften) interkulturellen Beziehung suggeriert. 43 Ein Motiv, dessen sich schon Ich hatt’ einen Kameraden bediente. Hier ist es die schwarze Fatuma, die dem Leutnant von Goritz schöne Augen macht und ihm anbietet „Lass mich Deine Dienerin sein!“. Den Aufwartungen entsagt der Weiße ebenfalls rechtzeitig („Geh’ jetzt!“) und schlussendlich stirbt die Afrikanerin, anders als die intrigierende Dienerin Milini, für ihre unerfüllte Liebe im englischen Artilleriefeuer. In späteren Produktionen lassen sich offene Faszination oder potentielle Grenzüberschreitungen nicht mehr ausmachen. Trotz zahlreicher Massenszenen mit halbnackten

41 Vgl. Fabian (2001): S. 313. 42 Vgl. Filmzensurkarte der Film-Prüfstelle Berlin Nr. 37565 „Die Reiter von DeutschOstafrika“, 17. Oktober 1934, Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin. 43 Vgl. Nagl (2009): S. 468ff.

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afrikanischen Tänzern in Carl Peters haben sich die Kolonialpioniere hier ausschließlich der Akquirierung afrikanischen Bodens verschrieben. Den eigenen Trägern wird ein Desinteresse, teils sogar leicht ablehnende Haltung gegenüber ausgedrückt, beklagt sich doch Karl Jühlke: „Die Trommelei kann einen ja wahnsinnig machen!“. Jene „Trommelei“ und Gesang, welche wahrscheinlich zu den ältesten erhaltenen Bild-Ton-Aufnahmen (west-)afrikanischer Musik gehören, 44 sind während der gesamten Expedition omnipräsent. In Verbindung mit den Tanzszenen wirkt das Spektakel des Anderen auf die Kolonialpioniere und auch Zuschauer beinahe berauschend. Geschuldet ist dies nicht zuletzt der geänderten Blickrichtung. In Die Reiter von Deutsch-Ostafrika wahrten Zuschauer und Hauptprotagonisten die Hierarchie und schauten mittels einer leichten Aufsicht, somit von oben herab, auf die bekleideten Hilfskräfte. In Carl Peters aber blickt der Zuschauer von unten herauf auf die halbnackten Tänzer. Der bildfüllende schwarze Körper wirkt durch die starke Untersicht übermächtig und dominant, dem sich der Betrachter nicht mehr entziehen kann. Auch der sonst so kühle Peters könnte nicht ganz unempfänglich für die „glutende Ekstase“ der eigenen Träger sein. Obwohl der Film die tatsächlichen Liebschaften seines Heros mit Afrikanerinnen verschweigt, erleidet er just in dem Augenblick einen Schwächeanfall, als sich die Expedition auf den Rückweg nach Europa begibt. Abb. 4: Schwächeanfall durch „glutende Ekstase“?

Quelle: Illustrierter Film-Kurier Carl Peters. Heft 3185 (1941), S. 4.

44 So der Musikwissenschaftler Nepomuk Riva [Korrespondenz vom 14. September 2016]. Für den Hinweis danke ich Stefanie Michels.

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Im Kolonialdiskurs wurde das Verlassen des afrikanischen Kontinents mit dem Verlust einer Liebe gleichgesetzt, der Schwarze Erdteil oft mit femininen Eigenschaften versehen.45 Dass Peters zumindest unter dem Eindruck Afrikas steht, verdeutlicht der bildliche Übergang vom bettlägerigen Pionier zu wild tanzenden Afrikanern. Die sich abwechselnden, immer schneller werdenden Schnitte zwischen den einzelnen Tänzern dürften dabei jene „taumelnde Besessenheit“ verraten, der sowohl die Afrikaner und Peters als auch der Zuschauer vor der Leinwand erliegen. Letzterer, da in einer Direktadressierung die Schwarzen teilweise in die Kamera blicken und die geschlossene Diegese brechen. Der Zuschauer im Kinosessel wird direkt angesprochen, der Reiz afrikanischer Tänzer wirkt unmittelbar auf ihn. Viel Haut zeigt ebenfalls Germanin, wodurch die „Logik des Naturalisierens“46 noch deutlicher zum Tragen kommt. Unterschiede zwischen den beiden Gruppen erscheinen nicht (mehr) kulturell bedingt, sondern als natürlich gegeben, aufgeteilt in die Dichotomien zivilisiert/primitiv. Diese signifikante Trennung lässt sich auch in der weiteren Verschiebung der Perspektive und Art des Blickes ausmachen. War bei Die Reiter von DeutschOstafrika in der positiven Bewunderung des schwarzen Körpers noch ein potentieller Grenzübertritt möglich und dieser bei Carl Peters zumindest im Fieberwahn angedeutet, finden in Kimmichs Produktion die afrikanischen Tänze fernab der europäischen Protagonisten statt. Durch die räumliche Separierung von Schwarz und Weiß wird aus dem Spektakel des Anderen ein deutliches Spektakel der Exklusion. Der Film wählt bei tänzerischen Darbietungen vielfach eine distanzierende Totale in der Aufsicht, halbnahe bis nahe Aufnahmen erfolgen auf Augenhöhe. Eine starke Untersicht und somit dominierende Perspektive des Afrikaners auf den Weißen wird vermieden. Die Wahrung der Hierarchie und Negation eines Grenzübertritts bedeuten jedoch nicht das Verschwinden von Lust und Begehren. Von nun an sind es nicht mehr die Protagonisten, sondern die Zuschauer selbst, die in einer Art heimlichem Voyeurismus den Tänzen beiwohnen. Die mehreren hundert Komparsen sind noch spärlicher bekleidet als in früheren Produktionen, weibliche Brüste ungemein häufiger zu sehen. Die Körper der Akteure drängen sich beim Tanz dicht an dicht, lassen keine Freiräume und verschmelzen zu einem einzigen schwarzen (Volks-) Körper. Aus den früheren Tanzszenen einzelner Träger und Krieger werden anonyme Massenszenen. Mit einer Dauer von mehr als drei Minuten wartet

45 Vgl. Maß (2006): S. 122f. 46 Hall, Stuart: „Das Spektakel des ,Anderen’“. In: ders. (Hg.): Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften. Bd. 4. Hamburg, Argument, 2004, S. 108166, hier S. 130.

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Germanin mit der deutlich längsten „kulturellen“ Darbietung auf, kein anderer Kolonialspielfilm gibt afrikanischen Tänzen derart viel Raum. Lust und Begehren nach dem exotisch Fremden, so scheint es, sind auf einem Höhepunkt angelangt.

F AZIT Träger und Askari – in Aschenborns Lied nehmen sie eine zentrale Stelle ein. Und auch die hier untersuchten propagandistischen Kolonialspielfilme greifen diese Motive auf, wenn auch in stark unterschiedlicher Art und Weise. Die Repräsentation afrikanischer Hilfskräfte erfolgt in Ich hatt’ einen Kameraden und Die Reiter von Deutsch-Ostafrika im Wesentlichen in der Figur des „treuen Askaris“. Wehrhaftigkeit, Kameradschaft und das Ideal der Ritterlichkeit ermöglichen eine Inklusion in die weiße Gesellschaft, wodurch auch der Europäer jene Attribute des Anderen für sich vereinnahmen konnte. Durch die „rassenpolitische Grundlegung der NS-Volksgemeinschaft“ indes verschob sich „die Vorstellung davon, wer überhaupt als Kamerad in Frage kam“47. In diesem Sinne schafft der spätere Kolonialfilm neu strukturierte, getrennte Räume. Carl Peters und Germanin beschränken ihre Repräsentation afrikanischer Hilfskräfte auf wehrlose, dienende Rollen in Form des ‚boys‘, Dolmetschers und Trägers, welche als gesangliche Begleitung und Träger der Schlafkrankheit fungieren. Auf die Inklusion folgt eine Exklusion des Schwarzen aus der weißen Gesellschaft und aus dem Symbol einer Befürwortung (Askari) wird das Symbol einer Notwendigkeit (Träger/Patient) deutscher Kolonialherrschaft. Herrschaftslegitimierung und weißer Machtanspruch ziehen eine deutlich schärfere Trennlinie, führen jedoch nicht zum Versiegen von Lust und Begehren nach dem Fremden. Der Ausschluss aus einer männlichen communitas geht einher mit einem stärker sexualisierten Blick auf den schwarzen Körper, welcher keine höhere Anerkennung, wohl aber mehr Raum zur Darstellung erhält. Gesang und Tanz sind sequenzweise omnipräsent, schwarze Protagonisten deutlich spärlicher bekleidet. Die damit verbundene „Logik des Naturalisierens“, jene „Praxis, die Kulturen von Schwarzen auf Natur zu reduzieren“, ist eine „Strategie der Repräsentation“, um „das unvermeidbare ,Entgleiten‘ von Bedeutung aufzuhalten“.48 Neben den unsicheren da überwindbaren Trennlinien von wehrhaft/wehrlos bzw. gesund/infiziert erfolgt die Festschreibung einer permanenten Dichotomie in zivilisiert/primitiv. Jene von Homi Bhabha formulierte Mimikry, bei der die 47 Kühne (1998): S. 185. 48 Vgl. Hall (2004): S. 130.

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Ähnlichkeit des Kolonisierten zum Kolonisator stets auch eine Bedrohung ist, „den Diskurs ,zerreißt‘“ und „in eine Ungewißheit transformiert“, wird verhindert.49 Der Kolonialspielfilm der 1940er Jahre wendet sich vom „Heldenlied von weisser und schwarzer Treue“50 ab und kehrt zur „Urdichotomie“ des Kolonialismus zurück. Zu überraschen vermag das gesteigerte Begehren nach dem exotischen Anderen am Ende des ‚Dritten Reiches‘. Es beweist jedoch, dass die Filmverantwortlichen auch im Jahre 1943 „herrschende Massenbedürfnisse“51 nicht ignorieren konnten, jene Ambivalenz des Kolonialismus aber womöglich in einer Änderung des Blickes zu kaschieren versuchten. Waren es zuvor die Protagonisten auf der Leinwand, welche eine Bewunderung für das Fremde deutlich zum Ausdruck brachten, ist es beim späteren Kolonialspielfilm ausschließlich der Kinogänger vor der Leinwand, der sich an nackter schwarzer Haut erfreut. Aus dem guten Kameraden wird ein wehrloser Träger und somit aus der offenen Faszination ein heimlicher Voyeurismus.

F ILME Alexander, Georg & Boese, Carl: Der Verräter. Deutschland, Deuko, 1917. Boese, Carl: Farmer Borchardt. Deutschland, Deuko, 1917. Kimmich, Max: Germanin. Die Geschichte einer kolonialen Tat. Deutschland, Ufa, 1942/43. Moest, Hubert: Der Gefangene von Dahomey. Deutschland, Deuko, 1918. Selpin, Herbert: Carl Peters. Deutschland, Bavaria, 1940/41. Ders.: Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Deutschland, Terra, 1934. Wiene, Conrad: Ich hatt’ einen Kameraden. Deutschland, Ifco, 1926.

L ITERATUR Amerun, K.: „Im Lande der afrikanischen Ritter“. In: Jambo. Abenteuer, Unterhaltung und Wissen aus Kolonien und Übersee. Jg. 8, Heft 1 (1931), S. 2-6. Barbusse, Henri: Le Feu. Journal d’une Escouade. Paris, Ernest Flammarion, 1916. Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur. Tübingen, Stauffenburg, 2011.

49 Vgl. Bhabha, Homi: Die Verortung der Kultur. Tübingen, Stauffenburg, 2011, S. 127. 50 Programmheft zu Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Central-Kino Salzburg Linzergasse (1934), S. 3. 51 Kracauer (1979): S. 11.

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S ONSTIGE Q UELLEN Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin, Filmzensurkarte der Film-Prüfstelle Berlin Nr. 37565 „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“, 17. Oktober 1934. Korrespondenz mit Nepomuk Riva vom 14. September 2016.

B ILDNACHWEIS Bild 1: Illustrierter Film-Kurier Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Heft 961 (1934), S. 6. [Sammlung Niels Hollmeier]. Bild 2: Illustrierter Film-Kurier Die Reiter von Deutsch-Ostafrika. Heft 2215 (1934), S. 6-7. Bild 3: Illustrierter Film-Kurier Carl Peters. Heft 3185 (1941), S. 4. Bild 4: Illustrierter Film-Kurier Carl Peters. Heft 3185 (1941), S. 2. Auszüge aus den Programmheften Illustrierter Film-Kurier Nr. 2215 (Jahrgang 1934) Die Reiter von Deutsch-Ostafrika und Nr. 3185 (Jahrgang 1941) Carl Peters mit freundlicher Genehmigung von Verlag für Filmschriften, Christian Unucka, 85241 Hebertshausen, www.unucka.de.

Mehr als ein Träger? Zum täglichen Miteinander von europäischen Individualreisenden und ihrem Personal im kolonisierten Afrika S ONJA M ALZNER

I. Ein Reisebericht erzählt von persönlichen Abenteuern, fremden Ländern und fremden Menschen. Und zu den fremden Menschen, mit denen europäische Reisende in Afrika mitunter die intensivsten Kontakte hatten, gehören zweifelsfrei die Träger. Deshalb bietet es sich an, einen genaueren Blick auf deren Darstellung in europäischen Reiseberichten der Kolonialzeit zu richten. Im Fokus sollen dabei drei Publikationen von Individualreisenden stehen, die jeweils längere Märsche mit Trägern unternahmen und ausführlich darüber berichteten. Die erste stammt von dem Deutschen Friedrich Kallenberg, wurde 1892 veröffentlicht und trägt den etwas missverständlichen Titel Auf dem Kriegspfad gegen die Massai. Eine Frühlingsfahrt nach Deutsch-Ostafrika.1 Der zweite, mit knapp 500 Fotos illustrierte Reisebericht Voyages en Afrique wurde 1913 zugleich in Mailand und Paris von Hélène de France Duchesse d’Aoste veröffentlicht. Das dritte Beispiel schließlich stammt aus der Zwischenkriegszeit. Es handelt sich um den Reisebericht Voyage au Congo et le Retour du Tchad von André Gide aus dem Jahr 1929. Was diese Reisenden verbindet, ist die Tatsache, dass sie weder militärische noch kommerzielle oder politische Ziele verfolgten, sondern sich aus reiner Neugier und persönlichen Gründen nach Afrika aufmachten. Gehen wir deshalb hypothetisch davon aus, dass die

1

Kallenberg, Friedrich: Auf dem Kriegspfad gegen die Massai. Eine Frühlingsfahrt nach Deutsch-Ostafrika. Mit 1 Titelfarbendruck, 8 Tonbildern und 78 Textabbildungen nach dem Skizzenbuch des Verfassers nebst einer Karte der PangariKilimandscharo-Route. München, C. H. Beck, 1892.

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Privatreisenden sich in ihren Berichten für den Anderen ‒ und also auch für ihre Träger ‒, interessieren und eine gewisse Offenheit mit auf die Reise bringen. Stellen wir davon ausgehend eine weitere Hypothese auf, dass es nämlich in ihren Reiseberichten zu Individualisierungstendenzen kommt, wenn es um die Darstellung von Trägern, Köchen und Dolmetschern geht und schließlich, dass sie von dem intensiven Zusammensein profitierten und ihre einheimischen Begleiter auch als Informanten, d.h. als Wissens- und Kulturvermittler betrachteten. Privatreise bedeutet auch, dass die Träger nicht zum Tragen verpflichtet werden konnten, wie das zum Beispiel die Kolonialverwaltung im Rahmen der Steuereintreibung tat. Die hier behandelten Fälle schreiben sich vielmehr in ein herkömmliches Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis ein, wobei die Träger, wie Arbeiter zu anderen Zeiten und an anderen Orten auch, ihre Interessen und ihre Unabhängigkeit zu wahren suchten. Kulturelle Missverständnisse waren daher vorgezeichnet, denn die vertraglich festgelegten Arbeitsverhältnisse waren einem rein westlichen Konzept verpflichtet, das in der afrikanischen Trägertradition nicht unbedingt verankert war. Die Missverständnisse betrafen daher vor allem Fragen der Interpretation dieser Verträge. Konflikte die Disziplin und die Ordnung betreffend wurden von beiden Seiten unterschiedlich interpretiert. Hinzu kam, dass diese Konflikte in unterschiedlichen ‚Sprachen‘ im weitesten Sinn ausgedrückt und ausgetragen wurden, dass die westliche Vorstellung eines schriftlichen Vertrags nicht den Gepflogenheiten der einheimischen Bevölkerung entsprach und schließlich, dass Europäer und Afrikaner eine unterschiedliche Vorstellung von Zeit hatten.2 Oder, wie Stephen Rockel griffig zusammenfasst: „Nearly always, the gap between caravan crew culture and European expectations remained wide“.3 Aber ganz gleich, wie die Einstellung der Reisenden zu den einheimischen Arbeitskräften auch war, das Abhängigkeitsverhältnis war eindeutig, denn im Endeffekt musste sich der europäische Reisende den Gepflogenheiten des Karawanen-Systems anpassen.4 Wenn er auch noch so hart bestrafte oder noch so gut bezahlte: die zu tragende Last (meist 30 kg) und die Geschwindigkeit waren beschränkt und wurden von den Trägern diktiert.

2

Rockel, Stephen J.: Carriers of Culture. Labor on the Road in Nineteenth-Century East Africa. Portsmouth NH, Heinemann, 2006, S. 163-165. Zum Zeitverständnis verschiedener Kulturen siehe Loimeier, Roman: Eine Zeitlandschaft in der Globalisierung: Das islamische Sansibar im 19. und 20. Jahrhundert. Bielefeld, transcript, 2012.

3

Rockel (2006): S. 165.

4

Rockel (2006): S. 165.

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Und schließlich waren es auch die Träger, die über die potentiell wichtigste Waffe im Arbeitskampf verfügten, die ‚Desertion‘, hatten sie doch den Vorteil der Mobilität. Auch deshalb wurden Karawanen meist von angeheuerten Soldaten begleitet (in Ostafrika Askari genannt), um diese nicht nur nach außen zu schützen, sondern auch nach innen, was hieß, die Träger zu kontrollieren. Eine weitere Machtposition hatte der Karawanenführer inne, der für die Rekrutierung der Träger, die Disziplin der Truppe sowie auch für das tägliche Marschpensum verantwortlich war. Seiner Erfahrung im Umgang mit den Trägern waren die europäischen Reisenden auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Meist war es auch er, der als Dolmetscher zwischen den Reisenden und den Trägern fungierte, da die Europäer die Sprache(n) der Träger nicht oder nur rudimentär beherrschten.5 Allerdings waren Trägertruppen und Karawanenführer meist eingespielte Teams, die über Jahre hinweg professionell zusammenarbeiteten (belegt vor allem an Beispielen aus Ostafrika) und eine Gemeinschaft bildeten, in der nicht nur gegenseitige Kontrolle herrschte, sondern auch eine gemeinsame Berufsethik: „The work ethic of professional porters implied a sense of honor, notions of resistance against injustice, assertion of freedom and independence from employers, and a practical understanding of dangerous conditions ahead“.6 Eine „permanente Krisensituation“7 also, der Kolonisatoren und Kolonisierte ausgesetzt waren und die Andreas Greiner in seinem Beitrag des vorliegenden Sammelbandes am Beispiel Ostafrika ausführlich darstellt. Wie gingen nun die Privatreisenden mit diesen Missverständnissen, Machtdemonstrationen, Kommunikationsschwierigkeiten oder auch der Angst um, wie sie zum Beispiel von Gustav Adolf Gedat in Wunderwege durch ein Wunderland geschildert wird: Tag um Tag sind wir unterwegs, ich ganz allein mit den schwarzen Trägern. […] Hier ist weit und breit kein anderer Weißer, und man kann schon auf allerlei Gedanken kommen, wenn man sich daran erinnert, dass noch die Eltern der Burschen, mit denen ich hier reise, Menschenfresser waren. Es sind sehr ernst zu nehmende Leute, die behaupten, dass auch heute noch Kannibalen im Hinterland zu finden seien. Kamerun ist groß, die nächste Polizeistation ist weit und der Urwald so dicht und ebenso einsam wie die Berge des Graslandes.8

5

Vgl. ebd., S. 235.

6

Rockel (2006): S. 235.

7

Vgl. den Beitrag von Andreas Greiner im vorliegenden Band.

8

Gedat, Gustav Adolf: Wunderwege durch ein Wunderland. Ein Fahrtenbilderbuch. Stuttgart, Steinkopf, 1939, S. 60.

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Wie verschafften sie sich ‚Gehorsam‘, ‚Disziplin‘, ‚Ordnung‘ oder ‚Respekt‘ bei ihren Bediensteten und welche dieser Begriffe werden von ihnen in ihren Berichten verwendet? Verhielten sie sich eher autoritär und setzten ihre Order auch mit Gewalt durch? Teilten sie Rituale und Freizeitaktivitäten mit der Karawane und versuchten eher, sich bei den Trägern ‚Respekt‘ zu verschaffen dadurch, dass sie mit gutem Beispiel vorangingen? Oder aber war die Beziehung eine rein geschäftliche, die das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Europäern und Afrikanern der Kolonialzeit sogar außer Kraft setzen konnte? Immerhin handelte es sich bei Privatreisenden ja nicht zwangsläufig um Anhänger der kolonialistischen Ideologie und die Frage stellt sich, ob sie als solche aus kolonialistischen Diskursstrukturen ausbrechen konnten, d.h. ob die Beziehung zwischen ‚Kolonisator‘ und ‚Kolonisiertem‘ zumindest in Ansätzen zu einer Beziehung zwischen ‚Reisendem‘ und ‚Bereistem‘ werden konnte.9 Oder anders gesagt: Does experience matter? […] Are tourists just „programmed“ by their presuppositions or can they assimilate something new and different? […] The assumption is […]: that real travel through space and the encounter with foreign cultures and society certainly has the potential to elicit qualitatively new experiences. By suggesting that humans can learn through experience, that is, encounter the world in ways that change their thinking. The travel through space permits new experiences, even if those experiences and the reactions to them are repressed because of colonial ideology.10

Dann könnten die Konfliktpotentiale, ins Positive umgekehrt, auch als Schnittstellen gesehen werden, an denen es zu Veränderungen kommen kann, vielleicht sogar zu einem Lernprozess. Nachzuweisen wäre dies an Äußerungen der

9

Vgl. Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel writing and Transculturation (1992). London & New York, Routledge, 2008, S. 8; siehe dazu auch: Malzner, Sonja: ‚So sah ich Afrika‘. Die Repräsentation von Afrikanern in plurimedialen Reiseberichten europäischer Individualreisender der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Würzburg, Königshausen & Neumann, 2013. Die meisten Reisenden lassen sich nicht exklusiv als autoritär oder paternalistisch einordnen, sondern verstricken sich oft in Widersprüchlichkeiten, was den Umgang mit ihrem Personal betrifft. Für das Personal stellen diese Sinneswandel ein Problem dar, weil sie in diesen Fällen nie wissen können, woran sie sind. Laut Rockel lässt sich auch keine eindeutige Zuordnung nach Berufsgruppen vornehmen: „There were brutal missionaries and sensitive exploreres“ (Rockel (2006): S. 165).

10 Berman, Russell A.: Enlightenment or Empire. Colonial Discourse in German Culture. Lincoln & London, University of Nebraska Press, 1998, S. 4-5.

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Individualreisenden über Qualitäten und Eigenschaften ihres Personals, sowie über Meinungsverschiedenheiten und Missmut. Dabei könnten dann auch vermehrt Individuen aus der Masse hervortreten, denen eine Mittlerrolle zuerkannt wird. Denn de facto sind Träger ja Kultur- und Wissensvermittler – wie auch die Reisenden, die den Daheimgebliebenen über ihre Abenteuer schriftlich und im Bild berichten.11 Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass die publizierenden Reisenden ihre Mittlerrolle gewollt und nachweislich bewusst wahrnehmen, Träger hingegen als „Mittler ohne Absicht“12 bezeichnet werden müssen, da sich ihre Rolle als Wissensvermittler erst aus ihrer ursprünglichen Aufgabe des Tragens heraus ergeben kann. Aus Perspektive der Reisenden waren die Träger, wie auch der Rest des Personals, das heißt Köche, Dolmetscher oder ‚boys‘, diejenigen Einheimischen, mit denen sie den intensivsten Kontakt hatten. Es waren also zuerst deren Verhaltensweisen, die die schreibenden und fotografierenden Individualreisenden beobachten konnten, und zwar bei ganz alltäglichen, sich wiederholenden Verrichtungen. Und genau in diesem Alltag ist die Kultur der Anderen am ehesten erreichbar, wie Clifford Geertz feststellt: „[I]n den Kontext ihrer Alltäglichkeit gestellt, schwindet ihre Unverständlichkeit“13. Die Beobachtungen von Dr. Fred Blanchod in seinem Reisebericht La randonnée africaine (1932) zeugen von einer solchen grundsätzlichen Neugier auf den Träger-Alltag.

11 Ich verwende hier Begriffe aus der Kulturtransfer-Forschung, wie sie von Michel Espagne und Michael Werner entwickelt wurde. Allerdings wird hier keine vollständige Kulturtransfer-Analyse durchgeführt, denn eine solche müsste den gesamten Mediationsprozess, das heißt „le passage d’une culture à une autre“ inklusive der produktiven Rezeption umfassen. Vgl. Espagne, Michel: Les transferts culturels francoallemands. Paris, PUF, 1999; Espagne, Michel & Werner, Michael: Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand. Paris, Éditions Recherche sur les civilisations, 1985; siehe dazu auch Malzner, Sonja: „Transferts de savoirs sur l’Afrique dans les relations de voyage illustrées à l’époque coloniale“. In: Espagne, Michel & Lüsebrink, Hans-Jürgen (Hg.): Transferts de savoirs sur l’Afrique, Paris, Khartala, 2015. 12 Zur Definition des „Mittlers“ vgl. Colin, Nicole & Umlauf, Joachim: „Eine Frage des Selbstverständnisses? Akteure im deutsch-französischen champ culturel. Plädoyer für einen erweiterten Mittlerbegriff“. In: Defrance, Corinne & Pfeil, Ulrich & Umlauf, Joachim (Hg.): Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945. Tübingen, Narr, 2013, S. 69-80. 13 Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt/M., Suhrkamp, 1983, S. 21.

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Blanchod beschreibt während seiner von 44 Trägern begleiteten Fußreise durch den Fouta Djalon (heutiges Guinea) deren tägliche Routine: die Verteilung der Lasten unter Berücksichtigung des physischen Zustandes des jeweiligen Trägers, gegenseitige Hilfeleistungen innerhalb der Mannschaft, das tägliche Warten auf den Reis, der von der ansässigen Bevölkerung herbeigeschafft wird, die unentgeltliche Versorgung der Träger mit Wasser durch Kinder, die aus den anliegenden Dörfern herbeilaufen.14 Neben diesen Beobachtungen des Zusammenhalts unter Afrikanern beschreibt Blanchod aber auch, wie der Karawanenführer, ebenfalls ein Afrikaner, durch die ihm vom Kolonisator verliehene Macht korrumpiert, mit einer unerhörten Selbstverständlichkeit Träger „rekrutiert“, indem er zufällig auf der Straße angetroffene Männer dazu verpflichtet, sich der Karawane ein Stück Weges als Träger zur Verfügung zu stellen ‒ ohne jegliche Gegenleistung: Abdul Mali recrute des auxiliaires en route.15 […] [Il]attrape sur la piste tout type solide qui se présente; on l’empoigne et sans interrompre la marche on lui met un bout de palanquin ou une malle sur la tête […] Après vingt kilomètres, on le remet en liberté, sans le payer naturellement. Ainsi le veut l’usage.16

Auch wenn Blanchod die Mechanismen dieser Machtübertragung vom Kolonisator auf einige wenige Kolonisierte und deren Auswirkungen auf die afrikanische Gesellschaft nicht thematisiert, sondern sich auf eine Kritik des illegalen Rekrutierungs-Systems im Allgemeinen (siehe sein Fazit „So will es der Brauch“ und die Verwendung von „man“) beschränkt, stellen seine Beschreibungen einen wichtigen Baustein in der Wissensgenerierung über westafrikanische Gesellschaften dar. Umgekehrt war es selbstredend genauso: die Afrikaner, die mit Europäern unterwegs waren, lernten deren Verhaltensweisen aus nächster Nähe kennen – unter für beide Seiten oft äußerst schwierigen Bedingungen. Die Frage stellt sich demnach, inwieweit diese Mittlerrolle der einen und der anderen auch als solche wahrgenommen und bewertet wurde – wobei hier aus forschungspragmatischen Gründen nur auf eine Perspektive eingegangen werden kann, nämlich auf diejenige europäischer Privatreisender, die in illustrierten Reiseberichten in Buchform über ihre Abenteuer Bericht erstatteten.17

14 Blanchod, Fred: La randonnée africaine. Paris, Payot, 1942 (1932), S. 87, S. 93, S. 107. 15 Ebd., S. 52. 16 Ebd., S. 62. 17 Zu einer solchen ‚Gegenperspektive‘ siehe im vorliegenden Band vor allem die Beiträge von Harouna Barka und Clemens Gütl. Stephen Rockel sowie auch Geoffrey

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II. Friedrich Kallenberg (übrigens der Urenkel von Jean Paul) wurde 1856 in Bayreuth geboren und machte sich als Reiseschriftsteller, Orientreisender, Fotograf und Okkultist einen Namen. Er beschäftigte sich vor allem mit der Erforschung des Pendels und starb 1939 in Bayreuth. 18 Der Titel seines Reiseberichts ist etwas widersprüchlich, da er sowohl auf eine vermeintlich militärische Mission hinweist als auch auf den Freizeitcharakter der Unternehmung. Im Vorwort positioniert er sich jedoch eindeutig als „Tourist“: [Es erscheint] wünschenswert […], dass auch dann und wann einmal ein einfacher Tourist den Versuch wagt, ein auf eigener Anschauung beruhendes Bild von Deutsch-Ostafrika mittels einer Reise dahin zu gewinnen, die an sich schon vielseitige Anregung und Ausbeute verspricht. […] Was mich trieb, war nicht nur die von meinen Vätern ererbte Wanderlust und Wissbegierde, sondern es lockte mich zugleich der Wunsch, auf der Tropenreise einmal so recht meiner Leidenschaft fröhnen und meine Skizzenbücher mit Zeichnungen und Aquarellen füllen zu können.19

Während seines Aufenthalts erhoben sich allerdings die Massai gegen die deutsche Besatzung und Kallenberg wurde von Major von Wissmann „bevollmächtigt“20, an der so genannten Massai-Kilimandscharo-Expedition teilzunehmen21. Der zweite Teil des Reiseberichts behandelt deshalb diese militärische Strafexpedition und die Passagen im Reisebericht, die sich auf seinen touristischen Marsch mit Trägern beziehen, sind nicht umfangreich. Seine Schilderun-

Hodges konnten für ihre ausführlichen Studien zum Trägerwesen in Ostafrika jeweils auch afrikanische Quellen, vor allem Interviews mit Nachkommen ehemaliger Träger und Liedertexte, heranziehen. Die Frage nach Kultur- und Wissenstransfers steht bei ihnen allerdings nicht im Fokus des Erkenntnisinteresses. Vgl. Rockel (2006); Hodges, Geoffrey: Kariakor. The Carrier Corps. Nairobi, Nairobi University Press, 1997. 18 Er wurde durch Fahrradtouren durch Frankreich bekannt, worüber die Augsburger Zeitung ausführlich berichtete. Vgl.

URL:

http://www.bayreuth.de/wp-content/uploads/2016/03/Spaziergaenge-

durch-Bayreuth-Maerz2016.pdf [Zugriff: 15. August 2017]; Friedrich Kallenberg war außerdem Ehrenmitglied der „Reichenbach-Gesellschaft für psychische Forschung“ in Wien. Vgl. Kallenberg, Friedrich: Der Siegeszug des siderischen Pendels 1911-1934. Diessen vor München, Huber, 1934. 19 Kallenberg (1892): Vorwort, S. III-IV. 20 Ebd., S. V. 21 Siehe dazu Eintrag „Schele, Freiherr von“. In: Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. Leipzig, 1920, Band III, S. 262. URL: http://www.ub.bildarchivdkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/lexikon.htm [Zugriff: 20. August 2017].

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gen stellen dennoch eine außergewöhnliche Quelle für die vorliegende Fragestellung dar, da sie zum einen detaillierte Beobachtungen der harten Arbeit der Träger beinhalten, d. h. eindeutig auf Wissensvermittlung über diese Menschen zielen. So beschreibt er zum Beispiel, wie das Überqueren von Flüssen von Statten geht: In der Mitte war der Fluss über mannestief, und es galt nun, 120 Lasten von durchschnittlich 60 Pfund trocken an das jenseitige Ufer zu bringen. Um dies zu bewerkstelligen, wurde eine Kette der hochgewachsensten und kräftigsten Sudanesen, selbstredend entkleidet, durch den Fluss gebildet. Jene beiden Soldaten, welche in der Mitte zu stehen kamen, wo ihnen das Wasser über den Kopf ging, traten jeweils in dem Augenblick auf ihre Posten, wenn die Last ihrem Vormann in die Hände gegeben war. Mit dem Kopf unter Wasser und die Arme gestreckt emporhaltend, reichten sie die Last so rasch als möglich dem nächsten Soldaten zu, um dann wieder auf seichterem Boden Luft zu schöpfen, bis ein neues Bündel herankam.22

Zum anderem ist Kallenberg der einzige23, der seinen Lesern eine detaillierte Aufstellung der Trägertruppe mit Namen und Charakterbeschreibungen liefert: Schech Ali ben Kibu, Führer, des Massai kundig, treu, aber ohne hinreichende Energie, als Führer mittelmäßig. Dieser erhielt keine Last. Harrisson, bescheidenes, gutwilliges Lastkamel, das nichts aus sich machte, Mangel an Kourage; Sembe, dienstfertig, schwächlich, immer voll Neugierde; Mrihi, schlank, schmachtende, Kognak erflehende Augen, ins

22 Kallenberg (1892): S. 136. In einer anderen Passage werden die Trage- und Motivationstechniken der Träger beschrieben: „Sechzig bis siebzig Pfund trägt er ohne abzusetzen, zwei, drei Stunden lang. Dabei bedient er sich freilich gewisser Vorteile. Der Gang ist regelmäßig; von Zeit und Zeit hebt er einige Minuten lang die Bürde mit gestreckten Armen über das Haupt empor, um dieses zu entlasten, wechselt von Schulter zu Schulter. Will es nicht mehr recht vorwärts gehen, dann täuscht er sich und seine Kollegen durch gellenden Zuruf und Gesang über die Mühsale des Marsches hinweg. Meist beginnt einer der älteren und gewandteren Träger die Aufmunterung mit einem langgedehnten „Ehji drrr….“, worauf die übrigen irgend einen auf das Reiseziel bezüglichen Refrain anstimmen, wie „tarra wadi, beleka, beleka, Kilimandscharo“ und ähnliches. Sehr hübsch singen die Uniamouesi, die sich nebenbei vor den Waschamba durch größeren Mut und Tüchtigkeit auszeichnen. Als Träger sind sie gesucht, weil sie, nach dem Innern reisend, von dem Wunsche ihre Heimat zu sehen, angetrieben werden“ (S. 56-57). 23 Ich beziehe mich auf ein Untersuchungskorpus von über 100 Reiseberichten über das koloniale Afrika, das meinen bisherigen Arbeiten zugrunde liegt.

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Deutsche übersetzt, ein sentimentaler Träumer, aber von rührender Anhänglichkeit; Duara, gutmütiger Kraftmensch, trägt freiwillig die schwerste meiner Lasten, den eisernen Koffer; Makamba, schwarz wie Ebenholz, Wortführer, vorlaut, manchmal frech und eigensinnig, bedarf fortwährender Zurechtweisungen; Mse wati mambu, guter Kerl, weiß am besten den Esel zu satteln; Asmani, spricht arabisch, intelligent, gewandt, guter Träger; Schehi und Bana songoro, voll Bequemlichkeit, etwas misstrauisch, immer die Letzten. Endlich Tombo, auf Deutsch „Fettbauch“, mein vierzehnjähriger Diener, über alle Begriffe faul, gedankenlos, zu gar nichts zu gebrauchen, sehr gefräßig, nie bei seinem Herrn, sondern recht weit hinten.24

Obwohl die Aufzählung der Trägertruppe sehr buchhalterisch klingen mag, manche Charakterbeschreibungen nicht sehr schmeichelhaft ausfallen und von einem oberflächlichen, eurozentristischen Blick des Reisenden auf die Afrikaner zeugen, so ist dieser Absatz doch Beweis dafür, dass sich Kallenberg für jeden einzelnen seiner Angestellten interessiert und sich mit ihnen persönlich auseinandersetzt. Seine Trägertruppe ist für ihn keine anonyme Masse, sondern eine Mannschaft von Individuen, mit ihren jeweiligen von ihm wahrgenommenen Stärken und Schwächen. Allerdings, und hier stoßen wir sehr schnell an die Grenzen der Individualisierung, die genannten Stärken und Schwächen beschränken sich auf ihre Funktion als Träger bzw. Diener. Nur bei Seliman, dem Koch, geht die Individualisierung darüber hinaus. Ihm widmet Kallenberg zwei Textseiten, wovon hier ein kurzer Auszug genügen soll: Seliman war ein Original. Schon 26 Jahre begleitete er als Koch – sein ursprüngliches Metier war Karawanenführer – die Expeditionen der französischen Patres und niemand will in dieser langen Zeit eine Veränderung an ihm bemerkt haben. Immer zierte ihn derselbe zerrissene, graugrünbraune, grobwollige Burnus, und wenn die Mission ihm ein neues Hemd schenkte, so versilberte er es alsogleich. Sein Gesicht war ein Ausbund von Hässlichkeit, im besonderen die weiten Nüstern und die tief herabhängende Unterlippe, die ganze Physiognomie voll Falten und Risslein, aber aus diesem originellen Schädel blinzelten ein paar vergnügte, gutmütige Augen – eine Welt von treuer Hingebung und Ehrlichkeit wiederspiegelnd (sic!). Ungeachtet seines langen Dienstes bei den christlichen Brüdern ließ er sich in seinem muhamedanischen Glauben nicht beirren, sondern ging jeden Freitag in die Moschee zum Gebet. Wie alle Leute seines Schlages hielt er viel auf gewisse Künste und Herereien, u. a. galt er dafür, die genaue Zeit aus den Sternen ableiten zu können. […]25

24 Kallenberg (1892): S. 51. 25 Ebd., S. 55.

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Eine eingefügte Porträtzeichnung (Abb. 1) unterstreicht die Bedeutung, die Kallenberg diesem Menschen zumisst. Abb. 1: Seliman der Koch

Biographische Informationen, die über seine Funktion als Koch hinausgehen, wie zum Beispiel seine religiösen Überzeugungen und seine Standhaftigkeit gegenüber den Europäern, zeugen vom Interesse des Reisenden für den Menschen. Und obwohl auch der Titel der Zeichnung nicht ohne eine Funktionsbezeichnung auskommt („Seliman, der Koch“), liefern Text und Bild zusammen doch das Porträt eines Individuums, das sich ein gewisses Maß an Eigenständigkeit erkämpft. Noch drei weitere Porträtzeichnungen (Abb. 2-4) deuten ebenfalls darauf hin, dass sich Friedrich Kallenberg den Einzelnen im wahrsten Sinn des Wortes ‚genau angeschaut‘ hat.

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Abb. 2-4: Karawanenpersonal

Schließlich gibt der Reisende auch noch Tipps für den Umgang mit Trägern. Es sollte ein menschlicher Umgang sein, meint er, bei dem jedoch europäische Verhaltensweisen eingefordert werden müssen: Unser Verhalten gegen die Träger sei menschenfreundlich, vertrauend, wo das Vertrauen noch nicht getäuscht worden, hilfreich, wo sich der eine oder der andere in Not befindet. An den kontraktlichen Bestimmungen halte man dagegen unweigerlich fest, ersticke den Versuch zu Übergriffen und Ausschreitungen schon im Keime, bestrafe streng, aber nicht grausam, selten mit Prügel. Die Prügelstrafe trete nur dann ein, wenn jedes andere Strafmittel – und deren gibt es eine ganze Menge – versagt hat. Man prügle aber nicht, wie ich das leider beobachtete, den Koch, weil er das Essen nicht schmackhaft genug zubereitete oder den Träger, weil ihn die Ermattung zu Boden gedrückt, sondern man verfahre mit den Schwarzen menschlich, eingedenk dessen, dass auch wir mit Fehlern und

364 | S ONJA M ALZNER Schwächen behaftet sind. Es gibt kein besseres Mittel, sich Achtung, Liebe und Folgsamkeit der Schwarzen zu erwerben, als das eigene tadellose Verhalten, Mäßigung in allen Dingen, exemplarischer Mut in gefährlichen Lagen, schweigendes Ertragen körperlicher Leiden, soweit das in unserer Macht steht.26

Auffällig ist an dieser Aussage besonders, dass er nicht nur Achtung und Folgsamkeit von den Afrikanern erwartet und ein ebenso korrektes Verhalten von den Europäern fordert, sondern dass er auch „geliebt“ werden will. Und damit steckt er in einem Dilemma, auf das ich bei André Gide und seiner Voyage au Congo noch ausführlicher zurückkommen werde. III. Hélène Louise Françoise Henriette d’Orléans, Duchesse d’Aoste wurde 1871 auf Schloss Chantilly als Tochter von Philippe von Orléans geboren. 27 Mit fünfzehn musste sie mit ihrer Familie ins englische Exil, da ihr Vater als möglicher Thronfolger des Landes verwiesen wurde. 1895 heiratet sie den Fürsten von Aosta. Sie hatten zwei Söhne, Amedo und Aimone von Savoyen-Aosta. Die Prinzessin, die ob ihrer Aufopferung für Arme und Kranke in Italien als Heldin verehrt wurde,28 unternahm mehrere Reisen nach Afrika (vor allem Ostafrika), von denen sie drei zwischen 1907 und 1912 unternommene im vorliegenden, sehr umfangreichen Werk, zusammenfasst.29 Aufschlussreich für unsere Fragestellung ist vor allem der dritte Reisebericht in Voyages en Afrique, dessen zentrales Motiv eine wochenlange (Jagd)Reise durch das Hochland des heutigen

26 Ebd., S. 195. 27 Zu den biographischen Hinweisen siehe Albanese, Camillo: La principessa beduina. L’avventurosa vita di Elena di Francia duchessa d’Aosta. Mailand, Mursia, 2007; siehe dazu auch Isabelle d’Orléans, comtesse de Paris: Tout m’est bonheur. Paris, Robert Laffont, 1978, S. 172-173. 28 Vgl. Miles: La Duchesse d’Aoste (Reihe: Silhouettes de Guerre). In: Le Correspondant, 25. September 1915, S. 989-1000, hier S. 989. Für ihren Einsatz als Krankenschwester im Krieg gegen Libyen erhielt sie eine militärische Silbermedaille und drei Kriegsverdienstkreuze, was Gabriele d’Annunzio dazu veranlasste, ihr den sechsten seiner Canzoni d’Oltremare, La canzone di Elena di Francia, zu widmen: D’Annunzio, Gabriele: La canzoni della gesta d’Oltremare. Mailand, Fratelli Trèves, 1913. 29 Viaggi in Africa / Voyages en Afrique. Mailand & Paris, Fratellli Treves, 1913. Weitere Publikationen der Autorin: Vers le soleil qui se lève (1918); Vie errante. Sensations d’Afrique (1921).

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Kenia darstellt.30 Der Diskurs der Reisenden ihre Träger betreffend entpuppt sich dabei als ein äußerst ambivalenter. So reduziert sich die Trägermannschaft in den Augen der Prinzessin bisweilen auf eine malerische Anhäufung von (frierenden) Körpern: Ces grappes de noirs tout nus, aussi rapprochés du feu que possible, ceux-ci couchés sur une literie de feuilles vert tendre, ceux-la appuyées (sic!), serrés les uns contre les autres pour se tenir chauds, forment un tableau pittoresque.31

Der Hunger der europäischen Touristin nach pittoresker Exotik überlappt dann jegliche Humanität. Hier wird den Trägern das Mensch-Sein abgesprochen, indem sie als unbelebte, statische Motive eines pittoresken Gemäldes repräsentiert werden. Gleichzeitig aber ist eines der Hauptmotive dieses Reiseberichts die Sorge der Reisenden um den (schlechten) Gesundheitszustand dieser ihrer Träger, die abwechselnd mit „hommes“, „porteurs“ und „noirs“ bezeichnet werden. Die häufige Benutzung von einschlägigen Adjektiven zeugt bereits vom Mitgefühl der Reisenden mit den Männern: „ces pauvres noirs“, „pauvre homme“, „ces malheureux“32 und alle drei Reisegefährten (Hélène de France, Susan Hicks Beach, Leutnant Piscicelli) legen regelmäßig mit Hand an, um die Träger zu versorgen und zu unterstützen. Vor allem während der Durchquerung einer trockenen Hochebene33 ist der Einsatz aller von Nöten: Après quelque temps de marche, Piscicelli fait faire halte pour permettre a la queue de la colonne de nous rejoindre. Un homme manque. Le Capitaine, retourné en arrière, le trouve évanoui. A peine repartis, le Somali qui mène mon chameau, tombe frappé d’insolation fulminante. Nous le faisons boire et lui rafraîchissons les tempes ; des qu’il est a peu près revenu a lui, nous le hissons sur un chameau ou il est attaché et la caravane repart. Quelques pas encore… et deux autres noirs tombent, comme foudroyés. Piscicelli donne l’ordre d’arrêter et fait distribuer de l’eau a toute la colonne, tandis que, aidée de Susan, j’essaye de faire revenir à eux d’autres évanouis.34

Hélène de France betont durch diese Schilderungen, dass sie in ihrem Selbstverständnis als gläubige Katholikin und ausgebildete Krankenschwester weder vor

30 Rudolfsee – Marsabit – Juba-Fluss. 31 Hélène deFrance (1913): S. 37. 32 Ebd., S. 146, 335, 336, 350 (Auswahl). 33 Von Marsabit (heutiges nördliches Kenia) zum Ufer des Jubba (heutiges Somalia) im März 1913. 34 Hélène de France (1913): S. 329.

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rassischen noch vor sozialen Unterschieden Halt macht. Sie beschreibt bis ins Detail, wie viel Zeit, Energie und Medikamente sie darauf verwendet, ihre Mannschaft medizinisch zu versorgen, und wie sie abends in ihrem Zelt Verletzte oder Kranke pflegt, Fußwunden verbindet und Kopfschmerzmittel verteilt. Dabei interessiert sie sich auch für einzelne Schicksale: Un appel de l’homme qui ferme la marche fait arrêter la colonne. Le doyen de nos Somalis, un vieillard toujours noblement drapé dans une couverture rouge, est resté en arrière. […] Autrefois cet homme fut riche. Le Mullah l’a dépouillé de ses troupeaux et de ses femmes. Il a du fuir son pays et demander au travail sa subsistance.35

Schließlich gibt es auch Tote zu beklagen: einer der Männer, „l’un de ces pauvres noirs“, stirbt an Malaria36, ein anderer an inneren Verletzungen: Hélas! Notre pauvre blessé va mourir! Le médecin de Moyale, Mr. Cody, est arrivé ce matin. Il a trouvé l’état général du malade étonnant: presque pas de fièvre, un grand calme, pas de trouble dans les idées. Les noirs ont une constitution si différente de la notre! Mais l’intestin perforé ne peut laisser aucun espoir. Au moins notre ignorance chirurgicale n’aura-t-elle eu aucune part de responsabilité. Ce pauvre homme va donc mourir à petit feu.37

Ein eingefügtes Foto bestätigt den Zustand des Sterbenden. Er wird von hinten gezeigt, ob aus Pietät oder weil er sich dem Voyeurismus der Fotografin entziehen will, wissen wir nicht (Abb. 5).

35 Ebd., S. 346. 36 Ebd., S. 201. 37 Ebd., S. 336.

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Abb. 5: Sterbender Träger

Die Träger werden bei diesen Verarztungsszenen zu Patienten, die die christliche Nächstenliebe der Reisenden zugesprochen bekommen und dies angeblich zu schätzen wissen: „Aujourd’hui deux de mes patients, une fois pansés, sont allés cueillir des fleurs et me les ont données en remerciement. Cette marque de gratitude de mes sauvages m’a touchée“38. Äußerungen dieser Art zeugen von der eindeutigen Positionierung der Reisenden in Bezug auf den ‚Zivilisationsgrad‘ der Afrikaner, die sich klar in den zeitgenössischen kolonialistischen Diskurs einschreibt. Sie zeugen aber auch davon, dass die Prinzessin sehr viel Sympathie für diese „ihre“ sauvages bekundet und mit dem Begriff vor allem Positives verbindet.39 So schreibt sie auch über sich selbst: „On redevient sauvage à l’odeur de l’Afrique“.40 Es gibt zahlreiche ähnliche Einträge, die darauf zielen, ein harmonisches Bild des täglichen Miteinanders zu zeichnen, bei gleichzeitiger Hervorhebung der vermeintlich vorbildlichen eigenen Verhaltensweise: Ils ont découvert que nous collectionnons les insectes. Toute la journée c’est un continuel va-et-vient de porteurs qui viennent jusqu’à la tente devant laquelle j’écris. Ils me font présent des petites bêtes les plus hétéroclites. C’est entre eux une grande rivalité. Selon

38 Ebd., S. 172. 39 Vgl. dazu auch die folgenden Erwähnungen des Begriffs ‚sauvage‘ in einem jeweiligen positiven Kontext: S. 20; S. 107; S. 208; S. 19. Zu einer ausführlichen Analyse der Verwendung des Begriffs bei Hélène de France siehe Malzner (2013): S. 311ff. 40 Hélène de France (1913): S. 85.

368 | S ONJA M ALZNER que je juge la bestiole mzuri, mzuri sana, ou apana mzuri (joli, très joli, ou pas joli), je mesure le plein de la cueillere de sel que je leur donne comme matabiche (pourboire): les noirs sont très friands de sel.41

Hélène de France betont in diesem Zusammenhang auch, dass sie sich die Sprache der Träger angeeignet hat, um besser mit ihnen kommunizieren zu können. Der explizite Austausch, die sprachliche Ebene miteinbezogen, geht allerdings nicht über den praktischen Alltag und den Austausch solcher kleinen Geschenke hinaus. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass Hélène de France den einen oder anderen ihrer Bediensteten als Gesprächspartner wahrgenommen hätte. Nicht einmal Pedro, ihren ‚boy‘, der als einziger aus der Masse hervortritt.42 Er wird dem Leser am Anfang der zweiten Reise vorgestellt und regelmäßig erwähnt, jedoch ebenfalls nicht genauer charakterisiert. Wie auf manchen Fotos zu sehen ist, ist er aber wohl der einzige Bedienstete, der der Reisenden wirklich nahe kommt: sie umsorgt ihn und hat auch keine Scheu, ihn auf ihr Pferd zu nehmen und sich mit ihm fotografieren zu lassen. In allen anderen Abbildungen setzt sich die Anonymität fort. Nur auf vier weiteren der insgesamt 487 Abbildungen in Voyages en Afrique sind Träger zu sehen, immer gemeinsam mit Hélène de France, die jeweils das Hauptmotiv darstellt. Es geht demnach nie um die Träger selbst, sondern um das Reiseabenteuer der Prinzessin, das im ganzen Reisebericht diskursbestimmend ist. Insofern stellt die Darstellungsweise der Träger keine Ausnahme dar in diesem sehr autobiographisch gefärbten Bericht, der in erster Linie an die Kinder der Reisenden adressiert ist.43 Und wie bis heute bei solchen für die Familie (und für sich selbst) bestimmten

41 Ebd., S. 168. 42 Abbildungen von Personen, die in der Legende bzw. im laufenden Text bei ihrem Namen genannt werden: Pl. XLVII: Traineur de risckshaw (S. 116); Pl. XLVIII: Cetewayo (S. 117); Pl. CXIII: Le chef (S. 247); Pl. CCXX: Aden le Bora (S. 335); Pl. CCXV: Le guide (S. 340); Pl. CCXXVI: Merei, le géant soudanais (S. 41); Pl. CCLII: Jusuf Ali (S. 368). 43 Vgl. das als Faksimile eingefügte handschriftliche Vorwort zum Reisebericht, in dem die Autorin erklärt, dass der Reisebericht auf Wunsch ihrer Kinder entstanden ist und in erster Linie eben auch für diese verfasst wurde. Zum Reisebericht als „autobiographisches Dokument“ siehe Lejeune, Philippe: Le Pacte autobiographique (1975). Paris, Seuil, 1996, S. 14; Wolfzettel, Friedrich: Ce désir de vagabondage cosmopolite: Wege und Entwicklung des französischen Reiseberichts im 19. Jahrhundert. Tübingen, Niemeyer, 1986, S. 10; Sloterdijk, Peter: Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Autobiographien der 20er Jahre. München, Hanser, 1978, S. 29.

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Urlaubs-Erinnerungs-Fotos üblich, stehen nicht die Anderen im Mittelpunkt, sondern die Erlebnisse des Reisenden mit ihnen, so wie zum Beispiel auf der Fotografie, die Hélène de France bei einer Flussüberquerung zeigt (Abb. 7).44 Abb. 6: (Pl. LXXV)

Der 35-tägigen Marsch durch das trockene Hochland (davon 18 Tage ohne Wasser)45, der den Höhepunkt der dritten und letzten Reise darstellt und in seiner ganzen Dramatik ausführlich beschrieben wird, kann wohl als Herzstück der Darstellung der Beziehung zwischen der Reisenden und ihren Trägern bezeichnet werden. Wir wissen von mindestens einem, der diesen Marsch nicht überlebt hat und von zahlreichen weiteren, die schwerste Verletzungen und Erschöpfungszustände erlitten – und dies lediglich, um einer europäischen Prinzessin und ihren Reisegefährten ein Jagd- und Reiseabenteuer der besonderen Art zu ermöglichen. Eine Reflexion darüber findet nicht statt: für die Aristokratin stellt dieses (Un)Verhältnis eine Selbstverständlichkeit dar, die den Beweis dafür liefert, wie fest sie in monarchistischen Denkstrukturen verankert ist – die christliche Nächstenliebe stößt hier an ihre Schranken. Hautfarbe oder ‚Rasse‘ der Bediensteten spielen in diesem Gefüge keine Rolle, den Afrikanern kommt die gleiche Behandlung (im Guten wie im Schlechten) zu wie auch europäischen Dienern. Wenn sie ihre Aufgaben zufriedenstellend erfüllen, ergreift Hélène de France auch Partei, um ihr afrikanisches Personal entgegen dem kolonialistischen Diskurs der Jahrhundertwende in ein positives Licht zu stellen und dessen Qualitäten hervorzuheben. „Journée de repos pour les noirs

44 Zur Rolle der Fotografie im autobiographischen Kontext siehe Méaux, Danièle & Vray, Jean-Bernard (Hg.): Traces photographiques – traces autobiographiques. Saint-Etienne, PU Saint-Etienne, 2004. 45 Hélène de France (1913): S. 355.

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qui l’ont bien gagnée, ayant marché hier leurs douze heures“46, notiert sie einmal anerkennend und zeigt sich beeindruckt von der Routiniertheit ihrer Truppe: Pendant que la toilette se termine, le boy emballe, ferme les malles, et à peine est-on sorti que les porteurs se précipitent sur la tente avec une telle ardeur qu’on dirait que leur vie dépend de leur rapidité. Vous vous retournez, votre maison volante est déjà abattue, roulée, mise dans les sacs.47

In einem Reisebericht, das heißt eines Objektivität beanspruchenden Dokuments, noch dazu verfasst von einer hoch angesehenen Aristokratin, kommt einer solchen Revidierung dese Klischees des faulen, unwilligen Afrikaners eine hohe Bedeutung zu. Nichtsdestotrotz wird ihm im Vergleich zu europäischem Personal keine Sonderrolle zugestanden: er wird zu keinem Zeitpunkt als ernstzunehmender Gesprächspartner oder gar als Wissensvermittler wahrgenommen. Bei der Darstellung von konfliktträchtigen Situationen schließlich treten die Positionen am deutlichsten hervor. So zum Beispiel beim Bericht über die somalischen Kameltreiber, die sich der Tatsache wohl bewusst sind, dass sie für die Europäer unentbehrlich sind. Sie wehren sich daher gegen die uneingeschränkte Vereinnahmung durch die Vergnügungsreisenden: Il a fallu toute la force de caractère de Piscicelli pour contraindre à l’obéissance les chameliers somalis. Leurs exigences augmentaient sans cesse et leurs récriminations dégénérèrent en révolte. Hier soir, au dernier moment, l’ordre du départ donné pour ce matin, ils demandèrent une augmentation de salaire, menaçant de nous quitter tous. Nous n’ignorons pas que sans eux nous aurions d’infinies difficultés; non seulement nos Swahilies ne savent pas conduire un chameau, mais ils en ont une grande peur. Néanmoins nous n’avons pas cédé et leur avons immédiatement donné congé: ils ont déclaré qu’ils partiraient sur l’heure… Mais ce matin tous étaient à leur poste, soumis et en bon ordre.48

Obwohl die Somalis für ihre Arbeit bezahlt werden, geht es Hélène de France hier um Gehorsam („obéissance“) und Unterwerfung („soumis“), und nicht etwa um Vertragsbruch (weil sie plötzlich mehr Geld verlangen). Sie empfielt denn allen anderen Reisenden: „Par parenthèse, les somalis sont les serviteurs les plus prétentieux et les plus insupportables qu’on puisse rencontrer; orgueilleux et détestables, il sont à éviter dans les voyages en Afrique“49. Implizit erfahren wir

46 Ebd., S. 304. 47 Ebd., S. 169. 48 Ebd., S. 312. 49 Ebd., S. 308.

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also, dass die lokale Bevölkerung in von Europäern stark frequentierten Gegenden keinesfalls so naiv war wie sie oft dargestellt wird. Die Einheimischen entwickelten durchaus Strategien, den ungebetenen Gästen die Stirn zu bieten. Die Haltung der Europäerin gegenüber diesen „Akteuren des Wandels“50 lässt sich eindeutig in den kolonialistischen Diskurs ihrer Zeit einordnen ‒ das gemeinsame Reisen über Wochen hinweg hat keinerlei Lernprozess hinsichtlich der sich ändernden Beziehungsverhältnisse in Gang gesetzt. IV. André Gide und Marc Allégret51 unternahmen ihre Reise in den Kongo 15 Jahre später.52 Zwischen September 1925 und Mai 1926 bereisten der bereits berühmte Schriftsteller und sein junger Begleiter, der sich später einen Namen als Filmregisseur machen sollte, das Gebiet de französischen Kongo und des Tchad, indem sie versuchten, so viel Weg wie möglich auf traditionelle Art zu absolvieren, das heißt abseits befahrbarer Autostraßen durch Busch und Urwald zu wandern, wodurch sie sich trotz moralischer Vorbehalte gezwungen sahen, immer wieder Träger zu rekrutieren – zum Teil auch unfreiwillige, von der Kolonialverwaltung bereit gestellte. Die Darstellungen André Gides in Voyage au Congo et Le Retour du Tchad53 vermitteln den Eindruck, dass er – neben Passagen persönlicher Euphorie – nachdrücklich darum bemüht ist, die positiven Aspekte der Träger, ihre Freundlichkeit, ihren Arbeitswillen und ihre Liebenswürdigkeit herauszustellen. Auch wenn er sie nicht versteht, fühlt er sich mehr und mehr zu ihnen hingezogen: Quels braves gens! Que je voudrais comprendre ce qu’ils disent! Peut-être qu’ils se fichent de nous, des coups que nous manquons; mais leur joie est charmante, leur rire est si franc, si clair; et leur sourire de jour en jour devient plus confiant, plus affectueux, j’allais presque dire: plus tendre. Et je m’attache à eux toujours plus.54

50 Vgl. Reetz, Dietrich: Globale Prozesse und ‚Akteure des Wandels‘: Quellen und Methoden ihrer Untersuchung; ein Werkstattgespräch. Berlin, Verl. Das Arab. Buch, 1997. 51 Marc Allégret, der „persönliche Sekretär“ André Gides, war für die fotografische Fixierung der Reiseerlebnisse zuständig und drehte auch einen ethnologischen Film, Voyage au Congo (documentaire), 1927. 52 Ich beziehe mich im folgenden Abschnitt auf meine Ausführungen in Malzner (2013): S. 213ff. 53 Gide, André & Allégret, Marc: Voyage au Congo et Le Retour du Tchad. Paris, NRF 1929. 54 Gide (1929): S. 165, 76.

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Allerdings stellen sie in den Augen des Reisenden eine homogene Gruppe dar. Über die Mannschaft wird ausnahmslos im Plural berichtet; wir erfahren weder Namen noch eventuelle biografische Aspekte. Dass das Interesse des Reisenden also nicht dem Einzelnen gilt, sondern er mit seinem Schreiben vielmehr einen ganz anderen Zweck verfolgt, verdeutlicht dann auch die Passage, in der er den Abschied von den Trägern beschreibt: C’est avec une réelle tristesse que nous prenons congé des autres, et je crois qu’ils ont également regret de nous quitter. Il s’était assez vite formé entre ces braves gens et nous un attachement réciproque… On va répétant qu’on n’obtient rien des indigènes de ce pays que par la force et la contrainte. Qu’on essaye seulement d’une autre méthode et l’on verra le résultat. Ils savent parfaitement bien distinguer, quoi qu’on en dise, la bonté de la faiblesse et n’ont pas besoin d’être terrorisés pour vous craindre. Mieux vaut encore se faire aimer. C’est, je crois, le système du sultan Rei Bouba. Ce fut le nôtre. Au bout de peu de jours, nous avons pu voir naître chez ces êtres naïfs un dévouement qui serait vite devenu du fanatisme.55

Die Darstellung der Freundlichkeit und der vermeintlichen Naivität der Afrikaner ist weniger darauf ausgerichtet, deren individuelle Charaktereigenschaften hervorzuheben, als vielmehr den Umgang der Europäer mit „dem Afrikaner im Allgemeinen“ zu kritisieren. Das ist das wahre Anliegen Gides: den Umgang der Kolonisatoren mit ihren Untergebenen als falsch anzuprangern. Das Widerlegen von Vorurteilen gegenüber Afrikanern ist Gide daher ebenfalls ein großes Anliegen. So beschreibt er seine Diener als freundliche und vertrauenswürdige Menschen: Nos boys sont d’une obligeance, d’une prévenance, d’un zèle au-dessus de tout éloge […]. Je continue de croire, et crois de plus en plus, que la plupart des défauts que l’on entend reprocher continuellement aux domestiques de ce pays, vient surtout de la manière dont on les traite, dont on leur parle.56

Als Reisender, der sich tragen lässt, sieht sich Gide in der moralischen Zwickmühle. Einerseits hat er Mitleid mit diesen Menschen: „Le sentiment de leur gêne, dont je suis indirectement responsable, me tient éveillé“, diktiert ihm sein schlechtes Gewissen.57 Andererseits ist er als europäischer Reisender auf koloniale Einrichtungen, d.h. zum Beispiel das unter Zwang rekrutierte Personal,

55 Ebd., S. 266. 56 Ebd., S. 76. 57 Ebd., S. 179.

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angewiesen, denn ohne Träger könnte Gide seine Reise durch den Kongo nicht bewerkstelligen. Der Tourist, wie er sich selbst bezeichnet, sieht wohl, dass er alleine durch seine Anwesenheit in der Kolonie die von ihm kritisierten Zustände der Einheimischen verschlimmert und vielleicht ist es gerade diese Erkenntnis und das daraus entstehende schlechte Gewissen, das ihn im Lauf der Reise und nach seiner Rückkehr in Paris zum Anwalt der Afrikaner machen sollte.58 Der Kontaktaufnahme zu diesen Trägern sind durch sprachliche Hürden schnell Grenzen gesetzt, auch wenn die beiden Franzosen keine Kosten und Mühen scheuen, um sich mit möglichst vertrauenswürdigen Dolmetschern zu umgeben.59 Gide übt auch in diesem Zusammenhang Selbstkritik, weil er zu wenig über die Bedürfnisse seiner Träger informiert ist. So erklärt er zum Beispiel, dass den Trägern 9,25 Francs an Bezahlung zustehen. Wohlwollend hätte er auf 10 Francs aufgerundet, um sie in zwei Geldscheinen bezahlen zu können. Die Träger hätten sich wohl über das Trinkgeld gefreut, aber nichts damit anfangen können, weil sie auf ihrem gesamten Heimweg nirgends mit Scheinen zahlen konnten.60 Das Geld war wertlos ‒ Gide frustriert: L’absence de prix des denrées, l’impossibilité de savoir si l’on paye bien, ou trop, ou trop peu, les services rendus, est bien une des plus grandes gênes d’un voyage dans ce pays, où rien n’a de valeur établie, où la langue n’a pas de mot pour le merci, où, etc.61

In solchen Situationen, in denen ihm bewusst wird, dass er dieses Land wohl nie verstehen werden wird, und in denen er seine persönliche Vorgabe, von den Afrikanern als ein verantwortungsbewusster und ‚guter‘ Kolonisator ‚geliebt‘ zu werden, nicht erfüllen kann, steigt die Frustration in ihm hoch. Sein persönliches Dilemma entsteht dadurch, dass er zwei widersprüchliche Sehnsüchte in sich vereint, nämlich gleichzeitig dominieren und geliebt werden zu wollen. Ein Dilemma, das François Flahault für den französischen Kolonisator im Allgemeinen feststellt: Le colonisateur français, en somme, se montra incapable d’assumer le fardeau du conquérant: n’être pas aimé. La conquête d’un peuple devait, à ses yeux, ressembler à la conquête d’une femme. Aussitôt l’Algérie conquise (ou Madagascar, ou le Tonkin), il aurait fallu

58 Daniel Durosay äußert in seiner Notice zu Voyage au Congo dieselbe Vermutung. Vgl. Gide, André: Œuvres complètes ‒Souvenirs et voyages. Paris, Gallimard, 2001, S. 1202. 59 Gide (1929): S. 215. 60 Ebd., S. 233. 61 Ebd., S. 105.

374 | S ONJA M ALZNER que la conquête, pourtant brutale et sanglante, ne soit plus vécue par les ,indigènes‘ comme une violence, mais comme une présence bienveillant.

Im Gegensatz zu Friedrich Kallenberg aber, der ebenfalls mit dem Begriff des ‚Geliebt-Werdens‘ hantiert, wird sich André Gide im Laufe seiner Reise schmerzlich bewusst, dass dies nicht funktionieren kann. Seine Reiseaufzeichnungen bringen den inneren Zwiespalts eines Menschen zum Ausdruck, der zwischen menschlicher Zuneigung und kolonialistisch-paternalistischer Überzeugungen hin und her schwankt. Ganz besonders deutlich tritt dies bei den Darstellungen der beiden Personen hervor, denen im Text ein relativ hoher Grad an Individualität zuerkannt wird. Es handelt sich um Zigla, einen Übersetzer, und um Adoum, den ‚boy‘ des Reisenden. Zigla wird von Gide mehrmals als ein guter Übersetzer gelobt. Trotzdem verrät der Diskurs des Reiseschriftstellers, dass er ihn nicht als Individuum, sondern als ein besonderes Exemplar der schwarzen ‚Rasse‘ wahrnimmt. Er beschreibt ihn als „un des noirs les plus intelligents que nous ayons rencontrés“62 und greift in seiner stark verallgemeinernden Interpretation auf vorher Gelesenes zurück: Les gens de ces peuplades primitives, je m’en persuade de plus en plus, n’ont pas notre façon de raisonner; et c’est pourquoi si souvent ils nous paraissent bêtes. Leurs actes échappent au contrôle de la logique dont, depuis notre plus tendre enfance, nous avons appris, et par les formes mêmes de notre langage, à ne pouvoir point nous passer.63

Zigla stellt demnach für Gide ein Forschungsobjekt dar, das aus der Distanz und aus einer eurozentrischen Perspektive heraus ‚erklärt‘ wird. Nur mit Adoum, dem ‚boy‘, scheint Gide eine darüber hinausgehende emotionale Bindung einzugehen. So werden wir über dessen gesundheitlichen Zustand, sein nächtliches Privatleben und eben auch über sein Verhältnis zu André Gide informiert.64 Die Trennung nach der monatelang gemeinsamen Reise wird als für beide schwierig geschildert und bewegt den Autor zu einer langen Reflexion über seine Beziehung zu diesem Jungen voller „dévouement, d’humble noblesse, d’enfantin désir de bien faire“, und „tant de possibilité d’amour“. Der verliebte André Gide sieht in ihm einen Schützling, den es zu behüten ‒ und zu erziehen gilt: so versucht er mit großer Ausdauer (täglich), Adoum das Lesen beizubringen65. Der Reisende glaubt, seinerseits durch Adoum Afrika verstehen gelernt zu haben: 62 Ebd., S.195. 63 Ebd., S.184-185. 64 Ebd., S.166. 65 Ebd., S.117.

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Adoum assurément n’est pas très différent de ses frères; aucun trait ne lui est bien particulier. A travers lui, je sens toute une humanité souffrante, une pauvre race opprimée, dont nous avons mal su comprendre la beauté, la valeur. […] Je ne vois rien en lui que d’enfantin, de noble, de pur et d’honnête. Les Blancs qui trouvent le moyen de faire de ces êtres-là des coquins sont de pires coquins eux-mêmes, ou de bien tristes maladroits.

Adoum fungiert demnach in den Augen Gides als ein Mittler zwischen den Kulturen, da er durch ihn eine ganze Rasse kennen gelernt zu haben meint. Allerdings legt diese Passage gerade deshalb die eurozentrisch-paternalistische Grundeinstellung Gides offen, denn auch Adoum bleibt für ihn trotz aller Zuneigung ein Forschungsobjekt, das er dem Leser erklärt. Adoum wird von dem Franzosen als ein Vertreter seiner Landsleute wahrgenommen, die es im Sinne der ‚Mission civilisatrice‘ zu erziehen gilt.66 V. Zahlreiche Vorurteile, wie die des faulen, ungehorsamen, aufmüpfigen und unehrlichen afrikanischenTrägers werden sowohl von Hélène de France als auch von André Gide und Friedrich Kallenberg dementiert. Ganz im Gegenteil loben sie ihr Personal durchwegs als aufmerksam, voraussehend, verlässlich, flink und geschickt. Das gemeinsame Reisen scheint also ein genaueres Hinsehen auf den Anderen zu bewirken und Vorurteile zu entschärfen. Insofern fungieren die Träger hier indirekt als Wissens- und Kulturvermittler. Bestätigt hat sich bei meiner Untersuchung also die erste Hypothese, dass nämlich die Individualreisenden sich grundsätzlich für ihr Personal interessierten und versuchten, eine gute Beziehung zu ihm aufzubauen. Paternalistische Tendenzen mit erzieherischem Unterton ziehen sich wie ein roter Faden durch alle drei Texte. Würden alle Europäer die Einheimischen so gut behandeln wie sie selbst, so die implizierte Aussage, würde es mit ihnen nie Probleme geben. Individualisierungstendenzen allerdings halten sich sehr in Grenzen und beschränken sich bei Hélène de France und Friedrich Kallenberg beinahe ausschließlich auf diejenigen Aspekte des Anderen, die für das Funktionieren der Karawane von Bedeutung

66 Der Literaturkritiker Octave Homberg definiert diese ‚mission civilisatrice‘ 1928 in der Revue des deux Mondes folgendermaßen: „L’Europe a une mission à remplir dans le monde: sauver de la misère matérielle tous les peuples qui souffrent, qui sont mal nourris, mal vêtus, mal logés, les élever au-dessus de la vie animale qu’ils mènent par insouciance et par ignorance, et éveiller en eux la notion de la dignité humaine. Avant que pareille œuvre soit achevée, elle n’a pas le droit d’abdiquer de sa mission, partout où elle l’a assumée“; Octave Homberg: „Le français dans ses colonies“. In: Revue des deux Mondes. Nr. 5 (1928), S. 689.

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sind. Als praktizierende Krankenschwester rückt Hélène de France dabei die christliche Nächstenliebe in den Fokus, während im Diskurs von Friedrich Kallenberg Mitleidsbezeugungen keine Rolle spielen. Er beschreibt die Beziehung zu seinen Trägern als eine rein geschäftliche, wobei gerade diese Distanz Raum zu schaffen scheint für eine ungezwungene und sogar intensivere Auseinandersetzung mit dem Einzelnen. André Gide lässt im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern 15 Jahre und einen Weltkrieg später erste Zweifel an den etablierten Machtverhältnissen aufkommen, wenn auch nur zögerlich. Diese drücken sich in seinem schlechten Gewissen den Trägern und den ausgebeuteten Arbeitern gegenüber aus, was er durch einen paternalistischen Umgang mit seinem Personal und seinen öffentlichen Einsatz für die Unterdrückten wett zu machen versucht. Kommen wir hier noch einmal auf Fred Blanchod zurück, der ebenfalls sein schlechtes Gewissen den Trägern gegenüber betont und dass er, so oft es gehe, darauf verzichte, in den Tragesessel zu steigen, wofür ihm seine Träger unendlich dankbar seien.67 Den Abschied von ‚seinen‘ Trägern beschreibt er ebenfalls als einen emotionalen Moment: „Je les regrette, je les connaissais bien, les dévoués et les tire-au-flanc, les joyeux et les moroses, les vite fatigués et les plus endurants; j’appréciais leur gentillesse et leur empressement à me donner, sans ordre reçu, des oranges ou une gourde“.68 Hervorzuheben sind hier aber erstens der militärische Sprachgebrauch, „ohne eine Order bekommen zu haben“, der viel über den Umgang des Reisenden mit seinem Personal verrät, und zweitens die ausschließliche Anführung von Charaktereigenschaften der Männer, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Funktion als Träger bzw. als Reisebegleiter stehen. Es ist also durchaus fraglich, ob er sie wirklich „so gut gekannt“ hat, wie er vorgibt. Was im vorliegenden Untersuchungskorpus nicht nachgewiesen werden kann, ist eine Wahrnehmung des Trägers als Wissensvermittler. Auch wenn die Reisenden betonen, sich die Sprache der Träger zumindest in Ansätzen angeeignet zu haben, beschränkt sich die Kommunikation auf praktische Angelegenheiten. Als Informanten, Gesprächs- oder Austauschpartner kommen die Träger, die Dolmetscher und die ‚boys‘ in den Berichten der Reisenden nicht vor. Sie sind Forschungsobjekte, die beobachtet und – mithilfe von vorher Gelesenem – erklärt werden, als Vertreter einer Volksgruppe oder gar der gesamten schwarzen ‚Rasse‘. An der Schnittstelle von kulturellen Missverständnissen wird

67 Blanchod (1942/1932): S. 81. 68 Ebd., S. 106.

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Wissen nur insofern generiert, als die Reisenden ihr Personal in diesen Situationen beobachten, um künftig ihre Position besser durchsetzen zu können – mit Schlägen, mit List, mit Geld, mit Geschenken. Unter einer diskursiven Oberfläche, die darauf abzielt, sich dem Leser gegenüber als einen vorbildlichen Reisenden zu präsentieren, der Empathie für die Träger zeigt, ein ‚guter‘ Arbeitgeber ist und sich von den ‚bösen‘ Kolonisatoren abhebt, liegt das große Meer des kolonialistischen Diskurses. Deshalb kommt es auch nicht zu einem expliziten Wissensaustausch zwischen den Reisenden und ‚ihren‘ Trägern mit dem Ziel, etwas vom Anderen lernen zu können. Das Wissen ist in dieser Epoche eindeutig im Okzident verortet und auch das intensive tägliche Miteinander über Wochen hinweg kann daran offensichtlich nichts ändern. Der Träger ist ein Träger.

L ITERATUR Albanese, Camillo: La principessa beduina. L’avventurosa vita di Elena di Francia duchessa d’Aosta. Mailand, Mursia 2007. Allégret, Marc: Voyage au Congo: scènes de la vie indigène en Afrique équatoriale, rapportées par André Gide et Marc Allégret. Unter Mitarbeit von André Gide. Panthéon Productions 1926. Bal, Mieke: Kulturanalyse. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2006. Blanchod, Fred: La randonnée africaine. Paris, Payot, 1942 (1932). Chaudourne, Jacqueline M.: André Gide et l’Afrique. Le rôle de l’Afrique dans la vie et l’œuvre de l’écrivain. Paris, Nizet, 1968. Espagne, Michel: Les transferts culturels franco-allemands. Paris, PUF, 1999. Gedat, Gustav Adolf : Wunderwege durch ein Wunderland. Ein afrikanisches Fahrtenbuch. Stuttgart, Steinkopf, 1938. Geertz, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt/M., Suhrkamp, 1983. Gide, André & Allégret, Marc: Voyage au Congo et Le Retour du Tchad. Paris, NRF, 1929. Grogan, Ewart Scott & Sharp, Arthur Henry: From the Cape to Cairo: the first traverse of Africa from south to north. Illustrated by A.D. McCormick. With an introduction by C.J. Rhodes. London, Hurst and Blackett, 1900. Hélène de France Duchesse d’Aoste: Voyages en Afrique. Mailand & Paris, Fratelli Trèves, 1915. Herzog zu Mecklenburg, Adolf Friedrich: Reise ins innerste Afrika. Bericht über den Verlauf der deutschen wissenschaftlichen Zentral-Afrika-Expedition 1907-1908. Leipzig, Klinkhardt & Biermann, 1909.

378 | S ONJA M ALZNER

Hodges, Geoffrey: Kariakor. The Carrier Corps. Nairobi, Nairobi University Press, 1999. Kallenberg, Friedrich: Auf dem Kriegspfad gegen die Massai. Eine Frühlingsfahrt nach Deutsch-Ostafrika. Mit 1 Titelfarbendruck, 8 Tonbildern und 78 Textabbildungen nach dem Skizzenbuch des Verfassers nebst einer Karte der Pangari-Kilimandscharo-Route. München, C. H. Beck, 1892. Kassner, Theo: My Journey from Rhodesia to Egypt. With 107 illustrations from photographs and three maps. London, Hutchinson & Co., 1911. Kaufmann, Herbert: Rote Straßen – schwarze Menschen. München, Nymphenburger Verlagsanstalt, 1954. Leiris, Michel: Afrique fantôme. Paris, Gallimard, 1934. Lejeune, Philippe: Le Pacte autobiographique (1975). Paris, Seuil, 1996. Malzner, Sonja: „L’autre forêt. La représentation de la forêt vierge africaine dans les relations de voyage de langue allemande du début du XXe siècle“. In: Gresser, Anne-Marie (Hg.): La forêt dans les domaines germaniques, nordiques et slaves. Caen, Cahiers de la MRSH, 2006, S. 195-208. Dies.: „Transferts de savoirs sur l’Afrique dans les relations de voyage illustrées à l’époque coloniale“. In: Espagne, Michel & Lüsebrink, Hans-Jürgen (Hg.): Transferts de savoirs sur l’Afrique, Paris, Khartala, 2015. Méaux, Danièle & Vray, Jean-Bernard (Hg.): Traces photographiques – traces autobiographiques. Saint-Etienne, PU Saint-Etienne, 2004. Mollion, Pierre: Sur les pistes de l’Oubangui-Chari au Tchad. Paris, L’Harmattan, 1992. Montandon, George: Au Pays Ghimirra. Récit de mon voyage à travers le Massif éthiopien (1909-1911). Paris, Challamel und Neuchâtel, Attinger Frères, 1913. Reetz, Dietrich: Globale Prozesse und ‚Akteure des Wandels‘: Quellen und Methoden ihrer Untersuchung; ein Werkstattgespräch. Berlin, Verl. Das Arab. Buch, 1997. Rockel, Stephen J.: Carriers of Culture. Labor on the Road in NineteenthCentury East Africa. Portsmouth NH, Heinemann, 2006. Ross, Colin: Die erwachende Sphinx. Durch Afrika vom Kap nach Kairo. 5. Auflage. Leipzig, Brockhaus, 1929. Schnee, Heinrich (Hg.): Deutsches Kolonial-Lexikon. Leipzig, 1920, URL: http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Lexikon/ lexikon.htm [Zugriff: 20. August 2017]. Sega, Maria Teresa & Magotti, Maria: „L’immagine coloniale nella stampa illustrata del bel paese: 1882-1913“. In: Rivista di storia e critica della fotografia. Nr. 5, 4 (Juni-Oktober 1983), S. 13-22.

M EHR ALS EIN T RÄGER ?

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Sloterdijk, Peter: Literatur und Organisation von Lebenserfahrung. Autobiographien der 20er Jahre. München, Hanser, 1978. Thonner, Franz: Vom Kongo zum Ubangi. Meine zweite Reise in Mittelafrika. Berlin, Reimer, 1910. Wolfzettel, Friedrich: Ce désir de vagabondage cosmopolite: Wege und Entwicklung des französischen Reiseberichts im 19. Jahrhundert. Tübingen, Niemeyer, 1986.

Autorinnen und Autoren

Harouna Barka unterrichtet am Institut für Geschichte der Universität Ngaoudéré. Nach seinem Studium an der Ecole Normale Supérieure von Maroua verfasste er eine Dissertation über die politischen Parteien und den Lobbyismus im Logone-Schari-Becken (1954-2011). Dieses Buch schreibt sich ein in die Politik- und Kulturgeschichte Kameruns und untersucht unter anderem den Einfluss der französischen Kolonialverwaltung in Logone-Schari-Becken. Veröffentlichungen (Auswahl): „Les festivals du Cameroun et leurs enjeux identitaires et politiques. Les cas du Festik et du Festat“. In: Fléchet, Anais et al. (Hg.): Une histoire de festivals XXe-XXIe siècle (Paris 2013, S. 187-201); „Les batailles de mémoire dans le Logone et Chari et leurs enjeux identitaires et politiques“. In: RHUS, Sherbrooke, 2013. Esaïe Djomo ist Professor für deutsche Sprache, Literatur und Kultur an der Universität Dschang (Kamerun). Er studierte Afrikanistik und Germanistik an den Universitäten Yaoundé und Saarbrücken. Promotion 1992 in Saarbrücken und Habilitation 2005 in Mannheim. Forschungsschwerpunkt: Deutsches und europäisches Kolonialdenken. Veröffentlichungen: „Des Deutschen Feld, es ist die Welt!“ Pangermanismus in der Literatur des Kaiserreiches, dargestellt am Beispiel der deutschen Koloniallyrik. Ein Beitrag zur Literatur im historischen Kontext, St. Ingbert, Röhrig, 1992; L’Afrique et l’Allemagne. Expériences coloniales et postcoloniales. Le cas de la Namibie (Mont Cameroun. Revue africaine d’études interculturelles sur l’espace germanophone, Nr. 4, 2007), Imperiale Kulturbegegnung als Identitätsstiftungsprozess. Studien zu Literatur, Kolonialität und Postkolonialität, St. Ingbert, Röhrig, 2011, Lieder der alten Afrikaner. Anthologie deutschsprachiger Koloniallyrik 1884-1945. Hrsg. und mit einem Vorwort. St. Ingbert, Röhrig Universitätsverlag, 2017.

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Pauline Grebert ist Fachbibliothekarin an Universitätsbibliotheken (La Réunion, St. Etienne). Sie schloss 2010 ihr Masterstudium der Literaturwissenschaften mit einer Arbeit über die Veränderungen des Buchs und des Lesens ab. Ihre jetzige Tätigkeit erlaubt es ihr, eine Mittlerrolle zwischen ForscherInnen und dem breiten Publikum einzunehmen. Die Schenkung der ‚Sammlung Polenyk‘ an die Universitätsbibliothek La Réunion war ihr Anlass zu einer Reflexion über die Auswertung und gesteigerte Zugänglichkeit der raren Bestände dieser Sammlung. Die „Träger“-Ausstellung, die sie zusammen mit Sonja Malzner und Anne Peiter kurarierte, weckte ihr Interesse an ikonographischen Repräsentationen im kolonialen Kontext. Andreas Greiner ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Geschichte der modernen Welt an der ETH Zürich. Im Fokus seines Promotionsvorhabens stehen Träger in ostafrikanischen Karawanen und Expeditionen (ca. 1850-1914) und deren Erfahrungen unter kolonialer Herrschaft. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich der (deutschen) Kolonialgeschichte, der ostafrikanischen Geschichte sowie der Globalgeschichte. Clemens Gütl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ab 2007 Universitätslektor und von 2012 bis 2015 Universitätsassistent (post doc) am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien für den Fachbereich „Geschichte und Gesellschaften Afrikas“. Forschungsschwerpunkte: Kolonial- und Missionsgeschichte Afrikas, Wissenschaftsgeschichte der österreichischen Afrikaforschung, Kontextualisierung von Tonaufnahmen in afrikanischen Sprachen. Niels Hollmeier ist seit 2015 Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichtswissenschaften der Universität Düsseldorf. Von 2008 bis 2015 studierte er an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Germanistik und Geschichte (M.A.). Während seines Studiums war er Stipendiat der Dr. Jost Henkel Stiftung (Deutschlandstipendium). Sein Forschungsschwerpunkt ist bereits seit Studienzeiten die frühe Filmgeschichte. Im Rahmen seiner Arbeiten zum kolonialen Dokumentarfilm führte er u.a. mehrwöchige Forschungsaufenthalte in Slowenien und Togo durch. Sylvie Kandé unterrichtet Afrikanistik an der State University of New York und ist Verfasserin von Gestuaire (Gallimard 2016, Prix Louise Labé 2017), La Quête infinie de l’autre rive. Epopée en trois chants (Gallimard 2011), Lagon, lagunes – Tableau de mémoire (Gallimard 2000, mit einem Vorwort von

A UTORINNEN UND A UTOREN

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Édouard Glissant) und von Terres, urbanisme et architecture ,créoles‘ en Sierra Leone, 18e 18e-19esiècles (L’Harmattan 1998). Sie ist Herausgeberin des Sammelbandes Discours sur le métissage, identités métisses. En quête d’Ariel (L’Harmattan 1999). In ihren Essays beschäftigt sie sich unter anderem mit dem Werk Amadou Kouroumas (in Medievalisms in the Postcolonial World), „Africa and the European Renaissance“, veröffentlicht in der Cambridge History of African & Caribbean Literature, mit Texten von Edouard Glissant und Marie NDiaye (21. Jahrhundert). Sie ist Mitglied des Übersetzungskomitees des PEN American Center. Sonja Malzner ist Dozentin für deutsche Sprache und Kulturgeschichte an der Universität Rouen. Studium der Germanistik und Romanistik in Salzburg, Debrecen, Aix-en-Provence und Reims. Danach Unterrichtstätigkeit an Universitäten in Belgien und Frankreich. Promotion in Metz und Saarbrücken (2012) zum Thema ‚So sah ich Afrika‘. Repräsentationen von Afrikanern in plurimedialen Reiseberichten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Königshausen & Neumann 2013). Sie beschäftigt sich mit Fragen der Intermedialität (Fotografie und Text), der Reiseliteratur und -dokumentation, Repräsentationen des (post)kolonialen Afrika südlich der Sahara sowie Aspekten der österreichischen Kulturgeschichte. Auswahl letzter Veröffentlichungen: „Vom Klischee zur Wissensvermittlung: Zum Frankreichbild in der Reisezeitschrift Merian 19542014“. In: Demeulenaere, Alex et al. (Hg.): Deutsch-französische Schnittstellen in Populärkultur und Medien (Lit 2017); „Transferts de savoirs sur l’Afrique dans les relations de voyage illustrées à l’époque coloniale“. In: Espagne, Michel & Lüsebrink, Hans-Jürgen (Hg.): Transferts de savoirs sur l’Afrique (Khartala 2015, S. 301-317). Sylvère Mbondobari ist Dozent für vergleichende Literaturwissenschaften an der UniversitätOmar Bongo in Libreville (Gabon). Ehemaliger Stipendiat der DFG (2002-2003) und der Alexander von Humboldt Stiftung (2008-2010 / 2013). In den Jahren 2010-2011 und 2015-2016 war er Gastprofessor am Lehrstuhl für romanische Kulturwissenschaften und interkultureller Kommunikation der Universität des Saarlandes. Letzte Veröffentlichungen: Mont Cameroun, Bd. 8. Wissen, Wissenskonstruktion und Wissenstransfer in der deutschen Reiseliteratur zu Afrika im 19. Jahrhundert (2013). Le polar africain, Universität von Lothringen, Forschungsgruppe ,Ecritures‘ (2013), in Zusammenarbeit mit Bernard De Meyer und Pierre Halen; Villes coloniales / Métropoles postcoloniales. Représentations littéraires, images médiatiques et regards croisés, Tübingen, Narr Verlag (2015), in Zusammenarbeit mit Hans-Jürgen Lüsebrink;

384 | D ER T RÄGER

Mémoires et lieux de mémoire. Enjeux interculturels et relations médiatiques, Saarbrücken (2016), in Zusammenarbeit mit Albert Gouaffo. Anne D. Peiter ist seit 2007 Germanistikdozentin an der Universität von La Réunion (Frankreich). Sie studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Münster, Rom, Paris und Berlin. 2001-2006 DAAD-Lektorin an der Sorbonne IV, 2006 Promotion an der Humboldt-Universität Berlin mit einer Arbeit über Komik und Gewalt. Zur literarischen Verarbeitung der beiden Weltkriege und der Shoah (Böhlauverlag 2007). Habilitation zum Thema Träume der Unverhältnismäßigkeit. Kolonialismus, Nationalsozialismus, Kalter Krieg im Abschluss begriffen (Veröffentlichung geplant für 2018). Gastdozentur an der Humboldt-Universität Berlin. Forschungsschwerpunkte: Shoah- und Exilliteratur, Reiseliteratur, Atomkrieg in deutschen und amerikanischen Science-FictionRomanen, deutsche Kolonialgeschichte, Komiktheorien. Publikationsliste: https://cv.archives-ouvertes.fr/annedpeiter Ludolf Pelizaeus ist seit 2014 Professor für Ideen- und Kulturgeschichte am Deutschen Institut der Universität Picardie – Jules Verne. Studium in Freiburg, Mainz, Würzburg, Dijon und Salamanca, Dissertation (1998) und Habilitation in Mainz (2004). Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Spanien (2001-2002); Gastprofessur in Galway (2008-2009), Professor in Graz (20092010), 2010 außerplanmäßiger Professor in Mainz, bevor er den Ruf nach Amiens annahm. Sein Forschungsschwerpunkte sind 1. die Transferprozesse bei der Entstehung des Staates in der Frühen Neuzeit in den Gebieten der Habsburger (unter besonderer Berücksichtigung der Stadt in Europa und Lateinamerika) und damit verbunden Widerstand und Protestbewegungen, 2. die Entstehung von mentalen Bildern in heutigen UNESCO-Zonen und schließlich 3. der Menschenhandel in den deutschsprachigen Territorien. Jean-Pierre Tardieu ist emeritierter Professor an der Universität La Réunion (spanischsprachiges Südamerika). Er unterrichtete unter anderem in Benin und Elfenbeinküste und nahm an mehreren internationalen Programmen teil. Er ist Autor zahlreicher Arbeiten zur schwarzen Diaspora im spanischen kolonialen Amerika. Marlene Tolède promovierte an der Universität La Réunion in Germanistik mit einer Monographie über den Deutsch-Franzosen Gustave Oelsner-Monmerqué (1814-1854). Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf deutschsprachiger Literatur

A UTORINNEN UND A UTOREN

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und Übersetzungen deutscher Texte über La Réunion während der französischen Kolonialzeit. Mareike Vennen arbeitet am Institut für Kunstgeschichte der TU Berlin im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsprojektes „Dinosaurier in Berlin“. Sie studierte Kultur- und Theaterwissenschaft sowie Französische Philologie in Berlin und Paris. Von 2009 bis 2013 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für künstlerische Forschung Berlin (!KF). 2016 promovierte sie mit einer Dissertation zum Aquarium als Objekt der Wissens- und Mediengeschichte im 19. Jahrhundert. Marianne Zappen-Thomson ist Professorin für Auslandsgermanistik und Deutsch als Fremdsprache im Department of Language and Literature Studies an der University of Namibia; Promotion 1999 über Interkulturelles Lehren und Lernen an der Universität Stellenbosch; von 2005 bis 2014 Herausgeberin des eDUSA; seit 2013 Präsidentin des SAGV (Germanistenverband des südlichen Afrika); Preisträgerin der Goldenen Lilie 2009 für ihren Einsatz für Deutsch in Namibia. Veröffentlichungen: Interkulturelles Lernen und Lehren in einer multikulturellen Gesellschaft – Deutsch als Fremdsprache in Namibia (2000); English – German Glossary of Namibian Terms (2012); Zappen-Thomson, M. & Tesmer, G. (Hg.), Von Schelmen und Tatorten. Von Literatur und Sprache (2014); zahlreiche Artikel in Sammelbänden und Zeitschriften über interkulturelle Kommunikation, Translation, Deutsch in Namibia und Gegenwartsliteratur.

Register Abakari, bin, A., 193, 200 Albers, H., 334, 342 Aschenborn, H., 318, 329, 333, 344 Askari, 7, 138, 142-143, 147, 238, 247, 318, 333, 335-336, 338, 340, 344, 348, 355 Babinga, 26, 284-290, 292-294, 296, 298, 300 Bantu, 285, 291, 294, 298 Batéké, 257-265, 293 Bechelaren, von, R., 336, 339 Bourbon, 206, 215, 225 Britisch-Ostafrika, 136, 184 Brody, L., 339 Dahomey, 304-305, 334, 349 Decken, von der, C.C., 41, 137, 205-206, 209-215, 218-221, 223-225 Deutsch-Südwestafrika, 7, 16, 239, 317-318, 324 Duise, M., 6, 18, 133-134, 143-149 Eckenbrecher, von, M., 317, 324329 Elfenbeinküste, 245, 284, 304, 306308, 310-311, 320, 384 Fantaisie, 216-217, 222

Fava, Père, 206, 216, 222, 225 François, von, K., 318, 321 Giraud, V., 190-191, 201 Goebbels, J., 335 Hassani, bin, R., 189, 201 Hitler, A., 325, 335, 350 Hottentotten, 291 Husen, M., 341 Indischer Ozean, 6, 51, 131, 181 Jubafluss, 224 Kamerun, 6, 33, 38, 47, 229-231, 233, 235-236, 239-240, 243, 245, 247, 269, 277, 280, 284, 291, 296, 355, 381 Kenia, 136, 141, 144, 155, 184, 365 Kersten, O., 41, 205-225 Kilimandscharo (Ort), 205, 210211, 213, 218, 220, 334, 359, 378 Kilimandscharo (Person), 136, 143, 144, 146, 149-150, 152 Kimmich, M., 334, 335, 349 Kipling, R., 11, 229, 238, 247

388 | D ER T RÄGER

Kobhio, ba, B., 6, 26, 283-285, 287, 289, 294-296, 298, 299300 Kongo, 27, 98, 189, 254, 258, 291, 293, 296, 371, 373, 379 Krapf, J.L., 212, 219 Kru, 16, 240, 317, 320-325, 327328 La Réunion, 6, 9, 41, 49, 51-52, 59, 64, 113, 205-207, 209, 214, 216-217, 221-225, 381, 384 Leopold II, 16, 186 Lettow-Vorbeck, von, P., 239, 336, 350 Liberia, 16, 231, 233, 240, 317, 320-321, 325 Malaria, 183, 366 Moritz, W., 88, 92-93, 95-96, 99100, 103, 105, 108, 188, 202, 319, 329 Nama, 320 Namibia, 16, 318-319, 329, 385 Niassa-See, 209 Nil, 134, 182-183, 194, 197, 200, 202-203 Oelsner-Monmerqué, G., 215, 225, 384 Pascha, E., 185-188, 190-193, 195198, 200, 203 Peters, C., 183, 334, 340-342, 346349, 351 Pless, von, A., 206 Pogge, P., 186-187, 191, 194, 202, 204

Pygmäen, 26, 286, 288-293, 296298 Rebmann, J., 210, 212 Reichard, P., 184, 185, 189, 194, 195-196, 198, 202 Reichskolonialbund, 334 Rentzell, von, W., 344, 351 Roscher, A., 205, 209, 224 Sangah, 291 Sansibar, 12, 181, 197, 205-206, 210, 354 Schlafkrankheit, 181, 283, 304, 335, 343, 348 Selpin, H., 334, 349 Smith, Mackenzie & Co, 184 Somalia, 206, 224, 365 Speke, J.H., 197, 203, 205, 210 Stanley, H.M., 185, 187-188, 191, 196, 198, 201, 203, 292, 295 Stuhlmann, F., 185-188, 191, 193, 195, 200, 203 Suaheli, 145, 193, 200, 208, 216, 220, 231 Tanzania, 140, 153, 240 Thomson, J., 188, 192-193, 196, 203 Thornton, R., 205, 210, 220 Tirailleurs sénégalais, 255, 336 Trenker, L., 335, 343 Unger, H., 343, 351 Wanyampara, 186, 193-195, 199 Wanyamwezi, 140, 183, 197 Wasserfall, G., 327 Westafrika, 304, 321, 324

R EGISTER

Wiene, C., 334, 349 Wissmann, H. 186-187, 190-191, 194, 196, 200, 204, 359

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Woermann-Linie, 317, 321, 325, 329

Kulturwissenschaft María do Mar Castro Varela, Paul Mecheril (Hg.)

Die Dämonisierung der Anderen Rassismuskritik der Gegenwart 2016, 208 S., kart. 17,99 € (DE), 978-3-8376-3638-3 E-Book PDF: 15,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3638-7 EPUB: 15,99€ (DE), ISBN 978-3-7328-3638-3

Fatima El-Tayeb

Undeutsch Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft 2016, 256 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3074-9 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3074-3

Arianna Ferrari, Klaus Petrus (Hg.)

Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen 2015, 482 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-2232-4 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2232-8

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Kulturwissenschaft Rainer Guldin, Gustavo Bernardo

Vilém Flusser (1920–1991) Ein Leben in der Bodenlosigkeit. Biographie September 2017, 424 S., kart., zahlr. Abb. 34,99 € (DE), 978-3-8376-4064-9 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4064-3

Thomas Hecken, Moritz Baßler, Robin Curtis, Heinz Drügh, Mascha Jacobs, Nicolas Pethes, Katja Sabisch (Hg.)

POP Kultur & Kritik (Jg. 6, 2/2017) Oktober 2017, 176 S., kart., zahlr. Abb. 16,80 € (DE), 978-3-8376-3807-3 E-Book: 16,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-3807-7

Sonja Hnilica, Elisabeth Timm (Hg.)

Das Einfamilienhaus Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2017 Juli 2017, 176 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-3809-7 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3809-1

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