Vokalsysteme im Westnordischen: Isländisch, Färöisch, Westnorwegisch: Prinzipien der Differenzierung 9783111357720, 9783484301986


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German Pages 431 [432] Year 1988

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
0.1 Fragestellung
0.2 Gliederung
1. Theorie
1.0 Einleitung
1.1 Vokallaute
1.2 Vokalsysteme
1.3 Vokalveränderungen
2. Empirie
2.0 Einleitung
2.1 Westnordische Dialektologie
2.2 Quantität
2.3 Der altnordische Vokalismus
2.4 Die Entwicklung des Vokalismus in den wnord. Dialekten
2.5 Zusammenfassung der Entwicklungen und Entwicklungsprinzipien der anord. Vokale in den wnord. Mdaa.
Karten
Verzeichnis der ausgewerteten Tonbandaufnahmen
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
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Vokalsysteme im Westnordischen: Isländisch, Färöisch, Westnorwegisch: Prinzipien der Differenzierung
 9783111357720, 9783484301986

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Linguistische Arbeiten

198

Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

Klaus-Christian Küspert

Vokalsysteme im Westnordischen: Isländisch, Färöisch, Westnorwegisch Prinzipien der Differenzierung

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988

CfP-Tkelaufnahme der Deutschen Bibliothek Küspert, Klaus-Christian : Vokalsysteme im Westnordischen: Isländisch, Färoisch, Wcstnorwegisch : Prinzipien d. Differenzierung / Klaus-Christian Küspert. — Tübingen : Niemeyer, 1988 (Linguistische Arbeiten ; 198) Zug!.: Frcihurg (Breisgau), Univ.. Diss., 1986 NE: GT ISBN 3-484-31)198-8

ISSN »344-6727

© Max Nicmeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Primed in Germany. Druck, Weihen-Druck GmbH, Darmstadt,

Vorwort

Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren 1984/85 am I n s t i t u t für Vergleichende Germanische Philologie und Skandinavistik der A l b e r t - L u d wigs-Universitat zu Freiburg im Breisgau unter Betreuung von Prof. Dr. Otroar Werner. Während dieser Zeit wurde ich durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes u n t e r s t ü t z t ; der Studiens t i f t u n g sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Einen großen Teil des dargelegten Dialektmateriales konnte ich bereits im S t u d i e n j a h r 1980/81 am Nordischen I n s t i t u t der U n i v e r s i t ä t Bergen, Norwegen, sammeln; der damalige Aufenthalt wurde durch ein norwegisches Regierungsstipendium ermöglicht. Bei einem w e i t e r e n , v i e r t e l j ä h r i g e n A u f e n t h a l t in Bergen im Frühling 1984 wurde die Materialsammlung noch erheblich erweitert und v e r k o m p l e t t i e r t . Danken möchte ich an dieser Stelle meinen Freiburger Kollegen Dr. Thomas Birkmann und Dr. Anwer Mahmood für viele anregende Gespräche, sowie meinen Freunden aus Buchenbach, d i e , wiewohl f a c h f r e m d , einen nicht geringen Artteil am Gelingen dieser Arbeit haben. Der größte Dank gilt f r e i l i c h meiner lieben Frau Sonja, die n i c h t nur unverdrossen Korrektur las und durch hartnäckiges Fragen dazu b e i t r u g , daß mancher Gedanke v i e l l e i c h t etwas weniger verdreht ausgedrückt w u r d e , als ursprünglich b e a b s i c h t i g t , sondern die auch mit geduldigem Zuspruch und ohne Klage die Entstehungszeit dieser A r b e i t m i t durchlebte und d u r c h l i t t . Ihr sei daher dieses Werk gewidmet.

Buchenbach-Wagensteig, im Oktober 1987

Klaus-Christian Küspert

VII

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Inhaltsverzeichnis 0.

V vn

Einleitung

l

0.1

Fragestellung

4

0.2

Gliederung

6

1.

Theorie

7

1.0 1.0.1 1.0.2

Einleitung Phonologic auf phonetischer Grundlage Gliederung

7 7 9

1.1 1.1.0 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4

Vokallaute Allgemeines Physiologische Grundvoraussetzungen Merkmale und Merkmalskombinationen Grundzusammenhänge bei der Vokalartikulation Einheiten der Beschreibung

9 9 10 11 13 17

l .2 1.2.1 1.2.1.1 1.2.1.2 1.2.2 1.2.2.1 1.2.2.2 1.2.3 1.2.3.1 1.2.3.2 1.2.4 1.2.4.0 1.2.4.1 1.2.4.2 1.2.4.3

Vokalsysteme Systernraum Physiologischer Raum Akustischer Raum Systemordnung Reihen Spalten Teilsysteme Kurze und lange Monophthonge Diphthonge Systemdarstellung Allgemeines Transkriptioristheorie Transkriptionszeichen Empirische Fixierung der Transkriptionszeichen

18 18 19 28 29 30 34 36 39 40 43 43 44 46 49

1.3 1.3.0 1.3.0.1 1.3.0.2 1.3.1 1.3.1.0 1.3.1.0.1 1.3.1.0.2 1.3.1.1 1.3.1.2

Vokalveränderungen Allgemeines Lautwandel - Lautersatz Ebenen der Verursachung von Laut Veränderungen Phonologische Ebenen Allgemeines Autochthoner Lautwandel, L a u t g e f ü h l , Lautgesetz Syntagma - Paradigma Phonetische Ebene Phonemische Ebene

51 51 53 54 55 55 56 59 60 61

VIII

1.3.1.2.1 1.3.1.2.2 1.3.1.2.3 1.3.1.2.4 1.3.2 1.3.2.1 1.3.2.2 1.3.2.2.1 1.3.2.2.2 1.3.3 1.3.3.1 1.3.3.2 1.3.4 1.3.4.1 1.3.4.2 1.3.4.3 1.3.4.4 1.3.4.5 1.3.5 1.3.5.0 1.3.5.1 1.3.5.1.1 1.3.5.1.2 1.3.5.2 1.3.6

Symmetrie Die Lücke im System Sog- und Schub-Ketten Funktionale Belastung und Frequenz Lautwandelverursachung durch andere Teile des Sprachsystems Morphologie Suprasegmentaler Bereich Akzent und Spannung Silbenbau und Quantität Das Reihenschrittmodell Reihenauflösung - Reihenbindung Reihenausweichungen - Seihenaufsaugungen Typen autochthonen Lautwandels Öffnung/Sehließung Diphthongierung/Monophthongierung Palatalisierungen/Velarisierungen Delabialisierungen A-/ Ve l are river Schiebung Außersprachlicher Bereich Allgemeines Laut ersatz Typen des Lautersatzes Soziale Bedingungen für den Lautersatz Typen von Sprachgemeinschaften Zusammenfassung

62 64 66 67 69 69 71 72 73 74 77 79 81 81 83 87 92 95 97 97 98 99 101 102 103

2.

Empirie

106

2.0 2.0.1 2.0.2

Einleitung Allgemeines Gliederung

106 106 107

2.1 2.1.1 2.1.1.1 2.1.1.1.1 2.1.1.1.2 2.1.1.2 2.1.2 2.1.2.0 2.1.2.1 2.1.2.2 2.1.2.3 2.1.2.3.1 2.1.2.3.2 2.1.2.3.3 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.2.1 2.2.2.2

Westnordische Dialektologie Westnordische Dialekte

108

Abgrenzung

110 111 113 115 116 117 118 123 125 125 133 134 137 137 137 138

Jamvekt Andere Abgrenzungskriterien Gliederung des norw. Dialektraumes Forschungsgesch ichte Allgemeines Island Färber

(West-) Norwegen Norwegische Dialektologie Opning - ligning Die "Norvegia"-Lautschrift Quellen Isländisch Faroische Dialekte Westnorwegische Dialekte Quantität Quantitätseysteme Das Quantitätseystem und dessen Entwicklung im Westnordischen Das Quantitäts system des Altnordischen Die nordische Quantitätsumlegung und das Quantitätssystem in den modernen wnord. Mdaa.

108

143 143 144 144 147

IX

2.2.2.3 2.2.2.3.1 2.2.2.3.2 2.2.2.3.3 2.2.2.3.4

Weitere Bemerkungen zur Quantitätsumlegung und zu den Quantitätssystemen in den heutigen wnord. Mdaa. Mögliche Ursachen der Quantitätstimlegung Zur Chronologie der Quantitätsveranderungen Abweichungen und Weiterentwicklungen Distinktivitätsdiskussion

158 161 163 164

2.3 2.3.1 2.3.1.1 2.3.1.2 2.3.2 2.3.2.1 2.3.2.2

Der altnordische Vokalismus Quellenlage Allgemeines Die "Erste Grammatische Abhandlung" Der Vokalismus des "Klassischen Altnordischen" Beschreibung des Systems (phonetisch und phonemisch) Chronologie und "Over-all-Gültigkeit"

165 166 166 166 169 169 174

2.4 2.4.0 2.4.1 2.4.1.0 2.4.1.1 2.4.2 2.4.2.0 2.4.2.1 2.4.3 2.4.3.0 2.4.3.1 2.4.3.2 2.4.3.3 2.4.3.4 2.4.3.5 2.4.3.6

Die Entwicklung des Vokalismus in den wnord. Dialekten Einleitung Island Allgemeines Isländisch Färöer Allgemeines FärÖisch Westnorwegen Allgemeines Indre Agder Sogn/Voss/Hardanger Sunnm^re Nordhordland/Sunnhordland/Ryfylke Sunnfjord/Nordfjord MidlandsmSla

175 175 177 177 180 192 192 197 214 214 218 236 262 278 306 318

2.5

Zusammenfassung der Entwicklungen und Entwicklungsprinzipien der anord. Vokale in den wnord. Mdaa, Qualitative Entwicklungen der anord. Vokale Allgemeines Die anord. Langvokale Die i - _ y - u -Reihe Die e - t - o - R e i h e Anord. _e; £+o Die anord. Kurzvokale Die i_-£- u -Reihe Die _ e - t f - £ - R e i h e Anord. _a; o Die anord. Diphthonge Der Übergang vom Quantitäts- zum Q u a l i t ä t s s y s t e m

325

2.5.1 2.5.1.1 2.5.1.2 2.5.1.2.1 2.5.1.2.2 2.5.1.2.3 2.5.1.3 2.5.1.3.1 2.5.1.3.2 2.5.1.3.3 2.5.1.4 2.5.2

Karten Verzeichnis der ausgewerteten Tonbandaufnahmen Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis

158

325 325 326 327 330 334 336 337 342 345 346 352 364 404 405 406

.

EINLEITUNG

"Die Anerkennung des N a t u r h a f t e n in der Sprache sollte so wenig eine Leugnung oder Verleugnung ihres Geistigen b e d e u t e n wie u m g e k e h r t " ,

schreibt HÖFLER 1956:43 in seinem vielzitierten Aufsatz "Stammbaumtheorie, Wellentheorie, Entfaltungstheorie", in dem er allen Versuchen, sprachlichen Wandlungen mit engen, einseitigen Erklärungen beizukommen, eine Absage erteilt. Wer allen Sprachwandel einer "horizontalen Kausalität", einer bewußten Übernahme von Lauten, Formen und Wörtern aus anderen Sprachen und Sprachschichten zuschreiben möchte, erfasse die menschliche Sprache und deren notwendige Veränderungen in ihrer Komplexität ebensowenig wie derjenige, der lediglich "vertikale Kausalität", mehr oder weniger mechanische Entwicklungen aufgrund von Triebkräften im Sprachsystem selbst gelten lasse {vgl. HÖFLER 1956:33f). Sprache hat, wie KRANZMAYER 1956 es am Lautstand der bairischen Dialekte und dessen geschichtlichen Veränderungen eindrucksvoll aufzeigt, gleichermaßen eine "biologisch-systematische" wie "sozial-kommunikative" Seite und verändert sich sowohl aufgrund einer inneren Eigendynamik als auch durch Beeinflussung und Nachahmung in ihrer sozialen Anwendung. Dabei mag als übergeordneter Grundsatz gelten, daß die Funktion der Sprache als Werkzeug zur Übermittlung von Inhalten nicht ernsthaft gefährdet werden dürfe, vielmehr daß nach dessen ständiger Optimierung und Anpassung gestrebt werde. Diese allgemeinen Aussagen werden auf breite Zustimmung stoßen. In der Praxis sprachgeschiehtliehen Arbeitens ist die Vermeidung von Einseitigkeiten und monokausalen Argumentationen freilich häufig nicht einfach, bisweilen nicht einmal angestrebt. So weist WIESINGER 1968a; 1970; 1982 In seinen forschungsgeschichtlichen Überblicken zur deutschen Dialektologie die einseitigen Ansätze und überzogenen Ansprüche sowohl von Junggrammatikern, Sprachgeographen als auch Strukturalisten zurück. Jede dieser "Schulen" sei geneigt, nur einen Teil der sprachlichen Realität zu verabsolutieren und zur nahezu alleinigen Triebfeder von Sprach-/Lautvaränderungen l machen zu wollen. So konzentrieren sich die Junggrammatiker mit ihrer Vorstellung eines "...synchronen sprachlichen Atomismus und eines diachronen Mechanismus*.." (WIESINGSR 1982:144)fast ausschließlich auf die innersprachlich-phonetische Durchführung lautlichen Wandels, welche als mechanisch und ausnahmslos angesehen l

Die allgemeinen Überlegungen zu sprachlichem Wandel sollen im folgenden auf Gedanken zum Lautwandel eingeschränkt werden.

wurde. Ursprung und Richtung der Veränderungen hingegen scheinen willkürlich. Die Sprachgeographen hingegen lehnen das Konzept der mechanischen, geordneten und ausnahmslosen Durchführung lautlicher Neuerungen ab und gehen von einer we itestgehenden Bedingtheit der sprachlichen Fakten durch wirtschaftliche, herrschaftliche, im weitesten Sinne soziale Gegebenheiten aus (vgl. WIESINGER 1968a:448). Der (strenge) Strukturalismus konzentrierte sich iin Gegensatz zu den beiden vorgenannten Forschungsrichtungen auf den synchron-systematischen Aspekt der Sprache. Erst allmählich wurden auch Methoden zur Beschreibung und Erklärung historischer Veränderungen erarbeitet. Von Interesse waren dabei aber nur Wandlungen.der (abstrakten) Sprachstruktur, welche man mit "inneren Kausalitäten" zu erklären suchte (vgl. 1.3.1.2.1). Nicht-strukturrelevante Veränderungen blieben weitgehend unberücksichtigt.

Als eine Art Synthese dieser jeweils einseitigen Ansätze können die aus der Tradition der Wiener dialektologischen Schule hervorgegangenen Überlegungen Eberhard KRANZMAYERs verstanden werden. So unterscheidet er in seiner "Lautgeographie des gesarotbairischen Dialektraumes", Wien 1956, zwischen "genetischem, innersprachlieh bedingtem, kontinuierlichem Lautwandel und soziologischem, außersprachlich bedingtem, diskontinuierlichem Lautersatz" (WIESINQER 1982:145/6), räumt damit also der "systematisch-biologischen" Dimension der Sprache den gleichen Stellenwert ein wie der "sozial-kommunikativen". Sprachveränderungen müssen demnach sowohl auf eine systembezogene "innere", als auch auf eine soziale "äußere" Dimension hin durchleuchtet werden. Hierdurch wird dem komplexen Zusammenspiel von Ebenen, auf welchen Sprache abläuft und sich verändert, Rechnung getragen, und es können möglichst viele Lautveränderungen in ihrer Eigenart erkannt und der richtigen Motivationsebene zugewiesen und damit grundsätzlich erklärbar gemacht werden. WIESINGER hat in seinen Arbeiten diesen ganzheitlichen Ansatz zur Beschreibung und Erklärung von Lautwandlungen fortgeführt, wobei aber die internen Bezüge und Ordnungen von Lautsystemen stärker berücksichtigt werden. Gegen einseitige, gar naturwissenschaftlich-deterministische Theorien zur Erklärung lautlicher Veränderungen wendet sicii auch Andre MARTINET. Er lehnt unter Berufung auf GRAMMONT 1939 monokausales Argumentieren bei Lautwandelerklärungen entschieden ab (vgl. HARTINET 1981:19, Anm. 4}. 2 MARTINET 1981 legt am Beispiel der lautlichen Ebene seine Gedanken zu einer möglichst umfassenden Betrachtung von Sprachwandel dar, wobei freilich aus der strukturalistischen Tradition heraus der Systemaspekt ein Übergewicht bekommt: auch er unterscheidet zwischen "inneren" und "äußeren" Faktoren, wobei bei den "inneren" Faktoren wiederum eine Vielzahl von interagierenden Ebenen und Teilsystemen unterschieden werden müssen. Jeder dieser Teilbereiche ist wiederum eigenen Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Verbunden werden diese Ebenen durch ein funktional-ökonomisches Grundprinzip, das Sorge 2

Dt. Ausgabe von "Economie des changements phonetiques", Paris 1955.

dafür trägt, daß der Zweck der Sprache, die Kommunikation, stets möglichst kraftsparend gewährleistet bleibt: "Das gesamte Sprachsystem wird bestimmt von dem stets vorhandenen Widerspruch zwischen den kommunikativen und expressiven Bedürfnissen einerseits und andererseits seiner Neigung, seine geistige und physische Aktivität auf ein Minimum zu beschränken ... Die Trägheit ist ein immer vorhandenes und unveränderliches Element, während die kommunikativen und expressiven Bedürfnisse zu verschiedenen Zeiten Veränderungen unterworfen sind, so daß sich die Art des Gleichgewichts im Laufe der Zeit wandelt." MARTINET 1981:85

Ein noch umfassenderes "geschlossenes Modell" zur Erklärung sprachlichen Wandels legt LÜDTKE 1979b/c dar. Es handelt sich um eine auf den ersten Blick faszinierende Darlegung der Interaktionen der sprachlichen Ebenen und Teilsysteme unter dem Gesichtspunkt der Energieerhaltung. LÜDTKE stellt einen universalen Zyklus dee Auf- und Abbaus vor, bei welchem die Richtung der Veränderungen für die jeweiligen Teilbereiche deterministisch festgelegt ist, nicht jedoch der Grad, inwieweit die Sprecher im Rahmen der Kommunikation den "Bedürfnissen" der einen Ebene auf Kosten der anderen nachgeben. Das Zueammenspiel der sprachlichen Teilgebiete kann also zu sehr unterschiedlichen Ausforntungen des notwendigen Gleichgewichte unter dem Grundsatz der Erhsltuug des Informationswertes führen, Veränderungen mit sozialer Motivation werden freilich nur am Rande und mit dem Statue von kurzfristigen "Störungen" in dieses Modell einbezogen, die den Autoraatismus des notwendig ablaufenden Sprachwandels in seinem Prinzip nicht ändern können. Solche anfassenden, ganzheitlichen Betrachtungsweisen von Sprache und Sprachwandel, wie LÜDTKE 1979b/c und, weniger technisch-abstrakt und beschränkt auf das Lautsystem, MARTINET 1981 sie darlegen, verhindern durch ihren Bezug zum Sprecher/Hörer und zu den Aufgaben der Sprache, daß das System verabsolutiert wird, losgelöst von seinen vielfältigen Funktionen. In der vorliegenden Untersuchung, die sich mit der Beschreibung und Erklärung lautlicher Veränderungen befaßt, soll, wann immer möglich, gemäß den oben aufgestellten Forderungen, eine möglichst vielschichtige Erfassung der verschiedenen sprachlichen Dimensionen versucht werden. Dabei wird es freilich aufgrund der Große des Untersuchungsgebietes, sowie der Art der Fragestellung, nicht immer möglich sein, bei sämtlichen behandelten Veränderungen alle für deren reale Erklärung in Frage kommenden Aspekte in der gebührenden Form zu berücksichtigen. Nicht selten werde ich mich auf die Diskussion "innersprachlicher", phonetischer und phonemischer Bezüge beschränken müssen. Diese Einschränkungen im Einzelfalle ändern freilich nichts an der grundsätzlichen Gültigkeit der Forderung nach einer möglichst "polykausalen" Erfassung sprachlicher Veränderungen.

4

.l

Fragestellung

Betrachtet man das Sprachsystem als ein Zusammenspiel einander wechselseitig beeinflussender, hierarchisch geordneter Ebenen, und Teilsysteme, so ist der Bereich der Prosodie als einer der vorgeordnetsten anzusehen (vgl. 1.3,2,2). So wird beispielsweise die Aufhebung eines Kontrastes im Syntagma kaum schwerwiegende Auswirkungen auf das gesamte lautliche Distinktionssystem haben. Eine allmähliche Veränderung des Akzents, des Sprechrhythmus, eine langsame Wandlung der Betonungsverhältnisse aber kann eine "Revolution" auslösen im Bereich der segmentalen Phonologie, kann das gesamte Distinktionssystem einer Sprache "auf den Kopf" stellen. Derartige "Revolutionen", begründet etwa in einer durchgreifenden Neuordnung des Quantitätssystems, die wiederum durch eine Veränderung der Akzentverhältnisse bedingt wurde, vollzogen sich im Verlaufe der letzten zweitausend Jahre in den meisten westeuropäischen Sprachen. Im klassischen Latein wie in den aLtgermanischen Dialekten war Quantität distinktives Merkmal sowohl bei Vokalen wie bei Konsonanten. Lange und kurze Konsonanten wie Vokale konnten in den meisten Positionen frei miteinander kombiniert werden. Im Übergang zu den modernen germanischen und romanischen Sprachen und Dialekten läßt sich vielfach eine Tendenz erkennen, das System der freien Quantitätgkombination umzubauen zu einer proeodischen und stärker phonotaktischen Determination der Länge-Kürze-Verhältnisse.* Sehr konsequent wurde diese Verlagerung der Quantitätsdomäne vom segmentalen auf den proeodischen Bereich im Nord- und Mittelbairischen, in den romanischen Dialekten des Engadins, Mittelbündens und eines Teiles der Emilia-Romagna und im größten Teil des nordgermaniechen Sprachgebietes durchgeführt.* Die Dialekte der genannten Gebiete zeigen ein System der "komplementären Länge" (vgl. BANNERT 1976:38ff) mit bestimmten phonotaktischen Einheiten als Quantitätedomänen und mit einer akzentabhängigen Quantitätszuweisung.

Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich vor allem mit den Veränderungen des Vokalismus im Zusammenhang mit den genannten Umorganisationen des Quantitätssystems in den westnordischen Dialekten (vgl. 2 . 1 ) . Das Hauptinteresse konzentriert sich dabei darauf, inwieweit qualitative Veränderungen im Vokalismus dieser Mundarten zu den genannten Umorganisationen in kausalem oder finalem Verhältnis stehen, wie in der Literatur häufig angedeutet {vgl. z.B. MARTINET 1981:33). Liegt eine Art "Kompensationsgeschäft" vor zwischen syntagmatischer und paradigmatischer Ebene, wobei eine Vereinfachung auf dem Gebiet der Phonotaktik, der Quantitätsregeln, mit einer drastischen Verkomplizierung des Vokalparadigmas "erkauft" werden mußte? Diese Umorganisation des Quantitätssystems soll für die wnord. Mdaa. in 2.2.2 beschrieben werden; zu deren möglichen Ursachen vgl. 2.2.2.2.2. Zum Bair. vgl. KUFNER 1961; GLADIATOR 1971; BANNERT 1976. Zu den romanischen Mdaa, vgl. LÜDTKE 1956:266/7; zum Nordgerm, vgl. 2.2. Vgl. auch LASS 1974 zur Quantitäts- und Vokalentwicklung in schottisch-germanischen Mdaa.

5 Im Übergang vom Altnordischen des 13. Jh. zu den modernen wnord. Dialekten geschahen nicht nur regelmäßige Vokalkürzungen und -längungen, sondern auch eine Vielzahl von Veränderungen der Vokalqualitäten. Das wnord. Sprachgebiet zerfiel , zumindest im Bezug auf den Vokalismus, ausgehend von einer angenommenen Einheitlichkeit im hohen Mittelalter, * in eine Vielzahl von Mundarten. Eine plausible und einleuchtende Erklärung einer größtmöglichen Zahl dieser Veränderungen sei ein Ziel dieser Untersuchung. Zunächst gilt es, die vielfältigen Veränderungen der anord, Vokalqualitäten im geographischen Vergleich darzustellen. Bei der Frage nach deren Erklärung können zwei Dimensionen unterschieden werden: eine abstrakt-systematische und eine konkret-phonetische. Im Bezug auf erstere stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den qualitativen Veränderungen und der - vorgeordneten Umorganisation des Quantitätssystems. Kann für sämtliche wnorw. und fär. Mdaa. dasselbe angenommen werden wie für das Isl., nämlich daß die anord. Distinktionen zwischen langen und kurzen Vokalen allesamt zu Qualitätsunterscheidungen wurden, das Vokalparadigma demnach auf nahezu die doppelte Anzahl Distinktionen anwuchs? Geschah das "Ineinanderschieben" der Teilsysteme der langen und kurzen Vokale nach einem gemeinsamen Prinzip im gesamten Gebiet? Kie hat man sich diesen Vorgang vorzustellen? Läßt sich vielleicht eine Form der Finalität oder Kausalität ermitteln, und, insbesondere, lassen sich die charakteristischen Qualitätsentwicklungen der Vokale in ihren Ordnungen zufriedenstellend erklären? Stellt sich die Annahme der Umwandlung der Quantitätsdistinktionen in Qualitätsdistinktionen auf sehr ähnliche Weise im gesamten wnord. Dialektgebiet als richtig heraus, so bleibt zu fragen, wie sich die erheblichen Unterschiede in Art und Kcmplexitätsgrad bei den Vokalsystemen der modernen Mdaa. erklären. Gab es vor der quantitativen Neuordnung bereits nennenswerte dialektale SonderentWicklungen im Bereich des Vokalismus, und wenn ja, auf welcher Ebene finden diese eine Motivation und somit eine mögliche Erklärung? Lassen sich die heutigen Unterschiede vielleicht auf alternative Möglichkeiten beim Aufbau der hochkomplexen Vokalparadigmen und auf unterschiedliche Richtungen und Geschwindigkeiten bei deren Vereinfachung nach der Quantitätsumlegung T zurückführen? Können also die synchron so unterschiedlichen Vokalsysteme der modernen wnord. Dialekte als "Stufen" einer einzigen oder einiger weniger parallel laufender Ent5

5 6 7

Zu den Quantitätsverhältnissen im Anord. vgl. 2 . 2 . 2 ; zum anord. Vokalisnuis vgl. 2 . 3 , 2 . Zum Problem der "Over-all-Gültigkeit" des Vokalsystems des "klassischen Anord.", generell von rekonstruierten "Protosystemen" vgl. 2,3.3.2. Eigene Übersetzung des e i n g e f ü h r t e n norwegischen B e g r i f f s "kvantitetsoinlegging" ermangeis eines g e l ä u f i g e n deutschen Terminus.

6 Wicklungslinien betrachtet werden, liegt somit eine "synchrone Arealprojektion" vor, ein geographisches Nebeneinander diachroner Stufen? * Ist dem so, so lassen sich die nicht belegten Zwischenschritte bei der Vokalentwicklung vom anord. Ausgangssystem zum heutigen Stand im geographischen und systembezogenen Vergleich weitgehend rekonstruieren. In dieser Untersuchung soll der Versuch gemacht werden, die Entwicklung des Vokalismus eines relativ großen, in viele Einzelmdaa. zersplitterten und doch verhältnismäßig einheitlichen Sprachgebiets in seiner Gesamtheit darzustellen. Die Basis dieses Versuchs der Rekonstruktion und möglichst realen Erklärung der Entwicklungen wird JÜTI ausführlichen theoretischen Teil der Arbeit gelegt. Grundlegend soll hierbei der ständige Rekurs auf die artikulatorischen und akustischen Möglichkeiten des Menschen, die Betrachtung des Vokalismus als ein Teilsystem innerhalb des Systems der Sprache, das sowohl eine gewisse Eigendynamik aufweist als auch sich in ständiger Interaktion mit den anderen sprachlichen Teilsystemen befindet, und eine Betrachtung der Sprache sowohl in ihrer systematischen Dimension als auch in ihrer sozialen Funktion sein.

0.2

Gliederung

Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in zwei große, verhältnismäßig unabhängige Teile, einen ersten theoretischen und einen zweiten empirischen. Ein letztendlich nicht voll zufriedenstellendes Problem ist dabei die Verknüpfung dieser beiden Fraktionen. Einerseits halte ich ausführliche Gedanken über die vielfältigen Gegebenheiten, die Lautveränderungen motivieren und die Richtung von Lautwandlungen bestimmen können, für notwendig, um konkrete VokalVeränderungen in ihrer Eigenart erfassen, systematisieren und wahrscheinlichen Motivationsebenen und damit möglichen Erklärungen zuführen zu können. Andererseits sollen aber auch aus der Beschäftigung mit dem Materiale, aus der Beschreibung der Entwicklungen des Vokalismus in den wnord. Mdaa. im geographischen und historischen Vergleich allgemeine Erkenntnisse über Ursachen und Richtung von Lautwandel gewonnen werden. Lautwandeltheorie also einerseits als notwendige Voraussetzung, als "Handwekszeug", andererseits als Ziel und Ergebnis der empirischen Arbeit. Die Gefahr von Zirkelschlüssen, die sich aus diesem doppelten Aspekt ergibt, versuche ich dadurch zu begegnen, daß ich die Ausführungen im theoretischen Teil der Arbeit möglichst allgemein halte und auf Belege aus nordgerman. Mdaa. verzichte, was freilich

eine intensive Durchdringung von Theo-

rie und Empirie verhindert. 8

Zu den Dimensionen "Zeit-Raum-Struktur" vgl. MOULTON 1968; WIESINGER 1977.

1.

THEORIE

1 .0

Einleitung

1.0.1

Phonologie auf phonetischer Grundlage

BANNERT 1976:34 stellt in seiner Untersuchung zur Quantität des Schwedischen folgende Forderung: "... en fonologisk beskrivning av ett sprik ... är [inte] tillräcklig utan att en sadan analys mäste forankras i den universella fonologisk-fonetiaka teorin som sklsserats av den prädikative fonetikens metoder ... ... den prädikativa fonetikens främsta oppgift är att lägga gründen for en förklarande fonologisk beskrivning av världens sprak."

Es geht hier zunächst bloß um eine synchrone Beschreibung, um die angemessene Systematisierung und Fixierung des Lautstandes einer Sprache« Diese Laute sind etwas Konkretes, Meßbares, keine Abstraktionen; sie lassen sich mit Hilfe von Geräten sichtbar machen, ihre Produktion ist ein beobachtbarer Vorgang. Jost WINTELER 1876 hat in seiner Beschreibung des Lautstandes der Kerenzer Mundart im Kanton Glarus in der Nachfolge Eduard SIEVERS diese Erkenntnisse erstmalig praktisch angewendet: die Laute einer Sprache bilden ein System und die Grundlage dessen sind die universellen artikulatorischen Möglichkeiten und Beschränkungen des Menschen. Was für WINTELER selbstverständlich war, nämlich den Lautstand einer Sprache als Zusammenspiel konkreter Artikulationen zu betrachten, geriet in der folgenden Zeit scheinbar zunehmend in Vergessenheit. Für die Prager Strukturalisten wurde das Lautparadigma als ein System bedeutungsunterscheidender Oppositionen dann zwar zu einem zentralen Untersuchungsgegenstand, die physiologischen Bedingungen der konkreten Lautrealisierungen waren dabei aber von untergeordnetem Interesse. KRANZMAYER 1956:199 beschreibt dies folgendermaßen: "[Nach dem raschen Emporsteigen der Trubetzkoyschen Phonolcgiej schien es einige Zeit, als würde die altbewährte Phonetik allmählich überflüssig werden; man hatte geradezu das beängstigende Gefühl, als träte an Stelle der Erkundung wirklicher Lautwerte bald ganz die Untersuchung irrealer Vorstellungen über diese Lautwerte, der sogenannten Phoneme, und als wolle man Phonetik und Lautphysiologie sozusagen zum alten Eisen werfen."

8

Dabei verschließt sich KRANZMAYER und mit ihm die Wiener Dialektologenschule nicht den Erkenntnissen der strukturalistischen Phonologie (vgl. WIESINGER 1970,1:5); man fordert aber zu Recht eine ständige Ruckbeziehung aller phonologischen Abstraktion auf meß- und beobachtbare Lautwerte, eine "Phonologie auf phonetischer Grundlage". Das System der abstrakten, funktional definierten Phoneme einer Sprache ist nur zugänglich über die konkreten, materiellen Lautrealisierungen; diese werden produziert in einem gesamtheitlichen Artikulationsvorgang, nicht durch die Umsetzung einer Handvoll distinktiver Merkmale. Sollen die Phoneme einer Sprache in eine möglichst reale Beziehung zueinander gesetzt werden, so geschehe dies zunächst auf phonetischer Basis und unter Berücksichtigung a l l e r artikulatorischen Dimensionen, ohne a priorische, immer mehr oder weniger willkürliche Einteilung in distinktiv und nicht-distinktiv. Damit sei derjenigen Richtung der Phonologie, die sich zum Ziele gesetzt hat, das synchrone Lautsystem einer Sprache ala eine Kombination einer minimalen Anzahl logisch-abstrakter Bausteine zu beschreiben, nicht die Berechtigung abgesprochen. Nur muß man sich dabei dessen bewußt bleiben, daß es sich nicht mehr um die Beschreibung eines real nachweisbaren Lautsystems handelt, sondern um empirisch nicht direkt zugängliche Abstraktionen des systematisierenden Geistes. Solcherart Systematisierung kann durchaus Ziel einer möglichen Sprachbesehreibung bilden, untauglich jedoch ist sie als Ausgang für diachrones wie f ü r geographisch-vergleichendes Arbeiten.

Wollen wir die Lautsysteme verschiedener Sprachen, oder gar nahe verwandter, nur wenig unterschiedener Dialekte vergleichen, benötigen wir dazu eine feste Bezugsbasis. Diese liefert die Phonetik; durch die artikulatorischen Möglichkeiten des Menschen und die akustische Gestalt der Sprachlaute werden Fixpunkte dargeboten, unabhängig von linguistischen Theorien, auf deren Basis geographische Varianten verglichen werden können (vgl. MOULTON 1961; 1963; 1968; 1970). Was sich beim Lautwandel verändert, sind zunächst konkrete Realisierungen, nicht abstrakte Regeln: "Die diachrone Sichtweise ist viel stärker um die phonetische Wirklichkeit bemüht als eine Sichtweise, die darauf bedacht ist, die Zahl der distinktiven Eigenschaften auf ein Minimum zu reduzieren." MARTINET 1981:70

Erst nach einer objektiven und systembezogenen phonetischen Beschreibung der Veränderungen ist eine Frage danach sinnvoll, inwieweit sich etwa das Distinktionssystem der betreffenden Sprache verändert hat, und weiter, ob vielleicht auf phonemischer Ebene der Schlüssel zu den Ursachen des Wandels liegt. "Every phonologist must ... be a phonetician as well. The distinction between phonetics and phonology within linguistics is a phony one as I d o n ' t think it is possible to do a decent job at one without the other ... ... phonetics is an indispensible tool for the phonologist." OHALA1974:253

l . 0 , 2 Gliederung Der Iheorieteil ( 1 . ) gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Abschnitte: es geht von der Beschreibung einzelner Vokallaute ( 1 . 1 ) über Vokalsysteme (1.2) zur Beschreibung und Erklärung vokalischen Wandels ( 1 . 3 ) . Den Abschluß bildet eine allgemeiner gehaltene Zusammenfassung ( 1 . 4 ) . Auf der Basis universeller phonetischer Erkenntnisse möchte ich in einem ersten Schritt ( 1 . 1 ) Grundzusammenhänge der Vokalartikulation beschreiben, in einem zweiten Schritt (1 .2) die Vokallaute im Systemzusammenhang darstellen, die universellen Grenzen und Möglichkeiten, die für Vokalsysteme gelten ( 1 . 2 . 1 ) , die innerhalb dieser Systeme herrschenden Ordnungen (1 . 2 . 2 ) und die vokalischen Teilsysteme mit ihren jeweils besonderen Gesetzmäßigkeiten ( 1 . 2 . 3 ) . Sodann geht es um eine möglichst reale Darstellung von Vokalsystemen, wodurch ein historischer und geographischer Vergleich ermöglicht werden soll ( 1 . 2 . 4 ) . Ein dritter Schritt ( 1 . 3 ) wird die Umsetzung der "statischen"Erkenntnisse über Vokale und Vokalsysteme in "dynamische" sein: deren Fruchtbarmachung zur Beschreibung und Erklärung von Richtung und - sofern überhaupt möglich - Ursache vokalischen Wandels. Beim Versuch, die vielfältigen Motivationsebenen für verschiedene Typen von Vokalveränderungen zu ermitteln, wird der phonetisch-phonemische Bereich ( 1 . 3 . 1 : 1 . 3 . 3 - 4 ) verlassen: Einflüsse anderer sprachlicher Teilgebiete auf die Entwicklung des Lautstandes einer Sprache werden angesprochen ( .3.2), sodann vor R!lern Hintergründe und Mechanismen von sozial motivierten LautVeränderungen. 1.1

Vokallaute

1.1.0 Allgemeines GREENBERG 1978 versucht, die synchron-typologischen phonologischen Universalien zu Lautwandeluniversauen umzuformulieren. Er tut dies allein durch logischabstraktes Schießen aus seinem statistischen Material. Die synchronen "Implikationsregeln" werden dabei kurzerhand diachron umforrmiliert und als Erklärungen bezeichnet. Dies führt zu Ergebnissen von zweifelhaftem Erklärungswert: Aus der synchron-statistischen Beobachtung, daß X häufiger sei als w i r d , etwas vereinfacht, geschlossen, daß X das unmark i e r t e r e , natürlichere, "erwünschtere" Teil sei und universell danach streben werde, sich in X zu wandeln. Bei derartiger Argumentation allein auf statistischem Material ist, ganz davon abgesehen, daß viele Lautwandlungen überhaupt nicht erfaßt werden können, die Gefahr willkürlicher Schlüsse groß und der explanative Wert gering, selbst wenn die Annahme, tendiere dazu, sich zu X zu wandeln richtig wäre: es kann kein kausaler Zusammenhang zwischen X und hergestellt werden, die Frage, warum sich X -* und nicht X -» Z wandelt, bleibt offen, von einer Begründung dessen, weshalb sich überhaupt verändert, ganz abgesehen.

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Soll wenigstens die Richtung eines Lautwandels zufriedenstellend erklärt werden, so helfen Schlüsse auf rein statistischer Grundlage wenig weiter. Eine Begründung dafür, weshalb eine Tendenz hat, sich zu X zu wandeln, wieso X universell natürlicher, "erwünschter" ist als Y, liefert aber möglicherweise die Phonetik. In den folgenden Abschnitten sollen einige grundlegende Aussagen über Vokale gemacht werden, zunächst allgemein artikulatorisch und ohne Systembezug, dann bzgl. deren Ordnung in Systemen und der phonetischen Voraussetzungen hierfür. 1.1.1

Physiologische Grundvoraussetzungen

Die artikulatorischen Möglichkeiten und Beschränkungen der Menschen sind identisch. Aus diesem Grunde können allgemeine Aussagen über Sprachlaute, deren Produktion und Veränderung gemacht , diesbezügliche Erkenntnisse unter bestimmten Voraussetzungen von einem Lautsystem auf ein anderes übertragen werden. Seit SIEVERS 1876 gibt es eine reiche Literatur zum Gebiet der Lautphysiologie, so daß hier einige Anmerkungen genügen mögen.1 Von grundlegender Wichtigkeit für die Beziehung der Vokale zueinander im Paradigma ist die Erkenntnis der Asymmetrie der Artikulationsorgane (vgl. MARTINET 1981:86f). Die Auswirkung dieser Asymmetrie auf die Gestalt von Vokalsystemen soll hier noch unberücksichtigt bleiben (vgl. 1.2.1). LÜDTKE 1979c:187f unterscheidet "in topologischer Hinsicht" vier artikulatorische Parameter: Stimmton, Gaumensegel, Kieferwinkel und verschiedene Artikulatoren. Hierzu tritt ein temporaler Aspekt: vor allem Quantitats- und Akzentverhältnisse. Im topologischen Bereich möchte ich Stimmton bei Vokalen voraussetzen und eine Unterscheidung zwischen Schließung und Öffnung der Nasenhöhle soll im folgenden bei Beschränkung auf Oralvokale keine Rolle spielen. Bei den Artikulatoren interessieren das Zusammenspiel von horizontaler Zungenposition und Lippenstellung und die wechselseitigen Beziehungen zwischen diesen und dem Öffnungsgrad des Kieferwinkels/der horizontalen Zungenposition.* Die genannten topologischen Größen stehen ihrerseits in einem WechselVerhältnis zu den temporalen Dimensicren Akzent und Quantität. Hierbei sind folgende Koppelungen wahrscheinlich: Betonte Vokale von größerer Dauer werden wahrscheinlich auch mit einem hohen Spannungsgrad der Zungen- und Lippenmuskulatur produziert. Es liegt dabei die Vermutung nahe, daß die Quantität vorgeordnet, der Spannungsgrad re1 2

Im folgenden werde ich mich ausschließlich auf Vokale konzentrieren, wobei freilich für Konsonanten dieselben artikulatorischen Grundvoraussetzungen gelten; zur Definition von "Vokal" vgl. DIETH 1950:204/5. Im folgenden wird vereinfachend nur noch vorn "Grad der Zungenhebung" (='Öffnungsgrad"; "Höhe") gesprochen.

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sultierend ist. Durch diese meist aneinander gebundenen Größen wird der Vokalismus vieler Sprachen in Teilsysteme unterteilt, wobei dann Vokale gleicher Spannung und/oder Quantität bestimmte charakteristische Verhaltensweisen in Abhängigkeit von ihrer durch Zungenposition und Lippenstellung definierten Qualität zeigen (vgl. 1.2.2 und 1 . 2 . 3 ) . Innerhalb von solchen quantitativ und/oder spannungsmäßig definierten Teilsystemen gibt es universelle Beziehungen zwischen Quantität/Spannung und der horizontalen Zungenposition: bei zunehmendem Qffnungsgrad nimmt die Spannung von Lippen und Zungenkörper ab, die relative Dauer hingegen zu. Der max, offene -Laut wird demnach den geringsten Zungen- und Lippenspannnungsgrad, aber die größte Dauer innerhalb seines (Teil-) Systems aufweisen. Ebenfalls an den Öffnungsgrad ist die Möglichkeit der Lippenrundung/-spreizung gebunden, sowie die der Vor- und Zurückverlegung des Zungenkörpers: be] einer Zunahme des Offnungsgrades nimmt die Möglichkeit der Zungenartikulation ab. Der max. offene -Laut wird daher wahrscheinlich zentral bzgl. der Zungenposition und neutral bzgl. der Lippenstellung sein. Weitere universelle Zusammenhänge gibt es zwischen horizontaler Zungenposition und Lippenstellung: vordere Vokale werden bevorzugt mit gespreizten, hintere mit gerundeten Lippen realisiert, während Vokale mit zentraler Zungenposition häufig neutrale Lippenstellung zeigen. Auch der Spannungsgrad des Zungenkörpers ist bei den zentralen Vokalen meist geringer als bei den max. vorderen/hinteren Einheiten gleichen Öffnungsgrades in einem quantitativ/spannungsmäßig definierten Teilsystem. Diese empirisch nachweisbaren Zusammenhänge sind im Bau und in der Funktion der Artikulationsorgane begründet. Sie sollen im folgenden schrittweise anwendbar gemacht werden zur Erklärung wenigstens der Richtung von Lautwandlungen. 1.1,2

Merkmale und Merkmalskombinationen

Die Beschreibung von Vokalwändel ist zunächst eine Beschreibung von (gradweisen, vgl. 1 .3,0.1·1 .3.1.0.1 ) Veränderungen komplexer Artikulationsvorgänge. Erst dann kann nach einer evtl. Veränderung des Distinktionssystems gefragt werden. Wollen wir also Lautwandel möglichst real beschreiben als notwendige Voraussetzungen für das Erklären diachroner Veränderungen, so ist es wenig sinnvoll, das empirisch Beobachtbare a priori in ein Korsett distinktiver Merkmale zu zwängen (zur Kritik am Bestreben, Vokalsysteme in jedem Falle mit einem minimalen Set distinktiver Merkmale beschreiben zu wollen vgl. WIESEINGER 1970,1: 32; LABOV 1978; MARTINET 1981:84 } . Betrachtet man die Komplexität mancher ArtikulationsVorgänge, wie sie z . B . HQTZENKÖCHERLE 1962:81f für Palatovelarvokale in alem. Mdaa. anschaulich be-

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schreibt, so wird klar, daß ein Satz weniger Merkmale diese nicht adäquat fassen kann, schon gar nicht, wenn dabei versucht wird, diese Merkmale als ein binäres [±] -System zu formulieren.* Statt binar möchte MARTINET 1981:67ff alle vokalischen Merkmale skalar, graduell verstanden wissen. So gibt es, sieht man von der Unterscheidung nasal oral ab, kein Fehlen oder Vorhandensein eines Merkmals, sondern ein Mehr oder Weniger bei der Ausführung von Bewegungen der bei der Artikulation beteiligten Organe. Es sind dabei freilich nicht alle Kombinationen der Stellung/Bewegung der Artikulatoren Zunge/Kiefer und Lippen gleichermaßen leicht ausführbar, manche überhaupt nicht. Auch die akustischen Resultate sind nicht in allen Fällen gleich günstig für eine einwandfreie Bedeutungsunterscheidung (vgl. 1 . 2 . 2 . 1 ) . Es ist für diachrones Arbeiten nicht nur nötig, die Laute in ihrem Varianzraum phonetisch zu beschreiben und sie auf dieser Basis in Beziehung zueinander zu setzen; vielmehr muß das Zusammenspiel der zu ihrer Produktion notwendigen Artikulationsbewegungen unter verschiedenen (übergeordneten) prosodischen Bedingungen bewertet und nach dem Kriterium der größeren/geringeren Komplexität hierarchisch geordnet werden. Wissen wir, welche Bewegungskombinationen * zur Vokalproduktion mit welchem akustischen Resultat (vgl. 1.2.2.1) unter welchen Bedingungen von Akzent, Quantität, Spannung etc. besser oder schlechter zusammenpassen, weniger wahrscheinlich oder wahrscheinlicher, unmöglich oder zwangsweise aneinander gebunden sind, welche Quantitäts- und Spannungsverhältnisse hinwiederum aus gewissen Kombinationen der Artikulatoren notwendig resultieren, so wird es uns möglich, die größere oder geringere Natürlichkeit von Vokalsystemen zu beurteilen und, vor allem, bei der Beschreibung eines Lautwandels Aussagen darüber zu machen, ob das Ergebnis im Verhältnis zum Ausgangspunkt unter den obwaltenden sprachlichen Bedingungen einfacher, natürlicher oder komplexer , weniger natürlich, weniger "angepaßt" ist . Es sollen also Kriterien geschaffen werden, die eine Klassifizierung von Lautveränderungen und damit u.U. deren Zuweisung zu bestimmten Motivationsebenen ermöglichen. Ohne diese feste, an physiologischen Tatsachen fixierte Skala, sind Lautwandelerklärungen, die mit "Natürlichkeit von Lautsystemen", "Schwierigkeitsgraden von Lauten" etc.argumentieren, leer und meist unschwer als zirkulär zu erkennen. 3

4

Ee war freilich nicht die Grundintentign der (strengen) Strukturellsten, mit einem minimalen Set binärer Merkmale komplexe ArtikulationsVorgänge physisch real zu beschreiben. Es wurde und wird aber nicht selten der Versuch unternommen, diese abstrakten, redundanzfreien Systematisierungen zur Grundlage f ü r diachron wie geographisch vergleichendes /erklärendes Arbeiten zu machen. Ich möchte vermeiden, von "Merkmalskombinationen" zu sprechen, da dies den Eindruck erweckt,es handle sich um £±J-KombinatIonen, oder zumindest um Kombinationen von Merkmalen auf deutlich voneinander abgegrenzten "Stufen".

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Im folgenden Abschnitt möchte ich das Zusammenspiel der an der Vokalproduktion beteiligten Artikulatoren naher untersuchen und damit eine Grundlage zur Erfassung, Klassifizierung und ggf. phonetisch basierten Lautwandelerklärung liefern.

1.1.3

Grundzusammenhänge bei der Vokalartikulation

s

Wie in 1 . 1 . 1 ausgeführt, kann bei der LautProduktion zwischen topologischen und temporalen Größen unterschieden werden; der prosodisch-temporale Bereich ist dabei dem segmental-topoiogischen vorgeordnet. Ausgangspunkt der folgenden Zusammenstellung der für die Lautproduktion relevanten Größen sei der Akzent, eine Einheit auf prosodisch-syntagmatischer Ebene. Dabei möchte ich mich auf den Bereich der - Undefiniert vorausgesetzten - Einheit des Wortes beschränken und das komplexe Zusammenspiel zwischen Akzenttypen, Tonverläufen, Silbenbau- und phonotaktischen Regeln etc. unbeachtet lassen. Es seien folgende, vereinfachte und auf die Verhältnisse in germ. Sprachen zugeschnittene Beziehungen gegeben: Zuerst ist

zu unterscheiden zwischen mehr oder weniger betont, wobei ich

vereinfachend annehmen möchte, es handle sich um eine Entweder-Oder-Entscheidung.* Nachgeordnet sei die Ebene der Quantität. Die Unterscheidung zwischen lang und kurz - ich möchte auch hier zunächst nur zwei Grade annehmen - ist häufig, aber nicht zwangsweise an die Betonungsverhältnisse gebunden, derart, daß in unbetonten Stellungen keine Unterscheidungen zwischen Vokalquantitäten gemacht werden. Durch unterschiedliche Betonungen und Quantitäten ergeben sich vokalische Subklassen, innerhalb derer für das Zusammenspiel der Artikulatoren in einem gewissen Rahmen unterschiedliche Bedingungen gelten. Die natürliche Ausformung von Vokalparadigmen ist also akzent- und quantitätsgesteuert. Es gilt: V AKZENT

:

QUANTITÄT:

BETONT KURZ

UNBETONT LANG

FIGUR l

Eine problematische Große ist diejenige der Spannung, vor a l l e m wegen der häufig a n z u t r e f f e n d e n d e f i n i t o r i s c h e n U n k l a r h e i t e n . Ohne d e u t l i c h auszusagen, was unter "gespannt" und "ungespannt" verstanden w i r d , werden diese Begrif-

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6

Der Begriff "Vokal" soll in dieser Arbeit als Oberbegriff für Monophthong und Diphthong verstanden werden; in diesem Abschnitt werde ich mich auf Aussagen zur Monophthongproduktion beschränken; die Grenze zwischen Monophthong und Diphthong ist freilich oft fließend fvgl. 1.2.3,3). Im folgenden werde ich mich weitestgehend auf Aussagen zu Vokalen in betonter Stellung beschränken, da in Teil 2 dieser Arbeit nur die Entwicklung der Vokale in druckstärker Stellung untersucht wird.

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fe nicht selten sowohl für eine Unterscheidung innerhalb von Paradigmen als auch zwischen diesen (mit-) verwendet. Weiter zur Verwirrung trägt die Unterscheidung zwischen geschlossen und offen bei. Diese Dichotomie wird meist begründet durch sowohl größere vs. kleinere Zungenspannung, größere vs. kleinere Dauer, als auch größere vs. kleinere Zungenhebung. Der Spannungsgrad seinerseits wird aber nicht selten zirkulär aus der Unterscheidung zwischen geschlossen und offen abgeleitet. BANNER! 1974 und FISCHER-J0RGENSEN 1973 scheinen Spannungs- und Quantitätsverhältnisse als aneinander gebunden zu betrachten, wobei dann zu fragen wäre, ob sich derSpannungsgrad aus den Quantitätsverhältnissen ergibt oder umgek e h r t , oder ob keine hierarchische Ordnung besteht; T BANNERT1974:44 schreibt! "Dct torde vara troligt att denna spänningstnekanismen är underkastad vissa tidsrestriktioner varfor slappa vokaler ocksa" har kortare segmentduration an de spända motsvarigheter." Sind aber Spannung und Quantität f e s t , untrennbar aneinander gebunden, dann stellt sich die Frage nach dem Sinn dieser doppelten Dichotomie. FISCHER-J0RGENSEN 1973 versucht, den Merkmalen "tense-lax" physiologisch, ohne Bezug auf verschiedene Quantitäten auf den Grund zu kommen; sie schreibt (S.144): "The tongue is, however, not only lower in lax vowels, it is also flattened out, so that the tongue root is closer to the pharynx wall." Bei "tense vowels" sei außerdem die Zungenwurzel nach vorne geschoben, was automatisch eine Aufwärtsbewegung der Zunge verursache. FISCHER-J0RGENSEN 1973 diskutiert die Unterscheidung zwischen "tense" und "lax" anhand der dt. Hoch zungenvokale I - Y - U , bei denen ansonsten eine Qyantitatsdichotomie allgemein akzeptiert ist. Für die geschl. Vokale des Deutschen wäre damit Spannung die übergeordnete Größe, und die Quantität ließe sich ebenso daraus ableiten wie gewisse Aussagen über Zungenposition und Lippenrundung/Spreizung. Grundsätzliches ist damit aber nicht gewonnen. Qunantität und Spannung bleiben aneinander gekoppelt, eine hierarchische Ordnung wird nur einzelsprachlich und für gewisse qualitativ bestimmte Systemteile im Hinblick auf eine Distinktionszuweisung vorgenommen. DIETH 1950:210 zeigt sich skeptisch gegenüber dem Versuch, eine Vokalklassifikation anhand des Moments der Spannung der Zungenmuskulatur durchzuführen; ein experimenteller Nachweis mangle bisher. BELL/SWEET hingegen bedienten sich dieses Gegensatzes bei ihrer Vokalsystematisierung (vgl. DIETH 1950: 210). So sei bei jeder Zungenlage konvexe ("tense") wie auch konkave ("lax") Zungenform möglich.

Das Kriterium der Spannung ist demnach nach zwei Richtungen hin sensibel, einmal im Bezug auf die Vokalquantität, dann bzgl. der vertikalen Zungenposition. Es ist dabei sowohl abhängige als auch unabhängige, sowohl resultierende als auch vorgeordnete Größe, je nach Ebene und Betrachtungsweise.* Die Quantitätswahlen unterscheiden Vokalparadigmen als Gesamtheiten. Bei Es geht hier nicht darum, einem Merkmal auf Kosten des anderen distinktive Funktion zuzuschreiben. Diese vielleicht spitzfindig anmutenden Unterschiedungen werden relevant bei der Klassifizierung der alten Langvokale und der gelängten Kurzvokale in wnord. Mdaa. in Teil 2 dieser Arbeit.

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sämtlichen

Zungen- und Lippenpositionen können unterschiedliche Quantitäten

produziert werden: Innerhalb dieser durch die Quantitätswahlen unterschiedenen Paradigmen resultieren, wie angesprochen, wiederum gewisse Quantitätsverhältnisse notwendig aus der vertikalen Zungenposition: offene Vokale sind universell länger als geschlossene. Eine Unterscheidung zwischen Spannungsgraden ist nicht so generell durchführbar, zumal, wie angesprochen, Quantität und Spannung häufig aneinander gebunden sind. Es gilt die "Natürlichkeitsregel", daß betonte, lange Vokale wahrscheinlich gespannt, betonte Kurzvokale wahrscheinlich ungespannt artikuliert werden. Der Grad dieses an die Quantität gebundenen Spannungsunterschiedes differiert , einzelsprachlich und ist ferner an den Öffnungsgrad gebunden: je geschlossener die Vokale, desto großer ist die Möglichkeit, Spannungsunterschiede zu produzieren. Es gilt, daß gespannte Langvokale wahrscheinlich einen größeren Geschlossenheitsgrad, einen größeren Grad an Palatalität oder Velarität und ausgeprägtere Lippenrundung oder -spreizung aufweisen als die korrespondierenden ungespannten Kurzvokale. Diese Unterschiede zwischen gespannt und ungespannt nehmen in der Regel ab bei zunehmendem Öffnungsgrad, der Quantitätsunterschied hingegen bleibt bestehen. Gänzlich unabhängig von einer Unterscheidung zwischen lang/kurz und gespannt/ ungespannt ist die Tatsache, daß universell bei zunehmendem Öffnungsgrad die Spannung ab-, die Länge zunimmt. Der max. offene A-taut ist also gleichzeitig der längste und am wenigsten gespannte Vokal in seinem Teilsystem. Neben den interparadigmatischen Auswirkungen eines an die Quantität gebundenen Spannungsmerkmals ist auch, ausgehend von BELL/SWEET, eine freie, innerparadigmatische Spanmmgsunterscheidung denkbar. Wenn g i l t , daß "... in jeder Zungenlage sowohl die konvexe als auch die flache Zungenform möglich" ist (nach DIETH 1950:210), so können Vokale gleichen Öffnungsgrades sowohl gespannt als auch ungespannt realisiert werden. Spannung könnte also innerhalb eines quantitativ bestimmten Teilsystems eine freie Wahl sein und dieses auf der Ebene der Öffnungsgrade in Subsysteme gliedern.* Bei diesen Subsystemen mit nahezu gleicher Quantität und vertikaler Zungenlage weisen dann die geZu dieser unüblichen Annahme sehe ich mich durch mein Material veranlaßt. Wie in 2.4.3 dargelegt, gibt es in einigen wnord. Mdaa. innerhalb des Langvokals y stems Unterschiede zwischen Phonemen, die weder durch die Annahme verschiedener Öffnungsgrade noch unterschiedlicher Palatalitäts-/Velaritatsgrade noch verschiedener Grade der Lippenrundung/-spreizung zufriedenstellend beschrieben werden können. Kicht akzeptabel ist m . E . eine Unterscheidung zwischen "tense - lax" bei den Langvokalen E und £ des K h d . ; sie entbehrt der phonetischen Grundlage. Die Bezeichnung eines Spannungsunterschiedes innerh a l b eines quantitativ definierten Paradigmas ist - wenn überhaupt - nur sinnvoll bei Vokalen ( f a s t ) gleichen Öffnungsgrades» Das nhd. £ unterscheidet sich aber vom E eindeutig durch einen größeren Öffnungsgrad. Daß es vielleicht auch weniger gespannt ist, ist eine hieraus resultierende Erscheinung; vgl. WERNER 1972:31.

16 spannten Glieder größere Palatalität/Velarität und ausgeprägtere Lippenrundung/ -spreizung a u f ; daß die gespannte Zungenmuskulatur auch zwangsweise einen etwas geringeren Öffnungsgrad bedingt, ist wahrscheinlich. Es zeigt sich also, daß ein aus der Quantität folgender interparadigmatischer Spannungsunterschied dieselben Auswirkungen bzgl. Zungenposition und Lippenstellung hätte wie eine intraparadigmatische Spannungswahl. Daraus läßt sich ableiten, daß ungespannte Langvokale mit der für korrespondierende Kurzvokale natürlichen Zungen- und Lippenarttkulation, gespannte Kurzvokale mit der für Langvokale natürlichen Artikulation produziert werden.

Für das Zusammenspiel zwischen Zunge und Lippen gelten innerhalb eines quantitäts- und spannungsmäßig definierten Paradigmas folgende Zusammenhange, die im Bau und in der Punktion der Artikulationsorgane begründet sind: Bei zunehmendem Öffnungsgrad nimmt die Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen palatal/velar und gespreizt/gerundet universell ab. Je geschlossener Vokale also produziert werden, desto wahrscheinlicher/natürlicher sind Unterscheidungen zwischen horizontalen Zungenpositionen und Lippenstellungen. Bei den zentralen und neutralen Vokaltypen 3 , V etc. handelt es sich, unabhängig von der Quantität, um ungespannte Einheiten nahe der Zungenruhelage; sie sind natürlich in unbetonter Stellung (vgl. 1.2.4 zur Transkription).

Zwischen horizontaler Zungenposition und Lippenstellung herrscht folgender natürliche Zusammenhang: Die Möglichkeit zur Unterscheidung zwischen gespreizt oder gerundet nimmt zu bei zunehmender Palatalität/Velarität. Ob ein palataler oder velarer Vokal gespreizt oder gerundet realisiert wird, ist zwar eine Wahl, diese m u ß jedoch getroffen werden. Max. pal./vel. Vokale können nicht neutral produziert werden, ebenso wie "echte" Zentralvokale (Typ 3, V A) nicht gespreizt/gerundet produziert werden Können. Umgekehrt sind stark gespreizte/gerundete Vokale häufig auch max. palatal/velar. Palatovelarlaute (Typ Ü e t v . ) und Velopalatallaute (Typ etc.) sind wahrscheinlich weniger gerundet/gespreizt als die entsprechenden Palatale/Velare. Unterscheiden möchte ich zwischen Palatovelaren/Velopalatalen und Zentralvokalen. Letztere sind neutral b z g l . der Lippenrundung und wahrscheinlich max. ungespannt und unbetont (3-Typ). Max. offene Vokale ( -Typ) seien für sich genommen. Palatovelare/Velopalatale sind sowahl bzgl. der horizontalen Zungenposition spezifiziert als auch nehmen sie an den für Lang- und Kurzvokalen geltenden Spannungsrelationen teil. Dabei sind sie wahrscheinlich weniger gespannt als die p a l . / v e l . Einheiten gleichen Öffnungsgrades desselben Teilsystems. Bei den gespannten, geschlossenen (gerundeten) Velaren gelten aufgrund des Baus der Artikulationsorgane abweichende Bedingungen; vgl. 1.2.1.2; 1.3.4.3. Für Palatovelare/Velopalatale gilt grundsätzlich dasselbe wie für Pal.itale/Velare: eine Unterscheidungsmöglichkeit nimmt bei zunehmendem Öffmmgagrad ab. Aus dem Postulat, daß nicht max. offene (gespannte) Vokale wahrscheinlich max. pal./vel realisiert werden, ergibt sich, daß Palatovelare /Velopalatale komplexer, weniger natürlich sind als korrespondierende Palatale/Velare. Daß bei bestimmten Systemkonstellationen z . B . Salatovelare natürlicher, dem Gesamtsystem im konkreten Falle besser angepaßt sein können als z.B. die korrespondierenden Velare, sei damit nicht ausgeschlos-

17 sen; dies ändert jedoch nichts an der systemunabhängig erstellten Komplexitätshierarchie zwischen verschiedenen Arten von Bewegungs- und Stellungskombinationen der Artikulationsorgane, Wie zwischen zwei Typen nicht max. p a l . / v e l . Vokale, so sei auch zwischen zwei Vorgängen unterschieden; einer Zentralisierung ungespannter Vokale und einer Palatalisierung/Velarisierung gespannter Vokale (vgl. 1.3,4.3).

Was die Wahlen zwischen gerundet und gespreizt angeht bei nicht zentralen, nicht max. offenen Vokalen, so gibt es je nach horizontaler Zungenposition mehr oder weniger natürliche Kombinationen: die Verbindungen pal.-gespreizt und vel.-gerundet sind physiologisch weniger komplex, sowie akustisch deutlicher als die jeweils umgekehrten Kombinationen (vgl. CROTHERS 1978; LILJECRANTZ/ LINDBLOM 1972). Bei zunehmendem Öffnungsgrad und der damit verbundenen Abnahme der Möglichkeit, zwischen pal./vel, und ger./gespr. zu unterscheiden, werden die weniger natürlichen Kombinationen pal,-ger. und vel.-gespr. zunehmend weniger wahrscheinlich als die entgegengesetzten Verbindungen, Bei fast max. offenen Vokalen ist keine Rundung bei Palatalen, keine Spreizung bei Velaren zu erwarten . Die in diesem Abschnitt gegebene Zusammenstellung über die Kombinationsmöglichkeiten der artikulatorischen Merkmale zur Vokalproduktion und die daraus abgeleiteten Aussagen über größere/geringere Komplexität von Vokalen/vokalischen Teilsystemen fußen auf physiologischen Erkenntnissen, wie sie in einschlägigen Phonetik-Lehrbüchern z.T. nachgelesen werden können. Unterstützung erhalten diese Erkenntnisse durch statistische Untersuchungen (CROTHERS 1978; vgl, 1.2.2.4) und durch Untersuchungen zum Spracherwerb/Sprachverlust (JAKOBSON 1941; JAKOBSON/HALLE 1960). Anhand von Spracherwerbs- und Aphasieuntersuchungen stellt JAKOBSON, f r e i l i c h systembezogen, eine Hierarchie der Komplexität (einfacher) Merkmalsverbindüngen a u f . Die Arbeiten JAKOBSONs sind wichtige Versuche, universelle, einzelsprachunabhangige Aussagen zur relativen Natürlichkeit von Sprach lauten zu machen, die dann bei diachronen Untersuchungen als Grundlage für eine Erklärung bestimmter LautVeränderungen dienen können.

1 .1 .4

Einheitender Beschreibung

Obgleich Lautwandel als Veränderung von Lauten und nicht von abstrakten Einheiten und Regeln aufgefaßt wird, so ist es doch offensichtlich, daß der geographische wie historische Vergleich von Lauten verwandter Mdaa. und deren Veränderungen einer abstrakten Ebene der Systematisierung bedarf. Diese Systematisierungsebene ist die des Phonems. Bzgl. der Definitionen von Phonem, Allophon etc. sei auf TRUBETZKOY 1977:42 verwiesen. Ferner mochte ich die Anregungen und Zusätze von CROTHERS 1978:102£ aufgreifen. Das Phonem ist definiert durch seine Funktion bei der Bedeutungsunterscheidung, ist damit eine abstrakt-funktionale, keine physiologische Einheit. Darüberhinaus sind Phoneme zumindest in identi-

18 scher Umgebung als "Laute gleichen Werts" (vgl. KRANZMAYER 1956:9) auch psychisch reale Größen aufgrund paralleler Bildungsweisen.

Bei der oben geforderten phonetischen Beschreibung der Lautklassen einer Sprache sind also auch ggf. unterschiedliche Realisierungen in verschiedenen Umgebungen zu beachten. In diesem Zusammenhang sei auf PHILIPP 1964; 1974 hingewiesen, wo die Wichtigkeit von Distributionsanalysen bei der Beschreibung des Lautatandes einer Sprache betont wird. Je nach Verteilung der Phoneme in Silbe/Morphem/Wort etc. und je nach vorausgehendem/nachfolgendem Laut ergeben sich unterschiedliche Teilsysteme. Die Erstellung diatributionell definierter Teilsysteme sei ein wichtiger Bestandteil einer umfassenden Beschreibung des Lautsystems einer Sprache. Dem ist zuzustimmen. Wenn ich mich im folgenden nicht sehr ausführlich mit der Vokaldistribution beschäftige, dann wegen des Umfangs und der Verschiedenartigkeit meines Materials und deshalb, weil es mir mehr um prinzipielles Erklären gewisser Lautwandeltypen geht als um eine erschöpfende Beschreibung des Lautsystems eines bestimmten Dialekts. Zu einer Unterscheidung zwischen zentralen und marginalen Phonemen eines Dialekts vgl. CROTHERS 1978:102f; zur Frage des Korpus bei der Phonemsystemerstellung vgl. PHILIPP 1974. Als Basis für die in Teil 2 vorgenommenen Untersuchungen zu den Lautsystemen und Lautwandlungen in wnord. Dialekten werden nur ererbte germ. Lexeme und voll integrierte Lehnwörter herangezogen. MOULTON 1963; 1968 weist darauf hin, daß im bloßen Vergleich von Lauten und Lautsystemen nahe verwandter Mdaa. kein großer Erkenntniswert liege. Die bloße Feststellung, zwei oder mehr Dialekte hätten, womöglich auf hohem Abstraktionsniveau, "gleiche" Phonemsysteme, sei wenig befriedigend. Neben der genauen Beachtung der Realisierungen der Phoneme in verschiedenen Umgebungen, sei auch die Lexem-Phonem-Verteilung vergleichend zu untersuchen. Dialekte mit auf einem bestimmten Abstraktionsgrad gleichen Phonemsystemen können unterschiedliche Verteilungen dieser Phoneme auf Lexeme aufweisen, die in beiden Mdaa. vorkommen, was auf unterschiedliche diachrone Entwicklungen schließen läßt: "As soon as we follow this procedure [eines Vergleichs der Phonem- LexemVerteilung] in a synchronic analysis, however, we have taken the first step toward a diachroric analysis; for the setting up of sets of lexical correspondences ... is the first step in the comparative method of reconstruction that is so widely used in diachronic linguistics. We can take this step gladly, because it leads us directly to the second dimension which we wish in any case to use: the dimension of history." MOULTON 1968:578. Den Forderungen MOULTONS 1968, die moderne Dialektologie habe in jedem Falle drei Dimensionen zu beachten, die der Zeit, die des geographischen Raums und die des Systems, ist uneingeschränkt zuzustimmen.

1,2

Vokalsysteme

1 .2.1

Systemrautr

"Die klassischen Phonetiker haben uns vor allem e r k l ä r t , was man von einem bestimmten Phonem erwarten kann, das dieser oder jener Bedingung in der Kette unterliegt. Der Phonologe will vor allem aufzeigen, was man von einem Phonem erwarten kann, das diesen oder jenen Platz in dem einen oder anderen System einnimmt." MARTINET 1981:26

19

Die in Opposition zueinander stehenden Lautwerte einer Sprache befinden sich in einem System von Beziehungen zueinander, dem Lautparadigma. Dabei ist sinnvollerweise ein Unterschied zu machen zwischen Lautklassen grundsätzlich unterschiedlicher Bildungsweisen: den Vokalen und Konsonanten.™ Diese Lautklassen werden durch übergeordnete Gegebenheiten in Subklassen geteilt i vgl. 1 . 1 . 3 ) . Ich möchte mich im folgenden ausschließlich mit den Teilsystemen der betonten Vokale bestimmter Quantität und Spannung beschäftigen. Wie aus 1.1.2 hervorgeht, lassen sich die Einheiten eines solchermaßen abgegrenzten Systems mit den Parametern der horizontalen und vertikalen Zungenposition und der Lippenstellung beschreiben. Gewisse Kombinationen dieser drei Dimensionen bilden dabei universelle Extremwerte, die den "Raum" abstecken, innerhalb dessen die einzelnen Vokalqualitäten realisiert werden können. Das artikulatorisch definierte Vokalsystem ist demnach als Nachbildung der Mundhöhle zu betrachten, in dem die Einheiten nach der Zungenposition f i x i e r t werden. Das Merkmal der Lippenstellung t r i t t notwendig hinzu. Zunge wie Lippen kennen keine "Rasterstufen« zwischen den Extremwerten I - A - U (vgl,1.2, l .1; 1.2.1.2), sondern nur ein Kontinuum mehr oder weniger natürlicher/komplexer Bewegungs- und Stellungsweisen.

In den folgenden Unterpunkten mochte ich den artikulatorischen Raum, den ein Vokalsystem aufspannt, und dessen akustisches Korrelat, genauer untersuchen, sowohl bzgl. der innerhalb dieses Raumes herrschenden universellen als auch der sich aus einer bestimmten Systemkonstellation ergebenden Bedingungen, die die einzelnen Vokalrealisierungen bewirken und die wiederum auf diese zurückwirken. 1 . 2 , 1 . 1 Physiologischer Raum Die Eckdaten von Vokalsystemen werden artikulatorisch durch die möglichen Extremwerte der Zungenposition bestimmt; es sind dies die Dimensionen max. offen - max. geschlossen und max. palatal - max. velar. Als dritte Dimension tritt die Lippenstellung max. gespreizt - max. gerundet hinzu. Diese artikulatorischen Grunddimensionen spannen eine Pyramide auf. Als Rahmen für die Vokalproduktion gilt demnach (vgl. CROTHERS 1978:97 und 99):

FIGUR 2 10 Es sei damit nicht ausgesagt, daß Vokale und Konsonanten phonetisch wie distributioneil immer eindeutig unterschieden seien, daß es keine Grauzonen und vielfältigen Übergänge zwischen diesen Klassen gäbe.

20

Diese Darstellung ist insofern eine Idealisierung, als die drei Dimensionen keine gleichrangigen Größen sind und ihre Kombinationen vor allem aufgrund des Baus der Artikulationsorgane gewissen Restriktionen unterworfen sind bzw. gewisse Präferenzen aufweisen. Die Bedingungen, die sich hieraus für die möglichen Vokalrealisierungstypen universell und in Beziehung zu den anderen Realisierungen eines denkbaren Systems ergehen, gilt es nun darzustellen. Sie verleihen den einzelnen Teilen jedes Vokalsystems zusammen mit der Grundannahme über menschliche Artikulation, nämlich daß mit minimalem Aufwand (hier: artikulatorische Komplexität) eine maximale Wirkung (hier: akustische Deutlichkeit) erzielt werden solle Cvgl. MARTINET 1981:85), eine Eigendynatnik, die die Ursache mancher Lautwandlungen sein kann. Die sich aus den artikulatorischen Gegebenheiten ergebenden Bedingungen für die einzelnen "Positionen" eines Vokalsystems bieten unter Berücksichtigung des Systemganzen, der oben genannten ökonomischen Grundannahme über die menschliche Sprache und unter Einbeziehung des sprachlichen Gesamtsystems die Möglichkeit der Erklärung immerhin der Richtung eines großen Teils der Vokalwandlungen.

Die "Positionen" innerhalb eines Vokalsystems sind primär durch die Zungenposition beschrieben. Die Merkmale Rundung/Spreizung sind am ehesten als notwendige Entweder-oder-Entscheidungen (bei nicht-zentralen Vokalen) zu betrachten, wiewohl durchaus unterschiedliche Rundungs-/Spreizungsgrade und -arten unterschieden werden können. In 1 .1 .2 wurde festgestellt, daß Rundung und Velaritat, sowie Spreizung und Palatalita't die physiologisch wie akustisch weniger komplexen Kombinationen sind, und daß diese am ehesten bei minimalem Öffnungsgrad zu realisieren sind. Als "Idealtyp" kann demnach folgendes 3-Vokal-System gelten (vgl. CROTHERS 1978:97):

FIGUR 3 "Tre Vokaler, nemlig A og det aabrte I og ü, blive af Sprogforskerne andeede som Grundvokaler eiler som de mest oprindelige Selvlyd." AASEN 1899:21 CROTHERS 1978 und JAKOBSON 1941 bestätigen die physiologischen wie akustischen Erkenntnisse von der "Idealität" der "Extremvokale" I, A und U. Sie sind universell am häufigsten in den Sprachen der Welt.und werden beim Spracherwerb wahrscheinlich vor den übrigen Einheiten eines gegebenen Systems gelernt. Die erste von CROTHERS' 1978:137 Universalien, gewonnen aus statistischen Untersuchungen einer großen Zahl Vokalsysteme, lautet entsprechend: "1. All languages have / i a u / . "

Im Bezug auf die Kombinationen von· Lippenstellung und horizontaler Zungenposition lassen sich folgende "Wahrscheinlichkeitsaussagen" machen: In einem gegebenen Vokalsystem werden auf einer bestimmten Öffnungsstufe eher pal.-gespr. und vel.-ger. Einheiten vorhanden sein als Einheiten mit anderen Kombinationen

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dieser Merkmale, und die Verbindungen pal.-ger. und vel.-gespr. werden eher bei Einheiten geringeren Öffnungsgrades vorkommen als bei Einheiten mit größerem Öffnungsgrad (vgl, auch WIESINGER 1970,1:30). Diese "VJahrscheinlIchkeitsregeln" dürfen freilich nicht dahingehend interpretiert werden, daß auf einer bestimmten Ö f f n u n g s s t u f e eines Systems kein z.B. pal.-ger. Vokal vorkommen d ü r f e , wenn nicht auch ein pal.-gespr. vorhanden i s t , ferner, daß kein nicht-max. geschl. pal.-ger. Vokal vorkommen dürfe, wenn nicht auch ein max, geschl. im System vorhanden ist. Die Aussagen von JAKOBSON 1968;57: "Thus e.g. the vowel

wnord.

[let:], [letfj,

D-^tJ etc.

Bei Einsilblern mit postvokalisehen Konsonantengruppen sind die Verhältnisse komplizierter; tatsächlich scheinen im Isl., in den fär. und in einigen wnorw. Mdaa. CSogn; Sfj,; Nhl.) sämtlich anord. "überlangen Einsilbler" beseitigt zu sein. Langvokale werden dort vor jeder Art von Konsonantenverbindung gekürzt,2* In den meisten wnorw. Mdaa. finden sich jedoch durchaus Kombinationen aus V : K . K . ; diese sind nur teilweise erhaltene anord, "überlange Silben"; in vielen Fällen ist mit neuerer Längung des Vokals zu rechnen. M JAKOBSEN 1954:44 unteraeheidet z.B. in der Mda. von Kvam/YHard. fünf Phasen bzw. Typen bzgl. der Kombination V : K K , : (la) anord. V hält sich vor bestimmten K-Gruppen, z.B. [tr^mdj PN (Ib) der V wurde sekundär entwickelt, z.B. [ba:dnj n. ' K i n d ' (2a) anord· 7 wurden erst spät gekürzt, d,h. sie machen die spezifische qualitative Weiterentwicklung der anord. V mit, z . B . (jslau u t:j m. 'Mahd' 28 Viele Beispiele in den diachron-phonologischen Darstellungen zum Isl.; die Entwicklungen auf Isl. und den Fär. sind in diesem Punkt weitgehend identisch (zu Literatur vgl. 2.1.2.1 und 2.1.3.1). 29 Zu den durch morphologische Analogie erklärbaren V-Längungen vgl. 2.2.2.3.3.

151

f'kas—taj isl. z . B . anord, visa f. > ['vi:-saj isl.

Vor einigen "schwachen Konsonantengruppen" blieb der anord. Langvokal erhalten oder der anord. Kurzvokai wurde gelängt: (3a) '-YK-KV > '-VK-KV,

z . B . anord. s g t j a v.

> ['ae^:t-ja] i s l .

In den wnord. Mdaa. herrscht also, mit Ausnahme der genannten Mdaa. in Agd. und in der in 2.2.2.3.3 noch zu nennenden Fälle, auch in Mehrsilblern grundsätzlich komplementäre Quantitätsdistribution zwischen betontem Vokal und postvokalischer Konsonanz. Die Quantitätsregeln bei Ein- und Mehrsilblern sind daher auf abstrakterer Ebene zusammenfaßbar, sie folgen einem gemeinsamen Grundprinzip:

158

(a) Steht der betonte Vokal im Wort- oder Silbenauslaut oder wird er von Len is -Konsonanz g e f o l g t , so ist dieser lang - nach einem langen Vokal folgt eine Wort- oder Silbengrenze oder ein Lenis-Konsonant« (b) Steht der betonte Vokal vor einem Fortis-Konsonanten, so ist dieser kurz - nach kurzem Vokal folgt Fortia-Konaonanz.

Wortauslautend werden lange Konsonanten in jedem Falle, Konsonantengruppen in den allermeisten Fällen als Fortis gewertet , kurze/einfache Konsonanten als Lenis. Intervokalisch können phonetisch lange Konsonanten strukturell als eine Verbindung aus zwei durch die Silbengrenze getrennte Konsonanten betrachtet werden, deren erster (die Coda der Drucksilbe) fortisiert ist. Die regulären Silbentypen der mod. wnord. Mdaa. lassen sich, unterschieden nach den oben genannten Gruppen, allgemein folgendermaßen darstellen: (1) Langvokal* Grenze oder Lenis*'

(2) Kur z vokal -t- For t is

OT

(la) Langvokal+Grenze • _y// . '-V-KV tru f . baka v. (ib) Langvokal+Lenis '-VK// ; '-VKi-KjV

lok n.

'-VK:// natt f.

: 'vatn

^//

'-VK'-K(K)V *^i

V

- ; *i™*

V

·

set j a v.

C-VKiKj// ) zu Bp. s.o.

Wichtig für den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Tatsache, daß diese Neuregelung des Qauantitätssystems hin zu einer komplementären Quantitätsdistribution in betonter Stellung zu regelmäßigen Vokallängungen und -kürzungen führte, zu einem "Ineinanderschieben" der anord. Lang- und Kurzvokalsysteme und damit zu tiefgreifenden Umgestaltungen im Bereich des Vokalismus. 2.2.2.3 Weitere Bemerkungen zur Quantitätsumlegung und zu den Quantitätssystemen in den heutigen wnord. Mdaa. 2.2.2.3.1 Mögliche Ursachen der Quantitätsumlegung An dieser Stelle wäre es möglich, ein weiteres Stück die Kausalkette der Sprachentwicklung hinauf bzw. hinunter zuverf olgen . Im Zentrum dieser Untersuchung stehen primär qualitative Entwicklungen von Vokalen und Vokalsystemen im Zusammenhang mit den regelmäßigen Längungen und Kürzungen im Übergang vom Anord. zu den mod. wnord. Mdaa. Auf die Frage nach den Ursachen dieser Quantitätsveränderungen wurde in 2.2,2.2 eine beschreibende Antwort gegeben: die Qrganisa37 Sämtliche Beispiele aus dem Nisl. in orthographischer U m s c h r i f t .

159 tionsprinzipien des Quantitatssysterns wurden vom Anord. hin zu den meisten heutigen wnord. Mdaa. grundlegend umgestaltet. Die sich nun natürlich anschließende Frage ist die nach den Ursachen für diese Umgestaltung, wozu im folgenden nur einige Anmerkungen grundsätzlicher Art gemacht und einige Literaturverweise gegeben werden sollen. In Teil 1 dieser Untersuchung wurde die Annahme angesprochen, Sprachwandel vollziehe sich vielmals als eine Art "Kompensationsgeschäft"; eine im Augenblick erwünschte bzw. sich anbietende Vereinfachung auf einer Qrganisationsebene der Sprache kann weitreichende negative Auswirkungen auf eine andere, nachgeordnete Ebene haben und dort zu Verkomplizierungen, zu Zerstörungen durchgängiger Systematiken führen. In 1.3.2.2 wurde dargelegt, daß der prosodische Bereich, die Ebene, auf der vielfach die Quantitätsregeln von Sprachen organisiert sind, dem segmentalphonologischen vor- bzw. übergeordnet ist. Eine tiefgreifende Veränderung des Quantitätssystems in Richtung auf eine Organisationsfonti, die unter den gegebenen gesamtsprachlichen Unständen als Vereinfachung betrachtet werden kann, wird daher wahrscheinlich nicht ohne (negative) Auswirkungen auf das segmentalphonologische System derselben bleiben {vgl. auch 2 . 5 . 2 ) . Tatsächlich ist die "nord. Quantitätsumlegung" als Vereinfachung interpretierbar. Das verhältnismäßig "unrationelle", aber viele syntagmatische Kombinationsmöglichkeiten bietende anord. System der "freien Quantität" wurde zu einem System der "Isochronie" (vgl. HARTINET 1981), in dem die Quantität der vokalischen wie konsonantischen Segmente in Abhängigkeit von den Betonungsverhältnissen in einem festen WechselVerhältnis steht und somit - ggf. unter Beachtung bestimmter phonetischer Merkmale (vgl. 2.2.2.2) - voraussagbar ist. Den Ausführungen MARTINETs 1981 zu den Zusammenhängen zwischen segmentalphonologischer und proeodischer Ebene, zwischen freier, segmentaler Quantität und einer silben- und akzentgesteuerten Quantitätsregulierung ist kaum etwas hinzuzufügen. MARTINET betrachtet diese Zusammenhänge vor dem Hintergrund seines " S prachökonotnie 11 -Konzepte s und kommt zu dem Ergebnis, daß das leoehronie-System, wie es z.B. das mod. Schwed. und Norw. zeige, tatsächlich eine der rationellsten, am wenigsten Regelaufwand erfordernden Quantitätsorganisationsmöglichkeiten sei. Der Übergang von segmentaler Quantität auf eine Steuerung der Länge-Kürze-Verteilung auf proeodischer Ebene kann also als "Rationalisierungsprozeß" vor dem Hintergrund universeller phonetischer Gegebenheiten betrachtet werden.

Den Ausführungen ÄRNASONs 1980 zu den verschiedenen Möglichkeiten der quantitativen Organisation und deren Veränderung bei Sprachen im Allgemeinen und im Übergang von den altgerm. Sprachen zu den mod. germ. Sprachen im Besonderen ist vor allem an einer Stelle zuzustimmen: Die Veränderungen sind schwerlich als eine Teleologie in dem Sinne zu interpretieren, daß die Sprachen "einen fernen

160 Zustand der langue im Auge haben und über Zwischenstufen anstreben" (WERNER 1985). Die Kürzungen und Längungen von Vokalen in verschiedenen Positionen und zu verschiedenen Zeiten im Übergang vom Anord. zu den mod. wnord. Mdaa. sind zunächst nichts anderes als phonetische Anpassungen im Einzelfall, bedingt und motiviert durch bestimmte prosodische Gegebenheiten und Veränderungen. Die Summe dieser einzelnen, überall dort, wo dieselben ererbten Bedingungen vorliegen polygenetisch auftretenden Veränderungen führt schließlich zu einer grundsätzlichen Umgestaltung eines bestimmten Bereichs des Sprachsystems, in unserem Falle zu veränderten Quantitätsorganisationsprinzipien.3* Als gemeinsamer konditionierender Hintergrund für die im gesamten germ, Sprachgebiet - freilich mit unterschiedlichen Ergebnissen ** - auftretenden Kürzungen und Längungen von Vokalen (und Konsonanten) im Übergang von den altgerm. Dialekten zu den mod. germ. Sprachen und Mdaa. kann ein Akzentsystem, das sich bereits in urgerm. Zeit ausgebildet hat, angesehen werden. Der ausgeprägte Druckakzent auf dem Wortanfang bringt eine Vielzahl phonetischer Anpassungen mit sich; die Energiekonzentration auf der ersten Wortsilbe führt zu einer Informationskonzentration im gleichen Bereich. Umlaut und Brechung, Synkope und Endungsverfall haben demnach letztendlich ihre Wurzeln In denselben Bedingungen wie die uns interessierenden, viel später auftretenden Kürzungen und Längungen von Vokalen in der betonten Silbe.** Unter einem sehr umfassenden Aspekt können alle diese Erscheinungen als phonetische Reduktionsphänomene oder deren Folgen betrachtet werden, lassen sich aus der ständigen Spannung zwischen Abbau der phonetischen Masse/Verringerung der artikulatorlschert Komplexität und dem Erhalt der Informationsmenge erklaren (vgl. LÜDTKE 1979b, 1979c).

Unter Starkdruck ist es phonetisch natürlicher, den Vokal in offener Silbe verhältnismäßig lang zu realisieren, in geschlossener Silbe dagegen eher kurz. Kurze Vokale in offener Silbe und lange in geschlossener sind demnach phonetisch komplexer als die jeweils umgekehrten Quantitäten.tt Entsprechend ist bei 39 Zur Frage, ob die Quantitätsumlegung als ein einheitlicher ömorganisationsprozeß von Regeln, als ein "Ansteuern11 bestimmter (abstrakter) Ziele oder als eine Summe einzelner Veränderungen, phonetischer Vereinfachungen, verursacht durch gemeinsame übergeordnete Bedingungen, betrachtet werden kann, vgl. neben ÄRNASON 1980 und WERNER 1985 besonders LASS 1974, dessen Annahme einer "conspiracy" von RegelVeränderungen ich nicht teilen möchte. 39 Vgl. hierzu besonders LASS 1974, ferner ÄRNASON 1980. 40 Einen Zusammenhang zwischen der "Akzentballung" auf dem Wortanfang und einem Anwachsen der qualitativen Phonemdistinktionen bei gleichzeitiger Reduktion der phonet. Masse stellen allg. LÜDTKE 1979b f 1979c, speziell für die germ. Sprachen BROSNAHAN/TURNER 1958, SZULC 1964 und WEINSTOCK 1975 her. 41 Vgl. hierzu u.a. KRANZMAYER 1956; WIESINGER 1970; LASS 1974; ÄRNASON 1980; MARTINET 1981; vgl. auch LEHISTE 1970, die Skepsis äußert bzgl. der Annahme eines universellen Zusammenhange zwischen "stresa" und Quantität.

161 Konsonanten Länge nach einem kurzen, betonten Vokal phonetisch weniger komplex als nach einem langen etc. Bei ausgeprägtem exspiratorischen Akzent auf der ersten Silbe, wie er in sämtlichen gerni. Sprachen und Mdaa. vorkommt oder zumindest vorgekommen ist, ist ein Abbau der Kurzvokale in offener und der Langvokale in geschlossener Drucksilbe ein phonetisch plausibler und zumindest in seinem Prinzip erklärbarer Prozeß. Das System der komplementären Länge unter Einbeziehung einsilbiger Lexeme, wie es die überwiegende Zahl der wnord. Mdaa. aufweist oder aufgewiesen hat, zeichnet sich durch besonders einfache, durchgehende Quantitätsregeln aus, bedingt aber die phonetisch vergleichsweise komplexe Unterscheidung zwischen langen und kurzen Konsonanten, die dazu noch phonemisch nicht unbedingt notwendig ist: Die Diatinktionen könnten allein durch die Vokalquantität getragen werden. Ein Abbau der Langkonsonanz, der zu einem System, ähnlich dem des Dän, und Nhd., führen würde, könnte als phonetische Reduktion interpretiert werden, die jedoch komplexere, weniger durchgängige Quantitätsregeln mit sich bringt (vgl. MARTINET 1981 ;130ff).

2.2.2.3.2 Zur Chronologie der QuantitätsVeränderungen Vielfach ist es nicht möglich, genaue Angaben darüber zu machen, wann in welchen wnord. Mdaa. welche Vokale in welchen Stellungen gelängt oder gekürzt worden sind. Was oft nur bleibt, ist der Vergleich zweier mehr oder weniger synchroner Systeme, dem des anord. Ausgangssystems, wie es sich aus den schriftlichen Quellen des Hochmittelalters mit relativ großer Sicherheit erschließen läßt (vgl. 2.3J.2; 2.3.2), mit dem der mod. wnord. Mdaa., wobei diese zu Beginn der systematischen dialektologischen Forschung vor mehr als einem Jahrhundert bzgl. der Quantitätsverhältnisse, von Einzelfällen abgesehen, bereits den heutigen Stand erreicht hatten. Durch interne Rekonstruktion, durch Dialektvergleich und durch Auswertung der für die fär. und wnorw. Mdaa. spärlichen spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen lassen sich zumindest in einigen Fällen relative Chronologien erstellen, vielleicht auch ungefähre Angaben zur absoluten Chronologie der QuantitätsVeränderungen - je nach Laut und Stellung - machen.

Außer Zweifel steht die Tatsache, daß man es bei den quantitativen Chistrukturierungen nicht mit plötzlichen Regelveränderungen gleichsam über Nacht zu tun hat, sondearn mit phonetischen Anpassungsprozessen, die sich wahrscheinlich über Jahrhunderte hinziehen und in manchen Mdaa. bis heute noch nicht abgeschlossen sind (vgl. WEINSTOCK 1975:769). So lassen sich gerade bei den Kürzungen anord. V in sog."überlangen Silben" aufgrund der qualitativen Veränderung dieser Lauteinheiten verschiedene Phasen unterscheiden - je nach Qualität und Umgebung der alten Längen Cvgl. JAKOBSEN 1954 und 2.2.2.2),

162 Die Tatsache, daß die Summe der eich über einen längeren Zeitraum erstrekkenden quantitativen "Einzelanpassungen" nicht im Chaos von Einzelregeln, sondern in einem verhältnismäßig konsistenten System mündete, liegt wohl daran, daß vor allem die prosodiechen Voraussetzungen so beschaffen waren, daß die einzelnen Veränderungen grundsätzlich in dieselbe Richtung gingen (vgL. 2.2.2.3.1). Dabei sei nicht in Abrede gestellt, daß, nachdem erst einmal ein bestimmtes, günstiges Quantitätsmuster vorlag, auch Analogie und Systemzwang (Regelvereinfachung etc.) eine nicht unbedeutende Rolle spielen konnte für die endgültige Durchsetzung des Musters und für die Schaffung eines einheitlichen Paradigmas. Was weiterhin die Annahme bestätigt, die Quantitätsumleguna sei zumindest in den wnorw. Mdaa. als allmählich, sich über einen längeren Zeitraum erstrekkende Summe von Einzelveränderungen durchgeführt worden, ist die Tatsache, daß sich in einigen Gebieten Norwegens noch ältere Zustände f i n d e n oder bis vor kurzem zu finden waren: die Veränderungen hin zu einem System der komplementären Lange sind in diesen Mdaa. nicht vollständig durchgeführt (vgl. auch ARNASOK 1980:71).**

Für das Isl. ist es aufgrund der besseren Quellenlage für das ausgehende Mittelalter und der beginnenden Neuzeit, sowie der intensiven Erforschtheit dieser Sprache im Vergleich zu den anderen wnord. Mdaa. eher möglich, die quantitativen Veränderungen zeitlich zu fassen. In seiner Untersuchung vor allem von Reimen und Versmaßen kommt böRÖLFSSON 1929b zu dem Ergebnis, die Quantitatsumlegung, insbesondere die Langung von anord. V vor "schwacher" Konsonanz, sei im Isl. im le.Jh, durchgeführt bzw. abgeschlossen worden (vgl. 2.1.2.1). BERGSVEINSSON 1960 bemerkt dazu, das Datum 1550 könne als Endpunkt eines sich über mehrere Generationen erstreckenden Wandlungsprozesses angesehen werden. Auch ÄRNASON 1980:127-51 kommt nach eigenen ausführlichen Untersuchungen der Veränderungen der metrischen Regeln der isl. Dichtung seitdem Hochmittelalter zu dem Schluß, der graduelle Prozeß der Quantitätsumlegung sei im Isl. im 16.Jh. zum Abschluß bzw. vollständigen Durchbruch gekommen, was als Konsequenz eine durchgreifende Veränderung der metrischen Regeln in relativ kurzer Zeit mit sich brachte. Anzeichen für Kürzungen von v1 vor Langkonsonanten und bestimmten Konsonantengruppen gibt es im Isl. schon um 1200 und es ist anzunehmen, daß die sog, "überlangen Silben" mit Ausnahme der in 2.2.2.2 beschriebenen, im Isl. und in den fär. Mdaa. - im Gegensatz zu vielen wnorw, Mdaa. - schnell und relativ gründlich beseitigt wurden. Keine Bestätigung liefert das Lei. hingegen für die Annahme, die Längung von V sei in Einsilblern zu einem anderen, früheren Zeitpunkt durchgeführt worden als in Zwei- und Mehrsilblern.

42 Zu den erhaltenen "überlangen Silben" in lAgd. vgl. 2.2.2.2 und 2.4.3.1; zu erhaltener Kürze vor einfachem Konsonanten an der südnorw. Küste und im Gudbrandsdal vgl. VOSS 1940 und HOVDHAUGEN 1967 und die in 2.1.2.3.1 genannten Überblicksdarstellungen; zu den abweichenden Strukturen alter Zweisilbler vom Typ '-9-KV in Tinn/Tel. vgl. SKULERUD 1938; DYBDAL 1979:

163 Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die ersten mit der Quantitätsumlegung in Zusammenhang stehenden Veränderungen, Kürzungen von V vor Langkonsonanten und bestimmten Konsonantenverbindungen, bereits während des "klass," Anord. (vgl. 2.3.2) begannen; das Gros der Veränderungen, besonders die uns hier in erster Linie interessierenden regelmäßigen Längungen der nord. vor "schwacher" Konsonanz wurden im Isl, und wohl auch in vielen anderen wnord. Mdaa, in der Spanne vom 14. bis zum lö.Jh durchgeführt, wahrscheinlich in der Form, daß die Vokale in Einsilblern früher gedehnt wurden als in Mehrsilblern. Für einige norw. Mdaa., besonders im Südwesten, aber auch im Nordwesten und in den Gebirgen des Landesinneren, sind z.T. erheblich andere Chronologien anzunehmen (vgl. 2.4.3.1; 2,4.3.3; 2 . 4 , 3 . 4 ) . 2.2.2.3.3 Abweichungen und Weiterentwicklungen Hier seien überblicksartig diejenigen Mdaa, und Mda.-Gebiete im wnord. Dialektraum genannt, in denen die Quantitätsumlegung nicht in der in 2.2.2.2 geschilderten Weise durchgeführt wurde: (1) Regelmäßig erhalten blieb die Struktur ' - V K K ( V ) / ' - V K : ( V ) In vielen Mdaa. von lAgd. (vgl. 2.4.3.1). Diese Mdaa. haben also nicht bloß, wie viele andere wnorw. Mdaa., Vokallänge vor bestimmten "achwachen" Kcnaonantengruppen (in Mehreilblern) bewahrt {vgl. 2.2.2.2), sondern auch Langvokal vor langer Konsonanz. (2) Für einige südnorw, Mdaa. in der Gegend von Arendal wird der Erhalt der Struktur '- // gemeldet(vgl. VOSS 1940). Ferner finden eich in zwei weiteren norw. Dialektgebieten außerhalb dee in 2.1.1 abgegrenzten wnord. Bereiche unvollständige Durchführungen der Quantitätsumlegung:

(3) In der Mda. von Tinn/Tel. existieren noch kurze offene Silben in Zweisilblern (Typ: '-V-KV); die Betonung kann, oder konnte bis vor kurzem, auf die zweite Silbe f a l l e n und dort eine Längung des Vokals verursachen. Häufig herrscht in diesen Beispielen auch eine ausgewogene Druckverteilung zwischen erster und zweiter Silbe, was die Mda. von Tinn und andere Mdaa. in Tel. zu einem Anschauungsbeispiel für das Phänomen des "Jamvekt" (vgl. 2.1.1.1.1) macht. Zu Tinn vgl. SKULERUD 1938; DYBDAL 1979. (4) In den Mdaa. dee nördl. Gudbrandsda]fi sind kurze betonte Vokale vor einfacher/kurzer Konsonanz in Einsilblern erhalten, so daß sich dort drei Typen von Einsilbler mit minimalen quantitativen Unterschieden finden: ( a ) ' - V K / / ( b ) ' - V K / / ( c ) ' - V K K / K : / / ; vgl. SKJEKKELANDl977:18f ; HOVDHAUGEN 1967. Worauf TORP 1982 nachdrücklich hinweist ist die Tatsache, daß in einer Reihe von Fällen in vielen wnorw. Mdaa. das Muster der komplementären Quantita'tsverteilung in neuerer Zeit durchbrochen wurde; in Flexionsformen wurde durch analogischen Ausgleich die Struktur '-VK^-Kj wiedereingeführt. Man sei daher bei einer Beschreibung der Quantitätssysteme der Mehrheit der norw. Mdaa. dazu ge-

164

zwungen, einen Unterschied zwischen Langkonsonanten und Konsonantengruppen zu machen. Während nämlich das Isl., die far. und einige wnorw. Mdaa. Langkonsonanz und Konsonantengruppe - von den in 2.2.2.2 beschriebenen, phonetisch erklärbaren Abweichungen abgesehen - gleich behandeln und nur vorausgehenden Kurzvokal erlauben, steht in vielen norw. Mdaa, vor Langkonsonanz grundsätzlich nur Kurzvokal, während vor Konsonantenverbindungen sowohl kurze als auch lange Druckvokale stehen können. Gemeint sind hier nicht die verschiedenen, in 2 . 2 . 2 . 2 beschriebenen Fälle von "achwachen Koneonantengruppen", die vorausgehenden Langvokal fordern und sich relativ problemlos in ein phonetisch basiertes System der komplementären Länge einfügen. Hier geht es um Formen der morphologischen Analogie: Tritt z.B. an ein Adj. der Struktur '-VK// im Neutrum ein -£, so ist nach 2.2.2.2 eine Vokalkürzung zu erwarten. Dies ist im Isl., den f ä r . und einigen wnorw. Mdaa. (Sogn, S f j . ) auch der Fall, Für das Isl. gilt z . B . : ['ri :k]^[jrikt] , ['spa:kj 'vQspakt] etc. TORP 1982:36 nimmt an, dies sei einmal auch in nahezu allen wnorw. Mdaa. so gewesen. Heute läßt sich dort hingegen vielfach ein Erhalt der V feststellen, wie auch bei bestimmten Verben der Struktur '-VKV im I n f » in den Formen des Prät. und Part. P e r f . , z.B. £'ri:k]^(jri:kt] , Jjspaik]^ jjspa-.kt], [ 1 leika]'v['leikte]'v Qleikt](vgl. TOSP 1982;38f). Die Vokallänge in der Drucksilbe bleibt also - scheinbar in zunehmendem Maße in den wnorw. Mdaa. - in sämtlichen Flexionsformen unverändert, es werden durch morphologisch motivierten, analogischen Ausgleich neue "überlange Silben" geschaffen. Die zuletzt genannten Erscheinungen sind aus dem Bestreben nach möglichst einheitlichen, nicht durch "unnötige" phonologische Alternanzen gestörte morphologische Paradigmen erklärbar (vgl. MAYFJRTHALER 1979; 1981). Sie sind wohl dazu geeignet, die in 2.2.2.2 beschriebenen, durchgehenden phonetisch-prosodischen Quantitätsregeln zu stören bzw. deren Formulierung erheblich zu erschweren, haben jedoch für die im Rahmen dieser Untersuchung interessierenden Entwicklungen vom Anord. zu den (ältesten Stufen der) heutigen wnord. Mdaa, keine weitere Relevanz.

2.2.2.3.4 Distinktivitätsdiskussion Die Frage, welche Elemente in einem System der komplementären Länge denn eigentlich die Quantitätsdistinktionen tragen, die Vokale, die Konsonanten, sowohl als auch oder weder noch, hat vielen namhaften Strukturalisten Kopfzerbrechen bereitet, ohne daß sie auf eindeutige Weise hätte gelöst werden können. Für unsere Fragestellung, die sich in erster Linie mit den phonetischen Veränderungen von Vokallauten, sowie mit den paradigmatischen Beziehungen der Vokale zueinander beschäftigt, ist es letztlich irrelevant, welche Einheiten in der Kette im Rahmen einer streng Struktur aus tischen Theorie distinktiven Status besitzen. Was hier zahlt ist die Tatsache, daß in sämtlichen wnord. Mdaa. eindeutig zwischen langen und kurzen Vokaleinheiten geschieden werden kann, die dazu noch oft genug nicht in einem 1:1-Verhältnis zueinander stehen und qualitativ mehr oder minder

165

deutliche Unterschiede aufweisen. Was RISCHEL 1968:96 in der Einleitnug zu seinen Untersuchungen zur Entwicklung des far. Vokalsystems schreibt, mag daher auch für die vorliegende Arbeit gelten: "The problem of phonemic distinctness in itself is of marginal interest in the context of this paper, since it is a matter of interpretation of the difference f V : C ] : [ y c Q i which is unquestionally phonemic in i t s e l f . "

Bei einer diachron-vergleichenden Betrachtungsweise ist das Aufstellen getrennter barg- und Kurzvokalsysteme unbedingt gerechtfertigt und notwendig, unabhängig davon, ob ein bestimmter strukturalistischer Ansatz dem Quantita'tsunterschied bei den Vokalen distinktiven Status zuweist oder nicht. Zu verschiedenen Lösungsvorschlägen zum Problem der Quantitätsdistinktion im Wnord. vgl. die umfangreiche, kritische Zusammenfassung der Forschung bei ARNASON 1980:14-23, der insbesondere auf die Arbeiten von BEFGSVEINSSON 1941 ; MALONE 1952, 1953; HAUGEN 1958; BENEDIKTSSQN 1 963 und GARNES 1972, 1973 näher eingeht, sowie eigene Gedanken zu dieser Problematik liefert. Weitere Literatur zur Frage der QuantitatsdistinktionsZuweisung im Isl, wurde in 2.1.2.1 genannt. Die verschiedenen Lösungsvorschläge zum Isl. lassen sich meist mit nur geringen Modifikationen auf den Großteil der übrigen wnord. Mdaa. übertragen. Schließlich sei noch auf die Arbeiten von KUFNER 1961; GLADIATOR 1971 und BANNERT1976 hingewiesen, die die Frage der Quantitätsdistinktion bei Vokalen und/öder Konsonanten in einem System der komplementären Länge anhand von Beispielen aus mittelbair. Mdaa. diskutieren; dort wird auch weitere Literatur zu dieser Problematik aus der Sicht der deutschen Dialektologie genannt.

2,3

Der altnordische Vokalismus

Wenn man beabsichtigt, die Entwicklungen des Lautsystems oder eines Teiles davon einer Gruppe eng verwandter Mdaa. transparent und potentiell erklärbar zu machen, so wird man wahrscheinlich den Weg der "diachronischen Rekonstruktion synchroner Phonemsysteme" (WIESINGEK 1977) beschreiten. "Dabei geht es jeweils um die Erschließung mehrerer vokalischer und/oder konsonantischer Phoneinsysteme als präsumptiven Stadien zwischen den gegenwärtigen Systemen und ihrer vorauszusetzenden Basis." WIESINGER 1977:187

Es geht also um die Rekonstruktion von Zwischenstufen, von Entwicklungsgängen von einem gemeinsamen, bekannten Basissystem ausgehend hin zu den empirisch ermittelbaren heutigen Dialektsystemen. Um die Ermittlung und Beschreibung des Basissystems, im vorliegenden Falle des Systems des "klass. Anord.", das als Vorstufe für die Vokalsysteme aller wnord. Mdaa. anzusetzen ist,(vgl.2.3.2.2}, soll es im folgenden gehen.

166

2.3,1

Quellenlage

2.3.1.1 Allgemeines Als Basis- und Bezugssystem für die Vokalsysteme sämtlicher mod. wnord. Dialekte kann das Vokalsystem des Altwestnordischen ** gelten, wie es sich mit relativ großer Sicherheit besonders für die Sprache auf Island im 12.Jh. rekonstruieren läßt. Die wichtigsten Quellen für diese im folgenden "Vokalsystem des klass. Anord." genannten Paradigmas werden von BENEDIKTSSON 1972:116/7 aufgelistet. Es sind diese neben der "Ersten Grammatischen Abhandlung" (vgl. 2.3.1.2] die folgenden: "(1) The orthography of early written documents, that is, in particular, of the earliest extant vernacular manuscripts, from about or shortly after the middle of the twelfth century... (2) The metric properties of Eddie and, in particular, scaldic poetry;,.,.. (3) The body of evidence that may be called comparative, in the strictest sense, that is, the comparison, on the one hand, with later stages of development of the way down to Modern Icelandic, and on the other hand, with the preceding development as determined, in particular, by comparison with historically related languages." BENEDIKTSSON 1972:116/7; vgl. auch AßNASON 1980:96/7.

Die genannten "sources of linguistic evidence" (BENEDIKTSSON 1972:115) können als so gut und erschöpfend ausgewertet angesehen werden, daß sich eigene Quellenstudien zum Anord. im Rahmen dieser Untersuchung erübrigen (vgl. z.B. BRQSNAHAN/TURNER 1958; BENEDIKTSSON 1959, 1972; SKÖMEDAL 1969,1980; HANSEN et al. 1975; ARNASON 1980). 2.3.1.2 Die "Erste Grammatische Abhandlung" Die erste und einzige unmittelbar linguistische Quelle für die Ermittlung des Phonemsystems des Isl. des 12.Jh. - des "klass. Anord." - ist die sog. "Erste Grammatische Abhandlung" eines namentlich nicht bekannten Isländers. Diese Abhandlung von nur wenigen Seiten {vgl. den Faksimile-Abdruck bei BENEDIKTSSCN 1972: 84-90) hat sowohl wegen ihres Inhaltes als auch aufgrund der verwendeten Methode die Aufmerksamkeit vieler namhafter Sprachwissenschaftler und Philologen auf sich gezogen. Aus der reichen Literatur zur "Ersten Grammatischen Abhandlung" seien hier die folgenden Titel genannt; 43 Im Rahmen dieser Untersuchung wird der Einfachkeit halber der Begriff "altnordisch" anstelle der genaueren Begriffe "altwestnordisch/altisländiech" verwendet. "Anord." sei deckungsgleich mit dem norw. Terminus "norr^n".

167 HOLTSMARK 1936; OLSEN 1937; HAUGEN 1950, 1972; BENEDIKTSSON 1961, 1972; ALBANO LEONI 1975; ULVESTAD 1976. Der anonyme Verfasser der "Ersten Grammatischen Abhandlung" (im folgenden EGA) beabsichtigt, vom lateinischen Alphabet ausgehend, dem Aisl. zu einer adäquateren, weniger willkürlichen Orthographie zu verhelfen. Seine Verbesserungsvorschläge nimmt er für Vokale und Konsonanten getrennt vor, wobei er bei den Vokalen wiederum zwischen Monophthongen und Diphthongen scheidet. Das überraschende an dieser Arbeit iat vor allem die hochmodern anmutende Methode und deren Zielgerichtetheit und Nüchternheit. Zwar lassen sich auch bei anderen Schreibern des Mittelalters, so etwa bei NOTKER d.Dt. (um 1000) und dem Angelsachsen ORM (um 1200) Anstrengungen erkennen, das Iat. Alphabet durch kleinere Modifikationen für die Schreibung der jeweiligen germ. Idiome besser verwendbar zu machen, jedoch erreichen diese bei weitem nicht die Systematik und Konsequenz, mit der der "Erste Grammatiker" vorgeht. Daa Besondere an der EGA ist nicht so sehr die Einführung neuer orthographischer Konventionen, so bemerkenswert wie die diesbezüglich gemachten Vorschläge sind, sondern die Tatsache, daß es sich hier letztlich um theoretisch-wissenschaftliche Reflexionen zum Graphemsystem - und damit notwendig verbunden zur Lautstruktur - eines germanischen Dialekts im 12.Jh. handelt. ALBANO LEONI 1975:28 schreibt: "I problem! sono anche stati r i s o l t i , come provano in modo irrefutabile le ecritture alfabetiche essistenti. La differenza conaiste nel fatto ehe non ci sono coneervate le tracce della riflessione (mit Ausnahme der EGA] teoretica o no, ehe ha portato a tali riforme e a tali invenzioni." Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, daß die EGA im Laufe des 12.Jh. auf lel. entstand. HOLTSMARK 1936 engte die Zeitspanne ihrer wahrscheinlichen Entstehung auf 1150-1180 ein, während OLSEN 1937 die Jahre zwischen 1130 und 1150 als Entstehungszeit annimmt. Die eingehendsten Untersuchungen zur Datierung der EGA werden von BENEDIKTSSON 1972 vorgenommen. Dieser setzt als terminus post quern 1125, als terminus ante quern 1175 f e s t , betont j e d o c h , daß, wenngleich ein wissenschaftlicher Nachweis nicht geführt werden könne, mit einer Entstehungszeit noch vor 1148, dem Todesjahr Ari borgilssons, zu rechnen sei. Bei seinen Reformvorschlägen für die Orthographie des lel. seiner Zeit - nach BENEDIKTSSON 1972 handelt es sich dabei wahrscheinlich um eine konservative Variante des Isl. des ( f r ü h e n ) 12.Jh. - geht der "Erste Grammatiker" explizit von einem phonemischen Prinzip aus; Jedes Graphem solle nur einen einzigen Lauttyp bezeichnen, jeder Lauttyp solle nur durch ein einziges Graphem wiedergegeben werden. Dieses Prinzip, sowie die Tatsache, daß Wortbeispiele in Form von Listen ( f a s t ) minimaler Paare gegeneinandergestellt werden, hat strukturalistische Sprachwissenschaftler in unserem Jh. zu euphorischen Kommentaren zur EGA und dazu, in diesem Werk eine - f r e i l i c h sehr frühe - Vorwegnahme ihrer Methoden zu sehen, veranlaßt. Gerade die Tatsache, daß ala Bedingung für die Bezeichnung eines Sprachlautes offensichtlich dessen bedeutungsunterscheidende Funktion herangezogen, zur Schaffung einer konsequenten Orthographie also zumindest in Teilen eine Phonemanalyse vorgenommen wird, wird an der Methode des "Ersten Grammatikers" besonders hervorgehoben (vgl. HAUGEN 1950, 1972; BENEDIKTSSON 1972; ALBANO LEONI 1975). Freilich warnt ULVESTAD 1976 in einem scharfsinnigen Aufsatz davor, m i t t e l alterliche Grammatikliteratur allzu sehr aus einem modernen Sprachwissenschafteverständnis heraus zu interpretieren, Diese berechtigte Kritik spricht allerdings nicht gegen die Tatsache, daß wir in der EGA eine ausgezeichnete, verläßliche Quelle zum Lautsystem des Isl. im ( f r ü h e n ) 12. Jh. besitzen.

168

Bzgl. des Vokalismus geht der "Erste Grammatiker" von den fünf Graphemen < a , e , i, o, u> des lat. Alphabets aus und f ü g t vier weitere h i n z u , nämlich < - 9 t ? i ?» " * Er begründet a u s f ü h r l i c h , woher diese neuen Einheiten ihre Gestalt bekommen und beschreibt ihren Lautwert im Verhältnis zu den aus dem Lat. bekannten Vokalen. Die Notwendigkeit der Hinzufügung der genannten vier Vokalzeichen demonstrier t er durch eine M i n i m a l p a a r l i s t e : es werden neun Worter oder kurze Syntagmen gegeneinandergestellt , bei denen die Bedeutungsunterscheidung a l l e i n von den Vokalen getragen wird. Tatsächlich bestätigen sowohl die Ergebnisse der vergleichenden historischen Sprachwissenschaft als auch die ältesten Hss. als auch Reim- und Metrikuntersuchungen, daß das Isl. im frühen 12. Jh. ein Vokalsystem mit neun qualitativ unterschiedenen Einheiten, wie sie der "Erste Grammatiker" beschreibt, besessen hat. Dieses Vokalsystem läßt sich folgendermaßen d a r s t e l l e n :

FIGUR 42 "... the distinction established by the FG [First GrammarianJ in the f i r s t section of the chapter on vowels may be said to receive f u l l confirmation." BENEDIKTSSON 1972:122 Bei sämtlichen dieser neun q u a l i t a t i v unterschiedenen Vokaleinheiten macht der "Erste Grammatiker" des weiteren einen Unterschied zwischen lang und kurz und zwischen nasal und oral; in der Terminologie der mod. Linguistik könnte man sagen, er führt die Merkmale [ilangj und [inasalj ein, Lange und k u r z e , nasale und orale Varianten sämtlicher neun Vokalqualitäten werden wiederum in einer Art Minimalpaarliste gegeneinandergestellt, was zu einer Zahl von 36 scheinbar distinktiven Einheiten f ü h r t . Die aus der EGA herauslesbaren Angaben, das Isl. des ( f r ü h e n ) 12. Jh. habe insgesamt 36 Monophthongphoneme besessen, blieb nicht unwidersprochen. Der Frage, in welchen Fällen tatsächlich im Vokalismus des Isl. des ( f r ü h e n ) 12. Jh. mit Nasalitäts- und Quantitatsdistinktionen gerechnet werden kann, geht besonders eingehend BENEDIKTSSON 1959, 1961, 1964, 1972 nach. Die Ergebnisse seiner Forschungen sollen in 2.3.2.1 besprochen werden, Die Beschreibung der Diphthonge ist weit weniger a u s f ü h r l i c h und systematisch als die der Monophthonge. Immerhin aber f i n d e t das aus der EGA erschließbare Diphthonginventar des Isl. des ( f r ü h e n ) 12. Jh. - drei f a l l e n d e Z w i e l a u t e , mit umschrieben und drei steigende Zwielaute, vom "Ersten Grammatiker" mit < e a , e o , ui> wiedergegeben - seine volle Bestätigung auch in den anderen "sources of evidence" (BENEDIKTSSON 1972:154ff).

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß wir in der "Ersten Grammatischen Abhandlung" eine außerordentlich wertvolle Quelle zur Phonologie des Isl. in 12. Jh. besitzen. Es liegt der seltene Fall vor, daß das Basissystem für diachronvergleichendes Arbeiten nicht bloß als Rekonstruktion aus Quellen und durch Sprachvergleich, sondern in expliziter Beschreibung vorliegt. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn nahezu alle Arbeiten zur Phonologie des Anord., sowie zur diachronen Phonologie der wnord. Mdaa., ihren Ausgang in dem aus der "Ersten Grammatischen Abhandlung" hervorgehenden Phonemsystenn nehmen {vgl. z.B. 1971:324).

169

2.3.2

Der Vokalismus des "Klassischen Altnordischen"

2.3.2.1 Beschreibung des Systems (phonetisch und phonemisch) Aufgrund der Angaben des "Ersten Grammatikers" läßt sich für das Isl. des (frühen) 12.Jh. zunächst folgendes Vokalsystem aufstellen: i : - y: - u : e; - ^: - o :

«: -

a:

- 9:

i - y - u e - ^ - o

1 ~

a

-9

: - y : - 5: e: - 9: - : :

- _ - ?: ä:

- y - u e - ? - ö

S - _ - 9 i.

ei

es

ey

ui eo

au

FIGUR 43

Bei diesem "Maximalsystem" tauchen in der einschlägigen Forschung folgende Problembereiche immer wieder auf: (1) Die Distinktion zwischen Nasal- und Oralvokalen. (2) Die Unterscheidung zwischen verschiedenen nicht max. geschl. ger. Palatalen. (3) Die Distinktion zwischen einem E- und einem

-Phonem bei den Kürzen.

(4) Der Zusammenfall zwischen A- und D - L a u t bei den Langvokalen. (5) Die qualitativen Realisierungen

der einzelnen Vokaleinheiten.

Ich werde im folgenden auf diese fünf Fragekomplexe kurz eingehen und ggf. auf weiterführende Literatur verweisen. Zur Entwicklung des Vokalsystems des Anord. aus dem rekonstruierten urnord, System vgl. z.B. BROSNAHAN/TURNER 1958; BENEDIKTSSON 1959, 1962; SKOMEDAL 1969, 1980; HANSEN et al. 1975; ÄRNASON 1980. Zu (1): Viel diskutiert wurde die Frage, ob es im Anord. tatsächlich eine Distinktion zwischen Nasal- und Oralvokalen gegeben hat - die EGA ist der einzige Ort, wo sich direkte Hinweise auf dieses Phänomen f i n d e n , vgl. BENEDIKTSSON 1972:130/1 -, und wenn ja, welche qualitativen und quantitativen Einheiten von dieser Unterscheidung betroffen waren. In der älteren Forschung wird die Existenz von Nasalvokalen im Anord. weitgehend bezweifelt (vgl, OLSEN 1883). Neuere Untersuchungen (vgl. BENEDIKTSSON 1972) haben jedoch gez e i g t , daß bei sämtlichen vom "Ersten Grammatiker" angeführten Beispielen langer Nasalvokale im Urnord. ein Nasalkonsonant unmittelbar benachbart ge-i wesen war. Dies kann so gedeutet werden, daß die Nasalkonsonanten eine allophonische Nasalisierung der Vokale verursachten und daß bei einem Schwund der Nasalkonsonanten im Übergang zum Anord. die nasalisierten (und teilweise "ersatzgedehnten") Vokale phonemisiert wurden. Auf einer frühen Stufe - etwa bis zur Mitte des 12„Jh„ - könnte daher das Anord. durchaus einen Satz langer Nasal-Monophthonge mit Phonemstatus besessen haben. Diese wurden - wohl im Verlauf des 12.Jh. - entnasalisiert und f i e l e n mit den jeweils qualitativ entsprechenden Oralvokalen zusammen.** Bei den kurzen Nasalvokalen steht f r e i l i c h bei sämtlichen vom "Ersten Grammatiker' 1 angegebenen Beispielen ein Nasalkonsonant in unmittelbarer Umgebung des Vokals, so daß angenommen werden kann, kurze Nasal- und Oralvokale mit ansonsten gleichen phonetischen Merkmalen sind komplementär v e r t e i l t e Allophone desselben Phonems gewesen. 44 Eine Ausnahme bietet das £, das in der Regel nicht mit 6, sondern mit o zusanmenfiel. ~"

170

Das wahrscheinliche Monophthongphonemsystem des Anord. des ( f r ü h e n ) 12,Jh. reduziert sich damit von 36 auf 27 Einheiten. Da aber auch die langen Nasalvokale wahrscheinlich noch im Verlauf des 12.Jh. in der oben beschriebenen Weise geschwunden sind und keine Bedeutung für die weitere Entwicklung des Vokalsystems hin zu den mod. wnord. Mdaa. besitzen, scheint es gerechtfertigt, generell Nasalvokale nicht mit einzubeziehen bei der hier zu erstellenden Rekonstruktionebasis. Damit gelangen wir zu einem System mit lediglich achtzehn distinktiven Monophthongeinheiten:

i-y-u e - ^ - o . 9 f _ a

i : - y : - u: e: - £ ( s , u . ) legt die Vermutung nahe, der nicht max. geschl., g e r . , lange Palatalvokal sei auf Isl. o f f e n , als ( -Laut r e a l i s i e r t worden. Gestützt wird diese Folgerung aufgrund von innerer Rekonstruktion durch die Darstellung von NOREEN s 1970, die die Annahme nahelegt, ein o f f e n e r , hauptsächlich durch u-UL/Labialisierung von _£ entstandener langer CE-Laut sei im Anord. nicht selten gewesen. Es ist daher an eine Attraktion des 0- durch den ( -Laut zu denken, die zu einem Zusammenfall in einem relativ offenen Laut geführt hat. Dies wäre ein durchaus natürlicher Vorgang, da eine Differenzierung zwischen zwei (funktional gering belasteten) ger. Palatalen in einem System mit nur drei Öffnungsgraden als komplex zu bezeichnen ist. ( 2 ) : Aufgrund der späteren Entwicklung (s.u. ) zumindest in derjenigen Variante, die als (einigermaßen) lautgesetzliche Vorstufe des Nisl. betrachtet_werden kann, ist anzunehmen, anord. ^ und a+% haben eine gekoppelte Reihe £ - 5 gebildet. Anord. ^ war - wenn ü b e r h a u p t - eher Glied dieser Reihe, denn der Reihe E - Ö (anord. . e - o ) . (3): Bei den Kurzvokalen finden sich keine Anzeichen einer Differenzierung zwischen einem £- und E- und einem 0- und CE-Laut. Es ist daher anzunehmen, daß es im Isl. des 12. Jh. nur eine (gekoppelte) Reihe halboffener Kurzvokale gegeben hat, deren Realisierung f r e i l i c h wahrscheinlich relativ o f f e n war, worauf auch der Zusammenfall zwischen e ... synes vera ungefär samtidig med ^>a&, altsa fran 1200talet." LEJSTRÜM 1934:326 Die Tatsache, daß nicht alle i-ÖL-Produkte von £ delabial isiert wurden und daß der u/w-UL von _e zu einem CE -Laut geführt haben solle, der im Gegensatz zum 0-Lsut aus £ als ger. Palatal erhalten blieb, sind Ungereimtheiten, die die Annahmen LEJSTRÖMs fraglich erscheinen lassen. Andererseits steht außer Zweifel, daß es im 13. Jh, auf Isl. zu einer Vielzahl von Delabialisierungen kurzer (geschlossener?) 0-Laute, hauptsächlich i-UL-Produkte von £, kam, ohne d a ß d a f ü r klare Regeln angegeben werden könnten (vgl. BENEDIKTSSON 1972:153). Die folgenden Überlegungen sind möglicherweise geeignet, etwas Licht in die undurchsichtigen Verhältnisse zu bringen: Im Isl. des 13. Jh. hat es eine (phonetisch motivierte) Tendenz zu einer Delabialislerung ( v g l , 1.3,4.4) nicht max. geschl., ger. Palatalvokale gegeben.

183 Diese Tendenz erfaßte wahrscheinlich sowohl Lang- als auch Kurzvokale. Bei den Langvokalen kam es entsprechend zu einer vollständigen Delabialisierung. Bei den Kurzvokalen hingegen, die aufgrund ihrer Herkunft aus verschiedensten Quellen, vor allem aber wegen der kurz vorher geschehenen Fusion zwischen £ und $, einen enormen, verschiedene Öffnungsgrade und verschiedene Grade der P a l a t a l i t ä t / V e l a r i t ä t abdeckenden Allophonspielraum besaßen, wurde die Entrundung nur unvollständig d u r c h g e f ü h r t , erfaßte wohl nur einige Fälle geschl., voll palataler 0 ' s , f ü h r t e zu regelloßem Wechsel zwischen E und 0, bisweilen wohl auch zu Rückgängigmachungen der Entrundung durch Lautereatz. Die Tatsache, daß nicht alle kurzen (S/(E-Laute entrundet wurden, was erst die Möglichkeit zu deren Rückgängigmachung in manchen Fällen bot, hat vielleicht auch darin einen Grund, daß die Reflexe von anord. £ zwar phonemisch mit denen von i_ zusammengefallen, phonetisch aber noch immer eher palatovelar denn palatal waren ** und sich vor allem aufgrund der fortdauernden Prod u k t i v i t ä t und großen morphologischen Relevanz des u-UL von £ in einem ständigen Alternationsverhältnig zu diesem stand. ( 4 ) : Wohl noch im V e r l a u f e des 13.Jh. (oder auch schon früher) entwickelte sich der leicht palatovelare anord. OU-Diphthong zu einem stark palatovelaren ÖÜ-Diphthong; dies legt jedenfalls die Tatsache nahe, daß es zu orthographischen Verwechslungen zwischen den Reflexen von anord. ou^ und vor [ijj diphthongiertem i_ kam ( v g l . BANDLE 1956). Der Übergang von einem leicht palatovelaren zu einem voll palatovelaren - und weiter zu einem palatalen Diphthong ist als Abbau artikulatorischer Komplexität zu werten (vgl.1.3.4.3). Dabei kam es zu keinem Zusammenfall mit anord. EI nahelegten. Was weiter gegen die Annahme BENEDIKTSSONs 1959 spricht, ist einmal, daß es in norw. Mdaa. parallele Fälle isolierter "Brechungen" ^> IE gibt (vgl. LARSEN 1914), daß generell "Brechungen" (langer) -Laute, zumindest in gewissen konsonantischen Umgebungen, keine Seltenheit sind,** und daß die anord. Reihe £ - o nur in ganz wenigen wnord. Mdaa. eine gleichsinnige Entwicklung e r f u h r , in der überwiegenden Zahl der Fälle aber aufgelöst wurde (vgl. 2.5,1.2.2). Ich möchte daher die Annahme BENEDIKTSSONs 1959 zur Entwicklung von anord. ^ als zumindest sehr f r a g l i c h bezeichnen und eher mit "pöROLFSSON 1929a und BANDLE 1956 annehmen, daß sich anord. ^ direkt zu IE wandelte. Diese isolierte "Brechung" trat möglicherweise auch bereits früher (13.Jh.) ein als die sich vom 14. bis ins 16. oder 17.Jh. hinziehende schließende Diphthongierung von anord. j+$, £+£ und £ (vgl. BANDLE 1956), welche wohl auch im Zusammenhang mit der Längung von anord. 9 vor "schwacher Konsonanz" gesehen werden muß (vgl. 2 . 5 , 2 ) . Dies würde bedeuten, daß zu einer Z e i t , als die Bedingungen für die schließende Diphthongierung der nicht m a x . g e s c h l . anord. $ eintraten, anord. e_ bereits nicht mehr als langer Monophthong im Isl. existierte."

Bei den anord. Kurzvokalen ist in der Zeit vom 13. bis zum 15.Jh. mit einer zunehmenden Öffnung der geschl. Einheiten zu rechnen, wobei anord. u gleichzeitig Zentralisierung erleidet.40 Nach BANDLE 1956:65ff finden sich deutliche Anzeichen für geöffnetes, zentralisiertes anord. _u bereite in den Hss. des 15.Jh. (Wiedergabe durch etc.). Bis ins 16., in bestimmten Hss. bis ins 17.Jh. wurde aber auch anord. jf von _i^ regelmäßig getrennt gehalten. Dies legt den Schluß nahe, daß während einer längeren Übergangszeit eine 3-gliedrige, palatovelar gestörte Reihe bei den geschl. Kurzvokalen im Isl. vorhanden war. Anord. u_ wurde also wahrscheilich zunächst nur zu einem ( u n g e s p a n n t e n ) Palatovelarlaut ("Zentralisierung", vgl. 1.3.4.3) und konnte e r s t nach der Delabial isierung des y_ zu einem voll palatalen Laut weiterentwickelt werden: i

(vor 1200)

i

( -1500) (nach 1600)

FIGUR 51

58 Vgl. etwa die g-Palatalisierung in z.B. nisl. geva ' g e b e n ' , die, rein vom Resultat her, auch als "e-Brechung" interpretierbar w ä r e . 59 Es könnte auch angenommen werden, daß die Isolation von anord. £ als einziges Phonem eines Öffnungsgrades in einem hochgradig defektiven Vokalsystem mit einen Ausschlag für dessen Diphthongierung gab; so jedenfalls begründet RISCHEL 1968 die Diphthongierung von o_ im Far. (vgl. 2.4.2.1). 60 Ob diese Entwicklung funktional als "Strategie zur Vermeidung von Zusammenf ä l l e n " gedeutet werden kann, soll in 2.5.2 näher besprochen werden.

186 Diese Entwicklung bei den isl. V wäre damit ein Musterbeispiel einer phonet i s c h motivierten Palatalisierung/Zentralisierung ger. Velare als «Iner primären Veränderung, die unabhängig davon e i n t r i t t , ob ein ger. Palatal gleichen Öffnungsgrades im System vorhanden ist oder nicht C v g l . 1.3.4.3).

Als eine weitere Veränderung vor der endgültigen Durchführung der Quantitatsumlegung ist die Delabialisierung von anord. y_, y und ^y zu nennen.*1 Nach BANDLE 1956 lassen sich Spuren der Entrundung regional bis ins 13,Jh. z u r ü c k v e r f o l g e n ; mit einer allgemeinen Durchführung sei aber in der Zeit zwischen 1550 und 1600 zu rechnen. Die Delabialisierung des ^ und ^y ließe sich u.U. durch "Schub" seitens des p a l a t a l i s i e r t e n anord. \i und ou erklären, kaum aber diejenige von anord. ^, da anord. unverändert velar blieb. Da ferner 3-gliedrige, palatoverlar gestörte Reihen geschl. Vokale in den skand. Mdaa. keine Seltenheit sind C v g l . auch die alem. Beispiele bei BEYER 1964), r e i c h t m . E . der Hinweis auf eine Palatalisierung von anord. u. und ou nicht aus für eine Erklärung der Entrundung der genannten Einheiten. Vielmehr ist mit einer eigenständigen phonetischen Motivation h i e r f ü r zu rechnen C v g l . 1.3.4.4 und 2 . 4 , 3 . 2 ) . Die Entrundung von anord. _£, y und ^y f ü h r t e zu Zusammenfallen mit den Reflexen von anord. i, i und ei. Am Rande sei hier vermerkt, daß bei den Diphthongen während einer Übergangsz e i t sogar mit einer 4-gliedrigen Reihe gerechnet werden muß: Der Reflex von anord. 6 bildet im N i s l . mit den Reflexen von anord. ei+^y_ und ou eine 3g l i e d r i g e Reihe. Da die Diphthongierung des o wahrscheinlich nach der Palatalisierung von ou und vor der endgültigen Delabialisierung von ^y eintrat, ist folgender Entwicklungsgang denkbar: (1)

i

C2>

«g i

(3) (4)

k [guj und o_>

Eine weitere wichtige Hda. -Grenze teilt das f ä r . Sprachgebiet wiederum In zwei Bereiche, einen n ö r d l . , mit Nord-Streymoy, Eysturoy und den Nordinseln, und einen südl. ( v g l . Karte V E b ) : Im Norden fallen die (langen) Reflexe von anord. e^ und ^v_ in [pij zusammen, im Süden bleiben sie als ei > [a^] und [py getrennt. Vermittelst dieses Kriteriums lassen sich die vier Orte Hvitanes, Hoyvik, Velbastadlr und Kirkjubfliur (vgl. Karte Vlttb) ausgliedern: es sind dies, Torshavn nicht mitgerechnet, die einzigen Orte auf Streymoy, in denen zwischen anord. ei und ^y in der genannten Weise unterschieden w i r d . Dieses Kriterium i s t , zusammen mit der Entwicklung von anord. £> [guj / 1 j ^ i e neben den vier genannten Orten auch in Torshavn und auf Hestur g i l t , konstitutiv für den S^rstreymoy-Dialekt, der zumindest auf lautlichem Gebiet die Grundlage der "inoffiziellen f ä r . Hochlautung" bildet. Schließlich sei noch auf einen weiteren wichtigen inner f ä r . Unterschied im Bereich des Drucks i Ibenvokalismus hingewiesen; dieser b e t r i f f t die Realisierung von anord. (e+£+)a_ 7* und ^+^. Mit Ausnahme der Nordinseln und des äußersten Nordensvon Eysturoy gilt gesamtfär. [ea :] / [ä] und [ :]/{ ], mit Reihenkoppelung bei den langen Einheiten. In den nördlichsten Orten von 76 Auf Suiuroy gelten, wie oben angesprochen, andere Zusammenfälle anord. Vokalphoneme; die synchronen Realisierungen der offenen Einheiten entsprechen jedoch "normal f ä r . " [ea :J -

196

Eysturoy dagegen und in Teilen der Nordinseln werden die langen Reflexe der genannten Einheiten als reine Monophthonge jj£ :J Coder [k ] ; vgl. NAERT 1958) und {_ä:J realisiert. Zwischen diesen Extremen der "normalf är." Diphthongierung und den reinen Monophthongen im äußersten Norden f i n d e n sich verschiedene (teilweise asymmetrische) Über gangs s tuf en. *7 (1) anord. £+£+·£> [§ } ;

[? 0 < anord. a+Q

(2) anord. _e+_|_-fa> |Va:J - [5~ct:J < anord. £+£ _ (3) anord. a > jjiajj - p a :J < anord. a-f·^

: Teile der Nordinseln und Nord-Eysturoy : sonstiges Gebiet (außer Suduroy ) : Suauroy

FIGUR 62 (vgl. Karte VHg) Die monophthongische Realisierung der langen Reflexe von anord. e+^fa und _a+£ im Norden der Fär. g i l t als eine besonders auffällige regionale lautliche Abweichung von der Sprache S^rstreymoys und der umliegenden Gebiete, als "grob mundartlich" (vgl. WERNER 1968a:468) und ist damit einem gewissen Normierungsdruck ausgesetzt. Die meisten der bisher genannten und in Karte VMg im Zusammenhang dargestellten regionalen Unterschiede im Bereich des Drucks i Ibenvokal Ismus des Far. sind lediglich phonetischer oder historisch-distributioneller Art, betreffen das synchrone Phoneminventar aber bloß am Rande. Die regionalen Unterschiede in der Realisierung der kurzen Reflexe der anord. Diphthonge und diphthongierten Langvokale (Kurzdiphthonge oder kurze Monophthonge vor "starker Konsonanz") stellen zwar, je nach struktureller Interpretation des vokalischen Quantitätsunterschiedes im Fär., auch nicht unbedingt phonemische Unter schiede dar , betreffen jedoch meist die Größe des Laut Inventars : Bei einer Monophthongier un g der Kurzdiphthonge kommt es in den rneistenFällen zu Zusammenfallen mit bereits im System vorhandenen kurzen Monophthongen. Leider ist ea aufgrund mangelnder empirischer Daten hier nicht möglich, ein genaues Bild über den Grad und die Wege der Monophthong! er ung der Kürzdiphthonge in den verschiedenen Teilen der Fär. zu l i e f e r n . Auch sieht es so aus, als lassen sich bei diesem Lautwandel in atatu nascendi nur ungefähre Angaben machen, kaum aber feste Regeln a u f s t e l l e n . So werden in s o r g f ä l t i g e r , langsamer Rede vielfach noch qualitativ einander entsprechende Lang- und Kurzdiphthonge realisiert, bei schneller Rede etc. aber werden die Kurzdiphthonge monophthongiert, wobei die Monophthongierungsprodukte eine gewisse Variationsbreite auf weisen können (etwa [yj , [yj (auch Qj ) als Monophthon7S gierungsprodukt von Als Tendenz läßt sich erkennen, daß die Mdaa. im Norden der Far. mehr zu einem Abbau der Kurzdiphthonge neigen als diejenigen im Süden; am besten erhalten sind diese auf Suduroy (vgl. HERNER 1970). Dort wird nach HAMMERSHAIMB 1891 der kurze Reflex von anord. ou diphthongisch als fei^J realisiert, nicht wie überall sonst ( ? ) auf den Fär. als [$} (=anord. £/_Q ). Am besten erhalten scheinen die kurzen Reflexe von anord. ej_ und $y (im Norden in [p ^] zusammengefallen, vgl, Karte V H g ) , während die (bei Länge diphthongischen) Reflexe von anord, ja und £ vor "starker Konsonanz" scheinbar weitestgehend nur monophthongisch als £y_] und £CE] bzw. [?] (vgl. Karte VHIe) realisiert werden. 77 Die Angaben über die Realisierungen von anord. e+e+a und a+o im Norden der Far. verdanke ich Herrn Prof. Dr. Otmar Werner." 78 Diese Angaben verdanke ich Herrn Prof. Dr. Otmar Werner; vgl. auch RISCHEL 1968; nach ZACHARIASEN 1968:48 scheint ein Abbau der Kurzdiphthonge auch in der Form möglich zu sein, daß diese auch vor "starker Konsonanz" zu "Normaldiphthongen" gedehnt bzw. durch diese ersetzt werden; diese Form der Reduktion tritt vielfach in wnorw. Mdaa. (vgl. 2.4.3.4) a u f .

197 Mit dieser Aufzählung einiger regionaler Unterschiede im Bereich des Drucksilbenvokal ismus des Fär. möchte ich es genug sein lassen, da es nicht im Bereich meiner Möglichkeiten liegt, eine erschöpfende Gliederung und Beschreibung der fär. Mdaa, zu liefern. Auch müßten hierfür mehrere sprachliche Bereiche als bloß der Drucksübenvokalismus herangezogen werden. Es mag genügen, wenn die obigen Ausführungen gewisse Zentren bzgl. der vokalischen Entwicklung erkennen lassen. Als solche Schwerpunkte schälen sich vor allem Sud\iroy mit dem Zusammefall von e+g+e, vielen erhaltenen Kurzdiphthongen und |W+g (+u)> [y]/_Q , Sflirstreymoy mit o> [svj/fqe] und ei> [aj , giy> [p|] , sowie die Hordinseln mit

.§+£+£·* [JE G« A"l^> Ca:l u"^ ei+giy> Jpj] heraus;"die Mdaa. der übrigen Gebiete lassen sich als "Übergangsmdaa." beschreiben oder zeichnen sich durch einzelne Sonderentwicklungen aus.*0 Bei den folgenden Ausführungen zur Rekonstruktion der Entwicklungen des anord. Drucksilbenvokalismus auf den Fär, möchte ich mich auf diese drei genannten Gebiete konzentrieren. 2.4.2.1 Fa'röisch Die Entwicklung des Drucksilbenvokalismus vom Anord. zu den mod. far. Mdaa. ist deutlich komplexer und undurchsichtiger, als die vom Anord. zum Isl., wo wir es weitgehend, vielleicht von ^> [je] abgesehen, mit symmetrischen, gekoppelten Wandlungen innerhalb der anord. Reihenbindungen zu tun haben. Auch ist die Quellensituation für das Isl. ungleich günstiger, so daß wir dort weit weniger als beim Far. auf interne Rekonstruktion und auf Vermutungen besonders zur relativen Chronologie der Veränderungen angewiesen sind. Die nachfolgenden Ausführungen zum Fax. erheben daher nicht den Anspruch auf abschließende Gültigkeit, verstehen sich als Annahmen, die der weiteren Diskussion Nahrung und Anregung liefern sollen. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet das in FIGUR 45 dargestellte System des "klass. Anord.", von dem ich annehmen möchte, es habe für die Sprache auf den Far. um 1200 einheitliche Gültigkeit besessen (vgl. RISCHEL 1968:94). Die Entwicklungen zum Nfär. legen jedoch, ähnlich wie für das Isl, (vgl. 2.4.1.1), einige zusätzliche Annahmen nahe: (1): Anord. £ d ü r f t e in Normalstellung - nicht aber vor Nasal - stark palatovelar, vielleicht als fsT, realisiert worden sein. ( 2 ) : Anord. _£ stand wahrscheilich außerhalb jeden Reihenzusaranenhangs und 79 Vgl. RISCHEL 1968, der teilweise aufgrund derselben Kriterien zu einer Gliederung der f ä r . Mdaa. in drei Gruppen (Nord - Mitte - Süd) kommt. 80 Z.B. Vägar mit anord. £+£+£> fe ; jl·/ CJ und a_+o> C o:w l/_C a ] gegenüber fe:]/_[a] - [?:]/_[a] b z w - Ce 0/_TaT - [°0 CH s°nst auf den

198 war möglicherweise leicht velopalatal, wie es heute in den f ä r . Mdaa. f e s t zustellen ist (vgl. RISCHEL 1964); jedenfalls entzog es sich irgend einer Weiterentwicklung innerhalb eines Reihenzusammenhangs. (3): Anord. ou_ war mit großer Wahrscheinlichkeit bereits um 1200 auf den Fär. ein Palatovelardiphthong, wie wahrscheinlich auch auf Isl. (vgl. 2.4.1.1). Wir kommen damit zu folgendem System betonter Vokale als basig für die f ä r . Mdaa.: i: - y : - u: e:

%:

i - y - ¥ S -

?:

Rekonstruktions-

a

4

- S 3

?i

~

un - (vgl. S0RLIE 1936:39) für anord. e_ und £, der auf einen Zusammenfall dieser beiden Lauteinheiten schon um 1300 schließen läßt. Auch HAMRE 1944:22 nimmt diesen Zusammenfall bereits für das "Anord. f ä r . Prägung" an, was u . U . eine Korrektur des Bezugssystems von FIGUR 63 in diesem Punkt notwendig macht. In jedem Falle können wir davon ausgehen, daß zumindest weite Teile der Fär. keinen langen E- und C-Laut mehr (phonemisch) unterschieden. Eine Begründung dieses Zusammenfalle f ä l l t schwer, auch können nur vage Vermutungen darüber geäußert werden, welche phonetische Gestalt das/die Zusammenf allsprodukt/e gehabt haben mögen. Der Graphemgebrauch legt zunächst nahe, daß es sich eher um einen E-, denn um einen C-Laut gehandelt habe. Damit ließe sich dieser Wandel mit dem - allerdings wohl deutlich früheren - Zusammenfall von anord. £·*·_£ parallelisieren. Die interne Rekonstruktion laßt f r e i l i c h eher auf einen Zusammenfall zwischen &_ und £ in schließen, oder zumindest auf die rasche Entwicklung des Zusammenfallsproduktes zu einem eher offenen Laut ( v g l . RISCHEL 1968); theoretisch denkbar wäre auch eine frühe Diphthongierung zu einem öffnenden -Diphthong, wie ihn heute viele f ä r . Mdaa. u.a. für diese anord. Lauteinheiten aufweisen ( v g l . K a r t e n V H d ; g ) . Die Theorie der frühen Diphthongierung wird von S0RLIE 1936 vertreten, während HJEGSTAD 1915ff diese Möglichkeit ablehnt (vgl. die Diskussion hierüber bei KAMRE 1944:23). Die Frage der wahrscheinlichen Realisierung des Zusammenfallsproduktes von anord. e+ ^ ist zumindest an dieser Stelle nicht zu beantworten, da hierbei

199 dessen späterer Zusammenfall mit anord. a_ (mit Ausnahme von Suduroy, vgl. 2.4.2.0 und Karte VUId) und die unterschiedlichen Realisierungen von kurzen und langen Reflexen in den mod. f a r . Mdaa. mttbedacht werden müssen. Was eine Begründung dieses Zusammenfalle angeht - die f r e i l i c h kaum unabhängig von der wahrscheinlichen Realisierung des Zusammenfallsproduktes gegeben werden kann - so ist zunächst auf die auffälligen Parallelen im Isl. und, wie noch zu zeigen sein wird, in vielen wnorw. Mdaa. hinzuweisen. Zwar kommt es nirgends sonst im wnord. Sprachgebiet zu einem frühen Zusammenfall zwischen anord. k_ und £, nahezu überall aber zu einer Auflösung der anord. e - £-Reihe, sei e s , wie auf Isl., durch eine "Brechung" des £, sei es, wie vielfach in Wnorw., durch isolierte Schließung und/oder Diphthongierung des o. Nur in Ausnahmefällen findet sich im wnord. Sprachgebiet eine gekoppelte, gleicheinnige Weiterentwicklung von anord. ^ und o," was die Vermutung nahelegen könnte, es habe vielfach schon im Anord. keine Koppelung zwischen diesen beiden Lauteinheiten bestanden. Auch wenn dies so gewesen ist, so ist das f r e i l i c h noch keine Begründung für den genannten Zusammenfall, ist lediglich Vorbedingung f ü r eine isolierte Veränderung von anord. ^ und gibt Aufschluß über die Struktur des anord. Vokalsystems in Teilen des wnord. Sprachgebietes. An eine Verursachung des Zusammenfalles von k_ und £ und der nachfolgenden zunehmenden Öffnung des Zusammenfallsproduktes durch außerfär. Beeinflussung ist kaum zu denken, zumal in den u . U . als Vorbilder in Frage kommenden Sprachsystemen keine derartigen Wandlungen zu erkennen sind. Auch eine phonemische Motivation ist wenig wahrscheinlich; weder die Annahme einer "Analogie" zum Kurzvokalsystem, noch eine Argumentation mit der geringen Frequenz/funktionalen Belastung der anord. E/f-Laute (vgl. KING 1978} erweist sich m.E. als stichhaltig. Auch kann kaum damit argumentiert werden, daß, auch unter der Voraussetzung, daß anord. £+£ noch als max. offener ALaut klassifizierbar wäre, dieser Zusammenfall zu einem ausgeglicheneren, dreistufigen System, weitgehend identisch mit dem der Kurzvokale, geführt habe, da wahrscheinlich bereits das Zusammenfallsprodukt ein f-Laut war, oder sich zumindest rasch dazu entwickelte. Diese Öffnung hinterließ eine Lücke bei den -Lauten und führte damit zu einem defekten, phonologisch wenig natürlichen System (vgl. 2.3.1.2.2). Auch die Vermutung, zur Längung neigendes anord. £ habe einen "Schub" auf £ ausgeübt und dies zur Öffnung veranlaßt, ist kaum haltbar. Einmal ist zur Zeit des Zusammenfalls zwischen anord. + ^ noch nicht mit einer generellen Längung der anord. 9 zu rechnen, sodann führen derartige phonemische "Sehübe" kaum zu Reihenauflösungen und isolierten Weiterentwicklungen, ferner wäre in diesem Falle eher mit einem Ausweichen des _e in Sichtung auf zunehmende Geschlossenheit zu rechnen, und schließlich kam es auf Suäuroy gerade zu einem Zusammenfall zwischen anord. _e_ und e+£ im Rahmen der Quantitätsumlegung. Letztlich vermag auch die Phonetik keine wirklich plausible Erklärung für den Zusammenfall von e und £ in einem f-Laut zu liefern. Zwar sind "E-Verwirrungen" (vgl. KRANZMAYER 1953) relativ häufig, jedoch führen diese meist zu einer Vielzahl stellungsbedingter Allophone, zu einer Anpassung an die konsonantische Umgebung, kaum aber zu einem vollständigen Abbau der langen -Laute zugunsten des f. Es könnte noch argumentiert werden, eine - phonetisch verständliche - parallele Diphthongierung von *^> EI und o> OU sei auf der Seite des e aus phonemischen Gründen unterbunden worden, da ansonsten "Kollieionsgefahr" bestanden habe zu altem et. Was diese Argumentation freilich fraglich macht 81 In noch weniger Fällen von anord. £ - £ - o; für das anord. $ wurde daher schon oben (vgl. 2.3.2.1 und 2.4.1.1) angenommen, daß es außerhalb eines Reihenzusammenhangs gestanden habe (vgl. auch 2.5.1.2.2).

200

ist die Tatsache, daß einmal e i > A I g e ö f f n e t wurde, obwohl es nicht zu einer Diphthongierung des *£> EI kam, und daß ferner die OU-Diphthongierung des o wahrscheinlich deutlich spater eintrat als der Wandel ^+^> (s.u.). Was also b l e i b t , ist die Annahme eines isolierten Wandels unbekannter Ursache, der gesamtfär. zu einem Zusammenf all von anord. ^t£ f ü h r t e . Das Zusammenf allsprodukt war auf Suciuroy wahrscheinlich ein -Laut, im Rest der Fär. ein £-Laut, Damit d ü r f e n wir für das Ende des 13. Jh. f o l g e n d e Langvokalsysteme annehmen: : - y: - u : M

Suiuroy FIGUR 64

: - y: - u :

o:

:

Sonst auf den Fär . FIGUR 65

In der Zeit zwischen 1300 und 15 4, dem Einsetzen der "jordbgiker", deren Sprache von HAMRE 1944 eingehend untersucht wurde, sind eine erhebliche Zahl von Veränderungen besonders bei den Langvokalen zu verzeichnen, So kam es wahrscheinlich während dieser Zeit zu einer schließenden Diphthongierung von anord. _!+_£, _u und o_, zu phonetischen Veränderungen sämtlicher anord, Diphthonge, und möglicherweise bereits zu einer öffnenden Diphthongierung von anord, ^a+g und ji{+j+_e). Nach HAMRE 1944 sind die Diphthongierungen von anord. _!_+£ und _6 j e d e n f a l l s vor 1584 durchgeführt worden; für eine Datierung der Zwielautung von anord. u fehlen sichere Anhaltspunkte in den Quellen des 16. Jh., es ist jedoch anzunehmen, daß diese parallel zu der von anord. i+£ vor sich ging. Besonders die Diphthongierung von _i+y zu Qii] , auf den Kordinseln auch zu Oitj gehört zu einer der meistdiskutierten Fragen der f a r . Lautgeschichte, ohne daß bisher eine zufriedenstellende Erklärung auch nur des Weges dieser Veränderung hätte gegeben werden können. Stellvertretend für ähnliche Äußerungen sei hier RISCHEL 1968:102 z i t i e r t , der resigniert f e s t s t e l l t : "It m u s t be admitted that the genesis of MF [mittelf är .J / u i / is a crux." AMUNDSEN 1964 versucht sich an einer phonemischen Erklärung dieses und anderer Phänomene der fär. Lautgeschichte, die freilich den Nachteil hat, daß sie weder Rücksicht nimmt auf phonetische Wahrscheinlichkeiten, noch auf die Erkenntnisse zur Chronologie der Veränderungen, die sich aus dem Studium der zwar s p ä r l i c h e n , aber immerhin vorhandenen Quellen ergeben. So bleiben seine Ausführungen trotz guter Ideen besonders bzgl. des Zusammenfalls von i+£ und _£_+£ und deren Diphthongierung zu UI strukturalistische Fingerübungen mit nur geringem R e a l i t ä t s b e z u g . H&GSTAD 1915:97 bemerkt zu dem Übergang von j_+_y zu UI: "Den fs-^yske tviljoden hev so stör likskap med My av _£ i Setesdalen, og er ein so uvanleg yvergang av ^, at ein kan f r e i s t a til aa t r u , det faer^yske M.» hev vorte til under ei samangliding av _! og _£, der _£-! joden hev fenge yver taket : yi ( ? ) . " Diese Beobachtung weist m. E. den richtigen Weg zu einer Erklärung der Verän derung bei den langen f a r . Hoch zungenvokalen. Nach HAMRE 1944:25 weisen die ältesten "jordb^ker" bereits viele -Schreibungen für anord. \_ a u f , so daß angenommen werden muß, der Zusammenf all von 1+y und die gemeinsame Diphthongierung zu UI sei zumindest regional um 1584 bereits vollzogen

201 gewesen. Dagegen scheint die Delabialisierung von y^> i_ später erfolgt zu sein, da sich nach RSGSTAD 1915:104 im 17.Jh. durchaus noch Quellen f i n d e n , die , unct säuberlich scheiden. Als es zur Delabialisierung des j kam, die hier als natürlicher phonetischer Vorgang des Abbaus a r t i k u l a t o r i s c h e r Komplexität interpretiert werden soll, hat also wahrscheinlich längst kein j_ [y:J mehr vorgelegen; ansonsten wäre es kaum erklärbar, wieso sich dieses der Entrundungstendenz entzogen haben s o l l t e . Als Vorstufe für die Diphthongierung von i+y_ und u_ muß eine Spannungszunähme angenommen werden, die zur mittelgaumigen Realisierungen dieser Einheiten f ü h r t e (vgl. 1.3.4.3). Inwieweit dies mit einer allmählichen Umwandlung des anord, Quantitätsgegensatzes in einen Qualitätsgegensatz, in einen Gegensatz zwischen "lax" und "tense", und damit mit einem "Systemdruck" von anord. _ i - _ v _ - _ u auf -,£zu tun gehabt haben mag, sei in 2.5.2 näher d i s k u t i e r t . Die zunehmende Mittelgaumigkeit gerade von i_ und u führte schließlich zu jenem "samangliding av _i o g £ " , von dem HSGSTAD 1915 :97 spricht, und zwar in einem p':], [^:] oder einem ähnlichen Laut:

[ü=] FIGUR 66 i U. Daß eine solche spannungsbedingte zunehmende Mittelgaumigkeit der (langen) Hochzungenvokale keine abstrakte Konstruktion, sondern ein durchaus real vorkommender Wandel ist, belegen eine Reihe von Beispielen aus der Lautgeschichte dt. Mdaa. Vielfach sind diese Velarisierungen und Palatalisierungen auch unmittelbar mit schließender Diphthongierung verbunden, wie nicht anders zu erwarten bei zunehmender Artikulationsspannung in Verbindung mit artikulatorisch komplexer Mittelgaumigkeit (vgl. 1.3.4.3). Dabei können sich die solchermaßen aus I/Y und U entwickelten Diphthonge im selben Wert t r e f f e n , I/Y und U können aber auch zu spiegelbildlichen horizontalen Diphthongen werden. Die anhand der vielschichtigen und gut erforschten Vokalentwicklungen dt. Mdaa. (vgl. WIESINGER 1970) gewonnenen lautmorphologischen Regeln und Wahrscheinlichkeiten (vgl. WIESINGER 1968a und 1.3.1.0; 1.3.4) l i e f e r n uns einen ausgezeichneten Hintergrund, die Bahn der Veränderungen, im Fär. nachzuzeichnen und zu erhellen. Zunächst aber einige Beispiele; Nach WIESINGER 1968a läßt sich in westfälischen Mdaa. eine Veränderung von mnd. _ £ > [tjiij beobachten, z.B. is > tjis] ' E i s ' ; in Teilen des Höchstalem. in der Zentral- und Südschweiz verändert sich mhd. (und teilweise _iu) ebenf a l l s zu jjiij , z.B. hus > [huisj ' H a u s ' . In beiden Fällen f ü h r t der Weg über Mittelgaumigkeit zu Palatovelardiphthongen, sowie über einen natürlichen Abbau der Palatovelardiphthonge durch Entpalatalisierung/Entvelarisierung zu horizontalen Diphthongen, Folgende lautmorphologische Bahnen lassen sich erschließen:

mnd. J_ > [l:] > [fi:] > Qji] > [ui] FIGUR 67

mhd. u > [ :] > f^u:] > [yl] > [u.i]

Mhd. ti kann aber auch zu einem lU-Diphthong werden, wie im Niederländischschlesischen. Dort geht die Entwicklung noch einen Schritt w e i t e r , es kommt zu einer Druckverlagerung auf den zweiten Bestandteil, der Vorstufe für eine Dissimilierung in eine KV-Verbindung ([j\j] ; vgl. WIESINGER 1970,1:52). Der wahrscheinliche lautmorphologische Weg von u zu IU sieht so aus: FIGUR 68

mhd. u > [ü:] > fäu:] > [|u] > ßu]

(vgl. WIESINGER 1970,1:51-53).

202 Ein letztes Beispiel aus einer großen Zahl möglicher sei genannt (vgl. GOOSSENS 1962; BEYER 1964; KÜHEBACHER 1964): Im Langendörferischen der nordb a i r . Sprachinsel Iglau Cvgl. WIESINGER 1970,1:54) erfahren mhd. ^e+üe und u£ spiegelbildliche Entwicklung zu [o,l] und {je.u] , die nur über palatovelare Zwischenstufen gelaufen sein kann: mhd. FIGUR 69

ie+üe > [i:] > ßl0 > f°i] > fe1]

m h d . uo

> [u:j > [$u;] > [g u] > [e,u]

WIESINGER 1970,1 scheint davon auszugehen, daß die Diphthongierung primär, die Palatalisierung/Velarisierung sekundär ist; meist dürften diese Vorgänge aber n i c h t voneinander trennbar sein und häufig ist wohl erst die Mittelgaumigkeit Auslöser für die charakteristische Zwielautung Cvgl. 1.3.4,3). Betrachten wir nun die Veränderungen von anord. i+£ und u im Fär., so stellen wir f e s t , daß es sich dabei um spiegelbildliche Palatovelardiphthongierungen und anschließende (teilweise) Entpalataliaierungen/-velarisierungen des beschriebenen Typs handelt (FIGUR 6 9 ) t anord. j_+£ > jt:] > [|i:] > anord. u

i] > [u i]

> [u:] > [uu:] >*[fu] >*[^u]

Bpj anord. 1s > [ijie]m. 'Eis· sjna>[su,ina]v. 'zeigen' Bp«· anord. hus > [huus]n. 'Haus 1

Dabei ist die Veränderung des u nicht gleich weit fortgeschritten als die des ^_+j; ea ist (bisher) zu keiner völligen Entrundung/Entvelarisierung zu Qu] gekommen. Die ausgewerteten lonbandaufZeichnungen (vgl. 2.1.3.2) liefern z . B . für Svinoy eine Form fi^uj , für Sandur fast voll entvelarisiertes 0u] (vgl. auch HAGSTRÖM 1967). "Dazu ist f r e i l i c h zu bemerken, daß die Realisierungsschwankungen bei derartigen Palatovelardiphthongen beträchtlich sein können innerhalb desselben Mda.-Gebietes. Daß die Entwicklung von anord. _ +£> [^ij tatsächlich den oben dargestellten Verlauf genommen h a t , belegt die" Beobachtung HAMMERSHAIMBs 1891,I:LIV, daß auf den sprachlich konservativen Nordinseln "... en gjennemgaende mere aben udt.af l og y , omtr.=y_^, y j , end i de övrige diall..." "' " vorkomme. Es sieht also so aus, als sei der Entpalatalisierungsvorgang ([j^ij > [jiij) dort damals noch nicht abgeschlossen gewesen. Ob die Diphthongierung von anord. i+y und u in einem direkten Zusammenhang mit der Diphthongierung von anord. ^6 steht, ist schwer zu sagen, wie überhaupt die isolierten Entwicklungen von anord. e, $ und o in den meisten wnord. Mdaa. einiges Kopfzerbrechen bereiten, Faktum d ü r f t e sein, daß e^ spätestens nach dem Zusammenfall von _e+_£ und der Ö f f n u n g des Zusammenfallsproduktes zu (_ : J gänzlich isoliert war. Hierauf weist auch RISCHEL 1968:102 h i n , der die Diphthongierung des £ nachgerade durch dessen Isolation als einziges Phonem eines Öffnungsgrades begründet: "This situation made / o : / susceptible to change and to association with e n t i t i e s outside the subsystem to which it used to belong." Tatsächlich hat sich anord. o nach dessen Entwicklung zu einem velaren oder palatovelaren OU-Diphthong (vgl. Karte V E e ) mit dem - in seiner Gestalt veränderten - anord. Diphthong _ou zu einer neuen, zweigliedrigen Reihe zusammengeschlossen ( s . u . ) . AMUNDSEN 1964 nimmt eine Schließung des o p a r a l l e l zur Palatalisierung des u_ an. Diese Entwicklung ist v i e l f a c h in norw. Mdaa. zu beobachten. Dabei erreicht anord. o_ jedoch in kaum einem Falle max. Geschlossenheit, was Voraussetzung für eine Heihenbindung mit anord. _!+_£ (und u) wäre, und damit auch

203

für die Annahme, anord. i+j_, _u und £ seien in einer gekoppelten, gleichsinnigen Entwicklung als Reihe max. geschl. Langvokale diphthongiert worden. Was neben einer Anzahl anderer Gründe (vgl. 2.4.3.1; 2.4.3.2; 2.5.1.2.1) gegen die Annahme spricht, anord. £ sei gemeinsam mit anord. i+j_~ _u schließend diphthongiert worden, ist die Tatsache, daß sich die Diphthongierungsprodukte von_t-l·^-^ einerseits und £ andererseits strukturell unterscheiden. Anord. _U£ Und u~~haben sich in der geschilderten Weise zu ''schwebenden" PalatoveTardiphthongen (oder deren Weiterentwicklungen) gewandelt, zu nichtreihenbindungsfahigen Einheiten mit ganz bestimmten phonetischen Charakteristika. Es ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß JAKOBSEN in seiner Beschreibung der fär. Laute in der "Fsar^sk Anthologi" (HAMMERSHAIMB 1891) die horizontalen Diphthonge aus anord. ^+y und u nicht ins Diphthongsystem eingliedert, sondern gesondert aufführt - wie etwa auch die Reflexe von anord. j_+£ und u im Isl. als gesondertes vokalisches Teilsystem ("tense vowels", vgl. 2.4.1.1} gewertet werden können. Die Zwielaute aus den alten langen Hochzungenvokalen zeigen im Fär. einen deutlichen "Vorschlag" und einen r e l a t i v langen, betonten zweiten Bestandteil. JAKOBSEN f a ß t die Produkte aus anord. _!+£ und u, sowie anord. £+£+a und £+_£ als "schwebende Diphthonge" mit einem relativen Druckgleichgewicht zusammen und s t e l l t sie den eigentlichen, "breiten", schließenden, fallenden Diphthongen aus anord. e i - ^ v _ - £ u und £ gegenüber. H#GSTAD1917:97 f a ß t die Diphthonge aus _ + und~u als Zwielaute mit "svivsamt trykk" zusammen, während der OU-Diphthong aus anord. o sich scheinbar vom Typ her nicht von den alten Diphthongen unterscheidet. Vieles spricht also dafür anzunehmen, anord. £ sei nicht geschlossen und dann mit anord. i+£ - u diphthongiert worden, sondern habe eine isolierte Entwicklung durchgemacht, wobei f r e i l i c h das Akzentmuster und die zunehmende Artikulationsspannung, die zur Hittelgaumigkeit und schließlich zur Diphthongierung von _l ·*·_£- u f ü h r t e , auch bei der Veränderung des £ im Hintergrund gestanden haben mag. Wieso also eine isolierte, schließende Diphthongierung des o? Der einzige bedenkenswerte Erklärungsversuch ist m.W. der oben genannte von RISCHEL1968: 102, die isolierte Stellung des £ innerhalb des V-Systems habe A u s l o s e r f u n k tion für dessen "Herausdiphthongierung" aus dem Monophthongsystem gehabt. Bestärkt wird diese Vermutung dadurch, daß sich der aus £ entstandene Diphthong tatsächlich mit altem ou zu einer neuen zweigliedrigen Reihe fei - OU angeht, so s t e l l t HAMRE 1944:25/6 f e s t , daß sich um 1584 bereits -Schreibungen für altes £/_Ci f i n d e n ; dies würde bedeuten, daß Diphthongierung wie nordfär. Palatalisierung älter sein m ü s s e n , da wahrscheinlich für das Kürzungs- und Monophthongierungsprodukt eines p a l a t a lisierten QU-Diphthongs steht (vgl. Karte V ü e ) . Die Entwicklung ist demnach so zu denken: Irgendwann im 14. oder 15.Jh. kam es zu einer D i p h t h o n g i e r u n g des £> [QU] ; Dieser Diphthong wurde nördlich des Skopunarf j^rciur - mit Ausnahme von Nolsoy - p a l a t a l i s i e r t (RjuJ e t c . ) und gebietsweise t e i l - d e l a b i a lisiert (bes. Vagar: Jj|uJ e t c . ) . Bei einer Kürzung und anschließenden Monophthongierung vor "starker Konsonanz" wurde der p a l a t a l i s i e r t e Diphthong zu jjasj (Zusamntenf all m i t $+$+-£/_CJ auf den nördlich anschließenden Inseln. Wäre also anord. e+ bereits vor der Quantitätsumlegung diphthongiert worden, so wäre weder der Zusammenfall mit e auf Suduroy, noch die dortige Diphthongierung des a analog zu der von e+4+a und parallel zu der von ä+^ weiter im Norden erklärbar und es wurde noch schwier i g e r , den außerhalb von Suduroy eintretenden Zusammenfall von _e+^ mit anord. a^ plausibel zu machen.

82 N ö r d l i c h des Skopunarfj$rd\ir ( v g l . Karte V ü e ) . 83 Südlich des Skopunarf j^rdur -t- Nolsoy (vgl. Karte V E I e ) . 4 L a u t e r s a t z auf S^rstreymoy und Hestur.

205

So ist es am wahrscheinlichsten, für die Zeit unmittelbar vor der Quantitätsumlegung gesamtfär. eine monophthongische Realisierung der Reflexe von anord. £+£ und a+£ anzunehmen; die Annahme einer R e a l i s i e r u n g von a+£ als [3;j ist dabei verhältnismäßig unproblematisch; zum einen entspricht _a+£> [jj ] der Wandlung, die diese Einheiten im gesamten wnord. Raum durchgemacht haben, zum anderen läßt sich damit das gesamtfär. Kürzungsprodukt (jpj erklären. Bei e-t-e liegt es nahe, mit Ausnahme von Suouroy eine Realisierung als palatales A oder sehr offenen anzunehmen. H i e r f ü r spricht einmal, daß das Kürzungsprodukt nach der Quantitätsumlegung ein - L a u t , k e i n E- oder C-Laut i s t , ferner läßt sich so ein Zusaramenfa.il zwischen e+£ und _a nach der Quantitätsumlegung einigermaßen plausibel machen. Was diese Annahme f e r n e r untermauert ist die Tatsache, daß es vor anord. &+£ - anders als vor +£, ^ und au ( s . u . ) - zu keiner Palatalisierung von altem k, g und sk kam. RANSSON 1983 bemerkt h i e r z u ; "Da / g / , / k / och / s k / inte p a l a t a l i s e r a s framfor /ea/ ... skulle detta kunne tolkas som cm palataliseringen skett pä ett stadium, da det fonem, som utgjorde fortsättningen av fvn ae, e realiserades som ett a - l j u d - före d i f t o n geriseringen. Palataliseringen anses knappast kunna vara äldre an 1500-talet.. ." Diese Annahme, die Palatalisierung der genannten Konsonanten ( - V e r b i n d u n g e n ) sei nicht vor dem 16.Jh. eingetreten, unterstützt die obige Über l e g u n g f daß anord. _ ^ und £, vor welchen ebenfalls keine Palatalisierung geschieht, zur Zeit dieses Wandels, und damit auch zur ungefähren Zeit der Q u a n t i t ä t s u m l e gung, keine Palatalvokale mehr waren, sondern längst via M i t t e l g a u m i g k e i t zu nicht pal. beginnenden Diphthongen geworden sind. Daß auch vor anord. ^ und _£ keine Palatalisierung e i n t r a t , u n t e r s t ü t z t unsere vorsichtige Vermut u n g , daß auch diese Einheiten zumindest in einer bestimmten nfä'r. Periode mittelgaumig realisiert wurden ( s . u . ) . Ob bereits vor der Quart titätsumlegung die R e f l e x e von anord, e+4 und a+ in einer gekoppelten Reihe zusammengebunden waren, ist kaum zu entscheiden, Die Tatsache aber, daß anord. e+§ wahrscheinlich als pal. -Laut r e a l i s i e r t wurde, und daß gelängtes anord. a_ sich zusammen mit anord. _e+£ und £+£ zu einer gekoppelten Reihe fallend-öffnender Diphthonge entwickelte ( m i t Ausnahme der Nordinaeln und Nord-Eysturoy, v g l . 2.4.2.0 und Karte V E g ) , legt die Vermutung nahe, daß die Reihenkoppelung erst nach der Quantitätsumlegung und nach dem Zusammenfall zwischen a und e+4 zustande kam. Auf Suduroy geschah, wie erwähnt, ein Zusammenfall zwischen anord. e+^ und ^ nach der Quantitätsumlegung. Anord. e+_£ waren dort also w a h r s c h e i n l i c h nie zu einem -Laut geöffnet, sondern wurden unmittelbar vor der Quantitatsumlegung als o f f e n e s E oder geschlossenes f r e a l i s i e r t . Eine d e f e k t e Reihe (ohne velares Glied) aus den Reflexen von anord. _e+£ und ^ ist in den Mdaa. von Sud\iroy also n i c h t auszuschließen.

Die anord. Diphthongreihe ed - qiy - ou war im fär, schon früh, jedenfalls vor 1584, durch phonetische Weiterentwicklungen aufgelöst worden. Es ist anzunehmen, daß der alte OU-Diphthong b e r e i t s in anord. Zeit auf den Fär. wie auf Isl. p a l a t o v e l a r r e a l i s i e r t wurde ( v g l . FIGUR 63). E i n e w a h r scheinliche W e i t e r e n t w i c k l u n g s m ö g l i c h k e i t ger. P a l a t o v e l a r d i p h t h o n g e C v g l , 1.3.4.3) ist die D e l a b i a l i s i e r u n g und E n t v e l a r i s i e r u n g eines oder h e i d e r Glieder. Auf den Fär» geschah f r ü h , nach HAMRE 1944:32 m ö g l i c h e r w e i s e ber e i t s im 14.Jh., zumindest eine D e l a b i a l i s i e r u n g des ersten B e s t a n d t e i l e s : jjjuj > [_?uj. Die E n t v e l a r i s i e r u n g und D e l a b i a l i s i e r u n g beider B e s t a n d t e i l e d ü r f t e im 16.Jh. zumindest in weiten T e i l e n der Fär. abgeschlossen gewesen sein. Nach RISCHEL 1968:107 sei die E n t w i c k l u n g von anord. a u > EI "phoneti c a l l y Strange". Dem ist aufgrund des in Teil I d a r g e l e g t e n Wissens über

206 lautmorphologische Zusammenhänge nicht zuzustimmen. Vielmehr kann ein Entwicklungsgang: ou> [ ] > (j|u] > [e,l] > [ei] als durchaus phonetisch motiviert betrachtet werden. Inwieweit der Wandel ou> [ ] In direkter Verbindung steht mit der Delabialisierung von anord. ^ ( u . U . auch von # und _£; s . u . ) und der Palatalisierung von u, wage ich nicht zu entscheiden. Deutlich ist aber, daß im Fär. eine sehr weitgehende Tendenz zu Palatalisierungen und Delabialisierungen bestand, die möglicherweise verschiedene Lauteinheiten zu unterschiedlichen Zeiten e r f a ß t e . Was beschleunigend auf die Entwicklung von altem ou gewirkt haben mag, ist die frühe Diphthongierung von anord. 6 zu einem OU-Diphthong (s.o.), der seinerseits nördlich des Skopunarf j$r3"ur früh palatalisiert und teilweise delabialisiert wurde und damit altem ou_ auf dessen Entwicklungsbahn folgte. Altes c>u und diphthongiertes _o schlössen sich wahrscheinlich bereits vor der Quant i tat sum legung zu einer - vielfach palatovelar gestörten - zweigliedrigen Diphthongreihe zusammen: ou> ßju]

•m ^ FIGUR 71

( [ei]

6

- M- —'

... ...

[eü] )

Ebenfalls alt ist die Ö f f n u n g von anord. _e^ zu einem Maximaldiphthong AI, da anord, g, _k und jtk vor a l t e m e^ nicht p a l a t a l i s i e r t wurden (s.o.). Ferner ist der nach Ausweis der Quellen (vgl. HAMRE 1944:29) spätestens um 1600 vollzogene Zusammenfall von anord. ei-+&l_ zu einem OI-Diphthong im Norden der Fär. (vgl. Karte V H b ) ein Anzeichen d a f ü r , daß die Öffnung des ei älter sein muß, da e i > D I kaum anders als über eine Zwischenstufe AI denkbar ist. Die Ö f f n u n g EI > AI ist ein n a t ü r l i c h e r , phonetisch motivierter Entwicklungsvorgang und bedarf nicht der weiteren Erklärung. Es mag sein, daß die Öffnung von e+^ diesen Prozeß u n t e r s t ü t z t hat - oder umgekehrt. Jedenf a l l s scheint auf Suduroy, wo keine vollständige Öffnung der alten Monophthonge eintrat, anord. e^ als [51^ r e a li s i e r t 2U werden. Ferner ist ein "Schub" auf das alte ei_ seitens des ou> [ ] nicht auszuschließen, wenngleich es stets problematisch i s t , kausale Zusammenhänge anzunehmen, ohne die relative Chronologie zu kennen. Es ist daher auch denkbar, daß anord. ei bereits ein AI-Diphthong war, als anord. ou voll palatales, delabialisiertes [ei] wurde. Daß sich altes ou der Entwicklung zu einem AU-Diphthong, parallel zu ei. > AI entzog, ist dadurch zu erklären, daß die Koppelung zwischen ^i und ou zur Zeit der Ö f f n u n g des ei aufgrund der Palatovelarität des ou bereits stark gestört oder aufgelöst war. Für Palatovelardiphthonge ist Öffnung zu einem Maximaldiphthong k e i n sehr wahrscheinlicher Weiterentwicklungsweg. Dies zeigt sich auch an der Entwicklung des alten Palatovelardiphthongs jiy , der sich e b e n f a l l s der Öffnung zu einem Maximaldiphthong entzog. Anord. giy wurde d e l a b i a l i s i e r t und entpalatalisiert zu einem diagonalen Di-Diphthong. Diese Entwicklung t r i t t sehr h ä u f i g dann ein, wenn die pal.-gespr. und vel.ger. Glieder einer Diphthongreihe EI - 0Y - OU sich zu max. AI- und AU-Diphthongen e n t w i c k e l n und s t e l l t in diesem Falle einen n a t ü r l i c h e n Weiterentwicklungsweg des pal. -ger. Gliedes dar. Beispiele h i e r f ü r sind unschwer zu f i n d e n ; so treten derartige Wandlungen in vielen wnord. Mdaa. ein (vgl. besonders 2.4.3.1 und 2.4.3.2), sowie in hd. Mdaa, mit erhaltener Umlautsrundung (Teile des Ostf rank. , Teile des Hochalenu; vgl. WIESINGER 1970). Anord, _£y_> Dl ist gesamtfär. j e d e n f a l l s vor der Quantitätsumlegung abgeschlossen gewesen; im Norden der Fär. (vgl. Karte V H b ) war um 1600 auch

207

bereits der Zusammenfall von anord, si_+^_> 01 geschehen (s.o.). Die Entwicklung A I > Q l ist als natürlicher Weiterentwicklungsweg des b z g l . des Öffnungsgrades des ersten Gliedes an einen Endpunkt angelangten AI-Diphthong zu betrachten und findet vielfache Parallelen in den hd. Mdaa. (vgl. 1.3.4.1). Damit ist der dialektale Unterschied zwischen dem Norden und Süden der Fär. mit Zusammenfall zwischen ei_ und $v_ vs - deren getrennten Erhalt bereits in die Zeit vor der Quantitätsumlegung zu datieren (vgl. HAMRE 1944:57/8). Folgende Entwicklungswege von anord, ei und jy in den f a r . Mdaa. sind demnach wahrscheinlich: ei ~| )

iiy

U)-^.

LsÜ [a4]

(3)

(D:

gesamtfäroisch

3

L ij

( 2 ) ; außer Suiuroy ( v g l . Karte V H d )

j

( 3 ) : nur im Norden (vgl. Karte V m b )

FIGUR 72

Es zeigt sich also, daß die qualitativen Veränderungen der anord. Diphthonge im 16.Jh. wahrscheinlich bereits weitgehend abgeschlossen waren, daß wir damit zur Zeit der Quantitätsumlegung mit den heutigen (langen) Diphthongqualitäten zu rechnen haben. Bei den anord. Kurzvokalen kam es im Fär. - wie auch im Isl. und in vielen wnord. Mdaa. - in der Zeit vor der Quantitätsumlegung zu geringeren qualitativen Veränderungen als bei den Langvokalen und Diphthongen. Insbesondere kam es zu keiner Auflösung der anord. Reihen i - ^ - ii und e - o, lediglich möglicherweise zu einer etwas stärkeren Öffnung sämtlicher Einheiten (vgl. 1.1.3). Altes a wurde wahrscheinlich bereits im Anord, verhältnismäßig palatal realisiert. Diese Palatalisierungstendenz hat sich weiter verstärkt, so daß wir in der Zeit vor der Quantitätsumlegung mit einer Realisierung als j^aj oder [ä] rechnen müssen, ähnlich der Realisierung von anord. 4+4 (mit Ausnahme von Suduroy, s.o.). Nur so ist der Zusammenfall· von anord. e+£ mit a während der Quantitätsumlegung e r k l ä r b a r , sowie die Schreibung , die HAMRE 1944 für (gedehntes) anord. a_ auf den Nordinseln nachweist. Der Kurzvokal [aj/ C 2 (gesamtfär. für anord. a, sowie für das Kürzungsprodukt von anord. ^+£ außerhalb von SudVroy) macht die Annahme unwahrscheinl i c h , anord. a sei bis zu einem £-Laut geschlossen worden und so mit anord. £+£ zusammengefallen, da dann wohl auch angenommen werden müßte, daß auch kurz gebliebenes a über j_ej zu einem Kur z diphthong { ^ hätte werden müssen, der dann zu [a1] monophthongiert wurde, was phonetisch höchst unwahrscheinlich ist. Es ist daher am plausibelsten, mit einem Zusammenfall von e+£ mit & außerhalb von SudVroy in einem palatalen -Laut zu rechnen, und die EA-Diphthongierung der langen Realisierung dieses Zusammenfallsproduktes als eine sekundäre, neuere Entwicklung zu betrachten. Dies legen auch die Verhältnisse auf Sutiuroy nahe, wo es wohl zu einer Diphthongierung von a_> [ e a : J / : C j , nicht aber zu dem genannten Zusammenfall gekommen ist. Die Verhältnisse im Norden der F ä r . , wo anord. £+£+_a als j~£:J(bzw. [ä:] t vgl. NAERT 1958) und [Sj realisiert werden, zeigt demnach wahrscheinlich einen älteren Stand, wo die langen Reflexe dieses Zusammenfallsproduktem zwar möglicherweise weiter geschlossen s nicht jedoch diphthongiert wurden. Es ist auch anzunehmen, daß anord. £+$> im Norden der Fär. monophthongisch geblieben i s t , und daß die Öffnung und Delabialisierung des langen Reflexes

208 zu fa:] erst in neuerer Zeit, vielleicht parallel zu einer zunehmenden Schließung von anord. e+£+a/_Ci eintrat (vgl. RISCHEL 1968:114; vgl. auch NAERT 1958, dessen phonetische Beschreibung für die Nordinseln ein System mit zwei langen -Lauten: [ :]-[ :] nahelegt). Die Öffnung und Entrundung von lang gebliebenem anord. a+g im Norden der Far. f ü h r t e j e d e n f a l l s zu einem ausgewogeneren System und kann als Alternativentwicklung zur öffnenden Diphthongierung sonst auf den Fär. betrachtet werden. Was diesen Wandel zweifellos begünstigt, ist die Tatsache, daß gekürztes anord. a+% mit gekürztem anord. £ in [$\ susammengefallen war, und der lange Reflex von anord. £+£ daher als isolierte, außerhalb einer V-?-Korrespondenz stehende Einheit betrachtet und weiterentwickelt werden konnte. Inwieweit die Delabialisierung von anord. y > _i bereits vor der Quantitätsumlegung eingetreten war, ist schwer zu entscheiden; HAMRE 1944 rechnet mit dialektalen Unterschieden: In gewissen Hss. aus dem 16.Jh. sei der Zusairmenf a l l bereits vollzogen, in anderen aus dem 17.Jh. werde noch ein regelmäßiger unterschied zwischem altem i_ und y_ gemacht. SVABO schreibt dann 1740 konsequent < i ; i i > für die kurzen und langen Reflexe von anord. i_ und £. Mit einiger Sicherheit kann angenommen werden, daß zu der Zeit, zu der die Delabialisierung von anord. ^ eintrat, welche wiederum als phonetisch motivierte Entwicklung betrachtet werden kann (vgl. 1.3.4.4; 2.4.1.1), anord. i_ und 2_ bereits zusammengefallen und diphthongiert sind und daher von dieser Entwicklung nicht berührt werden. Da es zu regelmäßigen Zusammenfallen von _i_+y_> Ci(:)J in a ll e n Stellungen kam, ist es unerheblich, ob die Delabialisierung vor oder nach der Quantitätsumlegung angenommen wird. Da sich noch b i s ins 17.Jh. Spuren des jr f i n d e n , sei Im folgenden davon ausgegangen, das Kurzvokalsystem habe unmittelbar vor Eintritt der Quantitätsumlegung noch eine I-Y-Distinktion gekannt. Eine Erklärung der Entwicklung der 0/CE-Laute ist für das Fär. ebenso problematisch, wenn nicht noch schwieriger, wie für das Isl. Auf die Frage, wieso es nicht zu einer Delabialisierung von anord. j4, parallel zu der von y, gekommen ist, kann dieselbe Vermutung geäußert werden, wie es für den Fall des Isl. geschehen ist {vgl. 2.4.1.1). Die Tatsache, daß auch anord. ^ weitgehend unverändert erhalten blieb, ist erstaunlich, und die Vermutung, dies habe an dessen mittelgaumiger Realisierung gelegen, entbehrt des Beweises. Andererseits ist es a u f f ä l l i g , daß es auch bei den max. geschl. V nicht zu einer einfachen Entrundung des _y kam, sondern daß vielmehr eine Velaris i er ung/Rundung des i_ angenommen werden muß ( s . o . ) ; dies unterstützt die Vermutung, sämtliche nicht offenen langen Palatale hätten eine Tendenz zur Mittelgaumigkeit gehabt. Die Tatsache, daß vor der Quantitätsumlegung kein langer -Laut mehr vorhanden w a r , kann nicht als Hinderungsgrund für die Delabialisierung des j>_ angesehen werden, eher im Gegenteil: ^> E hatte eine Lücke im Langvokalsystem a u s g e f ü l l t . In diesem Zusammenhang ist noch auf die Untersuchung von S0RLIE 1936 hinzuweisen, der die Schreibungen < e , a e , aey> für anord. ^, ^ und ^y_ in Hss. des 14.Jh. auf f r ü h e Delabialisierungen der 0-Laute zumindest in Teilen der Fär. zurückführen möchte. Es ließen sich j e d e n f a l l s für das 18.Jh. noch eindeutig Mdaa. mit Entrundung der 0-Laute - lang wie kurz - nachweisen. S0RLIE 1936: 46 verweist in diesem Zusammenhang auch auf eine Bemerkung JAKOBSENs in der "Faeriisk Anthologi" (HAMMERSHAIMB 1891,1;60), daß auf Skuvoy mit so schwacher Lippenrundung ausgesprochen werde, daß es laute "... nisten som henholdsvis _«_ og eg, dog med en lille f o r s k e l l fra virkeligt je og ea." Auf Skuvoy und in Sand auf Sandoy sei die Delabialisierung so verbreitet gewesen, daß Spottverse h i e r ü b e r noch bekannt seien (S0RLIE 1936:46). Auch

209 ließen sich die Delabialisierungen anhand der Lieder aufZeichnungen von KLEMENTSEN 1819 im Sandoy-Dialekt belegen, der für langes wie kurzes 0 schreibe. Daß anord. +> E - nach der Quantitätsumlegung - auf Sandoy und Skuvoy durchgeführt w a r , gelte als erwiesen; S0RLIE 1936:49 schränkt aber ein: "Delabialiseringen av i_ har v i a s t bare veert gjennomftfrt dialektisk i faer^isk; det kan ikke pavises nordenfjordsk," Auch auf Suduroy können keine Delabialisierungen der 0-Laute nachgewiesen werden. Die rasche und vollständige Rückgängigmachung der Entrundung auf Sandoy und Skuvoy lasse nach S0RLIE 1936:49 darauf schließen, daß diese f r ü her weitere V e r b r e i t u n g auf den Far. h a t t e ; ob dem so war, sei dahingestellt. J e d e n f a l l s ist für die zentralen Mdaa. des Fär. keine Delabialisierung der 0-Laute anzunehmen, da sonst deren Rückgängigmachung durch Lautersatz auf Skuvoy und Sandoy nicht plausibel würde. Auch legt die Tatsache einer gebietsweisen f r ü h e r e n Delabialisierung von sowohl _ ale auch ^ die Annahme nahe, diese Entwicklung sei erst nach einem Zusammenfall dieser Einheiten, also nach der Quantitätsumlegung, vielleicht parallel zur Entrundung von anord. _y_, eingetreten; zwingend ist diese Annahme f r e i l i c h nicht. Einer gesonderten Erklärung bedarf die Entrundung von anord. $ und ^ auf Skuvoy und Sandoy n i c h t , eher schon der Erhalt der ger. Palatale im Rest des f ä r . Sprachgebietes. Was bemerkenswert ist an den wahrscheinlichen Vorgängen auf Skuvoy und Sandoy, i s t , daß man es bei der Wiedereinführung der 0-Laute nicht mit Lautwandel, sondern mit Lautersatz zu tun hat. Dies z e i g t , daß man auch auf den Far. nicht in jedem Falle nur mit phonetisch motivierten, von sozialen Faktoren unbeeinflußten Lautveränderungen rechnen d a r f .

Für die Zeit unmittelbar vor der Quantitätsumlegung lassen sich damit für die drei zentralen Gebiete mit alten unterschieden in der Vokalentwicklung - Sudiiroy, S^rstreymoy und die Nordinseln, vgl. 1 . 4 . 2 . 0 - folgende Systeme rekonstruieren : Suauroy:

f\

yi: S

:

·· 4

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uu:

;

?1 - ou

14

l

- «i

-