Vǫlo Spǭ: Die Weissagung der Seherin [Reprint 2019 ed.] 9783111644370, 9783111261393


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German Pages 59 [60] Year 1887

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Einleitung
Vǫlo spó
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Vǫlo Spǭ: Die Weissagung der Seherin [Reprint 2019 ed.]
 9783111644370, 9783111261393

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VQIO SPQ Die Weissagung der Seherin. Aus dem Altnordischen übersetzt und erläutert

von

Andreas Heusler.

B e r l i n . Druck und Verlag von G e o r g R e i m e r .

1887.

Herrn Professor Julius

Hoffor

zugeeignet

zum 15. Januar 1887.

Einleitung. Was wir über die mythischen Vorstellungen der alten Germanen wissen, verdanken wir zum grossen Teile scandinavischer Ueberlieferung. In Island und Norwegen entstand vor Alters eine Reihe von Dichtungen und prosaischen Abhandlungen : die erzählen uns von den Schicksalen und Taten der Götter und Helden, der Riesen und Zwerge und der andern guten oder bösen Mächte, an welche der Nordländer glaubte. So wie die Sagen uns hier entgegentreten, sind sie zu eigentümlich nordischen Gebilden ausgestaltet: doch uralte, gemeingermanische Anschauungen sind es, welche wir an allen Enden durchblicken sehen. Also nicht bloss für die scandinavische, auch für die gemeingermanische Mythenwelt sind diese Dichtungen uns Quelle. Und da dies der einzige Fall ist, wo wir aus dem Munde eines germanischen

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Einleitung.

Volkes über dessen eignen lebendigen heidnischen Glauben in ausführlicher Darstellung belehrt werden, ist es eine Quelle von ganz besondrer Bedeutung. Ihren grossen Wert behält aber diese Ueberlieferung nur dann, wenn sie „acht" ist. Ihre Göttererzählungen müssen auf heimischem Boden durch die ausgestaltende Tradition vom alten auf das junge Geschlecht sich entwickelt haben. In ihnen müssen eben jene Gestalten auftreten, welche den wirklichen Glauben des heidnischen Nordmannes ausmachten. Finden wir dieser Forderung nicht Genüge getan, so wird Alles, was wir von den altnordischen Mythen zu wissen glaubten, unsicher, zweifelhaft. Es stand also kein Geringes auf dem Spiel, als vor etlichen Jahren norwegische Gelehrte diese Aechtheit der Eddasagen in Zweifel zogen. „Edda" ist der Name eines in Prosa verfassten isländischen Lehrbuches der Poetik aus dem 13 teD Jahrhundert, welches unter vielem Andern auch eine grosse Anzahl von Göttersagen uns vorführt. Dieser Benennung folgend, hat man eine Sammlung von Götter- und Heldenliedern, welche in einer Handschrift des 13 ,en Jahrhunderts aufgefunden wurde, und auf welche jenes erstgenannte Werk vielfach zurückweist, in spätrer Zeit gleich-

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falls „Edda" geheissen und zwar zur Unterscheidung vom ersteren „die ältere oder Lieder-Edda" *). Diese Liederedda, als die urwüchsigste Urkunde nordischen Götterglaubens, war zumeist von jenen gelehrten Angriffen bedroht. Und wiederum war es Eines ihrer Lieder, welches vor Andern Gegenstand des Streites wurde. Es ist das Lied, welches von der Haupthandschrift an die Spitze der Sammlung gestellt ist, und welches auch seinem mythischen Gehalte und seiner poetischen Gestaltung nach die erste Stelle unter allen Götter- und Heldengesängen des Nordens einnimmt: die Vqluspa d. h. „die Weissagung der Seherin". Eine prophetische Frau verkündet den versammelten Menschen die grossen Weltgeschicke von der ,grauen Urzeit ab bis in die Zukunft. In den Mund der Seherin legt der Dichter eine reiche Fülle dessen, was er und sein Volk von den übermenschlichen Dingen weiss und glaubt. Dieser bedeutende Inhalt wurde zuerst einer weitgehenden Critik unterworfen durch die 1879 *) Das Wort Edda als Titel jener Prosasammlung bedeutete „Poetik"; daneben gab es in Altnordischen ein ganz gleichlautendes Wort mit der Bedeutung „Urgrossmutter". In diesem letztem Sinne fasste man jenen Titel und übertrug ihn auf die Liedersammlung, als auf die verkörperte Weisheit und Dichtkunst der nordischen Ahnen.

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Einleitung.

erschienene Schrift von Dr. theol. B a n g in Kristiania „die Vqluspa und die sibyllinischen Orakel". Der Verfasser suchte zu erweisen, dass wie der Gemeinname der nordischen Seherinnen, VQlva, von dem griechischen Namen sibylla herzuleiten sei, s o auch Composition und Stoff des nordischen Gedichts zu wesentlichen Teilen unter dem Einfluss der griechischen Sibyllendichtungen gestanden hätten. — Diese Dichtungen tauchen seit dem zweiten Jahrhundert vor Christo auf und reichen bis in's fünfte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung. Die ältesten sind von Juden, die spätem von Christen verfasst. Alle haben sie den Zweck, ihre Vorstellungen von der Zukunft der Welt als alte heidnische Prophezeiungen den Menschen vorzuführen, und lehnen sich darum in Einkleidung und Stil an die Orakelsprüche der classischen Seherinnen an. In Irland sollen die Nordländer mit dieser fremden Litteratur in Berührung gekommen sein. Sie unternahmen häufig Kriögsfahrten, die sog. Vikingerzüge, nach der keltischen Insel. Da trat ihnen nun christliche Cultur, verbunden mit Pflege der classischen Litteratur, entgegen. Die Vikinger liessen sich die fremden Geschichten erzählen. Namen und Stoffe, welche sie daraus schöpften, verquickten sie mit eignen Märchen, und so entstanden die nordischen Mythen, die den oberflächlichen

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Blick so urnational anmuten. Sogar ein genaueres Studium der sibyllinischen Orakel. eine eingehende Kenntniss der alt- und neutestamentlichen Schriften wird bei den heidnischen oder halbheidnischen Scandinaviern vorausgesetzt, indem Bang hin und wieder genau wörtliche Uebereinstimmungen des norwegischen Gedichtes mit seinem griechischen Vorbild zu entdecken meint. Als Quelle für den Götterglauben der Nordländer, so schliesst der Verfasser, darf die Vqluspa nicht mehr betrachtet werden. Den Resultaten dieser Bang'schen Arbeit trat Norwegens erster Altertumsforscher, S o p h u s B u g g e , bei. Auf Grund eines ausgedehnten gelehrten Materials stellte er einen grossen Mythenkreis des Nordens mit classischen Sagen und christlichen, grossenteils legendären Erzählungen zusammen: Zug für Zug, oft bis in die unscheinbarsten Einzelheiten hinein, lässt er aus der südlichen Tradition in die nordische herübergenommen sein. Bugge gab der Ansicht von der Unglaubwiirdigkeit der Eddamythen erst die bestimmtere und allgemeinere Fassung. Was er vorbrachte, fand binnen Kurzem bei mehreren deutschen Gelehrten Zustimmung. Da trat K a r l M ü l l e n h o f f der neuen Ansicht entgegen. I n dem fünften Bande seiner „Deutschen Alter-

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Einleitung.

tumskunde" (Berlin 1883) widerlegte er die BangBugge'schen Hypothesen und begründete gleichzeitig in erschöpfender Beweisführung die nationale Urwüchsigkeit der Vqluspamythen. Möllenhoff erinnert daran, dass zu jener Zeit griechische Schriften, also auch unsre Sibyllinen, im Abendlande, mit Ausnahme der griechischen Klöster in Italien, in der Originalsprache nicht gelesen wurden. Und dass in Irland sibyllinische Schriften in Uebcrsetzung Gegenstand des Studiums waren, lässt sich durch Nichts wahrscheinlich machen. Von den keltischen und angelsächsischen Sagen aber hat nachweislich keine einzige jene Umschmelzung in's Nordische erfahren, welche man bei christlichen und classischen Stoffen in zahllosen Fällen behauptet. Wie wäre diese reinliche Scheidung der beiden Elemente bei einer Entlehnung aus Britannien denkbar? Und in welchem Zustand der Weltanschauung hätten wir uns die Verfasser der Eddalieder zu denken? Waren sie Christen, wie konnten sie dann eine so wunderbare Stellung zur eignen Religion einnehmen, dass sie nicht bloss den Glauben an all die heidnischen Mythen in ihren Gedichten zur Schau tragen sondern sogar ihre christlichen Kenntnisse in heidnische Formen einkleiden und

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dem alten Göttersystem einverleiben ? Und waren sie Heiden, wie war es ihnen dann möglich, die christlichen Schriften mit solcher Genauigkeit zu studieren und Stoff daraus in Menge in ihren angestammten Glauben herüberzunehmen, ohne sich eben hiedurch an ihrem Heidentum beirren zu lassen? Auch von innen heraus wird Schritt für Schritt die Unwahrscheinlichkeit der behaupteten Entlehnung dargetan. Wortverwandtschaften und -zusammenhänge werden als nichtig nachgewiesen: vqlva ist nicht = sibylla, Hqd hat Nichts mit dem Troer Paris zu schaffen, u. A. m. Den scandinavischen Mythen stehn vielfach verwandte südgermanische gegenüber, welche verbürgen, dass jene aus urgermanischer Zeit vererbt sind. Die Dichter der Eddalieder setzen in vielen Fällen ihre mythischen Stoffe bei den Zuhörern als bekannt voraus: sie können darum manchen Zug verschweigen, manchen bloss flüchtig andeuten. — In den verschiedenen Gedichten finden sich öfter die nämlichen Züge und zwar in genauester Uebereinstimmung; so herrscht z. B. auch Sicherheit in der weitläufigen Namengebung. Wi e wäre all diess möglich, wenn die Sagen nicht tiefwurzelndes Eigentum des Volkes waren,

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Einleitung.

sondern eine wirre, so oft miss verstandene Aneignung von den Kriegsy.ügen der nächstvorausgehenden Jahrzehnte her? Vor Allem aber darf auf Aehnlichkeiten allgemeinster Natur, wie sie zwischen menschlichen Dingen gleicher Gattung bestehen m ü s s e n , nicht die Annahme eines historischen Zusammenhanges aufgebaut werden. Und lauter solche a l l g e m e i n e Uebereinstimmungen sind es, welche Bang und Bugge aufdecken. Im Norden wie im Süden sind es Seherinnen, durch welche der Dichter über die zukünftigen Geschicke belehrt. Iiier wie dort geht Hand in Hand mit der Zerrüttung der äussern Welt die sittliche Verschlechterung der Menschen. ImnordischenGlauben wie im christlichen wohnen die aus der Weltzerstörung auflebenden geläuterten Geschlechter in prächtigen Sälen unter einem gewaltigen und gerechten Herrscher. Wenn in der Vqluspa sich alles Einzelne leicht aus dem Zusammenhange des Ganzen und aus den Anschauungen des nordischen Volkes erklärt, — wie sollten wir da an fremde Herkunft glauben, gegen welche die stärksten innern und äussern Gründe sprechen? Dass aber das Gedicht in der Tat einheitliche, nordische Eigenart besitzt, wird uns im

Ginleitung.

Einzelnen klar werden, wenn wir Miillcnhoff weit e r folgen. Derselbe hat seine Beweisführung dadurch gekrönt, dass er die Vqluspa unter Vergleichung der verschiedenen

handschriftlichen

Ueberlieferungen,

durch Ausscheidung der spätem Einschiebsel die mutmasslich ursprüngliche

Textform

auf

brachte

und das so gereinigte Gedicht in seinem Aufbau und in seinen einzelnen Teilen sprachlich und inhaltlich erläuterte. So erhält

er „ein grossartig angelegtes Ver-

gangenheit, Gegenwart und Zukunft der Welt umfassendes und bis auf einige hie und da fehlende Zeilen wohl erhaltenes Gedicht", „die höchste Blüte dor ganzen altgermanischen

Weltanschauung."

Diese Dichtung auf Grund der MüllenhofT'schen Arbeit einem weiteren Kreise von Gebildeten in Ursprache und Uebersetzung leicht zugänglich und durch

einführende und begleitende

Bemerkungen

verständlich zu machen, ist der Zweck der folgenden B l ä t t e r .

Man hat die Vqluspa ihres ehrwürdigen Inhaltes

und monumentalen Stiles wegen stets für

das älteste

der Eddalieder

Herder in seinen „Stimmen

gehalten.

So

der Völker".

schon Einige

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Einleitung.

haben sie bis in's sechste Jahrhundert und noch weiter zurückversetzen wollen. Die Untersuchung ihres Versbaues jedoch, des bestimmtesten Criteriums der Entstehungszeit, führt zu andrer Einreihung. Gewisse metrische Formen, deren Verhältnisse durch Sievers endgiltig nachgewiesen sind, werden von den verschiedenen Liedern der Sammlung in ungleicher Strenge innegehalten. Da wir bemerken, dass in der spätem, für uns übersehbaren Zeit die Entwicklung vom Freiern zum Strengern hin führt, dürfen wir den Rückschluss t u n : die ältesten Gedichte sind diejenigen, welche von den metrischen Banden am lockersten umschlossen werden. Von diesem Gesichtspunct aus hat Hoifory gezeigt, dass wir die Vqluspa weder den ältesten noch den jüngsten Eddaliedern beizählen dürfen; denn sie ist metrisch lange nicht so ungebunden wie das Wielandslied, lange nicht so regelmässig wie die Dichtung von Hymir nud Thor. Auch zur Bestimmung des absoluten Entstehungsalters haben wir einen Anhaltspunct. Inschriften beweisen, dass um das Jahr 900 eine tiefgehende Wandelung in der nordischen Sprache vor sich gieng. Hoffory hat beobachtet, dass wir die Vqluspa in jene ältern Sprachformen, wie sie vor der genannten Veränderung bestanden,

Einleitung.

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nicht umsetzen können, ohne damit ihren metrischen Bau völlig zu zertrümmern. Folglich wurde unser Gedicht erst nach 900, sagen wir: um die Mitte des zehnten Jahrhunderts gedichtet. Denn s p ä t e r kann es nicht entstanden sein. In den letzten Jahren des zehnten Jahrhunderts vollzog sich die erste durchgreifende Bekehrung Norwegens zum Christentum, unter Olaf Tryggvason. Unsre VQluspa, die noch so ganz in heidnischer Anschauung lebt, muss vor diese Epoche fallen. Aber sie gehört den letzten Zeiten des nordgermanischen Heidentums an. Sie sammelt noch einmal die voll ausgereiften mythischen Schöpfungen. Indem sie im sinnlichen Bilde das geistige und sittliche Element ausprägt, entrollt sie den altehrwürdigen Stoff in der Gestalt, zu welcher er in dem reflectierenden Geiste der höhern Stände jener Zeit sich entwickelt hatte. J)ass dieser Stoff weit älter ist als sein Dichter, ist gewiss. Wenn man Unrecht hatte, unsre VQluspa, so wie sie uns vorliegt, in die urnordischen Zeiten hinauf'zurücken, so dürfen wir doch die Wurzeln ihres mythischen Inhaltes in noch ältern Schichten suchen. Schon als die Germanen noch ungetrennt beisammen sassen, glaubten sie an einen Untergang der Welt durch Feuer. Müspilli nennen es die Oberdeutschen in dem erhaltenen Gedichte

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Einleitung.

aus dem neunten Jahrhundert, müdspelli die Sachsen. Und in unsrer Vqluspa wie anderswo in nordischen Mythen heisst Muspellsheim die Feuerzone im Süden der menschenbewohnten Erde, aus welcher sich dereinst der Vernichtungskampf erheben wird. Doch auch über den Anfangszustand der Welt muss in urgermanischen Zeiten die Vorstellung sich gebildet haben. „— Die Erde war nicht noch der Himmel droben; da war nicht Baum noch Berg, Sonne schien nicht, noch leuchtete der Mond, noch die herrliche See". So spricht der deutsche Dichter des achten Jahrhunderts; und wie ähnlich der nordische: „Da war nicht Sand noch See noch eisige Fluten; nirgends die Erde noch der Himmel droben; ein gähnender Schlund — und kein grünes Gras". Leider ist uns von dem deutschen Gedichte nicht mehr überliefert, sodass wir die Verwandtschaft mit dem scandinavischen nicht weiter verfolgen können. Aber schon in der erhaltenen ersten Zeile, welche dem Angeführten vorausgeht, tritt ein Unterschied merklich hervor. Der südliche Dichter sagt: „Das erfuhr ich unter den Menschenkindern als der Wunderkunden grösste." Er stellt sich uns als episch erzählenden Poeten vor. Der Nordmann lässt eine Vqlva reden; er fügt seine

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Weisheit in denRahmen einerOrakeldichtung. Aber dass dieses letztere Verfahren den Südgermanen unbekannt war, dürfen wir darum nicht schliessen. Wenn wir vielmehr sehen, dass die Deutschen schon zu der Römer Zeiten ihre heiligen Seherinnen besassen, und dass später eine weise Frau wegen ihres heidnischen Dichtens vor das christliche Gericht gezogen wurde, so wird es zum Mindesten sehr denkbar, dass auch ein deutscher Dichter, wo es sich um die Darstellung eines Zukunftstoifes handelte, zu dem Motiv einer Vqlva griff. Möglich also, dass der äussere Plan der Vqluspa uralt ist. Mit der höchsten Kunst ist er aber in der nordischen Ueberlieferung im Einzelnen ausgebildet worden. In unserm Gedicht ist die Seherin nicht leere, gestaltenlose Einkleidung der Weissagerede: der Dichter versteht es, sie als greifbare Person vortreten zu lassen, sie mit dem Gegenstand ihrer Worte zu verketten. Er knüpft nämlich die YQlva an das alte Riesengeschlecht an, dessen vormenschliche Kenntnisse sie denn auch teilt. Er lässt sie ferner von einsamer Warte aus das Tun Odins, des höchsten Gottes, in seinen entscheidenden Vorgängen schauen und von ihm als seine Mitwisserin ehrend anerkannt werden. Durch dieselben Mittel rechtfertigt er es dichterisch auf's Schönste, dass die VQlva Ileusler, Vqlo spq. 2

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Einleitung.

gleich weise von den Dingen der ältesten Vergangenheit wie der fernsten Zukunft kündet. Und was ist der Inhalt ihrer Kündigung? Wenn das Gedicht uns durch die Schöpfung der Welt, die mannigfachen Schicksale der übermenschlichen Wesen, den Sturz und die Neubelebung der guten Mächte hindurchführen soll, so wäre im Grunde kein Bruchteil der gesammten Mythenmasse von seiner Anlage ausgeschlossen. Allein der Dichter hat seine Auswahl getroffen. Er durfte das; denn er spricht zu Hörern, welche in dem Umrisse seiner Darstellung nach Belieben Fehlendes einfügen, Angedeutetes näher ausführen konnten. Ebenso legte die Oeconomie des Gediches ihm diese Beschränkung auf. Allein, wie leicht es war, freilich mit Störung dieser Oeconomie, die ursprüglichen Züge der Dichtung zu häufen, zeigen die mehrfachen Interpolationen, welche die Vqluspa musste über sich ergehn lassen, und welche man zum grössten Teile bis auf Müllenhoff für ächte Bestandteile des Werkes halten konnte. Verschiedene selbständige Mythen sind es, welche nach Beseitigung jener Einschiebsel als Inhalt der Vqluspa zurückbleiben. In einigen Fällen können wir die Naturanschauung, welche dem Mythus zu Grunde liegt, noch erkennen. Oft aber

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ist dieselbe völlig anthropomorphistisch umgebildet. Und auch jene Naturbilder stehn nicht als solche, sich selbst genügend, in unserm Gedichte: sie befinden sich vielmehr „im Zusammenhange eines episch pragmatischen Systems". Auch reihen sich die verschiednen Mythen nicht aneinander wie Perlen an einer Halsschnur. In der Phantasie des Dichters gewinnt 'eine Erzählung mächtig die Oberhand. Sie ist auch wohl das bedeutenste Gebilde der germanischen Mythenmasse: der Göttersturz, Weltuntergang. Aus einer falschen Uebersetzung der nordischen Benennung .ragna rakr' hat sich bei uns der nebelhafte Name „Götterdämmerung" eingebürgert. Ragna rekr heisst „Götterverfinsterung, Götternacht", das häufiger vorkommende und ursprünglichere .ragna r

kriege-

Vqlo spar s k o l o ok

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49. Kernr qilogr,

dyggvar

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fegra,

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ofan, doma

ok s a k a r {jaus v e s a

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leggr: skolo.

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hvat?

Gimle:

ynj>es n j ö t a .

veskqj) 50. K e m r

solo

Tveggja

aldrdaga

semr hann

47.

hlautvij) kjösa,

nae:

fljügande, VQII y f e r ,

nü mon

sekkvask.

In dem fehlenden Verse war vielleicht L o d u r erwähnt, s. Kinl.

Die Weissagung der Seherin.

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47. Da mag Hönir den Loszweig kiesen, — — Und die Söhne der Odinsbrüder wohnen im weiten Windheim. Versteht ihr mich noch oder wie? 48. Einen Saal seh' ich stehn schöner als die Sonne mit goldnem Dach, in Gimle. Da sollen die erprobten Schaaren hausen und in Ewigkeit, der Freude geniessen. 49. Es kommt der Mächtige zum höchsten Gericht, der Starke, von oben, der Allem gebietet. Er fällt Sprüche und schlichtet Streit, giebt heilige Satzung, die dauern soll. 50. Da kommt der düstre Drache geflogen, aus den Nidabergen, die funkelnde Natter. Es trägt im Gefieder, die Flur hin kreisend, Nidhqgg die Leichen: jetzt muss er versinken! 48.

Gimle heisst ,Edelsteindach'.